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Full text of "Beiträge zur characteristik der neueren Philosophie, oder kritische Geschichte derselben von Des Cartes und Locke bis auf Hegel"

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3 


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zur 


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der 


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»eueren  Thilosophie, 


«der 


ii.Jl(knCA?j^^ 


kritische  GcsohicAle  derselb«!! 


Ton  Des  Cartes  und  Locke  bis  auf  Flegel. 


V-on 


jr.   n.   Flehte. 


Zweite,  sdir  vermehrte  und  verbesBerte  Ausgabe. 


Sitlzbaelty 

in  der  J.  E.   v.    Seidel  "'s  eben   Buchhaudlung« 

18    4    1. 


•  /  » 


V 


I 

'      •      < 


Vorrede  zttr  zwretteii  An  flagge, 


— I   ■  'I 


Schon  im  Jahre  1837  war  diefte  Schrift  y^r- 
griffea  und  yon  der  Verla^haDdkifeig  dem  Y€rfas- 
Ml*  die  AulToFderuag  gestellt  worden ,  eine  neue 
Auflage  derselben  %u  bereiten.  Er  lögerte  lange^ 
Hand  an's  Werk  au  legen,  indem  es  ihm  schwer 
wurde,  einem  hiilb  Ton  ihm  Terg^ssenen  Buche, 
tiber  desseji  Inhalt  er  durch  so  Manches  seiner  spü^ 
tem  AusbUdimg  hinausgesohriUen«  au  sein  glaubte, 
ein  neues  Interesse  abzugewijineii«  «Denn  gerade 
ia  denjenigen  Theilen.  geaügle  es .  ihm  am  Weni^ 
sten,  welche  die  widbUgsten.  siein;  solllen,  in  der 
Darelellung  und  Kritik.,  des  S  che  Hing«  He  gel- 
sehen  Standpunktes*  Mochte  das  Bichtige  gemeint 
und  wohl  auch  ges^g^  sein,  so  sliess  ihn  doch  der 
Halbdilettanttsmus  dßv  Darstellung  zurück  —  frei-* 


IV  Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 

lieh,  als  Zeugniss  seiner  damaligen,  solchen  Stu- 
dien ungünstigen  Lebensverhältnisse^  vielleicht  eher 
zu  entschuldigen,  —  mit  welchem  es  in  diesen 
Theilen  der  Kritik  nicht  bis  auf  die  Wurzel  der 
Sache  dringt,  sondern  das  Polemische  mehr  nm* 
assertorisch  oder  protestirend  vorbringt  Eine 
Philosophie  kann  nicht  dadurch  widerlegt  sein, 
dass  man  die  Mängel  und  Härten  ihrer  Weltansicht 
bloss  im  Allgemeinen  aufweist. 

Diesen  Widerwillen  überwand  erst  der  Ent-» 
schluss  des  Verfassers,  die  Schrift  in  diesem  *we- 
seniliehstea  Theile  seinen  gegenwärtigen  Forderun- 
gen und  Einsichten-  gemäss  völlig  umzugestalten,  und 
so  wünscht  er -sie  auch  von  den  Lesern  als  eine 
neue  beurtheilt,  die  erste  Ausgabe  aber  nicht 
weiter  geachtet  zu  sehen.  —  Die  Einleitung,  bis 
auf  «Abküraii^  einiger  Stellen,  ist  vollständig  bei*- 
behalten  worden;  denn  sie  schien  auch  jetzt 
noch ,  nach  zwei  Seiten  hin ,  ihre  Geltung  zu  be- 
haupten, sowohl  gegen  diejenigen,  welche,  nach 
eiaer  freilich  jetzt  seltner  vernommenen  Meinung, 
die  Entwicklung  der  Philosophie  bloss  für  ein 
Aggregat  zufällig  an  einander  gereihter  Systeme 
hatten,  als  gegen  die  andere  berechtigtere  Ansicht, 
welche  darin  nur  einen  streng  noth wendigen 
Gang    erbUckt   und   den    unmittelbaren    dialekti- 


Vorrede  zur  zweiten  Aofingoi  ▼ 

nhea  Uebergaog  zwischeft  ded!  eiazdiien  Syale* 
meo,  oft  nieht  ohne  Zwang  gegen,  den!  fakittcfaen 
Tbatbesland^  aufieuw^aen  bemüht  ist;  iGegeo  beide 
wird  YOQ  der.Einletitung,  /diem  Indtiridualitätd^ 
principe  unserer  .Philosophie  gefliäss'^  die  Atisidit 
durchgeführt^  dass,  alich  ioDerbalb  jener  orgaqisch 
fortacfareiteDdea  Entwicklung  der  Philosophie  und 
der  Nol'hwendigkeit^  mik  iVelcher  diese  das»  spe^ 
kidirende  Individuum .  durch  'geiiiissej  Stufen  dur<;h-f 
leitet  oder  auf  ihnen  festhält,  -*-  tdiess  sind  aber 
gerade  immer  die  schwächern  sjiekulatiVeo  Indi- 
YiduaKläten  5  mehr  geeignet  die.zweSte  Rolle  2U 
^ieleo,  als  neue  fiildungsep^ohen  la  gründen;,  — 
dennoch  der  philosophische  Genius  .  sein  .Recht 
und  seiaen  Antheil  an  der  Bildung  der  Systeme 
behalte,  und  einen  Ueberschuss  des  JndtvidueUen 
ihnen  beimische,  welcher  sich  keinesWeges  ia  die 
geschichtliche  Konstruktion  desSystemes  hineinfijgt; 
daas  denmach  die  wahre  spekulative  Geschichte 
der  Systeme  ebenso  die  IndividualitftL  wie  das  All* 
gemeine  in  ihnen,  zum  Bewussisein  bringen  müsse. 
Ein  solcher  Ueberschuss  des  Individuellen,  durch 
welchen  der  Genius  eines  Denkers  mit  oft  wohl- 
thätiger  Inkonsequenz  einen  zukünftigen  Stand-^ 
punkt  in  aeia  noch  einseitiges'  Prinzip  hineink^gl), 
und    so     den     widerspreehetidefn    Doppeku^laud 


ti  Vorrede  zur  zweiten  Auflige. 

eiAer' relativen  Volleilduir^ 'und  cinee  f^roph^tiadiiefi 
Vdraci&lbliteks  kii'oin  ihii'Mlbcrs'Verkiliehieliides^  iii 
sicih  mert^isdety  -^  'Vfvk  iBii«n  nur  dem  Genius 
TnbgliGh  kit^  ^  wiM  auaih  der  Tliat  ron  mia 
hn  d^a  Sjrsteittpeii  Sf>io6sa's ,  L^ibtiitcen^s^ 
fich^lIiDg«,.  flteg'elft  naobgewibseti ;  Ltqd  bei 
den  Di^bergibg^Q '  >oa  Fichte  zu  'SchelU^g^ 
vod  diäftem  m  Hegel  5  #0lch^  Dtoa  för  dW  ate-- 
ligsteti  «ui^  ifBOMileibarsten  za  faoheik  gewoiiat 
iati^  zeigt  sidi  Tieltnehr  in  linserer  Kachwei* 
aUng/wre  durchaus  frei  *  und  d^n^ch  weit  voraus-^ 
greübodeEingebiing  bedingt',  der  ForUehritt  ton 
Schieiling  aos  Fiofaie  war,  tind  wie  er  ändk 
Wiedfer  über  flegel  hinaosgreift. 

'  '(Jeher 'die  in  den  beiden  lersteii  Bücbero  be«- 
kattfdeAten  Ffhilosophieen  hat  dich  mein  Urihed 
tiiehfl. geändert;  hier  habe  ich  mich  daher  mit 
Zi^sAüsen  und  Erweiterungen  h^nl^  welche  mir 
'e\ik  orneuertCB'  Stikdium  dieser  Systeme  aäs  den 
<^iieHen  TersJshalfke.  Wo  mir  hier^  aus  zürfaUigem 
Iwterarieohem  Mängel,  die  Quellen  nicht  alle  zu 
<hteb6t  standeii-,  ivie  bei  der  engUscJhen  Philoso- 
phie y  habe  ich  die  dabei  za  Rathe  gezogenett 
Geschichtswekke  angegeben.  Der  letzte  Theil  von 
Erd  m  a  nti si ? Geschichte  der  neuern  Philosophie, 
welcher  iepdjl  Absabni«  f^ndlich  und   quellen- 


« 


Vorrede  zw  Bwchcn  AuAnge.  vu 

gemäss  behandett  *)j  war  leider  damals  noch  «tidbl 
erMdiienen^  als  Bearbeilung  und  Abdruck  dieser 
Partie  aieinea  Budies  Tor  «ich  gingen. 

Das  dritte  Budi^  welches  jetzt  auch  den 
ilaoptabschnittdes  Ganren  bildet ,  ist  y4>Uig  neu. 
Seinen  Inhalt  möchte  ich  Alien  zur  Beachtung 
empfehlen,  \Telche  an  den  gegenwärtigen  Zeitfra«- 
gen  in  der  Phitoanphie  theiloehmen  oder  sie 
miteutecheiden  bdfen.  Wiewohl  es  die  vielver* 
bandeltsten  L^iren  und  Schriften  betrifft ;  «o 
dürfte,  gerade  durch  die  rein  historische  Darle- 
gung, Ifatiehes,  besonders  ttber  das  Schell ing- 
'sehe  'System,  in  ^nem  neuen  Lichte  erscheinen. 
Wie  unkritisch  und  tumultnarisdi  die  Berichte 
nenerer  Weike  ttber  Schellings  Philosophie, 
wie  ungenau  sie  selbst  über  Hegel  abgelas^ 
sind,  kann  eine  Vei^icbui^  zeigen«  Aber  auch 
das  Verhall  niss  beider  Denker  zu  einander ,  in 
BezQ^  auf  Originalität  und  Urhebersehaft  ihrer 
Haupttdeen,  festzustellen,  schien  ein  ai^emesse- 
ner  Nebmizweck  unserer  Darstellung  j  da  «ie  sich 
ganz  nur    auf  sachliche  Nachweisuc^en   gründet, 


*)  Versuch  einer  wisjtenschafllicheo  Darstellung  der  Geschichte 
der  sieu^m  Philosophie  von  J^  E.  Erdmann  (Bd.  II.  Abth.  1 : 
die  KntwicLluog  des  Empirismus  und  Materialismus  zwischen 
Locke  und  Kant).  Leipang  1840. 


e  i  t  r  ä  i:  e 


zur 


C?  Iiarakierifitili 


der 


neueren  "Philosophie, 


oder 


/7..    ..//7y^ 


^(vjHy>^ 


kritische  Gescliichle  derselben 


Ton  Des  Caites  und  Locke  bis  auf  Hegel. 


Von 


J.    H *    Flehte. 


Zweite,  sehr  Termeiirte  und  verbesserte  Ausgabe. 


Salzbaehy 

in    der  J.   E.   v.    Seid  einsehen    Huchhaod  litog, 

18    4    1. 


X  Vorrede  zur  zweiten  Aulhgc. 

schieden  ausfallea.  Meine  individuelle  Meinung 
ist  9  welche  das  Maass  ihres  Verdienstes  vielleicht 
noch  am  Richtigsten  bezeichnen  vrürde,  dass 
ich  sie  Partnern  oder  Thüi*stehern  vor  der  Halle 
der  Philosophie  vergleiche,  die  ganz  acfatungs« 
werth  und  berechtigt  sind,  wenn  sie  den  Andern^ 
welche,  wie  sie,  sich  draussen  befinden,  die  ge« 
hörige  Ehrfurcht  vor  der  Wissenschaft  einflösseii, 
und  in  ihrer  Umgebung  die  nöthige  Stille  erhal- 
ten, desshalb  aber  doch  nicht  in's  fnnei*e  beru- 
fen werden  können,  um  mit  ihren  hausbacknen 
iumultuarischen  und  vagen  Vorstellungen  die  tief- 
sten, vermitteltsten  Fragen  der  Philosophie,  des 
Lebens  und  der  Religion  lösen  am  hdfen* 

Bonn,  im  Juli  184l. 


Vorrede  znr  ersten  Auflag^e« 


Wenn  es  fiir  jeden  Schriftsteller  wichtig  sein 
iDUSS)  gleich  Anfenfip  seine  Leser  in  den  Gesichts-* 
punki  to  versetzen^  aus  weichem  er  sein  Werk 
beurtheik  zusehen  wünscht^  so  möchte  diess  bei 
dem  gegtewärttgen  Unternehmen  sogar  nöthig  sein^ 
welches  woU  mehr  als  jedes  andere  einer  Vor- 
rede und  Fürsprache  bedarf.  Denn  eine  beur^ 
iheilende  Charakteristik  der  gegenwärtigen  Philo- 
sophie, wie  sie  hier  angekündigt  wird^  möchte 
sowohl  isoi  ihres  Gegenstandes  willen  ^  als  wegen 
(fes  Vetii&ltnitses  y  in  welches  der  Beilrth«ilende 
dabei  sirch  selbst  zu  setzen  scheint,  zu  dem  Miss- 
Uohsten  und  VerfängUchsten  gehören,  av)is  in  die«' 
ser  Art  überhaupt  nur  vei^ucht  werden  kann. 
Was  iadess  hierübes*  in  wissenschaftlicher  Bezie- 
hung ftechifertigendes  gesagt  werden  konnte,  ent- 
hält die  EinleitilHig,  dui*ch  weiche  daher  Niemand 
sich  wirklich  in  die  Abhandlung  einleiten  zu  las- 
sen vei*schmahen  möge.  Aber  auch  ausser  jenem 
wissensciiarftlicheu  Zusammenhange  möchte  der 
Verfasser  durch  vorl^ßge  Rechenschaft  über  die 


XII  Vorrede  zur  ersten  Auflage. 

äussere  Veranlassung ,  wie  über  das  innere  Be— 
dürfniss,  dass  ihn  zu  diesem  Versuche  trieb,  ei- 
nige Theilnahme  dafür  sich  gewinnen.  —  Seitdem 
er  nämlich  über  die  Mannichfaltigkeit  des  wech- 
sehiden  Meinens  hinweg  nach  geistiger  Einheit^ 
nach  Wissenschaft  strebte,  und  je  mehr  er  dabei 
die  befestigende  Gewalt  innerer  Ueberzeugung  ken* 
ncn  lernte,  desto  störender,  ja  räthselhafter  müssie 
ihm  die  Uneinigkeit  entgegentreten ,  welche  alles 
Bemühen  um  die  Wahrheit  beständig  zu  begleiten 
scheint,  übei'haüpt  der  seltsame  Zwiespalt  der  An- 
sichten,'  deren  jede  mit  gleicher  Ki*aft  und  gleich 
entschiedener  Ueberzeugung  behauptet  wird.  — 
Giebt  es  jedoch  Ueberzeugung,  mithin  überhaupt 
Wahrheit}  so  kann  diese ,  folgerte  er ,  nicht  ge- 
macht oder  erfunden  sein  durch  den  Menschen, 
sondern  als  das  ewig  Allgemeingültige  Wind  sie 
selbst  ihn*  formen  und  bestimmen  müssen  über 
jede  zeitlich  persönliche  Beziehung  hinaais.  Wo- 
her also  doch  jener  Streit  persönlicher  Ueberzeu*^ 
gungen,  die  an  sich  ein  Widerspruch  scheinen} 
woher  überhaupt  der  Zwiespalt  der  erkennenden 
Geister  unter  sich  selbst? —  Gäbe  es  dagegen  nir^ 
gends  Ueberzeugung,  nur  Meinung  j  so  lohnte  es 
überhaupt  der  Mühe  nicht,  geistig  zu  leben  und 
zu  denken,  (was  ja  eigentlich  .dann  unmöglich 
wäre;)  und  das  thiergleichste  Leben  wäre  dem 
Menschen  das  angemessenste! 

Hier  galt  es  aber  zunächst,  jenem  anscheinenr 
den  Streite  selbst  näher  zu  treten,  um  zu  sehen, 


Vovredd  zur  ersten  Auflage.  yih 

ob  er  in  der  Thai  ein  durchgreifender,  unvers^hn«- 
barer  sci^  oder  ob  die  einzelnen  GegensUtze  auch 
in  ihrer  geschiedenen  EigenlhUmlichkeit  nicht  auf 
eine  tiefere  Ausgleichung  hindeuteh,  ob  nicht  überall 
eine  gemeinsame  Beziehung,  eine  verborgene  Ein-- 
heit  sie  umfasse.  Und  so  wurde  der  Verfasser 
schon  früh  zum  vergleichenden  Studium  der  ver- 
schiedenen Philosophieen  und  Religionen  hinge- 
leitet  (denn  dass  auc^  diese  in  das  grosse  Gebiet 
der  Ueberzeuguttg  gehören,  schien  sich  ihm  von 
selbst  zu  verstehen),  um  in  diesen  Betrachtungen, 
wo  möglich,  die  Schale  ihres  äussern  Widerstrei«^ 
ies  zu  durchdringen ,  und  aus  ihnen  selbst  ihre 
organisch  beziehende  Einheit  zu  entwickeln.  — 
Diese  Vorübungen  eigenen  Denkens  haben  nun 
dem  Verfasser  die  eigenihümlich  geistige  Richtung 
gegeben,  dass  er  bei  hervortretenden  Gegensätzen 
überall  zuerst  ihr  GenieinschaftJichcs  aul&ucht,  und 
so  den  höhern  beheiTschenden  Mittelpunkt  Zuge- 
winnen trachtet,  \)'elcher,  ohne  die  Gegensätze  in 
ihrer  Eigenheit  zu  unterdrücken,  vielmehr  sie  mit- 
einander verbindet,  ihr  Wechseiverhältniss ,  ihre 
gegenseitige  Voraussetzung  hervorhebt.  Und  so 
begann  in  diesen  Uutei*suchungen  da,  wo  ihm  sonst 
nur  unversöhnbarer  Zwiespalt  erachienen  war,  sich 
ihm  allmählig  das  Schauspiel  eines  organisch  ge- 
gliederten Geisteslebens,  einer  gemeinsamen  Ent- 
wicklung .  in  all  jenen  äusserlLchen  Widersprüchen 
zu  entfalten.  Und  indem  sich  ihm  bei  diesem 
fortgesetzten  Bestreben    auch  die  grossen  Gegen- 


iiv  Vorrede  xur  ersten  Aufioga 

ftäiUe  des  Lebens,  der  Zwiespalt  der  Gegenwart 
selbst  fiMedlich  und  harmonisch  zu  lösen  schienen; 
so  fühlte  er  sich  getrieben,  die  gefundene  Einheit 
auch  äusserlich  darzulegen,  und  an  den  eimeelnen 
geistigen  Erscheinungen  zu  bewähren.  Und  wie 
er  es  früher  versucht  hat,  die  durchgreifenden 
Gegensätze  von  Glauben  und  Erkennen,  von  Offen- 
barung und  Speculation  in  diesem  Sinne  zu  deu- 
ten und  auszugleichen  j  so  sind  es  hier  insbeson- 
dere die  vermeintlichen  Widersprüche  der  Philo- 
sophie, die  da  gelöst  Und  zur  Versöhnung  gebracht 
werden  sollen.  -^  Dass  dazu  vorzüglich  die  ge- 
genwärtige philosophische  Epoche  ausersehen  wor- 
den, daiur  liegen  die  Gründe  sehr  nahe:  scheint 
dieselbe  nämlich  fasl  mehr,  als  jede  frühere,  reich 
zu  sein  an  solchen  äusserlichcn  Gegensätzen,  so 
niuss  ein  solcher  Versuch  gerade  hier  um  so  wün- 
schenswerther ,  zeitgemässer ,  dringender  werden, 
weil  dieser  Widerstreit  sogar  das  Ansehen  und  die 
Bedeutung  der  Philosophie  selbst  gefährden  oiöch- 
te:  zugleich  wird  er  aber  auch  schon  um  des 
Reicbthums  seines  Gegenstandas  willen,  sei  er  nun 
gelungen  oder  verfehlt,  mittelbar  oder  unmittelbar 
die  wisscnschadliclie  Klarheit  (brdern  und  neue 
Ansichten  erwecken  müssen. 

Warum  jedoch  bei  einer  solchen  vergleichen- 
den Charakterisiilc  der  neueren  Philosophie  in  je- 
dem Sinne  nur  „Bei t rag e^^  gegeben  werden  kön^ 
nen,  diess  scheint  sich  von  selbst  zu  verstehen. 
Üass  nämlich  eine  ganze  wissenschafLUche  Epoche 


Vorrede  zur  ersten  Aufltge.  xv 

sich  über  den  in  ihr  herrschenden  Zwiespalt  völ- 
lig ausgleiche  und  verständige,  kann  auch  im  gün-- 
stigsten  Falle  nie  das  Werk  eines  Einzelnen  oder 
isoliiter  Bemühungen  sein,  sondern  die  ganze  Zeit 
muas  dazu  sich  vorbereiten,  die  bisherigen  be- 
schränkenden Gegensätze  abzuwerfen,  und  aus  sich 
selbst  eine  hoher  umlassende,  ausgleichende  Ein- 
heit zu  gewinnen.  Hierzu  nun  scheint  besonders 
]Q  philosophisdier  Hinsicht  die  gegenwärtige  Epo- 
che bei  ihrer  kräftig  allseitigen  Durchbildung  der 
einzelnen  Extreme  vorbereiteter  zusein,  als  irgend 
eine  frühere.  Deutet  hierauf  überhaupt  schon  das 
ausgesprochene  Bedürfniss  unserer  Zeit,  die  sonst 
nur  einzeln  und  zerstückelt  behandelten  Wissen-^ 
schaflen  auf  eine  gemeinschaftliche  Einheit  zu  be- 
ziehen, und  zusammenwirkend  ein  Gesammtre- 
suliat  aus  ihnen  zu  gewinnen;  so  können  wir 
io  der  Philosophie  noch  insbesondere  auf  die  Be- 
mühungen mancher  trefflichen  Geister  hinweisen, 
die  geflammte  geschichtliche  Eniwickelung  dersel- 
ben als  eine  gemeinsame,  organisch  gegliederte, 
gleichfalls  auf  ein  Gesammtresultat  hinweisende  zu 
betrachten  und  darzustellen.  Dabei  ist  es  aber 
die  erste  Bedingung,  auch  das  Einzelnste  mit  voller 
Selbstentäus&enmg  und  ohne  jedes  Vorausurtheilen 
und  selbstbeliebiges  Anordnen  in  seiner  charakte- 
ristischen Eigenthümlichkeit  aufzufassen,  um  ihm 
tief  und  gerechtbezeichnend  in  jener  allgemeinen 
philosophischen  Entwickeluog  seine  Stelle  geben 
zu  können.     Bleibt  nun  bei  jenen  ersten  Leistun- 


XVI         '  Vorrede' 2ur  efslen  Auflugc. 

gen  besonders  in  dieser  Riicksadtt  vieileicht  noch 
Manches   zu  \vünschen  übrig,   weil   diese  MänneV 
bei  ihren  Darstellungen  meist  schon  von  der  Aq* 
nähme  eines  bestimmten  Svstemes/  als  des  allein 
wahren  und  richtigen,  au^ingen,  statt  als  Resultat 
ihrer  Untersuchung  es  hieraus  erst  sich  zu  ge— 
winnen  j  sind  ferner  bei  dem  Reichthum  jeiieft  Ge- 
genstandes auch  die  mannichfs^chsien  Bemühungen 
Verschiedener  rieben  einander  möglich:    so  wird 
vielleicht  auch  unser  Versuch  in  dieser  Beziehung 
nicht  als  überflüssig  erscheinen. 

An  jeder  Kritik  über  eulgegengesetzte  Ansich- 
ten  entwickelt  sich  indess  voii  selbst  eine  eigenr» 
thümliche  Uebei*zeugung.  Sa  auch  in  diesem  FaHe: 
sucht  man  eine  Reihe  einzelner  philosophisdier 
Erscheinungen  in  ihrer  zusammenwirkenden  Ein- 
heit zu  bereifen,  ihr  gemeinsames  Resultat  ai|s 
ihnen  zu  entwickeln,  so  ist.diess  eben  die  hö«- 
here,  daraus  gewonnene  philosophische  Ansichu 
Ja  man  könnte  überhaupt  sagen ,  dass  jede  neue 
Philosophie,  wenn  sie  wahrhaft,  fördernd  sein 
w  oHcj  die  gesammten,  vor  ihr  nur  einzeln  dagewe- 
senen Untersuchungen  in  sich  umfassen  solle,  also 
überhaupt  das  Gesammtresultat  alles  Vorhergehen*- 
den  sein  müsse.  —  Desshalb  kann  man  aber  auch 
die  gegenwärtige  Schrift  eben  sowohl  als  den  Ver- 
such betrachten,  eine  eigenthümliche  philosophi- 
sche Ansicht  vorzubereiten,  denn  als  eine  wissen- 
schaflliche  Kritik  der  vorhei^eheifden  Philoso- 
phieen :  aus  dieser  soll  sich  eb^n  die  neue  Ansicht 


Vorrede  zar  ersten  Anfingfc.  ytii 

entwickela  und  rechtfertigen 5  man  soll,  wie  ^on 
aelbfil,  zu  ihr  hinübergeleitet  werden,  wie  sie  sel- 
ber der  Voraussetzung  nach  auf  diese  VlTeise  zuerst 
zum  Bewusstsein  gekommen.  —  Liegt  daher  auch 
hier  unserer  Kritik  überall  eine  in  einem  gewissen 
Grade  ausgebildete  Philosophie  zu  Grunde,  so  kann 
dieselbe  doch  innerhalb  der  gegenwärtigen  Unter- 
suchung sidi  nur  nach  gewissen  eingeschränkten 
S^ten,  mehr  negativ  als  positiv  aussprechon.   Zur 
EffgüDzuDg  dafiir^  und  um  die  leitende  Grundidee 
derselben  kennen  zu  lernen^  muss  der  Verfasser 
seine  Beurtheiler  auf  die  schon  früher  erschienene 
Vorschule  der  Theologie  *)  verweisen,  wo  dieselbe 
onabhängig  von  allen  kritisch-polemischen  Bezie- 
^knngen  in  fliren  Hauptmomenten  dargestellt  wor^ 
den  ist.     Aber  auch  die  gegenwärtige  Schrift  bie- 
*  tet  vi^iederum   für    jene    ergänzende  Seiten   dar^ 
welche  dort  um  ihrer  besondern  Aufgabe  willen 
in  den  Hintergrund  treten  mussten.      So  hat  der 
Verfasser  seine  Ansicht  vom  Erkenntnissvermögen 
Qod  seiner  Entwickelung  zur  philosophischen  Wis- 
senschaft hier  bei  der  Vergleiehung  L  o  c  k  e's  und 
Leibnitzen's,  beiKant,  undbesonders  bei  der 
Barvtelking  des  Eigenthümlichen  derWissenachafts« 
lehre  weitläufiger  dargelegt:    eine  Theorie   über 
lUmm  und  Zek  wird   an  der  Kritik  der  Kanti«- 
sehen  entwickelt,  welche   er  besonders  der  ein«* 


*}  Sätze  zurVorschuIe  der  Theologie,  Stuttgart  und  Tu- 
bijigaar  kk  4er  Ceita'«cbeA  Buchhandlung  1826. 


TV  tu  Yorrcdt  zur  ersten  Auflage. 

dringendslea  Prüfung  der  Mitphilosophireiidea 
einpfiehlt,  indem  er  tiberzeugt  ist,  dassy  wena 
auch  nur  über  die  Bedeutung  von  Haum  und  Zeit 
EinYersländniss  unter  den  Philosophen  gewonnen 
werden  könnte,  alle  konsequenten  Denker,  in  der 
Hauptsache  wenigstens,  dadurch  eines  Sinnes  wer- 
den niüssten. 

Darf  der  Verfasser  noch  einen  besonderem 
Wunsch  äussern,  so  wäre  dieser  sein  angele- 
gentlichster: —  der  Charakteristik  der  Wissen- 
schan;slehre  in  ihrem  Verhältnisse  zu  den  andern 
Phiiosophieen  der  gegenwärtigen  Zeit,  wie  sie  hier 
versucht  worden,  einige  Aufmerksamkeit  zu  schen- 
ken, damit  man  endlich  aufhöre,  immer  nur  die 
hergebrachten  einseitigen  Vorstellungen  von  ihr  zu 
wiederholen,  um  dann  Widerlegungen  daran  zu 
knüpfen,  die  oft  so  auf  der  äusserlichsten  Ober^  ' 
fläche  liegen,  dass  man  wohl  vermuthen  möchte, 
ihr  Urheber  selbst  habe  sie  gekannt,  ohne  Zwei- 
fel also  auch  die  Antwort  darauf. 

Dagegeu  beunruhigt  uns  ein  Umstand,  über 
welchen  gleichfalls  vorläufig  uns  zu  äussern,  hier 
am  Orte  sein  möchte.  Kenner  werden  ohne  Zwei- 
fel finden,  dass  in  unserer  Schrift  die  Darstellung 
des  Identitätssystemes,  wie  in  farblosem  und  ver« 
schattetem  Umrisse  ,  besonders  kurz  und  dürftig 
ausgefallen  sei.  Diess  entschuldige  und  erkläre  ein 
doppelter  Grund.  Zufolge  der  streng  wissenschaft- 
lichen Anlage  der  Schrift  konnte  hier  überhaupt 
nur  die  dialektisch-abstrakte  Seite    der  Lehre  zur 


Vorrede  zur  ersten  AvOagc.  xix 

Beiirtlieiluiig  lommen:  nothwendig  aber  mii^tst^n 
ganz  ausgeschlossen   bleiben   die   einzelnen  treff- 
liehen,  Tielanregenden  Ansichten  über  Natur  und 
Kunst,  deren  Reichthum  und  tiefe  Genialität  den 
kleinen  wissenschaftlichen  Kern  glänzend  umklei- 
den. —  Indem  wir  ferner  die  filihere  wissenschaft- 
liche Darstellung  jener  Lehre  ftiglich  als  eine  Tom 
Urheber  selbst  überwundene  und  abgestreifte  Form 
ansehen  können,  yon  welchem  die  höchsten  und 
rei&ten Resultate  noch  zu  erwarten  sind;  —  und 
wir  haben  in  unserer  Kritik  selbst  nicht  unange- 
deutet  gelassen,  bei  welchem  Punkte  seines  Syste- 
mes  wir  gerade  mit  vorzliglichem  Interesse  seinen 
neuen  Aufschlüssen  entgegensehen :  —  so  konnte  uns 
eben  desshalb  jene  frühere  Form  besonders  nur 
als  Uebergangsstandpunkt  wichtig  sein,  in- 
wiefern sie  iron  hier  aus  in  der  Wissenschaft 
der  Logik   durch    dialektische   Entwicklung   und 
Ausbreitung    ihres    Principes    weiter'  ausgebildet 
worden  ist.     So  musste  uns  die  letztere  nach  der 
ganzen  Anlage  unserer  Schrift  hier  Ton  überwie- 
gender Widitigkeit  erscheinen ,  während  an  sich 
freilich  das  Verdienst  des  Vorbereitenden,  Anre- 
genden.  Bahnbrechenden  als  das   höhere  angese- 
hen werden  muss.     Doch  wozu  überhaupt  solche 
äu3serliche  Abmessunl|;en   des  Verdienstes,   wo   es 
ein   objektives  Maass  dafür   eigentlich  gar    nicht 
giebtP    Es  genüge  hier,  auf  das  gegenseitige  Ver- 
hältniss  beider  Standpunkte  wissenschaftlich  hin- 
^weisen,  und  es  darnach  einem  Jeden  zu  über- 


XX  Vorrede  zur  ersten  Auftago. 

laasen,  für  «ich  selbst  über  den  Werib  des  Eia- 
zelaen  sich  eia  Uilhcil  zu  bilden. 

Zugleich  eqrreiit  der  Verfasser  diese  GiEslegea- 
heit,  ötnigCQ  wohlwollenden  Freunden,  die  ihn 
•aufforderten  9  das  Erscheinen  der  Lebensbeschrei- 
bung seines  verewigten  Vaters  nicht  länger  zu 
yerscfaieben,  in  dankbarer  Erwiederung  kund  zu 
thun,  dass  dieselbe  von  einer  Briefsammlung  be- 
gleitet,  wenn  nicht  besondere  Hindernisse  in  dea 
Weg  treten  y  spätestens  bis  zu  Ostern  kündigca 
Jahres  ci^cheinen  werde* 

Düsseldorf,  im  April  1828. 


Der  Verfasser. 


Inhal«. 


I     ^  !■  J* 


KwnUsn  MueUt  Dit  aufXant  w9ß^h$rei%knJk  Sp^d^.  S.  27— 173. 

I.  Jolin  Locke  tincl  Leibnttzens  ErkenntniMtlieorld :  S.  !?9  — 62. 

II.  George  Berkefei:  8.  63—83. 

I  iL  David  Home  i    S.  84^166:    Engfffthe   Phtlotöpble  :    Reid» 

Pri^stlei,  Price ;  nraerel'kilDsophie  in  Cngfaod :  S.  10S>-117. 
IV.  Die   Torkantisch«  Philosophie   in  'Dentscbtaud :"  WoTff   und 

Baamgarten:  S.  118—149.    Spätere  WolfHaner,  Darjei,  Fr. 

T.  Grenz,  Platner;  Lambert,  Relmarus;  die  Popnlarphiloao- 

phie:  S.  144—173. 

■wette«  Bnelit   Kant  und  Jacohi.     Venuchu   Fermiulung 
heUer.    S.  175-423. 

L  Immanuel  Kant:  S.  177«-248. 

U.  Friedrich  Heinrich  Jacobt :  S.  249^330. 

IIL  Die  Vermittler  zwischen  Kant  und  Jacebl  t  S.  331—374.; 
Jacob  Friedrich  Fries:  S.  331--368»  Friedrich  Bontenreck: 
S.  368— 374.  Die  nachkan tischen  nnd  nachjacobischen  Phi- 
losoph! een  :  J.  G.  Flehte's  alterer  Standpunk.t ;  G.  £«  SchuU 
xe's  Skepticismns ;  W.  T.  Krugs  Synthetismus ;  die  Glan- 
benslehre  tou  E.  A.  Eschenmajer:  S.  374— 420.  Zusam- 
menfassung alles  Bisherigen:  S.  421«->423. 

BirUies  Bmchi    DU  Phüos^phig  der  g$genwirtig0n  Epoche: 
S.  425—1051. 

I.  Allgemeinste  Vor«  und  Rückblicke:  die  metiphysisehen  Prin- 

cjpien   Ton    Des  Cartes,   Spinosa,  Leibnits:    S»  427— 479. 
Uebergang  In  das  Folgende:  S.  479-- 480. 

II.  Johann  Gotllieb  Fichte :  S.  481—495. :    erste  Gestalt  seiner 

Wissenschaftslehre:   S.^495-*531.     Zweite    GesUlt    seines 
Systems:  S.  532. 587.    ' 


XXII 


hhalt 


Jll.  Frledrfch  Wilhelm  Joseph  Sehclling:  8.  588-781:  teia 
Yerh&lInlM  zu  Fichte  und  zu  Hegel :  S.  588—593  Ertte 
Gestalt  seines  Systems:  S.  593—605.  Zweite  Gestalt  cles- 
selbea ,  als  IdentitSUsystem  :  S.  606—691.  Uebergang  in 
den  dritten  SUsdpunkt :  $.  691—724.  EnUcbiedneres  Uer- 
▼ortreten  einer  dritten  Epoche  in  ihttt :  S.  724  -  757.  Spä- 
terer Uebergang  In  einen  vierten  Standpunkt:  S.  758 — 767. 
Endurtheil  über  Scbeüings  WelUnsicht:  S.  768—781. 

IV.  Georg  Friedrich  Wilhelm  Hegel:  S.  782—1032.  Sein  er- 
stes Hervortreten  Schelling  gegenQber:  S.  784—797.  Die 
Phänomenologie  des  Geistes  :  S.  797—842.  Die  Wisien- 
schalt  der  Logik :  S.  842^928,  Die  Naturphilosophie  : 
S.  929—948.  Die  Philosophie  des  Geistos :  S.  949—1016. 
Endurtheil  ub^r  Hegeb  Standpunkt:  5.1017—1833.  Die 
Philosophie  der  Gegeowarlf  nach  ihren  drei  Haoptelemen* 
ten:  St  1033-1051. 


Beiträge 


Charakteristik  der  neueren  Philosophie, 


oder 


kriäsche  Geschichte  denelben 


Ton  Des  Cartes  und  Locke  bb  auf  H^el. 


■»>       *. 


Siehe  die  Natur  um  Dich  )ier  in  ihrer  ewig  beweglichen 
Ilnhey  in  schrankenlos  unendlicher  Einheit;  wie  all  ihre  Kräfte 
sich  gewaltig  ergiessen  und  durch  einander  dringen,  wie  jedes  Ge- 
schöpf sich  behauptet  in  eigener  Natur  und  Kraft,  und  wie  doch 
Nichts  der  tiefsten  Eintracht  entweicht,  wie  Alles  klargeordnet  und 
gemessen  daliegt  vor  dem  ewigen  Auge.  Eben  also  würdest  Du 
auch  in  der  Geisterwelt  den  Frieden  erblicken ,  wenn  es  Dir 
se|h|k94ir^iH«n  ko^ttUSi  b^rfOfaüittUm  am  den  «igelet  Schrat»- 
ken,  die  Dich  beengend  umgeben.  Jedem  Geiste  ist  ein  Funken 
verliehen  aus  dem  ewigen  Urquell  des  Lichts;  aber  schon 'dieser 
Eine  entzündet  ihn  mit  Lust  und  Begeisterung.  Umfasse  nun  die 
einzelnen  Strahlen»  und  zu  noch  höherer  Begeisterung  wird  sich  in 
ihnen  ,  wie  im  Abbilde ,  das  ewige  Licht  selbst  Dir  spiegeln ,  und 
in  der  Geisterwelt ,  wie  in  der  Natur ,  wirst  Du  die  ewige  H  a  r> 
monie  erkennen »  die  Mutter  aller  Seligkeit  und  Schönheit. 


Beiträi^e 


zur 


Charakteristik  der  neuem  Philosophie, 


SU 


VermiilluDg  ihrer  Gegensätze. 


Siehe-  die  Natur  um  Dieb  her  in  ihrer  ewig  hewegiich^n 
Ruhe,  in  schrankenlos  unendlicher  Einheit;  wie  all  ihre  Kräfte 
sich  gewallig  ergiessen  und  durch  einander  dringen,  wie  jedes  Ge- 
schöpf sich  behauptet  in  eigener  Natur  und  Kraft,  und  wie  doch 
Nichts  der  tiefsten  Eintracht  entweicht,  wie  Alles  klargeordnet  und 
gemessen  daliegt  vor  dem  ewigen  Auge.  Ehen  also  würdest  Du 
auch  in  der  Geisterwelt  den  Frieden  erblicken«  wenn  es  Dir 
selbst  nur  gelingen  küoute,  hervorzutreten  aus  den  eigenen  Schran- 
ken ,  die  Dich  beengend  umgeben.  Jedem  Geiste  ist  ein  Funlen 
verliehen  aus  dem  ewigen  Urquell  des  Lichts;  aber  schon  dieser 
Eine  entzündet  ihn  mit  Lust  und  Begeisterung.  Umfasse  nun  die 
einzelnen  Strahlen,  und  zu  noch  höherer  Begeisterung  wird  sich'in 
ihuen,  wie  im  Abbilde,  das  ewige  Licht  selbst  Dir  spiegeln,  und 
in  der  Geislerwelt ,  wie  iu  der  Natur ,  wirst  Du  die  ewige  H  a  r- 
monie  erkennen,  die  Mutter  aller  Seligkeit  und  SdiöuheiL 


Inleitung'. 


Gleichwie  bei  den  Gegensätzen,  die  im  Lebeti  und 
Glauben  die  Geister  trennen,  ja  ganze  Völker  und  Jahrhun- 
derte in  feindliche  Spannung  bringen,  oft  nur  ein  fehlendes 
Wort,  ein  verborgener  Begriff  es  ist,  der,  wenn  er  plötz- 
lich in  Allen  zur  Klarheil  käme ,  jeden  Streit  sofort  ver- 
mitteln würde:  eben  also  möchte  es  wohl  auch  mit  der 
vielbeUagten  Uneinigkeit  der  Philosophen  sich  verhalten, 
deren  Verhandlungen^  äusserlich  und  obenhin  betrachtet, 
freilich  nur  endlosen  Widerstreit  uns  darzubieten  scheinen ; 
aach  hier  möchte  nämlich  eine  tiefere  Einsicht  jene  Ge- 
gensätze zwar  nicht  aufheben,  wohl  aber  eine  gemeinsame 
Entwicklung,  eine  innere  Beziehung  in  ihnen  entdecken 
lassen.  —  Dort  ist  es  jedoch  der  Geist  lebendig  histori- 
scher Forschung,  enthoben  von  der  leidenschaftlichen  Span- 
nung ,  die  in  der  Wirklichkeit  trennte  und  angstete ,  die 
innern  Ursachen  jener  Entgegensetzung  zu  enthüllen ,  und 
darin  ihre  Versöhnung  zu  finden :  ebenso  hätte  auch  eine 
Geschichte  der  Philosophie  nicht  bloss  in  todter  Vereinze^ 
long  die  mannigfachen  Lehren  neben  einander  aufeugreifen, 
sondern  vor  Allem  ihren  organischen  Zusammenhang,  ihre 
innere  Verbindung  nachzuweisen ;  und  so  wie  der  rechten 
Historie  das  Leben  der  Menschheit  in  seiner  reichgeglie- 
derten Entwicklung  dennoch  als  Eines  sich  darstellen  soll, 

1 


4  Einleitung. 

so  würde  auch  in  diesen  Forschungen  nur  dic-Einc  philo- 
sophische Wissenschaft  nach  ihrer  zeitlichen  Gestalt,  darin 
aber  immer  reicher  und  vielseitiger  sich  entwickelnd,  er- 
scheinen. 

Wie  nahe  aber  auch  diese  Ansichten  liegen ,  so  muss 
doch  der  Unberangene  gestehen,  dass  im  Grossen  und  AU« 
gemeinen  wenigstens  für  diese  tiefere  Erfassung  der  Ge- 
schichte der  Philosophie  noch  wenig  geschehen  sei ;  indem, 
was  man  jetzt  so  nennt,  entweder  nur  eine  Sammlung  ver- 
einzelter Lehren,  nach  der  Zeitfolge  oder  andern  äusserli— 
chen  Bestimmungen  geordnet,  darbietet,  —  als  Vorarbeit 
und  mit  kritischer  Sichtung  vollzogen  vorläufig  allerdings 
von  grossem  Werthe:  oder  —  was  schlimmer  und  been- 
gender ist  —  indem  in  den  Darstellungen  derselben,  welche 
sich  als  geistreicher  und  philosophischer  zu  empfehlen 
gedachten ,  meistens  nur  irgend  ein  gerade  herrschendes 
System  zur  Norm  der  Beurtheilung  genommen,  also  eine 
philosophische  Besonderheit  allen  andern  zum  Maasstabe 
aufgedrungen  wurde,  statt  alles  Besondere  in  die  Eine  all- 
gemeine Idee  der  Philosophie  aufzunehmen,  und  als  we- 
sentliches Glied  in  jenem  Ganzen  es  geltend  zu  machen. 

Vor  Allem  nämlich  gebührt  es  sich  auch  in  der  Phi- 
losophie ,  eine  jede  Erscheinung  aus  sich  selbst  zu 
verstehen  im  höchsten  Sinne ;  d.  h.  nachzuweisen,  wie  die 
eigenthümliche,  tief  in  der  geistigen  Individualität  ihres  Ur- 
hebers gegründete  Ansicht  nach  d^m  wissenschaftlichen 
Standpunkte  seiner  Zeit  und  ihren  Anforderungen  gerade 
eine  solche  werden  musste;  wie  überhaupt  sein  Denken, 
seine  ganze  Gesinnung  aus  jenen  beiden  Elementen ,  dem 
innem  und  dem  äussern,  mit  Nothwendigkeit  erwuchs.  — 
Ist  es  doch  längst  als  thöricht  verworfen  worden^  bei  Beur- 
theilung eines  Volkes,  einer  Zeit,  irgend  einen  fremden 
Maasstab  anzulegen:  sollen  wir  doch  auch  jedem  Kunst- 
werke mit  Selbstentäusserung  uns  hingeben,  aus  ihm  selbst 
seinen  Sinn  enträthsetnd  und  seinen  Geist  in  uns  aufneh- 
mend ;  warum  geschieht  nicht  das  Gleich  mit  dem  Gedichte 
''der  Wahrheit,  das  aus  dem  innem  Drange  ilirer  besten 


Einlcilunsr. 


ö" 


KräRe  die  fiegabtcstcn  entwarfen?  Denn,  wenn  wir  bei 
jedem  wahrhaften  Kunstwerke  eine  geheime  geistige  Moth- 
wendigkeit  erkennen  müssen^  welche  die  einzelnen  Theile 
sicher  zum  Ganzen  zusaminenleitet ,  und  erst  das  Siegel 
der  eigentlichen  Wahrheit  ihm  aufdrückt;  wie  sollte  die- 
selbe ausbleiben  bei  der  tiefsten  und  reinsten  Selbstthat  des 
Geistes ,  das  allgemein  Wahre  betrachtend  in  sich  selbst 
aufzusuchen.  Und  jede  eigentlich  philosophische  Erschei- 
nung bewahrt  diess :  —  sie  am  Wenigsten  kann  als  Werk 
des  Zufalls  oder  bloss  persönlicher  Willkühr  begriffen  wer- 
den; vielmehr  aus  geistiger  Nothwcndigkeit  ^vurde  ihr  Ur- 
heber getrieben,  sie  also  auszusprechen ,  und  nur  sein  In- 
nerstes hat  er  an  ihr  dargestellt ;  und  so  enthält  sie  gewiss 
irgend  eine  wesentliche  Seite,  ein  nothwendiges  Element 
der  Wahrheit.  Ja  selbst  in  der  Zeit  ist  ihr  die  bestimmte 
Stelle  angewiesen :  nur  an  dieser  Stelle ,  nur  in  solchem 
geschichtlichen  Zusammenhange  konnte  sie  sich  entwickeln 
in  der  allgemeinen  Fortbildung  der  Erkenntniss. 

Und  diese  Ansicht,  wie  wenig  durchgefilhrt  sie  hier 
anch  noch  sei,  scheint  sich  doch  schon  in  Rücksicht  auf 
das  zu  empfehlen,  was  die  ganz  formale  Gründlichkeit  einer 
Beurtheilung  verlangt«  Bei  jedem  entschieden  hervortre- 
tenden Gegensatze ,  worin  es  auch  sei ,  pSegt  klare  und 
besonnene  Ausscheidung  fast  immer  schon  versöhnend  zu 
wirken:  man  erkennt  sofort,  wie  der  Gegner,  mit  seiner 
Ueberzeugung  auf  einem  eigenthümlichen  Schwerpunkte 
nihend ,  in  seiner  Art  nicht  anders  denken  oder  handeln 
kann;  wie  also  allerdings  die  Wahrheit  von  ihm  ergriffen 
worden  sei,  aber  nur  in  einer  besondem  Gestalt,  von  einer 
bestimmten  Seite.  Kurz,  auch  die  äusseriichste  Betrachtung 
vms  endlich  zur  Anerkenntniss  leiten,  dass  alle  Gegensätze^ 
die  in  der  Wissenschaft  wie  im  Leben  die  Geister  schei- 
den, selbst  nur  Glieder  einer  verborgenen  Einheit  sind,  die 
eben  in  ihnen  den  Reichtbum  ihrer  Beziehungen  offenbart ; 
dass  also  Gegensatz  und  Widerspruch  niemals  das  Letzte 
sei,  sondern  nur  die  äussorliclie  Erscheinung,  die  zu  über- 
windende Form  innerlieh  einträchtiger  Wahrheit  ausmache. 


6      1  Einlcilungf. 

hideni  wir  nun  in  dtcscm  Sinno  eine  Charakterif»tik 
der  neuern  Philosophie  zur  Vermittlung  ilirer  Gegensatze 
hier  ankündigen:  so  können  wir  freilich  die  mannigfachen 
Schwierigkeiten  uns  nicht  verbergen,  die  gerade  zur  gegen«- 
wärtigen  Zeit  ein  solches  Unternehmen  nothwcndig  treffen 
müssen.  Aber  eben  ihr  scharfes  Erfassen,  Uur  deutliches 
Bewusstsein  wird  uns  vielleicht  über  die  Sphäre  derselben 
auf  einen  Standpunkt  erheben ,  von  welchem  aus  sie  von 
selbst  sich  erledigen.  —  Giebt  es  nämlich,  könnte  man  sa- 
gen, überhaupt  schon  kein  misslicheres  und  undankbareres 
Geschäft ,  als  Gegnern  vermittelnd  sich  aufzudrängen ,  die 
selbst  noch  in  eifrigem  Kampfe  begriffen  sind,  weil  schon 
das  Anerbieten  einer  solchen  Ausgleichung  jeder  Partei  ihr 
eigenthümliches  Recht  zu  schmälern  droht;  so  scheint  bei 
philosophischen  Ansichten  insbesondere  ein  solcher  Versuch 
zugleich  vom  Verdachte  der  höchsten  Anmassung  nicht  frei 
bleiben  zu  können.  Jede  Ausgleichung  setzt  gegenseitige 
Abgränzung,  sonach  völlige  Klarheit  über  das  Auszuglei- 
chende voraus;  man  scheint  sich  dabei,  selbst  parteilos, 
über  alle  Parteien  stellen  zu  wollen.  Tritt  hierbei  aber 
nicht  die  Voraussetzung  hervor,  dass  man,  um  Jedem  sein 
Recht  zu  thun,  selbst  in  sich  vollendet  zu  sein  vermeine, 
dass  man  also  über  die  tiefsten  Fragen  bereits  mit  sich 
abgeschlossen  habe,  in  deren  zweifelhafter  Lösung  jene 
noch  begriffen  sind?  Und  wer  möchte  wohl,,  auch  nur  ak 
unausgesprochene  Voraussetzung^  den  Schein  solcher  An- 
massung auf  sich  laden?  —  Ja  selbst  davon  abgesehen, 
wie  schwer  ist  es,  auch  nur  strenge  Unparteilichkeit  über 
seine  Zeit  von  sich  behaupten  zu  wollen,  indem  man  selbst 
ja  in  ihr  wurzelnd  niemals  ganz  sich  von  ihr  abzulösen 
und  sich  über  sie  zu  stellen  vermag,  was  im  höchsten  Sinne 
vielmehr  ein  geistiger  Widerspruch  wäre!  Denn  in  wel- 
chem Verhältnisse  zu  ihr  wir  auch  stehen  mögen;  im* 
mer  bleibt  sie  die  Grundlage  und  die  Voraussetzung  unse- 
rer Ansichten,  wie  unseres  ganzen  geistigen  Lebens:  und 
so  haben  gerade  diejenigen,  welche  sich  ganz  von  ihrer« 
Zeit  loszumachen  und  ihr  völlig  entgegenzusetzen  suchten, 


Eialeilung.  7 

stdi  dadurch  vielmehr  als  die  voUsUndigslen,  aber  iicgfafi*- 
ven  Produkte  derselben  erwiesen,  —  Endlich  aber  scheint 
auch  noch  im  Unternehmen  selbst,  über  die  rhilosophic 
seiner  Zeit  ein  entscheidendes  Urtheil  zu  fällen,  eine  ans 
Umnögliche  granzende  Schwierigkeit  zu  liegen.  Die  An- 
atdit  jedes  lebenden  Penkers  ist  nothwendig  noch  in  Ent- 
wieklung  begriffen,  und  so  täuscht  sie  gerade  die  unbe- 
fangenste und  anerkennendste  Prüfung,  weil  sie,  nach  Aussen 
wandelbar,  nach  Innen  unvollendet,  in  keiner  Art  ein  ab- 
geschlossenes  fiild  darzubieten  vermag,  und  sie  so  den 
Prüfenden  nur  über  ilirc  mannigfachen  Metamorphosen  ohne 
AbscUass  mit  sieh  fortreisst.  Daher  denn  auch  die  ge- 
wöhnliche Erfahrung,  dass  bei  dem  Urheber  selbst  auch 
die  scharfsinnigste  Kritik  seiner  Ansicht  selten  Eingang  fin- 
det, indem  er  die  von  jener  etwa  wirklich  getroffenen 
schwachen  Seiten  derselben  immer  noch  durch  fernere  Ans- 
büdmig  befestigen  zu  können  hofft,  während  der  innere 
tragende  Kern  seiner  Lehre  ihm  nnerschuttcrUch  scheint 
durch  eine  solche  bloss  von  Aussen  angreifende  Kritik* 
Und  in  .der  That  ist  eine  jede  tiefe  und  consequente  Welt- 
ansickt  durchaus  unwiderlegbar  von  Aussen  her,  indem  sie 
seihst  aus  der  Zerstörung  ihrer  einzelnen  Formen  immer 
wieder  neu  zu  erstehen  vermag.  Und  so  erscheint  eine 
solche  negative  Prüfung  oder  ausserliche  Widerlegung  über- 
haupt als  das  imfruchtbarste  Beginnen,  weil  es  nicht  ein- 
mal die  Wissenschaft  wahrhaft  zu  fördern  vermag,  persön- 
lich aber  von  keinem,  oder  nur  von  sehr  vorübergehendem 
Einflüsse  ist.  Jeder  festgeschlossene  wissenschaftliche  Stand- 
punkt ist  vielmehr  dem  andern  schlechthin  undurchdring- 
lich, ^eichwie  im  Physischen  eine  Materie  der  andern ;  weil, 
was  jeder  voraussetzt,  und  worauf  er  sich  gründet,  der 
andere  gerade  von  sich  ausschliesst ,  um  der  entgegenge- 
setzte zu  sem  ;  und  in  dieser  Wechselnegation  abgeschlos- 
sen, sind  sie  vielmehr  dadurch  ihre  gegenseitige  Wi- 
derlegung, dass  jeder  in  sich  den  Gegensatz  des  andern 
hervorhebt  und  fiur  sich  geltend,  macht. 

SoU  daher  überhaupt  von  wissenschaftlicher  Beurlhcilung 


8  EinteiUing. 

ii^end  einer  Art  die  Rede  sein :  so  gilt  es  zunächst  nichf, 
mit  irgend  welchen  fremden  Voraussetzungen  zu  dem  za 
Prüfenden  heranzukommen,  sondern  völlig  in  dasselbe  ein* 
zugehen,  und  seinen  ganzen  wissenschaniichen  Mcrgang  von 
Neuem  in  sich  durchznentwickeln.  Hier  ist  nur  das  dop- 
pelte Ergebniss  möglich.  Indem  wir  auf  diese  Weise  ans 
uns  selbst  und  unserm  Gegensatze  vorläufig  heraustreten, 
finden  wir  uns  Entweder  völlig  versöhnt  mit  der  also  durch- 
drungenen entgegenstehenden  Ansicht:  der  Widerspruch  ist 
durch  sie  selbst  gelöst,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  sie 
nim  unsem  eigenen  Standpunkt  in  sich  mitumfasst,  dass  sie 
überhaupt  sich  als  die  höhere,  entwickeltere,  reichere  be- 
wahrt. Oder  wenn  bei  diesem  völligen  Eingehen  in  die 
entgegengesetzte  Ansicht  der  Widerspruch  sich  noch  als 
ungelöst  und  unüberwindlich  zeigt:  so  wird  eben  an  dem 
deutlichen  Bewusstsein  dieses  Gegensatzes  hervortreten  müs- 
sen, was  jedem  der  beiden  Extreme  für  sich  selbst  fehlt, 
und  welche  höhere  Einheit  beide  vermitteln  müsse.  Die  Er- 
kcnntniss  dieser  Einheit  wäre  daher  nun  eben  das  dadurch 
gewonnene  vermittelnde  Resultat;  und  so  behält. auch  in 
diesem  Falle  Einheit  und  Versöhnung  das  letzte  Wort. 

Muss  indess  vor  Allem  in  der  Philosophie,  als  der 
Wissenschaft  vom  Unbedingten,  das  Bewusstsein  siqh 
hervorthun,  dass,  gleichwie  jenes  nur  das  Eine,  es  also 
auch  nur  Eine  Wahrheit  geben  könne ;  dass  aber,  ebenso 
wie  das  Unbedingte  in  seiner  Einheit  dennoch  die  Unend- 
lichkeit befasst,  auch  diese  Wahrheit  darum  keineswegcs 
als  eine  einfache ,  vereinzelte ,  ein  far  allemal  fertige  zu 
'  denken  sei,  vielmehr  eine  Mannigfaltigkeit  und  geschlossene 
Totalität  von  Erkenntnissen,  Gedankenbeziehongen  und  sich 
ergänzenden  Betrachtungsweisen  in  sich  enthalten  müsse,  kurz 
dass  die  Wissenschaft  der  Wahrheit  nur  als  System  wirk- 
lich sein  könne :  so  folgt  daraus  von  selbst,  dass  auch  die 
einzelnen  historisch  hervortretenden  Erscheinungen  dieser 
Wissenschaft  innerhalb  des  Einen,  zeitlich  sich  entwickeln- 
den Systemes  fallen,  und  in  bewusstloser  oder  deutlich  be- 
wusster  Beziehung  auf  jene  Einheit  niur  Stufen  seiner  Eilt« 


Ekdeituig.  9 

wiciding  sind.  Eb  folgt  daher  nicht  bloss  änsseriich  eine 
PfaOosophie  auf  die  andere,  sondern,  nach  einem  im  grosse« 
Gange  der  Wissenschaft  sicher  einmal  eintretenden  Fort« 
schritte,  setzt  die  känftigc  die  voriiergehenden  in  sich  Tort, 
und  vereinigt  die  vorher  vereinzelt  geblieb(»ien  Gegensätze 
in  einer  umfassenden  Einheit;  ohne  dass  jedoch  in  dieser 
Gesammtentwicklmig  bei  der  hier  mitwirkenden  Freiheit 
der  Individualitat  nach  ihrer  Begabong  oder  zeitlichen  Acu^ 
seriichkeit,  Seiten  wen  düngen  und  Wiederholung,  theil  weise 
Rückschritte  und  Umkehr,  wie  in  der  gesammten  Weltge- 
schichte, so  auch  hier  ausgeschlossen  waren. 

Ist  nun  in  irgend  einem  gegebenen  Zeitpunkte  philo- 
sophisdier  Bildung  es  nicht  gelungen  oder  noch  nicht  ver- 
such! worden,  jene  orientirende  Vermittlung  über  ihre  Ge^ 
gensätze  zum  Bewusstscin  zu  bringen,  so  kann  dabei  nur 
der  doppelte  Fall  stattfinden :  entweder  es  giebt  wirklich 
spekulative  Elemente  in  der  bisherigen  Bildung,  welche  je- 
der Vermittlung  noch  unzugänglich  bleiben,  —  wie  Solches 
in  Betreff  der  gegenwartigen,  so  verwirrungsreichen  philo- 
sophischen Epoche  wirklich  stattzufinden  scheinen  könnte; 
—  oder  die  Vermitthmg  in  einer  bestimmten  Philosophie 
oder  wenigstens  im  Principe  einer  solchen  ist  wirklich  vor. 
banden,  sie  ist  nur  noch  nicht  allgemein  eriumnt  oder  in 
Kraft  gesetzt*  In  beiden  Fällen  werden  wir  immer  am  Si- 
chersten und  Gründlichsten  auf  die  historische  Genesis  einer 
solchen  Epoche,  in  welcher  der  Fortgang  in  stocken  scheint, 
einzugehen  Veranlassung  finden.  In  jenem  Falle  wird  an 
der  Sinächt,  was  den  vorliegenden  Elementen  zu  ihrer 
hohem  Vermittlung  noch  abgehe,  zugleich  das  Bewusstsein 
über  dies  vermittelnde  Princip,  über  die  bisher  noch  feh- 
lende Einheit  hervorbrechen :  die  bloss  historische  Forschung 
gewinnt  zugleich  ei^  heuristisches  Resultat.  Im  letztgedach- 
ten Falle  muss,  in  ganz  ähnlicher  Wendung,  das,  wenn 
auch  vorhandene,  doch  nicht  anerkanntiB  System  zu  seiner 
vollständigen  Geltung,  oder  sein  Princip  zur  vollen  Ausfüh- 
rung gefaingen.  Von  Beiden  hoffen  wir  im  Nachfolgenden 
Beispiele  darzulegen,  wo  einestbeils  bisher  noch  unverslau* 


dene  und  in  der  spekulativen  Gosammtentwicklung  noch 
nicht  mitfortg^nommenc;  Keime  ruckwartsliegender  SUmd* 
punkte  weit  in  die  Folgezeit  prophetisch  hin(ä)ergreifeii, 
«ndernlheils  aber  darin  eben  die  Ideen  nachgewiesen  wer« 
den,  deren  wir  bedürfen,  um  die  gegenwärtige  philosopbi- 
sche  Epoche  zum  Selbstverstandniss  und  zu  einem  neuen 
Fortschritte  zu  bringen.  Immer  daher  ist  die  Geschichte 
4er  Philosophie  selbst  spekulativ ,  und  die  Geschichte  ihrer 
Gegenwart  der  Versuch,  sie  über  sich  selbst  zu  steigern; 
in  ihrem  historischen  Zusammenhange  muss  nämlich  jene 
verborgene  Einheit  am  Deutlichsten  hervortreten.  Wenn 
wir  daher  in  jeden  besondem  Standpunkt  vollstajidig  ein- 
zugehen, ganz  mit  ihm  Eins  zu  werden  suchen;  so  wird 
sich  darin  zugleich  die  JVothwendigkeit  finden ,  über  ihn  in 
seiner  Begranzung  fortzuschreiten  zu  dem  nächsten ,  auck 
historisch  aus  ihm  hervorgetretenen:  die  vollendetere  Form 
wii'd  sich  überall  ganz  von  selbst  aus  der  niederen  ent- 
wickeln, und  befreit  von  den  äusserlichen  Zufälligkeiten, 
welche  ihre  erste  historische  Erscheinung  umgaben,  werden 
sie  hier  in  ihrer  wahren  Gestalt  und  in  ihrem  Innern  Be- 
piffsverhältnisse  zu  einander  erscheinen.  Ihr  gemeinsames 
Resultat  tritt  vollendet  und  in  reinem  Umrisse  aus  ihrer 
Zeit  hervor,  mit  seinem  eigenthümlichen  Gewichte,  aber 
«uch  vielleicht  noch  in  der  nothwendigen  Begranzung ,  die 
-abermals  weiter  treibt  zu  einer  noch  höheren  Vollendung: 
ud  so  ist  die  Mündung  im  Strome  der  Erkeimtniss  wie- 
derum zur  neuen  Quelle  geworden. 

Darm  liegt  aber  zugleich  die  grosse  spekulative  Be- 
deutung, die  also  behandelt  die  Geschichte  der  Phi- 
losophie iur  sie  selbst  erhalten  muss.  Wie  die  Eine 
Idee  der  Philosophie  in  ihrer  zeitlichen  Entwicklung  notb- 
wendig  die  Gestalt  einzelner^  neben  einander  tretender  Leh- 
ren annimmt,  durch  welche  hindurch  dennoch  nur  das  Eine 
System  derselben  sich  verwirklicht;  so  ist  die  also  behan- 
delte Geschichte  derselben  in  ihrer  eigentlichen  Bedeutung 
nur  das  Bewusstsein  der  Philosophie  über  sich  selbst 
in  dieser  Form  der  Zeitlichkeit,, die  darin  eben  die  ausser- 


Einleilung.  11 

lieh  zufällige  Geslalt  an  sich  abslrcifen,  die  einzelnen  zeit- 
lich entlegenen  Formen  zusammenrassen  soll,  um  das   in 
ihnen  gewonnene  gemeinsame  Resultat,  die  jeweilig  erreiclite 
Höhe  auszusprechen.    Und  so  könnten  wir  sagen,  dass  auch 
jede  einzelne  philosophische  Erscheinung,  erst  in  diese  all- 
gemeine Geschichte  aufgenommen,  ihre  wahre  Bedeutung 
erhalten  könne,  weil   sie  nur  hier  nach  ihrem  Ursprünge^ 
wie  nach  ihrer  Entwicklung  richtig  aufgefasst  und  in  ihrem 
Verhaltnisse  zur  allgemeinen  Wissenschaft  vollständig  be* 
grifien  wird«    In  diesem  Sinne  ist  daher  die  Geschichte  der 
Philosophie  ein  wesentlicher  Theil  der  allgemeinen  philoso- 
phischen Wissenschaft :  sie  ist  die  umfassende  Rechenschaft 
über  sich  selbst  in  ihrer  gesammten  zeitlichen  Entwicklung, 
damit  aber  zugleich  das  Vernichten  der  Zeit  als  eines  un- 
wesentlichen Elementes  ihrer  Erscheinung,  und  der  Beweis 
ihrer  Einheit  und  Ganzheit  in  jenen  äusscriich  entlegenen 
Philosophieen.    Wie  sie  aber  diesen  Beweis  im  Ganzen  und 
durch  alle  Zeiten  hindurchzuluhren  hat:  so  kann  sie  diese 
Selbstrechtfertigung  auch  für  eine  einzelne  Epoche  über- 
nehmen, was  um  so  nöthiger  wird,  wenn  in  derselben  bei 
dem   raschen   Wechsel  scheinbar  widerstreitender  Syste- 
me das  Bcwusstscin  der  Einheit  in  den  Hintergrund  getre-* 
ten  ist 

Und  aus  diesem  Gesichtspunkte  wünschten  wir  den 
gegenwärtigen  Versuch  beurtheilt!  Wir  wollen  den  wis<^ 
senschafUicben  Process  der  letzten  Epoche  von  Neuem  in 
uns  hindurchentwickeln,  um  an  ihm  selbst  sein  gemeinsa- 
mes Resultat  und  seine  höhere  Einheit  zu  finden ;  in  keiner 
Art  aber  uns  über  ihn  erheben  mit  einer  ausserlich  negi- 
rendcn  Kritik,  oder  ein  anderes  vorausgewonnenes  Resul- 
tat ihm  entgegensetzen ;  überhaupt  nicht  uns  über  oder  ge- 
|[en  ihn  stellen,  sondern  mit  ihm  und  durch  ihn  selbst  die 
vermittelnde  Einheit  gewinnen.  —  Und  hierdurch  möchten 
von  selbst  die  meisten  Einwendungen  erledigt  sein,  die 
Anfangs  unserm  Unternehmen  sich  entgegenzustellen  schie- 
nen. Wie  dadurch  der  Verdacht  jeder  Anmassung  ver- 
schwinden muss,   so  scheint  auch  in  der  Darstellung  die 


12  Einleitung. 

Iidcliste  Parteilosigkeit  dabei  mögiich  zu  werden,  indem  in 
dieser  rein  wissenschaniichen  Entwicklung  nicht  eine  An- 
sicht gegen  die  andere  einseitig  hervorgezogen  oder  ver- 
Ihetdigt  werden  soll,  sondern  jede  in  ihrem  Verhältnisse  zu 
jeder  durch  sich  selbst  sich  geltend  zu  machen  hat.     Die 
einzige  Schwierigkeit  würde  vielmehr  lediglich  in  der  An* 
forderung  bestehen,  auch  die  Philosophie  der  nächsten  Ge- 
genwart als  eine  historisch  vollendete  und  zeitlich  abgelau- 
fene aufzufassen,   also  nämlich,  dass  sie  befreit  von  den 
zufälligen   Beiwerken  ihrer  unmittelbaren   Erscheinung    in 
ihrem  wesentlichen  Resultate  hervorzutreten  hätten,  wo- 
durch erst  scharf  abgeschieden  werden  könnte,  was  wirk- 
lich durch  sie  schon  gewonnen,  und  was,  als  gerade  durch 
sie  Gefordertes,  zunächst  zu  leisten  sei,  wo  also  die  Gränze 
der  Gegenwart  wäre,  und  was  die  Anforderungen  an  die 
Zukunft.  —    Welche  Schwierigkeiten  aber  auch  noch  unter 
diesen  Bedingungen,   oder  vielmehr  um  derselben  willen, 
ein  solcher  Versuch  darbiete;   dennoch  enthält  er  an  sich 
nichts  Widersprechendes  oder  Unausführbares,  noch  wider^ 
streitet  auch  nur  der  Gedanke  eines  solchen  dem  Bewusst- 
sein  der  Bescheidenheit,  zu  der  jeder  Wissenschaftliche,  je 
liefer  er  dringt,  desto  tiefer  sich  aufgefordert  fahlen  wird: 
vielmehr  erscheint  er  als   eine  nothwendige  Aufgabe  der 
Zeit  an  sich  selber,  die  sich  besonders  unter  gewissen  Ver- 
hältnissen fast  als  unabweisbar  ihr  aufdrängen  muss.   Wenn 
nämlich  die  Geister  in  völlig  geschiedenen  Strebungen ,  in 
dusscrlichen  Gegensätzen  sieh  immer  mehr  veriieren,  wenn 
überall  nur  einzelne  Richtungen  eingeschlagen  werden,  de-^ 
ren  keine  jedoch  zu  voller  Entschiedenheit  und  zu  klarer 
Vollendung  gelangt :    dann  drängt  das  Interesse  der  Wis« 
senschaft  von  selbst  darauf  hin,   diese  vercinzdten  Strah- 
len  der  Erkenntniss  wieder  in  Eins  zu  Hassen,  und  au$  dem 
Äusseren  Scheine  einer  verworrenen  Mannigfaltigkeit  und 
eines  zerstörenden  Streites  das  Bewusstsein  des  gemeinsa- 
men Fortschrittes  wiederherzustellen.      Und   äo  kann   ein 
solcher  Versuch,  besonders  für  die  gegenwärtige  philoso- 
'  phische  Epoche,  nicht  bloss  iiir  ein  zufälliges  Untemehmen 


Bitiieitung.  |3 

geben  j  dad  begonnen  oder  auch  unterlaagen  m  werden  vcr« 
möchte,  ohne  in  einer  wesentlichen  Beziehung  zur  Wissen- 
schafi  zu  stehen ;  vielmehr  ergiebt  es  sich  als  ein  durchaus 
nothwendiges ,  das  auch  im  Einzehien  missglückend  immer 
wieder  aufgenommen  und  irgend  einmal  vollendet  werden 
rnnss.  Es  ist  eben  nur  das  wissenschaftliche  Bewusstsein 
der  gegenwärtigen  Philosophie  über  sich  selbst  und  da«- 
durch  die  Einsicht  über  die  Berechtigung,  wie  über  die 
gcgensekige  Ausgleichung  ihrer  Gegensatze. 

Was  nun  jedoch  den  vorliegenden  Versuch  einer  sol- 
chen Vermittlung  betrifft:  so  kann  auch  er  nur  eigentlich 
durch  sich  selbst  sich  rechtfertigen,  oder  sich  unmittelbar 
selber  sein  Urthcil  sprechen.  Auch  das  Schwierigste  muss 
einmal  gewagt  sein,  und  das  Schwächste  dennoch  auch  sich 
selbst  vertreten;  eine. vorläufige  Rechtfertigung  aber  wäre 
eben  so  unstatthaft  als  vergeblich  I  Zudem  lässt  es  sich, 
wie  bei  allen  wissenschaftlichen  Fragen ,  so  auch  hier  zu 
vollkommenem  Bewusstsein  bringen,  ob  man  verstanden 
und  in  wie  weit,  und  ob  das  also  Gcftmdene  das  Gepräge 
durchaus  befriedigender  Vi^ahrheit  an  sich  trage. 

Hätte  freilich  der  Geist  des  Menschen  zur  Wahrheil 
überhaupt  nur  ein  äusserliches  Verhältniss,  dass  er  in  ihr 
Ziel  treffen  oder  sie  verfehlen,  auf  sie  stossen  oder  an  ihr 
voibeigehen  könnte;  wäre  alles  Erkennen  nur,  dem  zulal- 
ligen  Errathen  eines  Räthsels  gleich ,  ein  Erdenken  mehr 
oder  minder  passender  Hypothesen:  dann  wäre  überhaupt 
alle  Forschung  und  Wissenschaft  nur  ein  zufUligea  Tappen 
um  die  Wahrheit  herum ;  ja  wirklich  ergriffen  könnte  sie 
nie  als  solche  erkannt  werden ,  und  ewig  abgeschieden 
vom  Irrthume.  Denn  woher  doch  in  diesem  Verhältniss 
dem  Geist  das  innere  Kennzeichen,  die  Gewissheit,  nur 
hierandieWahrheitzu besitzen,  wenn  sie  selbst  nichts 
ihm  Inneres,  seine  eigene  Natur  wäre?  —  Und 
60  ist  umg^ehrt  vielmehr  zu  behaupten^  der  Geist  sei  ur- 
sprünglich schon  in  der  Wahrheit,  und  nur  dadurch  er  sel- 
ber Geist  —  frei  aus  sich  selbst  Erkennendes,  —  dass 
sie  ein  in  ihm  Gegenwärtiges  sei,  welches  nur  erkannt 


14  EInleiInng. 

zu  wierden«  eben  nur  entwickelt,  zum  Bewusstsein  ge- 
bracht werden  müsstc:  daher  auch  ihr  Kennzeichen  nur 
ein  dem  Geiste  eingebornes  sein  konn,  ein  ursprüngli- 
ches tUchtmaass  desselben,  mit  innerer  Nothwcndigkeit 
sein  Auge  leitend  und  bestimmend.  Mit  Einem  Worte: 
die  Wahrheit  selbst  macht  den  Geist  des  Menschen,  der 
nur  also  ein  erisennender  wird ;  nicht  etwa  umgekehrt  macht, 
erfindet  der  Erkennende  die  WahrheK.  Jenes  unwidersteh-» 
liehe  Bewusstsein  der  sich  selbst  ankündigenden  Wahrheit 
nennen  wir  Evidenz  im  weitesten  Sinne ;  und  so  wie 
diess  sich  nicht  erdichten  lasst  oder 'erz>vingen,  eben  so 
wenig  kann  es  verkannt  oder  verlfiugnet  werden ;  es  lässt 
sich  in  keinem  Simne  zur  Lüge  machen,  sondern  es  be« 
herrscht  den  Geist  und  bemächtigt  sich  seiner,  völlig  ihn 
gestaltend  zu  seinem  Bilde. 

Doch  woher  denn,  da  auch  das  Verschiedensie  mit 
gleich  aufrichtiger  Ueberzeugung  behauptet  wird,  dieser 
seltsame  Kampf  von  Evidenz  gegen  Evidenz,  demnach  von 
Wahrheit  gegen  Wahrheit,  wenn  diese,  welche  doch  nur 
Eine  sein  kann^  dass  allein  Gestaltende  aller  menschlichen 
Erkenntniss  wäre?  Woher  überhaupt  dann  Irrthum  und 
Lüge,  die,  wie  sie  der  Widerspruch  sind^  nun  auch  das 
schlechthin  Unmögliche  sein  sollten? 

Indem  wir  diese  Frage  hier  nicht  abweisen  können, 
werde  bedacht,  dass  sie  überhaupt  mit  den  tiefsten  speku- 
lativen Problemen  vom  Verhältniss  des  Allgemeinen  zum 
Individuellen,  des  Nothweiidigen  zum  Freien  zusammenhan- 
ge, dass  ihre  volle  Lösung  daher  eigentlich  nur  vom  höch- 
sten Standpunkte  der  philosophischen  Betrachtung  gelingen 
könnte,  indem,  wie  wir  schon  andeuteten,  nur  dadurch  er- 
Uirt  werden  kann,  wie  überhaupt  der  Widerspruch 
zum  Dasein  gekommen.  Wenn  daher  an  gegenwärtiger 
Stelle  nur  allgemeine  Betrachtungen  darüber  genügen  müs- 
sen :  so  können  diese  eben  desshalb  auch  nicht  in  streng 
wissenschaftlicher  Form  dargestellt  werden. 

Wahrheit  —  wir  entwickeln  und  erläutern  diesen  Be- 
griff nur  aus  der  Unmittelbarkeit  seines  Wortverstandes,  in 


/ 


Einleitung.  15 

welchem  er  sich  nns  darbietet  —  Wahrheit  \sk  «berfaanpt  4ad 
Wesentliche  im  Sein  und  der  Erkenntniss  der  Din^; 
das,  ^ns  sie  abgesehen  von  dein  Zufälligen  ihrer  imniitleU 
baren  Existenz  and  ihrer  Verhältnisse,  allgemein  und  notli^ 
wendig  sind ,  —  das  eigentltch  S  e  i  e  n  de  in  ihrem  ein*- 
zefaien  Dasein.  Indem  wir  sie  sonach  überhaupt  als  da* 
Allgemeine  in  den  Dingen  bezeichnen,  ist  damit  nicht  ge- 
meint eine  unwirkliche,  nur  durch  Abstraktion  des  Denkens 
gefundene,  rein  subjective  Allgcmeinheil ,  viehnehr  das 
lebendig  Gestaltende  in  den  Dingen  selber;  die  innere 
Schöpferkraft,  durch  die  sie  werden,  was  sie  sind;  — 
demnach  die  ihnen  gemeinsame  Einheit,  welche  dennoch 
zugleich  sich  in  ihnen  zur  unendlichen  Mannigraltigkeit  ge-« 
staltet.  • 

Diese  objektive,  seiende  Wahrheit  demnach,  welche 
wir, so  eben  als  das  Schöpferische  und  innerlich  Gestal- 
tende der  Dinge  bezeichnen  mussten,  ist  selbst  zugleich 
dasjenige ,  was  wir  in  unserm  Erkennen  derselben  suchen, 
uiid  was  wir  durch  ihr  Denken  zu  erreichen  gewiss  sind, 
indem  uns  dies  den  realen  Begriff  des  Dinges,  die 
Idee  desselben  finden  lässt,  d.  h.  was  als  objektiv 
Wahres  im  Dmge  gegenwärtig  und  sein  eigentliches  Sein 
ist,  in  die  Subjektivität  unseres  Bewusstseins  und  Er-« 
kennens  einfuhrt.  Hierdurch  ,  durch  dies  stete  Eingehen 
des  Objektiv -wahren  in's  Subjektiv  -  wahre  in  jedem  Acte 
des  Erkennens  und  Begreifens,  sind  wir  nun  unmittelbar 
gewiss,  —  es  ist  die  unbewnsste  (erst  in  der  Spekulation 
zum  Bewustsein  erhobene,  damit  aber  eben  zur  Frage,  zum 
Zweifel  gewordene)  Voraussetzung  —  das  Erkannte  ein  für 
allemal  bewältigt  zu  haben,  in  den  intellektuellen  Be- 
sitz desselben  gekommen  zu  sein. 

W^as  ist  aber  der  Grund  dieser  Voraussetzung,  auf  der 
alles  Eikennen  beruht?  Nur  dadurch  können  wir  jenes 
innerlich  Objektive  der  Dinge  der  Erkenntniss  für  zugang« 
Bch  halten ,  wenn  dies  an  sich  selbst  und  ursprünglich  ein 
Gedankenmässiges,  intelligibler  Natur  isf.  Die 
ebenso  unbewnsste  Voraussetzung  demnach,  auf  welcher  die 


16  EitilciUmg. 

Biliheit  des  Sobjcktiven  and  Objektiven,  die  Uebereiiulim- 
Biungf  unsers  Erkcnnens  mll  den  Dingen  sich  gründet,  ist 
eben  die,  dass  die  Dinge  ihrer  Wahrheit  nach  selber  nur 
Gedanken,  Gedachtes  sind  eines  schöpferischen  Gei- 
stes, der  jedem  Dinge  nach  seiner  Art  einen  Gedanken  als 
seine  innere  Wahrheit  eingebildet  habe,  aus  dem  es  sich  ent- 
wickelt, wie  9n&  seinem  Lebenselemente,  und  in  dem  es  die 
Begränzung,  das  Individuelle,  seines  Daseins  findet 
Das  objectiv  Wahre  der  Dinge,  das  Subjektivwerdenkönnen 
desselben  in  jedem  Akte  des  Erkennens,  die  stets  daran 
sich  bewahrende  Einheit  beider,  leitet  demnach  zxxrüdk  zum 
höchsten  metaphysischen  Wahren,  zur  Gewissheit  des 
ewi^fen  Geistes,  der  nur  als  urerkennender  zu^eich 
unendlich  schöpferisch  zu  sein  vermag,  und  der  so  auch 
als  der  wahre,  allein  begreiflich  machende  Grund  des  Er-* 
kennens  sich  zeigt,  dessen  wir  mächtig  sind« 

Abe^wiewir  —  als  erkennende  Geister  —  somit 
unmittelbar  schon  in  der  Wahrheit  sind ;  so  bleibe  uns  ein- 
gedenk, dass  wir  endliche  seien,  dass  also  auch  die 
Wahrheit  in  uns  nur  besondere  Gestalt  annehmen  könne. 
Und  hierin  eben  liegt  das  Geheimniss  aUes  individuellen 
'Bestehens,  seine  Kraft,  wie  seine  Ohnmacht;  das  Recht 
seiner  Sclbstigkeit,  und  dennoch  die  Nothwendigkeit ,  aus 
dieser  Begränzung  herauszutreten.  Die  Wahrheit,  also  sich 
individualisirend,  kann  dadurch  freilich  nicht  in  das  Gegen- 
theil  von  sich  übergehen ,  zu  absolutem  Irrthum  und  Lüge 
werden,  die  vielmehr  in  ihrer  Reinheit  unmöglich  scheinen, 
indem  selbst  der  Irrthum  nur  mit  den  Kräften  der  Wahr-^ 
heit  sich  behaupten,  nur  die  äusserste  Entartung  eines  ur- 
sprünglich Wahren  sein  kann,  wie  auch  die  Krankheit  aus 
dem  Mittelpunkte  des  gesunden  Lebens  sich  entzündet:  — 
wohl  aber  ist  sie  nirgends  die  ganze ,  den  unendlichen 
Reidithum  ihrer  Beziehungen  umfassende,  die  Allwahr- 
h  e  i  t.  Und  würde  es  den  endlichen  Geist  gelüsten ,  diese 
zu  behaupten^  so  woUte  er^  nach  jenem  alten  Worte  des 
furchtbarsten  Frevels,  sein  wie  Gott,  ja  Gott  selber  wer- 
den I  —  Sich  oflenbarend  aber  im  Einzelnen,  unterwirft  sie 


Eiiileilong.  17 

sich  damit  zeitlicher  Entwicklung':  es  legt  iirsUn« 
endliche  hin  auseinander,  was  in  ihr  ewig  Eins  ist  So 
wird  ihre  Einheit  nicht  getrübt,  oder  in  Widerspruch  ver- 
kehrt; aber  wie  sie  wirklich  erscheint  da  und  dort,  ist 
es  immer  eine  vereinzelte  Gestalt,  die  andere  und  wieder 
andere  sich  gegenüber  hat.  Innerlich  und  in  ihrer  Wurzel 
ist  sie  allen  Geistern  die  Eine;  aber  wie  sid  Ausdruck  und 
Wort  durch  sie  hindurch  gewinnen  soll ,  wird  sie  in  den 
Einzelnen  eine  unendlich  andere.  So  leben  die  endlichen 
Geister  in  der  Einen  Wahrheit,  wie  die  irdische  Welt  in 
Einem  Lichte;  und  wie  diess  im  Leiblichen  Alles  erleuch^ 
tet  und  sichtbar  macht,  so  .erkennen  auch  jene  nur  in  ihr 
und  durch  sie,  inwieweit  sie  selbst  ihnen  ihr  Licht  verieibt. 
Aber  alle  schauen  sie  nur  durch  den  Blick  ihrer  Individua- 
lität hindurch ,  demnach  als  eine  besondere ,  und  bedürfen 
daher,  wie  gross  auch  das  Recht  ihrer  Eigenheit  ist,  ge- 
rade um  diese  in  ihrer  Gesundheit  und  Wahrheit  zu  befe- 
^igen,  der  steten  orientirenden  Gemeinschaft. 

Diess  leitet  uns  zur  liefern  Anerkenntniss  der  Indi- 
vidualität im  endliclien  Geiste,  die  hiernach  als  das 
eigentlich  Gottverliehene  in.  ihm  sich  ergiebig  als  das^  wo- 
durch er  im  Tiefsten  zusammenhangt  mit  dem  ewigen  Gei- 
ste, und  das  ihn  Oflenbarende wird  aufeigenthüraliche 
Weise.  —  Wie  nämlich  auch  in  den  niedem  Kreaturen 
diese  innere  Anlage  das  eigentlich  Gestaltende  ist,  der 
Trieb ,  woraus  sie  eigenthümlich  sich  entwickeln ;  so  stellt 
sich  dieselbe  im  begabteren  Menschen  als  geistiger  Trieb, 
Bis  Talent  im  weitesten  Sinne  dar,  als  die  unauflösliche 
Nothwendigkeit ,  diess  künstlerisch  zu  gestalten  und  auszu- 
bilden, oder  also  die  Dinge  anzuschauen,  oder  in  prakti- 
schem Triebe  die  Wirklichkeit  nach  religiösen ,  sittlichen 
oder  politischen  Zwecken  umzugestalten.  Und  die  original- 
sten Geister  sind  eben  desshalb  die  unwillkülirlichsten,  weil 
sie  am  Kraftigsten  und  Entschiedensten  ihre  Individualität 
kund  geben  müssen.  Und  so  könnte  in  dieser  Hinsicht  der 
Mensch  eigentlich  nach  nichts  Höherem  streben,  wie  nichts 
Grösseres  erreichen,    als  seine  Anlage  rein  und   ganz 

2 


18  Einloitung. 

nns  sich  zu  entwickeln,  wenn  es  möglich  wäre:  denn  in 
ihr  besitzt  er  sein  heilig  Urspriinglichsies ;  durch  sie  ollein 
ist  er  an  seinem  Theilc  die  Offenbarung  des  ewigen  Geistes. 
Wenn  es  möglich  wäre  —  setzen  wir  jadoch  ausdrück- 
lich hinzu :  denn  auch  hier  ist  das  Ewige  von  keiner  ge- 
gebenen Erscheinung  ganz  zu  bewältigen,  weil  es  ihre 
innere  Grundlage,  das  schöpferisch  in  ihr  Gestaltende  isl, 
das  also  wie  ein  nie  völlig  aufgehender  Rest  in  ihr  zu- 
rückbleibt. Und  eben  dadurch  werden  wir  dahin  zurück- 
geleilet ,  was  wir  in  eigener  Ausschliesslichkeit  nicht  zn 
erreichen  vermögen,  in  der  Ergänzung  durch  Andere  zu 
suchen.  —  Nur  das  wahrhaft  göttliche  Geschenk  geisti- 
ger Gemeinschaft  durchbricht  jene  subjektive  Schran- 
ke, welche,  wie  sie  als  die  Hülle  der  Individualität  das  Hei- 
ligste und  ünantaslbarslc  ist,  so  doch  zu  enger  selbstischer 
Beschränkimg  gesteigert,  der  Oucll  alles  Irrthums  wird..  Diese 
ist  es  daher  auch,  durch  welche  in  der  Spekulation  allein 
ein  wahrhafter  Fortschritt  gewonnen  werden  kann;  indem 
auch  hier  der  Wechsel  von  Ausbreitung  und  Zusammen- 
fassung ein  unvermeidlicher  ist.  Was  sich  in  einzelne 
Gegensätze  herausarbeitete,  fasst  irgend  ein  Nachfolger 
zusammen,  und  spricht  das  bindende  Wort  der  Einheil 
darüber  aus.  Und  wenn  so  die  einzelnen  Sylben  und  Worte 
sich  immer  reicher  zu  ganzen  Aussprüchen  der  Wahrheit 
sammeln;  so  ist  darin  auch  das  Einzelne  .des  Strebens 
imd  Gelingens  werlhvoU  und  geheiligt  durch  die  Einheit, 
die,  sichtbar  geworden,  oder  noch  verborgener  Weise, 
Alles  durchdringt.  Danun  sollte  man  aber  vor  Allem  Ver- 
söhnung und  Frieden  in  die  Geisterwell  hineinrufen; 
denn  ilirer  aller  ist  ein  gemeinsames  Werk,  das  nur  in 
Eintracht  und  Gegenseitigkeit  gedeihen  mag.  Das  isl  ja ' 
der  Stolz  wie  die  Demxith  des  Menschengeistes ,  dass ,  wie 
er  auch  der  selbstcrrungenen  Erkenntniss  kräftig  ge- 
wiss sei ,  er  doch  nur  in  dem  Zusammenhange  dieser  gei- 
stigen üeberlieferung ,  und  in  ihr  sich  lebendig  erhaltend, 
vor  sich  selbst  völlige  Sicherheit  und  Genüge,  ja  die  eigent- 
liche Bürgschaft   fiir  die  Noihwendigkeit  seines  Beginnens 


Eiiileilunor*  19 


"O 


finden  kann.  Aber  nur  in  der  Tiere  der  höchsten  Idee  wird 
er  diese  Eintracht  finden^  Eintracht  bei  äusserlicb  grösster 
Verschiedenheit;  wShrend  an  der  Oberfläche  freilich  nur 
die  auseinander  laufenden  Strahlen  des  gemeinsamen  Mit- 
t(*]piinktes  gestreift  werden  können. 


Es  schien  nöthig,  von  so  allgemeinen  und  so  leicht  zu 
fassenden  Betrachtungen  hier  zu  beginnen  ,  um  nur  zuerst 
über  den  Standpunkt  unseres  Unternehmens  überhaupt  uns 
zu  verstandigen ,  naher  dann  aber  auch  seine  wissenschaft- 
liche NolhwendigkeU  darzulegen.  Denn  Manchem  wird 
vielleicht  lur  solchen  Sühnungsversuch  gerade  der  jetzige 
Zeitpunkt  ^)  als  der  ungeeigneteste  erscheinen ,  ebenso 
vielleicht  auch  clie  Klasse  vom  Wissenschaftlichen,  für  die 
er  beslimmt  ist.  Auch  der  Parteilose  könnte  nämlich  fra- 
gen bei  dem  Anblicke  der  fast  unendlichen  Verwirrungen, 
die  eben  jetzo  im  Gebiete  der  Philosophie  sich  häufen,  M'ie 
hier,  auch  alle  frülier  entwickelten  Bedingimgen  voraus- 
gesetzt, irgend  eine  Vermittlung  gelingen,  ein  gemeinsames 
Resultat  gewonnen  werden  könne.  Jene  setzt  zunächst 
gründliche  Kenntniss  des  zu  Vermittelnden  voraus:  aber  es 
bedürfte  beinahe  schon  eines  halben  Menschenlebens,  um 
nur  mehr  als  oberflächlich  kennen  zu  lernen,  was  die  Phi- 
losoplüe  in  unsem  Tagen  hervorgebracht.  Und  wenn  may 
die  Akten  endlich  geschlossen  zu  haben  memtc ;  so  ha- 
ben sich  neue  aufgehäuft,,  und  nie  könnte  man  auch  nur 
die  Vorbereitung  für  geendigt  halten.  Hierzu  kommt  noch 
—  könnte  man  fortfahren  —  die  Unversöhnbarkeit  dor  Phi- 
losophirendcn  selbst:  denn  mehr  als  andere  Forscher  haben 
gerade  sie  die  üble  Sitte,  unbekümmert  um  Einwand  oder 
Zuspruch  y  ihre  Rede  furtzuselzen,  tind  des  eigenen  Weges 
zu  geben  ,  so  dass  Jeder  zuletzt  sich  einsam  findet ,  und 
sein  W^ort  fast  nur.  noch  an  sich  selbst  richten  kann.  Ja 
bei  manchem  philosophischen   Werke  neuerer  Zeit  ist  der 


*)  Im  Jahr«  1826-27. 


20  Emlcitung*. 

Verfasser  selbst  vielleicht  zugleich  der  einzige  achtsame 
Leser,  den  es  findet!  Und  wie  kann  es  anders  sein  unter 
den  gegenwärtigen  Umstanden?  Kein  Philosoph  von  Selbst- 
ständigkeit und  einigem  Ansehen  lieset,  d.  h.  sludirt 
fast  noch  das  Werk  eines  ihm  ebenbürtigen  Geistes  unter 
den  Zeitgenossen ;  nur  die  Anhänger  und  Bewunderer  beach- 
tet er  höchstens  gelegentlich :  ja  man  könnte  oft  den  be- 
stimmtesten Zeitpunkt  angeben,  bis  zu  welchem  ein  solcher 
noch  von  der  wissenschaMicheh  Umgebung  gründlich  Notiz 
genommen.  Will  aber  Er  keinen  Mitphilosophirenden  an- 
erkennen; so  beeilen  sich  auch  die  Geringem,  dies  leicht 
zu  gewinnende  Kennzeichen  von  Kraft  und  OriginaHtät  an 
sich  kund  zu  geben,  um  an  Freisinn  und  Selbstständigkeit 
wenigstens  den  Gewaltigen  zu  gleichen.  Und  so  wird  in 
der  Philosophie  die  Verwirrung  immer  unheilbarer,  der 
Slreit  immer  verwickelter,  aber  auch  leerer  und  langweili- 
ger; so  dass  die  edelsten  Geister  schon  mit  Ueberdruss 
sich  hinwegwenden  von  so  widrigem  Anblicke,  von  so 
fruchtlosem  Beginnen,  um  mit  desto  grösserer  Begeisterung 
ihr  Gemütli  dem  Glauben,  ihre  Forschungen  der  lebendigeti^ 
immer  neuen  Wirklichkeit  zuzuwenden.  — 

Mag  es  doch  wahr  sein,  dass  die  Philosophen  der 
jetzigen  Zeit  noch  fem  zu  sein  scheinen  von  der  wissen- 
schaftlichen Gesinnung,  wie  sie  z.  B.  Leibnitz  gegen 
Vorgänger  und  Mitlebende  hegte ;  mag  sich  kräftige  Ueber- 
zeugung  oft  als  unbeugsamer  Stolz  kund  geben ,  während 
nur  innere  Schwäche  und  Unsicherheit  da  und  dort  sich 
anzuschliessen  sucht;  mag  es  sein,  dass  gediegene  Festig- 
keit bei  beachtendem  Anerkennen,  gereifte  Klarheit  bei 
verstehendem  Eingehen  in  die  fremdle  Ansicht  jetzt  fast 
nirgends  zu  fmden  ist  unter  den  namhaften  Philosophen: 
so  liegt  doch  eben  in  dem  grellen  Hervortreten  dieser  Uebel 
ihre  Krisls  und  Heilung.  Je  ausgesprochener  der  Wider- 
streit, je  entschiedener  die  Vereinzelung ,  desto  kräftiger 
muss  dies  zur  endlichen  Ausgleichung  hindrängen.  Und 
wenn  es  wahr  ist ,  dass  die  edelsten  Geister  unwillig  sich 
abwenden  von  dem  gegenwärtigen  Beginnen  der  Philoso- 


Eiirieiting»  21 

pbeq ,  so  isl  es  eben  nur  diese  Verzerrung ,  die  ihren 
Unwillen  erregt:  die  Philosophie  selbst  ^ber  kann  sowenig 
entbehrt  werden,  dass  viehnehr  das  tiefbewusste BedürTniss 
derselben  es  ist,  was  jenen  Unwillen  erregt;  indem  doch 
endlich  nur  von  ihr  er\vartet  werden  kann,  was  Alle  er- 
sehnen: die  endliche  Lösung  aller  Rarhsel,  die  völlige  Ein- 
tracht des  Geistes  in  sich  selbst.  Und  so  wäre  vielmehr 
die  dringendste  AuObrderung  an  Jeden  vorhanden,  der  die 
Wissenschaft  fördern  zu  können  meint,  diese  noihwen- 
dige  Krisis  der  Philosophie  zu  beschleunigen,  und,  was  in 
ihrer  zeitlichen  Erscheinung  Verderbliches  sich  ihr  zuge- 
sellt, kräftig  niedcrzukäinpren. 

Sichten  wir  zudem  schon  hier,  was  von  jenen  Ankla- 
gen in  der  That  die  gegenwärtige  Philosophie  triOl,  und 
was  sonst  nur  Irrthum  und  Vorurtheil  ihr  zurechnet  oder 
beigesellt!  —  So  wie  für  jedes  Zeit-  und  Lebensalter,  so 
stdlt  auch  iur  jede  Geisteshöhe  die  Wahrheit  in  eigenlhuni- 
licher  Gestalt  sich  dar;  und  schwer  ist  es  hier,  die  Uori- 
zonke  der  Ansicht  zu  vertauschen  oder  wechseln  zu  lassen. 
So  kann  auch  das  wahrhall  Spekulative  nie  populär,  nie 
ein  Geroeingut  aller  Geister  werden;  und  selbst  unter  den 
eigentlich  Wissenschaillichen  werden  nicht  alle  selhststan- 
dig  eine  philosophische  Ansicht  sich  zu  bilden  vermögen». 
—  Geschieht  es  nun  dennoch,  dass  das  gemeine  Bewusst- 
sein,  die  Geister  gewöhnlicher  Höhe  Kunde  empfangen  von 
den  eigentlich  spekulativen  Wahrheiten,  so  lässt  sich  dabei 
nur  ein  dreifaches  Verhältuiss  derselben  denken.  Entwe- 
der sie  roissverstehen  und  missdeuten  dieselben,  um  wohl 
sagZT  an  ihren  vermeintlichen  Paradoxieen  dem  Volke  ein 
ergötzliches  Schauspiel  zu  bereiten ;  —  was  an  sich  das 
Unschädlichste  wäre  für  die  Spekulation  selbst,  indem  es 
höchstens  nur  augenblicklich  störend  auf  die  allgemeine 
Bildung  wirken  kann ;  —  übrigens  eine  jetzt  weniger  als 
sonst  beliebte  Sitte,  die  Philosophie  zu  behandeln,  weil  in 
der  allgemeinen  Abspannung  der  Zeil  sogar  das  Seltsamste 
nicht  mehr  recht  Eindruck  machen  will,  und  auch  darmn, 
weil  sclbsi  dazu  das  Volk  denen  zu  klug  geworden  ist,  die 


^  Bifilcüung. 

sonst  vtclleiobl  auch  jetzt  noch  nicht  übel  Lust  Iiätten ,  es 
also  asu  unterhalten ;  —  oder  man  erklärt  sich  für  einen 
inibedingten  und  geschwornen  Anhänger  irgend  einer  gerade 
herrschenden  Ansicht,  deren  Sätze  man  nun  sklavisch  und 
kenntnisslos  ohn'  Ende  wiederholt^  und,  wie  alle  Sekti- 
rer,  gerade  auf  das  Zufölligste,  die  äussere  Form  und  Dar- 
stellung des  Meisters  den  grössten  Werth  logt ;  so  dass 
solcherlei  Nachahmer,  wenn  jene  aurgehorchtcn  charakteri- 
stischen Schlagwörter  etwa  einmal  ihrem  Gedächtnisse 
entfielen,  augenblicklich  Nichts  mehr  zu  sagen  hätten  ;  — 
oder  endlich ,  wenn  die  Zeit  kecker  geworden  ist,  und  das 
Philosophiren  eine  Art  von  Gemeingut  zu  sein  scheint,  bogehrt 
man  wohl  gar,  die  Unmittelbarkeit  gewöhnlicher  Ansichten  in 
der  Form  einer  Philosophie  zu  besitzen,  d.  h.  man  versucht  es, 
ohne  anzuknüpfen  an  die  bereits  gewonnene  philosophische 
Bildung  der  Zeit,  ja  ohne  die  Einheit  einer  tieferen,  das 
ganze  Leben  gestaltenden  und  begeisternden  Gesinnung, 
irgend  eine  zufällig  gebildete  Meimmg  in  äusserlich  wissen- 
schaftlicher Anordnung  hinzustellen.  Dass  hier  nun  das 
Mannigfaltigste  sich  zusammcngesellen  oder  auch  sich  be- 
kämpfen werde,  dass  hier  überhaupt  der  zufälligste  Wech- 
sel der  Meinungen  nicht  aufhören  könne ,  ist  begreiflich ; 
ebenso  bogreiflich  auch,  dass,  wenn  diosen  Versuchen  Phi- 
losophie sich  zu  nennen  erlaubt  wird,  alle  jene  Urtheilc 
über  sie  gerecht  und  bezeichnend  gehalten  werden  müssen. 
Denn  diese  Erscheinungen  eben  sind  es,  die  an  sich  selbst 
gesetzlos  und  willkührlich,  ohne  eigentlich  die  Pliilosophie 
zu  stören  oder  zu  ftirdcrn,  ja  ohne  nur  ihr  Inneres  zu  be- 
rühren, dennoch  vor  dem  Unkundigen  den  Schein  verwor- 
rener Zwietracht  und  endlosen  Kampfes  um  sie  ausgiesseir. 
—  Die  Philosophie  selbst  indessen,  —  d.  h.  die  eigentlich 
spekulative  Forschung  —  geht  unverworren  von  dem  Ge- 
räusche um  sie  her  den  ruhigen  Laufinnerer  Entwick- 
lung, indem  hier  nicht  Streit,  sondern  allmühlige  Ausbildung, 
nicht  Sektongeist,  sondern  g'egonseilige  Vollendung  waltet. 
Aber  freilich  nur  durch  wtMii<T(j  Gcislor  ist  zu  aller  Zeit 
das  Vermächtiiiss   der  Spekulation   überliefert  und  gcför- 


dcri  worden,  und  wie  das  Urtheil  des  Volkes  durch  äussern 
Beifall  oder  Tadel  über  ein  wahrhaft  philosophisches  Werk 
nicht  entscheiden  kann ;.  eben  so  wenig  richtet  sieh  die 
Entwicklung  der  Philosophie  nach  den  Parteiungen,  die  sich 
ausserlicfa  um  sie  bilden.  —  Dadurch  wird  aber  auch  für 
den  gegenwärtigen  Fall  unsere  Aufgabe  sehr  vereinfacht: 
denn  da  unsere  Untersuchungen  nur  derjenigen  philosophi- 
schen Erscheinungen  gedenken  kann,  die  fördernd  oder  ent- 
scheidend auf  die  allgemeine  Entwicklung  der  neueren  Phi- 
losophie eingewirkt  haben ;  so  möchte  nach  diesem  Maass- 
stabo  das  eigentlich  Denkwürdige  ausserlich  sich  lejcht 
übersehen  lassen. 

,,Doch  wie?  Indem  Du  so  kurzweg,  wie  mit  kühnem 
Alexandersschwcrto ,  trennen  willst,  was  wesentlich  sei  an 
den  philosophischen  Erscheinungen  der  neuern  Zeit,  und 
was  nicht;  welch  einen  sicher  leitenden  Maassstab  nimmst  du 
dir  dabei?  Was  bewahrt  dich  überhaupt  vor  der  Willkühr, , 
mir  das  dir  Anständige  daran  herauszuheben,  und  beiseit  ^ 
zu  lassen,  was  sich  deinen  Vorstellungen  nicht  anpassen 
will?  Gestehe,  dass  du  in  Gefahr  bist,  mit  Wahl  und  Bc- 
wusstseia  der  engsten  Einseitigkeit  dich  hinzugeben  I  ^ 

Jener  Maassstab  —  antworten-  wir  ohne  Zaudern  — 
kann  nur  in  der  allgepueinon  Idee  der  Philosophie 
liegen,  wie  sie  zugleich  sich  zeitlich  durch  die  einzelnen 
philosophischen  Systeme  hindurch  entwickelt  zeigt.  Ueber 
die  wissenschaftliche  Bedeutung  einer  Philosophie  entschei- 
det also  nur  die  Stelle,  die  sie  in  der  allgemeinen  Entwick- 
lung der  Spekulation  einnimmt,  das  Yerbältniss,  in  welchem 
sie  zu  ihrer  wissenschaftlichen  Umgebung  steht ;  diess  aber 
entscheidet  durchaus  gültig  und  in  letzter  Instanz.  Hebt 
sie  im  Zusammenhange  der  vorhergehenden  Ansichten  ein 
neues,  wesentliches  Element  hervor,  vereinigt  sie  unter 
einen  hohem  Gesichtspunkt  die  früheren,  vereinzelt -ausge-  • 
bildeten  Ansichten ;  so  erweist  sie  sich  dadurch  voni  selbst 
als  einen  nothwendigen  Fortschritt  im  allgemeinen 
Gange  spekulativer  Entwicklung;  sie  ist  die  höchste  philo- 
sophische Erscheinung,  die  zu  dieser  Zeit  gerade  möglich 


24  Einleitung. 

war ;  und  wie  wir  in  der  'Geschichte  einzelne  Wettreiclie 
die  ganze  Menschheit  umgestalten  sehen,  so  gebührt  auch 
jener  für  jetzt  die  Geisterherrschaft  über  ihre  Zeit,  deren 
höchster  Ertrag  sie  in  sich  ausgesprochen.  Und  so  scheint 
es  möglich,  nach  diesem  Gesichtspunkte  auch  die  andern  min-- 
der  durchgreifenden  Ansichten  mit  ebenso  parteiloser  Scharfo 
zu  charakterisiren ,  ob  sie  entweder  irgend  eine  einzelne 
Richtung  konsequent  in  sich  ausgebildet  haben,  oder  ob  sie 
nur  eine  alte,  schon  durchlebte  Bestrebung  von  Neuem 
in  sich  geltend  zu  machen  suchen;  in  beiden  Fällen  wird 
an  dem  Verhältniss ,  in  welchem  sie  zum  eigentlich  Gel- 
tenden dör  Zeit  stehen,  ihre  wisscnschafUiche  Bedeutung 
von  selbst  sich  ergeben. 

Doch  es  möge  bedacht  wei*den  ,  dass  wir  auch  hier 
eigentlich  nur  ein  Ideal  anstreben  können,  das' jedem  ein- 
zelnen Beginnen  nie  völlig  erreichbar  ist;  dass  es  ledig* 
lieh  den  ersten  Versuch  gelte,  ein  solches  Princip  der  Beur- 
theilung  an  der  Philosophie  der  gegenwärtigen  Zeit  durch- 
zuführen; dass  daher  auch  die  Parteilostgkeit ,  welche  wir 
versprechen ,  selbst  bei  jenen  Grundsätzen  und  jener  Me- 
thode, eigentlich  nur  im  eifrigen  Vorsatze  derselben  beste- 
hen kann,  so  wie  sie  das  redliche  Bewusst^sein  bezeichnet, 
im  Ganzen,  wie  im  Einzelnen  mit  voller  Selbstentausserung 
geforscht  zu  haben.  Denn  was  verleiht  uns  Schärfe ,  jede 
Ansicht  bis  zu  ihrer  tiefsten  Wurzel  zu  verfolgen,  jede 
wissenschaftliche  Beziehung,  jedes  Verhältniss  von  der  ein- 
zig richtigen  Seite  zu  fassen,  so  dass  in  getreuem  und  doch 
das  Wesentliche  bezeichnendem  Abbilde  überall  nur  die 
charakteristischen  Zuge  hervortreten:  noch  mehr,  was  be- 
wahrt uns  vor  den  tiefliegenden  Idios)'nkrasieen  des  Geistes 
für  jene  oder  gegen  die  Ansicht,  die  halb  unbewusst  auch 
in  wissenschaftlichem  Zusammenhange  das  Urtheil  täuschen^ 
überhaupt  den  Vorurtheilen  im  weitesten  Sinne?  Alle 
diese  unvermeidlichen  Irrthümer  und  Einseitigkeiten  müssen 
aber  auch  hier  zur  Aneiiicnntniss  hindrängen,  dass  liur  in 
geistiger  Gemeinschaft  ein  solches  Werk  gelinge ,  dass  es 
erst  dadui'ch  seine  Vollendung,  wie  seine  wissenschaftlicho 


Einleitong'.  25 

Bedcutun jf  erhalten  könne ;  dass  auch  hier  daher  das  Per- 
sönliche vöDig  untergehen  und  vergessen  werden  müsse  im 
allgemeinen  Veriaufe  der  Wissenschaft 

Indem  nun  dieser  Versuch  gemacht  werden  soll;   so 
wärde  man  ihn  doch  missverstehen  und  selbst  als  Versuch 
zu  niedrig  oder  m  hoch  (wie  man  will)  beurtheilen,  wenn 
man  glaubte,  er  wolle,  an  die  einzelnen  Philosophen  der 
gegenwartigen  Zeit  gerichtet  und  für  sie  geschrieben,  sie 
gleichsam  zu  gegenseitiger  Anerkcnntniss  zwingen  oder  sie 
auffordern ,  wie  zu  ausserlicher  Versölmung  sich  die  Hand 
zu  reichen.  —  Ware  diess  auch  möglich,  vermöchte  diess 
unser  Wort,  was  wir  keineswegs  meinen;  —  es  wäre  fast 
uberflässig,  da  die  innere  Versöhnung  klar  schon  vor  uns 
li^,    und  der  ausserliche  Zwiespalt,  wie  alles  Zufällige^ 
seine  Scharfe  am  Besten  durch  die  Entwicklung  der  Zeit  ver- 
liert. —  Vielmehr  müssen  wir  unterkritisches  Unternehmen  für 
höher  und  allgemeingültiger  betrachten,  um  einen  nothwendig 
geforderten  Fortschritt  in  der  Philosophie  selbst  hervorzubrin- 
gen.   Indem  nämlich  hier  versucht  werden  soll,  ein  höchstes 
Gesammtresultat  des  bisherigen Philosophirens  nach- 
zuweisen; also  zu  zeigen,  wie  die  einzelnen  Elemente  und 
Sfiten  desselben  als  Glieder  eines  lebendigen  Ganzen  sich 
vereinigen;   so  wird  darin  zugleich  ein  neues  philosophi- 
sches Princip  geltend  gemacht,  eine  heue  Ansicht  hervor- 
gerufen, welche  wiederum  andere  Probleme  und  Aufgaben 
mit  sich  führen  wird.     Dass  durch  die  Anerkennung  der- 
selben nun  auch  ausserlich  das  Abwerfen  beschränkender 
Gegensatze  und  Versöhnung  folgen  könnte,    ist  selbst  nur 
eine  zufäDige  Seite  daran,  die,  wie  ihr  Gelingen  nicht  ein- 
zig beabsichtigt  wurde,  auch  beim  Misslingen  die  Hauptsa- 
che nicht  wesentlich  gefährdet.    Mögen  daher  die  Philoso- 
phen abgeschlossener   Denkart    unsem   Versuch  beachten 
oder  abweisen ;  er  schien  uns  durch  die  gegenwärtige  Lage 
der  Wissenschaft  selbst  gefordert  zu  werden,  und  eine  in- 
nere Nothwendigkeit  trieb  uns  zu  demselben,  dessen  Miss- 
lichkeit  und   Gefahr  wir  nicht  verkennen.     Ist  jedoch  der 
leitende  Grundgedanke  desselben  wahr  und  rechtzeitig,  so 


26  Eiaieilaag. 

wird  er  auf  irgend  eine  Art  von  der  Gegenwart  aufgenom- 
men werden:  sie  wii*d.  klarer  und  kralliger  eingreifen  in 
das  zaghaft  begonnene  Werk,  und  das  Mangelhaflc  des 
ersten  Versuchs  slillschweigend  tilgen.  Ist  aber  eitel  und 
verfehlt,  was  wir  unternommen  haben;  so  wird  auch  hier 
die  Zeit  ihr  Recht  tiiun,  und  der  Verfasser  selbst  muss  vor 
Allem  diess  Recht  über  sich  erwarten ,  dein  jede  endliche 
Erscheinung  sich  beugen  soll.  Und  mit  dieser  vollen  Selbsl- 
entäusserung  übergiebt  er  seine  Schrill  den  Alles  ausglei- 
chenden, den  unparteiisch  richtenden,  der  Gegenwart, 
und  der  Zukunft I 


Erstes  Buch. 


Die    auf   Kaut  vorher  eil  ende    E{toche- 


I.    Ii€N)ke  nnd  I^elbnitz« 


Indem  wir  zur  eigenffichen  AuFgabe  unserer  Schrift 
uns  hinwenden,  den  gegenwärtigen  Zustand  deutscher 
Philosophie  im  Allgemeinen  zu  beurtheilen,  und  zu  unter- 
suchen, ob  in  der  That  in  ihm  der  R'uhepunkt  einer  ge- 
meinsamen Grundansicht  erreicht  sei,  oder  ob  —  wie  Viele 
meinen  —  nur  Zwietracht  und  Verwirrung  jetzt ,  wie  im<- 
mer,  die  Philosophirenden  auseinander  halte:  so  wäre  zu- 
nächst der  Zeitpunkt  anzugeben,  von  welchem  an  diese 
neuere  Philosophie  zu  rechnen  sei.  Hier  zahlen  wir  indess 
auf  die  Beistimmung  aller  Kundigen,  wenn  wir  mit  Im- 
manuel Kant  den  Beginn  derselben  setzen.  Denn  indem 
ZBgestanden  werden  muss,  dass  wir  diesem  gewaltigen 
Geistß  entschieden  die  Richtung  verdanken,  die  die  Philo- 
sophie in  neuerer  Zeit  genommen;  so  ist  eben  damit  zu- 
gleich bezeichnet,  dass  nur  die  in  ihm  niedergelegten  An- 
^e  im  weiteren  Verfolge  ausgebildet  werden  konnten 
nach  einer  oder  der  andern  Seite  hin ,  dass  also  von  ihm 
notwendig  auszugehen  sei.  Und  in  der  That,  Nachfolger 
wie  Gegner  wurzeln  in  ihm ,  und  auf  beide  übt  er  auch 
jetzt  noch  den  entschiedensten  Einfluss ;  am  Meisten  aber 
da,  wo  man,  mit  unbestimmtem  Triebe  irgend  ein  Besseres 
suchend,  oder  auch  bloss  aus  Sehnsucht  des  Neuen,  öber- 
hanpt  nur  nch  ihm  entgegensteUen  zn  müssen  meint ,  ohne 


30  Locke  und  Leibnitz. 

durch  ihn  scl1)cr  ein  wahrhaft  Höheres  und  wissenschaftlich 
Durchbildcles  erreichen  zu  können.  Und  so  ist  auch  jetzt 
noch  gerade  da  sein  Einfluss  am  Stärksten ,  wenn  auch 
verborgener,  wo  man  am  Unbedingtesten  demselben  sich 
entzogen  zu. haben  glaubt.  —  Indem  wir  aber  hier  vor 
Allem  zum  eigentlichen  Pulse  und  Urquell  seiner  Philoso- 
phie hindurchzudringen  suchen:  müssen  wir  bedenken,  dass 
auch  Kant  bei  seiner  Grösse  dennoch  von  historischen 
Beziehufigen  und,  AnknüpFungen  abhängig  blieb  ;  ijass  auch 
er  nur  die  Konsequenz  jener  Richtungen  in  sich  verfolgen 
konnte,  die  schon  vor  ihm  in  der  Philosophie  begonnen 
Jiatten.  —  Historisch' ,  wie  philosophisch ,  waren  es  zwei 
liauptelemente,  aus  denen  die  Kantische  Philosophie  er- 
wuchs: positiv  die  durch  John  Locke  in  Baconischer 
Weise  cingoleilctc  Erforschung  des  Bewusstscins ;  die  Rich- 
tung auf  den  subjektiven  Quell  der  Spekulation.  Das  In- 
teresse an  der  französischen  Philosophie  spielte  bei  Kant 
nur  in  einzelnen  praktischen  Ideen  nebenher.  In  Deutsch- 
land fand  er  eine  wohlau^gebildete  Schulmetaphysik  vor, 
welche  eben  im  Begriffe  war,  durch  Mendelssohn  (ei- 
nen  auch  von  Kant  seiner Darsteilungsweise halber  voreug- 
lich  geschätzten  Denker)  in  Populari)hilosophie  überzugehen 
und  das  allgemeine  Interesse  der  Gebildeten  auf  sich  zu 
ziehen.  K  a  n  t  hatte  an  dem  Inhalte  dieses  scheinbar  sorg- 
fältig zusammengefügten  Ganzen  NichU  auszusetzen,  aber 
erfand  ihn  theoretisch  imerweislioh ;  und  dies  bedingte 
sein  negatives  Verhältniss  dazu ,  welches  dennoch  auf 
den  Bau  und  die  Intentionen  seines  eigenen  Systemes  den 
entschiedensten  Einfluss  hatte.  So  wird  die  Charakteristik 
der  Vorkantischen  Epoche  sich  wesentlich  in  jene  zwei 
grossen  Gegensätze  theilen  müssen. 


Seit  John  Locke  war  entschiedener,  als  je  vorher, 
die  bedeutende  Frage  in  Anregung  gekommen,  welche  als 
vorbereitende  Untersuchung  keine  wissenschaftliche  Philoso^ 
phie  von  sich  weisen  darf;»  um  Eingang  in  sich  selbst  zu 


Locko  und  Lcibniüs.  31 

gewinnen:    Welches    überhaupt    der    Ursprung 
derjenigen    Erkenntnisse    sei,    die    vom    B(v 
wusstsein  der  Noth wendigkeit  begleitet  wer- 
den. —  Sind  sie  nur  empirischen  Ursprungs ,  so  ist  auch 
die  Philosophie  nicht  eine  cigenlhümliche,  vom  empirischen 
Erkennen  geschiedene  Wissenschaft,   —  deren  es  daim 
überhaupt  keine  gicbt :  es  wäre  überaJI  nur  Ein  Quell,  wie 
Ein  Element  des  Erkcnncns,  die  Erfahrung;   und  das 
Wissen ,  indem   es  schlechthin  nur  am  Gegebenen  haftet, 
wäre  nur  durch   den  darin  enthaltenen  (empirischen)  SiofT 
und  Inhalt  zu  unterscheiden ,  keineswegs  durch  seine  Form 
innerlich  sich  entgegenzusetzen ;  endlich  bliebe  jede  Bemü- 
hung vergeblich,  in  ein  Jenseits  iur  die  Erfahnmg,  — 
denke  man  die^,  in  welchem  Sinne  man  wolle,  —   über- 
haupt in  ein  dem  unmittelbaren  Bewusstscin sich  Verber- 
gendes ein-  oder  hinüber  zu  dringen.  —  So  handelt 
es  sich  bei  jener  Frage  zugleich  auch  um  die  Möglich- 
keit  der  Philosophie;   und  eigentlich  um  dessAviilen 
wvffic  die   ganze  Untersuchung  unternommen,  .die  daher 
überhaupt  als  eine  einleitende,  nur  propädeutische  für  spe- 
kulative Philosophie  anzusehen  ist.    Denn  wie  sie  auch  ent- 
.schieden  ^vurde,  auf  keine  Weise  konnte  diese  Unlersuchung 
fOr  die   Philosophie  selbst  ausgegeben  werden:  entweder 
es  fand  sich,  dass  philosophisches  Erkennen  unmöglich  sei ; 
so  konnte  diess,  als  der  Ausdruck  reiner  Ablaugnung  des- 
selben, nicht  für  ein  philosophisches  System  gellen, 
wie  auch  der  Skepticismus  in  seiner  Vollendung  und  durch- 
gcfuhrtcstcn  Form,  bei  den  Griechen,   sich  nicht  aigtatg, 
Schule,  Lehre,  sondern  dyoDyij  ^  Neigung,  Lebens- 
ansicht nannte.  Oder  die  Möglichkeit  eines  solchen  Er- 
kennens  wurde  erwiesen,  vielleicht  dabei  zugleich  der  Weg 
gefunden,  wie  dasselbe  zu  erreichen  sei;   so  wusste  man 
zunächst  damit  doch  eigentlich  noch  nichts  objektiv  Philo-  / 
sophisches,    vielmehr  war  die  gesicherte  Möglichkeil  eines 
solchen  Wissens  nun  noch  wirklich  sSix  realisiren,  der  ge- 
wonnene Standpunkt  zu  umfassendem  philosophischem  Be- 
wusstsein  auszubreiten.  —  Und  dennoch  ist  bis  auf  Kant 


^ 


32  Lodiß  und  Leibnilz. 

die  Philosophie  selbst  mit  ihrer  blossen  Propädeutik  vicirach 
verwechselt  worden :  ja  diesem  wurde  jene  Untersuchung 
ü6er  die  Möglichkeit  oder  Unmöglichkeit  des  philosophischen 
Erkennens  unter  den  Händen  sogar  selbst  zum  einzigen 
Inhalte  der  theoretischen  Philosophie,  ausser  welchem, 
nach  seiner  ausdrücklichen  Behauptung,  ein  anderer  in  alle 
Ewigkeit  nimmer  möglich  sei*);  eine  Verwechslung,  die, 
merkwürdig  und  einzig  .in  ihrer  Art,  wie  wir  später  zeigen 
werden,  nicht  wenig  zur  Verwimttig  des  Zeitalters  über 
die  ersten  und  ursprünglichsten  Begrifle  der  Spekidation 
beigetragen  hat. 

Indöm  wir  nun,  um  die  ersten  Keime  dieser  Untersu- 
chung aufzuflnden^  bis  auf  Locke  zurückgehen,  müssen 
wir  in  diesem,  dem  sonst  Ueberschätzten,  jetzt  zu  tief  Her- 
abgedrückten, zunächst  einen  besonnenen  Denker  von  klarem, 
umFassendem  Blicke  und  scharf  durchführender  Konsequenz 
mit  Lob  und  Bewunderung  anerkennen,  dem,  was  er  ver- 
fehlte, beinahe  unwUlkührlich  entging.  Und  oft  kommt  es 
darauf  an,  einen  neuen,  entgegengesetzten  Weg  überhaupt 
nur  einzuschlagen;  was  dabei  sonst  geirrt  wurde,  bessert 
die  nachfolgende  Entwicklung.  So  sehen  wir  ihn  gleich  zu 
Anfang  **)  mit  Scharfsinn  und  Umsicht  die  Gränzen  seiner 


*)  „Das  Systenv  der  Kritik,  auf  einer  vullig  gesicherten  Grund- 
lage rtiiiend,  ist  auch  für  alle  künftigen  Zeitalter  zu 
den  höchsten  Zwecken  der  Menschheit  unentbehrlich^«  u.s.w.: 
Kant  in  seiner  Erklärung  gegen  die  Wissenschaaslehre  (In- 
-tcU.  Bl.  der  A.  L.  Z.,  1799  No.  109).  Vorher  kommen  noch 
die  Aeusserungen  vor:  ^dass  jenem  Systeme^  wegen  seiner 
unaufhaltsamen  Tendenz  zur  Befriedigung  der  Yernuuil  iu 
theoretischer  sowohl  als  moralisch  -  praktischer  Absicht, 
kein  Wechsel  der  Meinungen,  keine  Nachbesserungen  oder  ein 
anders  geformtes  Lehrgebäude  bevorstehen  könne;*'  dass  es 
also  die  einzig  mögliche  Philosophie  selber  sei. 
•♦)  Es  versteht  sich,  dass  wir  hier  nur  Locke*s  Werk  über 
den  menschlichen  Verstand  (an  essay  conceruing  hu- 
man unterstanding ,  London  1.  Ed.  1690.  XVIU.  Ed.  Lond. 
1788.)  vor  Angon  haben:  seine  treOlichen,  wirksamen  Schrif- 
ten über  den  Staat,  über  Erziehung,  seine  Briefe  über 


Löcko  nnd  Leibnit2.  d3 

ünfersDcfaung  festsetzen :  die  Aufgabe  wird  deutlich  gefasst, 
der  einzige  Weg,  sie  zu  lösen,  klar  dargelegt,  und  nadi 
dem  einfachsten  Plane  entwickelt  das  ganze  Werk  nur  je-^ 
nen  Einen  Grundgedanken.  Dabei  verdient  das  Gleichmaass 
der  Behandlung  in  allen  Theilen  des  Werkes,  der  gcord-> 
nete,  Nichts  übereilende  Fortgang,  die  scharfe  Wahl  der 
Bezeichnungen  zugleich  bei  dem  sparsamen  Gebrauche  einer 
sorgfältig  gewählten  Terminologie,  zumal  fdr  jene  Zeit,  die, 
fast  wie  die  unsrige,  nur  in  neuen  Kunstwörtern  und  in 
seltsamen  Bildungen  einer  unverständlichen  Sprache  philo- 
sophisch sich  ausdrückan  zu  können  meinte ,  die  höchste 
Anerkennung. 

Bevor  wir  —  beginnt  er  —  überhaupt  irgend  ein  wis- 
senschaftliches Erkennen  anstreben,  muss  zunächst  entschie- 
den sein.  Was  und  Wie  wir  zu  erkennen  vermögen,  — 
welche  Gegenstände  das  Erkennen  überhaupt  umfassen 
könne:  und  diese  Untersuchung,  vorerst  vergessend  und 
streng  von  sich  weisend  alle  hergebrachten  Vorstellungen 
and  sonstigen  Voraussetzungen,  muss  also  gefuhrt  werden: 
dass  wir  der  allmähligen  Entwicklung  des  Ejr- 
kennens  durch  seine  verschiedenen  Stufen 
hindurch  zusehen,  wie  es,  vom  Unmittelbarsten  und 
Einzelnsten  beginnend,  durch  sich  selbst  'sich  höher  bildet, 
und  die  nothwendige  Gränze  sich  selber  giebt  —  Bei  die- 


die  Toleranz  u. >. w.  sind  jetzt  eben  so  vergessen,  als  sie 
früher  bewundert  worden.  Doch  ist,  was  dort  grossen  Theils 
zom  ersten  Male  ausgesprochen  wurde,  seitdem  ein  geisti* 
gesiGemeingat  geworden,  worüber  jetzt  Jedermann  einrer- 
standen  ist ;  eben  ein  Beweis  für  die  Bedeutung  und  Wirk- 
samieit  jener  Schriften  in  damaliger  Zeit.  —  Wo  wir  übri- 
gens das  erstgenannte  Weric  anführen,  geschieht  diess  nach 
der  zweiten  Ausgabe  der  französischen  Uebersetzung  Ton 
Coste,  die  durch  Aenderungen  und  Zusätze  von  des  Verfas- 
sers Hand  bedeutende  Vorzuge  ?or  dem  Originale  hat:  (Essay 
philosophique  concemant  Tentendement  humain ,  tradnit  de 
TÄnglois  sur  la  qnatri^m«  Edition,  rtfrue^  corrig^e^taugm^n-^ 
tee  par  Taateur.    Amsterd.  17000 

3   ' 


34  hocke  find  LeibniU. 

sem  VonsfltBe  ufid  Beginnen^  das  eines  fichtcn  Naturfor«' 
Sehers  des  Geistes  würdig  witr,  ist  jedoch  zu  bekeimen, 
dass  die  Ausführung  mehr  der  NalurbeobachlUttg  in  ihrer 
Kindheit  2U  gleichen  scheint,  welche  die  unmittelbare,  raU 
Zufälligem  nianuichOach  durchwebte  Erscheinung  gleich  für 
das  Wesen  des  Dinges  nimmt,  als  der  herangereiften  For- 
schung, die,  über  die  Hülle  der  ZuGilligkeii  binausdringend, 
durch  Experiment  die  Natur  tu  zwingen  weiss^  ihr  Wesen 
selbst  auszusprechen.  Und  in  dem  festen  Verfolgen  jener 
einmal  gefasslen,  durch  ihre  frische  Unmittelbarkeit  sich 
empfehlenden,  wiewohl  die  eigene  Tiefe  und  Wahrheit  un- 
erschöpft lassenden  Ansicht  von  dem  Wescui  des  Geistes^ 
welche  tach  RückiVörts  hin  berechtigt  war ,  hat  er  zn-- 
nächst  freilich  nur  eine  neue  Einseitigkeit  hervorgebrachti 
aber  in  ihr  das  wahre  ProUem  des  Erkennens  enthüllt. 
Und  80  hat  auch  dieser  Denker  im  Fortgange  der  Speku- 
lation seinen  festen  Platz  und  sein  wiverftiisserliches  Redtl 
sich  errungen. 

Zuerst  begegnet  er  (Buch  I.)  der  damals  durch  Des- 
e  a  r  t  e  s  herrsch^d  gewordenen  und  auch  in  England  durch 
missverstandenei  Pktonismus  verbreiteten  Vorsiellung  von 
den  angebornen  Idien,  welche  er  in  der  Form,* wie  sie 
damals  aufgefasst*  uid  dargesteUi  wurde,  nach  dem  Rechte 
der  Grlliidlichkeit  verwerfen  musste.  Es  sollen  gewisse 
allgemeine  Principien  und  ursprüngliche  Begriffe  dem  Be- 
wusstsein  verliehen,  .der  Seele  unmittelbar  gegenwärtig, 
ja  r^n  ihrer  Geburt  an  ihr  gleichsam  ^  eingeprägt  <<  sein  I 
Aber  unbestreitbar  ist^  was  Locke  dagegen  geltiüid  macht, 
da^is  da«  Unmittelbare  des  Be^msst9eins  schlechthin  nur 
hitie  Mannrt-hfeniglteil  einzelner  Empfindungen  darbiete, 
—  als  der  eigentlichen  Elemente  aller  hohem  Entwicklung 
des  Bewusstseins :  behauptet  man  nun ,  dass  dabei  und 
ausserdem  noch  <so  nämlich  >vurde  es  fast  allgemein 
damals  veratanden)  aUgemeine  Wahrheilen  der  Seele,  un- 
iMtleibar  verliehen  seien;  so  musslen  sie  eben  so  und  in 
gäW.  gleicher  Art,  wi^  jecie  fimpflndoftgen,  dem  Bewusstsein 
sich  aufdrängen,  ja  noch  immittelbarer  sogtrr,  da  il^st  ur- 


Look«  und  Lelbritto.'  35 

sprfloglieh  in  der  Seele  vorbaadeoi  g^fn.seBeiv  dieEmpfln-t 
doBgen  iagegea  er«t  von  Aussen  «ngi^regi  werden.  Und 
ein  Widerspruch  wäre  es,  enzune]|nien>  das^  eine  Vorstel-« 
lung  den  BewuAstdeln  angeboren  aei,  /ohne  dans. es  dieselbe 
wirklicb  a  p  p  e  r  e  i  p  i  r  e,  da  ja  Vorhl^ndeiisein  im  BewussU 
sein  überhaupt  nur  bedeuten  kann  das  AppiercipirU 
werden  desselben.  Aber  es  findet  aicli  bei  treuer  und 
scharfer  Beobachtung  schlechthin  nichts  Unmittel bare$ 
im  Bewusstsein,  das  als  solches  den  Charakter  der  AUge^ 
meinheit  und  Gemeingfiitigkeit  trjige;  vielmehr  wird  alles 
Allgemeine  zuerst  und  am  Unmittelbarsten  nur  in.detr  Form 
der  Ein^elnheit  gefasst ,  —  ein  Säte,  der  durchaus  in  ^iner 
Wahrheit  be^ht:  —  und  so  musst^  liOoke«  wenn  er 
treu  blieb  der  Natur  und  der  Beobachtim^,  die  aUo  eich 
aussprechende  Lehre  von  den  angeborenen  Ideen  entschie»- 
den  verwerfen.  Dazu  führt  er  noch  dwoh^  dass  dk  an- 
gebliche allgemeine  Uebereänstinunung  der  Menschen  über 
gewisse  Wahrheiten,  wodurch  die  Gegner  ausseriich  ihre 
Lehre  zu  nnterstützen  suchten ,  selbst  sehr  zweifelhaft  sei. 
Weder  im  Theoretischen,  noch  im  Praktischen  (wie  er  diess 
im  fernem  Verlaufe  des  ersten  Buches  am  Einzelnen  zu 
zeigen  sucht  —  freilich  nicht  überall  glneklich  und  gmnd-i^ 
lieb,  wegen  einer  sogieich  nachzuweisenden!  falschen  \of^ 
aussetznng  dabei :)  -^  können  solche  iGnindsätze  aufgei» 
wiese»  werden ,  die  unmittelbar  anerkannt  würden  ^  oder 
okne  Weiteres  evident  wären.  Sdbst  das:  Princip  der  f den** 
frtät  und  Aes  Widersprudis^  das  im  Wissensi^hafllicben  mit 
Recht  als  unbedingtes  gilt,  da  es  eines  Beweiises  nicht  ein- 
Bfial  ßhtg  ist,  kann  nicht  als  angeberen  betrautet  werden^ 
denn  Kinder,  Wilde,  Unstndirte  (idioteit)  zeigen  nicht  die 
geringste  Kenntniss-  desselben :  ja,  nicht  einmnl  aufmerksamf 
gemacht  darauf,  würden  sie  dasselbe'ver^teheto;- es  bedarf 
also  erst  der  Aeife  und  Bildung  des  Geistes,  mn  es  in  ihnen 
zffir  Anerkennung  zu  bringen.    (B.  I.  €.  3.$.  3.) 

Der  letzte  Anssprudi  ist  entscheidehd ,  und  l&sst  über 
die  wahren  Gründe  von  Lockens  Theorie  kehien  Zweifel 
übrig.    Allee  Unmittelbnre  im  Bew^ssfsdn  ist  ein  Etn^ 


36  Locke  lud  Leibnits* 

seines  ^  mcht  ein  Allgemeines ;  darum  kfinnen  die  Auge- 
meinbegrifTe  nicht  ursprüngliche,  sondern  nur  erwor- 
bene, hervorgebrachte  sein.  Die  Grundvoraussetzung 
war  also,  bei  ihm^  wie  bei  Denen,  welchen  er  zuerst  ent- 
gegentrat, dass  das  Allgemeine  und  das  Einzelne  des  Be- 
wusstseins  in  absoluter  Trennung  und  in  unüberwhid- 
lichem  Gegen  satze  miteinander  stehen.  Das  Allgemeine 
als  solches  ist  eben  nicht  unmittelbar  im  Einzelnen ,  son- 
dern, soll  es  sein,  so  muss  es  erst  abstrahirt  werden  aus 
demselben ;  eben  so  wenig  ist  aber  umgekehrt  das  Einzelne 
im  Allgemeinen.  Und  ganz  konsequent  wird  daher  bei  der 
Frage,  ob  im  unmittelbaren  Bewusstsein  ausser  und  ne-* 
ben  dem  Erkennen  des  Einzelnen,  auch  noch  ein  Erken-- 
nen  irgend  eines  Allgemeinen  Statt  finde,  nach  dieser 
Ansicht  der  Sache  von  Locke  verneinend  geantwortet. 

Aber  eben  die  Voraussetzung  dieses  Verhältnisses  ist 
überhaupt  das  durchaus  Ungeprüfle  und  Unbewiesene ,  ja 
was  zugleich  bei  näherer  Erwägung  als  der  eigentliche 
Grundirrthum  jenes  ganzen  Standpunktes  sich  kund  giebt 
Was  Allgemeines  heisst  und  Einzelnes,  sind  vielmehr  nur 
Momente ,  Theile  eines  und  desselbigen  Dritten ,  das  wir 
vorerst  nur  aligemein  als  die  Einheit  derselben  bezeich- 
nen können:  kein  Einzelnes,  in  dem  sich  nicht  ein 
Allgemeines  bewährte;  —  auch  nach  der  gewöhnli- 
chen Ansicht,  welche  dies  Verhältniss  wenigstens  in  dem 
logischen  Satze  anerkennt,  dass  jedes  Einzelne  in  einer 
$p€cteSy  jede  species  in  einem  getms  befasst  sein  müsse: 
also  im  Einzelnen  ist  imtoier  ein  Allgemeines,  und 
stellt  sich  dar  an  ihm  in  besonderer  Gestalt.  —  Eben 
so  ist  umgekehrt  kein  Allgemeines,  das  nicht  zugleich 
im  Einzelnen  existirte ,  widrigenfalls  es  auch  kein  Allge- 
meines, sondern  ein  nichtiger  (unwirklicher)  Gedanke, 
eine  leere  Vorstellung,  wäre.  Das  wahrhaft  Allgemeine  ist 
e$  dalier  nur  dadurch,  dass  es  schlechthin  in  allen  Ein- 
zebien ,  in  jedem  derselben  aber  anders,  als  Besonder- 
tes,  ist  So  wie  daher  das  Allgemeine  nur  im  Einzelnen, 
indem  es  sich  besondert  (specialisirt),  eben  so  i$t  das 


Lock^  und  Leibnitsi  87 

Einzelne  nur  d  a  r  c  b  das  (dich  besoademde)  Allg^inelne 
wirklich:  und  die  Wirklichkeit  eben  wäre  die  le> 
bendige  Mitte,  die  Allgemeines,  wieEinielnes  als  Wechsel-* 
seitige  Momente  untheilbar  enthält,  und  inneriich  vereinigt. 
So  ist  nun  auch  im  unmittdbaren  Bewusstsein,  das  freilich 
nur  das  Einzelne  aufzufassen  vermag,  Aligemeines  und 
Einzelnes  dennoch  schon  vereinigt  und  versehmohen;  nur 
stellt  sich  das  Allgemeine  dort  noch  nicht  dar  als  s  o  I- 
ches,  sondern  noch  in  seine  Vereinzelung  und  deren 
Beziehungen  verflochten.  Jene  Grundsätze  z.  B.  der  Iden- 
tität und  des  Widerspruchs  (des  Setzens  und  Aufhebens) 
bewahren  sich  an  jeder  faktischen  Unmittelbarkeit,  an  je- 
dem Dasein;  und  eben  darum  ist  in  ihnen  die  allge- 
meinste Wahrheit,  daher  zugleich  das  Ursprünglichste,  nicht 
weiter  zu  Beweisende  ausgesprochen ;  aber  erst  das 
wissenschafUiche  Denken  (oder  die  Philosophie)  entwickelt 
das  Bewusstsein  überhaupt  bis  dahin,  jenes  Allgemeine  an 
sich,  entkleidet  von  seinem^  unendlichen  einzelnen  Inhalte, 
darzustellen ;  und  dies  ist  dessen  Wesen,  —  so  wie  die  u  n- 
mittelbare  Wirklichkeit  des  Allgemeinen,  und  seine  Yer- 
eiozelung  zu  erkennen,  Wesen  des  faktischen  BeMrusstseins, 
oder  der  Wahrnehmung  ist.  Und  wenn  die  Lockische  An- 
sicht sich  in  dem  Satze  zu  charakterisiren  pflegte:  dass 
Nichts  im  Denken  sei,  dass  es  kein  Allgemeines  gebe,  das 
in  der  sinnlichen  Wahrnehmung  nicht  schon  enthalten' wäre; 
so  ist  das  Gegenttieil  dieses  Satzes  als  die  nothwendig  er- 
gänzende Kehrseite  sogleich  hinzuzufügen  :  dass  eben  dess- 
halb  auch  Nichts  in  der  Sinnenwahmehmong  sei,  in  wel- 
chem nicht  Denken,  Allgemeines  enthalten  wärCi 

Diese  EiAsicht  von  der  Einheit  deß  Allgemeinen  und 
des  Einzelnen  in  jeder  faktischen  Unmittelbarkeit  hatte 
schon  aus  der  nächsten  Reflexion  über  das  Verfaältniss  der 
Wahrheiten  der  Mathematik  und  der  übrigen  strengwissen- 
schafUichen  Disciplinen  zur  Wirklichkeit  sich  ergeben  kön- 
nen :  in  der  Gestalt  des  einzelnen  Körpers  z.  B.  stellen  sich 
aUgemeino  geometrische  Geisetze  dar ,  und  bei  allem  eige- 
nen Wechsel  fmd  Wandel  fällt  er  ihrer  Unwandelbarkeit 


38  ijbvke  und  L()ibnitx. 

unentflieUbar  anhehii ;  sie  beherrschen  ihii,  ja  er  selbst  i  s  I 
-Sit,  nur  in  Tereinteiter  Oostalt:  und  so  stellt  er  fallend, 
-jSicfa  bevv'egpend,  wiUkdbrlich  oder  mechanisch,  nur  die  all- 
. gemeinen  Gesetze  des  Falls,  der  Bewegfung  in  sich  dar, 
ohne  dämm  aufküidrett ,  diess  Einzelne,  nur  sich  selbst 
Gleiche  au  sefafL 

Von  so  naheliegenden  Betrachtungen  geleitet,  hatte 
-Loeke  nun  aUohjn  der  Theorie  des  firkennens  leicht  die 
f freiere  Einsicht  gewinnen  können.,  dass  das  Allgemeine  in 
-Wahrheit  der  eigentliche  und  einzige  Gegen- 
stand alles  Bewusstseins  sei,  nur  mit  der  Unter- 
scheidung^ dass  das  BeWusstsein  als  uninittelbaie  Wahr- 
nehmung es  in  seiner  ooncrtoten  Vereinzelung  auffasst,  wäh- 
rend das  zum  Denken  entwickelte  es  in  $einer  Ab- 
straktion und  Reinheit  a  I  s  Allgemeines  erkennt,  also  nicht 
erst  es  erzeugt  und  eirfindet,  sondern  es  findet  und  enthüllt. 
-^  Hätte  er  ferner,  wie  diess  allerdings  zunächst  nothwen- 
tlijg  gewesen  .wäre,  nach  dem  höheren  Grunde  dieses  Ge- 
gensatzes und  dieser  Einheit  in  der  Sphäre  des  Seins,  wie 
des  Bewulstseins  gefragt;  so  wäre  er  dadurch  Ober  die 
Schranken  des  einmal  gefassten  Standpunktes  hinaus  in  die 
Bahn  einer  ganz  neuen,  rein  metaph^ysischen  Unter- 
.suohung  getrieben  worden.  Indem  das  Allgemeine,  durch 
das  Besondere  vermltt^,  als  Einzelnes  sich  darstellt,  und 
umgekehrt;  so  entsteht  die  umfassendere  Frage »  welches 
wohl  das  Frincip ,  der  höhere  Grund  sein  möge  dieser 
^auzen  Synthesis,  wie  es  geschehe,  dass  im  Sein,  wie  im 
Bewussts^in  dufcbwaljiende  Allgemoiaheit,  Gesetzlichkeit  sich 
offenbare,  ji^,  die  Gesetze  des  Seins  auch  die  des  Be- 
wusstseinEir  sind?  Hier  fügt  sich  sogleich  also  das  fer- 
nere Problem  an,  welch  ein  Verhältniss  überhaupt  zwi- 
schen dem  Sein  und  Bewusstsein,  zwischen  den  Dingen  and 
dem  Wissen  von  denselben,  Statt  finde,  welches  endlich  in 
jlie  npch  höhere  Frage  übergeht:  was  der  Grund  der 
jUeb^reinstimmung  beider,  der  Einheit  von  Sein  und  Wissen 
sei?  Und  einen  Wink  darüber  hatte  Locken  schon  dio 
«rste  Kritik  meines  Wefkes  von  Leibaitz  geben  können, 


Lock«  OAd  LeibiHt«.  39 

von  der  irir  wksen,  4ass  sie  jenem  noch  vor  seinem  Tode 

2a  Gesklit  gekommen  ist.*)     Durin  wird  bemerkt^   dass 

die  Frage  nach  den>  Ursprünge  der  aligemeinen  Ideen  weite«« 

rer  bedeutender  metaphysischer  Untersuöfanngen 

bedürfe,  ja  dass  die  ganze  Lehre  vom  Erkennt,  als  ein 

TheU  der  allgemeinen  Aufgabe  der  Philosophie  nur  durch 

Lösung'  der  letzteni  und  im  Zusammenhange,  mit  ihr,  kei* 

neswegs  aber  für  sich  und  abgefissen,  genügend  su  Ende 

gefolirt  werden  könne.  -^  Audi  tritt  hier  augleioh  die  be* 

mcrk^iswerthe  Konsequenz  hervor,  dass,  falls  selbst  in  der 

äusserlich  systematischen  Darstellung  der  Philosophie  jend 

vorläufige  Untersuchung  ^ber  ihre  Möglichkeit,  oder  eine 

Theorie  des  Erkenntnissvermögens,  wie  Locke  und  spflter 

Kant  sie  anstrebten ,    fuglich  die  erste  Stelle  einnehmen 

ffiüsste,  der  Sache  selbst  und  dem  Wesen  der  Untersuchung 

nach  diess  Problem  eigentlich  erst  in  Mitten  der  Hiiloso«- 

^ie,    durch  Metaphysik^  gelöst  zu' werden  vermöge: 

«ie  kann  erst  innerhalb  ihrer  selbst,   nicht  aber  v^orlaufig 

ihre  eigene  Möglichkeit  begründen;  und,  wie  es  überhaupit 

im  organischen  Ganzen  einer  Erkenntniss  nic^ht  anders  sein 

kann,  als  dass  Alles  sich  gegenseitig  unterstutzt 'und 

begründet ;  so  empfängt  auch  der  Anfang  der  Philosophie 

seine  rechte  Bedeutung,  und  die  voHkemmene  Klafheit  erst 

durch  den  weitem  V^auf  der  Untersuchung ;  und  eigent^ ' 

heb  nur  am  Ende  kann  voHes  Licht  auf  das  Ganze ,  wie 

die  emzelnen  Theile  zurückstrahlen. 

Ud^erhaupt  aber  ist  Lcibnit^ens  Erkenniniestheofie 
aUdieBerichtigung  und  Ergänzung  anzusehen^ die 
das  Mangelhafte  von  Locke's  Lehre  iber  das  Wesen  ie$ 
Erk^inens  nöthig  machte ;  und  zwar  konnte  sie  ausdrficL* 
li^  nur  in  der  Form  einer  umfassenden  spekulativen  Anr 
sidit  jener  btoss  partiellen  Untersuchung  gegenübertreten : 
denn  vor  allen  Düagoi  musste  das  Verhäkniss  zwisehnn 
^ein  und  Bewusstsein  überbaiq^t  in  seiner  gMlnen 
Tiefe  uatensucht  und  festgestellt  werden,  worauf  dann  über 

*)  Opf.  o«m.  UibnUil,  Vol.  IL  P*  I.  $.  Si9,  221.  ed.  f>fit«u. 


40,  Locke  und  Leibnito. 

die  besondere  FVage  nach  dem  Ursprünge  der  allgemeinen 
Ideen  ein  bedeutendes  Missverständniss  nicht  mehr  mög- 
lich war.  Desshalb  aber  ist  es  nöthig,  diesen  Gegensalz 
und  diese  Ergänzung  Locke's  durch  Leibnitz  auch 
hier  ausfiihrlicher  darzustellen.  Zum  Ueberflusse  hat  L  e  i  b- 
nitz  selbst  noch  ausdrucklich  On  seinen  nauoeaux  essaysy 
sein  Verhältnis^  zu  L  o  c  k  e'  s^  Theorie  entwickelt,  und  gleich 
zu  Anfang  den  Erbfehler  dersdben  gründlich ,  aber  mil 
schonender  Anerkennung  aufgedeckt. 

Die  allgemeinen  und  nothwendigen  Wahriiet-- 
len  sind  nicht  als  solche  ((Mciuellement,')  sondern  nur  der 
Anlage  nach  (viriueUemerU^  S.  43.)  dem  Be^russtsein ge- 
genwärtig; nur  stellen  sie  sich  im  Einzelnen  dar,  und  wer^ 
den  darin,  wiewohl  ohne  deutliches  Bewusstsein  derselben, 
unendlich  angewendet     Aber   eben   desshalb  können  sie 
nicht  durch  Induktion  hergeleitet  werden  aus  dem  Be- 
wusstsein dieses  Einzeben;  denn  Induktion  vermag  über-^ 
haupt  nur  Erfahrung  zu  erzeugen,  die  nie  aufhört,  wei- 
terer Berichtigung  zu  bedürfen ,  nicht  aber  ein  schlechthin 
in  sich  abgeschlossenes  Bewusstsein   absoluter  Allge- 
meinheit und  Nothwendigkeit  hervorzubringen.     Also  nur 
entwickelt^  aus  ihrer  empirischen  Umhüllung  und  Ver- 
flechtung zu  deutlichem  Bewusstsein  gebracht ,  können  die 
allgemeinen  Wahrheiten  werden ;  ihr  Erkennen  ist  ein  rein 
apriorisches,  schöpfend  aus  dem  Innern  des  Geistes, 
der  das  Maass  und  die  Nothwendigkeit  der  Dinge  in  sich 
selber  trägt:  und  so  stammen  nach  ihm  Mathematik,   wie 
Logik  und  spekulative  Philosophie,    eben   aus  apriorischer 
(rein  im  Geiste  sich  entwickelnder)  Erk^ntniss  (S.  30  -— 
34.) ;  und  die  wissenschafUichen  Definitionen  sind  nur  die 
zum  Bewusstsein  gebrachten  ursprünglichen  Ideen 
d  e  r  D  i  n  g  e  selber  (S.  58.  vgl.  331.),  —  Daran  schliesst 
sich  bei  ihm  die  oft  missverstandene  und  selbst  von  Kant 
entstellte  Unterscheidung  zwischen  sinnlichem  und  rationa- 
lem Eikennen :   dieses  «—  und  vor  Allem  daher  die  Philo- 
sophie —  erkennt   das  Wesen  der  Dinge,  weil  es  das 
Allgemeine  an  ihnen,  ihre  Gesetzmässigkeit  und  Noth- 


Locke  und  Leibnitz.  41 

wendigkeit  mm  Bewosstfiein  bringt:  und  diese  bt  daher 
zugleich  die  deutliche  und  addquate  Erkennt- 
nis s  der  Dinge,  während  dieselben  im  sinnlichen  Bewu8st- 
sein  in  der  unendlichen  Mannichfaltigkeit  ihrer  faktischen 
Merkmale  und  Beziehungen  erscheinen,  welches  sie  daher^ 
um  ihrer  verworrenen  Fülle  und  ihres  stetigen  Vcrfliessens 
willen,  nur  undeutlich  und  unvollständig  anfza- 
fassen vermag.  Aber  darum  ist diess  Phänomenon  des 
sinnlichen  Yorstellens  nicht  blosse  Erscheinung  zu  nennen, 
hinter  der,  selbst  unvorgestellt  und  unvorstellbar,  das 
Ding  an  sich,  die  wahre  Realität  sich  verberge:  viel- 
mehr, wenn  es  gelingen  könnte,  das  Gewirre  der  unendli- 
chen Merkmale  und  Beziehungen  zu  entwickeln  und  geson^ 
dert  aufzufassen,  die  jedes  Einzelne  in  jedem  Momente  sei-r 
nes  Daseins  absolut  verschmolzen  darbietet,  so  würden 
damit  eben  so  viel  wahre  Realitäten  sinnlich  vorgestellt 
worden  sein.  Wie  in  der  Empfindung  der  grünen  Farbe 
das  Gelbe  und  Blaue  zusammenwirken,  ohne  dass  unser  Sinn 
diese  darin  unterscheiden  könnte ;  wie  im  Rauschen  des 
Meeres  jede  einzelne  Woge  vernommen  wird ,  denn  jedo 
tragt  .bei  zur  ganzen  Empfindung,  während  doch  keine  be- 
sonders wahrgenommen  zu  werden  vermag :  so  ist  jede, 
auch  die  scheinbar  einfachste  Vorstellung  die  Zusammen- 
wirkung einer  Unendlichkeit  von  Wirkungen  und  Eigen- 
schaften, die,  wenn  sie  unterschieden  zu  werden  ver-r 
möchten ,  das  wahrhaft  Wirkliche ,  die  eigentliche  Realitit 
wfirden  erkennen  lassen.  —  Durch  diese^nsicht  ist  zu- 
gleich das  Verfaältniss  zwischen  Sein  (Realität)  und  .Be- 
wnsstsein  in  allgemeinster  Beziehung  festgestellt  Alles 
Bewusstsein  ist  ein  reales;  denn  nur  dadurch  ist  es  äber- 
haupt  Wissendes,  dass  es  einen  Inhalt  d.h.  Bewusst- 
sein der  Realität  hat.  Aber  es  kann  ihrer  adäquat 
oder  inadäquat  bewusst  werden ,  und  diess  allein  be- 
gröttdet  einen  innem  Gegensatz  im  Wissen,  den  zwischen 
Wahrnehmung  und  Verstand,  womit  gleichfalls  der 
ftegensatz zwischen  Phänomenon  und  Noumenon  auf 
das  Engste  zusammenhängt.    Das  wahrnehmende  Be- 


43  Locken  und  Lcibaitjs. 

wusstseln  vermag  die  iUalitit  nur  inadäquat  aur;Baras-> 
aon ;  denn  es  stellt  sie  vor  von  der  Seit&  ihrer  ausserliehea 
Unendlichkeit  und  Zufälligkeit;  -r^  sie  wird  ihm 
Aidurcfa  zu  einem  FJiänomenon:  —  der  Verstand  da- 
giegen,  indem  er  sie,  von  ihren  zufälligen  Beziehungen 
befreit,  in  ihrer  Allgemeinheit  und  Nothwendig«« 
k e i t  denkt ,  ist  eben  darum  das  adäquate  Bewusstseia 
derselben,  weil  hier  vollkommener  Abschluss,  reine  Vollen- 
dung des  Erkenhens  möglich  ist.  Dadurch  ist  aber  die 
Realität  Dach  ihrer  ewigen  Seite,  als  N  o  um  e  n  o  n,  er-» 
kannt. 

Aber  auch  auf  die  dritte  Frage  nach  dem  Grunde 
jener  Einheit  von  Sein  und  Bewusstsein  geht  die  Erkennt-^ 
nisslehre  Leibnitzens  ein,  und  blickt  so  hinüber  auf 
metaphysischen  Boden.  Indem  Locke  den  Ursprung  aller 
Erkenntniss,  auch  den  des  Nothwendigen  und  Gesetzlichen, 
lediglich  aus  Abstraktion  von  den  sinnlichen  Dingerf  her<> 
leitet,  lässt  er  unerklärt,  wie  es  möglich  sei,  aus  dem  an 
sich  Zufälligen  ein  Allgemeines ,  Nothwendiges  und  Vor-* 
nunftiges  zu  abstrahiren.  Man  kann  durch  Abstraktion  in 
tlen  Dingen  doch  nur  finden ,  was  sie  an  sich  selbst  schon 
^ind:  sie  müssen  selber  vemänilig  sein,i<jesetE  und  Ha« 
Üonalität  sich  in- ihnen  gegenwärtig'iinden ,  um  dies  aus 
fich  erkennen  zu  lassen.  Und  so  ist  der  Grund  ihres 
Seins  in  ihrer  vemünfiigen  Erkennbarkeit,  wie  des  Wissens 
«nd  seines  vernünftigen  Erkennens  nicht  in  ihnen,  auch 
-nicht  im  Wissen  zu  finden;  sondern  in  einem  sie  vermit«- 
ielhden  Dritten,  dem  schöpferischen  Grunde  der  durch  alles 
£ein  und  Wissen  hindurdiwaltenden  Rationalitat.  Diesen 
•Fortschritt,  kat  sich  Leibnitz  beslknint  ausgesprochen: 
•Gott,  d.  h.  der  Verstand  Gottes  ist  ebensowohl  Urhe«- 
ber  der  wesendioken  Natur  der  Dinge ,  als  der  ewigen 
Wahrheiten  im  meiBschiichen  Verstände ;  diese  sind  aber 
nur  jene,  das  im  Reich  der  Dinge  verwirklichte  Sein 
der  ewigen  Wahi^eiteu.  So  hat  Leibnitz  nach  der  Einen 
Seile  hin  auf  den  wahren  und  letzten  Chruttd  alles  Erken^ 
4ienS)y  wie  aller  Erkomharkeil,  hingewiesen,  von  der  andern 


Locko  und  Leibtiils;  43 

Seite  den  ron  Des  Carter;  nur  ftustferitch  verbuodenitii, 
von  S  p  i  n  o  s  a  abstrakt  aurgehobeae«  Geg eastta  von  Den«- 
ken  and  Sein  durch  Aufweisung  deji  geineinsamett  Frincips 
in  beiden  wahrhaft  und  innerlich  vermittelt  ^  und  ao  schon 
auf  das  letzte  Ziel  der  Spekulation  hingewiesen,  dessen  ge- 
steigerte Annäherung  im  Folgenden  dansulegen  uns  geUn- 
gen  wird. 


AbsicbUich  haben  wir  weitläufiger  die  eratau  Gnind^ 
zuge  der  Locke* sehen  und  Leibnitz'.sohen  Theorie 
einander  gegenüber  gestellt,  indem  wir  dadurch  auch  man- 
chen Bildungselemenlen  der  neueren  Zeit  -eiBigen  Dienst 
zu  erweisen  glaubten.  Von  der  £inen  Seite  nämlich  sind 
noch  gane  neuerlich  Solche  hervorgetreten,  die  dabemiht, 
die  Philosophie  hinter  Kant,  ja  hinter  Leibnitz  zoruck- 
zudrangen;  mit  verjährten  Locke'schen  WaiRin  jede  aprio- 
rische Erkenntniss  bekämpfen  wollen ,  und  denen  in  der 
That  zu  rathen  wäre ,  de  sie  zugleich  eäie  so  gewaltige 
Verabscheuung  K  a  n  t*  s  an  den  Tag  legen«  in  diesem  Punkte 
Leibnitz  zu  ihrem  Lehrer  au  machen,  um  selbst  zu  sehen, 
wie  gründlich  und  überzeugend  dieser  ihren  Ahnherrn  Locke 
beriditigt  und  zurechtrückt  I  *)  —  Von  d^r  andern  Seite 
ist  aber  Vielen  noch  die  Kantische  Theorie  vom  Dinge 


*)  Iniofem  die  HinneiguDg  zu  eioem  ausserlichen  Empirismus  ia 
der  Philosophie  jetzt  mehr  als  je  hervortritt}  und  die  Ge- 
wöhnung, in  den  Gedankenrormen  etwas  bloss  Subjektives  tu 
sehen,  keinesweges  verschwunden  ist  ,*  mdchten  obige  Aetisse- 
rungea  auch  jetet  noch  ihre  Kraft  bebalten.  Dagegen  Ist  dis 
Studium  und  die  eindriiigettde  Kenatnifs  dea  zur  Zelt^  als 
diess  ge«chriebeia  wurde,  fast  Tergessenan  Laibnitus^an  Sjr- 
Sterns  durch  mehrere  treffliche  Monographieen  über  »eime  Piii- 
losophie  unter  aus  wieder  geweckt  worden ,  so  dass ,  was  im 
Folgenden  für  Leibnitz  gewünscht  wird  ,  als  vollkommen  er- 
fQllt  betrachtet  werden  darf,  und  auch  die  gegenwärtige  Cha-« 
rakteristik  ihr«  Vervollständigung  in  jeaeu  Au«filhniBge&  fri* 
det    Anai er kjsng  tur  B Valien. AtMig. 


44  Locke  und  Leibnitz. 

an  ricli,  ab  dein  Jenseitigen,  Unerkennbaren  für  das  Be- 
ivusstsein,  so  unaustiigtar  eingeprägt,  und  in  so  mannich- 
fachen  Formen  geläufig,  dass  auch  ihnen  ein  jedes  Streben 
nach  wissenschaftlicher  Philosophie  in  umfassendem  Sinne 
schon  eitel  dünkt.    Versuchen  es  diese,  ganz  ohne  Bezie- 
hung auf  neuere  philosophische  Bemühungen ,    die  oft  zu 
nahe  stehen,  um  rechte  Würdigung  zu  finden,  Leibnit- 
zens  Erkenntnisstheorie  mit  frischem  Blicke  und  unbefan- 
genem Urtheile  aufzufassen :  vielleicht  fanden  sie  theils,  wie 
e€  wohl  mtssdeutet,  aber  eigentlich  nicht  widerlegt  worden 
sei  von  Kant,  thetls  wie  bei  Kant  selber  eben  das,  wor- 
in er  sich  jenem  entgegensetzt ,  diejenige  Seite  der  Lehre 
sei,  welche  die  weitere  Entwickelung  der  Philosophie  gerade 
rurückzunehmen  und  zu  berichtigen  hatte.    Denn  das  Ver- 
haltniss  zwischen  dem  Apriorischen  und  Aposteriorischen, 
Wie  es  Kant  feststellt,  und  worin  eben  sein  Gegensatz  zu 
Leibnitz  liegt,  wird  sich  uns  als  die  Wurzel*  aller  wei- 
tem Irrungen,  als  das  eigentlich  Unzureichende  seinär  gan- 
zen Lehre  ei^ben.    Welches  die  Ansicht  Leibnitzens 
in  dieser  Beziehung  sei,    haben  wir  schon   oben  in  den 
Hauptmomenten   dargelegt:    nach  ihm  ist  das  Allgemeine 
und  das  Einzelne,  das  Apriori  und  Aposteriori  Eines  und 
Dasselbe,  die  absolute  Realität,  derlnbegrilF  des  Seins; 
dort  nur  nach  ihrem  allgemein  nothwendigen  Wesen,  hier 
nach  ihrer  Zufälligkeit  erscheinend,  dort  als  Noumenon, 
hier  als  Phänomenen  erkannt.  Bei  K  a  n  t  dagegen  ist  das 
Apriori  die  subjektive,  an  sich  leere  Form  der  Anschau- 
ung und  des  Verstandes ;   das   Aposteriori ,   das  in  jener 
Form  zwar  erscheinende,  an  sich  selbst  aber  schlecht- 
hin unerkennbare  Ding.     Dadurch  ist  ri)er  ein  un- 
austilgbarer materialer  Gegensatz  zwischen  dem  Aprio- 
rischen und  Aposteriorischen  festgestellt :  jenes  ist  ledig- 
lich das  Subjektiv-formale,  für  sich  leer  und  inhalt- 
los; diess  das  Subjektiv-materiale,  jenem  erst  In-^ 
halt  und  Füllung  verleihend :    beide  also  durph  ihr  Wesen 
nn  sich  selbst  einander  entgegengesetzt,  beide  jedoch  gleich 
subjektiven  Charakters,  indem  weder  jenes  noch  dieses 


Locke  und  LctbMte:  45 

dam  taugt,  die  eigentUcha  Realitfit,  dasIUng  an  Biah,  ob^ 
jektiv  erkennen  m  lassen.    Daher  denn  auck  bei  Kant 
die  schroffe  Entgagensetsong  zwischen  den  PhAnome-  ' 
nen  und  Noumenen;  auf  jene  ist  das  Bewnsstseki  iti 
ailem  Erkennen  schlechthin  beschränkt,  weil  es  doch  nur 
Erscheinungen  aufzufassen  vermag ;  diese  dagegen  sind  das 
schlechthin  allem  Erkennen  Jenseitige,  bloss  eine  leere 
Stelle,  einen  negativen  Begriff  bezeichnend ,  damit  das  Be- 
wnsstsein  in  der  Weit  der  Phänomene ,    auf  die  es  doch 
einzig  beschränkt  bleibt,  nicht  die  wahre  Realität  eritannt 
zu  haben  meine»    Und  so  ist  denn  der  Erfolg  aller  dieser 
Zerreissungen  und    Gegensätze  ein  vollkommener   Sub^ 
jektivismus,  d.  h.  das  ausdrückliche  Bekenntniss,  dass 
das  Bewusstsein  zwar  von  alter  Realität  absohit  geschiedenj 
dennoch   den  negativen  Begriff  derselben  habe,   also 
gleichsam  das  ewige  Bedürfniss,  die  Sehnsucht  nach  der- 
selben empfmde ,  ohne  je  dieselbe  stifien  zu  können ;   dasa 
es  daher  mit  seinem  ganzen  theoretischen  Yermdgen  in 
einen  absoluten  Widerspruch  aufgehe :  Behauptungen, 
die  wir  im  weitem  Verfolge  an  Kant  sämmtlich  nachzu- 
weisen gedenken.  «—  Hier  kam  es  nur  darauf  an,  den  Ge- 
gensatz zwischen  Kant  und  Leibnltz  scharf  hervorzu- 
heben ,  und  die  Frage  daran  zu  knöpfen ,   wessen  Lehre 
zufolge  dieser  Erörterungen  wohl  in   sich  harmonischer, 
befriedigender^  wahrheitsvoller  erscheine^    ob  jene 
oder  diese  :  ob  daher  wohl  der  —  richtig  verstandene  — 
L  e  i  b  n  i  t  z  durch  Kant  eigentlich  widerlegt  ^i,  ob  itter- 
haupt   durch  Kant  allein   (abgesehen  von  der  weitem 
Entwicklung   durch   seine  Nachfolger)   ein   entschiedener 
Fortsdiritt  der  Philosophie  über  Leibnitz  hinaus  gewon- 
nen zu  sein  scheine?    —    Und  so  wäre  es  auch  für  die 
gegenwärtige  Zeit  noch  ein  dankenswertfies  Unternehmen, 
wenn  ein  geistreicher  Mann  die  befden  trefBichen  Werke 
Locke's  und  Leibnitzens,   wie  sie  sieh  gegenseitig 
aufhellen  und  verständigen,  uns  in  vergleichender  Beaibei- 
tung  wiedergäbe.    Besonders  das  des  Letzteren ,  reich  an 
den  scharfsinnigsten  und  tiefsten  Blicken,  und  anziehend 


46  Loeke  und  Leibnitz« 

durch  «einM  wilden  Geist,  Y^l^  darch  seine  ebeoso  geniale^ 
Biß  natürioke  Darsfellang,  würde  in  der  Phtiosophie  uns 
wieder  deii.  KiaDen  uild  Gesunden  zuge wohnen ;  und  beide 
wurden  so.  die  besten  Vorarbeiten  sein  zu  einer  künfti- 
gen wfssensehaftlichen  Tfaeotie  des  Bewusstseins ,  oder 
^neuea  Kritik<^  der  Veminift. 


So  War  Locke  zufolge  des  Vorigen  vollkommen  be-^ 
rechtigt ,  von  der  Behauptung  auszugehen ,  dass  alle  Vor-^ 
Stelkmgen  im  Bewusstseln  faictisch  entstanden,  oder  in  ihm 
entwickelt  sein  müssten,  dass  also  angebome  Erkennt-» 
nisse  m  keinem  Sinne  in  ihm  vorhanden  seien.  Aber  nach 
ihm  knüpfte  sich  daran  die  fernere  Konsequenz,  dass  die 
Sede  desswegen  nur  ein  an  sich  leeres  Vermögen,  Vor-- 
stteAtingeiv  2u  empfangen,  die  blosse  Abspiegelung  d^ 
Anssendinge  sei^  und  dass  erst  hieraus,  aus  dem  also  Em- 
pfangenen ,  die  übrigen  Erwerbungen  des  Geistes  hervor-* 
gehen  können.  Die  Seele  wird  von  den  Aussen-^ 
dingeti  nffieirt;  diesen  Satz,  eme  Mischung  aus  dem 
robesten  i^milidien  Soheine  und  ans  ungeprüften  Hy]^othesen, 
stellt  er  eAs  unzwelfelhanes  Axiom  an  die  Spitze  seiner 
^liieorie.  ^  Was  mm  auch  übrigens  dio  Seele  sei,  fäirt  er 
A>rt,  —  welehes  unentschieden  bleiben  mag;  —  sie 
zeigt  sich,  nnmittettrar  r^kt  passiv,  hingegeben  den  von 
Aussen  »^  überwfiltigenden  Eindrücken.:  erst  daran  er- 
wacht übei%aapt  ihr  Bewusstsein,  entwickelt  sich  wei- 
ter di«  Reflexion,  welche  nun  dfe verschiedenen  Voiv 
Stellungen,  <so  wie  die  einzelnen  Zustande  des 
BewnsstseiM  gehörig  m  unterscheiden  und  gegen  einander 
m  halten  im  Stande  int  Jene  Vorstellungen  sind  aber 
zugletdi  dii0  Materia le  aßer  ihrer  Erkenntniss  ;  dieRe* 
flexian,  als  das  Formale,  vermag  nur,  sondernd  oder 
vereinigead,  sie  lu  beetbeiten :  und  damit  sind  die  beiden 
eineigen  firondbeitimniungen  des  ganzen  Bewnsstseins  ge- 
geben (B.  1i.  C.  I.  bis  S.  M.  «.  25.).  Eine  Ansicht,  die, 
indem  m  es  wenigstens  venuoht,  ^ins  jenen  IVinetpien 


Lotke  uimI  LeRmibt  47 


simnlliclien  fbnncn  des  Bewusstsviiu  sMIg  ita- 
am  dieser  naturgnnasBeii  Etaftchheit  und  wtii  ibef  viekm 
heutige  Pssyehologieen  im  sleken  sokeint^  welche  nicht  g«l- 
nngf  einzelner  ^ ureprangiicher  Y Brmbgen^  im  Geifto 
avfliäufen  können,  die  in  der  Thal  mtl  den  robeii  VorMefc- 
Imgen  der  Caitesialier  von  den  ang^bonien  Ideen  Yergleii- 
cliangspunkte  darbieten ,  welche  keinen  voillieiUiafteA  Be»- 
gttf  von  den  Fortsehritten  der  Psychologie  seil  jetier  Zeil 
nadien  ictonen. 

Doch  hören  vnr  Leibnitz,   wie  er  auch  hier  er- 
l^iiHEl  und  bericMti^!'    Die  Sede  wird  afficirt  von  den 
Attssendingen,  sagt  Ihr!    Dioss  ist  eine  unverstandliebe,  ja 
völUg- widersinnige  Behauptung.    Die  Seele  ist  Subslane, 
lebendige   Wirklichkeit,    Einheit  positiver   Kräfte; 
denn  sie  ist  tiberhaupt,  und  der  Grundbegriff  alles  Wirk- 
lichen ist,  aus  sich  sdhrt ,  ans  seiner  monadischen  Grünet 
bestimmtheit  thitig  n  sein.    Sa  isl  sie  denn  such,  wie 
alles  wirfciiche ,  seib^tkraftige  Dasein ,  schleehthin  in  sich 
beschlossen   und  unangreiHmr  durch  Anderes:  sie  isl 
als  kineriich  Positives  dnin zugleich  absolut  ausschlief- 
send  das  Andeve :  «nd  diess  ist  die  Seite  des  I  n-  s tch^ 
Seins,  der  SelhstbesÜnnHung'  an  ihr,  wie  an  aUem  Dasein. 
I>er  gewöhnliche  Gedanke  einer  gegenseitigen  unmitteUm- 
ren  Einwirtaing'  ist  dsfter  als  ea»e  rolie^  unphüMspliische 
▼orsteBungf  fiberheupt  anfiiugeben.  —  Dodi  was  soll  eigeatk  * 
Kch  erklfirt  werden  durch  dieselbe?  Die  Veränderung 
in  den  Dingen.  Aber  eben  diese  liegt  schon  in  dem  ursprüngw 
Kdien  Begrrffis  des  lebendigen,  sich  fordiestimmenden  Da«- 
seins :  als  sidches  muss  Alles  sich  verwandeln,  stetig*  und 
unattfliöriich,  aber  gemäss  seiner  innem  Natur;  aller  Wdinni. 
de!  ist  sonach  Entwickln nfT  TOn  Innen  her.  '  So 
isl  denn  von  der  einen  Seite  der  Begriff  restzuhaken, 
dass  die  Seele  all»  Vorstellungen  ,  auch  die ,  welche  man 
similiche  nenni  y  d.  k.  Ihre  Verinderungen,  aus  sich 
seRm  entwickle ,  das«   sie  nur  die  Verwirhttchung-  seien 
ihres  fnnern  positiven  Wesens:  ein  Siettz,  der  nur 
ideii;  #ie  gewdhalicb,   isoliit  und  in  seiner  Emseltigkeit 


48  Locke  und  Lcibnit2. 

g^assi  werden  miiss,  iro  er  dann  freilich  zu  vermeintHrhen 
Widerlegungen  Gelegenheit  gegeben  hat.  Denn  unmittel- 
bar knüpft  sich  an  dmiselben  der  andere  Satz  an ,  dass 
in  Wahrheit  es  ein  solches  Einzelne  in  Vereinzelung 
nicht  gebe,  das  Alles  in  absoluter  Einheit  bePasst 
sei ,  oder  wie  diess  L  e  i  b  n  i  t  z  in  seiner  Sprache  aus- 
druckt ,  —  dass  die  innem  Veränderungen  der  Einzdmo- 
naden  durch  voriierbestimmte  Harmonie  ursprünglich  einan- 
der angepasst  seien:  dass  also  die  Seelenmonade  gar  ei- 
gentlich die  innem  Bestimmungen  ihres  organischen  Kör^ 
pers ,  und  durch  dessen  Vermittlung  erst  die  Aussenwelt, 
Yorstelle ;  eine  Bemerkung ,  die  L  o  c  k  e'  n  gegenüber  mit 
Recht  geltend  zu  machen  war,  der  überall  vom  unmit- 
telbaren Afficirtwerden  der  Seele  durch  die  Aussendinge 
spricht.  —  Aber  damit  ist  überiiaupt  die  gewöhnliche  An- 
sicht eigentlich  nur  nach  philosophischen  BegrüTen  berich- 
tigt ,  nicht  aufgehoben ;  vielmehr  kann  man,  abgesehen  vom 
streng  wissenschaßlichen  SprachgQbrauche ,  jnit  vollem 
Rechte  auch  nach  Leibnitz  von  gegensdtiger  Einwir- 
kung der  Dinge  auf  einander  reden ,  ja  ihm  zufolge  findet 
vidmehr  die  tiefste  Veritettung  zwischen  Seele  und  Leib 
Statt  Denn  von  der  andern  Seite  ist  die  Unendlichkeit 
jener  sich  undurchdringlichen  Einzelnheiten  eben  zugleich 
in  absoluter  Einheit,  und  der  BegriiF  der  gegenseitigen 
Undurchdringlichkeit  wäre  nicht  einmal  möglich,  ohne  sie 
auf  die  Einheit  bezogen,  und  die  sich  ausschliessenden  von 
ihr  gehalten  zu  denken.  Und  so  entwickelt  sich  aus 
jenem  Begriffe  unmittelbar  sein  absoluter  Giegensatz  und 
darin  seine  Ergänzung*  Die  unendlichen  Einzelnen  sind 
schlechthin  in  der  absoluten  Einheit  zu  denken,  und  stel- 
len an  sich  selbst  nur  diese  dar:  die  unendlichen 
Monaden  sind  in  der  Urmonas.  —  Und  diess  ist  die  Grunde 
Verschiedenheit  Leibnitzens  von  Spinosa,  freilich  zu- 
gleich aber  auch  das  Mangelbafle  seiner  wissenschafUichen 
Form,  dass  er,  von  dem  Gedanken  der  Hannichfaltig* 
•keit,--  des  unendlich  Individuellen,  als  dem  ersten 
ausgehend,  in  begrtffsmässiger  Entwicklung  nicht 


Locke  und.  Leilmilz;  49 

nadtteimsen  Teraoehle,  wie  jene  nor  atodasmiiderEin« 
keit  Ideitiseiie,  ab  die  sich  selbst  darstellende 
fiiaheit,  zu  sein  vermöge;  wodnrch  denn  die  letztere 
fretUcb  nnr  in  dem  mangelhaften  Ausdrucke  einer  voraus* 
bestimmten  Harmonie,  als  etwas  Zweites,  Besonderesi 
nur  wie  eine  äilsserliohe  UmhäUong  nachgeholl  werdim 
koHBle»  Aber  diess  betriiR  nur  die  äussere  Form  der  Lehre, 
oder  viebnehr  den  Mangel  ausgeführter  Form,  wahrend  das 
Princip  derselben  die  Anerkennung  der  Einheit,  als  der 
wahrhailen  ReaUm,  auf  das  Entschiedenste  geltend  macht, 
und  bei  den  einzelnen  Problemen  auf  das  Lebendigste  her- 
vorhebt. Dabei'  mögen  wir  jedoch  zugleich  bedenken,  dass 
er  gerade  diesen  Ptmkt  seiner  Lehre  •—  vom  Verhaltnisse 
der  Urmonas  au  den  endlichen  Honaden,  oder  Gottes  zur 
Welt  —  den  Orthodoxen  seiner  Zeit  einiger  Massen  zu 
verhüllen  die  Ursache  hatte,  die  ihm  sonst  gewiss  nicht 
manche  Verdächtigung  erspart  haben  würden ,  welcher  er 
sonst  schon^  trotz  seiner  überall  sich  accommodirenden  Theo« 
dicae,  kaum  entging.  Vcrmuthetedocb  Clarke  schon  in  dem 
Gedanken  emer  vorausbestimmten  Harmonie  allerlei  gefähr^ 
Kchc,  endlich  zum  Fatalismus  und  Atheismus  leitende  Ton«^ 
denzen ;  und  wenn  man  Leibnitzens  Antwort  darauf,  und 
seine  übrigen  Erörterungen  in  diesem  Streite  mit  der  Berück* 
sichligung  liest,  was  ein  solcher  Geist  dabei  denken  musste, 
und  was  er  davon  sagen-  durfte,  dem  wird  der  esoterische 
Sinn  seiner  Lehre  über  diesen  Punkt  wohl  völlig  klar  wer- 
den. —  Aber  eben  an  jene  aiisseniche  Form  haben  sich 
Anhänger  wie  Gegner  ausschliesslich  gehalten,  und  dadurch 
die  Lehre  in  einer  Einseitigkeit  aufgefasst,  die  ihrem  ei- 
gentlichen Geiste  gerade  widerspricht,  ja  die  sie  glückli-r 
eher  vermeidet,  als  die  meisten  andern  Philosophieen,  bei 
denen  entweder  —  wie  bei  Spinosa  —  vor  der  Einheil 
die  Bfannigfaltigkeit,  das  Individuelle,  nicht  zu  ihrer  Bedeutung 
g^elangt,  oder  die,  wie  die  Meisten,  empiristisch  im  Man- 
nigialligen  sich  ergehend ,  zum  Begrifie  der  in  dem  Man- 
nigfaltigen sieh  vcrwirklidienden  Einheit  sich  gar  nicht 
erheben  kannten* 


50  Locke  und  Leibnitz* 

So  9teNt  die  absolute  Einheit  (Unrnmas)  s  i  oh  dar  in 
der  Unendlichkeit  der  Einzelnen ;  diese  sind  daher,  inner- 
halb ihrer  Unmittelbarkeit  und  ihre^  gegenseitigen  Aus* 
schliessetis,  dennoch  zugleich  absohit  einstimmend  mitein- 
ander. Ihr  In-sich-sein  ist,  durch  die  Einheit  ver- 
mittelt, eben  so  unmittelbar  ein  Sein  im  Andern  und  für 
Aftd^^es;  und  dem  Begriffe  der  gegenseitigen  Aussdiliessong 
ist  sein  Gegensatz^  die  absolute  Weohaelbeziehung, 
als  weisentliche  Ergänzung  hinzuzurügen.  So  wandelt  und 
wechselt  Jegliches  zufolge  seiner  iiinem  Natur,  darum  aber 
dennoch  harmonisch  mit  allem  Andern;  Jedes  ist  Spiegd 
des  Universums  nach  seiner  Art  und  von  seinem  Stand- 
punkt; .und  zwar  diess  nicht  nach  einer  besondern  Ein- 
riditung  niid  Veranstaltung,  wie  man  jenen  Ausdnick  der 
Vorherbestimmung  gewöhnlich  missverstanden  hat,  sondern 
Zufolge  seines  unmittelbaren  Wesens ,  indem  es  an  sich 
Nichts  ist,  als  die  in  ihm  sich  darstellende,  verwirklichende 
Einheit. 

Die  weitere  Ent\^icklung  dieser  einfachen  Gmndansiclit 
enth&lt  aber  auch  schon  die  allgemeinsten  Principien  der 
Seelenlehre;  und  wir  betrachten  es  als  keinen  geringen 
Vorzug  der  L  e  i  b  n  i  t  z'  sehen  Philosophie^  dass  sie,  eigent- 
lich in  einem  einzigen  Grundgedanken  beschlösse  ^  allen 
besonderen  Problemen  aus  ihm  die  einfachste,  kunstloseste 
liosutlg  giebt,  ja  dass  sie  in  der  stetigen ,  wie  unwillkflhr- 
licb^rt  Entwicklung  dieses  Einen  Princips  fast  mit  dem 
HOöhl^en  vergleichbar  wäre,  der  Schöpferkraft  in  der  Na- 
tur und  den  Dingen  selber.  —  Die  Phänomene  nämlich,  die 
wir  Körper  nennen,  verbundene  sind  Aggregate  einer 
unendlichen  Mannigfaltigkeit  ursprQngtich- einfacher  Kräfte 
(Monaden),  die,  in  der  all-umfassenden  Einheit,  dennoch 
durch  innere  Achnlichkeit  sich  besonders  auf  einander  be- 
;^iehen,  also  im  eminenten  Sinne  in  sich  Harmonie  und  Ein- 
heit darstellen.  Es  giebt  diess  den  allgemeinsten  Begriff 
des  Org^anisihus.  Diese  mannigfachen  innem  Bezie- 
hungen müssen  jedoch,  wie  Strahlen  in  einem  Mittelpunkte, 
in  Einer  Honade  zusammenlaufen ,  die ,  aUe  jene-  Veriiält- 


Locke  tA\A  LcibnMz.  61 

nisse  iii  sich  abspiegelnd,  dadirrch  der  wimRtelbate  Alfs- 
druck  der  Vollkommenheit  (die  Entclochie)  dteseis 
Körpers  Wird.  Kein  Korper  also  ohne  Enteleehie,  weil  er 
organisch  ist;  tind  diese  ist  es  zugleich^  die  wir,  e«  Be-^ 
wusstsein  entwickelt,  Seele  emes Leibes/  nennen  iaAs- 
sen.  So  ist  die  Seele  mit  ihrem  Leibe  wesentlich  lind  <n"-fc 
ganisch  Eins;  keines  ohne  das  ändere,  ja  Jedes  j^^chlecht-^ 
hin  bcdentongslos  ohne  sein  Ent^reclieAdes :  ^ine  ^eahre^ 
substantiell-Iebepdige  Einheit,  nnd  als  solche  Abbild 
und  Gleichniss  der  absoluten  Einheit  des  All,  oder 
Gottes.  ♦) 

Aber  die  Seele  als  ursprüngliche  Krall  ist  in  nnend^ 
lieber  und  stetiger  Entwicklung  begriffen :  Kraft  kann  nicht 
ruhend  oder  gebunden  gedacht  werden,  und  die  Seele,  das 
Vorstellende,  kann  nicht  zugleich  die  Negation  von  sich^ 
geistig  leer  und  unthatig  sein.  —  Aber  was  Ist  eigentlich 
jenes  ursprungliche  Vorstellen?  Die  Centralmonade ,  die 
lebendige  Einheit  des  organischen  Leibes ,  stellt  ursprüng- 
lich in  sich  nur  die  Beziehungen  und  Veränderungen  des 
Leibes  dar,  und  diese  Darstellung,  dieses  unmittelbare  Wie- 
derscheinen macht  ihr  Wesen  als  Seele  -^  als  Cenfrum 
dieses  Leibes  aus:  was  sie  also  auch  vorstelle,  immer  ent- 
spricht es  dem  Leiblichen  an  ihr,  ohne  dass  darum  jenem 
oder  diesem  das  Vorrecht  des  Bewirkens  zuzusprechen 
wäre,  was  dem  Begriffe  einer  organischen  Einheit,  eines 
absoluten  Verschmolzonseins  widerspricht.  —  Aber  eben- 
so stellt  die  Seele  ferner  ununterbrochen  vor,  weil 


*)  Falls  eil  über  diesen  Pnnkt  noch  einzelner  Belege  bedurfte, 
welchen  Leibnitz,  aU  das  Charakterutisciie  seiner  Lebre^ 
überall  nachdrucklicli  hervorhebt;  so  verweisen  wir  vomehm- 
lieh  anf  folgende  Stellen :  £p.  ad  de  Bosses,  ^PP-  omn.  Vol. 
U.  P.  I.  S.  269.  und  daselbst  S.  2^3.  287.  —  Lettrcs  d  Mr. 
Remond  de  Monlmort,  Opp.  JT.  T.  I.  S.  225.  Nonveaiix  Ks- 
says  S.  278.  u.  s.  w.  Dazu  noch:  Commercium  eplstojirnm 
Len>nitii  ed.  Feder,  1805.  Letires  a  Mr.  Bayle,  S.  124.125. 
u,  S.  127. 


52  Locke  und  Lcibnitz; 

sie  nar  in  steCigf^  Entwicklung  gedacht  werden  kann,  und 
ihr  unendliches  Zeugen  von  Perceplionen ,  (Innern  Verän- 
derungen ,  die  sich  auf  ihr  Aeusseres  beziehen,  >  ist  eben 
jene  Entwicklung,  welche  Leibnitz,  in  ihrem  lieber- 
gange  von  einem  Momente  zum  andern,  höchst  bezeichnend 
das  Streben  (Sichfortschwingen,  appetUus)  der  Entel&- 
chie  oder  der  Seele  nennt.  Aber  an  sich  sind  diese  Per- 
ceptionen  nur  vor-  oder  darstellend,  nicht  aber  selbst 
unmittelbar  vernommen  oder  b  e  w  u  s  s  t :  erst  durch 
ihre  Concentration  entsteht  das,  was  wir  bewusste  Vor- 
stellung, Apperception  nennen,  und  auch  die  Apper- 
ccptionen  gränzen  an  die  Dunkelheit  ihres  perceptiven 
Zustandes,  und  streben  in  denselben  zurück.  Eine 
Lehre ,  die  leicht  missverstanden  werden  kann ,  indem  es 
aussehen  möchte,  als  liesse  sie  das  Licht  des  Bewusstseins 
aus  einer  Vereinigung  mannigfacher  Dunkelheiten  (der  Per- 
ceplionen) erst  entstehen;  wie  etwa  dem  Newton  nicht 
mit  Unrecht  vorgeworfen  worden ,  er  setze  sein  weisses 
Licht  aus  siebenfachem  Dunkel  zusammen.  Doch  hätte  man 
vielmehr  Ursache ,  darin  den  Scharfblick  des  Philosophen 
anzuerkennen,  mit  dem  er  gerade  das  innerste  Wesen  des 
Vorstellens  erfasst  hat.  In  dieser  Beziehung  sei  es  uns 
erlaubt^  einige  erläuterde  Bemerkungen  hinzuzufüg^« 

Was  wir  nämlich  eine  einzelne  Vorstellung,  oder  einen 
einzelnen  Gedanken  zu  nennen  gewohnt  sind :  stellt  sich 
durchaus  nicht  als  ein  so  Vereinzeltes  ,  Scharfbegränztes 
dar,  als  e%  jener  Ausdruck  erwarten  liesse:  überall  hängt 
es  zusammen  mit  noch  dunkeln,  oder  schon  verdunkelten 
Perceptionen,  und  fliesst  in  sie  hinüber;  niemals  kann  eine 
Vorstellung  daher  ganz  erschöpß,  oder  vollständig  entwtk- 
kelt  werden,  weil  sie,  indem  sie  fixirt  werden  soU,  von 
selbst  sich  wandelt,  und  zu  einer  andern  wird,  weil*  sie 
stets  über  die  erste  scheinbare  Begränznng  in  Anderes 
hinüberg^eitct.  So  steht  keine  Vorstellung  fest  vor  dem 
Geiste ,  sondern  schwebt  vor  ihm  in  ungewissem  Um- 
risse, immer  in  Gefahr,  in  andere  sich  zu  wandeln,  die  sich 
herbei^rängen  aus  der  Dunkelheit  des  perceptiven  Zustan- 


Locke  iBi(I  LeibniCz.  53 

des.  So  ist  das  Leben  des  beMrasstcn  Geistes  ein  stetes 
Flokturen  über  einer  unendliciien,  iinbe§friflfenen  FAHe,  die 
nie  f^nz  entwickelt  md  zu  gesondertem  Bewusstsein  ge- 
bracht werden  kann;  und  nur  das  Selbstbewusstsein  der 
Einheit  in  dieser  MaAnigffaitfgkeit,  das  Ich,  das  Jegliches 
auf  sich  bezieht,  ist  das  eigentUohe  Liehi^  des  Geistes,  von 
dem  erleuchtet  Alles  erst  Eigenthum  und  Besitz  desselben 
wird.  Doch  es  ist  der  Sonne  über  dem  Meere  zu  verglei* 
chea,  die  zwar  die  einzeln  aus  ihm  hervortretenden  Wel- 
len durchscheint,  aber  den  tiefen  Abgrund  unter  ihnen,  ans 
dem  sie  sich  erheben,  nur  dfimmemd  zu  erleuchten  vermag. 
So  ist  der  Mensch  geistig  unendlich  reicher,  als  er  selbst 
es  weiss ,  und  je  in  Bewusstsein  aurzulösen  vermag :  und 
diese  Basis  nie  völlig  in's  Bewusstsein  eingehender  KraRe 
und  Beziehungen  in  ihm  macht  die  Tiefe  seines  Wesens 
und  das  Vortiedeutende  desselben  ans.  —  Das  Ich  aber 
ist  das  eigentliche  und  unmittelbare  Bewusstsein ,  das  da 
nicht  erst  entsteht  an  den  einzelnen  Appereeptionen, 
oder  aus  ihnen  zusamniengx^sctzt  wird  ,  sondern  das  da 
schlechthin  ist  vor  und  mit  allen  einzelnen:  es  ist  die  in 
sieb  reflectirte  Einheit  der  Seelemnonadc  (um  mit 
Lcibnilzens  Ausdiiick  zu  sprechen),  die  durch  die 
einzelnen  Perceptioncn  hindurehfliessend,  dieselben  unmit^ 
telbar  auf  sich  selbst,  als  die  seinigen  bezieht.  Das  Ich  ist 
die  unmittelbarste  Apperception  (iniuUion);  daher  sie 
L  c  i  b  n  i  t  z  die  erste  (allgemeinste)  Erfahrung  (premüre 
experimce)  nennt;  denn  durch  sie  vermittelt  sich  erst  jede 
einzelne  Apperception.  Dennoch  sind  auch  hier  die  beiden 
Momente  der  Einheit  und  der  Mannigfaltigkeit  schlcchlhin 
unabtrennlich;  ein  reines  Ich  wäre  eine  erlogene  Ab- 
straction ,  ein  in  sich  widersprechender  «Gedanke, 
eben  so  das  Bewusstsein  von  diesem  oder  jenem,  ohne 
Bcwosstsein  schlechthin,  d.  h.  Ich  zu  sein.  Das  Ich 
erscheint  nur  als  die  Einheit  in  der  Manniglalti^keit ;  und 
eben  so  umgekehrt,  indem  der  Wechsel  der  Vorslellmigcn 
vor  dem  Bewusstsein  dahiufliesst ,  ist  es  selbst  nur  als  auf 
^  Einheit  desselben  bezogen  denkbar.    Jeder  dieser  Mo- 


54  Locke  and  LcibsUz.- 

nien(e  also,  ein^bi  geXasst,  enthtll  aa  sich  selbst  schon 
die  Nolb wendigkeit  des  andern;  und  wie  wir  schon 
oben  im  allgemeinslen  Sinne  dto  Einheit  nur  in  Mannigfal-* 
tigkeif,  die  Mannigfaltigkeit  in  Einheit  zu  denken  vermoch- 
te», so  wiederholt  sicli  hier  dasselbe  Ycrhältniss  am  Be-*» 
sondern,  an  der  absohiten  Syntl^esis  des  Bewusstseins. 


Für  Leibnitz  ^Iso,  wie  für  Lop ke,  war  das  Wesen 
der  Seele  ein  einfach  ^  unlheilbarps ,  das  erst  sich  cnU 
wickelnd  in  mannigfache  Zustände  sich  auseinander  legt ; 
nicht  aber  gleich  ur;q>ruqglich  aus  einer  diskreten  Mannigfal- 
tigkeit verschiedener  „Vermögen^  zusammengefügt  ist.  Nach 
Locke  jedoch  lein  blosser  Spiegel  der  Aussendinge, 
unterworfen  den  Impressionen  derselben ;  und  erst  darauf 
sollte,  vermittelst  des  zweiten  Moments  der  Reflexion 
auf  jenes  Spiegelbilden,  das  Selbstbcwusstscin  (Ich) 
entstehen.  Bei  Leibnitz  dagegen  ist  der  Geist  absolutes 
Vorstellen  in.  und  aus  sich  selbst,  welches  Insich- 
vorstellen  die  beiden, Momente  des  Geistes,  Einheit 
und  Mannigfaltigkeit,  reines  und  concretes  Ich ,  schon  un- 
theilbar  umfasst.  —  So  leuchtet  schon  hier  ein,  welche 
Lücken  und  ünaufgelöste  Schwierigkeiten  die  Locke*sche 
Theorie  in  ihrer  Grundlage  enthalt.  Wollen  wir  auch  die 
Ansicht  von  dm  Impressionen  der  Aussendinge  in  der 
Seele  verstandlich  und  erwiesen  fmden:  so  giebt  diess 
immer  nur  eine  einfache  Reihe  von  Bewirkunge»  nach 
Rückwärts;  wir  können  uns  höchstens  denken  eine 
immer  neue  und  höhere  Abspiegehing  des  schon  Abge- 
spiegelten ;  nimmprmchr  dbcr  das  eigentliche  Wesen  des 
S  elbs  t bewusstseins  ,  das  Sichselbstabspicgeln 
jenes  Spiegels ,  die  absolute  Durchdringung  von  Sein  und 
Sehen ,  von  Bilden  und  Sichbilden  in  einem  u  n  t  h  c  i  1  b  a- 
reu  Momente  des  Vorstelleus,  daraus  erklärlich  Gnden ;  noch 
weniger  aber  die .  E  i  n  h  e  i  t  dieses  Selbstbewusstseins  durch 
die  Mannigfaltigkeit  des  Vorstcllens  hindurch ;  —  eine 
Thal^achc  ^    deren  Bedeutung  Locke  in  seiner  ganzen 


Lovke  und  Leibnitz.  öo 

TkoriS  nie  gehdrig  erwogen  zu  hab^n  sdieint,  da  sie  utier 
sein  Erkläruigspriacip  schlechthin  hinausliegt,  —  Dagegen 
inochten  wir  LeibniUens  Grandlage  einer  Psychologie 

—  denn  mehr  als  eine  solche  hat  er  nieht  gegeben  —  fast 
den  ersten  Umrissen  eines  geistreichen  Gemäldes  verglei- 
chen :  Alles  ist  noch  unausgeführt,  Vieles  erst  angedeutet ; 
aber  die  Linien  sind  so  sicher,  und  so  lebendig  bezeich- 
nend ,  dass  man  bei  schärferem  Hinblicken  die  fehlenden 
Züge,  wie  aus  dem  Innern  hervorpulsirend)  sehen  zu  prblikrr 
km  ghubl.  —  Das  Ich  kmiq  nach  ihm  nicht  erklart»  herge- 
leitet, zusamnengesetEt  werden  aus  den  andern  Yor^IßHun- 
g^mi  --  die  Einheit  aus  der  Mannigfaltigkeit  ßfs\  eyristßhen : 

—  der  stete,  wiewohl  vergebliche,  £rklanuigsyersuch  fiUer 
wissenschafUichen  Atomistik  er:  — ^  es  ist  sdpen  das 
Unvermittelte,  Ursprüngliche  des  Geistes,  in  dem  ^rstalle 
übrigen  Bestimmungen  desselben  zu  ßein  vevmögen.    Un^ 
es  ist  ein  vergebliches  Unternehmen,  eipes  di^^er  beiden 
Glieder  in  der  Theorie  erst  hinzutreten  m  .IßBßefk  zunp 
andern ;  die  wahre  Philosophie  trytt  in  ihre  Iiebendige  JHitte, 
indem  sie  nachweist,  wie  Keines  ohne  das  Andere,  yfie 
in  dem  Einen  schon  unmittelbar  das  Andere  gesßlzt  sei, 
wie  die  ursprüngliche  Einheit,  als  solche  eben,  sich  aufr 
scUiessen  müsse  zu  innerer  Abnuigfaltigkeit,  um  auch  nur 
Einheit  zu  sein;   wie  umgekehrt  die  Mßnnigfaltigkeit  nur 
bezogen  auf  die  in  ihm  gegenwärtige  Einheit ,  als  die  zu- 
sammenfassende Form,  selbst  jenes  m  sein  vermöge.    Unfl 
das  Ich,  das  die  Hannigfaltigkeit  des  Vorstellens  Zusam- 
menfassende ,  ist  nur  der  Insi/^hrefiex  jenes  absoluten 
Verhältnisses,   in  welchem  die  Einheit  als  Mannigfaltiges^ 
die  Hannigfoltigkeit  nur  in  der  Einheit  sein  kann*    Wie^ 
ist   der   eigentliche  Hauptgedanke   der    Leibnitzscfaeqi 
Ansicht ;  diese  Einheit  in  allem  Jlbumigfaltigen,  und  umge- 
kehrt, wollte  er  als  die  Grundform  alles  Paseins  bezeich- 
nen durch  das,  was  er  ^  o  n  a  d  e<^  nannte ;  ein  Ausdruck, 
den  wir. ganz  fallen  lassen  können,  —  wie  wir  ihn  auch 
im  Vorigen  gefiissendich  vermieden  haben,  —  wenn  die 
Gfundeinaiohl  uns  eindringiich  geworden,  die  er  bezeichnen 


56  Locke  und  Leibnitz« 

s^l:  und  eben  diese,  die  folgenreichste  für  alle  ^ektda- 
tion ,  erweekt  und  geltend  gemackt  zu  haben ,  war  das 
grosse  Verdienst  jenes  herrliehen  Geistes,  leider  aber  ge- 
rade das,  womit  er  am  Wenigsten  Eingang  gefunden  hat 
bei  äer  wissenschaftlichen  Bildung  seiner  Zeitl 


Wir  kehren  zu  Locke  zurück!  Schon  oben  beineric- 
ten  wir,  wie  nach  ihm  aHe  Erkenntniss  ursprünglich  aus 
Sensation,  die  die  ersten  Elemente,  den  eigenffichea 
Inhalt,  alles^  Wissens  darbiete,  und  aus  Reflexion,  der 
dieser  Stoff  zu  freiem  Eigentbume,  zu  modificirender  Bear- 
beitung gegeben  sei,  hervorgehe.  Dass  nun  jene  unmitt^ 
baireif  Vorstelkmgen  der  Sensation  thoils  einfache  srnd^ 
theils  zusammengesetzte  (B.  I,  C.  2. 3.) ;  femer,  dass  die 
Eigenschaften ,  die  wir  den  Dingen  beilegen ,  theäs  u  r* 
s  p  r  ä  n  g  l  i  c  h  e  (ifualiiaieg  prmariae) ,  —  wie  Ausdelutung; 
Ftgur,  Veränderlichkeit)  —  theils  durch  die  sinnliche  Orga- 
nisation vermittelte  (qualitates  secundariae)  sein  sol- 
len ;  (z.  B.  Farbe,  Geruch,  Geschmack  u.  dgi. ;  siehe  C.  7.) 
eben  so ,  wie  aus  diesen  Wahrnehmungen ,  durch  blosse 
ileflexion  darauf,  die  einfachen  Begriffe  der  Thätigkeit,  der 
Kraft,  des  Vermögens  u.  s.  w.  sich  entwickeln :  diess  werde 
ohne  besondere  Prüfung  vorbeigelassen.  —  Wesentlicher 
ist  es  für  gegenwärtigen  Zweck  zu  erwähnen,  wie  diese 
Theorie  aus  dem  Gegebenen  der  sinnlichen,  einfachen  Vor- 
stellungen durch  Reflexion  die  Allgemeinbegriffe 
herleiten  zu  können  meint.  —  Die  Reflexion,  die  ganze 
Fülle  des  Gegebenen  als  freies  Eigenthum  besitzend,  kann 
in  drciiflcher  Beziehung  an  ihm  ihre  Thätigkeit  äussern: 
theils  indem  sie  gegebene  mannigfaltige  Vorstellungen  zu 
Einer  verbindet;  theils  indem  sie  am  Gegebenen  auf  das 
Einstimmige  oder  Widerstreitende  ihres  Inhaltes  achtet; 
theils  indem  sie,  zufolge  jener  beiden  Thatigkeiten,  das  Un- 
gleichartige an  den  Vorstellungen  faUen  lässt,  und  das 
Gemeinsame  derselben  hervorhebt;  woi^i  (durch  die 
Abstraktion)  denn  eben  a  1 J  g  c  m  e  i  n  c  Begriffeczu  Slando 


Locke  und  Leibnitz.  ö7 

kommen  soOen,  die  nun  theils  Beschaffenheiten  an 
den  SiAstanzen ,  theils  Substanzen  jseihst ,  theils  deren 
Verhältnisse  untereinander  bezeichnen  konneiu  (0. 
XII.  $.  1-7.) 

Hier  wäre  nun  efgentiich  nur  dasselbe  endialten,  was 
so  oder  anders  modificirt ,  selten  aber  gründlicher  darge- 
stellt,  vor  ihm  und  nach  ihm  die  Logik  unzählige  Mal  wie- 
derholt hat.  Und  dochr mochten  gerade  In  dem,  was  hier 
so  leicht  und  behende  abgefertigt  wird,  (Qr  die  innere  Kon- 
sequenz dieser  Theorie  die  grössten  Schwierigkeiten  ver- 
borgen sein,  die,  reifficher  erwogen,  geradezu  nölhigen, 
dieselbe  ganz  aufeugeben ;  während  hier  die  Untersuchung 
durch  ein  Paar  unverständliche  Worte  eben  bei  dem  Punkte 
abgeschlossen  wird,  wo  sie  eigenUich  erst  beginnen  sollle. 
Ueberali  nämlich  ist  es  eigentlich  nur  eine  petiHo  prindpikf 
wodurch  die  versuchte  Ableitung  der  AilgemeinbegriiTe  aus 
den  besonderen  so  leicht  zu  gelingen  scheint.  So  soll 
nach  Locke  in  den  Begriffen,  die  da  Substanzen  ausdrök- 
ken,  (Mensch,  Menschheit,  Thier)  der  vorausgesetzte 
—  aber  noch  undeutliche  —  Aügemeinbcgriff  der 
Substanz  überhaupt,  dem  nur  eine  andere  einfache  Vor- 
steDung,  des  Menschlichen,  Thierischen  u.  dgl.  noch  beige- 
fügt werde,  den  Hauptbestandtheii  ausmachen.  —  Richtig 
und  wahr:  aber  eben  die  Richtigkeit  dieser  Bemerkung 
hebt  die  ganze  Theorie  von  der  Entstehung  der  AUgemcin- 
begriffe  in  ihrem  Fundamente  auf.  Als  vorausgesetzter,  oder 
undeutlich  voriiandener,  soll  der  Begriff  der  allgemeinen 
Substanz  denen  der  besonderen  Substanzen  zu  Grunde  lie- 
gen können ;  was  heisst  dless  nach  L  o  c  k  e*  s  Theorie  oder 
nach  jeder  andern,  welche  dieselbe  Gnindansicht  bat?  Sic 
sind  vorhanden,  ehe  sie  durch  Abstraktion  (nicht  entwik- 
kelt,  sondern)  erzeugt  worden  sind:  —  d.h.  sind  vor- 
banden vor  dem  Akte  ihrer  Erzeugung ,  vor  ihrem 
Sein;  ein  ungeheuerer,  durch  Nichts  zu  verdeckender 
Widerspruch,  der  aber  eben  das  merkwürdige  Bekenntniss 
enthält,  dass  die  sensualistische  Theorie,  was  sie  erklären 
wcriite,  zur  Erklärung  selbst  unbovusst  VcNraussetzt.    Sie 


58  Locke  und  LeibaUz; 

gjaubt  die  Eneugung  der  AUgejueiat^egrifle  ms  AbstrakUon 
von  Besonderen  erklären  zu  konpen^  wahrend  wo  doofa 
üiffani  eigenen  bewussüosen  Gest^ndnii^e  zufolge  zugiebt, 
dieselben  nur  entwickelt,  aus  ihrer  Verflechtung  mit  dem 
Eiuelnen  nt^  ausgesondert  asu  haten*  Nach  4er  Konse- 
quenz der  Theorie  sipd  näpulich  i,undeulUche,^  „verborgen^^ 
AllgeineinbegriSe  reiner  Widerspruch,  da  ja  erst  durch  den 
Akt  der  Abstraktion  eine  AllgemeiniieH  für  dns  Bewusstsein 
überhaupt  gewonnpn  )¥erden  splK 

Ferner:  Nach  der  ganzen,  auch  ausdrücklich  behaiqi- 
letea  Konseqoenz  der  Theorie  kanii  dio  Abstraktioii  doch 
nur  stufenwi^ise  vom  fiesondeiTi  aaim  imaer  AUgemeiaerep 
fortschreiten»  indem  sie  mehr  und  mehr  die  einzelnen 
Bestimmungen  an  den  BegriiTea  fallen  lässt ;  und  8»  ist  z.  B. 
jderBog^iir  der  AU  gern  ein  Substanz  noChwendig  auf  ei- 
ner hohem  Stufe  der  Entwicklung  des  Bewusstseins  erzeugf , 
als  der  der besondem Substai^zen^  also  nur  vermitteist 
der  letztem  und  durch  sie  hindurch;  er  kann  also 
in  keinem  Sinne  wiederum  far  diese  vorausgesetzt  werden^ 
wenn  er  nicht  wirklich  schon  im  Geiste  ist,  wiewohl  noch 
verwickelt  ins  Besondere,  d.  h.  noch  nicht  a  1  s  solcher  zum 
Bewusstsein  gebracht.  —  ßo  sind  alle  diese  Lehref  von 
der  Erzeugung  —  nicht  der  Entwicklung  —  der  AU- 
gemeinbegrifTe  aus  dem  Einzelnen  durch  blosse  Abstraktion» 
bloss  erschlichene  Erklärungen^  dfe  bewussUos  voraussetzen 
und  stillschweigend  benutzen ,  was  sie  erst  nachzuweisen 
versprachen  x  eine  Täuschufig  9  die  jenes  Gesphäft  der  Ab- 
straetion,  AUgemeinbegrife  zu  erzeugen,  so  leicht,  und  die 
Erklärung  davon  in  der  l.ogik  scheinbar  so  deutlich  und  un- 

Ierfänglich  macht*  Und  jede  vei*suchte  einzebie  Ableitung 
ines  Allgemeinbegrifles  bei  L  0  c  k  e  bewahrt  diese  Erscblci- 
cfaung,  inde^i,  je  leichter  ihm  jene  zu  gelingen  scheint,  desto 
deutlicher  der  Grundfehler  der  ganzen  Erklarungswei&e  dabei 
zu  Tage  kommt.  Die  Raumvors  teilung,  sagt  er  z.B., 
ist  nichts  Anderes,  als  eine  einfache  Idee,  (nicht  An^ 
schauung,)  aus  Wahrnehmung  der Enlfemung  der  Korr 
pep*  durch  Getast  und  Gesicht  entstanden  (C.  XIU,  $.  l>-2.): 


darin  liegt  zugleich  der  BegriiT  des  Maasse»  —   der 
Raumbegranzuiig,  Ausscheidung  innerhalb  dasselbM,  —  waa 
den  Begriff  des  Ortes  ($.  7—10.)«   und,  du  wir  iie'- 
merkeny  dass  diess  Messen  und  Begran^en  kein  Kade 
und  kein  HMenüss  finde,  «ilelzt  den  AUgemenibegriff  der 
Unendlichkeit  dea  Raumes  ($•  4,  5.)  gid)t.   —    Aitf 
dieselbe  4^Tt  lässt  er  die  VersteUung  der  2eit  9tt8  dem 
Begiifle  einer   durch    ein  gewisses   Maass   bescbfinkteii 
Dauer  entstehen  (C.  14*  S«  17.);  und,  da  die^s  Maa^s 
ins  Unbestimmte  ausgedehnt  werden  kenn ,  soll  daraus  der 
Begriff  der  £  w  i  g  k  e  i  t  bervoigehen.     Beiden  A^eitangeii 
li^  der  Wider8{Nrtteh  einer  erlebten  oder  niipddsteas  he^^ 
merkten y.  wahrgenommenen    Unendlichkeit  zu  Grunde; 
da  vielmehr,  wenn  die   Uaendlicbkeit  und  Allgemeinheit 
nicht  schon  als  die  verborgeiio  Grundlage  im  Bewusstsein 
des  Endlichen  und  Besonderen ,  —   das  eben  nur  als  die 
Begränzung  und  In->sich-beson de rung  jener  be- 
griffen werden  kann  —  gegenwärtig  wäre,  und  als  das  All- 
einige Untieres  Bewusstseins  wirklich  nur  dits  Besondere 
und  Endliche   mit  Locke  anerkannt  werden  musste,  — 
in  der  That  Nichts  schwerer,  ja   widerßprechendßr 
sein  würde  lur  die  Vorstellung,  als  der  Cfcdanke  eines  U  n- 
endlichen  überhaupt    W  i  e  könnte  dieser  überhaupt  nur 
im  Bewusstsein  zu  Stande  kommen,  wenn  diess  in  der  Tha| 
mimittelbar  nur  Einzelnes  und  Endliches  enthielt^;   wenn 
es  jenen  nicht  schon  wirklich  besässe  an  und  mit  dem  End-f 
liehen  —  als   die  allgemeine  Sphäre  desselben,  in 
welche  diess  nur  als  von  ihr  Begränztes  hineintritt ? 
Begränzung  überhaupt  nämlich  —  als  das  Princip  alle« 
Endlichen  —  setzt  voraus  die  absolute  Mich tg ranze  — 
die  Unendlichkeit:     Und  so  ist  diese   vielmehr  als  das^ 
Ursprüngliche  des  Bewusstseins  anzusehen,   mittels  dessen 
erst  das  Einzelne  als  solches  begrifieii  und  abgegränzt  wer^^ 
den  kann.     Beides  aber  erscheint  in  wirklichem  Be- 
wusstsein durchaus  in  Einem  Schlage,  weil  die  Unendlich- 
keit unmittelbar  nur  am  Endlichen,  das  Endliche  über- 
haupt aber  nur  am  Unendlichen  hcrvortr^^^-'u  l^ai^    V^ 


60  '  Locke  und  Letbmtz. 

RaniR  also  und  die  Zeit  z.  B.  setzen  wir   ab'  unendKcho 
schon  voraus,  um  sie  nul-  irgendwie  in  endlicher  Begrän- 
vmg  anschauen  zu  können ;  denn  wir  vermögfcn  ja  ebenso 
nnmiUelbar,  diese  ins  Unbedingte  hin  zu  vergrossem,  oder 
jede  Begränzong  wieder  aufzuheben;    d.  b.  sie  sind 
uns  damit  als  unendliche  gegeben.   Ebenso,  was  wir  wahr- 
nehmend   eigentlich    erkennen,   —    das  Wahre    im 
Wahrgenommenen  —  ist  nur  das  Allgemeine:  was  an 
diesem  K6rper  z.  B.  eigentlich  angeschaut  wird,   was  die 
Realität,  das  Qualitative  desselben  ausmacht,  sind  allge- 
meine Eigenschaften,  die  er  gemein  hat  mit  andern,  und 
die,  an  ihm  nur  in  einzeln  zufälliger  Gestalt  und  besonde- 
rer Beziehung  hervortretend,   ihn  zu  diesem   machen: 
aber  jeno  Gestalt  wechselt  unaufhörlich  an  ihm  vor  unsem 
Augen,  während  nur  das  Allgemeine  bleibt  in  diesem  Wech- 
sel ,  und  diess  ist  eben   das  Wesen  des  Körpers ,  — 
wodurch  wir  überhaupt  an  ihm ,  wie  an  allen  einzelnen, 
ein  Wirkliches  zu  erkennen  im  Stande  sind.    Das  un- 
mittelbare Bewussisein  sondert   freilich  nicht   dfcsc  beiden 
stets  verbundenen  Momente,    ^cn   weil  es  stehen    bleibt 
bei   dem  unmittelbar    Gegebenen  ;  und   diess  macht  das 
Unphilosophische  seines  Standpunktes  aus.     Aber  auch  in 
der  Theorie  über  denselben  nicht  hinausgelangen  zu  können^ 
heisst  die  unwillkührliche  Beschränktheit  zu  einer  willkühr- 
lichen,   zu  einer  absoluten  Schranke  machen,    die  jedes 
gründlichere  Selbstverstandniss  ausdrücklich  verläugnct  und 
von  sich  abweist. 

Diess  genügt  vollkommen  fßr  den  Zweck  der  gcgen- 
wärligen  Untersuchung ,  um  die  philosophische  Ansicht  zu 
charakterisiren ,  als  deren  klassischer  Autor  Locke  al- 
lerdings anzusehen  ist :  wir  erkannten  die  eigenthüinliche 
Bedeutung  derselben  in  der  ganzen  Entwicklung  philoso- 
tdiischer  Erkcnntniss,  so  wie  ihren  Mangel  und  die  noth- 
wendigc  Ergänzung,  deren  sie  bedarf.  Indess  ist  der 
Werlh  derselben ,  den  sie  durch  ihren  gcsammten  histori- 
schen Zusammenhang  erhält,  sehr  hocli  anzuschlagen;  sie 
trug  wesentlich  dazu  bei ,  die  leere  Bcgriflsnictaphysili  der 


liocke  mul  IMhoiH^  Ol 

zum  TheQ  noch  berrsdieiiden  Schoicgiik  «i  ^erdrimgem^ 
so  wie  sie  dem  rotten  Dualismus  der  cartesianiscben  Ptii- 
losophle  mindesteos  Tersucfasw^se  ein  einiaches  Princip  zu 
substUuiren  unlernalim«  Und  Locke  hai  wenigstens  dadurch 
l)eigeiragm9  in  einem  Baco's  nidit  unwürdigen  Gleiste, 
die  Philosophie  von  der  Einen  Seite .  einer  naturgemassen 
und  wahrhaft  spekulativen  Ansicht  zu  nähern,  indem  er 
den  Hauptsalz  zu  Grunde  legt,  dass  alles  Erkennen ,  auch 
das  höchste,  sich  aus  dem  Gegebenen  des  unmittelba- 
ren Bewusstseins  entwickle.  Nur  hat  er  dabei  den  Begriff 
und  die  Bedeutung  dieses  Satzes  verkannt,  indem  er  über- 
all Erzeugung  mit  Entwicklung,  Hervorbringen 
mit  zum  Bewusstsein  bringen  verwechselt,  und  nach 
einem  Irrthume ,  den  die  spate  Folgezeit  mit  ihm  gctheilt 
hat,  das  Ursprüngliche  nur  in  der  Form  der  Unmit- 
telbarkeit kennt. 

Denn  das  ist  ebeh  das  scheinbar  Einfache,  und  zugleich 
die  seltsam  täuschende  Evidenz  dieser  Lehre,  dass  sie  be- 
wusstlos  den  eigenen  verborgenen  Reichthum  des  Geistes 
benutzt,  um  diesen  dennoch  wiederum  erst  aus  dem  Ein- 
fachen der  äusseren  Sensationen  herzuleiten.  Was  zu- 
erst in  ihnen  erscheint,  soll  zuletzt  aus  ihnen  erst  her- 
geleitet sein:  und  eben  der  Mangel  dieser  Unterscheidung 
macht  das  Falsche  und  Unzureichende  dieser  Lehre  aus.  Aber 
desshalb  ist  sie  gerade  Köpfen  von  historisch  -  pragmati- 
scher Tendenz  vollkommen  genügend  und  unübcrtreffbar 
einleuchtend,  weil  sie  ihnen  den  Ursprung  aller  Begrifle 
auf  historische  Weise  begreiflich  zu  machen  scheint; 
es  wird  darum  bei  einer  gewissen  Klasse  der  Wissenschaft- 
lichen diese  Ansicht  nie  verschwinden,  weil  sie  nur  der 
vollkommene  Ausdruck  ihrer  ^eigenen  Geistesrichtung  ist. 
Sie  selbst  aber  lässt  sich  durch  die  blosse  Hervorhebung 
ihres  Gegensatzes,  durch  das  Geltendmachen  des  Moments 
der  Allgemeinheit  i  m  Einzelnen  und  Besonderen  sogleich 
über  sich  erheben  und  berichtigen,  indem  nur  eine  ursprüng- 
lich geringe  Verabsänmung  der  ersten  wissenschaftliclien 
Reflexion  ihr  das  Dasein  gegeben  hat.     So  wäre  sie  in 


62  Lodcc  und  Leifcnrtt. 

ihrem  Ürspnmgc  fa^  den  bcindh  unwillkährlichcn  morali. 
sehen  Vergehungett  2u  vei*gfleichcn,  die  wir  nachher  durch 
Ihre  Konsequenz  titid  ihre  Folgen  im  Leben  oft  die  schlimm- 
sten Wirkungen  herbeiRihren  sehen;  und  auch  in  der  Spe- 
kulation scheint  die  leichteste  Veratisdumung  im  weitem 
Verlatire  das  gtösste  philosophische  Unrecht  erzengen  zu 
leönnen;  wie  es  auch  in  ihr  vererbte  Vebel  und  gemeinsame 
trrthümor  gtebt,  welche  niH*  allmfihlieb,  {n  immer  reifer 
werdender  Krisis  ausgeschieden  und  währhail  geheilt  zti 
werden  vermögfen. 


DL    Cteovg^e  Berikelejr, 


Wiewohl  der  ganze  Standpunkt  L  o  c  k  e*  s  in  der  um^ 
fassenden  Vemnnflansicht  Leibnitzena  von  selbst  als 
einseitig  und  mangelhaft  erkannt  wurde;  so  musste  doch 
die  spekulative  Frage,  welche  Locke  in  Anregung  gebracht 
hatte,  atidi  iur  sieh  und  in  ihrer  Beschlossenheit  wettet 
yerhandelt  werden.  Es  war  geltend  gemacht  worden,  dass 
CS  einer  wissenschaitlicheit  Theoriedes  Bewusst«- 
seins  bedQrfe,  umüberhanpt  über  die  Möglichkeit  de6 
spekulativen  Erkenhens  zu  entscheiden:  «ine  solche  war 
darch  Locke  versucht  worden,  wodurch  eine  Ftage  an- 
geregt wurde,  die  in  weiterem  Yeriaure  nun  bis  zu  dem 
Punkte  durchgeflihrt  werden  musste ,  wo  die  Theorie  des 
Bewusstseins,  über  ihr  eigentliches  Ziel  entschieden,  ent- 
weder wirklich  dazu  öbergeht,  metaphysisches  Er- 
kennen zu  sein,  —  Metaphysik  aus  sich  zu  erzeugen, — 
oder  wo  im  Gegentheile  die  Unmöglichkeit  einer  solchen 
sich  gefimden,  und  die  Theorie  zudem  unmittelbaren 
rnid  erfahrungsmassigen  Wissen,  als  dem  einzig 
möglichen,  zurüdikehil. 

Und  in  der  That  sehen  wir  diese  Entwicklung  von 
Locke  aus,  wenn  auch  nicht  vollendet,  doch  fortgesetzt 
dilreh  die  nicbsten  philosophischen  Leistungen  bis  auf 
Kant;   indem  gerade   die  dort   nicht  gehörig  erörterten 


64  George  Berkeley. 

Punkte  hier  ausschliesslich  zur  Spradie  kam«.  —  In 
Lockens  Theorie  bleibt  es,  wie  so  lange  noch  später, 
eine  nicht  zu  bezweifelnde  Voraussetzung,  dass  die  Seele 
„afficirt^^  werde  von  den  Aussendingen  vermittelst  der 
Sinne ;  sodann ,  dass  die  dadurch  entstandenen  Sensationen 
treue  Nachbilder  seien  des  Wesens  und  der  Eigen*- 
schaden  jener  gegenstandlichen  Welt;  ein  Satz,  der  nur 
die  unmittelbare  Folge  des  ersten  enthält.  Es  fiel  dabei 
jener  Theorie  nichjt  ein,  diese  Voraussetzung  näher  zu  er- 
örtern oder  tiefer  zu  begründen,  ja  nicht  einmal  sie  als 
blosse  Voraussetzung  —  demnach  als  Unbewiesenes 
—  anzuerkennen. 

Zunäclist  konnte  daher  von  diesem  Standpunkte  aus 
nur  weiter  zurückgegangen  werden,  um,  die  Locke'sche 
Theorie,  Uefer  unterbauend,  jenes  vorausgesetzte  Verhält- 
nisszwischen  Bewusstsein  und  Gegenständlichem 
näher  zu  uniersuchen.  Dort  bestimmen  die  Gegenstänüe 
das  Be^vusstseln ;  dicss  ist  passiv  ihnen  hingegeben ,  nur 
der  Spiegel  der  Aussonwelt,  Wurde  nun  durch  die  näch- 
sten Untersuchungen  diese  Ansicht  als  ungenügend ,  ja 
widersprechend  nachgewiesen;  so  musste  das  Verhält- 
niss  zwischen  Bewusstsein  und  Objektivität  zunäclist  den 
umgekehrten  Ausdruck  gewinnen :  das  Bewusstsein, 
absdut  selbstständig,  setzt  durch  sich  selbst  die  äus- 
sere Objektivität ;  —  der  i  d  e  a  1  i  s  t  i  s  c  h  c  Moment ;  — 
weldics  VerhäUniss  dann  wieder  seinen  Uebei^ng  in 
das  negative  Resultat  findet,  dass  eben  dcss^'e^en  das 
Bewusstsein,  aller  eigentlichen  Objektivität  crmangelnd, 
in  seinen  subjektiven  Vorstellungen,  seinem  S i  c h  i ns  i  c  h- 
selbstvorstellen  abgeschlossen  ist;  —  der  skepti- 
sche Moment.  Und  was  wir  eben  in  allgemeiner  Noth- 
wcndigkeit  nachwiesen ,  bewährt  sich  unmiltelbar  als  die 
weitere  historische  Entwicklung:  in  Berkeley  und  II u- 
nie  sind  die  beiden  angegebenen  Momente  wirklich  dar- 
gestelll,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  Berkeiey's  me- 
taphysisch-religiöser Tiefsinn  zum  Thcil  schon  seinen  sub- 
jektiven Standpunkt  durchbrach ,  und  alle  Elemente  einer 


Berkeley.  05 

nmbsseiidepi  Vernvaihmsiolil  wenif  stens  ab  vorgebildete 
in  ihm  liefen. 

Zunidut  also  galt  es  der  Frage,  was  jene  Voratia« 
Setzung  eigaitUeh  bedeute ,  die  S^ele  werde  von  Aus- 
sen afficirt;  femer  was  die  sogenannten  Aussendtnge 
seien,  deren  Nachbilder  durdi  jene  Affektionen  in  die  Seele 
gelangen  soften?  Diess  war  der  Gesichtspunkt,  aus  wel- 
chem George  Berkeley  zunächst  die  eigene  Theorie 
entwickelte.  Unstreitig  ist  es  schon  vom  höchsten  Gewinne 
für  die  ganze  folgende  Untersuchung,  richtig  und  scharf 
die  Frage  zu  stellen ,  auf  die  es  ankommt.  Hier  geschah 
es:  er  begann  mit  der  Untersuchung,  welche  die  Philoso- 
phie zur  eigentlich  ersten  machen  muss^  was  wirklich  ge- 
geben sei,  was  die  ersten  unmittelbaren  Ele- 
mente des  BewuBstseins  seien?  Und  die  schärfete 
Analyse  dieses  Gegebenen  sollte  sie  beantworten ,  genau 
sichtend  das  eigentlich  Gegebene  von  dem ,  was  un- 
geprüftes Unheil,  falsche  Schlüsse,  kurz  die  Meinung  — 
als  das  philosophisch  zu  Berichtigende  —  etwa  da- 
zmnischen.  —  Wie  paradox  also  auch  das  Resultat  gegen 
die  gewAnliche  Meinung  angehe ;  nie  kann  es  der  That- 
5ache  selbst ,  dem  „  Natürlichen  ^  widersprechen  ,  so  fem 
diess  nur  sicher  und  scharf  aufgefasst  worden,  sondern  nur 
dem ,  wo  die  Thatsachen  aufhören ,  und  die  Schlüsse  be- 
ginnen ,  die  es  sich  gefallen  lassen  müssen ,  berichtigt  zu 
werden,  wie  allgemein  auch  sonst  die  Uebcrzeugung  von 
ihrer  Bindigkeit  sein  möge :  dem  Gegebenen  aber  kann 
schlechthin  nidit  widersprochen  werden ,  weil  es  ja  eben 
Gegenstand  der  philosophischen  Betrachtung ,  das  zu  Er- 
kürende ist. 

Sollte  hier  daher  das  Resultat  ein  idealistisches 
sein,  so  wird  damit  wahrhaft  nicht  dem  Gegebenen  wider- 
^rochen,  sondern  nur  andern  philosophischen  Ansichten 
über  dasselbe:  lediglich  gegen  diese  ist  es  gerichtet,  kei- 
nesweges  gegen  das  unmittelbare  Bewusstsein  (den  Gemein- 
simi) ,  der  an  sich  ganz  unphilosophisch,  also  weder  idea- 
listisch noch  realistisch,    zur  Philosophie  Oberhaupt  nur 

5 


66  BoHGidey. 

dis  Veriiftltiiiss  hafam  kam,  Tön  ihr  voibifilidif  erklärt 
zu  werden;  und  insofern  diess  nur  der Idealismiu ,  nicbl 
der  Realismus  vemöckte,  spricht  das  TbataäcUiahe  selbst 
iur.  die  idealistisofae  Ansiokt  Dieser  Gesiehtspankt ,  d«r 
eine  Menge  verworrener  Einwesthnigra  f^gM  4en  ideidis- 
mus  mit  di^r  Wurzel  abschneide  isi  auch  M  Beurtheilung 
Berkeley's  nie  tn  yergessen,  der  nocli  attwei^Mn  das 
Schicksal  gehabt  hat,  von  den  Geschicktwchrmbevn  der 
Philojophie  entweder  gar  nicht  beachtet,  oder  in  der  Uauptsa^ 
che  seiner  Ansieht  fast  allgemein  missverstanden  an  werden.*) 
Die  Aufgabe  übrigens,  die  cina^bien  Tkat^achen  selbst 
fiir  die  idealistlaefae  Erklärungsweise  eu  benutzen,  und  zu 
zeigeii,  tu  welche  Widerspruche,  und  Ungereimtheiten  die 
gewöhnliche  L  o  c  k  i  s  c  b-realistische  Ansicht  sich  verwickle, 
hat  Berkeley  besonders  in  seinen  kleinem  philosopbi-* 
sehen  Schriften  (den  Geqirächen  zwischen  Hylas  und 
Philonotts,  dein  Aleiphron,  und  der  höchst  bedeu- 
tenden Abhandlung  über  die  Theorie  des  Sehens)  be- 
handelt ,  die  daher  in  diesem  Sinne  gewissennaassen  po- 
pulär genannt  werden  kennen,  wihrend  er  jn  seinem  Haupt- 
werke: treatise  conc^ming  Ute  principies  ef .  biunaii  know- 
tegde,  welchem  wir  an  dieser  Stelle  folgen»  s,euie  Ansicht 
nach  ihren  spekulativen  Gründen  und  in  ihrer  gi^netisdien 
Bntwicklung  dargestellt  hei.  **) 


*)  Diess  gilt  auch  insofern  von  der  Hegeischen  AuiTassung 
Berkeley*»  (Geschichte  der  Philos.  III.  S.  488-93),  als 
sie  ia  rhnpsodisdier  und  irDvollstiindiger  Darlegung  seiner 
Sätze,  deo-  Idealismus  d«8«eU»eii  auch  mir ,  wie  gefwöbnUcb, 
als  einen  empirisch  subjektiven  betrachtet,  ohne  die  Keime 
<les  b5flieni  und  wahrhalt  apektilatii^en-  Idealismaa  wahneoeh- 
men,  wonach  Berkeley'  aUes  Wirkliche  oU  vorsteUendeft 
geistiger  Natur  bezeichnet,  wodurch  demnach  der  Grund,  wie 
das  Wirkliche  ein  Gewusstes  zu  werden  vermöge,  nach  ihm  nicht 
in  den  sinnlichen  Dingeu ,  sondern  in  ihrei*  ursprunglichen 
Geiltigkeit,  Vorstellbarkeit  gefunden  wirtl.  Anmerk.  zur 
ftweitea  A<^sg. 
.f*)  Wir  cttlrea  nach  der  Aufgabe:  London  1774«  a,  welcher  wi- 


twiMtey.  6J 


Was  »bo  Ist  gegeben  dem  uBmitlelbanm  Wwiint« 
sein?  Offenbar  nur  ein  Vieles  von  nach  Inkalt  und 
Grad  dnrclfavg  •  be-stlmmlen  Vorstellungen, 
«nter  denen  ind^»  der  .dnrcbgreifeiide  Uatersohied  obivai«- 
tet ,  dass  die  JSeele  getwkser  VorsteUungeR  als  i  n  n  e  r  1 1^ 
cker  sich  bewussl  ist,  gewisse  andere  aber  als  ansse'f 
ihr  vorliaiideB  aallasst,  «-«  nidil  aber^  nach  der  gewohnlv* 
eben  Yerweehshmg ,  desshalb  als  voa  Aussen  bewirkl^ 
denn  die  ^Anssemrelt«  selbsl  ist  vorerst  ans  nichts  weiüer^ 
als  die  S«maie  der  Hassern  Vorstellungen  dos 
Bewosslseiiis.  -^  Dar  Gegeasatx  aber  zivischen  dea  innera 
nnd  aassera  Vorstettangen  ist  ein  schlechthin  darohgrei«' 
feader:  iai  gesoaden  Zastänite  verwechselt  die  Seele  «Kesa 
beiden  Arten  van  Vorstelhmgen  nie  miteinander,  oder  steht 


derlcfead«  AuBerLuiig«!!  belg^lugt  tintl,  eine  Gestalt,  wie  die 
Schrifiten    Berkelejr's    aiicli   zuerst   auf   deutschem    Bodeo 
erscbieaen,  in  Eschenbach's   „Sammlung  der  Tornehmsten 
Schriftsteller ,    die  die   Wir  kl  ichkei\   ihres  eigenen 
Rurpers    nnd   der    gariten  Körper  w  el  t  lä  ngflen*' 
(Rostock  t756.),  worin  Berle4ey*s  idealistiaclie  ^espfaebe^, 
^lalt  widerlegenden  Anai«rknsgen<*  Tersehen,  zii  .finden  sindi 
Aassefdeai    sind,  dietelhen   noch  übersetzt   in    B'O.rkelej's 
philosophischen  Werken  Th  1.  l^pi.178^',  wovon  nof 
der  erste  Band  erschienen  ist.     Tennemann  in  seiner  Ge- 
schichte der   Philosophie  scheint  nur    jene    Gespräche    seiner 
Darstellung  zu  Grunde  gelegt  zu  haben  ,    die    mehr   aus  dem 
partikulären  Zwecke  geschrieben  sind,  die  entgegensetzte 
seasnaltstisehe  Ansicht  zn  widerlegen  und  zu  zeMtore«,  als  die 
eigene  s»  begruniien,   zu  welcher  die   Scbrilt;  eigentlich  nur 
Indirekt  hioleiten  soiL     Daher   denn  auch  die  d&f£^ge  D«^ 
Stellung  jener  Philosophie  bei  TennemAnn,  und  sein  eiger 
nes  ungenijgendes  Urtbeil  über  dieselbe,  indem  er  di<;  ganze 
Verwirrung  Berkeley's  besonders  daraus  herleitet,  dass  er 
nicht  zwischen  dem  Dinge  an  sich,  insofern  es  ist,  und  in- 
sofern es  erscheint,  gehörig  anterschieden,  und  dabei  das 

w 

TerhältnSss  Ton  Sinnlichkeit  und  Verstand  nicht  riehti|  ge* 
lasst  h^be.  (Geschichte  der  Philosophie  Th.  XE 
S.  410,  415.) 


y 


6B  B^iGrie;. 

S^NFeifelfid  an ,  xu  weichem  Gebiete  die  eiae  oder  die  an- 
dere XU  zahlen  sei« 

Die  SS  ist  dem  unmittelbaren  Bewusstsein  gegeben, 
und  mehr  sohiechthia  nicht.  AUeis,  das  darüber  hinausliegti 
isi  demnadh  schon  Reflexion,  Schluss ,  Erhebung  über  den 
6tan<^Nuikt  dieses  Gegebenen ,  und  llUt  als  solches  noth-* 
wendig  philosophischer  Prüfung  und  Berichtigung  anbeim, 
Am :  allerwenigsten  liegt  aber  in  der  Thatsache  des  Bewusst- 
«eins . als  solcher,  dass  die  sinnlichen  Sensationen  Abbil- 
der, der  Aussendiage  seien  t  vielmehr  sind  ja,  was  man 
sonst  Dinge  nennt,  lediglich  bestimmte  Complexio- 
nan  mannichfaltiger  Sinnenempfindungen. 
Dieser  Genicb)  dieser  Geschmack,  diese  Gestall  und  Farbe, 
diete  GonsifleiuB,  in  unmittelbarer  Vereinigung 
empfunden,  nennen  wir  ein  „Ding,^  wie  einen  Apfel;  und 
was  dieser  noch  ausserdem  iur  uns  sein  könnte ,  ist 
Weder  anzugeben ,  noch  auch  nur  zu  denken.  Dass  wir 
diese  mannichfachen  Sinnencomplexionen  „Dinge^ 
nennen,  ist  wahr ,  aber  diess  liegt  nicht  an  sich  in  der 
Siniipncomplexion  als  solcher.  Ding  und  Dinge  unmittel- 
bar.empfunden  werden  zu  lassen,  wSre  viebnehr  nichts 
Geringeres,  als  ein  philosophischer  Widerspruch :  jenes  ist 
ein  Begriff,  ein  Allgemeines,  was  wir  der  Gesammtheit 
des  sinnlich  Empfundenen  unterlegen,  also  das  absolut  Un- 
sinnliche, was  eben  damit  jenseits  der  unmittelbaren  That;- 
sache  fällt 

So  ist  vielmehr ,  was  wir  »Ding^  in  der  Sphäre  des 
Srnnlichen  nennen,  nur  eine  Verbindung  sinnlicher 
Vorstellungen  zur  Einheit  Woher  aber  das  Bindende, 
woher  die  Einheit?  Die  Frage  scheint  sich  von  selbst 
zu  beantworten :  das  Band ,  die  Einheit  von  Vorstellungen 
kann  nur  im  Vorstellenden  selbst  liegen ;  sie  in  einem 
dem  Geiste  und  dem  Vorstellen  entgegengesetzten  Aus- 
sendinge, zu  suchen,  wäre  eine  Behauptung  doppelt  ohne 
Sinn,  indem  es  erstens  an  sich  schon  widersprechend  wäre, 
das  Ding  (als  dicf  Nichtyorstellung)  zum  Grunde  einer  Man- 
nichfaltsgkeit  verbundener  Vorstellungen   im  Bewusst- 


Berkeley.  09 

sein  rä  macheii;  sodann  indem  das  ^Ausscnding*  selbsl 
nnr  in  und  für  das  vorstellende  Bcwusstseiri  cxistirt,  die 
ganze  venneintiicbe  Erklähing  also  sich  selbst  aufhebt.  — 
Der  Geist  ist  es  daher,  in  dem  die  sinnlichen 
Compl  exionen  sind:  ein  Satz,  der  öbt^ens  nur^ino 
vorMi^ge  Unterscheidung  diesei^  Theorie  von  der  ^wdhn-' 
Kchen  Ansicht  endialten  soll,  und  der  erst  ini  weitem  Yer-i 
bure  seine  nibere  Bestimmong'  enthalten  kam.  .  i 

Das  Sein  der  Aussenwelt  bedeutet  dahet,  wenn  wir 
den  Sinn  des  Ansdmcks  genau  erwfigen,  nur  ihr  Y  o  r  g  e-* 
stelltwerden;  ihr  Esse  ist  lediglich  ihr  Perapi  (§.  4« 
S.  76.);  vnd  nodi  ein  anderes  Sein  oder  irgend  ein Sub^ 
strat  objektiv  9ir  zu  Grunde  zu  legen  ($.  17.  &  860i 
wire  der  offenbarste  Mangel  an  der  nächsten  und  feiohte^ 
sten  Reflexion,  da  auch  dieses  Sein  eben  nnr,  so  wie  da-» 
von  geredet  wird,  in  und  für  Bewusstsein,  d.  h.  eine 
Vorstellung  sein  könnte,  welcher  Zirkel,  wiewohl  Wie«« 
deiholbar  in*s  Unendliche,  uns  hier  doch  der  Erklärung  um 
keinen  Schritt  niher  bringt  Zudem  wird  durch  eine  sol-* 
che  Behauptung  eigendich  die  Gr§nze  der  Thatsadien  Aber, 
schritten,  und  die  Sphäre  des  philosophischen  Bewei- 
ses beginnt :  wir  haben  daher^  nach  dem  Rechte  jener  Kn^ 
nähme  und  nach  den  Gründen  derselben  zu  fragen ,  die 
nur  philosophische  sein  können ,  also  auch  philosophischer 
Prüfung  unterliegen  ($.  7.  8.  &  78  IT.). 


Die08  sind,  mancherlei  Nebenerlautcmngen  abgerecht 
nel,  die  ersten  Grunde,  aus  denen  Berkeley  seinen 
Idealtsmas  entwickelte:  in  grosserer  Zusammendrängung 
mid  in  möglichster  Schärfe  hier  dargestellt  ^  werden  sie 
vielMcbt  klarer  hervortreten,  als  beim  Autor  selbst,  wo  die 
Maimichfftliigkeit  d^r  Erönemngen  den  eigentlichen  Kern 
des  Beweiaes  einigermaassen  aus  den  Augen  rückt.  Er 
gründet  sich  auf  die  Frage,  woher  die  Einheit  der  sinn- 
Keben  Vorstdlungen  stamme,  die  Veii^nnden  das  ausma- 
ckoi, .  waff  die  gewöhnliche  Ansicht  das  Sinncnding  neanIL'; 


70^  Bcftelcy, 

^  oder >rHS  der  G  r  u  n  d  detf^elbsn  bei?  ChrOndlich  scheüil 
uns  Berkeley  gezeigt  kq  haben ^  dässr  dieser  nicki  in 
irgend  einem  ^materietlen^  (d.  h.  dem  Vorsidlendien ,  wie 
dem  Vorgestellten  ^oliiec&thin  entgcg^ngeseltifen)  Substmle 
n.  dgL  gesocht  ivcrden  könne;  er  fcat  vorläufig  h{n2SQge- 
set2t,  dass'jene  Einheit  daher  nur  im  Vorstellenden  — 
im  Geiste  selbst  anzmiehmen  sei*  Hiermit  bat  er  jedoch 
eine  Verwimmg  der  Begriffe,  vrena  aach*  nieiil  denflieh  sich 
20  Schulden  kointncn  lassen,  doch' wenigstens  nidit  bestiaiml 
genug  abgewiesen ,  die  dem  rechten  VerstAndnisse*  seiner 
Lehre  Eintrag  zu  thun  drolit,  und  die  :daher  hier  näier 
zd  bezeichnen  ist,  zumal  da  sie  auch  sonst  in  den  Kämpfen 
zwischen  Idealisnnis  und  Realismus  den  Tunkt  bezeichnet, 
an  dem'  der  gewöhnliche,  nur  subjektive  Idealismus  als  un- 
genügend* sich  erweist. 

Das '  Sinnending  ist  nach  philosophischer  Bedeutung 
nichts  Anderes,'  als  eine  Mannicbfaltigkeit  sinnlicher  Vorstel- 
hingen,  auf  ein  Ganzes  bezogen,  und  in  Einheit  zusammen- 
gefasst  —  Einheit  von  Vorstellungen  kann  abernnr 
in  das  Vorstellende  selbst  gesetzt  werden ;  sie  ist  im  Gei- 
ste ,  Hier  ja  überhaupt  alle  Vorstellungen  auf  sich  bezieht, 
mid  in  sich  vereinigt.     So  im  Wesentlichen  Berkeley! 

Jene  Einheit  des  Geistes  ist  zunächst  aber  nur  die 
rein  fonnaie,  die  da  alle  Vorstellungen  insgesammt 
auf  das  Allgemeine  des  Bewusstseihs  bezieht,  und  sie  nach 
dem  Zugleich  oder  Nacheinander  des  subjektiven 
Vorstellens  verbindet;  ich  nehme  z.  B.  an  der  sinnli- 
•ciien  Gomplexion ,  die  ich  Apfel  nenne ,  diess  mit  diesem 
zug^leich  (in  Einem  Bewusstsein)  wtfhr:  nicht  aber  ist 
es  die  innerliche,  objditive  Einheit,  die  da  die  innem 
Bigenschaften  des  „Dinges^*  —  welche  in  Bezug  auf  das 
Bewusstdein  als  Si'nneilempfihdungeri  sich darslenen, 
—  wesentlich  vereinigt,  und  es  fSr  dasBewussIsein  zu 
solchen  Dingen  macht  Diese  kann  das  Bewusstsein 
nicht  hinztiSgen  den  vereinzelten  Sinnenempfindungen,  inn 
daraus  die  Totalität  des  Vorgestelllen  zu  erzeugen, 
weil  die  sinnlichen  Cotnplexionen,  in  denen  dasselbe  Jbing« 


Berkelify.  71 

vor  denk  Btm^Msmn  encheinl,  dorchans  wechaeln'dlf. 

Ja  ttttendlich  mlEtnüichfache  sind.     Indem  ich  dto 

Fmcbl  seke^:  nidit  aber,  taste  ödersclmieckc,  habe  ich  erat 

»Miere  aioniiGhe  Gon|ileuon  Deacelblgen,  als  wenn  leMera 

Brtipfindtiiigeii  noch  hiiuoikDiDmea ;  dort  und  hier  bietet  es 

also  mir  luadere  md  wiedte. andere  Einheiten  dar,  und 

dnno4^  ist  stets  dieiselbe.  Vorstellb^rkeit  stnnlidber 

Eigetkädudieu  ioiibm  vorhanden*:  ich  weiss  oder  kann  är-^ 

Miren,  wie  iseine  iuUbare  Oiverfladie  nnd  sein  Geschiqack 

Ist  ;  ja  der  Natuifonicher  durch  ^  mikroskopische  Unteraii*- 

cbmig;  dar  CSiemikttr  durdi  Experiment  .wird  neue,  geWöhn-» 

iick  AiGÜt  torgastellte  Eigeosohanua ,  also  auch  neue  Cbm'*^ 

plexioffien  an  ihin  eatdeic&en,  und  so  Tortgesetzte  Beobach«* 

tHDg  in*s  Vnbfediiigte»     £m  jedes  ^innending^  ist  daher 

vieknehr  HaeBdliohe  Vorstellbarkeit,  währenddie 

bestiniBite  Complexion  (Einheit),  in  .der  es  gerade  von  mir 

gewasst  wirdy  nur'  meine  zufällige  Auf  Fassung  des* 

sdUien  iat.  indesi  nnn-  diese  Complexionen  dersdbigen  Ein^ 

h^tdem  Bewussfseia  immer  neu  und  immer  anders  gegUbea 

werden,  ist  diese  inkiere  Einheit,  oder  vielmehr  ihr  Grund 

srhieohthlnunabhiQgigvomBQWiisstsein  vorauszusets&en.   So 

»lussea  winsdieiden  die  formale,  subjektive  Einheit 

des  Bewusstoems  (wodurch  ich  in  der  Vorstellung  dieses 

KörpOTB  di6.:£ai|)findu»gea  dieser  Farbe,  dieses   Geruchs 

and  Geaehmacks  unmittelbar  vereinige)  vonderinnem^ 

okj aktive n>,  .die  denselben  dem Bewusstsein  als  einesoU 

ehe   Vorstelibarkeit   darbietet      Berkeley  schein! 

beide  hier  verwechselt  zu  haben  ,  und  der  subj  e  kti  ve 

Idealismus,  beiafat  Uoss  aaf.  dieser  Verwechslung.    Und  so 

haue  jener  von  seinem  Standpunkte  aus  vorerst  hier  nur 

scUtesaan  kennen,  dass  ein  Unbekanntes,  aber  wahr** 

baft  0b|6ktives,  dem  VoigQstellten  zu  Grunde  liege,  welches 

aar  iai  Vorstellen  mit  £esen  sinnlichen  Bestimmungen • 

erscheiBt,  dessen  Wesen  jedoch,  als  das  schlechthin  Vor- 

steUbare ,  in  das  vorstefieade  Subjekt  Eingehende ,  an  sich 

nicht  ihm  entgegengesetzt,  „materieller^  Natur  sein  kann.  — 

Desto  entsehiedeaer  Init  aber  Berkeley  von  der  andern 


72  Berkdey. 

Seite  jener  venverreneii  Lekre  von  den  Abbüdeni^  welche 
die  Aussendinge  den  Sinnen  und  dadurch  der  Seele  tob  sieh 
einprigen,  ein  Ende  gemacht;  unddiessist  ak 4er nächste 
Gewinn  seiner  idealistisciieR  Beweise  anauseh^i.  ^—  Jene 
Lehre  aber^   die  die  Sinnenvorsteliung  ohne  Weiteres  iur 
die  Sache  selbst  nioiml,  und  deren  bestandiges  (Jrtheil 
lautet:  diess  ist,  weil  und  wie  ich*s  empßnde :  .--  jene 
Lehre  ist  nicht  e^entlich  Realisnms  od^ philosophischer 
Empirismus  zu  nennen ;  denn  Philosqihisches  ist  Nicht»  an 
ihm.  Vielmehr  ist  S  e  n  s  u  a  1  i  s  mus  für  sie  die  einzig  rich- 
tige Bezeichnung:  sie  halt  sich  auf  dem  niedersten  Stand* 
punkte  des  unmittelbaren  Be^vusstseios;    sie  ist  Ausdruck 
des  Gegebenen,  über  das  |>hilosophiii  inerden  soll, 
so  lange  es  nicht  über  seine  UnnuittelbariBatt ,  ab  das  zu 
eiUarende   Problem,   zu  dem  Denken*  ihres  ^Grundes  sich 
erhoben  hat.     Realismus   dagegen  ist  Element  jeder 
wahrhaft  spekulativen  Philosophie,  und  dem  Uealisnuis  -gar 
nicht  entgegenzusetzen,  wie  z.  B.  der   Leibnitz'sche 
Idealismus  eben  so  unmittelbar  realistisch  ist ;  und  auch  in 
der  Berkeley'schea  Theorie  wird  ihr  realistisches  Ete- 
ment  von  uns  noch  nachgewiesen  werden.    —  .Was  aber 
femer  jene  Lehre  von  den  Impressionen  anbetritTt ,  so  wi* 
derspricht  es  jeder  gesunden  Natvansicht,    auch  nur  ein 
Lebendiges  in  irgend  einer  Veränderung,  die  mil  ihm'  vor- 
geht^ als  b  1 0  s  s  leidend  zu  setzen,  wie  sogar  hier  den  Geist, 
der  Impressionen  empfangen  soll.    Schon  nach  diesen  all- 
gemeinsten Begriffen  uiuss  daher  die  Sinnenvorstellung  an^ 
gesehen  werden  als  das  Produkt , aus  der  Wirkung  des 
Aussendings  und  der  Gegenwirkong  des  Shmes,  wodurch 
dieselbe,  auch  nach  dem  Ausspruche  der  formalsten  Be^ 
flexion ,   nicht  mehr  als  niacktes  Abbild  des  wirkenden 
Aussendinges  angesehen  werden  kann;  was  bereits  die'Ü-« 
teste  Philosophie  in  ihrem  naiven  Lakonismus  durch  den 
Spruch  bezeichnete :  der  Honig  sei  eben  so  bitter  als  süss, 
d.  h*  beide  Vorstellungen  seien  in  Bezug  aufsein  Ans  ich 
gleich  unbezeichnend:  kein  Ansich  könne  überhaupt  in 
den  blossen  Sinneoempfindungen  ausgedruckt  sein« 


BHleley.  73 


Dock,  indem  wir  eriiHteni  und  bericlU^ifeB,  sei 
in  Erinnennig  gebraeiifc ,  daM  mil  Vorstehendem  das 
CIrandEteruitisdie  von  Berlceley*s  Idealisniui  nodi  niclit 
endtöpfead  dakrgeatellt  sei,  das»  vielmelir,  was  wir  so  eben 
gegen  ilin  zn  erinnern  schienen,  in  Wahrheil  fikr  ihn  ge-* 
Beliehen  sei ;  denn  ¥ras  er  im  ersten  Einschritt  flbereilend 
sieh  verbaute ,  hat  er  auf  enem  andern  We^  wieder  in 
den  Umkreis  seiner  Untersuchung  zu  ziehen  gewusst.  -r 
Ist  nimlieh  die  gewöhnliche  Yorstelhaig  von  Abbüdem  der 
Aasseadinge  in  der  Seele  fitr  inuner  abgewiesen :  so  bleibt 
doch  die  andere  Frage  übrig,  was  denn  das  Bewusstsein 
zu  jener  Voralellung  einer  Aussenwelt  Oberhaupt  ndlhigt» 
ja  was  dieseHMs  auch  abgewiesen  und  durch  PhilosoiAie 
widerlegt,  doeh  immer  wie  unwiliköhrBdi  uns  auMrilngt? 

Der  CSeist  ist  in  seinem  äussern  Vorstellen  zugleich 
seines  Gebundenseins,  seines  Leidens  dabei  sich 
bewusst:  von  aHen  Seiten  dringt  eine  Fluth  mannichflicher 
Sensationen  auf  ihn  ein,  deren  Kraß  und  Eindringlichkeit 
er  sich  nicht  entziehen  kann ,  —  werde  sie  nun  als  eine 
Summe  von  Vorstelhingen  oder  eine  Vielheit  von  Dingen 
gefasst,  —  die  ihn  seinem  reinen  Insichsein  zu  entaie^ 
hen  und  aber  ihre  Mannichfaltig^eit  hinweg  zu  zerstreuen 
sucht.  Zugleich  entwickelt  sich  aber  an  diesem  Kampfe 
gegen  die  Aussenwelt  der  Geist  zu  sieh  selbst ;  an  der 
Gegenwirkung  findet  er  sein  Inneres,  und  steht  nun  als 
Einer  und  in  sich  Bewusster  (als  Ich)  jener  Aeusseriich-* 
keit  abgesdilossen  gegenfkber;  so  dass  die  ganze  Entwick- 
hmg  des  Bewusstsdns  in  der  That  auf  jenem  Ursprünge 
liehen  Zwieqpalte  von  Aussen  und  Innen,  von  Bewusstsein 
der  Gebundenheit  und  der  Freiheit  beruht.  —  Und 
so  bildet  eben  diess  den  Gegensatz  zwischen  den  äussern 
und  inneni  Vorstellungen  :  j  e  n  e  sind  schiechtliin  vom  Be* 
wusstsein  der  Gebundenheit  begleitet,  sind  stMer,  lebhaf*. 
ter,  bestimmter:  in  diesen  schaut  der  Geist  sich  dagegen 
als  frei  bildender  an,  und  sie  sind  von  minderer  Intensität 
and  Bestimmdieit  (f.  99.  S.  96.).  —  Daher  kehrt  denn 
von  Neuem  die  Frage  zurück)  wetehes  der  Grund  dieser 


'/4  Berkeley. 

(ietmildldiiheil  des  Bemm^ilsevas  im  finnlidien  V«rstellei  sei : 
das^s  diese '  'Vorstellungen  Iinpressionen  der  Aussendiiifi 
seien,  ist  sch^m  ErkMrungf,  nicht  mehr  Thatsache,  und  ist 
von  der  philosophischen  PruftiRg  als  uMakthaft  bereifai  ab-* 
gewiesen  worden. 

-  '  Jener  Grund  ihüsste  zuvorderst  ausser  dem  Geiste 
gesucht  werden ,  d.  h.  —  um  den  Ausdruck  der  gan^m 
Schärfe  des  Begriffes  zu  nfihem  5  -^  Idierhaupt  ein  Yota 
ihm  Unabhängiges  sein ,  da  vielmehr  der  Geist  selbst 
Von  ihm  abhängig ,  bestimmbar  gedacht  werden  muas.  -^ 
Liessc  sich  hi^r  nun  der  Gedanke  des  ^Dinges<*  nicht  wie«- 
derum  einsehiobcn,  das,  ausser  dem  Geiste  und^Einfluss 
atif  denselbon  dfbend,  zwar  nicht  eig^tlich  in  ihih  sieh,  ab- 
bilde, wie  es  ist,  dennoch  die  sinnliche  Vorstdluag  veiw-- 
aache  oder  hervorbringe,  die.  demnach  immer  ihren  Zusam- 
inenhang  mit  dem  Dinge ,  wie .  ihre  innere  VerwandtsdMrfl 
mU  ihm  Terrathen  werde ,  woraus ,  wenn  auch  nicht  <iarch 
die  Sinne,  doch  durch  den  Verstand  Tielleicht  dessen  W  e-^ 
aen  erkannt  zu  werden  vermdohte?  (§.  18«  Sj  86.)  Der 
Versland  nämlich,  könnte  man  meinen,  habe  nur  abzuzie- 
hen, was  an  den  sinnlichen  Vorstellungen  Subjektives  wäre, 
fnn<  das  reine  Ding  zuletzt  übrig  zu  behalten;  ein  Geschäft 
der  Trenntmg,  das  vollständig  durchgesetzt,  endlich  auf  den 
Kan.ti sehen  Begriff  des  Dinges  an  sich  geführt  hat,  das 
U  dteaer  Lehro  nur  noch  als  leeres  Substrat  des  Vor- 
steliens,  als . Unerkanntes  und  Unerkennbares^  zurückbleibt. 
Aber  was  ids  Substrat  emer  Vorstellung  geda<:hl 
wird,  sagt  Berkeley,  kann  selbst  nicht  in  seinem  Wesen 
schlechthin  entgegengesetzt  (heterogen)  sein  der  Natur  des 
Vonstelleos,  wie  nach  jenem  Begriffe  das  Ding^  oder  gar 
die  m  a  t.e  r  i  e  1 1  c  n  Substanzen  allerdings  zu  denken  wären. 
Wie  durch  Farben  eben  nur  die  Veränderungen  des  Lichts, 
durch  KörpervorstelluDgen  nur  räumliche  Verhältnisse  über- 
Imipt  dargestellt  zu  werden  vermögen ,  nicht  aber  Töne, 
oder  rein  geistige  Beziehungen,  eben  so  wenig  kaw  die 
Vorstelhmg  innerlich,  heterogen,  unangemessen 
nein  demy  waa  sie  vorstellt^  in  welciiem  Falle  es  eben 


Beifcdey:  76 

nie  hl  vopgeslelll '%vttrde  9  vidmelur  «tMeeMhui'  llI^vil^^ 
stellbar  bliebe.  '   '  -     , 

Sind  wir  also  einen  Grund,  ein  Snbatrat  fiip  die 
sinnlichen  Vorsteilungeii  anzunehmen  genOthigt,  bo  ist  dies« 
selbst  vorstellender»  geistiger  Natur;  nndw^mi 
wir  gleick  von  hier;  aus  mit  einigen  Sehfittenr  In  den  cht- 
rakterislisGhen  Mittelpunkt  jener  Lehre  hineinaehreiten  wd« 
ien,  so  liegt  die  Konsequenx  nahe ,  dass  Geister  ehea 
die  einzig  fär  uns  existircnden  Substanzen, 
der  Grund  der  sinnlicben  Vorstdhtfigen  aber  im  abaolu- 
ien  Geiste  —  oder. Gott  -^  jfiu  suchen  s^i.  <S^08. 
$.  33^  34.>  —  Was  daran  ausser  der  ailgemeinen  Koas»-^ 
quens  noch  dunkel  sein  möchte,  wird  die  weitere  Eiilwick-' 
lung  aufhellen. 

Wenn  wir  daher  auch  mit  der  GegMpartei  hypothe« 
tisch  enne  Welt  materieller  Dinge  ausser  dem  jmn^ 
liehen  Vofstellea  amiehmen  wollten;  so  wäre  es  fir  dutf 
Bewusstsein  doch  sehfechthin  unmöglich,  üBer  ihr  Sein  oder 
Nichtsein  zu  entscheiden;  da  sie,  an-  sich  dem  Wesen  ddk 
Geistes^  entgegengesettt ,  in  keinem  Sinne '  f  ü  r  denselben 
vorhanden  sein  kann,  also,,  ihre  Existenz  angenommen  oder 
nicht y  ab  das  durchaus  Beziehungslose  zum  Geiste^ 
sein  sinnliches  Vorstelten  weder  erklaren  noch  modiflciren 
kmn:  pamit  löst  sich  aber  jene  Annähme  in  eine  leero 
Veraus^tzung  auf,  weil  der  Grund  zu  emer  solchen  'gam 
verschwundte  ist..  Indem  die  materiellen  Dinge  für  das 
Bewusstsein  sind ,  hören  me  eben  datnit  auf,  Materie ,  das 
dem  VorsteUen  Entgegengesetzte  zu  sein ;  sie  sind  Vor- 
stellung« Sind  sie  4ber  nicht  da  fiir  das  Bewusstsein ; 
so  kann  dasselbe  Von  ihnen  weder  wissen  noch  reden; 
sie  sind  das  reine  Nichts  för  dasselbe.  —  Untersuchen 
wir  jedoch  jenen  Begriff  der  Materie  selbst  tiefer,  ^o  fin^ 
det  sich,  dass  er  n6r  das  gemeinsanle  Sobstrat  mannich-^ 
facher  srnnlicher  Qualitäten,  der  Ausdehnung,  SoiiditJt, 
Schwere  u.  dj^  sei  --  die  ,  wenn  wir  sie  abziehen  von 
jen^m  Begriffe ,  durchaus  Nichts  an  ihm  übrig  hissen ,  ald 
dfen  leeren  Gedanken  dnes  Tragers' aller  jQner  QuaKtaleni 


76  Bertceley. 

dessen  Sein  Ar  sich   ttnd  vor  seinen  Bestimmungen  voll- 
ends  gur  keinen  Sinn  haben  würde.    Da  nun  Jene  sinnli- 
chen QnalMlen   bereits    als   blosse  Vorstellungen 
aufgewiesen  sind,   so    zeigt  sich  die  der  ^Materie^^  selbst 
tineh  nur  als  durch  und   durch  Vorstellung!  — 
Bie  Sache  ist  hier  auf  ihre  höchste   Spitze  gestellt:    die 
Annahme  einer  materiellen  Welt  hebt  sich  selbst  auf:  in- 
dem sie  angenommen  (gewusst)  wird,   kann  sie  eben 
iriHits  Materielles  sein.     Umgekehrt  ist  also  das  wahrhaft 
Svbslantiene  ausser  dem  (menschlichen)  Geiste  selbst  nicht- 
sinnlicher  (geistiger)  Natur.    (Berkeley  istreich 
an  Expositionen ,  um  diesen  Hauptpunkt  seiner  Lehre  von 
aüen  Seiten  ins  Licht  zu  setzen ;  vergt.  $.11.  S.  82.,  $.  20. 
25.  26.  S.  94.,  $.  34.  35.  S.  100  IT. ,  $.  56.  S.  118.  u.  s.  w.) 
Es  bleibt  daher  nur  der  Gedanke  geistiger  Substanzen 
übrig.   Das  eigentlich  Wirkliche,  Bestehende  ist  schlecht- 
hin nur  als  Ton  geistiger  Natur  zu   denken:  energisches 
Dasein,  Kraft,  Leben  ist  gleichbedeutend  mit  Geist;   Geist 
aber  ist  ein  einfaches,  untheilbares,  absolut  thätiges  We- 
sen; sofern  es  Ideen  wahrnimmt,  heisst  es  Verstand 
(eine  besondere  „Sinnlichkeit^^  ausser  dem  Verstände 
anzunehmen ,  verbietet  die  Konsequenz  der  Lehre) ;  sofern 
es  Ideen  producirt,  oder  in  Bezug  auf  sie  wirkt,  heisst 
es   Wille.      In   beiderlei  Rücksicht  ist  es  aber    thitig, 
nd  Ideen  oder  Vorstellungen  sind  eben,  wie   steh  ver-^ 
stellt,  die  Erzeugnisse  dieser  Thätigkeit:  dör  Geist  ist  nur 
als  schlechthin  vorstellend  zu  denken. 

Aber  da,  >vas  überhaupt  zum  Bewusstsein  kommen 
kann,  Ideen,  d.  h.  nur  Produkte  dieser  vorstellenden 
Kraft ,  ein  Passives  und  Unthätiges  sind ;  so  können  diese 
das  absolut  thfitige  Wesen  ihres  Principes,  des  Gei^ 
stes,  auf  eine  entsprechende  Weise  niclit  darstellen:  den 
Geist,  als  das  absolut  Thatige,  an  sich  zu  erkennen  ist 
eben  dessbalb  unmöglich,  weil  das  Element  der  Yorstel" 
king,  als  das  absolut  Producirte  und  Untbatige,  jenem 
nicht  gewachsen  ist.  Die  Natur  des  Geistes,  wie  der  Be- 
griff der  Kraft ,  also .  fiberiiaupt  daa  innerlich  SubstantieHd 


Berkeley.  77 

« 

des  Dttseifts  kam  nur  an  seinen  Wirkungen»^  4«  k  in« 
«daqoat,  erkannt  werden. 

Und  man  frage  sich  nvr,  ob  man  sich  eine  vollkomr 
mene  Idee  bilden  könne  von  Kraft,  oder  von  Suhl- 
st an  z,  oder  von  Geist  an  sich;  immer  wird  man  jen^ 
BOT  als  wirkende,  als  in  ihren  Eigenschaften  sich  dar- 
stellende, diesen  als  vorstellenden,  also  in  ihre  Produkle 
ergossen ,  nicht  in  ihrem  Sein  an  sich  zu  begreifen  veiiv 
mögen.  ($.  25—28.  3-  97  ff.).  So  ist  eben  darum  auch 
der  Begriff  des  Seins  (vgl.  §•  17.  S.  86.)  derifnveistandr 
lichste  von  allen,  weil  er  als  das  Allerunbestimmteste  einef 
bestimmten  Vorstellung  am  Meisten  sich  entzieht. 

Durch  diese  erläuternde  Zwischenbetrachtmigm  hal 
sich  die  oben  angeregte  Frage  nach  dem  Grunde  des 
similichen  Vorstellens  von  selbst  gelöst.  —  Iifur  gei- 
stige Substanzen  existiren ;  soll  also  die  Rede  sein  von 
dem  Grunde  eines  in  ihnen  gewirkten  Vorstellens,  oder 
allgemeiner,  einer  von  Aussen  stammenden  Verinderuog 
in  einem  Geiste;  so  kann  nur  ein  anderer  Geist  dieaer 
Gnmd  sein. 

.  Die  sinnlichen  Vorstellungen  sind  aber  unendlich  s(w*^ 
ker,  lebhafter,  bestimmter,  als  die  freientworfenen  der  Seele: 
sie  befolgen  femer  eine  feste,  unverbrüchliche  Ordnm^.und 
Regelmässigkeit;  eine  Unendlichkeit  von  innerm  Zusam«- 
menhange,  von  Hannonie  und  Schönheit  offenbart  ^ifh  uni 
an  der  Sinnenwelt.  Wir  reden  sogar  von  Gesetzen  der 
Matur;  so  fest  rechnen  wir  auf  den  regelmässigen  Verr 
laoi^  auf  die  Verbindung  und  Folge  in  dj^n  Erscheinungenp 
Es  kann  also  nur  ein  unendlich  übermächtiger  Geist  sein^ 
der  in  uns  der  Grund  jener  Vorstellungen  wird:  daher 
die  Kraft  und  Intensität,  mit  der  sie  unsem  Geist  überr 
mannen ,  daher  ihre  Unendlichkeit,  die  sie  uniasslich 
macht  für  obiser  beschränktes  Vorstellen.  Ebenso  verkun-* 
det  die  Schönheit  und  Harmonie  derselben  die  Weisheil 
des  Geistes ,  welches  der  Urheber  jener  Vcurstellungen  ist 

Mit  Einem  Worte,  —  der  allmächtige,  absoluta 
Geist  oder  Gott  ist  es,   dessen  Ideen  wir  in  den 


V8  Berkeley. 

-^-nn^Ii^b-eti  V-MBtellutigen  ansdiaucm-,  md  «fef  tu 
ihrer  Unendlichkeit  seine  Allmachl,  In  ihrer  Ordnung  sein« 
Weisheit  offenberk  —  Dnreh  Gott  schauen  wir ili^  Sin- 
nenwelt,  die  aber  selbst  nichts  Anderes  ii^t,'  als  die  von 
uni^.vorigfesteltten  gdUlichen  Ideen.  Statt  nun,  wowirOrd* 
nung,  Weisheit,  Harmonie  in  den  Dingen  sehen ,  iterin  da^ 
tunmUtelbare  Geprfige  des  höchsten  Geistes  «elbst  zu  ftiden^ 
M  legen  wir  bliese  Eigensdiaften  frrthfimlidi  in  die  ange« 
Behauten  Vorstellungen  oder  die  ^Dfnge%  und  -machen  die 
-Bine  zur  Ursaciie  der  andern ;  ohngeachtet  Nichts  unver-- 
Mndlidier  und  sinnloser  ist ,  als  -diese  Behauptung.  ($.  29. 
S.  96.,  S.  33.  S.  98.) 

•  Um  dtess  ganz  zu  Torstehen,  möge  man  sidh  4elr  all- 
gemeinen Konsäquenz  dieser  Lehre  erinnern:  Nur  geistige 
Substanzen  sind-,  ihr  eigentliches  Ans  ich  ist  aber  unvor- 
stellbar; erst  in  ihren  Ptoduktea,  den  Ideen,  Yorstelhingen, 
existiren  sie  Ar  ein  anderes  -Bewusslsein.  So  sind  die 
'Anssending^  auch  nur  Ideen,  aber  solche,  die  an  ihrer  Kraft 
und  intetMitäl,  durch  Ordnung  und  Zusammenhangs  welche 
sie  zur  Welt  machen,  das  Gepräge  tragen,  nurdes  hdcli<^ 
:sten^  absoluten  Geistes  Ideen 'zu  sein,  die  also.das 
Dasein'  eines  solchen  unmittelbar  uns  bewähren.  Gott  rfso 
Reibst,  seine  Ideen,  und  dadurch  sich  unserm*  Geiste-  oflen* 
iHirend  ito  dem,  was  wir  sinnliches  Vorstellen  nennen,  ge* 
%vifart  lins  das  Schauspiel  der  unendlichen  Smfienwelt  Sie 
Ist  nur  ifi  und  für  den  Geist,  well  sie  nichts  Anderes  ist^ 
tienn  Vorstellung,  und  es  ein  Widerspruch  wäre,  diese  atioii 
^nsich,  als  ein  nicht  Yorsteübares ,  existiren  zu  lassen. 
(Aber  dtess  entzieht  ihr  nicht  die  empiriscbe  Realität'; 
Vielmehr  bleibt  der  undberwindlidie  Gegensatz,  den  das 
tmmittidbare  -Bemisstsein  zwischen  der  Objektivität  der  Aus- 
isenwelt  und  der  Subjektivität  seiner  eigenen  innem  Vor-^ 
Stellungen  behauptet,  auch'  hier  in  gleicher  Gültigkeit  be«> 
fltehen  t  den  freterzeugten  Ideen  kann  keine  Realität  beige^ 
fcgt  werden,  denn  sie  sind  nicht  objektive,  unwiHkühriieli 
4em  Bewusstsein  sich  aufdrängende;  diese  letzterh  Ideen 
artigen  als  solche  dagegen  das  unmittelbare  Gepräge  delr 


Beiittlift  ^n  mek^  weü  Biehl  ufia^  Geist/  sdudenivtiitr  eift 
sehlechthin  allmäcUiger  der  Urheber  deoielben  .Bau  kanib 
CS.  35 ff.  S«  100.)«  —  «So  ist ,  da  geistige  Sutetaiuen  nur 
Airch  ihre  Ideen  erkaROt  werden  können,  der  absoluta 
Geist  oder  Gott  eigentlich  der  einzige  unmittelbare 
Gegenstand  unsiörs  JSevnisstseins;  denn  erst  durch  diii 
VotsteBungen^  die  wir  Natur  nennen,  hindnrch,  und  yerauW 
Idt  von  ihnen ,  gelangen  wir  nun  fiewusstsein  der  andern 
Geister :  die  Natur  ist  die  alleinige  Sphäre  und  Vermittle-« 
rinn  alles  unseres  weiteren  Wissens  und  Erfahrens« 

Dnrch  Gott  allein  schauen  wir  Alles,  und  iba  sel4 
ber,  ittwiefem .  überiiaupt  ein  Geist  .anschaubar  ist^!  nam-^ 
Kcb  nur  in  seinen  Werken,  den  Ideen.  Desshali)  :mnas  das 
Dasein  Gottes  für  uns  weit  grössere  Evidens  haben ,  als 
das  Dasein  der  andern,  geschaffenen  Geister,  weil  die  Wir«« 
kungm  der  .Natur  unendlich  zahlreicher ,  maehtiyer  und 
eindringHcher  sind,  als  die  Wiricvngen,  weiche  wir  Mensch-« 
lieben  Krallen  zuschreiben,  deren  Erkenntniss  2udem  nock 
fir  Ctts  eine  nur  vermittelte  ist,  dnrch  die  aUgemeiiiQ 
Erkenntniss  d^r  Natur.  Auf  Gott  beruht  daher  aUeia 
die  Verbindung  unter  den  geschaffenen  Geistern  und  ilira 
Kunde  von  einander.  Natur  ist  namlidi  selbst  ketn'  he«i 
soBderes  Frindp  ausser  Gott ,  noch  Etwas ,  das-  ohne  ü» 
auch  nur  einen  Augenblidt  zu  existiren  vemöchte;  und 
was  wir  Naturgesetze  nennen ,  ist  nur  die  ewige  md  alU 
gemeine .  Wirkungsweise ,  wie  Gott  jene  natürlichen  Idee» 
hervorbringt  und  unter  stA  in  Harmonie  erhälL  WoBte 
man  aber  in  der  allmählichen ,  stufenweisen  EntwicUmg 
Aar  Nfturdiiige ',  in  dem  scheinbar .  UnvoUkommenien  und 
unsem  Zwecken  und  Vorstellungen  Widerstreitenden,  was 
die  Natur  darbietet,  einen  Grund  dagegen  sehen ,  dass  sie 
unmittelbar  von  Gott  hervorgebracht  und  im  Dasein 
eskiedten  werde :  so  ist.  vielmehr  daran  £Ü  erinnern,  dietsi  dies 
der  «ittdriaglidiste  Beweis  är  die  Weisheit  und  Gute  ihres 
Uikiebecs  sei,  indem  -et  vach  den  eitifhchsten  und  ällgemeini^ 
sten  Gesetzen  wiikt,  und  eine  ewige,  gieiohUeibende  NoM 
f»  Allmn  durchfuhrt.    Und. so  schliesst  Berkeley 


80  Bericoley. 

AbhandlaRg  nil  dem  «ügeivieinen  Entworfe  efaier  Tbeodieie^ 
wo  er  ien  Begfiiff  einzelner ,  vom  Ständpunkte  des  Hen* 
sehen  aus  gefasster  NätzUchkeiten  oder  Uebel  in  der  Natur 
ausdrücklich  verwirft,  und  die  Idee  der  innem  Harmonie 
und  Schönheit  bei  Hervorbringuog  der  natürlichen  Gedan- 
kenwdt  als  das  wahre,  eines  allmächtigen  Geistes  allein 
würdige  Ziel  der  Schöpfimg  hervorhebt.  So  leuchtet  sdion 
die  Idee  des  immanenten,  allgegenwärtig  in  der  Natur 
der  Dinge  sich  realisireaden  Zweckes,  anwdchen  spä- 
terhin von  Kant  aus  der  Umschwung  der  gesammten  neuem 
PUlos<q>hie  sich  kniqpfte,  aus  jenen  Andeutungen  hervor; 
—  wohl  der  tiefste  spekulative  Anklang,  zu  welchem  es 
überhaupt  die  englische  Philosophie  bis  in  die  n^iere  Zeit 
hin  gebracht  haben  mochte.  Denn  ihre  mannichfachen,  auch 
jetzo  mit  Eifer  fortgeselzten  Bemühungen  in  der  „natür- 
lichen Theologie^  vom  Standpunkte  der  „Wunder 
der  Natur«'  und  der  Zweckmässigkeit  derorga* 
nischen  Wesen,  reinigen  sich  eben  nicht  von  denNe~ 
bengedanken  des  Nützlichen  und  endlich  menschlicher 
Zwecke  zum  philosophischen  Begriffe  innerer  ZweckerfiSU^ 
beit  und  Vollkommenheit.  —  Wie  wir  in  Berkeley  da«- 
her  noch  immer  den  Höhenpunkt  englischer  SpekidaÜoii 
eriiennen  müssen;  so  hat  auch  er  in  den  ihm  eigenthünH» 
Uchen  Ideen  einen  sehr  nahe  verwandten  Vorgänger,  mit 
welchem  selbst  eine  persönliche  Beziehung  von  seiner  Seile 
erweislich  ist,  in  Nicolaus  Malebranche,  dessen 
Princip  sich  indess  an  eine  andere  Reihe  philosophischer 
fintwicklungea  anknüpft ,  welche  erst  später  (im  d  r  i  I  «^ 
Ien  Buche)  in  ihrem  Zusammenhange  betrachlet  w^den 
können. 


Indem  Berkeley' s  Ansicht  auf  diese  Weise  in  den 
Versuche  eines  durch  Idealismus  begründeten  Beweises  fflr 
das  Dasein  Gottes  endet;  ist  die  Gedankenwendung  «n-* 
streitig  die  interessanteste  daran,  dass,  indem  die  natürli-. 
oben  Dinge  für  den  Geist  vorhanden,  ihm  erkennbar  sind. 


dmrM»  feschtofMii  wird,  wie  nie  selbsl  Biiieg  tfesens  mit 
ih«p,  YorslelloRgf  gern  nvöMe^a.     Besieh!  fiim  dfeiiimb- 
geachtet  Berkeley  dftrauf,    daM  die  Nelor  nicht  bloss 
snbf aktive  Vonrteilinigf  umeres  Geigte«  sei,  diM  gie  Ret- 
litit  hebe,  imr  nicM  al0  dne  Wek  ineterieDer  Dinge; 
sosdem  als  Gedankenwelt  einea  alhnichtig«n,  durckseinoi 
WiOcn  sie  ui  Dasein  erhaHeaden  Geistes;   so  Hegt  die 
KoflBeqoens  nahe,  übeAaiqit  non  »i  sagen,,  dass  alles 
Wirkliche  nar  Gedanke  Gottes,  in  diesem  Denken  abei'  Ge^ 
scbafÜBfies  sei ;   die  endlidien  Geisler  ebenso  die  gedacht 
len ,  wie  die  sich  selbst  denkenden,  die  nätöriich - be-^ 
wusstlasen  Dinge  die  Ten  dem  ewigen,  wie  den  endhchei^ 
Geisfem  gedachten  (versteilbaren)  Gedanken-. .  Hifte  B  e  r- 
keley,  was  fils  ihn  eigentlieh  blosse  Hypothese  zurErkÜn 
nmg  4er  sinnlichen  YorsteHm^fen  geblieben  ist,,  ioov  Princip 
der  ganzen  Philosophte  gemacht ,  halle  er  vor  Mem  da.t 
allgenieia  metaphysische  Problem  von  hier  a«is  tä  Bsen  ge* 
sacht  5  wie  Gott  sich  hiernach  aar  Welt  verhalte :  so  Ware 
selbst  fiir  jene  isoltrt  stehende  Hypothese  die  wtitere  Be^ 
gründang  geinnden  worden.    Die  endlichen  Geisler  schauen« 
in  der  Natar  nar  die  gdtttidie  Gedankenwelt.     Aber  wo-^ 
her  Said  die  endlichen  Geister  seAst ,  und  welch'  ein  ui^- 
mittaiharea  Verhiltniss    ist  ihnen   zum  absohiten   Geiste? 
Diese  Frage  hat  sieh  Berkeley,   so  viel  wir  wissen, 
philo  so phiseh  nie  aufgeworfen.     Sie  sind  nach  ihm 
endttahe  Substanzen ;   jener  die  ewige  Substanz :  ist  diese 
aber  IMieberinn  von  Allem    durch   schöpferisches 
Vorstellen   (eben  der  Kern  von  Berkeleys  Lehre), 
ist  die  Natur  Werk  diea^s  Vorstellens ;  so  könne»  die  end- 
lichen Geister  (Substanzen)  eben  auch  nur  ihre  Ideen' 
sein,   durch  sie  und  in  ihr  existiren.     Dann  sind  die 
göttlichen  Ideen  selbst  realer  Natur,  sabstantiell  und 
aocb  mit  Vorstellungskraft  versehen ,  indem  sie  als  ehdii«» 
che  Geister  wiederum  Ideen  zu  zeugen   vermöge :  und 
auch  die  iossere  Natur,  nachdem  diese  Realität  den*  gött- 
lichen Meen  Oberhaupt  vindicirt  worden ,  kann  nicht  mehr 
em  Moss  Vorgestelltes  sein.    Alles  ist  Gedanke,  ober  rea- 

6 


83  Berkeley; 

ien ,  lebevsMffiigfer ,  mit  selbststindigem  Dasein  au^gesU^ 
t^t^r  Cqecianke  Qotles;   und  so  hatten  sich  Idealisnns  und 
ReaUsmiu»:  vereinigt y  ,und  dieser  jenen  durchdrungen*    — 
So  li^enig  nun  i^uch  Cur  die  Anforderung*  der  Wissenaoliaft 
ein  ,80  allgemeiner  Entwurf  einer  Anächl  genügen  kann; 
ao  ^eigl  siiOh.docht  wie  durch  wenige  Schritte  einer  nahe 
Hegenden  Konsequenz  Berkeley' s  Lehre  aelbst  zu  einer 
ganz  andern ,.  wenigstens  der  Anlage  nach  umfassenden 
wenden  <nni8Ste^  sodann  wie  eben  da,  wo  er  stehen  blieb, 
die  wahre  liefer  gehende  Untersuchung  erst  hatte  beginnen 
sollen.     Und  Berührungspunkte  zu  dieser  Erweiterung  von 
dev.  metaphysischen  Seite  her  hatten  Manche  seiner  Vw- 
ganger  and  Zeitgenossen  ihm  daitieten  können,  wobei  wir 
von  dto  altem  vornehmlich  an  Piaton  und  Plotinos 
erinnern  V 'deren  weltsdiöpferisdie  göttliche  Ideen,  und  von 
den  neuem  an  Leibnitz,  dessen  Gott»  als  dJeUmanade, 
nur  diess  ideal-realistische  Princip  bezeichnen  sollte,  wah- 
rend '  freilich   erst  die   neuem  Systeme  jenen  Begriff  zum 
Prinicipe  der  ganzen  Philosophie  gemacht  haben.     So  ist 
Serkeley's  Leiire  eine  von  denen,  deren  Rathselhaftes 
und  Paradoxes  s^M  erst  in  einer  umfassendem  Yemunit- 
ansicht  gelost  wird^  die  ihr  Verstandniss  erst  in  ihrer  eignen 
Zukunft  finden  können;  und  jedenfalls  bleibt  Berkeley 
der  spekulativster  Kopf,    den  unter  den  eigentlichen  Pküo- 
sopken  England  bis  jetzt  hervorgebracht  hat 

Aber  das  Isolirte  und  Hypothetische  jenes  Princips, 
wie.  es  zunächst  hervortrat,  drängte  von  seihst  zur  skepti* 
sehen  Wendung  hin.  Berkeley  stellte  den  direkten  Ge- 
gensatz !van  Locke  dar,  die  sinnliche  Realität  vernichtend, 
welciiD  I  diesem  die  einzig  gewisse  und  ursprüngliche  war. 
HfU»me ,'  dem  wir  die  Uervoriiebung  des  skeptischen  Mo- 
ibents: verdanken,  glaubte  daher,  in  Berkeley  einen  in- 
direkten Vorgänger  un(l  Beförderer  seiner  Skepsis  zu  sehen, 
indem :  er  sein .  eigenes  Verhaltniss  zu  ihm  folgendermaasscn 
besoicbncite :  D^r  Idealjjsmus  könne  nicht  widerleg  werden, 
dien,  so  wenig  tjedo<^h  befriedigende  Ueberzeugung  gewäli- 
ren;.  indem  er  mit  dem  unvertilgbaren  Bedür&iisse  einpr 


Berkeley.  83 

Reaiittt  ausser  dem  Bewosstsein  —  (also  der  iimeni  Natur 
des  Wissens  selber)  —  im  Widersprach  stehe.  So  enW 
wickle  und  befordere  er  von  selbst  das  Bewusstsein  eines 
unanfiöslichen  Zwiespaltes  im  Innern  des  Menschen ,  einer 
absoluten  Un  entschiedenheit  über  die  Wahrheit,  — 
welches  durchgef&hrt  eben  die  skeptische,  im  Gleichgewichto 
der  Gründe  und  Gegengründe  schwebende,  somit  über  Nichts 
entscheidende  Denkaft-bevvorbringe;  ^  —  Abgese- 
hen davon  ,  dass  Hume  in  dieser  Ansicht  von  Berke- 
ley's  Idealismus  mehr  die  negative  Seite  desselben,  inwie- 
fern er  bloss  widerlegend  gegen  Locke  gerichtet  ist ,  als 
seine  positive  hervorhebt;  so  hat  er  doch  darin  den  Cha- 
rakter des  Idealismus,  so  lange  er  der  bloss  subjektive  bleibt, 
riehtig  bezeichnet ,  als  dieser  aUerdings '  die  unmittelbare 
Realität  des  sinnlichen  VorsteUens  auf  hebt ,  also  in  dieser 
Beziehung  2sunachst  nur  ein  negatives  Resultat  darbi^L  • 


*)  Vgl,  Hume  Philos.  Essays  concerning  hu.man  un^y 
derstanding»  Essay  III.  S.  224.  Not.  (e<l.  London  1753. 
VoL  U.) 


III.    Il4i^i4l  Iliune* 


Amlk  Uiiiie  gektj  wie  seine  beiden  Vorgänger  ron 
4»m  «UMillelbat  Gegebenen;  des  Bewnsstseitti  an&  ^  Alle 
VoAsMiingeni  sind  entweder  nnmäteibar  gegebene  (im- 
pressions)^  oder  freierzeugte  Gedanken ^  (thoughuy 
Jene  sind  lebhaft,  eindringlich,  unwiderstehlich  für  dasBe- 
wusstsein ;  eä  fählt  sich  bei  ihnen,  hingegeben  und  innerlich 
bestimmt  von  einer  ihm  freinden  Gewalt:  diese ,  minder 
lebhaft,  lassen  zugleich  im  gesunden  Zustande  des  Geistes 
sich  frei  hervorrufen  oder  vertilgen;  sie  sind  Erzeugnisse 
des  Geistes,  und  als  solche  vom  absoluten  Bewusstsein  die- 
ser Freiheit  begleitet.  So  sind  diese  nicht  das  Unmittel- 
bare, die  Gegebenheit  des  Geistes,  sondern  erst  das 
Secundäre ,  Hervorgebrachte,  welches  daher  auf  die  Im- 
pressionen, als  auf  das  eigentliche  Element  aller  Vorstel- 
lungen uns  zurückweist.     Und  so  gross  auch  der  Umfang 


*)  Die  Quelle,  aus  der  wir  schöpfen,  — >  dieinquiry  concemiag 
human  undersUnding  (zuerst  London  1748.)  —  ist  allgemein 
bekannt,  unddurchTennemann's  Uebersetzung  (Jena  1793. 
8.)  Jedermann  zugänglich.  Doch  ist  Hume's  ältere  Schrift: 
trealise  of  human  nature ,  in  3  Bänden  (zuerst  Lond.  1739. 
400  übersetzt  von  Jacob,  Halle  1790.  1791.  8.),  eigentlich 
das  Hauptwerk,  Ton  welchem  die  inquiry  nur  der  stellenweise 
umgearbeitete  Auszug  des  ersteu  Tbeiles  ist,  überall  damit  zu 
verbinden. 


und  derReichdiiim  der  fretfM$lMMfe«4fn(6mbii4iia^  und 
des  Verstaade«  ms  erscheinen  mogiei:  immer  bleiben  we 
auf  den  Stoff  eingej^chranii^  der  ibneit  in  den  umliMelbftreA 
Sensationen  gegeben  ist,  und  ^«ngeboine  Ideen^ 
(IhavgkU}  in  diesem  Sinne  amon^hnien ,  W(re  ein  Wider«- 
spnieh  mit  sick  selbst:  sie  sind  nnr  entstanden  ws  der 
Trennung  und  Verbindung  der  gegebenen  Impressionen  m 
neuen  Vorstellungen  j  welebes  Trennen  md  Verbinden  dan 
einzige  Geschäft  des  Verstandes  ist  ^  der  daher  in  fc^er 
Beziehung  über  jenen  Bereich  des  Gegebeien  i^tm^ 
nend  hinaussugelangen  vermag.  Alle  Ideen  lind  daher 
selbst  nur  Abbilder  der  Impressionen. 

Hiermit  ist*  nun  ein  Grundsatz  aufgestellt,  der  nieht  nw 
an  sich  selbst  evident  erscheini,  sondem  weicher,  wenn  er 
such  bei  philosophischen  Fragen  angewendet  vürde^  sofoi^ 
allen  Streitigkeiten  aur  diesem  Gebiete  ein  Ende  maehep 
niässte.  Alle  Ideen,  insbesoiidere  die  abstrakte,  sind  ihrer 
Natur  nach  dunkel  und  wenig  lebhaft;  der  Geist  vermag 
sie  kaum  nur  festzuhalten ,  Verwirrung  und  V«rweohselunf 
derselben  mit  andern  ähnlichen  Begriffen  ist  daher  unver-** 
meidlich.  Brauchen  wir  nun  wiederholt  einen  philosophi- 
schen Ausdrud^ ,  so  sind  wir  nur  allcugeneigt  m  giaubei^ 
dass  er  eine  bestimmte  ihui  entsprechende  Idee  habe.  AllQ 
Impressionen  dagegen ,  d.  h.  alle  sinnlieheii  EmpfindungeiH 
seien  sie  äusserliche  oder  innerliche,  sind  stark  und  ein- 
dringlich, und  von  scharf  bestimmter  Specifikation,  so  dass 
Irrthnm  und  Verwechselung  Wer  S(ih\<^ef  möglich  Wird. 
Wenn  wir  also  vermulhen  dürfen^  dass  ein  philosophischer 
Ausdruck  ohne  eine  ihm  entsprechende  Idee  gebraucht,  werde 
(wie  nur  zu  oft  gesdiieht} ;  so  haben  wir  nur  zu  forschen : 
von  welcher  Impression  diese  vorgegebene 
Idee  abgeleitet  sei?  Findet  sich  keine,  so  ist  jener 
Verdacht  bestätigt.  Und  wenn  wir  alle  Ideen  iil  t^in  so 
kelles  Licht  setzen,  so  köniien  wir  hofien,  alle  Streitigkei- 
ten über  ihre  Natur  und  ihre  Kealitat  beizulegen.  *) 


*)  Etiays   coactmlaig   Uuano  undcrai. »   Euay  IL  »uh 


<86  filme. 

'  Ist  him  d^moc^  yt)n  wissensohiiftUohem  Erkennen  und 
namenüiöh  von  Philosophie  die  Rede;  so  kann  diese  nur 
bestehen  in  einer  eigenthimlichen  Verknüpfung- 
gegebener  VorsteUnngen  am  neuen  Ideen :  betrifft  nun  die 
Untersuchung  Tfaatsachen,  deren  Sein  oder  Nichtsem  — 
also  unabhängig  von  aller  Erfahrung  —  hier  erkannt 
werden  soll ;  so  bedarf  es  vor  Allem  eifieis  unMglichcn 
Principes,  nach  welchem  das  Erkennen  mit  sichemi 
Schritte  auch  fiber  das  unmittelbar  Gegebene  sich  erheben 
könne.  —  Wir  kennen  in  dieser  Beziehung^  nur  das  Prin- 
eip  Von  Ursache  und  Wirkung,  wodurch  überhaupt 
eine  Reihe  von  Wirklichkeiten  soll  verbunden 
weirden  können,  die  nicht  alle  gegeben  sind:  man 
kann ,  wie  man  isich  ausdrückt ,  in  jedem  FaHe  von  der 
Ursache  auf  ihre  Wirkung  vorwärts  —  so  wie  von  der 
Wiricung  auf  ihre  Ursache  zurück  ^  schliessen. 

Doch  diese  Ausdrücke  —  fragt  Hume  —  was  be- 
deuten sie  eigentlich  ?  —  Ist  es  lediglich  der  B  e  g  r  i  f  f  des 
Einen,  der  uns  unmittelbar  auch  zu  dem  des  Andern  bringt? 
Liegt  also  eine  •  nothwendige,  innere  Vierknüpfiing 
zwischen  dem,  was  wir  in  einem  gegebenen  Falle  die  Ur- 
sache, und  was  wir  die  Wirkung  nennen?  —  Nein ;  vielmehr 
findet  offenbar  nicht  der  geringste  innere  Zusammenhang 
zwischen  beiden  als  Begriffen  Statt,  und  die  schärfste 


fin.  S.  28-  In  dem  grösseren  Werke  über  die  menschli- 
che Natur  verfolgt  Hume  von  hier  aus  diesen  Grundsati 
sogleich  weiter,  um  den  empirischen  Ursprung  des  Gedächt- 
nisses, der  Einbildungskraft,  Ideenassociation  u.  s.  w.  aus  den 
tmprc^ssionen  nachzuweisen.  Von  spekulativem  Interesse  wäre 
es,  zu  bemerken,  daas  er  in  dieser  frühem  Schrift  das  skepti- 
sch« Röaonnement ,  welchi^s  -sich  in  den  Essays  gegen  die  AU» 
gemeinheit  und  Nothwendigkeit  des  Begriffs  von  Ursache  und 
Wirkung  wendet,  auch  auf  den  Begriff  der  Substanz  aus« 
dehnt,  und  diesem  alle  objektive  Realität  abspricht,  weil  keine 
Impressionen  nachgewiesen  werden  können,  aus  welchen  er 
entstanden  sein  könnte.  „Von  der  menschl.  ^Natur, 
ü^^e.rsetKt  von  Ja<cob/<Th.  I.  S«  48*  «.f« 


Uume.  87 

Analyse  des  Einen  könnte  uns  nicht  den  Inhalt  des  dnäem 
auflmden  lehren.  Es  scheint  daher  unmöglich,  ohne  vor^' 
ausgegangene  Erfahrung  apriori  bestimmen  zu  wollen,'  was 
der  Erfolg  einer  bestimmten  Ursache  sein  würde ;  und  schön 
daraus  ergiebt  sich  die  Unmöglichkeit,  die  1  e  t  z  t  e  n  Ursachen 
der  Dinge  zu  erkennen,  *wefl  Nichts  uns  bereettigt^  aui^ 
der  Beschaffenheit  dieser  auf  die  BeschafTenhei^  Ihtar  rief- 
borgenen  Grifaide  znröekzuschliessen.  '  '    "'  '  •" 

Was  verbindet  doch  also  jene  beiden  Gegensätze^  aüF 
eine  scheinbar  so  nothwendige  Art;  ja  woher  stammt  die- 
ses ganze  Begriffsveriiältniss ,  das  bei  näherer  Erwägung* 
von  so  zweideutiger  Abkunft  erscheint  ?  *) 

Getreu  seinem  ganzen  Principe  Kahn  Hu me  hier  nui^ 
untersuchen ,  von  welchen  Impressionen  jdhe  Ideen  abge- 
zogen seien;  finden  sich  keine ^  lässt  ui)erhaupt  eine  Idee 
sich  nicht  in  der  Wirklichkeit  belegen,  so  ist sre nfchtig 
und  leer.  —  Wir  nehmen  wahr ,  dass  eine  'gewisse '  Thaf-i 
Sache ,  ein  Ereigniss  das  andere  begleitet  oder  ihm  Aa^h-L 
folgt;  diese  Wahrnehmung  wiederholt  ^ich  und  ^irditrr 
sicher  wiederkehrenden  Erfahrung;  und  so  gewöhnen 
wir  uns ,  jene  einzebien  Thatsachen  in  Beziehung  atif 
einander,  ja  in  innenn  gegenseitigem  Zil-S'anlmenhange 
aufinifassen,  wovon  an  sieh  die  Wahrnehmung-Nichts  dai1l)fe^ 
tet,'  die  bloss  das  Zugleich  und  die  Afdeinahderfolge  der  Im- 
pressionen enthalten  kann.  So  eiwaehsen  endlich  dai^os  die 
vermeintlichen  YemunftbegrifTe  von  Ursache  und  Wirkung; 
um  jenen  angenommenen  Zusammenbang  zu  bezeichnen ; 
und  es  wird  zum  allgemeinen  Grundsatz  erhoben ,  dass^ 
aueh  unabhängig  von  wirklicher  Erfahrung,  aus  der 
Wahrnehmung  des  Einen  Tbeflsr  auf  das  '  Vorhandtinseini 
des  andern  geschlossen  werden  könne,  denuMch  Ober- 
haupt ein  Erkenntnissprincip  iiber  die  unmittelbare  Erfoh- 
nmg  hinaus  erreicht  zu  sein  scheine.  r      . 

Abgerechnet  jedoch ,  dass  dasseltM>  sogar'  in  gewöhn«^ 
lieber  Anwendung  bei  Gegenständen  des  wiridichen  Lebens 


! 


88  Hume. 

die  gröbste  Tä«U€bung  veranlasst,  wo  man  sich  des  ge^ 
wohnten  Schlusses  bedient:  nach  diesqm,  danan  aus  die* 
sem  (pa$t  hoc,  ergo  propter  hoc)^  —  dem  wahren  Verder- 
ben aller  gründlichen  Erfahrungsforschung ;  —  so  kanm 
es  noch  weniger  als  allgemeingültiges,  wissenschaftli- 
ches Princip  angesehen  werden.  Kur  Folge  einer  unwiU- 
kährliehen  Gewöhnung  ist  es,  wenn  wir  von  Ursedie 
und  Wirkung j  Grund  und  Folge  reden;  aber  eine  solche, 
die  in  sich  selbst  als  grundlos  erscheint,  indem  vrir  un- 
mittelbar überhaupt  nur  vom  Zugleichsein  oder  demMach-^ 
einander  des  Einzelnen  zu  wissen  vermögen,  nimmermehr 
aber  irgend  einen  Innern  Zusammenhang  desselben  zu 
erkennen  im  Stande  sind.  *) 

Ist  daher  auch  zuzugeben ,  dass  in  vnrklicher  Erfah- 
rung mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  nach  der 
Analogie  früherer  Erscheinungen  auf  die  gleiche  Wieder- 
kehr derselben  unter  gleichen  Umstanden  geschlossen  wer-* 
den  könne ;  so  ist  diess  weder  überhai^t  ein  vissenschafW 
liebes,  gemeingültiges  Erkennen,  da  das  Gegentbeä 
des  Erwarteten  nicht  abgewiesen  werden  kann,  und  oft  ge- 
nug wirklich  eintritt ;  noch  wissen  wir  selbst,  was  der  Be«- 
griff  der  innern  Ursache  und  Wirkung  hier  eigentliGh 
bedeute.  Auch  hier  bleibt  es  für  uns  nur  bei  dem 
äusseren  Schauspiele  einer  Bethätigung uns  verbor«« 
gener  Kräfte ,  zu  denen  unser  Bewusstsein  in  gar  keiner 
unmittelbaren  Beziehung  steht.**) 

Noch  weniger  aber  kann  jenes  Princip  für  die  P  b  H 
1 0  s  0  p  h  i  e  zu  Schlüssen  dienen ,  die  über  alle  Erfakraag 
hinaus  reichen  $oUen ,  indem  hier  alle  Analogie ,  so  wie 
jede  BedeuMing  und  Anwendung  desselben  durchaus  ver- 
schwindet. Woher  nämlich  ein  Analogen  aus  wirklicher 
Erfahrung,  das  z,  B.  dem  Schlüsse  von  der  Sinnenwelt  auf 
einen  höchsten  Urheber  derselben  zu  Grunde  gelegt  wer- 
den könnte?  Wissen  wir  denn,  was  die  Sinnenwelt  eigent- 

•)  Efsay  V. 
**)  Essuy  VI. 


Home.  99i 

lieh  sei,  dass  wir  von  ihr,  als  einer  Wirkung  irfa^A 
eines  Anden»  s  «uf  dessen  Natur  zurückschliessen  zu  kön-s 
nen  yneinoa  ? 

Was  beissi  uherhaupt  ^höchster  Urheber?^  Was  ksV 
eigevtficii  za  denken  bei  dieser  Urheberschaft,  bei  dierf 
sein  ^$ebaffen<^  der  Sinnen  weit?  —  Hier  wird  ^s  gfo^ 
angenfilUg,  dass  wir,  die  Sphäre  des  Erkennbaren  über-- 
steigend,,  uns  nur  mit  Worten  zu  thun  machen,  die  schlecbtH 
hin  auf  k^ine  In^ressionen  zurückzuführen  sind,  mitUfi  gar 
keine  Bedeutung  haben. 

So  ist  U  u  m  e  noch  reich  an  exemplificirenden  Auseioti 
anderse^ngen  und  Entwicklungen,  um  die  Gnmdlosigke|| 
der  gewöhnlichen  dogmatischen  Ansichten  über  Gottes  Dp*-. 
sein,  über  Schopflmg  der  endlichen  Dinge,  über  Freiheit  unA 
Nothwendigkeit  u*  s«  w.  darzuthun ,  die  sich  alle  auf  das 
venneintliche  Princip  von  Ursache  und  Wirkung  stützen^ 
Uebefhavpl  ist  diess  der  Mittelpunkt  seiner  Skepsis^  ttn<j^ 
aQes  Uebrige  ist  nur  die  fernere  Entwicklung  jener  Qrund;^. 
behai^tung.  (Vgl  Essay  XL  über  die  Beweise  für  di(f, 
Dasein  Gottes^  und  die  ihm  beigelegten  Dia|ogu^eSi 
concerning  natural  religion.) —  Wir  lassen  ihn 
daher  hier  gleich  mit  eigenen  Worten  am  Schlüsse  seinea^ 
Werks  das  Resultat  seines  Philosophirens  aussprephe(ii 
(Essay  XIL  S.  259.) :  „Gehen  wir,  von  der  Richtigkeit  die-, 
ser  Grundsätze  überzeugt,  unsere  Büchersammlungen  durch/ 

*  - 

welche  Zerstörung  müssten  wir  in  ihnen  anrichten!  Wir 
nehmen  z.  B.  einen  Band  theologischer  Untersuchungen  oder 
Schubnetaiihysik  in  die  Hand !  Lasst  uns  fragen :  enthaU  ec 
abstrakte  Schlüsse  über  die  Verhältnisse  von 
Zahl  und  Grösse?  Nein!  Enthalt  er  Erfahrungs«^ 
schlü;(86  über  wirkliche  Dinge  oder  Thatsa-»! 
c  h  e  n  ?  Nein !  «—  Darum  ins  Feuer  mit  ihm ;  er  kann  ;nur. 
Sophistereien  oder  Träume  enthalten ! «  — 

Auch  in  Betreff  der  theoretischen  Denkweise ,  zu  der 
seine  Ske]isis  bilden  soll,  enthalten  andere  Stellen  di^ 
dcQtlichsten  Aussprüche.  Bei  unserer  gänzlichen  Unwis«. 
senh^it  über  die  inneim   Ursachen  der  Diuge  k,anq  jeder 


90  Uumc. 

ttypothesc  darüber  durch  gicichgewichtige  Gründe  %jerthei- 
digt ,  wie  bestritten  werden ;   und  so  ist  es  Weisheit ,  aus 
diesem  unfruchtbaren  Kampfe  in  die   neutrale   Ruhe  eines 
völligen  Unent^chiedenlassens  sich  zurückzuziehen.     „  Die 
Welt  ist  ein  Räthsel,  ein  unauflösliches  Geheimniss.    Dess- 
^egen  erscheint  Zweifel,   Suspension  jeder   Entscheidung 
als  das  einzige  und   wahre  Ergebniss  jeder   gründlichen 
Untersuchung.*'    (The  natural  hislory  of  Religion ;    Esisays 
VoL  lY.  S.  329.)     Hier  bh'ckt  schon  Kants  Lehre  von 
dem  Gleichgewicht  der  Antinomieen,   als  dem  Ende  aDer 
tfaeoi^etischen  Bemühimgen,  hindurch.   Aber  ebenso,  wie  die 
Kantische   Schule  dieser  Leere  gegenüber  den  prakti- 
sdien  Yemunftglauben  gehend   machte  ]    so  flüchtet   sich 
Aume's  Skepsis  zur  Annahme  eines  Nattirin'stiriktes 
im   Erkennen,    in  Folge  dessen   durch    einen   bcwusstloff 
bleibenden  Mechanismus  das  Denken  denselben  Gang  vcr- 
folgt,  welcher  dem  von  der  Natur  den  Süssem  Gegenstän- 
den vorgeschriebenen  Laufe  entspricht,  so  dass  wir  uns 
diesem    Glauben   an  Wahrheit  und  Realität 
liicht  entschlagen  können.     Endlich  wie  sich  die 
Berufung  auf  den  Instinkt  in  den  schottischen  Philosophen 
von  dem Skepticismus  losriss,  und  als  Philosophie  des 
Gemeinsinnes  jenem  vorübergehend  entgegentrat;    so 
gteilte    der    durchgreifendem    NegatioA    der   Kantischen 
Vemunflkritik  und  des  Fichte  sehen  Idealismus ,  welchen 
beiden  diese  Wendung  auch  keinesweges  fremd  war,  sich 
iti  Jacobi  die  Unmittelbarkeit  jenes  Vemunftglatibferis  für 
sich  selbst  in  ganzer  Kraft  gegenüber;  —  die  unausbleib- 
Kchen  und  unwillkührlichen  Selbstheilungen  der  Spefcidation, 
bis  der  Standpunkt  in  ihr  erreicht  ist,  wo  durch  die  Phi- 
bsophie  selber  die  ürsprünglichkeit  des  Bewusstseins  über 
sich  aufgeklärt  und  mit  sich  versöhnt  wird.   '      • 

Lehrreich  ist  jedoch  besonders  noch  die  Wieise ,  wie 
Hume  die  mit  dem  Principe  von  Ursache  und  Wirkung 
rusammenhangenden  Begriffe  prüft  und  skeptisch  zerstört. 
—  Der  vermittelnde  BegrifF  beider  ist  der  allgeinefnstc  ddr 
Kraft,  des  Vermögens?  diesem  INtige^  sagt  man, Hirohnt 


Uume.  dl 

die  Kraft,  das  Vennrf^geii  bei  ^xh  und  dazu,  und  desshaft 
wird  es  die.  Ursache  einer  Reibe  von  Wirkungen.  Aber 
aocb  hier  erneuert  sich  die  Frage ,  aus  welchen  Impres- 
sionen uns  die  Erkenntniss  dieses  Begriffes  komme  ?  —  Aus 
äusserer  Impression  nicht,  indem  diese  überall  nur  Ver* 
inderuBg  und  Wechsel  darstellt ,  jener  Begriff  aber  eben 
aaei^anntermaassen  den  innem  Grund  aller  Veränderung 
enthalten  soll.  Aus  der  Reflexion  auf  unsem  innem  Zu- 
stand eben  so  wenig;  denn  wiewohl  wir  unmittelbar  unse- 
res Wollens  und  unserer  Herrschaft  über  den  Körper  uns 
bewusst  sind,  so  ist  doch  das  Bewusstsein  dieses  WoRens 
und  dieser  Herrschaft  noch  nicht  zugleich  die  Erkenntniss 
der  innem  Kraft ,  wodurch  der  Wille  wirkt,  also  eben 
des  gesuchten  Begriffes :  Tiebnehr  ist  auch  hier  das  Be- 
wusstsein ein  blosses  Zusehen  von  äussern  wie  innem  Ver- 
änderungen, ohne  zu  erkennen,  was  sich,  und  wi e  es  sich 
verandere ;  und  es  ist  gleich  unbegreiflich ,  wie  durch  den 
Stoss  eine  Bewegung,  als  wie  durch  den,Wi|leh  der 
Seele  eine  Bewegung  hervorgebracht  werde:  ♦)  —  Ursa- 
che, Wirkung  wid  Kraft  sind  daher  eigentlich  nurVorstel- 
loiifen  ohne  Sinn  und  Bedeutung,  —  Worte,  um  uns  un- 
sere Unwissenheit  aller  innem  Gründe  zu  verbergen;  und 
nur  durch  SelbsUäuschung  können  wir  uns  überreden,  Et- 
was über  das  Innere  der  Dinge  dadurch  erkannt  zu 
haben. 

Von  ganz  anderer  Bedeutung  ist  die  Frage,  wie  jeiie 
Voi^teilungen  überhaupt  in  un^^erm  Bewusstsein  entstanden 
sind,  indem  sie  doch  thatsächlichcr  Weise  überall  Gcl- 
tmg  finden.  Wir  nehmen  überhaupt  nur  eine  Folge  von 
Begebenheiten  wahr;  zeigt  sich'  nun  eine  beständige  und 
gleichfflässige  Wiederholung  derselben  Folge  und  Verbin- 
dung von Thatsachen,  so  fangen  wir  an,  durch  den  ange- 
wöhnten Ueb ergang  (customary  transüion)  unserer 
Einbildungskraft,  bei  Erscheinung  der  einen,  auch  den  Ein- 
tritt der  andern  zu  erwarten;  und  in  der  Regel  trügen  wir 


*)Em7  VII.  S   118 


92  Httine. 

u&s  nicht  in  dieser  Erwartung.  8ol(4mg«fstail  gehobnen 
wir  uns,  die  eine  Thatsache  die  Ursache,  die  andere 
die  Wirkung  zu  nennen,  in  der  einen  eine  Kraft  fw 
die  andere  anzunehmen,  und  fo  eine  nothwen*dige 
Verknüpfung  zwischen  beiden  zu  setzen.  Und  dies»  ist 
die  Impression,  welcher  unser  Be^iisstsein  die  Entstehoof 
jener  Yorsteliungen  verdankt :  nicht  einzelne  Beispiele  einer 
einzelnen  Verknöpfung ,  sondern  die  Gewohnheit  wie- 
derkehrender Verknüpfungen  bringt  sie  unwiUkohriich  in 
uns  hervor.  ♦) 

In  dem  gesammten  bisherigen  skeptischen  Rasonnement, 
dessen  Hauptmoment  wir  hiermit  erreicht  haben,  ist  es  cha- 
rakteristisch, dass  ganz  nur  bei  der  Oberfläche  der  Begriffe 
in  ihrer  empirischen  Gegebenheit,  stehen  geblieben  wird ; 
dass  der  Grund,  sie  zu  verwerfen,  nicht  aus  ihrer  innern 
Beschaffenheit  nachgewiesen  werden  soll,  wo  es  dann  sich 
zeigen  würde,  dass  jeder  dieser  Begriffe,  für  sich  gofasst, 
nicht  nur  unverstandlich,  sondern  schlechtbin  widerspre-« 
chend  und  sich  selbst  aufliebend  erscheint.  Es  wird  dem 
A  die  Kraft,  das  Vermögen  beigdegt,  ein  ihm  Anderes,  B, 
aus  sich  entstehen  zu  lassen;  —  es  ist  Ursache  dessel- 
ben. In  diesem  Verhältnisse  istB  entweder  schon  als  in 
A  enthalten  zu  denken,  da  diess  die  Kr  a  f  t  dazu  haben  soll, 
indem  jenes  als  nothwendige  Folge  desselben  angesehen 
wird:  was  bedeutet  dann  aber  noch  das  Hervorbringen 
demselben  durch  A,  überhaupt  die  besondere  Existenz  von 
B  ausser  A  ?  Die  Wirkung  ist  vielmehr  unmittelbar  m  i  t 
und  in  ihrer  Ursache.  Es  ist  schlechthin  ^widersprechend 
in  dem  Verhältnisse  von  Ursache  und  Wirkung  ein  Ent- 
stehen  des  B  aus  A,  eine  getrennte  Existenz  des  Einen 
und  Andern  zu  denken.  Beide  Gegensätze  fallen,  als  wirk- 
lich gedacht,  vielmehr  zusammen.  Oder  B  ist  nicht  schon 
in  A  enthalten,  vielmehr  ist  es,  wiewohl  Folge  von  A,  doch 
ein  ganz  neuer,  an  sieh  mit  A  gar  nicht  zu  verknüpfender 
Begriir,  —  ein  Verhältniss,  wie  es  sich  in  den  empirischen 


*)  Eway  Vll.  S.  122.   126. 


Hämo.  93 

FaHei,  welche  H um e  beispielsweise  ani&hrt^  ausdrucklich 
findel;  so  ist  es  vollends  ein  Widers{>ruch,  zuilenken,  dass 
durch  ein  Bntgeg^engesetzles ,  innerlich  in  gar  keiner  Be«- 
ziehiing  zam  Andern  Stehendes,  sein  Entgegengesetstes  her- 
vorgebracht werden  könne,  von  der  gescliwungenen  Saite 
der  Ton  (S.  124.)  9  von  4em  Stosse  eines  Körpers  auf  den 
andern  ^ssen  Bewegung  (S.  ISO.}* 

Und   so  fallen  beide  Begriffe  hier  vielmehr  anseinan-» 
der;  jenes  kann  nicht  unmittelbar  die  Ursache  von  diesem 
sein:  beide  entgegengesetzte  Annahmen  führen  zuletzt  glei« 
cherweise*  auf  Widerspruch,  und  es  wäre  von  dieser  Seite 
der  Beweis  gefährt,  den  die  gegenwärtige  Philosophie  be-^ 
kanntfich  an  allen  Kategorieen  durchsetzt,  dass  jeder  die- 
ser Begriffe  f  ft  r  sich  widersprechend,  von  selbst  in  seine 
GegenkiHle  übergeht.  An  die  Stelle  der  rasonnirenden,  dto 
reinen  Begriffe  wie  ein    fertig  Gegebenes  in  sich  aufneh« 
menden  und  stehen  lassenden  Skepsis  wäre  die  innerlick 
lerlegende ,  ihre  widersprechende-  Beschaffenheit  ontersu-^ 
chende  getreten.    Aber  es  ist  merkwürdig,  dass  die  Ana- 
lyse der  Begriffe,  oder ,  wie  wir  jetzt  mit  Fug  es  nennen, 
yifß  dialektische  Behandlung ,  welche  die  griechische  Phi- 
ksaphie  seit  den  Heaten  kannte  und  bei  P 1  a  1 0  n  in  ihrer 
Vollendung  sab  ,  wie  sie  bis  auf  die  Neuplatoniker  herab 
deia  Alterthame   nie  völlig  abhanden  gekonmien  ist,  nicht 
bloss  bei  Locke  und  H  u  m  e,  sondern  ih  der  ganzen  vor- 
kantoehen  E^he  bis  auf  die  letzte  Erinnerung  vertilgt 
ersdieint.  Erst  in  K  a  n  t  brachen  die  Spuren  derselben  wie-^ 
der  hervor;    sein  Beweis  für  die  Idealität  von  Raum  und 
Zeit  beruht  durchaus  auf  innerlicher,  die  eigene  Natur  jener 
Anschauungen  entwickelnder  Analyse ,  und  die  Behandlung 
der  Antinomieen  ist  ebenso  dialektisch,  als  ivahrhaft  skeptisch. 
Ficht e*s  WissenschaRslehre   besteht  ganz  nur  in  einer 
analytisch  -  dialektischen  Fortschreitung  durch  sich  ergän- 
zende Gegensätze;  er  ist  als  der  Wiedererwecker  der  pbi-* 
losophischen Methode  bezeichnet  worden,  die  in  Hegel  ihr 
Bewusstsein  und  systematische  Ausbreitung  über  den  ge- 
sammten  Inhalt  der  Philosophie  sich  ernuigen.  hat»  — 


94  Hume. 

Die  necbgewiesene  Erklimngsweijie  wendet  Hnihc, 
Obrigens  genau  sich  haltend  an  das  blosse  Phänomen^ 
und  so  abstumpfend  oder  ungehdrt  beseitigend  ^  was  im 
Wesen  der  Begriffe  liegt,  und  damit  eigentlich  Problem  wer« 
den  konnte,  auf  einige  Hauptfragen  der  praktischen  Philo- 
sophie, zuerst  auf  den  Gegensatz  SEwisch^n  Freiheit  oder 
Nothwendigkeit  der  menschlichen  Handlungen.  *)  Aus 
diesem  allgemeinen  Verfahren  wird  es  begreiflich,  wie  er 
diesen  Gegensatz,  als  auf  einem  blossen  Wortstreite  beru* 
liend,  erklaren  und  kurz  beseitigen  kann. 

Die  allgemeine  Ueberzeugung,  wie  die  Ansichten  der 
Philosophen,  haben  von  je  darin  übereingestimmt,  dass  die 
sogenannten  freien  Handlungen  Effekte  gewisser  Ursachen 
seien ,  und  dass  sie  in  ihrer  Beschaffenheit  den  Motiven 
und .  Charakteren  entsprechen ,  aus  denen  sie  hervorgehen. 
Dies  nennen  wir  die  Nothwendigkeit  der  Handlan- 
gen, auf  deren  Eintreffen  unter  gewissen  Urastdnden  wir 
«ben  so-^cher  rechnen ,  wie  auf  das  Eintreten  eines  Na- 
turereignisses. (Erläuternde  Beispiele,  die  Hume  bei- 
bringt**), zeigen,  dass  auch  hier  nur  das  Empirische,  die 
iusserliche  zu  erfahrende  Nothwendigkeit  oder  vielmehr 
der  durchschnittlich  eintretende  Erfolg  der  Handlungen  ge- 
meint ist,  nicht  die  innere,  im  substantiellen  Charakter  des 
Geistes  enthaltene  Nothwendigkeit,  aus  welche  er  ist  und 
handelt.) 

Was  kann  nun  hier  die  Freiheit  der  Handhingen  be- 
deuten, für  deren  Vertheidigung  einige  Iliilosophen  sich  so 
intßressirt  zeigen?  Lediglich  das  Yennögen  zu  kandebi, 
oder  nicht  zu  handeln,  entsprechend  der  Bestimmung  un- 
seres Willens,  d.  h.  nach  Aussen  hin  das  dieser  innem 
Willendlestimmung ,  welche  sich  so  eben  als  Nothwendig- 
keit gezeigt  hat,  Entsprechende  zu  thun,  der  innem  Deter- 
mination äusserliche Objectivität  zu  geben.  Diese  hypo- 
thetische Freiheit    (hjfpoihetical  Uberiy)   gesteht  man 


•)  Kssay    VIII. 

*•)  Essay  VIII.  S.  136.  142-  u. 


Home.  ,95 

Jcdonzo,,  der  nicht  Gefangener  und  in  Ketten  UL  Bier 
kann  also  kein  Stoff  zu  femenn  Streite  «ein.  *> 

Aber  wir  benrtbeilen  nach  einepi  ursprünglich  uns  gfir 
genwirtigen  Maaastabe  einige  freie  Handlungen  als  gut» 
andere  als  böse;  jene  erzeugen  ein  unmittelbar?«  moraljrt 
sches  Wohlgefallen ,  diese  ein  Mißfallen.  Die  Frage  erbe))f 
sich,  ob  solche  moralische  Urtheile  Ideen  oder  Impres« 
sie  neu  sind.  Ersteres  nicht,  weil  die  Vernunft  nur  yofi 
Wahrheit  oder  Falschheit  eines  Urtheäs,  und  denn 
zufolge  etwa  von  der  Nützlichkeit  oder  Schädlich-» 
keit  einer  darauf  gegründeten  Handlung  uns  unterrichti^ 
kann,  keinesweges  jedoch  das  Speci fische  der.mora«« 
tischen  Beurth eilung  zu  erzeugen  vermag* 

Denuiach  liegt  der  Grund  der  Moralitat  unserer  Hand*? 
lungen  und  der  ihnen  entsprechenden  Urtheile  überhaiq4 
nicht  darin  y  dass  sie  mit  der  Vernunft  übereinstimmen^ 
sondern  dieser  Grund  ist  in  einem  unmittelbaren  Gefühle 
ausser  und  vor  aUer  (theoretischen)  Vernunft  zu  sqchen.  **} 
-- Hiermit  hat  Hnme^  abermals  der  K  an  tischen  Philoso-» 
^e  vorspielend,  dieselbe  Treiinung  des  ThepretischQn  und 
Praktischen  ausgesprochen,  welche  Kant  nachher  dur^^hr 
greifend  vollzog ;  und  wenn  er  femer  dfd>ei  die  saoMutfH 
chea  Erscheinung^  der  moralischen  Billigung  oder  llishU^ 
ligoag  ai^f  das  Princip  des  Wohlwollens  unddei 
Ueberwollens  zurückfuhrt,  ebenso  wenn  er  die  Mora«?: 
litat  d^  Uandhmgen  nur  aus  dem  Verhältnisse  deii 
Handelnden  zu  andern  freien  und  vernünftigen  Wesen 
entspringan  lasst ;  wenn  er  endlich  jene  moralische  Beur-, 
theihmg  mit  dem  ebenso  unmittelbaren  asthetiSicheii 
Gefihle  i^  Schönheit  und  Harmonie  in  Parallele  s^tzt,  und 
fs«t  nur  für  eine  besondere  Art  des  letztem  zu  hallM, 
scheint:  s;o  erblickt  man  in  dieser  Auffassung  die  voihefein 


>  I  t 


•)  1..C.  S.  150. 

I 

'*}lp^qutfjf    concerning  ihe   principlec    of  m0.r>«l 
int  ßss4jrs  anil  Trcsitisos  etc«    VoL  lY.  Sect.  X.  ^   '.,) 


96  ttmne. 

fanden  Crnindlinieii  zu  der  Ethik  eines  tfienehi^  durch  9<ft«rf^ 
sinn  und  Originriität  attSfeeeieinieteR  Systemen,  d)as  «ebenstr, 
"Wie  hier  geschieht,  bei  der  Thatsache  eiiier  «Hchen 
unmiltelbar  büHgenden  oder  misbilUgenden  Werthbeslini- 
niimg  geif  isser  Handltmgen  stehen  bleibl,  und  die  Pbino^ 
hteii^logie  derseiben  nadt  bestimmten  Grmiderseheiniftigeil 
za'Vere^rachen  sacht,  ohne  eine  theoretische  BegMnihing' 
def^elben  aus  dem  allgemeinen  Wesen  des  Clelste»,  über- 
haopt  eiiie  Artkmipfting   an  theoretische  Philosophie  dabei 
fikr  möglich  2U  ^kalten.    Wir  behaupten  damit  Iteinen  histo- 
Msöiien  2iiisammenheng  beider  Philosephieen,  noch  weniger 
h^end  ein^  A^  ten  Entfehnung ;  vielmehr  ist  es  ni^tdfrltch 
und  spricht  f§at  diä  ursprimgliche  Richtigkeit  der  AliffiKSsung; 
düMs^zwei  schai^f^nige  Männer  in  dem  Resultate  pisrfcho- 
kigiseher  Reobachtuitg  und  Abstraktion  übcremsiümmen,  so 
verschieden  aireh  sMst  ihh^  philosophische  Denkweise  sein 
jtiag.   ^-^    8&  müssen  -^  Rlhrt  Hume  fort  —  die  merftli- 
iehen^  ÜrHfeite  vielmehr  auf  Impression,  d.  b.  auf  einer 
imitiittelbareii   specilischen  Empfindung    für  das  Gute  und 
feöMs^  beruhen :  es  giebt  einen  angebomen  moralri^chcfii 
tu  sl  in  kl,  der  sieh  auch  durclv  Thatsachen  undErfiahrung 
efU^isen  lasst ;  und  hier  haften  wir  somit,  wie  es  scheiii^ 
ern  wahrhaft   Allgemeines  und    objektiv  Kndendes ,  was 
Hifme  für  das  theoretische  Erkennen  bisher  in 'Abrede 
stiftllte^    Aber  seiner  Denkweise  gemäss,  schreitet  er  dazu 
Ibrf,  diese  objektive  Allgememheit  des  moralischen  instink* 
Hs^  wie  er  sie  empirisch  erweisen  zu  wollen  schien,  durch 
ebenso  empirische  Instanzen  seAst  wieder  zu  besohrSnken' 
tfnd'  zweifelhaft  zu  machen. 

'''  f  Es*  findet  sich  von  jeher  faktisch  die  grössüe  YerscMe^ 
^fotih^tt  Zwischen  dem,  was  in  der  Menschheit  für  moraliseb 
uttd'immoralisch  gegolten  hat;  Volkssitte,  StaatsvMforssuAg, 
grössere  oder  geringere  Kultur,  selbst  Gebrauch  und  Gewöh- 
nung, erzeugen  hierin  die  stärksten  und  unlfiugbarsten  Ge- 
gensätze ,  so  dass  dem  Einen  Volke  oder  Zeitalter  völlig 
tnertffubt  erscheint,  was  dem  andern  durchaus  zulässig 
oder  unrerfängiich  dünkt,  und  die  entgegengesetzten' phi- 


Hunc.  97 

iosophischen  Theoriecn  und  MorateyjtiNiie  vollenden   den 
Eindruck  dieses  Widerstreites  und  der  Ungewissheit.  ^) 

Dennoch  schärft  H  u  m  e  diess  auch  dem  aiteii  Skepti^^- 
cismus  sehr  gelaufige  Argument  von  dem  Widerstreitender 
Sitten  und  Meinungen  über  die  Begriffe  von  Recht  und  , 
Unrecht  nicht  bis  zu  dem  Grade,  um  in  ihnen,  wie  in  den 
Begriffen  von  vermeintlich  theoretischer  Aligemeinheit,  etr 
yras  bloss  Conventionclles,  eine  zufällig  äussere  Gewöhnung 
zu  sehen,  oder  vollends ,  wie  andere  englische  Moralisten, 
die  sittlichen  Empfindungen,  so  wie  die  des  allgemein  m^un^h«- 
liehen  oder  „une^ennützigen^  Wohlwollens,  aus  der  SelbsU 
Uebe  oder  dem  Selbsterhaltungstriebe ,  als  dem  einzig 
wahrhaft  ursprünglichen  Instinkte,  herzuleiten;  vielmehr  be^ 
kämpft  er  diese«  Vorstellung  überall  ernst  und  nachdräck- 
lich.  Musste  ihn  schon  das  eigene  tüchtige  und  reine  sitt- 
liche Bewuastsein,  welches  überall  in  seinen  philosophische« 
und  historischen  Werken  hervortritt,  von  solchen  Behauptun- 
gen abhalten,  die  ebenso  durch  die  fast  unglaubliche  Ober^ 
llächlichkeit  ihrer  Beurtheilnng^  ds  durch  die  darin  enthal- 
tene Selbstprostittttion  des  Charakters  ihrer  Urheber  in  die 
Augen  fallen;  so  trägt  uberiiaopt  sein  Verfahren  in  die- 
sem  Punkte  ein  durchaus  charakteristisches  Gepräge :  — 
er  sucht  bei  dergleichen  Fragen  seine  ohnehin  schon  mäs-^ 
sige  Skepsis  noch  mehr  zu  ermäsmgen,  und  um  die  Würde 
<ies  siltlichen  Bewusstseins  nicht  zu  beeinträchtigen ,  setzt 
er  fast  sein  ganzes  skeptisches  Princip  selber  bei  Saite* 
Statt,  wie  vorher  aus  dem  Beweise  der  empirischen  Nicht- 
äbereittstiminung  sittlicher  Urtheiie  anter  einander  auf  das 
bloss  Angewöhnte,  wie  Eingebildete  derselben  zu  scUiessen, 
sucht  er  viehnehr  die  daraus  geschöpften  Einwürfe  der 
Andern  durch  eigene  psychologische  Erklärungen  über  das 
Entstehen  so  widerstreitender  moralischer  Urtheilo  zu  ent- 
kräften :  sie  beruhen  nach  ihm  lediglich  auf  einer  mangel- 
haften Beurtheilung  oder  verkehrten  Anwendung  des  ur- 
spröngiichen  moralischen  Gefühls,  dem  es  nur  an  richtiger 


*)  Inquiry  I.  c.  Sect.   lY, 


im  Hwne; 

iira49rli:chen  Ilelif  ton.  ^)  Eine  Absiehr,  ein  Zw(!ck, 
evi0  innere  Bestimmiingi  üt  ufivQrkennbar  jedem  naturiichen 
Dingt  ^Hig^planzt, /sowohl  in  seiiien  VerUUtoissen  zum  uii-- 
endlichen  Ganzen,  als  nichl  minder  War  sich  selbst^  welche 
es  .sicher  und  imwiderstohlidi  seuiem  Ziele  zideiten.  So 
fibrtuns  die  Thalsache  ailgettieinV^rGesetzedes  Universams,- 
wie  sie  sich  am  Einz^jlen  und  am  Grossien  gleidiförmig 
wiederholen,  awar  nicht  mit  I  o  g  i  s  c  h  e  m  Z  w  a  n  g'  e,  docli 
mit  palürücher  Ueberaeugung  au£  die  Idee  eines 
einzigen  Uchebars  desselben,  wenn  nicht  etwa  (polythei* 
stischo).  Yoruriheife  dear  Ereiehong  sich  dieser  vernünftigen 
U^beczeugung  entgegensetzen.  Und  wie  gross  audi  die 
Besjohrftnkthek  rohstnnlichet*  Meiischen  sein  möge ,  die  in 
den  sinnvollsten  Werken  .der  NfUur  ihren  Urhdier  nicht 
erblicken  können ;  so  ist  es  doch  kaum  möglich,  dass  jene 
Id^,  einmal  erwadct ,  ihre  ubmeugende  Kraft  verfehlen 
^te.  **)  Und  selbst  der  allgemeine  Glakibe  an  eine  in- 
telligpnte  JHacht  kann,  wenn  auch  nidit  entsdiieden  als 
angeborener  Indtikikt,  doeh,  wegen  dcr:Allgememheit  der 
Thatsache/  als  das  Insiegel'  des  göttlichen  Werkmeisters  in 
der  .menschlichen  Natur  betrachtet  wardcn.  ♦♦*) 


** 


•)  Ewys  V4>1.  IV.  S,  325  ff. 

)  Bei  dieser  und  ähnlichen  Stellen   werden  wir   unwUlkuhrlidi 

Aa    die  Wendung   Kants    erinnert,    der  gleich  Hu  nie  jedes 

Iliuaussleigen  über  die  Erfahrung  und  jede  Möglichkeit,   das 

Wesen  Gottes  zu  erkennen,    in  Abrede  stellend,  mitten  in 

diesen  Beweisen  in  die  berühmt  gewordenen  Worte  ausbricht 

'   (a.  a.  O.  S.  652.) :  f,Die  Vernunft,  die  durch  so  mächtige  und 

unter  ihren  Hunden  immer  wachsende,  ob  iwar  nur  empiri- 

I     '  jSche  Beweisgriinde  unablässig  gehoben  wird,  kann  durch  keine 

Zweifel    subtiler    abgezogener    Spekulation    so    niederge* 

drückt  werden,    dass  sie  nicht  aus  jeder  grüblerischen  Uu- 

entschlossenheit,  gleidi  als  aus  einem  Traume,  durch 

einen  Blick,  den  sie  auf  die  Wunder  der  Natur  und  die  Majestät 

des  Weitbaües  wirft ,    gerissen  werden   sollte  ,    um  sich   von 

Stufe  zu  Stufe  bis  zum  obersten  uud  unbedingten  Urheber  zu 

erheben. " 

***>  1.  c.  S.  326. 


}lnmi\  10* 

Nan  aber  macht  II  ii  in  e ,  statt  auch  nnr  vortAufig  M 
joner  Idee  Wurzel  zu  faflseti  «nd  in  ihr  zur  Ruhe  zu  kom-^ 
»en,  durch  abgieitende  Reflexiorten,  welche  die  ^Kelirseiti^ 
der  Hedaille^  darsteflen  sollen,  sieh  diesen  ErWerb  sogleick 
wieder  slreiüg  9  —  und  liefert  se  von  Neuem  dn  Vorspiet 
zu  Kant,  der  es  gleichfalls  sich  angelegen  sein  lässt,  dief 
Zugestandnisse,  welche  er  seinem  Kriticismus  abgerungen, 
durch  naehkommende  Einschränkungen  und  Bedenken  sich 
za  Nichte  za  machen.  —  Was  hriien  unsere  Volksreligi«^ 
aen,  sagt  Hume,  aus  jener  erhabensten  Vorstellung  ge- 
macht, welche  Capricen ,  Absurditäten ,  welche  ImmoralHfit 
bürdet  man  der  Gottheit  auf!  Prüft  man  die  ReKgions^ 
gnmdsätze,  welche  Geltung  in  der  Welt  gehabt  haben,  so 
kann  num  kaum  die  Ueberzeugung  abwehren,  dass  es  Träu- 
me eines  Kranken  sind«  Man  sieht  auch  Uer,  dass  Hu  md 
sich  roa  dem  (acht  nationalen)  praktischen  Interesse,  toiI 
der  Beartheilung  der  gegebenen  Zustät^de 
nicht  losmachen  kann;  wie  denn  diess  bei  ihm  und- bot 
seinen  Landsleuten  überhaupt  als  der  eigentliehe  mtd  letzte 
Zweck  des  Philo6<q>hirens  erseheint,  Airfklärung  zu  ve^br^i- 
tea,  —  man  kann  zugestehen,  im  ächten  und- wahren  Sinne. 

So  bleibt  es  dabei,  —  waj$  Uume  noch  in  den  6e-> 
sprächen  über  die  natürliche  Religion  roll^ 
sündiger  entwickelt:  —  das  Dasein  Gottes,  oiner  höchisten 
Ursache,  ist  eine  keinem  ZweiCbl  unterworfene  theoretische 
Wahrheit,  —  und  wer  daran  zweifeln  wollte ,  verdiente 
jeden  Grad  philosophischer  Strafe,  durch  Spott  und  Ver^ 
achtung  *) ;  —  (m^n  weiss,  dass  Kant  durch  theoretische 
Grunde  nicht  einmal  so  viel  wahr  zu  machen  neh  gi3traute) 
—  abec  eben  so  unbegreiAidi  sind  uns  sein  We^en,  scide 
Eigenschaften,  die  Art  semer  Wirksamkeit,  weil  aUe  Pra««> 
dikate,  die  wir  ihm. beilegen  können,  nur  relative,  aus 
menschlicher  Analogie  geschöpfte  sind ,  mithin  auf  biossei 
Aathropomoridiismus  hinaudaufen«  **)     Gott  ist  viehnehr 


")  Dialogues  a.  a.  O.  S.  43. 

*J  a   4.  ü.   S.  44.   vgl.  12U. 


loa  HttBie. 

mendiich  erhaben  über  diese  menschlichen  Vorstellongs- 
weisen  und  Meinungen;  er  soll  mehr  ein  Gegenstand  der 
Verehrung  in  den  Tempeln>  als  des  Streites  in  den  Schulen 
sein«  Desto  grosser  sind  aber  die  Rathsel ,  die  sich  jener 
Gewissheit  entgegendrängen,  aus  der  Betrachtung  des  man- 
nichraltigen  Uebels  der  Welt ,  der  grossem  Schmerz-  als 
Genussfahigkeit  aller  Lebendigen,  des  Busen  und  Verkehr- 
len  j(ller  Art ,  wie  es  die  Menschheit  zeigt ;  deren  weitet) 
Ausführung  eine  Hauptseite  seiner  Gesprftche  isl,  um  jedes 
wissenschaftlich  dogmatischen  Theismus  in  seinen  innem 
Widersprüchen  darzulegen.  Und  so  ist  auch  hier  »Zwei- 
fel,  Suspension  jeder  Entscheidung  da^  einzige  und  wahre 
Ergebniss  jeder  gründlichen  Vemunftforschungt^  *) 

Von  grosser ,  selbst  sgpekidatiTer  Bedeutung  isl  aber 
die  Betrachtung,  mit  welcher  Hume  das  ganze  Raaonne- 
ment  abschliesst  **) :  Der  Dogmatiker,  der  bis  su  positiven 
Behauptungen  fortzugehen  wagt,  wie  der  Skeptiker,  der  das 
Positive  und  Zwingende  derselben  in  Abrede  stellt,  stehen 
eigentlich  auf  gemeinsamem  Boden ,  ihr  Gegensatz  beruhl 
nur  auf  einem  Wortstreite ;  —  (sie  sind,  wie  wir  uns  nach 
gegenwärtigen  Be  griffen  ausdrücken  würden,  ab  entgegen- 
gesetzte Momente  in  einer  beide  vermittelnden  Wahrheit 
umfasst,  wdche  ebenso  sehr  die  positiven  Behauptungen  jenes 
zu  begründen  vermag,  als  die  Zweifel  und  Negationen  des 
Letztem ,  welche  er  aus  den  Widersprüchen  des  Daseins 
schöpft,  durch  ErkUrung  derselben  aus  einer  umfassendem 
Weitansieht  zu  beschwichtigen  im  Stande  ist). 

Beide,  Dogmatiker,  wie  Skeptiker,  erkennen  nämlich 
einerseits  eineNothwendigkeit  des  Denkens,  wet 
ehe  fast  unwiderstehlich  zu  gewissen  Hesultalen  hinfihrt, 
anderersetts  aber  ebenso  gewisse  Schwierigkeilen,  die  in 
4en  daraus  zu  erklärenden  Gegenständen,  in  den  zu 
losenden  Problemen  übrigbleiben.  Der  Eine  achtot 
mehr  auf  die  Nothwendigkeit  des  Denkens,  der  Andere  wird 


«)  Essays  Vol.  IV.  S.  339. 
**)  Dialogttes  a.  a.  O.  S.  265. 


Hume.  103 

stärker  gednäcki  von  dem  G^ulile  der  Schwierigkeiten  in  den 

einzelnen  Problemen.   Indem  sich  jedoch  dies«  Mehr  oder 

Minder  nicht  in  einen  beitimmUn  Begriff  fussea  li»si;  99 

ist  ein  Fhiktuiren,  ein  theilweises  Uebergehen  von  dogmiH 

tischer  zn  skeptischer  Gesinnung,  und  umgekehrt,  nicht  ab« 

zuweisen.    Aber  diess  eben,  diese  UneniMJiiedenbeit ,  diw 

Unvennögen,  einen  völlig  deinitiven  AhscUuss  derUeber* 

Zeugung  über  die  wichtigsten  Fragen  zu  erreichen^  macht 

den  Triumph  des  Skepticismus  ans :   er  bleibt ,  als  G  e  - 

müthszttstand,  zuletzt  allein  übrig«    Und  in  der  Thai 

schildert  H  n  m  e  damit  treffend  und   ergreifend  die  Lage 

der  allgemeinen  Bildung,  wie  der  individuellen,  davon  un- 

abtrennlidien  Stimmungen,  welche  aus  einer  solchen^  nur 

theilweise  voUendelen,  die  tiefgreifendsten  Fragen  noch  un« 

befühlt,  oder  wenigstens  unentschieden  kssenden  Yemunft- 

einsicht  unvermeidiich  hervorgeht.    Sollte  diess  nicht,  spe« 

kttlativer  Seits  wenigstens ,   das  treffendste  Bild  auch  der 

gegenwärtigen  Zustinde  sein,  wo  dergrosise  Gewinn,  wet« 

eben  dem  Principe  nach  die  Zeit  ernmgen,  nqck  immer 

nicht  seine  eigentliche  Frucht  getragen  Imt^  oder,  wo  auch 

im  Einzelnen  diess  Ziel  klar  ei^ffen  worden  wäre ,  es 

noch  keinesweges  in  der  Form  enies  wissenschaftlichen 

Systemes  hat  Gemeingut  wearden  k&unen  ?    Im  Gegentheii : 

die  Resultate  der  herrschenden  spekulativen  Gesammtbildung 

haben  Manchem  manche  skeptisclie  Seufzer  abgenöthigtl  — 

Aber  ebenso  klar  ei^bt  sich  daraus  der  eigentliche 

Gnmd  der  H  um  eschen  Skepsis,  die  weniger  in  der  Durch->f 

iührang  eines  scharfbestimmten  spckuhitiven  Princips  oder 

Gesichtspunktes  besteht,  ab  in  die  Breite  mer  verständigan, 

i»s  Selbstdenken  überall  anregenden  Beurtheilung  der  Dinge 

aoslaoft,  welcher  man,  nach  den  danMÜgen,  und  grossen- 

theils  auch  jetzt  noch  herrschende  Voranaseteungen  alige** 

inciner  Bildung ,  wie  nach  den  damals  und  jetzt  in  Umlauf 

Wid  Credit  beündliehen  wiss^schafllichen  Ideen«  iGrönd-. 

lichkeit  und  freien,  urtheillosen  Blick  nicht .  absprechen  kann*i 

b  der  That  wünschten  wir  zu  sehen,  was  die  durchschnitt 

lieh  noch  geltenden  rationalistischen  oder  pantheistisohen 


104  Hnme. 

Denkweisen  wirklich  Durcli^riejfeiicles  und  durchaus  Befrie- 
digfendes  ihm  enfgegcnzuseizen  hätten ,  um  die  absolute 
Weitvemünftigfkeit  vor  den  gfrossen  Widersprächen  des  Da- 
seins zu  retten ,  die  er  mit  einschneidender  Kraft  hervor- 
hebt. Nur  ein  wissenschaftliches  System  desTheis- 
mus, das  tief  und  kühn  genug  ist,  um  seine  ursprüngliche 
Idee  nicht  fallen  zu  lassen,  sondern  mit  Vertrauen  auf 
sie  in  alte  Webfragen  einzugehen,  kann  hoüen,  auch  hierin 
völlig  genug  am  thun ;  und  eine  Erneuerung  dieser  skep- 
tischen Weltbetrachtungen  Hu  m  e*  s  ^vürde  nur  wieder  dar- 
an erinnern,  wie  viel  gerechte  Vernunft  «Bedürftiisse  durch 
dMseibe  zu. stillen  sind. 

Fir  Harne  war  bei  seinem  empirischen  Bittgehen  und 
Beobachten  der  vereinselten  Erscheinungen,  -^  nicht  um 
sie  zu  erklären,  sondern  um  ihre  Schwierigkeit  und  Per- 
plexität  in's  Licht  zu  stellen  —  kaum  ein  anderer  Ausweg 
übrig:  je:scharfsinnigor  er  erwog  und  gegenüberstellte,  desto 
mehr  musste  ihn  die  überwältigende  Masse  der  einseinen 
Probleme,  das  Uebergcwicht  des  RäthseRiaften,  Unerklärli- 
chen ,  in  jene  skeptische  Enthaltsamkeit  zurückscheucäicn. 
Er  musste  die  Welt  für  einen  unauflösbaren  Widerspruch 
erklären ,  wiewohl  ihm  der  leuchtende  Faden  nicht  ^ent- 
gangen war,  der,  wenn  man  ihm  vertraut,  sicher  über 
jene  scheinbare  Wirrniss  hinaüszuloiten  vermag.  Nur  der 
frische  Muth  des  Denkens ,  der  sich  vorerst  über  die  ver- 
wirrende Fülle  jenes  Problematischen  hinwegsetzt,  um  vor 
allen  Dingen  den  festen  Anfang  der  Untersuchung  zu  fin- 
den, oder  die  Unschuld  des  Bewusstseins,  welche  jene  grüb- 
lerischen Argufationen  nicht  kennt,  oder  keine  Notiz  von 
ihnen  nimmt,  kann  sich  der  skeptischen  Neigung  entschwin- 
gen.  Wenn  sie  aber  erwacht  ist,  und  mit  ihr  das  ganze 
Gewicht  jener  Probleme  hereinbricht;  dann  entscheidet 
nur  die  volle,  zum  Ende  geAhrte  Wissenschaft.  Bis  jetzt 
aber  leben  die  Meisten,  auch  der  Philosophirenden,  in  einem 
unentschiedenen  Zwisohenzustande :  sie  haben  das  idlge- 
meine  Vertrauen,  dass  die  Philosophie,  dass  ihre  Principien 
namontiicb,  «m  Ende  auch  dor  entlegensten  Proiilomo  Herr 


Hämo.  105 

werden  können ;  aber  im  Speciellcn  begnügen  sie  sich  oR 
f^nng  mit  dem  ignoriren  derselben  und -somit  auch  des 
wahren  faktischen  Menschensustandes.  Hume  ist  darin 
aofiichtig^r  gegen  sich,  aber  ohne  positiven  Erfolg  fiur  die 
Wissenschaft 

Damit  weicht  ihm  suietEt  jede  Realität,  jede  Gewissheif 
weil  zurück.  Was  dem  Bewusstsein,  nach  seinen  Principien, 
eigentlich  übrig  bleibt,  ist  die  gnsserliche  Verknüpfung  auf 
einander  folgender  Thatsachen  ohne  jede  innere  erkenn-- 
bare  Beziehung.  Die  ganze  Unendlichkeit  ist  dem  Geiste 
nur  em  Wechsel  vorübcrfiichender  Erscheinungen,  sein 
Schauspiel,  aber  ihm  von  unbekannter  Bedeutung :  ja 
wenn  er  auch  nur  die  Frage  darnach  eriieben  wollte,  so  könnte 
er  nicht  einmal  dieser  Frage  Sinn  verstehen  oder  vor  sich 
rechtfertigen.  Das  einzige  theoretisch  Gewisse  ist  jedem 
(vereinzdten)  Bewussisein  die  eigene  Bxistenz,  die  U  n- 
Kiittelbarkeit  jenes  Schauspiels,  das  wir  eine  Weit 
nennen.  Darüber  hinaus  muss  Alles  unafitschieden  bleiben, 
and  die  Einsicht  dieser  Unentschiedenheit  ist  eben  das  Ziel, 
wie  das  wahre  Eiigebniss  der  ganzen  philosophischen  Bnt- 
wicUung,  welche  in  Hunte  ihren  Abschluss  findet  Es  ist 
die  mit  Locke  begonnene  einseitig  empirische  Richtung, 
die,  wie  sie  ausgeht  von  der  als  b  I  o  s  s  Einzelnes  und  Zu^ 
KUiges  anfgefassten  Unmittelbarkeit,  so  nur  darin  enden 
kann,  alles  Allgemeine  und  Nothwendige,  jede  feste  Ge- 
wissheit anzuheben. 

So  steht  die  Philosophie  hier  an  der  Schwelle  einer 
neuen  Entscheidung:  entweder,  alle  Anforderungen  an 
eine  spekulative  Begründung  aufgebend,  von  dieser  philo-* 
sophischen  Negativität  selbst  zu  abstrahiren»  und  zum  ge- 
meinen Bewusstsein  und  dessen  ungerechtfertigter  Sicher- 
heit zurückzukehren;  oder  jene  Negativität  selbst  zum  Aus- 
gangspunkte eines  neuen  spekulativen  Umschwungs  zu  ma- 
chen, indem  ihr  Resultat  wieder  zum  Probleme  erhoben,  und 
in  der  Laugnung  der  sonstigen  Gewissheit  selbst  der  nicht 
vertilgbare  Rest  eines  ursprünglich  oder  unmittel- 
bar Gewissen  aufgesudit  wird.    Humc  wendete  sich  der 


106  Hume; 

eckten  Auskuaft  zu,  welche  ihm  nach  dem  ganssen  Zusam- 
menhange seiner  Denkart  und  nach  den  übrigen  Pramt^nsen, 
die  sein  philosophisches  Zeitalter  ihm  darbot,  auch  aUein 
äbrig  blieb.  Die  spekulative  Fortsetzung  fand  er  in  KanI,  | 
bestimmter  noch  im  Principe  der  altem  Wissenschaftstehre,  j 
welche  in  das  Ich ,  als  das  für  H  u  m  e  letzte  Gewisse,  die 
erste  Gewissheit  uad  ihren  Ausgangspunkt  setzte. 

Daher  bezeichnet  er  ausdrücklich  jenes  sk^tische  Be- 
sultat  als  ein  negatives,  polemisches,  das,  nach- 
dem es  zur  Widerlegung  der  gewöhnlichen  Anmaassungen 
vermeintlichen  Brkennens  gedient  habe,  unnüttelbar  wieder 
aufgegeben  werden  müsse,  da  es  in  sich  selbst  keine 
Befriedigung,  dem  gesammten  Bewusstsein  keinen  wahrhaft 
letzten  Abschiuss  gewäliren  könne.  Dem  skeptischen  Zu- 
stande tritt  mit  Uebermacht  das  Gefühl  der  absoluten  Bea* 
litat  des  unmittelbaren  Bewusstseins  entgegen,  das,  wenn 
es  auch  nicht  durch  philosophische  Gründe  erwiesen  oder 
gerechtfertigt  werden  kann,  dennoch  wie  dnrch  einen  unwi-* 
derstehlichen  Naturtrieb  (a  natural insttnud er  prep09^ 
Session)  den  Geist  an  sich  fesselt,  und  ihn  von  der  Wahr- 
heit der  wirklichen  Dinge  überzeugt.  Der  Zweifler  vertraut 
menschlicher  Weise  ebenso  seinem  Bevmsstsein ,  rechnet 
ebenso  in  seinen  Handlungen  auf  die  feste  Wiederkehr  glei- 
^mt  Folge  nach  gleichen  Ursachen ,  wie  der  Dogmatiker ; 
aber  er  kann  den  philosophischen  Beweis  dafür  nicht  als 
gültig  erkennen.  So  ist  er  philosophisch  nicht  widerlegt 
oder  eines  Andern  belehrt ;  aber  er  kann  jenes  theoretische 
Unentschiedenlassen  selbst  nur  für  einen  erkünstelten  Zu- 
stand erkennen,  indem  dieser,  wie  oft  er  auch  im  Geiste 
hervorgerufen  werde ,  immer  wieder,  wie  ein  Schatten  und 
Traum,  verschwindet  vor  dem  Eindrucke  der  lebendigen 
Wirklichkeit. 

So  ist  diess  philosophische  Besultat  eigentlich  keines ;  es 
bleibt  trotz  der  skeptischen  Theorie  zuletzt  bei  der  gewöhnli- 
chen Ansieht  von  den  Dingen,  mit  welcher  dieser  Skepticis- 
mus  vielmehr  völlig  in  Eintracht  lebt,  nur  mit  dem  für  ihn  sehr 
nachtbeiligen  Unterschiede,  dass  er,  indem  er  den  Umweg 


Humo.  107 

durch  die  Philosophie  gemacht  hat,  den  Reiz  der  Problema 
sich  aus  dem  Sinne  geschlagfcn  und  iilr  unfrucblbare  Gröbeiei 
eriüfirt  hat.  U  n  m  e  bat  darin  übrigens  nur  dasselbe  Ver^ 
hältniss  au^gespirochen ,  welches  auch  die  alten  Skeptikec 
kannten ,  uid  dadurch  bezeichneten^  dass  sie^  da  sie  nicht 
onthätig  sein  könnten  (sich  praktisch  zu  den  gegebenea 
Erscheinungen  verhalten  mussten),  in  Ricksicht  auf  das 
wirkliche  Lebra  die  gemeine  Ansicht  von  der  Erscheinung 
gdten  liessen ,  phne  jedoch  einem  Urtheil  Aber  sie  (über 
ihr  Ansichselbstsein)  sich  hinzugeben»  *)  Nur  ist  bei  dieseot 
der  wesentliche  Unterschied ,  dass  sie  nicht  bloss ,  wiai 
Hume,  diese  Skepsis  gegen  die  philosofriritchen  Heinungea 
riditetoi ,  sondmi  von  dem  ProManatischen  in  der  Er« 
scheimmg  selbst  erfüllt  waren,  und  so  das  Bewusstsein  der 
Plobleme  sich  wach  erhielten. 

Dennoch  hat  Hume  darin  des  grosse  philosophische 
Verdienst  Ar  die  neuere  Philosophie ,  dass  er  das  letzlö 
Zid  und  das  eigentliche  Endergebniss  der  empirischen 
Denkweise  scharf  und  unzweideutig  hervorarbeitete :  in  ihm 
kommt,  wenn  auch  nicht  die  gewöhnliche  Denkweise  und 
die  nachstvoriiegende  Meinung,  so  doch  der  Geist  und  die 
schliessliche  Wahrheit  des  Empirismus  an  den  Tag.  Wenn 
das  Allgemeine  und  Nothwendige  nicht  als  dem  unmitld« 
bar  Einzelnen  oder  der  l^ahmng  gegenwärtig  eritannt 
wird ;  so  kann  es  nur,  so  lange  man  überhaupt  diesen  Be- 
griff nicht  fallen  Ifisst,  als  Produkt  der  Reflexion  angesehen 
werden.  Wir  erfinden  es  durch  Nachdenken  über  die 
Erfahrung.  So  Locke  und  aller  Empirismus.  Er  behaup- 
tet die  Existenz  allgemeiner  Wahrheiten  und  einer  Vernunft- 
nothwendigkeit,  aber  hergeleitet  ans  den  Erfahrungsgegen- 
stinden. 

fai  Hume  wurde  die  schärfere  Konsequenz  dieser 
Theorie  vollzogen :  ist  die  Unmittelbarkeit  der  Eriahrung 
für  sich  selbst  aller  Innern  Allgemeinheit  und  Nothwendig- 


^)  Seitu«    Empir.    Pyrrhon.    hjpot  I.  $.22.     Vgl.    Stau  drin 
Gescliichta  and  Gei<t  des  Sk^püdsmos.  Tli.  I.  S.  390*  C 


108  Hciinc. 

|pe*t  bafir;    so  glri)t  es   überhaupt  köin  Allgemeines:    als 
Produkt  unseres  Denkens  ist  es  keine  AHgfemeinhcit  mehr. 
H  u  m  e  sucht  vielmehr  ganz  konsequent,  und,  wie  man  glau- 
ben sollte,  dem  Empirismus  ganz  envünscht,  für  das  Phä- 
nomen jener  Allgemeinheit  selbst  eine  empirische  ErkTi- 
nmg  in  der  Wiederkehr  einer  Aufeinanderfolge  bestimhfiter 
hnpressionen.     Was  wir  Allgemeines  und   Nothwendiges 
nennen ,  ist  selbst  nur  Erzengniss  der  Reflexion  über  jene 
Wiederkehr ,  Prodidit  der  Gewohnheit.    Wefl  wir  eine 
gr^'isse  Folge  beständig  wahrnehmen,  sind  wir  zuletzt  ge- 
neigt, in  den  sich   folgenden  Erscheinungen  selbst  einen 
iinncrn  Znsammenhang  vorauszusetzen,  und  diesen  ^ifid- 
hVh  als  einen ,  der  gar  nicht  ausbleiben  dürfe ,  «Is  einen 
nothwendigen  anzunehmen.    Was  ist,  in  dem  Kreise 
und  nach  den  eigenen  Prämissen  jenes  empirischen  Erklär 
rehs,  überzeugender  und  schlagender,  a^Is  diese  Schlussfolge, 
die  zugleich,  mit  Empirischem  anfangend,  wie  in  ihm  endend, 
den  ganzen  Bereich  des  Erkennens  und  auch  der  Philoso- 
pkie  auf  das  Glücklichste  abschliesst?    Diess  aber  einmal 
tugegeben  oder  als  genügend  befunden ,  ist  jeder  Weg  zi^ 
emeni  Uebersinnlichen ,  zur  Anerkenntniss  eines  geistigen 
Bandes  und  einer  nur  im  Gedanken  zu  fassenden  Einheit  der 
Dinge  schlechterdings  abgeschnitten.    Selbst  die  Harmonie 
iler  Naturerscheinungen,  die  Wiederkehr  ihrer  Erfolge  kün-« 
nen  wir  nur  stier  und  deutungslos  anstaunen ;  es  wäre  ver- 
geblich, hinter  ihnen  Etwas   suchen   oder  In  ihnen  ein 
Aligemeines  oder  ein  deutsames  Gesetz  lesen  zu  wollen. 


Aber  auch  nach  anderer  Seite  hin  hat  Hume  nicht 
minder  kräftig  und  aufregend  auf  das  philosophische  Be- 
wusstsein  seiner  Nation  gewirkt.  Wie  Berkeley  der 
tiefste  und  spekulativste,  ist  Hume  der  reichste  und  unifas* 
sendstc  von  Englands  Denkern.  Er  hat  das  ganze  Gebifel 
der  philosophischen  Erkenntnisse  umfasst,  alle  Fragen 
9ur  Sprache  gebracht,  die  nach  der  eigenlliümlichen  Bil- 
dung seiucr  Landslcute  ihnen  für  philosophische  Erörterung 


Englische  Pbilosophic.  109 

übrig  Hieben;  ondwdohe  naoh  ikn  doti aunrnion,  kdnnejl 
nor  darauf  Anspruch  macheu,  4iQ  in.  sokUi^r  PhiiuJ^pbiM 
enthaltenen  Elemente  weiter  entwickelt  su  habcn^  ^Uwedi)f 
seiner  eigenen  Verneinung  sie  entgegenhaltend ,  oder  mit 
dem  Versuche,  sie  zu  einetin  selbststandigea  philosophischen 
Principe  auszubilden. 

Uebrigens  ist  der  Charakter  jener  philosophischen  BilduBf 

bei  keiner  Nation  von  einfacherer  Natur  und  »uf  deutlicheca 

Grundeleniente  zurückzuführen ;  keine  hat  zugleich  die  weui^ 

gen  Gedankenbestimmuttgen  ihrer  Fhilosophie  stetiger,  zusaiiaH 

menhangeucksr,  gründlicher,  wenn  audk  in  kurz  gomessenctt 

Fortschritten  in  sich  durchbildet;  und  e$  zeigen  sich  auch 

darin  ebenso  viel  Beharrlichkeit,  als  gdgealieitige  Theilnahtio 

und  ununterbrochene  Wechselwirkung»  die  öberhaupl  Eng^ 

lands  litterarischc  Zustande  vor  den .  unsem  höehsl  vortheiW 

haft  auszeichnen.     Roheit  Fludd's,    John  Forda.ge'n 

auf  Tieferes  gehende  Regungen  waren  immer  vereinzeli 

geblieben ;    der  sich   selbst   missverstohende   Platonisinus 

Balph  Cudworths  und  Heinrich  More'is  wurden  duroh 

Locke  verdrängt  und  vergessen.    Von  d^  Einen  Seile 

durch  Newtons  mathematisch -* mechanische  Physik  von 

jeder  spekulativen  oder  geistigern  Erfassung  der  Naturah-« 

gefuhrt ,  von  der  andern  durch  B  a  c  o'  s   Reform  auch  im 

Fragen  des  Geistes  auf  verstandige  Beobachtung  und  Re^ 

flexion  eingeschränkt,  war  den  englischen  Philosophen  ea 

f9St  unmöglich  gemacht,  zur  umfassende^  Idee  einer  Meta-* 

phyäk  sich  zu  erheben. .   Ueberhaupt  waren  es  vor  Allem 

politische  und  ethische  Interessen ,    wdche  auch  für  die 

philosophische  Untersuchung  obenan  standen:  in  theologi-« 

scher  Spekulation  gelangten  sie  nicht  über  den  Gegensatz 

and  die  Polemik  zwischen  natürlicher  Religion  (verstandi«* 

gern  Deismus)   und  positiver   Kirchenl^h^'e  hinaus. .  Abes 

selbst  ihre  „Freidenker^  veriäugnen  niemals  den  tiefen  Ernst 

mid  die  Gewissenhaftigkeit,  ja  das  Patriotische  ihres  Zwek- 

kes:  es  treibt  sie  politischer  Eif^r  gegen  die  herrschende 

Kirche  oder  moralischer  Unwille  gegen  die  Herrschsucht 

des  Aberglaubens^  night  ;ler  Kerstorungstrieb  eigener  frivoler 


110  Reid. 

■  ■ 

Leerheit,  oder,  in  der  noeh  seMitnmem  Gestalt  des  Sichanr-' 
lehnens  gegen  jede,  die  Willkuhr  beugende  Giaubensobjek«- 
tivität,  der  Trieb  eines  gottwiderstrebenden  Hasses.  Aber 
alle  diese  Gedanken  theoretischer ,  wie  praktischer  Natur, 
war^i  durch  H  u  m  e  geweckt,  und  mussten  sieh  bei  der 
grossen  Theilnahme,  die  sie  erregten,  langsam  ausschwin- 
gen.  So  trat  Hume's  eigene  Berufung  auf  den  Natur- 
instinkt des  Erkennens,  und  seine  Behauptung  von  der  Un- 
baltbarkeit  der  Skepsis,  als  Gesammtzustand  des  philoso- 
phischen Subjektes  gefasst,  in  der  Philosophie  des  Ge- 
meinsinns (Thomas  Reid,  James  Beattie,  Th.  Os- 
wald) mit  dem  Versage,  sich  zu  einem  selbststandigen 
Principe  der  Philosophie  zu  erhd>en ,  seinem  Skepticismus 
entgegen:  was  siek  von  ihm  ablöste  und  ihn  wideriegen 
wollte,  war  nur  ein  Theil  seiner  selbst,  so  dass  Kant 
treffend  erinnerte ,  seine  Gegner  hatten  ihn  aus  dem  wi- 
deriegen wollen,  was  er  selbst  weit  besser  gewusst.  *) 

Nur  ist  ein  Fortsdiritt  des  philosophischen  Bewusstseins 
in  Reid  nicht  immer  bemerkt  worden.  Bei  Hnme  hatte 
sidi,  wie  wir  nachwiesen,  der  Gegensatz  zwischen  dem 
schlechthin  Nothw endigen  und  dem  bloss  erfah- 
rungsmSssig  Wiederkehrenden,  der  im  natüriichen 
Selbstbewusstsein  schon  auf  das  Bestimmteste  und  keine 
Verwechselung  zulassend  sich  ankündigt,  bis  zur  Unter- 
achiedlosigkeit  verflacht.  Reid  stellte  das  Bewusstsein 
dieses  Gegensatzes  in  seiner  ursprunglichen  Schärfe 
wieder  her,  und  erschütterte  dadurch  den  Grund  von  Hu«* 
m  e  s  psychologischer  Deduktion.  Die  nothwendigen  Wahr- 
heiten werden  nicht  nur  erkannt,  als  dasjenige,  was  immer 
Ist  und  stets  wiederiiehrt ,  sondern  als  dasjenige ,  was  als 
schlechthin  nicht  anders  sein  könnend  gewusst  wird, 
dessen  Gegentheil  unmittelbar  als  Unmögliches  sich  an- 
kündigt **)    Dass  aber  diese  WahHieiten  eben  auch  nur 


*)  Prolcgomena    za  jeder   künftigen    Metaphysik, 

S.  10.  ff. 
**}  Tli.  fi  e  i  d »  an  inquiry  into  the  hymaa   mind  on  tbe  princi- 


Reid.    Priesdet.  111 

ite  etw«^  ThAteaeUielie«  gefasst  werden^  neben  dem  An- 
dern, Empirischen,  dass  sie  somit,  wie  einzelne  Gnindsfttze 
angezahlt,  dem  Verstände  eine  Mannkhfaltiglieit  nicht  wei- 
ter erlüarfoarer,  ihm  fremder  Gesetze  bleiben,  dass  zwischen 
der  anmittelbarmi  Wahrnehmung  und  dem  Denken  dersel- 
ben nicht  unterschieden  wird,  kurz,  dass  ihr  Bewusstsein 
sich  der  Form  des  Empirischen  nicht  entwindet,  hat  die- 
sen Fortschritt  bei  Reid  zu  einem  unentschiedenen,  frudit* 
los  bleibenden  gemacht. 

Diess  Verbaltniss  wurde  von  Joseph  Priestlei  und 
Richard  Pri  c  e,  zweien  der  ausgezeichnetsten  und  verdienst- 
Tollsten  engtischen  Denker,  von  jedem  in  eigenthümlicher 
Weise^  zur  vollständigen  Anerkenntniss  eAoben.  Der  Erste, 
ebensowohl  Gegner  der  H  u  m  e  sehen  Philosophie ,  als  der 
des  Gemeinsinns,  gegen  welche  beide  er  eindringende  Kri- 
tiken erscheinen  Hess,  kehrte  zurück  zur  Theorie  Lock  es, 
rniterstttzt  und  vervollständigt  durch  die  physiologischen 
Hypothesen  David  Hartley's  über  Entstehung,  Fortdauer 
mid  Wiedererregung  der  Sensationen  und  Vorstellungen 
mittels  Schwingungen  C^ibrcMons)  der  Empfindungs  ^  und 
Bewegungsnerven :  —  die  erste  nähere  Beziehung,  in  wel- 
che der  psychologische  Empirismus  mit  einer  materiali- 
stisch physiologischen  Hypothese  getreten  ist. 

Dennoch  fasst  Priestlei  das  Lockische  Princip  selbst 
in  einem  tiefem  Sinne,  als  den  es  ursprünglich  hatte,  und 
bekämpft  daraus  namentlich  die  Philosophie  des  Gemein- 
sinns, die  Berufung  auf  unmittelbares  Gefühl  und  des- 
sen Gewisdieit  in  so  durchgrdfender  Weise,  dass  an  sei- 
ner Einsicht  über  den  wahren  Charakter  des  objektiv  All- 
gemeinen und  Nothwendigen  und  über  den  eigentlichen 
Ursprung  seiner  Erkenntniss  kein  Zweifel  bleibt  Nament-' 
lieh  macht  er  den  Hauptgrund ,  welcher  auch  von  der  ge- 
genwärtigen Spekulation  der  Gefuhlsphilosophie  seit  J  a  c  o  b  i 
entgegengehalten  worden,  dass  das  absolute  Kriterium  der 


plet  of  common  sense ;  VI.  ed.  Edinb.  1810.    Deutsch,  Leipz. 
1782.    Vgl.  ia  dieser  UeberseUuog  S.  310.  313. 


112  IViestlei.    Prioe. 

.Wahrheit, ;  das  J^wiüSstsem  der  Vernunftallgeffioinheil ,  von 
ihr  in  dea  durchaus  willkührlichen  und  subjektiven  Haass- 
stab einer ,  zeitweisen  Empfindung  oder  eines  persönlichen 
Uebcrzeugtseinjs  verwandelt  werde ,  so  entscheidend  und 
energisch  gegen  .das  Ganze,  wie  die  einzelnen  Behauptungen 
jener  Philosophie  geltend,  dass  er,  fa^t  der  fiinadge  unter 
den  englischen  Philosophen ,  die  charakteristische  £videnz 
pnd  überzeugende  Gewalt  der  Vemunflwahrheiten  an  sich 
erlebt  zu  haben,  Zeugniss  ablegt.  *) 

Nicht  minder  entschieden  und  in  originaler  Weise  ist 
P  r  i  c  e  zu  dieser  Fundamentaleinsicht  aller  Spekulation  g&* 
langt.  Die  innere  Mothwendigkeit  und  Unveränderlichkeii 
des  moralischen    Bewusstseins  ist   Cur  ihn   eine 


*)  Vgl.  die  voa  Stäudlin  (Geschichte  uad  Geist  i!i^&  SkepU- 
cismus,  Bd.  11.  S.  240.  ff.)  ausgehobeoen  Stellen:  „Sie  spre-r 
chen  von  der  Nothwendigkeit,  Axiome»  als  Fundamente  al- 
les Räsonnemeats,  anzunebmen ;  aber  sie  empfehlen  beson- 
dere Sätze  als  solche  Axiome ,  nicht  als  wenn  sie  auf 
der  Wahrheit  der  Uebereinstimmung  oder  Nichtübereinstim- 
mung gewisser  Ideen  beruhten,  welches  Locke's  grosse  Lehre 
ist,  die  die  Wahrheit  von  der  nothw  endigen  Natur 
der  Dinge  abhängig,  und  zu  etwas  Absolutem,  Unwan- 
delbarem und  Ewigem  macht;  —  sie  nehmen  viel- 
mehr gewisse  unerklärliche  instinktartige  Ueberzengungen  als 
Axiome  an,  wodurch  die  Wahrheit  ein  Ding  wird,  welches 
sich  nur  aufuns  bezieht,  folglich '  höchst  schwankend 
und  willkührlich  ist.'^ „Nach  dieser  Lehre  darf  Jeder- 
mann sich  für  berechtigt  halten,  über  jede  Frage  seiner  g  e- 
genwärtigen  Empfindung  und  Ueberzeugung 
gemäss  zu  entscheiden,  mit  der  Meinung,-  dass  das, 
was  er  bestimmt,  etwas  Ursprüngliches,  Letztes  und  Unwider- 
sprechliches  ist,  wiewohl  es,  näher  analysirt ,  als  YorurtheU 
oder  Ausgeburt  des  Irrthums  erscheint."  —  Priestlci  zeigt 
ebenso  überzeugend,  zu  welcher  Anmaassung  und  Oberfläch- 
lichkeit des  Untersnchens  und  Entscheidens  jenes  Princip  Ter- 
anlassung  gebe^  auch  in  Bezug  auf  religiöse  Dinge  und  Glan-* 
benswahrheilen,  die,  weil  sie  dem  unmittelbaren  Gefühle 
zu  widersprechen  scheinen,  man  sofort  für  ungereimt  und  lä- 
cherlich zu  erklären  sich  für  berechtigt  halte  (a,  a,  O.  S.  244. 45.}. 


Pirice.  113 

■ 

ettfj9cbietieiie  Wahrheit»  imd  so  h«l  cräch  vMr  di^serSeile 
her  den  Zugang  in  die  Welt  des  wahriiaft  Apriorischen 
ertffiiel.  Wie  im  Pirakttsc^n  ein  schlechthin  ursprüngU«- 
eher  und  gemeingfiltiger  Maassstah  den  sittUehen.  Werih 
unseres  Willens  nnd  unserer  freien  Handlangen  bestinunt; 
ganz  ebenso  beartheät  und  versidil  schlechthin  ans  sidi. 
selbst  und  nach  eigenen  Gesetzen  der  Vjelr stand  dia  Go*- 
genstfinde  der  Sinne.  Diess  Vermögen,  als  seihat  dorchaos 
unsinnlicher  Natur,  mosa  daher  auch  eine  Quelle  neuer^ 
eigenthumlicher  Ideen  sein.  Was  über  alles  Sinnliche  urtheilt, 
sich  sum  Begriffe  desselben  erhebt,  kann  selbst  nicht  bloss 
Sinn  sein,  da  kein  Sinn  über  den  andern  jurthtilt,  sondern 
nur  eine  eigenthfimliche  Specifikation  des  Empfindens,  der 
passiven  Seite  des  Geistes,  cnthftlt^  Der  Sinn  ist  nur  ein 
Vermögen  der  Seele,  durch  äussere  Ursachen  in  seinem 
Zustande  verändert  zu  werden ,  Empfindung  ist  Leiden  — 
(Kants  Receptiyität);  —  sie  giebt  uns  gewisse  Unwille 
kähriiche  Affektionen;  aber  sie  versteht  nicht,  was  sie 
sind,  und  woher  sie  kommen.  Diess  thut  der  Verstand, 
selbststftndig  mterseheidend  wie  verknikpfend  (Kant« 
Spontaneität);  —  und  durch  diess  Unterscheiden  und  Vern 
biupfen  wird  er  der  Erkenntniss  allgemeiner  Wahrheit,  der 
Wahrheit  jenes  sinnlichen  Einzelnen  eben,  fähig.*) 
Wie  er  nun  hiemach,  Hume  gegenüber -und  zu  dessen 
Wideriegung,  die  ursprünglichstett  Begriffe  unserer  Erkennt«- 
niss:  Räumlichkeit,  Dauer,  Solidität,  Bewegung,  Substanz, 
Ursache  und  WiAung  ausdrücklich  als  Erzeugniss  des 
Verstandes,  nicht  der  •  Sinne,  bezeichnet,  weil  nur  der  Ver^ 
stand  Unheile  zu  bilden  vermöge,  in  welchen  das  Prfidi^ 
kat  dem  Subjekte  auf  schlechthin  allgemeine  und  nothweur 
<lige  Weise  zukommt;  diess  bedarf  hier  bloss  der  allge^ 
meinen  Angabe.  **) 


*]  Beriew  of  the  principal  qnestions    and   difficuUies  In  morah 

by  n.  Pric«.  III   Ed.  Und;.  1787.    Sect.IT.  S.  16.  f. 
**)  Vgl.  Tennemann,  Gesch.  der  Phil.  Bd.XI.  S.5i7.  und 
iasbeiondere  die,  Hune'i  CauMlitaUbegriif  betreiFcnde  Stelle 

8 


114  Priöe. 

• 

f'  So  bringt  "es  Pric^  dem  Princip  nach,  d.  h*  ancBl* 
wiokelter  Weise  (indem  ohnehin  bei  der  eigentlichen  Ab- 
gehe seines  Werkes,  ein  Mora]0ys(em  danustellcn,  jene 
theoretlsdien'  Fragen  nach  dem  W^en  der  Verstandeser- 
kenntnisi  nw  einleitend  und  gelegentlich  behandelt  werdea 
4[onnten),  wesendich  M  derselben  Ansicht,  die  Kant  spn- 
ierhin  entwickeltes  nnr  ohne  dessen  subjektiv  idealistisol^s 
•Element^  kttn  scharfbestimmten  und  richtig  gefassten  Ge- 
gensätze Hdmlich  zwisehen  Sinn  (^ Sinnlichkeit c')  und 
V  ei^s-t  and  9  aber  damit  auch  nur  au  einer  y^l&ufigen  Tren- 
wmg  md.Elitgeg^haltung  beider.  Der  Verstand  kommt^ 
^fie  ba  Kant,  zum  Smne  nur  hinzu ,  als  ein  sweiles, 
allerdings  ebenso  ursprungliches,  und  eigenthümlicher  Er*- 
•fcennlnisse  machtiges  Vermögen ,  aber  an  sich  selbst  dock 
ials  ein  anderes,  ja  ein  dem  Sinnlicheii  entgegengesetztes, 
^e  sinnlichen  Dinge  verstehend  undzuBegriifen  erhebend, 
befolgt  dw  Verstand*  darin  seine  eigenen  Gesetze,  nicht 
cBe  Gesetze  der  D^nge  selbst;  er  bringt  sie  erkennend 
.mit  sichselbst  in  Uebereinstimmung  nach  einem  ihm 
eingeborenen  urq^rängliehen  Maassstabe  seiner  Wahr- 
heit; aber  damit  stehen  virir  iM)gli3ich  vor  der  Kantisdien 
Folgerung,  dass  durch  diess  Verstandigmachen  derselben 
•über  ihre  .Wahrheit  an  sich  Nichts  entschieden  sei.  Kui7, 
fai^  so  wenig,  wie  bei  Kant,  wird  der  Gegensatz  von 
•Sran  und  Verstand  wieder  in  eine  Vermittlung  beider  eu- 
rückgeiuhrt  durch  die  Machweisung,  wie  das  unmittelbare 
£^'ttsstsein  doch  auch  schon  Bewusstsein  des  Allgemeinen, 
•mithin  unentwickelter  Verstand  sei,  wonach  dieser  nicht 
Jifdir,  als  etwas  ursprünglich  ihm  Entgegengesetztes ,  zu 
jenem  nur' hinzutritt,  sondern^  als  das  dem  Sinne,  wie  der 
Innenwelt  selber,  £iagdbildcte ,  aus  ihm  entwickelt 
wird. 

Nach  jener  Philosophie  giebt  es  daher  eine  Welt  wahr- 


bei  Buhle  G^ichiclile  d.  neu  ern  Phil.  Bd.  V.  S.  346, 
wel«lie  Ober  die  wahre  fileinunc  de»  Phtkmophen  i.eiii6fi  Zwei- 
fel lAfst 


Neuere  Philofiö|»bie  in  England.  115 

kalk  ttersimiUcher  Gesetee  inftd  VerriiinftvriMieil«9.'*ini^ 
sie  ist  mir  in  nnserai  Geiste  v  menscMkter:  Beste  tind  fii-» 
genthdfliliclikeit,  nichl  etwas  dem  Seiii,-«ls.isoi]iöheniy 
sohleciithin  Zukottnendes,  wie  Prt'estleI,'Mtvinti)ergf»^ 
bend^  Regung'  wenigstens,  obgteiphtniOseikenl-smistigea 
l^ffiissen  nicht  leiclit  vMraglii^h  en  mbckeii,  l^ooke's 
Princip  anfgefiual  hatte;  und  ao  sind  wir  anUi^nL England 
an  die  Denkweise  gelangt,  mit  der  znieiat  noch,  iti  •DBlitsch4 
hid  die  grosse  Entdeckung  von  der  ObjeUiirifat!nird  ab-* 
solaten  Ailgenieinheit  der  Vernunft  so  lange  ini  KMit>fb  lag. 
Nur  scheint  sich  in  England  bist  jetzt  noidi  iiichtdie  lei- 
seste Ahnung  za  zeigen  voa.dem  Inhalte  und i der  weithin 
storisckien  Bedeutung  jenes^  Unisehwunges  iealscher  Phüe^ 
sopkie.  Die  gegenwärtigen  phäosophiscfaen  Interessen  da«-; 
selbst  tfiesl^ii  sidi,  so  viel  wir  beurtheilen  können,;  tvesent«* 
üch  ZMisehen  einzelnen,  auf  hylodynamisoher  Gitindansieht 
ruhenden  Untersuchungen  physikolheotogisclher  Ait;  —  (so 
LordBrougJbam's  Versuch  über  natdrliiche  Tb0)kigie,  Fr. 
fiakewell9  natürlicher  Beweis  für  ein  künftig^ . Leben  ^) 
«nd  Anderes)  —  welche,  gewiss  sehr  ehrenwerth'  und  als 
Bildangseleroent  für  künftige  höh^e  Entwicklungen-  sogst 
wickäg,  an  das  Geistige  und  Proividentielle  in  den  Ifaturer- 
«cheiMingen  selbst  zu  erinnern^  und  mit  diesem  lebendigen 
Grande  einer  unwiderstehlichen  Gottesuberaeugung,  in  Zu*- 
fiammeöbaag  zu  erhalten  geeignet  sind;  •*-  «njdJilwisohen 
einer  von  ganz  entgegengesefzteip  Geiste  igfekilelen  empi- 
risch-psychologischen Forschung  auf  völlig  materialistischer 
Graadlage,  von  den  Englandern  Phrenologie  genannt, 
«md  mit. solchem  Eifer  bei  ihnen. cultH^irt«,  «dasstsioh  dort, 
irie  in  Frankreich  und  Nordamerika,  eigene  phiräMogische 
Geseilschdften,  Zeltschriften  und  Lehrstühle  gebildet  h^ben, 
indem  das  Vereinzelte  der  Beobachtungen  und  das  Sam- 
meins von  Thatsachen  leicht  den  Schein   von  )V(chfigkeit 


*}Fre<>erik  Bakeweil  natural.evicIeBoe'iofa  fuldreltfe,  ^e- 
rWtd  fron  ibe  properties  aud  actioiM  df  animate»  and  inani- 
n»U  matter ^  Lond.  1835»  Deutsch  .Weupkar.  1836.  •  ^  ^    , 


IIS  '    Neuere.  PhHosophio 

feiriaiien  ^  iw^  an  einen  wissenscbaflUdi  äch  dünkenden 
DästtatitioNs  taiiiftnndem  kann.  Charakteristisch  *g«niag',  ist 
diess  däp-aiiaige .  wissenschaftliche  Absenker  Deolschiands 
geblieben  V  der  in  'England  hat  Wurzel  fimsen  können :  es 
ist  namlickt  die  Gall^SpurKheimsche  ScbädeUehre  und 
Physiologie .  des  Oehims,  die,  nachdem  sie  unter  den  deut- 
schen Physiblogen  längfst  zu  einer  umfassendem  Ansicht 
fortfeiiildet  wordeti  ist,  hiermit  all  ihren  vorläufigen  Män- 
geln t  und)  Unfeirtigkeiten  angenommen  und  in's  Einzelne 
•\'eifoIgt''Wilrdjn    . 

•  '  Die  PhFenbk>gie  geht  aus  ron  dem  wahren,  ebenso 
phiysicriogidGb,  wie  philosophisch  erwiesenen  Grundsatze, 
dass  a  i  1  e,  ändtt  die  geistigsten  Funktionen  der  bewussten 
Seelei,  «u  ibtier  Vetwifkiichiing  einer  sinnlichen  Vermittlung 
dtireh  Th&tigkeit  des  Hirns  und  Nervensystems  bedürfen ; 
aber  sittiibitdet  diess  zu  der  auch  deutschen  Physiologen 
nieht  freituf. gebliebenen  Verirrung  aus,  dass  sie  das  Or- 
gan dejEiiOeiistes  mit  ihm  selber  verwechselt,  und  dem 
Hirn  in<  seinen  eihzelnen  ItieHen  eine  Reihe  specifischer 
Vermögen  i  andichtet,  tm  gewisse  Geistesäusserungen  p  k  y- 
siseh«  heorvOrzubringen  ^  wodurch  das  Bewusstsein  zum 
Produkte  der  HimthStigkeiivheruntergesetzt,  das  System  der 
fieistesvermögen  aber  zum  blossen  Aggregate  der  he- 
4er6gensten,  auf  der  oberflächlichsten  Induktion  von  efaiigen 
Beofoaehtungen  beruhenden  Funktionen  einzelner  Hirn- 
t  h  e  i  1  e  genaieht  wird.  <*) 


*)  GeoV-g^  Cd  taube  System  oF  phrenology;  Lond.  1830«  IH  Ed. 
DeuUcb  von  pr.  S.  £d.  Hirschfeld;  Braunschw.  1833.— 
piA.JE^inie-iiAing  ast  ein  lAtereisantes  Dokument  der  jetst  in 
England  herrschenden  physiologischen  und  psychologischen 
Grundansichten.  Der  Deutsche  Bearbeiter  hofit,  indem  er 
diese  .^grosse  Lehre"  seinem  Vaterlande  wieder  zufuhrt,  da- 
durch einen  epochemachenden  Umschwung  für  die  deutsche 
Wissenschaft  yorzubereiten.  Wir  glauben  in  dem  Werke  nur 
eine  Sammlung  von  Beobachtungen  zu  finden,  welche  die  jetzt 
Ton  den  Physiologen  Deutschlands  und  Frankreichs  so  eifrig 
gepflegten  Untecsuchuagen  über  die  Bedeutung  der  einzelnen 


in  Enfiaiid.  117 

Ueberhanpt  können  wir  diese  Lekre  nur  als  die  leiste, 
gesonkenste  und  verausserlicbteste  Gestalt  der  ganzen  em- 
pirischen Richtong  betraditen,  die  wir  von  Locke  an  in 
ihren  Hauptphasen  Terfolgten ,  und  deren  endlicher  Ab- 
scliinss  zur  Dariegung  des  ganzen  Veriaures  uns  wesentlich 
schien.  Hü  diesem  Ende  ist  ihr  aber  jeder  Keim  vtnd  Antrieb 
zur  Rückkehr  in  eine  spekulative  Ansicht  von  der  Natur 
und  vom  (Seiate  aas  ihr  selbst  Ydllig -^i^scheii.  Die 
philosophische  Regeneration  icheint  für  England  nur  aus 
der  Fremde  kommen  zu  können;  bei  der  allmählich  sich 
gestattenden  Weltlitteratur  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein, 
dass  die  gegenwartige  deutsche  Philosophie  sich  bereitet, 
auch  ausseriich  eine  welthistorische  zu  werden  <ur  Eng- 
land und  die  übrigen  Nationen ;  weniger  vielleicht  durch 
omnilteibare  Uebersiedelung,  als  diopch  die  Veimillhlng  des 
französischen  Geistes,  in  welchem  der  von  DeutseUand  aHS^ 
gegangene  Funke  eigentlicher  Spdoidalion'  Jetst^  wkklioh 

gezündet  zu  haben  sdieint.*}   • 

- — '^ '  •  ■.     ,   •, 

TJieile  des  Hirns  und  Buckenmarks  erweitern  ka^oi,  doch 
dürAen  selbst  diese  Beobachtungen  ,  we^en  des  völlig  Will- 
kuhrlichen  und  Unkritischen  in  der  Eiulheilnng  der  „phrenu. 
logischen  Organe^',  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu  benutzen  sein. 
*)  Wir  meinen  damit  weniger  V.  Cousifas  ekMtisehe  Philo- 
sophie, als  die  Bestrebungen  einiger  jun^eMrMtMaer*  tfie  atls 
Kenis,  Fichte*»,  Schellings  aqd  iieat  ^•i>Verkea  tka 
gründliches  Sludium  gemacht  haben,  vor  Alten  des  trefflichen 
Barchou  de  Penhoen,  der  neben  vollständiger  Kennt- 
niss  dieses  Theils  der  deutschen  Litteratnr  tugleich,  eigentlich 
der  Erste  unter  seinen  L&udsleirten ,  den  wissenschaftlichen 
Gedanken  nnserer  Philosophie Terstandennnd mit  InAigkeit  und 
Einsicht  sich  angeeignet  hat;  auch  sieht -er  In  der  Erwerbung 
derselben  fiir  seine  Nation  nicht  nnr  ein  neues  Band  zi#ischeii 
Frankreich  und  uns,  sondern  erkennt  sogleich  In  ihr  eine 
regenerirende  Macht  fiir  die  wesentllchi^a  religiösen  nkid  so- 
cialen Interessen  seines  Landlos.  S.  tt'ist'Oi^e  de  la  p  h  i- 
losoph  i  e  '  allem  ande  dep^iris  '  Lelbbitz  jusqu'i 
Hegel  par  le  baron  Barchou  de  P'ciiboßa.  11  Vol. 
Pifis  1036,  — 


■  ■A  I 


lil  DeuiAcidand. 


.  •  1 


Wir  finden  keinen  winiitlelbaren  Uebergfungf  aus  der 
gktöhzeiäfen  fV  a  n  z^ös  i  s  o  h  e  n  Philosophie  ^u  der  K  a  n  1 1^ 
üchen^.udd^  kein  >fi|ittkniatives  Elemenl  der  eivtem  in  dieser. 
DieTheorieenCondillac's^  Bonnet's  und  Anderer  aber 
den  Ursprung  unserer  Erkenntniss  waren  nur  der  Locke- 
schen  nachgebildet ,  und  die  Ahntingen  einer  tieFem  Auf- 
fassung der  Nflitur,  Welche  sich  in  Honnefs  sonstigen 
Schriilea  und  auch ^n  Robinet's  Werke  de  la  nature*) 
finden,  beduji{i«n  .0iner  spateren  Zeit,  um  ihre  Deutung, 
Berichtigung  tmd  Vollendung  zu  finden.  Nur  die  praktische 
•Seile  in  Roussea^^s  Eimle  und  oaiUrai  sadatj  da$  Be- 


M 


*)  De  lainature,  parJ^B.  Robiaet;  a  Amsterdam,  1761- 
68;  V  voll;  8*  < —  Robinet  hatte  sein  HauptEiei  auf  eine  bes- 
ßete  Theodicüe  von  dem  Standpunkte  der  Natu rbeobachtuag  und 
Anthropologie  gerichtet.  Auf  diese  Art  ein  Geistesrerwundter 
Yon  Bonne t,  —  den  er  übrigens  durch  den  Geist  und  die 
Lebendigkeit  sf  iner  dynamischen  Naturanschauuug  weit  über- 
traf, .und  dßs^en  bjlödynamiscbe  Hypothesen,  namentlich  die 
Kinschachtelungsthep^e,  er  geistvoll  bekämpft,  —  hat  er  deo- 
noch ,  vielleicht  eben,  aus  jenem  Grunde  ,  von  dem  Einflüsse 
Honnefs  verdrängt ^  wenig  Anerkenntnis»  gefanden.  Eioe 
Erneuerung  seines  Andenkens  auch  unter  seinea  Laadtleuteu 
wäre  daher  so  angeme^yen ,  als  gerecht. 


Die  vorkantisclie  PhilosojjKie  in  Deutschland,        f  19 

wnissteln  der  menschKchen  Freiheit  und  ikrer  Rcehte,  wie 
es  dort  rein  und  gewaltig'  liervoii)rach ,  machte  einen  tie** 
fcn  fiindrack  auf  K8nta:€läi8t;  in  ihm  ukI  in  der  ganzen 
Kanii sehen  Epoche  hat  jenes  Bewusatsein  seiiien-iägent-« 
liehen  Begriff  und  pUlosophischen  AasdAick  gewonnen.  Es 
ifvnrde  seitdem  die  bestimmteste  Anferderung  an  die  PhikM 
Sophie,  regenerirend  auf  die  recbflicheti  und.  siftlicben  Zu^ 
Stande  der  Menaohheit  au  wirken.  - 

Dagegen  steht  die  K  a  n  t  lache  Philosophie  auf  dai 
Engsle  mit  Wolffs  Dogmatismus  im  Zusammenhange>  und 
ist  im  philosophischen  Sprachgebrauches  wie  in  ihren  nega<* 
trven,  polemische  Beziehungen  ganz  von  ihm  abhingigi 
So  wie  Kant  in  dem  ersten  Einschreiten  und  derVhssung 
aeiner  spekulativen  Aufgabe  die  Locke^HumescheRichf 
tung  in  sich  aufnahm ,  so  war  seine.  Philosophie  in-  ihren 
nähern  Ergebnissen  über  metaphysische  Fragen  gor 
gen  dao  deutsche  System  geriohlet.  Man  geflUt  sieh  anch 
jetfll  noch  darin,  diess  als  leeran  aller  «spakulaliven.Wafaiit- 
holt,  und  als  völlig  werthlos  zu  bezeiehlien;  man  gettebt 
Wolff  böehstens  das  Verdieast  zu,  die  jetzt  gdbriöchliclie 
philosophische  Terminologie  in  Deutschland  gc^cündet,  und 
znersi  eine  systematische  Anordnung  :  der  philosophischen 
Wissenschaften,  eine  Art  philosophischer  Encyklo^ 
pädie  versucht  zu  haben.  Der  Mangel  und  die  Entartung 
seiner  philosophischen  Methode,  besosdws  in  der  schwer- 
fälligen sylloglstischen  Umständlichkeit,  die  seine  Schule 
von  ihm  annahm,  liegen  vor  Augen;  aber  es  ist  nicht un»- 
weaentUch,  den  eigentlich  tragenden  Grund  und  dias  Prin- 
cip  zu  erkennen,  das  jener  Philosophie  wenigstens  für  ihren 
Urheber  und  ihre  Foribildner  Evidenz  verlieh. 

Bekanntlich  hat  Hegel  sonst  schon,  und  auch  in  seit- 
ner Geschichte  der  Philosophie  *),  den  Mangel  der  W  o  1  f  f^ 
sehen  Lehre  damit  ausgedrückt,  dass  sie  V  e  r  s  t  a  n  d  c  s  m  e*- 
taphysik  sei.  So  richtig  im  Allgemeinen  diess  ist,  so 
wenig  geniigt  esj  weder  um  ihren  charakteristischen  Wcrlh, 


♦)  Bd.  III.  S.  477  ff. 


120  ..    wour.    , 

nocb  um  ihren  *  Gründtnange^  ^u  beseioiineii ,  da  in  Aem 
ginne ,  in  weichem.  Hegel  Verstand  und  Verstaadesbe^m- 
Bungen  tt^erhai^t  dem  S|)el£iiativea  entgegeasetzi ,  der 
Charakter  der  gesammten  vorkantisdien,  ja  der  K a  n  tischen 
Philosophie  selber  darin  besteht ,  Verstandesphilosophie  zn 
sein.  Der  wesentliche  Unterschied  der  W  ol  ff  sehen  Lehre 
¥on  allen  ftbrigen  bestehl  vielmehr  darin,  dass  sie  das 
formale  Denken  an. die  Stelle  des  realen,  die  Uoss 
logische  (abstrakte)  Allgemeinheit  an  die  Strieder 
Wesenserkenntniss  d^  Doige  setzt  Sie  ist  ein 
abkürzender  Auszug  und  eine  Zuritckfuhrung  der  attgenei- 
nen  Realitäten  nach  ihrer  unmittelbaren  Gegebeidieit  auf 
eine  Reihe  durch  Abstraktion  gefundener  BegrÜGsunter- 
«ehiede,  und  eine  Erklärung  derselben  aus  jener  ab- 
strakten Allgemeinheit;  in  Bezug  auf  ihren  Zusammen- 
kang  nach  dem  einfachen  Principe  verfahrend,  dass  Jedes 
einen  zureichenden  Grund  für  sidi  in  einem  Andern  haben 
wi8S%y  wodurch  freilich  Alles  zuletzt  in  das  henepiacUMm 
Gottes,  in  den  allgemeinen  Begriff  der  göttlichen  Weisheit, 
d.  h.  in  die  Unerklärbarkeil  zurücktritt.  Hieraus  ergtebt 
sich  der  Wolf  fache  Determinismus,  welcher  zugleidi  je- 
doch auf  der  Wirklichkeit  der  „besten  Welt^  besteht  ^  so 
dass  auch  ihm  nur  das  von  Golt  Vorausgesehene,  Ver* 
nunftige  wirUich  sein  soll. 

So  gewinnt  sein  System  den  Gehalt  nur  durch  logi-^ 
sehe  Anordnung  und  Be^iffsbestimmung  des  empirischen 
•firkenntnissstoffes,  wobei  das  Allgemeine  und  Notbwendige 
nicht  weniger  nur  aus  der  Er&hrung  aufgenommen,  oder 
daraus  hervorgesucht  wird ,  wie  die  einzelnen  erfahruugs«- 
massigen  Bestimmungen  der  Dinge.  So  entschieden  näm^ 
lieh  Wolff  auch  an  sich  zwischen  VemunAnothwendigkeit 
und  empirischer  Allgemeinheit  unterscheidet ;  so  verschwin^ 
det  dieser  Gegensatz  ihm  doch  im  Systeme  selbst:  es  ist 
im  Gegentheil  das  Charakteristische  desselben,  ihn  aufza^ 
heben,  und  Alles,  auch  die  einzelne  empirische  Bestimmung, 
in  ein  schlechthin  Determinirtes,  durch  den  Causalzii- 
sammenhang,  in  dem  es  steht,  Nothwendiges  z«  venvattdßlii, 


Woiir.  121 

sonil  die  ganze  Philosophie  eigfenliich  zu  Metaphysik 
ZQ  machen.  Desshalb  nimlich,  weil  Alles  in  gleicher  Weise 
vernunftnothwendig  ist,  und  wir  nur  zwischen  dem  Tcrmit- 
teil  Nothwendigen  und  der  allgemeinen,  durch  Jegliches 
gieichmäfisig  kimiurdigreifenden  Nothwendigkeit  zu  unter- 
scheiden haben,  erscheint  es  in  diesem  Zusammenhange 
keinesweges  unzulässig,  auch  das  allgemein  Nothwendige 
aus  der  Erfahrung,  als  ein  t  h  a  t  s  ä  c  h  I  i  c  h  Allgemeingulli* 
ges,  heraussowickeln ;  —  wie  es  auch  L e  i  b  n  i  t  z  nicht  ver- 
schmähte, bei  dem  Erweise  der  von  ihm  aurgestelltcn  hdch- 
slen  Erkenntnissprincipien  ,  des  Satzes  vom  zureichenden 
Grunde,  von  der  Identität  des  Ununterscheidbaren  u.  s.  w. 
sich  empirischer  Argumente  zu  bedienen. 

So  ist  die  methodische  Anordnung  und  DurchAhning 
des  Systemcs  auf  das  Leichteste  in  Gang  gesetzt :  es  wird 
von  den  einfachsten  und  allgemeinsten  Begriffen  angefen- 
gen,  welche  durch  logische  Analyse  sich  ergeben,  und 
von  da  zu  immer  bestimmtem  fortgeschritten.  Es  ist  ein 
Aneinanderreihen  der  gegebenen  Begriffsunterschiede  nach 
ihrer  iogisehen  Felge ;  das  Material  empirisch ,  die  metho- 
dische Behandlung  analytische  Zerlegung  (die  auch  jetzt  so 
häolige  „ZergKederung^)  der  empirisch  gegebenen  Synthe^ 
sen.  Ihiher  Kant  trefend  und  erschöpfend  die  Philosophie 
Wolffs  dadurch  charakterisirt  hat,  dass  sie  blosse  No- 
minaldefinitionen  an  die  Stelle  realer  Erkenntnias 
der  Dinge  setze,  oder,  was  eigentlich  Dasselbe  bedeutet, 
dass  sie  zwischen  philosophischer  Analyse  und  Synthese, 
analytischen  und  synthetischen  Urtheilen  aprioH  nicht  ntt^ 
tcrschieden  habe ;  —  wir  können  zu  allem  Dem  noch  hin^ 
Zusetzen,  dass  zugleich  damit  für  die  Wolffscho  Philo- 
sophie das  Smpirische,  Concreto  zu  einem  abstrakt  Allge- 
meinen, nur  Nothwendigen  eingeschwund^  sei. 

Dennoch  ist  es  auch  jetzt  noch  von  grossem  metho- 
dischen Interesse,  den  Einschritt  und  Fortgang  des  Systems 
darch  seine  charakteristischen  Wendepunkte  zu  verfolgen. 
Die  Grundlage  desselben  ist  wahr,  tief  und  von  acht  spo- 
kyiativer  Bpschaffenheit;  aber  durch  umständliche  Analyse 


128  Wolir. 

ja  eine  Reibe  cineelner  Sätze  auMinaadergrezogen,  verdäonl 
und  vcrflQchligt  «ich  ihr  Gehalt  dermaasfien ,  dass,  wenu 
man  jene  Idee  derVernunftnothwendigkeit  in  allen 
Dingen  und  in  ilirem  gegenseitigen  Zusammenhange  sich  nicht 
gegenwärtig  erhält,  aus  welcher  Wo!  ff  scliöpile,  und  die 
er  stillschweigend  überall  nithineinverstand,  man  in  den  ein- 
Keinen  Sätzen  kaum  mehr  finden  kann,  als  tose  zusammenhan- 
gende und  willkährlich  aneinand^rgefiigte  Nominaldefinitionen. 
Es  ist  wesentlich  zu  bemerken,  dass  keine  Philoso]^te 
von  diesem  Erbfehler  dogmatischen  Philosophirens 
(dicss  halten  wir  für  den  wahrhaft  bezeichnenden  BegriiT) 
frei  za  sprechen  ist ,  welche ,  statt  in  genetisch  *  diaiekti^ 
scher  Darstellung  die  Grundidee  ihres  Systems  erst  zu  er*- 
zeugen,  und  durch  sie  hindurch  die  einzelnen  Begriffe  zu 
gewinnen,  sich  begnügt,  nur  aus  ihr  heraus  zu  refert*- 
reo.  So  ist  Spinosa's  Ethik,  so  Schellings  erste 
Darstellung  seines  Systems  in  der  altem  Zeilschrift  iur  spe- 
kulative Physik  völlig  unverständlich  und,  Irolz  der  melho- 
disohen  Umhüllung,  wirkungslos  —  (das  vorHussetzungstose 
Verständniss  gleitet  an  ihnen  ab),  —  wenn  man  ni«bt  die 
leitende  Grundidee  ihrer  Systeme ,  die  solchergestnlt  aber 
blosse  V  0  r  a  u  s  s  e  t  z  u  n  g  wird,  schon  kennt  oder  gelten  lässl. 
So  erscheint  auch  der  Anfang  der  Hegeischen  Logik  von 
dem  SeiUf  der  weitere  Portgang  in  das  Wesen,  die  endliche 
Erhebung  in  die  Idee,  als  der  unendlichen  Einheit  des  Sub- 
jektiven und  Objektiven ,  als  eine  völlig  willkühriiche  und 
realitätdose  Gedankenschöpfung,  wenn  niebt  weit  mehr,  als 
der  Begriff  des  absoluten  Wissens,  in  welchem  seine  Pba- 
.  nomenologie  des  Geistes  schliesst,  wenn  nicht  ein  schlechthin 
Reales,  das  in  jenem  logischen  Thun  sich  selbst  begrei- 
fende und  dialektisch  forttreibende  unendliche  Subjekt-Ob« 
jekt,  kurz  das  Absolute  selbst,  subintelligirt  wird.  Verstan- 
den und  in  wahrer  Kritik  gewürdigt  kann  ein  System  daher 
nur  unter  letzterer  Voraussetzung  werden,  nicht  im  ersten 
Falle;  und  so  wird  fast  unvermeidlich  über  dergleichen 
Philosophieen  eine  Gründdiffcrc»iz  des  Verständnisses  und 
der  Bcurtheilung  Sinti  finden  zwischen  denjenigen,  welche 


Woie  123 

im  Besiüse  jener  Gnmdemskht  tiind,  Auf  weicher  das  Sy-i- 
slem  heruht,  d.  h.  die  sicli  mit  ihrer  Kritik  aus  ibni  selber 
hervorbilden ,  und  denen ,  welche  nur  von  Aussen ,  wenn 
auch  mil  schärisler  kritiscfacir  Auflaasui^  seiner  Begriffe 
und  Aasdrucke  hinzutreten ;  so  lange,  bis  säanmtliche  Prin^ 
cipien  und  Standpunkte,  aus  denen  eine  Philosophie  her«*- 
vorgehen  kann,  aus  einander  entwickelt,  und  in  ihrem  ge*- 
genseiiigen  VcrhältBissc  dargelegt  sind ,  -was  nur  in  einer 
erschöpfenden  Erkenntnisstheorie  geschehen  kann.  — 

Wol  ff  hat  sein  System  in  einer  Reihe  von  deutschen 
und  lateinischen  Lehrwerken  mit  doppeller  Vollständigkeit 
dargelegt:  jene  sind  die  altem,  aus  frischerem  Entwürfe 
des  Gedmkens  geschöpft,  und  in  ihrer  gedrängteren  Form 
tritt  Inhalt  und  bindender  Zusammenhang  des  Ganzen  deiit«- 
Itcher  hervor.  Die  spätem,  lateinisch  abgefassten,  obgleich 
bewundernswürdige  Huster  besoimenen  Ausdrucks  und  aus^ 
dauernder,  die  Langeweile  des  eigenen  Crosohäfts  nicht 
scheuender  Gründlichkeit,  tragen  schon  die  ausgebOdete 
Schwerfälligkeit  der  analytischen  Uethodik  an  sich,  und 
diese  hat  eigentlich  dem  Systeme  den  Untergang  gebracht. 
Doch  ist  auch  hier  von  der  Weitschweifigkeit  fonneMer 
SyBogistik  nicht  die  Rede,  die  nach  einigen  Berichterstat- 
tern in  allen  seinen  Werken  herrschen  soll :  nur  in  seinen 
^Anfangsgründen  aller  mathematischen  Wissenschaften^  fin^ 
det  sieb  die  ^Hogistische  Lchrart.  In  seinen  philosophi- 
schen Schriften  wird  der  förmliche  Syllogismus  nur  selten, 
and  bloss  dann  angewendet,  um  zweifelhafte  Sätze  polemisch 
zu  prfifen,  oder  theoretisch  fester  zu  begründen;  -^  ein 
freilich  jetzt  vergessener  Gebrauch^  welchen  jedoch  in  sol«- 
chen  geeigneten  Fällen  wieder  zu  empfehlen  durchaus  nicht 
äberflüssig  sein  kann.  £s  würde  einige  Umständlichkeit, 
am  rechten  Orte  nicht  gespart,  oft  eine  Menge  verworrener 
Erörterangen  nachher  überflussig  machen.  —  Unter  den 
lateinischen  Werken,  ist  die  Ontologie  wohl  das  wichtigste 
und  cigenthumlichste  *) ,  indem   es  seit  Aristoteles  Meta- 


4 

*)  Pbtlosopliia  prima  sive  Onlologia,  methodo  scleuli- 


12*  Wonr 


den  ersten  Versuch  einer  vollslandigen  systcmafi- 
sehen  Darsleliuog  der  Begriffe  des  Seins   (des  Ens  otler 
„Dinges^ ,  der  allgemeinsten  Kalegorieen  der  Wirklichkeit) 
esthalt.    Allerdings  werden  darin  nur  die  abstraktesten  on- 
lologischen  und  mathematischen  Bestimmungen    des  Wirit- 
liehen  auigeiuhrt,  zugleich   aber  jeder  ßegriff  durch  die 
■voUstandigste  Analyse  erschöpft,  und,  da  in  so  angemeinen 
Noiionen  ein  wesentlicher  Irrthum  kaum  mogiich  ist,  nach 
seiner  unmittelbaren  Gegebenheit  im  Bewusstsein  rieh- 
Üg  bestimmt    So  ist  diess  Werk  auch  jetzt   noch  wichtig 
4ind  mericwürdig,  nicht  nur  als  Denkmal  charakteristtschor 
Methodik  jener  Zeit,   sondern  zugleich  als  historische  Ur- 
kunde über  die  urspilingliche  Bedeutung  aller  der  BegriiTc, 
deren  sich  die  deutsche  Metaphysik  bis  in  Kant  hinein 
«uf  das  Mannichrachste  als  erster,  keiner  Erklärung  bedörT- 
tiger  Voraussetzungen  bedient  hat^  so  dass  durch  den  lan- 
'gen  Gebrauch  so  abstrakter  und  leicht  verfinderficher  Be- 
stimmungen   ihr  urkundlicher  Sinn  schwankend  und  unbe- 
stimmt werden,  oder  ganz  in  Vergessenheit  geralhen  muss- 
ie.    Selbst  für    die  eigentliche  Bedeutung  der  aRgemein- 
sten  Begriffe  in  der  Kan tischen  Philosophie,   welche  aus 
^em  wissenschafUichen  Sprachgebrauche  ihrer  Zeit  schöpf- 
ile«  ist  es  ndthig,  bis  zu  Wolffs  Ontologie  undPsycholo^ 
•gie  zurückzugehen. 

Unter  seinen  deutschen  Schriften  sind  die  „vernünf- 
tigen Gedanken  von  Gott,  der  Welt  und  der 
iSeele  des  Mensche n^*)  besonders  auszuzeichnen :  sie 
(enthalten  eine  encyklopadische  Uebersicht  aller  Thcile  sei- 
nes philosophischen  Systems,  und  sind  am  Ersten  geeignet, 
neben  der  klaren ,  kurzen  und  bündigen   Metaphysik 


fica  pertractata,  quo  omnis  cognitionis  bumanae  principia  con- 
tinentiir,  auct.  W  o  1  f  fi  o ;  FrancoF.  et  Lips.  1730.  4  ;  mit  einer 
merkwürdigen  Dedikation  an  den  König  von  Schweden  ,  in 
weicher  er  sein  Unternehmen  für  die  Philosophie  mit  deoi  des 
Eiiklides  iu  der  Mathematik  vergleicht 
*)  3te  Audage,  trsler  TheiL  Ualie  172&. 


woiir.  tss 

A.  G.  B  a«  vif  arten  sj^)^tttts  den  Charakter  desSyile« 
in«^  <terin  auch  seiii  chainakleristiseh  Lehrreiches,  erkranen 
zu  lassea. 

Interessant  ist  der  erste  Einschrilt  in  sein  System, 
durch  welchen  er  sich  ab  gründlich  sysleaaatischen,  seihst*» 
standigen  Denkjsr  bewahrt^und  aber  Leibnitz,  wie  über 
Spinosaiy  zurückgmft:  es  ist  der  Cartesianis^he 
Anfang;  cogüo,  er^  $um^  nur  erweitert  und  dinrch  eine 
eigene  Wendung  den  besondem  Zwecken  seines  Syslcmes 
angepassl. 

^Wir  sind.  uns.  an  .Unmittelbarsten  unser  selbit  und 
anderer  Dinge^  bewusat*;  in  dieser  unzweifelhafte.  firCeih-* 
ning  liegt  iaber  der  Schlnsssatz:  dass  wir  slnd^  ab 
die  ^ste  und  ursprün^qjhste  Gewiadieit.  Diese  ist  der 
Ausgangspunkt  aller  andern  (vermittellen)  Gewissheit.  Jede 
^Demonstration^  nuiss  dahin  geben,  Alles,  was  erwiesen 
wiid,  nns  ebenso  gewiss  zu  machen,  als  diess  uns«t 
Sein  für  uns  ist,  und  eben  desswegen  diess  zum  Prin** 
cip  und  Ableitungspunkte  jeder  vermittelten  Gewissheil  zu 
erheben  („Vernünft..Gedanken«  etc.  $.  1— 8.>  Hierin 
ist  scharf  und  richtig  das  Princip  der  modernen,  seit  Des 
€artes  befestigten,  und  zum  Bewwrstsein  gekommenen 
Methodik  und  Wissenschaft  angegeben,  vom  Subjekte 
auszugehen ,  und  die  Wahrheit  nur  in  das  mit  ihm  Identir 
sehe  zu  setzen.  —  D$is  ebenso  durchgreifende  Princip  des 
Christenthums   und   der  unmittelbar.  d9rauf  gegiUudeteii 


*) Metapbytica,  Halae  1730.f  aacSi  von  Hsrbart  hauptsächlich 
ZQ  Gründe  gelegt  bei  seiner  Kritik  46f  Leihaitziscb-Wolffi-r 
«eben  Systeioes ,  mit  welcher  er  die  eigene  Metaphjpsik  ecuff-- 
net.  —  Die  lateinische  Urschrift  Baumgartens  wurde  nachher 
ins  Deutsche  übersetzt  Ton  G.  F.  Meier  1764 j  später  noch* 
mals  mit  einigen  Zusätzen  herausgegeben  von  J.  A.  Eber, 
h  a  r  d,  Halle  1783.,  belobt  und  empfohlen  von  M.  M  e  n  cl  e  I  s- 
so  b n ;  sq  dass  dies«  Werk  als  Quinteisenz  der  ,W ol  f  fischen 
Philosophie,  und  als  das  letzte  Bollwerk  der  Autorität  anzu- 
sehen ist,  welches  die  sinkende  «Schule  der  Uebermacht  des 
Kaotischen  Geistes  entgegenstellte. 


186  wour. 

WissetiMhafilichkeif  des  Mittieiallers  «a^  dagegen,  äUe  Ge- 
wissheit  der  gfleicli  zu  machen,  dass  Gott  sei  undjffiv* 
sprochen  habe ;  während  das  wissenschaftliche  Bewnsstseia 
der  ahcn  Welt  n4)ch  unentschieden  sich  tbcilte  zwischen 
dorn  Verfiiessen  md  Sichvei^gesaen  der  eigenen  SabjeUi^ 
vität  im  Unendlichen,  oder  der  abstrakten,  ohne  weitern 
Antrieb  der  Forschung  in  sich  verharrenden  Zuruciige«H 
gfenheit  der  vereinzelten  Subjektivität :  (Stoa  und  Skepsis). 
Die  Aufgabe  derg'egenwärtigen  Philosophie  endlich  w&ro 
es,  diese  ihrer  selbst  gewisse  Subjektivität  übersieh  hin« 
ausziAreiben ,  und  den  Satz:  so  wahr  ich  bin,  in  die 
höchste,  ihn  seftst  erst  gründende  Wahrheit:  so  gewiss 
Gott  ist,  autj^ehen  zu  lassen ,  in  scUeiihdiin  gleicher, 
wechselseitig  sich  begründender  GewissheiL  — 

In  jener  subjektiven  SelbstgewissheiC  liegt  aber  zu- 
gleich schon  der  Salz  des  Wid  ersprnches,  mar  in 
besonderer  Anwendung,  miteingeschlossen :  in  dieser ,  wie 
in  aller  übrigen  bestimmten  Gewissheit,  sdiliesst  diese 
eben  damit  ihr  Gegentheil  ans  (S^  10.  II.)-  Hieraus  ergiebt 
sich  der  Begriff  des  Mögli  oben,  als  desjenigen,  vras 
nichts  Widersprechendes  in  sich  enthält.  Diess  isl  also 
der  allgemeinste  und  weiteste,  der  Anfangsbegriff.  Die 
Philosoplüo  ist  daher  überhaupt  als  die  Wissenschaft 
von  dem  Möglichen  zu  bezeichnen. 

Aber  dadurch ,  dass  Etwas  als  möglich  gedacht  wird, 
ist  es  doch  nicht  JSs  muss  also  ausser  der  Möglichkeit 
noch  etwas  Mehreres  dazu  kommen,  wenn  Etwas  sein 
soll,  wodurch  das  Mögliciie  seine  ErfTUIung  erhälL  Und 
diese  Erfuilnng  des  Möglichen  ist  eben  dasjenige,  was 
wir  Wirklichkeit  nennen«  (§.  14.).  Diess  ist  die  er- 
ste Einfuhrung  der  späterhin  so  berüchtigt  gewordenen 
Wol  ff  sehen  und  Ba  umgart  enschen  Definition  des 
Wirklichen,  dass  es  das  conhpleuieiitmn  possibilUatis  sei, 
welche  auch   Herbart   in    seiner   Metaphysik*)   einer 


*)  Th.  I.    S.  17—22.     Der'  Ausspruch  desselben,  „dass  die  alte 
Schule  weit  strenger  gegen- sich  selbst  zu  sein  p'flegej 


Wolir.  127 

«ciMrftiiiiiigeii  Prafimg'  nnlerworfen  hat.  Es  ist,  wie  mfifi 
steht,  gleich  allen  übrigen  ontologischen  Definitionen,  eine 
Erklärung  des  gegebenen  Begriffes  Wirklich  keil, 
nicbl  eine  Herleitong  desselben  aus  andern,  noch  we- 
niger eine  Nachweisung,  was  der  Grund  des  Wirklichen 
raid  afles  Wirklichen  (Realen)  sei ,  dass  es  etwa  aus  dem 
Mögticlien  stamme,  gleichwie  Herbart  die  Vermulhmig 
fiussert,  dass,  weil  die  Dinge  früher  möglich  zu  sein  schci-« 
nen  ,  ehe  sie  in  die  Wirklichkeit  eintreten ,  Wirklichkeit 
das  eomplemenium  pomUUtoH»  genannt  worden  sei. 

Die  Antwort  über  den  Grund,  der  das  bloss  Mögliche 
Enm  Wirklichen  mache,  erfolgt  weit  später:  die  Terwirk-' 
lichnng  des  einxelnen  ,^Dinges^  —  (Ding  sber  ist 
Alles,  was  möglich  ist,  es  mag  wirklich  sein 
oder  nicht;  $•  16.)  —  liegt  in  semer  Pradetermination 
durch  «Ses  ihm  vorausgehende  Wirkliche :  es  ist  n  o  t  h  - 
wendiges  Produkt  der  Znsammenwirkung  aller  Truhe-« 
rem.  Dinge,  und  diese  ist  es,  was  zur  Möglichkeit  oder  dem 
Wesen  ($.  35.)  einer  Sache  noch  kommen  muss,  damit 
es  seine  Wirklichkeit  erreiche  ($.  565  —  66.).  Diess  ist 
eben  der  zureichende  Grund,  warum  es  vielmehr 
ist,  als  nicht  ist  ($.  29.  30.). 

Das  Wesen  eines  Dinges  besteht  aber  darin,  dass  es 
nurauf  diese  bestimmte  Art  und  Weise  möglich  ist; 
d^g^gcn  jede  andere  Art  für  dasselbe  schlechthin  unmög- 
lich (widersprechend)  wäre.  Diess  Gegentheil  des 
schlechtbin  Unmöglichen  ,  Sichseibstaufliebenden  ,  Wider- 
sprechenden, macht  eben  das  Nothwendige  an  ihm  aus, 
und  so  ist  Alles,  was  sich  als  nothwendige  Eigenschaft  an 
ihm  zeigt,  zu  seinem  Wesen  zu  rechnen,   zugleich  damit 


als  di«  heutige  Zeit"  (S.  20.)^  den  vir  nur  gerecht  und 
bezeichnend  finden  können  ^  zeugt  abermals  von  der  Vorur- 
thejllosigkeit  und  der  charaktervollen  Selbstständigkeit  dieses 
Philosophen,  mit  welcher  er  von  den  eingewurzeltesten  Meinun- 
gen keine  Notiz  nimmt,  wenn  sie  ihm  als  ein  blosses  Vorur. 
ibeU  eetclMiuea« 


128  WoIK 

xti  dem,  wafi  an  jedem  Dinge  ewig,  unveränderlicb^ 
mid  durchaus  unabhängig  ist  von  allem  Andern  ($.  36-— 
43).  —  Es  ist  schon  erinnert,  dass  das  noihwendige  We- 
sen des  Dinges  im  Begriffe  desselben  zum  Bewussisein 
kommt. 

Im  Wesen  eines  Dinges  Kegt  daher  auch  die  VolU 
kommen  heit,  welche  jedem  nach  seiner  Art  Emturech- 
nen  ist.  Je  mehr  daher  das  einzelne  Ding  nur  seinem 
Wesen  entspricht,  desto  voUkommner  ist  es.  Da  aber  in 
den  Dingen,  sofern  sie  zusammengesetzt  sind  — 
(ein  UauptbegriiT,  den  die  Wolffscbe  Philosophie  gleich- 
falls von  L  e  i  b  n  i  t  z  überkommen  hatte ,  und  über  dessen 
wahre  metaphysische  Bedeutung  bei  dem  Letztem  wir  uns 
an  einer  spätem  Stelle  das  Weitere  vorbehalten),  —  sehr 
verschiedene  Grade  von  Vollkommenheit  stattfinden  kön- 
nen: so  ist  klar,  dass,  wenn  ein  Ding  von  einer  gewissen 
Art  einen  gewissen  Grad  von  Vollkommenheit  hat,  es  ebenso 
gut  auch  einen  andern  hätte  haben  können.  Der  eine 
Grad  der  Vollkommenheit  ist  so  möglich ,  als  der  andere, 
indem  einer  so  wenig  dem  Wesen  des  Dinges  wider- 
spricht, als  der  andere.  Diess  ist  das  Zufällige 
an  ihm,  d.  h.  dasjenige,  davon  das  Entgegengesetzte  sein 
kann,   oder  dem  das  Entgegengesetzte  nicht  widerspricht 

CS-  1750. 

Da  nun  das  Wesen  der  Dinge  nothwendig  ist ,  so 
muss  auch  A 1 1  e  s  >  was  in  diesem  allein  gegründet  ist, 
nothwendig  sein;  mithin  auch  unveränderlich  und  ewig. 
Diese  Bestimmungen  haben  daher  alle  Dinge,  welche  einer- 
lei Wesen  (BcgrifF)  haben,  mit  einander  gemein.  Wir  nen- 
nen sie  Dinge  von  einerlei  Art.  —  Aber  diese  kön- 
nen zugleich  doch  von  einander  unterschieden  sein,  nämlich 
in  demjenigen,  was  nicht  bloss  aus  ihrem  Wesen  stammt, 
sondern  dem  Zufälligen  (im  weitesten  Sinne)  an  ihnen 
angehört  ,($.  179—182.). 

Aber  auch  das  Zufällige  an  den  Dingen  ist  darum  kei- 
nesweges  undeterminirt,  oder  ohne  seinen  zurei- 
chenden Grund.    Nur  kann  dieser  nicht  mehr  im  Wesen 


Wolff.  129 

desselben,  als  der  Quelle  des*  Nothwendigen  gfcfunden,  oder 
jenes  dadurch  erklart  werden.  Er  ist  daher  nur  m  der 
Beziehung'  und  dem  Zusammenhange  der  einzelnen 
Dinge  unter  einander  zu  finden:  in  dem  übcrhaut>t, 
wodurch  das  Eine  die  Ursache  wird  von  einer 
Beschaffenheit  des  Andern.  Diess  ist  daher  zu- 
gleich das  Verändern  che  an  ihnen,  indem  es  in  jedem 
Dinge  nur  so  lange  fortdauert,  als  die  Beziehung  zu  dem 
andern  Dinge  stattfindet,  welche  Ursache  dieser  Beschaffen- 
heit geworden  ist.  So  ist  Eigenschaft  das  Bleibende, 
welches  aus  dem  Wesen  des  Dinges  folgt,  und  durch  die 
Veränderungen  selbst,  als  das  Modißcirbare  sich  hindurch- 
zieht, —  Beschaffenheit  dagegen,  was,  aus  den  wech- 
selnden Verhältnissen  zu  den  andern  Dingen  hervorgehend, 
überhaupt  die  Modificirbarkeit  der  Eigenschaften  selbst  ent- 
hält: —  ein  Sprachgebrauch,  welchen,  der  Grondbedeu- 
tung  der  Wörter  angemessen,  und  eine  der  wicb^tigsten 
Bestimmungen  enthaltend,  der  Verfasser  in  seiner  Ontologie 
wieder  euizuiuhren  kein  Bedenken  getragen. 

So  giebt  es  jedoch  weder  eine  Eigenschaft,  noch  eine 
Beschaffenheit  in  irgend  einem  Dinge,  welche  nicht  entwe- 
der in  seinem  Wesen,  oder  durch  einen  Zusammen- 
hang mit  den  übrigen  Dingen  determinirt  wäre,  oder  sei- 
nen zureichenden  Grund  hatte.  Wir  nennen  jenes  zwar 
das  Nothwendige ,  diess  das  Zufallige ;  nicht  aber  darum, 
weil  diess  weniger  determinirt  wäre,  als  jenes,  sondern 
weil  vrir  den  zureichenden  Grund  der  Determinationen  des 
Letzteren  nicht  vollständig  erkennen  können,  welcher  in  dem 
unendlichen  Zusammenhange  der  Dinge  unter  einander  liegt 
(S.  186—190.).  Das  Resultat  ist  daher  vollständiger  De- 
terminismus. 


Diess  der  summarische  Inhalt  der  Lehre  „von  den 
ersten  Gründen  uns'erer  Erkenntnisse,  welche 
Wolff  sonst  erste  Philosophie,  oder  Ontologie 
nannte,  und  als  die  Wissenschaft  vom   Dinge  über- 

9 


130  Wolir.    Banmirarton. 


O" 


haupt,  Alexander  Baumgarten  als  die  Wissen- 
schaft der  gemeinem  (allgemeinen)  und  abstrak-« 
tern  Prädikate  des  Dinges  bezeichnete*).  Baum- 
garten bemerkt  daher,  dass  die  Obtologie  nur  nnsinn- 
liche  Begriffe  enthalten,  und  dass  kein  Begriff  in  ihr  Platz 
finden  könne,  welcher  den  äussern  Sinnen  zukomme.  Von 
jenen  seien  einige  unsinnlich,  weil  sie  Begriffe  von  ein- 
fachen Substanzen  sind  «(den  intelligibek  Substraten 
der  Sinnendinge) ,  andere,  weil  sie  dem  Einfachen  und  dem 
Zusammengesetzten  (zugleich)  zukommen.  Die  erstem  Bo- 
griffe könne  man desshalb  aussersinnliche  nennen,  die 
letztem  übersinnliche. 

Dennoch  werden^  trotz  dieser  Festsetzung  des  Begriffiü 
der  Ontologie,  Baum  und  Zeit  mit  ihren  Grundbestim- 
mungen von  Wolff,  wie  von  Baumgarten,  indem  on- 
tologischen  Zusammenhange  abgehandelt  Sie  sind  gleich- 
falls unsinnliche  Prädikate  des  Dinges,  indem  sie  dorch  das 
Bewusstwerden  des  Beaten  überhaupt  im  Geiste  ent- 
stehen :  Raum  nämlich,  nach  der  ursprünglichen  L  q  i  b  n  i  t  z  i- 
sehen  Erklärung,  als  Ordnung  der  zugleich  seienden,  Zeit, 
als  Ordnung  der  nach  einander  seienden  oder  sich  verän- 
dernden Dinge  (Wolffs  Vern.  Gedanken;  $•  44. 
94.  95.). 

Darin  also  ergab  sich  für  Kant  kein  Vorgang,  Raum 
und  Zeit  aussdtKesslich  zu  Grundformen  der  Anschau- 
ung (Sinnlichkeit)  zu  machen  j  und  den  Kategorieen,  als 
den  Grundformen  des  Verstandes,  cntgegenzastellen. 
Vielmehr  behauptete  Kant,  wie  wir  aus  seinem  berühmten 
Streite  mit  Eberhard  sehen,  in  dieser  Trennimg  und  Ent- 
gegensetzung einen  wesentlichen  Fortschritt  iübcr  dieLeib-> 
nitzisch  -  Wolf  fische     Philosophie     hinausgethan    eu 


*)  Pliilosopliia  prima  sive  Ontologia,  quo  oninis 
cogtiitiotiis  liuinaBar  principia  eontinentur, 
au  ct.  Chr.  W  o  I  f  i  o  ^  FVaurof.  1730.  4  §.  !•  nnd  J  5.  — 
Alex.  BaiimgarteDs  Metaphysik;  neue  Aufl.  Halle  1783. 
^.  1,  4  uud  5. 


Wbiff.  131 

haben ;  imd  so  wird  df css  in  einem  der  Ansgangsponkto  Ar 
die  nächstfolgende  Philosophie,  die  Kan tische.  —  An 
sich  selbst  aber  stellt  sich  eine  der  Cardinaifiragen  auch  der 
gegenwärtigen  Spekulation  ein:  ob  Raum  und  Zeit  nur  der 
sinnlichen  Erscheinung^^  beigelegt  werden  können, 
dem  intelligiblen  Grunde  derselben  jedoch  nicht  zu^ 
kommen ,   oder  ob  beide  eine  schlechdiin  allgemeine 
Grundbestimmung  aller  Realität  sind?  —  Bleibt 
es  bei  dem  ersten  Satze  und  hätte   also  Kant  mit  dem 
Schritte,  den  er  über  die  Leibnitzisch-Wolff'sche 
Phflosophie  hinausgethan  hat,  einen  standhaltenden  und  defini- 
tiven Fortschritt  ausgesprochen:  so  behielte  die  Kan- 
t  i  sehe  Grundansidit  im  Wesentlichen  und  in  all  ihren  wei- 
lom  Folgen  auf  die  allgemeine  Bildung  Recht    Das  Abso-- 
inte,  der  inteDtgible  Gfttnd,  wäre  nach  seinen  positiven 
Prädikaten  schtechdiin  unerkennbar;  denn  es giebt über- 
haupt keine  positive  (bejahende)  Bestimmung,  welche 
nicht  zu  Raum  und  Zeit  in  ein^n  realen  —  nicht  bloss 
negirenden  —  Verhältnisse  stände.     Di^s  ist  daher  einer 
der  Hauptpunkte,  welcher  sich  bei  der  Kritik  der  folgenden 
Systeme ,  namentlich  des  K  a  n  t  i  sehen ,  immer  wieder  er*- 
nenem  muss,  ja  der  sich  bis  in  die  Betrachtung  der  gegen- 
wärtigen Lehren  als  die  entscheidende  Frage  hineinzieht.  — 
bn  Uebrigen  ist  bei  der  Wolff  sehen  Ontotogie  und 
semen  übrigen  metaphysischen  Demonstrationen  die  metho- 
dische Grundvoraussetzung  die  völlig  naive  des  unmittel- 
bafen  Bewusstseins  oder  des  sonstigen  wissenschaftlichen 
(z.  B.  mathematischen)  Erkennens,  dass,  was  sich  im  Den- 
ken als  nothwendig  ergebe,    auch    eine  allgemeingültige 
apriorische  Wahrheit  sei ,  die  schlechthin  in  allem  Reden 
ihre  objektive  Geltung  habe.    Es  ist  unbefangenes,  damit 
aber  auch  ungerechtfertigtes  Axiom  dieser  Philoso- 
phie, dass  der  nothwendige  Begriff  des  Dinges  das 
objektive  Wesen  des  Dinges  sei,    Analyse  desGe- 
gebenen,  um  das  Nothwendige  für  seinen  Begriff  zu  finden, 
und  Syllogismus  sind  daher  die  beiden  Principien  der- 
selben, aus  welchen  sie  ihren  gesummten  Inhalt  schöpft. 


132  Wolff. 

Hieraus  eigeben  sich  zugleich  die  Bedingungen,  durch 
die  eine  ^litosophische  Gotteserkenntniss  zu  Stande  kommt 
Darüber^  als  über  eine  sehr  charakteristische  Seite  dieses 
Systemes ,  müssen  wir  noch  Bericht  erstatten ,  zumal  da 
W  0 1  Tf  überall,  auch  in  seiner  theologia  naturalis,  vollstän- 
dige imd  ausreichende  Erläuterungen  hinsichtlich  dessen 
giebt,  wie  die  Philosophie  überhaupt  zu  einem  Begriffe 
von  Gott  und  von  seinen  Eigenschaften  kommen  könne.  Da- 
bei wird  sehr  genau  der  Beweis  für  das  Dasein  Gottes  (für 
die  EKistienz  eines  schlechthin  nothwendigen  Wesens  über- 
haupt), und  der  von  dem  Wesen  und  den  Eigenschaften  des* 
selben  aus  einander  gehalten. 

Was  nun  den  ersten  betrifft,  so  finden  wir  weder  in 
dem  deutschen  Lehrwerke  (^^Vernünftige  Gedanken^ 
Q.  s.  w»  §.  928 — 31.)9  noch  in  sebier  später  herausgegebe* 
ncn  vollständigem  und  besonders  ausgefeilten  theologia  na* 
iuralis*}  die  Sonderung  der  ontologischai ,  kosmologi- 
sehen  und  teleologischen  Argumente,  wie  sie  in  der  Kan- 
tischen Kritik  geordnet  und  dargestellt  werd^;  noch 
weniger  wird  hier ,  wie  man  dennoch  erwarten  sollte  nach 
<ler  historischen  Wichtigkeit,  die  Kant  dem  ontologischen 
Beweise  giebt,  dieser,  —  d.  h.  die  Begründung  des  Daseins 
Gottes  durch  den  Schluss  von  dem  Begriffe  des  allerreaU 
sten  Wesens  auf  die  Existenz  desselben,  weil  Existenz 
«ine  reale  Eigenschaft  sei,  welche  jenen  nicht  ab- 
gehen könne,  —  in  den  Vordergrund  gestellt,  oder  auch 
sonst  nur  aufgeführt  Ueberhaupt  scheint  der  ontologische 
Beweis  in  dieser,  —  der  Kantischen  —  Fassung,  so 
weit  unser  Quellenstudium  der  W  o  1  fr  sehen  Schriften  reicht, 
von  demselben  nicht  anerkannt  worden  zu  sein,  ebenso 
wenig,  wie  von  Leibnitz»»},  ja  wie  auch,  wenn  man 


*)  Theologia  uatiiralis,  uielhoilo  scientifica  perlractata.  Part 
prior,  iiitegriim  systetna  complrctens ,  qua  exist^ntia  et  attri- 
btita  Dei  a  posteriori  demonstrantur ,  auct.  Chr.  Wolfio. 
Francof.    1736.  4.    Pars.  I.    Cap.  I.    (;.  24-34. 

*)  Meditationes  de  Cognitione ,  Verilate  et  Ideis,  Opp.  Vol.  II. 


Wolff.  133 

genauer  binsieht ,  selbst  Des  Cartesihn  nicht  in  einer 
80  formellen  Krasshcit  behauptete.  *) 

Der  Beweis  fOr  das  Dasein  Gottes,  wie  ihn  Wolff 
ausfuhrt,  beruht  vielmehr^  ganz  nach  der  Airieitung  L  e  i  b-« 
n  i  t  z  e  n  s ,  auf  dem  kosmologischcn  Argumente :  Wir  sind ; 
Alles  jedoch,  was  ist,  hat  einen  zureichenden  Grund  seiner 
Existenz.  Und  so  ist  auch  der  Grund  unserer  Existenz 
entweder  in  uns  selbst,  oder  in  einem  andern  zu  flnden. 
Im  ersteren  Falle  wären  wir  selber  das  „nothwendigc  Ding.* 
im  andern  Falle  kann  er  zuletzt  doch  nur  in  einem  Dinge 
gefonden  werden,  das,  indem  es  Grund  des  Andern,  zugleich 
Gnmdder  eigenen  Existenz  ist.  Und  demnach  giebt 
CS  ausser  uns  ein  solches  noth  wendiges  Ding.  Aus  dem 
Begriffe  desselben  folgt  daher  nothwendig  seine  Existenz ; 
mid  in  diesem  Zusammenhange  ist  die  Folgerung  voll- 
kommen richtig:  giebt  es  überhaupt  ein  zufälliges  (den 
Gnmd  seiner  Existenz  in  einem  Andern  habendes)  Ding; 
so  muss  es  auch  ein  schlechthin  noth  wendiges,  den  Grund 
seiner  Existenz  in  sich  selbst  habendes  Wesen  geben : 
sonst  könnte  überhaupt  Nichts  existiren.  Es  wird  daher 
nicht  geschlossen  ans  der  Idee  des  nothwendigen  We- 
sens auf  seine  Realität,  sondern  aus  dem  Begriffe  der 
Exist.enz  schlechthin  (aus  der  einfachsten  Grundthatsa- 
che  eines  Wirklichen  überhaupt)  auf  die  Existenz  eines 
nothwendig  Wirklichen,  Absoluten.  Und  diess  ist 
auch  der  wahre  Sinn  der  Verbesserung,  welche  Leibnitz 


P-  I.  S.  15.  —  De  la  di^mon«tratioii  Cart^sienne  de  l'existencQ 
de  Dien;  ibid.  S.  254.  Vgl.  S.  264.  —  Hier  erwähnt  Leib- 
nitz  zugleich,  das«  diese  Demonstration  auch  bei  den  Scho« 
lastikem  zu  keinem  aligemeinen  Ansehen  gelangt,  und  na- 
mentlich Ton  Thomas  von  Aquino  ab  ungenügend  yer« 
«orfen  worden  sei. 
*)  Ren.  Cartesii  Principia  philosophica,  P.  I.  {.  XVIII.  p. 5« 
Meditationes  de  prima  philosophia,  Medit.  III.  p.  21*  Opera 
ed.  Elzevir.  ]664.  Vgl.  des  Verfassers  Abh.  „zur  speku- 
laiiven  Theologie '<  in  der  Zeitschrift  für  Philo- 
sophie, Bd. IV.  H.2.  S.  184. 


134  Wolff.    Leibnitz. 

(a.  a.  0.  8.  255.)  der  Cartesianischcn  Beweisfidurang  aus 
der  Idee  des  schlechtbin  nothwendigoa  Wesens  hinzu- 
fugen wilL  Er  sagt ,  wa$  daran  fehle ,  sei  eigentlich  nur, 
dass  die  Möglichkeit  eines  solchen  bewiesen  werden 
müsse.  *)  Man  könne  diess  durch  den  Satz  ausdrücken: 
Wenn  das  noth wendige,  oder  durch  sich  selbst 
seiende  Wesen  iViiredesoi)  möglich  ist  —  wenn 
dieser  Begriff  überhaupt  keinen  Widerspruch  im  Denken 
in  sich  schliesst;  —  so  existirtes.  —  Wenn  es  aber 
unmöglich  wäre,  so  müsste  auch  die  Existenz  der  andern 
Wesen  für  eben  so  unmöglich  erklart  werden ,  da  diese 
zuletzt  doch  nur  in  dem  durch  sich  selbst  Seienden  den 
Grund  ihrer  Existenz  finden  können.  Man  müs$te  dann 
also  behaupten:  Wenn  das  durch  sich  selbst 
seiende  Wesen  nicht  ist,  dann  ist  überhaupt 
auch  kein  anderes  denkbares  Wesen  wirk- 
lich: es  vermöchte  überhaupt  dann  Nichts  zu  sein; 
was  sich  widerspricht,  u.  s.  w.  Es  existirt  also  ein 
durch  sich  selbst  seiendes,  schlechthin  nothwendiges  Wesen. 
So  ieibnitz  und  Wolff,  was  man  in  dem  Sinne 
allerdings  einen  onlologischen  Beweis  für  das  Dasein  Got- 
tes nennen  kann ,  als  er  aus  dem  Begriffe  des  Seins ,  der 
Wirklichkeii  schlechtliin,  gefuhrt  wird ;  nur  ist  zuzugeben, 
dass  die  Kantische  Widerlegung  desselben  diese  Form 
nicht  kennt,  und  überhaupt  gegen  dieselbe  Nichts  auszu- 
richten vermöchte :  sie  bleibt  ganz  unberührt  von  jener. 
Nur  das  wäre  mit  Fug  gegen  den  also  erwiesenen  Begriff 
des  schlechthin  nothwendigen  Wesens  zu  erinnern,  dass 
in  ihm  die  Idee  Gottes  in  keinem  Sinne  erschöpft  sei,  dass 
daifiii  fiiw  der  Anfang  eines  Erweise«  für  die  Realität 
derselbei^  gefunden  werden  könne;  ein  Verhältniss,  dessen 


*)  Man  Tergleiche  damit  die  Beinreisfuhrung  des  Wolf  fachen 
Satzes  in  der  tbeol.  naturalis  a.  a.  O.  $.34.:  „<ins  a  se  exi> 
stit  ideo^quia  possibil  e*S  welche  dasselbe,  nur  for> 
melier  y  und  darum  unklarer,  enthält. 


WoUt  136 

sich  Leiknilx,  wie  Wolff  jedoch  auf  das  Deutlichste 
bewQsst  waren. 

Der  Letztere  fahrt  nach  jener  allgemeinen  Prämisse 
nämlich  also  fori  (Vernunft.  Gedanken,  §.  929  fr.  ver- 
gliche» mit  iheoL  nainrtau  a.  a.  0.  $.  46.  $.  50  IT.):  We- 
der wir  selbst,  noch  irgend  Etwas  in  der  erscheinenden 
(aspeclabüie')  Welt^  noch  die  Weit  selber  kann  diess  schlecht- 
hin nothwendige  Wesen  sein ;  denn  alle  Eigenschaften, 
welche  aus  seinem  Begriffe  folgen,  und  von  ihm  unabtrenn- 
Hch  sind,  müssen  an  uns,  wie  an  den  Weltdingen  vielmehr 
aegirt  werden.  Das  schlechthin  nothwendige  Wesen  (§.  945. 
946.)  ist  daher  ebensowohl  von  der  Welt  und  ihren  Ele- 
menten ,  als  auch  von  unserer  Seele  unterschieden ,  und 
also  ist  in  ihm  der  Grund  von  der  Wirklichkeit  beider 
zu  suchen.  „Diess  von  beiden  unterschiedene 
Wesen  ist  es,  was  wir  Gott  zu  nennen  pflegen.  Es  ist 
demnach  Gott  ein  selfoststandiges<<  (aus  sich  selbst  seiendes) 
»Wesen ,  in  welchem  der  Grund  von  der  Wirklichkeit  der 
Welt  und  der  Seele  zu  ünden."  —  „Da  nun  gewiss  ist,  dass 
CS  ein  dergleichen  sclbstständiges  Wesen  giebt;  so  ist 
auch  ein  Gott«;  —  wo  sogleich  dann  die  allgemein- 
sten Eigenschaften ,  welche  an  dem  selbststandigen  Wesen 
demonstrirt  worden  waren ,  Einfachheit,  Ewigkeit ,  Unkör- 
perlichkeit,  Unermessitchkeit,  u.  s.  w.  auch  als  Eigenschaf- 
ten Gottes  prädicirt  werden. 

Erst  von  hier  aus  wird  dann  zu  den  Prädikaten  fort- 
geschritten, welche  Gott  zum  allerrealsten  Wesen 
machen.  Sie  entstehen  dadurch ,  dass  wir  diejenigen  Ei- 
genschaften ,  welche  wir  in  der  Welt  für  die  voflkommen- 
sten  halten ,  Gott  uneingeschränkt  oder  in  absoluter  Voll- 
kommcnheit  beilegen  müssen.  Hieraus  wird  zugleich  er- 
klärt ,  wie  wir  selber  einen  Begriff  von  Gott  und  seinen 
Eigenschaften  zu  erhalten  vermögen.  Weil  nämlich  das 
Wesen  Gottes  Aehnlichkeit  hat  mit  dem  Wesen  unserer 
Seele  ($.  1097.),  die  Seele  aber  sich  selbst  erkennt,  mit- 
hin auch  einen  Begriff  von  sieh  selbst  hat;  so  hat  sie  da^ 
durch  allein  schon  zugleich  einen  Begriff  von  Gott.    Denn 


136  WoIiT.    fiaumgartcn. 

da  unser  Wesen  und  die  in  ifaem  gegruadelen  Eifenschar- 
tcn  eingeschränkt  sind,  Gott  aber  Alles,  was  er  ist, 
auf  unendliche  Weise  ist;  so  dürfen  wir  nur  die  Ein- 
schränkungen unseres  Wesens  und  seiner  Eigenschanen 
weglassen,  um  den  Begriff  von  dem  Wesen  und  den  Eigen- 
schaften Gottes  zu  erhalten  ($.  1076.  78.)-  Zugleich  ist 
nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  nur  die  unendliche  YoU- 
kommenheit  derjenigen  Eigenschaften,  welche  den  Menschen 
zum  vollkommensten  unter  dem  empirisch  bekannten  Welt- 
wesen  erheben,  auch  Gott  zum  allerrealsten  Wesen  machen 
kann ,  also  vor  Allem  Verstand,  Freiheit  und  Güte.  Aber  auch 
hier  stellte  W  o  1  f  f  die  Forderung  an  die  natürliche  Theo- 
logie ,  um  diese  Begriffe  von  dem  Scheine  einer  leeren 
Vorstellung  zu  befreien,  dass  aus  den  Eigenschaftai 
der  Welt  nachgewiesen  werden  dass  ihr  zureichender  Grund 
nur  mit  den  Prädikaten  des  vollkommensten  Verstandes,  der 
unbeschränktesten  Freiheit  (Allmacht),  und  der  höchsten 
Güte  gedacht  werden  könne. 

Diess  in  ihren  Grundzügen  die  natürliche  Theologie 
Wolffs,  wahrend  er  in  ihrem  übrigen  Inhalte  die  bekann- 
ten Uauptmaximen  Leibnitzens  aus  seiner  Theodicäein 
AusftUirung  bringt.  Und  so  wollen  wir  nur  als  histori- 
sche Thatsache  feststellen,  dass  weder  gegen  Wolff, 
noch  gegen  Leibnitz  die  Kant i sehe  Kritik  über  die 
natürliche  Tlieologie,  namentlich  über  die  Form  des  ontolo- 
gischen  Beweises,  gerichtet  sein  konnte ;  denn  alles  diess, 
wenigstens  in  dieser  Gestalt,  ist  nicht  bei  ihnen  anzutreffen. 
—  Erst  bei  Baum  garten  (ob  aber  zuerst,  oder  aus- 
schliesslich unter  allen  Wolflianem  bei  ihm,  vennögen  wir 
furerst  nicht  zu  entscheiden)  —  findet  sich  der  ontologi- 
sche  Beweis  in  derselben  Schlussweise,  wie  Kant  sie  vor 
Augen. hatte,  aber  auch  hier  mit  so  genauer  historischer 
Beziehung  zu  Leibnitz  und  Wolff,  dass  die  Entstehung 
desselben,  als  einer  vermeintlich  kurzem  und  prägnanteren 
Fassung  jenes  Grundarguments,  voUkommen  verständlich 
wird.  Er  hängt  dort  mit  den  allgemeinsten  ontologischen 
Grundbestimmungen   zusammen  y  welche   daher  auch  hier 


Baunigartcn.  137 

herbeizuzielicn  sind.  (A.  Baumgartens  Metaphysik 
'$.  602—618.) 

Wirklichkeit  —  so  hat  die  Ontoiogie  ($.  51.) 
behauptet  —  ist  dem  Wesen  (des  Dinges)  nicht  zuwider, 
sondern  sie  ist  eine  Realität,  welche  mit  dem  Wesen 
zugleich  möglich  ist.  Realität  aber  ist,  zufolge  einer  ^eich-> 
falls  frähem  Erklärang  (§.31.)^  eine  b ej  a  h  en  d  e  Bes t i m- 
mung  im  Möglichen.  —  Wenn  ich  daher  dem  bloss 
als  möglich  Gedachten  zugleich  nun  Wirklichkeit  bei- 
lege, so  habe  ich  ihm  eine  Realität  beigelegt;  nicht 
minder,  \%ic  wenn  ich  ihm  eine  bestimmte  Eigenschaft 
beilegte.  Hier  zeigt  sich  sogleich  schon  der  von  Kant 
aufgedeckte  Erbfehler,  der  dem  ontologischen  Beweise  in 
der  spätesten  Fassung  seine  Entstehung  gegeben  hat ,  den 
Begriff  der  Wirklichkeit  in  eine  Reihe  mit  den  realen  Ei«- 
genschaften  (Realitäten)  des  Dinges  zu  stellen ;  und  hierher 
gehört  auch  die  späterhin  so  anstössig  gewordene  Erklä- 
rung :  dass  Wirklichkeit  die  Ausfüllung  (jcomplemeiUum')  des 
BcgriOes  des  Möglichen  sei.  Demungeachtet,  nachdem  sich 
jener  Begriff  auf  eine  so  unscheinbare  Weise  in  die  On- 
totogie eingeschlichen  halte,  durile  er  nun  auch  in  der 
natürlichen  Theologie  auftreten  und  seine  Fruchte  tragen. 
(Vgl.  auch  Baumgartens  Ontol.  $.  41.) 

So  setzt  sich  die  ontologische  Demonstration ,  nach 
den  vorigen  Prämissen  mit  der  strengsten  Bündigkeit,  fol- 
gender Gestalt  in  Bewegung,  und  wird  nun  in  der  That  zu 
dem  bekannten  ontologischen  Beweise,  welchen  Kant  be- 
kämpfte. Der  Begriff  des  vollkommensten  Dinges 
(S.  602  ff.)  wird  zuvörderst  aufgestellt ,  und  nach  seiner 
Möglichkeit  (aHgemeinen  Denkbarkeit)  und  seinen  allge- 
meinsten Bestimmungen  erwiesen :  das  vollkommenste  Ding 
ist  der  Inbegriff  aller  Realitäten.  —  Alle  Realitäten  (für 
sich)  sind  in  der  That  bejahende  Bestimmungen, 
uid  keine  Verneinung  ist  eine  Realität  Folg-* 
lieh,  wenn  auch  in  Einem  Dinge  alle  Realitäten  ohne  Aus- 
nahme mit  einander  verbunden  gesetzt  werden;  so  kann 
doch  daraus   niemals  ein  Wfderspruch*  entste- 


138  Baum^rten. 

ben:  (denn  Bejahendes  kann  niemals  einem  andern  Beja* 
henden,  sondern  nur  dem  Verneinenden  widersprechen; 
Überhaupt  keine  Reelitdl  kann  mit  einer  andern  Realität  in 
Widerspruch  treten :  -*  der  Gipfel  des  leeren,  Tom  Realen 
gterade  absehenden  Formalismus,  indem  er  in  dem  unend- 
lich unterschiedenen  Inhalte  des  Concrefen  Nichts  als  die 
abstrakte  Bejahung  sieht.)  —  Nun  hat  das  yoUkommensle 
Ding  (seinem  blossen  Begriffe  nadi)  alle  Realitäten,  die 
beisammen  möglich  sind:  folglich  hat  es  alle  Rea- 
lititen  ohne  Ausnahme,  und  eine  jede  derselben  im  aller- 
höchsten  Grade  ($.605.). 

Hiermit  ist  zunächst  die  M&gliehkeit  dieses  Be- 
griffes, nach  Leibnitzens  Rath  und  Torgang,  freilich  auf 
eine  nur  formelle  Art,  auf  dem  Wege  analytischer  Fol- 
gerung nachgewiesen.  —  Aber  mit  gleich  formeller  Vor- 
sicht wird  der  Uebergang  in  den  Begriff  seiner  Whrklich- 
keit  eingeleitet« 

Wenn  eine  Realität  in  einem  Dinge  gesetzt  ist,  so 
wird  dadurch  in  demselben  eine  Verneinung  aufgeha- 
l>>en:  nun  sind  in  dem  vollkonnnensten  Dinge  alle  Reali- 
täten beisammen;  folglich  hat  es  unter  seinen  innem  Be- 
stimmungen gar  keine  Verneinung.  —  Nun  ist  die  Wirk- 
lichkeit eine  Realität,  welche  (laut  Vorigem)  mit  dem 
Wesen  und  den  übrigen  Realitäten  beisammen  mö^glich 
ist:  NichtWirklichkeit  wäre  aber  eine  Verneinung. 
Folglich  hat  das  vollkommenste  Ding  die  Wirklichkeit 
Gott  isk  das  vdlkoromenste Ding ;  folglich  ist  Gott  wirk- 
lich (f.  606—609.). 

Versftäf kt  wird  dieser  Beweis  noch  durch  Nachweisung 
der  Ungereimtheit  des  Gegentheils  (§.  618. 19.) :  Ein  nicht 
wirklickiY  Gott  wäre  ein  Ding,  welches  alle  Realitäten 
hätte,  und  dem  doch  Eine  fehlte;  welches  in  Absicht 
aller  innem  Vollkommenheiten  in  dem  denkbar  höchsten 
Grade  bestimmt  wäre ,  und  welches  in  Absicht  einiger 
dennoch  nicht  so  bestimmt  wäre ;  —  folglich  ist  das  G  e  - 
gentheil  der  Wirklichkeit  Gottes  umnöglich;  nud  sie 
selbst  ist  daher  schlechthin  nothwendig«    Gott  ist  demnach 


Bfluinirarlon.  139 


"O 


das  nolhwendigü  Ding,  upd  —  ^wean  Gott  nichl 
wirklich  wäre,  so  wäre  der  Sati^  des  Wider- 
spruches falsch.^ 

Diese  in  strenger  Folge  und ,  ausserlkch  betracbtel,  ia 
wirklicher  Folgerichtigkeit  ablaufende Beweisfubrung, 
—  übrigens,  wie  wir  gezeigt  haben,  die  spateste  Nachgeburt 
der  Leibnitzischen  Entdeckungen,  unter,  der  sidi  die 
wahre  und  ursprungliche  Grundidee  jaie«  Beweises  yer- 
luUUe,  so  lange  bis  sie  —  vergessen  wuvde,  —  «st  nun 
der  dgentUche  oder  alleinige  Gegenstand  von  Kants  Wi«* 
derlegungen.  Aber  indem  diese  in  der  TImU  widerlegt  ist^ 
soll  man  nicht  meinen,  den  oatologischen  Beweis  überhaupt 
widerlegt,  oder  auch  nur  ihn  getroffen  zu  haben.  Wenn  es; 
jedoch  jetzt  uns  seltsam  oder  unbegreiflich  dünken  möchte,^ 
wie  eine  Demonstration  nach  der  ebea  charakterisirten  Art 
jemals  habe  Geltung  und  Ansehen  gewinnen  können;  sa 
muss  bedacht  werden ,  woran  in  Dingen  solcher  Art  nicht 
genug  zu  erinnern  ist ,  dass  selbst  in  ihm  die  Wahrheit 
jener  Grundidee  und  ihre  ursprüngliche  Ueberzeugung  das 
geheim  Wirksame  und  der  Inhalt  war,  welcher,  in's  Brette 
und  Formelle  getrieben,  und  vollends  noch  durch  übereilt 
aufjg^estellte  ontologlsche  Prämissen  weitläufig  unterbaut,  da«- 
durch  freilich  seiner  Ursprunglichkeit  verlustig  gehen  miisste^ 
und  nachdem  die  Grundidee  selber  in  Vergessenheit  gerar-^ 
then  war  y  nur  als  das  Gespenst,  einer  leerwilUkubrlichen: 
Formalistik  zurückbleiben  konnte. 

Jetzt  freilich  ist  es  leicht,  die  Würzet  seines  Irrtbuns. 
zu  treuen  —  in  dem  faksch  oder  zu  aUgemein  bestimmten 
BegriiTe  der  ReaUtät:  für  Kant  abev,  zmnal  wahrend  der 
Uebergangsepoche^  wo  düein  Leibnitz,  sogar  in  Wolff 
«och  fortlebende  Idee  des  Absoluten  unter  jenen  Formeln 
verschüttet  zu  werden  anfinge  war  es  dos  Meisterwerk  eines 
bis  in  den  Grund  dringenden  Scharfsinns,  den  verborgenen 
Fehler  jener  Beweisführung,  welche  er  mit  Recht  „ein  gan- 
zes Nest  scholastischer  Subtilitäten^  nennt,  auf  seinen  ein*« 
fadisten  und  erschöpfendsten  Ausdruck  zu|iickzuf$hren« 

Doch  Kant  tbat.uoch  mehr.     Wir  haben  gezeigt: 


140  Uebergfaiig  zu  Kan!. 

Begriffsanalyse  und  Syllogismus  waren  die  bei- 
den Principien,  durch  die  jene  Philosophie  zu  ihrem  Gehalte 
kam.  Hierin  lag  aber  offenbar  eine  Vermischung  oder  ein 
ünuntcrschicdcnlassen  des  Analytischen  und  Syn- 
thetischen: es  musste  unaufhörlich  die  Versuchung  ent- 
stehen, aus  dem  Kreise  der  blossen  Analyse  unvermerkt 
zu  synthetischen  Bestimmungen  überzuspringen;  ein  Bei- 
spiel solchen  Fehlers  hatte  Kant  eben  entdeckt ,  an  wel- 
ches man  zugleich  die  ungeheuersten  Konsequenzen  an- 
knüpfen wollte:  man  dachte  aus  Analyse  des  Begrifles  vom 
Allerrealsten  die  synthetische  Folgerung  zu  gewinnen, 
dass  es  desshalb  auch  existiren  müsse,  oder  wie  Kant 
diess  klassisch  kräftig  ausdrückte:  man  suchte  aus  dem 
Begriffe  das  Sein  herauszuklauben.  —  So  musste  er, 
und  es  war  wieder  der  einfachste  Ausdruck  für  eine 
tausendfaltig  gewendete  Verwirrung  —  den  einfachen  Ge- 
gensatz des  Analytischen  und  Synthetischen  in  Erinnerung 
bringen 

Aber  die  zweite  Frage  lag  hierbei  noch  nahe,  oder 
war  eigentlich  Eins  mit  jener,  -^  wie  denn  überhaupt  der 
Syllogismus  das  Recht  und  die  Macht  erhalte, 
schlechthin  aus  sich  selbst  (apHori)  und  ohne  alle  gege- 
bene Erfahrung,  aus  den  alten  Begriffsbestimmungen 
durchaus  neue  synthetisch  hervorzulocken,  und  zugleich  zu 
behaupten ,  dass  das  also  (durch  subjektives  Denken)  Ge- 
fundene  objektive  Allgemeingültigkeit  haben 
müsse,  oder  kürzer  —  wie  das  (apriorische)  Denken 
überhaupt  des  Wesens  der  Dinge  mächtig 
sei?  —  (Uebrigens  hatte  Kant  schon  früher  durch  seine 
Schrift:  „über  die  falsche  Spitzfindigkeit  der 
vier  syllogistischen  Figuren  (1762)  das  Joch 
des  Syllogismus  gebrochen.) 

So  drängte  Kant  mit  bewundernswerther Einsicht  die 
sämmtlichen  bewusstlos  gebliebenen  Voraussetzungen  der 
Wolffschen  Phüosophie,  ja  alles  „dogmatischen^ 
Philosophirens  in  die  einfache  Frage  zusammen  :  wie  sind 
synthetische  Urtheile  apriori  möglich?     Die 


Uebergang  zu  Kant.  141 

veiiioigene  Grandvoraussotzung  oder  das  zugestandene  Re- 
sultat des  Vorhergehenden  erhob  er  zum  Bewusstsein 
und  damit  zum  Probleme.     Diess  ist  immer  und  in  jeder 
Wissenschaft  die  urkundliche  Beglaubigung  eüier  wahren, 
epochemachenden  Nachfolgerschaft  gewesen,  durch  die  ein 
völlig  neuer  Weg  des  Erkennens  betreten  wird.    Entweder 
man  macht ,  was  bisher  unantastbare  Grundvoraussetzung, 
absolute  Schranke  des  Verständnisses  gewesen  war,  selbst 
zum  Gegenstande  einer  darüber  hinausgreifenden  Untersu- 
chung —  der  ajigemeinste  Begriff  des  Transscenden- 
t  a  1  i  s  m  u  s :  —  oder  das  letzte  Resultat  wird  von  Neuem 
zur  Prämisse  einer  hohem  Combination  und  weiterer  Fol- 
gerungen gemacht     Beides   wird  in  der  philosophischen 
Forschung ,    deren  Wesen  besonders  in  ihren  ersten,  fun- 
damentalen Untersuchungen  in  jenem    Transscendentalis« 
mus  besteht,   oft  genug  zusammenfallen.    Wenigstens  ist 
diess  bei  Kant  geschehen;  und  wiewohl  er  selber  in  sei- 
nen „Prolegomenen  zu  jeder  künftigen  Meta- 
physik^  von   der  nahen  und    innigen    Beziehung   zur 
Wo  1fr sehen  Philosophie  einiger  Maassen  absieht^   und 
über  seine  Bildungsgeschichte  berichtet,  dass  erst  Hume's 
Erinnerungen  gegen  die  objektive   Gültigkeit  des  Satzes 
vom  Grunde  seinen  dogmatischen  Schlummer  unterbrochen 
hätten :  so  kann  er  damit  wohl  nur  die  erste  Erschütterung , 
meinen,  welche  das  überlieferte  Gebäude  seiner  Ueberzeu- 
gungen  traf.    Von  da  an,  und  durch  sio  angeregt,  hat  er 
ohne  Zweifel  völlig  selbststandig  den  Grund  desselben  un- 
tersucht, um  nun  seinen  tiefsten,  verborgensten  Eckpfeiler 
anbrüchig  zu  finden.     Es  bedurfte  wirklich  Kantischen 
Geistes,  seines  Eindringens  und  seiner  Ausdauer  dazu,  um 
aus  den,  wie  wir  sahen ,  ganz  empirisch  und  ziemlich  roh 
behandelten  H  um  eschen  Betrachtungen  solche  Proble- 
me heranszuläutem ! 

Durch,  das  Auffinden  jenes  grossen  und  allgemeinsten 
Problemes  hat  wirklich  nun  Kant  im  Verlaufe  der  von  ihm 
ausgehenden  Epoche  die  gesammte  Philosophie  um  eine 
Stufe  höher  gerückt:  das  dogmatische  (gleichsam  vor- 


142:  Ucbcrgfang:  zu  Kant. 

laute)  Bonehmefi  und  Verhalten  m  den  Erkenn tnissgegt3nstfin- 
den  ist  dberminden,  —  oder  sollte  es  wenigstens  sein.  Das 
Denken  hat,  zufolge  der  Selbsterkenntniss  seiner  Natur,  sein 
Recht  und  seine  Gewalt  ober  die  Wahrheit  und  das  Wesen 
der  Dinge  nachgewiesen ;  —  aber  nicht  durch  Analyse  und 
formellen  Syllogismus:  auch  nicht  —  wir  bezeichnen  damit 
den  ganz  analogen  Fehler,  in  welchen  die  Entdeckung  des 
neuen  methodischen  Princips  umzuschlagen  in  Gefahr  ge* 
kommen  ist ,  —  durch  Bogriffsdialektik  nach  irgend  einem 
absolut  gQltigen  Schema  drei-  oder  auch  viertheiliger  Mo- 
mente, welche  an  jedem  Erkenntnissgegenstande  dargelegt 
werden  müssen,  wenn  sie  auch  nur  zusammenzusu- 
chen'wären,  um  ihn  methodisch  bewältigt  zu  haben:  — 
sondern  aHein  dadurch ,  dass  das  Denken  mit  absoluter 
„Voraussetzungslosigkeit^  eingeht  in  das  Wesen 
«nd  die  Nothwendigkeit  der  untersuchten  Wahrheit:  di6 
wahre  Methode  ist  die  Aufweisung  der  in- 
nern  Nothwendigkeit  des  Gegen^tandei^ 
selbst  — 

Diess  ist  —  um  das  Künftige  sogleich  zu  anticipiren 
—  auch  der  wahre  und  schliessliche  Sinn  der  Antwort, 
welche  Kant  auf  jefte  Frage  nach  der  Möglichkeit  synthe- 
tischer Urtheile  apriori  giebt,  wenn  wir  von  der  Einschrän- 
kung auf  die  nur  subjektive  Gültigkeit  dieses  Grundsatzes 
absehen,  welche  in  den  sonstigen  Prämisseri  seiner  Theorie 
lag.  Er  drückt  ihn  ^  als  den  „obersten  Grundsatz 
synthetischer  Urtheile^  so  aus:  Alle  Gegenstände 
Stehen  in  Ansehung  ihrer  (apriorischen)  Erkenntniss  unter 
den  nothwendigen  Bedingungen  det*  syilthe-^ 
tischen  Einheit  des  Mannichfaltigen  der  An-^ 
achauung  in  einer  möglichen  Erfahrung:  d.  h. 
•dasjenige,  was  als  die  nothwendige  Bedingung  fiir 
jede  mögliche  Erfahrung  des  Gegenstandes  erkannt  Wird^ 
um  die  synthetische  Einheit  lieines  Mannichfoltigen  zu 
constttoiren,  ist  auch  das  synthetisch  und  aprloff 
an  ihm  Erkannte. 


AilgreineiBer  Charakter  WotOTs.  143 

So  viel  Aber  das  Vorb^cilende  der  Woirrschen  PU-- 
losophio  auf  den  Kanftischen  Standpunkt.  Wenn  wir  je^ 
doch,  alles  Bisherige  zusammenfassend,  den  Werlh  der- 
selben für  sich  beurtbeilen  wollen ;  so  ist  diese  Philosophie, 
nicht  nur  ihrem  äussern  Umfange  und  il^rer  wissenschaftli- 
chen Absicht  nach,  —  welche  nichts  Geringeres  erstrebte, 
als  den  gcsammten  EritenntnissstoiT  zu  einem  in  sich  seihst 
begründeten  Systeme  von  strenger  Methode  und  nnzwei- 
felhafter  Gewissheit  zu  verarbeiten,  —  sondern  auch  durch 
die  wirkliche  Leistung  und  gedankcnmässige  Ausführung, 
ein  grundliches ,  auch  jetzt  noch  lehrreiches  Unternehmen. 
Sie  ist  ebenso  die  konsequente  Durchführung  der  damals 
zum  Bewusstscin  gekommenen  Erkenntnissprincipien ,  und 
sonach  die  der  damaligen  Zeit  eben  also  angemessene  Ge- 
stalt der  Wahrheit,  wie  dless  nur  iiigend  von  Kants 
und  Hegels  Systemen  behauptet  werden  kann.  Sie  ist 
der  konsequenteste  Ertrag  des  Syllogismus  nach  den  Sätzen 
des  Widerspruchs ,  des  ausgeschlossenen  Dritten  und  des 
zureichenden  Grundes ;  daher  sie  auch,  ganz  dieser  syllo- 
gtsiischen  Haltung  entsprechend,  in  der  Methode  der  Geo-- 
metrie  das  Vorbild  ihrer  eigenen  Methodik  erblicken  musste^ 
welche  zwar  auch  bei  S  p  i  n  o  s  a  angewandt  worden,  aber 
dem  Inhalte  seines  Systemes  ganz  ausserlich  geblieben  war, 
dem  sie  vielmehr  bei  der  abstrakten  Identität,  mit  weicher 
Alles  in  dem  BcgrifTe  der  unendlichen  Substanz  von  S  p  i- 
nosa  nur  verbunden  wird,  völlig  widerspricht;  so  wie 
beide  Philosophen  in  Hinsicht  auf  methodische  Ausführung 
und  gleiehmässige  Diurcharbeitung  ihres  ErkenntnissstolTes 
kaum  eine  Vergleichung  unter  einander  zulassen. 

Aber  auch  Wolffs  persönlicher  Charakter,  als  unab- 
hängigen Forschers,  und  in  seinen  mannichfaltigen  littera- 
risdien  Confitkten,  zeigt  sich  stattlich,  kräftig  und  voll 
besonnenen  Maasshaitens.  Wolffs  Schriften,  die  deut- 
schen insbesondere,  sind  reich  an  Stellen,  welche  mit  Be- 
geistemng  und  in  acht  philosophischem  Sinne  den  unbe- 
dingten Werth  klarer  Yemunfterkenntniss ,  vor  Allem  über 
die  höchsten  Angelegenheiten  der  Religion,  der  Moral  und 


144  AUgemciner  Charakter  Wolffs. 

des  Staates ,  wie  ihren  Einiluss  auf  Leben  und  Charakter 
aussprechen.  Und  wie  er  sogar  in  seiner  Polemik  darauf 
ausgeht,  sein  Benehmen  nach  festen  und  klar  definirten 
Grundsätzen  einzurichten,  und  sich  nur  objektiv  und  sach- 
gemass  zu  seinen  Gegnern  zu  verhalten  —  welcher  Art 
diese  waren,  weiss  man  —  j  so  spricht  sich  auch  das  Ziel 
seines  Philosophirens  und  die  überall  gründliche  Gesin- 
nung des  Mannes  in  seinen  Werken  höchst  würdig  aus.  — 
Klassisch  in  dieser  Beziehung  und  des  erneuerten  Anden- 
kens gar  wohl  werth  ist  seine  „Erinnerung,  wie  er 
künftig  es  mit  den  Einwürfen  halten  will,  die 
wider  seine  Schriften  gemacht  werden  (Halle 
1725.  3.  Aufl.) ,  welche,  auch  im  Stile  rasch  und  gewandt, 
seine  Gegner  mit  der  vollen  Energie  des  Denkens  auf  klare 
Begrifle  zurückfuhrt,  und  sie,  ohne  übrigens  einen  Namen 
zu  nennen,  klassenweise  mit  dem  überlegensten  Geiste  da- 
hinstreckt.  *) 

So  hat  sich  Deutschland  auch  dieses  Philosophen  nicht 
zu  schämen,  der  sich  in  geschlossener,  völlig  und  gelungen 
durchbildetcr  Eigenthümlichkeit  uns  darstellt,  und  gar  wohl 
des  gewaltigen  Einflusses  würdig  war,  welchen  er  auf  sein 
Zeitalter  geübt  hat.  Hag  man  jetzt  auch  seinen  Namen 
aus  Halbkenntniss  oder  Vorurtheil  fast  sprichwörtlich  mit 
Schmach  belegen ;  wir  können  ihn  getrost  den  grossen  und 
für  ihre  Zeit  wohlthätigen  Männern  beizählen,  wie  sie  un- 
sere Nation  in  jeder  Epoche,  ihrer  Bildung  angemessen,  her- 
vorgebracht hat,  gleichwie  auch  Kant,  Jacobi,  Her- 
der, Hamann  ihre  Hochachtung  vor  ihm  nie  vcrlSugnet 
haben. 


Hiermit  sind  nun  die  eigentlich  theoretischen  Vorbe- 
dingungen erledigt,   welche  bei  Hume,  wie  Wolff  dem 

*)  Auch  vergleiche  man:  „Wolffi  vernünftige  Gedan- 
ken von  den  Kräften  des  mens  chiich  en  Ver- 
stände •**}  Halle  1710.  in  der  Einleitung  und  sonst 


Unraittoibaro  Vorgüngor  Kants.  145 

r^HSchwunge  in  Kant  Eiim  Stülzpiiiikte  dienton.     Aber  es 
wäre  weit  gcrehlt ,  wenn  man  darin  alle  Bedingungen  der 
Vorbildang  für  Kant  erschöpft  glaubte.    Nur  dann  gelingt 
es  einem  Philosophen,  so  durchgreifend  über  alle  Zweige 
der  Kultur  einzuwirken,  wenn  er  nicht  weit  vorausgreifend 
setner  Zeit  voraneilt,  sondern  ungleich  mehr,  wenn  er  das- 
jenige ,  was  in  ihr  sich  vorbereRet  hat ,  nnd  in  einzelnen^ 
aus  einander  liegenden  Zügen  schon  verwirklicht  ist,   mit 
zusammenfassendem  und  principiellcm  Bewusstsein  ausspricht. 
Mit  aUen  positiven  Ergebnissen  seiner  Philosophie,  mit  sei- 
ner Rechtslehre,  seiner  Ansicht  vom  Staate,  mit  seiner  Re- 
ligionsichre ,  selbst  seiner  moralischen  Bibeldentung  hat  er 
nur  das  Gesammtresultat   ausgesprochen ,  wa6  schon  vor 
ihm  lange  und  allmählich  sich  vorbereitet  hatte,  besonders 
auch  in  den  politischen  und  kirchlichen  Kfimpfen  Frankreichs 
und  Englands.     Er  war  Held  und  geistiger  Vollender  der 
in  ihm  culminirenden  Epoche^  welche  daher  völlig  mit  ihm 
zusammenschmobE  und  in  ihm  sich  wiederfand,   ungleich, 
den  andern  Genien ,   die  einsam  oder  wenig  erkannt  eine 
Frucht  iur  die  Folgezeit  aussäen,  und  deren  Gegenwart  erst 
irgend  eine  Zukunft  isL    Dabei  ist  es  bekannt  genug,  wie 
sein  enc^dopädischer  Geist  auch  die  übrigen  Bildungsele- 
mcnte,  die  ihm  die  Naturwissenschaften  darboten,  beson- 
ders in  Mathematik,  Astronomie  und  Physik,  und  bis  in  das 
Genaueste  der  Erd  -  und  Menschenkunde  hinein ,  auf  das 
Frischeste  und  Vergegenwärtigendste    in  sich   vereinigte. 
Nur  von  dem  Speciellen  der  Physiologie,  wiewohl  er  Blu- 
menbachs nisus  fem^oHeus  in  seiner  Kritik  der  Ur« 
iheilskraft  (S.  378.)   billigend  anfuhrt  und   in   die  mnfas- 
sendste  Beziehung  stellt,  auch  an  andern  Stellen  (ebendas. 
S.  368.  69.)   von  der  Wichtigkeit  comparativer  Anatomie 
für  die  Ausbildung  einer  auf  Natureinsicht  gegründe- 
ten philosophischen  Teleplogie  redet,  —   eine 
Stelle,  deren  genial  regsamer  Gedankengehalt  späterhin  durch 
die  umfassendsten   Forschungen  die    reichste  Ausführung, 
aber  auch  genauere  Bestimmung  erhalten  hat :  —  von  dem 
Speciellen   der  Physiologie  des   Menschen    blickt   dennoch 

10 


14Ö  ünmiüelbnre  Vorgänger  Kants. 

keine  g-enauere  Kunde  durch,  die  doch  schön  in  Albrecht 
von  Haller  ihre  erste  Epoche  zum  Abschlnss  gebracht 
hatte. 

Eben  so  war  Kunst  und  Poesie  seiner  Zeit  ihm  in  gewis- 
ser Ferne  geblieben,  was  Herder  in  derKalligone  bitter, 
aber  im  Einzelnen  treffend,  und  von  eigener  tiefer  Einsicht 
begleitet,  ihm  vorgerückt  hat.  Winkelmanns,  Les- 
sing s  Forschungen,  die  gleichzeitige  Umgestaltung  der  Dicht- 
kunst scheint  i&r  Kant  ohne  Berührung  geblieben  zusein; 
völlig  gemäss  den  geistigen  Vorbedingungen  seiner  Bildung 
und  seines  Genius,  welcher,  selbst  in  stetem  Sinnen  den  Pro- 
blemen des  Wirklichen  zugewandt,  auch  in  der  Poesie  nur 
das  Lehrend-Beschreibende,  vor  Allem  die  grüblerisch  tiefen 
Stellen  derselben,  vorgezogen  zu  haben  scheint.  Aber  in 
aRem  Dem,  was  ihn  fesselte,  wie  in  dem,  was  beziehung^s- 
los  auf  ihn  blieb,  lässt  sich  der  durchgreifende  Faden  eines 
gediegenen,  nur  auf  die  höchsten  Wahrheiten  gerichteten 
Forscherinteresses  verfolgen :  seine  Uneingenömmenheit,  der 
freie ,  empfängliche  Sinn  für  jede  Eigenthümliclfkeit  des 
Wirklichen ,  wie  iSr  jede  Weise ,  ein  gegebenes  Problem 
aufzulassen,  reichen  weit  und  unbedingt  hinaus  über  die 
Schranken,  in  welche  er  nach  selbstgegebener  kritischer 
Norm  die  theoretische  Erkenntniss  einzwängen  ztt  müssen 
glaubte.  Es  wird  später  sich  zeigen,  dass  er  dann  sogar  in 
einem  geheimen,  überall  sich  hindurchziehenden  Widerspru- 
che mit  sich  selber  sich  befindet.  Ueberhaupt  lässt  seine 
Denkweise  den  umfassendsten  Horizont  des  Möglichen  und 
Wirklichen  für  die  Forschung  zu,  und  hierin  hat  er  eigent- 
lich seine  Hatiptbeziehungen  zu  den  vorausgehenden  und 
gleichzeitigen  Geisteserscheinungen, 

Die  philosophische  LehrüberDeferung  des  W  o  I  fr  sehen 
Systemes  pflanzte  sich,  ausser  unzählbaren  andern  An- 
hängern, selbstständig  durch  Georg  Bernhard  Bilfinger, 
Alexander  Gottlieb  Baum  garten,  Joachim  Georg  Dar- 
jes,  Georg  Friedrich  Hei  er,  Johann  August  Eberhard 
fort.  In  Johann  Georg  Feder,  dessen  Leben  und  Wirk- 
samkeit sich  noch   weit  in  das  gegenwärtige  Jahrhundert 


Spätere  Wolfiianer.  147 

kineinenlretkM^  und  dosscn  freiere^  in  Betreff  der  Erkennt* 
nissiehre  besonders  zu  Locke  sich  neig^ende  Eklektik 
doch  flbemll  Ton  den  Grundvomussetzungen  und  dor  wis^ 
«enj^dmfklicbeA  Denkweise  der  LeibnitzisGh>-Wolfr« 
sehen  Philosophie  ausging  ^  nidchte  die  letzte  Nachwirkung 
derselben  erscheinen^  die  sich  daher  durch  ein  voUes  Jahr-» 
hundert  kin  erstreckt  hatte^i  —  Ernst  Platner,  den  man 
Anhänger  Leibnittfens  mit  skeptisdiem  Geiste  zu  nen-^ 
nen  pflegt^  kann  doch  nur  insofern  hieriier  gerechnet  wer* 
den^  ab  er,  überhaupt  mit  einer  für  die  damalige  Zeit  sei«» 
tencn,  Hu«  Qnellenstudium  geschöpften  Kenntniss  der  altem 
Und  spatem  Systeme  ausgerüstet ,  und  Kanten  dariii  in 
jeder  Hinsieht  überlegen ,  vielfach  Gelegenheit  fand  ^  die 
Vorstellttngen  des  Kantianismus ,  wie  über  andere  Philoso«» 
lAieen,  so  besonders  über  das  System  Lelbnitlsens  zil 
berichtigen»  und  in  polemischem  Interesse  zu  vertreten.  Ef 
gehört  den  selbststindtgen  Denkern  an  und  verdient  eine 
besondere  Charakteristik» 

Dennoch  würde  man  auch  den  &ben  genannten  Wnlffia« 
nem  Unrecht  Üiun^  wenn  man  ein  bewegungsloses  Fest» 
halten  des  Ueberlieferten  in  ihnen  voraussetzte«  Vielmehr 
ist  es  merkwürdig  ztt  sehen ,  wie  ein  Hauptbegriff  der 
Wol fr  sehen  Philosophie  nach  dem  andern  zur  Fragte 
kaiD)  wie  jedes  Glied  derselben  im  Einzelnen  sich  ablöstO) 
ohne  dass  es  zu  einem  zusammenfassenden  Negiren^  was 
Kanten  vorbehalten  bliebe  gekommen  ware^  Von  B  a  uhh 
garten  ist  schon  die  Rede  gewesen^  der  mit  ausgespro-» 
ebenem  Bevmsstsein  und  methodischer  Schfirfe  die  ganze 
Metaphysik  auf  den  'Satz  des  Widerspruchs  und  des  zuret-» 
chenden  Grundes  zu  bauen  gedachte»  ^  Diesem  übergrei- 
fenden Gebrauche  trat  D  a  r  j  e  s  entgegen  ^  ^ein  scharfsin- 
niger Dialektiker'')  wie  Platner  ihn  nennt»  Er  berich-^ 
tigle  —  oder  ergänzte  vielmehr  --^  den  damit  zusammen- 
hangenden Satz 9  den  wir  bei  Wolff^  und  besonders  bei 
Baumgarten  kennen  gelernt  haben t  VTas  durch  das 
Wesen  eines  Dinges  bestimmt  Wird^  ist  in  dem  Dinge 
nothweBdig> — .ind^vf^r  nachwies,  dass  Alle  stauch  des 


148  Darjos. 

Nichtwesentlichc,  durch  das  Wesen  des  Dinges  seine 

m 

Mitbestimmung  erhalte ,  wiewohl  diess  <das  Nichtwesentli- 
che) im  Dinge  von   den  zu  ihm  hinzukommenden  Dingen 
herrühre ,  und  durch  sie  daher  auch  aufgehoben  w^erden 
kann.     Eine  richtige  und  wesentlich  ergänzende  metaphy* 
sische  Bestimmung  I    Was  das  Ding  im  Verhältniss  zu  sei- 
nem Andern  ist,  die  wechselnden  „BeschafTenheiten^,  in  die 
es  eingeht,  sind  nicht  weniger  bestimmt  durch  das  Grund- 
wesen desselben,  ohne  doch  im  Geringste  nothwendig 
(determinirt)   zu  sein.     Hiermit  entgeht  er  zugleich    dem 
Hauptbedenken,  welches  ihm  die  W  o  1  ff  sehe   Philosophie 
erregte,  dass  sie  zum  vollendeten  Determinismus  führe,  und 
mit  aufgehobener  Freiheit  auch  das  moralische  Bewusstsein 
geßhrde;  der  sclion  damals  allgemein  verbreitete  Vorwurf 
gegen  jene  Philosophie,  den  Jaeobi  nachher  bis  zu  dem 
Axiom  verschärfte  :  dass  die  L  e  i  b  n  i  t  z  i  sehe  Philosophie 
nicht  minder  ,,f  a  t  a  1 1  s  t  is  c  h^'  sei,  als  die  des  S  p  i  n  o  s  a.  *) 
—  Daher  nahm  auch  der  Salz  vom  determlnfrenden  Grunde 
bei  D  a  r j  e  s  eine  bei  Weitem  engere  und  eingeschränklere 
Bedeutung  an :  das  Determinirende  des  Dinges,  den  „Grund", 
setzt  er  vielmehr  ausserhalb  des  Dinges ;  daher  ist  nur  das- 
jenige an  ihm  determinirt ,   was  n  i  c  h  l  zum  Wesen  des- 
selben gehört,  und  zwar  auch  nur  insofern  als  Wahrheit 
in   der  Verknüpfung  des  Dinges   mit  dem  Andern, 
dem  Determinirenden,  Statt  findet    „Es  kann  also  von  dem 
Wesen  und  den  wesentlichen  Merkmalen  des  Dinges  kei- 
nen  Grund<^   (nichts  von  Aussen  her  Determinirendes) 
„innerhalb  desselben  geben."  — 

Hiemach  ist  für  die  damalige  Philosophie  ein  wahrer 
und  bedeutender  Fortschritt  vollzogen:  der  Begriff  jener 
äusserlich  determinirenden  Verkettung,  in  den  sieh  die  do- 
gmatischen Systeme  dieser  Zeit,  auch  durch  die  Einwirkung 
S  p  i  n  0  s  a'  s  ,  hartnäckig  gefangen  hatten  ,  welche  selbst 
Jaeobi  für  das  letzte,  unvermeidliche  Resultat  der  ,un- 


*)  Jacobi's  Briefe  Ober  die  Lehre  des  Spinosa,  2te  Ausg.  S.223. 


i>ai)es.  149 

abUssigen^  Forschnng  halten  dorfie  *),  der  sogw  die  K  a  ii- 
tische  Vemunftkritik  in  der  dritten  Antinomie  über 
Freiheil   und  Nothwendigkeit  **)   nur   durch   die  Aui^kuuit 
entgangen  war,  dass  diese  ganze  Frage nacb  ihrer  objek- 
tiven Bedeutung  unentschieden  bleiben  müsse ;  —  jener 
Begriff  ist  hier  aus  dem  wahren  Fundamente  berichtigt  und 
wideriegL     Das  Wesen  des  Dinges  ist  das  jeder  b  1  o  i»- 
sen  Determination  sich  Entziehende,  schlechthin  sich  selbst 
Bestimmende,  wodurch  die  Idee  einer  andern,  Innern 
Nothwendigkeit  und  der  Einheit  des  Freien  und  Nothwendi- 
gen  erweckt  worden  ist.  —  Damit  hing  eine  fernere  Er- 
weiterung der  Grundprincipien   Wolff'scher  Philosophie 
zusammen.    Die  Honaden  sind  nicht  bloss  als  thätig ,  und 
in  ihrer  Thatigkeit  schlechthin  vorausdeterminirt,    sondern 
anch  als  leidend  zu  denken;    und  so  war  Darjes  ge- 
neigt, der  prastabiiirten  Harmonie  zwischen  den  mechani- 
schen Bewegungen  des  Körpers  und  den  freien  Seibstbestiii^ 
mungen    des  Geistes   die  Hypothese  des  influxus  physicus 
entgegenzustellen,  worüber  zahlreiche,  unsem  gegenwärti- 
gen Begriffen  und  Interessen    fem  liegende  Streitigkeiten 
zwischen  ihm  und  den  strengeren  Anhängern  der  Leibnit- 
zisch-Wolff  sehen  Philosophie  gepflogen  wurden.  ***) 
Ein  anderer,    filr   die   damalige  SpdKUlation  unuber- 
Viindlicher  Begriff  War  der  Gegensatz  einfacher  und  zusam- 
niengesetzler  Substanzen  ;    auf  ihm  beryhte  zugleich  der 
Unterschied  zwischen  der  Seele,  als  der  rein  geistigen,  und 
(lern  Körper,  als  der  ausgedehnten  und  theilbaren  Substanz. 
Ebenso   wurde   das  Hauptai^gument  des  Schulbeweises  fAr 


•)  A.  a.  O.  S.  224 

}  i^ants  Kritik  der  reinen  Vecnonft^  S.  453*  u.  s.  w.  5teÄiifI. 

)  Joacli.  Georg.  Darjes  via  ad  yerilatein,  Jenae  1755 ; 
nachher  in  deutscher  Bearbeitung  mit  AnmerinngeiK  Ton  Ihm 
selbst,  Fninkf.  1776:  sein  Baaptwerk.  i~  In  seinen  phijö- 
sophischenfiebeustunden,  vier  Sammlungen ,  J«na 
1749— Ö2,  bdbaiideU«  er  di«  5lr0iU||^  Piiukle,  aus  denen  wir 
OLlges  entlehnt  haben. 


160  Psychologla  ^fieser  Schule« 

die  UnsCerbHohkeil  erslerer  aus  ihrer  vermeintltehen  £tib* 
fachheit  abgeleitet«  Wie  diese  jedoch  2tt  beweisen  sei» 
und  ob  dafOr  die  Thatsaohe  der  Mäyelttiven  Identität  des 
^eibstbewuMtseins  hioreiche^  war  Gegenstand  manniobfacher 
Debatten ,  wdche  «ich  nach  ijirem  wesentlichen  Bestände 
aof  ar  bis  in  den  Kriticismus  hineinsogen^  Hier  gelangte 
nämlich  der  Streit  zu  der  vorläufigen  Vermittlung,  da«;  sich 
ergehen  haben  sollte,  wie  die  rationale  P^cbologie  das 
denkende  loh,  das  formelle  Selbstbowusstsei^ «  ml  der 
Seele  an  sich,  aia  objektiver  Substanz  verwechsele,  und 
von  dieser  die  Substantialität,  Einfaebbßit,  Persönlichkeit 
und  Geistigkeit  bewiesen  zit  haben  meine :  der  Grund  des 
Ich,  das  absolute  £kity[ekt  der  Seete  bloibe  an  sich  selbst 
unerfiorschlicb ;  jenes  sei  lediglich  ein  transsce^dentales 
Subjekt  der  Gedanken  ( Vorstellungen >,  de 91  keine 
wirkliche  Anschauung  entspreche;  -^  oflenbar 
darum  nicht ,  wefl  es  lür  dasselbe  nicht  der  Anschauung 
des  Raumes,  der-  Ausdehnung  hed^rf^  gewiss  aber 
doch  d^  Zeitanschauung ,  der  Anschamui^  des  Einen  und 
Beharrlichen  innerhalb  des  Wechsels  eigener  Zustäivde? 
Und  so  pilanate  sich  bei  Kantianern  nnd  Gegnern  Kants 
(B.  Platner  namentlich  ermangelte  nichts  dem  Letztem 
diese  bkonsefuew  stark  vorzurücken,  einem  seitlich  Pe^tinim« 
tem  keine  Anschaubärkeit  heiauiegen  '*)  -^  dieselbe  Frage 
in  der  Gestalt  fori,  oh  jenes  transsoendentale  Subjekt^  weil 
neitlieh  bestimmt ,  darum  auch  Anschauung  genannt ,  oder 
fiär  einen  blossen  Gedanken  gehalten  werden  mässe^  Siess 
Alloa  blieb  eig entlicli  nur  m  Geiaie  dogmatlsclien  PhUoso« 
phirens;  denn  der  ganze  Gegensata  von  Einfachheit  und 
Zusammengesetztheit  wurde  auch  jetzt  nicht  etwa  verwor-^ 
(ci\,  Qder  m  seiq.er  Einseitigkeit  und  Unwahrheit  naehge- 
>(irie^en»  SjOndem,  durch  die  Lehre  von  der  Unerkennharkeit 
4er  Seele,  9JI&  realer  S^b;^t%nz,  nun  zu  einem  un^vandelba« 
ren  für  diese,  gemacht,    Uebefltitupt  sei  es  gleich  Y9d&ufig 


v^ 


*)  Fbilotaphitch«    Aph^tiim^Ut   neu»  4u<gah#,  n9X 
Th.  i.  $.  399.  400. 


Psychologie  dieser  Schule,    fr.  von  Creuz.        151 

ausgesprochen,  dass  Kants  Paralogismen  und  Antmomieen 
nicht  nur  auf  die  alte  Metaphysik  sich  beziehen  ^  sondern 
ganz  auf  demselben  Boden  mit  ihr  stehen,  ihdem  er  die- 
selbe —  auTs  Eigentlichste  dogmatisch  zu  nennende 
—  Grundansicht  von  der  innem  Unüberwindfichkeit  ihrer 
Gegensätze,  von  dem  Entweder-Oder  derselben  und  der 
Wahl  zwischen  Einem  von  Beiden  mithinzHbringt.  Was 
namentlich  seine  Lehre  von  den  Antinomieen  betrifft,  so 
sind  diese  m  der  Stellung  der  Fragen .  und  selbsl  in  der 
Wahl  ihres  BegriSsausdruckes  völlig  unverstandlich,  ohne 
die  genaue  Kenntn|ss  jener  metaphysischen  Kämpfe  wd 
des  philosophischen  Sprachgebrauches,  der  bei  ihnen  zu 
Grunde  li^. 

Jener  Unüberwindlichkeit  des  Gegensatzes  von  Ebi- 
fachheit  oder  Zusammensetzung  tral  schon,  mitten  in  der 
kräftigsten  Geltung  Wolf  Pscher  Philosophie  ein  wenig  beach- 
teter Denker  entgegen,  Friedrich  Casimir  Carl  von 
Creuz  in  seinem  Versuche  über  die  Seele  (Frankf. 
und  Leipz.  1753.  II  Thle.),  Bs  war  der  einiger  Maassen 
rohe  oder  halbgewalLsarae ,  aber  keineswegs  unglückliche 
Erstversuch,  das  Dritte  aus  jenen  Beiden  als  den  wahren 
Begriff  der  Seele  au&ustellen.  Diese  ist  weder  zu  denken, 
)tls  einfache,  noch  als  zusammengesetzte  Substanz,  sondern 
als  ein  Mittleres,  welches  in  der  Macht,  alle  seine  Yoi- 
slellungen  auf  sich,  als  ein  Bleibendes,  zu  beziehen ,  seine 
Einfachheit,  zugleich  aber  in  dieser  Mannichfalligkeit 
und  diesem  Wechsel,  in  dem  es  selbst,  als  Einfoches,  bleibt, 
seine  Y  i  elf  ach  h  eit  bewährt.  Die  Seele  hat  daher  The  i- 
lo,  die  zwar  ausser  einander,  nicht  aber  ohne  eia- 
ander  existirea  können;  sie  ist  nur  die  Eine ,.  untheil- 
bare  Kraft  in  ihnen.  Da  er  femer  jedoch  nach  einer 
«energischen^  aber  keinesweges  zur  Entwicklung  gekommen 
nen  Gnindanschauung,  das  schlechthin  Einfache  für 
das  Uneingeschränkte  erklärte ;  so  dehnte  er  je- 
nen Satz  zu  der  weitem  Eonsequenz  aus ,  dass  es  über- 
all keine  schlctchthin  eimf^cbeo  eadlichen  Din- 
ge geben  könne^    Auf  di^  fernem  Felgemagim  daraus ,  so 


152  Fr.  von  Creuz. 

wie  auf  die  einzelnen  psychologischen  Hypothesen  dessel- 
ben ist  hier  nicht  einzugehen.  Als  Naturdenker  schreitet  er 
hastig  auf  die  Probleme  los,  und  ist  erfinderisch  in  Lösun- 
gen und  Hypothesen ;  aber  mit  sicherm,  durch  die  Arbeiten 
des  Staats-  und  Welllobens  geübtem  Blicke  weiss  er  wenig- 
stens die  Eigenthümlichkeit  eines  jeden    auf  einen   schar- 
fen und  natürlichen  Ausdruck   zu  bringen  ^  wodurch  man 
unwillkührlich bei  ihm  an  Des  Cartes  erinnert  wird,  dem 
er  auch   darin  gleicht ,  dass  ihm ,  wie  jenem ,  gerade  die 
Verwickeltesten  Fragen,  als  Beispiele  und  Probleme,  die  lieb- 
sten sind,  tun  seine  psychologische  Erklärungsweise  darauf 
anzuwenden« 

üeberhaupt  würde  es  schwer^  und  hier  völlig  unmög- 
lich sein,  das  einzelne  Bedeutende  an  Gedanken  und  Aus- 
filhrungen ,  was  sich  ia  jener  an  Denkern  und  würdigen 
Forschem  so  reichen  Zeit  wirklich  findet,  hervorzuheben; 
und  die  Meinung  wäre  höchst  km^zsichtig,  es  durch  solche 
Skizze  vollbringen  zu  können*  Auch  vor  Kant,  wie  jelzt, 
und  zu  allen  Zeiten,  luxuriirte  unser  Vaterland  in  einer  be- 
wundernswürdige Fülle  von  Denkern  und  philosophischen 
Bestrebungen  ,  welche ,  obwohl  sie  auf  der  gemeinsamen 
Grundlage  philosophischer  Bildung  und  eines  angewöhnten 
Sprachgebrauchs  standen,  doch  keineswcges  für  blosse  An- 
hänger oder  Nachtreter  irgend  einer  Sekte  anzusehen  sind; 
vielmehr  wurden  in  der  hergebrachten  Begriffs-  und  Aus- 
drucksweise vielfach  Sätze  geäussert,  die  über  diese  Form 
hinausgingen.  Eine  ausführliche  und  eindringende  Ge- 
schichte dieser  merkwürdigen  philosophischen  Epoche  ver- 
missen wir  noch  durchaus,  indem  scfbst  Buhle  ^},  sosehr 
er  mit  Gelehrsamkeit  und  Fleiss  Männer  und  Werke  uns 
vorfuhrt,  doch  durch  seinen  philosophisch  beengten  Blick 
wenig  geeignet  erscheint,  über  jene  Fülle  von  Erschei- 


*)  In  seinem  mit  Ausaeichuung  au  nennenden^  und  iu  diesem 
Theile  jetzt  noch  allein  dastehenden  Werke:  GescliicKte 
der  neuem  Philosophie  seit  Wiederh erstell »»g 
der  Wisseuftchaften,  Y«  u*  VI.  Uaud. 


Lambert.  153 

nnngen   auch  nur  scharren  und  gretreiien  Bericht  zu  er- 
statten. 


Unter  den  Denkern  von  selbslsländig  originaler  Be- 
deutung und  von  wissenschaftlicher  Nachwirksamkeit  sind 
vor  Allen  zwei  zu  nennen :  Hermann  Samuel  R  e  i  m  a  r  u  S, 
und  Johann  Heinrich  Lambert,  beide  auch  als  klassische 
Bearbeiter  der  Logik  ausgezeichnet  ♦) ,  welche  sie  indess, 
als  ganz  allgemeines  Hülfsmittel  zu  jeder,  nicht  wissenschaft- 
lichen, wie  wissenschaftlichen  firkennlnissweise,  in  ein  aus- 
schliessendes  Verhältniss  zur  Philosophie  zu  stellen  untcrlies- 
scn.  Doch  hat  der  Letzlere,  nachdem  er  im  ersten  Abschnille 
seines  Organen,  der  D  i  a  n  o  i  o  1  o  g  i  e ,  die  Form  des  Den- 
kens erörterte,  in  dem  zweiten,  der  AI  ethiologie,  von 
der  Materie  oder  den  Quellen  des  Denkens  zur  Erkennt- 
ni:s  der  Wahrheit  gehandelt,  also  von  Demjenigen,  was 
eine  eigentlich  philosophische  Erkenntnisslehre,  oder  eine 
„Kritik*  der  theoretischen  Vernunft  sich  zur  Aufgabe  zu 
machen  hätte;  und  Kant  hat  ausdrücklich  anerkannt,  dass 
jener  an  der  gleichen  Aufgabe  mit  ihm  arbeile ,  ja  dass 
sich  gar  wohl  von  ihm  eine  gründliche  und  nachhaltige 
Verbesserung  der  Philosophie  und  des  wissenschaftlichen 
Erkennens  überhaupt  erwarten  lasse.  Und  schon  einmal, 
in  ihren  kosmogonischen  Vorstellungen,  waren  beide  Denker 
mit  unbewusster  Uebereinslimmung  einander  begegnet.  **) 


*)H. S.  Reiroariis  VerDunftfekre,  als  eine  Anweistiug 
ztiiB  richtigea  Gebraii  che  der  Vernunft  in  dem 
Erkenn tnUs  der  Wahrheit»  aus  zwoen ganz  natürlichen 
Regeln  der  Einstimmung  und  des  Widerspruchs  hergeleitet ; 
Hamburg  1756.  5te  Aufl.  1790.  —  X  H.  Lambert  ^eues 
Organon  oder  Gedanken  über  Erforschung  und 
Bezeichnung  des  Wahren,  und  dessen  Unter- 
scheidung von  Irrthum  und  Schein.  II  Thle. 
Leipz.  1764. 

**)  2«*igniss  davon  ist  Kants  und  Lamberts  Briefwechsel  in 
Kants  gesammeltOB  kleinenSehriflen,  Bd.  111. 
S.91.ff. 


154  Laittbert« 

Es  Isl  4e6slMiIb  voa  Bedeutung ,  deu  ChtiralUer  diesscs 
nicbt  sowohl  inissglücktcn,  als  bis  zum  eigcuUicben  Wende- 
pankto  der  Frage  nicbl  vordringenden  Regenerationsversu- 
cbei!,  im  Vergleich  zum  Kantischen,  in  den  Uauptzügen 
anzugehen.  Das  Wesentliche  desselben  enthält  schon  der 
j&weite  Abschnitt  von  Lamberts  Organen :  dieAlethio- 
^ogie  oder  Lehre  von  der  Wahrheit  (Neues 
Organen,  Bd.  L  S.  453-^592.).  Die  weitere  Ausrührung 
seiner  Lehre  von  den  einfachen  Begriffen  und  die 
encyklopädische  Entwicklung  und  Uebersicht  der  einzelnes, 
4lar9us  hervorgehenden  und  dadurch  in  stetigem  Zusam- 
menhange unter  einander  verknüpften  Wissenschaften  ent- 
hält sein  zweites,  späteres  Hauptwerk :  Anlage  z^ur  Ar- 
chitektonik.*) 

So  tritt  nach  Lambert  die  Architektonik  — 
zugleich  als  vollständige  Methodologie  aller  Wissen- 
schaften -—  an  die  Stelle  theoretischer  Philosophie  über- 
haupt, ganz  ebenso,  nur,  müssen  wir  hinzusetzen,  in  for- 
meller Hinsicht  mit  bewussterer  Durchführung ,  wie  nach 
Kant  sich  Anfangs  die  Kritik  der  Vernunft  an  die  Stelle 
der  in  ihrer  Unmöglichkeit  nachgewiesenen  Hiilosophie  setz- 
te, späterhin  ihm  unter  der  Hand  zur  einzig  möglichen 
rhilosophici  selber  wurde.  (Vgl.  oben  S.  31.  32.) 

Lambert  sucht  zuvörderst,  hierbei  an  Locke  an- 
knüpfend (Bd. L  S.  477.),  die  einfachen  d.h.  für  sich 
denkbaren,  und  somit  wahrhaft  unmittelbaren  und  ursprüng- 
lichen Begriffci  —  (Beides  y  Unmittelbarkeit  und  Ursprung- 
lichkeit,  wurde  vo^^  ihm  ebenso  wenig  gesooidert,  wie  von 
Locke  und  Huine,  ja  wie  es  bis  weit  hinauf  in  die  ge- 
genwärtige Phiiosopiiie  nicbt  gescheiieR  ist)  —  in  allen 
Formen  nnsers  Erkennens  auf:  es  sind  die  durch  die  (äus- 
scni)  Sinnenempfindungen  unddas  Bewusstsein 


*)  Anlage  xur  Architektonik,  oderTkeariedes 
Ersten  und  Cinfacbien  ia  de«  pkilosophtschf'M 
uvd.  ui»theittt.tkfltcii«*a  KflibeinaiAi&ey  Bif^a  1771. 
U  Bde. 


buftbert.  t5( 


(regdbenen  einfliclisteii  Bertiniiiiimgen«  IKefle  smcbeii  di^ 
Grundlage  aDer  unserer  Erkenntniss  ans,  indeni  alle  wei«- 
tem  CombiiiaCiooeii  und  Folgeningen ,  dto  wir  auf  dem 
Wege  des  Syllogismus  erlangen,  nur  ^asusammenge^ 
s  e  t  a  t  ^  sein  können  aus  jenen  mftieken,  und  somit  vakr*- 
haft  ursprüoglicben,  w^der  weiter  zerlegbaren,  noch  durcb 
eine  anderweitige  Aechenschaft  m  begründenden  Begfifen^ 
AHe  sonstigen  logisehon  Unterscheidungen  «wischen  den 
Begriflbn,  ihre  Klariieit,  Deutii<Meil  u.  a,  w.  werden  daher 
eunickgefOhrt  auf  den  wahrfanfk  ursprtogtiohen  VnterMhied 
ihrer  ^^Einfachheit^^  oder  ^ZusaromengeseUtt- 
heit^  Die  einfaehen  machen  daher  nicht  nur  di€i  (i^und^ 
läge,  sondern  auch  den  Umfang  unserer  Wahdieilavf ; 
hl  der  Summe  derselben,  welche  uns^  Bewuartsoin  bc^ 
sitzt,  ist  diesettie  umaddossen^  und  hiernach  aUm  b^slisit- 
men  sich  die  Granzen unserer  Srhonntnias«  y^t- 
glichen  mit  dem  Reiche  dar  Wahrheit^  0%  *i^h 
$elb9t  betrachtet  (&  4880. 

Da  nun  aber  alles  Pas  einfache,  somit  wfifvüngUehe 
Begriffe  sind,  zu  deinen  YorsteUung  es  keiner  andam  be* 
darf;  so  treten  in  bunter  Keihe  Sinnenempfindungen  und 
Denkaxiome  neben  einander ,  und  machen  auf  den  glei- 
chen (Traktor  der  UrsprOngliohkeit  Anspräche  3  die  ein- 
bchen  FarbenemfAidungea  u.  dgL  werden  nicht  wei^g^ 
sIs  unprAngliche  betrachtet,  als  dte  Begriffe  des  Wirkii*- 
cken,  HdgUchen  und  Noihwendigen  (S.  40S.  470«>;  und 
sttsserdem  rechnet  er  noch  zu  den  einfachen  gewisse  Stammr- 
oder  Grundhegriffe ,  sofem  sie  nimlich  dabei  dio  gfössle 
Muaich/altigkeit  aOgemeiner  Verhältnisse  und  Itodiiikalio^ 
neu  zulassen.  Diese  sind:  Ausdehnungi  Solidit&t, 
Bewegung»  Existenz,  Dauer  und  Snncession, 
Einheit^  Bewusstsein,  Kraft^  Wallen  (&  477. 
vgl  S,  498.>  Man  sieht»  wie  jede  Spur  des  Uatorachiedes 
^OQ  Vermnifaiothwmidigem  und  Zufalttgem^  Apriorischem 
und  Aposterk>risGhem,  hier  verwischt  ist,  offenbar  allein 
^ok  die  Schold  der  anfängiichen  Rrageatellung ,  und  des 
^/^dischen  Vef&h^ens »   wodurch  sich  Lambert  v^n 


156  Lambert. 

der  Lockisch^mpirischcn  Angewöhnung  nicht  loszarcis^on 
vermochte. 

Hiemas  werden  sodann  die  Grundsatze  und  ?a  ^ 
stttlate  entwickelt^  auf  welche  die  einfachen  Begriffe  fuh- 
ren (S.  497.  ff.).    Durch  die  Untersuchung  und  erschöpfende 
Bestimmung  aller  der  Grundsätze  oder  Aufgaben  nämlicli, 
welche   aus    der    ursprünglichen    Bestimmtheit 
eines  solchen  einfachen  Begriffes  hervorgehen ,   entstehen 
die  einzelnen '  Wissenschaften.     Dieser  einfache  Gedanfte 
ist  zugleich   der  einzige   wahrhaft  originale  und  standhal-* 
tende ,  welcher  der  Erkenntnisstheorie  Lamberts  zum 
Fondamente  dient:   wir  erläutern  ihn  in   der  Ausfohrong, 
welche  ihm  Lambert  gegeben,  durch  eine  andere,  eben 
so  einfache ,   aber  uns  näher  liegende  Gedankenwendung. 
Die  Wissenschaften  vermögen   Nichts ,  und  können   sich 
itt>erhaqpt  keine  andere  Aufgabe  steUen,  als  die  ,,einfachcn 
Begriffe^,  die  in  jedem  Dinge  liegen,  —  überhaupt  die  ur- 
sprüngliche Bestimmtheit  desselben  —  in  allen  ihren  weir- 
tem  Folgen  und  Verhältnissen   (in   der  „Zusammen- 
setzung^,  welche  sie  eingehen),    vollständig   und' er- 
schöpfend darlegen:   die  objektive   Natur  der  Dinge 
mit  Einem  Wort,  in  der  Verbindung  ihrer  einfechstcn  und 
zusammengesetzten  Erscheinungen,  ist  der  einzige  und  wahre 
Gegenstand  der  Wissenschaft,  welche  damit  freilidi  nur  in 
ihrem  allgemeinsten  Begriffe  erfasst  worden  wäre. 

So  enthält  die  Geometrie  die  Grundsätze  und  Aufgaben^ 
welche  in  den  ursprünglichen  einfachen  Begriffim  regei>- 
mässiger  Raumbegränzung  liegen ;  ihr  entspridit  die  i^edir- 
lenlehre  für  das  Gebiet  der  numerischen  Grosse;  ebenso 
ist  die  D  y  n  a  m  i  k  die  Wissenschaft  von  dem.einfacben  Be- 
griffe der  Kraft,  zugleich  aber  auch  voin  den  zusammenge- 
setzten Kraftverhältnissen,  welche  in  allem  Wirkücken  — 
der  materiellen  und  intelleklueUen  Dinge  —  vorhanden  sind. 
Ebenso  entsteht  aus  der  Analyse  der  einfachen  Bcgrifie 
des  Waiuren  und  dos  Guten  in  allen  ihren  Bestimmungen 
die  Wissenschaft  der  Aiethiologie  und  Agatholu- 
g  i  e,  die  ietztem,  dem  entsprcch<»d ,  was  die  Alten  Logik,i 


Lambert.  157 

9der  Dialeklik  und  Ethik  gcnamil  haben«  Und  aus,  doc 
fiesammlheit  der  einfachen  Begrifle  überhaupt  tasflem'aich 
die  allgpemeinen  metaphysischen  Wahrheiten  zusam- 
menstellen, welche  dm  Gipfel  dieser  Architektonik  aller 
Wissenschaften  bilden.  « 

So  weit,  nach  den.  charakteristischen  Gnmdzugen^  der 
Entwarf  zu  einer  wissenschaftlichen  Grundlehre*  Von  hier 
ans  wird  nun  zu  den  zusammengesetzten  Begriflfen 
fortgegangen  (Bd.  L  S.  516.  ff.).  Da  diese  jedoch  nach 
Zahl  und  Inhalt  schlechthin  unbestimmbar  sind,  so  mustf 
sich  hier  die  Untersuchung  auf  formelle  Bestimmungen  uml 
Cautelen  beschranken :  Lambert  zeigt  mit  grosser  Scharfe 
rnid  an  treffenden  Beispielen,  wie  eigentlich  hier  erst  der 
hrthum  und  Streit^  aus  der  Undeutlichkeit  und  Unbestimmt 
heit  der  Begrifie,  sowie  aus  der  Zweidevrtigkeit  der  Sprach-^ 
bezeicfanungen ,  entspringe,  während  fiber  die  einfachen 
BegriiTe  kein  SUeü  sei.  Daran  schliesst  sich  sachgcmäsa 
die  Lehre  vom  Wahren  und  Irrigen,  und  den  Kenn*« 
zeichen,  woran  beide  zu  unterscheiden ,  wo  besonders  der 
Uebergang  von  dem  Einen  in  den  Andern,  und  die  Wie^ 
deraufiösQBg  des  begangenen  Irrthums  sorgiSltig  auseinan*- 
dergesetzt  und  nach  allen  formellen  Kennzeichen  unter-* 
sdiieden  werden.  Kein  Irrthum  nämlich  ist  ohne  »eingc« 
mei^tes^  Wahre ,  weU  es  nur  aus  der  falschen  -«  d.  h. 
^Ikährlicfaen,  erdachten,  —  Verbindung  einfacher^  mithin 
ursprin^Ucher  und  wahrer  —  Begriffe  besteht. 

Aber  zwischen  das  Wahre  und  das  erkannte  Irrige 
tritt  der  Schein.  Die  Mittel,  dieses  Täuschwerk  zu  ver- 
meiden ,  und  durch  den  Schein  zu  dem  Wahren  durchzu^ 
dringen,  sind  desshalb  der  Grundwissenschaft  unentbehr** 
lieh ;  die  Theorie  des  Scheins  und  seines  Einflusses  auf  die 
Richtigkeit  oder  Unridiligkeit  der  'jnenscUiohen  Erkennt*- 
niss ,  macht .  demnach  einen  wesentlichen  Theil  jener  Wis- 
senschaft aus.  Lambert  nennt  denselben  die  Phänome- 
nologie (Bd.  IL  S.  217.  ff.) ;  er  ist  der  reichste  an  eigen- 
thüiniicben  und  neuen  Gedanken ;  als  völlig  neu  ist  zu  be- 
trachten, wie  er  die  verschiedenen  Gattungen  des  psycho- 


158  Lambeit 

iogisdlidn  Schollig  chankteri^irt  und  voa  diesen 
derom  den  morftlischen  Schein  abscheidet,  der  ^enso 
ein  Scheinifutes  für  da^  eigentliche  Güte  vorspiegelt,  wie 
derphygistcheund  psycholdgische  ein  Scheinwah-^ 
res  statt  des  eigentlich  Wahren  darbietet.  Die  Abhandinng 
TOti  dem  Wahrsoheinliohen  (Bd. iL  S.  318.  fT.)  ent^ 
hält  wohl  AlleS)  und  mehr  als  dieses^  was  die  spätem  tiam-^ 
haften  Logiken  fiber  diesen  wichtigen  ^  einer  Erkenntniss*^ 
lehre  völlig  uitentbehrlichen  Begriff  vorgeführt  haben.  Wir 
wollen  daher  auf  diese  Quelle  wiederam  zurückgewiesen 
habem 

Aus  aDem  Bisherigen  eraieht  man ,  wie  Lambert 
dem  ursprünglichen  Bntwnrfe  und  Gedanken  nach  mit  Kant 
auf  gemeinschaftlichem  Boden  stände  Es  galt  Beiden  am 
die  Entdeckung  der  eigaittiichen  Quellen  und  Fundamente 
4er  Wahrheit  iai  Erkennen i  und  Lamberts  Oiganon 
soille  Dicht  Weniger  die  Wissenschaft  von  den  Erkennt- 
nissprindpicii  sein,  als  diess  K  a  n  t  in  seiner  ersten  Kritik 
beabsichligtei  Alier^  ab  MathematUier^  durfte  er  das  E  i  n^ 
fache,  gleichviel I  wie  sonsl  beechaffen^  anun  Kriterium 
des  Priaeipiellen  BMchen ;  und^  der  L  o  c  k  e  sehen  Methodik 
treu  geWkbex^  wollte  er  diess  durck  bloss  reflekti- 
pende  Analyse  (diesa  ist  durchaus  sein  Verfahren) 
im  Gegebenen  aufBiiden4  So  ist  ihm  alles  Einfache,  jede 
nach  ihren  Merkmalen  nicht  weiter  zeriegbare  Yorstel'* 
1  u  n  g ,  ein  Leüttes  oder  Uifsprungiiches  für  das  Erkennen^ 
ein  Princip  iif^end  welcher  aus  seiner  Zusammensetzung 
hervovgehender  bedingter  Erkenntnissot  Und  das  Denken, 
Ergründen ,  der  letitem  beruht  eben  nur  in  ihrer  zergiie- 
demden  Zarfickführang  auf  ihr  Einfaches«  Je  weiter  wir 
in  dieser Z^gliederung kommen^  desto  j^rein  gedachter^ 
nwis  auch  imsere  wissenschaftliche  Eriiemitoiss  werden« 
Sie  wurde  ganz  rein  sein,  wenn  wir  alle  einfachen 
Grundbegriffe  gefunden  hätten ,  und  auch  das  Princip 
zur  Möglichkeit  ihrer  Zusammenrsetzunf 
kannten. 

Es  ist  dieselbe  grosse,  inhaltschwere  Frage,  wdche 


Lambert  159 

auch  Ktint  erhob,  w^nn  er  den  Grundsatz  alter  syntheti- 
schen Salze  apriofi  finden  wollte,  —  das  ^ge\s\ige 
Band*  ein  filr  aHemal ,  welches  die  Elemente  vereinigt,' 
die  wir  leider  „nur  vereinzelt  in  der  Hand  haben*:  die 
Crnndformel  aller  möglichen  Synthe^sen,  itm  darausp  die 
Wahrheil,  ruckerfindend  ans  ihren  Elementen,  in  nothwcn-*' 
diger  Beziehung  wieder  züsammenzufAgen.  Dass  diesef, 
als  sehlechrhin  allgemeiner  Satz,  nur  von  formeller  Be- 
deutmig  sein  kann ,  verstand  sich  ihm  von  selbst.  Aber 
er  blieb  damit  gleichsam  an  der  aussersten  Granze  seiner 
Boslimmbarkeit  stehen;  der  Grundsatz  lautet  bei  Kant, 
dass  alle  Synthesen  apriori  sieh  nach  den  Bedfngimgen 
der  Möglichkeit  in  der  Erfohrung  richten  mOssen.  £s  ver- 
steht sich  von  seftst :  welches  diese  sei ,  hast  Du  bei 
jedem  bestimmten  Falle  in  diesen  Bedingungen  der  Erfhh-^ 
nmg  selbst  aullBUsnchen. 

Noch  weiter  zuröck  ins  formelle  geht  Lambert  in 
diesem  Betracht.  Ihm  ist  jenes  Princip,  —  wiewohl  er 
diess  nirgends  in  Ausdrficklichkeit  ausspricht,  weil  er  es, 
nach  dem  allgemeinen  Einverständnisse  seiner  Zeit  darüber, 
für  höchst  überflüssig  oder  von  selbst  sich  verstehend  hal- 
ten mochte,  —  der  Syllogismus:  die  Möglichkeit  der 
Znsammensetzung  einfacher  Begriffe  richtet  sich  nach  der 
syllogislischen  Combination^  welche  sie  gültiger  Weise 
d.  h.  zu  einem  wahrhaft  concludirenden  Satze ,  emgehen 
können.  Das  Kriterium  der  Wahrheit  vmrde,  an  sich  acht 
spekulativ,  in  das  Denken,  aber  nur  in  die  (gleichsam  f&r 
sich  bestehende)  Form  des  Schlusses  gelegt.  Daher  denn 
nun  auch  bei  Lambert,  wie  bei  allen  namhaften  Vor- 
gängern seiner  Zeit,  die  nachdrückliche  Sorgfalt ,  mit  wei- 
cher er  die  Syllogistik  behandelte,  eine  jede>  übrigens  nur 
durch  formelle  Combination,  wie  bei  Plön cquet,  gefun« 
dene  syllogistische  Figur  nach  ihrer  Brauchbariceit  oder 
i^nbrauchbarkeit  unterschied ,  und  den  Grund  ihrer  Eigen- 
thümlichkcit,  ihre  Vorzüge  oder  Mängel  aufsuchte. 

Hieraus  ergiebt  sich  sattsam,  wie  und  warum  La  Hi- 
lpert seine  grosse  Aufgabe  nicht  zu  lösen  vermochte;   er 


1()0  Lambert 

drang  nicht  vor,  im  scharfgefassten  Unterschiede  von 
Kant,  bis  zu  den  Spitzen  und  Wendepunkten  der  Frage, 
die  eigentlich  zu  entscheiden  war.  Zwar  schwebte  ihm 
in  seiner  Lehre  von  der  Ursprunglichkeit  und  Absolutheit 
der  einfachen  Begriffe  die  grosse  Einsicht  vor,  dass 
die  Wahrheit  des  Erkennens  abhängig  sei  von  den  no  t.h- 
wendigen,  unwandelbaren  und  durchaus  all- 
gemeinen Grundbestimmungen  der  Dinge;  und 
so  scheint  er  auch  Locke  verstanden  zu  haben ,  ganz 
ähnlich^  wie  wir  es  bei  Priestlei  fanden  (s.  ob.  S.  111. 
112«).  Aber  der  Mangel,  die  Erfolglosigkeit,  ergaben  sich 
ebenso,  wie  bei  Locke,  gleich  ursprünglich  aus  dem  un- 
zureichenden methodischen  Benehiyen,  dass  ihm  zum  Auf- 
suchen und  Begründen  jener  ursprünglichen  Principien 
reflektirende  Zergliederung  der  gegebenen  zu- 
sammengesetzten Begriffe  hinreichend  schien. 

So  entging  ihm  die  Scharfe  der  Bestimmungen,  durch 
deren  Entdeckung  Kant  den  epochemachenden  Umschwung 
herbeigeführt  hat :  der  durchgreifende  Gegensatz  des  Ver- 
nunflnothwendigen  und  Empirischen,  des  Apriorischen  und 
Aposteriorischen,  welches  hier  principlos  vermischt,  und 
nach  seinen  Erkenntnissquellen  ungesondert,  durcheinander 
liegt.'  Das  Einfache,  wie  das  Zusammengesetzte,  ist  glei- 
cher Maassen  nur  empirisch  gegeben;  und  allein  der  Ver- 
sland sondert  aus  diesem  das  Einfache  heraus,  welches 
somit,  nach  Lamberts  ausdrücklicher  Erklärung,  als  sol« 
ches  nur  Erzeugniss  des  Verstandes  ist. 

Hiermit  musste  es  ihm  auch  an  einem  durchgreifen- 
den Kriterium  zwischen  Erfahrung  und  Denken  oder,  nach 
Kants  Ausdrucke,  zwischen  Sinnlichkeit  und  Verstand  ge- 
brechen: beider  Inhalt  ist  überhaupt — nach  Lambert  — 
gar  nicht  specifisch  von  einander  unterschieden.  Zu- 
gleich hing  damit  auf  das  Tiefste  zusammen  der  Mangel 
an  Unterscheidung  zwischen  analytischem  und  synthetischem 
Denken,  welchen  Lambert  freilich  nur  mit  seinen  Vor- 
gängern aus  der  W  o  1  f  T  sehen  Schule  tlieilte,  und  dessen 
Wichtigkeit  schon  bei  dieser  Philosophie  von  uns  nachgewie- 

* 


Lamberl.    Reinianis.  161 

sen  worden  tot  (i^L  ob.  &  121.).  Alles  philosophische  und 
sonstigfe  Denken  ist  ihm  wesentfich  nur  ein  analytisches 
Aufsuchen  der  einfachen  BegrilTe  des  Gegenstandes ;  und 
wenn  mar  (synthetischen)  Wiederherstellung  geschritten  wer* 
den  soll,  bleibt  im  Formellen  des  Syllogismus  auch  nur  der 
analytische  Zusammenhang  der  Begrife  übrig ;  über  den 
wahren  (objektiven)  Grund  der  Synthesen  aber  ist  <tte 
Theorie  selbst  voUig  im  Dunkeln. 

Bndlich  beging  Lambert  bei  dem  zergliedernden 
AttCsuchen  der  einfachen  Begriffe  denselben  Fehler,  welcher 
sdion  an  Locke  angewiesen  worden  ist;  —  aus  dem- 
selben Gmnde,  weil  beide  den  Charakter  des  Apriorischen 
oder  Vemunftallgemeiaen  nicht  kannten  — :  er  hielt  auch 
solche  Begriffe  für  nohleditliin  einfoche  und  ursprüngliche, 
die  es  nur  für  die  Sinnenauffassnng  sind,  die  aber  vom 
Verstände  (dem  Denken)  sehr  wohl  in  ihre  Grundbestand* 
theile  aui^eiost,  und  auch  an  ihnen  die  Elemente  des  All- 
gememen  und  des  ZufiUigen  aufgewiesen  werden  können. 
—  Und  so  müssen  wir  von  Neuem  auch  diesem  scharf«* 
siuiigen,  mit  Ausdauer  und  Gründlichkeit  durchgofuhrlen 
Versuche  einer  Ericenntnisstheorie  gegenüber,  Kants  Tiefe 
and  Geistespenetration  bewundem,  mit  welcher  er  gleich 
urBprünglich,  dnreh  scharfes  Einleiten  und  Stellen  der  ersten« 
Fragen,  über  die  Verwimmgen  seiner  Vorgänger  sich  weit 
Unwegliob. 


Nach  anderer  Seite,  aber  tiefer  and  nachhaltiger,  war 
IL  S.  Reimarns  ivirksam,  nicht  bloss  als  erneuernder 
Begründer  der  natfiriichen  Theologie  auf  der  Grundlage 
einer  lebendigen  und  geistreichen  Naturforschung  nach  der 
Idee  eines  höchsten,  in  dem  Weltganjen  sich 
realisirenden  Zweckes,  sondern  auch  durch  die 
berühmt  gewordenen  Fragmente  über  die  Auferstehungsge« 
schichte  Christi,  —  sofern  er  deren  Verfasser  ist,  indem  sie 
VfcQigstens  setner  ganzen  philosophischen  Richtung  durch- 
aus entsprechen  würden.    Bekannt  ist  die  gewaltige  Nach- 

11 


162  Brimanü. 

Wifkung  derselben  im  Priiicipieliep  .iter  dteteohen 
Theologie,  mockte  dereinaelno  Inhalt  ihres  Bebaiipliuii^rea 
abßh  eine  v.oUsliwiIige  Widerle^iift^  or&breri :  vrm  sie  iiMless 
aus  dem  Innerstrn  seiner  DenbiKei^i^  hervot^i^lMm  konnleD, 
ja,  wenn  er.  sich  mf  den  Uukreis  der  exeg^iisehen  Studien 
warf,  aofar  fast  noUtwendjgf  bervurpfeiieaMiifislen;,  ist  noch 
käiztieh  snt  ^igen. 

In  seinen  Abhandlungenuber  di«  vortiekm«- 
sten  Wabrhoilen  dev  natöoiliche«  fteligion 
(zuerst  Hamburg  1754;  5ie  Avfi,  ebnuks.  I78'i«)v  iw  er 
den  kosmologischieii  und  phyaikofteoiogisdien  •  Beweis  ßlr 
das  Dasein  Golles  eu  ntnieu  undtimverwdUffrb«nifibix;ftgo-> 
bracht  bat,  ist  :os- eigentlich  Bin  Hanplgodttiike,  d«v  sieb 
durch  die  reiohenAusiulunmgenlhiMlanQhxieht,  mUwolDhen 
er  jeno  Wahrheit. teiklct4eit.  Bs  ist  das  PlK)bIem^  woiebes 
auch  Kant  in) der. Kritik  den  taloologisoheni  Urtheikkraft 
zuitt  Hauptmittüipuuki  dorselbea  machle!  tüiq  das  orgaai«» 
s.ohe  und  diis.  v.erifiunft.igie  Geschöpf  habe  enlslelien 
können?  —  und  die  rntersuahung  derrBsdiagungen,  unter 
wekjUen  allein  jene  Grundtbatsachjejden.Wii^rbkeit 
erkladiek  ^«ird.  '••*:. 

Der.  Anfang  deaiO,iigaBtfohjeni  imdi^VcnaniBigen  kann 
nioht  naturlich:  seiai  «t-«  aus  dea  blQtocn»QeAigangen 
derAIatefid  erklärt  werdem;  denn),  in  ihr,  im  ilnongaiiir- 
sehen,  kann  weder  das  Princip  des  Lebens,  einer  zweck- 
mässigen Organisation,  noch  weniger  des  Geistes  und  eiiit\s 
ireibewussten  Verknüpfens  von  Mitteln  und  Zwecken  g« - 
suekt  werden:  also  aiu^manaiir  Brkidriiiig  nothwen- 
dig  eine  ubematüriiche ,  verständige  Unsactae  voraussetaeit. 
Die  Thatseche  des  einaelnen  Lebendigen  fittrt  auf  ein  durch- 
greifendes AUleben,  der  endliche  Geist  auf  eiaen-  böchsteu 
zurück:  sie  können'nur  die  einzehie  Verursachung 
jener  unendlichen  lebendigen  und  inteliigenten  Gnindkrafl 
sein. 

Derselbe  Gedanke  liegt  dem  Beweise  ilir  das  Dasein 
Gottes  ans  der  „Oleiohgültigkeit  der  Natur  ge- 
gen Existenz  und  Nichtexiatena^  zu  Grunde.  — 


fteifMMmft  163 

Voti  jedcmf  einzelnen  Mnge  in-  der  iiMimellen  Sehdpftui^ 
itir  sich  Siebst  cfefiomiNcii,  ist  es  gleichgtHtig^  t>li  e&  nei  oder 
Weht :  keines  ist  vm  seiti  selbst  willen,^  als  SelbMzweck,  dih 
faHsofeni  hat  also  die  mftlerieile  Weit  gar  haiiie  innere 
|%is{sebe  Vonkoimnenheit  Dennoch  stimmt  sie,  sweek'» 
nfrissig ,  zu  einem  Ganzen  zn&ammen  v  utiewohl  j«des  Ktn* 
teht  m  ihr  lAifki  wirkt:  so  muss  ekr  Zweck  in  ihr  ^^ 
halten  sein ,  der  in  keinem  ^setecnl  Dingfe  zu  finden  is^, 
sondern  antf  einf  Jens  ei  t«  alles  Einzelnen  lie^ends^ 
Ziel  hinwirkt.'  Umideremirfindettden  und  vernönlP«' 
t  i  g  e  n  Geschäft  willen  können  aHerdings  einzelne  nu> 
drrger  atmende  WettsubstanjsieB  Yorhanden  sein;  aber  da 
jene  eben  Mch  an  der  ^  Gleichgwltigkejt  fegeA  EsistoofE 
oder  Nichleaiistenz«  TheU  hafeen,  ebewsa  gut  web  nieki  sßb^ 
könnten,  nn^nkhC  minder  ihretseils  dem  Weltziwecke  dienen 
müssen^:  90  lieg«  dieser  selbst  über  die  letstorfi  UnalHi,  — :  in 
doppellem'  Sinne :  ehi  schlechthin  höchstes  W?seti  ist  selber 
dieses  leCatO!  Ziel  aUer  WeltgestBitong,  ihr  absohilcr  S^weck^*^ 
md  es  harni  nnr  diesen  Zweck  derselben  vorschreiben» 
sie  zu  ihm  hinteilen.  So  ist  die  leUose  Nfttur  >.  wie  die 
belebte  nnd  vemtaftige,  nur  am  der  GottJieit  .willen 
toffkiMiABB ,  nnd  mos«  daher  auch:  v^  einer  aoichen  ihr 
I^aseh»  empfluigen  habend  Die  Exiateoft  denselben,  i^l  daher 
ebenso  gewiss ,  ab  die  Existenz^  einer  00'  beschalfeneii 
Welt  ... 

B^chlMswevth  ist,  diiss  in  der  fotttentWendiuaiig  dcf 
Bewciseg' der  Gedanke  des  zweekseita^ikden  Gelten 
s^eidi  mft  dem  zweiten  verschmihDty  dass^  er  eelbst  dieser 
«bsolvih  »weck-  der  Wbli  sei^  ^  gcffadeiwie  wi^dier» 
^be  B^griffin^bindung«,  nur  aasgeMldeter  und  •selbslbe^ 
^«^Qsstar  dunAgfefUirt ,  bei  Hegel  *)  wiederfiiKten:    die 


•)  Vorlesungen  uber'die  Be weUe'vbm  DäseiB  Got- 
tes» Werke  tf.  S.  470»  im  allfif^nieineb  ptiilosophbcben 
ZHsammeiihangd  beuftbeiit  ia  dv&Vetfi'.O  ntoile^i  e  S.  4^  f. 
UBtl  in  der  Abbandlang:  cur  «pekulftiten  Theologie 
(Zeitfchrift  fitr  Philosopbie,  Bd.  Y^  H.  2.  S.  208.  209) 


164  BaiMinis. 

endlichen  Weltzwedce  heben  sich  auf  im  absoluten  Zwecke : 
dieser  ist  der  Geist,  wie  er  aus  dem  Sichanderssein  ^  in 
der  Natur,  ewig  zu  sich  selbst  zuriiekk^rt.  Wie  nun 
in  der  letztem,  Heg  eischen,  Auffassung  die  höchste  Be- 
stimmung Gottes,  als  des  Geistes,  sich  *  noch  nicht  scharf 
genug  und  mit  bewusster  Sicherheit  aus  pantheistisdier 
Zweideutigkeit  hetaufigelöntert  hat,  und  aus  diesem  Grunde 
absoluter  Zweck  und  absolut  Zwecksetzendes  bei  Hegel 
ohne  Weiteres  zusammenfallt :  so  ist  höchst  charakteristisch 
^n  gianz  Aehnliches  auch  hier,  in  dem  deistischen 
Begriffe  Gottes ,  wieder  zu  finden ;  und  es  tritt  hier  der 
oft  bemerkte  Fall  ein,  dass  die  Gegensatze  sich  gleichen, 
weil  jedem  von  ihnen  gerade  Dasselbe,  die  entspre- 
chende Gegenhälfte,  fehlt.  Jenem,  wie  diesem,  geht  näm- 
lich in  diesem  Begriffsgebiete  ab  die  wahrhaft  beide  Ex- 
treme verbindende  vollgefasste  Idee  des  ebenso  ubern^elt- 
lichen,  wie  in'n  er  weltlichen  Geistes  Gottes,  welches  der 
eigentliche  Inhalt  diristlicher  Ldhre  ist.  Jenem,  den 
fiberweltlichen  Geiste,  bleibt  daher  das  Prädikat  des  abso- 
lut Zwecksetzenden  ausschliesslich  vorbehalten,  während  er 
tugleidi  es  als  den  absoluten  Zweck  setzt,  in  die  höchste 
innerweltitche  Einheit  mit  der  Kreatur  zu  treten ,  wodurch 
in  dieser  der  Umkreis  der  Zwecke  dennoch  wieder  ge- 
tchlossen  und  zu  jenem  zurückgelenkt  wurd. 

Uebrigens  ging  R  e  i  m  a  r  u  s  von  da  aus  zu  einer  voU- 
fitändigen'  Entwiddung  der  Attribute  und  Eigenschaften 
Gottes  über :  er  leitete  jene  ab  aus  den  allgemeinen  Be- 
stimmungen eines  scUeckhin  nothwendigen  Wesens,  diese 
aus  den  neihwendig^n  Absichten ,  welche  in  dem  Welt- 
ganzen vorliegen.  Besonders  in  letzterer  Frage ,  über  die 
Stufenfolge  und  den  harmonischen  Zusammenhang  der 
Weltzwccke,  sind  seine  Ausfuhrungen  im  grössten  Sinne 
einer  reichen  und  sinnvollen  Naturvergleichung,  dem  auch 
das  Einzelne  dient ,  um  den  hohen  Plan ,  die  heilige  Ord- 
nung des  Ganzen  daran  zu  zeigen;  und  hierher  ist  auch 
sein  Werk:  über  die 'Kunsttriebe  der  Thiere 
^Hamburg  1762.)  zu  ziehen ,  neben  des  altem  WoUBaners 


Reimanid.  165 

G.  P.  Meier  „Ycrsirch  eines  nonen  Lohr|yobfiu<>- 
des  üi»er  die  Seele  der  Thiero«  (HaUe  1750.)  die 
erste  ßrobe  einer  kritischen  Psychoiog-ie  der  Thierwcit.  — 
Es  ist  das  Gedankenreichste  und  Beste ,  was  auf  dem  Ge- 
biete höherer  Naturrorschung  bis  zur  Epoche  der  Natur* 
Philosophie  geleistet  worden  ist,  und  selbst  ein  Kantianer  *) 
gestand  R  e  i  m  a  r  u  s  zu ,  die  Physikothoologie  bis  zu  dem 
Grade  „moralischer  Gewissheit^  erhoben  zuhaben, 
dessen  sie  nur  fShig  sei. 

Und  von  diesem  Standpunkte  aus  sind  selbst  seine  ne-- 
gativen  theologischen  Bestrebungen  zu  bourtheilen.  Dass 
auch  sie  aus  den  lebendigsten  Regungen  der  Frömmigkeit 
hervorgegangen  sind,  kann  seine  „Vertheidigung  des 
Deismus^  zeigen;  dass  auch  gewissenhane  Erwägungen 
gegen  Andere  dabei  obwalteten,  ergiebt  sich,  indem  er, 
wie  uns  der -Herausgeber  der  Fragpfiente,  Lessing,  be* 
zeugt,  sie  ursprünglich  nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt 
hatte.  Dennoch  haben  dieselben,  auch  gegen  den  Wüten 
ihres  Urhebers  bekannt  geworden,  wie  wir  jetzt,  nach  der 
vollen  Uebersicht  ihrer  Wirkungen,  wohl  beurtheilen  kön- 
nen, auf  die  ganze  Oekonomie  des  theologisch  -  wissen- 
schaftlichen Lebens  in  Deutschland  den  förderlichsten  Ein- 
floss  gehabt.  Sie  waren  der  erste  darchgreifende  Schritt 
zur  Nöthigung,  die  heilige  Schrift,  gleich  allen  andern  hi- 
storischen Urkunden,  einer  vollkommen  voraussetzungsloseti 
Kritik  zu  unterwerfen,  in  deren  scharf  abscheidender  Ver- 
ständigung ihr  wahrhaft  objektiver,  göttlicher  Inhalt  in  sei- 
ner inwohnenden  Kraft  erscheinen  kann. 

Indem  nun  aber  der  Philosoph  auf  jenem  Wege, 
ans  der  Gewissheit  des  Weltzweckes,  sich  zur  felscn- 
starken  Ueberzeugung  von  dem  Dasein  einer  wcitschaffen- 
<lcn  Vernunft  erhoben  hat;  konnte  ihm  das  Aeusserliche 
und  Historische  der  Offenbarung ,  mit  der  Naturwidrigkeit 
nnd  Kleinlichkeit  di;r  Wunder,  besonders  mancher  dersel*« 
bon,  nur  anstössig,  und  jetzt,  mit  der  lebendigen  Gewiss^ 


*)  Buhle  Geschicbte  der  aeuera  Ph^l94ü|}Ui# ,  iki.  VI.  S.  54l>^ 


i66  .Reimurus. 

Jieft  jeneh  Einsichten  verglichen,  wehl  überflQas^  <H*sohei- 
noii.     Dieses   äusseriiche  Beiwerk  vertrug  sich  uicht  wii 
der  erhabenen  Gesetxlichkcit  der  Natur,  deren  Einsicht  iha 
•beg  nsterte,  und  aaf  die  sich  ihm  die  höchsten  Wahiiiciten 
.gründeten.     £leine  Kritik   des  Wunders  vom  Durchgänge 
ider  Juden  durch  das  rolfae  Meer  ist  in  dieser  Beaiehuag 
lUassisch  und  opocbemachaid  geworden ;    der  Beweis  von 
.sagenhafter  AufschmuclLung  eines    urspränglidi    natui^- 
mässen  Hergangs  wurde  mit  einer  kaum   ahzuweiseodmi 
JUarhelt  dargelegt     Aber  auch  das  Auferstehungswunder, 
gegen. wielches,  als  den  Mittelpunkt  des  historisch-christli* 
chen  Glaubens,  sich    seine  kritische  Forschung   richtete, 
4Lonnto  damals,    in  seiner  starren  Einzigkeit  aufgefasst, 
und  entblAsst  gehalten  von  allen  weitem  Analogieen  lud 
NaUirbetiehungen ,  kaum  ein  anderes  Schicksal  babem  >  -^ 
-nach  dem  Reohte  .der  Gründliehkeil  und  deg^ 
'Wissens.ohaft,  welche  nie  aufhören  wird,  Aber  diess 
und  Aehnlicbes  in  letzter  Instanas  ihren  Ausspjruch  zu  thua: 
.**-*  und  was  spMer  gegen  jenes  weUgeschiobtliclie  Breig^ 
4mA  Yorgebraobt  worden  ist,    h9t  auf  die  Kühnheit  und 
SindringlichkeiC  dieser  Erörterungen  Beaug  nehmen  müssua« 
Dennoch  ruhte  auch  diese  zweifelnde  Polemik  auf  dem 
grossartigen  Vorsatse,  die  lebendige  Götteserkenntnlss,  dio 
sich  aus   andern  Quellen,  als  aus  halbversicgten  histori- 
schen, ewig  frisch  wieder  erneuem  kann,  in  ihre  alte  KraA 
zu  setzen:  was  bedurfte  es  kanonischer  Bücher,  wenn  die 
Naiur,  als  die  früheste  und  allgemeinste  Offenbamng,  von 
Gottes  Allmacht   und   Weisheit   sprach  1    -^    Es   ist  diesH 
überhaupt  der  bedeutungsvollste  Conflikt,  in  welchem  sich 
das  Universalste  mil  dem  Allervermitteltesten,  das  Allgegeti-. 
wartigste  und  Zugänglichste  des  Gottescrkennens  mit  der  con- 
^ntrirtesten  Gestalt  desselben  berührt  und  vorerst  in  Wider- 
sprach setzt.  -^  Als  der  grosse  Märtyrer  des  Gotteskultus  in 
der  Natur,  Giordano  Bruno,  zum  Tode  geführt  wurde, 
hielt  ihm  ein  Dominikaner  das   Cmcifix  mit  den  Worten 
vor :  ob  er  den  Gekreuzigten  als  den  wahren  Gott  erken.-? 
nen  wolle  ?  I)er  Philosoph,  in  «einem  stoiaen  und  ergebenen 


RcimariM»«    M»  PopulfiiqibiMsopliic.  167 

Heroinniis ,  wiMfc  Semen  ^Biiek  niuwm  von  ihm  i\h  iti  die 
Weiten  des  Himinots,  wo  er  seinen  Gott  hatte  und  wusste. 
Derselbe  Conflikt  i\vs  boidorseitigen  Rechts,  nur  nickt 
ED  «lieser  enchätteniden  Höhe  gesteigert,  zieht  sich  auch 
durch  jene  Kanipfe  «nd  Setracbtungen  hindarch :  die  Yer- 
nilthmg  und  AusfiUlung  jener  ungobenem  lihifl  hat  diePhi- 
losophie  va  öbemehmen,  welche  sie  bis  jetzt  freilich  meMr 
zum  Bewiisstsein  gebracht,  als  vollendei  xa  haben  sich 
rahm(^  darf.  Die  erstie^  mir  formelle  Bedingung  dafür 
ist  jedoch  abermals  die,  dass  die  Speknlätion  auch  in  Be«- 
zug  auf  diese  höchste  md  bedingteste  Frage  vöttig  flr€<, 
Ton  jedem  geheimen  oder  •ofiRuien  Autoritätsglauben  eroan- 
cipiit,  sieh  wisse.  Und  so  war  auch  ühr  K  a  n  t  und  seine 
ganze  Schale  die  durch  jenes  Beispiel  geweckte  freiert^ 
Behandlung  Her  theologischen  Dogmen  von  dem  grössten 
Einfluss :  ohne  dasselbe  «nd  die  davon  ausgegangenen  Im- 
pulse hatte  Kant  kaum  daran  denken  dftribn,  mit  seiner 
noralischen  Auslegung  der  dogmatischen,  ja  hi- 
storischen Lehren  des  Chhstenlhums  h&tvotmtteien. 


Mit  M.  Mendelssohn  war  der  Wolfiianismus  in  die 
eigentliche  Popularphjlosophie  äbergeganj^en.  Von 
jedem  hat  Hegel  gesagt*),  dass  es  für  ihn  Nichts  b,odurft 
halte ,  als  die  steife  Form  abjsuschfltteln ,  um  seinen  inhaU 
als  selber  popularpfaUosephischen  darzulegen:  er  rede  un- 
Sfiim  gewöhi^licben  ßcwusstseio  zu  Monde,  und  lege  es  als 
den  letzton  Haassstab  der  Wahrheil  an.  Bui 
Spinosa  dagegen  sei  die  abslruse,  Form  in  der  That  er- 
füllt von  Uefem  spekulativem  Inhalte  y  daher  der  Substanz 
flach  unpopulär  und  der  gewöhnlichen  Denkwelse  durchaus 
enlgegengeselzt  •—  Was  nun  die  Principicn  der  WolfF- 
^hea  Philosophie ,  vornehmlich   seiner  Metaphysik  betrifil, 

*)  \u  rieft  un  gen  ii  b  er  Geschichte  dr  r  IMiilosuph  ie. 
Bd.  Itl.  S.  481.  vgl  529.  und  in  gegenwärtigem  Werke  oben 
S.  119.  20. 


168  Di0  Populaiphik)sopliie. 

so  kann  die  vorhergebende  Chavftkteristik  dazu  dienen, 
das  Urtheil  über  ihren  wissenschaftlichen  Charakter  fest- 
suslellen.  Doch  ist  es  treffend  von  Hegel  bemerkt,  dass 
sie,  im  Ausgangspunkte  wenigstens,  die  Voraussetzungen  des 
gemeinen  Menschenverstandes  keinesweges  übersckraCel, 
weil  in  der  That  nur  die  im  Bewusstsein  gegebenen, 
;Eiun  AllgemeinbegrüF  erhobenen  Vorstellungen  ihren  Inhalt 
ausmachen  (vgl  S.  120.  f.)- 

In  der  eigentlichen  Po^ularphilosophie  tritt  je^ 
doch  zu  allem  Jenen  noch  ein  anderes  sehr  besdnuntes 
Element  hinzu,  um  ihr  eine  neue,  unterscheidende  Färbung  zu 
geben.  Zugleich  ist  es  weit  mehr  aus  der  Reaktion  gegen 
die  Wo  1  f  rsche  Philosophie,  als  im  Einverständnisse  mit  ihr, 
erwachsen  ;  auch ;  zeigt  es  in  seiner  Ursprünglichkeit  und 
Frische  weit  grössere  Verwandtschaft  zur  K  a  n  t  i  sehen 
Richtung,  und  mehr  noch  zu  dem  endlichen  Resultate  der- 
selben, jedes  metaphysische  Erkennen  zu  läugnen,  ja 
es  hat  ihr  den  Eingang  im  Zeitalter  weit  mehr  vorbereitet, 
als  die  gewöhnUehe  Meinung  hat  zsugeben  wollen! 

Popularphilosophio  verdient  zu  heissen  die  Neigung, 
das  Philosophiren  nur  auf  diejenigen  Gegenstände  der  For- 
schung einzuschränken,  welche  den  Menschen  angehen, 
deren  Erkenntniss  ihm  das  Wichtigste  sein  muss,  oder 
auch  die  ihm  heilsam,  nutzlich  werden  können.  Wenn 
wir  hiernach  jedoch  den  Sinn  der  drei  Fragen  erwägen, 
in  welchen  Kant  Inhalt  und  Zweck  seiner  Philosophie  zu- 
sammendrängte: „Was  kann  ich  wissen;  was  soll 
ieh  thun;  was  darfich  hoffen?**  —  so  sehen  wir 
aufs  Eigentlichste,  in  Wahrheit  aber  auch  auf  das  Berech- 
tigtste, nur  den  Zweck  der  Popularphilosophie  ausgespro- 
chisn.  Denn  dass  der  Mensch  sich  selbst  erkenne,  isl 
immerdar  für  den  ersten  Antrieb,  wie  für  das  wahre  Ende 
aBes  Forschens  zu  halten.  Nur  besteht  der  Fehler ,  den 
jene  begehen,  darin,  dass  sie  venneinen,  eine  solche  voll- 
standige  Selbsterkenntnis  s.  des  Menschen,  des  ver- 
.mitteltesten  Weltwesens,  könne  gelingen  ^  ohne  ein  durch- 
greifendes Verstandniss  der  Welt  und  ihres  Urhebers. 


Die  PopoIaTpIuloMjphie.   Mendelssohn.  169 

Aber  Aesen  Mtassstab  einnftal  geMomen,  Alii>«M 
Iniialle  dei  Philosc^Uie  asn  rechnen,  was  den  MeMchon 
wichtig  oder  —  iratzlich  werden  ktm ;  ---  mnsste  die 
breiteste  FuUe  der  Bestrebmigen  ,  nnd  die  aneikennendste 
Toleranz  derselben,  sieh  der  Philosophie  benlohtigen*  Diess 
büi  danal»  in  Dealschland  Statt,  irte  es  fast  gteioheeMjg^ 
in  Frankreich  geschehen  war,  wo  ma»  Völlair«^', 
D'Alemberf s,  Diderofs  vielgestaltij^  Ei^iessnngeH 
und  Bpfcrionen  anbedenklich  ^lEosophiseh  namle,  und 
sie  selbst  zn  den  PhHosophen  rechnete*  j—  i    .  t.    .i. 

Doch  müssen  auch  hier  virie  MtlelrtnfiBn  nntenlckre^ 
den  werden :  von  jenen  an,  wdche,  durch  ligend  eideii  Pa^ 
den  mii  eigentlicher  Spekulation  noch  veriiunden,  an  ihrer 
Grame  standen,  oder  nur  einem  begränzten  Kreise  phfk^* 
sophischer  Untersuchung  ihre  Thfitigheit  guwandtent,  lu^ 
auch  unsere  Epoche  kennt  vocaiglichQ  Mimler  ^ieseb  Gha^ 
nklers,  —  bis  zu  denen  herab,  wefehe  die  ToHcsmiss^on 
Zwedce  der  Lehensweisheit,  Nuft2Uchkml.oder  Erbäidichkeit 
zum  Gegenstande  ihrer  Schrißsftdlerei  machteiL  *  Diese 
beiden  Anssenenden  mochten  am  .  IkreffendateA  durch 
Mendelssohn  und  Engel  repraseatirt  sein,  während 
6  a  r  V  e  in  der  reinen,  sittlich,  harmonischen  Gidtur  seines 
Lebens  und  seiner  Werke,  Sulzer,  —  abgesehen  ron 
seinen  encykIopädisch-*litterarischen  Verdiensten.  -^  in  dem 
Terwandten  Streben,  die  wichtigsten  praktischen  Wahr.4 
beiten  (den  Glauben  an  Gott  und  IMsterblichkeit)  zu 
erweisen  und  fossHch  an's  Herz  zu.  legen,  Basedow» 
auch  als  Philosoph  mit  derber  AuCdringlichkeit  das  Allge^ 
tamaülßige  und  den  verstandigett  Glauben,  anpreisend,  die 
bezeichnendsten  Uebergangsgestalten  bilden  würden. 

Unter  ihnen  hatte  ohne  Zweifel  der  Zuerstgenannte, 
Mendelssohn,  den  höchsten  und  \Vürdigsten  Begriff 
von  der  Philosophie,  als  mächtigem  Bilduhgsmiltc),  wie  als 
der  Wissenschaft  vom  höchsten  Ziele,  Er  glaubte ,  ihre 
wahre  Bestimmung  sei,  die  beiden  wichtigsten  Lehren  für 
den  Menschen ,  die  vom  Dasein  Gottes  und  von  -der  per- 
sonlichen Fortdauer  mit  Vergeltung,  zu  einer  so  lebendigen 


170  .>..        i  '    JieMMmibii. 


» 'f     • 


ZweiM  »4anHi '  ülMrif  bleibe.,  ihiss  zagMdi  anck  praküsck 
das  ^Uulmn^jrUdiu  Ikuflisateein  daTon  ims  immer  gfcgcwmr- 
4igffeicA'#ii.  (liier iAds^müs»  die  Phikwophiif»  die  «loreKsctte 
llmsehtrfrttQgMdbs.tMshiiokeiigesdilei^  Jwwivlceii,  welishe 
«itf  atid«l«i>W#ge  nicht  utiiigftch  worde.  Damits.  c^lrtuadm 
UM  fneüiob  /^em  iSelhsMllu^iotten  doB  iDemonsIriveiis ,  jener 
fmne^smtus  4er  VumunfbHeiawahriiüU,  walclie  Jtcobi*) 
bo  iklQSäiwfh  ibdteclt  beUmpOe^  und  trodurdi  anck  filr  ms 
nach  der  gewöhuUclien  Ddteclffeferuag  das  Bild  jenes  tviA' 
getiDonkersrioiMi  )Mscb^  fsemdartigen  Mebenmg  erhai- 
ieni  hati  flnrQOibi  selber  hätte  vidietcht  ein  getkideres 
iMh0U  igefallt.i^  itom  imht  di6  Zosammenmischnng  II  en- 
delsso-hns  mit  üicolaii,  Biesler,  und  den  sehrttbsoils 
von  Mva  irtiflensdhnftlichen  Zwrecken  liegenden  Bestrebon^ 
geiDder  BoDlinier  Mon^tschri'ft  <tte  Sielhuig  des 
Entem  fßtitk  tm  Anfang  des  Sampfes  >zireidetttig  gemacht 
hätte«  .Br.ätiitt  AitdentDen  der  Nach«««!!;  an  seinen  FreuH 
dentam  Gmiide  .gegangen^ 

Uebrigttas  hal!  er  «s  m  jenen  HanptfiragetS  4(e  ihn  ke^ 
sobäftiglen,  !init  setaiem  demdnstnrenden  Bemühen  mcht  sn 
frischer  driginalltäft^  nur  ku  übersteigerten  SaUÜilileii  \g^ 
bracht ;  dodi  war  die  AnmuCh,  Wärme  und  Klarheit  seines 
H^orfmgiH»  \»n  iünrcissender  Wirkung;  nach  dem  Ei^ug-- 
nisse"«  Hamann bi!s  (in  seinem  Briefweohscrmit  Jaeeki: 
ilferkn,  Bd.  fV.  Abth^  30 ,  hielt  sogar  Kaut  som\  M  o  r- 
gensinnd^n  inr  ein  klassiseiios  Worte  von  der  gläcktich- 
sten  iPapukirtlit  ^  auf  wielches  er  am  dieser  Eigensohaflen 
willen  fast  aüt- Meid  bückte;  —   wie  sehr  jedoch  Kant 


*)  „Einig«  ßeine<rkuugea  über  den  frummen  Betrug 
uuil  über  eiae  Vernuuft,  welche  nicht  die  Ver- 
uüuri  ist«  (Werke  Bd.  11.  5.497.98.];  „Schreibeu  an 
Nicolai'«  (Ebenda«.  S.  511.);  ,,wider  Mendelssohns 
Beschuldigungen,  in  dessen  Sehr  eiben  an  die 
Freund«  Lesting^*  <iULfV.  Abth.  2.  S«176.ff.  251.254^ 
26a  bis  «um  Ende)).. 


Skb  PopiliiyMoi^t^te,  1171 


sdber  die  ^yonlAge  eines  populären  Verifafe«  iMviuimkl» 
und  iliRf«!  nachfllrebfe^  ist  aus  der  klaren  Anmiitlll  sifin^ß 
Stils  in  den  kleinen  Ablumdlongen  zn  ersehen. 

Hier  ist  nättlMi  nooii  eines  andern  wesentlichen  Sti^sß 
ni  erwMmtm.  Brst  vor  Ameai  hitlen  die  I>euttf0bei|, 
dnrch  einige  gi^osse  €iefiien  g<eive<4Kt.^  dbr  schönen  Fem, 
^r  gefeBdeteh  i)aff8tellanf  AeUsanheil  .zaKawejaden  ungOt- 
ftnge« :  es  -wnrie  Streben  «nd  «Rtdun ,  gut  'zn  ^ohreibeji^ 
und  selbst  das  grandKoh  Gedachte  soliie ,  ieidil  vorgetr^ 
gen,  Tom  Scindslaabe  .Nichts  meinr  an  sich  haben»  Da  man 
aber  «ehr  bald  bemerkte  ^  dass  tdiess  leichter  afi  sieh  sn 
bringen  sei,  als  jene  sotaiere'GelstQsbigensdiaft,;  da^igleioh 
der  Trieb,  sieh  zu  belehren,,  so  wie  .dnnAnUgemejae.'Kiiltoif, 
natofgemasaeve  Ersiehmig ,  Bildung  der  untem  Stdnde<i  «Okr 
sich  iDid  "die  Andern  eiaMi  bessern  iSusland  hariMMMlubaeiw 
die  lebhafteste  ndlnahme  fand,  und  eigentüeh  idas  (CiMig 
flügemeine  Band  wlinle.,  weiobes  4ie  Matieo  nitUen  ;iHiMr 
iliNn  kireUfehen  und  p«itti6chan  fipnMnngen  vec0inigle ;  4a 
man  zugleich  mit  Reclit  diesB  ne«eFwachle  Stsehen  si^b  pis 
weltbtigerlich,  hunanitaUnrdemd,  ^  i^MasepUscjk  beas^ich^ 
nea  dnrfte:  so  bot  sich  den  vielen  regsamen  'neilenlee.  Jiein 
besserer  sekiftstellerischer  Stoff  an,  als  Reflesioaon  .4tNV* 
mancherlei  Gegenstände  der  cri^enieiaea  BUdung  Miei>- 
gchdpflich  an's  Licht  zn  fördern ,  die ,  in  der  FprNi  Kleiner 
Abhandhingen,  Gesprftdbe ,  Briefe ,  oder  in  der  Gi^stolk  des 
damals  gerade  anfgekommenen  philosophischen  liomanSi  mit 
Geist  mid  Wftnne  daigestotU,  die  grösste  Wirkwg  nicht 
verfehien  konnten,  und  so  nun,  als  die  wahrhaft  gedcibUr 
che  Philosophie ,  dem  müssig  trockneu  SpekuUrcn  der  M- 
hem  Keit  entgegengesetzt  wurden. 

Diese  Epoche,  die  wir  etwa  von  den  Jahre4i  1770  bis 
1785  selben  können,  brachte  daher  eine  solche  Mengi^  phi- 
losophischer Schriften  an*^  ticht»  dass  die  blossen  Ver- 
zeichnisse  derselben   ganze   bände   fällen.  ^)      Als    das 


•  m   m  tm 


*)So„Kyxi|ig»    Varzetchiaisf    ilet'jenkj^eu  S,chriiteu, 
wslche   die   Litteratur   der  j>hilosQphi«ph^it<  uuil 


172  Oh^  Pepobnipftilosophia. 

* 
börOhiirteite  und  ansgezcichiietste  Werk  dieser  Art  wire 
wohl  Bttg^ls  Philosoph  für  die  Welt  zb  llenll^^ 
das,  wenn  auch  der  Zeit  nach  etwas  spfiter,  deiiiioch  jene 
guae  BMdungfsepoche  völlig  charakieristasoh  beBdichnet :  es 
ist  die  höchste  Reife  und  kunstleriscbe  Gediegenheit  sokrati<- 
scher  Form  bei  völliger  Armuth  oder  riiapsodischer  Willkühr 
des  Gehahs.   Ueberhaupt  aber  war  es  eine  Zeit  der  psycho«- 
togtschen  Selbstbeobachtungen,  des  ASwftgens  moralischer 
Zustände  und  ColKsionen:  man  erörterte  ausdrucklich  Ge* 
•AUe  und  Stimmungen,  über  die  sich  ein  gesunder,  leben»- 
thStiger  Sinn  unbewusst  hinwegsetzt,  und  beforderte  so,  als 
eigentliche  Weisheit  und  Bildung,  eine  philosophische  Lebens^ 
künstelei  y   von  der  wir  jetzt ,  bei  dem  Drange  und  der 
Grösse  der  aHgemeinen  Interessen,  schwer  einen  Begriff  hal- 
ben.   Dass  aber  die  ersten  Geister  der  Kation  so  inhalt^ 
nnd  marklosem  Selbsterforschen  sieh  hingaben ,  ja  d«rin 
ihr  vorangingen,  zeigt  besonders  auch  dte  damalige  Richtung 
'der  ästhetischen  Litteratur :  wir  brauchen  nur  an  W  iela  n:d, 
und  an  seinen  deutschen  Merkur,  an  das' deutsche 
Museum    und  Aehnliches  zu  erinnern ;  auch  G  ö  t  h  e*  s 
voHgewichtige  Charakteristiken   mancher  seiner  berühmten 
Zettgenossen   treffen  auf  das  Bestimmteste   diesen   Punkt. 
SeH>st  Jacobi*s  pratensionsvoUo  Romane  lassen  sich  nur 
in   diesem   Zusammenhange  verstehen;  sie  sind,   wiewohl 
durcb  ihren  Inhalt  völlig  veraltet  und  uns  fremd  geworden, 
doch  ein  unschätzbares   Zeugniss  dafür  ,  was  die  zuhöchst 
Gebildeten  damals    als  das  Nöthigste  und   Wichtigste  be- 
schäftigte. 
■■■«  ■■.■■  » - ^ 

schönen  Wissenschaften  und  ILünste  in  den  Jab- 
res  1775  u.  1776  ausmachen«;  Göttingen  1776.  u. 
1778.  8.  oder:  ,,Hissmann's  Anleitung  zur  Kenntniss 
der  auserlesenen  philosophischen  Litteratur*'; 
Göttingen  1778.  Dazu  noch  das  aus  dem  Allg.  Rnperto- 
rium  d.  Jen.  Litteraturzeitung  abgedruckte  „systematische 
Verzeichnissder  in  derphil.  Litteratur  in  den 
Jahren  1789—1790  herausgekommenen  Schriften;" 
Jena  1795.  4.  u.  s.  w. 


Die  Popiilaiplülo80|riiie.  173 

Dennoch  können  wir  in  der  Allgemeinheit  jenes  Bil- 
dangsregen  und  Streben  nnr  als  ein  bedeutendes  und  glück- 
liches preisen !  Es  war  das  erste  Anfathmen  unserer  Na- 
tion aus  mancherlei  Druck  und  Geistesbeengung ,  und  die 
Früchte  davon  wirken  noch ,  als  Grundvoraussetzung ,  in 
die  Gegenwart  hinein.  Aber  mehr  noch:  —  Wer  könnte 
die  tiere  Analogie  verkennen  zwischen  der  damaligen  und 
der  gegenwärtigen  Bildungsepoche,  die,  gleichfalls  epigo- 
nenmässig  auf  eine  bedeutende  Vergangenheit  zurück- 
blickend, zugleich  das  Bedflriniss  und  das  Bewusstsein  hat, 
einem  völlig  neuen  Umschwünge  entgegenzugehen?  Damals 
war  der  eigentlich  bewusstc  Hebel  dafür  Kant,  der,  in- 
dem er  alle  Elemente  der  geistigen  Vergangenheit  in  sich 
zosammenfasste ,  dadurch  tüchtig  wurde ,  diese  über  sich 
hinauszusteigem.  Aber  auch  jetzt  ist  die  Einsicht  fest  und 
anabweisbar  geworden  ^  dass  die  schweren  Zeitfragen  nur 
durch  die  Wissenschaft ,  durch  die  tiefSste  Reife  der  Philo- 
sophie gelöst  werden  können. 


t)'"r  '. 


( 


Zweites  Buch. 


Kant  und  Jacobi. 
Versuchte  Vermittelung  Beider. 


•  t      ■ 


I«  Ran  f. 


Mit  iloppellcm  Ernste  und  erneuerlcr  Anslrcnginig  na- 
hen wir  dem  PhilDsophcn,  mit  wclcliem  eine  neue  Epoche, 
und  ein  frischer  Aufschwung  der  Spekularion  beginnt;  aber 
desshalb  auch  mit  höchster  Bedachtsamkeit^    Denn  wie  wir 
Kant  im  Vorhergehenden  nach  allen  den  Seiten  betrach- 
teten^ die  sein  Verhältniss  zu  seinen  Vorgangern  enthielt: 
so  gehen  wir  jetÄl  dazu,  eben  so  vollständig  sein  Verhält- 
niss zur  Gegenwart  zu  erkennen»     Unsere  eigene  phi- 
losophische Zeit  ist  aber  noch  in  der  Entwicklung  begrif» 
fen ,  die  von  ihm  ausging ;    sie  hat  sich  auf  jede  Weise, 
sei's  durch  ihn  oder  an  ihm,  herangebildet    Wie  dIesQ 
Ent^vicklung  sdbst  aber  noch  nicht  abgelaufen  ist ;  so  ge- 
hört auch  Jener  Philosoph,  welcher  ihren  Anfang  bezeich- 
net, in  diesem  Sinne  für  uns  der  eigentlichen  Vergangen- 
heit --«  der  Gesqkichte  — »  noch  nicht  an»   So  könnten 
wir  insgesammt  eigentlich   noch  Richter  in   der  eigenen 
Sache  erscheinen^  und  hatten  uns  daher  fast  als  befangene 
zu  denken,  indem  Wir  über  Kant  und  dessen  Einfluss  auf 
seine  Nachfolger   ein  Urtheil  Zu   fallen   im  JÖegrifT  sind« 
Daher  ist  es  auch  noch  zu   kemem   Endurtheile'  über 
seine  Philosophie  gekommen,  sondern,  je  nachdem  der  Weg 
ist,  welchen  man  von  ihm  auis  weiter  eingeschlagen ,  dar- 
nach bestimmen  sich  auch  der  Werth  und  die  Bedeutung, 

12 


17H  Kant. 

wolclio  man  seiner  Philosophie  im .  Ganzen ,  wie  den  ein- 
zelneu  Resultaten  derselben  beilegt. 

Indem  daher  iur  ein  gründliches  Yersländniss  der  phi- 
losophischen Gegenwart  diese  Untersuchung  weder  abge- 
wiesen noch  aufgeschoben  werden  kann ;  ist  es  hier  vor 
Allem  nöthig,  Kant  aus  sich  selbst  sich  darstellen  zulas- 
sen ,  damit  wir  seine  ganze  wissenschartliche  Entwicklung 
nochmals  mit  ihm  zu  wiederholen  im  Stande  sind,  nach 
ihrem  ersten  Beginne,  nach  ihren  nolhwcndigen  Konse- 
quenzen ,  und  nach  dem  Resultate ,  bis  zu  welchem  er  an 
seinem  Thcile  gelangt  isL 

Den  Inhalt  seiner  einzelnen  Lehren  können  wir  dabei 
indess  in  jedem  Sinne  als  bekannt  voraussetzen  ^  da  in 
neuerer  Zeit,  Lockern  etwa  abgerechnet,  kein  Philosoph 
auf  philosophische  Denkart  und  Sprache,  ja  auf  moralische 
und  religiöse  Gesinnung  so  allgemein  eingewirkt  haben 
möchte,  als  K  a  n  L  Und  wenn  sich  auch  jetzt  die  Meisten 
düsserlich  von  ihm  losgesagt  haben  mögen ,  und  in  alle 
Wege  ihn  tu  tibertreffen  behaupten ;  sehen  wir  nur  recht 
hin:  —  so  sind  es  fast  immer  noch  Sprösslinge  aus  der 
mächtigen  Wurzel  K  a  n  t  i  scher  Grundansicht!  Und  in  der 
That,  worüber  ist  auch  jelzo  noch  (1828)  die  Mehrzahl  der 
Wü^senschaflliöhen  einverstandener,  was  wird  durch  Theo- 
Vieen  und'  Beweise  aller  Art  mannichfacher  dargestellt  und 
verlheidigt,.  flis  die  Ansicht:  von  der  Subjektivität  alles  Be- 

*  *      *  *  t 

wusstseifis ,  die  Lehre ,  dass  die  höchsten  Wahrheiten  nur 
in  der  l^onn  des  Glaubens  oder  der  Ahnung ,  nicht  aber 
in  freier,  ivi^senschaftlicher  Erkcnntniss  zu  erfassen  seien ; 
woran  wir  nur  eben  jene  bezeichnete*  Grundansicht  wie- 
derfinden.  Kant  traf  mit  seiner  Lehre,  wie  gezeigt  worden, 
eigentlich  das  Bodürfniss  seiner  Zeit;  er  brachte  darin  nur 
den  Kern  damaliger  Bildung  und  Denkart  zu  wissenschaft- 
lichem Ansdruek,  das  Bewusstsein  und  die  Uebermacht  des 
Subjektiven ,  welches  man  auch  theoretisch  einmal  zum 
Mittelpunkt  erheben  musste,  „nach  dessen  Beschaffenheit^ 
sich  auch  die  G.egenstande  für  dasselbe  zn  richten  haben. 
(K«nts  Kritik  der  reinen  Vernunft,  Vorrede  S.  XVL  XVIL 


Kant.  t79 

otn  And.)-  ^^^  so  konnte  es  nicht  fehlen,  Anns  er  das 
Haupt  des  ganzen  Zeitalters  wurde^  wahrend  selbst  Leib»- 
n  i  t  z ,  einige  philosophische  Begriffe  und  Ausdrucke  abge- 
rechnet, die  durch  ihn  in  Umlauf  kamen,  mit  seiner  inner** 
sten  Denkart  eigentlich  gar  wenig  auf  seine  Zeit  und  auch 
nachher  eingewirkt  hat 

Während  daher  der  Bericht  darüber ,  Was  K  a  n  t  im 
Einzelnen  gelehrt,  hier  keine  besondtere  Wichtigkeit  hat ; 
so  müssen  wir  um  so  genauer  auf  die  F  o  r  m  achten ,  wie 
es  gelehrt  worden,  was  die  allgemeinen  Prämissen  seiner 
Lehre  seien;  eine  Untersuchung,  die  auch  noch  jetzt  von 
bedeutenden  Folgen  sein  möchte.  Ist  es  nämlich  überhaupt 
schon  lehrreich,  einem  der  besonnensten  Denker  in  die 
Werkstatt  seiner  Untersuchungen  nachzudrmgen*,  tind  zu 
sehen,  wie  die  erste  kleine  Unachtsamkeit  nachher  im  Porl>^ 
gange  zu  einem  grossen  Fehler'  in  der  gtmzen  Rechnung 
ausschlägt,  wie  eben  die  Konsequenz  des  Verfolgens  den 
ganzen  Gesichtspunkt  verrückt:  —  so  wird  diesshier  dop- 
pelt wichtig,  wenn  die  daraus  entwidcelte  Ansicht  epoche- 
machend geworden ,  und  wenn  sie  noch  jetzt  den  bedeu- 
tendsten Einfluss  auf  die  wissenschaftliche  Denkart  defi 
Zeitalters  übt.  Und  es  sei  bekannt,  das^  wir  eben  in  die^ 
scr  Beziehung  eine  gründliche  Untersuchung  auch  jetzt  noch 
für  verdienstlich  halten.  Jedermann  weiss,  dass  Kant  un- 
ter uns  Nachfolger  gefunden,  die,  wie  sie  behaupteten,  im 
ächten  Geiste  des  Stifters  den  Kriticismus  weiter  auszahlt- 
den  und  zu  vollenden  suchten:  sie  haben  steh  dabei  vom 
Buchstaben  KanTs  zu  befreien  gewusst,  und  die  theoreti^ 
sehe  Philosophie  in  stetigerer  Entwicklung,  die  praktische 
ohne  Hülfe  der  Kantischen  Postulate  dargestellt.  Aber 
wie  sie  es  selbst  sagen,  der  Geist,  der  ganze  Stand- 
punkt ist  derselbe  geblieben.  Und  um  diesen  Geist  zn 
treffen ,  nicht  bloss  den  immer  wandelbaren  Buchstaben', 
schien  es  uns  hier  vor  Allem  nothig,  tiefer  einzugehen 
in  die  Entwicklung  der  ersten  Principien ,  auf  die  K  a  n  4 
seinen  Idealismus  gegründet;  mit  diesen  aber  stehen  oder 
fallen  auch  seine  unmittelbaren  Nachfolger  I    Und  eben  in 


180:  Anfangsfragcn 

r 

dieser  Beziciiung  möchten  wir  die  Letzteren  bitten^  der 
nachfolgenden  Untersuchung  einige  Achtsamkeit  zu  schen- 
ken, die  ihre  Absicht  nicht  verhehlt,  auch  sie  selbst  in 
ihrem  Besitzslande  anzugreifen.  Möchten  sie  in  bestimmter 
wisscnscbafUicher  Erwiederung  entweder  mit  unsern  Grün- 
den sich  einverstanden  erklären,  oder  scharf  uns  den  Punkt 
bezeichnen ,  wo  wir  Kant,  dem  Geist  oder  dem  Worto 
nach,  ihnen  falsch  gedeutet  zu  haben  scheinen;  eine 
Erörterung,  wobei  unseres  Krachtens  die  wissenschaftliche 
Klarheit,  wie  die  allgemeine  Verständigung,  nur  gewinnen 
kann. 


Kant,  durch  Hume  angeregt,  welcher  die  Nothwen- 
digkeit  der  Synlhosis  von  Ursache  und  >\'irkung  angegrii- 
fen  hatte,  mici^te  das  hierßus  erwachsende  rrobleni  in  ei- 
Iie4ii  höhern  (iiesichtspunkt  zu  fassen  ,  und  gleichsam  unter 
eine  allgemeinere  Formel  zu  bringen.  —  All(*s  Erkennen 
ist  ein  Synth esirei\,  —  Beziehen  einer Mannichfaltigkeit 
von  Bestimmungen  auf  innere  Einheit ;  und  selbst  da> 
Annlysir^n  —  das  sondernde  zum  Bewusstseia  Bringen 
des  MannichfaUigeQ  —  setzt  gegebene  S  y  n  l  h  e  s  i  s  vor- 
aus. Allgemeiner  kann  also  gefragt  werden,  und  j(mer 
Hume'sche  Zweifel  gegen  die  objektive  Gültigkeit  eines 
synthetischen  Verknöpfens  von  Ursache  und  Wirkung  ist 
Zugleich  darin  befasst,  wie  überhaupt  ein  Synthesiren  mög- 
lich sei?  Unmittelbar  freilich  bietet  die  Wahrnehmung 
fertige  Synthesen  dar:  aber  von  diesen  kann  in  Bezug 
auf  wahrhaft  wissensch^lUiches  Erkennen  nicht  die  Rode 
sein ;  hier  ist  die  Sya^hesis  gegeben,  erscheint  also  als  z  u- 
failig  —  auch  anders  isein  könnend.  Jene  Frage  bedeu- 
tet dahor  e^entlich  nur,  wie  nothwendige,  vom  Be- 
wusstseinder  Jfoth  wendigkeit  begleitete  Synthesen  in 
unserm  Erkennen  möglich  seien,  und  welches  das  Priiicip 
derseU^ii.  Und  indem  Kant  diess  ab  dasjenige  bezeich- 
net, wojffiuf  Alles  ankomme,  hat  er  darin  allerdings  auf  das 
höchste  Prpl^lem,   auf  das  wahre  Ur-  und  Grundwunder 


der  Kritik  der  reinen  Vernunft.  18  t 

alles  Seins  und  Wissens  hingedculol  r  wie  nämlich  das 
Mann  ichfaU  ige  dennoch  das  Eine,  darin  mit  sich 
identisch  Bleibende,  Einheit  umgekehrt  ein  synthe- 
tisch Mannichfaltiges  zu  sein  vcnm^ge,  wie  dieser 
urspriingliciisrc  Gegensatz  vereinigt  in  allen  Dingen  zii 
])os:reifen  sei?  —  Und  wenn  auch  die  Lösung*  der  FraßO 
ihm  nicht  in  höchster  Instanz  gelungen  ist;  dennoch  be- 
währte er  dadurch  seinen  eben  so  tiefen  als  umfassenden ' 
Blick,  gleich  Anfangs  den  innersieh  Mittelpunkt^  aller  Spe- 
kulation so  scharf  bezeichnet  zu  haben; 

Hier  machen  sich  von  selbst  die  Kan tischen  Defini- 
tionen des  apriori  und  apostetiöri  geltend :  Jenes  ist  nach 
seinen  Worten  das  vom  Bewusstsein  „der  Noth wen- 
digkeit und  strengen  Allgemeinheit«  Begleitete; 
diess  das  als  zufällig  (auch  anders  scfti  könnend)  im  Be- 
wusstsein Gegebene,  welches,  auch  zur  Erfahrung  gesttji- 
gerl,  immer  nur  den  Charakter  „comparati  vcr  Allge- 
meinheit** behalten  kann.  (Kr.  der  reinen  Vernunft, 
Einl.  II.   S.  3.  4.). 

Gleich  Anfangs  lässt  er  in  der  durchaus  merkwürdigen 
Vorrede  zur  ersten  Kritik  (S.  XVL)  uns  einen  wichtigen 
und  geistvollen  Vorblick  thun  in  seine  ganze  spekulative 
Ansicht:  Bisher  habe  man  immer  geglaubt,  alle  Erkennt- 
niss  müsse  sich  nach  den  Gegenstanden  richten;  daransei 
aber  jede  Eiitlänmg  eines  apriorischen  Wissens  von  den- 
selben nothwendig  gescheitert.  Man  solle  mit  ihm  nun  um- 
gekehrt versuchen,  ob  es  nicht  besser  gelinge,  wenn  man 
annehme,  dass  die  Gegenstände  sich  nach  der 
Erkenn tnis.s  richten,  wodurch  die  allgemeine  Mög- 
lichkeit einer  apriorischen  Wissenschaft  sich  wenigstens 
vorläufig  einsehen  lasse.  Und  passend  kann  er  dabei  an 
Copern.ikus  erinnern,  dessen  Genie  eben  auch  durch 
kuiinc  Umkehiiing  der  gewohnten  Ansicht  vom  Weltsystem« 
das  unerwartete  Licht  hervorrief.  —  Die  Gegenstände  em- 
pfangen, was  an  ihnen  aprioiisch  (Yiothwendig^  ist,  aus 
dem  Geiste :  dieser  prägt  in  ihnen  seine  eigenen  ursprüng- 
lichen Erkenntnissformcn  und  Gesetze  aus,  stellt  sich  selbst 


18t  AaraogsGrageu 

und  seine  Natur  dar  an  ihnen;  ein  Idealismus  von  kühner 
und  durchgreifender  Konsequenz,  der  aber  oiTenbar  zugleich 
einer  umfassendem  Deutung  fähig  ist.  Abstrabiren  wir 
naroüch  von  dem  Ausdruclie,  den  jene  Ansicht  bei  Kant 
zunächst  annahm,  dass,  weil  die  Dinge  an  sich  in  die  sub- 
jektiv-apriorischen Formen  des  Geistes  aufgenommen  wer* 
den,  die  gegenständliche  Welt  nur  als  subjektive  Erschei- 
nung eines  objektiv  unerkennbaren  Dinges  an  sich 
anzusehen,  der  Geist  also  überhaupt  nur  subjektiver 
Wahrheit  ßhig  sei :  so  ergiebt  sich  der  umfassendere  Sina 
derselben,  dass,  formal  ausgedruckt,  die  Gesetze  des  Gei- 
stes eben  zugleich  die  der  Dinge  sind,  dass  also  Creist 
UAd  Dinge,  Subjektives  und  Objektives,  nur  Eine  Welt,  ein 
Ihrem  Princip  und  ihrer  innem  Natur  nach  Identisches 
ausmachen ;  dass  aber  ferner  diess  Princip  in  allem 
Wirklichein  eben  darum  nur  von  intelligiblcr  Natur, 
ein  an  siclf  Vernünftiges  sei;  und  endlich,  dass  diess 
bewusstlos,  wie  bewusst  Vemünllige,  in  den  Dingen,  wo- 
durch sie  allein  Eins  werden  und  zum  Universum  sich  voll- 
enden, allein  sich  gründen  könne  auf  ein  absolut  All- 
und  Selj^stbewusstes ,  dass  die  That  seines  Schaffens  nur 
als  die  selbstbewusst  intelligible  eines  Urpcrsöiiiichen  zu 
denken  sei ;  wodurch  nicht  nur  der  spekulative  Umschwung 
in  Schellingundim  Hegel  sehen  Principe,  sondern  auch 
dasjenige,  was  noch  einen  nothwendigen  Schritt  weiter  auf 
der  Bahn  jenes  universalen  Idealismus  führt,  in  die  Per- 
spektive des  K  a  n  t  i  sehen  Ausgangspunktes  gerückt  ist.  --- 
Zu  dieser  Untersuchung  über  d^s  Princip  alles 
apriorischen  Efkonnens,  oder  über  die  Möglichkeit  einer 
apriorischen  Wissenschaft,  mithin  überhaupt  auch  aller 
spekulativen  Philosophie  (was  demnach  »ein  Traktat 
über  die  31ethodo,  keineswegs  das  System 
der  Wissenschaft  selbst«  wäi^:  Vorn  S. XXU.*)), 


*}  Woiu  auch,  als  f  laupttteile,  der  sif  beute  Abscliuiii  drr 
Eiuleiluug  zu  verj^leiciieii  ist.  —  Kheuso  i^etat  K  a  ii  i  iu  d-'U 
„Proiei;ouieuen  zu  ciuer  küuftigeu  Mf^tuphyiilk'*  seiue 


der  KtiHk  der  reinen  Vemmift.  |83 

bedafr  es  einer  •vdUstAndigenZerfUQdeniiig'  ^^  eUmJI^Kh 
tik*^  des  gfesammteA  £rke-nfttnissvermQ.g«fi.;^j 
um  dos  Aprioritfche  desselben  vom  Aposteriocischep  ^o)||f 
ständig  scheiden  zu  können. 

Doch  was  ist  für  Kant  Erkcnten  oder  Bcwusstfeln 
Oberhaupt?  —  Znersl;soU  namlicb  nach  logischar  Re- 
gel das  GenereUe  angegeben  werden,  bevor  man  z^.si^ipi^n 
specieiien  Unterscheidungen  fortsctureitet  Die^  hsit  jj^aftt 
unterlassen,  ohne  Zweifel^  weil  c^.  ihm  äbe|:flüs$ig  schle|i^ 
das  noch  besonders  xn  «mtem ,  worüber  Alle  v  mit,  ihpn 
einveratanden  seien.  Und  Aüfengs  scheint  er  a^ch  in  Ait^ 
ser  Beziehung  ganz  Eine^  Sinnes  zu  sein  mit  d^r  gewöh% 
liehen  Ansicht:  indem  aber  das  Resultat  seiner  Ttiefirii; 
dieselbe  völlig  aufhebt,  und  ihc  widerspricht;  so.  eutsteljil 
das  eigene  Verhältniss,  dass  er  dafgenige  zum  B#hufe  seij- 
iier  Theorie  vorausset;(t,  und  sie  seljbsl  darauf  haut,  was  in 
ihrem  Fortgange  durch  dieselbe  .  ausdrucklich  negirt  und 
aufgehoben  wird:  sie  ^rslort  unter  sich  selbst  den  Bod^ 


riitprsuchiingpn,  als  vorläufige,  der  eigenlUdieii  Uieoretiscbeo 
Philosophie  ansdrAcHIicli  eDtgegen ;  und  in  der  ersten  KhHlL 
selbst,  wo  er  von  den'  Definitionen  der  Kategor ieen  redet,  .^t*- 
innert  er,  da«s  cUese  nicht  io  die  gegenwärtige  Ivntersucbuug^ 
die  Met  hod  enlei)  re,  sondern  in  das  System  der  Ver- 
nunft selbst  hineingeboren  (S.  108.  109.]}  welches  System 
er  aUo  durch  die  Kritik  npch  nicht  ^aufgestrlU  zu  haben  bc^- 
hauptele,  mid  zwar  offenbar  nicht  bloss  in  Rücksicht  anf  die 
Vollständigkeit  der  Untersuchung,  indem  etwa  die  prak^ 
tische  Veniunfl  und  die  UrtheilskraCt  darin  »ooh  aidit  erör- 
tert sei,  sondern  gar  eigentlich  in  Bucksichi  auf  4i^  Form 
und  auf  die  Behandluag»  indejyi  die  Uniar&uchuug  nur  als 
eine  Vorarbeit  für  das  künftige  System  der  Wissenschaft 
anzusehen  sei.  —  Späterhin  scheint  sich  diese  Unterscheidung 
iodess  bei  ihm  selbst  und  in  seiner  Schule  immer  mehr  Ter* 
loren  zu  haben:  und  zuletzt  kam  es  bei  dieier  sogar  tu  d(1r 
Behauptung,  dass  jene  Untersuchung  über  die  ,/Methode" 
die  theoretische  Philosophie  selber  sei,  ausser  welcher  schlecht« 
hin  keine  andere  Statt  finde,  noch  auch  nur  als  ni&gtich  ge- 
dacht werden  könne»  -' 


184  Anscbauimg  —  Reco^ilfit 

worauf  sie  sich  gn^gfrilndel  hat;  ein  Widerstreit,  aitf  de» 
ichon  Jacobi  hindeutete,  indem  er  sagte,  dassman  ohne 

« 

die  Voraussetzungen  des  gcAieinen  Menschenrerstandes  in 
das  Kan tische  System  nicht  hineinicoiBmen ,  mit  densel« 
t>en  aber  in  ihm  nteht  verharren  könne. 

Denn  vernehmen  wir  nur :  Das  Unmittelbare  alles  Er- 
kennens  ist  „Ansehauunjt^,  welche  nur  dadurch  möglicfa 
ist,  dass  „uns  ein  Gegenstand  gegeben  wird^,  d.  h.  dass 
et"  unser  Gemflth  auf  eine  bestimmte  Weise  afficirt,  — 
„Die  Fähigkeit  (Rec  epil  vi  tat),  Vorsteilungen  durch  die 
Atrt,  wie  wir  von  Gegenständen  aRicirt  werden,  zu  bdcom«- 
men ,  heisst  Sinnlichkeit. <^  „ Vermittelst  der  Sinnlidi* 
kbit  also  \)^erden  uns  Gegenstfinde  gegeben,  sie  liefert 
nhs  Anschauungen^,  u.  s,  w.  *)  -^  Alles  Denkern 
(Bilden  von  BegriObn)  muss  sieh  ab^r  suictzt  auf  An* 
l^haunngen,  also  auf  das  durch  Sinnlichkeit  Gegebene,  bc-* 
sieben;  Ansdiauung  ist  daher  überhaupt  das  Urspröngliche 
alles  Bewusstseins,  wovon  das  Erkennen  anliebt,  worauf  es 
fusst  und  überall  sich  gründet. 

Fragen  wir,;  daher  Kant,  was  ihm  Erkennen  an  sich 
bedeute,  und  er  wird  nach  dfesen  Prämissen  nur  antwor«. 
ten  können:  Es  ist  ursprünglich  ein  Vermögen,  Vorstek. 
fcingen  zu  empfangen;  ein  „Zu-sammengesetistes^ 
aus  dem>  was  wir  durch  Eindrücke  empfangen  (Recepti« 
vi  tat),  und  dem,  was  unser  eigenes  ErkennlnissyermögTen, 
durch  jene  bloss  veranls^sst ,  aus  sich  selbst  heigiebt, 
wdohes  aber,,  an  sich  selbst  leer,  sich  unmitlclbar  auf  die 
Weit  der  Objekte  t^edeht,  durch  welche  affioirt,  es 
Anscbauungen  erhalt,  die  durch  Denken  von  ihm  zu 
Begriffen  erhoben  werden**).  Und  dass  diess  nicht 
bloss  vorläufige  Accommodatfon  und  Anknüpfung  an  diu 
gewöhnliche  Vorstellung  sei,  die  nadibor  widerlegt  werden 
soll»  beweist,  da^s  er  jfpüter  uirgeads  der^^elbeu  ausdrück-« 


•)  kk  a.  r.  V.  s.  aa.   . 

♦•)  Kr.  U.  r,  V.  S.  1-6. 


ÄMdiiniang  —  Receptivikat.  18& 

lieh  widerspricht,  sondern  auch  an  Stellen,  die  den  ent- 
schiedensten Idealismus  lehren,  einräumt,  ja  behauptet,  der 
Grand  der  «mnlichen  Verstellungen  sei  in  einem,  ausser 
dem  Bewiisstsein  liegenden,  transscendentalcn  Objdcle  zu 
suchen.  Eine  andere  Ansicht  würde  er  sogar  ab  unge«* 
reimt  verworfen  haben ,  indem  er  überaD  den  Satz  fest«^ 
hält,  dass  Erscheinung  nicht  sein  könne  ohne 
Etwas,  das  da  erscheint  (Vom  S.  XXVllO.  Merk* 
würdig  ist  es  nun,  zu  sehen,  wie  von  dieser  ursprünglichen 
Voraussetzung  einer  gegenständlichen  Weh  im  Verlaufe  der 
Untersuchung  eine  Bestimmung  nach  der  andern  hinweg«* 
schmilzt,  und  wie  zuletzt  nach  demselben  Buchstaben  der 
Kritik  ein  Bewusstsein  zurückbleibt ,  das  Nichts  nachbildet, 
in  dem  qualitativ  Nichts  erscheint  von*  den  „vorgestell- 
ten** Dingen;  dessen  sinnliche  Erkenntniss  also  die  Er- 
scheinung des  Objekts  enthalt ,  ohne  dass  doch  nur  im 
Geringsten  dessen  objektive  Erscheinung  darin  wäre. 
Durch  welche  Unterscheidung  Kant  diesen  Widerspruch 
»1  vermitteln  suche ,  werden  wir  finden ;  aber  wenigstens 
diess  bleibt  gewiss,  dass  es  einer  vorläufigen  Untersuchung 
aller  jener  gutwillig  aufgenommenen  Locke'schen  Begritib 
bedurft  hatte,  wdr*  es  auch  nur  gewesen ,  um  den  wissen- 
schafUichen  Sprachgebrauch  umfassend  festzustellen, 
und  die  eigene  Ansicht  mit  der  gewöhnlichen  nicht  hnmer 
durch  zweideutige  Ausdrücke  in  Berührung  zu  bringen« 
Und  hinter  den  Schlupfwinkeln  dieser  Vei^wimmg  eben,  di« 
schon  im  Anfange  der  Kritik  ihre  ersU?n  Spuren  zeigt, 
haben  sich  die  Kantianer  zum  Schaden  der  \^i.ssens€hult^ 
liehen  Klarheit  so  lange  verborgen  und  verlhcidigt. 

Doch  hören  wir  mit  Aufmerksamkeit  weiter  (S.  M.): 
»Die  Wirkung  eines  Gegenstandes  auf  die  Vorslellungs- 
föhlgkeit,  sofern  wir  von  demselben  afficirt  werden, 
ist  Empfindung.  Diejenige  Anschauung ,  welche  sich 
Buf  den  Gegenstand  durch  Empfindung  bezieiil,  hoisst  e  m- 
pirisch.  Der  uubestimuUe  Gegenütaud  einer  empirischen 
Anschauung,  hcij^st  Erscheinung.  —  In  der  Erschei- 
nung nenne  ich  dasj  was  der  Empfindung  correspon- 


186  Apriori  «nd  Aposteribri. 

dfrt*),  die  Materie  derselben,  dasjeili^e  aber,  Wel- 
ches macht,  dass  das  Mannichfaltige  der  Erscheinung  in 
gewissen  Verhältnissen  geordnet  werden  kann,  nenne  ich 
die  Form  der  Erscheinung.  Da  das,  worimien  die  Em- 
pfindungen sich  allein  ordnen ,  und  in  gewisse  Form  ge- 
l$tellt  werden  können,  nicht  selbst  wiederum  Empfindung 
sein  kann ,  so  ist  uns  zwar  die  Materie  aller  Erscheinmig 
ß  posteriori  gegeben ;  die  Form  dei^selben  aber  muss  %  i 
ihnen  insgesammt  im  Gemüthe  a  priori  bereit 
liegen,  und  daher  abgesondert  von  aller  Empfindung 
können  betrachtet  werden.  —  Ich  nenne  alle  Vorstellnngei 
rein  (in  transscendentalein  Verstände),  in  denen  Nichts, 
was  zur  Empfindung  gehört ,  angetroffen  wird.  Demnadi 
wird  die  reine  Form  sinnlicher  Anschauung  überhaupt  im 
Gemüthe  a  priori  angetroffen  werden,  worin  alles  Hannich* 
faltige  der  Erscheinungen  in  gewissen  Verhältnissen  ange* 
schaut  wird.  Diese  reine  Form  der  Sinnlichkeit  wird 
Much  reine  Anschauung  heissen.^^ 

Was  bezeichnet  hier  dem  Zusammenhange  nach  „  die 
apriorische  Form  der  Erscheinungen «,  ihrer  „Matcrie^^ 
gegenüber  ?  —  Es  sind  dem  Bewusstsein  gewisse  einrache 
Empfindungen  als  iseitUche  und  räumliche  gegeben,  die  das- 
selbe in  ein  Ganzes  zusammenfasst,  und  als  das  «Ding^  be« 
zeichnet,  gleich  den  einzelnen  Buchstaben,  die  der  Lesende 
als  Wort  ausspricht,  wiewohl  das  Wort  Nichts  ist  als  die 
Zusammenrassung  jener  Buchstaben.  Form  also  ist  das 
Allgemeine  jener  einfachen  Empfindungen,  dass  sie  ein 
Hier,  ein  Jetzt,  ein  So  sind,  dass  sie  auf  die  Einheit 
eines  Dinges  bezogen  werden  u.  s.w.  Aber  ferner  heisst 
es:  die  Form  sei  eine  a  priori  im  Geuiüth  bereit  lie- 
gende, in  welche  die  aposteriorische  Empfindung 
eintritt.  Hier  fügen  sich  zwei  neue  Begriffe  ein,  die.  wur 
wohl  prüfen  wollen. 

A  priori  und  a  posteriori  hiesa  Kanten  vorher,  uud 


*)  Kaao  dieses  Worl,  wauu  es  hier  Sina  haheii  soll,  ander«  als 
iu  völlig  Locke'Ach^m  Sinne  gefassC  werden? 


Apriori  und  Aposteriori.  187 

darf  nach  wtesenschaftUchem  Sprachgebrauche  nichtig  An-* 
deres  heissen ,  denn  —  jenes ,  das  ab  nothwcndig  und 
schlechthin  allgemein  Gedachte,  —  diess  das  als  zurr 
lailig  Erscheinende  —  (so  dass  diese  erscheinende 
Zufälligkeit  etwa  aufgehoben  werd(^  kanni  — ).  So 
begründet  dieser  Gegensatz  durchaus  nicht  eine  Unterschcip- 
duRg  im  Materiellen  der  Erkenntniss,  sodass  das  Eine 
(z.  B.  die  Anschauung  von  Zeit  und  Raum)  ein  Apriori- 
sches, das  Andere  (die  einzelne  sinnliche  Em]^ndung  et- 
wa) ein  Apriorisches  wäre,  und  bleiben  müsste:  son- 
dern er  betriiR  durchaus  nur  das  Formale  der  Erkennt- 
niss,  indem  dasselbige  Eine,  insofern  es  im  faktischen  Be- 
wusstsein  als  Zufalliges  erscheint,  eben  daoiit  ein  Apo- 
steriorisches ist:  wenn  es  aber  als  nothwendiges 
erkannt,  im  wissenschaftlichen  Erkennen  wiedererzeugt  wird, 
ist  es  ein  Apriorisches  geworden.  Dasselbe  kann 
also  zugleich  aposteriorisch  und  apriorisch  sein,  je  nach 
dem  Standpunkte  des  Erkehnens,  id  welches  es  aufgenom- 
men wird;  keineswegs  aber  kann  diese  Unterscheidung 
je  einen  qualitativen  Gegensatz  begründen.  Und  so 
nur  bedient  sich  Leibnitz,  bedient  sich  der  unmittelbare 
Vorgänger  Kanfs,  Hume,  jener  Ausdrücke:  namentlich 
dem  letzteren  heisst  apriori  das,  was  aus  Gründen 
durch  sich  selbst  erkannt  wird ,  ohne  die  Erfahrung 
dabei  zu  Hülfe  zu  rufen«  Dass  aber  dasselbige  nicbl  auch 
in  der  Erfahrung  liege,  ja  durch  dieselbe  nicht  auf  un- 
mittelbare Weise  erkannt  werde,  wird  damit  dmcbaus 
nicht  geläugnet ,  vielmehr  ist  es  die  anderweitige  direkte 
Behauptung  H  u  m  e*s. 

Damit  fällt  denn  aber  auch  der  aus  jenem  missbrauch- 
len  Ausdnicke  gefolgerte,  wenigstens  verwirrende  Satz  da- 
hin, dass  das  unmittelbare  Erkennen,  und,  da  alles  Er- 
kennen seinem  hihalte  nach  auf  Erfahrung  recurrirt ,  das 
gesammte  Erkennen,  gemischt  und  zusammengc«. 
setzt  sei  aus  apriorischen  und  aposteriorrschen 
Elementen^  die  *uun  die  Yernunllkritik  von  einander 
zu  scheiden,  und  jene,  rein  geiasst,  als  die  im  Gemüth 


188  Apriorl  und  Apostcriori. 

bereit  Ifcgfcnden  aprlorlscli-subjckif von  For- 
men auszusondern   habe.      Indem  nämlich    nun   bewiesen 
wird,  was  leicht  zu  erweisen  war,  dass  Zeit  und  Raum  dii» 
htlgemeine  Bedinginig*  aller  äusseren  Vorstellung ,    das  ab- 
strakte Element  alles  sinnlich  Concretcn  se;,  —  somit  aber 
das  Apriori-vorausgegeben  e  im  sinnlichen    Vor- 
stellen —  (hier  liegt  eben  die  Erschleichung) ;  —  so  Tolglc 
daraus  freilich  unmittelbar,  dass  Zeit  und  Raum  nur  sub- 
jektive Formen,   „apriorische  Anschauungen- 
fein  hölzernes  Eisen!)  seien.  —  Und  in  dieser  ersten,  hsi 
ünwillkührlichen  Verwechslung  müssen    wir   den  Ursprung 
des    ganzen    K  a  n  t  i  sehen    Idealismus    finden  :    er   ergab 
sich  nothwendig,  sobald  nur  das  Princip,  das  Allgemeine, 
welches  ein  Apriorisches  sei,  zugleich  zum  Subjektiven  im 
Erkennen  zu  machen,  mit  Konsequenz  durchgesetzt  wiu*de. 
'      Indem  also  Kant  mit  Recht  ein  schlechthin  Allge- 
meines, seinem  Ursprünge  nach  Nichtempirisches, 
seinem  Inhalte  nach  Unendliches,  in   allem  faktischen 
Bewusstsein  anerkannte,  —  und   diess  ist  der  epochema- 
chende   wissenschaftliche  Fortschritt    über   Locke    und 
H  u  m  e  hinaus ;  —  indem  er  ferner  mit  Recht  behauptete, 
dass  diess  nicht  aus  der  Erfahmng  geschöpft  werden 
könne  (wiewohl  es   darum    doch  unmittelbar   nur  i  n 
der  Erfahrung  sich   darstellen   und  zum  Bewusstsein  kom- 
men kann):  nannte  er  diess  einstweilen  das  Apriorische, 
dem  Aposteriorischen ,   als  dem  Einzelnen ,  Zufälligen  ge- 
genüber.    Aus  der  Anwendung  dieses  Begriffes  mit  allen 
seinen  Konsequenzen  folgte  aber  unmittelbar,  dass  diess 
„apriorische*^  Element  des  sinnlichen  Bewusstscins ,    da  es 
nicht  aus  der  Erfahrung  staiiunt,  nur  das  vor  aller  Erfah- 
rung  Vorausgegebene,    mithin    die    subjektive, 
J,a  priorisch  bcreilliegende'^  Form jenivs  Bewussiseins 
sein  könne,  woraus  denn  sein  Idealismus  mit  Nolliwen<Ii»f- 
keil  sich  entwickelte,  —  Wie  einrach-klar  daoi»g(Mi,  und  allen 

Missverstand  gleich  Anfangs  beseitigend,  stellt  l»eibnitz*J 

—     ■  —  — 

*)  üouveauK  Essays,  S.  4.  5. 


Apriori  und  Aposteriorii  189 

den  Uanptgcgichtspunkt  bei  dieser  Untersochiing  hin :  ^  Es 
lianddl  sich  davon,  sagt  er,  ob  die  Seele  an  sich,  gleich 
einer  unbeschriebenen  Tafel ,  Alles,  was  in  sie  gezeichnet 
sei ,    lediglich  aus  den  Sinnen   und  durch  Erfahrung  em^ 
pfang'e  ;  oder  ob  sie  selbst  ursprünglich  die  Principien  man« 
nichracher  Begriffe  und  Erkenntnisse  enthalte,  welche  die. 
äussern  Objekte  nur  erwecken  (reveiUent) ^   und 
zum  Bewusstsein  bringen,^     Kann  nun  Letzteres 
nirht   gcläugnet  werden,  so   ^bedarf  es  doch  immer  der, 
Sinne,  der  Erfahrung,  in  und  an  welchen  jene  Prin- 
cipien unmittelbar  allein  sich  darstellen  können  <^  u.  s.  w«i 
die  also  nicht  etwa  bloss  subjektive,  a  priori  im  Ge^ 
ni  ü  t  h  bereitliegende  Formen  sind,  sondern  (^jektiv-BOth- 
wendige  Wahrheiten,  die  der  Autor  desshalb  sogar,  ana«- 
log-  dem  Fla  ton,  auf  eine  ewige, ^göttliche Intelligenz  zu- 
rückiührt,  welche,  wie  in  den  Dingen,  so  auch  im  mensch- 
lichen Geiste  allein  der  Grund  der  ßwigen  (Vernunft-)  Wahr- 
heiten sein  könne. 

Legen  wir  daher  uns  zurecht,  alle  Unterscheidung  des 
£1  priori  und  a  posteriori  hier  beseitigend,   die  gar  nicht 
hieher   gehört,    was   Kant    in   seiner    transscendentalen 
Aeslhetik  bewiesen;  so  ergiebt  sich  Folgendes  als  das  R^ 
suliat:    Im  Unmittelbaren  der  einzelnen  Anschauung  stellt 
sich  ein  Allgemeines  dar,  verschmolzen  mit  den  Elementen 
Jenes  faktisch  Einzelnen:  das  Allgemeine  nimmt  im  sinnli- 
chen Vorstellen  faktisch  concreto  Gestalt  an.     Und  so   ist 
Alles  zunächst  ein  Zeitliches,  Räumliches,  und  ein  Qualita- 
tiv-Bestimmtes ,  d.h.  ein  Jetzt,  Hier  und  Diess;   und 
abstrahiren  wir  von   den  concreten  Bestimmungen  daran, 
die  zufällig  und  wandelbar  sind,  so  bleiben  doch  jene  allt 
gemeinen   zurück,    von   denen*  nicht   abstrahirt 
werden  kann.     Diess  hat  Kant  in  der  transscenden- 
talen Aesthetik  zunächst  an  Zeit  und  Raum  dargelegt,  alf 
den  allgemeinen  Bedingungen  des  sinnlichen  Erkennensy 
wie  er  es  noch  an  der  dritten  Form,  der  qualitativeo 

Bestimmtheit  (dem  JDiess^X  hätte  entwickeln  können; 

*  •     * 

sehr  richtig  jedoch  bemerkend,  dass  diess  nicht  überhaupt 


190       Hauplproblom  einer  Theorie  des  Erkennen«. 

die  einzigen  allgemeinen  Formen  des  Bcwusslseins  seien, 
TTohl  aber  die  einzigen,  die  in  einer  Iransscendenfalcn 
Aesfhelik,  als  der  Lehre  von  dem  sinnlichen  Vorstellen, 
vorkommen  können» 

Doch  über  das  Subjektive  ocier  Objektive  die- 
ses Allgemeinen  ist  damit  noch  gar  Nichts  entschieden ;  ja 
diese  Frage  kann  in  diesem  Zusammenhange  gar  nicht 
ÄtTgleich  erledigt  werden  1  Es  bedarf,  wie  schon  früher 
«Erinnert ,  dazu  vor  Allem  einer  umfassenden  Untersuchung 
fiber  das  Verhältniss  des  Bewusstseins  zum  Sein  überhaupt, 
die,  ihres  ganz  unabhängigen  Weges  schreitend,  ihrer  Seits 
Wiederum  mit  allgemeinern  spekulativen  Fragen  zusammen- 
hingt. Das  Hauptproblem  einer  Theorie  oder  „Kritik*  des 
Erkennens  kann  gar  nicht  so  ausgedrückt  werden :  was  ist 
in unserm Erkennen  apriorischen,  was  aposteriori- 
schen Ursprungs?  —  noch  dazu  wenn  Beides  geradezu  mit 
dem  Subjektiven  undObjektiven  verwechselt  wird;— 
sondern  das  ist  überall  und  gleich  von  Anfang  die  Frage, 
Well  es  den  Begriff  des  Erkennens  selbst  enthält,  wie  sich 
Erkennen'und  Sein,  Subjektives  und  Objekti- 
ves überhaupt,  und  wie  es  am  Unmittelbarsten  (im  sinnlichen 
Erkennen)  zu  einander  verhält  ?  Und  so  deutet  schon  hier 
die  Kantische  Philosophie  auf  das  Bedurfhlss  weiter  zu- 
rückgreifender und  umfassenderer  Untersuchungen  hin. 

Doch  treten  wir  dem  Einzelnen  der  K  a  n  t  i  sehen  Raum- 
und  Zeitlheorie  näher: 

Raum  und  Zeit  stammen  nicht  aus  sinnlicher  Empfin- 
dung, sondern  diese  setzt  vielmehr  jene,  als  ihre  eigenen 
Bedingungen,  voraus:  sie  sind  also  das  jeder  einzelnen 
Wahrnehmung  schlechthin  Vorausgehende  —  daher  noth- 
iremiige  Gmndvorstellungen  des  Bewusstseins.  — 
Desshalb  sind  sie  aber  nicht  etwa  abstrakte  (abstra- 
hirte)  Begriffe ,  indem  das  Einzelne ,  woraus  sie  könnten 
abgezogen  werden,  umgekehrt  nur  unter  Voraussetzung  der- 
Belben  und  in  ihnen  vorgestellt  werden  kann;  und  wenn 
man  von  einzelnem  Räundichen  oder  Zeitlichen  r^det ,  so 
sind  diess  nur  Einschränkungen  ihrer  Allgemeinheit, 


Kants  Ranm-  und  Zeiitheorie.  191 

die  daher  bei  jenem  selbst  vorn«  s  gesetzt  werdet!  «Miss«. 
Demnach  sind  die  Vorstellungen  von  Raum  und  Zeit  als 
anendliche  Grössen  gegeben,  was  ischlechlhin 
aller  empirischen  Anschauung  widersprieht,  die^nur  durch 
innere  Bestimmtheit  (£ndlichkeit>,  also  Begranzung,  eine 
solche  ist  Raum  und  Zeit  sind  daher  nur  als  ursprungti- 
che  Anschauungen  des  Bewusstseins  zu  denken,  milhin  ein 
Apriorisches,  folglich  (nach  Kant)  subjektive  For- 
men der  Sinnlichkeit ,  die  aber  eben  darum  nur  in  Bezie- 
hung auf  die  (subjektive)  Erscheinung  GfiUigkeit  und  Be^ 
dentnng  haben,  „die  Gegenstände  an  s i  c  h^  aber  gar  nicht 
angehen  und  betreffen,  „welche  vielmehr  durchaus  unbe- 
kannt bleiben^  (S.  ö9.  60.).  Näher  ist  als  innere  Unter- 
scheidung zwischen  beiden  ;ni  bemerken,  dass  die  An- 
schauung des  Raumes  apriorische  Bedingung  des  ansserii- 
chen  Yorstellens,  die  der  Zeit  als  die  Bedingung  des  Yor- 
stellens  eines  Einzelnen  überhaupt  anzusehen  sei* 

Kürzer  gefasst,  drangt  der  Beweis  sich  dahin  zusam- 
men :  Raum  und  Zeit  sind  die  allgemeinen  Elemente  allea 
concreten  Seins  und  Erkennens:  Alles  kann  nur  als 
ein  Besonderes  in  Raum  und  Zeit,  d.  h.  als  besonder« 
ter,  begränzter  Raum  und  Zeit  existiren  und  erkannt  wer- 
den« So  können  Raum  und  Zeit  nicht  aus  Erfahrung 
stammen;  sie  sind  ja  vor  jeder  einzelnen  Erfahnmgi 
demnach  müssen  sie  ein  Apriorisches,  somit 
subjektive  Anschauungsformen  sein. 

Aber  eben  hier  gilt  es,  die  eigentliche  Grftnze  des 
Beweises  wohl  zu  unterscheiden.  —  Raum  und  Zeit  als 
entleerte,  „reine^,  d.  h.  als  nicht  begrfinzte,  stammen  fum 
wahr  nicht  aus  Erfahrung,  noch  liegen  sie  in  der  SrM-t 
rung;  so  sind  sie  überhaupt  nur  abstrakte,  und,  wie  eine 
tiefer  gehende  Untersuchung  zeigen  würde,  sogut  unwahre^ 
widersprechende  Begriffe,  die  selbst,  um  auch  nur  ge  dach t 
za  werden,  der  Ergänzung  und  Bewahrheitung  durch  einen 
andern  Begriff  bedürfen.  Aber  als  Grundbedingung  alles 
Erfahrens  stellen  sie  sich  allerding;»  nur«  in 
wirklicher  Erfahrung  dar.     Erfahren,   Wahr« 


192  Kritik  derselben. 

n^flica  (ismeteB  und  inneres),  ist  .flberhaupl  nur  ein  B  r« 
grnnzca  des  Raumes  und  der  Zeit,  oder  beider  zugleich; 
also  indem  impkcite  in  jeder  £rrahrung  Raum   und  Zeit 
als  besonderle  sieh  darstellen,  sind  sie  das  in  aller  Er- 
faiiruog  (freilich  nicht  im  Einzelnen ,  sondern  im  Gaii£cn) 
Liegende ,  was  dämm  jede  einzelne  Erfahrung  selbst  vor-' 
aus2:usetzen  hat:  indem  diese  nämlich  Raum  und  Zeit  in 
sich  als  begran2te  darstellt ,  wird  überhaupt  das  Begranz- 
bare  und  das  Jenseits  der  Gränze  unmittelbar  vorausgesetzt. 
Aber  hier  findet  sich  nur  derselbe  Begriff,  den  wir  schon 
YOrtier  (bei  der  Prüfung  der  Lock  e'schen  Theorie)  umfas-' 
sender  nachwiesen:  der  Moment  des  Allgemeinen  ist  auch 
hier  mit  dem  des  Einzelnen  unmittelbar  vereinigt.    Und  so 
sind  au4b  Raum  .und  Zeit  als  die  allgemeinsten  Bedingun- 
gen alles  Erfahrens,  oder,  wie  man  sie  nennen  könnte,  als 
die  allgemeinsten  ^Eigenschaften^  alles einzebien  Da- 
seins, zwar   dem  Begriffe  nach  vor  jedem  Einzelnen  zu 
setzen ;  immiltelbar  aber  sind  sie  nur  in  einzelner  wirkli- 
eher  Erfahrung  d*  hi.  als  begranzlegcgoboti,  und  können  nur 
iit  dieser  Gestalt  wirklich  erfahren  werden.    Es  kann  dalier 
keinen  unglücklichem  Ausdruck  geben,  als  wenn  man  jenes 
Aligemeine  etwa,  um  dieses  Charakters  willen,  als  „subjek- 
tive, im  Geiuütb  bereitliegende  Foiin^  für  die  einzelne  Er- 
fahrung bezeichnen  wollte,  weil  dicss  unlaugbar  die  schiefe 
Vorstellung  hineintrüge,   dass  jenes  Allgemeine  eben  als 
bloss  subjektive  Fona,  von  anderswoher  dem  Einzel- 
nen erst  hinzugefügt  werde,  ohne  an  sich  und   ur- 
sprunglich mit  ihm  vereinigt  zu   sein.    Alles  Einzelne   in 
Raum  und  Zeit  kann  aber  eben  desshalb  stets  wieder  über- 
schntten  werden,  weil  die  Continuitat  von  Raum  und  Zeit 
über  jedes  derselben  hinausreicht ;  mithin  sind  beide  in.  je« 
der  bestinunten  (erluUten)  Begranzung  ihrer  selbst  als  un- 
begränztey  die  Begranzung  in  sich  negirende,  gesetzt. 

Somit  ist  jedes  Einzekie  in  Raum  und  Zeit  zugleich 
ein  solches,  wovon  abstrahirt  werden  kann,  während 
vom  Allgemeinen  all  jener  Bestimmungen  eben  darum  nicht 
abatrahirt   zu    werden  vermag.      Indem   aber   in  jedem 


Kriltk  derselben  IM  ^ 

Bestirnmteii  und  Be^rfozten  dennodi  das  Atlgfemeine  ^  Uli 
zugrieich  ein  jede  Gränze  Aufhebendes ^  GrinzenIoseS| 
implidto  sich  darstellt^  ist  das  Unabstrahirbare  im  Abstra» 
hirbaren  unmittelbar  enthalten ,  und  der  Akt  des  Abstnihi-* 
rens  hat  nur  die  Bedeutung,  das  Aligemeine  rein  hervurzu- 
heben,  es  eben  von  seiner  einsehien  (eufSDigen)  Gestaltung 
zu  befireien.  •-«-  Diess  scheint  uns  die  letzte  Dunkelheil 
aber  diesen  Gegenstand  hinwegzunehmen:  das  concret 
Räumliche  und  Zeitliche)  deren  jedes  einZufliIHges  (Abstra-« 
hirbares)  ist,  stellt  Raum  und  Zeit  dennoch  zugleich  ahl 
ABgemeines  oder  Unabstrahirbares  dar;  und  eben  darum 
sind  beide  darin  auch  als  schlechthin  continuirliche 
Grossen  gesetzt:  d.  h.  jede  concreto  Begränzung  kann  in 
ihnen  aufgehoben  werden,  weil  sie  in  Bezug  auf  ihre  All- 
gemeinheit nur  eine  zufallige,  nicht«-  oder  anderssein 
könnende  ist:  und  so  werden  Raum  und  Zeit  zwar  nicht 
als  unendliche  ,,angeschaut^,  oder  sind  als  solche  g e-« 
geben  (wirkliche  Anschauung  eines  Unendlichen  nämlich 
wäre  ein  Widerspruch);  wohl  aber  werden  sie  als  i^chlecht*» 
hin  continnirliche ,  jede  Begränzung  innerhalb  ihrer  selbst 
ms  Unendliche  aufhebende  —  (weil  sie  das  AllbC'* 
glänzende  sind  in  ihrer  Sphäre)  -—r  begriffen» 

Auf  die  bestimmte  Frage  demnach,  ob  Raum  und  Zeit 
eine  aus  ErTahnmg  geschöpfte  Erkenntniss,  oder  eine  bloss 
subjektive  Form  des  Geistes  sei,  antworten  wir  dahin: 
Ans  der  Erfahrung;  aber  als  das  Allgemeine,  die 
Grnndbedingung  derselben,  die  ui  allem  .Zufalligen,  ak  das 
Nothwendige,  zurückbleibt.  Und  die  Richtigkeit  dieser  Be- 
hauptung kann  um  so  weniger  bezweifelt  werden,  als  die 
Erfahrung  überhaupt  nur  das  Allgemeine  in  der  Form  des 
Concreten  auiTasst,  also  das  AUgemeine  überall^  nur  am 
Concreten  zum  unmittelbaren  Bewusstsein  gelangt,  während 
es,  a  1  s  Jb  1 0  s  s  Allgemeines,  ein  durchaus  Unwirkliches  ist, 
das  nur  im  Begriffe ,  im  Denken  existirt.  So  ist  z.  B;  das 
reine  Selbstbewusstsein  ein  jeder  Erfahrung  Vor^ 
ausgegebenes,  weil  es  überhaupt  die  Grundbedingung  aller 
geisligpn  Thätigkeit  ist;    dennoch   ist  dasselbe  in  seiner 

13 


194  Krittk  dersalheiu 

Reinheit  nti^^nds  icorl^Bdui ,  als  üb  Begriffe ,  der ,  es  m 
seiner  abstraklea  UmvirkUcbkeit  eriaasend,  dennoch  zogieich 
auadrücUich.  aneritemU;,   dass  es  nur  in  concreter  Gesbdt 
wirklich  exisUren.  könne;  nnd  auch  hier  würde  auf  die 
gleiche  Frage  die  gleiche  Antwort  gegeben  werden  mäs- 
sea:   dass  auch  das  reine  Selbstbewussksein  ursprünglich 
nur  in  wirklicher  Erfahrung,   an  den  wirklich  er- 
lebtfia  einzelnen   Zustanden  des  Wissens  sich  bewahren 
könne.     Beide  Momente  sind  dabei;,  auch  hier  umniltelbar 
vanchmoUen  und  so  innig  Eins,  dass.  das  Allgemeine  wie* 
denim  nicht  bloss  als  subjektive  Form,  das  Concrele  als 
das  in  jene  Form  aufgenioinmene ,  von  anderswoher  staun 
Rtende  Material  e  angesehen  werden  kann.     Und    diese 
absolute  Einheit  des  AUgemoinen  und  Concpetra  ist  in  at- 
lern  Bewusstsein ,  bis  herab  auf  die  Sinne ,  anzuerkennen. 
Das  Auge,  ist  Sinn.  der.  Lichtwelt,    das  Ofat  der  Tonwell: 
Udit  und  Ton  sind  beiden  ihr  Allgememes,  innerhalb  des^ 
sen.  sie  wirkea  und  uatecschoiden.     Pas  reine  Licht  aber 
ist  dem  Auge  schlechthin-,  unsichtbar,  der  reine-  (abstrakte) 
Klang  absoluter  Widersinn;  hur>   nis  siqh  speciaüsirende 
in  Farbe  und  bestimmtem  T<Mie,  existiren  sie  über- 
haupt für  Augo  und  Ohrr    Wollte  man  aber  den  Kanti- 
sfihen.  Gegcnsata  nach  seiner  Konsequenz  aoch  auf  diese 
Gegenstände  ausdehnen,  so  hötl^  man  selbst  «hiev  das  Recht 
SIL  sagen:   Licht  und  Ton  seien  als  die  subjektiv  aprieri- 
schenFonnen  jener  Sinne  anzusehen^  in>  welche  das  Bin« 
sfiliie ,   was  da  als  tönend  und  leuchtend  erscheint ,    nur 
»ulgenoromen  werde,  olme  dass  es  an  sich  selbst  mit  die- 
'aea  BigenschaAen  zu  denken  sei.     Der  Beweis  von  Sub- 
jektivität von  Raum  und  Zeit  beruht  soklechterdings  auf 
lieinea  andern.  Grteden,  als  solchen,  die  .auch  hier  diesdbe 
Mwendong  finden  musalen« 


DieA^  wäre  es.  sunachst,  was  uns  iiber  K  a  n  f  s  trän»* 
aiQ^entale  Ao^thetiki  die  Grundlaga.mid  erste  Qaellese^ 
i|c^  Idcati^w^us ,  au  sagen  niothig  schien ,  auf  weiche  das 
lll^stisfihe  Gnaedrcsultftt  seiner  eigenen  Philosophie  und. 


Theorie  TOft  Rmm  und  Zeit  -  i9S 

der  seiner  KftdMbl^  sidr  gUtetr  ein  mnfessendes  Crgeft-^^ 
Biss  aas  einem  schmalen  nnd  After  gelegten.  PündanteitVef. 
Desshalb  kann  damtl  die  Unllsrsachung'  Ai>er  tKese  Gegenu 
stfinde  noch  nicht  erschdpA  sein.  Wir  haben  nämtich  he-^ 
hniplet,  dass  Raum  und  Zeil  nur  als  coticrele,  begrtniAe, 
afljfesehant  zu  werden  vermögen,  —  dass  also  der  Moment 
de9  Ailgemi^inen  in  ihnen  den  der  Besonderheit, 
wid  nmgekefart,  setze :  —  doch  mxr  behauptet,  nicht  eigisni-« 
tich  erwiesen,  —  wiewohl  die  Art  des  Erweises  schotf  dttrclf 
die  Aeussemng  angedeutet  war,  dass* Raum  und  ZeR,  al^ 
abstrakte,  teere  (im  Momente  der  Allgemeinheit)  gedacht, 
einen  Widerspruch  in  sich- enthalten  ,*  der  nur  durclr 
einen  weder  tm  entwickelnden  Begriff'  ergänzt'  und  damif 
beseitigt  werden  könne.  Die  Hauptmomente  dieses  Beweis 
ses,  der  freiKch  in  einen  andern  philosophischen  Zusam-^ 
meahang  gehört,  wären  folgende ! 

L  Der  reine,  d.  h.  leere  Raum  ist  der  Begriff  des  ab«- 
SDlaten  Anssersichseins;  d.i.  wenn  wir,  lediglich mn^ 
den  Gedanken  asu  erliutem ,  uneigentlich  von  y,  llieilen  ** 
dessdben  reden  wollen;  -^  jeder  der  unendlich  kleinsten 
Raumtheile  wäre  zu  dehken*  ausser  dem  andern  so- 
wohl, ata  ausser  sich  selbst:  diess  sein  Bestehen  ist 
aar  die  eigene  Aufhebung,  das  absolute  Au  s  si  ch  h  erau  S'» 
gehen;  —  ein  BegrifT,  der  nur  durch  den  Gedanken* 
lebendiger  Expansion,  thStlger  Aus-Dehnung,  er- 
läutert werden  kann.  Diess  ist  der  Raum ;  eben  in  jedem 
seiner  Theile  nur  als  das  absolut  Zerfliessende,  schlechthin 
Ausetnanderweiehende ,  der  Gegensatz  aller  Innerlichkeit 
and  alles  Anf^^aicb'-beruhenis:  sein  Sein  ist  absolute 
Selbstrerneittung,  sich  aufhebend  im  Setzen,  und 
sich  setasend  im  Selbstauffaeben,  weil  sein  Sein  eben 
iHir  ist  diess  unendliche  Sichselb^t aufheben;  das' 
Sein,  welches  alle»  Irgendwo  setzt,  und  seihst  doch  nir- 
gends i  8 1  oder  bestellt ;  der  grdsste  und  unmiltelbarste 
aDer  Widersprfiche.  Und  anerltimnt  wird  derselbe  so^ar 
in  der  gewöhnüchen  mathematischen  Vorstellung  von  der 
anendlichen  Theilbarkeit  desRautnes,  worin  eberi 


196  Theorie 

nur  behauptet  wird,  es  sei  die  Natur  des  Raumes,  auch  im 
anendlich  Kleinsten  noch  A  u  s  d  e  h  n  u  n  ff  —  unendlich 
Ausser-sich-selbst-liegendes   —  d.h«  ein  das 
unendlich  Kleinste  zugleich  Aufhebendes  —  zu  sein; 
ein  Widerspruch,  der  so  offenbar  ist,  dass,  indem  er  diesen 
Begriff  des  unendlich  Kleinsten  vernichtet ,   er  durch  die 
Behauptung  der  endlosen  Theilbarkeit  ihn  doch   zugleich 
beständig  wieder  anstrebt  und  zu  erreichen  sucht.  —  Eben 
so  haben  die  bekannten  vier  Beweise  des  alten  Dialektikers 
Z  e  n  o  gegen  die  Möglichkeit  der  Bewegung  eigentlich  nur 
diesen  Widerspruch  im  Begriffe  des  Raumes  zu  ihrer  Wur- 
zel :  sie  beruhen  wesentlich  darauf,  zu  zeigen,  dass,  indem 
angenommen  werde,   ein  Körper  sei  sich  bewegend  von 
einem  Punkte  zum  andern  fortgerückt,  daraus  zugleich  fol- 
ge, dass  er  eine  unendliche  Me^ge  von  Raumtheilen, 
mithin  eine  Unendlichkeit  des  Raumes  selber,  durch, 
messen  haben  müsse,  indem  wahriiaft  eine  solche  zwischen 
jeden  zwei  Punkten  irgend  einer  Entfernung  liegt:    nie- 
mals könne  also  ein  Körper  zu  einem  gegebenen  Funkte 
gelangen,  weil  er  vorher  unendlich  andere  Punkte,  ein 
unendliches  Aussersichsein  wirklich  durchlaufen  haben 
müsste,  was  sich  widerspricht.  —  Und  wenn  man,  wie'  durch 
Tradition,  immer  wiederholen  hört,  dass  diese  Beweise  langst 
wideriegt ,  ja  besonders  durch  die  Ka  n  t  i  sehe  Lehre  von 
der  Subjektivität  des  Raumes  für  immer  beseitigt  worden 
seien;  so  bekennen  wir,  nicht  einsehen  zu  können,  wie 
der  in  einem  Begriffe  unlaugbar  nachgewiesene  Widerspruch 
bloss  dadurch  hinweggeräumt  werden  könne,   dass  jener 
Begriff  als  ein  subjektiver  in  das  Bewusstsein  versetzt  wird. 
Vielmehr  wird  damit  der  Widerspruch,  indem  er  die  Wur- 
zel deSi  Geistes  trifft,  also  auf  einen  Streit  desselben  mit 
sich  selbst  hinweiset,  noch  dringender  und  auffallender; 
wahrend  umgekehrt  der  Widerspruch,  in  der  äussern  Ob- 
jektivität der  Dinge  gelassen,   falls  er  unlösbar  ist,  .doch 
noch  die  Auskunft  übrig  hesse ,  dass  er  nur  in  der  Unfi- 
higkeit  des  Geistes  liege,  das  innere  Wesen  der  Objekti- 
vität lichtig  zu  erkennen,  um  so  den  nur  erscheinendivt 


von  Raom  und  Zeit  197 

Widersprach  Ton  selbst  gehoben  zu  sehen.  —  Was  aber 
die  andern  vermeinten  Widerlegungen  jener  Beweise  des 
Eteaten  betrifft,  so  treffen  sie  mehr  nur  die  äussere  Fassimg 
derselben ,  nicht  ihren  Kern ,  der  an  sich  schlechthin 
unwiderlegbar  ist,  d.  h.  nur  durch  Ergänzung,  weitere 
EntwichJung  des  ganzen  Begriffes  beseitigt  werden  kann. 
Und  ganz  abgesehen  von  jenen  historischen  Beziehungen, 
können  wir  nicht  den  Beweisgrund,  wie  er  so  eben  von 
nns  dargestellt  worden ,  für  sich  und  im  eigenen  Namen 
gellend  machen  ?  ♦) 


*)  Die  Bedeutung  dieses  Gegensatzes  liegt  darin,  dass  alles  Quan- 
titative (Raum,  Zeit,  Materie),  abstrakt  oder  im  reinen  Den- 
ken gefasst,  theils  mit  völligem  Absehen  von  den  inüglichea 
innem  Unterschieden,  als  fortlaufende,  nnunterscheidbar  glei- 
ch« ContianiU^,  theiU  in  jaCckaidit  auf  diesen  zugleich  dar^ 
in  cntlialtciieii  Moment  unendlicher  Uatortcheldbarkeit,  oder 
einmai  als  stetige,  das  andere  Mal  aU  discrete  Grdsse 
gedacht  ireruen  kann«  (Vgl.  des  Verf.  Ontotogie  $.31. 
S.  86.)  An  beiderlei  Weisen  der  Auffassung  zeigt  sich  aber, 
dass  Quantität  —  Raum  und  Zeit —  Nichts  an  sich  selbst, 
sondern  der  unmittelbare  Ausdruck,  die  Daselnsfbrm  eines  Q  ua^- 
ti  ta  t  i  r  en,  sich  Verwirklichenden,  damit  zbglelch  aber  seine 
Qaalitai  Setzend  -  ErlUllenden  sei«  Alles  Wirkliche  daher 
ist  ein  RäoinliclwZeitUchea ;  aber  nur  derun,  weil  es,  siqb  Ter- 
wirklichesid,  als  schlecbthiii  sich  Expandirendes  und  alsDau«> 
erndes  zu  denken  ist.  Das  Princip  des  Dynamisclien,  als  Grund 
alter  W^irklichkelt,  und  in  unmittelbarer  Folge  dessen,  des 
RSumlich-Zeitlicben,  ist  festgestellt;  aber  damit  zugleich  das 
erste  Glied  gefVinden  in  der  metaphysischen  Nachwefsong,  wie 
der  höchste  zureichende  Gmod  dieses  unendlichen  Leben« 
di  gen  vor  ein  Inteiligentee,  Denkend- Wollendes,  sein  können 
Das  Gegenwärtige  and  zuoiichst  Polgeqde  in  dieser  $ciu:ift  ist 
eine  an  den  quantitativen  Formen  des  Baumes  und  der  Zeit 
speciell  durchgefQhrte  Nachweisung,  wie  aUe  Quantität,  als 
selbst  ein  Negatives,  für  sich  Widersprecl^endes,  ein  Qualita- 
tives, nnd  zwar  als  Dynamisches,  voraussetze;  und  wir  haben 
diesen  ontologi sehen  Excuraus  hier  stehenlassen,  weil  er  un« 
anch  jetzt  noch  einen  geeigneten  Ausgangspunkt  darzubieten 
ichetat,  Bin  laden  ganzen  ZueunmeaJMing  dieser  AuHastiing  nnd 


198  Theorie 

,  II.-  Denselben  Wfdenspnick  bietet  der  abstrabe 
Begriff  der  Zeit  dar ;  nur  tritt  er  hier  klarer  hervor ,  wird 
fasslicher  und  drifigender  f&r  die  Einsicht,  weil  es  eben 
das  Wesen  der  Zeit  ist,  ihre  eigene  Venicbtung  an  sich 
zu  vollziehen.  Um  den  Widerspruch  im  Begrifie  des  leeren 
Raumes  zu  zeigen,  bedurfte  es ,  ihn  in  den  Fhiss  lebendi» 
ger  Expansion  zu  bringen:  indem  wir  ihn  dergestalt,  gleick- 
sam  als  lebendigen,  wirksam  auseinandersirebimden  dachten^ 
wie  wir  ihn  denken  mussten ,  um  ihn  überhaupt  nur  a  1  s 
Raum  zu  denken;  trat  an  ihm  auch  zugleich  der  innere 
Widerspruch  hervor.  Dieser  P 1  u  s  s  der  Genesis  ist  nun 
an  sich  schon  in  der  Zeit,  ja  sie  ist  nur  das  ewig  sich 
bewegende  Verfliessen,  die  stets  sich  vollziehende  Selbst- 
vernichtung, Sie  ist,  wie  der  Raum,  das  absolute 
Aussersichsein,  auch  dämm  ins  Unendliche  tbeilbar 
(anterscheidbar) ,  indem  sie  in  keineni  ihrer  Theile  auf- 
hört, diess  Aussersich  zusein.  Nur  diess  setzt  sie  dem 
'  Raum  entgegen,  da ss  jenes  Aussersich  nicht  ein  erstarr- 
tes, in  seiner  absoluten  Expansion  ruhendes  ist,  sondern 
das  absolute  Fliessen  eines  Nacheinander.  Der  Raom 
ist  das  unendliche  Ausser-^ich ;  und  darin  liegt  sein  Wider* 
sprach:  die  Zeit  wird  diess,  schreitet  (selbstvemichtend) 
unehdlich  Aber  sieh  hinaus,  und  diess  macht  ihren  Widerspruch 
ans ;  in  der  Wurzel  derselbige,  nur  nach  der  entgegengesetz- 
ten Seite  hin  sich  darstellend,  —  Passend  hat  man  daher  die 
leere  Zeit  als  dasjenige  charakterisirt,  welches  ist,  indem  es 
unendlich  nicht  ist ;  —  weil  ihr  Sein  eben  nur  besteht 
in  diesem  unendlichen  Selbstaufheben.  Aber  densel- 
ben Widerspruch  enthiUt  anch  der  Begriff  des  leeren  Rau- 
mes; er  ist  die  absolute  Vernichtung  aller  Immanenz  und 
Innerlichkeit,  die  ruhende  Selbslnegatlon ,  das  Sein 

darauf  gegrQadeUn  ontologiflcli^n  Dialektik  hiofinzukominfn, 
betouderj  anch  um  darau  vüllig  evident  und  fast  uuabwei«bar 
zu  machen,  daas  der  natur-  und  sacligeinäiie  Portschritt  von 
der  Kategorie  der  QuautltHt  in  die  der  Q  u  a  1  iiat  iu 
nehmen  sei,  Qi«!bt  umgekehrt,  wie  durch  und  seit«  Hegel 
-  noch  fortwShjetid  Mba^fUt  wM.      Aamw  tut  ^en  Auig. 


von  Rmmi  väd  Zeit  190 

des  NichtSf  wählend  die  Zdt  di«  fit  essend«  ist,  dvb 
Werden  des  Njchts;  beides  an  siciidie  kdchstea  Wider- 
sprüche i 

Aher  dieselben  Hrassen  gelöst  werden ;  sie  findai 
sich  in  der  n&chslea  nnd  nnmittelbarsten  Anscltamingf,  und 
treten  vernichtend  8lle3  Einzelne  an,  was  ja  nur  ein  Hi 
Raum  md  Zeit  Bestimmtes  sein  kann ,  also  denselben  Wi^ 
dersprocb  nur  In  besonderer  Gestak  in  sich  m  traget 
schiene.  —  Was  bedeutet  aber  diese  Lösung,  und  worin 
itann  sie  bestehen?  —  Wie  das  unmitteHyare  Bewusstsein^ 
uenn  es  von  Widersprüchen  im  Begriflfo  des  Raumes  und 
der  Zeit  hört ,  sogar  wenn  es  dieselben  sidi  deutlich  zu 
machen  vermag,  in  seiner  unmittelbaren' Ueberzea- 
gung  von  ihrer  Wirklichkeit  und  Wahrheit  nicht  gestört 
wird ;  weil  es,  freilich  ohne  bewusste  Einsicht  in  die  Grün- 
de, weiss,  dass  sie  urspiunglich  gelöst  sind;  wie 
also  die  Existenz  des  Widerspruches  selbst  nur  etwas 
Unwahres,  ein  hinwegzuarbeitender  Schein  ist :  so  können 
auch  wir  jener  Lösung,  mit  Bewusstsein  der  Gründe  ,  ge-^ 
wiss  sein,  wenn  wir  nur  in  den  Mittelpunkt  dieser  Wider- 
sprüehe  selbst  hineintreten:  in  ihm  wird  nftmlieh  Xügfeieh 
der  fehlende  Begriff  liegen,  durch  dessen  ergfinzenda 
Hervoriiebung  das  widersprechende  Element  in  ihnen  ge^ 
tilgt  wird. 

lU.  Was  also  ist  die  Wurzel  jener  Widerspruche  $ 
d.  h.  welch'  ein  Moment  in  der  bisherigen  AuflTassung  von 
Banm  und  Zeit  ist  es,  der  sie  als  solche  undenkbar  macht, 
ihre  innere  Ungereimtheit  hervorbringt? 

Der  abstrakte  Raum  zeigte  sich  als  absolutes  Ans« 
sers ichsein:  in  jedem  seiner  unendlich  kleinsten Theila 
ist  er  noch  ausgedehnt,  d.h.  jeder  dieser  Theile 
scUiesst  dennoch  wiederum  eine  Unendlichkeit  ande- 
rer in  sich;  und  vor  diesem  unendlichen  Aus-sich- 
h er a US-Streben  löste  der  ganze  BegrifT  sich  auf  in 
einen  Widerspruch,  in  dessen  ausdrücklichem  Bewusstseiff 
jedoch  gerade  seme  Aufhebung  gegeben  ist  —  Er  ist  der 
reinsteAusdniekderunendlicb  ausdehnenden  Rtch- 


SOQ  Ibeofie 

4ang  ntoh  «Ueii  Seiten,  des  absolut  energriscl^en 
Auseinander.  Damit  ist  aber  ^gleich  fiuch  der  all- 
gemeinste Gedanlie  eines  ausdehnenden  Realen  in  ihm 
gesetzt ;  jener  Begriff^  vollständig  gedacht,  schliesst  sogieich 
diesen  in  sich  ein,  und  eben  hierin  liegt  der  bisher  feh* 
lende  Moment  t  ^  Ein  Seiendes^  aus  innerer  Kraft  sich 
venvirUichend ,  durdi  sich  bestehend  (sich  ansspannend), 
kann,  wollen  wir  den  Gedanken  wirklich  und  voilstöiidig 
denken,  nur  als  eneigische  Expansion,  als  „erfüllter« 
Raum  gedacht  werden ;  und  hier  haben  wir  die  erste 
Grundlage  des  Begriff»  Yoa  Räumlichkeit  überhaupt*  -^  Als 
erfüllter  Raum:  ^—  wo  nur  nicht  wieder,  nadi  dem 
gewöhnlichen,  besonders  auch  durch  die  K  a  n  t  i  sehe  Theo* 
rie  beförderten  Mlssverstindnisse,  der  Raum  in  seiner  Le^* 
Jieit  für  Etwas  an  sich  genommen  werde,  welches  durch 
ein  von  ihm  Verschiedenes,  überhaupt  zu  Unterscheidendes 
erst  gefüllt  wird.  Vielmehr  zeigt  sich  eben,  dass  beide  Mo«- 
mente  untrennbar  Eins  sind  in  dem  Begriffe  des  Sei^ 
enden,  (des  energischen  Daseins):  Beides  ist  nur  als 
kräftig  Bestehendes ,  sich  Expandirendes  zu  denken  ^  und 
go  setzt  es  zugleich  sioh  als  Räumliches,  indem  es  Ist  und 
aich  verwirklicht;  nicht  etwa  nur,  indem  es  in  ihm  ist, 
und  ihn  erfüllt:  denn  sie  selbst  können  wir  nur  denken 
als  absolute  Dehnung  oder  Entfaltung,  was  wir  un* 
mittelbar  nur  als  Räumlichkeit  anzuschauen  ver- 
mögen. 

Fassen  wir  zunächst,  was  wir  gewonnen:  ^  daasvoa 
leerem  Räume  in  keinem  Sinne  die  Rede  sein  könne, 
ja  dass  er  einen  völlig  unhaltbaren,  sich  selbst  aufhebenden 
Begriff  erilhalte,  Raum  ist  Nichts  a  n  s  i  c  h  ~  nur  eine« 
Andern,  -^  nämlich  die  absolute  Anschauharkeit  oder  die, 
Erscheinung  des  Seienden  oder  aus  sich  selbst  Bestehenden, 

Aber  ist  damit  der  Widerspruch  gelöst?  Ist  nicht  auch 
hier  in  jedem  Theite  dieses  Realen  (welches  wir  dem  Räume 
als  das  Ursprüngliche  unterlegten),  eine  Unendlich*- 
k  0  i  t  von  Theilen  enthalten,  also  abermals  ein  unendliches 
Aussersichsein  ^  weiohec  Begriff  ja  eben  dort  den 


von  Rftum  und  2eit  901 

Widenpmch  erzeugte?  —  IMeM  ist  nk^  nor  znzogeb^ 
es  isl  sogar  zu  behaupten.  —  Realiltt,  in  sich  selbst  beste- 
hende Wirklichkeit  ist  diess  in  jedem  ihrer  „Theile«' 
(wem  wir  diesen  Ansdmck  hier  überhaupt  gebrauchen 
wolIeii>;  indem  dieser  Bogriff  die  absolute  Contlnuitat 
dnea  innerlich  Gleichartigen  bezeichnet,  welches 
nicht  als  sosaniniengeBelzl  oder  zerlegbar  zh  denken  ist 
ans  manniehfiichen  BestandtheSen.  In  jedem  Theile  ist  es 
gleicher  Weise  daher  Kraft  dieses  Bestehens,  innerlich 
sieh  setzend  (expandirend) ,  also  nicht  nnr  ins  Unendliche 
theiyuir^  sondern  wahrhaft  nnendfidi  getheilt,  oder  sich 
thdlend,  weil  es  nie  aufhört,  innerlich  Qod  inim^  diese 
Kraft  zn  sein.  Und  so  wire  vielmehr  das  Gegentheil,  die 
Behaupfmig  eines  letztlichen  Oelangens  auf  endliche  Urbe- 
standth^e,  ein  Widerspruch  gegen  diesen  Begriff  le- 
bendiger Kraft.  Wollte  man  nAmiich  den  „erfOlltcn^  Raum 
eben  so  durch  Atome  gefüllt  denken,  so  müssten  diese, -^ 
wenn  man  sie  nur  wirklich  denken  will,  und  sich  nicht  bloss 
bemhigt  bei  sinnlosen  ^  aber  endlos  wiederholten  Worten^ 
*^  selbst  ausgedehnt,  Kraft  der  Ausdehnung  sein,  also 
auch  im  Atome  an  sich  dasselbe  Aussersichselbst  enthal- 
ten sein,  dem  man  durch  jene  Erklärung  eben  ans  dem 
Wege  gehen  wollte ;  man  müsste  sich  denn  die  grdnzen^ 
lose  Ungereimtheit  beikommen  lassen^  die  Ausdehnung  z  n- 
sammenzusetzen  nnd  ausfüllen  zu  lassen  durch 
das  an  sich  nicht  Ausgedehnte,  also  auch  nicht  Füllende! 
Aber  wären  wir  dadurch  nicht  zwischen  zwei  Wider- 
sprüche gezwängt  ohne  Ausgang?  Zwischen  die  Unmög- 
licUceit,  dort  die  innere  Unendlichkeit  zu  denken,  hier 
diesefte  zu  verneinen  und  aufzuheben?  —  Oben  —  am 
BegrUb  des  ieeren  Raumes  -^  trat  der  Widerspruch  darin 
hervor,  dass  er  absolut  nur  ausser  sich  -^  also  in 
jedem  seiner  ^Theile«  eine  innere  Unendlichkeit  enthalten 
sei«  Wir  ergänzten  densdben  durch  den  Begriif  eines 
ReaJen,  „ Raumfullenden ^ ,  näher  und  eigentlicher,  erst 
Ranmae inenden.  Haben  wir  aber  dadurch  den  Mo- 
ment des  Wid«rspniohes  eigentUeh  aufgehoben,  da  sich  euch 


90i  Theorie 

in  dtösem  Begiiib  die  Annahme  einer  ianem  UnendficAkeit 
sogar  als  notti wendig  ergiebt?  —  Ein  jedes  innerlick 
Gleichartige,  als  wirklich  gedacht,  kann  nur  inü  dem 
Begriffe  innerer  Unendlichkeit  —  als  ein  nach  Inne«  ins 
Unendliche  Unterscheidb  ares  gedacht  werden.  Indem 
aber  jedes  dieser  mannichraltigen  oder  nnterscheidfoaren 
Theile  selbst  ein  an  sieh  Gleiehartiges  sein,  also  abermals 
innere  Unendlichkeit  enthalten  muss ;  —  so  ist  dennoch 
diese  immer  das  Erste ,  Unmittelbare ,  auf  welches  aUes 
Andere  zurückzuführen  ist.  «^  Das  Unendliche  ist  seinem 
Begriffe  nadi  überall  das  Ursprungliche,  weil  es  noch  das 
Unterschiedlose,  Ein&che,  Allgemeine  ist,  innerhalb  dessen 
erst  das  Mannichrache  und  Besondere  gedacht  werden  kann; 
ein  Satz,  den  wir  schon  frfther  von  einer  andern  Säte  her 
zu  erläutern  bemüht  waren.  Und  nicht  darin  lag  der  oben 
erörterte  Widerspruch,  dass  der  Raum  überhaupt  als  inner- 
lich unendlicher  gesetzt  wurde  —  denn  als  absolut  Gleidi-- 
artiges  k^nn  er  nur  also  gedacht  werden  —  sondern  dass 
er  dabei  der  leere  war,  dass  er  hier  noch  die  innere 
Unendlichkeit  von  Nichts  bezeichnen  sollte.  Und  erst 
hierdurch  ist  das  eigentliche  Princip  des  Widerspruches 
bezeichnet,  aber  damit  zugleich  ergänzt,  weil  sich  jenes 
Piichts ,  die  Leerheit  des  Raumes,  als  selbst  das  Nichtige, 
Widerspruchvoile,  Aufzuhebende  ergeben  hat. 

IV.  Ebenso  fanden  wir  den  Widei-spmch  im  Begrifle 
der  Zeit  darin ,  dass  sie  der  Process  des  unendtiohen  in 
sich  selbst  Yersch windens  ist ,  des  stetigen  Nichtseins 
in  ihrem  Sein.  Sie  besteht  aus  unendlichem  Jetzt;  aber 
diess  Jetzt  ist  eigentlich  nie,  weil  es  immer  nur  ist  das 
Verschwindende,  sich  selbst  Aufhebende;  und  so  ist  auch 
der  Begriff  der  Zeit  —  nnr  also  gefasst  —  der  Ausdruck 
eines  endlosen,  stets  sich  erneuernden  Widerspruches,  — 
eines  Seins,  dessen  Charakteristisches  einzig  darin  besieht, 
sich  selbst  aufzuheben ,  in's  Nichts  zu  setzen. 

So  wie  aber  der  Widerspruch  im  Begriffe  des  leeren 
Raumes  dadurch  verschwand ,  dass  wir  ihn  aus  dem  Be- 
griffe des  0n  ihm>  sich  verwirklichenden  Reden 


von  RwBi  md  Zeit.  HflS 

hericileleiif  wie  also  jener  Widerspraeh  dadafck  sich  iMe, 
dass  nachgewiesen  wurde,  der  Raum  sei  Nichts  an  sii^h, 
er  sei  nnr  als  die  Verwirklichungfsweise  des  Ati^ 
dem  in  ihm  a  denken:  so  wird  auch  der  WkiersjMruch  im 
Begriffe  der  Zeil  Mf  gleiche  Art  sich  lösen.    Zeit  entsteht 
aus  dem  Begriffe  des  Realen,  welches,  sich  verwirkli- 
chend,  eben  damit  dauert.     Und  Dauer  ist  eben  hier 
der  ergänsende  mittlere  Begriff,  der,  über  den  Begriff  dfr 
leeren    Zeit   hinausgehend,   zugleich   auf  das   die  Zelt 
durch  dauernde,   sich  unmittelbar  als  Zeitliches  setsende 
Reale  hinweist.    Nur  Daner  ist,  d.  h«  ein  beharrendes  und 
im  Beharren  wandelndes  Reale;   nur  diess  ist  der  Ur^ 
spnnig  jenes  Begriffes,  den  wir  Zeit  nennen  können^  weftn 
wir  absehen  von  dem  einzelnen  Wirklichen  (den  zeü«- 
lich  zufälligen  Dingen),  und  jene  nun  als  das  Allgemeine, 
Allumrassende  derselben  abgesondert  hervorheben  wollen: 
und  so  kann  in  diesem  Sinne  freilich  auch  von  leerer  Zeh 
die  Rede  sein,   insofern  man  alles  Einzelne  aus  der  Zeit 
sich  hinwegdenken  kam^  wie  jeden  begranzten  Körper  aus 
dem  Raame ;  aber  vom  Realen  überhaupt ,  dem  als  Zeit 
dauernden  und  als  Raum  sich  expandirenden,  kann 
man  nicht  abstrahiren  bei  diesem  und  dem  andern  Begriflb, 
weil  beide  Nichts  an  sich  selbst  sind,  als  der  notliwendige 
und  unmittelbare  Effekt,  die  Existentialweise  des  Let2« 
iem ;  für  sich  selbst  aber  gefasst,  ein  innerer  Widerspruch. 
Jene  endlos  sich  aufhebenden  Jetzt ,  «die  eben  den  Wider«- 
spmcfa  im  Begriffe  der  Zeit  erzeugten,  sind  nur  die  uaend«- 
Itch  thell-  oder  unterscheidbaren  Momente  des  V  er  bar«*- 
rens  der  absoluten  Wirklichkdt,    die  jenen  dadurch  erst 
innere  Fülle  und  Anhalt  verleiht,  während  sie,  abgesehen 
von  diesem  durch  sie  hindurch  Beharrendon,  nur  einen 
abstrakten,  und  um  dieser  Abstraktion  willen  sich  aufhe- 
benden Begriff  enthalten.    Gleichfalls  ist  aber  dadurch  eine 
innere  Unen  dlichkeit  jeder  dieser  einzelnen  „Zeit- 
momente^  gesetzt,  weil  das  Beharren,  als  absolut  Gleich- 
artiges,  eine  unendliche  Unterscheidbarkeit  in 
aich  zuiiast:    und   auch   hi^n  entspricht  dieser  Begriff 


2M  Theorie 

rgenta  dem  des  Raumes ;  wiewohl  die  endlose  Theilhariieit 
der  Zeit  bisher  weniger  zum  Bewussfsein  gekommen  ist,  da 
sie,  als  das  unendlich  Verschwindende,  diese  Selbsttheflung 
eigentlich  unmittelbar  an  sich  selbst  Vollzieht,  und  gerade 
dasjenige  «m  Allerwenigsten  bemeriit  wird,  was  am  Näch- 
sten und  Dauerndsten  uns  vor  Augen  liegt. 

An  sich  ist  also  die  (leere)  Zeit ,  wie  der  (leere) 
Raum  gar  Nichts,  weder  in  subjektiver,  noch  obj  ek- 
tiver  Bedeutung:  nur  in  dem  Andern,  Realen,  sind  sie, 
ttiunittelbi^  durch  dasselbe  gesetzt,  und  seine  nothwendigen 
Beg^ter.  —  Dennoch  ist  jenes  Nichts,  die  Zeit,  nach  ge- 
nraier  Meinung  das  Mächtigste,  indem  sie  Alles  in  ihre 
^eigene  Vernichtung  hinabzieht.  Die  einzelnen,  „endlichen^ 
Dinge,  als  nur  von  bestimmter  Dauer,  vernichtet  frei- 
Jich  die  Zeit ;  aber  sie  selbst  sind  nur  Momente,  Abschnitte 
am  ewig  Dauernden,  welches,  die  Zeit  unend}ich  er- 
fAlIend,  ihre  ewige  Grundlage,  das  Substantielle 
in  ihr  bildet. 

So  ist  die  Ewigkeit  nicht  die  Negation  der  Zeit, 
oder  diese  die  der  Ewigkeit  (wie  man  die  Ewigkeit  woU 
auf  die  Zeit  folgen  ISsst,  als  das  sie  Ablösende,  gleichsam 
Bessere  als  sie):  sondern  die  Ewigkeit,  die  absolute^  dau- 
ernde (ruhende)  Gegenwart  des  sich  verwirklichen- 
den und  darin  wandelnden  Realen  schafft  die  Zeit,  an 
semen  unendlichen  Wandlungen  ihr  ein  Maass  und  eine 
Unterscheidung  gebend.  Und  diese  Theile  und  Scheidun- 
gen endlicher  Erscheinung  nennen  wir  „Z  e  i  t^  oder  ,Z  e  i- 
ten<(  (Zeitabschnitte),  und  sagen  dann  uneigenllich ,  die 
Zeit  selbst  habe  das  innerlich  Wandelnde  zerstört ,  weil  es 
nach  einem .  von  ihr  entlehnten  anschaulichen  M  a  a  s  s  e 
jetzt  als  ein  Anderes  erscheint,  wiewohl  doch  an  sich 
die  Zeit  ohnmächtig ,  ja  das  reine  Nichts  ist.  —  Bezeich- 
nender wäre  es  also  im  Gegentheile  zu  sagen ,  dass  auch 
jedes  einzelne  Ding,  verfliessend  nach  dem  Typus  seines 
Daseins,  sioh  seine  Zeit  schafPe  oder  habe;  denn  einem 
Jeden  ist  sein  eigenes  Maass  des  Daseins,  daher  auch 
der  Zeit  verheben;  und  Nichts  kann  eigentlich  Zeitme$- 


Ton  Ramn  und  Zeit  SOS 

ser  für  ein  Anderes  werden«  Daiier  wir  aneh  nlcbl  von 
Zeity  sondern  eigenllicli  von  onendlicli  vielen  Zeiten  — 
Zeitoiaafisen  —  in  und  neben  einander  reden  soiite^. 
da  wir  diese  eigentlich  meinen,  wenn  wir  von  Zeit  reden ; 
und  wie  diese  ans  der  ruhenden  Ewigkeit  unendiidi  an&> 
taiichen,  so  verschwinden  sie  wiedenun  in  ihr* 

V.   Beide  also,  der  erfüllte  Ranm,  wie  die  Dauer,- 
von  einander  unabtrennlich  nnd  sich  innerlich  eigAnaend, 
sind  nur  Ausdruck  der  Wirklichkeit  der  unendliehen 
Realität ;  —  bfeide,  als  solche  selbst  unendliche,  uabegräna- 
bare,  weil  Alles,  was  als  intensiv  und  extensiv  begranzt  oder 
endlich  angeschaut  wird,  nur  darnach  —  nur  also  in  ihnen 
--gemessen  werden  kann.    Sie  sind  der Ausdrack des 
Haasses  im  absolut  Unennesslichen,  in  welchem  also  je- 
des bestimmte,  in  ihnen  gegebene  Maass  aufgehoben ,  ins 
Unbedingte  weiter  hinausgerückt  werden  kann.    Und  eben 
desshalb,  weil  jedes  Einzelne,  was  man  in  ihnen  begrinzen 
oder  messen  will,  sich  in  Bezug  darauf  als  ein  ZuHHigef 
giebt ,   d.  h.  auch  anders  und  immer  apders  sein  könnte, 
ohne  dass  damit  das  Unendliche  erischöpfl oder ermes- * 
sen  zu  werden  vermochte;   so  können  wir  in  Zeit  und' 
Raiun  von  bllem  Einzelnen  abstrahiren:   und  nnr  in 
diesem  Sinne,  in  Bezug  auf  das  Einzelne,  das  zufällig  d  i  e« 
sen  Raum  und  diese  Zeit  erfuUt,  ebenso  gut  aber  auch 
in  anderm  Raum  und  in  anderer  Zeit  sein  zu  können  scheint, 
bat  man  Raum  und  Zeit  von  ihm  abgi^öst,  und  beide  nur 
als  zufällig  zu  einander  kommende  betrachtet.     „  Leerer  ^ 
Raom  und  „leere^  Zeit  bezeichnen  daher  nur  ihre  Gleich-- 
gülUgkeit  gegen  eine  bestimmte,   einzelne   ErfüUung/ 
Aber  darum  werden  sie  nicht  leere  überhaupt,  —  oder 
es  muss  der  Widerspruch  dieses  Begriffes  zugegeben  wer«^ 
den,  —  sondern  eben  die  Abstraktion  von  allem  Einzel- 
nen treibt   desto  unaufhaltsamer  zur  Anerkenntniss  der 
unendlichen  R  e  a  1  i  ta  t ,  durch  die  sie  nur  sind. 

Wie  nun  demzufolge  der  Raum,  als  der  Ausdruck  le* 
bendiger  Expansion,  zuerst  und  am  Reinsten  in  der 
Form  der  geraden  Linie  sich  darstelle,  -—  Punkt  kaua 


30&  Theorie  von  Rmm  ntui  Zeil. 

nar,  als  innen»'  Nftg«tion  (CrSnae)  der  Linie,  wie  des  Rau- 
mes überhaupt,  oonstniirt  werden ;  er  ist  der  munfttelbare 
imMinrck  des  Widevspraches ,  der  in  seinem  abstrakten 
Begvifil»  Hegt:  *-  wie  daraus  PI d eile,  Körper,  ferner 
die  dvei  nooh  anen«t;ss'hiedenen  Dimensionen  sich 
entwickein;  —  enHsehiedene,  d.h.  als  Tiefe,  Litn^ 
^e,  Breit^e  angesohani,  werden  sie  erst^  auf  einen  l)e- 
stimBiten  Standpunkt  bezogen,  für  uns  der  eigene  GrsTila- 
tiMspünkt:  —  wie  andererseits  die  Zeit,  als  Ausdmck  des 
stetigen  Verfliessens  —  also  in  Einer  Dimension,  doch  in 
dto  innem  Untersohiede  des'  ewig  wechselnden  Jetzt,  Vor- 
Ii6i»mid  Nachher  sich  theile:  wie  endlich  die  Bewegung, 
ate  Rawnverkaltniss  auf  die  Zeit  beisogen ,  und  umgekehrt^ 
die  Zeit  (das.  VerfKessen,  die  Veränderung)  in  Raum  ais- 
gedrückt,  die  gegenseitige  Durchdringung  beider  in 
sich  darstellt^  diess  hat  die  eigentliche  Philosophie ,  be- 
stimmter die  Natuiphilosophie ,  ssu  entwickeln,  damit  den 
matbcBiatisohen  Wissenschailen  ihren  Boden  bereitend. 

VL  Wenden  wir  das  Bisherige  auf  die  Ka'ti  tische 
Theorie  nm  Zeit  und'  Raum  an  ,  so  l§sst  sich  nicht  ver- 
bannen^  dass  diese  dadurch  eine  wesentliche*  Veränderung 
ealeide.  —  Weil  jede  einsetne  Erfohrung*  Zeit  und  Raum 
schon  voraussetsKt,  • —  zeigt  jene  Theorie,  —  so  können  beide 
{iberhaupt  nicht  aus  Eriahrung  geschöpft  sein;  sie  sind 
a|»vior4Scbe  Anschauungen,  d.  h»  subjektive  Formen  des  Be- 
wusstseins^  in  die  das  Einzelne  der  Erfahrung  erst  eintritt, 
sie  aukttUend  und  niher  bestimmend,  während  sie  an  sich 
und  ursprünglich  leer  sind.  Das  Ding  an  sidi  also,  das 
Snbsirat  jenes  in  Zeiti  und  Raum  Erscheinenden ,  ist  selbst 
als  zeit-  und  raumlos  zu-  denken*,  ist  dasjenige^  in 
Betfttg  auf  welohes-  Jena  sobjektiren  Formen  gar  keine  Be^ 
deutung  haben. 

So  wie  wir  nun  schon  oben  dte  von  Kant  hier  ge- 
machte Anwendung  der  Begriflfedes  Apriorischen  und  Apo-> 
steriorischen)  und  die  daraus  gezogene  Folgenmg  der  Snb- 
jektivilit  von  Raum  nnd  Zeit  beseitigten;  so  Meibt  uns  hier 
ii06h  der  Aosgang^Hrnkt  jener  Theorie  zu-  erörtern  übrig, 


Biag^^  OB  tich  «d  BrsdiHfitt;.  907 

die.  MonsöqueiHB  nämKch  ^  dass  Raum  uad  Zeit  —  n\s  m 
sieh  leere^ Formen  —  erst  des  ganz  von  Anders- 
wo li^er  stammenden,  in  ihnen  nur  auf  snbjektire  Weise 
erscheinenden  Dtngeg  an  sich  bedMen,  nm  erfüllt  zo  wer- ' 
den.  Diese  Erioiiangs  der  Fortschritt  zur  inn^m  Bestimmt- 
hett,  istalso  nuph  Kant  keineswegs  eine  nothwendige 
ße  dingung  Ar  jene  BegriSte,  sondern  eine  ganz  äusser- 
liche,  last  als  zufSUig  erscheinende,  wenigstens  nur  faktische 
Fügung  —  ein  blosses  Zusammentreten  zweier  entgegen- 
gaselBlen  Sphären ,  ohne  wesentlichen  Grund  und  innere 
Bi^iehong.  Das  Ding  an  sich  erseheint  in  jenen  Änschau>- 
nngsfoimen  des  Gemüths  als  ein  bestimmt  raumliches  und 
zeitliehes^  aber  eben  so  gut  könnte  es  auch  nicht  erschei- 
nen^ und  umgekehrt,  das  Gemüth  könnte  an  sich  auch  in- 
neitich  nicht  bestimmt  werden :  denn,  wie  gesagt,  die 
Synthesis  beider  Begriflfe ,  der  nothwendige  Zu- 
s a m m en  hang  von  jenem  mit  diesem  ist  nirgends  aufge- 
wiesen, ja  er  kann  nach  dem  Zusammenhange  der  Theorie 
auch  ntchtr  aufgewiesen  werden,  weil  es  der  Voraussetzung 
nach  zwei  veHkommen  geschiedene  Wehen  sind ,  die  sich 
in  der  sinnlichen  Anschauung  nur  zufällig  begegnen :  und 
das  nur  faktische  Zueinander-kommen  derselben 
niaeht  so  sehr  ihren*  §berwiegenden  Charakter  in  dieser  An- 
siohlans,  dass  selbst  ihre  Zusammen  lugung  in  der  Thatsache 
der  sinnlichen  Anschauung  dennoch  keine  wahrhafte'  Em- 
heit  beider  erzeugt,  in  der  das  Objektive  subjektiv  gewor- 
dmt  wflre ,  odfiTi  das  Subjektive  eines  wahriiaft  Objektiven 
sidi  hemachtigt  hatte. 

Denn  erwägen  vrir  nur  das  eigentliche  YerhSItniss, 
welches  jene  Theorie  zwischen  Beiden  festsetzt  I  Das  Ding 
an  sich  „erscheint^  dem  Bewusstsein,  als  raumlich  und  zeit- 
lich bestimoDtes^  und  diess  ist  eben  Erscheinungswelt. 
—  Ss  ersipheint;  diess  Wort  kann  an  sich  nur  bedeu- 
ten: eft  giebt  sieh  kund,  offenbart  sein  Inneres  einem  An- 
dern,; ist  f§T  Anderes,  indem  es  vof  seinem  Brsdiei- 
nen  nnr  an  sich  war;  es  kann  überhaupt  nur  die  innige 
Beziehung  und  Vereinigung  zweier  Sid)stanzen  bezeichnen, 


208  Diiiir  «n  sieh  imd^firsdieinung. . 

die,  sich  erscheinend^  für  einander,  sich  geöSbet«  durch- 
sichtig  sind;  ein  allgemeines  Verhältniss,  das  selbst 
in  verschiedenen  Beziehungen  verschieden  gefasst ,  und  in 
den  mancherlei  philosophischen  Ansichten  anders  gedacht 
werden  kann ;  immer  aber  auf  der  Voraussetzung  beruht, 
dass  in  der  That  eine  wahre  Vermittlung  des  Subjdi:- 
tiven  und  Objektiven  darin  zu  Stande  komme.  Aber  auf 
ein  ganz  entgegengesetztes  Resultat  lauft  es  in  der  Kan- 
I  i  sehen  Theorie  hinaus«  Das  Ding  an  sich,  dem  Bewussl- 
sein  erscheinend  durch  das  Medium  der  subjektiven 
Anschauungsformen  von  Zeit  und  Raum,  erscheint  dennoch 
nicht  als  das,  was  es  ist;  indem  alle  räumlichen  und  zeit» 
liehen  Bestimmungen,  also  überhaupt  alles  Qualitative 
seines  Erscheinens,  von  seinem  Sein  negirt  und  abgezo— 
gen  werden  muss.  Das  Ding  an  sidi  bleibt  in  seiner  Er* 
scheinung  dennoch  ein  schlechthin  unbekanntes,  d.  h.  e  i- 
g  e  n  1 1  i  c  h  nicht  erscheinendes ;  ja  seine  Erscheinung  selbst 
ist  eben  das  ewig  Verhüllende  und  Verbergende  seines 
Seins:  ein  Widerspruch  und  ein  Missverhältniss ,  welches, 
so  wie  es  zu  deutlichem  Bewusstsein  gekommen,  nur  in 
dem  Versuche  enden  kann,  diess  leere  Scheinen  eines 
erscheinenden  und  nicht  erscheinenden  Dinges  an  sich  «e 
0  zu  setzen,  oder  ganz  zu  extenniniren ;  eine  nächste  Kon-* 
Sequenz,  die  in  der  Wissenschaftslehre  vollzogen 
wurde.  *) 


*)  Wohl  kennea  wir  die  Kau  tische  FuDdtmenUlerkUmng 
über  den  Begriff  der  Erscheinung,  und  die  Auskunft,  dwcb 
welche  er  den  Worten  nach  jenem  Widerspruche  zu  entgehen 
weiss:  (Kr.  d.  r.  V.  S.  69.  70.):  „Was  gar  nicht  im  Objekte 
an  sich  selbst,  jederzeit  aber  im  Verhältnisse  desselben  anzu- 
treffen ,  und  von  der  Vorstellung  des  erstem  unzertrennlich 
ist,  ist  Erschein  u  ng.*<  —  Schein  dagegen  wird  erzeuget, 
^,wenn,  was  dem  Objekte  nur  Im  Verhältnisse  auf  die  Sinne 
oder  überhaupt  aufs  Subjekt  zukommt,  jenem  an  sich  bei« 
gelegt  würde,  wie  z.  b.  die  zwei  Henkel,  die  man  anföngUdi 
dem  Saturn  beilegte/'  «-  Lassen  wir  hier  den  „Schelnf*  bei 
Seite»  so  Ist  selbst  nach   Kant's  Erklärung  offenbar ,   des«. 


lUiiim  und  Zelt.  209 

Dieser  vielfach  erörterten  Verwirrtm;  madil  die  ein-« 
ffiche  Bemerknng  bis  auf  die  Wurzel  ein  Ertde:  dass  Raum 
imd  Zeit,  als  besondere  Formen,  als  ein  Sat  sich  Bestehen*- 
des  gefasst,  geschehe  diess  nun  in  subjeliliver,  oder  objek'^ 
tiver  Bedeutung,  überhaupt  nichtige,  in  sich  selbst  sich'  auf- 
hebende B^friffe  sind,  Wahnbilder  und  Erdichtungen  einer 
mangelhaften  und  einseitigen  Abstraktion/  Sie  sind' nur 
der  Ausdruck  eines  Andern,  Hohem,  zwar  nicht  des  „Din- 
ges^  an  sich,  als  einer  todten  Objektiyitat;  wohl  aber  der 
unendlichen,  sich  verwirklichenden  Realität',  die  zwar  ei- 
gentlich nicht  in  Raum  und  Zdt  ist,  indem  diess  wieder 
aof  die  abgewiesene  Vörstelhmg  zurftckfuhren  wurde ,  als 
seien  Zeit  und  Raum  besondere  Formen  für  jene ,  in  wel- 
cke  sie  aufgenommen  würde,  —  da  sie  viebnehr  durch  ihre 
Sdbstverwirklichung  Zeit  und  Raum  selbst  ewig  schafft 'und 
siisgd>iei1* 

Allerdings  scheint  durch  diese  Ansicht  der  ganze  Be- 
griff einer  subjektiven  Erschemung  in  K  a  n  t  i  schem  Sinne, 
also  überhaupt  der  ganze  subjektive  Idealismus  im  Fanda- 
mente zerstört;  und  eben  diess  war  der  Grund,  warum  wir 
auf  K  a  n  t's  Raum  -  und  Zeittheorie ,  mit  allen  daraus  ent- 
wickelten Folgerungen,  besondere  Aufmerksamkeit  verwen- 
deten. Mit  ihrer  Aufhebung  nämlich  ist  die  Wurzel  einer 
auch  jetzt  noch  weitverbreiteten  Grundansicht  von  der  durch- 
gangigen Subjektivitit  alles  Erkennens  gleichfalls  ausgetilgt. 


•  cheinend,  das  Ding  dennoch  in  keinem  Sinne  an  sich  er- 
kannt werde,  dass  ,,nichts  Objektives  in  seiner  Erscheinung 
vorkomme'^,  dass  es  nach  seiner  objektiven  'Beschaffenheit 
sUo  s3  0  zu  setzen  sei  für  .die  Erkenntniss »  d.  h.  eigentlich 
ab  nickt  erscheinend.  Dass  diess  im  Innern  des  Syslemes 
verwirrende  Zweideutigkeit  erzeuge,  indem  d^n  "WprUn  nac^ 
diess  eigentliche  Resultat  geläugnet  w^rd,  und,  wie  eben  da- 
durch die  verschiedenen  Interpretationen  über  den  Sinn  der 
Kritik  entstehen  mussten,  ja  wie  dadurch  ,^eine  b  e  li  ebi  ge 
Einrichtung  im  Systeme  selbst  möglich  wurde«*: 
bat  besonders  Jacobl  unübertrefflich  gezeigt.  (Sämmtlidit 
Werke  Th.  III.  S.  77.). 

14 


j  I 


214)       Haum  und  Zeil«    SitinKclikett;  und  Verstand. 


itfimKek,  -wäre  KanTs  Thc^rm  von  Zeit  md  Raum 
anders  ausgefidlon,  auch  die  ganze  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft in  ihret  firmem  Resultaten  eine  andere  geworden 
sein  würde; .  diess  glauben  wir  bereits  gezeigt  zu  haben, 
und  eis  wird  diebs  der  fernere  Verlauf  noch  deutlicher  dar- 
UuiD.  -^  Und.  in  dieser  Beziehung  können  wir  den  Wansch 
nicht* unterdrücken,  von  all*  den  zaUreichen  Phflosophen- 
scbiden,.die  auf  die  Konsequenz  jener  Kantischen  Theo- 
viO)  so  oder  anders  modificirt,  ihre  eigenen  Lehren  grOnden, 
unsere  Einwendungen  gegen  dieselbe  nnd  die  daran  ent- 
wickdite  eigene  Ansicht  scharf  und  eindringlich  geprüft  m 
sehen ;  damit  diese  entweder  widerlegt  werde ,  oder  damil 
ihre  eigene  widerlegende  Kraft  an  der  entgegengesetzten 
Theorie  hervortrete.  Vor  Allem  ist  es  nämlich  wichtig,  die 
Punkte  zu  durchgreifender  Klarheit  zu  bringen,  wo  ver- 
schiedene Ansichten,  wie  aus  ihrer  ersten  Wurzel,  ausein- 
ander gehe«,  damit  der  Streit  nicht  immer  in  den  Ausseit- 
werken  der  abgeleiteten  Folgerungeft  verweile,  wo  er  nach 
seiHiCBfi  Fundament  schwer  zu  erkennen  und  verwickelt  ist, 
sondern  auf  die  einfache  Grundlage  der  Sache  zurückgehe, 
wo  stets  eine  vollkommene  Entscheidung  errungen  werden 
wird. 


Wir  halten  den  bisher  abgehaaddten  Theil  der  K  a  a- 
t  i  sehen  llieorie  für  den  wichtigsten,  und  für  die  Grundlage 
des  Uebrigen.  Desshalb  scheint  es  uns  hinlänglich ,  im 
Folgenden  kürzer  die  einzelnen  Resultate  zu  berühren,  da- 
•  bei  jedoch  immer  die  höhere  wissenschaftliche  Einheit  der 
Theorie  im  Auge  zu  behalten.  > 

Die  Sinnlichkeit,  als  blosse  Recep  ti  vi  tat,  bringt 
lediglich  eitlen  manniehfachen  Stoff  gegebener  Anschanun- 
gen  zum  Bewusstsein,  ohne  dass  sie  denselben  bearbeiten, 
verändern,  neue  Bilder  aus  ihm  hervorrufen,  alte  erneuern 
könnte:  sie  ist  nur  die  unmittelbare  Affcktion  durch  das 
^sinnlich  Gegebene  und  mehr  nicht.  —  Ihr  steht  die  abso- 
lute Spontaneität  des  Bewusstseins  entgegen,  die  am 


I        I 


SiBaiifikeitM«iir^TBlfiii(|.     .  SU 


UsinittellMrvsMn  0te  J«»t4l(Niiieel(raft  «kb  tt^^  ^ 

isä  YemögM,  den.tfiimUch  ^egrebenon  Stoff  trennend  uaiI 
neu  veriMAdend^  produoirend  *niidircprod«eireiid — über- 
banpl  fr  e  i  m'  keherrschem' 

Wir  frngen  hier  niohfv  wie  die  absolnt  enigtegengfesetai« 
ten  Zostitide  des  reinen. Leidens  und  der  reinen  Thih 
iigk^H' ^[KeeepUviMi  wd  SpOilfmeitil; ;  ü^ahirgfeigebeabeit 
und  Fpeikett)  $o  ohnaiWei(e^0».in  deia  BiMn  Bew«uuiWeia 
verbiHtdeji .gedacht  Mrerden kCffnetii  .-^..wiifj&iiclispaliernoch 
bedeutender  in  der  Frage  paeh  .der  ayoilbetischen  Einbeiti 
der  AppereepliDn  herv0rlt|it;  t^-gem^  also  .isl  das  De- 
wvsatsein  sieb  .gegKAen.^t«  und  K^ut  will  vberbau^  auf 
seinem  kritiscben  Standpunkte;. lächi  Aber  die  munittelbaro. 
ThatstDbei  hinansgeben«.  CVgi.ErinleitQng,  S.  39. :  »Ss  giebl; 
zwei  Stämme  der  menschUcbeftJBifkeBtttnisS)  diQivieHeicbt 
ans  einer  gemeiiiscbaiUiGben  ,  nns  aber  i^  n  b  e  k  a a  n  t  e  i^ 
Wnreel  entspriiigen ,  näoilieh'  Siimlicbkeit.  und  Vorstand.^ 
Daza  noeh  S.  74  ff.) 

Die  Einbiidangskraftalso  erzeugt  Bilder  w»  dem  sinn- 
lich G^ebenen;  aber  ihFe  BHder  sind  an  sioh  l^er  ond 
ebne  ReallMt;  sie  werden  noch  nicbjt  als  Obj ekle  er- 
kannt. .  Doch  indem  aie  mH  (lern  Stoffe  der  Krfabrung 
frei  m  schatten  hat,  kann  sie  das  Gleichartige  dessek* 
ben  zu.  Einem  BlUe  : vereinigen,  das,  Ungleichartige  an  ihm 
faQen  lasabnd ;  und  sie  hat  damit  ein  Allgemeinbild »  und; 
*>reMi  dless  auf  0 b.j  ekC e  bezogen  wird;  einen  Begriff 
gebiUet,  woraus  wieder'  Urth  eile  zusammengesetzt  weiw 
den.  So  WiM  die  BfaibiUnngskraft  zum  Verstände,  in- 
dem dieser  jene  Bilder  ^seinen  Gesetzen  gemäss  denkt«; 
nnd  so  kann  abe  näher  der  Verstand  flir  das  Ver«* 
aiögen  des  Begriffehihiofis  eiidarl  werden. 

Aber  auch  hier  wird  es  «Ugemeine  Bestimmungen^ 
feste-  Böhmen  geben  müssen 9  nach  .^enen  der  .Versland, 
Begriflb'  biUend  und  Urtheild  siusammenselzendy !  veriShrt: 
sie  Worden  eben  so  ffir  den  Veraialid  das  Apriorische 
iein,  wi6  diess  Zeit. und  Baum  for  die  Stünlichkeitt  waren. 

AuftteÜHg  derselben  isl  das.  Geschäft' der  irans«^ 


ii%    SinrdichkeÜmMi'Vktktmidl  'VraiMsoendentalo  Logfik. 

9t^ e n d e fl  tiB  1  e ii  li^g ilu i  Dteflegebi  üblnr  iM  ¥ ^ria  der 
t^iilb  nämlich,  ohneRdckstcht  auf  ihren  lakttlt^  lehrt  die 
aligremeine  Logik;  (^ie^  daher  nach  Kant  'durch'  die 
transscendentale  Logik  nicht  verdrfingt  Oder  aoflfeliöben,  son- 
dern in  ihrem:  mitergeordneten  Weiihe  belassen  wird :  ein 
Urtheil,  in  Folge  dessen  man  späterhin,  weiter  gehend,  die 
gewöhnliche  Logik  filr  ganz  überflüssig  erkUifte  «nd  Pichte 
^s  aussprach,  dass  sie  gar  keine  ptfilosophisofte  Wis- 
senschaft sei).  Die  Möglichkeit  und  Gültigkeil  des 
Fn h a  1 1 s  der  BegriSb  dagegen  hat  die:  transscenden— 
tale  Logik  zu  untersuchen,  in  Bezug  darauf  sind  die 
6^iffe  nun  entweder  r  e  i  n  e  oder  empirische.  Jene 
dHIcken  nur  die  h  o  t  h  w  e  n  d  i  g  e  A  t*  t  *  der  Verbindung  des 
mannictifflöhen  empirischen  Stoffes  at^s;  diese  zu'gleich 
das  durch  die  Anschauuing  gegebene  Manhichfaltige '  selber. 
^Hieraus  würde  nach  Kant  die  für  aHe  Erkenntnisstheorie 
wichtige  Bestimmung  folgen,  dass  auch  in  den  ^empirischen*' 
BegriiTen  ein  Nothwendiges  ihnen  gegenwärtig  und  unmittel- 
bar einverleibt  sei.)  Reine  Begriffl^  ohne  Anschauung  sind 
(wären)  demnach  „leer^;  blosse  Anschauungen  ohne  Bo- 
grUte  „blind.«^  —  Die  nothwehdige  Art  und  Wbise  jöier 
Verbindung  des  empirischen  ^Stoffes  durch  den  Versland 
macht  nufi  ieben  die  „Gfei^tze^^desselben  aus;  da  aber  jede 
Verbindong  eines  Mannicbfaltigen  zurEihheit  meiner  Vorstel- 
limg  nur  in  der  Form  des  Urtheiles  geschdien  kann; 
so  werden  die  Gesetze  jener  Verbindung  den  Ausdruck 
YOU' ebenso  viel  nothwendigeh  Urtbeilsformen  annehmen. 

Hier  kommen  der  Theorie  nun  die  zwölf '  Urtheilsfor- 
tuen  der  gewöhnlichen  Logik  entgegen,  die  sie  nach  ihren 
vier  Hauptgesichtspunkten  von  Quantität,  QualU&t,  Relation, 
und  Modalität ,  übrigens  aber  ohne  weitere  philosopliische 
Deduktion,  ja  selbst  ohne  nähere  BegfiffsbestfanmuÄg,  als 
die  zwölf  Kategorieen  aufstellt,  und  diese  fHr  „die  Verzeidi- 
nung  aller  ursprünglich'  reinea  Begriffe,  die 
der  Verstand  a  priori  in  sich  enthält^^,  -^  erklärt  - — Was 
etwa  «uf  ein  tieferes  ergänzendes  Verbältniss  derselben 
unter  einander  hindeuten  konnte  y.  ward  in  folgender  Form 


Transscendentale.  LegflL    Die  Kategorlecn.       813 

anTgi^iyui:  ^  lieber  4ie' Tafel,  der > JKttegorieen  Iftsaendch 
artige  Betraehtutgm.aDatonen,  .z.,B.  dass  sich  diese  Tafel 
mit  ihren  vier  Classen  in  znvel  Abtkeiliingen  zeriBllen  lasst) 
dass  überaU  drei  Eategoricen  wscbcinen,  welches  zum 
Naohdeaken  auffordert,  da  sonsl  atte  Eintheilung 
apriari  durch  Begriffe  ein  Zwia^^alt  sein  inuss;^ 
(also  ein  Entweder  ^^  Oder,  dn  Weder. —  Noch;  wo 
aber  eben  dia  Vereinigung 'der  Gegensätze  in  einem  Uö« 
bera.  Dritten,  also  gerade  die  philosophische  Erkenni« 
niss,  lünwegiaUtc  Und i dennoch  setzt  Kant  gleich Folgeiv* 
des  hinzu:)  -*^  ,ydass..die  diltte  Kategorie  allenthalben 
au&  der  Verbindung  der  s^weiten  mit  der  er- 
sten ihrer  Klasse  entsfiriagt«  (5.  109  —  111.); 
woraus  also  folgt,  dass  die  Gegensätze  der  beiden  ersten 
Kategorieen  in  der  dritten  vordnigt^  somit  aufgehoben  sind^ 
dass  also  nicfal  bei  dem  ZwiespaltOy  der  Dichotomie,  stehen 
geblieben  werden  müsse. 

Wie  dieselben  nun  die  apriorische  Form. des  Ver-* 
Standes  ausmachen,  sind«  sie  an  sich  ganz  leer  und  inhalls-i 
los:  erst  durdi  Beziehungen  aitf  bestimmte  Anschauungea 
empfangen  sie  Inhalt,  -^  Verden  nach  ihnen  bestimmte 
Begriffe  9  einzelne  Erkenntnisse  gefunden.  Aber  auch  sie^ 
beziehen  sieh  nur  aufl  das  Erscheinende,  jenseits  des- 
sen sie .  ohne  aUe  Bed^ulnng  sind ;  also  auch  in  ihhei» 
wird  das  Bing  an  sidh  nicht  erkannt ,  vielmehr  sind  ihret 
Besttmmongen  gleichfalls^  ausdiAeklich  vcm  ihm. zu  negi-« 
ren.  Also  auch  der  Verstand  vermag  nicht  dad  Wesen, 
des  Dinges  an  sich  zu  erkennen,  auch  er  ist  auf  die  „Well 
der  Erscheinung^  beschrankt. . . 

Wahrend  bisher  die  Kategorieen. als  abstrakte  Allge-f 
meinheitea  gleichsam  in  Ruhe. und  ohne  „Anwendung^  au£ 
wirkliche  GegensUnde  betrachtet  wurden ;  so  entsteht  die 
Frage,  wie  eine  solche  .Anwendung  überhaupt  möglich  sei : 
-^  eine,  so  viel  wir  wissen,  von  Kant  zuerst  in  Anregung 
gebrachte  Untersuchung , .  wodurch  wenigstens  von  einer 
andern  Seite  her,  und  gleichsam  nachträglich,  die  fast  ver-* 
k>ren  g^wg^^  Einheit  izwischen  Verstand  und  Sinnlichkeit 


S14  '  Die  KdefoKoMi  

wiedariwiffesteHl  wehbm  söUi  ^'  fiifc  Anschatidriler  'M 
ein  reEin  SinnlicbeB,Adio  Katagforieen  ein  absolut  Un'- 
sinnliches,  reino  V^rista/n^lelsCornen:  wie  können 
diese  nun  auf  jenes  tngewen^t ,  ^ie  beide  je  TÖrmUlell 
werden  zur  Binbeit  einer  Erfahrungserkeantni««? 
Dazu  bedarf  es  offenbar  eines  dtritten^  beide  Tereinigen-* 
den  Elementes  ^  Welches  gleichfalls  rein  («  jpriofi)  ^  ohne 
aDes  Empirische,  also  zufleidi  einerseits  intellektuell, 
anderer  Seits  i^innlich  sei«  So  kdnnte  z«.B.  gefiragt 
werden,  welches  die  sinnliche  F^orin  ides  ganz  nnsiaalichen 
Begriffes  von  Substanz  und  Accidbnz  fai  wirklicher  An- 
schauung sei?  Fände,  sich  nin  ialsusoldhe  dier  VeghSj  ^^der 
Beharrlichkeit  eines  Aealentjia.  der  Zeit^  zAgleicfa  mit  dem 
^Wechsel  an  ifam<^  verbandeh;  .so  hatte'  iiähtidaran^  eine 
durchaus  gemeingültige ,  *  aitf  aHes*  Gegebeho  i-  flOBwendbare, 
mithin  apriorische  Poha,  ' «dennoch : leUi  rihilili^hec  Bc- 
griff,  darin  aber  das  Bild  („Schema^)  eines  Ihisinnlichea 
gefunden.  IMess  leitet  auf  die  Lebre  von'  dem  tr  an  s- 
scendentalen  Schemati'smti.s  der  reinen  Ver- 
nunft (S.  176--*i87.);  worin  gezeigt  werden  soll,  was 
dieses  Dritte,  ebenso  .  rein*  'Apriorische  und  Allgemeine^ 
(der  Vemunftallgemeinheit  Angehörige),  als  Unmittelbare 
md.  sinnlich  Gegenwartige  »sei;'  -^  biii  an  sich  sdbst  scholl 
hdefast  bedeutender  Gcdaiike^^  iihdän  er  anf  die  Gmndan-* 
sieht  führt,  dass  in  dem  üamitfelbareft  aller  sinnlichen  An« 
schaunng  die  Veistandeswelt  der  Kati^gorieen  in  sdiemati«» 
scher  Weise,  d.  h.  in  vershmifchtelt  Gestalt,  gegenwärtig 
lei  V  4iass  jene  (dei*  Inbegriff  der  «Innlfchen  Anschwiang 
oder  die  Sinnen  welt)  somit  nur  sei  die  versinnlichte 
Verstand^swält  der Kategorieen  selber:  ein  Sbte,  der  aller* 
dings  der  gegenwärti^n  Erkewntnitislehre  ihre  Bedentang 
md  ihre  nothwendige:Mckbeziehnkg  auf  eine  daitef  so 
gründende  Metaphysik  gegeben  hat.  ^    :>    .- 

Abstrahiren  wir  nämlich  vt)a' der  schon  als^  ftilsch  nach- 
gewiesenen Wendmigs  die  auch  hier  Kant  wieder  eintre- 
ten lässt,  dass  das  Apriorische  oder  schlechthin  Allgemeine 
desshalb  nur  ven  snbjektiver  <aeltQBg  sein  könne;   so 


Tnmsscendcntiiler  ^SdicnaUsiiuis  der  irdnon  Ycrnimfl.  'H6 

ergiebt  sich   die  Folgerung,  dass  in  dem  ^itinlielien 
Schematismiis  der Kategorieen,  in  welchem  die  «Dinge 
an  sich^  erscheinen,  eben  damit  die  wahren  Und  aligemei- 
nen Prädikabilien  derselben,  subjelLt*-dbj^ktite 
Grundbestimmungen  für  sie,  enthalten  seien,  also  ein 
Erkennen  der  Dinge,  ^wie  sie  an  sich  sind*,  eben 
dadnrch  ttiögiich  werde.     Hiermit  Mt  auch  die  ^restrin-- 
girende  Bedentong^  hinweg,  welche  nach  Kant  die  Kate- 
gorieen  durch  ihren  sinnlichen  Schematismus  '  erbalten   (S. 
18&).    An  sich  nämlich  s(rilten  die  Kategorieen  in  ihrer 
reinen  Bedeutung,  ohne  alle  Bedingungen  der  Sinn- 
lichkeit^ von  den  Dingen  überhaupt  gelten,  wie 
sie  sind,   anstatt  dass  ihre  Schemate  sie  nur  vorstellen, 
wie  sie  erscheinen;  jene  also  eine  von  aHen 
Schematen  unabhängige,  und   viel  weiter  er- 
streckte Bedeutung  haben.     Nun  ist  dasScIiema 
«eigentlich  nur  das  Phänomenen ,  der  s  i  n  n  1  i  c  h  e  B^gtiff 
eines  Gegenstandes,  in  Uebereinstimmtmg  mit  der  Kaie^ 
gorie^ :  also  ist  nur  mittels  desselben  eine  Anwendung  äei* 
Katcgorieen  auf  Objekte  möglich ,  und  an  sidi  sind  jene 
leer,  haben  nai  die  „logische  Bedeutung^  der  blossen  Gin^ 
heit  der  Vorsteüungen,  und  sind,  ohne  Schemate,  nur  Funk- 
tionen des  Verstandes  2u  Begriffen ,   stellen  aber  keinen 
Gegenstand  dar.    So  wirde  die  Kategorie  der  Subita ns, 
^enn  man  ihr  Schema:    die  Bestimmung  der  Beharr- 
lichkeit derselben  in  dem  eignen  Wechsel  innerhalb  der 
Zeit ,  wegliesse ,  zu  einem  leeren  Subjekte  werden'  ^  wel- 
chem weiter  kein  Prädikat  beigelegt  werden  könnte ,  imd 
80  mit  allen  Kategorieen.    Diese  können  särnrnüich  nur  iin 
sinofichen  Ausdruck  eines  Verhältnisses  in  der  Zeit 
—  Anwendbarkeit  und  Yorstellbarkeit  erhalten.    Nun  hat 
sich  jedoch  aus  der  transsceirdentalen  AesSietik  die  bloss 
subjektive  Beschnffbnheit  der  Zeitanschauung  ergeben ;  mit- 
hin fallen  die  sämmtlichen  sinnlichen  Schematisrhen ,   die 
liur  Modifikationen  der  Zeitanschauung  sind,  d^rselb^h  ein«* 
geschränkten  Grandbedeutung  anheiiti.    So  die  Ka mische 
Konsequenz!    Aber   in   demselben  Geiste  Wäre  ans   der 


216  Tfaiu»i;eiidenlder' ScbefaiRlisniiili'  ' 

wideriegten  Gmndprtlniisse  von  der  Subjektivität  der  Zeit- 
anschauung ,  das  direkte  Gegentheil  zu  Ibigem :  auch  ihr 
ächematismu3  für  die  Kategorieen  ist  nicht  bloss  sub- 
j  e  k  t  i  V  e  r  Natur.  Und  so  zeigt  sieh  an  dieser  Stelle  aber— 
mals,  dass  eigentlich  in  Kants  transscendentaler  Aesthetik 
.der  ganze  Mittelpunkt  der  Frage  liegt,  wdche  auch  über 
die  fernem  Konsequenzen  seiner  Theorie  zu  entscheideit 
hat;  diese  gewinnen  sogleich  eine  andere  Bedeatuag,  ja 
jkönnen  in  den  entgegengesetzten  Sinn  übersetzt  werden, 
nvennjdie  Grundansicht  von  Zeit  und  Raum  eine  andere 
geworden  ist^ 

Dabei  zeigt  sich  in  noch  andrer  Beziehung  ein  merk«» 
würdiger^  auoh  in  die  Fragen  der  gegenwärtigen  Philoso- 
phie tief  eingreifender  Umstand.  Kant  f&hrt  den  sammt^ 
liehen  sinnltclien  Schematismus  der  Kategorieen  lediglich 
Huf  ^^Zeitbestimmungen^  zurück:  das  Schema  der 
iQuantitat  kann  nur  Inder  successiven  Appre- 
hension  eines  Gegenstandes  innerhalb  der  Zeit»  als 
^Zeitreihe^  das  Schema  der  Qualität,  als  Erfül- 
lung der  Zeit  mit  bestimmter  Intensität,  als  „ Zeitin— 
h  a  1 1  ^ ,  das  Schema  der  Relation,  als  das  Verhältniss 
der  Wahrnehmungen  unter  einander  zu  aller  Zeit,  d.  h. 
nach  einer  Regel  der  Zeitbestimmung,  oder  als  „Zeit— 
Ordnung^,  das  Schema  der  Modalität  endlich  alsVor* 
Stellung,  ob  und  wie  der  Gegenstand  zur  Zeit  gehöre,  oder 
als  „Zeitinbegriff^^  angeschaut  werden.  Hier  muss 
gefragt  werden,  warum  der  andern,  von  der  Zeitanschauungf 
unabtrennlichen  Grundanschauung  des  Raumes  gar  keine 
Erwähnung  geschehe ,  als  ob  diese  untauglich  wäre ,  was 
gar  nicht  gezeigt  worden  ist,  zum  Ausdrucke  eines  sinn- 
lichen Schematismus  zu  dienen;  ja  als  ob  nicht  vielmehr 
jeder  in  der  Zeitanschanung  ausgeprägten  Kategorie  ein 
analoger  Ausdruck  in  der  Raumanschauung  correspondiren 
müsste.  So  ungerechtfertigt  und,  wir  dürfen  wohl  hinzusetzen, 
so  unberechtigt  diese  Unterlassung  an  sich  scheinen  muss; 
so  charakteristisch  ist  sie  dennoch  für  die  damalige  Phi* 
losopfate,  und  so  entscheidend  in  ihren  Folgen.     Damm 


der  rebienlVeiMrit  S17 


fOtoMdk  M  Ka  nt  tiflbibar  mchl  m  dcnüf  VeMackte  flortge* 
gangen,  den  Schernttimts-  de^  Katej^forieen  auch  nach  set« 
nen  RaodtibctetiBMMnig^n  aafeQst6IRn>,  treS  die  pgychoto^ 
sehe  fleflezimi  ftm  zeigte,  wie  die  mdi^käven  Vorslelhingen 
des  Bemuitseiiis ,  die  ,,ii]ischüinuigen'deii  iitfnem  Sianes^^^ 
in  der  Form  einer' blossen  ZeitsuccesMaa  and  Zeiterf&Uang, 
also  ohne  alle  HainnvorsleDuilg,  vor  sidi  gehen.  Es  wwdo 
daraus  der  ganz  riofalige  psychologic^che  Sats,  dass 
der  j,  innere  Sina^  der  allgemeinere ,  indem  er  aaeh  die 
VorsteUongen  desiossem  Sinnes  in  sich  auftiehmen  mnss^ 
nm  sie  aur  ^Einheit  der  Apperception^^  zu  erhe- 
ben, der  äussere  Sinn  von  eng^rm  (Jihiiniglur  das  Be^ 
irnsstseni  seL  Aber  damit. ist  über  die  aDgettieine  Frage 
noch  gar  Nichts  entsdrieden,  ob  nichl  detr  Ranm  eine 
ebenso  universale  GnindbesHaimüng  aller  y,  erscbeinenden^ 
(in  WifUichkeit  und  Wirkung  tretenden)  Dinge  an  sieh 
sei  —  w'ie  man  den  Sinn  des.  Worti;  ^  Erscheinen  <<'  hier 
auch  lassen  möge,  —  ab  Kant  es  mitfiechi  von  der 
Ze  i  t  behauptet,  —  über  die  Frage :  ob  die  satjektiven  Yor^ 
stelluBgen  ihrem  Innern  ürunde  nach  nicht  ebenso  an 
Bedingungen  des  Raumes  und  der  RaumerMung  geknüpft 
sind,  wie  an  die  der  Zeit  und  der  bdstimmten:  Dauer,  d.  h. 
ob  aueh  das  Vorstellende  und  Denkende  iai  uzbi  :  nicht  glei-^ 
eher  Weise  in  einem  Wo  ist,  wie  in  eifern  Waftn?  Hier" 
triU  Mber  eben  ein,  was  Kant  dne  «Siihreption^  nennen 
wfirde:  man 'substituirt  unausgesetzt  der;  psychologi- 
sch e  n  Tliatsachey  dass  die  subjektiven  Vprs^ettungen  und 
Gedanken,  überhaupt  die  Bestimmungen  «des  innem  Selbst^ 
bewusstseins,  nicht  nach  Raumuoterschieden  «ufgefasst  wer-r 
den  können,  die  metaphysische  Folgenu^g, welche  man 
sidi  nicht  einmal  immer  als  Folgerung  ausqpreehen  magc 
also  ist  die  Substanz  jenes  Selbstbewusstsein^,  die 
flSeele^  oder  der  „Geist<^,  auch  objektivt  YMi.aUOA  raümli- 
eben  Bedingungen  unaUiangig,  an  sich  sejübst  unräumlicher 
Natur.  Und  doch  ist  dieser  ganz  imbere^tigte  Schluss  die 
Giundlage  der  bisherigen  Seelenlehre  gewesen ;  und  auch 
an  dieser  Stelle  der  Kantischen  Theorie  bleibt  bemerkbar, 


218  TranssCMidenUJcf  :6clieiiilirtemus 

wie  ei  4*s*rRestittfii  Qincp'Aeflndoa  aur>  die  itfifeklivcii 
ThttUiftoheii  des  iSelbslbewusalseiiu  schon  für  ein  ontologi- 
sebes  Ergpebnifis  lOber  dftT  Wesen  der  Seele  bSiL 

Aber  aneh  üi  iindeDdr  Beziekung  begegnen  wir  bier 
etaen  Zweifler  jener  YMinilldfMle  .Schematisnins  xwiscbea 
reinem  Verstände  und  reiner  SkinlieiriEieit.sokeiBt  uüs  näm* 
liok,  nacb  dem  Goisfie,  wie  nach  dete  BuchaUben  der  Theorie, 
völlig  .unbegreiflich ,  ja  widersprechend«  Der  Sinnli^keit) 
der  Messen  „ReeeptiYitat^^  eines  dem  Bewosstsein ur- 
sprünglich ganz  .fremdadttigw  Dinges,  stdit  der  Verstand, 
das  •  absolut  q;)onlane  Veimogen,  gegenüber  f  sie  aiod  zwei 
Slftnme  ,;tiiibel£annter  Wurzei!«'  Oben  fragten 
wJri  was  beide  innetliefa  ausammenfage?  Hier 
fragen  wirnookiiäher:  wie  anohnnr itfss et licli ihre  For- 
men :zn  einander  passen  kdttien?  —  Kaoh  diesem  ZBsam^ 
menhange  der  Ansicht  ist  es  nicht  einmal  begreiflich, 
wie  das  rrein '^Sinnliche,  die  Etschtimmg  eines  dem 
BewüsststihBntgegengesetzten,  je  an  die  Formen  des 
Verstandes,  als:  die  rein  innerlichen  und  subjectiven, 
sieb  tnttschli^sen  kann;  noch  weniger ^  wie  der  Verstand, 
auch,  schematisirend,  seine  Kategorieen  immer  richtig  und 
zuversichtlich!  anwende  zur  Bildung  von  (Verstandes-) 
Begtififen  aas  >  dsm  absolut  Sinnlichen.  Woher  dock 
die  Gewissheit  5  ja  nur  die  BegreifKchkeit  dalur ,  dass  die 
renienf  Formen  des  Verstandes  übeFAll  so  unerwartet  den 
Fometi  der  Sinnlichkeit  parallel  gehen ,  dass  sie  sogar  für 
kiichts  AWdereö,^  denn  nur  iur  SimiKches,  BedeHtühg  und 
Anwendba)4cdt  haben?  Woher  diese  unerkifiriiehe  Har^ 
monie?  Beide  Sphüren* trennt  ja  »eben  nach  Kant  eine 
titiübe^steigliciie  ffluft:  Jedes^  der  Verstand  mit  seinem 
E^^tende  der  Kategörieen,  und  das  in  der  Mnnlich^m  An^ 
^ohauung^  erscheinende  Ding  a  n  s  i  c  h^  ist  eine  Wdf  t&t 
sich,  s^lechthiti  unabhängig  von  der  andern,  indem  das 
Ding  an  sich^  erscheinend  in  den  subjektiven  Formen  der 
Sinnlichkeit,  zwar  darin  nicht  erkannt  werden  kann ,  wie 
CS  an  sich  ist,  dennoch  aber  wenigstens  negativ  zum 
Weson  der  Ersckeimmg  bettrigt ,   indem  diese  selbst 


aitdehrK  tftln  ihicrfiiCö^  Ve%A  AnNl^tt^i^ 'ih  ili^  er- 
schien«. -*<^  SblilUt  «licht  c«iAmar  jener  oben  (S.  i^l.f.) 
gescliildcrte  SiAjdiliv^sinttg  K'aü't's  "ydlUg*  dazu  atis,  *  dieses 
Freblem ,  —  ffMüi  düfiP  horste  für  dlhe  Theorid  des  Be-» 
ymuetaem»  «tid  ddS'folgeiiil^elchsie'iur  die  ganze  Spelcula-« 
tion^  —  an  Idsm.   UnentslAiedett  steht  er  zwischen  voll^ 
endeteAi  ideaKsndttS  and  koAsequehtem  Sensualis-^ 
im»  s    1^  •  i  d  e  stehen  YOn  •  dtesot  Sisitd  her'  der '  Erhlaningf 
jenes  Problems  nfifafer ,  ^^  Wiiewohl  es  ihnen  sonst  an  an-' 
dem "Stelten  fBlilen  mag*^  -u^  ^v^  sie  nur  Ein  Prin  c  i p 
im  gmaen  Beimisstsein  ^en  lassen:   Kant,  det' hierin 
vom  GegeiiMatze  «ssgeht»  berHübt  «ich  dMilit  4iniviederbring-* 
Uch  des  Fttndatnents,  auf  weteheser  die  BKiheit  und  deli 
ZnsaHuneAbmg  des  <BeWtttstsoins 'grafnden  könnte;  jti  diese 
bleiben,  nMk  den  Prämissen  seiner  Theorie,  üiri  mdh  xm^ 
mA^Ucher  oder  nnbegtelflicher,  ids  für  die  altere  metaphysi- 
sche Theorie.  Die  Letztere  sucht  ganz  allgemein  den  Zusam-^ 
menhnng  zwischen  dem  Bewusstsein  nnd  den  Dingen,  zwi- 
schen ^GeW  und  ,^ateri6<'  zu  erklären.    Hier  bfldet  jede 
dorheMenHfllften  doch  ebie  in  Sich  isälbst  gpe^cblossene,  mit 
sicfeubereinsttmniende  Welt:  bei  Ktinf,  w^dver  idealisti- 
scher  Baum  und  Zeit  mit  allen  flirefi  Bestfinirfungen  selbsft  zd 
btosB  s^Q  b  j  ek  t  i  V  en  Formen  dos  Objektiven  milcht,  schwind 
det  dte  Eine  Hütte  zu  einer  ttibekannfen  Welt  zusammen  j 
aber  dafür  tritt  der  Oag^otaiz  ünA  S Wiespdf ,   der  gelöst 
werden  eollte,  in  das  BeMrusstSOht  selbst  hinein ;  es  ist  nun 
die  weit  bedeiiklichete  Plrdge^,   wie  iMf  BewüSstsein  seiber 
der:iCiegensatz  zwisdie*  SinolichkeiV  und  Verstiand  zur  Ein- 
heit imd  UebereinstiaiBiohg  eined>£tk Ruhens  ausge- 
glichen werden  soll.    ^   Und  diese  Bedenken  liind  nicht 
gegen  den  BodisMen,   sie  siiid  gegen  den  Geist,  gegen 
die  Gnmdansklift  der  Kant isdiien  Lehre  giftrichtet,  trelTen 
also  dien  so  sehr  auch  alle  späteren  llieorieeh^  die  sich  von 
dieser  Gnmdansicht  nodh  nicht  losgemkcht  haben. 

Aber  tot  die  Kritik  der  reinen  Vernunft  nicht  dennoch 
eine  Antwort  auf  jene  Fragen  und  Einwdrfc,  ja  bilddt  nicht 
gerade  diese  den  faöefasten  Lichtpunkt,  die  innere  Einheit 


230  SfnllMfUcIi^  SUhfit' 

der  gumen  Theorie?  Schxm  frtl|er<S«13lOtlwtt^  bemit* 
wortet|  wie  es  geschehe^  dafift  Sinvlichkeit  vad  Ver- 
stand in  sich  übereinstimmen ,  dass,  die  KalegtHrieea  der 
Anwendung  auf  Sinnliehes^  die  Sinnlichkeit  des  Be- 
grilTenwerdens  durch  den  Verstand  iahig  sei.  .  Das  BewussU 
sein  ist  selbst  in  sich  Eines,  ein  untboilbares  .Gmzes ,  in- 
nerlich verbunden  dui?c|i  die  ;syn;tbetische  Einheit 
der  Apperceptioa:  ^enn  „das:  Ich  denke  nass  aUe 
meine  Vorstellungen  begleiten  können.  ^ 

Sie  sind  also  sammtlich  zu  beziehen  auf  die   iraero 
Einheit  des  Selbst^ewusstseins,  die,  indem  sie  allen,  beaon- 
dern  Vorstellungen  ursprünglich'  vorau^kt»  sie  unter  B  i  n  e 
Gesetzgebung  fasst    Das  Bewusstsein  kann  daher  sich 
nicht  widersprechen,  odör  auch  nur  aus  disparalen  Theilen 
bestehen ;  es  bildet  in  der  innersten  Einheit  des  Selbstbe-* 
wusstseins,  im  Ich,  wie  im  höchsten  Lichte,  zusamraea- 
strahlend,   oder  wie  aus  diesem  Fokus  sich . ausbreitend^ 
ein  in  einander  greifendes  organisches  Ganzes,  (S.  132  fil) 
An  sich,  und  seiner  faktischen  Beschaffenheit  nach, 
verhalt  es  sich  freilich  so  mit  dieser  Einheit  des  Bewnsst- 
Seins ,   die  auch  auf  die  weitere  Uebereinstimmung  Beimer 
verschiedenen  Sphären  und  Gebiete,  wie  Sinnlichkeit,  Ver- 
stand, Vernunft  u.^s.  w.,  scbliessen  lasst;  <—   aber  ea  ist 
eben  die  Frage,  wie  diese  unzweifelhafte  Thatsache  sarolnt 
ihrer  Folgerung,  sich  in  Uebereia«tiipiinuQgi)ringen  laise  mit 
den  Konsequenzen  jener  ganzen  llieorie.     Vorauage- 
setzt  und  behauptet  ist  hier  freilich  die  innere  Einheit 
des  Bewusstseins.,  .auchi  ist  der  Pwkt  richtig  bezetchoet, 
in  welchem  diese  Einheit  ihren  Ausdruck  findet;  aber  ist 
dadurch  mehr  geschehen,  als  auf  die  Thatsache  hinge- 
wiesen ;   ist  das  Faktum  nur  irgend  begreiflich  geworden 
durch  die  N afhweisnngen  der  Theorie  ?  htm  gerade  hier 
erneuert  siph  um  so  stärker  die  Frage,  wie  das  Bewusst- 
sein überhaupt  nur  in  syntlietischer  Einheit  der  Appereei^ 
tion  verbunden  sein  könne  oder  müsse,  dajeaja  nadi 
jener  Theorie  in  zwei  an  sich  entgegengesetzte  Hälften, 
Sinnlichkeit  und  Verstand,  getheilt  ist ,  jene.  Einheit  daher 


der  Api^oeptton.  '  Ml 

in  diesem  KnsathmMihafOgfe  irielmebr  bUrveel  mmiOglich',  jti 
formal  frider^pre'ehend  crsübeinen  mfisstc. 

So  ist  es  ehen  dasi^Benebmen  der  Kau  tischen  Phi- 
losophie ,  ifie  innere '  Einheit  deis  Bewusstseins  übehill  vor-^ 
««zusetzen,  und  sich  auf  sie  zu  b6ruren,  durch  das  Resul- 
tat der  Theorie  aber  sie  zu  g^ßhrden,  ja  zu  verliugnen. 
Dennoch  kann  die  Theorie  selbst  nur  unter  jener  Voraus^ 
Setzung  aufrecht  erhalten  werden,  cBe  doch  zugleich,  wäre 
der  Inhalt  der  Theorie  wahr,  eigentlich  aufgehoben  ist. 
Und  so  wurde  efa  Zwiespalt  zwischen  Geist  und  Buchsta- 
ben derselben ,  schwankende  Meinung  über  ihren  eigenfli- 
chen  Suin  unvermeidlich;  es  mussten  verschiedene  Ausle- 
gungen derselben  entstehen,  neue,  mannichfach  modificirtc, 
unter  sich  selbst  im  Widerstreit  begrifiene  Schulen  aus  ihr 
hervor  gehen ;  kurz,  es  ergiebt  sich  als  nothwendige  Folge 
ihrer  innem  BeschaiTenheit,  was  die  Erfahrung  an  der  hi- 
storischen Entwicklung  der  K  a  n  t  i  sehen  Philosophie  be- 
reits wirklich  bewShrt  hat. 


YerfoTgen  Wir  indess  die  Theorie  noch  naher  in  Be« 
zng  auf  die  Anwendung  des  Verstandes  auPs  Sinnliche, 
weldie  wir  derselben  als  faktisch  bestehend  einzuräumen 
haben. 

Jeder  Kategorie  in  Ihrer  Anwendung  auf  das  sinnlich 
Gegebene  wird  ein  öpriorischer  Grundsatz  entsprechen 
missen ,  der  eben  die  Weise  ihrer  apriorischen  Anwend- 
barkeit bezeichnet :  diess  -sind  daher  zugleich  die  Grund- 
sltzt^,  nach  denen  atles  Eikennen  des  Cregebenen  einher- 
geht^ —  .die  apriorischen  Grundsätze  alles  Ver- 
ata  ndesgebrauchs.  —  Das  analytische  Urtheilen  wird 
zwar  durch  den  Sabs  des  Widerspruches  bestimmt,  der 
übeAanpt  nur  verbietet,  widersprechende  Prädikate  in  einem 
Sabjekle  zu  vereinigen :  doch  ist  dieser  lediglich  von  ne- 
gativer Bedeutung,  Indem  er  bloss  angiebt,  wie  nicht  ver- 
bmden  (g^urAe^t)  werden  darf,  keineswegs  aber  eine 
positive,  die  Erkennthiss  erweiternde  Syntherfs  begrandet. 


3BS  Aprteriadif'finin^sttze 


iJnd.  90  w4^0t  viehfiehr  als  fihuiidlag^.iiRd  Piindp  iiHerJo- 
ner  aprioriscben  Grunds&lset  des  Verstandesgebränchs  zu- 
ex»l  der  Grwdsatz  alli^s  Synth oairetts  auttuiuchen, 
wodurpli zugleich  wieder  an  die  inrsprttiigiiehe  Anfg^bedef 
Vernunßkriiik  erinneiit  wird»  die  FragB^zn  untenracbett  uwl 
durchgreifend  zu  lösfen :  ^wie  synthetische  ürtlieile 
a  priori  möglich,  seiend 

In  synthetischen  Urtheilea  soll  über  dw  giegseben» 
Begriff  hinausgegangen  werden,  um  elwasganz  Anderes, 
als  in  ihm  zuerst  gedacht  war,  mit  i)mi  m  Verbindung^  n 
bringen,  und  es  bejahend  od^  verneinend  auf' denselben 
zu  beziehen«  Piess  zugegjsb^n,  ist  ein  Dri^ttos  nöüuf, 
worin  ^rst  die  Syntbesis  zweier  Begriffe.  yx)l]zogen  Wanten 
kann.  Was  ist  nun  dies  Dritte,  .als„dasMediuin  all^r 
synthetischen  Urtheile?«  (g.  194.) 

jßs  ist  nur  ein  ^Inbc^gxiff^  in  weichem  iberhaupt  aOa 
unsere  Vorstellungen  enthalte^  sind,  n4jnlieb,94^r  inaere 
iSinn^  und  die  Form  desselben  qpniVirt\  die  2*eit|  laut 
der  oben  angeführten  und  geprüften  Entwicklung  über  die 
zwischen  Verstand  und  Sinnlichkeit  hineinfallenden  Irans- 
^cendentalen,  Schematismen  der  reinen  yomunft.  «^'  Die 
Syntbesis  der  Vorsteliongen  überhaupt,  beruht  aaf  4er 
^Einbildungs kraft ^  die  syntheKische  Einhfitl  deimlrr 
ben  aber  auf  der  „Einheit  der  Apperceptiea^t 
d.  b.  waß  von  Vor^eUungen  die  Einbildungdcrafk  in  der 
«synthetischen  Einheit  eines  Bewusst^einsaktes  eugleicji 
(in  demselben  Zeit-jetzt  vereinq^t)'  vorsteUea  kann,  das 
ist  einß  mögliche  Syntbesis.  Hierin  wird  also  .4as 
Princip.  Cur.  die  ,^öglichkeit;S3fnliieti844i0r  UrUieile«  n 
suchen,  sein:  sie  ist  gleich  der  S;Ubjekt:iven  VvOrstoJJ^ 
bai;keit  gewisser  Vorstellungsverbindwigen  in.  Eineiii 
Vorstelfungisakte  der  „  Einb^ngskralt ;  ^  und  $o  ist  der 
wahre  Grund  der  Möglichkeit  d^r^elben  in  der  Biab«it 
dieses  Vorstellungsaktes,  in  der  £ i  ah e i  t  der  Appevoq^ 
üon  (des  vorstellenden  Subjekts)  m  suohen« 

Woher  aber  die  NotbwendigJceil  jn. i^thetischen 
Urlh^Ien.j   die  eben  dadurch, nur  synthetische  UriheOa  a 


alles  VeiBtattdeigabiiUichs.  fl23 

prioH-'wcrilenrMi^ett?  -^  •&  ist  Voih-McRstei^  hiteifesse, 
liiesa  Afich  der  .Darslelliin^ ,  r  -wcld»  ibr  Kant  (&  194-^ 
97.)  gegeben,  hftl^  nicht  völfig  kiav  iind  cinilinglieli  erie*^ 
digte  Frage   aus  der  Konsequenz:  de^  Oanzen  nach  .den 
Datis  jener  DarMdhing  zu  erörtern. 

Wenn  e&ie  Erkcnntniss  (d.  L  e&i  synttetisches  Urtheil) 
objdLtive  Realität  hri)en,  sich  auf  einen  Gegenstand  be^ 
ziehen^soll ;  so  muss.der  Gegenstand  anf  nagend  emaWöiso 
gegeben  —  gegenwärtig  sein  in  der  Ansdiammgides  m&^ 
sem  oder  üinern  Sinnes.  Eine»  Gegenstand  ^gebenl^j  un- 
milteibar  fto  die  Anschanmg  darsMIen,  ist  nichts. Anderes, 
„als  dessen  Vorstellung  anf  Erfahrung  <es  sei 
wirkliche  oder  doeii  mögliche)  beziehen. <^  »-r 
3iSeIbst  der  Raum  und  die  Zeit,  so  rein  diese  Begriffe  auch 
Ton  anem  Empirischen  sind ,  und  so  gewiss '  es  anch  ist, 
dass  Me  im  Gmflthe  völlig  apriori  vorgestellt  werden,  war*- 
den*  doch  ebne  objektive  GftItigkeit  und  ohne 
Sinn  nnd  Bedeutung  sein ,-  wenn  ihlr  notbwen-»' 
diger  Gebrauch  anden  Gegenstfinden  .d.et  Bi^ 
fahrnng  nicht  geneigt  würde*,  ja  ihre  Vorstellung 
ist  ein*  blosses  Schema,  das  sich  immer  atif  die  <  reprddnlif 
tire  Einbildungskraft  bezieht,  welche  die  Ctegenstando :  det 
Erfiibrang  hefbeiniO,  ohne  die  sie^  (Zeituqd  Raum)  ,»keino 
Bedeutung  hüben  wfirden ;  und  so  ist  es  mit  allen''  (noth- 
wendigen  oder  apriorisohen)«  ^Begriffen  ohnc-Unterschied^: 
—  mit  den  empirischen  nämlich  ohnehin ! 

Was  heisst  hier  ^objektive  Gültigkeit«,  ~ 
„Sinn  und  Bedeutung^,  welche  der  Zeit  nnd  dem 
Räume,  wie  idlen  andeni  apriorisohari  BegriflTen,  trotz  ihrer 
Apriöriiät  und  allgemeingättigen  Reinheit^  MiAih  doch  auch 
ihier  ,^Nothwendigfceit^  und  TaugKehkeit ,  die  EHienntniss 
no  Ih  w en  d i  g  e r  synihetisoher  Urtheile  a  priori  zu  Wege 
zn  bringen,  nach  Kants  ausdrfioklioher BrUäffung  abge^ 
sprechen  werden?  Offenbar  die  empirische  Reali-i- 
tät,  welche  nur  die  sinnliche  Anschauung '  gewähren  kanni 
Mithia  •  isl  i&r  •  di  e  s  e  me  mit  dem  Stempel  der  Noihwen<«> 
digkeit  gegebene  apriorische  Erkenntniss  *^eitiaupl  nicht 


224  lOMiistes  Prfaieip 

« 
mdglioh?  4er  Berdiclrdes  apriorischeii  Erkennend  erstreckt 

sich  schlechthin  nickt  «nf  das.Bmpirisohei,  Einzelne,  Er- 
TahningsiRiassqie,  sondern  bbetinur  ftiif  ihre'  allgemeine 
Form,  dasjenig^^  was  Kant  in  dem  gegenwärtigen  Zu- 
sammenhange (S.  195.)  die  ^^Möglichkeit  der  Er-« 
fahrung^  nennt  Das  Nothwendige  und  Apriorische 
bleibt  scUediAin  nur  formeller  Natur)  völlig  leer 
und  ohne  objektive  Realität,  wenn  nicht  innerkalb 
desselben  eine  r^ale  Bestimmdieit  gegeben  wird. 

Hiermit  lenkt  er  nun  dem  auch  sonst  sattsam  exponir- 
ten  und  bekanntet  Resultaie  seiner  Kritik  zu,  von  d<mi  et 
nur  interessant  war ,  den  Entstehrngsgrund  und  die  inr- 
sprungiichen  Framissen  aufzudecken.  Die  Kategörieen  sind 
an  sich  selbst  nur  „Funktionen  der  Synthesis^^^ 
subjektiv  not h wendige. Bedingungen  zum  Denken 
der  Gegenstände  in  der  synthetischen  Einheit  der  Apper- 
oeption ;  aber  sie  enthällen  nicht  die  Erkenntniss  der  Ge- 
genstände «selbst,  Welche  nur  durch  das  in  sinnlicher  Anschau- 
ung Gegebene  gefordert  wird.  Die  „Gegenstände  apriarif^ 
von  denen  K  a  n  t  in  diesem  Zusammenhange  auch  spricht, 
bestehen  nämlich  nur  in  deii  Formen  der  Erscheinnng 
der  (gegebenen)  Gegenstände  in  Räum  und  Zeit ;  oder  in  dem 
Inbegriffe  der  apriorischen  Möglichkeit  der  Brbhnuig. 

Die  Möglichkeit  der  Erfahrung  ist  also  das,  was 
allen  unsem  Erkenntnissen  a  priori  objektive  Realität  ver- 
leiht: und  so  ist  das  oberste  Prineip  aller  synthetischen 
Urtheile,  der  höchste  Grundsatz  aller  Synthesis  a  priori, 
deteen  Entdeckung  die  eigentliche  Aufgabe  der  ganzen 
KritQi  )9(rar,  .-^  folgendennassen  auszusprechen :  ^Via  Jeder 
Gegenstand  äleht  nnter  den  nothwendigen  Bedingungen  der 
synthMStisicben  Einheit  deis  Mannichfaltigen  der  Anschauung 
in  einer  möglichen  Erfahrung«  (S.  197.).— -Keine 
Synthesis  a  priin^  kann  daher  über  die  Sphäre  der  Erfah- 
rung hinausgehen,  weil  ihre  apriorische  Form  nur  <fie  Mög- 
lichkeit derselben  enthält,  iirelcher  allein  das  in  der  Erfah- 
rung Gegebene  ol^ektlve  Gültigkeit  zu  verieihen  veraug. 

So  behauptet  Kant  dadurch  die  Gränze  alles  synthe- 


aUes  Synthesircns.  S95 

tischea  Vefstandesgebraucbs  entecheidend  festgesetzt  zu 
hai)eii.'  Alle  Kategorieen  und  daraus  entwickeltea  Grund- 
sätze des  Verstandes  beziehen  sich  lediglich  auf  die  Welt 
der  Erscheinung^;  in  Bezug  auf  das  Ding  an  sich  verlic* 
ren  sie  alle  Bedeutung.  Eine  jede  Synthesis  apriarimms 
die  Bedingungen  möglicher  Erfahrung  in  sich  enthalten, 
oder  musssich  belegen  lassen  durch  Analogie  wirk- 
licher Erfahrung.  Die  Wirklichkeit  von  Etwas  lasst  sich 
unmittelbar  nur  durch  sianliche  Anschauung  erken- 
nen, dann  durch  Urtheil  und  Schhiss,  die'  nach  den  Prämie« 
sen  einer  richtigen  Erfahrung  einhergeht.  So  ist  nach  Kant 
überhaupt  nur  ein  erfahrungsmässiges  Wissen  möglich,  in- 
dem der  Yerstdttd  den  gegebenen  Stoff  sinnlicher  ^sdiau- 
ung  zwar  ordnen,  bearbeiten,  seine  synthetischen  Erkennt- 
nisse an  der  Hand  der  Erfahrung  unendlich  erweitem  kann^ 
aber,  ewig  eingeschlossen  in  die  leeren  apriorischen  For-i 
men  und  die  aposteriorischen  Einzelgegebenheiten,  nicht 
hiiuiufzusteigen  vetmag  zu  einem  Erkennen  der  Gründe 
derselben  oder  der  übersinnlichen  Wahrheiten. 
Alles  demnach,  was  eigentlich  den  Inhalt  spekulativen  £r- 
kennens  avsmadien  könnte,  oder  sonst  ausgemacht  hat, 
fallt  dadurch  von  selbst  hinweg;  und  an  die  Stelle  der 
bisherigen  Philosophie  kann  nur  die  Kritik  der  Yemttnft 
treten, : —  in  ihr  ordnend  und  sichtend  —  den  Sehein  von 
der  Wahrheit,  das  Mögliche  vom  Unmöglichen.  Und  ebeh 
dicss  macht  die  Wichtigkeit  der  Untersuchung  und- das 
Entscheidende  ihres  Resultates  aus,  dass  dui^ch  sie  der  Ver- 
stand endlich  auch  zum  Selbstverständniss,  zur 
Anerkennung  seiner  nothwendigen  Granzen  hingewiesen, 
und  auf  das  ihm  allein  zustehende  Erkennen  eingeschränkt 
werde. 

So  Kant:  und  wir  müssen  gestehen,  dass  der  liath, 
die  Philosophie  solchergestalt  nur  auf  das  Empirische,  Ge- 
gebene, einzuschränken,  durch  die  spätere  Philosophie^  von 
allen  Seiten  und  in  verschiedener  Weise-,  befolgt  worden 
ist,  und  noch  bis  zur  Stunde  den  durchgreifenden  Charak- 
ter auch  der  spekulativen  Systeme  ausmacht,   welche 

15 


216  Kritik  desseften. 

Wisdenachaft  des  Wirldickeii  md  nur  des  WirUichea  zu 
sein,  ausdrücklich  erklären  und  zu  ihrem  vomehmsteniCha- 
rakter  machen.  Da  sie  hiermit  jedoch  zugleich  Wissen- 
schaft des  Absoluten  zu  sein  behaupten,  diess  daher 
auch  seine  Wnrklicfakeitnurira  g'egebenen  Wirklichen 
haben  soll;  wird  diesem  ganzen  Standpunkte  sogleich  ein 
panflieistisches  Gepräge  angedrückt,  ein  Resultat,  was  den 
eigenffichen  Absichten  und  Hoffnungen  des  Gründers  der 
neuem  Philosophie  von  den  Folgen  seiner  spekulativen  Re- 
volution direkt  widerspricht. 

Wenn  wir  jedoch  zurückgehen  auf  den  eigentlichen 
Grund  davon ,  —  warum  einestheiis  der  Verstand  mit  sei- 
nen apriorischen  Formen  und  Regeln  nur  auf  die  ErTahrang 
eingeschränkt  sei,  andemtheils  jedoch  di^te  £rfahrung  sel- 
ber die  Dinge  an  sich  schlechterdings  nur  in  ihrer  subjdc- 
Mven  Erscheinung  fßr  uns,  nicht  in  ihrem  objektiven  Ansich- 
selbstsein  zu  erkennen  gid)t;  *•  warum  die^objeetive 
Realität**  also,  welche  Kant  von  der  sinnlichen  An- 
schauung begehrt,  umjeneansich  leeren  apriorischen  For- 
men durch  ein  „Gegebenes^  erst  ausiuHen,  ihnen  selber 
dadurch  „Sinn  und  Bedeutung^  geben  za  lassen  —  warum 
sie  selbst  doch  durchaus  nur  auf  das  Dass,  schleohdiiA 
nicht  auf  das  Wie  der  Dinge  an  sich  gdit ;  kurz  warum 
nach  Oben,  wie  nach  Unten  hin  Mangel  und  Bingeschrinkt- 
heit  den  Charakter  unsers  theoretischen  Bewusstseins  bil- 
den ;  was  eben  die  weitem  Aushülfen  nöthig  gemacht  hat, 
die  wir  noch  kennen  lernen  werden^  und  den  direkten 
Umschwung  in  die  entgegengesetzte  Denkweise:  —  so 
liegt  der  Gmnd  von  dem  Allen  in  der  durch  alle  Theile 
von  K»nts  Theorie  fortwirkenden  Verl  au  sc  hnng  der 
Begriffe  des  Apriorismus  und  des  Subjekti- 
ven, welche  gleich  an  Raum  und  Zeit  sich  d<rfcmnentirtc, 
und  nachher  ebenso  die  apriorischen  Formen  des  Verstan- 
des zu  subjektiven  machte.  Wird  dieser  Irrlhum  in  seiner 
Wurzel  gehoben;  wie  von  uns  geschehen  zusein  scheint: 
so  wird  das  Resultat  im  Ganzen  und  in  allen  Theilen  so- 
gleich ein  anderes.     Die.  Anschauung  ist  mitten  in  der 


PhanomeM  md  Noumena.  fi27 

Welt  der  ReaTität,  der  ^Dinge  an  sich^,  und  auch  der  Ver-!- 
stand  ist  nit  seiiiai  „ apriorisehen  Formen  und  Regelnd 
nichl  in  dem  Sinne  auf  die  Erfahrung  beschrankt,  dass  er 
im  ^enseats^  derselben  alle  Wahrheit,  und  Gultigkeii  yet-r 
löre :  sondern  seme  Formen  und  Regeln  werden  nun  ewige, 
alles  Reale,  wie  alles  Denken  desselben  durchgreifend  be«> 
herrschende  Gesetz»,  feste  Analogieen,  nach  welchen 
man  aus  dem  Gegebenen  auch  das  Nichtgegebene  erken«- 
ncn  kann.  — 

Du  nun  aber  nach  Kant  die  sinnliche  Anschauung 
selbst  zufolge  des  Resultats  seiner  ^transscendenta«^ 
len  Aesthetik^  nur  Erscheinungen  (Phamtomena)  xum 
Bewusstsein  bringt^  all  •anser  Erkennen  daher  auT  idiese 
Welt  „erschekiender  Sinnenwesea^  eingeschränkt  ist,  setat 
sich  denselben  dem  Begri  f  f  e  nach  nethwendig  die  Sphäre 
d*  Dinge  an  sich  (der  im  Gegensatze  der PAoenocnena 
—  Noumena  zu  nennenden)  entgegen,  die  jedoeb,  da  sie 
jenseits  alles  sinnlich  Anschaubaren..  fallen ,  ebenso  auch 
jenseits  der  Gültiglceit  dar  Kategorieen ,  rnnr  negative 
Bedeutung  haben,  nur  .eine  leere  Steileibezeiobneu 
könn^,  um  die  Sinnlichkeit  wenigstens  äusscriich  zu  be^ 
gränzen^  und  als  die. nicht  einzig  mögliche  Erkenntniss* 
weise  zu  bezeichnen  (S.  310.  311.  312.):  —  eine  derwiob«- 
ligstea  Wendungen  der  K  an  tischen  Philosophie  I  Durch 
dieselbe  wird  nämlich  eines  Tbeils  die  SinnÜchkeit  allere- 
dmgs  beachrinkt,  ja  negirt,  als  nicht  die  einzige  und  böeh-* 
8te ,  nicht  die  wahre  Realität  enthaltende ,  und  die  N  o  Ur 
mena  treten,  als  das  wahrhafte  Sein,  das  eigentlich  Reale 
ihnen  gegenüber.  Aber  andern  Thetls  wird  doch  auch  jer 
des  positive  Erkennen  dersdben  in  Abrede  gestellt^  und 
die  Begränzung  des  sinnlichen  Wissens  durch  dieselben 
deotet  Oberhaupt  die  Gränze  alles  wenigstens  menschlichen 
Wissens  an«  Das  Sin  n  lieh  e  ist  freilich  nicht  das  Reate^ 
aber  es  ist  doch  der  einzige,  eigentlich  ericennfoare  Gegen^ 
stand  unsers  Bewusstseins :  und  so  ist  das  Erkennen  selbst 
enlblösst  von  aller  Realität  —  es  ist  Nich'twissep 
des  Wahren,  das  sich  ihm  stets  verbirgt  in  der  Hülle 


B28  Phaiiomeaft . 

des  Brscheineriden.  ^  Aber  wo  giobt  es  idenn  überhaa{it 
für  uns  Wahrheit?  Was  rettei  das  Bewusstsein  vor 
der  rnigeheoem  Leere  .des  «ig^enen  Nichts,  was  verleiht 
ihm  überhaupt  innere  Gewissheit  und  Zuversicht  zu  einer 
Reaiilat  bei  der  imhier  nur  wibefriedigfenden,  J^ein  Ansich 
darbietenden  Erscheinung  eines  Realen ,  dessen  An- 
«ichsein  überall  =  x  bleibt,  der  Existenz  nach  gewiss, 
der  Beschaffenheit  nach  völiig  unbekannt? 

Hier  verweist  Kant  späterhin  an  die  praktischen  Po- 
sUiiate,  Andere  nach  einer  naheliegenden  Erweiterung  die- 
seä  Principes  an  die  unmittelbaren  Ausspruche  des  Glau- 
bens  und  der  Ahnung,  die  uns  ersetzt  sollen,  was 
das  ibeoreiische  Wissen  uns  um  einmld  nicht  zu  gewah- 
ren vermag :  und  so  kaim  die  Philosophie  von  diesem  gan- 
zen Standpunkte  aus  doch  auehinur  zur  Unmittelbar- 
keit in  einer  andern  Form  des>Bewusstseins,  diemU  ^r 
sinnlichen  Anschauung  und  Erfahrung  Nichts  gemein  hat, 
ziffäckkehren  y  d«  h.'  zu  einer  an:  dem  Negativen  der  theo- 
retischen Resultate  sich  rechtfertijgeilden  oder  nothwendig 
machenden,  $o  oder  anders  gestalteten  Glaubenstheo- 
rie, die,  indem  sie  das  Wissen,  -^  den  Empirismus 
einißs  Theüs,  wie  die  reinen,  aber  nur  im  Leeren  und  For- 
mellen verweilenden  Wissenschaften,  Mathematik  und  L<^ 
andern  Theils,  —  in  ihre  Schranken  weist,  als  ewig  nur 
im  Subjectiven  verweilend,  nicht  aber  die  Wahriieit  selbst 
erkenuend  —  eben  dadurch  dem  Unmittelbaren  in  des 
liensQhen  Gemuth  eine  tiefere  Bedeutung,  Gewicht  und 
Stimme  giebt.  Je  mehr  daher  das  Wissen  sich  auf  das  Ne^ 
gative  zurückgeführt  sieht ;  desto  starker  rouss  die  u  njn  i  l- 
telbare  Ueberzetigung  von  den  höhern  Wahrheiten 
sich  geltend  machen,  die  allerdings  unerweislich  (wodurch 
sie  wieder  zum  Wissen  herabsänke),  aber  eben  dadurch 
als  ein  ganz  eigenthumliches ,  jenseits  des  gewöhnlichen 
Wissens  liegendes,  uumittelbares  Erkenntntssvermög^n  sich 
kund  gißbl,  das  jenem  seine  Ei^anzung  und  Erfüllung  zu 
geben  vermöchte. 

Wie  diese  Ansicht,  nüt.  bestipunfter  fioziignahme   aoT 


und  Nouincna.  339 

die  Ja  CO  bische  Ph^osophie,  sich  za  einer  Porlselzun^, 
und,  wie  behauptet  worden,  zn  einer  Vollendong  der  K  a  n- 
ti  sehen  Vemanftkritik  fortgestaitet  habe,  davon  wird  spater 
zu  reden  sein.  Hier  ist  noch  bestimmter  ku  gedenken, 
wie  Kant  selber  stellenweise,  rorzäglich  nach  einzelnen, 
nachher  zurückgenommenen  Winken  in  der  ersten  Aus- 
gabe seiner  Kritik  der  reinen  Vernunft  (▼.  J.  1781.)^  das 
Verhaitniss  der  „nifinomena^  und  „Noumena«,  miMiin  der 
sinnlichen  und  der  ufoersitmlicheft«  Welt  zu  einander  fest- 
stellt und  behandelt,  welches,  wenn  man  das  darin  Zuge- 
standene erwagt  und  in  semer  Konsequenz  verfolgt,  einen 
gfanz  unerwarteten  Vorblick  giebt. 

Dass  wir  „menschlicher^  Seits  nämlich  immer  nur  die 
Phänomena,  nie  aber  die  Noumena,  crketmen  können, 
—  weldie  vielmehr,  wie  Kant  in  der  sogleich  zu  ent- 
wickelnden Lehre  von  der  Vernunft,  als  dem  „Ver*- 
mögen  der  Principien^  nachweist,  hur  als  Ideen, 
»priorisch-transscendentaie  Principte'n,  dem 
Verstände  vorschweben,  um  ihn  in  allem  Erftihmngsge- 
braoche  anzutreiben  und  zu  beleben;  —  diess  liegt  nach 
Kant*s  zwar  auch  ausdrdcklich  erklärter  Ansicht,  noch 
mehr  aber  durch  seine  ganze  in  der  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft herrschende,  bloss  reflektirende,  und  somit  aber  das 
Faktische  nie  zur  Nachweisimg  seiner  Nothwendigkeit  sich 
erhebende  Methode  begründet^  durchaus  nicht  in  einer 
Apriorischen  Nothwendigkeit,  in  dervon  seinem 
Begriffe  ganz  unabtrennlichen  absoliiten  Natur  des  Er- 
kennens  oder  Bewusstseins  überhaupt^  sondern  es  wird 
<^en  nur  als  die  thatsächliche  Beschaffenheit 
unsers  Eiiienncns  bezeichnet.  Unser  Bewnsstsein,  das  « 
eben  dadurch  zu  einem  „menschlich  beschränkten^, 
zu  einem  faktisch  „so  eingerichteten^  wird,  kann  sich 
dieser  Schranken  schleclitenlings  nicht  entschlagen.  Mit 
Bf  nein  Worte:  Kant  behauptet  nicht:  schlechthin  apriori^ 
zufolge  seines  allgemeinen  Begriffes  muss  alles  Erkennen 
überhaupt  von  so  beschränkter  Natur  sein',  —  vielmehr, 
^t'nn  von  Schranken  gesprochen  wird,  ist,  nach  Hegels 


230  Id<3e 

• 

treffender  Bemerkung')  über  die  Sdiraidten  sdion  hinausge- 
gangen worden ;  -^  der  höhere  Begriff  ehies  tilerdings  die 
Dinge  an  «oh  anschauenden  (intuitiven),  den  Noomenis  im- 
manenlett  Erfcennens  isl^auch  für  Kant  der  einzig  wahre 
und  rechte  i  diess  Micki  deuUii^h  hiadorch  und  i¥ird  auch 
sehen  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  indirekt  ausge- 
sprochen,  indem  er  sein  Botretensein  gor  nidil  verbirgt, 
dass  es  faktisch  mit  dem  menschlichen  Erkennen  sii'h 
anders  verhabe :  ja  be^ondörs  in  der  ersten  Ausgabe  fehlt 
es  gar  nicht  aa  simureioheQ  Austegungsweisen  und  Ana- 
logieen,  wie  sich  die  Megliehkeit  eines  seichen  hohem  Be- 
wusstseins  denken  lasse. 

Diese  morkwördige,  als  Grundanstoht  im  Hinlergnmdc 
bleibende,  aber  darum  aioht  weniger  in's  Ganxe  der  K  a  n- 
t  i  sehen  Erkenntmsstbeorie  eingreifende  VoraussetEung  ge- 
winnt nun  erst  weit  spater,  in  der  Kritik  der  teleo- 
iogischen^Urtheilskraft,  positive  Bedeutung.  Auch 
hier  wäre  nanilich  das  eigcntlieh  zu  Ta^e  koanmende  Re- 
sultat  so  auszusprechen :  das  „menschliche^  Bewusstsein,  wie 
es  faktisch  sich  gegeben,-  ist  nicht  das  seinem  Begriffe 
adäquate  und  ihn'  erfüllende;  wobei  freilich  die  doppeMe 
Frage  unerledigt  bleibt,  theils  ob  es  sich  wirklich  damit  so 
verhalte,  theils,  falls  diess  zugegeben  werden  müsste,  was 
der  Grund  —  sei  es  dieser  Deterioration ,  sei  es  einer 
ursprünglichen  Ungenüge  sein  möge?  Allerdings  müssen 
wir  jedoch  bekennen,  dass  auch  die  Philosophie  nach  Kant 
bisher  sehr  weit  davon  entfernt  geblieben  ist,  diese  Fragen, 
welche  in  Kant  ohne  Zweifel  vorbereitet  liegen,  gerade 
so  aufzunehmen  und,  also  gesteiH,  einer  weitem  Untwsn- 
diung  zu  unterwerfen. 

Bei  Kant  selbst  verhält  es  sich  mit  jenem  Grundsätze 
folgendergostalt  (Kr.  der  Urtheilskraft,  2te  Ausg. 
IL  Abtheilung:  Dialektik  der  teleologischen 
Urtheiiskraft.  S.  211—344.):  Der  menschliche  Ver- 
stand ist  in  Bezug  auf  die  Natur,  als  das  sinnlich  vrahr- 
nehmbarc  Weltganze,  in' einer  Antinomie  befangen,  welche 
ihm  selber  unübcrstciglich  ist,   wiewohl  es  doch   in 


eines  utuitiTen  Erkennens.  231 

Wabrheil  bei  dieser  Anlinomie  nicht  bleiben  kann.  Wir 
Glücken  in  aller  Natnrverindenuig  nnr  eine  mil  mecha- 
nischer Nothwendigkeit  wirkende  Reihe  vonNalur- 
ursachm :  nirgends  tritt  thatsachlich  das  Einwirken  ein^ 
freien,  einen  Endzweck  sich  setzenden,  intelligenten  Ursa- 
che hervor.  Diess  f&hrt  auf  den  Einen  Satz  der  Antino- 
mie: »Alle  Erzeugung  materieller  Dinge  ist 
nach  bloss  mechanischen  Gesetzen  mögli-ch<< 
(erklärbar). 

Aber  in  einigen  Natorwesen  zeigt  sich  in  der  That  eine 
innere  Zwackverfcnupfimg,  ein  Endzweck  realisirt;  wir 
können  ans  ihr  Dasein  nicht  erklären,  ohne  in  dem  me- 
chanischen Ablaufe  ihrer  Veranddrongen  einen  Endzweck 
als  zu  Grunde  liegend  anzunehmen.  Diess  begründet  den 
andeni  Satz  der  Antinomie:  „Einige  Erzeugung  ma- 
terieller Dittgeist  nach  bloss  mechanischen 
Gesetzen  nicht  roöglich^^  (erklärbar).  Beide  Sätze 
stehen  in  offenbarem  Widerstreite,  und  dennoch  können  wir 
keinen  derselben  aufgeben ,  d.  h.  es  bleibt  für  uni^ere  £r- 
kennlniss  unbegreiflich,  wie  die  mechanische  Wirkung 
sogleich  teleologisch  sein,  einen  Zweck  realisiren 
könne. 

Wohl  aber  ist  es  denkbar ,  dass  ein  höherer  Ver- 
staad  allerdings  das  zusammenbringen  und  in  Einheit  be- 
greiCen  kann,  was  wir  nur  als  auseinAnderliegcnd  zu  fassen 
vermögen,  den  Naturmechanismus  und  die  auf  einen  End- 
zweck gerichtete  Thätigkeit :  und  diess  zwar  ist  um  so  mehr 
denkbar,  je  mehr  wir  unser  Unvermögen  in  dieser  Hinsiclit 
nor  als  die  besondere  Einrichtung  unseres 
(menschlichen)  Verstandes  anzusprechen  berechtigt  sind. 
(8.  345.  46.) 

Wenn  diess  aber  ist,  so  muss  hierbei  die  Idee  von 
einem  andern  möglichen  Verstände,  als  dem  menschlichen, 
zu  Grunde  liegen,  damit  man  sagen  könne :  dass  zwar  für 
ttnsern  Verstand  gewisse  Naturprodukte,  als  absichtlich 
and  durch  Zwecksetzung  erzeugt ,  erscheinen  müssen, 
ohne  doch  zu  verlangen^  dass  es  iur  sie  eine  solche  nach 


232  Koasequonz  davon 

Zyrtdkßn'    sich  besUinmendc  Ursache  wirklich   gcbe^ 

r 

indem  ein  anderer,  höherer  Verstand,  als  der  menschliche, 
auch  in  Mechanismus  der  Natur  den  6nmd  der  Möglicb- 
keit  solcher  Naturprodukte  antreffen  könnte. 

Hier  nun  macht  Kant  einen  merkwürdigeii  RucUMick 
auf  die  Kritik  der  reinen  Vernunft.  Wir  müssen  hier  einen 
solchen  hohem  Verstand  der  Möglichkeit  nach  statuiren, 
«bcnso,  wie  wir  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  „eine 
andere  mögliche  Anschauung  in  Gedanken 
haben  mussten^  (—  von  der  freilich  dort  ausdrücklich 
Nichts  gesagt  wurde  — ),  „wenn  die  un^ge  ais  eine  b  e^ 
sondere  Art,  nämlich  die,  für  welche  Gegen- 
stande nur  als  Ers*chein  uBgen  gelten,  gchal- 
teil  werden  sollte.<<  (S. 346.)  •  Und  sobemcriit  Kant  denn 
sogleich  darauf diess  „als  eine  gewisse  Nothtoendig- 
keit  der  Bosch  affenheitunsers  Vcr  st  ah  des  ^, 
um  sie  als  die  Eigenthömlichkeit  desselben ,  scum 
Unterschiede  von  andern  möglichen,  sich  zu  bezeichnen. 

So  ist  denn  zuvörderst  klar,   was   wir  bohauptatcn: 
dass  Kant  gar  wohl  erkannte,  in  seiner  kritischen  llieorie 
aur  auf  Feststellung  der  Fakticitat  des  „menschlichen^' 
Bevvusstseins  ausgegangen  zu  sein^  nicht  aber  die  all  g  e- 
meine  Idee  desselben  erschöpft  zu  haben;   während  er 
diess,  einstweilen  als  menschlich  betrachtete,  Bewusstsein, 
stillschweigend  oder  ausdrücklich ,  möglichen  «adem ,  ho- 
hem Bewusstseinsfojrmon  ^itgegensetzte.     Sodann  ergiebt 
sich,  dass  er  von  der  „zufälligen^  (d.  h.  ihm 'Uner- 
klärlichen) Besdiaffenheit  dieses  menschlichen  Bewusstscins, 
wie  er  sie   in  seinen   Kritiken   volkiföndig  ergrundet   und 
festgestellt  zu  haben  glaubt,   doch  eigentlich  sehr  gering«- 
schätzig  urtheilt,   und  voll  ist  von  dem  Bekenntnisse  der 
Endlichkeit  und  dem  Ungenügenden   desselben.     Es  ent- 
spricht, wie  sich  der  gewissenhafte  Forsdier  nicht  verber- 
gen konnte,  keinesweges  seiner  Idee,  vielmehr  widerspricht 
es  dorselben;  und  dennoch  weiss  er  kein  Mittel^  diese  zu 
realisir^n,  oder  dem  durch  sie  erweckten  Bedürfnisse  in- 
n^^halb  dei*  Scliranken  des  theoretiseheu  Wissens  ein  Ge- 


för  Kant's  Theorie.    '  233 

« 
nuge  zu  thun.  Und  diegs  ist  das  Grosse  in  Kant's  Denk- 
weise, der  unbestechlich  redlidie  Scharfbiiek  seines  CSei- 
stes,  eher,  mit  der  Aneriienirang  jener  Schranken  und  der 
Ungenuge  des  theoretischen  Wissens,  die  Ungendge  seiner 
eigenes  kritisehen  Resultate  darüber  zuzugeben,  —  deni\ 
dass  Beides  am  Ende  wohl  zusammenfallen  werde,  konnte 
sich  der  tiefblickende  Denker  kaum  verbergen ,  —  als  di^ 
Majestät  jener  hohem  Idee  sdbst  anzutasten« 

Es  ist  bekannt,  wie  in  letzterer  Beziehung  seine  gros«- 
sen  Nachfolger  ihn  beim  Wort  genommen  haben,  indem  sie 
durch  Zertrümmerung  des  subjektiven  Scheines,  in  welchen 
sich  Kant  durch  seine  falsche  Raom-*  und  Zeittheorie,  wie 
in  einen  Zauberfcreis,  hineingdMinnt  hatte,  dasjenige  gerade^ 
was  er  iur  überfliegend  und  unerreichbar  b^eichnete,  ab 
den  Mittelpunkt  und  die  Gegmiwart  des  Seins  und  Wissens 
nachwiesen. 

Aber  noch  ein  and^i^r  Keim  einer  neuen  spdadativeii 
Weadong  ist  bisher  darin  unentwickelt  zarückgeblieben. 
Es  ist  jene  umviUkuhrlich  zugestandene  Idee  eines  ,,ni^- 
liehen  hohem  Bewusstseins^,  denn  das  „menschliche^  isl, 
welche  eben  desshalb  auch  uns  zur  Erklärung  hilft,  und 
die  Möglichkeit  begreiflich  macht,  wie  jenes  Weltganze,  in 
welchem  Mechanismus  oder  Naturnothwendigkeit  mit  freier 
Absicht  und  Zweckmässigkeit  Eins  werden  und  sich  durch- 
dringen ,  zur  Wirklichkeit  kommen  könne.  Um  aber 
diese  Grundthatsache  venständlich  zu  machen,  ist  es  desshalb 
u&eriasslich,  jene  Idee  des  hohem  Bewusstseins*  nicht  bloss 
eine  mögliche,  sondern  eine  schlechthin  wirkliche,  rea« 
Usirte  zu  nennen,*  realisirt  eben  in  dem  schöpferischen 
Grande  jenes  Weltganzen,  so  gewiss  und  weil  in  die- 
sem die  Einheit  von  Naturnothwendigkeit  und  Zweck  rea- 
lisirt ist*  Jener  nicht  blos^  „ menschlich  discursive^ 
Verstand  (S.  348.  49.) ,  der  schlechterdings  amr  im  Stande 
ist,  analytisch  von  den  Theilen  zum  Ganzen,  von  dem 
Bcsondem  zu  seinem  Allgemeinen  aurzusteigen ,  sondern 
der  schlechthin  „intuitive^  synthetisch  in  der  Ein- 
heit auch  alle  ihre  Bcsonderungen  und  Theile  zugleich  zu- 


234  Versland  und  Vörauiift. 

sammenfaMseade,  und  urbildiich  —  vorschöpferisch  —  ideen- 
bildende  Verstand  ^  —  er  rauss  e x i  s ti r e n ,  weil  seine 
Wirkung  dem  discursiven  Erkennen  umniUeliiar  voriiegt, 
welches  seibsl  nicht  einmal  im  Stende  wäre,  die  Theile 
pder  Besonderheiten  der  gegebenen  Dinge  imter  gewisse 
(subjektive)  Allgemeinheiten  zu  sammeln,  wenn  nicht  der 
Urakt  einer  IntelUgenz  vorausgegangen  wäre,  der  in  ihnen 
die  Einheit  und  Allgemeinheit  eines  Gedankens  realisiit 
hätte. 

Diess  die  fernere  von  hier  aus  zu  aehmende  Konse- 
quenz, welche  für  einen  so  weit  vorgeschrittenen  Idealis- 
mos  fast  unabweislich  ist,  und  welche  die  Idee  emer  spe- 
kulativen Theologie,  als  einer  nun  nicht  mehr  übei-Bi^en- 
den  oder  transscendenlen  Wissenschaft,  uns  eröffnet,  zu- 
gleich in  dem  näheren  interessanten  Siime,  dass  der  BegrüT 
jener  Urintelligenz  der  Idee  derselben  weit  näher  liegt  ond 
von  seihst  sich  aufdrängt,  während  der  empirisch  gegebene 
Begriff  des  gewöhnlich  menschlichen,  ui  die  Schranken  des 
discursiven  Erfahrens  eingeengten  Bewusstseins  im  Gegen- 
theil  als  der  innerlich  unwahre  und  unangemessene,  —  viel- 
mehr nicht  sein  sollende,  — -  unerwarteter  und  denk- 
würdiger Weise  sich  bewahrt  — 


Durch  diesen  Vorblick  über  die  Resultate  der  Kan- 
tischen KAGk  der  reinen  Vernunft  hihaus  haben  wir  uns 
zugleich  ihr  eigenes  Verständniss  erleichtert;  wir  können 
daher  in  noch  umfassenderer  Uebersicht  in  ihr  weiter  gehen. 

Den  Verstand  mit  seinen  apriorisdien  Giundsälzen 
können  wir  das  Vermögen  der  Regeln  nennen,  in- 
dem jene  Grundsätze  eben  nur  als  Regeln  des  richtigen 
Brfahrungsgebrauchs  Geltung  und  Bedeutung  gewinnen.  Aber 
dieser  Gebraudi  selbst  ist  unbegränzt ;  der  Verstand  kann 
daher  sein  einzelnes  bedingtes  Erkennen  in*s  Unendli- 
che erweitem,  und  durch  umfassendere  Schlösse  sich  zu 
immer  allgemeineren  Bedingungen  erheben.  Offenbar  strebt 
er  dabei  die  letzte,  die  Urbcdingung  an,  die,  als  solche, 


M^  einer  Wis&ensrchaft  vom  Unbedingten.         Ü35 

nicht  mehr  durch  Höheres  bedingt ,  sondern  das  Unbe- 
dingte sdbst  ist.  Der  Grundsatz  alles  wisseiischafliicben 
Verslandesgebrauchs  würde  daher  sidi  so  avsdröeken  las- 
sen: ^Snche  zu  allem  Bedingten  das  Unbe- 
dingte ant^ 

Das  Unbedingte  wäre  das  Ziel,  das  Princip  (nicht 
mehr  die  apriorische  Regel)  desVerstandeiigebrauchs:  das 
Unbedingte  mnss  daher  in  einem  andern,  h^em  VenmH 
gen  des  Bewusstseins,  als  der  Verstand  ist,  in  der  Ver* 
n  H  n  f  t  (im  engem  Sinne) ,  seinen  Sitz  haben ;  und  wenn 
irir.  den  Verstand  das  Vermögen  der  Regeln  (das  Er«- 
kennen  nach  den  Kategorieen  und  den  daraus  entwickelte» 
apriorischen  Grundsätzen)  nennen  können;  so  wäre  die 
Vemunfl  als  das  Vermögen  der  Principien  zu  be- 
zetchaen,  als  die,  welche  den  Verstandesgebrauch  ewig 
belebend,  ihm  sein  „Ideal<<,  die  Idee  seines  Unbeding- 
ten YorstcUt.  Die  Frincfpicn  sind  also  zn^eich  die  V  e  r^ 
nunftideen  zu  nennen,  indem  sie  nicht  aus  Brfabrung 
entlehnt,  noch  in  ihr  zu  finden  (zu  belegen),  sondern 
wahriiaft  ins  Unendliche  hin  vom  Verstände  gesucht, 
angestrebt  werden ,  wahrend  schlecht^dings  keine  ihnen 
„congmente^  Erfahrung  gegeben  werden  kann. 

Dadurch  wäre  aber  erklärt,  wie  überhaupt  nur  die 
Idee,  der  Entwurf  einer  philosophischen,  alle  Erfahrung 
i9>er£Begenden  Wissenschaft  entstehen  konnte,  die  eben 
das  Unbedingte  a  priori  zu  erkennen  sich  zur  Aufgabe 
setzt.  Diese  ist  indess  in  dreifacher  Beziehung  möglich,'  in- 
dem zuerst  das  Unbedingte  der  mannichfaltigen  Erschei- 
nungen des  Bewusstseins  -^  die  Idee  der  absolut«!  Ein- 
heit des  denkenden  Subjekts,  -^  das  der  erscheinenden 
Seele  zu  Grunde  liegende  Dmg  an  sich,  —  aufgesucht  wird: 

—  die  Aufgabe  der  rationalen  Psychologie;  ^  so- 
dann das  Uni>edingte  der  objektiven  Welt  der  Erscheinung, 

—  Idee  des  Unbedingten  alles  Objektiven :  —  Aufgabe  der 
rationalen  Kosmologie,  —  endlich  das  Unbedingte 
alles  Daseins  schlechthin',  —  Idee  der  Einheit  der 
Bedingung   aller  Gegenstände  desBewusst- 


236    oinor  rationalen  Psychologie,  mit  ihren  Paralogismcn  ; 

scins  überhaupt:  —  Aufgabe  der  rationalen 
Theologie.  Ditss  ist  der  subjektive  Ursprung  der 
Ideen  jener  emzelnen  philosophischen  Wissenschaften,  die 
aber  als  Ideen ,  „denen  kein  congruentes  Objekt  gegeben 
werden  kann^' ,  ewig  nur  Probleme  der  Vernunft  sind* 
(Vgl.  S.  393.)  , 

Wir  brauchen  namiieh  bloss  auf  die  innere  Oekonomie 
unseres  Bewusstseins  zurückzublicken,  um  einzusehen,  dass 
jene  Ideen  schlechthin  überschwanglich  für  ims  Mciben 
müssen.  Sie  waren  das  Ding  an  sich  für  die  cin» 
zelnen  Erscheinungen;  aber  eben  joies  zu  erken- 
nen, fehlen  dem  Bewusstsein  alle  Elemente. 

So  ist  der  rationalen  Psychologie  immer  nur  die  er- 
scheinende Seele  gegeben,  nicht  das  Seelenwesen  an 
sich.  Diese  erscheint  beständig  sich  selbst;  aber  eben  weil 
sie  nur  erscheint,  bleibt  sie  in  ihrem  Ansich  sich  sel- 
ber ewig  unbekannt  Auch  hier  nämlich,  wie  bei  dem  in 
Baum  und  Zeit  erscheinenden  Dinge  an  sich,  fielst  Kant 
die  Sache  &o ,  dass  die  Erscheinung  verhüllend  sich 
zwischen  den  Blick  des  Ericennens  und  des  zu  Erkennen- 
den steUe:  sich  erscheinend,  verbirgt  sich  eben  damit  das 
Scelenwcsea  vor  sich  selbst.  —  Die  Verwechslung  der 
blossen  Erscheinung  mit  dem  Wesen  erzeugt  aber  hier 
eine  Reihe  von  Paralogismen,  deren  Täuschung  die 
Kritik  dadurch  aufzudecken  weiss,  dass  gezeigt  wird,  wie 
wir  kein  Recht  haben,  von  dem  Subjekte,  wie  es  uns 
erscheint,  einen  Schhiss  auf  das  ihm  zu  Grunde  liegende 
Ding  an  sich  zu  machen,  und  z.B.,  weil  das  Selbstbe- 
wusstsein  eine  numerische  Einheit  ist,  auf  die  innere  ob- 
jektive Einheit  oder  Einfachheit  des  Seelcnwesens  zu  sohlies- 
scn.  Aber  auch  umgekehrt  ist  der  Schluss  auf  die  Ab- 
hängigkeit des  Seelenwesens  von  materiellen  Bedingungen, 
weil  die  Erscheinung  desselben  diese  uns  zeigt,  unbe- 
rechtigt: Spiritualismus,  wie  Materialismus  ha- 
ben gleich  wenig  Ansprüche  auf  dogmatische  Gültigkeit.  — 
So  werden  denn  dadurch  die  bisherigen  Streitigkeiten  des 
Dogmatismus  über  das  Wesen  der  Seele  zu  einem  gewalt- 


einer  rationalen  Kosmologie,  mtt  ihren  Antinomiccn.    ftSJ 

smum  FHeden  gebracht  Alle  TarteieD  mtesfen  verstai« 
men ;  denn  jede  derselben,  mit  ihren  widerstreitenden  Be* 
haoptungep,  ist  in  gleichem  Unrechte,  wenn  ihre  Satze  vom 
Dinge  an  sich  gelten  sollen.  Und  so  verliert  nii  der 
Bedeutung  seiner  Proble9ie  dieser  SIreil  auch  alles  wissen-» 
schaflliche  Interesse.    (Bis  S.  432.) 

Ebenso  verwickelt  die  rationaleKosmoJogie  sich 
alsbald  in  die  Schlinge  entgegengesetzter  Behauptungen^ 
die,  da  jede  derselben  mit  Gründen  vertheidigt  werden 
kann,  die^sich  di^  Gleichgewicht  halten,  einen  Wi-* 
derstreit  in  der  innem  Gesetzgebung  der  Vernunft  (eine 
Antittomie)zu  verrathen  scheinen.  Die  Ansichten  vom 
Weitganzen  als  eines  ewigen  —  oder  zeitlich  an« 
fangenden:  ab  eines  begränzten  —  oder  onbe-» 
grunzten:  —  als  intensiv  endiichen  oder  nnend-^* 
liehen:  —  als  eines  allein  der.  Naturnothwendig'* 
keil  unterworfenen,  oder  auch  eine  Causalitat  aus  Frei«* 
heit  zulassenden:  als  zurückzuführen  auf  ein  schlecht- 
hin nothwendiges  Wesen,  oder  diese  Zurück- 
führnng  nicht  durchaus  fordernd,  — >  alle  ins^ 
gesäumt  können  sich  bekämpfen  mit  gleich  gewichtigen 
Gründen;  und  nur  das  überwiegende  theoretische  oder 
praktische  Interesse  der  Vemimß  wäre  es,  was  sie  bei 
einer  rinzebien  dieser  Fragen  bewegen  konnte,  (ur  die  eine 
oder  andere  Ansicht  Partei  zu  nehmen«    (Bis  S.  503.) 

Aber  auch  hier  löst  der  transscendentale  Idealismus 
die  Bedeutung  dieses  Widerstreites  ^  wenn  er  den  Wi- 
derstreift selbst  auch  nicht  aufheben  kann.  Alle  Begriffe, 
zeigt  er,  mit  denen  hier  gestritten  wird,  gelten  nicht  vom 
Dioge  an  sich,  welches  der  Welt^rscheinung  zu  Grunde 
liegt,  sondern  nur  von  der  Erscheinung  selbst:  die  ganze 
Sphäre  also ,  in  welcfier  der  Streit  geführt  wird ,  hat  gar 
keine  objektive  Realität.  So  kämpft  man  eigentlich  um 
Nichts ,  indem  man  das  wahre  Erkennen  (des  Realen,  des 
Wesens)  um  Nichts  fördert.  Indess  kann  dem  theoreti- 
sehen  Geiste ,  bei  seinem  unüberwindlichen  Hange  zu  do- 
gmalisiren,  seinen   nur  subjektiv  gültigen  Begriflen  Objekti- 


238  Die  Antinomieen. 

vilü  zaanachteSben ,  <ier  Kampf  seilMrt  nidit  gewelirt  wer- 
den ^  da  in  der  That  jede  der  Parteien  gleich  gewichtige 
Grinide  für  ihre  Sache  anzuführen  vermag:  nur  an  aüer 
Bedeuinng,  wie  an  allem  Interesse  muss  er  vertieren ,  so- 
bald die  Entdeckung  gemacht  ist,  dass  er  eigenäich  nm 
Nichts  geführt  werde.*) 

Aber  auch  zugegeben  jenen  transscendentalen  Schein, 
ngegeben  die  objektive  Bedeutungslosigkeit  aller  jener 
Begriffe,  was  haben  wir  eigentlich  dadurch  für  die  Haupt- 
frage gewonnen?  Nur  diess,  dass  das  Antinomische,  der 
BOthwendige  Widerstreit,  statt  in  die  Objektivität 
versetzt  zu  werden,  in  uns  selbst,  in  unsern  innersten 
Bewusstsein  walten  soll.  Aber  wie  können  Widerspruche 
Uess  dadurch  ihre  Kraft  verlieren,  dass  man  uns  nachweist» 
sie  seien  subjektiv-unvermeidlich?  Werden  sie 
dadurch  nicht  viehnehr  noch  dringender  und  gefährlicher, 
indem  sie  nicht  mehr  in  dem  Aeusserlichen  der  Objektivi- 
tät verweilen,  wo  sie  vieldeutig  sind  und  dahii^festeiit 
bleiben  können  f  sondern  unsere  eigene  Natur  anlasten  7 
Jetzt  müssen  wir  sie  auflösen,  oder  der  Charakter  der  Ver-r 
nunft,  Harmonie  und  Vollendung  in  allen  Theilen  der  Er- 
kenntniss  herzustellen,  geht  unwiederbringlich  verioran. 
Kurz,  es  tritt  hier  dasselbe  Hissverhältniss  hervor,  das  wir 
schon  in  der  K  a  n  t  i  sehen  Lehre  von  Zeit  und  Raum  auf- 
deckten ,  wenn ,  um  die  in  jenen  abstrakten  BegrilTen  lie- 
genden Widerspruche  zu  lösen,  sie  für  subjektive  Formen 
des  Bewusstseins  erklärt  werden.  —  Und  welche  Ansicht 
wird  mis  hier  erst  geboten!     Eine  theoretische  Vernunft 


*)  Der  Rern  des  ganzen  Raitonnements  ist  in  den  Worten  ent- 
halUrt  (S.Ö290:  »»E«  bleibt  also  kein  Mittel  übrig,  den  Streit 
gründlich  und  zur  Zufriedenheit  beider  Theile  fea  endig«« 
(weil  die  Klarheit  auf  beiden  Suiten  gleich  ist) »  als  dass,  da 
sie  einander  docli  so  schön  widerlegen  können ,  sie  endlich 
überfuhrt  werden,  dass  sie  um  Nichts  streiten,  und  ein 
gewisser  transscendentaler  Schein  ilinen  da 
eine  Wirklich k|eitvorgenialt  habe,  wo  keine  an- 

.  tntreffen  ist.« 


Die  Antinomieen.  339 

wind  aiil)|resleBt)  der  eine  noihwendig  widers^trei« 
teade  Gegenvenranft  zur  Seite  tritt,  und  zwar  nicht  in 
unwichtigen  Fragen ,  sondern  in  den  höchste  PnAüdoien 
des  firkennena ,  in  der  Untersochmig  über  Freiheit  und 
Notfaweitdigfceit ,  über  das  Absolute ,  ober  das  Wesen  des 
Weitganzen*  Und  als  letzte  Entscheidung  über  diesen  Wi<« 
derstreit  die  Behauptung,  dass  derselbe  unvermeidlich  und 
uneatscheidbar  sei,  dass  also  die  Vernunft. selbst  —  die 
absohile  Entsdiciderinn  aller  Friigen  und  harmonische  Aus- 
gleicberinn  aller  Gegensätze  —  in  unheilbarem  Kampfe  mit 
sich  selb^  berufen  sei.  Aber  zum  Glücke  gehe  derselbe 
aus  bloss  subjektivem  Seh  eine  hervor;  er  werde 
un  Nichts  gefuhrt ,  weil  in  dieser  Region  eben  üur  die 
V^nunfl  Nichts  mehr  anzutrei&n  sei.  —  Damit  hat  sieh 
eben  d^  Widerspruch  ausser  uns 5  nur  in  einen  in  uns 
verwandelt:  seien  alle  jene  Begriffe  auch  bloss  von  sab* 
jektiver  Bedeutung,  die  antinomisch  sich  gegenseitig  auf 
!tall  reduciren ;  so  müsste  zum  Mindeste  doch  erUärt  wer-«* 
deg^  wie  auch  nur  im  Subjektive«  <fieser  ewige  Selbslwi^ 
derspmch ,  dieser  nie  ruhende  Hader  gegen  sich  selbst 
deiriÄar  sei^  —  vor  AHem,  wie  der  allgemeine  Charakter 
der  Vernunft  sich  damit  ausgleichen  lasse. 

Mckt  man  aber  genauer  hin  auf  den  Inhalt  der  An« 
tinomiera ;  so  kann  man  sie  keineswegs  für  die  letzten 
Ausspräche  der  (phikMopbirenden)  Vernunft  überhaupt  an« 
erkennen,  die  hier  in  einem  unvermeidlichen  Widerstreile 
gefangen  wftre,  vielmehr  nmr  19r  beschränkte  Ansichten 
der  Vorstellung,  die  mva^t  nur  die  Eine  Bestimmung  setzt, 
ohne  zu  den  nothwendig  ergänzenden  andern  ^rtgehen  zu 
woQen,  und  welche  eben  die  Vernunft  zu  bmcktigen  hiHe, 
die  daSier ,  wed^  mit  sich  selbst  noch  mit  jenen  niedem 
Standpunkten  im  Widerstreite,  hier  ihrem  eigentlichen  Cba«- 
rakter  treu  bleibt,  jene  einseitigen  Gegensätze  von  einem 
hohem  Standpunkte  aus  über  sich  selbst  zu  ver- 
stfindigen. 

,,Das  Weltganze  ist  unbegrahzt  im  Räume 
und  ohne  Anfang,  wie  ohne  Ende  In  der  Zeit: 


240  Die  AntiiiotfkieeiL 

^oietes  igt  begränzi  in  beiderleiRtlcksicht.'' 
Eben  an  der  gegenseitigen  Wideriegung  und  an  dem  xo- 
letsl  gan2  negativen  Resultate  (Weder  —  Noch)  zeigt  sich 
dasursprungiich.  Unangemessene  des  ganzen  Gegas- 
satzes j  keiner  von  beiden  istdas  Wahre»  weil  gleich  urspribig- 
lieh  keine  jener  Bestimmungen  allein  und  ohne  die  andere  auf 
den  betrachteten  Gegenstand  angewendet  werden  kann.  — 
Kaum  und  Zeit,  nach  denen  hier  gemessen  und  bestimmt 
werden  soll,  sind  selbst  Nichts  an  sich,  sondern  nur  der 
Ausdruck  der  absoluten  Realität ,  des  ewigen ,  innerlich 
unendlichen  Seins.  Ewige,  unendliche  Dauer  in  innenn 
Wechsel,  unendliche  Eatfaltung  innerer  Kräfte  ist, 
und  ist  das  einzige  Sein,  aber  nicht  in  Raum  und  Zeit; 
als  wenn  beide  möglicher  Weise  noch  hinansreichen 
konnten  aber  ihre  Erfüllung :  — *  sondern  das  „WellganzeS 
das  AO  ,  welches  eben  darum  keine  Realität  ausser  sich 
hat,  dmreiidie  es  begränzt  werden  konnte,  bestimmt 
und  begränzt  sich  ebenso  selbst  ins  Unendliche,  ist 
bestimmt  erfüllter  Raum  und  Zeit  — ,  als  es  über  jede 
solcbo  Insichbestimmtheit  hinausgeht,  und  das  eigene  Jen- 
seits derselben,  ebenso  endlich,  und  unendlich  ist,  —  so 
dass  in  keinerlei  Hinsicht  nun  iU)erhaupt  nur  gefragt  wer- 
den könnte,  ob  es  entweder  als  endlich  oder  als  unend- 
lich zu  denken  sei.  Erst  wenn  man  Einzelnes  misst 
-^  "begränzt,  geschieht  diess  innerhalb  von  Raum  uiMl  Zeit; 
und  in  diesem  Sinne  entstehen  erst  beide,  erscheinen 
als  von  ihrer  Realität  abgesonderte  Formen  und  Bestim- 
mungen: --»  der  Raum,  als  die  ruhende  Umgränzung 
des  einzelnen  Daseins ,  die  man  nun  freilich ,  abgesehea 
von  diesem  Einzehicn,  ins  Unbedingte  ausdehnen  kann ;  die 
Zeit,  als  Dauer  des  Einzelnen,  die  nun  aus. demselben 
Grunde  unendlich  verlängert  gedacht  werden  kann.  Das 
Sein  an  sich  selbst  aber,  in  Bezug  auf  welches  Zeit  und 
Raum,  als  abstrakte,  alle  ihre  Bedeutung  verlieren,  kann 
offenbar  nach  ihnen,  weder  auf  die  eine,  noch  auf  die  entge- 
gengesetzte Weise  bestimmt,  d.  h.  gemessen  werden ;  Bei- 
des bleibt  ihm  eine  gleichmäfisig  inadäquate  Bestimmung.  — 


Die  Aniinoiriiccn.  241 

^Allcs  isl  durchaus  der  Ndturnolhwen« 
(iigkeiC  unlerworfen,  oder:  Neben  jener  fin- 
det auch  noch  eine  Causalität  durch  Freiheit 
s  l  a  1 1  ^^  —  Hier  bombt  Alles  auf  der .  Ceben  durch .  Ver^ 
nunfleftenntniss  zu  berichtigenden)  Vorstelittng  von  dem 
unüberwindlichen  Gegensatze  der  Freiheit  und  Nothiiren- 
digkcit.  Kant  begreift  alle  NotfawendigketI  nur  als  todl 
mechanische,  dem  Dinge  von  Aussen  kommende,  alsbJkid 
wirkendes  Naturgesetz,  das  fatalistisch  Eines  aus  dem  An^ 
dem  bestimmt:  Freiheit  dagegen,  als  das  schlechthin  WiU- 
kuhrlidie.  Losgerissene  von  diesem  ausserlich  gesetzlichen 
Zusammenhange,  welches  die  Kette  fatalistischer  Wirkun-» 
gen  durchbricht,  und  gleichsam  auf  eigene  Hand  zu  schal-^ 
Ion  vermag :  ihm  ist  Freiheit  die  abstrakte  Möglichkeit  des 
Entgegengesetzten ,  und  ei*  kommt  über  den  BegriiF  der 
Willkuhr,  des  schlechthin  bcstimmunglosen ,  zufallig 
sich  entscheidenden  aeqnüUnü  nicht  hinaus.  Und  beide 
Begriffe  also  gofasst,  ist  es  in  der  That  schwer  zu  ent- 
scheiden, wcldie  Ansicht  für  verkehrter  und  geistesverderb-- 
lieber  zu '  halten  sei ,  die  Vorstellung  einer  allbestimmen« 
den^  Uindmechanischen  Natumolhwendigkeit ,  oder  die 
Einbildung,  dass  die  ewige  Ordnung  der  Dinge  durch  ein-^ 
jrreifemle  Willkuhr  irgendje  gebrochen  werden  könne.  Und 
dennoch  schwanken  die  gewöhnlichen  —  auch  philosophi- 
Rchen  Ansichten  fast  immer  nur  zwischen  diesen  beiden  Aus- 
schliesslichkeiten hin  und  her,  ja  die  Einen  erklären  endlich 
wohl  sogar,  durch  das  Wechselspiel  dieses  Zweifeins 
ermüdet,  es  sei  überhaupt  ein  unerforschliohes  Geheimmss^ 
wie  Freies  und  Nöthwendiges  innerlich  zusammenhangen, 
während  die  Andern ,  an  der  Lösung  des  Gegensatzes  sich 
\orsQchend,  nicht  selten  in  der  Alternative  zu  scheitern  in 
Gcfiihr  sind,  entweder  die  Freiheit  dicht  an  die  immanente 
Nothwcndigkeit  heranzuziehen,  und  kaum  über  sie  zu  erbe- 
h\m^  oder  im  Gegentheil  sie  zu  nahe  an  den  leeren  Begriff 
der  (grundlosen)  Willkuhr  anstreifen  zu  lassen.  —  Aber 
auch  hier  tritt  die  Yernunnerkenntniss  ordnend  und  be- 
richtigend dazwischen,  indem  sie  zuerst  den  äussern  Ge- 

IG 


242  Die  Antinomicen.  ' 

g^nsatz  von  Freiheit  und  Moihwendigkcit ,  als  geg^cn^eilig 
steh  ausschliessender  Begriffo  aufhebt,  und  Beides,  als  nor 
der  Wesensstufe  nach  von  einander  verschieden,  auf- 
weist —  Alles  ist  individuell,  —  ans  innerer  Anlage 
nnd  nach  eigenem  Maass  sich  entfaltend:  diese  Anlage, 
dieses  innere  Maass  alles  Daseins  ist  sein  Gesetz,  die 
mveitruchliche  Nothwendigkeit,  die  jedem  Wesen 
gleicher  Weise  zu  Grunde  liegt  Indem  es  aber  eben  also 
aus  sich  selbst  sich  entfaltet,  aus  sich  ist,  vras  es  wird; 
ist  dadurch  dasjenige  Element  in  ihm  gesetzt,  was  in  dea 
hohem  Formen  des  Daseins  die  Freiheit  ist  D^ui  eben 
hieraus  entwickelt  sich  die  bewusste  Individualität,  der 
Geist,  dazu,  freie  Persönlichkeit  zu  sein.  Seine 
Freiheit  ist  die  unmittelbare  Selbstbestimmung  aus  seiner 
innem  Anlage  her,  das  Handeln  aus  den  Gesetzen  seiner 
Natur ;  und  auch  die  wildeste ,  ausschweifendste  Willkübr 
des  Me;nschen  ist  nicht  losgerissen  von  diesem  Bande  seiner 
innem  Natur,  vielmehr  ist  sie  noch  die  beschränkteste,  ge- 
fesseltste  an  die  engsten  Schranken :  sie  ist  jedoch  auch 
nicht  Unfreiheit,  todt  mechanisches  Wirken;  wolil  aber 
noch  Scheiqfreiheit,  Knechtschaft  unter  den  niedem 
Kräften  der  Leidenschaften  und  Triebe :  Knecht  aber  kann 
nur  sein  der  ursprünglich  und  innerlich  Freie.  Dagegen 
ist  die  wahre  (geistige)  F  r  e  i  h  c  i  t  nur  das  Handeln  aus 
der  ewigen  Anlage  des  Menschen,  ja  aus  der  mit  seinem 
Wesen  zusammenfallenden  innem  Nothwendigkeit  ^  und 
mit  absolutem  Unvermögen ,  anders  zu  sein  oder  zu  han- 
deln ;  worin  aber  eben  der  Mensch  den  wahren  VoUgcnuss 
seiner  Freiheit,  das  begeisternde  Gefühl  innerer  Harmonie 
und  Sicherheit  empfindet  *) 


*)  Für  wen  die  spekulative  Ausfiihrimg  dieser  Sätze  und  tler 
damit  verwaadten  UutrrstichungeQ  besonderes  Interes^te  habca 
sollte,  den  verweisen  wir  auf  die  Ontologie  (§.  195—202.) 
wo  es  versucht  worden  ist,  den  wahren  (zugleich  universalen) 
Begriff  der  Kreiheit  aus  dem  des  real  Möglichen  und  Noth« 
wendigen  zu  entwickeln. 

Anm.  z.  2ten  AufL 


Die  Anttnomieöi.  S43 

^Es  cxisiirt  überhaupt  kein  «chlechlhin 
nothwendiges  Wesen,  weder  in  der  Welt, 
noch  ausser  ihr,  als  die  Ursache  derselben; 
oder:  zur  Welt  gehört  Etwas,  das  entweder 
als  ihr  Theil  oder  ihre  Ursache,  ein  schlecht- 
hin nothwendiges  Wesen  ist.  << 

Was  ist  in  diesen  antinomischcn  Sätzen  Gott,  das  Un- 
bedingte? Ein  einzelnes  Ding  neben  den  andern, 
überhaupt  ein  Besonderes,  gleich  allem  Endlichen, 
nur  mit  der  auszeichnenden  Eigenschaft,  unbedingt  zu  sein, 
und  alles  Uebrige  aus  sich  selbst  zu  bedingen.  Daher  nun 
allerdings  die  Erörterung Aöthig  wird,  ob  er  in  der  Welt 
oder  aulsser  ihr,  als  ihr  Theil  oder  ihre  Ursache 
anzusehen  sei,  u.  dgl.  —  So  wird  denn  auch  in  den  fol^ 
genden  Abschnitten  der  Kritik  (^»^on  dem  Ideal  über- 
faaupt;<^  99^om  transscenden  taten  Ideal,<^  und  „von 
den  Beweisgründen  der  spekulativen  Vernunft,  auf 
(las  Dasein  eines  höchen  Wesens  zu  schliessen  <^ ;  S.  595 
—611.),  das  5,Ideal<*  des  ailerrealsten  Wesens  mit  je- 
nem Begrifle  in  Verbindung  gebracht,  und  versucht,  ob  sich 
die  Realität  eines  solchen  darthun  lasse.  Der  Gedanke 
davon,  sagt  Kant,  ist  freilich  in  der  Vernunft  enthalten, 
er  ist  sogar  ihr  höchstes  Ideal ;  aber  es  fragt  sich  eben, 
ob  sich  überall  ein  Reales  dafür  finden  lasse.  Also 
ganz  in  der  Art  wird  jener  Gedanke  behandelt,  wie  jeder 
empirische  Begriff,  den  wir  wohl  aufstellen  können,  dessen 
Realftat  zu  belegen  uns  aber  noch  besonders  zukommt. 
Wie  wenn  virir  also  z.  B.  die  Hypothese  von  Praada-^ 
miten*  oder  Mondbewohnem  aufstellten,  wir  aber  noch  be^ 
sonders  nöthig  hätten,  derselben  durch  einen  äusserlichen 
Beweis  ihre  Realität  zu  sichern;  so  verlangt  man  hier  noch, 
mitten  in  der  unendlichen  Wirklichkeit,  einen  besondem 
Beweis  für  das  Urwirkliche,  mitten  im  Lichte  zweifelt 
man  an  einem  stets  erneuerten  Urquell  desselben.  —  l«^rei- 
lieh  Idsst  sich  liun  bei  solcher  Ansicht  der  Sache  ohne 
Mühe  zeigen,*  wie  jener  (gleichsam  faktische)  Nachweis  im- 
mer unmöglich  bleibe,  weil  ja  nie  aus  dem  blossen  Begriffe 


044  Die  Antinomteen. 

auf  ein  Sein  geschlossen  werden  könne,  noch  weniger  aber 
ein  solcher  „hypo  stasirt^  werden  dürfe*):  wie  also 
der  ontologische  Beweis  sich  vergeblich  bemühe,  aus  dem 
(subjektiven)  Begriffe  des  allerreabten  Wesens  auf  dessen 
Existenz  zu  schliessen,  weil  Sein,  Existenz,  keine  Begriffis- 
realitat  oder  einzelne  Eigenschaft  sei,  sondern  die  Posi- 
tion eines  Dinges,  unabhängig  von  seinem  Begriffe ;  was 
nun  an  dem  bekannten  Beispiele  von  den  gedachte^  und  den 
wirklichen  hundert  Thalem  noch  femer  eiiautert  wird.  Der 
eosmologu»che  Beweis  sodann  vermag  nur  von  dem' Dasein 
zufiilüger  Existenz  auf  das  Dasein  eines  schlechlhin  Noüi- 
wendigen,  Unbedingten  überhaupt  zu  schliessen,  weldie 
leere,  ganz  bestimnrrangslose  Vorstellung  nun  nicht  ohne 
Weiteres  mit  dem  Begriffe  eines  allerrealsten  W^esens  ver- 
bunden werden  darf.  Kant  drückt  diess  so  aus,  dassder 
cosmologische  Beweis  in  seinem  weitem  Veriaufo  mit  dem 
ontologisehen  zusammentreffe,  demnach  in  den  gleichen 
Fehler  mit  jenem  verfalle.  Die Urbedingung also,  das  un- 
bedingte Allbedingende  ^-  denn  die  Noihwendig- 
keit  eines  solchen  aufisuweisen  ^  ist  ja  aben  der  Nerv  des 
cosmologischen  Beweises  —  könnte  Kant  sich  auch  unter 
einem  andern  Begriffe  denken ,  als  unter  dem  des  alier- 
realsten  Wesens,  des  schlechthin  umfassenden  Principes 
aller  Realität  und  alles  Daseins? 


Aber  auch  sonst  hat  jene  beschrankte  Gnmdansicht  seit- 
dem in  der  philosophischen  Denkart  des  Zeitalters  tief  und 
durchgreifend  Wurzel  gefasst.  Die  Fragen  und  Betrachtungen, 
die  auch  jetzt  noch  manche  Philosophen  lebhaft  beschäfti- 
gen :  ob  Gott  als  extramundan«  oder  intramundane  Ursa- 
che zu  fassen,  ob  er  mit  der  Welt  zu  identificiren,  oder 
von  ihr   gesondert  zu  denken,   ob  er  blinde  Naturiorafl 


*)  S.  608.  609.  6t0.,  wo  die  Deduktion  besonder  merkvurclig 
ist,  wie  wir  «ar  nothwendigen  „Illation'*  einer  Realität 
des  höchsten  Begrifies  gelangen! 


Die  Antttiotnicen*  245 

oder  em  persönliches  Vemunftweseii  sei;  —  wo  Ihnclie 
so^r    den  VorwurF  der  Gottesläiig'fiung  gegen  die- 
jenigen gewagt  kaben,  welche  in  diese  beschrankten  Ge- 
gensatze mit  ihnen  nicht  einzugehen  gedachten :  *~  alles 
Diess  ist  nur  die  noCirwendige  Folge  jenes  in  der  Wurzel 
mangelhaften  Prineipes,  Gott,  wie  ein  Besonderes  an- 
dern  Besonderheiten  gegenüber,  in  die  Sphäre  endlicher 
Relationen  und  Begriflb  herabzuziehen.    Ist  jenes  Entwe- 
der —  Oder  in  der  That  die  einzige  Auskunft;  hat  man 
nur  die  Wahl,   für  Eines  oder  das  Andere  sich  zu  ent- 
scheiden;  —   ist  uns  das  ^Weltganze^^  die  Summe 
der  einzelnen  Endlichkeit  in  Zeit  und  Raum': 
so  ist  schon  oben  gezeigt*  worden ,    wie   eine  solche   in 
keinem  Sinne  existire ,  als  in  der  Tauschung  des  gemeinen 
Bewusstseins  ,*  das  in    der  Totalität  nur   eijfe  Reihe  voi| 
Einzelnem  erblicken  will :  —  wie  also  Gott  in  Bezug 
auf  diess  an  sich  Unwahre  weder  extra--  noch  intra- 
mondan  sei,   überhaupt   in  gar  keinem  Verhältnisise  zum 
Nichfseienden  stehen  könne«     Wird  die  „Welt''  dagegen 
gedacht  als  die  Selbstverwirkitchung  des  absoluten  Seins  und 
Lebens ,    der  Einen  ewigen  Realität  auf  unendliche  Weise 
(ein  freilich  selbst  noch  abstrakter  Begriff);  so  ist  aber- 
mals nicht  möglich  jene  Begriflüsunterscheidung  des  Extra- 
mundanen  und  Intramundanen  und  das  Entweder  —  Oder 
derselben  auf  diess  Verhältniss  beider  anzuwenden;  indem 
nun  die  Welt  als  ein  Bes onderes,  „innerhalb  oder 
ausserhalb^  dessen  Gott  etwa  sein  könnte ,  gar  nicht 
übr^  geblieben  ist.  —  Die  „Welt"  überhaupt,  wie  man  sie 
auch  fasse  und  denke,  bleibt,  weil  durch  Gott,  eben  dar- 
um auch  in  ihm;   und  diese  Immanenz  der  Welt  in 
Gott  ist  von  keiner  überhaupt  jenes  Verhältniss  nur  den- 
kenden Philosophie  oder  Religion  je  gcläugnet  worden. 
Die  ganze  Frage  betriiFt  vielmehr  das  weitere  Verhältniss, 
ob  diese  loHnanenz   oben   darum    eine   schlechthin 
wechselseitige  sein  müsse;   oder  ob,  weil  die  Welt 
allein  in  Gott  ihre  Wirklichkeit  findet,,  ja  immer  neu  au& 
ihm  sie  schöpfen  muss ,    darum  auch  Gott  nur  in  der 


246  Die  Anlinomiocn. 

Welt  wirklieli- sei ;  ob  nicht  victmehr,  den  einseitig  pan- 
thcisCißchcn  Vorsteüimgen  zuwider ,  eben  um  in  solcher 
Weise  durch  die  Welt  sich  m  bethatignen ,  er  noChwendig 
zngieieh  als  „e  x  t  r  a m  n n  d  a  n^  gedacht  werden  müsse;  wo 
sich  abermals  zeigt,  dass  mit  dem  blossen  (Jegensatze  we- 
der ^  noch  mit  der  blossen.  Identität  tn  diesen  Fragen 
auszurcicItcR  ist  — 

Bei  der  w<}ilcrn  Unterscheidung  aber,   ob  Golt  blinde 
iVaturkraft  sei,  oder  ein  persönliches  Wesen, 
nach  deren  Maassstabo  jene  Philosophen  sogar   über  die 
theistische  oder  atheistische  Tendenz  der  Spekulation  über- 
haupt urtheiien  zu  können  glauben  ;  so  möchte  auch  hier  die 
tiefere  Erwägung  zeigen,  da^  diess  ein  in  Bezug  auf  Golt 
eitler  und  unhaltbarer  Gegensatz  sei.  —    Auch*  die  Krall 
der  Natvr  ist  aus  Gott,  sicherlich  und  unbeslreitbar ;  sonst 
vermöchte  sie  überhaupt  nicht  zu  sein :  —  aber  blinde 
Kraft?    Der  Ausdruck,  gestehen  wir,  ist  uns  überhaupt 
unverständlich  in  dieser  Verbindung,  ja  scheint  uns  auf  eine 
tiefere  Verwirrung  zu  deuten.  Jede  Kraft,  als  solch  e,  d.  Ii. 
als  absohjte  That,  verschwindet  nothwendig  demBewussl- 
sein,  auch  in  der  hellsten  Sclbstdurchsichtigkeit  des  thäli- 
gcn  Subjekts,  indem  das  wirkliche  Thun,  der  Moment  des 
Einschiagens  in  das  Produkt,  niemals  von  einem  Zusehen 
begleitet  werden  kann;  überall  ist  nur  das  Produkt,  die 
bereits  in  Aeussening  und  Verwirklichung  hinubergciretenc 
Kraft  anschaubar.    Was  soll  also  hier  blinde  (bewusstlos 
bleibende)  Krdll   im  Gegensatze  einer   andern  bedeuten? 
Wir  sehen,  es  liegt  überhaupt  im  Begriffe  derselben,  diess 
zu  sein.  —   So  soll  jener  Ausdruck  hier  allgemeiner  nur 
bezeichnen  das  mechanische  Wirken  des  höchsten  Princi- 
pes,  das  atheistische  Fat  um.    Aber  auch  hier  ist  es  nur 
eine  vom  Wirklichen  abgewendete  Betrachtungsweise ,  die 
solche  Vorstellungen  erzeugen  kann.    Denn  wenn  man  die 
'  Natur  auch  nur  als  lebendige  Ordnung  begreift,  die  selbst 
das  Einzelnste  in  das  unendlich  Ganze  hineingebildet  hat, 
—  wie  Ihr  ja  müssl ,  wenn  Euch  auch  nur  in  etwas  um- 
fassenderer   empirischer   Anschauung    der    Sinn  für  ihr 


Uebcrgang  zn  JacobL  Vkl 


Wallen  aufgegangen  isl :  —  so  kann  man  selbst  iil  Uur  mcht 
ein  blmdwirkendes  Frincip  ab  das  Letzte  denken,  da  sie 
an  jedem  ihrer  Werke  bewährt  die  absolute  Nichtblindheit 
des  höchsten  Princips  in  ihr«  *) 


Ausgehend  von  der  vorläufigen  Frage  nach  der  Mög- 
lichkeit der  Philosophie  überhaupt,  oder:  wie  synthetische 
Urthcile  a priori  möglich  seien?  erweist  Kant,  nach  sei- 
nen Framissen  volikommen  gültig  und  unwiderlegbar ,  die 
Unmöglichkeit  jedes  apriorischen  Erkenucns  jenseits  der 
Sphäre  unmittelbarer  Erscheinung.  Was  Kant  daher 
als  den  wesentlichen  Inhalt  der  Philosophie  bezeichnet,  die 
Lehre  von  Gott,  Freiheit,  Unsterblichkeit,  wird  ausdrücklich 
für  theoretisch  unerkennbar  erklärt.  Aber  damit  ist  der 
wesentliche  Inhalt  der  Philosophie  durchaus  hinweggc- 
scfawunden,  und  sie  selbst  hat  eigentlich  alle  Bedeutung 
und  Wichtigkeit  verloren.  Dadurch  wird  aber  der  Geist 
um  so  kräftiger  zurückgewiesen  auf  das  unmittelbare  Be- 
wusstsein  von  jenen  Wahrheiten,  an  den  Glauben  in 
irgend  einer  seiner  Gestalten  und  Wendungen.  Und  je 
mehr  die  Spekulation  sich  zum  bloss  Negativen  herabge- 
setzt hat,  mag  sie  ihre  Unwissenheit  über  die  höchsten 
Gegenstände  der  Forschung  auch  mit  dem  Beweise  ihrer 


*^  Wir  haben  obige  Expositionea ,  einige  Abkürzungen  abge- 
reciinet,  fast  unverändert  stehen  lassen,  nicht  weil  sie  die 
darin  angeregten  Fragen  erschöpften ,  oder  auch  sonst  nur 
den  Verfasser  noch  befriedigten ,  sondern  weil  sie  zum  Zeug- 
niss  dienen  können,  welchen  BegrifTen  und  Denkweisen  man 
zur  Zeit  der  Abfassung  gegenwartiger  Schrift  (1825—28)  in 
iB  unserm  philosophischen  Publikum  noch  begegnete.  Matt 
wird  nicht  verkennen ,  wie  sehr  seit<lero  das  allgemeine  Ni> 
veau  der  philosophischen  Bildung  sich  verändert,  wir  dürfen 
faiazusctzeu,  sich  gesteigert  hat.  Aber  auch  sonst  können  jene 
Aeusferuugen  ,  die,  rhapsodisch,  aber  meist  rirhtij^pn  Blickes, 
auf  das  wahre  Ziel  hindeuten  ,  als  Vorläufer  dienen  der  spä* 
tern  entwickeltem  Pbilosopbeme  de«  Verfassers. 

Anmerk-  zur  2ten  Ausgabe. 


248  Uebergang  zu  Jacobi. 

UnvermeMilickkeit  rechtfertigen ,  ja  diese  finldeckmig  als 
einen  wichtigen  Fortschritt  in  der  Wissenschaft  selbst  be- 
zeichnen: so  wird  nur  um  so  stärker  das  Bedurfniss  er- 
wachen ,  ausser  aller  Spoktilatton  und  iin  Gegensatze  mit 
ihr  die  unmittelbare  Ueberzeugung  von  jenen  Wahrheiten, 
das  Zeugniss  für  sie  in  des  Menschen  Gcmülh  aus  aller 
Kjraft  sprechen  zu  lassen. 

Es  lag  in  der  ganzen  Zeit ,  dass  dieser  Ausweg:  von 
mehr  als  einem  denkenden  und  fühlenden  Geiste  ergriffen 
werden  musste,  und  jener  philosophischen  Leerheit  gegen- 
äbcr  sich  geltend  machte.  Keiner  aber  hat  mit  solcher 
Tiefe  und  Würde,  mit  solcher  spekulativ  polemischen  Krall, 
mit  so  deutlich  ausgesprochenem  Bewusstsein  seines  er- 
gänzenden Verhältnisses  zur  Zeitphilosophie  diess 
gethan,  als  Friedrich  Heinrich  Jacobi,  welchen 
wir  daher  hier  sogleich  als  die  wesentliche  Ergänzung 
für  den  negativen  Standpunkt  Kaufs,  und  überhaupt  als 
denjenigen  bezeichnen  müssen,  in  welchem  der  aligeincine 
Geist  der  Wissenschaft,  wahrend  er  theoretisch  in  der 
Negation  verharrte,,  sich  seine  höhere  Befriedigung  und 
ErfLUlung  Zu  schaffen  suchte ;  wodurch  J  a  c  o  b  i*s  Erschei- 
nung für  jene  Zeit  von  der  umfassendsten  WichtigkeH  und 
folgenreichsten  Bedeutung  geworden  ist.  In  Kant  selbst 
war  nämlich  jene  ergänzende  Aushülfe  unter  dem  Aus- 
drucke von  praktischen  Postulaten  eigentlich  nur 
gesucht,  nicht  in  ihrer  völligen  Kraft  und  Selbstständigkeit 
ausgesprochen ;  daher  diese  Auskunft  auch  sogleich  von 
seinen  Nachfolgern  verlassen  wurde,  deren  cigenlhümlicfier 
Standpunkt  als  der  Versuch  einer  Vermittelung  der 
Kantifchen  Theorie  vom  Erkennen  mit  der  Jacobi  scheu 
Lehre  von  der  unmittelbaren  Realität  des  Bewusstseins  be- 
zeichnet werden  kann ;  ein  Versuch ,  über  dessen  Gdingen 
nns  erst  dann  ein  Urtheil  zukommt,  wenn  wir  JacobiV 
Theorie  kennen  gelernt  haben,  zu  deren  Parslellung  wir 
uns  unmittelbar  hinwenden. 


II.    J  a  e  o  b  I. 


Kein  bedeutender  Denker  hat  wohl  so  d&rchaus  ent- 
gegengesetzte Urtheile  erfahren ,  als  Friedrich  Hein- 
rich Jacob i.  Von  einer  zahlreichen  Partei  ausgezeich- 
neter Denker  zum  Vorbilde  und  Oberhaupte  erkoren ,  wird 
er  von  Andern  als  Philosoph  eben  so  entschieden  zurück- 
gewiesen, die  höchstens  in  ihm  eine  geistreiche  Indivi- 
dualität erkennen  wollen ,  welche  jedoch  an  einem  nie  auf- 
gelösten Zwiespalte  mit  sich  selbst  untergegangen  sei.  — 
Desto  bedachtsamer  ist  daher  unser  Urtheil  über  ihn  vor- 
zubereiten ,  da  wohl  in  diesem  Falle  am  Wenigsten  die  ge- 
wöhnliche Aushülfe  gilt,  dass  die  Wahrheit  etwa  in  dur 
Mitte  liegen  möchte.  Sei  dieses  Lieblingswort  der  Menge 
auch  zulassig  beim  Urtheile  über  Männer  praktischen  Wir- 
kens, welche  im  Kreise  des  öffentlichen  Lebens  unwill- 
kürlich die  Leidenschaften  der  Menschen  auf  entgegen- 
gesetzte Weise  erregen;  so  Mt  doch  dieser  Meassstab 
ganz  hinweg  bei  einem  Denker,  der,  ohne  persönliche 
Beziehung  zu  seinen  Zeitgenossen ,  nur  geistig  auf  sie 
einwirkte.  Hier  muss  jede  der  entgegengesetzten  Parteien 
nothwendig  Recht  haben  in  ihrer  Art:  aber  eben  difcs 
deutet  auf  ein  besonders  merkwürdiges  Verhäitniss,  wo 
verschiedene  wissenschaflliche  Gniridnchtungen ,  wie  in 
einem  Wendepunkte,  auf  einander  zu  stosscn,  oder  in  einen 
noch  unentschiedenen  Kampf  zu  geralhen  scheinen.     Und 


250  Allgemeiner  Charakter 

in  der  That ,  so  wie  Kant  uns  besonders  dadurch  wichtig 
wurde ,  dass  er  eine  in  wissenschaftlicher  Bildung  weit- 
verbreitete Grundansicht  nach  ihrer  ganzen  Konsequenz 
darstellt;  $o  wird  sich  finden,  dass  auch. durch  Jacobi 
eine  solche  bei  einer  ungenügenden  VerstandesbOdnng^un- 
abweidiche ,  und  in  allen  solchen  Fällen  individuell  oder 
im  Allgemeinen  unvermeidlich  wiederkehrende  Lebensan- 
sicht ausgesprochen  worden,  ja  dass  eine  nothwendige 
Form  der  Wahrheit  sich  in  ihm  geltend  gemacht  habe. 

Im  Allgemeinen  haben  wir  aber  das  Verhaltniss  Ja- 
cob Ts  zur  Philosophie  seiner  Zeit  schon  dahin  bezeichnet, 
dass,  während  der  Kantianismus  mit  dem  natürlichen  Be- 
wusstsein  in  jeder  Gestalt  auf  das  Tiefste  entzweite,  und 
ihm  am  Härtesten  entgegengesetzt  war,  diess,  als  unmit- 
telbare Wahrheit  (also  auch  in  der  Form  der  Un- 
mittelbarkeit, mit  ausdrucklicher  Verziehtung  auf  strenge 
Wissenschaft),  jener  Gestalt  der  Philosophie  gegenübertre- 
ten  musste:  nicht  unähnlich,  dem,  wie  wir  in  England  im 
Gegensatzo  mit  der  Hum ersehen  Skepsis,  nur  in  der  bo* 
schränkten  Gestalt  des  Empirismus,  die  Philosophie  des 
Gemoinsinns  sich  haben  entwickeln  sehen.  Bei  Ja- 
cobi war  es  jedoch  die  Fülle  und  Zuversicht  eines  tiefen 
Gemüthes,  die  jenem  Ergebnisse  der  Spekulation  gegen- 
über trat:  die  Philosophie  dürfe  dem  innersten,  heiligsten 
Gefühl  nicht  widersprechen;  und  wenn  sie  es  thue,  so 
folge  daraus  nur ,  dass  sie  nicht  die  wahre  sei.  Es  ist 
dicss  nämlich  der  Hauptcharakter  von  Jacobi's  Denkart, 
und  seine  wichtigste  polemische  Seite,  der  Spekulation  ge- 
genüber kräftig  geltend  gemacht  zu  haben ,  dass  ein  spe* 
kulatives  System,  welches  den  innersten  Anforderungen 
des  Gemüthes  widerspreche,  eben  darum  auch  falsch  sein 
müsse.  —  Aber  was  gegen  einzelne  Systeme  gewendet, 
ekhe  Zweifel  ein  wichtiger,  wenn  auch  nur  äusserlicber 
Maassstab  wäre,  das  hat  Jacobi  nun  sogleich  gegen  die 
Form  des  Wi'Ssens  und  der  Wissenschaft  überhaupt 
zu  wenden  Neigung  gezeigt.  Es  hiess  nun  bei  ihm  so- 
gleich ,  dass  die  Wahiheit  überhaupt  nur  in  der  Form  des 


seiner  Philosophie.  251 

Nichtwissens,  des  Unvermittelten,  Unbegriffenen  für 
uns  zu  existiren  vermöge,  dass  sie  begreifen,  be- 
weisen, sie  eben  damit  zum  Produkte  unseres  Verstandes 
machen  heisse,  wodurch  sie  aufhöre,  Ursprüngliches,  eben 
Wahrheit  zu  sein. 

Aber  sollte,  von  jedem  nahem  Bedenken  hier  noch 
abgesehen,  überhaupt  ein  Zwiespalt  nothwendig  sein 
zwischen  Gemüth  und  Erkenntniss?  Sollte  nie,  was  der 
innerste  Glaube  ühnet,  der  Verstand  in  freier  Anerkennung 
besitzen  können?  Ist  jener  Glaube  in  der  That  die  Wahr- 
heit, so  muss  sie  auch  dem  Verstände  zugänglich  wer- 
den. Bliebe  dieser  denn  sonst  noch  eigentliches  Verste- 
hen, d.  h.  bliebe  er  überhaupt  nur  in  der  Wahrheit?  — 
J  a  c  o  b  i  laugnet  jene  völlige  Ausgleichung ;  und  die  Be- 
hauptung der  ewigen  Unversöhnlichkeit  zwischen  Glauben 
und  Erkennen,  zwischen  (Unmittelbarkeit  und  Ver- 
mitteltem ist  der  zweite  charakteristische  Uauptmoment 
seiner  Ansicht,  der  gleichfalls  eine  weitverbreitete  Meinung 
neuerer  Zeit  mud  Bildung  in  sich  ausspricht.  *) 

Wir  beginnen ,  um  gleich  Anfangs  den  Mittelpunkt  von 
Jacobi*s  Lehre  scharf  auszusprechen,  von  der  Mittheilung 
eines  zum  Thcil  noch  ungedrucklen  Fragments  desselben, 
welches  wichtig  und  bezeichnend  an  sich  selbst  zugleich 
jenen  Haupimoment  in  höchster  Klarheit  hervorhobt :  **) 


«« 


*)  So  in  Schriften  fast  aus  allen  Epochen  der  Jacobischen  BiU 
«!ung:  Sämmtliche  Werke,  Btl.  11.  S.  11—14.  37.  38  Bd.  III. 
S.  13-22.  28-35.  Bei.  Hl.  S,3l6.  317.  Bd.  IV.  1.  Abiheil.  S. 
XX.WIII.  XLir.  S.  210.  223.  u. «.  w. 

)  Der  älteste  Sohn  des  Philosophen,  Präsident  Jacob i,  ge- 
genwärtig zu  Bonn,  hatte  dem  Vater  einst  seine  Ansichten 
über  positiven  Religionsg  lauben  in  einem  Aufsätze 
mitgetheüL  Dieser ,  aufmerksam  ihn  lesend ,  diktirte  ihm 
zuletzt  die  obenstehenden  Zeilen  als  Urtheil  und  Antwort. 
Als  solche  und  zugleich  als  unbefangene  Mittheiliing  an  den 
Sohn  möge  mau  jene  bedeutenden  Worte  beurtheilen,  in  de- 
nen er  selbst  ausspricht,  w{is  für  und  gegen  ihn  gesagt 
werden  kann.  *  Ueberfliissig  wäre  es  wohl,  wegen  eines  darin 


252  '        Allgcmcinor  Charakter 

• 
^In  ^ie  Klagfon   über  die  Unzulängliclikeit  alles  unseres 
^Plülosophiren^  stimme  ich  leider  von  ganzem  Herzen 
^^in ;    weiss  aber  doch  keinen  andern  Rath ,   als  nur 
„immer  eifriger  fortzuphilosophiren.     IHess   oder  ka- 
„Iholisch  werden:   es  giebt   kein  Drittes!     So  wie  es 
^kein  :Drittes  giebt  zwischen  Christenthum   und  Hei- 
„denlliiim;    das  ist,  zwischen  Naturvergöttenmg  und 
j^okratisch  ^  Platonischem  Anlhropomorphismus.  ^ 
,,Gorne  verlauschte  ich  mein  gebrechliches  philosophi- 
„sches  Christenthum  gegen   ein  positives  historisches. 
^Durchaus  ein  Heide  mit  dem    Verstände,  mit  dem 
„ganzen  Gemuthe  ein  Christ,  schwimme  ich  zwischen 
„zwei  Wassern,  die  sich  mir  nicht  vereinigen  wollen, 
„so  dass  sie   gemeinschaftlich   mich  trugen ;    sondern 
^so  wie  das  Eine  mich  unaufhörlich  hebt,  so  versenkt 
„auch  unaufhörlich  mich  das  andere.«^ 
Fürwahr,  bezeichnender  kann  das  allgemeine  Leiden 
der  Zeit  und  der  gegenwartigen  Bildung  nicht  ausgespro- 
chen sein ,  als  in  den  vorigen  Worten !    Glauben  und  Ge- 
müth,    entgegen  dem   Verstände:  dieser,,  zum  (falschen) 
Heidenthume  verbannt^   zerstörend  den  Glauben,    so  weit 


enlhalteiien  Ausspruches  auf  die  bloss  symbolisclie  Be- 
deutung desselben  aufmerksam  zu  machen,  und  ausdrück- 
lich zu  warnen^  die  nicht  in  seiner  Wirklichkeit  als  die 
Meinung  des  Philosophen  sich  zu  deuten.  Wer  jene  Zeilen 
also  verstände,  zeigte  dadurch  nur,  dass  sie  für  ihn  nicht  ge- 
schriebeu,  noch  hier  bekannt  gemacht  sind.  —  Es  versteht 
sich  ,  dass,  iodrm  der  Verfasser  von  dem  hochverehrten  Sohne 
des  Pliilosophpu  jenen  Aufsatz  mitgetheilt  erhielt,  ihm  auch 
von  Demselben  die  Erlaubniss  wunle ,  den  Zusatz  des  Vaters 
zu  gelegentlicher  Bekanntmachung  sich  aufzeichaea  zu  dürfen. 
Theile  desselben  hatte  Jacobi  späterhin  Briefen  einverleibt, 
welche  seitdem  gedruckt  erschienen  sind  in  Jacobi's  auser^ 
leseuem  Briefwechsel,  2ter  Th.  Aum.  zur  Iteu  Ausg. 

Trotz  der  hinzugefügten  Warnung  und  Verwahrung  Haider 
oben  bezeichuele  Ausspruch  des  Philosophen  doch  geiegeul- 
lieh  zu  einem  thetoriscben  compelh  dienen  müssen  ! 

Aum.  zur  2teD  Ausg. 


seiner  Philosophie*  953 

seine  Erieachtang  goht )  Beide ,  die  höchsten  Krfiße ,  die 
edelsten  Biuthen  des  Geistes,  in  unversöhnlichem  Hader 
miteinander!  -^  Aber  so  wie  Jacobi  mit  innigfer  Zuver- 
sicht behauptete ,  dass  eine  jede  Philosophie ,  sei  sie  aueh 
noch  90  scharfsinnig  entworfen  und  so  unwiderlegbar  dar- 
^steDt ,  nothwendig  falsch  sein  müsse ,  wenn  sie  jenem 
Glauben  widerspreche;  eben  so  fest,  und  aus  gleichem 
If runde,  ist  uns  die  Zuversicht,  dass  jener  Zwiespalt 
ausgeglichen  werden  müsse,  sonach  aucli,  dass  er  es 
könne.  Weiss  ja  doch  auch  Jacobi  keinen  andern 
Rath,  als  den ,  nur  immer  rüstig  fortzophilosophiren ,  oflfen- 
bar  nur  aus  der  stillschweigenden  Voraussetzung,  dass  er 
endlich  dennoch  werde  ausgeglichen  werden ,  dass  er  a  n 
sich  also  nifht  unausgleichbar  «ei!  Warum  er  selbst 
aber,  so  rüstig  philosophirend ,  dieso  Einheit  nicht  errei'i- 
chen  konnte  nacli  seinen  einmal  gefasslen  VorsteUungen 
von  wiss^tischaniicher  Philosophie ,  welche  er  nur  in  der 
Gestalt  der  Demonstration,  des  Erweisens  aus  ab- 
strakten Begriffen  gekannt  zu  haben  scheint,  diess 
wir4  die  fernere  Entwicklung  darlegen. 


J  a  c  0  b  i's  eigentliche  Ansicht  ist  in  wenigen  Haupt- 
gedanken beschlossen ;  denn  wir  bemerken  sehr  bald,  dass 
hier  nicht  ein  mannichfach  verflochtenes  Gedankensystem, 
eine  umfassende,  auf  rein  spekulativer  (Sirundlage  errich- 
tete Wissenschaft  gelehrt  werde,  sondern  dass  es  eine 
einfache  Grundanschauung  sei ,  von  welcher  er  ausgeht, 
oder  auf  welche  er  als  das  unbestreitbare  Axiom  zurück- 
kommt, die  sich  indess  besonders  in  polemischer  Beziehung 
erst  nach  und  nach  immer  klarer  entwickelt  hat  in  Ja- 
cobi's  Schriften.  Aber  eben  darum  ist  es  nicht  ganz 
leicht,  sie  in  getreuem  Nachbilde  wiederzugeben.  Denn 
so  eigen  verändert  sie  sich  in  der  Darstellung  des  Philo- 
sophen selbst,  so  innig  ist  sie  mit  den  polemischen  Be- 
ziehungen verflochten ,  in  denen  sie  sich  ausgesprochen 
hat;  ja   so  ist  sie  selbst  auf  eine  enge,  leicht  verfehlbare 


254  Verstand  nhd  Vemunll. 

Mttte  der  Wahrheit  beschrankt ,  dass  sie  oft  schon  mler 
dem  Darstellen  eine  andere  zu  werden  beginnt  Zudem 
finden  steh,  wie  wdhl  nicht  zu  längnen,  so  viele  Wider- 
sprüche —  freilich  nur  dem  Worte,  nicht  dem  Wesen  nach, 
—  in  seinen  Schrillen ;  dass  man  auch  dadurch  za  einer 
fast  authentischen  Uoberiieferung  seiner  Lehren  hingedrängt 
wird. 

Wir  legen  daher  seine  letzte,  reifste  Darstellung,  die 
Einleitung  zu  seinen  philosophischen  Schrif- 
ten, (im  IL  Bande  der  sämmtlichen  Werke)  hier  zu 
Grunde,  daran  anknüpfend  und  damit  vergleichend  die  an- 
dern, meist  polemischen  Entwicklungen  in  seinen  iibrigen 
Schriften. 

Zunächst  hebt  er  an  von  der  Unterscheidung  zwischen 
Verstand  und  Vernunft,  den  beiden  Worten ,  die, 
vielgebraucht  seit  Kant  in  wechselnder,  ja  entgegenge- 
setzter Bedeutung,  eine  solche  philosophische  Sprachver- 
wirrung veranlassten,  dass  es  fast  hatte  nöthig  scheinen 
können,  ihrer  vorerst  sich  ganz  zu  enthalten.  Aber  auch 
er  blieb  sich  nicht  überall  gleich  in  dem  Gebrauche  der- 
selben. *)     Sollte   demnach  hierüber  Etwas    entschieden 


*}  Man  vergleiche  seine,  wie  wir  glauben,  früheste  Aeuaseniog 
«iber  jenen  Gegensatz:    Briefe  über  Spinosa,   S    219.  220.i 
worin»  all  seinen  spatern   Bestimmungen   geradezu  entgegen, 
die  Yernunfl  dem  schauenden  Verstände  als  das  Nie- 
drigere   untergeordnet   wird;    während  nach  seinen  spä- 
tem Erk.lärungen  eben  die  Vernunft,  als  das  unmittelbar 
Schauende,  »Vern  ehmende<<  dem  naturalistischen  Ver- 
stände (der  Reflexion)  überzuordnen  ist     Und  mit  bei- 
den Erklärungen  stimmt  wiederum  nicht  uberein  die  Aensse- 
rung  an  einer   andern  Stelle,    welche  auch    in  anderer  Be- 
ziehung uns  höchst  merkwürdig  erscheint:  „Ueber  eine  Weis- 
sagung Lichlpnbergs^'*  in  der  Schrift :  von  den  gölll  D.,  S.34. 
Änm. :    „Der  Verstand ,  i  s  o  I  i  r  t ,  ist  materialistisch  und  un- 
vernünftig;    er   liingnet  den  Geist  und  Golt      Die  Vernund, 
isolirt,    ist   idealistisch  und  unverständig;    sie  läugnet  die 
Natur,  und  macht  sich  selbst  zum  Gott."    (Diess  thäte 
die  Vernunft  nach  Jacob  i's  Sinne?  Und  überhaupt  wel* 


Verstand  und  Vemnnß.  2S5 

werden,  so  konnte  diess  nnr  geschehen  ans  dem  höh^m, 


che  oder  wer  th&te  denn  das?)  — *  »»Der  ganze QBzerslücktp, 
wirkliche  und  wahrhaAe  Mensch  ist  zugleich  vemuiinig 
und  verstandig;  glaubet  ungetheilt  und  mit  einerlei  Zuversicht 
—  an  Gott«  an  die  Natur  und  an  den  eignen  Geist.'* 
Dann  fugt  er  noch  Folgendes  hinzu:  „Dieser  dreieiuige  all- 
gemein unphilosophische  (?)  Glaube  miiss  auch  eiil 
im  strengsten  Sinne  philosophischer,  in  der  Reflexion 
bestätigter  Glaube  werden  können;'*  (wäre  er  aber  dann  noch 
Glaube;  oder  wiiesoll  man  sich  jene  Bestätigung  denken?) 
y,und  ich  bin  kühn  genug,  zu  sagen:  dass  ich  we  iss,  er  kann 
es  werden,  dass  ich  den  Buckweg  sehe,  auf  dem  ein  verirr- 
tes  Nach-  Denken  hier  wieder  ankommen ,  und  dann 
erst  eine  wahre  Philosophie,  ein  e  den  g  anze  n 
Menschen  erleuchtende  Wissenschaft  undWels- 
heit  hervorbringen  wird.'*  Trefflich,  und  bedeutend 
in  jedem  Worte!  Aber  wenn  er  den  „ Rückweg  kannte , " 
anf  dem  der  Geist  des  Menschen  zu  voller  Harmonie  mit  sich 
selbst  gelangen  könne,  und  wenn  er  diesen  Standpunkt  als 
den  der  wahren  Philosophie  bezeichnete;  woher  doch 
nun  die  harten  und  allgemein  verurtheilenden  Ausdrucke 
gegen  die  Philosophie  und.  Verstandeserkenntniss ,  woher  die 
Behauptung  von  dem  nothwendigen  Zwiespalte  zwischen 
philosophischem  Erkennen  und  unmittelbarem  Vemunflglanben, 
die  den  eigentlichen  Inhalt  seiner  „Unwissenheitslehre** 
ausmachen?  Er  hätte  hÖcJistens  daraus  folgern  können,  dass 
alles  bisherige  Philosophiren  sich  als  völlig  ungenügend 
erweise ,  gegen  welche  Behauptung ,  ist  sie  nur  mit  dem 
rüstigen  Versuche  verbunden,  die  nach  gewi  e« 
sene  Lücke  selbst  auszufüllen,  die  Vemunflfor- 
schnng  an  sich  Nichts  einzuwenden  haben  wird!  Dem  Vor- 
würfe  übrigens ,  der  ihm  besonders  von  Seiten  der  Schelling> 
sehen  Schule  gemacht  wurde,  in  Bestimmung  jener  beiden 
IlauptbegriiTe  seiner  Philosophie  stets  geschwankt  zu  haben, 
und  in  Widerspruch  mit  sich  selbt  gcratben  zu  sein,  begeg- 
net er  auf  die  edelste  und  zugleich  erschöpfendste  Weise, 
indem  er  (in  der  oben  erwähnten  ,,  Einleitung  in  seine 
phi  losophi  seh  en  S  chri  ft  en"  S.  5.  7.  10.)  der  Sache 
geständig  ist  und  freirouthig  erklärt,  erst  auf  dem  Wege  län- 
geren Forschens  sich  der  vollen  Klarheit  darüber  bemächtigt 
zu  haben. 


256  Vet^tand  iind  Vorhunft. 

philosophischen  S?nne  der  Sprache;  und  aus  dieser  sacht 
Jacobi  wirklich  zunächst  in  der  schon  ang«iuhrlen  ^^Ein« 
icitung^  die  Bedeutung'  und  das  Verhöltniss  jener  beiden 
Begriffe  zu  einander  festzustellen  (Bd.  If.  S.  8;  ff.)- 

Warum  kann  es  einen ' bloss  thierischen  Ver- 
stand geben ,  der  den  menschlichen  zuweilen  sogBt  zu 
übertreiTen  scheint;  durchaus  aber  keine  bloss  thierische 
Vernunft?  Eine  gründliche  Erörterung  dieser  Frage 
imiss  die  Lösung  des  Räthsels  über  das  Verhaltniss  von 
Verstand  und  Vernunft  mit  sich  bringen. 

Auch  dem  Thiere  wohnt  ein  Vernehmen  bei ;  aber  es 
vernimmt  nur  Sinnliches :  der  mit  Vernunft  begabte  Menscli 
auch  Uebersinnliches,  und  er  nennt  dasjenige,  wo- 
mit er  das  Ucbersinnliche  vernimmt,  seine  Vernunft, 
wie  er  das,  womit  er  sieht,  ^ein  Auge  nennt.  —  Wäre 
nun ,  was  wir  also  nennen  4  nur  das  Erzeugniss  des  auf 
Erfahrung  sich  stützenden  Reflexionsvermögens,  wel- 
ches wir  als  den  Verstand  zu  begreifen  hatten:  so  wäre 
die  Rede  von  übersinnlichen  Dingen  nur  Geschwätz,  die 
Vernunft  als  solche  grundlos,  ein  dichtendes  Gedicht! 

Ist  sie  aber  wahrhaft  offenbarend,  so  wird 
sie  ein  über  dem  thierischen  erhabener,  von  Gott,  Frei- 
heit und  Tugend  (nach  spätem  Aeussenmgen  Jaco- 
bi's,  auch  von  Unsterblichkeit)  unmittelbar  wis- 
sender, ein  menschlicher  Verstand. 

Die  Vernunft  also  nach  Jacob i*s  letzter  Erklärung 
ist  lediglich  das  ^Organ^^;  Verstand  aber  schon  das 
wirkliche  Vernehmen,  somit  Sondern,  Unterscheiden 
und  Vergleichen  des  durch  jenes  innere  Oi^an« Gegebenen; 
gleichwie  wir  dem  Auge  nach  der  von  Jacobi  selbst 
dargebotenen  Vergleichung ,  indem  es  wirklich  sieht,  Far- 
ben unterscheidet ,  einen  „Verstand"  der  Farben  beilegen 
müssten.  Halten  wir  daher  gleich  hier  den  Gegensalz  zwi- 
fjchen  beiden  fest,  der  hiernach  also  bezeichnet  werden 
kann:  Die  Vernunft,  das  Ursprüngliche,  Unmittelbare 
ist,  wie  das  sinnliche  Auge  dem  Lichte,  so  als  höheres 
Ürgan  der  Innern    unmittelbaren   Erleuchtung 


VenUnd  und  Vemimfl.  S07 

« 

geOllhel,  ist  flonadi  kein  BrkenntaissvorinAgeii,  da« 
sich  tbätig  ceif  en ,  theoretusiren ,  sieh  selbst  begrfindM 
könnte;  es  ist  ruhendes  Schauen,  durch  sein  ftos« 
ses  Dasein  jfir  sich  zeugfend :  alles  Jenes  ist  dem  V  e  fr 
Stande  (dem  Reflexionsvenndgen)  uberiassen,  welcher  Jber^ 
wci^end^  einhergeht,  d*  h.  nachweisend  ans  zweiter  Hand 
dureb  gewisse  yoransgegebene  Grunde,  die  sich  zuletzt 
nur  auf  Anschauung  gründen  können,  auf  die  sinnlich« 
oder  die  übersinnliche* 

Dazu  sind  nun  noch  die*vielen  analogen  ErklirungeQ 
zu  vergleichen,  (|urch  welche  Jacobi  iwiederkdt  darauf 
hinweist,  und  es  zu  einer  polemischen  Hauptinstanz  machti 
früher ,  in  seinem  Gespräche  über  Idealismus  und  Sealis-^ 
mus,  dem  Beweise  durch  Begriffsdemonstration  gegenüber, 
spater,  in  den  Schriften  gegen  Kant  und  Fichte,  der 
Reflexion  und  Construktion  entgegen,  dass  alles  vermittelt» 
Wissen  nur  aus  einer  ursprünglichen',  unmittelbar  sich  als 
wahr  erweisenden  Quelle  schöpfen,  nicht  aber  umgekehrt 
erst  diese  durch  sich  wiArmachen,  begründen  könne. 

Das  Wahre  kann  nur  Etwas  sein,  das  v o r  und  aus- 
ser dem  Wissen  ist,  was  dem  Wissen  und  dem  Vermö- 
gen des  Wissens,  der  Vernunft,  erst  einen  Werth giebt 
Vernehmen  setzt  ein  Vernehmbares,  Vernunft  (daher)  dasi 
Wahre  zum  Voraus:  sie  ist  das  Vermögen  der  Voraus- 
setzung des  Wahren.  Eine  das  Wahre  nicht  voraus^ 
setvende  Vernunft  wäre  ein  Unding.  Und  wo  die  Wei- 
sung auf  das  Wahre  [(die  ,^  h  n  u  n  g^  desselben)  fehlt, 
da  ist  keine  Vernunft.  —  Sie  ist  ausschliessend  auf  das 
unter  den  Erscheinungen  Verborgene,  auf  ihre  Be- 
deutung gerichtet,  auf  das  Sein,  welches  wohl  durch- 
scheinen muss  in  den  Erscheinungen,  wenn  diese 
nicht  Ansich- Gespenster,  Erscheinungen  von  Nichts  sei^ 
soUen.    (Bd.  m.  S.  22. 31. 32.  tt.  s.  w.) 

Meine  Ueberzeugung  ist,  sagt  Jacobi  an  einer  an- 
dern Stelle,  in  der  neuen  Einleitung  zu  seinen  Briefen  über 
die  Lehre  des  Spinosa,'  die  auch  sonst  zu  dem  tiefgrei- 
fendsten Polemischen  gehört,  was  er  gegen  den  Pantheis- 

17 


asid  Vfeffifdnd  «Ad  Verntmit. 

miis  gesagt  hat,  und  wo  sich  aach'dti^  fipiterhin  von  An- 
dern benutzte  Auskunft  findet,  dass  der  Spinnsismon 
nieiiT  sowohl  das  Dasein  Gottes,  als  das  der  Welt  Hugne, 
^kosinismus  sei,  •—  welches  aber  an  sieh  nur 
ein  Wortspiel  s»i,  und  auf  dasselbe  hinaus- 
raufe  (Bd.  IV.  Abth.l.  S.  XXXrV/f.  XXXVlH.  f.  XLII.)t 
ikieino  Ucberzcugnng  ist,  dass  jenes  unmiUelbare  Geistes- 
ttoid  Gottesbe^vusstsein,  worauf  meine  Philosophie  sich  grQn-* 
det ,  jeder  Philosophie ,  die  etwas  mehr  als  blosse  Nfttar- 
und  Yerstanddsmssenschafl;  (Physik  und  Logik)  s&in  wolle, 
2Um  Gnind-^  ünd'Eekfiteine  dienen  müsse.  —  t>abei  man 
ausgegangen  werden  von  Gefühl  und  Anschauung; 
es  giebt  dtinihaüs  keinen  bloss  spekulativen  Weg 
zum  Innewerden  Gottes;  (das  heisst,  womit  aHe  Speloda- 
fioi^  von  je  einverstanden  war ,  und  was  au<;h  in  ihrem 
Namen  gesprochen  ist:  das  Wissen  von  Gott  ist kefn  durch 
Demonstration  erzeugtes,  oder  Resultat  eines  ScUusses, 
sondern  ein  ursprüngliches;  es  ist  vielmehr  Prineip  iBilles 
Schliessens;    dott  ist  eine  schlechthin  „apriorische^  Idee) 

—  die  St>eknllitiott  irtag  bloss  hinzutreten  Und  durch  ihre 
eigisne  Beschaffenheit  erharten ,  dass  sie  an  sich  ieef  ist 
ohne  jene  Offenbarungen,  die  sie  nur  bestfitigen,  idcht 
begrAhden  kann. 

Vertilge  itn  ursprünglichen  Glauben,  und  alle  Wis- 
senschaft wird  hohl  uAd  leer :  er  ist  eine  feste  Zuversicht 
zu  dem ,  was  man  ni<iht  sieht.  Wir  sehen  nie  das  Abso-* 
lute;  wir  glauben  es.  Das  Nichtabsolute,  das  Bedingte 
sehen  wir,  und  nennen  dieses  Sehen  ein  Wissen.  — 

So'  giebt  es  tiber  dem  von  der  Vernunft  er- 
leuchte tenV  er  s-tande  und  Willen  Nichts  im  Men- 
schen, auch  nicht  die  Vernunft  selber;  denn  sie  und  ihre 
Offenbarung  ist  selbst  nur  im  Verstände  möglich  (Bd.  11. 
S.  10.).  Und  eben  ik  diesel^  vollen  Totalirlt  des  Lebens  und 

-  Bewusstseins  wird  die  lebendige  Seele  erst  zu  einem  ver- 
nünftigen menschlichen  Wesen :  erst  hierdurch  Ist  sie  auch 
qualitativ,  nicht  bloss  4^ianti(ativ ,  vom  Thiere  unterschie- 
den. (Vgl.  Eben  das.  S.  28.) 


'  WtfMtkni  und  Vi*muiift.  259 

Iittfem  aber  die  Temmfl^  dls  0  r  g  d  n'  d)M  Uebersi^ 
Hcheii,  abhängig,  hinweisend  ist  auf  ein  Anderes  ntmet 
sidi^  dessen  Offenbarung  nur  sie  sein  kann :  eo\A 
Golt,  der  keine)r  Organe  bedarf,  in  diesem  Sinne  Vemuiüit 
niciit  zuzuschreiben.  Ihm  ist  eigenthfimlicb  das  vollkom- 
mene Insiehsein  und  Yonsichvri9sen,=  der  reine 
alierböchste  Verstand,  der  reine  allmäohtige  Wille.     ' 

Erst  spMer,  bezeugt  er^  habe  sich  diese  Unterscheid 
dimg  zwischen  Verstand  nnd  Vemunfl  klar  and  vollständig 
in  ilm  ausgebildeL  In  früheren  Sehriften  (in  den  Briefen 
über  Spinosa,  in  den  Gesprächen  über  Idealismus  und 
Reafismns  u.  s.  w.)  habe  er  Jenes  Organ  des  Uebersinnli^ 
eben  im  Menschen  Glauben,  Glaube  nskraft  genannt, 
auch  Sinn,  welche  er  nun  ganz  konsequent  über  die 
Vernunft  setzen  musste,  was  ihm  damds  HOssrerstand  und 
Nisskennung  zugezogen  habe.  ^^ 

Aber  die  sich  entwickelnde  wissenschaftliche  Bildung 
brachte  die  Ansieht  in  Umlauf^  dass  allgemein  nur  gel- 
ten könne,  was  bewiesen,  begründet  worden  sei.  Of- 
fenbar kann  aber  überhaupt  nur  in  der  Sphäre  der  sinn^ 
liehen  Dinge  und  6es  Einzelnen  von  Beweisen  die  Rede 
sein,  indem  zwischen  dieser  und  jener  Erscheinung,  diesen 
und  jenen  Begebenheiten  ein  nothwendiger  Zusammenhang 
nachgewiesert  vrird.  So  wurde  das  ursprüngliche  Verhält* 
niss  zwischen  Verstand  und  Vernunft  vöHig  omgekehrt, 
indem  nun,  was  der  Verstand  aus  Vernunft  hatte  und  ge*^ 
noss,  dennoch  erst  wiedertmi  durch  ihn  bewiesen  wer- 
den sollte;  und  es  entstand  theoretische  Philoso>» 
pbie,  die  aus  Missverstand  des  wahren  Verhältnisses  dem 
unmittelbar  Erkannten  nun  nedi  das  Gepräge  überflüssiger 
Beweise  aufdrücken  wollte  (Bill.  S.  11.14.).  Diess  theo- 
retische Verehren  seit  A^r  i  s  t  o  t  e  1  e  s  (welche  hilMorische 


*}  Man  vergleiche  heionders  t^ie  neue  Anmerkung  zu  »einem 
Gespräche  über  Idealisntus  ttndReallltnius  6d. II. 
S. 22lv;  und  tu  dem  Aufsalze:  über  Llehtenhergs  W«fv<« 
««guBg  tl#r  «b^Dto  «*iM  ZiwhU.i  Bd.  lU.  9.  236^"^^  •    ' 


266       BeurtlieiluRg  der  pliilo8ffi|iic|e«  Systeme 

AftAhning  m^  behanplen  scheial«  Aisir  bei  Plelon 
4e^  frühem  griechüschen  Schulen  die  Vernunft  ia  Jaco- 
b  i  «ehern  Sinnendem  Verstände,  dem  dialektischen  Denioen, 
iit>ergeordnet  worden  sei;  eine  Ansieht,  die  «cb  sofar 
bei  dem  Erstgenannten  schwerlich  dorchiubren  lassen  möchp* 
te:>. —  wurde  esst  seit  Kant  vo|lstaridig'  einer  Früfm^ 
unterworfen ,  und  die  Täuschung  desselben  anigededä. 
K  %  n  t  zeigte,  dass  dasjenige ,  was  man  für  eine  auf  theo- 
retischem Wege  erreichte  Erkenntaji»5  des  Uebersimiliehen 
halte,  nur  apriorische,  alle  Erfahrung  negirende  Ideen,  kei- 
nesweges  aber  Erkenntniss Objekte  seien.;  wiewohl  die 
lUusion  des  Verstandes,  jene  dennoch  dafür  zu  halten,  in 
der  Beschafienheil  des  menschlichen  Erkenntnissrermögcma 
so.nQtbwendig  begründet  sei,  dass  auch  die  schärfiste Kri- 
tik sie  nicht  vertilgen,  sondern  nur  verhindern  könne,  da» 
sie  nicht  betrüge  (Kants  Kr«  d,  r,  V.  S.  676). 

Aber  diesen  Selbstbetrug  von  6nmd  aus  enthüllen, 
war  dasselbe,  als  ihn  für  iminer  xu  zerstören«  So  wurde 
für.  den  ächten  Rationalismus  vorerst  ein  leerer 
Platz  gewonnen.  Diess,sagt  Jacob  i,  ist  Kants  grosse 
Iliat,  sein  unsterbliches  Verdienst.  Aber  sein  „gesunder 
Sinn^  Hess  ihn  zugteich  auch  entdecken :  dass  dieser  leere 
f  l^tz  sich  sogleich  in  einen  alle  Erkenntniss  des  Wahren 
in  sich  verschlingenden  {Abgrund  verwandeln  m^sse ,  — 
p,^enn  nicht  ein  Gott  in's  Mittel  träte,  es  za 
verhindern«  (Ebendas.  S.  31—34). 

Diess  sei  nun  ein  Berührungspunkt  der  K  a  n  t  i  sehen 
liCbre  und  der  seinigen;  und  es  sdieint,  als  müssten  sie, 
dfi  sie  von  hier  aus  nach  Vorwärts  ähnliche  Resultate  ge- 
winnen, auch  nach  Rückwärts  sich  ausgleichen  können. 
Diess  hindere  aber  die  Unversöhnlichkeit  der  ersten  Vor- 
apssetzungen,  und  der  verschiedene  Begriff,  den  jede  die- 
ser beiden  Philosophieen  von  der  sinnlichen  Anschauung^ 
hat. 

Die  K  a  n  t  i  sehe  Philosophie  nämlich,  während  sie  dar— 
thut»  dass  der  Verstand  auf  jede  übersinnliche  Erkenntniss 
verzichten  müsse,  veriiert  auch  nach  Unten  alle  Realität 


«Qg  tÜMeni  lYiildpe.  451 

Men  sie  d«5  Wesen  ^er  Wahtiiehmvn'g,  ^cr ^fmiB- 
che»  SitointniM ,  arsfheM.  Diese  ist  Ba<^  KantAur  d(e 
sobjektive  Anscbamiiig  des  erödheinendea ,  an  sich  selbst 
aber  unerkennbaren  Dinges.  Indem  nmi  der  Verstand 
9Skm  auf  Ae  SfamKcbkeil ,  als  anf  die  einsige  ^QiieUe  des 
Gegebenen^  sieh  beziehen  kann,  diese  aber  an  sich  keine 
Reafiüt  enAftit,  so  schwindet  nach  Oben,  wie  nach  Unten, 
sie  obydEtive  Gewissheit;  der  Geist,  mit  sich  selbst  völlig 
allein ,  erscheint  nur  als  ein  leeres  Sich-in-sich^lbi^äb-- 
spiegeki,   ein  Reich  wunderbarer    inteUektueller  TNimlA. 

Sa  fthrt  der  Weg  der  Ka  n  tischen  Lehre no(hwend^ 
zu  einem  Systeme  durchgängiger  Subjektitit§t,  gefUt 
aber  desswegen  dem  erklärenden  (philosophisch  seinwol- 
lenden)  Verstände,  der  jedoch  znletet  nicht  erklart,  sondern 
vertilgt,  ud  hat  wider  sich  nur  die  nicht  erkifirende, 
sondern  positiv  offenbarende^  imbedingt  entscheidende  Vcfp- 
nimft,  oder  den  „liatAriichen  Vemunftglatiben. ^  --'  Und 
diess,  lügt  er  an  anderer  SteHe  binzn,  fst  das  Schick!- 
sal  aller  Philoeophie,  die  nicht  ein  ursprüng- 
lich höheres  Wahrnehmungsyermögein  an^ 
nimmt;  —  so  »neh  namentlich  derPbilösophie 
des  nnsterblicheii  Leibnitz!  — 

D^  Weg  der  Ja cobi sehen  Lehre,  indem  er  zu  ei- 
nem System  abseiilter  ObjektivitSt  (nach  Oben  ^  wie  naed 
Unten)  ffiirt ,  miariSUt  eben  daram  dem  am  begreiflichen 
sich  hakenden  Verstände ,  nnd  hat  f ü  r  sieb  nnr  die  nicht 
erUirende^  «umltdbar  offenbarende  Vernunft,  den  natünrii- 
diea  Vemnafiglaiiben  (Bd.  II.  S.  36.  Vgl.  von  den  g ölt i. 
Dingen;  BAAL  S.372.> 

Hier  gUt  es  daher  wieder ,  wie  es  uns  bei  J ac o b i 
fleii^  AnfiBMgs  entgegentrat,  eine  schneidende  Allemtttive^: 
entweder  die  Fluioso(^hie ^  und  besonders  die  K an  ti- 
sche, hat  den  „Nihilismus«^  als  ihre  höchste Konsecfttems, 
als  ihr  wahrhaft  letztes  Resultat  anzuerkennen ,  o  d  e  r-4H6 
hms8  zur  Annahme  einer  unmittelbar  wahrmachenden 
Vernunft  zunickkehren.  Kein  Drittes  ist  möglichl 

Und  wie  nun  nach  Oben  die  Venranft  da»  Uebersinn- 


m  JM«|i>  B«srtf  V 

.Mche  vm^ändcit^  sp'  ist^  «qcb  .«a^URien  i^e  WahrnckniMig 
.lyahr«,  acUquaU^  Auflbssung  des  SiniiliiKihieiif  ^»W^li'r- 
'Jfeliinen  im  cigwtliohen.  Sipne )  im  atrongalen  Woflver-- 
;^(ande|  wiewojhl.als  unbe (^reifliches  Wusder*^ 
AI50  nicht  eiiu^al  hier  vermiß  der  VeirstaAd,  iKe  fteflemMi, 
. ,erwcisoncr>  bewahrend,  soodem  mir  zweifeUiaft  ma^ 
phen^»  vernichtend  einxutreten  *).  **-  Und  so  ist  denn  von 
I^eiden- Seiten  Jacobi^s  Ansicht  umschrieben  Md  befe- 
stigt ;  i  i  das  menschlidie  Bewusstsein  ist  ursprünglich  wwtr 
Ql^i^f  Sinn,  jBibsoIute  Rcceptivität ;  nach  Unten  der  Aiis- 
senwftlt^  nach  Oben  dos  Uebersinnlichen  {S.  59|. 
Zwischen  beiden  steht  das  sich  eniwickdnde   Vemögen 
.  ifiVf  fleflexien ,    als  verbmdendes  und  beziehendes ,  in  der 
Jlitte ;  beide  werden  durch  ihn  ge^en  einander  abgewogen, 
unterschieden ,  verstandigt ,  und  eraengen  sa  die  firkcnnlr- 
jMss,  welche  die  wahrhafte  (Jaeobisdie)  PhiieAophie 
•ist:   denn  so  wie  die  sinnliche  Wahmeirinung  vea  der 
Vernehmung  des:  Ueber^nliohen  mit  Kborheit  sibh  unter- 
scheidet^ beginnt  Pbilosephle.  (S.  S6O9  Philosophie  in  Pl^- 
tpaischem  Sinne. 

,  Uud  :s9']schjEifit  an*  sich  diec  Vemunfl  keine  BegriffiE^ 
erbaut  keine  Systeme,  Drlh^ilel  auch  nitht,  soodem  ist, 
dem  äussern  Sinne  gleich,  bloss  ^ffen:barend,  ihren 
Inhalt. als  ißn  an  sich  gewissen  veiUkndend:  4ler  tcp- 
mittelnden  Verstaiftdesrefleklon  gegtinüher  >  ist  ihr  Wissen 
unmittelbaset  VernonfUnsehauHng  ^zn  nennen,  .— 
dem  Verstände  das  den  Sinnen  Unerreichbare  in  iber«* 
schwang^ichen  GeCHbien  allein,  und  doch  als  ein  wahr*- 
haft  Objektives  zu  erkennen  gebend  <S.  ö9j  6d.> 

Was  aber  ist  der  Inhalt  jener  VemunAanseimiung, 
wenn  sie  entwickelt,  d.  h.  zu  Verstände  gehn^GhC  wird 
im  Manschen  ?  ~  Auf  Gott  sehanend  schafft  ddr  Mensoh 
in  sich   ein  reines  Herz  und  einen  gevrtsaea   Geisl; 

•u> ■■ 


.* 


^)  Datnit  und  attdh  die  frübereii  ErLliMDgra  su  vergK»i€bcii,  •« 
dMD  Briefe  au  Fichte,  &  38.,  «lad  bereiU  im  Idtalift* 

AUS  und  Re«ai*i9u«,  Bd.  Ji.  $.  166.  07> 


von :  der  PlHloM|f|iie.  '  -963 

a  vsser  sich  CSutefl  und  ScboM«.  Und  fK>'  li|  ^s  die 
Selbfiltnschaniuig  der  Frei  bei t^  wßkhe  4io  Wurzel  dos 
lleRflciien  ausmuchl:  in  dieser  imieffsieQ  UQ|)ßr2Ciigiwg  von 
mnfit  Freiboit,  der  Erbabenbeit  über  die  Katar,  |hre  Ein- 
flösse und  mecbanischen  Ursacli^n  >  isl  d^T  Mß^  W^  ^ 
Uerritcfakettcdes  Mensehen,  .das  Ebenbild  GtM^i?  9^  ihm 
erscbieDen.  Denn  wie  der  Ifensch  der  eigenen  Fi^eiheii  in 
sieb  gewiss  wird,  erbebt  sieb  aucb  in  ibm  der  Glaube  an 
eise  bochsle  Persönlicbkeilund  Vorsehung  i  In  der  jener 
B^rilT  in  uberscbwänglicfaem  Maasse  yppjianden  sein,  muss 
(S.  45.).  Pas  Böcbsle  im  Menseben  deutet  auf  f  in  Allei^ 
böohstes  bin;  und  beide  Überzeugungen,  geschöpft  ni^bt 
aus  dem  reflektirenden  VereUnde,  sondern  siis  dor  Tjefe 
der  VemwA,  stOtzen  und  verklären  einander ;  dsi^  iJif  ef(it# 
Gefiöbl  seiner  Freiheit  deutet  dem  IHen^eh^n'  ai^f  e\nß  botibste 
Freiheit. und  V^rsebiiRg  hin;  und.  an  di^e  glfiul^n^t  wiiyi 
er  ^Yiedenm  der  eigenefi  Freibeit  nup.  g^avi^ser.  ^) 

Dain  aufcb  hier,  wie  oben,  bat  die  V.fTumU  ßif^W  i^Pr 
gen  Feind  zu  hekam^ir«! ,  den  Y  e  r  sM  9  d  9  4er,  si«b  4^* 
sie  erhebend»  ihre  Gab^  md  Anschaiipngen  zi^lSgo^ßi 
TtasdinDg  h^rabcusetzen  siicht,  R^flektiFend  yerknüpll  er 
übetall  Begebenheit  und  That  paoh  Ur^aqh^  und  Wirkung^ 
ud  weist  so  ebi  jedes  Einzebie  dersjdben  als  ¥ßrii.r4> 
8  a  e  h  t  e  s  auC  Alles  ist  ihm  daher  \TrketN  Pȣ%  ,eYf\g0f 
Vorheibeslinunung ;  und  njlbme  n^n,  beireisQt.  ^r«  F;rß  ir 
heit  an,  selbstständiges  Eingreifen  ausf  elg^a^er  Ma^bt  iip 
öen  Latf  d«r  Begißbenbeiten ,  wodurch  sie  so  oder,  anders 
gei^ikt  würd^;  —  das  ganze  Gebäude  der  Welt  miisste 
ohne  Hatarig  zusammenstürzen.  Aber  wie  vor  dem  Ver* 
Stande  die  Freiheit  verschwindet,  eben  so  schwindet  ],bw 
dann  aneh  die  Vorsehung  dahin.  Was  man  so  nepint»  Sfftgl 
er,  iirt  die  ewige  Notbwendjgkeit  jener  Causpiverkettung,  in 
der  Alles  beschlossen  hegt^     Jedes  wird  und  ist,  weil  eß 


*)  Dnn  bewoad^n  die  mafftsteiMk  Erklärung  &ber  den  Begriff 
dir  Freiheit  in  d«r  zweiten  Beil^e  des  Schreiben«  an 
Fichte,  S.  i^7ff.  (erste  Autjg.). 


264  Jteobrs  Begriff 

also  werden  und  sein  nrnss,  weil  In  dieser  unendliciieii 
Verknüpfnngf  aUer  Dinge  nach  Ursache  und  Wiricnng  Jedes 
die  mechanisch  wirkende  Ursache  des  Folgenden  wird ; 
und  so  laiift^  ohne  Untert>rechung  durch  freie  CausalitSI^  die 
Maschine  der  Welt  dahin. 

Bcmerkenswerth  Ist  dabei,  dass  Jacobi  diese  ab* 
Strakte ,  höchst  lückenhafte  nnd  unzureichende  WeUansicht 
zugleich  für  durchaus  unwideriegbar  halt  aus  V erstän- 
de sgriinden,  ja  (&r  das  einzig  spekulative  Resnl- 
tat  konsequenter  Forschungen  über  Freiheit  und  Vme^ 
faung:  nur  der  Inkonsequenz  oder  dem  Mangel  an 
dründlichkeit  könne  sich  diess  verbergen.  Vnd  so 
wie  er  oben  den  Nihilismus  für  das  leiste  Brgdmiss 
der  Fhilosophie  von  der  idealistischen  Seite  her  erklftrte, 
so  ist  es  hier  der  Fatalismus  von  der  natiffidistisdien. 
'"Wir  erinnern  dabei  an  die  bekannten  Sftlse,  in  denen  er 
früher  (Briefe  über  Spinosa,S.  3S3.  Werke  Bd«  IV. 
'S.  116  ff.)  den  Inbegriff  seiner  damaligen  Ucdieraengtin- 
gen  aussprach ,  welche  sich ,  nach  seinem  eigenen  Zeug- 
«nss,  übei^  diese  Funkte  semer  Ansicht  niemals  geind^t 
linben.  •—  ^Spinosismus  ist  Atheismus^':  (woxn  die 
jnerkwürdige  Anmerkung;  Weite  IV.  217 — 20.)  —  j,We 
Leibnitzisch- Wolffische  Philosophie  ist  mdit  n»- 
dw  fatalistisch,  als  die  Spinosische^  und  fuhrt 
den  unablässigen  Forscher  zu  den  .Gffunds&tzea  der 
letzteren  ziirück<^ :  und  endlich  der  Hauptsatz :  ,,  J  e  d  e  r 
Weg  der  Demonstration  geht  in  Falalismns 
a  u  s.  ^  —  Da  nun  das  fatalistische  Princip  eben  airf  die 
Läugnung  menschlicher  Freiheit,  einer  Vorsehung,  eines 
persönlichen  Gottes  hinausläuft;  so  schliesst  Fatalismif 
nothwendig  Atheismus  in  sich.  Verstandesphilosophie  also, 
so  wie  sie  im  Refiektiren  auf  die  Realifät  der  Snineffwelt 
tiothwendig  zuletzt  auf  NihiUsmus  kommen  muss ,  gerftk, 
ihre  Forschungen  über  das  Weltganze ,  das  Unbedingte, 
und  die  eigene  Freiheit  unablässig  veifolgend,  eben  so  on. 
vermeidlich  in  den  Abgrund  des  Atheismus:  und  wie 
schon  vorher  behauptet  wurde,  dass  die  Leibnitzische 


▼bn  dk  Philosophie.     '  M6 

PhHosophie  z.  B.  nicht  weniger  niUUfllisch  sei,  ak  die  X  an^ 
tische  ,  so'^wird  hier  überdiess  noch  hinza^fiigt/  dbSI 
sie  ebeaso  fatalistisch  werde  in  ihrer  hAchslen  Konsequefti^ 
wie  die  des  Spinosa. 

Aber  hier  nicht  die  Grunde,  sondern  bloss  den  Inhalt 
Jenes  Ausspniches  erwogen ,  scheint  in  ihm  ein  schwer 
auszugleichender  Widerstreit  sich  hervonsuthun.  Ist  das 
-letzte  Resultat  des  Philosophireos  Idealismus,  den  J  a  c  o  b  i 
nun  zugfleich  Nihilismus  schilt;  so  ist  darin  nücäi  nur  der 
strengste,  unv^söhnbarste  Gegensatz,  sondern  sogar  die 
direkte  Widerlegung  aller  falaiistischen  Ansichten  ausge-^ 
sprochen:  diese  gründen  sidi  sfiinmtlich  auf  das  als  ob<* 
jektiv  angenonmieiie  Princip  der  Causaütit;  aber  eben 
diess  leugnet  der  Idealismus  ganz  und  bis  auf  die  Wiirzd^ 
•Der  Fatalist  fasst  die  Diiqie  in  ihrer  immittelbaren^  sinnli^ 
Aetk  Vereinzelung  als  Realitäten;:  so  kann  er  fliren  KU* 
sammeBhang  nur  durch  medumucheBegründuiig  erklären. 
Eines  setzt  mit  absoluter  Nothwendi^kelt  das  Andere;  und 
auch ,  was  als  freie  That  erscheint ,  ist  diess  nur  durch 
Verborgenbleiben  der  wirkenden  Ursache.  Aber  eben  die^ 
ser  ganze  Standpunkt  wird  durch  den  Idealisons  auTgerf 
hoben,  dem  jene  „Dinge<^  und  das  an  ihnen. sich  ohjekr 
tivirende  Priticip  der  CeusaUtät  nur  subjektive  Bedeutung 
haben  kann,  und  dem  als  einzige  Realität  die  Sdbstaftsehatti- 
nng  des  unendlich  bildenden  ,  und  darin  sieh  begränzen^ 
den,  zu  bestimmten  Bildern  sich  fixirenden  Bewiusslseins^  der 
unendlichen  Selbstthätigkeit  des  Ich^  übrig  bleibt.  Beide 
können  also  eben  so  wenig  als  die  letzten  Konsequenzen 
der  Verstandesphilosophie  neben  dnander  bestehe,  oder 
nbeiiianpt  nur  mit  einander  gültig  sein ,  als  uberhaiqit  der 
unablässige  Forscher  in  Leibnitzens  Philosophie  jenen 
ttthilistischen  Idealismus,  und  zugleich  den  Fatalismus  S  p  i- 
nosa's  finden  wird.  Schon  nach  demjenigen,  was  wir 
oben  über  das  eigentliche  Princip  der  Leibnitzisdien 
Phaosophie  bemerkten,  müssen  wir  vielmehr  beide  Behaup- 
tungen für  durchaus  unbegründet  erid&ren,  welche  dennoch 
nicht  wenig  dazu  beigetragen  biben,  jene  Philosophie  und 


Süß  Jacoir^. Betriff  von  dir  FMIosophic. 

4]je  St>ekiiMon  aberiiaupl  Inier  uitg  in  Qbelii  Ruf  xu  brin^ 
86IL  Die  psychologwohe  BrUdning  von  dieser  Ansiclit 
Jacobi'«,  ^^  dcna  nur  eine  solche  bleibt  in  diesem 
Falle  übrig,  —  wird  sich  übrigens  im  weiteren  VeriauTe 
gdlen. 


Dieser  durch  ihre  Konsequenzen  zerstörenden  Yerstan- 
desphilosophte  tritt  jedoch  auch  hier  mederun  die  unmil- 
tdbare  Vernunftanschanung,  dem  unsprongliehen 
Gefühle  und  seinen  Aussagen  vertrauend^  gegenüber.  Un* 
mittelbar  schon  ist  in  sich  der  Mensch  seiner  Freiheit  sich 
bewusst^  der  absoluten  Unabhängigkeit  ton  allem  Natarme- 
dianisnus,  und  über  sich  gl  a  u  b  t  er  eine  höchste  Freiheit 
und  Vorsehung.  Aber  jene  omnätelbafe  Ueberzengung, 
irii  dieser  CHaube^  kanndutdiaus' nickt  begreiflich  gemncht 
werden,  indem  ihr  Begreifenwtrilen  vielmehr  beide  vemicb- 
teir  würde.  Begreiflich  ist  ihm  im  Mensehen  nur  eine 
Freiheit,  welche  das  Weltgeselz  dei'  Caüsalvericmpfong  Ober 
sich  hat,  die  dah^  m  Wahrheit  nicht  ist  eine  ursprAiig>^ 
hdie,  ans  sich  selbst  sich  entscheid«ade;  wodurch 
also  auch  der  wahre  Charakter  der  Freiheit  aufgehoben 
werden  würde.  Begreiflich  femer  ist  ihm  nur  eine  alloni«- 
fassende^  unwandelbare  Nothweiuligfceit,  oder  von  der  an- 
dern Seite  ein  Vorhersehen  aiis  Erfahrung;  beides  den 
Gedanken  einer  göttlichen  VorscHung  gieiehmässig  auf- 
hebend.« 

So  kann  an  Gott  und  eigene  Freiheit  nur  geglaubt 
werden ,  Weil  ein  tieferes  Brwagen  ihres  Begriffes  einen 
inncm  Widerspruch  in  ihnen  aufdeckt  ^  der  ihn  vielmehr 
zerstört,  statt  ihn  zu  befestigen.  Es  ist  beides  ein  Ur*- 
nml  (Irundwundeir  dem  Erkennen,  das  es  nur  auflSis- 
sen  kann,  wie  es  sich  ihm  darbietet  durch  unmittelbare 
Veniunit,  ohne  es  je  selbst  erweisen,  begründen^  überhaupt 
er^it^rn  zu  dürfen.  —  Und  so  ist  auch  hier  das  hödUle 
RetfuKttt  ein  unversöhnlicher  Geg^satz  zwischen  Verstand 
und  Gemuth,  wasftiditaaikders,  denn  ein  bostandigesSchwi 


km  swisdhea  Theorie  und  mmUtriburemGeAliliB  ^mwgen 
kann.  Dennoch  fipgt  Jacob  i  hinsn,  dass  eben  diese  An- 
nähme  einer  wohihaAen  Vorsehong  nnd  FreiheU  nichl  blois 
im  höchsten  Wesen,  sondern  tterhaupt  in  jedem  Temfin^ 
tigen,  und  die  Behauptung,  dass  jene  zwei  Begriffe  rfeh 
gegenseitig  voraussetzen,  seine  eigene  „Philosophie^  von 
allen  andern,  seit  Aristoteles  bis  auf  den  hetv- 
tigen  Tag  entstandenoA  unterscheide:  wo- 
durch er  wiedervn  auf  seine  Einigkeit  mit  Piaton  bift- 
deuten  zu  woUea  scheint. 

Hieran  hu^ft  sich  in  der  ang0iiihrten  Darstelfaing  (B4  IL 
S.  49.  ff.}  noch  eine  scharfe ,  und,  wie  9ns  di^akt,  übrigem 
treffende  Polemik gogen  diejenigen  Philosophen,  welche,,  um 
jener  Alternative  von  fatalistischer  Lehre  oder  ym  reinem 
Venumnglauben  an  einen  persönlichen  Gott  zu  entgehen, 
zum  Begriffe  einer  bewusstlosen  Vernunft  als  der 
«absoluten^  ihre  Zuflucht  nehmen,  die  da,  wie  die 
Natur  in  ihrer  Entwicklung  blinde,  unwillkürliche  Weisheit 
an  den  Tag  legt,  auch  an  sich  vernünftig  sei,  ohne  von 
sich  zu  wissen  oder  vorzusehen;  uin  durch- solche  Annahm 
me  dem  Gedanken  einer  vernnnftlosen  Mothwendigf 
keit  zu  entgehen.  Hier  zeigt  er  nun  unseres  Erachten^ 
vollkommen  genügend,  wie,  diess  Princip  zum  Uraniang- 
lichcn,  Absoluten  gemacht,  es  Nichts  helfen  könne,  dassßlbp 
etviraiils  Vernunft  und  vernünftig  zu  benennen,  indem 
es  dennoch  nur  Macht,  Schicksal  bleibe,  Vernunft 
und  Vorsehung  dann  aber  in  Wahrheit  überall  nicht  Statt 
finde ;  —  wie  also  jene  Ansicht  von  der  des  f^ataUsmus 
inneriich  nicht  verschieden  seL  Es  ergiebt  sich  dahor,  dass 
der  Begriff  einer  bewusstlos-vemünltigen,  blinden  Vernunft 
nur  einer  von  den  vielen  inireifen  und  unentwickelten 
Denkversuchen  sei ,  die  vor  der  Klarheit  reiferer  Spe- 
kulaßon  längst  hätten  verschwind«!  sollen.  Auch  der 
sürengste  Fatalist  kann  nicht  läugnen,  «lass  seine  Nothwen«- 
digkeit  absolute  Ordnung,  innerliche  Vorbestimmung  enU 
halte,  dass  sie  also,  sei  es  auch  blind,  doch  vemunßgeraäss, 
alle  Dinge  un^dlich  zur  Einheit  leite.     Aber  eben  di^ce 


MB  KrKk  de»  PanMielsiiiQs. 

"btinde  Vernmift  im  Aburolaten,  dieser  eing^pAmzfte 
Irtstinkt  des  VeniOnftlgfen'  im  nranfiit glichen  We^en, 
isl  das  tief  und  absolut  VemunM^se ,  ja  Ufig^reimfe ,  ge- 
rade fSr  den  Verstand ;    und  von  hieraus  hatte  J  a  c  o  b  i 
allerding«  den  Hebel  einer  -wisaensdiaflliehen  Wideilegwig 
einsetzen  sollen.  -^  Von  Wannen  denn  überhaupt  jener 
angepflanzte  Instinict,  jenes  blinde,  doch  vemünfUge  Tlinn, 
wenn  nirgends  sehende  Vernmift,  absolut  Wisseades 
«nd  Ordnendes  ist?«   Wie  kann  femer  das  Blindwiriccnde, 
aber  Vernünftige,  überhaupt  nur  in  irgend  einem  Smne  fSr 
•das  UranfSngliche  oder  Absolute  gehalten  werden ,  da  in 
jener  Art  des  Wirkens,  wie  sie  in  der  Natur  gegeben 
ist,  an  sidi  selbst  schon  das  Bedingt  -  und  Vermitteltsein, 
das  Oeleitetwerden,  also  die  Nichtabsolnfheit,  sich  verrdth  ? 
Die  Widerlegung  wäre  aus  reinen  Verstandesgründen  mög- 
lich gewesen;  ganz  ebenso,  wie'  er  den  spSter  aufgekom- 
menen BegfrifF  Gottes,  als  des  absoluten  ileistes,  der  jedoch 
erst  im  Menschen  zu  wirklichem  Bewusstsein  und  Persön- 
lichkeit gdangt,  aus  demselben  Principe  durch  die  blosse 
Konsequenz   des  Denkens  hätte  widerlegen   können.    — 
Und  so  stimmen  wir  zwar  mit  J  a  c  o  b  i  uberein ,  wenn  er 
behauptet,  was  Gott  zu  einem  wahren  Gotte  mache  (zum 
Absoluten,  zur  ewigen  Einheit  afler  Dinge) ^  sei  Vor- 
sehung (absolutes  Bewnsstsein)  zu  nennen  (Bd.  11. 
8.  51.).    Aber  aus  gleichem  Grunde  scheint  uns  auch  hier 
die  AlhDrnatiTe  unzureichend,  die  er  zum  Schlüsse  aufstellt : 
das«  der  Geist,  wenn  er  über  den  Dingen   sinnend  ver- 
weile,  entweder  zuletzt  nur  auf  ein  iu  x«/  ncTy,    ein 
unendlidies  Setzen  und  Aufheben  und  absolute  Verände- 
rungskraft kommen  könne,  keineswegs  auf  Schöpfung  und 
einen  Schöpfergott ;   oder  dass  diese  Erkenntniss  nur  das 
Erzeugniss  und  Eigenthum   eines  Vernunftglaubens 
bleiben  müsse ,  welcher  nie  zu   Verstände   gebracht 
werden  könne.    Auf  die  Frage  nämlich,  ob  nun  umgekehrt 
durch  die  Annahme  eines  persönlichen  Gottes,  einer  höch- 
sten Intelligenz  'und  Freiheil  am  Anfangfe,  das  AH  besser 
m  hegreifen  sei,  als  wenn  man  es  sich  denke,  wie  ein 


Kritik  4es  Pantheismus.  i^ 

ewlg,4n.|l^h  selbst  kreisendes  .Wesen,  iM  QJs^iofpfra 
naturans}  ohne  SelbstbewDSStsein,  okne  Verstsnd  imil  Wilb 
ist;  als  naiura  tHUurata  aber  voQ  selbstbeivusster ,  ver- 
ständiger, nach  Begriffen  sich  bestimmender  Wesen,  deren 
keines  jedoch 'ein  absohiter  Geist  sein,  noch  je  werden 
kann;  —  so  antwortet  er  ein  entschiedenes  Mein  (Bd.  U» 
S.  12L220:  —  wahrend  doch  "von  Piaton  bis  auf  Leib-- 
aitz  viehnehr  aUe  gr&ndliche  Spehnlation  äbereinstinimead 
anerkannte,  dass  in  jenem  Begriffe  erst  die  eigentUcbe 
Lösung  des  Welträthsels  zu  finden  sei,  und  dass  ohne  den-^ 
selben  eigentlich  Nichts  verständlich  gemacht  werden 
könne.  ^^  Wohl  aber  das  begreife  er  vollkommen ,  setnt 
er  hinniy  dass  Vorsehung  und  Freiheit,  wenn  nicht  am  An->* 
fange,  dann  überhaiq>t  nicht  seien ;  der  Mensch  mithin  von' 
seinem  Geiste,  Herzen  und  Gewissen,  diesen  unmitlelbar- 
sten  Ansprüchen  seiner  Vernunft,  dann  nur  getauscht  w^- 
de :  „ein  Mährchen,  eine  L%e  wäre  dann  der  Mensch,  eine 
Löge  des  Menschen  Gott  —  der  Gott  des  Sokrate^  und 
Pia  ton,  der  Gott  der  Christen.««  —  »So  lautete  meine 
früheste  Rede:  ich  ende,  wie  ich  begann««  (S,  123,)* 

Wenige  Zuge  vollenden  noch  das  Bild  seiner  ganzen 
Denkart:  Wenn  Jemand  spricht,  er  wisse,  so  fragen 
wir  mit  Recht :  W  o  b  e  r  ?    Sein  Wissen  beweisend ,  muss 

4 

er  zuletzt  auf  Eines  von  Beideii;  sich  berufen,  auf  Sinnes- 
empfin4ung  oder  GeislesgeffthL  Von  dem  Inhalte 
des  letztem  sagen  wir,  dass  er  geglaubt  werde,  und 
flonit  kann  Gott,  Geist,  Freiheit  nur.Gegenstaiid  eines  Glau- 
bens bleiben.  ^  So  gesteht  er  denn  (S.  50.)  „ohne  Scheu,« 
dus  seine  Philosophie  von  dem  Geffihle,  dem  objekti-. 
ven  und  reinen,  ausgehe,  dass  sie  seine  Autorität  Rr 
die  höchste  aneikenne  und  in  der  Lehre  vom  Uebendni^. 
liehen  sich  auf  diese  allein  giiinde.  Wissen  aber,  d.  h« 
Gewissheit  aus  zweiter  Hand  durch  Reflexion  und  Beweis^ 
sei  bei  diesen  Gegmistinden  unmöglich.  Daher  denn 
auch  der  Satz:  dass  ein  Gott,  der  gewusst  wer- 
den könne,  kein  Gott  sei,  in  diesem  Sinne  gani 
konsequent  erscheint:  es  hiesse,  Gott  zu  einem  beweis-« 


270  '    Chmraktcr 

baren,  endlichen  Wesen  machen,  wenn  man  Bm  in  der 
Form  des  Wissens  besitzen  wollte. 


Hiermit  wäre  J  a  c  ö  b  i  's  Theorie ,  nach  ihrem  allge- 
meinsten Umfange  und  in  dem  Kerne  seiner  Denkart,  tib- 
geschlossen.  Wir  haben  ihn  selber  bei  den  wichttgsfen 
Stellen  in  wf^rllichen  Anführungen  reden  laissen ,  weil  wir 
bei  mehrmaligen  Versuchen  selbststfindif  er  Darstellung  flui- 
den, was  hier  allerdings  als  charakterislisch  erscheint,  dass 
jene  Theorie,  entkleidet  von  den  urspröngfichen  Wendun- 
gen und  Aosdrickeii,  unter  unsem  Hinden  eine  andern  zu 
werden  drohte:  und  so  konnte  die  treueste  DafstellBng 
Hier  fest  nur  eine  wörtliche  sein. 

Aber  Auch  bei  J  a  c  o  b  i  selbst  ist  sie  nur  d^rgesf dft, 
nicht  eigentlich  erwiesen.  Die  Beweise  sind  lediglich  ne- 
gattTcr,  polemischer  Art,  um  die  Nichtigkeit  der  Re- 
flexion und  der  Verstandeserkenntniss  darzuthun.  Die 
Theorie  selbst  beruht  dagegen  nur  auf  dem  Glauben  an 
die  unmittelbare  Aussage  des  Bewusstseins  (der  YemuAft) : 
ihr  positiver  Beweis  ist  daher  nur  die  Berufung  auf  die 
Stärke  jenes  Zeugnisses,  etwas  Umniitelbares  und  allgemein 
Menschliches.  —  Diess  Verhaltniss  müssen  wir  jedoch  als 
ein  nothwendiges  anerkennen.  Glaube  h(mh  nämlicli 
ilberäll  nur  negativ  bewiesen ,  d.  h.  die  gegen  Ihn  gerich- 
teten GrAnde  und  Beweise  vnderlegt  werd^^  und  so  ist 
die  Polemik  eine  noäiwendtge  Gegenseite  Jaeobi scher 
Philosophie ,  an  welcher  sie  selbst  sich  sogar  entwickelt 
und  gekräftigt  hat,  und  wenn  es  gälte,  ihn  nach  einem  d^ 
gebräuchlichen  Sektennamen  zu  bezeichnen,  so  müsste  man 
ihn  zu  den  Skeptikern  zählen>  insofern  er  dieGQUig- 
keit  «Uer  spekulativen  Verstandeserkenntniss  entscUeden 
läugtiet. 

Seine  positive  Lehre  ist  dagegen  in  einer  einzigeii 
Grundanschaming  abgeschlossen ,  deren  fiigenfhuiidiches  in 
won^gfen  Worten  bezeichnet  ist.  *  Das  Bcwusstsein  als 
sdcbes  ist  VeTiiebm)en>  Abspiegeln  eines  Andern  ausser 


571 

rieh,  einer  wabrfaaßea  Rciriiliti  ud  nur  dadnroh  wird  es 
«elbst  ein  Reales,  abo  BewussUSein,  wMirend  es,  a6 
nur  sich  seihst  in  sich  abspiegelml  gedacht  —  imd  diesb 
hielt  er  für  die  Ifeinung,  wenigsleiis  für  die  letEte  Kon^ 
söqnepz  Kaut's  «ml  der  WissensdiaftsMre ,  «^  ebea 
Vomehmen ,  Abspiegeln  des  Nichts ,  alle  Realitil  nur  lü-> 
gead,  der  grösste  afler  Widersprüche  wäre.  —  Bewnssl^ 
sein  also  ist  diess  nur  dadurch ,  dass  es  Organ ,  Vemeh^ 
mmHg  ist  des  absolut  Realen,  dessen  Existenz  ihm  dahet 
scMechthin  voranszusetcen  ist  Ist  es  aber  in  seiner  Wnr^ 
feel  vernehmend,  posttiv  oflfenbarend;  so  kennen  9rtie 
vamittelbaren  Aussprüche  nidht  tiuschen,  Tielniehr  liegt  4a 
ihnen  das  lünteriuia  aller  Wahiheit,  die  absolole  Entschei- 
dung in  letzter  Instanz ;  md  es  käme  nur  darmrf  an ,  sie 
rein  abzuhören  und  richtig  zu  würdigen.  Was  da  täu-^ 
sehen  und  frrthum  erzeugen  könnte,  wäre  nur  das  Be* 
wosstsein  aus  zweiter  Hand ,  die  R  e  f  1  e  x  i  o  n ,  die  will^^ 
kflhrlich  abstrahirend^  das  innerlich  Verbundene  trennt  ^  die 
Fülle  jenes  Inhalts  mtleert  und  so  seine  innere  Ckrwls»** 
hrit  cntkriitet. 

Aber  indem  wir  mit  veHer  Ueberzeugung  dieser  An- 
rieht beitreten  wollen,  drftngen  sich  uns  andere,  eigenlliok 
spekulative  Fragen  entgegen,  die  wir,  bloss  auf  jene 
«nihitlelbaren  Aussprüche  der  Vernunft  hörend,  nicht  zu 
losen  vermögen,  ja  die  Mfgar  aus  ihr  selbst  sich  entwickeln« 
Und  diess  ist  der  Grund,  wodurch  die  Theorie  Jacobi*s 
von  ihrem  eigenen  Standpunkte  und  dessen  Prämissen  aus 
unairfhaltsum  in  eineft  umfassenderen  Kreta  der  Betrachtung 
hinausgetrieben  zu  werden  scheint^ 

Das  Bewusstsein,  ursprünglich  Vernehmen  des  ab- 
soluten Seins,  der  ursprünglichen  Realitfit,  wenn  es,  diesen 
Ck^daaken  festhaltend,  sich  in  demselben  verlieft,  muss  je*^ 
nes  eis  das  Ewige,  Wandellose,  nicht  entsenden,  nicM 
tei^nglich,  als.  Sein  aus  und  durch  sich  erkennen« 
Sdion  der  einfache  Begriflr  des  Wirklichen  überiiaupt  Ifisst 
den'  Gedanken  eines  Entstehens  und  Vergehens  desselbett 
nicht  mehr  zu:  das  wahrhalR  Wirkliche  ist,  eben  als  sot- 


972  Kntik  denitibeB. 

;Ohes,  nur  ab  swig  lu  denken.  Der  wahre  Inhal!  Jener 
Vemunllansdiaaung  isl  daher  in  seiner  Ursprünglich- 
keit,  nicht  sowohl  die  Idee  eines  (persönlichen)  Gottes, 
einer  Weisheit  und  Vorsehung,  wie  Jacobi  IrelgdHf 
genug  in  ihren  Aussprüchen  hat  lesen  wollen,  als  die  Uee 
eines  sdilechthin  Unbedingten,  überhaupt  eines  uranfing* 
lioheB,  ewigen  Seins,  welches  nur  als  der  Grund- sein  er 
selbst,  und,  nach  der  andern  Bestimmung,  als  der  alles 
Seins  begriffen  werden  kann.  Dieser  wahrhaft  und  a  1- 
lein  unmittelbare  Ausspruch  der  Vernunft,  welchen  Ja- 
cobi gewiss  nicht  in  Abrinde  za  stellen  geneigt  ist,  fa^ 
«dennoch ,  in  seiner  vollen  Konsequenz  l'eslgehaltän  ^  die 
ganse  GlaubensdicOTie  desselben  auf,  und  zwingt  ihn,  sich 
«auf  eigenllich  spekuktive  Fragen  einzulassen.  —  Ist  das 
S^  schlechthin,  das  Ewige,  Göttliche,  alles  Sein,  wie 
doch  zugestanden  werden  muss ,  wenn  auch  nur  mit  dem 
Inhalte  jener  Vemunftanschauung  Ernst  gemacht  werden 
4S0il,  --?  wie  vennag  dann  eine  Welt  des  Endlichen,  des 
Entstehenden  und  Vergeheaden,  zu  existiren,  die  umgekehrt 
nichts  Ewiges  in  ihrem  Umkreise  erscheinen  lässt?  Die- 
sem Gegensatze ,  ja  Wideri^ruche  vermag  sich  jene  Yer- 
aunftanschauung  }un  so  weniger  zu  entziehen,  je  fester  und 
ihrer  selbst  gewisser  sie  in  sich  geworden  ist :  dadurch 
gerath  jedoch  ihr  vorher  ruhender  parteiloser  Zustand  in 
die  Spannung  jenes  Zweifels  und  Widerstreits,  und  die 
Spekulation  wird  aus  diesem  Kampfe  erzeugt,  aii  deren 
erster  unvermeidlichster  Quelle  wir  stehen ;  und  bitte  es 
Jacobi  gelingen  können,  sie  völlig  mid  bis  auf  die  Er* 
innerung  auszurotten ,  sie  hfttte  sich  hier  wieder  neu  er- 
zeugen müs/^en.  Denn  es  ist  keineswegs  eine  müssige 
Schulphilosophie  oder  die  Vermessenheit  eines  eitehi  und 
verhärteten  Verstandes,  wie  Jacobi  diess  darzasteDen 
ttebt,  sondern  das  tiefste  Bedürfhiss  des  ganzen  Men- 
schen, welches  zu  solchen  Fragen  treibt ;  und  die  Religion 
wäre  nicht,  e^  würde  kein  Bedürfniss  derselben  gefunden, 
•wenn  jenes  Bewusstsein  des  Widerspruches  nicht  wenig- 
jstens  verborgener  Weise  im  Abgrunde  des  Geistes  schfan»» 


KrHIk  d^r5elbcfl.  373 

mefte.  Es  ist  nicht  Woss  der  aHgemeinste  Ansdnich  ffir 
die  Hauplaiirg^abe  der  Spekulation ,  sondern  das  Räthael, 
welches  theoretisch  wie  praktisch  aus  allem  Dasein 
sich  hervordrangt!  wie  äberfmopt  zu  existiren  vermöge, 
was  vielmehr  nicht  sein  sollte,  das  Vergängliche,  Nichtige, 
UnvoIHtommne ,  und  was  zogleich^  damit  gesetzt  ist,  dio 
Sande  und  der  Wahn  ?•  Woher  Oberhaupt  jener  Streit 
der  Erscheinung  mit  der  innersten  Wahrheit  und  Evidenz 
des  „  Vemnnnglaubens^,  der  ja  auch  für  Jacob i  der 
hödisle  Maassstab  aller  Erkenntniss  und  Gewissheit  ist  ? 

Diese  Frage  umgeht  Jacobi  durch  die  ungenügende, 
^k'iclisam  nur  histerische  Auskunft,  dass  der  menschliche 
Geist  Vernehmen,  Recepliviläl- sei ,  nach  „Unten«  für  die 
Sinnonwelt,  also  im  eigentliehslcii  Sinne  wahr-nehmcnd 
dieselbe;  (wahrnehmend  also  dasjenige,  wovon  höchst 
zweifelhalT,  ob' überhaupt  ein  Wahres  in  ihm  enthalten I) 

—  nach  „O  b  e  n^'  fSr  das  Uebersinnliehe ,  einen  Golt  mit 
persönlicher  Freiheit  und  Vorsehung;  ( —  was  heisst,  oder 
erklärt  hier  jenes  „Oben"  und  „Unten«'?  — )  wiewohl 
übrigens  beide  Verkündigimgon  des  Bewusstseins  ein  un- 
begreifliches Wunder  bleiben  sollen,  jeder  Erklärung  und 
Entwicklung  durch  Verstandeserkenntniss  widerstrebend. 

Und  durch  diesen  wahrhaft  anti platonischen 
Glauben  an  das  (li^  ov  der  Sinnenwelt,  durch  einen  Dua- 
lismus, der  jeder  näheren  Erörterung  ausdrücklich  aus- 
weicht, durch  die  ungenügende  Auskunft,  er  sei  ein  Ur- 
nnd  Grondwunder,  meinte  er  jede  spekulative  Philosephie 
zu  übertreffen ,  ja  frömmer  imd  heiliger  zu  sem,  als  jene, 

—  die  nothwendig  atheistische?  —  Vielmehr 
müssen  wir  behaupten,  dass,  wenn  er  wahrhaft  durchdrun- 
gen gewesen  wäre  von  def  £videnz  jenes  Vemunftglau- 
bens,  von  der  unvcrlilgbaren  Gewissheit  des  Ewigen,  wie 
z.  B.  S  p  i  n  o  s  a ,  der  mit  dieser  Wurzel  des  Spekulativen 
auch  die  der  Religion  gerettet  hat^  er  jenen  Zwiespalt 
nimmer  so  ruhig  hätte  dahingestellt  sein  lassen  können ;  — 
er  hatte  in  der  Art,  wie  Spinosa  und  das  Identitatssy- 
Stern  in  seinen  verschiedenen  Gestalten  ihn    mehr  vertilgt, 

18 


274  Kritik  derselbea, 

ate  a(ua(gfieidit ,  ein  theoretisch  vtelleichl  ungenügendes,  in 
kekiier  Art  jedoch  irreligiöseis  oder  i^h^isiischßs  Begianea 
erblicken  können.  Am  allerwenigsten  endlich  hille  er,  in 
der  That  erfüllt  und  getragen  von  dem  lebendigen  Yer- 
nunftgiauben ,  dem  verdüsternden  Wahne  sic;h  hingeben 
können,  dass  jedes  Begreifenwollen  der  Sinnenw^lt  nnrsu 
btalistiischen  Lehren  führen  könne,  oder  dass  mm  f,eine 
Intelligenz  am  Anfange^ ,  einen  „schöpferischen  Gotl  \er- 
auHselzend^  das  Dasein  des  Weltalls  schlechterdings  nicbt 
besser  zu  begreifen  vermöge,  als  wenn  man  diess  Weltatt, 
uidit  als  ,,Werk%  sondern  als  ein  ewiges,  ohne  Anfang 
und  Ende  in  sich  selbst  kreisendes  ^Wesen^  betrachte 
(IL  S.122.  Vgl.  III.  &403O.  So  ohnmächtig  also  wäre 
der  Begriir,  dass  er  nicht  vermöchte,  bloss  aus  sich  selbst 
jeni's  liüble  Gespenst  eines  Aberglaubens  an  die  selbstge- 
machten Abstraktionen  zu  stürzen?  Man  eikennt  schon 
hier  den  unfruchtbaren  Zwiespalt  dieses  ganzen  Philoso- 
phirons;  dem  Gotte  des  Glaubens  za  dienen,  zeigt  es  den 
besten  Willen;  aber  dem  Götzen  jener  Verstandosbegrifle 
kann  es  doch  nicht  absagen,  welche  ihm  die  ,^^atur<^  als 
ein  blindverzehrendes  Ungeheuer,  als  uneutfliehbarc  Schick- 
salsverkettung  vorspiegeln;  zu  einer  lebendigen  Erfah- 
nmgserkenntniss  derselben,  die  ihm  den  immanenten, 
allgegenwärtigen  Zweck,  in  ihr,  das  Gescfaaffensein  durch  den 
Geist,  mit  sinnlicher  Unwiderstehlichkeit  vor  Augen  rücken 
musste,  will  seine  Bildung  sich  auch  nicht  herablassen; 
iumI  so  schwebt  er  unsicher,  und,  trotz  seinen  Versicherun- 
gen, doch  ohne  die  Starke  iiigend  eines  Glaubens,  von 
enigegengesctzten  Machten  angezogen,  zwisdien  ihnen  hin 
und  her. 

Anders  und  gründlicher  darin  schon  die  einfache 
christliche  Zuversicht :  kann  sie  den  Ursprung  des  Ungött- 
lichen, der  Sünde  und  des  Todes,  auch  nicht  erklären ;  so 
haftet  sie  doch  nicht  zweifelnd  und  grüblerisch  an  ihnen, 
um  sich  die  eigne  Zuversicht  stets  dadurch  verkümmern  zu 
hissen:  sie  gelten  ihr  nur  als  dasjenige,  an  denen  Gott 
seinen  Willen  offenbart,  an  deren  Ueberwindung  im 


KrUik  derselben.  .  275 

Menschen  und  in  der  Weit  er  seine  Machl  verherrlicht^ 
d.  h.  ftb  das  an  sieb  Nichtige.  Und  so  ist  auch  jenen 
Glauben  Gott  der  einzige  Wehrhaftseiende,  und  was  am 
Menschen  und  in  der  Natnr  ist,  die  Offenbarung  des* 
selben.  Die  Natnr  offenbart  Gott^  nach  christlichem  Gei^ 
s(e,  nach  seiner  Macht,  in  seinen  ewigen  Gesetzen; 
allerdings  ist  ste  auch  ihm  unverbrüchliche  Nothwendigkeiti 
aber  mit  dem  Gepräge  göttlicher  Weisheit ,  als  das  Werk 
seiner  Zwecke:  nicht  aber  verbirgt  sie  Gott,  wie  Ja- 
cob i  will*)^   nicht  aber  leitet  ihre  Nethwendigkeit,  die 


*)  y.  d.  gottlicben  Dingen  S.  189.   Hl.  S«425.  »Die  Natur  ver- 
birgt Gott,  weil  sie  überall  nur  Schicksal,  eine  ununterbro- 
chene Kette  von  lauter  wirkenden  Ursachen  ohne  A  nfang  und 
Ende  ofreobart,  aussrhliessend  mit  gleicher  Nothwendlgkeit 
Beides:  Vorsehung  und  Ungeföhr.  —  Willenlos  wirket  sie  und 
rathschlaget  nicht,   weder    mit    dem    Guten,    Jdoch    roil  dem 
Schönen,  auch  sdiaffet  sie  nicht,  sondern  verwandelt  absieht- 
los  und  bewutstlos  aus  ihrem  finstern  Abgrunde  ewig  nur  sich 
selbst*'  U.S.W.    —     Was  Gothe  von  diesem  Ausspruch  und 
der  ganzen  damit  zusammen  hangenden  Denkweise  übe/  die  Natur 
urtheilt,   ist  bekannt  (Werke.  1  H.  Bd.  XLV.  S.  293.  vgl.  3d.  L. 
S.253);  und  als  gelegentliche  Notiz  mag  hinzugesetzt  werden, 
dass  auch  G  G  th e's  Gedicht  (Bd.  II,  S. 202.3.)  sich  auf  J  a  c  o  b  t 
bezieht  und  das  Werk«  woraus  jene  Stelle  genommen  ist ,  im 
Auge  hat     —    Aber   audi  gegen  F  r.  -S  c  h  1  e  g  e  1   u.  A*  be- 
durfte Jacob!  der  Apologie  dieser  Worte  (vgl   Vorrede  zum 
III.  Bde.  S.  IX*— XI.) ,    welche  indess    Qber  den  wahren  ,    im 
Texte  nachgewiesenen  Grund'  seiner  Behauptung  keinen  Zwei- 
fel lässt:  er  kennt  und  versteht  uot,er  der  „Natur"  nur  ihren 
abstrakten  oder  formellen  Begriff,   die  Nothweiidigkeit  eines 
-(leeren)  unendlichen  Sichverwandeins  ohne  Anfang  und  Ende, 
ohne  dabei  von  ihrem  vemunflvollen,  Zweckerfullten  Inhalte 
die  geringste  Notiz  zu  nehmen.     Diess  entleerte  Abstr^ktum 
verdient  dann  allerdings  alle  die  schlimmen  Prädikate^,  weU 
che  sein  gerechter   Hass  gegen  dasselbe  ihm  eiugiebt;    aber 
ist  diess    die  wirkliche,  lebendige  Natur?     Dass  diese  jedoch 
»uicht  schaiTend«',  sondern  willen-  und  bewusstlos  „wirkend", 
dennoch  nur  Absichtvolles  und  Vernunflgemässes hervorbringt 
In  ihrem   ewigen  „  Aussichselbstiichverwandeln  " :    das  macht 


276  VcjrbftKntfis  JncobPs 

diiuhlerbroelicfiio  Kette  von  Ursachen  ohne  Anfang  und 
Ende,  umermeidlich  auf  ein  blindeg  ^  Schicksal.^  Forsche 
auch  nur  mit  dem  Verstände,  könnte  das  Christenthuni 
sagen «  in  dem  Eineelnen  der  Dinge ,  in  dem  Gesetze  der 
Gestirne,  wie  im  Organismus  der  Pflanze,  und  überall  wirst 
Du  wcishcitsvolle  Notfawendigkeit ,  vorsocfende  Ordnung 
gewahr  werden!  —  Der  kräftige  Glaube  an  einen  le- 
bendigen Gott,    fem  davon,   den  Verstand  zu  schmähen, 


sie  eben  für  das  grundlicbe  DeDken  zu  einem  Nidit-Letzten 
oder  Absolnten,  «ondern  zum  »Werke*«  einet  „  uranOingii- 
eben" ,  seinen  Zweck  in  ihr  Tollziehentlen  „  Gottes ,  einer 
„W  eltursacb  e*%  nicht  eines  mW  el  t  g  ru  n  d  e  s*',  worin  Ja. 
cobi  den  Gegensatz  von  Theismus  uud  Piaturalismus  lixiren 
zu  Lüonen  glaubt  (S.  404).  Schon  von  hier  aus  daher  ertcheint 
der  Naturalismus,  wie  Ja  cobi  ihu  auffasst,  als  ein  Tullig 
UDzureicbeudes  System ;  und  Nicbts  weniger  als  suzageben 
ist,  was  Jacob  i  an  anderer  Steile  (S.  4030  yertichert:  .»Der 
Schlnss  ans  der  Une  r  gr  ün  diichkeit  (?)  der  Natur  auf 
eine  Ursache  ausser  ihr,  welche  sie  hervorgebracht  und  a  q-> 
gefangen  haben  müsse,  war,  ist  und  bleibt  ein  fehlerhafter, 
philosophisch  nicht  zu  rechtfertigender  Schluss*':  —  wenn 
man  nämlich  an  dieser  Ausdrucksweise  berichtigt,  was  daran 
von  ebenso  unphilosophischen,  als  unwesentlichen  Bestimmun- 
gen sich  hin  zu  gemischt  zu  haben  scheint  Denn  „Unergrfind- 
lichkeit«  der  Nat'nr  —  diejenigen,  welche  «ich  um  einen  sol- 
chen »Schluss*«  bemühten,  sprachen  klarer  und  bezeichnen- 
der hierbei  von  einer  continggntia  mündig  —  ist  ein  so 
schwankender  und  vieldeutiger  Begri£f,  dass  wir  ebenso  gut 
sagen  können:  die  Natur  ist  nach  ihren  meisten  Seiten  noch 
une  rg rund  et,  als  sie  doch  überhaupt  und  unläugbar  (auch 
nach  J  a  c  o  b  i's  erkenntnisstbeoretischen  Voraussetzungen} 
ergrundlich  ist.  Die  Ursache  »ausser  ihr<<  femer müss- 
te,  gerade  um  ihre  Ursache  sein  zu  können,  in  anderm  Sinne 
in  ihr  sein,  und  das  blosse  oder  ausschliessliche  „  Ausser  << 
oder  Eztramundane  würde  die  „  Unbegreiflichkeit "  über  die 
ganze  Frage  verbreiten,  aber  nicht  durch  die  Schuld  der  Sa- 
che, sondern  der  wtUkührlich  dazu  gebrachten  Voraussetzun- 
gen. Ebenso  ist  es  mit  dem  Begriffe  des  »Anfangenss  der 
gleichfalls  an  Unbegreiflichkeit  scheitern  kann»  wenn  er  hier 
in  seiner  rohsinnlichen  Bedeutung  angewendet  werden  soll. 


zam  Ckristcnthuiiie.  S77 

oder  ihm  gewaltsam  das  Auge  zu  verscMiessen ,   forderl 
Yiehnehr  unablässig  ihn  auf,  diesen  Gott  in  allem  WirfclL 
chen,  als  in  der  Offenbarung  desselben,  zu  bewahren:  und 
so  hat  sieb  auch  das  Christenthum  nichts  weniger  als  feinde 
seiig  gegen  die  Wissenschaft  und  das  spektdative  Erkeni- 
ncn  gezeigt,  indem   diese   viehnehr  dem  Geiste  desselben' 
einen  neuen  Aufschwung,  ja  eine  höhere  Bläthe  verdankt ; 
was  schon  historisch  darauf  hätte  hinleiten  mfissen ,    dass 
der  ^Vemunftglaube«  nicht  unverträglich  sei  mit  der  Wis* 
senschafk,   vielmehr  ein    neues   Erkenntnissprincip  in   sie 
hineinbringe.    Und  haben  nicht  gerade  diejenigen  Natur* 
forscher  sich  durch  die  glänzendsten  Entdeckungen  ausge- 
zeichnet ,    die  von  ursprunglich  frommer  Liebe  zur  Natur 
gezogen ,  voraussetzungslos  und.  lernend  sich  zu  ihr  ver- 
hielten ,  und  nur  den  festen  Glauben  an  die  Vernunft  und 
Weisheit  in  ihr  mitbrachten,  nicht  aber  diejenigen,  die  mit 
fertigen  Voraussetzungen  und  Begriffen  zu  ihr  traten,  und 
diesen  zu  Gefallen  in  ihr  nu  r  eine  mechanische  und  ato- 
mistische  Nothwendigkeit  erblicken  wollten  ?    Wir  erinnern 
zum  Beweise  bloss  an  den  frommen  Kopp  1er,  den  tief- 
gemüthlichen  L  e  i  b  n  i  t  z ,  von  denen  nur  blöde  Missken- 
nung  behaupten  könnte,  dass  es  Geistesschwache  oder  In- 
konsequenz gewesen  sei ,  die  sie  in  der  Natur  das  Werk 
einer  göttlichen  IntcHfgenz  habe  erkennen  lassen.    Ja,  wa- 
ren nicht  gerade  die  geistreichsten  Naturforscher  die  frömm- 
sten, bnd  wurde  ihre  Frömmigkeit  nicht  stets  lauterer  und 
inniger,  je  tiefer  sie   die  Betrachtung   der  Natiirordnung 
aus  dem  Ganzen  in*s  Einzelne  hineinführte?  —  Wir  durf- 
ten nur  von  Franz  Baco  oder  Newton  durch  dieBeihe 
der  grossen  Astronomen  und  Physiker  bis  auf  die  neuere 
Zeit  herabgehen;    wie  viele  Ergüsse  reiner  Frömmigkeit, 
hervorgegangen  aus  der  Begeisterung  fQr  die  erkannte 
Herrlichkeit  der  Natur,  mehr  noch  der  stille  Friede  ihres 
Geistes  und  Forschens,  der  nicht  selten  ihre  ganze  Denk- 
weise adelt  und  beseelt^  verrathen  die  tiefe  und  gesicherte 
Ausbildung,  die  auch  ihrem  Gemüthe  durch  diese  Studien 
zu  Theil  geworden.    Und  selbst  G  ö  t  h  e,  den  man  als  den 


!78  Verfaältiüsfi  Jacobfs 

Normdlmensoben  .  gegenwärtigt)t  ZcU  gar  wohl  zum  Bei- 
sf'icle  für  alle  übrigen  nennen  darf;  —  wir  müsse»  erin- 
nern ,  da^s  auch  er  nicht  durch  Kunst  oder  sonstige  Wis- 
senschafl ,  am  Wenigsten  durch  Glaubensbctrachtuiigen 
J  a  c  0  b  i  scher  Art,  sondern  vor  Allem  durch  Naturforschimg 
idem  Göttlichen  zugewandt  geblieben  ist,  und  die  Zuversicht 
zu  der  Treue  Gottes  aas  der  Natur  geschöpft  hat. 

Historisch  demnach    hat  die   Behauptung  Jacobi's, 
da  SS  der  Verstand,  in  der  Natur  unablässig  forschend,  nur 
auf  den  Gedanken  eines  blinden  Schicksals  geiei.tel  werde, 
dass  dicss  das  letzte,  konsequenteste  Resultat  solcher 
Forschungen  sei,  gar  Nichts  für  sich.    Nur  der  Grübler  in 
abstrakt  leeren  Begriffen  und  Unwirklichkeiten ,  gleich  den 
Atomen,  Materien  u.  dgl. ,    mag  sich  ein  atheistisches  Sy- 
stem hypothetisch  zusammenbauen,  —  diese  Denkweise  ist 
kniiier  nur  eine  künstliche,  ausgedachte,  aus  halber  Bildung 
erzeugte,   -^  der  wahre  Naturschauer  lasst    das 
System  der  Dinge ^  wie  es  sich  ihm  darbietet,  und,  unbC'- 
kümmert  um   seine   vorläuGgcn  Begriffe  von  ihnen,   eilt 
er  zu  ihrer  Erkenntniss  aus  ihnen  selbst ,   und  hier  findet 
er  nicht  Atome  oder  ein  blindes  Schicksal ,  sondern  sinn«- 
vollen  Zusammenhang.  Eben  diess  daher  ist  der  wahre  Geist 
und  die  Lust  der  Naturbetrachtung,  diese  Konsequenz  der 
Natur  im  Grössten,  wie  im  Geringsten,  wiederzufinden,  und, 
wie  Göthe  sagt,  darin  „die  Handschrift  eines  Gottes  zu 
sehen ^,  nicht  bloss  sehnsüchtig  von  ihm  träumem    Und 
ßo,  nluss  die  Behauptung  in  jedem  Betrachte  als  willkührlich 
erscheinen,  dass  Naturforschung  Atheismus  erzenge  ;  diese 
ist  vielmehr  in  manchen  Bildungsepocben  das  lelitfe,  übrig- 
Ueibende  Mittel  gewesen,  um  die  Wissenschaft  von  den 
JBigienmachtigen  und  skeptisch  Doktrinellen,  welches  immer 
nur  aus  der  Abkehr  vom  Wirklichen  entspringen  kann,  der 
Wahrheit  und  Wirklichkeit  wieder  zuzuleiten.    Aber  aack 
j0tzo  daran  zu  erinnern,  ist  volle  Berechtigung  vorbanden*), 
indem  man^  im  gegenwärtigen  Augenblicke,  gleich  als  ob 


Zusatz  der  zweiten  Ausgabe. 


tarn  ChrislentlNime.  S79 

kein  beschränkter  Bildnttgsstandpunkt  je  unter  un£  zum 
vergessenen  oder  fiberteblen  werden  -solite,  von  den  ent«*- 
gc^engesctzten  Seilen  her  sich  den  Wahn  erneuern  sieht, 
dass  die  ^Ceheimnisse^  des  Glaubens  nicht  mit  der  Natur 
und  ihren  Wahrheiten  in  Analogie  festclU  werden  dfirften, 
oder  dass  man  umgekehrt  von  der  Natur  aus  Wafea  zum 
Umstürze  der  Religion  finden  könne.  —  Man  möcMe  viel- 
leicht den  berühmt  gewordenen  Ausspruch  eines  französi*- 
sehen  Astronomen  dafür  anfuhren,  dass  er  alle  Himnoi 
darebforsoht,  nirgends  aber  einen  Gott  gefunden  habe, 
sondern  nur  Gesetz  und  Noihwendigkeit.  Dieser  Allieis^ 
mus  setzt  sich  jedoch  ganz  mit  Recht,  wie  es  sdieint,  je- 
nem gefuhlsgläofoigen  Theismus  entgegen,  der  bei  Jarob^i 
und  so  vielen  seiner  Nachfolger  Gottes  Wesen  weit  über 
die  Weit  in  eine  unerkennbare  Ferne  rikkt.  Beiden  kann 
dieser  vorausgesetete  Gott  nur  ein  Dem  ex  machma  sein, 
welcher,  der  (von  Jacobi  gleichfalls  ausdrucklich  aner- 
kannten) Nothwendigkeit  der  Welt  gegenüber,  allenfalls  nur 
eingriife  in-  ihre  sonst  schon  für  sich  ablaufende  Ordnung; 
Von  einem  solchen  Gölte  hat  jedoch  der  Athoisaius  dio 
völligste  Befiigniss  zu  sagen,  dasi$  von  ihm  keine  Spur  ge- 
funden werde  in  der  Welt,  und  dass  er  völlig  überflössig 
sei  zur  Welterklarimg;  wahrend  es  umgekehrt  das  Siegel 
der  Göttlichkeit  an  den  Dingen  ist,  dass  sie  noibwen-* 
di^  sind  und  blindwirkend^  dass  sich  aber  diese  Nothwen- 
digkeit überall  von  Vernunft  durchdrungen  findet.  — 

Der  Mensch  nach  dem  Cliristenthume  —  um  diese 
Parallele  mit  der  Jacobi  sehen  Philoso;>hie  fortzusekteu^ 
—  offenbart  Gott  nach  seiner  Heiligkeit  und  seiner  GnadCy 
aber  durchaus  nur  in  Vermittelung  des  Guttmenscben,  wel*- 
eker  die  höchste  und  unmittelbarste  Bewährung  und  Ge-» 
wissheit  davon  geworden  ist.  Und  hiermit,  sollte  man  er- 
warten, Jacobi  in  voller  Ucbereinstimmung  zu  finden. 
Dennoch  bringt  er  auch  hierin  sein  £inversländniss  mit  dem 
Chrislenthmiie  uur  zu  einer  bedingten  und  vorbchaltliehen 
Anerkennung:  das  llislorisciie  desselben  ist  ihm  nur  die 
niiwesentliche  Zutbat,  eine  der  Schalen  von  der  Pcrie  des 


280  Verkältniss  Jac>(ibi*i$  2utn  ChristeiiUiume. 

Christenlhuins  (III.  S.  954.) ,  in  welche  der  blosse  Idcalisl 
der.  ReiigioN,  wcldier  sich  seines  GoUes  durch  .  reines  Üeii- 
kcn  vei^e\viis3crii  will,  imd  der  blosse  Materialist,  welcher 
dieser  Gewissheit  sich  imr  im  Thatsächlichen.  des  Christen- 
Ihuiiis.  Yiei^sichiert   hält,    mit   gfanz    gleichem   Haasse   des 
Irrthmues  sich  theileit.  -  Was  da  bleibt ,  als  di^  Perle ,  ist 
jenes  wir  geistige  Chrislenibüm  ^in  seiner  Reinheit^ 
welehes,  wie  es  der  Verfasser  am  Schlüsse  seiner  Schrill 
über  die  göttliohcn  Dinge  schildert  (III. S. 425. fll), 
der  aus  jedem  Kampfe  mit  dem  Zweifel  (S.  428.)  siegccich 
sich  ermannende  Glaube  au  die  Wahrheit  der,  denHcn- 
schen  über  die  Natur  erhebenden,  Macht  der  Tug^end 
ist,  durch  welche  er  Gott  in  sich  offenbart    Chri- 
stenthum  in  dieser  Reinheit  aufgcfasst,   ist  allein  Religion. 
Ausser  ihm  nur  Atheismus  oder  Götzendienst.  —  Auch 
diese  Entiialtsamkeit  seines  Glaubens,  in  welcher  unmög- 
lich Konsequenz  zu  verkennen  ist,  charakterisirt  genau  sei- 
nen Standpunkt,  der  es  nirgends  bis  zur  Durchdrungenheit 
und  Ueberwalligung  von  Einem  Gedanken,  zur  Entschieden* 
heit,  hat  bringen  können.    Wie  er  sich  nicht  entscidiesscn 
konnte,  Gott  in  der  jNatur  verwirklicht  zu  sehen ;  so  scheut 
er  auch  zuiück  vor  jeder  wirklichen  Einheit  des  Götllichen 
und  Menschlichen,  vor  jeder  ausschliesslichen  und  höchsten 
Offenbarung  desselben  in  der  Geschichte.    Der  Mensch  an 
sich  selbst  ist  göttlichen  Ursprungs ,  und  aus  sich  selbst 
fähig  zur  Tugend,  zur  Ueberwindung  der  Natur:  so  scheint 
er  eines  Mittlers  nicht  zu  bedürfen.     Man  sieht , .  es  bleibt 
auch  hier  nur  bei  einer  ganz  allgemeinen  Denkweise,  wel- 
che die  eigentlich  tieferen  Geistes-«  und  historischen  Fragen 
unbestimmt  lässt  oder  ignorirt:   auch  in   dieser  Hinsicht 
zeigt  sich  die  Jaco bische   Philosophie  unzureichend  zur 
Lösung  des  ethischen  Problems  der  Geschichte.*) 


*)  Seit  ilem  rrsten  Ersrlieinen  <lcs  ^f*gpnwärtigen  Werks  ist  die- 
ser 'J'lioil  der  Jaco  bi  scheu  Philosophie- so  eiodrinj^euil  in 
jede  ihrer  Weudiin{*ea  und  so  ersciiüpljend  beleuchtet  worden 


Sein  Begriff  similicher  OÜMbanuig  ^pruft.      281 

Aber  selbst  das  theorelisclie  Fundameiil  von.Jaco- 
1)  Ts  Lehre ,  jene  zwiefache  Offenbarung  ieB  Bewusfilseins, 
nach  Unten  der  Sinnenwett,  nach  Oben  des  UebersinBlichen, 
Beides  aber  als  Ur-  uiiil  Grandwuader,  imerforschlich  und 
unerkiaiikar,  dann  in  der  Mitte  der  Verstand  oder  die  Her 
flexion ,  beide  Aussagen  sondernd,  abwagend,  an  einander 
verständigend  und  so  Hiilosophie  erzeugend  —  alles  Die» 
ses  fordert  noch  tiefere  Erwägungen. 

I.  „Das  sinnliche  Bewusstsein  ist  wahre» 
adiquate  Auffassung  der  Sinnenwelt,  Wahr- 
nehmen derselben  im  strengsten  Wortver-* 
Stande.^  —  Ist  J a c o b i  auch  allen  nähern  philosophischen 
Brörterungen  dieses  Satzes,  unstreitig  um  des  IdeaUsmos 
willen,  durch  die  Auskitfitl:  es  sei  ein  unbegreifliches  W  u  n« 
der,  sorgfältig  ans  dem  Wege  gegangen;  so  kann  er  doch 
nicht  Tersagcn,  über  den  formellen  Wortverstand  desselben 
wenigstens,  dem  Fragenden  Rede  zu  stehen.  —  In  welcher 
Bedentaing-,  in  weichem  Umfange  also  soll  er  gelten?  — 
Dass  die  Sinne,  d.  h.  die  unmittelbaren  Empfindungen,  un«t 
willkühriich,  aber  unvermeidlich,  mit  Trug  gemischt  sind,  ist 
eine  allgemein  zugestandene  Wahrheit,  wesshalb  man  sogar 
in  den  WissenschaRen ,  die  auf  Beobachtung  durch  die 
höheren  Sinne  beiuhen ,  sich  bemuht  hat ,  diese  nothwen-» 
digen  Täuschungen  nach  festen  Regeln  von  dem  Resultate 
der  Beobachtung  abzuziehen.  Darauf  beruht  femer  der 
bekannte  Rath,  dass  man  die  Aussagen  der. verschiedenen 
Sinne  aber  einen  Gegenstand  mit  einander  vergleichen,  und 
erst  auf  ihre  Uebereinstimmung  ein  Urtheil  grfinden  solle, 
u.  s.  w. 

So  kann  jener  Satz  nur  bedeuten  sollen,  dass  die 
Sinne,  unter  sich  und  dnrch  den  Verstand  berichtigt^ 
adäquat  die  Sinnendinge  darstellen.    —    Aber  auch  diese 


von  G  Öse  hei  in  seinen  „Aphorismen  über  Niclilwissen  tind 
absolutes  Wi»sen*<  (S.  IQ — 47«)  >  ^^^^  ^^'  hierüber  mit  Voller 
Bcislimmung  jedes  weitere  Wort  ihm  abtreten. 


S82       Sein  Begriff  siiiiiiidier  OlMbaning  urqHraR. 

Auftkunfl  lässt  uns  noch  nicht  rasten.  Die  algcmeihc  Be- 
trachtnng'  macht  sich  geltend  y  daas  anflassend  —  wahr* 
nehmend  eben  —  der  Geist  nicht  bloss  leidend ,  todt  rc* 
ccptiv,  gleich  einem  Spiegel,  das  Bild  der  Aussendinge  sich 
t^inpflanzen  lasse,  dass  er  vielmehr  settstthatig  mitwiifce 
tur  Erzeugung  der  Sinnen  Vorstellung,  dass  sugleick  aber 
auch  der  Sinn  im  Empfinden  thStigsei,  reagire  gegen 
die  ihm  von  Aussen -gewordene  AiFektion:  dass  also,  nacli 
einem  früheren  Ausdinicke  von  uns ,  in  beiderlei  Hin- 
sicht die  Sinnenwahrnehmung  überhaupt  nur  anzusehen  sei, 
als  das  Produkt  der  Wirkongr  des  Gegenstandes  und  der 
Crcgemvirkung  des  Bewusstseins  und  des  Sinnes.  DaaiÜ 
werden  wir  aber  unaufhaltsam  in  den  Kreis  der  ÜDlersii- 
ehnngen  hineingezogen,  die  uns  schon  früher  bei  Locke, 
Leibnitz  und  Berkeley  beschäftigten,  und  die  wir 
daher  hier  nicht  zu  wiederholen  brauchen*  Wir  stehen 
also  mit  Jacob  t  hier  eigenüich  ani  Anfange,  wo  wir  am 
Ende  zu  sein  glaubten:  jene  Behauptungen,  um  nnr  be- 
stimmten Sinn  erhalten  zu  können,  mtesen  einer  Theorie 
des  Em.pfindens,  einer  Theorie  des  wahmehmendci 
und  vorstellenden  Bewusstseins  unterworfen  werden;  Dana 
aber  wird  das  endliche  Resultat  dieser  Untersuchung  auf 
jeden  Fall  ganz  ein  anderes  sein  müssen,  als  es  die  eigene 
lieh  Nichts  bedeutende  Auskunft  behauptet,  die  Sinnenvor«- 
atellung,  wiewohl  „wahr-nebmend  imstrengstenWort- 
V  e  r  5 1  a  n  d  e  %  sei  dennoch  ein  unerkldrfoares  Wunder. 
Ist  sie  dieses ,  also  ein  Rathsel ,  ein  uns  Unenthflilbares, 
iwoher  wissen  wir  denn  selbst  nur  jenen  ihrei^  Charakter, 
woher  kommen  die  Gründe  auch  nur  üor  den  Glauben  an 
ihre  Wahriiafligkeit  ? 

•  So  dürfen  wir  wohl  sagen,  dass  jener  Jaeo bische 
Salz  alles  philosophischen  Werthes  entbehre,  indem  er  da 
stehen  bleibt,  wo  die  spekulative  Untersuchung  erst  beginnt. 
Will  man  ihm  auch  nur  im  Allgemeinsten  einen  philoso* 
phiscben  Sinn  geben,  welchen  er  doch  ohne  Zweifel  haben 
soll;  so  löst  sich  soiji  leichtes  Gewebe,  und  aus  seiner 
Unbestimmtheit  treten  erst  die  einzelnen  elementaren  Pro- 


Sein  Begriff  ubersbiiilicher  Offenbanmg  geprüft.    S83 

bieme  einer  Wisisemchnft  TOm  Erkennen  hervor,  m  deren 
scUoferer  Fassung  nicht  einmal  J  a  c  ob  i  beigetragen  hat 

IL  5»Die  Vernnnflanschanung  des  Ueber« 
sinnliehen  besteblin  der  unmittelbaren  An* 
erkenntniss  eines  persöniiohen,  über  die 
Well  erhabenenSchopfergottes,  eines  freien, 
vorsehenden,  der  daher  auch  dem  Menschen 
eigene,  selbstsfandige  Freiheit,  That  und^ 
Entscheidung  aus  sich  selbst,  als  das  Eben- 
bildliche  des  eigenen  Wesens,  verliehen  hat 
Mit  Gottes  Freiheit  ist  auch  die  des  Hen- 
sehen  gegeben  und  gerettet;  aber  auch  um- 
gekehrt: mitdem  innigen  Selbstgefühle  eige- 
ner Freiheit,  derErhabenheit  über  die  Natur 
und  deren  Gewalt,  ist  auch  die  Anerkennt-^ 
niss,  der  Glaube  an  eine  höchste,  absolute 
Freiheit,  deren  Abglanz  jene',  unrmitterbar 
dem  BoMfusstsein  gegeben.«'*) 

An  diesen  SAtsen ,  behauptet  J  a  o  o  b  i ,  scheide  sich 
Wahrheit  von  Tnig«  Leben  von  Tod;  denn  andi  hier  gelte 
nur  die  Wahl  zwischen  diesem  Theismus  oder  absolutem 
Atheismus ,  zwischen  Anerkemiang  des  freien  natnreriuJie« 
Geistes ,  oder  Behauptung  einer  blinden  Natuniothwendigw 
keit.  Und  wer  nur  von  gesmiidem  GemnUi ,  welcher  nur 
ernst  Erwagende  würde  hier  nicht  im  Wesenifiehen  aitf 
das  Wännste  ihm  beistimmen  ?  Der  Glaube  an  Gott^  das 
Bewusstsein  eiganer  Freiheit,  —  wer  zweifelt  dahin?  -^ 
ist  es  erst,  was  dem  Leben  des  Menschen  die  innere  Bnt« 
schiedenheit,  die  einzige  Bedeutung  giebt.  Könn- 
ten sie   sich   verlieren    oder    verdunkebi;    der   geistige 


*}  Wiewohl  diese  Salze  nirgends  in  wörtlicher  Zii^sainmeuütpniing 
aijio  bei  Jacobi  sich  flnden  mögen:  ^ so  bedürfen  sie  doch 
wohl  keiner  besonderu  Nachweisiiiig  ans  seinen  Werken ;  sie 
eiitbalten  nnr  den  Kern  aller  seiner  einseluen  Aeusserungen 
Ober  die  angegebenen  G^genslände. 


1284    .  .  'Sdiir  flegriff 

Scliwerpiuikt'mirc  den  Menschen  geraubt,  und^  irr  gewor- 
.den  «n  aller  Wahrheit,  rnüssten  sie  in  bodenlose  Wlttkühr 
des  Wähnens  auseinander  schweifen.  Aber  eine  andere, 
^^ein  ms&eiisdhafUiehe  Frage  ist  es  ^  ob  jener  Glanbe  aus- 
•reicht,  die  ganzie  Hiilosophie  doraur  zn  gründen,  oder, 
wenn  nicht,  .alle  wiäsehsciiafUiche  Philosophie  daraus  za 
widerie^en  ;  uberhailpl ,  ob  er  Erkenntnissprin  cip 
einer  WekansichC- werden  könhe? 

Jene  Aneii^enntnii»  eines  persönlichen  Gottes  in  un* 
«litteibarer  VernunlllftnschaBung,  von  welcher  Jacob!  ans- 
ieht ,   wäre  'nur  zu  charakterisiren ,   nach  aheror  philoso- 
phischer Sprache,*  aiis^eine  „angeborene  Idoe^^  indem 
sie  überhaupt  eine  aHgeneine,  keines  Beweises  luhige,  noch 
bcdürnige  Wahrheit  s^iii  .soll,  die  nurnöfhig  har,  zumBe- 
W'Us st se in fgeibracht  ^u' werden,  um  mit  überschwangii- 
cher  Klarheit  sogleich  den  Geist  zu  ergreifen.    Solcher  Art 
ist  z.  B.   der.  Satz  der  Identität  und    des  Widerspruches, 
welche  aHen  besondern  Wissen,  als  sein  AHgemeinstes^  za 
Grande  liegen,  und  bei  denen  es  daher  nur  derBntwicke- 
iuiig  bedarf,  .um  sie  in  dieser  Allgemeinheit  anerken- 
nen zu  lalssen.    Mit  Binem  Worte,  zu'  den  absoluten 
Axiomen  der  Vernunft  müsste  die  Erkenntniss  eines  per- 
söhlichen  Goltes  gerechnet  werden  können,  wenn  ihr,  wie 
J  a  c  0  b  i  behauptet,  der  Charakter  unmittelbarer  Vemunfl- 
anschauung  beigelegt  werden  soll.  —  Diess  nun  kann  von 
ihr  in  keanera  Sinne  behauptet  werden.    Alles  axiomatische 
Wissen  der  Vernunft  ist  nothwendig  ein  ganz:  altgemei- 
nes, also  abstraktes,  welches,  erst  in  Anwendung atrT 
•eitten  besondern  Fall  gedacht,  einen  concreten  Inhalt 
gewinnen  kann ;  dimn  aber  heraustritt  aus  der  unmiüelba- 
ren  axiomatischen  Form.    So ,  wenn  man  darauf  refleklirf, 
dass  jedes  besondere  Sein  nach  dem  BegriiTe  der  Ideniilät 
und  des  Widerspruches  gedacht  werden  muss ;,  ergiebt  sich 
daraus ,  dass  man  in  jedem  concrefen  Gedanken  unbownss- 
Icr  und  unentwickelter  Weise  den  Begriff  der  Identität  und 
des  Widerspruchs  mitdenkt:   aber  die  einzelne  Bezie- 
hung und  Anwendung  jener  Axiome  ist  eine  durchaus  zu- 


übersinnlicher  Oflbalmliing  geprüft.  965 

laiK^C)  lücht  init  dmen  zugleich  gcaetste^.itnddetafiiooh  ist 
in  ihnen  schlechthin  alle»  ooacrete  Sein  und  zn  Denkende 
befasst.  —  Alles  Wissen  eines  Conereleii' daher,  wozu  doch 
das  Bewnsstsein  eines  persönlichen  CioUes  zu  reehneii,  isl 
schlechthin  nicht  «xiomatischer  Natur ,  sondern  kann  ^nt-» 
weder  nur  durch  iwunittelbare  odar  mittelbare  Erfahrung, 
oder  durch   rein   begriOsmässige  Enlwickelung  (was  man 
sonst   wolil   auch  apriorischen  Beweis   nennt)    erworben 
werden:  so  einQ  sinnliche  Ihat&acbe  oder  rein  allgemei-« 
ne  Erfahroog;    so    eine  mathematische,    astronomische^ 
metaphysische  Wahrheit.     In  Betreff  der  letztem  bemerke 
man,  dass,  indem  sie  sich  als  schlechlhln  allgemeingültige 
und  nothwendig^  erweisen,  auch, von  ihnen  gesagt  werden 
kann ,  dass  sie  in  dem  concre(^n  Erkennen  zufälligen  In-« 
halts  mitwirken  und  darin  g^enwartig  sind  (gleichwie  nach 
PlatOHS  Lehre  und  Beispiel  wir  hcuristisoh  aus  fremdan 
Bcwusstsein  mathematiscbe  Wahrheiten  herauszuholen  ver-* 
mögen,  welche  in  ihm  liegen,,  von  denen  es  jedoch  ui^ 
mittelbar  selbst  Nichts  weiss) ,.  .wäh|*end  diese   Er* 
kenntnisse  jedoch,  ohne   eine    völlige    wissenschaftliche 
Sprachverwirrung  zu  erz^uge^, .  imhi  G^enslande   einer 
unmittclb^cn  Vcmuaft^nsclianung  genannt  werden  können 
in  Jacobischem  Sinne,  wcU  sie  gerade  nicht  unmittel- 
barer oder  axiomatischer  Natur  sind.     Hier  wird  sich  nun 
nachweisen  lassen,  dass  die  Idee  des  Ewigen,  Absoluten, 
in  weiterer  Entwicklung  derselbe  dann  auch  die  des  ab- 
soluten Geistes,  eine  schlechthin  nothwendige  sei  in  jener 
mittleren  Bedeutung,  da  sie  weder  als  ein  reiner,  for- 
meller BegriflT,. gleich  jenen  unmittelbaren  Axiomen  der 
Vernunft,  noch  als  ein  ThatsachUches,  mit  Zufälligkeit  Be- 
haftetes, begriffen  werden  kaum«  —  Das  unmittelbare 
(axioma tische)  Bewussts^n  vom  Ewigen,  wenn  ein  solches 
behauptet  wird,  könnte  daher  selbst  nur  formeller  Na- 
tursein, jene  Ewigkeit  und  Allgemeinheit  bezeich- 
nen ,    die  jeder  schlechthin  unbedingten  und  allgemeingül- 
tigen Wahrheit  innewohnt,  in  deren  Setzung  zugleich  deren 
Unendlichkeit  mi^esetzt  ist.     Dass  in  diesem  Bewusstsein, 


286  SeinBrsrrifT 

I 

» 

SO  bedenleiid  und  mnnentiich  so  pfaUosophisdi  «rioUJgf  seine 
Anerkenntniss  auch  »sei ,  Nichts  enlhaUen  ist)  was  an  die 
von  Jacob i  behauptete  unmiHdbare  VemunftansclMniung 
des  Ewigen  nur  irgend  erinnern  kdnne,  leuchte!  ein,  jndem 
aller  concrde  Inhalt  zwar  umlasst  sein  muss  in  jenem  Bt^ 
WHSstsein^  jeder  bestimmte  aber  avsdrüdilich  dadurch 
ausgeschlossen  wird« 

Und  80  steht  es  fest,  dass  die  Idee  Gottes,  auch  nur 
als  des  Absoluten,  Ewigen,  in  keinem  Sinne  eine 
axiomatische  sein  kdnne:  wie  man  sie  auch  fasse,  ob 
in  der  Form  des  Glaubens  oder  des  Begriffes,  noHiwendig 
liegt  sie  schon  innerhalb  eines  Ganxen  von  Prämissen,  einer 
Vermittlung  aas  andern  Brkenniiissen,  wenn  diese  Prä- 
Missen  auch  nicht  in  jedem  Einselnen,  der  jene  Ueberzeu- 
gung  theilt,  zu  deutlichem  Bewusstsein  gelangt  sein  sollten. 
Noch  weniger  abo  —  wir  wiederholen  es  —  kann  Ja- 
cobi  behaupten,  dass  die  Anerkenntniss  eines  person- 
lichen, übe*r  die  Welt  erhabenen  Gottes  IiAalt 
einer  unmittelbaren  Vernunftanschauung  sei. 

Aber  wie?  So  hätte  der  tiefschauende  Weise  ganx 
und  völlig  sich  getäuscht,  sogar  in  dem,  was  eigentlich  die 
fi^teste  Ueberzeugung  sMies  ganzen  Lebens  war?  So 
giebt  es  kein  Bewusstsein  in  uns,  gleichviel  vorerst,  wie 
man  es  neime,  welches  ursprünglich ,  und  unabhängig  von 
jeder  w^tem  Bildung,  einer  Vorsehung,  einer  Gottheit  mit 
persönHcher  Bezielmng  2sam  Menschen ,  uns  gewiss  macht? 
LaugnesI  Du  aber  dieses  ganz ,  so  läugAe  nur  auch  alle 
Rdigton,  iäiigne  alle  die  Menschheit  adelnden  Gefühle  and 
Strebungen!  Denn  weder  als  Ergebniss  entwickelterer 
Verstandeseinsicht,  etwa  einer  zu  reineren  religiösen  Be- 
griffon  erziehenden  Philosophie,  ^  noch  als  Werk  ausser- 
ordeiitUcher  OSenbarung,  hätte  sie  jemals  Gemeingut 
werden  können  in  der  Menschheit ;  noch  weniger  wurde 
sie  tief  und  wirksam  einzugreifen  vermögen  in  das  Be- 
wusstsein jedes  Einzeinen.  Denn  auch  hier  kann  einer 
gewissen  Denkart  —  die ,  wolle  sie  nun  auf  die  Salzuii- 
gen    das    Begriffes   oder  eines  positiven    Glaubens   alle 


öbehgimlidier'  OffeiAanmfr  fepiiH.  88T 

WahffMil i» Meiisclien zurflokf6hi*oii,  imPriiici})edioselbe 
bleibt  —  niobt  scharf  genug  entgcgcngehüUin  werden,  daM 
ntobis  nrspriHglich  ihm  Fremdes  und  Aensseriicfaec  in  den 
Mensiehea  hineii^ebiacht ,  ihm  einerzogen  oder  aademan- 
sldrt  werden  könne,  d»s  all  Dergleichen  immer  wieder 
von  ihm  abfSUt»  wie  eine  mürbe  Schaaleoder  ein  veralte- 
tes Gewand :  —  sondern  dass  nur  zum  Bewusstsein  gebracht, 
entwickelt,  befestigt  zu  werden  vermöge,  was  als  Ursprung- 
Kche  Wahrheil  «chon  in  ihm  vorhanden  ist.  Wftre  daher 
iiichi  adiOD  in  der  Tiefe  seines  Gemuihes  ein  Bewusstseiil 
des  GMiichen^  w&re  dasselbe  schlechthin  jenseits  seines 
ursprfingiichen  Horizontes;  kein  Verstand ,  wie  keine  be^ 
sondere  'Lehre  oder  Veranstaltung,  vermöchte  es  ihm  n€N;ft 
nmräbilden.  Sind  wir  also  im  Gegentheil  genöthigt,  ein 
orspvQngiiches  Bewusstsein  des  Ewigen  zuzogeben,  damit 
aach  nur  ein  vermitteltes  existiren  könne ;  wie  wäre  es 
anders  zu  nennen,  als  redit  eigentlich  die  V  ernnnf  t,  das 
innerste  Vernehmen  in  uns,  den  Geistesanfang  in  unserm 
Geiste?  -*—  Da  also  eine  unstreitige  Wahrheit  der  Jaco^ 
bischen  Behauptang  asu  Grunde  liegt;  wo  hätte  er  den* 
noch,  wenigstens  in  der  ihm  .gewöhnlichen  Danstellnngs- 
weise,!  die  Granze  der  wissenschaftlichen  Klarheit  über« 
schrillen  ? 

Hier  ist  es  zuerst  die  noch  nicht  genug  erkannte  Noth-^ 
wendigkeit  der  Sache,  dass  in  philosophischen  Wahrheilen 
die  beiden  Gegensatze,  UrsprüBglichkcit  und  beweisende 
Vermitdung  derselben,  nicht  auseinander  liegei>,  vielmehr 
2u  einander  gehören,  and  diese  nur  durch  jene  zu  Stande 
kommt:  jede  achte  and  tiefschöpiendeVemiiiUung  einer 
spekulativen  Erkcnntniss  kann  nur  auf  ihrer  Ursprünglich* 
keit  ruhen;  nur,  was  da  ist,  subjektiv  und  objektiv  zu^ 
gleich,  kann  und  soll  der  freie  Gedanke  begründen.  Ware 
daher  die  Idee  Gottes  nichts  Ursprüngliches,  Apriorisches; 
so  wäre  auch  kein  Beweis  für  sie  möglich.  Freilich  Ist 
dipss  ein  Zirkel,  aber  ein  nothwendigcr,  aus  dem  alles  gei* 
stige  Leben  hervoi^eht ,  damit  es  Leben  sei ,  und  seine 
t'rsprunglichkeit  zu  ihrem  selbstbewussten  Besitze  gelange. 


288  Urspningr  cter  Idee  des  Ahsoleteit. 

Dabei  ist  sog^lcich  jedoch  die  Verwechselung  <les  U  n- 
mittelbaren  mit  dem  Ursprünglichen  zu  rügen, 
welche  sich  unter  den  neuem  Philosophen ,  besonders  bei 
J  a  c  0  b  i ,  allerdings  dem  Wiederentdecker  der  Lehre  von 
der  Ursprüng^ichkeit  der  göUlichen  Idee,  und  von  ihm  ans  bei 
so  vielen  Andern  von  verwandter  DeiAart  nachweisen  lässig 
geltend  gemacht  hat.   Aus  der  damit  herrschend  gewordenen 
Vorstellung,  dass,  was  der  Mensch  ursprünglich  (potentiell) 
ist,  er  auch  unmittelbar  seiü  müsse ,  ^  da  doch  das 
Gcgentheil  stattfindet,  ^  ist  die  Theorie  von  der  Unmittel- 
barkeit des  religiösen  Bewusstseins  entstanden,  die  wir, 
wie  unklar  und  in  vielfacher  Selbsttäuschung  befangen  sie 
uns  auch  erscheinen  muss,   dennoch  fiir  die  herrschende 
ansehen  dürfen.    Was  ist  hergebrachter  in  philosophischer, 
theologischer  und  allgemeiner  Bildung ,  als  die  Annajbme, 
dass  der  „vernAnflige^  Mensch ,  d.  h.  da  man  Vernunft  zu 
den  unmittelbaren  Prädikaten    des  Menschen,  rechnet, 
der   Mensch    in  seiner   Unmittelbarkeit  und  Gegebenheii, 
vollkommen  im  Slande  sei,  sich  aus  sich  selbst,  ohne  ob- 
jektive Anregung ,  von  dem  Dasein  eines  persönlichen 
Welturhebers,   einer   Vorsehung  und  Weltregiemng  nach 
sittlichen  Zwecken,  zu  überzeugen,  und  dass  es  aucK.histo- 
risch  sich  nicht  anders  mit  diesem  „Glauben^  begeben  habe? 
Freilich  sei  er  das  Werk  einzelner  religiös  und   sittlich 
begabter  Individuen  ,  d.  h.  solcher ,   in  denen  jene  V  e  r- 
nunftunmittelbarkeit,   die  Jeder  besitze,   nur  mit 
besonderer  Stärke  und  Energie  des  Bewusstseins  hervor- 
getreten sei.    Und  es  wird  vorerst  Unwillen  erregen  von 
mehr  als  Einer  Seite,   ja  man  wird    das  Palladium  nnd 
jcdelste  Vorrecht  der  Menschheit  verletzt  glauben ,    wenn 
.wir  jenes  zu  einem  fast  stillschweigenden  Einverständniss 
gebrachte  Axiom  kurzweg  für  ein  ganz   unausreichendes, 
die  wesentlichsten  Unterscheidungen  überspringendes  Miss- 
verstandniss  erklären,  und  erachten ,  dass  die  Frage  «neb 
nur  nach  dem  hislorischcn  Ursprünge  eines  solchen  „Glaa- 
'bens^  keinesweges  so  leicht  und  behende  zu  sohlichten  sei 
Dass  wir  historisch  dabei  an   Jacobi  und  seine 


in  ihrer  Unmlfleibfirkeit.  289 

nächsten  Nachrolger  anhnüpfbn,  lie^  «n  dem  Uiristande, 
dass  von  ihm  diese  Unmittelbarkeit  mit  dem  stärksten  Ge*- 
ffichte  lind  in  der  polemischen  Wendung*  g^egen  glcichzei* 
ti^e  Philosophieen,  welche  er  ihr  gab,  auf  die  berechtigtste 
Weise  ausgesprochen  worden  ist,  sowohl  in  seiner  irühem 
Periode  gegen  diejenigen  ,  wielche ,  wie  Mendelsso h n, 
jene  Anerkenntniss  zum  ausschliesslichen  Resultate  der  phi* 
losophischen  Demonstration  zu  machen  versuchten,  als 
gegen  die  spötere  Epoche  der  spekulativen  Philosophie, 
welche,  nur  in  strengerer  Weise,  sdbst  die  Ursprünglich- 
keit jener  Idee  anerkannte  (so  bei  Fichte,  so  in  Schel- 
lin gs  inteUektneller  Anschauung),  aber  nicht  jede  Bestim- 
mung darin  aufnahm  oder  wiederfand,  welche  Jacobi 
iur  seine  theistischen  Interessen  nicht  entbehren  wollte. 

Aber,  um  von  der  Vergangenheit  auf  die  nächste  Ge- 
genwart überzugehen,  —  auch  Hegels  Ausffihrung  des 
Begriffes  der  Religion  in  der  Einleitung  seiner  „Vorlesun- 
gen über  Reügionsphilosophie^  berührt  diese  Frage  jr 
keiner  Weise ,  indem  sie  bloss  bei  den  allgemeinsten  Be- 
stimmungen des  Bewusstseins  von  Gott,  imd  Gottes  selber 
stehen  bleibt  Dieser  ist  dabei  immer  nur  das  Allgemeine, 
Ewige,  oder  der  allgemeine  Geist;  jenes  nur  das  Bewusst- 
sein  des  Endlichen,  das  in  das  Allgemeine  sich  nothwendig 
zurücknehmen,  diess  in  sich  gegenwärtig  wissen muss. 
Weder  die  subjektiven  Entwicklungsmomente  jenes  Be^^ 
wusstseins,  und  wie  weit  dasselbe  für  sich  selber  reichen 
könne,  noch  der  historische  Ursprung  und  Fortgang  der 
Religionen ,  was  dieser  hinzubringt  zu  jenem  subjektiven 
Momente,  und  wie  er  es  vollendet,  ist  scharf  unterschieden, 
und  doch  zur  endlichen  Vereinigung  gebracht.  Hegel 
hat  dort  nur  nach  den  Prämissen  seiner  Philosophie,  und 
unter  der  Voraussetzung,  in  ihrem  Princip  das  religiöse 
BoTQsstsein  überhaupt  schon  erschöpft  zu  haben,  einen 
ADgemeinbegriiT  der  Religion  zu  erzeugen  versucht ,  wie 
er  semer  Auffassung  der  besondern  Religionen ,  als  der 
Artonterscfaiede ,  wie  ein  gemeinschafllicher  Genus  zu 
Grande  gelegt  werden  konnte.     Hiermit  musste  auch  für 

19 


390  Die  Idee  de«  Alwoiiite« 

iiu^  wie  Tür  J  a  0  o  b  i,  nur  in  anderer  Weise ,  der  scharf- 
bestimnile  Unterschied  zwischen  der  subjektiven  Unmitlel- 
barkeit  jenes  Bewnsstseins ,  —  der  „natürlichen^  Religion, 
—  und  den ge^ffenbarten,  ein  göttlich  Objektives  vor- 
aussetzenden Religionen  völlig  im  Dunkel  bleiben.  Mit  Fiur 
ist  dabei  der  Stanc^unkt  beider  Philosophieen ,  wie  \ienig 
sie  sonst  mit  einander  gemein  haben  mögen,  doch  nur  als 
der  rationalistische  zu  bezeichnen. 

Uebrigens  kann  diese  Frage  auch  hi^r  nur  summarisck 
nach  den  dabei  zu  unterscheidenden  Hauptgesichtspunktea 
behandelt  werden.  Denn  mit  Recht  ist  zu  behaupten,  da»r 
die  vollständige  Nachweisung,  wie  Gott  dem  menschiickeR 
Bewusstsein  wirklich  und  gewiss  werde  im  subjektives 
Innern,  in  der  Natur  und  in  der  Weltgeschichte,  dem  wcv 
sentUchen  Inhake  der  Philosophie  gleich  zu  achten  sei,  und 
das  eigentliche  Interesse  derselben  ausmache,  von  ihren 
«KSlen  erkenntnisstheoretischen  Theile  bis  zu  ihrer  Schluss- 
disdplin,  dem  spekulaliven  Begreifen  der  Geschicble.  ^ 
Am  unioittelbarsten  versetzen  wir  uns  hier  in  den  Mittei- 
punkt  der  Sache,  wenn  wir  den  Hauptgedanken  zum  Aus- 
gange rechne»,  auf  den  Jacob!  und  die  zahlreiche  Schule 
derer  sich  stutzt,  welche  die  Unmittelbarkeit  des  religtösee 
Bewusstsehis  lehcen :  es  ist  die  Urspninglichkeit  des  Ucber- 
sinnliohen  im'  Geiste ,  der  Ideen  des  Guten ,  Wahren  und 
Schönen. 

Diese  Hauptinstanz  Jacobi's  Dur  seinen  Theismus, 
das  eigentlich  Positive  seiner  Philosophie ,  wie  er  sie  in 
allen  seinen  Werken,  am  Vielseitigsten  vielleicht  in  seinem 
Woldemar,  und,  von  den  Eingebungen  polemischer  Begei- 
sterung entzündet,  am  Nachdrücklichsten  in  seinem  Sclirei- 
ben  „an  Fichte^  und  in  der  Schrift  „über  die  göttliclien 
Dinge  und  ihre  Ofllmbarung^^  dargestellt  hat,  lasst  sich 
kürzlich  folgender  Mnassen  aussprechen: 

Es  giebt  in  uns ,  erhaben  über  die  Natur  und  jede 
iiirer  Erregmigen,  eine  Sliinme  und  Macht  der  Tugend,  des 
Wahren  und  Schönen,  nach  einem  absoluten,  ursprüngiicli 
ia  uns  selbst  liegenden  Maassstabe.     Wie   diese  in   u  u  > 


in  ihrer  Unmittelbarkeit.  291 

nichl  8119  unserer  Mslur  zu  stammen  vermag ,  nnd  doch 
elienso  wenig  unsere  Erfindung  ist,  noch  auch  ein  fiusser- 
lich  Angelerntes  oder  Ueberliefertes  zu  sein  vermöchte: 
so  setzt  diese  Crrundlhatsache  auch  im  Ewigen  und  Uran^ 
fanglichen ,  aus  dem  wir  sind  —  (diese  Idee  wird  daher 
als  eine  anderweitig ursprftngliche  schon  vorausgesetzt), 
~  in  Gott,  die  gleiche  Macht  des  Urgnten,  Urwahren  und 
Urschönen,  als  sein  Wesen  voraus;  und  nur  durch  die«* 
sen  können  uns  jene  höchsten  Güter  verliehen  sein.  Da«» 
her  müssen  wir,  so  gewiss  an  die  eigene  Tugend  md 
Freiheit,  als  das  Höchste  in  uns,  ebenso  gewiss  an 
einen  Gott  über  der  Natur  und  jeder  blinden  Nothwen^ 
digkeit  glauben.  Jener  Glaube  setzt  diesen  oder  sehliesst 
ihn  in  sich:  wir  können,  als  solche,  die  wir  sind,  uicbt 
das  Geschöpf  der  blossen  Natur  sein.  —  Es  ist  bekannt, 
wie  mannichfach  Andere,  die  verwandten  Lehren  der  Kan- 
tischen Philosophie  darnach  umgestaltend  nnd  erweiternd» 
diese  Satze  entwickelt  und  angewendet  haben. 

Bei  Ja  cobi  ßgt  sich  sogleich  noch  die  an. sieh  rich- 
tige, besonders  gegen  S  c  h  e  1 1  i  n  g  gewendete  Betrachtung 
hinzu,  die  nun  vöHig  spekulativen,  ja  metaphysischen  €ha<- 
rakter  erhalt  (W  e  r  k  e ,  U.  S.  90.  ff. ,  1 14.  f. ,  118. 119.)  t 
dass,  indem  überhaupt  (am  Menschen)  das  Uebersmnliche, 
Yemunft ,  Freiheit ,  sich  verwirklicht  zeigt ,  die  Annahme 
widersinnig  wäre,  das  Urwesen  in  alknahlicher  Entwicklung 
aus  der  eigenen  blindwirkenden  Natur  sich  dazu  hinaurpo- 
tenziren  zu  lassen:  bewussHose  Vcmunft,  in  Nothwendig- 
keit  eingeschlossene  Freiheit  am  Anfange,  im  abso- 
luten Principe,  sei  vielmehr  ein  Widerspruch.  Wir  haben 
oben  gezeigt ,    wie  berechtigt  dieser  Einwurf  war. 

Diess  wäre  positiv,  wie  polemisch,  der  Kern  und  die 
Gnmdpramisse  von  J  a  c  o  b  i  *s  Glaubenslehre. 

Aber  hierin  gewahren  wir  weder  ein  Unmittelbares, 
noch  ein  Ursprüngliches  des  „Glaubens.^  Kein  Un- 
mittelbares ;  denn  es  ist  eine  Reflexion  von  gams  phi- 
losophischem Gepräge  und  höchst  vermittelter  Argumenta- 
tionsweise, deren  einzelne  Glieder  freilich  unentfaltet  ge- 


392  Eigentltoher  Charakter 

bKeben  sind,  weil  Jacob!  nach  seiner  Eigenthümlichkeit 
mehr  in  lemmatischer  oder  rhetorischer  Unmittelbarkek 
redete ,  als  zu  einer  logischen  oder  philosophischen  Enl- 
wickhing  sich  bequemte.  Jenes  Argument  ist  ein  unent- 
wickelter, in  seiner  Vermittlung  erdrückter  Schluss  ,  schon 
voraussetsend  die  Idee  eines  absoluten  Urgrundes,  und  ge- 
stutzt auf  die  tiefe  (doch  nur  durch  philosophische 
Bildung  za  erwerbende)  Erwägung  des  specifischen  Unter- 
schiedes zwischen  der  Freiheit  und  der  Naturwirkun<r  •* 
zwischen  dem  bewussten  Zweeksetzen  nach  rein  geistigen 
Ideen  ^  und  einer  Folge  von  hinter  einander  nolhwendig^ 
sich  abwickelnden  Naturveranderungen;  und  zurfickgefoi- 
gert  wird  dann  von  der  Beschaflenheit  der  Well,  be- 
stimmter des  menschlichen  Geistes  ,  auf  das  Wesen  ihres 
Urgrundes.  Es  sind  Bruchstucke  oder  unausgeführte  An- 
sätze eines  philosophischen  ,  näher  metaphysischen  Den- 
kens: sie  bleiben  daher  auch  ebenso  subjektiv  violgestai- 
tig,  als  unpopulär^  fremd  dem  unmittelbaren  Be- 
wusstsein. 

Denn  das  wahrhaft  Ursprungliche  ist  dabei  gerade 
übersehen  worden  :  offenbar  nämlich  enthält  dieser  „Glaube^ 
ein  doppeltes  Element  in  sich.  Indem  Jacobi  behauptet: 
Gott  ist  nicht  Natur  oder  Naiumothwendigkeit,  sondern  ein 
nach  Vernunftzwecken  frei  schaffendes  Wesen,  setzt  er 
dabei  das  Erst«,  das  Subjekt  „Gott<^,  schon  voraus;  und 
seine  Inhaltsbestimmung,  seine  Prädikate,  sind  es  allein,  um 
welche  es  sich  handelt,  als  das  Zweite«  Würde  nun  Einer 
sogleich  das  Erste,  das  Dasein  dincs  Solchen,  von  dem 
überhaupt  jene  entgegengesetzten,  theiis  naturalistischen, 
theils  theistischen ,  Prädikate  gelten  könnten,  deren  eines 
Jacobi  läugnet,  das  andere  behauptet,  ganz  in  Abrode 
stellen:  so  wäre  der  „G1aube<<  Jacobi's  in  beiderlei  Hin- 
sicht zu  einer  beweisenden  Rechtfertigung  genöthigt,  theiis 
dass  überhaupt  das  Sein  eines  Solchen,  theils  sodann  da^is 
sein  Wesen  eben  also  gedacht  werden  müsse ,  wie  er 
es  behauptet.  $o  hat  sich  die  „Unmittelbarkeit^  von 
srtbst  aufgelöst  und  als  der  Vermittlung  bedürftig  gezeigt. 


dieses  Glaubens.  293 

Daher  Hegt  auch  kein  wahrhaft  Ursprüngliches 
in  einer  solchen  Fassung  und  Ausdehnung  des  BegriiTes 
von  Gott.  Denn  die  Ursprüngiichkeit  des  Gottesbewussi- 
seiiis,  auf  welche  man  sich  hiert)ei  benilt,  hat  eine  ganz 
andere  Stelle  und  einen  andern  Ausdruck ,  als  man  hier 
iliiii  giebt;  und  diess  eigentlich  ist  die  Quelle  aller  weitem 
liTlhömer  und  Verwechselungen  dieses  Standpunktes  ge- 
wurden. Ware  man  nämlich  mit  gründlicher  Analyse  in 
j(aic  vermeintliche  Unmittelbarkeit  eingedrungen ,  so  halte 
sich  das  wahrhaft  Unauflösbare  und  Ursprüngliche  darin  in 
semer  Reinheit  ergeben :  die  Idee  eines  Göttlichen,  Ewigen 
(Mchtendlichen)  überhaupt,  welche  schlechthin  tinab-* 
tronnlich  ist  von  dem  Bewusstscin,  eigener  Endlichkeil, 
und  in  jedem  Akte  dieses  Bcwusstsein,  als  slillschweigende 
Grundprämisse  und  Beziehung,  mitgeselzt  wird.  Aber  zu- 
gleich wurde  darin  klar  werden,  warum  es  in  so  ursprung- 
licher Weise  ein  schlechthin  Allgemeines,  Prödikailvses, 
Unbekanntes  sei,  und  wie  es  in  jedem  Falle  einer  Vermitt- 
lung ("durch  Denken,  oder  durch  eine  Thafsache  ganz  an- 
derer Art)  bedürfe,  um  jenes  unbekannte  Göttliche  zu  efnem 
aufgeschlossenen,  pradikabehi,  kurz  bestimmten^  werdt*n  zu 
lassen.  Und  was  sich  hier  mit  allgemein  theoretischer 
Nodiwcndigkeit  ergiebt,  wird  völlig  bestätigt  durch  die  psy- 
chologische und  historische  Gegebenheit  jenes  ursprungli- 
chen Goltesbewusstseins ,  welches  keine  dei*  Vorstellungen 
rechtrertigt^  die  sich  Jacobi  und  seine  Schule  davonge- 
macht haben.    Wir  legen  jene  in  ihren  Grundzügen  dar.  *) 


*)  Man  TergleicLe  mit  der  folgenden^  etwjs  Kiisaiuraengeflräugteu 
Eutwicklnog  die  sdiarftfinntge,  noit  feiueiii  Gei«te  für  ihs.  Ei. 
geDltiüm liehe  der  Ertclieinungen  abgeiasste  D»rsle)luii|^  der 
er«tea  Reg-ungea  des  reUgiüseu  BewiisUseins  im  Menschen  you 
Roseiikraoz  in  seiner  Nalurreligion  (1831.  $.  12 — 58-). 
Doch  wurde  eine  genauere  Kritik  des  Einzelneu  zeigen,  wie 
manches  Gezwungene  der  Deulungsweise,  dessen  Gefühl  'der 
Verfasser  sich  srlbst  nirlil  völlig  verbergen  zu  kunneu  schien, 
in  engsten  Verbände  stehe  mit  der  falschen  Grundvorstelhiug 
i'on  Religioo»  welche  er»  zudem  nur  Icmouitischer  Weise  und 


294  Erste  psycholog^che 

Der  Mensch  in  seiner  natüriichen  UnmittellniTkeil  — 
(welche  darum  jedoch  mit  seiner  hurtorischen  Urqpriuig'* 


%U  ein  Axiom ,  an  die  Spitze  gestellt  hat    Seiner  Sdbule  n 
Gefalleiiy  wird  von  iiim  da«  Weten  und  der  Ursprung  der  Re- 
ligion darein  gesetct:  „dass  der  Mensch  sich  mit  Gott 
als  Eins  weiss"  (S.  91.;  vgl.  S.U.  13.  10.  u.  s.w.).     Hier 
muss  er  nun  den  Versuch   machen ,    die   Modifikation    dieses 
Bewusstseins  schon  in  den  niedersten  und  unmittelbarsten  (dar- 
um ihm  auch  frühesten)  Formen  der  Religiös  nacbzuweiseo. 
Was  nicht  anders  als  erkünstelt  ausfallen  kann ;  denn  das  «n- 
mittelharste  Bewusstaein  derselben  ist  gar  nicht  das  der  Ein- 
heit mit  Gott,    deren  Gefühl  nur  in  den  höchsten  und  rein^ 
•ien  Momenten  unsers  Daseins   uns  ergreifen  kann,    sondern 
das  des  Unterworfenseins  unter  ein  Unsichtbares ,  Uebermäch- 
tiges.    Gefühl  der  AbhängiglLeit  hat  es  in  beceichnendster  Weise 
Schielermacher   genannt.      Hiernach  konnten  nan  auch 
die  Hauptformen  der  Naturreligion,  der  Zaubereiglaube,    der 
Todtendienst,  der  Begriff  des  Kultus  von  ihm,  wie  tob  He- 
gel, nur  unter  einem  alterirten  Gesichtspunkte  aafgefoaat  wer- 
den, dessen  Falschheit  sogar  empirisch  erweislich   ist.      (Mir 
▼erweisen  darüber  auf  unsere  gleich  bei  dem  Erscheinen  voa 
H  e  gels  Religionsphilosophie  in    den    Heidelberger  Jahrbu- 
chern gelieferte  Kritik  derselben.)  —    Wenn   wir  jedoch  be- 
haupten, dass  von  dem    Gefühle  des  Unterworfenseins    unter 
die  göttliche   Macht   alles    religiöse    Bewusstsein   ausgeht,  so 
bleibt   es  dämm  doch  nicht   stehen   bei  diesem  Gefühle  des 
Unterschiedes.    Durch  die  Ausbildung,  wekbe  es  erfahrt, 
und  welche  sich   selbst  nicht  denken  oder  erklaren.  Uisst  aus 
seinem  völlig  sidi  selbst  iiberlassenen  Zustande,  geht  es  fort  zu 
einer  freiwilligen  Unterwerfung,  su  dem  Anfange  der  Versöh- 
nung mit  Gott,  und  erreicht  erst  in  der  eigenen   Vollendung 
und  Reinigung,  in  der  Liebe  Gottes,  das  Bewusstsein  der  Ein- 
heit und  der  vollendeten  Versöhnung,  welches  demnach  grond- 
▼erschieden   ist  von    den  spekulativen  Voraussetzungen,    die 
jenem  He  gel  sehen  Begriffe  der  Religion,  als  der  Einheit  des 
Menschen  mit  Gott,  xu  Grunde  liegen.   —   Eine  ganx  andere 
und  aus  weit  bestimmteren  Elementen  xu  erklärende  Frage  ist 
die,  wie  sich   die   Vorstellungen  von  dem  objektiven  Wesen 
dieses    Gottlichen   gestaltet  und  modificirt  haben.     Erst   hier 
kann  der  Unterschied  der  natürlichen    und  der  geoffenbartea 
Religion  hervortreten,   während  jenes  Bewusstsein,   nur  nacii 


Entwicklung  desselben.  895 

lirhkeit  War  identisch  Ku  halten ,  Nichts  gebietet ;  rielmehr 
fSBt  diess  in  ein  ganz  anderes  Gebiet  von  Utilehmchun- 
gen)  —  ist  keii|eswcges  als  spekulircnd  zu  denken  über 
den  Ursprung  der  Dinge,  oder  sich  hinaussinhend  über  die 
eio^ne  unmittelbare  Wirklichkeit;  sondcni  berricdigt  und 
sicher  derselben,  wird  er  dennoch  zugleich  durch  sie  er- 
regt zum  Begehren  und  Erstreben :  —  kürz  Wollend 
ist  er  am  Ursprünglichsten  sich  gegeben ,  was  zugleich 
der  concreteste,  vollste,  alle  andern  Momente  des  Bewusst- 
»eins  in  sich  hegende  Geisteszustand  ist.  Seine  Nattirmn- 
gebong  verleiht  diesem  Willen  sodann  Seine  innere  Be- 
stimmtheit und  das  Maass  seiner  Erstr&btingen. 

Hiermit  ist  ihm  aber  sogleich  nun,  ebenso  unmittelbar, 
das  Bewusstsein  der  Granze,  der  Endlichkeit  dieses  Wil^ 
lens ,  daher  auch  seiner  eigenen  Endlichkeit  gesetzt ;  uftd 
von  hier  aus^  von  dem  Bewusstseih  {dieser  Schrbnke, 
geht  nun  aijch  der  Process  in's  Erkennen  über,  und  nöthigt 
dass^e,  eines  Jenseitigen  für  die  Gegebetlheit,  &ber- 
haupt  einer  unsichtbaren  Macht  ihm  gegenüber,  sich  bewusst 
zu  werden.  —  Wir  schalten  nämlich  aus  den  anderweitigen 
Prämissen  einer  Psychologie ,  welche  wir  (ur  die  richtige 
halten ,  die  Bemerkung  ein ,  dass  Erkennen  und  Wollen 
stets  i  n  einander  sind ,  dass  jeder  Willenszustand  ebenso 
ein  Erkennen  hinter  sich  hat,  wie  umgekehrt  sich  zugleich 
in  ein  Ericenntnissresultat  umsetzt^  und  dass  beide,  Erken- 
nen wie  Wollen,  in  den  sie  vermittelnden  Zustand  der  e  r- 
Füllten  Selbstanschauung,  des  S  e  1  b  s  t  g  e  f  ü  h  1  s,  zurück- 
gehen, so  dass  diese  dreieinen  Momente  das  stets  bewd|^- 


dem  Grade  oder  der  Intensität  unbestimmbar  ahgestiirt,  bet 
den  ▼erschtedenslen  Vorstellungen  über  die  Objektivität  des 
Göttlichen,  specifitch  dasselbe  bleiben  kann.  Ueber  {enft 
weiteren  Fragen  müssen  wir  auf  die  ««Aphorismen  Tiber 
dir  Zukunft  der  Theologie,  in  ihrem  Verhält« 
nisse  za  Spekulation  und  Mythologie"  (/eitschrifi 
lur  Philosophie  und  spekul.  Theologie  Bd.  III.  H.  I.)  ▼erwei- 
sen, welche  auch  sonst  lur  das  Folgende  anzuführen  uns  er« 
laobi  sei. 


296      Erste  psychologische  Entwicklung  desselben. 

liehe ,  modificirbare  Selbstgefühl  (Sichfuhlen  in  jener  Ge- 
meinsamkeit des  immer  in  einander  greifenden  Erkennens 

und  Wollens)  hervorbringen. 

Indem  so  mit  dem  sinnlichen  Wollen  und  Erken- 
nen zugleich  schon  das  Anerkennen  jener  Schranke 
gesetzt  werden  muss,  ist  auch  das  Selbstgefühl  nicht  ohne 
ebenso  ursprüngliches  Gefühl  semer  Abhängigkeit  von  einem 
unsichtbar  und  übermächtig  Wirksamen,  Dämonischen.  — 
Die  Natur  zuerst  zeigt  eine  selbstbestimmte,  den  Menschen 
sich  unterwerfende  Folge  wiederkehrender  Erscheinungen, 
an  denen  er  selbst  Nichts  zu  ändern  vermag,  die  ihn  viel- 
mehr in  ihre  eigene  Aenderung  hereinziehen;  und  hiermit 
ist  das  vielgestaltige,  in  seinen  Grundformen  hier  nicht 
weiter  zu  verfolgende  Princip  der  Naturreligion  gegeben, 
der  Verehrung  der  Naturmächte  ,  des  Gestirn  -  und  Elo- 
mentendienstes  u.  s.  w.  (Aphorismen  a.  a.  0.  S.  232. 
242.  44.). 

Aber  nicht  nur  das  Wiederkehrende,  Regelmässige, 
Erwartete  begiebt  sich  in  ihr;  sondern  in  die  grossen  Vor- 
gänge eines  unabänderlichen  Naturwechsels  spielt  das  £r- 
eigniss,  das  Zufällige  immer  mit  hinein,  heilbringend 
oder  verderblich,  überhaupt  beweglich  und  wie  mit  gehei- 
mem Willen  der  Gunst  oder  des  Schadens  begabt.  Diess 
bestimmt  und  steigert  jenes  allgemeine  Gefühl  einer  Ab- 
hängigkeit von  der  unsichtbaren  Naturmacht  bis  zu  der 
Spitze  eines  persönlichen  Verhältnisses  zu  ihr:  neben  den 
Kultus  eines  allgemein  oder  unbestimmt  Göttlichen ,  oder 
einer  Lokalgottheit,  tritt  der  Familiendämon  oder  der  Fe- 
tisch des  Einzelnen,  auf  welchen  in  oil  zufälligem  Wechsel 
jenes  allgegenwärtige  Gefühl  übertragen  wird. 

Aus  diesem  gemeinsamen  Boden ,  auch  des  Affektes 
von  Furcht  und  Hoffnung,  bricht  nun  am  Unmittslbarsten 
die  Anerkenntniss  eines  Unsichtbaren  und  der  nothwendi- 
gen  Beziehung  des  Menschen  darauf,  der  Religion  in  all- 
gemeinster Bedeutung,  hervor;  es  ist  zugleich  die  erste, 
aber  nothwendige  Acusscrung  eines  mclapliysischcn  Denkens, 
einer  willkührlichcn   und  unbewusstcm   Spekulation ;   denn 


Unmittelbare  oder  nalflrliche  RcHgion.  297 

{liermit  hat  schon  das  Erkennen  den  ganzen  ihm  efaige» 
borenen  Reichthum,  die  Denkg'esetze  und  Katcgorieen,  in 
Thätigkeit  gesetzt,  und  die  Urnen  immanente  Welt  eines 
Uebersinnlichen  zuerst  zum  Bewusstsein  gebracht.  Aber 
anch  der  Wille  muss  diese  stete  Beziehung  anerkennen;  er 
fählt  sich  beherrscht  von  einem  Verborgenen ,  das  über 
alle  Macht  und  allen  Willen  des  Menschen  hinausrcichl^ 
und  immer  bereit  scheint,  aus  seiner  Verborgenheit  heraus 
zu  schaden  oder  zu  fördern.  Und  so  entsteht  aus  diesem 
Bewusstsein  der  steten  Abhängigkeit  das  ahnungsvolle  All« 
gemeingefühl  einer  unsichtbar  und  allgegenwärtig  das  Le^ 
ben  begleitenden,  innerlich  unbekannten  GöUennacbt,  — 
religiöse  Scheu,  Andacht  (Andenken)  in  ursprünglidH- 
ster  Wortbedeutung ,  welche  sich ,  wenn  gewaltige  Natur- 
krdfte  oder  Sdiickungcn  dem  Bewusstsein  der  eigenen 
Beschränktheit  entgegentreten,  auch  zur  eigentlichen  An^ 
dacht  des  Geiuhies  steigern  muss.  Doch  bleibt  Furcht  vor 
der  verborgenen  Gewalt,  welcher  nie  zu  trauen,  die  unalH 
wendbare  Grundfarbnng. 

Diess  ist  in  Wahrheit  das  „unmittelbarste^  Götdicho 
des  Menschen,  des  sich  selbst  überlassenen ,  vernunft- 
begabten, denkfähigen  Kindes  der  Natur :  an  sittliche 
Prädikate  dieses  Göttlichen  ist,  vor  dem  eigenen  gebändigten 
Naturstande  des  Menschen,  vollends  nicht  zu  denken,  und 
solche  auch  thatsächlich  nirgends  zu  erweisen.  Es  ist  die 
Religion  des  unbekannten,  in  seiner  Objektivität  selbst  noch 
unoffenbarten ,  darum  anch  noch  jeder  hohem  geistigen 
Persönlichkeit  entbehrenden  Gottes:  —  dienatärlicfae 
Religion*  im  eigentlichsten  Sinne ;  und  es  ist  falsche  oder 
seichte  Humanität,  wenn  man  sich  mit  der  Täuschung  hinhälf, 
dass  der  Mensch  aus  sich  selbst  und  eigener  Vernunft 
es  wesentlich  weiter  hätte  bringen ,  auf  den  wahren  Gotl 
zufolge  eines  mit  seiner  Vernunft  identischen 
Sinnes  hätte  gebracht  werden  müssen.  Einen  solchen 
„Sinn<*  —  unmittelbare  „Ahnung^  oder  „Instinkt^'  (welchen 
unglücklichen  Ausdruck  man  auch  einige  Male  bei  J  a  c  o  b  i 
und  bei  Andern  gewählt  sieht,    um   das  Nichlseiende  we- 


298  Die  iifimitlelbare  oder 

nigstens  zu  imaginiren)  für  Gott,  für  eine  weise  nnd  sitt- 
liche Weltregicrung,  giebt  es  ursprünglich  nicht:  das 
(wahrhaft  ursprüngliche  und  allgemeingültige)  Vemttnflbe- 
wusstscin  enthält  nicht  nur  Nichts  davon,  sondern  es  wi- 
derspricht überhaupt  seinem  Wesen,  wie  nachgewiesen  wor- 
den, irgend  einen  specifischen Inhalt  zu  setseil,  oder  an- 
mittelbar  ein  concret  erfülltes  zu  sein. 

Alle  diese  hohen  und  vortrefflichen  Dinge    demnach, 
niit  welchen  die  modernen  Rcligions-Philosophen  den   na- 
türiichen  Menschen  begabt  haben,  und  die  eitie  kränkelnde, 
des  positiven  Glaubens  satt  gewordene  Theologie  ihnen  — 
auf  Glauben  —  abgenommen  hat,  losen  sich  in  Dunst  auf. 
Wie  es  zu   den  empirisch   ausgemachten  und   theoretisch 
feststehenden  Dingen   gehört,   dass  der  einzelne   Henscb, 
trotz  der  Fülle  seiner  Ursprünglichkeit,  in  welcher 
der  Roheste  an   sich   selbst  dem    ausgebildet  Begabtesten 
um  Nichts  Nachstehen  mag ,   dennoch ,    verlassen  von  der 
Menschheit  und  unberührt  von  ihrer  Entwicklung,  in  einem 
thierahnlichen  Zustande  zurückbleiben  würde  :  so  hatte  auch 
die  Menschheit   im  Ganzen  sich  nicht  über  jenen  dumpren 
Aberglauben ,  welchen  wir  noch  jetzt  in  den  Naturreligio* 
nen  sehen,   ohne^/remde  Hülfe   erheben  können, — 
deren  Charakteristisches  wir  eben  aufzusuchen  haben  — 
mochte  sie  auch  in  sinnlicher  Weise  ausgebildet  und  durch 
Ueberiegung  sinnlich  verständig  geworden  sein. 

So  muss  zuvörderst  völlig  in  Abrede  gestellt  werden*), 
dass  der  Glaube  an  die  Einheit  Gottes  das  unmittelbare 
Ergebniss  jenes  ursprünglichen  Gottesbewusstseins  sei,  noch 
weniger  der  Glaube  an  die  persönliche,  überweltliche  Ein- 
heit desselben ,  in  der  wir  überiiaupt ,  wie  man  auch  den 
Ursprung  eines  solchen  Glaubens  erklären  möge,  nur  einen 
der  kühnsten  und  vermitteltsten  Gedanken  finden  können^ 
zu  welchem  je  sich  das  Bewusstsein  aufgeschwungen.  Und  in 
der  That  lisst  es  sich  nur  aus  dem  tiefen  Drange  eines 
religionsbcdüriligeQ  Gemüths  entschuldigen ,  jene  Idee  um 


*)  Vcrgl.  Aphorii»ea  a.  a   O.  30.  S.  239.  40* 


natürliche  Religfion.  299 

jeden  Preis  vor  «ck  za  bobaupten  und  20  reehtrertigen, 

wenn  J  a  c  o  b  i  so  leicht  sich  überredet ,   sie  gesichert  zu 

haben  ^  und  sich  s.  B.  an  einer  der  vielen  Stellen ,  ^'o  er 

diese  schwierige  Frage  behandelt  (Jacob!  an  Fichte, 

Werke  IL  S.  48.  49.) ,  mit  der  Auskunft  genügt :  dass  der 

M^utch  ^rein  aus  sieh^  Gott,  nämlich  das  ewig  Bine^ 

persönliche  Wesen  inde,  ^weil  er  sich  selbst  nur  zu« 

gleich  mit  Gott  finden  kann,  — >  und  dass  er  sich 

seihst  verfiert,  sobald  er  widerstrebt,  sich  in  Gott,  auf 

eine  seinem  Verstände  unbegreiflicheWeise^ 

—  xa  finden;  sobald  er  sich  in  sich  allein  begrün-^ 

den  wili<^ :  —  als  wenn  ein  Nichteingehen  auf  einen  s  0 1-* 

eben  Theismus  das  Letztere  (das  Sichaussichselbstbegrun- 

den>  nothwendig  machte;  —  und  wdnn  man  yoHends  diese 

uniifaire ,  widerspmchvoile ,    hicohärente   Yorstelhing   die 

^Qffenbarung^  Gottes  im  Menschen  genannt  siehtl 

Bmster  jedoch  werden  die  Folgen  dieser  Selbsttäu- 

schang ,   wenn  er  auf  solche  Gewissheit  hin  jeder  htstori-^ 

sdien  Ueberifeferung  den  Abschied  giebt ;  seiner  himmel«' 

gelH>renen  Vernunft  sicher ,  auf  ein  ,,reines^,  jedes  Histo-» 

risehen   oder   Positiven  entkleidetes  Christenthum    dringt, 

und  so  einer  der  wirksamsten  Stimmfuhrer  dieser  Richtung 

in  der  Zeit  geworden  ist.    Er  zerstört  damit  den  Stamm, 

Bvt  weichem  er  selbst  erzengt  und  gewachsen  ist;    denn 

nicht  das  allgemeine  Vemunftbewusstsein ,   sondern   allein 

die  christlicb-weitgeschichHiche  Kultur  bat  ihm  von  dieser 

Effcenntniss  Kunde  gebracht,  und  ihn  in  den  Stand  gesetzt, 

die  Gewissheit  jener   ernsten  Wahrheiten  so  bequem  und 

sicher  auszusprechen.  Und  bloss  aus  dem  Grunde,  weil  es 

jetzt  mehr  Sache  der  Gewohnheit  als  der  Prüfung  ist,  daran 

ücbt  zu  zweifebi,  —  Etwas  für  wahrhaft  unmittelbar  und  ver- 

mmftorsprQnglich  zu  halten^  diess  heisst  bei  einem  Philo- 

soph^i  die  Connivenz  für  die  Gewohnheit  allzu  weit  ge- 

trid>en! 

Soll  überhaupt  das  Dasein  eines  persönlichen  Wesens 
von  vns  etkannt  werden,  sohlst  diess  scMechlhin  nur  auf 
doppelte  Weise  mogUch:  es  muss  von  uns  erfahren 


300  Ursprung  der  Idee 

werden ,  sich  ankündigen  in  eigener  unmittelbarer  SUtthei- 
liuig;  es  muss  —  Person  der  Person  —  sich  offen ba«* 
ren;  ein  BegrilT  von  Offenbarung,  den  Jacobi,  nach 
seinen  Aeusserungen  über  posiüvq  Religion  ssu  nriheUen, 
verwerfen  würde:  oder  jene  Erkenntnis^  Ueibt  miFs  Ei- 
gcntliclisle  Gegenstand  einer  wissenscbaiUtchen  Erforschung, 
einer  rückschliessenden  Begiündung  von  der  Wellihatsa-- 
che.  Auch  hier  ist  kein  Drittes  möglich  1  —  Aber  un- 
ter diesen  Weltthatsachen  wird,  in  seinen  objektiven  Zu- 
sammenhang eingereiht,  das  weltgeschichtlidie  Zei^iss 
von  einem  solchen  Gölte  allerdings  die  höchste  Bedeutung 
gewinnen. 

Und  hiermit  nahen  wir  dem  Kerne  der  Sacke,  der 
Frage  nach  dem  wirklichen  Ursprünge  jenes  historisch  zum 
Gemeinbewusstscin  der  kultivirten  Menschheit  gewordenen 
Glaubens  an  die  Einheit,  Geistigkeit  und  Persönlichkeit  des 
höchsten  Wesens.  Wir  können  dabei  anknüpfen  an  den 
Gegensats^ ,  welchen  Jacobi  im  ersten  Abschnitte  seiner 
Schrift  über  die  göttlichen  Dinge  durchführt,  zwi- 
schen einem  vollendeten  Idealisten  und  Materialisten  in  der 
Religion,  wo,  wenn  dieser  Alles  nur  aus  Historischem  und 
äusserlich  Gegebenem  herleitet,  jener  es  aus  sich  selbst  und 
aus  reinem  Yernunftbewusstsein  thut,  und  mit  einem  erspe- 
kulirten Gotte  sich  genügen  zu  können  meint  (Werke  lil. 
S.  263— 339.  Vgl.  S.  254.).  Derselbe  Gegensatz^  aar  noch 
liefer  greifend,  gilt  auch  in  dieser  Frage,  und  hier  seheint 
unser  Philosoph  sich  dennoch  überwiegend  der  bloss 
idealistischen ,  sonst  so  lebhaft  von  ihm  bekämpften  Partei 
zuzuneigen. 

Bisher  lässt  sich  überhaupt  in  allen  Theilen  der  Wis« 
senscliaft  die  entgegengesetzte  Richtung  unterscheiden, 
entweder  AUefi  aus  dem  Innern,  dem  Subjekte,  herzuleiten^ 
oder  erst  von  Aussen  es  in's  Innere  hineingelangen,  ja  das 
Innere,  die  Einheil  des  Subjektes  selbst,  aus  einer  Zusani- 
ttienseizung  von  Aeusscrlichkeileii  erwachsen  zu  la^en; 
und  wie  uns  Jacobi  Solche  Antagonisten  im  Religiösea 
vorgeführt  hat,  so  haben  sie  uicltt  aufgehört,  si€h  in  allen 


von  der  Einheit  «mt  Persdniiehkcit  Gottes.       301 

Fn^en  der  Metaphysik,  Psychologie  rnid  Physiologie  zn  be- 
kämpfen. —  Die  durchgreifende  Beobachtang  und  d(e 
Speknialion  lehrt  jedoch ,  dass  im  Natürlichen,  wie  Geisti- 
gen, nnr  in  dem  Maasse  Etwas  zur  Wirklicbkeit 
koflint,  als  ein  Inneres  auf  sein  Aeusseres'(das  Sabjek- 
tiTB  auf  seine'  Objektivität)  trifft,  kurz,  wenn  beide, 
gleicfrvrie  sie  an  sich  des  Einen  Wesens,  Ursprungs  und 
Geschlechts,  für  einander  gebildet  sind,  so  nun  auch  in 
ihrer  Wiitiichkeit  zu  einander  kommen  und  sich  durch- 
dring'cn  müssen« 

So  ist  in  uns  selbst  Alles,  wozu  wir  werden,  waswhr 
uns  wahitaft  zu  „eigen^  erwerben  können ,  schon  ebenso 
apriorisch  vorhanden,  in  uns  vorgebildet,  wie  es  zugleich 
jedoch,  um  wirklich  —  vollständig  wirklich  iSr  uns  zu 
werden,  ein  Aposteriorisches,  erst  zu  Erfahrendes 
bleibt.  Unser  Geist  hat  Alles,  aber  darum  bedarf  er  dieses 
Allen,  und  nur  weil  er  es  schon  durch  Antfcipation  besitzt, 
vermag  diess  auch  faktisch  ihm  zuganglich,  eindringlich 
-zu  werden ,  durch  seine  an  sich  ihm  verwandte  und  ge- 
niässe  Natur.  So  enthält  das  Auge,  überhaupt  das  System 
der  Sinne  im  Menschen,  das  Licht,  die  OiMlitäten  der  Na- 
tur anf  wahrhaft  apriorische  und  ideeHe  Weise :  die  ganze 
Natur  in  ihren  qualitativen  Grundkategorieen  ist  apriori- 
.stisch  in  den  Sinnen  vorgebildet ;  dennoch  bedarf  er  nicht 
minder  des  entgegenkommenden  Aposteriori  —  <les  Lichtes 
oder  Tones  —  um  darans  ein  wiridiches  Sehen  oder  Hö- 
ren werden  zu  lassen. 

Nicht  anders  weist  sich  die  Oekonomie  der  Wirk- 
lichkeit nach  in  dem  ürspnmge,  wie  in  der  Verwirklichung 
des  religiösen  Bewusstseins.  Die  Idee  Gottes  ist  eine  durch- 
aus apriorische,  ursprüngliche,  unvertilgbare:  dasBewnsst- 
sein  der  eigenen  Endlichkeit,  welches,  wie  gezeigt,  mit 
dem  unmittelbaren  Selbstgefühl  znsammenftllt ,  setzt  die 
Idee  eines  Unendlichen  schlechthin  voraus :  das'  Sichnichf^ 
selbstbegrfinden  -  können  schliesst  die  Idee  eines  Wesens, 
das  Grund  seiner  selbst,  wie  alles  Andern  ist,  unmittelbar 
in  sich ;  aber  diese  Idee  bleibt  in  ihrer  bloss  subjektiven 


302  Ursprimg  der  Idee 

Versdüooieiibeil  n^tkwendig  unbestimmty  si^hwankeml,  den 
Ab^rglaubea  oder  dem  venüefatenden  Zweifel  hingegeben, 
Oberhaupt  ihrer  eigenen,  vieldeutigen  Ansbildiing'  über'- 
lassen.  Auch  sie  bedarf  es  zuerst,  dass  eine  O  b  j  ek- 
iivitat  Gottes  ihr  entgegentrete,  aber  nicht  etwa,  wie 
sehen  ans  der  Konsequenz  dieses  Zusammenhanges  erbeut, 
eine  ebenso  unbestimmte  Objektivität  desselben  hi  der  Na- 
tur md  ui  dem  geschichtlichen  WeUIaufe:  —  wie  weit 
BHin  diese  mil  Reeht  und  Gründlichkeit  nur  reichen  lassen 
kann ,  haben  wir  nachgewiesen ;  und  wir  stimmen  völlig 
Jaeobi  und  andern  Forschem  bei,  dass  erst,  wenn  man 
die  wahre  firkenntniss  von  Gott  schon  habe,  man  ihn  auch  in 
der  Natur  und  im.WeltIaufe  auf  die  reehte  Weise  wiederfinden 
könne.  Jene  Objektivitfit  Gottes  ist  viebnehr  als  ganz  eigent- 
Kcdie  •*-  Geist  zu  Geist,  Person  zu  der  Person  —  Ar  den 
:llenschen  gefordert,  aber  mit  der  Nothwendigkeit  einer 
universalen  Analogie  gefordert.  Denn  indem,  wie  die  Phi- 
loso{ihie  in  höchster  Afigemeinheit  nachweist,  und  alle  Wis- 
seaschfA  nur  in*s  Einzelne  auszufithren  bat ,  jedes  Inner- 
liche, Apriorische,  darum  aber  zugleich  an  sidi  Leere  und 
Unentschiedene,  gedeckt  (überdeckt)  und  dadurch  erfiUlt 
werden  muss  mit  der  ihm  zugebildeten  Objektivitfit ,  um 
wirklich,  und  damit  ein  Bestimmtes  zu  werden:  so 
wäre  es  die  stärkste  Lüge  des  Daseins ,  die  erste  Lücke 
jn  jener  Korrespondenz  der  stets  sich  voraussetsendea 
Ha^n  der  Wirklichkeit,  wenn  dem  apriorisch  subjektivea 
Gottesbewusstsein  nun  nicht  auch  ein  objektiver  Gott,  es 
bestfttigend,  aber  auch  f  i  x  i  r  e  n  d,  es  über  sich  und  seine 
eigenen  Eingebungen  hinausführend,  entgegenkäme. 

So  nöthigt  also  die  formellste  Konsequenz  zu  dem 
Satze:  was  von  der  obj  ektiven  Natur  Gottes  (zumal  von 
einer  überwcltlichen  Einheit  und  geistigen  Persönlichkeit 
desselben)  dem  Menschen  zur  Mitwissenschaft  gekommen, 
das  kann  er  ursprünglich  wissen  nur  auf  vermit- 
telte Weise,  durch  Gott  sdber  oder  seine  Mitlheilung. 

Diesem  allgemein  spekulativen  Postulate  kommt  wiric- 
lich  nun  die^  universale  Kunde  von  einer  objektiven  Offen- 


von  der  Einheit  und  Penmilichkeit  Gottes.       303 

bcnnig  in  der  Wettgeschidile  entgegen :  Gott  hat  das  (»egehrle 
Zeugniss  über  sich  seibev  in  der  Thal  abgelegt.  Indem  nun  die 
Philosophie  überall  jenen  allgemeinen  Wechselaustausch  und 
Parailelismus  des  Innern  und  Aeussem  wiederfindet,  muss  sie 
ihn  auch  bis  in  diese  OlTenbarung  und  Zeugnissschafl  Gottes 
iber  sich  selbst  hineinverfolgen.  Diess  ist  die  ungeheuere 
Thatsache ,  die  sie  nothwendig  vorauszusetzen  hat ,  nicht 
nur 9  so  gewiss  Religion,  objektive  Gottesknnde  —  nicht 
bloss  jenes  vage  Gottesbewusstsein ,  —  sondern  so  gewiss 
Gesehicfate  ist;  denn  nur  unter  ihrer  Voraussetzung  ist 
eine  wahre  Geistesentwicklung,  Freiheit,  möglich.  Erst  da^ 
durch,  dass  der  menschliche  Geist  in  Rapport  trat  mit  dem 
Geiste  Gottes,  —  C^loibe  zunächst  dahingestellt,  wie  ein 
solcher  möghch)  —  konnte  er  befireil  werden  von  dem 
ausschliesslichen  Rapport  mit  der  Natur ;  denn  nur  so  koimle 
das  Uebersimiliche ,  Unsichtbare  ihm  ein  Objektives, 
über  die  Naturobjektivital  Erhobenes  werden.  Eine  grund*' 
Uch  sich  verständigende,  alle  entgegengesetzten  11691101»* 
keiten  durdiversuchende ,  historische  und  philosophische 
Forschung  dürfte  endlich  zu  dem  bleibenden  Ergebniss  zu- 
rückkehren, dass  alle  wahrhaften  Kulturanfange  ohne  diess 
göltliclia  Element  der  Geschichte  völlig  unerklärlich  sind. 
Und  diesem  begegnet  abermals  das  durchgreifende 
rische  Z^igniss:  Religion,  Gesetze,  Kultur  werden 
auf  einen  ersten  gotterleuchteten  und  gottgesendeten  Stifter 
zurückgeführt;  erst  in  ihm  ertialten  sie  ihre  ausdrückliche 
Beglaubigung,  welche  sich  auch  spekulativ  in  irgend  einer 
Weise  oder  nach  einigem  Grade  einer  Rechtfertigung  wini 
unterwerfen  müssen ,  indem  auch  begrüBsigemäss  jede  soIk 
che  Gründung  ursprünglich  nur  von  dem  Ergriflfensein  eines 
einzelnen  Individuums  ausgehen  kann.  (Man  veigleiche 
die  weitere  Ausführung  dieser  Sätze  in  den  Aphorismen 
16.  S.  219.  23.  S.  228.,  besonders  54. 55.  S.  266.  ff.) 

Eine  künftige,  dadurch  erst  in  einem  der  wichtigsten 
Tbeilc  des  Geisteslebens  zur  VoUsitändigkeit  gelangende 
Psychologie  hat  übrigens  für  die  Mäcbweisung  zu  soirgen, 
in  wekher  Gestalt  der   Perception  ein  an  sieh  übet  die 


3M  Vnhrersnler  BegriiF 

Pfewöhnliciie  Empirie  und  deren  Bewwslseinsvnnmtthmgeii 
liiaavsliegendcs  Wesen  dem  Menschen  dennoch  za  u  n  m  i  t* 
•lelbarer,  objektiver  Kunde  zu  kommen  fvermöge. 
Hier  bietet  sich  der  Begriff  der  Eingebung  dar,  deren 
liaiversale  Thatsachlichkeit  freilich  selber  zum  Gegenstände 
riner  umfassenden  psychologischen  Untersuchung  gemacht 
werden  roüsste :  —  der  Eingebung  nämlich  in  dem  ganz 
allgemeinen  Sinne ,  dass  nickt  auf  dem  Wege  sinnlidien 
•fiowahrwerdcns  und  dessen  Vermitthmg,  sondern  schlecht- 
liin  innerlich  und  doch  unmittelbar  (intuitiv),  das  Wiesen 
-4es  Einen  in  dem  Andern  zum  Bewussisein  gelange.  (Vgl 
Aphorismen  15.  S.  218. 19.) 

Wenn  nun  die  unläugbare  Erfahrung  eines  psychischen 
•Hapports  zwischen  einzelnen  gleichgestellten  Individuen 
«igt,  wie,  z.  B.  im  animalisdien  Magnetismus  und  sonst» 
«die  Gedanken  und  Empfindungen  des  Einen  unmittelbar  in 
4ma  Andern  mit^tsteben ;  so  ist  nach  dieser  Analogie  auch 
Sß  Mögliohkeit  einer  Einsprache  des  h  ö  bern  Geistes  in  den 
Biedeni  noch  weit  begründeter.  Auch  hier  werden  sichnäm- 
lidi  begriffsmässig  in  stetiger  Entwicklung,  und  parallel  damit 
in  kritisch'bewährten  Thatsachen,  durch  deren  Yerstandiiiss 
nun  das  Hauptmotiv  hinweggeräumt  wird,  warum  man  sich 
sieht  bloss  mehr  mit  dem  Ignoriren  oder  Abläugnen  der- 
selben zu-  behelfen  braucht ,  —  Stufen  und  Vertiefungen 
eines  sotchen  allgemeinen,  wie  speciellen  Geisterrapports 
Michwetsen  lassen ,  wodurch  der  bisher  isolirt  stehende, 
und  so  mit  der  härtesten  Paradoxie  behaftete  theologische 
BegdS  der  Inspiration  zu  einem  allgemein  psychologischen 
werden,  und  in  stufenmässigen  Zusammenhang  tretmi  wurde 
mit  den  unläugbarsten  und  geläufigsten  Erscheinungen  alles 
geistigen  Lebens  *).     Für  die  Wissenschaft  nämlich  kann 


« 

*j  Hier  ist  auf  die  von  Passavant,  einem  besonnenen  und 
bewährten  Erforscher  dieser  Thatsachen,  nachgewiesene  Stu- 
fenfolge im  Hellsehen  zu  yi^rweisen:  „Unterstichungen 
über  den  Lebensmagnetismus  und  dasHeil«e> 
ken«  at«  Attfl.  1837.  S.  129—183.    Vgl.  S.  196.  u.  34& 


der  Bingebangf.  Mo 

CS  von  keiner  Bedentnng-  sein ,  wenn  ein  flbrigcns  wohk 
meinender  Eifer  die  Vergleicbung-  des  gewMnlichen  Heu« 
Sehens  mit  den  einer  hohem  Ordnung  der  Dinge  angehe^ 
renden  Thatsachen  bedenUich  findet.  Allerdings  besteht 
die  Continuitat  zwischen  dem  Hohem  und  Niedem,  auf 
welcher  alles  Dasein  bembt^  nicht  bloss  in  quantitativen 
Steigerangen ;  aber  sogar  die  formelle  Untersuchung  dieser 
Begriffe  weist  nach  ^  wie  das  quantitativ  Gesteigerte  eben 
damit  sa einem  qualitativen,  specifischen  Unterschiede 
ausschlagen  müsse. 

Noch  verfehlter  wäre  es  hier ,  pantheistische  Vorans* 
Setzungen  oder  Ergebnisse  zu  befürchten.  Der  Begriff 
einer  solchen  Inspiration,  zu  welchem  die  Konsequenz  des 
Thatsächlichen  zu  nöthigen  scheint,  überwindet  den 
Pantheismus  so  zu  sagen  auf  faktische  Weise;  denn  mit 
einem  bloss  universalen,  in  das  All  ausgegossenen-  Gott«*> 
Wesen  einen  persönlichen  Verkehr  des  Menschen,  ein  Sich-^ 
offenbaren  jenes  an  denselben  denkbar  zu  fin(fen,  wäre 
selbst  ein  Widerspruch,  ein  völlig  ungereimter  Gedanke. 
Wird  nun  die  Philosophie  auch  ihrerseits  aus  den  vorher 
entwickelten  Gründen  zur  Annahme  einer  solchen  That-^ 
Sache  zurückgedrängt;  so  bestimmt  diess  nothwendig 
auch  YOn  hier  aus  ihre  spekulative  Gotteidehre:  sie  kann 
sich  darin  mit  irgend  pantheistischen  Grandvoraussetzungen 
kein  Genüge  mehr  thun;  aber  ebenso  wenig  zeigen  sich 
hier  noch  ausreichend  die  unbestimmt  theistischen  Vor- 
stellungen Jacob i*s  von  einer  nur  extramundanen  Gott« 
heit  Unter  beiderlei  Voraussetzung  vielmehr  bleibt  Im 
Gedanken  einer  Offenbarung  etwas  Unklares  und  Mystisches 
zurück;  —  ein  Gedanke,  ohne  welchen  dennoch  der  Be*- 
griff  der  Geschichte  und  unserer  geistigen  Wirklichkeit  dar- 
in ,  des  Gewissesten,  was  es  fiir  uns  giebt,  wie  wir  gese- 
hen, nicht  zum  gründlichen  Abschiuss  gelangen  kann. 

Und  so  bleibt  es  abermals  Aufgabe  der  Philosophie, 
dieses  Problem  der  Geschichte  durch  Uiren  spekulativen 
Gottesbegriff  zu  lösen,  und  nicht  eher  abzulassen,  als  bis  die 
Idee  des  ,,Ab8oluten^  auch  von  dieser  Seite  her  der  Wirk- 

20 


3«e  Begrif 

lichkeit  (dem  ftosilirzu  Eridfirenden)  vMligr  gemtes  gewor- 
den ist.  Dann  wird  darin  auch  das  entscheidende  Krite- 
rium gefunden  werden  (dessen  Durchführung  in  einer  spe- 
kulativen Geschichte  der  Offenbarung,  als  die 
specifische  Aufgabe  der  Religionspbilesopbie»  zu  beseicknen 
ist),  die  wahre  oder  eigeatlicbe  Offenbarung  in  der  Ge- 
schichte von  einer  falschen  (subjektiv  getrübten)  bestinunt 
abzuscheiden«  Auch  hier  nämlich  muss  jener  aUgemeine 
Brkenntnissprocess  einer  Aneignung  und  Aufnahme  des 
Objektiven  in  die  ihm  zubereitete  Subjektivität  sich  fort- 
setzen, der  objektive,  oflfenbarte  Gott  wird  sich  dem  Gotr- 
lichen  in  uns  immer  tiefer  und  tiefer  bezeugen.  Die  Aneig- 
nung der  Offenbarang  kommt  daher  auch  hier  bis  zum  Punkte, 
dass  das  Unmittelbare ,  Geglaubte ,  ein  Vermitteltes  ^  frei 
Erkanntes  werden  muss  durch  das  Zusammentreflen  und 
faieinandeigehen  der. beiden  ursprunglich  verwandten  Hüt- 
ten, welche  durch  eine  vorausgehende,  gleichsam  hinter 
dem  Rucken  des  menschliohen  Bewusstseins  und  seiner 
Freiheit  vorgegangene  Vermitthmg  überall  sich  aufsuchen 
und  inden  müssen«  Wie  daher  nach  den  oben  schon  an- 
gedeuteten, weiter  zurückgreifenden  Parallelen  das  Auge 
dem  künftigen  Lichte ,  die  Sinne  überhaupt  der  Sinnenwell 
vermittelt  6in4  auf  eine  geheimnissvolle ,  aber  objektive 
Weise,  ehe  und  damit  sie  sich  dann  selbst  vermitlehi  kön- 
nen ;  so  ist  auch  der  ihm  nahen<le  objektive  Gott  schon 
im  Innern  des  Menschen  zuhereilet:  die  „Vernunft^,  das 
ursprünglich  (apriorisch)  Gottliche  i  n  uns ,  ist  völlig  im 
Stande,  den  GoU  in  seiner  objektiven  OSbnbamng  an  uns 
«u  verstehen,  und  diese  somit  zu  prüfen.  Aber  auch  hier 
ist  das  Wecbseiseilige,  der  Austausch  beider  wohl  anzuer- 
kennen, der  jenen  Kanon  (credOy  ui  mieltiganif  wekhem 
dann  zur  Seite  britt :  inieUigo ,  quia  credkk).  ebenso  sehr 
bestfitigt  und  für  sich  voraussetzt,  als  doch  näher  bestimmt 
und  berichtigt  Denn  nirgends  in  diesen  allgemeinen  Ver- 
haltnissen ist  ausser  Acht  zu  lassen ,  dass  das  Subjektive 
die  verwai^dte  Objeklivitat  nicht  nur  ui  sich  aufnunml, 
sondern,  in  diese  sÄDh  hineinverstandigend,  und  durch  sie 


der  Offbnbamngf.  907 

Aber  rieh  hlnansgeffiirt ,  dadurch  in  ihrem  nrsprOngUcheli 
Horizonte  erweitert  wird.  Wie  umsere Vemunfk sich ei^ 
weitert  an  der  Vernunft  der  göttlichen  Schöprungawerke,  so 
musa  noch  weit  tiefer  die  Oelionomie  der  göttlichen  OSnK 
barmig  ond  des  geschichtlichen  Gotles  die  Vernunft  über 
sich  hinausorientiren.  Denn  in  ihm  kann  erst  der  Stand* 
ptmkt  eines  gründlichen  und  TOllständigen  Weltverständ» 
aisses  gegeben  sein.  Die  Philosophie  endet  in  Theosophiei 
wie  die  wahre  Spekulation  umgekehrt  in  dieser  ihre  ge* 
heime  Voraussetzung,  Nahrung  und  Quelle  hat 

J  a  c  o  b  i  hat  aber  in  unserer  Zeit  nicht  nur  das  Ver- 
dienst, welches  ihm  auch  von  Hegel  zugestanden  worden 
ist,  an  die  Ursprünglichkeit  der  Idee  des  Unendlichen  wie- 
der erinnert  zu  haben ,  sondern  weit  bestinitmier  noch  mit 
dem  Drange  und  der  Inbrunst  eines  die  wahre  Objektivitflt 
Gottes  suchenden  Gemüths  auch  im  Umkreise  der  PhilosOi« 
phie  den  Begriff  einer  eigentlichen  und  concreten  Offenba« 
nmg  desselben ,  wenn  auch  nur  halb  zaghaft ,  und  wie  in 
eingehüllter  ^  unentwickelter  Gestalt ,  zur  Geltung  gebracht 
la  haben. 

Wemu  wir  jedoch,  von  diesen  Anregungen  d^gesehen,* 
daraach  fragen,  was  von  den  oben  ausgehobenen  Sätzen 
Jaeobi*a  als  eigentirch  spekulativen  Inhalts,  ab  po- 
sitiver Brtrag  iur  die  Philosophie,  zurückUeä^e,  so  möchte 
das  Gewicht  derselben ,  also  beurtheilt^  fast  auf  Nichts 
kerantersinken.  Gottes  Person  y  ausdrücklich  nur  extra<- 
anmdan,  nicht  intramundan,  freischaffend  und  waltend  nach 
sittlichen  Zwecken  —  alle  diese  Behauptungen,  so  wahr 
A)  an  sich  selbst  sind,  d.  h.  so  irrig  jede  direkte  Be« 
hauptung  des  Gegentheüs  wire,.  —  sind  dennoch  in  die- 
sem Zusammenhange  eben  nur  Behauptungen,  deren 
Wesentliches*  jeder  Einzelne  nach  dem  Standpunkte  seines 
Geistes  wie  seiner  Bädung  sich  anders  vorstellt;  dahei^  mdk 
Keinem ,  so  lange  er  selbst  in  der  Sph&re  des  Vorsteilens 
bleibt ,  das  Recht  zusteht ,  seine  Vorstellung  (d.  h.  seinen 
gl^bnissweisen  Ausdruck  daiur),  als  den  einiigen  und 
gemeingültigen^  den  Andern  aufzudringen.  Was  alles  Dies^ 


306  Jeeobrs  BegriiT 

Jieisse  tmd  bedeute ,  kann  gemeiagfiitif  Tiur  auf  dan 
Wege  des  philosophischen  Denkens  entschieden  werden, 
da ,  wie  sich  nnn  wohl  unwidersprechiich  gezeigt  hat ,  in 
dem  unmittelbaren  Bewusstsein  des  Ewigen,  wovon 
Jacobi  ausgeht^  xogleich  jene  Vorstellungen  nicht  ent« 
halten  sind ,  noch  sein  können.  Fällt  diese  Unlersuchosg 
nun  aber  in  den  Hittelpunkt  der  Spekulation ;  so  können 
wir  auch  hier  nur  auf  die  weitere  Entwicklung  derselbea 
verweisen ,  die  eben  jenen  Punkt  zum  C^trum  ihrer  For*- 
schungen  gemacht  hat. 


ni.  Noch  ist  die  dritte  Frage  zurück :  welch*  ein 
Verhältniss  von  Jacobi  dem  Verstände  angewiesen 
werde  zwischen  der  unmittelbaren  Sinnenwahrneh* 
m  u  n  g  und  der  ursprünglichen  Vernunft?  Bezeichnend 
stellt  er  ihn  dar,  als  das  Vermittelnde  zwischen  beiden,  als 
das  Auge  der  hohem  Besonnenheit,  welche  sich  des  In- 
haltes, wie  der  Aussagen  jener  beiden  unmittelbaren  A  n- 
schaumigen  bewusst  wird,  aber  nur  durch  sie  seinen 
Inhalt,  seine  Erfüllung  empfängt  So  ist  der  Verstand  eigent- 
Udi  innerlich  Eins  mit  der  Vernunft;  er  entwickelt,  sichtet, 
ordnet  ihre  Aussagen ,  ist  überhaupt,  nach  der  Konsequenz 
dieses  Verhältnisses,  nur  die  ztir  Klarheit  über  sich  selbst 
gebrachte,  somit  erweiterte  Vernunft  selbst.  Keineswegs 
aber  kann  ei*  wiederum  besondere  Erweise  von  ihrer  Wahr- 
heit fuhren,  weil,  woraus  er  beweisen ,  d.  h.  die  Wahriieit 
eines  Gedankens  entwickeln  kann,  eben  nur  die  Vernunft 
ist,  das  Unmittelbare,  Vorausgesetzte,  woraus  er 
selber  ist  und  schaut 

Aber  wie  die  Vernunft  das  Vorausge^gebene  ist 
dem  Verstände,  und  sonach ,  wenn  man  will,  das  Vorneh- 
mere und  Erste ;  so  muss  doch  umgekehrt  —  auch  nach 
der  Konsequenz  Jacobi  scher  Ansicht  —  der  Verstand, 
ais  das  Scheidende ,  Entwickelnde  jener  Unmittelbarkeit, 
das  Höhere,  der  Richter  über  die  Wahrbeit  in  letz- 


vom  Yerstancfe.  309 

ter  rnstahx  erseheiiieB.  *  PaUs  nämlich  ZweiM  entsteh 
hen  aber  die  Aussagen  der'  Vemimft,  mdl  Streit  über  die 
Auslegung  derselben ;  —  wie  wir  oben  wirklich  in  den 
wichtigsten  Paukten  die  Aussagen  der  Vernunft  ganz  anders 
fanden,  als  Jacobi  sie  behauptete;  —  wer  anders  ver- 
mag  in  soleheni  F^Ue  dariU)er  zu  entscheiden^  als  eben  der 
Verstand,  der  altgemeine  Ansleger?  Und  dies« wäre 
das  Erste ,  was  auch  von  hier  aus  seine  Theorie  nötkigen 
wiirde,  über  sich  hinauszugehen  t 

Aber  auch  in  anderer  Beziehung  kann  d!»  Verminft 
(in  J  a  4^  o  b  i  sehem  Sinne)  sich  nicht  entwickeln  (cum  B  e- 
wQsstsein  kommen),  ohne  auf  Eigentlich  spekihtive 
Probleme  zu  stoasen;  ja  in  ihrem  eigenen  Sehoosse  irege» 
sie,  nur  noch  eingehulk  in  das  Dunkd  ihrer  Unmittelbar-' 
keit.  Die  Verminft  enthalt  in  ihrer  Ursprunglichkeit  die 
Idee,  i8t  die  Anerkenn tntss  des  Swigen,  Absehitenr  wier 
Termag  doch  also  Endhches  zu  sein?  —  Ich  bin  mir 
im  Innersten  metner  Pfeiheif,  meiner  Selbstbestimmung  be^ 
wiisst;  woher  dech  die  Nothwen  digkeit,  die  sieh* 
iberalt  mir  entgegenstellt,  und  sogar  hemmend  in  mein 
eigenes  Innero  greift?  —  Sind  aber  diese-  Fragen  ^  die 
nächsten  und  unabweisbarsten,  eirnnat  zum  Bewusstsein  ge-2 
bngt,  so  mdssen  sie  gelöst  werden;  sie  w(Anen  in  der 
Tiefe  unserer  Vernunft  und  treßen  unsere  eigene  innerste 
Natur;  also  nueh  nur  entwickelte,  in  sich  vollendete  Yemunft, 
d.  k.  Yer^tand^  wird  sie  zu  Idsen  vermögen« 

Dass  sie  überhaupt  aber  gelöst  werdlen  können^  M&r 
scheint  der  Geist  des  Menschen  selbst  sich  zu  verbargen? 
es  musste  denn  ein  ewiges  Bcdürfhiiss  i»  ihm»  geben  ohnel 
SattigoBg,  einen  Stachel  der  tieften  Wissbegierde  ebne 
eniUeben  Frieden ,  ja  die  Vernunft  d^s  Menschen  selber 
musste  es  auf  einen  Selbstwiderspnieh  mit  ihm  abgeseho» 
haben.  —  Aber  wir  können  noch  daznsetzcn ,.  das»  die' 
Lösung  dieser  Fragen,  wie  sie  in  dier  ReKgion  auf  eine* 
unmittelbare  Weise  sich  ausgesprochen  findet,  auch  in  der* 
Pliilo(»ophie,  seittlem  philosophirt  wird,  nickt  bloss  versucht, 
sondern  auch  geleistet  sei,  und  zwar  überall  auf  die  gleiche' 


310  Jacobi's  Begriff 

Art,  nnr  verscbieden  nach  dem  Grade  der  Kiariieil  md 
Entwickelung:  und  so  findet  sich  aoch  historisch  wirUich 
nur  Eine  Philosophie,  da  eben  in  der  Ldsung  jener  Gnmd- 
frage  das  eigentliche  Wesen  derselben  besteht,  mur  mehr 
oder  minder  entwickelt. 

Aber  gerade  hier  s^ebt  die  Lehre  J  a  c  o  b  i  's  ihre 
staricste  Blosse.  Nicht  nur  laugnet  er  nämlich ,  dass  aber 
jene  höchsten  Fragen  überhaupt  eine  entscheidende  spe- 
kulative Antwort  möglich  sei,  wie  Kant  durch  Ausmes^ 
sung  des  ganzen  Erkenntnissvermögens  den  Innern 
Grund  entdeckt  zu  haben  glaubte,  warum  ein  theoretisches 
Erkennen  des  Uebersinnlichen  unerreichbar  bleibe ,  waiurn 
also  wederein  positives  (theistisohes)  Resultat  erruBgen 
werden  könne,  noch  aber  auch  das  direkte  Gegentheil 
desselben  erweisbar  sei:  sondern  viel  weiter  geht  Jener 
noch;  ihm  endet  das  unablässige  Forsdien  nothwendig 
in  einem  durchaus  verneinen  den  Resultate:  die  Untersii- 
diung  über  die  Realität  unseres  Erkennens  in  N  i  h  i  1  i  s  m  us, 
die  Forschungen  über  das  höchste  Wesen  und  unser  Verhält- 
niss  zu  ihm  in  Atheismus,  die  Untersuchung  über  den 
Weltzusammenhang  in  fatalistische  Freiheitsläugnung. 
Und  diess  hat  Jacobi  nicht  nur  einer  einzelnen  Philoso- 
phie als  ihre  nothwendige  Konsequenz  entgegengehalten, 
sondern  für  das  absolut  letzte  Ergebniss  aller  Spekula- 
tjton  erklärt  Damit  ist  aber  der  geistzerreissendste  Zwie- 
spalt über  den  Menschen  ausgesprochen:  will  er  klar  er- 
kennen, will  er  nur  dem  Verstände  vertrauen,  so  schwin- 
det ihm  jede  höhere  Wahrheit  dahin;  der  Zustand  der 
Klarheit  gränzt  an  den  der  Verzweiflung,  und  nur  in  der 
Dänunerung,  im  Halbdunkel  der  Ahnung,  des  Glaubens,  ver- 
mag er  festzuhalten ,  was  ihm  das  Heiligste  dünku  Aber 
immer  treibt  es  ihn  wieder,  was  er  glaubt  oder  glauben 
möchte,  auch  in  freier  Erkenntniss  zu  besitzen;  diese  je- 
doch wirft  ihn  ewig  nur  in  den  vernichtenden  Zweifel  zu- 
rück ;  und  so  ist  ein  heil  -  und  endloses  Schwanken ,  ein 
unvertiigbarer  Hader  des  Geistes  das  letzte  Ergebniss,  wei- 
ches Jacobi  an  sich  0<^st  so  treflfend  schildert ,  wenn 


▼om  VcrftiAde.  311 

er  yayl ,  dats  er  8idi  Ton  swiei  mXgegetsgeBeMeh  Slrö« 
immgen  getrieben  fSibie^  deren  eine  ihn  onaufhör« 
lieh  versenkt,  Während  die  andere  ihn  em* 
^erhebt* 

Und  dieser  Zwiespalt  seiner  innersten  nnd  besten 
KriDe  bei  dem  edelsten  Bestreben  sollte  das  unvermeidli- 
che Leos  des  Menschen  sein,  —  des  göttlichen  Eben-* 
b  i  I  d  e  s  auch  nach  J  a  c  o  b  i  ?  Wahrlich,  verhielte  es  sich 
aiso ,  wir  nähmen  kernen  Anstand  ^  den  Menschen  für  die 
abenteueriichste '  Missgeburt  der  Schöpfong  zn  erklären^ 
wenn  er  mit  seinem  höchsten  md  reinsten  Bestreben  noth-* 
wendig  in  innerer  Selbstzerreissnng  »den  müsste.  BiUig 
nödite  aber  wohl  jeder  Besonliene  in  jenem  an  J  a  c  o  b  i 
rieh  xeigenden  und  von  ihm  so  vielfach  geschilderten  6el«> 
itesznstande  nur  das  Resutlat  einer  Verbildnng  oder 
emer  K  r  i  s  i  s  erblicken ,  wie  sie  in  einer  Uebergangsepo- 
ehe,  gleich  der  unsrigen,  wo  die  Gewissheit  des  Glaubens 
entwichen  nnd  die  höchste  Frucht  der  Wissenschaft  noch 
heinesweges  gezeitigt  ist,  von  den  edelsten  Gemufhern  ge-^ 
rade  am  Tiefsten  und  SchmerzUchsten  empfunden  werden 
buss. 

Man  vergebe  uns  die  Lebhaftigkeit  unserer  Ausdrücke 
hier  und  an  einigen  andern  Stellen  über  den  dahingeschie- 
denen Weisen.  Aber  wenn  er  selbst  übendi  so  beredt  ist, 
seinen  innersten  Abscheu  gegen  gewisse  Lehren  an 
den  Tag  zu  legen ,  die  er  für  atheistisch  oder  nihilistisch 
hielt,  während  er  diese  Konsequenzen  seinen  Gegnern  doch 
nur  unterschob;  wenn  seine  Polemik  in  der  Regel  aus 
einem  fast  persönlichen  Affekte  gegen  eine  Ansicht  enU 
sprang,  die  er  nun  durch  grelles  Ausmalen,  durch  Ueber- 
setzen  derselben  in  gehässige  Ausdrücke  zu  bekämpfen 
suchte:  könnte  uns,  den  Jüngern,  wenigstens  nicht  ver«- 
geben  werden ,  wenn  wir  gegen  wörtliche  Acusserungen 
desselben ,  die  schlechthin  keine  andere  Deutung  oder  Be-^ 
schöniguttg  zulassen ,  bei  denen  also  auch  kein  M  i  s  s  v  e  r- 
stand  denkbar  ist,  mit  unwiUkührlichem  KachUruck,  doch 


312  Charakter 

ehrfarchtsvoO,  protosUrt  haben?  Zamal  da  wir  innig  uber- 
Eeugft  sind  von  dem  Nachtheile,  den  diese  Ansicht  auf  die 
Bildung  der  Gegenwart  schon  ausgeübt  hat,  und  noch  aus- 
zuüben fortfährt.  Eben  dieser  Glaube,  dass  der  Verstand 
nur  zerstörend  wirke,  dass  man  ihn  soigsam  abzuhalten 
habe  von  der  Prüfung  der  höchsten  Wahrheiten,  —  der 
bequeme,  recht  eigentlich  zur  Geisteswillkühr  jeder  Art 
einladende  —  welche  Konsequenzen  kann  er  nicht  unter 
sieh  bergen,  zumal  in  einer  Zeit,  die  Alles  gleich  bis  zum 
absurdesten  Extreme  verfolgt? 

Aber  auch  die  Beschränktheit,  ja  liliberalitäi  von 
J  iei  c  0  b  i*s  Polemik,  scheint  noch  von  keinem  Unbefangenen 
völlig  in's  Licht  gestellt,  da  Manche  sogar  es  ihm  nach- 
rühmen, wie  er  (Uierall  nach  Gerechtigkeit,  Biliigkeii  und 
Milde  gestrebt  habe.  Viehnehr  scheint  diese  fast  überall 
nur  darauf  anszugehen,  der  angeführten  oder  ali- 
gemeinen Konsequenz  einer  Lehre  sich  zu  bemäch- 
tigen ,  um  daraus  sofort  zu  entscheiden ,  was  sie  wohl  be- 
haupten könne,  und  was  nicht;  voraussetzend  dabei,  wie 
es  scheint ,  dass  es  ihm  vorbehalten  sei ,  die  höchste  Kon- 
sequenz eines  Systemes  oft  besser  zu  erkennen,  als  ihr  Ur- 
heber selbst.  ^}  —  Er  weiss  es  ja  schon  im  Voraus,  dass 


■ »« ■  » I 


*)  Masche  Aeusserimgeii  von  Jacobi  gprechen  diess  sogar  an- 
umwunden  aus,  wahrend  «ein  polemisches  Verfahren«  welches 
ein  Eingehen  in's  Cinaelue  fast  nie  für  nöthig  hält,  überdies« 
stillschweigende  Präiaisse  keinen  Zweifel  übrig  lässt.  So,  in« 
dem  er  gegen  Rein  hold"  in  Bezug  auf  die  Wissenschafb- 
lehre  äussert,  er  habe  zwei  Hauptwerke  Cber  sie,  Fichte*s 
Rechts-  und  Sittenlehre,  noch  nicht  durchlesen  können,  „weil 
er  noch  immerzu  viel  Knoten  in  seiner  Theorie 
g  e  f  a  n  d  e  n,'*  setzt  er  demungeachtet  sogleich  hinzu  :  „Im 
Grunde  ist  das  gleichg  uitig,  denn  es  Ut  nidit  die  Krage 
davon ,.  was  Fichte  am  Ende  meint  oder  lehren 
will,  sondern  was  er  seinen  Priucipien  aufolge  meinen  und 
lehren  muss/'  (Rein  hol  d's  Leben  und  tilter.  Briefwech- 
sel S«  250.)  Kbeii  SU  kann  aiuh  die  Polemik  gegen  «irn 
Atheismus  der  Philosoplien,  da  diese  doch  uirgeniis  adiri- 
stische  Äeuss«rungen  Torgebracht^  und  ansserdcm  noch  jeder- 


seiner  Polemik.  313 

eine  spekulative  Lehre  keine  tiefere  WahrÜeit  zu  bieten  yer- 
m^e ;  und  so  wäre  es  sogar  ein  psyctiologisclier  Widerspmeii, 
mit  vollkommener  Hingebung  und  gmzer  Selbstaufopferung 
ein  Werk  in  sieh  aubunehmen,  von  dessen  Vei^ebliciikeil 
man  schon  im  Voraus  überzeugt  ist  I  —  Kommt  nun  daso 
noch  ausgezeichneter  Scharfsinn  und  jene  .  Gewandtbett, 
eine  leich^efasste  Idee  bis  2U  ihrem  Extreme  zu  verfol- 
gen; so  sind  alle  Elemente  seiner  Polemik  dargeslellf, 
wdche  immer  darauf  hinausgeht,  einer  Seits  im  AO^eraei^ 
nen  die  theoretische  Konsequenz  einer  Lehre  anJBuerkennen, 
anderer  Seits  aber  ihr  Resuttat;  zu  einer  die  Vernunft  enN- 
pörenden  Absurdität  zu  machen.  Sogeschah  eslart 
mivermeidlich ,  dass  man  seinen  polemischen  Werken  ge«i 
geo  Kant,  die  Wissenschaf tsjehre,  das  Identi- 
tätssystem,  Verdrehung  der  Ansichten  des  Gegners  vor- 
warf, ja  behauptete,  sein  grösster  Kwstgriff  bestehe  im 
Gallimathisiren  desselben.  Wohl  ladet  nämlich  diess  ganze 
polemische  Verfahren  dazu  ein,  den  Gegner  zu  missdeuten^ 
indem  man  ihn  zu  leicht >  nimmt,  .und  mil  allgemeinen  Be* 
hauptungen  und  Rügen  ihn  wideilegen  zu  können  meinte 
Und  diess  ist  um  so  naohdrueklicher  hervorzuheben,  als 
auch  jetzt  noch  nicht  selten  in .  der  Kritik  philosophischer 
Weike,  nur  ohne  den  Scharfsinn. und  die  polemische  Kraft 
Jacob  i's,  dasselbe  Verfahren  gehandhabi  wird. 


Geheif  wir  jedoch  auch  hier  zu  den  allgemeinen  Gründen 
zurück,  auf  die  Jac.obi  sein  Urtheil  über  die  Nichtigkeit 
nnd  Vergeblichkeit  aller  spekulativen  Erkenntniss  stützte: 
sie  finden  sich  anf  Ausführlichsten  entwickelt  in  der  s  i  e- 
benten  Beilage  zu  den  Briefen  über  Spinosa*). 


zeit    jene  Bebauptuag  J  a  c  o  b  1*9    Ton   aich  gewiesen   haben, 
zuletzt  nur  auf  eine  Vorauasetzuog  des  Inhaltes  leiten:    dass 
Er  besser  wisse,  was  jene  Philosophen  eigentlich  lehren  waU 
len  oder  können,  als  sie  selbst!  — 
*}  Man  vergleiche  mit  dem  Nachfolgenden   die  un^^efähr  gleich- 


314  Charakter 

Der  theordtiaclie  Versland  rachl  überall  zuiiXchsl  <fie 
nodiwendige  Verimüpfung  der  Begriffe  oder  Dinge  mCer 
einander  durch  DemanstraUon  aurznweisen.  indem  er  A 
denkt,  ¥rird  ihm  dadurch  auch  ein  B  gesetzt;  das  Sein 
von  A  ist  4hm  also  unabtrennliefa  tom  Sein  ron  B,  und  mn- 
gekehrt  Und  diese  Verkettung  von  Begriffen  durch  innere 
Nothwendigkeit  ist,  was  Wissenschaft,  systematisches  Er- 
kennen, auanacht  Aber  aufgewiesen  wird  der  noUiwendige 
Zusammenhang  zweier  Begriffe  nur  durch  ihre  Konstruk- 
tion,  dadurch ,  dass  wir  sie  im  Geiste  Trei  erzeugend  aiK 
ihren  Elementen  entstehen  lassen.  Was  wir  auf  diese 
Weise  konstniiren  können,  begreifen  wir,  was  nicht 
konstruirbar  ist,  begreifen  wir  nicht  (S.  424.  alte  Ausg. 
Werke  IV.  2.  S.  134.). 

Der  Verstand  aber,  unbefriedigt  durch  das  Verweilen 
'  im  Binseinen,  versucht  es,  die  allgemeine  Form,  das  6e- 
sets,  wonach  alles  Einzelne  entsteht,  sich  verändert  und 
vergeht,  kurz  das  soiriechthin  Allgemeine  zu  erkennen. 
Daraus  die  Philosophie,  deren  erste  Frage  ist,  wie  aas 
dem  Unbedingten  das  Bedingte  hervorgehe.  — Zu- 
vörderst ,  was  darf  die  Philosophie  sich  verstalten,  in  je- 
nen Begriff  aufzunehmen?  Nichts,  als  was  sie  zu  ihrer 
Erklärung  des  Bedingten  bedarf,  Nichts,  als  was  in  demsel- 
ben ihr  wirklich   begretflieb  ist.    Das  Unbedingte  ist  i 


zeitig  geschriebene  Kritik  Hegels  über  die  Ja  co bische 
Lehre  in  der  Einleitung  zur  zweiten  und  dritten  Ausgabe 
seiner  Ency  klop.  de  r  phil  os.  W  issen sc  haften  ($»62 
S.  75.  dte  Auüg.),  welche  denselben  Ausgangspunkt  niroort. 
Ein  Anhanger  desselben  hat  dessbalb,  das  chronulogische  Vei^ 
hältniss  zo  wenig  beachtend,  den  Verfasser  eines  Gedanken* 
rauhes  an  Hegel  beschuldigt,  welchen  Verdacht,  neben 
jenem  äussern  Grunde  (vgl.  I  n  teil  i  g  enzbl.  der  Hall. 
Litt  Zeit  1830.  N.  51.),  die  Vergleichnng  beider  Aus- 
f&hrnngen  am  Besten  berichtigen  kann.  Um  für  jeden  Fall 
die  Sache  in  ihrer  Integrität  zu  lassen,  gtebt  der  Verf.  diesen 
Abschnitt  in  unverändertem  Abdrucke  wieder. 

Anni.  zur  zweiten  AHtgabe. 


seiner  Polemik.  315 

dakr  nur  letzter  Urgrund,  umfassende  Bedingung  des  W^ 
sens  and  Seins  aller  einzelnen  Existenzen :  die  (spinosische) 
absolute  Substanz,  aus  der  unendlich  Einzelnes  auf 
unendliche  Art  hervorgeht.  So  bleibt  nur  der  Gedanke 
absoluter  Allmacht,  nicht  aber  der  Vorsehung,  Weisheit, 
9Per8dnliohkeit,<*  an  ihm  übrig,  weil  die  nothwendig« 
Einheit  dieser  BegriiTe  mit  jenem  nicht  aufgewiesen  wer^ 
den  kann.  Es  genügt  nämlich  als  letzter  Erklanmgsgrund 
alles  Einzelnen  der  Begriff  absohiter  SdMdanz  und  AllnuMdil 
ToDkommen. 

Eben  so  ist  bei  der  Frage  nach  dem  ewigen  oder 
zeitlichen  Ursprünge  der  endlichen  Dinge  aus  dem  abso«* 
loten  Urgründe  die  Frage  sehr  bald  gelöst,  ?renn  wir  im 
Abstrakten  der  blossen  Begriffskonstruktion  bleiben.  Das 
Werden  kann  eben  so  wenig  angeftmgen  haben,  als  das 
Sein,  und  jede  endliche  Bestimmung,  hervorgegangen  ihrer 
Ursache  nach  aus  einer  andern,  ihrem  Grande  nach 
aas  dem  absoluten  Urgründe,  leitet  auf  dne  unendliche 
Reihe  innerlich  verketteter  einzelner  Dmge  zurück,  in  weU 
eher  Alles  befasst  ist  durch  gleiche ,  dlbestimmende  Noth«- 
wendigkeit.  Was  wir  daher  Freiheit  nennen,  d.  h.  alH 
soluten  Anfang,  That  aus  sich  selbst,  unterbrechend  die 
Reihe  jener  unendlichen  Bedingungen,  wäre  ein  Wideiw 
Spruch  an  sich:  nicht  nur  wäre  die  Verkettung  des  Uni-» 
Yersuros  dadurch  unwiederbringlich  aufgelöst,  sondern  es 
wäre  damit  sogar  ein  schlechthin  widersprechender  Begriff 
behauptet.  Wie  vermöchte  überhaupt  Etwas  zu  sein,  nicht 
begründet  im  absoluten  Urgründe,  d.  h.  durch  keine  in«^ 
Bere,  ewige  Nothwendigkeit  getragen^  gleichsam  aus  dem 
Nichts  gehoben? 

Aber  wenn  der  Begriff  (der  Freiheit  auch  verworfen 
werden  muss ;  woher  doch  das  Phänomen  derselben  ?  Weil 
in  unserm  Selbstbewusstsein  die  Bedingung,  die  bewegende 
Ursache  derselben,  verborgen  bleibt,  die,  wenn  sie  aufge- 
deckt würde^  unsere  freien  Handlungen  zu  eben  so  noth- 
weadigen  machen  wdrde,  als  alles  Uebrigc  es  ist.  Ist  doch 
auch  nach  der  gewöhnlichen  Ansicht  keine  freie  Handlung 


316  .   Charakter 

ohne  Motiv,  ohhe  „Bewegung'sgrnnd^,  denkbar,  und 
eben  in  diesem  mwss  das  Princip  gesucht  werden,  das  mil 
verborgenem  Zwange  auch  die  scheinbar  freieste  Handlung 
lenkt. 

Diess  Alles  klar  und  auf  ^unwiderlegbare  Weise« 
darzustellen  *}y  ist  vor  Allem  S  p  i  n  o  s  a  gelungen ,  dessen 
Lehre  daher  recht  eigentlich  als  das  Normalsystera  der 
Demonstration,  als  deren  eigentlichste  und  höchste 
Konsequenz  anzusehen  ist  Aber  eben  desshalb  geht 
jeder  Weg  der  Demonstration  in  Fatalismus 
aas,  eben  so  bestimmt  einen  persönlichen  Gott ,  als  die 
menschliche  Freiheit  länghend,  indem  beide  nicht  nur  un- 
denkbar sind  nach  diei^en  Principien,  sondern  ihr  Begriff 
sogar  .als  sich  widersprechend,  innerlich  unmög- 
lich ersdieint ;  eine  Behauptung,  die  J  a  c  o  b  i  überall  sehr 
sorgsam  hervorzuheben  sucht. 

Hieraus  lassen  sich  nun  alle  Aeusserungen  vollständig 
herleiten,  die  über  das  Können  und  Nichtkönnen  des  Ver- 
standes und  der  Spekulation  bei  Jacobi  vorkommen. 
Wir  begreifen  eine  Sache,  indem  wir  sie  aus  ihren  näch- 
sten Ursachen  herleiten  können,  oder  ihre  unmittelbaren 
Bedingungen  der  Reihe  nach  einsehen,  (lieber  Spinosa, 
S.  419.  Anm.)  Daher  sind  die  einzigen  Wissenschaflen  im 
eigentlichen  und  strengen  Verstände  Mathematik  und  all- 
gemeine Logik ,  und  alle  Erkenntniss  kann  nur  in  dem 
Maasse  wissenschaiUiche  Form  erwerben ,  als  sie  auf  Ma- 
Ihematik  und  Logik  zuruckgefiUirt  zu  werden  vermag.  (Von 
den  göttlichen  Dingen  S.  121,  Werke  IV.  S.  351.). 

Jedes  reale  Erkennen  aber,  dessen  innerstes  Wesen 
vielmehr  darin  besteht,  Dasein  zu  enthüllen,  die  in- 
nere Kraft  und  Wesenheit  der  Dinge  zum  Bewusstsem  zu 
bringen,  fallt  ttothwendig  ausserhalb  jenes  wissenschaftli- 
chen Processes :  in  dem  Maasse  nämlich,  als  die  Dinge  for- 


*)   Briefe  über  Spinosa,    Vorr.  S.  XVI.  XVIi. ,    und  sonst 
noch  oll. 


deiner  Polemik.  317 

miimr\  werden  durch  jenes  Begreifen,  Terschtrindet' im 
jhnen  die  innere  Fülle  und  EigenthümUciikeit ;  die  Saclie 
wird  zur  Gestalt,  das  Reale  zur  F  o  r  m  (Schreiben  an 
Fichte,  S.  15. 16.  Werke  III.  S.20— 22.),  und  sie  sind 
leere,  unwirkliche  Abstracta  geworden.  Die  wahre  Reait«- 
tat  ist  das  absolut  Indemonstrable,  was  nur  der  in-« 
nersten  Selbsterrahrung,  dem  wirklichen  Erleben  sich  off-* 
iiet,  und  ihr  Erkennen  daher  nur  Resultat  einer  wahrhaft 
ten  Selbstoffenbarung  derselben* 

So  wäre  ein  Gott,  der  gewusst werden  könnte,  d.h. 
durch  reinen  Verstand  konstruirt,  eben  darum  kein  Goti^ 
vielmehr  ein  leeres ,  unwirkliches  Ab^straktum ,  |,durch  und 
durch  BegriC  Höchstens  bis  zum  Gedanken  eines  Fatuma 
könne  man  damit  gelangen ,  also  zum  eigentlichen  Gottp« 
Läugnen :  ja  es  sei  darum  Interesse  der  Phik>sophie  ,.  als 
konstnihrender  Wissenschaft,  dass  kein  Gott  sei.  Eben  da«^ 
mit,  dass  er  konstruirt,  durch  Erkennen  gemacht  werde, 
Geschöpf  des  wissenschaftlichen  Denkens  sei ,  werde  sein 
Charakter  als  Urbedingung,  seine  schöpferische  Rea- 
lität aufgehoben.  Gott  wissenschaftlich  erkennen,  heilsst 
Gott  vernichten.*) 

Jedoch  auch  hier  hat  J  a  c  o  b  i  versdumt,  efaie  wesent- 
liche Unterscheidung  zu  machen,  die  ihm  noch  ein  anderes 
wissenschaittiches  Erkennen,  als  das  durch  Demonstra- 
tion, eröflhet  haben  wurde,  welches  letztere  im  Gegen- 
Aeile  wir  gar  nicht  als  das  eigenüidi  spekulative  anerken- 
Ben  können. 

Alle  Wissenschaft  zuvörderst,  und  auch  die  Spekida- 
tion,  hat  mit  dem  Allgemeinen  zu  thun,  und,  was  ihr, 
als  solcher,  entgeht,  die  zufällige,  unmittelbare 
Seite  der  Dinge ,  ist  mit  Recht  und  wesentlich  von  ihrem 
Umkreise  auszuschliessen.     Aber  an  sich  lässt  sich  ein 


*]  Jacob!  an  Fichte^  Vorr.  S.  IX.  X.  S.  22.  26.  38^  39^ 
Q-  I.  w.  Kein  hold'«  Leben  und  litterarischer  BriefWechsel, 
S.  246:  „Die  philosophische  Darstellung  Gottes  ist  n  o t  h^ 
wendig  obj^kiife  GoitesTernichtong.'* 


318  Ctefiikter 

deppdtet  VerUHiiit«  xwiBdien  dem  CcmcrrfeD  und  den 
Allgemeinen  denken«  Diess  kann  entweder  sein  das  Att- 
gemeine  der  logischen  Reflexion  und  Abstraktion, 
oder  das  des  spekulativen  Denkens.  Jenes  ist  der  so- 
genannte logische  Begriff,  die  Allgemeinanschau- 
ung  mannichfiiUiger  concreter  Anschaumigen,  die  durch 
die  gewöhnliche  logische  Reflexion  und  Abstraktion  gefin^ 
den,  deasludb  fugüdi  dieReflexionsallgemeinheil 
genannt  werden  kann.  Hier  ist  das  Concrete  das  Reichere, 
die  Fülle  des  Lebens  enthaltend,  weil  es  &s  Wirkliche 
ist;  das  Altgemeine  dai^  Inhaltsleere,  bloss  Abstrakte,  durch* 
«IS  Unwirkliche  und  Subjektive,  indem  es  ganx  unwesent- 
lich ist,  bei  weichet  Stufe  des  Abstrahirens  stehen  geblie- 
ben weide.  Von  Solchem  redend,  hat  J  a  o  o  b  i  ganx  Recht 
SU  behaupte« ,  dass  es  aller  Realitfit  entbehre ,  und  dass, 
wenn  aOe  Wissenschaft  m  solcher  Erhenntniss  bestände^ 
diese  notkwendig  bloss  formalen  Werth  haben  körnte ,  in- 
dem sie  statt  der  lebendigen  Wirklichkeit  nur  mit  den  ver- 
Uassten  Gestalten  der  Abstraktion  xu  thun  hat. 

Aber  eine  and^e  ist  die  absolute  Allgemeinheit  der 
Idee,  und  ein  anderes  deren  Verhallmss  zur  concreten 
Wirklichkeit.  Wie  die  lästere  als  eine  unendlich  wech- 
sefaide,  vergängliche,  nichtige  erscheint,  nniss  ihr  ein 
Daaemdes  im  Wechsel ,  ein  imierlich  gestaltendes 
Princip  als  ewiges  Gesetz  zu  Grunde  liegen,  welches 
wiederum  ein  Al^gemmes  sein  wird,  abet  kein  abstrakt- 
unwirkliches, sondern  ein  solches,  das  als  schlechthin 
Wirkliches  am  Concreten  sich  bewährt.  Und  diess  zn 
erkennen  ^  ist  die  eigentücbe  Aukube  der  Philosophie,  die 
daher  von  der  Einen  Seite  weder  mit  dem  bloss  Abstrak- 
Im  |Ztt  thiü  hwt,  noch  von  der  andern  ledi^iek  an  der 
concieten  Wiriüidikeit  haftet ,  sondern  diejenige  Aligemein- 
heit zu  erkennen  hat,  die  als  das  eigentlich  und  bleibend 
Wirkliche  an  allem  Concreten  sich  erweist. 

Hierauf  nun  Ifisst  sich  nicht  mehr  die  J  a  c  o  b  i  sehe 
Behauptung  anwenden,  dass  diess  Erkennen  nihili^isch 
sei,  und  die  Form  zur  Sache  mache;  viehnehr  bringt  es 


seiner  PMemik.  319 


das  eigeiitliehe  Wegen  der  Dinge  KOin  BewnsstteiB ,  dis, 
was  wahrhaft  isl  in  ihrer  endlos  voruberfltessenden  Br- 
scheinung;  und,  indem  es  dadureh  das  Integrirende, 
die  innere  Vollendung  iOr  alles  Wissen  ist,  erfaill  es  eben 
damit  seine  Nothwendigkeit  und  sein  wesentliches  VerfaälW 
niss  zu  den  andern,  niedem  Formen  des  Bewosstseins. 
Wir  machen  diess  deutlicher  durch  eine  Vergleichung  die. 
ses  Verhältnisses  mit  der  Ja co bischen  Theorie  des 
Brkennens. 

Nach  Unten  galt  diesem  das  unbegreiflidie  Wunder 
der  Wahrnehmung  einer  Sinnenwelt,  nach  Oben  das  Jen» 
seits  eines  geglaubten  Uebersinntichen  in  unmittelbarer 
VemunftanschauuQg«  Die  Frage,  wie  beide  Welten  sich  so 
einandw  veriialten ,  ja  wie  sie  nur  neben  einander  ca 
existireB  vermögen,  fiberging  Jaeobi;  und  Indem  er  so 
an  der  Grftnze  awischen  Philosophie  und  gewöhnliehem 
Bewnsstsein  stehen  blieb ,  machte  er  dadurch  eine  Lösung 
jeaes  Problems  durch  eigentliche  Philosophie  um  so  nfr» 
thigen  Unter  dieser  verstehen  wir  jedoch  nicht  sowoU 
eiaeinzebies  ?on  den  Systemen,  denen  Jaeobi  polendsck 
gegenubertrat,  als  die  gesammte,  de»  subjektiv  idealistischen 
Staadponkl  überwindende  Richtung  der  Spekulation,  und 
deren  AHgemeinkonsequenz  in  Bezug  auf  den  6mndbe-> 
griff  des  Bewusstseins.  Diese  fasst  gleich  urspranglich  das 
'  Wesen  desselben  auf  eine  tiefere  Weise ,  als  es  von  J  a- 
eobi  zufolge  seines  ganzen  Standpunktes  gesehdien  konnte, 
oad  entgeht  dadureh  schon  Anfangs  dem  Widerspru  oh  e, 
weleker  bei  Jaeobi  unvermeidlich  hervortritl,  dass  das 
Eine  Bewusstsein,  nach  Unten  Sinnliches, 
nach  Oben  Uebet sinnliches  anschauend, 
swei  absolut  g^etrennte  Welten  offenbaren 
solL 

Nach  ihr  ist  zwischen  Sein  und  Wissen  in  ihrem  ür- 
q»ninge  und  in  ihrer  Wirklichkeit  keäie  Trennung  und  kein 
wahrhafter  Gegensatz;  und  hierin  kirne  der  Jacobisehe 
»Ghadie«  an  die  Realitit  des  Bewusstseins  zu  seiner  B^ 
ititiganf ,  nur  jedo<4  in  d^m  Sinne,  dass  der  GtaiAe,  das^ 


320  Charakter 

UnmitteBMirß ,  als  das  Vermittelte  des  Begrifl^  g-erechtrerfigt 
wird:  kein  Sein  daher,  welches  nicht  C^enigsfens  seiner 
Möglichkeit  nach)  ein  gewusstes,  dem  Wissen  zugilnglich 
und  durchdringbar  wäre ,  ebenso  kein  Wissen ,  das  nicht 
darum  schon  reales  wäre;  denn,  wirklich  Bewusstsein 
seiend >  kann  es  nur  der  Wirklichkeit  schlechthin  b e^ 
w  u  s  s  t  sein.  Und  hiermit  meinen  wir  zuvörderst  weder  eine 
bloss  sinnliche,  noch  bloss  übersinnliche  Wirklichkeit,  in- 
dem es  ursprünglich  einen  solchen  Gegensatz  gar  nicht  giebt, 
sondern  den  in  sich  unheilbaren,  gegensatzlosen  Begriff 
des  reinen  Seins  oder  der  Wirklichkeit.  —  Femer  wird 
jedoch  das  Bewusstsein  in  seiner  unmittelbaren  Gegebenheit 
auch  nur  sein  können  Wissen  der  Wirklichkeit  in  ihrer 
unmittelbaren  Gestait,*und  als  solches  ist  es  Wahr- 
nehmen des  Einzelnen ,  Concreten ,  der  unendlich  wech- 
selnden Mannichfaltigkeit  der  Dinge ,  der  „sinnlichen  Welt,^ 
die  aber  eben  nur  die  Eine  Wirklichkeit  in  der  Form  ih- 
rer Unmittelbarkeit  ist  Ueber  deren  mit  Zufälligkeit  durch- 
lebten Inhält  erhebt  sich  das  denkende  Erkennen,  in- 
dem es,  das  Zufällige  des  Gegebenen  durch  Abstraktion 
fallen  lassend,  den  gemeingültigen  „Begrifft  (das  Int>e- 
greifende)  einer  Mannigfaltigkeit  gleichartiger  Erscheinun- 
gen findet.  In  dem  Begriffe  derselben,  in  den  allge- 
meinen oder  wesentlichen  Bestimmungen,  welche  er  um- 
fasst,  zugleich  ihr  Wesen  erkannt  zu  haben,  ist  das 
Denken  unmittelbar  gewiss.  So  hat  das  Wissen,  indem 
es  denkendes  wird,  nicht  mehr  das  bloss  Sinnliche,  Un- 
mittelbarä,  ZuflUige  sich  gegenüber;  denn  es  hat  darin 
das  Wesen ,  das  Gesetz,  das  Nothwendige  desselben  ge- 
funden. Das  Wesen  (der  Begriff)  ist  solchergestalt  ein 
Vnsinnliches,  aber  Grund  der  einzelnen  sinnlichen  Erschei- 
nungen, somit  eine  Realität,  die  doch  nicht  in  das  Jen- 
seäs  einer  (leeren)  übersinnlichen  Welt  hineinfallt. 
Das  Denken  hat  nur  das  unmittelbare  Wissen  ergänzt  um 
sein  nothwendiges  Complement,  das  Bewusstsein  der  Grunde 
oder  Wesenheiten  des  sinnlich  Unmittelbaren.  Es  sind 
dort,  wie  hier,  nicht  zwei  entgegengesetzte  Sphären  der 


seiner  Polemik.  321 

WirkOchkeR,  dämm  des  Wissend,  sondern  Eine  Welt^  die 
Welt  des  Wiitiichen  schlechthin;  darum  auch  nur  Ein  von 
der  sinnlichen  Unmittelbarkeit  anhebendes ,  durch  Denken 
sich  ergänzendes,  und  der  eigentlichen  Realitjit,  des  We« 
sens ,  sich  bemächtigendes  Wissen  *> 

Wie  Jacobi  diesen  ganzen  Standpunkt  angreifen 
könne,  versuchen  wir  noch  anzudeuten,  indem  sich  auck 
hierdurch  vomamlich  Licht  verbreiten  möchte  über  sein 
inneres  Verhältniss  zur  Philosophie.  —  Die  Nothwen« 
digkeit,  welche  im  Denken  des  Begriffes  sich  entwic- 
kelt und  seine  einzelnen  Theile  nnd  Merkmale  unter  sich 
anir  Einheit  dieses  Begriffes  verknüpft,  ist  eine  Ncvlhwen* 
digkeit  des  Inhaltes,  nicht  bloss  ausserlich  durch  die 
Form  des  Gedachtwerdens  ihm  aufgedrungen ;  dadurch  ist 
sie  aber  zugleich  dasjenige,  was  dem  Inhalte  allein  Wahr- 
heit und  Objektivität  verleihen  kann.  Die  Nothwendig-* 
keit  des  Denkens  ist  nur  das  dem  Gedachten, 
dem  Inhalte  selbst  innewohnende  obje^ktir 
AllgemeiRO»  Diess  VerhSltniss  kann  in  allem  DoBf* 
ken,  selbst  in  der  Spekidation,  Voraussetzung  bleiben, 
VDbeschadei  der  Wahrheit  ihres  Inhaltes :  aber  die  Philo- 
sophie, als  vollendete  Wissenschaft,  hat  selbstzu- 
gleich  den  Beweis  ihrer  Möglichkeit  und  objektivea 
Gültigkeit  zu  führen,  d.  h.  sie  muss  erweisen,  wie 
und  wodurch  die  Mothw^digkeit  ihres  Denkens  zugleich 


*)  Man  erkennt  ohne  Zweifel,  dass  diete  snmniarisclie  Cherak* 
terisiik  des  Denkens  nur  anf  weiter  . ausgeführten  NachweU 
sangen  einer  Erkenntnisslehre  beruht,  auf  die  man  sich  hier 
ebeto  nur  berufen  kann.-  Es  ist  nämlich  allerdings  Aufgabe 
dieser  Wissenschaft,  aus  der  auf  allen  Stufen  seiner  Ent- 
Wicklung  ebenso  objektiven,  wie  subjektiven  Natur  des  Er* 
kennens  oder  Wissens  nacbeuweisen,  dass  der  „Begriff* 
nicht  ein  bloss  subjektiv  Erdachtet,  eine  formell  logische 
Allgemeiofaeit ,  sondern  das  im  Denken  gefundene  Wesen  seil 
ein  Beweis,  welchen  der  Verf%  nach  dem  Erscheinen  dieser 
Schrift  nicht  schuldig  su  bleiben  bemuht  gewesen  ist. 

Anm.   cur    iwei^en  Ausgabe» 

21 


323  Charakter 

obj  ckti  ve  Bedeiiliing  habe,  wie  sie  nur  sei  das  insBe- 
wusslsein  erhobene  innere  Wesen  der  Dinge  selber.  Ja* 
cobi  könnte,  nach  seinem  ganzen  Standpunkte,,  diese  wis- 
senschaftliche Nothwendigkeit  nur  für  einen  subjektiven 
Schein,  und  das  philosophische  Denken  überhaupt  iur  eine 
bloss  subjektive  Thfitigkeit,  ohne  objektiven  Werth  und 
Bedeutung,  erklaren.  Denn  nur  insofern  kann  er  auch  be- 
haupten, dass  die  eigentliche  Wahrheit  ifir  die  Philosophie 
nolhwendig  ein  Jenseitiges  bleibe,  ja  ans  ihr,  als  Wis- 
senschaft, und  um  ihres  wissenschaftlichen  Verfahrens  willen, 
herausfallen  müsse.  Und  hatte  er  eben  j^en  Einwand  nur 
deutlich  ausgesprochen  und  durch  seine  Grundpramisse  von 
der  Unmittelbarkeit  des  wahrhaften  Wissens  motivirt ;  so  wäre 
theils  sein  Verhditniss  zur  Philosophie  weit  ausgebildeter,  kräf- 
tiger, polemisch  entscheidender  hervorgetreten,  theils  wäre 
es  auch  für  die  Bntwidcelung  der  Spekulation  lehrreicher 
geworden.  Jenes  skeptische  Argument  nämlich  musste 
ihm  spgleich  weit  tiefer  greifende  Einwendungen  gegen  die 
wissenschaftliche  Philosophie  eingeben,  wodurch  er  ihr  nidit 
einmal  verstatten  durfte,  formale  Wissenschaft, 
voHendetes  Denksystem  zu  sein,  indem  die  ihr  zugestandene 
sogenannte  wissenschaftliche  Denkstrenge  doch  nur  ein 
werthloser  Formalismus,  ein  bedeutungsloser  Schein  äusser- 
licher  Konsequenz  bleiben  würde«  Daher  blieb  die  weil 
durchgreifendere  Frage  übrig,  woher  dem  DeakeR  über- 
haupt das  Vermögen,  wie  das  Recht  kommen  könne, 
das  Sein,  die  Objektivität  in  und  durch  den  Gedanken 
nachzu seh  äffen?  Jene  Nothwendigkeit  nämlich,  die 
den  Process  der  denkenden  Erzeugung  begleitet,  und  die 
Euch  die  Bewährung  seines  Gelingens  ist,  kann  Eueh  doch 
nicht  so  ohne  Beweis  als  ein  im  betrachteten  Objekte  selbst 
Liegendes  gelten;  vielmehr  müsst  Ihr. gewärtig  sein ,  sie 
als  ein  bloss  subjektives  Spiel  Eures  eigenes  Denkein- 
bildens  zu  finden,  das  den  Gegenstand  selbst  gar  Nichts 
angeht,  das  also  in  keinem  Sinne  ein  Erkennen  genannt 
werden  kann. 

So  hätte  er  die  wissenschaftliche  Philosophie  unauf- 


seiner  Polemik.  323 

hallsam  zu  dem  Punkte  faingedrSngt ,  varerst  ihre  eigene 
objektive  Möglidikeit  und  Gültigkeit  durch  eine  einleitende 
Erkenntnisswissenschaft  zu  begründen,  wäre  aber  selbst 
dabei  auf  die  Untersuchung  gewiesen  worden ,  wie  über- 
haapi  Bewussteein  zum  Seia^  Wissen  zur  Realität  sich 
verhalte;  indem  erst  aus  dieser  allgemeinen  Frage 
Erörterung  auch  über  die  Möglichkeit  oder  Unmöglichkeit 
theoretischer  Philosophie  entschieden  werden  kann.  Dann 
wäre  zugleich  auch  der  Transscendentalismus  E  a  n  t's  und  der 
WLsseaschaftsIehre  ihm  in  einem  höheren  Sinne,  und  nach 
ihrer  eigentlich  wissenschaftlichen  Bedeutung  erschienen^ 
indem  gerade  diese  Systeme  die  Lösung  jener  Frage  vor-* 
bereitet  und  zur  Entscheidung  gebracht  haben.  Damit 
wäre  aber  überhaupt  der  Standpunkt  J  a  c  o  b  i  's  über  sich 
selbst  hinausgerückt  worden,  indem  er  sowohl  in  polemi- 
scher Hinsicht  schärfer  eingreifen,  als  seine  eigenen  posi*- 
tiven  Ueberzeugungen  tiefer  hätte  begründen  können. 

So  werden  wir  auch  noch  an  der  äussersten  Gränze 
der  Jacobisehen  Philosophie  ohne  volle  Befriedig^ing 
aber  sie  huiausgewiesen :  vielmehr,  indem  seine  Ansicht 
in  dem  höchsten  Zwiespalte  des  Geistes  endet,  entsteht 
eben  dadurch  das  dringendste  Bedürfhiss,  eine  höhere  £in«- 
heit  zu  suchen  y  welche  die  bei  ihm  noch  zurückgeblie-p 
benen  Gegensätze  zu  vereinigen  im  Stande  ist.  Wie  aber 
diese  tiefere  Versöhnung  von  den  nachfolgenden  ßyste-» 
men  vorbereitet  worden  und  zu  einem  bestimmten  Ab« 
Schlüsse  gelangt  sei ,  wird  sich  aus  dem  weitern  Yertaufe 
ergeben. 


Nachdem  vrir  die  Hauptmomente  der  Philosophie  J  a-^ 
cobi^s  im  Einzelnen  erwogen,  scheintos  erlaubt,  endlich 
ein  zusammenfassendes  Urtheil  über  ihn  auszusprechen. 

Früh  schon  von  hoher  Religiosität  und  tiefer  S^nsucbt 
nach  dem  UnendKchen  entzündet,  war  es  in  ihm  eigentlicti 
die  Stärke  und  Intensität  dieses  Selbstgefühls,  in  dem  Be^ 


324  Endiirthctl  über  Jarobi. 

wHssIsein  eigener  Bedingtheil  und  Schranke  die  Grund- 
beziehung  auf  das  Unbedingte  stets  in  sich  wach  zu  haben, 
worin  seine  Genialität,  die  Eigenthümlichkeit  seiner  Bega- 
bung zu  suchen  ist.  Es  war  ein  grosses,  charakteristisches 
Wort^  wenn  er,  bedrängt  durch  den  idealistischen  Versuch, 
aus  dem  Ich,  als  dem  höchsten  Principe,  über  welches 
kein  endliche^  Bewusstsein  hinausreicfac,  alles  Andere  her- 
zuleiten,  und  unvermögend,  ihn  zu  widerlegen,  ausrief: 
Ich  will  nicht  sein.  Wenn  Gott  nicht  ist!  Aber 
der  Gott,  den  ich  zu  lieben  vermag,  der  mich  zu  sich 
einlasst  zum  innigsten  Verkehre ,  der  Freie ,  Persönliche, 
Heilige  I  —  Und  doch  ist  er  zugleich  der  Unendliche,  Jen* 
seitige.  Verborgene;  denn  —  ^jgehe  ich  straks 
vor  mich,  so  ist  er  nicht  da;  gehe  ich  zurück, 
so  spüre  ich  ihn  nicht«'!  Und  selbst  in  Christus 
wechselt  das  Gefühl  der  Gottesnähe  mit  dem  der  Gottes- 
verlassenheit. (Von  den  göttlichen  Dingen 
Bd.  IH.  S.  428.)  Somit  kommt  dieses  Gottesgefühl ,  diese 
Gemüthsinnigkeit,  welche  sich  stets  i  n  Gott  zu  fahlen  ringt, 
doch  über  das  Gott  nur  Suchen  nie  hinaus ;  den  etwa 
erlangten  Frieden  stört  unaufhörlich  die  Reflexion  auf  jenen 
unaufgelösten  Widerspruch  in  der  Idee  Gottes ,  jenseitig, 
unendlich,  (dem  endlichen  Denken  unerkennbar  zu  sein, 
und  doch^im  Gefühle  erreichbar  und  gegenwärtig  sein  zn 
sollen. 

So  bedarf  J  a  c  o  b  i  aus  diesem  intensiven  Mittelpunkte 
seiner  Denkweise  her  der  beständigen,  ihren  verborgenen 
Zwiespalt  beschwichtigenden  Thätigkeit  nach  Aussen :  es 
wurde  zur  Neigung ,  sein  Gefühl  durch  das  verwandte  in 
Andern  sich  bestätigen  zu  lassen ;  darin  lag  der  eigentliche 
Anziehungspunkt ,  welcher  seine  Gemeinschafl;  mit  andern 
Geistern,  lebenden  oder  abgeschiedenen,  bedingte.  Nicht  das 
Gesammte  ihrer  Denkweise  oder  ihres  Systemes,  sondern  ein- 
zelne Stellen,  Sprüche,  verwandte  Anklänge  zogen  ihn  an, 
oder  stiessen  ihn  ab.  Denn  das  Geluhl,  wie  alles  Unmit- 
telbare, bedarf  der  Bestätigung  oder  Erwiederung  von 
Aussen,  und  muss  sie  auf^lucben,  während  der  Wider^nich 


Uduuinii.  ^25 

oder  schon  das  Nicbteinversländniss  es  im  IrmerstcD  trifft 
und  verwundet.  Diess  allein  erklärt  genügend  Jacobi*s 
pulemisches  Verhalten  und  seine  Parteinahme  für  wie 
gegen  bestimmte  Ansichten,  die  ein  AusscUiessendes,  Un- 
versöhnliches ,  was  an  das  Vorurtheil  streift  y  kaum  ver- 
läiigrien  können. 

Der  ihm  verwandteste  und  doch  ihn  fiberragende  m^ 
ler  den  Zeitgenossen,  welcher  diese  Anziehungskraft  übte, 
war  Hamann.  Nur  im  Verhältnisse  zu  ihm  kann  J  a  c  o  b  i 
ganz  verstanden  werden ;  denn  er  besass  ganz,  was  bei 
Jacobi  nur  in  einem  unvollkommenen  Bruche  gefunden 
wurde,  und  er  ist,  wie  Asmus,  fast  die  einzige  Geistes«- 
gestalt  auf  jener  Seite,  welche,  unter  den  zahlreichen  Wech- 
seln und  geistigen  Metamorphosen  der  damaligen  Zeif,  von 
Anfang  bis  zu  Ende  sich  treu  geblieben  sind.  Aber  auch 
Hamann  kann  nur  in  seiner  Zeit,  und  als  Gegenge^ 
wicht  für  die  damaligen  Geistesrichtungen^  seine  Bedeutung 
erhalten ,  während  uns  Ifir  die  YITahrheit ,  welche  er  ver* 
focht ,  jetzt  wohl  eine  umfassendere  Grundlage  der  Yer- 
milüang  gewonnen  sein  möchte 

Auch  dieser  erwehrte  sich,  jener  Unmittelbarkcil  ver- 
trauend, der  Zeitphilosophie,  sowohl  der  aufklärende» 
Mendelssohn  sehen  Weisheit,  wie  der  philosophisch 
reOeklirenden  Experimente  mit  der  Wahrheit;  aber  es  war 
zugleich  nicht  die  enge,  schwer  zu  dcfinirende,  auf  die 
Spitze  gestellte  Absonderlichkeit  jenes  J  a  e  e  b  i  sehen  Gefühls : 
sondern  den  ganzen  Umfang  und  die  Tiefe  des  chrisHichen 
Glaubens  hatte  er  in  die  Innigkeit  und  Lebendigkeit  seiner 
Gesinnung  aufgenommen,  die  ihm  nun  auch  die  Welt  völ- 
lig verständlich,  ja  durchsichtig  machte,,  als  die  Gegenwart 
desitt  Natur,  Geschichte,  wie  im  Worte  sich  oSbn- 
bärenden.  Eins  durch  das  Andiere  auslegenden  Gottes.  Er 
ruhte  auf  der  grössten  Brette  eines  gesicherten,  überall 
Gott-gewissen  Dasdns^  und  eines  zwar  summarischen,  aber 
vollgenügenden^  das  Allertiefste,  wie  das  Alleruiunittelbarste, 
in  sich  vereinigenden  Weltverslandnisses.  Es  waren  die 
beiden  grossen  Lehren  von  der  gewissen ,  wirksamen  Go« 


326  HamloiiL 

gcnwart  Gottes,  niid  von  seiner  Menschwerdsng ,  wodurcb 
ihm  des  Christenthums  nichts  Ausschliessendes  und  Abson- 
derndes nach  Dogma  oder  Kirchengemeinschaft  bliebe  son- 
dern dem  eigentlichen  Leben  und  Erwachtseia 
des  Menschen  gteich  galt ,  und  der  Akt  seiner  geisti- 
gen Befreiung  wurde.  Es  ist  bekannt,  wie  frei  und 
mit  wie  subjektiver  Beweglidikeit  er  selbst  das  Bibelwort 
behandelte,  und  auch  von  dieser  Seite  sich  in  keine  Knecht- 
schaft einliess. 

Diese  unreflektirte  Unmittelbarkeit,  die,  nicht  in  sich 
verlassen,  überall  Belehrung  und  Anknüpfungspunkte  Üoden 
konnte,  veriieh  ihm  nun  jene  gediegene,  sich  selbst  gleich- 
bleibende Zuversicht,  welche  Jacobi  nicht  zu  finden  ver- 
mochte, wie  sehr  er  sie  suchte  und  an  seinem  Freunde  bewun- 
derte. Diese  gab  ihm  auch  jene  Schärfe  des  Blicks  -^  eben 
weil  er  in  der  Wahrheit  stand  und  zwar  in  der  voll- 
standigen  und  ganzen,  —  mit  welcher  erden  Man- 
gel und  die  Unvollstdndigkeit,  —  das  der  Wirklichkeit  Gottes 
und  des  Menschen  Unangemessene  —  in  den  Princi- 
picn  der  damaligen  Philosophie  mit .  treffender  Rüge  be- 
zeichnete: an  der  Wolff  sehen  Metaphysft  ihre  Leere  und 
das  erkünstelt  Unwiiidiche  ihrer  Zusammenhänge,  an 
Mendelssohn  die  Selbsttäuschung  seiner  Demonstra- 
tionsmethode, mit  weldier  er  neu  begründet  zu  haben 
meint,  was  er  en$t  vorne  hineingelegt  hat;  bei  Kant  das 
unablässige  unbefugte  Trennen  und  Entgegensetzen 
von  Form  und  Gehalt,  von  Subjekt  und  Objekt,  Sinnlich- 
keit und  Verstand,  welche  doch  „die  Natur  verbunden 
habe^,  und  welche  iiur  mit  einander  Wirklichkeit  zuhaben 
vermöchten:  und  an  Jacobi,  wie  aus  dem  in  des  Letz* 
tem  Werken  (Bd.  IV.  Abth.  3.)  abgedruckten  Briefwechsel 
hervorgeht,  die  Zaghaftigkeit,  sich  weder  aus  dem  Formel- 
len und  Abstrakten  der  (S p  in osi sehen)  Metaphysik  (vgl. 
oben  S.  364.  f.),  noch  aus  dem  Spröden  seiner  giänbigen 
Unmittelbarkeit  herausbegeben  zu  wollen,  wiewohl  bis  zum 
Jahre  1786  diess  Alles  noch  eingehüllt  in  ihm  lag  und  sich 
Jiicht  zu  seiner  spätem  Unzulänglichkeit  herausgebildet  hatte. 


Endurtheü  über  Jacobi.  327 

tkm  verdankt  Jaoobi  wesentlich  das  ChiindkrUeriiiiii 
m,  der  Spekidation ,  welches  er  wahrend  seiner  ganzes 
wissenschaftlichen  Laufbahn  polemisch  gegen  die  einzelnen 
Systeme  ai^wendet  hat:  dassjede  Philosophie^  sei  sie  auch 
noch  so  geröstet  mit  Denkstrenge  und  scheinbarer  Unwi- 
derieglichkeit,  nothwendig  falsch  sei,  sobald  sie  widerspre- 
che jener  unmittelbaren  Wahrheit,  von  welcher  das  Gemüth 
uns  Kunde  giebt ;  und  Beide  hatten  Recht  darin ,  indenii 
stillschweigend  oder  mit  ausdrucklichem  Bawusstsein  aus- 
gesprochen, die  Voraussetzung  ^dabei  war,  dass  das  speku^ 
lative  Erikennen  nur  bestätigen  und  liefer  begrflnden  können 
was  dem  Bewusstsein  das  Urspnuigtiche  und  Grundgewisse 
sei,  aus  den  einfiftchen  Gmnde,  weil  der  Geist  des  Men- 
schen   «ich   nicht  widersprechen,    seine   Natur  nicht  in 
einem  disoluten  Bruche  endigen  kann.    Und  so  ist  auch 
tbatsächlich  das  Streben  aller  grossen  Denker  nicht  minder 
auf  Versöhnung  von  Gemuth  und  Erkennen  gerichtet  ge- 
wesen, als  auf  absolute  Vollendung  der  Wissenschaft  in 
sich  selbst ;  nur  haben  sie  je  nach  dem  Princq>e ,  welches 
ihnen  in  letzlerer  Beziehung  der  wissenschaftliche  Zusam- 
menhang ihrer  Zeit  zu  gewinnen  gestattete,  sich  in  j  e  n  e  r 
Hinsicht  dem  unterwerfen  müssen,  wie  weit  es  ihnen  zu» 
folge  ihres  Principes  überhaupt  gelingen  konnte.    Aber  zu 
schelten  sind  sie^  nicht  darum,  oder  dieser  Mangel  zum  Aa- 
Uagepunkte  gegen   die  Wissenschaft  selbst  zu   machen, 
wie  von  Jacobi  geschehen  ist;   diese  bedarf  der   Zwi- 
schenstufen  zu  ihrer  Reife,   welcher  sich   die  geistigen 
Bedurhisse  ihrer  einzelnen  Vertreter  zuih  Opfer  bringen 
müssen. 

Ganz  anders  ¥rar  eigentlich  das  V^ältniss  Jac^obi's 
zur  Spekulation.  Wie  sehr  er  auch  rathen  mochte  und  be- 
xeogen:  „er  selbst  wisse  kein  anderes  Mittel,  als  nur  immer 
rüstig  fortzuphilosephirett«^  (vgl.  oben  S.  262.) ;  so  suchte  er 
doch  die  Wahiheit  nicht  erst  zu  erringen  aus  dem  Kampfe 
mit  dem  Zweifel,  sondern-  sich  dieselbe  nur  bestätigen 
za  lassen  durch  die  Spekulation,  oder  —  sich  von  ihr  ab- 
MMreuden«     So  war  es  auch  nicht  das  Interesse  oder  der 


338  EBdarthea 

Stachel  «iner  rein  Iheorettsdien  FVage,  wie  bei  aUen  ftgetA^ 
liehen  Forschern,  die  ihn  zur  Untersnchung  Irieb,  —  vei»- 
halb  er  eich  mit  Recht  ieinmal  einen  nur  sufAlligen 
Denker  nannte :  ^^  sondern  die  allgemein  menscUiehen 
Fragen,  die  Geheimnisse  des  Gemüthes,  die 
Tiefen  des  eigenenHerzens  sind  es,  die  ihn  inleres- 
siren  in  seinen  Romanen,  wie  in  seinen  philosophischen  Dar- 
stellungen (vgl.  ob.  S.  172.>  Anders  der  eigentlich  Philoso- 
phirende,  der  nur  Gewissheit  dnrch  reines  Erkennen  gewin- 
nen wiU,  wess  Inhalts  diese  auch  sei,  wenn  nur  unerschüi- 
laiche  Einheit  des  Denkens  mit  sich  selbst  ihre  Ausbeute  ist. 

Diesen  Gewinn  vollendeter  Klarheit  und  in  sich  sdbst 
gegf^ndeter  Sicherheit  des  Geistes  hat  nun  J  a  c  o  b  i ,  sei- 
nem eigenen  Gestandnisse  nach ,  nie  gdiostet ;  er  abe' 
konnte  es  auch  nicht ,  weil  er  nicht  ohne  Vorbehalt  in 
Einem  Elemente  des  Geistes  ganz  zu  leben  beschloss«  Und 
in  diesem  Schwanken  zwischen  zwei  Extremen ,  in  dieser 
Entzweiung  zwischen  Verstand  und  Herz ,  und  der  Ver- 
zweiflung an  jenem  finden  wir  nun  das  Charakteristische 
Jacobi*s,  sein  Recht,  wie  sein  Unrecht.  SetnRecht, 
weil  er  eher  der  Wissenschaft  entsagen  wollte,  ehe  er  die 
heiligen  Forderungen  des  Gemüthes  sich  kranken  Hesse; 
sein  Uhrecht ,  weil  er  nicht  unerschütterlidien  Vertraoens 
voll  auf  den  Geist  der  Einen,  Alles  versöhnenden 
Wahrheit,  zugleich  durch  zeitliche,  oft  sogar  von  ihm  miss- 
deutete Versuche  der  Spekulation  verleitet,  ihr  ganzes  We- 
sen hart  venirtheilte,  und  nun  selbst  in  ihrer  umfassendem 
historischen  Entwicklung  nicht  mehr  die  sich  voriierettende 
Versöhnung  erblicken  konnte. 

So  ist  seine  Phflosophie  —  eigentlich  können  wir  nur 
sagen,' seine  Ansicht,  seine  Denkart  —  lediglich  die  eines 
subjektiven  Zweifels,  nicht  der  objektiven,  zum  Principe 
ausgebildeten  Skepsis,  welche  vielmehr,  wie  wir  an  H  u  m  e 
zu  zeigen  suchten,  als  einzelne  Seite ,  als  isolirter  Moment 
der  positiven  Spekulation  anzusehen  ist :  —  sie  ist  ein 
subjektiver  Uebcrgangsslandpunkt,  wie  er  bei  dem  Zustande 
der  modernen  Bildung  fast  unvermeidlich  scheint^  und  wie 


fiberJacobL  329 

er  bei  ao  Vieles  iidi  wiederhoil  hat,  und  noch  wieder» 
holen  wird.     Daher  das  UBSterbliche  in  ihm,  auch  R^  dte 
gegenwärtige  Zeit ;  daher  auch  der  grosse,  immer  wieder» 
kehrende   Anhang,    wdchen  Jacobi   um  sieh  versam- 
melt *)    Denn  überhaupt,  wie  Wenige  auch  der  eigentlich 
Wisseaschafiiichen  möchten  sich  rühmen  können,  dass  Ver- 
stand und  Gemülh  in  ihnen  zu  voller   Uebereinstimmui^ 
gelangt  seien ,  dass,  was  diess  innerlich  ersehnt,  auch  von 
ihrem  Verstände  in  klarer  Einsicht  besessen  werde«     Und 
alle  diese   vertritt  Jacobi  als  ihr  höchster  Reprfisentanl 
and  eigentlicher  Sachwalter ;  ein  Umstand ,  der  allein  ihm 
schon  die  höchste  Bedeutung  in  der  gegenwärtigen  philo- 
sophischen Epoche  sichern  mfi^stc :  —  er  gleicht,  in  seiner 
edeln  Herzlichkeit,   dun  getreuen  Eckart,  der,  war-« 
nend  vor  den  das  Gemölh  verödenden  Richtungen  der  Zeit, 
wieder  zum  vollen  Gefühle  des  Geistes  und  seiner  Bedürf- 
nisse zurfickleitet ;  und  ein  solcher  wird  uns  noch  geraume 
Zeit  hin  nicht  fehlen  dürfen. 

Dadurch  bleibt  jedoch  iur  Jacobi  auch  der  spekula- 
tive Werth  seiner  grossen  fntdeckwg  unverkümmert,  dass 
das  Bewusstsein  des  Ewigen  ein  ursprüngliches,  in 
keinem  Sinne  erst  Werk  eines  Schlusses  oder  einer  ver- 
mittelten  BegriiTsreflexion  sein  könne*  Durch  ihn  ist  der 
folgenreiche  Satz :  dass  das  Endliche  nur  an  der  A  n  e  r- 
kenntniss  eines  Ewigen  zu  diesem  werde,  dass  daher 
mit  Existenz  des  Endlichen  auch  die  des  Ewigen  milge- 
setzt  sei,  wieder  bewusstes  Eigenthum  der  Spekulation  ge- 
worden ,  welche  schon  um  desswillen  nicht  in  subjektiv 
idealistischer  Selbstbeschränkung  verharren  kann.  Was 
somit  Jacobi  polemisch  gegen  alle  spekulative  Philosophie 
richtete,  hat  er  dennoch  ausdrücklicher  Weise  4n  ihrem 
Namen,  und  getrieben  von  ihrem  Geiste,  gethan :  der  wei- 


*)  Man  vergleiche  Kuhns  Werk :  „Jacobi  und  die  Philo- 
sophie seiner  Zeit'«  (Mainz,  bei  FL  Kupferberg,  1834.)» 
worin  dieser  Standpunkt  mit GrQndiichkeit  auseinandergesetzt 
tind  mit  vollem  Interesse  vertreten  wird. 


330  findturtheil  aber  Jacobi. 

tore  Portgang  der  deutschen  Philoaopbie  hat  diesen  Gedan- 
ken gerade  von  seiner  spekulativen  Seite ergriflren,  und 
in  seine  Entwicklung  und  Ausbreitung  jbuui  wissenschafUichen 
Systeme  den  Inhalt  und  Werth  der  gegenwärtigen  l^iekii- 
lation  gelegt  Die  verschiedenen  Richtungen  derselben 
von  hier  aus,  welche  nur  die  verschiedenen  Stadien  jener 
Entwicklung  ausdrücken ,  hat  besonders  das  dritte  Buch 
dieses  Weikes  darzulegen. 


WEM.    Die  TennttCleF  zwlMiieii  ■Laut  wmM 

JaeobL 


Der  äussern  Ordnang  nach  würde  jetzt  die  Darstellitng 
derjenigen  philosophischen  Systeme  folgen,  welche  eine 
Verbindung  zwischen  Kant  und  J  a  c  o  b  i  versachten.  Er« 
wigen  wir  aber ,  dass  eine  in*s  Einzelne  gehende  Prfifting 
derselben  im  Wesentlichen  nur  dasselbe  enthalten  könnte, 
was  bei  jenen  beiden  Philosophen ,  besonders  bei  K  a  n  t| 
bereits  erörtert  wurde;  so  können  wir  uns  hier  fOg^idl 
auf  eine  allgemeine  Charakteristik  beschränken ,  die  den 
philosophischen  Inhalt  jener  FrQfung  nur  m  kitrzen  AndeiH- 
tungen  hier  zur  Anwendung  bringt  —  An  sich  nämlich 
scheint  uns  die  Verschmelzung  des  Kantischen  transscen« 
dentalen  Idealismus  mit  der  unmittelbaren  Vemunftansohau« 
ung  Jacob i*s,  wie  sie  als  Glaube  und  Ahnung  sich 
abstufen  soll,  bloss  ein  äusserlich  synkretistisches  Verein!« 
gen  zweier  Standpunkte  zu  sein ,  deren  inneres  Wesen 
vielmehr  schlechthin  sich  aufhebt ;  und  wir  sind  überzeugt^ 
dass  Kant,  wenn  er  diese  Versuche  eriebt  hätte,  eben  so 
entschieden  und  mit  dem  gleichen  Rechte  eine  solche  Ergänz 
zung  seiner  Philosophie  abgelehnt  haben  würde,  als  Ja  c  o  b  i 
seiner  Seits  stets  eine  Vereinigung  mit  einem  Reflexions- 
systeme von  sich  gewiesen,  ja  ausdräckiich  behauptet  hat. 


333  Die  Veriniltler 

dass  seine  Lehre  von  der  unmittelbaren  Gcwis^heit 
des  Bewusstseins  durch  sich  selbst,  schlechthin  unversöhn* 
bar  sei  mit.  jeder  Ansicht,  die  erst  durch  reflekttrende  Un- 
tersuchung seine  Realität  begründen  wolle. 

Und  treten  wir  jenen  coalisirenden  Philosophieen  nä- 
her,  so  gewahren  wir  auch  faktisch  alsbald,    dass  es  io 
ihnen  nur  zu  einer  äusserlichen  Verbindung,    keinesweges 
zu  einer  organischen  Wechseldurchdringung  beider  Stand- 
punkte gekommen  sei.    Sie  können,  im  Vergleiche  mit  dem 
eigentlich  spekulativen  Resultate  d^  Zeit,  nur  gefasst  wer- 
den als  subjektive  Strebungen   und  persönliche  Aushülfen, 
die  idealistisdie  Leere  und  den  unbefriedigenden  Subjekti- 
vismus der  Kan  tischen  und  Fi  cht  eschen  Theorie  durch 
irgend  einen  gemüthlichen  Inhalt  zu   mildem  und  auszu- 
gleichen; achtungswerth  nach  dem  Maasse  der  darauf  ge- 
wendeten Geisteskraft  und  der  Tiefe    des  Gemüthes,    die 
dabei  sich  geltend  machten,  aber  für  das  Ganze  der  spe- 
kulativen Wissenschaft  ohne  entscheidende  und  bleibende 
Förderung.    Daher  auch  in  dem  nicht  kleinen  Kreise  die- 
ser Philosophen  und  in  ihren  zahlreichen  Schriften  der  un- 
läugbare  und  ganz  augenfällige  Mangel  aller  eigentlich  ori- 
ginalen ,  sie  von  ihren  Vorgangem ,   wie  unter  sich  selbst 
wirklich  abscheidenden  Ideen.    Kant  vor  Allem,  und  Ja- 
cobi  sind  ihre  grossen  Erblasser;  und  wie  zahlreich  und 
eigenthümlich  dann  auch  die  Differenzen  sein  mögen,  durch 
die  Jeder  sich  vom  Andern  unterscheidet,  so  sind  sie  \  iel- 
mehr  von  der  Art,    dass   ihre  Uebereinstimmung   in    den 
Grundvoraussetzungen  und  das  Dahingestelltseinlassen  der 
allgemeinen  Prämissen  dabei  gerade  zu  Tage  kommt.    Dass 
ein  jedes  i^rkenntnissprincip,  was  überhaupt  den  Geist  mit 
Evidenz  zu  ergreifen  vermag ,    in  jedem  einzelnen  Geiste 
sich   individualisiren    und  zu   einiger  Differenz    gestatten 
werde,   versteht  sich  ohnehin  von  selbst.  —  Der  früheste 
und  selbst  noch  seinem  Urspmnge  eng  verbundene  Vorlau- 
fer dieser  Richtung,  nach  dem  vorübergehenden  Versuche 
Reinholds,  einen  Zwischenstandpunkt  zwischen  Fichte 
und  Jacobi  einzunehmeuj  war  der  Realismus  Joseph 


zwischen  Kant  und  Jacobi«  333 

Rückerts^,  welcher,  der  ersten  Gestalt  der  Wissen^^ 
schaRslehre  gegenüber,  als  die  gleidie  Aushälfe  des  un« 
mitteftaren  Bewusstseins  sich  bildete,  und  nicht  ohne  vor- 
übergehende Einwirkung  blieb.  Es  war  die  Hartnackigkeil 
dieses  Unmittelbaren,  auf  welche  er  sich  hier  berief,  zu 
welcher  das  allgemein  menschliche  Bewusstsein  immer 
wieder  zurückkehre  —  wahrend  doch  Kant  und  nicht  we- 
niger Fichte  in  dem  transscendentalen  Idealis-^ 
mus  selber  als  nothwendiges  Moment  den  empirischen 
Realismus  nachgewiesen,  die  Thatsache  des  Letalem  alsd 
vollkommen  erklärt  hatten;  wahrend  doch  Fichte  selbst 
in  Bezug  auf  die  übersinnliche  Welt  —  Jacobi  gegen- 
über —  es  ausgesprochen  hatte :  „dass  seine  Philosophie  ihr 
Wesen  ebenso  im  Nichtwissen  habe,  wie  die  Jaoo bische,^ 
dass  sie  „keine  Religion  in  den  Menschen  hineinräsonnireri 
wolle,«'  dass  sie,  über  jenes  Grandbewusstsein  hinauszuge* 
hen,  philosophisch  keine  Befugniss  habe  (Fichte 's  Le- 
ben und  litter.  Briefwechsel  IL  S.  305.  306.).  So  war  ei 
hier  nur  die  aus  jener  Philosophie  selbst  aufgenonimenff 
Entgegenhaltung  des  nichtphilosophischen  Standpunktes  mit 
dem  philosophischen;  der  nächste  Schritt  konnte  nur  der 
Versuch  sein,  in  der  Vernunft  selbst  die  Nothwendigkeit 
nachzuweisen,  die  negativen  Resultate  der  Spekulation  durch 
die  Aussagen  des  unmittelbaren  Bewusstseinis  erginzen  und 
berichtigen  zu  dürfen.  Und  so  treten  die  psychologischen 
und  anthropologischen  Theorieen,  dfe  „zergliederndea^  For-« 
schungen  über  die  „menschliche  Vernunft^  ausschliessend 
an  die  SteHe  der  Spekulation  und  einer  im  eigentliciMii 
Sinne  nicht  mehr  möglichen  Metaphysik. 

Als  der  Ausgezeichnetste,  Wirksamste  und  Vielseitigste 
in  dieser  Richtung  ist  ohne  Zweifel  J.  Fr.  Fries  zu  be- 
zeichnen: ein  Geist  von  grossem  Scharfsinne,  leichter  und 
behender  Produktionskraft,  und  mit  nicht  gewöhnlicher  Fa- 


^BerRpaiismus,  oder  Grundzuge  su  einer  durch, 
ans  p  raktjtch  eil  Phi  lof  o  pii  i  f; ,  van  Joseph 
Rackert.    Leipzig  1801. 


334  J.  Fr.  Fries. 

higkeity  wie  Uebmig  begabt,  durch  scharfe  Belbstbeobach-i 
tung  das  Yerwtckette  der  Uebergaoge  des  Bewusstsräis 
abzuscheiden  und  su  besteichnen;  —  zugleich  aber  em 
sittlich  und  religiös  auf  das  Edelste  ausgebildetes  GemiUt 
Ueberhaupt  hat  er  sieh  in  seiner  langen  SchriftsteHerlauf- 
bahn  als  ein  folgerechter,  überzeugter,  ungeirrt  sich  treu 
bleibaider  philosophischer  Charakter  bewährt,  und  es  ge- 
hört zur  BBrt)arei  unserer  äussern  litterarischen  Zustande, 
wenn  er  nicht  schon  desshalb  längst  eines  unantastbaren 
Veteranenrufes  unter  Gegnern  wie  Freunden  geniessl.  — 
Vor  Allem  im  Eüiischen,  —  zumal  da  die  wissenschaftUcbe 
Behandlung  dieser  Gegenstände  jetzt  in  den  Hintergmnd 
gedrängt  zu  werden  anßngt,  —  kann  man  sich  seiner  Lei- 
tung mit  Vertrauen  fiberlassen,  und  hierbei,  wie  in-  den 
Darlegungen  seiner  religiösen  Weltansicht*),  erhebt  sich 
seine  Daretellung  nicht  selten  zu  einem  Adel,  und  einer  uber- 
seugungsvoHen  Eindringlichkeit,  welche  ihn  den  Besten  uii- 
aerer  didaktischen  Schriftsteller  anreihen.  In  diesem*Sinne 
wiollen  wir  auch  seines  Romanos :  Julius  und  Evago- 
ras  oder  die  Sehönheit  der  Seele  (Heidelb.  1822« 
S  Thle.)  auf  das  Anerkennendste  gedenken. 

Ueberhaupt  erscheint  seine  Weltansicht  in  dem  Zo- 
sammenhange  mit  seinen  philosophischen  Voifängem,  bei 
4er  Udiiermacht  der  Kan tischen  Reflexionsweise  einer- 
wd  der  vordringenden  idealistischen  Spekulation  anderer« 
seits,  in  ihrem  subj  ektiven  Entstehung^runde  betracb- 
lel ,.  als  höchst  berechtigt  und  ein  fast  unvermeidliches 
nächstes  Auskimftsmittel ,  um  sich  sejbi^  und  einem  Theile 
des  philosophirenden  Zeitalters  die  höchsten  Güter  der 
Wahrheft  auf  unmittelbare  Weise  zu  sichern.    Die  fortruk-- 


*}  Friecy  Handbuch  de  r  praktischen  Philosophie 
oiier  der  philosophischen  Zweck'lehre.  Erster 
Theil:  Etiiik  oder  die  Lehren  der  Lebensweisheit.  Zwei- 
ter T  h  e  i  1 :  Religionsphiiosophie  oder  die  Weltzweck  lehre. 
Heidelberg  1818.  1832.  Dazu  noch  die  populäre  Schrift:  die 
Lehren  der  Liebe,  des  Glaubens  und  der  Hoff- 
b4ing.  Heidelberg  Ib23, 


J«  Fr.  Fries.  335 

kmide  Geschichte  der  PhQosophie  ^  je  weiter  sie  sich  vom 
SchanpUtze  des  KsimfSes  entfernt,  wird  immer  anerkennen« 
der  auch  von  den  Männern  reden  ^  wdche  zwischen  die 
grossen  Epochen  treten.  Sollte  man  Aberhaupt  so  ver«f 
scimifihend  und  ausschUessend  seU^st  gegen  die  S  u  r  r  o« 
gate  einer  hohem  Lösung  und  Einigung  sich  verhalten 
dürfen,  welche  doch  allein  es  möglich  machen,  die  sonst 
verödeten  Mittelznstande  zu  ertragen?  Uns  erscheint  es  kein 
klemes  Verdienst  von  Fries,  dem  pantheistiscben  Lrrsid 
gegenöber  die  religiösen  Interessen  der  Spekulation  gerettet 
und  im  Andenken  hewahrt  zu  haben;  wir  halten  es  um 
so  gerechter,  ihn  und  ähnlich  wirkende  Männer  schützend 
so  vertreten,  als  Leute,  die  k  e  i  n  selbststandiges  Verdienst 
haben,  um  die  Wette  sich  ikberbieten,  nach  hergebrachten 
ParteiiAerliefetungen  sie  mit  den  Minendrten  FMdikaten 
zn  iberschätten« 

lieber  den  Inhalt  seiner  Hiilosophie  darf  unser  Bericht 
tnrz  sein,  ohne  gerade  furchten  isn  mfissen,  einen  wesent- 
fichen,  in  diesem  Zusammenhange  nöthfgen  Gedanken  zo 
überspringen.  Es  kommt  hier  nicht  auf  das  Einzelne  der 
Bestimmungen  an,  sondern  welche  neue  Gestalt  die  grossen 
Fragen,  die  Kant  und  Jacobi  hatten  stehen  lassen,  in 
seinem  Systeme  angenommen  haben«  «—  Sein  Verhältniss 
zu  Erster^n,  von  weldiem  er  stets  nnt  bewundernder  Ver- 
ehrung andTtene,  als  von  seinem  grossen  Lehrer, 
spricht,  bezeichnet  er  nach  folgenden  Punkten*}« 


*)  !•  dar  Vorrede  s«r  aweileii  Anflifs  Miner  n^vca  K.ri- 
tlk  der  Vernaaft  (Bd.  I.  S.  XI^XIX)  und  ia  der  Ei n- 
iei  ioBg  (Bd.  I.  S.  28-  f-  S.  49*  ff-  u«  s»  w«)*  In  HiiiUBiirUcher 
Klarheit  und  Kurs«  giebt  des  Gbvakter  «ein«! 'Systems »  im 
Verhältiiiss  su  seinen  Vorgängern ,Kanty  Harne,  Lockte 
und  die'6obQttasci»ePliHQSO|iihie  dß9,  conmon  sease^  ein  Aafsatz 
IM:  über  die  A  ttfgabe  e  iner  enthropologlschen 
Rritik  der  Veirnunft  (im  Anfeange  sn  seinen  polemi* 
sehen  Schrifte«^  Halle  1824.  Bd.1.  S.  333--59.  2te  Ausg.). 
Wir  heben  daraus,  sogleich    hervor ,    dass   er   K.a  a  t  tadelt 


336  Sein  VorhüKntss  zu  Kunf. 

Kant 8  grosse  und  eigentlich  entschddeilde  Entdek- 
kong  besttnd  darin ,  den  Ursprung  and  Umkreis  aller  un- 
serer Gewissheit  nur  im  Subjekte  zu  finden,  und  nach- 
euweisen,  dass  dies  nie  über  sich  hinausgehen 
könne.  -^  Dies  ist  der  Cärdinalpunkt  der  Frie&ischeii 
Philosophie,  welcher  daher  äberaU  ausführlich  nnd  nach- 
dnicksvoU  in's  Lieht  gesetat  wird.  Das  Subjekt  kann  sidi 
iinnier  nur  mit. sich  säbst  vergleichen,  kann  nur  untersn- 
iehen,  ob  seine  Vorstellungen,  nach  ihrem  VerschiedeneB 
psychologischen  Ursprünge,  unter  einander-  in  UUyereinatim- 
mung  oder  Nichtübereinstimmung  sind,  keinesweges  jedodi, 
ob  mit'etiiras  Anderm  ausser  ihm.  In  jenem  besteht 
die  Wahrheit  und  Gewissheit , '  aus  diesem  ^ntstdlit  Irrthuat 
und  ZweifeL  Wie  wir  nämlich  mit  einem  Gegenstande  aus- 
ser uns: in  Berflhrimg  komnien,  Von. ihm  aflicirt  werden^ 
darauf  wirken  können,  ist  uns  nicht  möglich  ssu  erkennen. 


i: 


(S.  335}»  wegen  de«  spekulativen  Gebranchs  der  Ideen,  weil 
ihnen  angeblich  ein  t  ransscendental  er  Ursprung 
SU  komme,  Untersuchungen  angestellt  zu  haben,  wenn  dieso 
*  auch  nur>  auf  die  Nächweisung  hinauskommen,  dass  sie 
f..  Trugschlüsse  erseug'en.  Also  das  eigentKek  speku- 
t'  ]  lative  oder  metaphysische  Element  tadelt  er,  ab  eine 
der  Kritik  fremde,  ihren  Geist  mit  sich  In  Widersprach  sei* 
zende  B^eimischung,  von  welcher  sie  völlig  gereinigt  zu  ha- 
ben,  sein  Verdienst  sei.  Dies  ist  es,  was  die  späteren  Schu- 
len mit  ihm  in  einen  unversöhnlichen  Zwiespalt  gebracht  hat; 
denn  hiermit  ist  sogleich  die  diametral  entgegengesetzte  Eich- 
tnng  beieichnet,  welche  ihn  von  allem  eigentlich  Speknla- 
'  t  i  9  e  n ,  MTransscendenlalen«* ,  abscheidet.  Diese  Reiaigang 
iFon  allem  Spekolntiven ,  überhaupt  von  alleB  das  Objektive 
betreffenden,  über  die  psycho1ogisch-antbrc»pologiache  SelbsU 
beobachtung  hinausgehenden  Untersuchungen,  k.it  er  in  allen 
Theilen  der  sonstigen  Philosophie  vollständig  durchgesetzt, 
und  in  der  That  ist  er  in  dieser  Weise  mit  der  Pbilofophte 
KU  Ende  gekommen:  sein  System  ist  wirklich  vollendet  und 
ohne  fortbildende  Zukunft;  denn  es  hat  allen  Impuls  weite- 
rer Untersuchungen  über  das  Obiektive  mit  der  Wunel  aus- 
gerottet« 


Sein  Vorhnhfitftg  tu  Kunt.  .H37 

/ 

Die  Bikenntniss  ist  schlechlhiR  nur  auf  ihr  Inneres  isolirt, 
ist  na r  Selbsterkennktiss. 

Dt  ist  es  nm  schon  ein  Fehler  Kants  —  (welchen 
Fries  nnr  seinem  noch  nicht  völlig  uberwnndenen  meta- 
physiciren  wollenden  Yonirtheile  zu  schreiben  könnte)  — 
dass  er  die  objektive  Gültigkeit  der  anschaulichen 
(Sinnen-^)  Erkenntnisse  durdi  Anwendung  des  Causalver« 
hütaisses  zu  rechtfertigen  suchte,  indem  ein  affioi- 
render  Gegenstand,  als  Ursache  der  Anschau-^ 
ang,  diese  objektive  Gültigkeit  derselben  hervorbringen 
solle  (vgl.  ,,über  dieAufg.  einer  anthrop.  Kritik«* 
s.  a.  O.  S.  336.  40.>  Das  Wahre  sei,  wie  es  Kant  so«» 
gleich  selber  verbessernd  nachgetragen,  stehen  zu  bleiben 
bei  der  für  unser  Bewusstsein  thatsdchlichen  Wirk-*^ 
lichkeit  einer  aoldien  anschauenden  Erkenntniss  und  bei 
der  ebenso  wirklichen  Annahme  von  der  objektiven 
Gültigkeit« 

Ein  anderer,  noch  weiter  durchgreifender  Mangel  an 
Kant  besteht  darin:  dass  er  die  Kritik  der  menschlichen 
Geistesthfttigkeiten  nur  bruchstückweise  gegeben  habe,  w9b« 
read  es  vielmehr  die  Aufgabe  sei,  dieselben  vollständig  und 
in  dem  Znsamaienhange  einer  fortlaufenden  Untersuchung 
darzustell^i ,  wobei  das  psychologische  und  logische  Mo-* 
meat ,  als  Fnndament  des  Ganzen ,  zu  berücksichKgen  ist» 
Fries  bezeichnet,  wie  man  sieht,  dieselbe  Aufgabe,  wel** 
che  Fichte  bei  seinem  Hervortreten  sich  stellte,  die  drei 
VernunRkritiken  Kants,  mit  ihren  drei  von  einander  un-« 
abhängig  gebissenen  Absoluten*),  unter  das  Eine  Absolu« 
tom  des  Bewusstseins  zu  bringen:  bei  diesem  wurde  je^ 
doch,  wie  bei  Kant,  diese  Aufgabe  in  metaphysischem 
Sinne  gedacht,  bei  Fries  in  psychologischem.  Wie 
bei  Kant,  sagen  wir  ausdrücklich:  denn  wie  derselbe  in 
seiner  Kritik  der  reinen  Vernunft   es  ausspricht^ 


*)  YgL  Ficbte't  WiMeoichafblftbre  aiMdan  Jabre  fa04,  in  den 
nachgolaasenen  Werksn  nd.il.  S.96.  102— lOö. 

22 


338  Sein  Verhaltniss  zu  Kant. 

dMB  Sinnlichkeit  nnd  Verstand  in  einer  geifieinsehafHirhen^ 
aber  unbekannten  Wurzel  ihren  Grund  haben  mässen;  wie 
er  in  der  tiefbedentungsvollen  Einleitung*  zu  seiner  Kritik 
der  Urtheilskraft  (S.  XIX.  XX.  2te.  Aufl.)  bemerkt, 
dass,  obwohl  zwischen  dem  Gebiete  des  NaturbegrifTs ,  als 
dem  Sinnlichen,  und  dem  Gebiete  des  FreiheitsbegriIRss, 
als  dem  Uebersinnlichen,  (faktisch)  eine  unüber- 
steigliche  Kluft  befestigt  sei,  man  dennoch  „em^i 
Grund  der  Einheit  des  Uebersinnlichen ,  welches 
der  Natur  zu  Grunde  liegt,  mit  dem,  was  der  Frei- 
heitsbegriiT  praktisch  enthäl^S  anzunehmen  habe:  so 
kann  damit  nicht  gemeint  sein  jene  Verbindung  eines  psy^ 
ehologisch  (hatsächlichen  Nebeneinander,  sondern  die  „über- 
sinnliche^, in  der  Seele,  als  dem  „Dinge  an  sich«,  ruhende 
Einheit ,  und  der  ebenso  übersinnliche ,  mit  dem  Urgründe 
der  Welt  zusammenfiallende^  Grund  der  Harmonie  zwische« 
Natur  und  Freiheit.  Diese,  wie  wir  gezeigt  haben,  in  der 
K  a  n  t  i  sehen  Philosophie  stets  ebenso  sehr  gesetzte ,  als 
doch  verleugnete  Beziehung  auf  die  Idee  des  Absoluten, 
und  auch  das  Seelending  ,,an  sich%  entschwindet  für  Frie  s 
vöOig«  Dadurch  macht  er  jedoch,  wenn  wir  auch  nur  aaf 
den  öusserlichsten  Buchstaben  der  K  a  n  t  i  sehen  Kritik  bin- 
blicken,  und  etwa  aus  der  ersten  Vemunfikridk  an  seine 
Lehre  von  dem  regulativen  Gebrauche  der  Vemunftideen 
in  der  Erfahrung,  oder  an  die  noch  positiveren  Ausfilhnin- 
gen  in  der  Kritik  der  Urtheilskraft  (s.  ob.  8.  iI30— 33.)  uns 
erinnern ,  die  K  a  n  t  i  sehe  Theorie  selber  zu  einer  völlig 
andern.  Die  ganze  Architektonik  des  theoretischen  Ver- 
mögens f  wie  der  Urtheilskraft ,  kann  ihm  nicht  zu  Stande 
kommen,  ohne  diesen  steten  Transscendentalismus 
der  Vernunft,  diese  Grundbeziehung  auf  das  immer  ge- 
suchte und  gewusste ,  wie  faktisch  doch  nie  erreichte  Ab- 
sotate,  kurz  ohne  das  Janusgesicht  eines  auf  das  Endliche 
und  Ewige  zugleich  gerichteten  Doppelblickes  der  Ver- 
nunft anzuerkennen. 

Wenn  nun  Fries  das  Verdienst  zugestanden  werden 
ffluss,  jenem  Kampfe  und  jener  Spannung  des  Bewusstseiils 


Sein  Verhülltes  zu  Kant  339^ 

—  wir  dferfen  sogleich  ragen,  der  Spannkraft  i  m  Erkennen 
und  jedem  Reize  desselben  —  das  Garaus  gemacht ,  und 
was  Kant  als  das  wahriiaft  Apriorische ,  als  das  Abeei- 
chen  einer  hohem  Welt  im  Bewnsstsein,  mit  ahnungsvoller 
Ehriiircht  auszeichnete,  zu  einer  psychologischen  Thatsa-* 
che  in  Eine  Reihe  mit  den  andern  herabgezogen  zu  ha- 
ben; so  könnte  diess  Verdienst—  auch  in  Kan(s  Augen 
--  nur  dem  gleich  gelten,  seine  Yemunftkritik  nicht  nnr 
aus  dem  Grunde  verfindert,  sondern  ihrer  grossen  und  cha- 
rakteristischen Entdeckung  beraubt  zu  haben.  Wir  weN- 
den  sehen,  was  Fries  an  die  Stelle  derselben  zu  seteen 
gedenkt. 

Damit  hängt  auf  das  Engste  ein  anderes  ^^Vorur- 
theil«  Kants  zusammen  (N.Kritik  d.  V.  Bd.  I.  S.  28. ff.): 
dass  er  nämlich  den  psychologischen,  oder  besser,  den  an- 
thropologischen Charakter  dessen^  was  er  transscendentale 
Brkenntniss  nennt,  übersehen  habe,  und  sie  so  ßr  eine  Art 
Yon  Brkenntoiss  aprtort,  und  zwar  von  philosophischer,  hal- 
ten mfisse,  wodurch  unter  Anderm  auch  der  imgeheuere 
Missgriff  entstehe,  die  innere  Wahrnehmung  selbst  zn  einer 
Brkenntniss  apriori  zu  machen,  was  einen  absurden  Idea- 
Üsmus  erzeugen  müsse,  nach  welchem  das  Ich  nicht  nur 
Schöpfer  seiner  Welt,  sondern  sogar  seiner  selbst  werden 
würde. 

Sehe  man  genauer  hin ,  so  finde  man  freilieh ,  dass 
lant  mit  seiner  transsc^ndentalen  Erkenntniss  eigentlich 
die  psydiologische  Erkenntniss  meine ,  dnreh  die  wir  ein- 
sehen, welche  Erkenntnisse  apriori  unsere 
Vernunft  besitzt,  und  wie  diese  in  ihr  ent- 
springen. —  Diese  Einsicht  sei  die  transscendentale, 
nnd  darin  unterscheide  sich  eben  die  (K  a  n  t  i  sehe  und 
seine  eigene)  Yemunftkritik  von  der  Philosophie  selbst, 
dass  jene  die  transscendentale  Erkenntniss  enthält  (die 
bezeichnete  Einsicht  erzeugt),  während  dieser  die  logische 
nnd  metaphysische  Erkenntniss  gehört.  —  Bicss  Auf- 
finden der  gegebenen  ursprünglichen  Ueberzeu- 
tfungen  in   dem   Bewusstsein    durch   Selbstbeobachtung 


340         Angcmeiner  Charakler  seiner  Philosophie 

vnd  Reflexion  macht  Fries  nun  zur  Au%abe  einer  Kritik 
der  Vernimft,  und  diese  Nachweisung  nennt  er,  nack  einen 
Kant  zu  Liebe  beibehaltneu,  wiewohl  zugeständlidi  nicht 
völlig  bezeichnenden  Ausdrucke ,  philosophische  ,^  e  d  u  k- 
t  i  o  n.  << 

Dazu  gesellt  sich  sogleich  der  andere  sehr  charakteristi- 
sdie  Vorwurf  gegen  Kant,  dass  er  die  Gültigkeit  des  Glau- 
bens an  Gott  und  Unsterblichkeit  aus  praktischen  Poslulaten 
zu  erweisen  versucht  habe,  statt  den  religiösen  Glauben 
in  den  unmittelbaren  Vorstellungsweisen  und  Ueberzeugun* 
gen,  wie  sie  in  der  Vernunft  gegeben  sind, 
nachzuweisen  und  dadurch  zu  begründen. 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  alle  philosophischen  Auf- 
gaben nur  auf  anthropologischem  Wege,  durch  psycho- 
logische Selbstbeobachtung  zu  lösen  sind,  welche  uns 
die  Einsicht  in  das  Dasein  und  den  Zusammenhang  der 
apriorischen  Grundsätze  der  Vernunft  ver- 
schafft 

Um  diese  zu  finden,  ist  jedoch  das  unmittelbare 
Wissen  von  dem  mittelbaren  überall  sorgfältig  zu  wter- 
scheiden.  Das  letztere  setzt  durchaus  das  erste  voraus 
und  ruhet  auf  ihm;  über  diess  jedoch  kann  nicht  hinaus- 
geschritten werden ;  denn  es  ist  ewig  unmöglich,  den  Ge- 
genstand selbst  mit  der  Erkenntniss  ^u  vergleichen.  Die 
Wahrheit  kann  daher  nicht  bestehen  in  der  Ueberein- 
Stimmung  der  Erkenntnis  mit  dem  Gegenstande,  sondern 
allein  in  der  Uebereinstimmung  der  mittelbaren 
Erkenntniss  mit  der  unmittelbaren,  und  in  Be- 
zug auf  die  letztere  kann  ihre  Wahrheit  nur  bestehen  in 
ihrem  ursprünglichen  Dasein  im  Gemüthe  (Kri- 
tik d.  V.  Bd.  I.  „  Theorie  der  Reflexion  oder  des  Den- 
kens« ,  $.  51.  «Verstand  und  Vernunft«,  S.  238.  ff.  $.  78. 80. 
S*  82.  S.  86.  a.s.w.  System  der  Logik,  2te  Ausg. 
1819.  S.563.  S.  675— 600.> 

Erst  im  mittelbaren  Wissen  entsteht  daher  der  Irr- 
t  h  tt  m :  jedes  erweislich  unmittelbare  VVissen  bat  dagegrn 
schon  an  sich  selbst  und  in  völlig  gieichem  Maasse  auf 


und  «euie»  IdeaUsmus.  341 

Wahrheit  Anspruch.  Irrthiim  ist  nur  eine  millelbiire 
firkenntniss weise,  welche  der  Verstand ,  in  willkührlicher 
Thatigkeir,  nicht  richtig  auf  das  unmittelbar  Gewisse  bezo« 
gan  hat.  Der  ganze  Streit  um  Wahrheit  und  Gültigkeit 
lüssk  daher  das  innere  Wesen  der  Vemuqfl  ganz  un- 
berührt. 

Dadurch  gewinnen  wir  einen  idealistischen 
Standpunkt  für  die  Philosophie,  der  es  uns  möglich 
macht,  über  alle  Wahrheit  ein  entscheidendes  Urtheil  zu 
fallen,  ohne  aus  den  Schranken  unsers  Wesens 
in  das  Objekt  überzuspringen.  Es  wird  nicht  be-* 
bliesen,  dass  z.  B.  jede  Substanz  beharrlich  sei ;  sondern  man« 
weist  nur  nach,  dass  dieser  Grundsatz  der  Beharrlichkeit 
der  Substanz  in  jeder  endlichen  Vernunft  liegte  Ich 
beweise  nicht ,  dass  ein  Gott  sei ;  ich  weise  nur  nach, 
dass  jede  endliche  Vernunft  einen  Gott  glaubt. 
•-*  So  weit  über  das  Charakteristische  dieses  ganz  nur 
empirischen  Idealismus. 

Die  unmittelbaren  Erkenntnisse  zerfallen  aber  selbst 
in  zwei  Hauptgattungen;  daher  auch  die  sie  betreffende 
Begründung  eine  zwiefache  sein  muss.  Entweder  sie 
sind  solcher  Art,  dass  wir  uns  ihrer  unmittelbar  be-^- 
wusst  werden.  Es  sind  die  Anschauungen.  Eine 
Wahrheit  oder  ein  Urtheil ,  welches  auf  diese.  Weise  be- 
gründet wird,  tragt  eben  auch  diesen  unmittelbaren  Cha-« 
rakter  der  Gewissheit:  es  ist  unmittelbares  oder  vermittel- 
tes Wissen*  Diese  Begründungsweise  kann  Dem on-» 
stration  genannt  werden,  deren  wir  uns  in  allen  Erfah-«- 
ningswissenschaften,  aber  auch  in  der  Mathematik  bedienen, 
wo  wir  uns  auf  das  berufen,  was  in  der  reinen  An- 
schauung liegt.  Für  alle  solche  Wahrheiten  bedarf  es 
aber  eigentlich  dieser  Reflexion  Fund  vermittelten  Begrün« 
düng  gar  nicht ;  diese  wiederholt  uns  eigentKeh  nur ,  was 
wir  schon  wissen ,  und  wovon  wir  uns  ebenso'  bewussl 
&ind,  dass  wir  es  wissen.  — 

Oder  die  unmittelbaren  Erkenntnisse  sind  mit.  den 
besQjidero  Eriienntnissen  unseres  Verstandes  so  verflochten 


342        AUgemelner  Charakter  seiner  PhOosophle. 

und  verwickelt)  dass  sie,  um  in  uns  tarn  (aosdiilcklichen) 
Bewusstsein  zu  kommen,  schlechterdings  der  Reflexion 
bedürfen.  Die  Urtheile  und  .Wahrheiten  demnach,  in  denen 
iprir  sie  auf  das  Mannigraltigste  anwenden ,  können  ihre 
Begrändung  (philosophische  Rechtfertigung)  nur  da- 
durch erhalten,  dass  wir  durch  psychologische  Reflexion 
nachweisen,  auf  welchen  unmittelbaren,  aber  zugleich 
schlechthin  allgemeinen  Vemunfterkenntnissen  sie  beruhen« 
Diese  letzte  Begröndangsweise  ist  nun  die  philosophische 
Deduktion,  welche  nur  Aufgabe  der  Psychologie  seui 
und  in  der  Rückführung  aller  abgeleiteten  Vemunflwahr- 
heiten  auf  gewisse  ursprüngliche  Thatsachen  des  Bewusst- 
»eins  bestehen  kann. 

Alle  Erkenntnisse,  wodurch  wir  uns  ewiger  Gesetze 
für  die  Natur,  lur  die  Freiheit ,  und  für  die  unwandelbare 
Ordnung  der  Dinge  bewusst  werden,  oder  die  philoso- 
phischen, beruhen  nun  auf  einer  Unmittelbarkeit  der 
letztem  Art.  Die  philosophischen  Grundsätze,  als  solche, 
können  schlechthin  .nur  durch  Reflexion  gefunden  wer- 
den; diese  vollzieht  ihre  Deduktion,  in  welcher  gezeigt 
wird,  dass  sie  in  der  Unmittelbarkeit  unserer 
Vernunft  ursprünglich  gegr  ündet  sind  ;  d.h. 
sie  machen  nicht  weiter  zu  erklärende  Grundthatsa- 
eben  aus,J)ei  deren  unmittelbarer  Anerkenntniss  man  ste- 
hen bleiben,  daran  sich  beruhigen  muss. 

So  kann  die  Philosophie  die  Wahrheit  ihrer  Sätze  ur- 
qMrunglioh  nur  auf  das  innerlich  Beobachtete  stützen :  damit 
ueiAl  sie  jedoch  nicht  einen  Beweis  derselben  zu  liefern 
in  gewöhnlichem  Sinne ;  diess  würde  sie  vielmehr  zu  bloss 
empirischen  d.  h.  vermittelten  Urtheilserkrantnissen 
kerabsetscn ;  —  sondern  ihre  philosophische  Deduktion 
besteht  tragekehrt  darin,  sie  als  an  sich  un  erweisliche, 
unserer  Vernunft  ursprüng^ch  innewohnende  Grundannah- 
men zu  bewähren« 

Diese  philosophischen  Grundsätze  nun^  deren  Eigen- 
IhümKchkeit  darin  besteht,  nur  durch  Reflexion  und  darauf 
gegründete  Deduktion  zu  unserm  Bewusstsein  zu  kommen, 


Uebersicht  seines  Syf»i«iiis.  343 

rallen  der  Hetapkysik  eu,  während  „die  Kritik  der 
Yernunft^^  das  ganze  Gebiet  des  BeMrusstseins zu  durcli* 
messen  und  alle  seine  Theile  zum  Ganzen  zu  verbinden 
lial.  —  Jene  sind  doppelter  Art:  Theils  bestehen  sie  in 
den  Principien,  durdi  deren  Anwendung  unsere  Anschauung 
geo,  Wahrnehmungen  und  empirischen  Erkenntnisse  einen 
nothwendigen  Zusammenhang  erhalten:  es  sind  die  Prin- 
cipien  der  Erfahrung  und  Naturerkenntniss 
überhaupt.  Indem  jedoch  Begriff  im  engem  Sinne^  .oder 
Verstandesbegriff  dasjenige  bedeutet,  was  seine  An- 
wendung im  Sinnlichen  und  Anschaulichen  findet,  äo  sind 
die  philosophischen  Principien  der  ersten  Art  Terstan- 
desbegriffe:  Fries  begreift  darunter  die  Kanti- 
schen Kategorieen  und  die  aus  ihnen  hervorgehenden  Er- 
kenntnissprincipien. 

Theils  gehen  sie  über  dfe  Schranken  unserer  sinnli- 
chen und  Yerstandeserkenntniss  hinaus,  und  gehören,  ohne 
in  ein  unmittelbares  Verhaltniss  zur  Sinnenwelt  zu 
treten,  rein  der  Vernunft  an.  Was  aber  solchergestalt 
nur  aus  der  Vernunft  entspringt,  heisst  Idee;  daher  sind 
die  philosophischen  Principien  der  letztem  Art  die  Ideen: 
der  Inhalt  jener  bildet  die  niedere,  der  Inhalt  dieser  die 
höhere  Metaphysik. 

Aus  diesem  Gegensatze  zwischen  Verstandesbegriffen 
und  Vemunftideen ,  aus  der  Erkenntnissweise  der  Weh 
entweder  bloss  nach  den  Kategorieen  oder  nach  einer  hö- 
hera  Werthgebung,  entspringt  der  Gegensatz  zwischen  'der 
natürlichen  und  der  idealen  Ansicht  der  Dinge, 
welchen  Fries  zu  der  eigenthümlichen  Lehre  von  der 
Abstufung  des  Wissens,  Glaubens  und  Ahnens  ausgespon-*- 
nea  hat.  Die  Begründung  und  Darlegung  der  letztem  faHt 
ausschliesslich  der  höhern  Heiaphysik  zu. 

Diese  macht  geltend  zuvörderst  den  Gegensatz  der 
Freiheit  des  Geistes  gegen  die  Nothwendigkeit 
der  Natur,  sodann  die  Idee  des  Ewigen  dem  Endli- 
chen gegenüber.  Hieraus  entspringt  eine  Ansicht,  Wjelche 
ailein   erst    unsere   apriorischen   Vorstelinngen   von    der 


344  Debersicbi  seines  Systems. 

Seele,  von  der  Welt  nnd  der  Gottheit  ideeU  sa 
Tollenden  vermag.  Diese  dient  daher  zwei  andern  Sy- 
stemen zur  Grundlage,  durch  welche  jene  Ideen  selbst  erst 
eine  positive  Bedeutung  für  die  Natur  und  das 
Wirkliche  erhalten  können.  Es  sind  diess  die  Ethik  und 
die  philosophische  Religionslehre.  —  Jene  ist  prak- 
tische Naturlehre:  Lehre  vom  Werth  und  Zweck 
menschlicher  Handlungen,  oder  von  der  Lebensweisheit. 
Unsere  Vernunft  ordnet  die  zufälligen  Antriebe  des  Wol- 
lens ,  zufolge  absoluter  Selbstbestimmung ,  einem  u  n  b  e  - 
dingten  Sollen  unter :  diese  Idee  der  sittlichen  Wil- 
lensfreiheit  erhebt  uns  über  die  Natur,  und  verleiht  unserm 
Willen,  wie  den  davon  abhängigen  Dingen  erst  den  wah- 
ren ,  absoluten  Werth;  sie  bestimmt  zugleich  die  gegen- 
seitige Gemeinschaft  des  Menschen ,  indem  diese  eine  rein 
intelligibele ,  über  die  Natur  und  die  bloss  physische  Ord- 
nung des  Menschen  und  der  Dinge  erhabene  Weltordnung 
realisiren  sollen.  .  Die  Ethik  ist  daher  die  Wissenschaft 
einer  allgemeinen  Gesetzgebung  des  Werthes  der  Dinge 
iur  frei  handelnde  Wesen :  subjektive  Teleologie ; 
Lehre  von  den  Zwecken  menschlicher  Handlungen. 

Die  Religio  nslehre  ist  praktische  Ideenlehre: 
Lehre  vom  Zwecke  der  W  e  1 1 ,  objektive  Teleologie, 
Lehre  von  den  Ideen  des  Weltzweckes.  An  diese  jedoch 
können  vnr  nur  glauben,  als  an  das  wahre  Wesen  der 
Dinge,  und  in  der  Schönheit  und  Zweckmassigkeit  der  er- 
scheinenden Natur  dasselbe  ahnen. 

Somit  zerfallt  diese  Weltzwecklehre  ihrerseits  in  Glau- 
benslehre,  und  in  philosophische  Aesthetik, 
welche  sich  mit  einer  der  Ahnung  gehörenden  ästhetischen 
Weltansicht  unter  den  Gesetzen  des  Schönen  und  Erhabe- 
nen beschäftigt  Sie  bildet  daher  nach  Fries  in  der  en- 
cyklopädischen  Gliederung  der  Philosophie  den  Schluss  der- 
selben; so  wie,  um  noch  einmal  zurückzublicken,  die  Kri^ 
lik  der  Vernunft  die  Bncyklopädie  des  Ganzen  umfasst,  die 
Logik  aber  sich  mit  den  Gesetzen  der  allgemeinen  Denk- 
barküit  der  Dinge  beschaflligt,  wie  sib  der  seine  Gedanken 


■ 

Uebersichl  seines  Systems.  ä45 

wiederfcolendeii  Reflexion  des  Verstandes  gfehdren,  und  die 
philosophische  Physili  oder  Nftturphitosophie  end«> 
lieh  den  n  i  e  d  e  r  n  Theil  der  Metaphysik  ausmacht  und  die 
Lehre  vom  Wissen  und  von  d^  Erscheinung  der 
Dinge  bildet,  welcher  sich,  wie  schon  angedeutet,  die  hö- 
h e r e  Metaphysik  oder  Ideenlehre,  als  die. Lehre  vom 
Glauben  an  das  wahre  Wesen  der  Dinge,  ergänzend 
gegenüberstelll  *). 

Uns   interessirt  hierbei  vorzugsweise  die  Art ,  wie 

Fries  jene  Stufenfolge  von  Wissen,  Glauben  und  Aknen 

zu  Stande  bringt,  und  die  Grunde,  wodurch  er  ihr  Verhalt-» 

niss,  des  erstem,  als  nur  die  Erscheinung  der  Dinge, 

der  letztem,  als  das  wahre  Wesen  derselben  Vermittetst 

der  Ideen  zum  Bewusstsein  bringend,  zu  rechtfertigen  stek 

getraut«    Hiermit  lenkt  er  nämlich  zugleich  von  Kant  und 

seinem  Principe  völlig  ab,  und   wendet  sich  Jacobi  zn 

in  einer  Weise,  von  der  wir  in  unsem  frühem  kritischen 

Darstellungen  behaupteten,  dass  sie  nur  die  einer  äusserli* 

eben  Coalition,  keine  wahre  Vcnuittlung  sei,  welche  auek 

durch  blosses   Zusammenfassen  beider  Standpunläe  dbcri- 

haupt  nicht  zu  Stande  kommen  könne,    indem,  nach  Ja<» 

cobi's  eigenem  Ausdrucke,  seine  Philosophie  ganz  nnveiw 

trägiich    sei  mit  jeder  reflektirend  idealistischen  Theorie, 


*)  Vgl.  N«  Kritik  derVernunft  IL  Bd.  {•  86.  87.  S.  7-8. 
S.  13—15.  System  der  Metaphysik  im  Grund, 
risse  18124.  $.  10—12.  Ethik  oder  die  Lehren  der 
Lebensweisheit:  $.5.  S.  12 — 15.  R  el  igio  n  sp  hi- 
loiophie  und  philosophische  Aesthetik.  J.  2. 
3.  S.  2-5.  $.  42.  43.  S.  159-62.  VgL  S.  164.  65.  $.  47. 
S.  171.  U.S.W«  —  System  der  Logik  2te  AuS.  1819. 
S«  4- 5.  Vgl.  S.  451.  53.»  wo  sich  eine  merkwürdige  Erkläruag 
über  die  Schwierigkeit  findet ,  um  aus  dem  Sprachgebrauche 
den  Unterschied  zwischen  Wissen,  Glauben  und  Ahnen  zu  er-' 
läutern  und  festzuhalten.  —  Von  der  mathematischen 
Natnrpfailosophie/Heidelb.  1822.,  giebt  Rosenirau'i 
einen  AuKzug  in  seiuer  Gesch.  der  Katttisohen  Phi- 
losophie, 1840.,  S.  431-35). 


346  'seine  Theorie 

Man  hat  Wideripruch  gegen  uns  eingelegt ;  dtnnm  lassen  wir 
«och  einmal  diesen  Thell  der  Fries  i  schon  Theorie  an  uns 
vorübergehen.  Wir  beziehen  uns  hierbei  auf  den  Abschnitt 
in  seiner  Kritik  der  Vernunft  (Bd.  IL  S.  169— 293. 
Ste  Au^.),  welcitö  die  Deduktion  der  Principien 
für  die  Lehre  von  den  Ideen  entbalt.  Mit  dieser 
verhalt  es  sich  foigendergestalt: 

In  unserer  Vernunft  liegt  Einheit  und  Nothwen- 
dtgkeit  ihrer  Erkenntniss,  als  ihr  erstes  Gesetz ;  aber  die 
Anforderungen  desselben  können  durch  die  nur  sinnlich 
eingeleitete  Erkenntniss  nie  vollständig  befriedigt 
werden.  —  Die  Selbsterkenntniss  der  Beschränktheit 
nserer  Vernunft  findet  daher  in  der  Einheit  d^  gege- 
benen Mannigfaltigen,  statt  der  Totalität  eines  Weltgan-*- 
cen,  nur  die  Unendliehkeit  d^  unvoUendbaren  rein 
«innlieben  Foimen  der  Zahl,  des  Raumes  und  der  Zeit: 
sie  findet  femer  in  jedem  gegebenen  Ganzen  nur  be- 
«ckrmkte  Healitat^  statt  eines  absolut  Realen ;  und  endlich 
m  allen  Verhältnissen  nur  Reihen  des  Bedingten  in's 
ünendlidie  hin,  ohne  je  im  Unbedingten  das  volistän** 
•dige  Ganze  der  Reihe  fassen  zu  können.  Sie  muss  also 
4mdlich  die  Modalität  ihrer  gegebenen  Erkenntniss,  als 
Erscheinung  für  ihre  bescbrankle  Erkenntniss ,  dem 
nothwendigen  Wesen  derDinge  an  sich  selbst 
entgegensetzen.  Aus  diesem  Gegensatze  der  vollendeten 
Einheit,  mit  den  Formen  der  (immer  nur,  endlichen)  Ver- 
bindung des  uns  Gegebenen,  entsteht  uns  nun  der  Gegen- 
satz zwischen  der  natürlichen  und  der  idealen  An- 
sicht .der  Dinge  (S.  169—73.).  Die  letztere  beruht  auf 
den  ursprungiichen  Ideen  der  Vernunft 

Hier  ist  jedoch  in  Rücksicht  der  Dedoktion  der  Ideen 
genau  zu  unterscheiden  ihre  positive  Grundlage,  und 
die  Form  des  Ausdrucks  der  Ideen  vor  der  Reflexion. 
—  Jene  positive  Grundlage  ist  der  ^Glaube  an  die 
Realität  schlechthin,  welcher  das  innerste  Kgen- 
tfaum jeder  vernünftigen  Erkenntnisskraft  ist^  (S.  1 73). 
Wollen  wir   dagegen  vor  der  Reflexion    die   Ideen  uns 


von  Wissen,  CSaaben  und  Ahnen.  347 

aussprechen,  so  ist  diess  nur  nnler  der  Form  ekier 
doppelten  Verneinung  möglich,  indem  wir  die  nc* 
gativen  Schranken  der  Reflexion  an  ihr  abervMils  vernei- 
nen. Und  hierin  zeigt  sich  der  hoke  Werth  der  Reflexion 
in  iMis^rm  Geiste*  Die  ideale  Ansicht  in  ihrem  Unter« 
schiede  von  der  Reflexion  ist  daher  blosses  Eigenthum 
der  Reflexion ,  in  der  die  endlidie  Vernnnft  ihre  eigenen 
Schranken  anerkennt. 

Die  Deduktion  der  Ideen  berahl  daher  auf  den  drei 

0 

Fragen,  zuerst:  wie  die  Selbsterkenntniss  der  eigenen  Be- 
achrtinktheit  mögüch  sei?  Sodann:  woher  kommt  uns 
der  spekulative  Glaube  an  die  Raalititder 
Dinge  schlechthin?  Endlich:  woher  kommen  uns  die 
reflektirten  Formen  der  idealen  Ansicht  selbst? 

Nach  unscm  gegenwärtigen  Absichten  erlauben  wir 
uns,  mit  Beseitigung  der  beiden  übrigen,  anf  die  mittelste 
Frage  und  ihre  Lösung  ansschiiessende  Anfmerksamkeit 
zu  wenden.  Was  sonst  noch  über  das  Wesen  und  dmi 
Ursprung  der  Ideen  zu  bemerken  ist ,  wird  sich  am  Ro- 
sten daran  anschliessen. 

Das  Wissen  in  seiner  engsten  Bedeutung  gründet 
sich  unmittelbar  oder  mittelbar  immer  auf  (sinnliche)  An-^ 
schauung.  Wenn  wir  fragen ,  ob  wir  etwas  wissen ,  so 
heisst  diess  nur,  ob  die  Wahrheit  ein^  Erkenntoiss  in 
dem  nothwendigen  Zusammenhange  unserer  sinnlichen  An- 
schauung gegründet  sei.  —  Wenn  dagegen  unsere  Vcmunlt 
rein  aus  sich  selbst  eine  Ueberzeugung  hat,  so  kann 
diese  nur  in  einem  Bewusstsein  liegen,  weiches  seine  Wahr«* 
heit  weder  von  jenen  sinnlidien  Anschaimngen  enäehnt, 
noch  auch  durch  ihren  nothwendigen  Znsanunenhasg  be«» 
gründet,  sondern  „es  ist  uns  nur  wahr  um  sein  selbst 
willen,  es  ist  der  reinste  Ausspruch  unsers  iüBersteu 
Wesens.«  — 

Das  Beispiel ,  welches  Fries  erläuternd  beifugt,  ist 
charakteristisch.  „So  liegt  der  Quell'  reiner  Achtung  und 
reiner  Liebe  in  unsenn  Innersten,  dessen  wir  uns<^  (je- 
doch)  9  nur  in  einem  durchaus  reflektirten  Fürwahrhalten 


34S  Seine  Theorie  • 

ohne  Am chanvng  bewussl  werden  können.*  Hadi 
der  oben  yemonunenen  |»sychologiscben  Beschreibong  nin« 
Heb,  mit  wekber er  die  rein  ans  der  Vernunft  Slam- 
menden  (scblecbtbin  ajrriorischen  Grund--)  Ueberzeugungen 
chanikterisirt,  könnte  doch  zunächst  nur  an  gewisse  theo- 
retische Grundsatie  und  Denkformen  gedacht  werden,  wel- 
che die  neuere  Spekulation  mit  dem  allgemeinen  Namen 
der  Kategorieen  bezeichnet,  und  iur  deren  eindringende, 
das  Gegentheil  ihrer  selbst  schlechthin  ausschliessende 
Evidenz  jeder  ^ Glaube <<  oder  jedes  ^theoretische  Für- 
wahrhallen^  ein  viel  zu  schwacher  und  verblasster  Ausdruck 
Ist.  Stattdessen  entweicht  uns  Fries  (was  sich  später- 
hin noch  weiter  ausweisen  wird)  in  die  etwas  unbestimaite 
Region  moralischer  und  gemftfhiicher  Gcluhle  der  reinen 
Achtung  und  Liebe,  wo  sich  schon  im  Voraus  anneh- 
men Usst ,  dass  mancherlei  Concrescenzen  von  wahrhaft 
Vemunfhuspiünglichem  und  Apriorischem  mit  subjektiven 
Angewöhnungen  oder  Einbildungen  (wie  bei  J  a  c  o  b  i)  zur- 
sammengeAossen  und  für  einerlei  Wesen  gehalten  worden 
sein  möchten!  — 

Diese  eigenthQmliche,  aber,  wie  man  sieht,  sehr 
Heleregenes  in  sich  bergende  Ueberzeugungsweise  der  trans- 
scendentalen  Vernunft  nennt  Fries  einen  reinen  Ver- 
nunftglauben. 

Dem  ist  abermals  jedoch  die  Ahnung  öberzuordnen : 
sie  ist  eine  ebenso  ursprdngliche  Urtheilskraft,  welche  sich 
Hirer  vollständigen,  eigen  thümlichen  Gewissheit 
nur  durch  Gefühl,  ohne  weder  auf  Anschauung ,  noch  auf 
Begriff  zu  fussen,  bewusst  wird.  — ^  Nur  stufenweise,  durch 
Verneinung  der  in  der  Natur  gegebenen  Schranken,  bilden 
wir  die  Welt  der  Ideen  aus.  Wir  wissen  so  durch  An- 
schauung und  durch  Verstandesbegriflb  von  dem  Dasein 
der  Dinge ,  wie  sie  uns  in  der  Natur  erscheinen;  wir 
(glauben  nach Vemunftbegriffen'andas  ewig'e  Wesen 
der  Dinge ;  und  wir  ahnen  in  Gef&hlen  ohne  Anschauung^ 
und  bestimmtem  Begriff  das  Gesetz  des  Glaubens  in 
der  Naturv    (Hiermit  ist  ein  psychologischer  Soheinatismu« 


von  Wissen )  Glaobon  und  Ahnen.  349 

rntwoifen,  dessen  scharfirinAige  ArcliUeiBConik  karnn  jedodi 
die  Fragen  überflüssig  macht,  ob  denn  aligemeingültig  vnd 
nothwendig  diese  AbsluAmg  in  der  Vernunft  gesetzt  sei^ 
ob  nicht  das  Ganze  in  vonirtheilvoUen  psychologischeil 
Prämissen  und  sehr  subjektiver,  einem  bestinunten  Bildmig»* 
stadinm  der  Philosophie  entsprechender  Selbstbeobacfatong^ 
seine  Entstehung  habe  ?  Das  ,,  A  h  n  en  <t  wenigstens ,  so 
wie  es  hier  angeführt  wird,  -—  oder,  wie  wir  es  nur  nen«^ 
nen  könnten,  der  Zustand  eines  noch  unentwickelten,  sA* 
Ber  VemnnftprSmissen  in  ihrer  Stärke,  aber  nicht  in 
ihrer  Ausdrücklichkeitf  bewussten  Denkens,  —  wel-« 
ches  sich  darum  personlich  immer  anders  und  unbestimm-k 
bar  modificiren  kann,  sollte  hiemach  in  dem  ursprunglichen 
Wesen  und  in  den  notwendigen  Erkenntnissstufen  unseres 
Bewusstseins  gar  keinen  Matz  finden.) 

Diese  drei  Uebeczeugnngsweisen  haben  in  nnserm 
Geiste  den  ganz  gleichen  Grad  nothwendig'er  6e^ 
wissheit:  es  giebt  bestimmte  Gegenstände,  die  wir  nur 
wissen,  Einen,  an  den  wir  nur  glauben  (die  Idee  der 
Gottheil),  und  gar  Manches,  das  wir  nur  zu  ahnen  y«r« 
mögen.  Das  Vorurtheil  lür  das  Wissen  rührt  nur  her  tos 
der  IQariieit  und  Gemeinverständlichkeit  der  Sinnenan-« 
schauung,  welche  jedoch  in  der  Gründlichkeit  keinen  Vn^ 
lerschied  macht  —  „Weit  gefehlt ,  dass  reiner  Vernunft* 
glaube  ehn  unsichereres  Fürwahrhalten  sei ;  so  ist  er  g  &- 
ra  de  das  Festeste,  was  wir  haben,  indem  er 
rein  ans  dem  Wesen  der  Vernunft  entspringt  Wir 
hätten  eigentlich  gar  kein  Wissen,  wenn 
nicht  schon-ein  Element  des  Vernunftglai^ 
bens,  eine  Ueberzeugung  aus  blosserVer- 
nunft  ohne  Sinn  mit  in  ihm^  (dem  WisSien?} 
„wäre.«*) 

Wir  haben  diese  trefBiohe  Stelle  besonders  ausgeho- 
ben ;  «e  ist  eine  von  denjenigen,  wetehen  man  nicht  selten 


*)  Kritik  d.  V.  B4.  11.   S/06.     Vgl.  dat.   5..  10t*   S.  03— 97. 
).  tdf  5  aia  919.  1 


350  Kritik 

in  den  Werkim  von  Pries  begegnet,  in  denen  der  Geist 
Scliter  Sjiekulation  uns  wie  ans  hellen  Augen  anblickt,  wo 
ihr  Verfasser  wie  unwiUkfthrlich  es  verräth ,  wie  ihm  das 
Bewusstseitt  des  wahrhaft  Vernünftigen  und  Allgemeinen 
nieht  nur  vornbersokwittdend  vorgeschwebt,  sondern  klar 
gegenwartig  gewesen  sei,  und  dass  es  nicht  der  Mangel 
desselben  ist,  wie  bei  vielen  übrigens  ihm  geistesverwand- 
ten Philosophen ,  sondern  dass,  —  wir  möchten  sagen,  — 
die  Kleingläubigkeit  an  sein  eigenes  Ghuibensprin- 
cip  es  war,  wodurch  er  nicht  vermochte,  das  gnnse  Be* 
wusstsein  von  ihm  durchdringen  zu  lassen.  Wollte  er  nur 
wörtlichen  Ernst  machen  mit  seiner  Behaiq^tnug,  „dass  wir 
gar  kein  Wissen  hatten ,  wenn  nicht  eine  Ueberzeugong 
aus  blosser  Vernunft  in  ihm  ware^,  d.  h.  wenn  nicht 
alles ,  auch  das  sirniliche  Wissen  nur  die  besondere  Ge- 
staUung  und  Exemplifikation  einer  schlechthin  allgemeinen 
Vemunftwahrheit,  diese  nlso  das  eigentlich  in  ihm  Gegen-* 
wartige  und  Eingeborene  wäre :  so  bedurfte  er  gir  nicht 
mehr  seiher  mähsam  herbeigeleiteten  Ualerscheidung  xwi- 
sdien  dem  Wissen  nur  von  der  Erscheinung  der  Dinge, 
md  dem  nur  Glauben  an  das  wahre  Wesen  derselben,  als 
ein  dahinter  liegendes,  nie  zur  Anschauung  gelangen- 
des« Er  bitte  erwiesen, .dass  auch  die  Sinnenerkennt- 
»iss,  wie  sehr  sie  nach  ihrem  bestimmten  Inhalte  „Schran- 
ken hat^,  und  völlig  saehgemäss,  das  rfiumlich  und  zeitüch 
Unendfidie  umspannen  zu  können,  nie  sich  einbilden  darf, 
dennoch  ein  wahrhaft  Unbeschränktes  und  Unendliches,  die 
Vemunflallgemeinheit  der  Kategorieen,  und  was  aus 
ihnen  weiter  folgt,  in  sich  gegenwärtig  *hat,  und 
wirklich  besitzt  Hiermit  wäre  auch  der  seilsame  Wider- 
sprach beseitigt,  gegen  den  sogar  der  Sprachgebrauch  sich 
empören  muss ,  das  „Gewisseste  im  Wissen«'  —  Gluuben 
genannt  zu  sehen;  das  Gewisssein  des  Gewissesten 
wird  man  nimmermehr  anders,  denn  Wissen ,  und  zwar 
Grundwissen,  absolutes  Wissen,  nennen  können, 
bi  Summa :  Jene  Tbeorie  mag  ganz  nöthig  sein ,  als 
vorläufiges  Hülfsmittel  und  Surrogat  für  diejenigen,  wekhe 


dieser  Theorie.  351 

TOB  jener  Vemunflgewissheit  Nichts  wifsen ,  bis  sie  siok 
etwa  zn  diesem  ganz*  specifischen  Bewnsatsein ,  wel- 
ches eine  nicht  bloss  psychologische,  sondern  spekulative 
Philosophie  erst  möglich,  wie  nodiwendig  macht,  eiteben 
möchten ,  um  wenigstens  durch  jenes  getrübte  und  selbst 
«ehr  vermittelte  Organ  mit  der  Weit  der  ewigen  Wahr« 
iieiten  in  Berührung  zu  bleiben.  Fries  kennt  diese  Ver«- 
nunflgewissbeift ;  denn  er  spricht  sie  an  vielen  Stellen  höchst 
energisch  aus.  Warum  will  er  ihr  nicht,  seinem  Ausspra- 
che getreu,  dass  in  ihr  der  Quell  aller  Gewtss* 
heil  liegt,  das  ganze  Bewusstsein. unterwerfen,  und  auf 
ihre  Garantie  hin  auch  das  ,,Wissen«  als  vollgültig  anneh» 
men?    Oder  vielmehr,  mu.ss  er  nicht  solches? 

Die  „  Schranken  ^  des  letztem  sind  keine  Instanz  da- 
gegen, indem,  —  wie  ein  so  grundlicher  Kenner  Piatoni- 
acher  und  Aristot^sdier  Philosophie  von  hier  aus,  iberhaupl 
schon  von  den  Alten  her,  es  wissen  konnte,  —  <ye  Un- 
vollstindigkeit  (das  Platonische  ansigov),  welche  im 
empirischen  Wissen  immer  übrig  bleibt,  die  wahre,  den- 
noch ihm  innewohnende  Allgemeinheit  nicht  zu  beeintrach-» 
ligen  vermag.  Ob  ich  diess  AUgemeine  nur  einmal  setze^ 
oder  unzählige  Male,  —  in  unbestimmbar  vielen  empirischen 
Anwendungen  aufsuche,  —  ist  philosophisch  betrachtet, 
sagen  jene  Alten ,  völlig  einerlei.  Aber  freilich  wird  sich 
zeigen,  dass  Pries  den  eigentlichen  Inhalt  jener  VemunfU 
gewissheit  selbst  lange  nicht  rein  und  scharf  genug  au%&« 
fiisst  hat,  darum  auch  nicht  in  seiner  aiisscbliescAiehen  Be« 
deutung.  So  ist  ihm  Manch^ei  damit  zusammengeflossen, 
weiches  er  seinem  ursprünglichen  Vernunnglanben  vindi- 
cirt,  worin  wir  jedoch  jene  wahre  Vemunftursprüngiichkeit 
keinesweges  wiederfinden  können. 

Wir  nannten  nämlich  jenes  spekulative  Bewusstsein  der 
Vemunftgewissheit  ein  speci fisch  es;  es  ist  diess  in 
doppeltem  Sinne: 

Zuerst  ist  es  darum  ein  speciflsohes  und  ausscbKess- 
lidies,  weil  es  durch  einen  Akt  der  ReAexion  —  wodurch 
es  darum  jedoch  nicht  selbst  etwa  zu  einem   Produkte 


353  .     KriHk 

« 

derselben  oder  der  SelbcftbeobRchtung  wird,  -*-  da^onige 
4n's  ausdröcUiche  Wissen  erhebt,  was  ohne  diese  Aus- 
dröcklichkeit  dennoch  in  alle  Akte  des  concreten  Wissens 
und  Erkennens  eingeht,  und  ihnen  i  m  Wissen  gerade  den 
Charakter  der  Gewissheit  verleiht ,  das  Erkennen  zur  E  r- 
kenntniss  abschliesst.  So  ist  von  dieser  Seite  jenes  Be- 
wnsstsein  ein  specifisch  nur  spekulatives,  weil  es  bei  dem 
PhiTosophirenden  allein  zu  jener  Ausdrücklichkeit  und  AlU 
gemeinheit  herausgeläutert  wird,  d^ren  es  bedarf,  um  als 
-solches  erkannt  zu  werden. 

Aber  es  ist  auch  noch  in  dem  andern  Siime  ein 
•s^ecifisohes  zu  nennen ,  dass  es ,  einmal  dem  Bewuastsein 
aufgegangen,  dasselbe  mit  einer  ursprünglichen  Evidens  und 
überzeugenden  Gewalt  ergreift,  in  denen  kein  anderes 
Wissen  ihm  gleichsteht.  Es  ist  das  einzige,  welches 
schlechthin  durch  sich  selbst,  durch  nichts  Anderes 
vermitfelt,  absolute  und  höchste  Gewissheit  hat.  SeinCha- 
raktei*  ist  nicht  blosse  empirische  und  thatsacUiche  A 1 U 
gemeinheit,  psychologische  Ursprünglichkeit  — 
(bei  welchen  Bestimmungen  Fries  es  bewenden  läs$t)  — 
sondern  absolute  AllgemeingOItigkeit,  und  ebenso 
absolutes  Ausschliessen  des  Gegentheils  und  jedes  An- 
dersseinkonnens. 

Nur  diejenigen  Grundwahrheiten  oder  unmittelbaren 
Ikkeuntnisse,  welche  diess  Kriterium  an  sich  tragen  (wei- 
ches in  seiner  Scharfe  aufgestellt  zu  haben ,  Kants  un^ 
sierbliches  und  für  die  Philosophie  folgenreiches  Verdiaist 
ist),  können  als  wahrhaft  Apriorisches  und  Vemunftur- 
sprüngliches  betrachtet  werden.  Alles  Andere,  mag 
es  psychologisch, —  besonders  nach  einer  unsere BU-^ 
dungsvoraussetzungen  für  ein  Ursprüngliches  haltenden 
Psychologie,  —  noch  so  sehr  als  ein  ursprünglich  Gege- 
benes erscheinen,  z.  B.  die  Ewigkeit  unserer  Seele,  die 
Einheit  des  Weltganzen ,  die  Idee  Gottes ,  ist  in  irgend 
einem  Sinne  ein  Vermitteltes,  aus  ihnen  zu  Rechtfertigen- 
des, eine  vielleieht  bewussUose,  durch  einen  hinter  uns 
Degendeu  geistigen  Prooess  hervorgebrachte  Venoittlungi 


Beiner  Theorie.  353 

die  aber  durch  Phflosophie  eben  begrftndet,  d.  h.  in  ihrem 
nothwendigen  Zusammenhange  mit  jenem  reinen  Vemmift* 
ursprünglichen  nachgewiesen  (bewiesen) ,  nicht  also 'als 
selbst  ein  Unmittelbares  belassen  werden  soll.  Wir  dürfen 
uns  indess  darüber  nur  auf  das  bei  Jacob i  ausfuhrlich 
Verhandelte  berufen. 

Man  könnte  sofort  den  Unterschied  zwischen  diesem 
psychologisch  Ursprünglichen  und  jener  (wahren)  Vernunft- 
ursprünglichkeit  für  so  geringfügig  und  unwesentlich  hal- 
ten ,  dass  er  einen  Gegensatz  im  Princip  unmöglich  be« 
gründen  könne.  Und  dennoch  ist  diess  Wenige,  diese 
scheinbar  geringe  Differenz  völlig  ausreichend ,  um  alles 
bloss  Psychologische,  d.  h.  eine  Philosophie,  die  nur  bei 
der  Unmittelbarkeit  oder  Ursprünglichkeit 
gewisser  Vernunftthatsachen  stehen  bleibt, 
von  allem  eigentlich  Spekulativen  und  seinem  Bewusstsein 
bis  aof  die  Wurzel  und  durch  eine  unübersteigliche  Kluft 
abzuscheiden.  Wer  die  Evidenz ,  die  uns  nöthigt ,  jedes 
Wirkliche,  sei  es  angeschaut,  vorgestellt  oder  gedacht ,  in 
den  Kategorieen  des  Wirklichen  zu  denken,  mithin 
als  ein  schlechthin  den  Baum  und  die  Zeit  EriuUendes,  als 
quaUtativ  Bestimmtes,  als  in  dieser  Bestimmtheit  Beharrli- 
ches, in  jeder  seiner  Veränderungen  aber  durch  einen 
Grund  derselben  Bedingtes  u.  s.  w.  zu  setzen,  —  wer  diese 
absolufS  Nöthigung ,  die  jeH^n  Gedanken  einer  entgege»*- 
gesetztffli  Möglichkeit,  des  Auchandersseinkönnens  dieser 
Allgemeinbestimmungen,  schlechthin  ausschliesst  und  als  den 
absoluten  Widerspruch  mit  sich  selbst  vernichtet,  In  eine 
Beihe  setzen  kann  mit  irgendwelcher  thatsächlichen 
Ursprünglichkeit,  mit  jener  ,, reinen  Achtung  und  reinen 
Liebe«  etwa,  welche  jedes  geibildete  Gemüth  allerdings 
für  das  an  sich  Gute  und  Schöne  empfindet :  Der  hat  da$ 
Grundspecifische  jener  Evidenz  nie  gekostet;  er  bedarf 
der  Spekulation  eigentlich  gar  nicht ,  noch  kennt  er  sie  in 
der  „Ausdrücklichkeit^  ihres  Bewusstseins ;  denn  das  In- 
teresse der  Fragen ,  die  aus  jener  Evidenz  hervorgehen, 
und  mit  ihr  Eins  sind,  ist  für  ihn  nicht  vorhanden. 

23 


354  Gegensatz  de«  Vernimftnothwendigen 

ifan  besteht  aber,  wie  wir  sahen,  der  Lockcaiii.^ 
m  US  nicht  aHein  in  der  Lehre,  dass  das  Yemimftnothwendige 
von  Aussen  in  das  Bewusstsein  komme ;  sein  rechtes,  allgi'- 
meineres  Princip  ist  es  vielmehr,  jenes  überhaupt  für  gleich- 
falls empirischer  Natur  zu  halten:  es  ist  ihm  nurein 
empirisch  Ursprünjrliches ,  letzte  oder  erste  Thatsachc, 
die  ganz  gut  auch  anders  sein  könnte ,    ein  Geschick  des 
Geistes,  an  dem  er  sich  genügen  lassen,  eine^urspr  üngli- 
che  Einrichtung  des  menschlichen  Erkennt- 
nissvermögens«,  welche  er  so  hinnehmen  muss,  als 
etwa  gültig  in  dieser  sublunarischen  Welt.     Ja   er  kann 
den  Versuch,  darin  etwas  absolut  Vernünftiges  sehen  zu 
wollen  ,   nur  fiir  die  Anmassung  einer  selbst\erl)lendeten, 
unkritischen,  über  ihre  Schranken  und  den  ewig  nur  sub- 
jektiven Standpunkt  des  Menschen  unaufgeklärten,  phanta- 
sirenden  Spekulation  erklären.    Und  diess  ist  auch  das  stete 
Grundargument  der  Polemik  von  Fries   gegen  Schel- 
ling  und  Fichte,  wenn   er  von  jenem  irgendwo  sagt, 
seine  Schriften  glichen  einem  Protokolle  aus  der  Rathskam- 
mer  der  Elohim,  von  denen  jeder  nach  dem  andern  seinen 
Plan  zur  Welterschaflung  vorgelegt  habe,  oder  diesem  (in 
einerRecension  seiner  „Wissen Schaftslehre  im  all- 
gemeinen Umrisse«*  1810.  in  den  Heidclbei^er  Jahrbü- 
chern) ironisch  zu Gemüthe  fuhrt,  seine  Philosophiere!  eine 
Art  von  Kabbalah ;  schon  diesohabe  vom  Adam  Kadmon,  von 
der  Urintelligenz  bei  Gott  allerhand  zu  wissen  vorgegeben. 
Doch  dient  dabei  für  Fries  die  Entschuldigung,  dass 
er,  wie  schon  gezeigt,  den  rechten  Quell  und  Inhalt  jener 
absoluten  Vemunftevidenz  nicht  getroffen,  daher  er  ebenso 
wenig  den  letztern  in  seiner  Reinheit  und  Schärfe  heraus- 
zuheben vermochte  :  so  bleibt  er,  ohne  die  Gegenseite  eines 
wahrhaft  Absoluten  im  Geiste  zu  kennen,  überall  von  dem 
Bewusstsein   der  sinnlichen   Schranken   des  Menschen 
gedrückt,  über  welche  er  sich  freilich  mit  der  Auskunft,  sie 
sei  eine  nicht  weiter  zu  erklärende  „Einrichtung«,  —  wi«^ 
wohl  im  Grunde  eine  schlechte   und  nachlheilige ,  —  be-% 
schwichtigen  mochte. 


und  des  empirisch  Ursprünglichen.  355 

Dieser  Mangel  wird  nnn  auch  hier  das  entscheidende 
Moment;  denn  so  wenig,  als  etwa  ein  Mathematiker»  felis 
er  nur  sich  selbst  versteht ,  den  Satz ,  dass  zwei  gerade 
Linien  keinen  Raum  einschliessen,  oder  dass  der  Raum 
gerade  nur  drei  Dimensionen  haben  könne,  als  etwas  bloss 
subjektiv,  oder  nur  ffir  den  Menschen  zufolge  der  „Einrich- 
tung seines  Erkenntnissvennögens«  Richtiges»  sondern  ali 
unbedingt  aus  der  Natur  des  Raumes  Folgendes  und  att 
Evidenz  ihm  ganz  Gleiches,  —  eine  Kategorie  desseU 
ben  —  anerkennen  muss :  ebenso  wenig  wird ,  wer  ein- 
mal in  den  Begriff  und  die  Untersuchung  des  rein  Wirkli- 
chen nach  seinen  nothwendigen  Bestimmungen  hinein- 
geleitet worden  ist,  in  diesen,  oder  den  Kategorieen,  nur  ein 
Subjektives  ,  Beschränktes ,  Sublunarisches  erblicken  ,  nnd 
diesem  Wirklichen  eine  andere  jenseitige  Wirklichkeit» 
eme  höhere  Welt  der  „ewigen«  —  gleichsam  der  noch 
^ewigem«  —  „Wahrheiten«  entgegensetzen  können.  Viel- 
mehr mfissle  er  all  dergleichen  als  Produkte  einer  ganz 
willkührlichen  Phantasie^,  ja  eines  leer  Phantastischen  und 
ganz  Unaussprechbaren  —  (alles  Aussprechen  fiele  ja  immer 
negativ  oder  positiv  in  jene  Kalegorieenbcslimmungen  zu- 
rück) *—  bezeichnen,  und  Jso  jenen.  Vorwurf  gegen  di^ 
Spekulation  mit  voller  Stärke  zurückgeben. 

Somit  glauben  wir  die  Befugniss  nachgewiesen  m 
haben»  alle  Philosophen,  die  jenen  Grundcharakter  des  Ver- 
aunftallgemeinen  verkennen  oder  nicht  kennen»  seien 
sie  übrigens  Kantianer,  oder  Anhänger  J  a  c  o  b  1  's^  oder 
sonstigei  Psychologen  und  Bearbeiter  einer  innern  Ne?^ 
Vorgeschichte  des-^Geistes ,  b^i  Edlem  fibrigem 
Scharfsinne  und  anderweitigen  Verdiensten,  mit  ihrer  eige^ 
neu  Erlaubniss  als  ausserhalb  der  Spekulation  stehend^  von 
<iieser  nicht  berührt ,  und  umgekehrt  sie  selbst  nicht  be4 
röhrend,  bezeichnen  zu  müssen..  Aber  sie  sind  insge«^ 
sammtdie  Gegner  Kants;  denn  von  ihm  ist  das  entschei'- 
«lende  Kriterium  jener  Vemunftallgemeinhelt  wieder' auf» 
►  gefunden  worden  ^  und  dessen  wahre  Nachfolgerschaft 
ist  überall  sonst,  nur  nicht  bei  jenen^  ausv|chen%  üebrigcns 


356  Historische  Genesis 

wichst  ihre  Anzahl  mit  jedem  Tage ,  je  mehr  das  Chro- 
nikenzeitalter, wie  unsere  grossen  Vorgänger  es 
nannten,  wieder  zur  herrschenden  DenkM-eise  wird,  und  je 
mehr  man  in  der  täglich  anschwellenden  Masse  empirischen 
Stoffes  die  volle  Gnuge  der  gelehrten  Beschäftigung  findet 

Einen  solchen,  nur  subjektiv  begründeten  Locke- 
anismus müssen  wir  in  der  Theorie  von  Fries  finden; 
ja  er  ist  der  Vollender  derselben,  der  klassische  Autor  für 
diesen  ganzen  Standpunkt,  in  welchem  sich  die  zahlrei- 
chen Nachfolger  und  Umgestalter  desselben  eigentlich  dank- 
bar zusammenfinden .  sollten.  Warum  suchen  die  Deutschen 
80  oft  doch  zu  thun,  was  schon  gethan  ist?  Denn  es  bleibt 
wahr:  seine  neue  Kritik  der  Vernunft  enthält  die 
erste  vollständige  psychologische  Bewältigung  und  Durchar- 
beitung des  ganzen  spekulativen  Stoffes,  der  Ideen  des  Theo- 
retischen, des  Praktischen  und  des  Aesthetischen  auf  scharfsin- 
nige, im  Princip  konsequente  und  folgerichtige  Weise,  zugleich 
ohne  die  Würde  der  Ideen  zu  verletzen,  deren  Inhalt^  als 
Geglaubtes  und  Geahnetes,  desto  angemessener  dem  gegen- 
wärtig verbreiteten  Bildungsstandpunkte,  nachgeliefert  wird. 

Aber  diess  bewirkt  nur,  dass  die  geheime  Doppclheit 
des  Systems,  in  welcher  es  mit  Einer  Hand  von  Oben 
her  sorgsam  zu  befestigen  sucht,  was  es  mit  der  andcro 
von  Unten  her  so  eben  wankend  gemacht  hatte,* —  in  der 
Ideenlehre  eben  —  zum  Ausbruche  kommt.  Wir  wenden 
«ms  einer  etwas  genaueren  Charakteristik  derselben  zu  ♦). 

Zunächst  kann  die  Vernunft  auf  die  Frage ,  ob  ihre 
«innliche ,  unzulängliche  Ansicht  der  Dinge  nur  S  c  li  e  i  n 
oder  die  Erscheinung  des  wahren  Wesens  der- 
selben enthalte,  dem  Grundsätze  der  Theorie  getriu, 
dass  jeder  vernünftigen  Erkenntniss  transscendenlale  Wahr- 
heit zukommen  müsse,  auch  in  der  sinnlichen  Ansichtsweise 
nicht  nur  Schein,  sondern  Erscheinung  sehen,  so 

♦)  Kritik  der  Vernunft  Bd.  II.  J.  129.  S.  199.  ff.  $  131. 
S.  209.  Dann  die  Entwicklung  der  eigentlichen  Ideenielire, 
der  Idee  der  Seele,  der  Freiheit  und  der  Gottheit 
J.  134-150.  S.  218—293. 


von  Fries  Tbeori».  S57 

dass^  wie  sie  die  8id)jektiVen  Beschrfinkungen  diefier  An-> 
«Chi  aufgehoben  denkt,  ihr  dann  die  ewige  Wahrheit 
vor  Augen  steht  (S.  199.  201.  209.). 

Wir  haben  unmittelbar  also  keine  andere ,  als  die 
endliche  Erkenntniss  der  Dinge  in  der  Natur ;  in  dieser 
halten  wir  aber  das  Gesetz  des  ewigen  Wesens  der 
Dinge  fest,  und  bedürfen  der  Formen  (der  Ideen)  des  Ab« 
soluten ,  um  uns  desselben  vor  der  Reflexion  bewusst  zu 
werden. 

Die  modalischen  Grundsätze  der  idealen  Ansicht 
der  Dinge  sind  also  folgende: 

1)  Die  Sinnenwelt  unter  Naturgesetzen  ist  nur  Er« 
scheinung:  — Frincip  des  Wissens. 

2)  Der  Erscheinung  liegt  ein  Sein  der  Dinge  an  sich 
zu  Grunde:  —  Frincip  des  Glaubens;  denn  an  die  Dinge 
an  sich  kann  nur  geglaubt  werden. 

3;)  Die  Sinnenwelt  ist  die  Erscheinung  der  Welt 
der  Dinge  an  sich:  —  Frincip  der  Ahnung.  (A.  a. 
O.  S.  209.  vgl.  $.  101.  S.  96.) 

Hier  ist  nun,  was  Kant  jedoch  eben  sowohl,]  als 
Fries  trifft ,  der  Doppelsinn  im  Begrifle  der  E  rs  c  h  e  i- 
n  u  n  g  nicht  ausser  Acht  zu  lassen :  freilich  ist  dieser  un- 
willkührlich,  wie  unvermeidlich  ,  und  hat  in  dem  ganzen 
('ontexte  der  beiderseitigen  Systeme  seine  '  tiefe  Begrün- 
dung. Einmal  wird  gesagt,  dass  die  Sinnenwelt  unter 
Naturgesetzen  nur  Erscheinung  sei,  das  Falsche, 
Inächte,  das  wahre  Wesen  der  Dinge  dahinter  nur  Ver- 
hüllende. Diess  ist  der  alte  Kantische  —  widerspre- 
chende —  Begriff  der  Erscheinung ,  in  der  Nichts  er- 
scheint vom  Wesen  des  Erscheinenden,  sondern  es  ewig  ver- 
borgen bleibt.  Und  was  wäre  denn  der  Begriff  des  „Schei- 
nes«, welchen  Fries  ausdrücklich  verwirft ,  als  eben 
üiü4>er?  Wiewohl  wir  freilich  anerkennen,  dass  er  den 
blossen  Schein  darum  ausgeschlossen  haben  will,  weil  ein 
Wesen  doch  wenigstens  hinter  der  Erscheinung  ist.  Aber 
wenn  er  sagt,  dass  man  ^den  Ideen  die  Erfahrung 
gleichsam  als  Folie  unterlege^   (S.  202.),   wären 


368  Historische  Genesis 

jene  hiermit  nicht  g^erade  das   sich   an   ihnen  sichtbar 
Machende,   und    auch   eigentlich  sichtbar  Gemachte,    das 
jjWesen«  in  der  Erfahrung,   wir   also  dennoch  auf  ein 
Wissen  der  Ideen  angewiesen?    Dicss  soll  jedoch  erst  in 
der  Ahnung  gewährt  sein:  durch  die  ästhetische  AuflTas- 
sung  der  Natur  erscheint,  uns    in  der  Schönheit   und 
Ordnung  derselben  nach  den  Ideen  des  Schönen  und   Er- 
habenen die  Welt  der  Dinge  an  sich  auch  in  der  Sinnen- 
welt,  Hiermit  ist  die  andere  Bedeutung  jenes  Begriffes  her- 
vorgezogen :  Erscheinung  ist  Sichtbarmachung ,  Vergegen- 
wärtigung;  die  sinnlose  Vorstellung  eines  hinter  seiner 
Erscheinung  versteckt  bleibenden  Wesens  ist  aufgegeben. 
Doch  ist   die  Ursache  jener  Verlegenheit,  die   nach 
solchen   Selbstwiderspruchen   greifen  lässt,   gar  wohl  uns 
bekannt.    Es  ist  das  alte  Grundvorurtheil,  dass  Raum  und 
Zeit  blosse  „  Schranken  *  der  Wahrheit ,    dass   sie  viel  zu 
schlecht  seien,  um  die  Dinge  an  sich,  viel  weniger  Gott,  zu 
sich  herabsteigen  zu  lassen.    Hierdurch  ist  aber,    wie  mit 
l&inem  Schlage,   nicht  nur  die  Unbegreiflichkeit,   sondern 
die  absolute  Unvorslellbarkeit  alles  eigentlich  Realen  aus- 
gesprochen;   und  völlige  Nacht  kehrt  in's   Erkennen  ein, 
dem  mit  Einem  Schlage    das  Denken,  Vorstellen,  ja  die 
Sprache  versagt,  um  eine  solche  überzeitliche  und  über- 
räumliche  Realität  sich  haltbar  zu  machen :  denn  alle  Prä- 
dikate (Kategorieen) ,   welche    dem  Wirklichen    (Realen) 
das  Denken  oder  das  Vorstellen  beizulegen  vermöchte,  sind 
nur  Weiterbestimmungen  der  allerabstraktesten  Grundbegriffe 
derRäumlichkei  t  undderDauer,  Werden  diese  durch 
die  willkührlichste  Selbstentmannung  dem  Erkennen  des  Rea- 
len abgeschnitten,  so  bleibt  schlechthin  ihm  Nichts  als  der 
nebulose  Widerspruch  eines  Nichtseinkönnens ,   und   doch 
SeinsoUens,  der  Erscheinung  zu  Gefallen.     Und   so  sehen 
wir  auch  Ff'ies  nachher  in  dem  Speciellern  seiner  Ideen- 
lehre (z.  B.  im  Begriffe  der  Ewi  gkeit,   welche   er  dem 
Ansich  der  menschlichen  Seele  vindicirt,    S.  216.  17.)  an 
dem  selbstaufhebenden   Thun  sich  abarbeiten,    einmal  die 
absolute   Realität    der  Dinge  an   sich   —    für  (ten 


Ton  Fries  Theorie.  359 

jGlaubeii  bewefaea  zu  woHen^  aber  tugleick  doch  wieder 
.ihre  absolute  Unvorsteilbarkeit,  —  die  Unmög- 
lichkeit, sich  von  ihnen  irgend  einen  BegrifiT  zu  machen, 
—  nachzuweisen ;  womit  es  über  alle  grossen  jund  etgont«- 
lich  entscheidendeh  Fragen  der  Menschheit,  nach  dem 
Wesen  Gottes,  nach  dem  Ansich,  der  Ewigkeit,  der  mensch- 
lichen Seele,  bei  dem  traurigen  Bekenntnisse  des  Nichtwis- 
sens und  Nichtwissenkönnens,  der  absoluten  Unzugäng- 
lichkeit für  den  Menschen  bleibt;  —  welches  wir  nun 
durch  Fries,  und  nach  ihm  in  unzähligen  Variationen  und 
Einkieidunjgen ,  sich  haben  wiederholen  sehen*). 

So  gilt  auch  geigen  Fries  mit  ganzer  Kraft ,  was 
überhaupt  gegen  den  subjektiven  Idealismus  Kants  und 
seine  Lehre  von  der  Erscheinung,  im  Gegensatz  mit 
dem  Dinge  an  sich,  eingewendet  worden.  Aber  in  der 
Widerlegung  seiner  Raum-  und  Zeittheorie  findet  auch  jener 
Idealismus  seine  Erledigung,  und  Fries  mit  den  Seinigen, 
weiche  hierin  das  gemeinschaftliche  Fundament  der  eigenen 
Lehre  haben  ,  sind  auf  jene  zurückzuverweisen.  Zugleich 
^  fallt  jedoch  mit  der  Widerlegung  der  negativ  idealistischen 
Resultate  Kants  auch  das  eigentliche  Bedürfniss,  wie  das 
Interesse,  seiner  Glaubens-  und  Ahnungsichre  da- 
hin: wäre  der  Kantische  Idealismus' wahr,  so  könnte  der 
Gedanke  einer  Ergänzung  des  Wissens  durch  den  Glauben, 
wie  sie  Fries  beabsichtigt,  wohl  nützlich  und  nothig  er- 
scheinen, um  der  durchgreifenden  idealistischen  Verneinung 
einen  Damm  entgegenzusetzen. 

Freilich  kann  man  selbst  jenes  heillose  Resultat  des 
Wissens  weder  abläugnen^  noch  widerlegen;  aber  getrost! 


*)  Wir  schalten  von  iiier  an,  mit  eiuigen  Veränderuttgen ,  dai- 
jenige  ein,  was  wir  in  einem  spätem  kritischen  Werke  („über 
Gegensatz  etc«'1832)  Aber  Fries  uml  seinen  Standpunkt 
gesagt  haben,  weil  wir  es  noch  immer  nicht  anders  su  sagen 
vermochten.  Doch  gerechtfertigt  erscheint  hier  die«e  Kritik 
durch  die  genaue  quellenmässige  DarstelJung  seiner  Theorie, 
welche  dem  damaligen  Zwecke  jene^  Werkes  fern  lag« 


300  BKstorbche  Geneds 

—  beweisen  wir,  dass  alles  Wissen  fiberiianpt  bloss  sobjä« 
ti ven  Schein  geVf ähre,  dass  es  Nichts,  als  eine  .menschli- 
che Vorstellungsart  sei;  zeigen  wir,  dass  es  untie- 
feres Bowusstsein  der  Wahrheit  in  uns  giebt,  welches  jenen 
Resultaten  widerspricht,  —  nennen  wir  es  Glanben  und 
Ahnung  — :  so  ist  jenem  Mangel  fär  immer  abgeholfen, 
die  ganze  Menschheit  ist  zum  ersten  Male  auf  rechte  Weise 
vom  Z^reifel  geheilt,  und  kehrt,  von  allen  erkünstelten  Theo- 
riecn  und  den  Misverständnissen  eines  trügerischen  Wissens, 
tu  der  ursprünglichen  Quelle  der  Wahrheit ,  zu  den  Ein- 
gt^bungon  des  unmittelbaren  Bewusstseins  zurück.  In  dieser 
Kunlokweisung  alles  Theoretisirens  über  die  höchsten  Wahr- 
kf  iton,  was  da  nur  zur  Skepsis  und  Yeriaugnung  derselben 
MKrt'^n  könne,  und  in  das  Hervorziehen  des  allgemein 
monschlichen  Glaubens  und  Fühlens  über  jene  Gegenstande, 
itt>txt  Fries  ausdrücklich  den  eigentlichen  Gewinn  und  die 
Wichtigkeit  seiner  Philosophie.  Ihr  Resultat  besteht  daher 
„in  der  Ueberordnung  des. Glaubens  über  die  Wis- 
senschaft. Die  Ideeu<'  (desselben)  „gehören  der  ewigen 
Wahrheit,  d.h.  in  ihnen  begibt  sich  die  Wissenschaft 
selbst  in  den  Dienst  des  Glaubens,  in  den  Dienst  des 
sittlichen  Selbstvertrauens.'^  —  „Der  Zweck  der  Phi- 
losophie geht  nicht  sowohl  auf  Erweiterung 
unseres  Wissens,  als  auf  Aufklärung  des 
Glaubens,  um  diesen  vom  Aberglauben  sowohl, 
als  den  falschen  Anmassungen  der  Wissen- 
schaft zn  befrei  en.<^*) 

Der  Inhalt  jener  Vergleichung  zwischen  den  Resulta- 
ten des  Wissens  und  des  Glaubens  ergibt  sich  nach  Fries 
nun  näher  folgender  Gestalt: 

1)  Das  Gesetz  der  Natur,  —  wodurch  die  Re- 
sultate des  Wissens  bezeichnet  werden  sollen ,  —  ist  mit 
dem  Gesetze  der  Idee  (dem  Inhalte  des  Glaubens)  im 
Widerstreite.  Die  N  a tur  (das  Resultat  des  Wissens)  zeigt 
Abhängigkeit  des  G  e  i  s  t  e  s  vom  Körper,  des  unendlichen 

*)  SytlMft  d«r  MeUphjsik  im  GrandrUs«;  J.4.  S.  5. 


von  Fries  Theorie»  ^1 

WieUgfaiizen  von  R  a  n  m  und  Zeil,  gegensei%d  I>epeBden8s 
der  Wesen  von  einander,  endlich  Abhängigkeit  vom 
Schicksale  überhaupt.  So  schiene  also,  —  was  an  die 
ihnlich^i  Jacobischen  Behauptungen  erinnert,  —  Ma- 
terialismus und  Fatalismus  auf  dieser  Seite  das 
nothwendige  Ergebniss  des  Wissens  zu  sein. 

2)  Die  Idee  (der  Glaube)  dagegen  behauptet  S  e  1  b  s  t*- 
ständigkeit  des  Geistigen  vom  Materiellen,  Vollen«- 
düng  des  unabhängigen  Weltalls ,  Freiheit  des  Geistes 
Ton  allen  fremden  Einflüssen,  und  statt  des  Schicksals  einen 
persönlichen,  mit  Weisheit  waltenden  Gott  Diesen  Wi- 
derstreit löst  nun  der  transscendentale  Idealismus ,  indem 
er,  nach  Kant's  Vorgange,  die  Naturgesetze  nur  als  Ge- 
setze der  sinnlichen  Auffassung  für  den  Men- 
schen nachweist;  —  daher  die  psychische  Anthropolo- 
gie, welche  diesen  Beweis  zu  fuhren  hat,  als  die  eigentli- 
che Grundlage  der  Philosophie  be;&eichnet  wird,  die,  jener 
beschränkten,  endlichen  Ansicht  gegenüber,  in  den  Ideen 
die  vollendete,  ewige  Wahrheit  der  Dinge  nachweist 

Um  die  Naturdinge  wissen  wir  daher;  aber  wir 
soOen  daran  nicht  glauben,  weil  diess  bloss  unsere,- eine 
menschliche  Vorstellungsart  des  Realen  ist  An  die  ewigen 
Ideen  glauben  wir,  |weil  in  ihnen  die  höhere,  jenseits 
des  Wissens  liegende  Wahrheit  sich  ausspricht :  die  Ideen- 
lehre ist  Glaubenslehre;  und  in  den  Gefühlen  des 
Schönen  und  Erhabenen  erkennt  die  Ahnung  die  ewigen 
Wahrheiten  auch  für  die  Naturersch'einungen  an. 
«Die  Ideen  des  Schönen  und  Erhabenen  sind  uns  die  Deu- 
terinnen des  Weltalls  nach  den  Gesetzen  der  ewigen  Güte, 
aus  der  es  entsprungen  ist** 

Dazu  noch  eine  'charakteristische  Erklärung.  Nachdem 
Fries  (System  der  Metaphysik,  S.  478.)  gezeigt 
hatte,  wie  die  Mannigfaltigkeit  der  Gesetze  und  Ursachen 
in  der  Idee  einer  absoluten  Ursache  der  Welt  und  einer 
nolhwendigen  Einheit  zusammenlaufen  müssen ,  fährt  er 
also  fort:  „So  bestimmt  sich  zunächst  auf  spekulative 
Weise  die  Idee  von  Gott     Wir  dürfen  aber  GoU  nidit 


302  ADgeadiier  Wefik 

jnr  ab  dea  ScUcksabordiier  oder  Geseta^ber  der  Natur' 
(schärfer  wohl  «nsgedruckt:  ^  als  das  absolute  Natur^peselz 
selbst)  yydenkeii,  sond^n^  —  (diess  ist  der  Wendepunkt)  — 
^wir  sollen  an  Gott,  als  den  lebendigen  Urheber 
alles  Lebens,  glauben,  nach  einer  Idee,  die  nicht  in 
Begriflen,  sondern  nur  in  den  Gelubien  der  religiösen  Ueber- 
-seugnng  lebt.     Denn   nur  die  Geisterwelt  in  ihrer  Selbst- 
^(tindigkeit  ist  uns  von  ewiger  Bedeutung.    Von  der  idealen 
Anflbssung  des  Menschenlebens  jnach  sitdichen  Ideen  aus- 
gehend, sucht  der  Gedanke  seine  Vollendung  in  der  Zu- 
aaaunenfassung  des  Ganzen  zur  Welteinheit ,  und  kann  in 
der  Idee  von  Gott  nur  den  höchstea  Geist  denken*, 
Calso  nun  doch  denken  I)   ,  welcher   der  ewige  Urheber 
aUes  Lebens  ist.^    Diese  SteUe,  im  Znsanunenhange  mit  den 
•vorhergehenden  Aussprächen,  lässt  über  den  letzten  Ab- 
.fichluss  der  Lehre  keinen  Zweifel  übrig:    das   naturalisti- 
ache  Resultat  des  Wissens  wird  nicht  als   an  sich  falsch 
and  aus  theoretischen  Gründen  widersprechend  verworfen ; 
viebnehr  wird    es  als   ein  nothwendtger ,   aber  unrealer 
Sehern  recht  eigentlich  bestätigt ;  aber  siegreich  erhebt  sich 
fiber  an  der  Glaube.    Warum  jedoch  siegreich?  Was 
berechtiget  ihn  zu  diesem  Stolze,  dieser  Erhebung  über 
das  Wissen?     Weil  er  durch  praktische  Gründe  ge- 
stützt wird ,  weil  die  sittlich-religiöse  Ansicht  vom  Leben 
in  sich  selbst  schon  die  Bewährung  ihrer  Wahrheit   trägt 
An  sich  zweirein  wir  nicht  daran;  doch' ist  damit  der  in- 
nere Widerstreit  im  Bewusstsein  nicht  geschlichtet,  viebnehr 
erst  recht  angefacht  und  für  unauflösbar  erklärt;   denn  ist 
das  frevelhaft-naturalistische  Wissen  im  Allgemeinen  auch 
niedergeschlagen,  so  droht  dem  Glauben  doch  immer  nocfa 
Gefahr  von  dem  sich  ermannenden  oder  mit  neuen  Waf- 
fen der  Theorie  gerüsteten  Gegner ;  und  keiner  von  beiden 
kann  sich  rühmen ,   den  Process  für  immer  gewonnen  zu 
haben,  —  ein  Verhältniss ,  dass  der  weitere  Forlgang  un- 
serer Kritik  nicht  mehr  aufhellen  wird. 

Es  ist  nun ,  wie  -schon  erinnert  worden ,  keinesweges 
unsere  Meinung,  jene  religiös  -  ästhetische  Glaubenslehre, 


von  Fries  Theorie«  36& 

Uirein  Inhalte  nach,  fOr  Irrig  m  halten,  oder  fai  Ihren  Be« 
Ziehungen  zur  Gegenwart  för  völlig  überflussig  und  un-» 
sweckmassig  zu  erklären.  Vielmehr  verdient  es,  aflge- 
mein  menschlich  beurtheilt,  immer  Beifall  und  Aner-* 
kennung,  wenn  man  vor  den  zerstörenden  Resultaten  mis- 
glückter,  oder  in  Halbheit  verharrender  Spekulation  zu  den 
unmittelbaren  Ueberzeugungen  des  Gemüths  zurfickfl^Achtel, 
und  auch  den  andern  von  ähnlicher  Verzweiflung  Ergriff 
fenen,  den  gleichen  Ausweg  anempfiehlt,  bis  etwa  die  Zeit 
«nbricht,  wo  auch  zwischen  Gemüth  und  Spekulation  die 
Versöhnung  gelingt.  Nur  kann  diese  ganze  Wendmig  nicht 
für  ein  philosophisches  Resultat  ausgegeben,  noch 
weniger  Ifir  die  höchste^  und  letzte  Vollendung  des  Bewussl^ 
Seins  in  sich  selbst  gehalten  werden.  *  Es  ist  —  um  unsere 
Meinung  über  Fries  kurz  auszusprechen  —  nur  ^in  sehr 
mangelhaftes  Philosophiren  aus  idealistischer  Reflexion,  was 
ihm  ßr  das  unvermeidliche  Resultat  alles  Wissens  gilt,  und 
was  ihn  dieses  so  verächtlich  zurückstossen  lässt.  Dess- 
4ialb  ist  seine  Ergänzung  durch  den  Glauben  auch  nur  ein 
persönliches  Hülfsmittel ,  dessen  Andere  weder  bedürfen, 
noch  es  ertragen;  es  ist  der  natürliche  Selbstheilungspro- 
cess  eine»  edlen  Geistes  von  den  Wunden,  welche  ihm  eine 
verfehlte  spekulative  Bildung  geschlagen ,  wie  diess  sogar 
grosse  Beistimmung  finden  musste  in  einer  Zeit,  die,  gleich 
ihm  selbst,  zwischen  Glauben  und  Reflexion  schwebend, 
vor  dem  Werke  der  letztem,  dem  Zweifel,  Schutz  sucht; 
und  so  lässt  es  sich  sehr  leicht  begreifen,  wie  er,  nament- 
lich unter  den  Theologen^  Anhänger  finden  konnte,  die, 
zwischen  den  Bibelglauben  und  eine  negative  Philosophie 
mitten  hineingestellt,  jenem  entwachsen,  wie  diese  scheuend, 
eine  solche  gereinigte  Glaubens-  und  Ahnungslehre 
höchst  willkommen  finden  mussten. 

Wird  sie  dagegen  nicht  menschlicher  Weise  oder  nach 
den  Bedürfnissen  einer  vorübergehenden  Bildung,  sondern 
allgemein  wissenschaftlich  beurtheilt;  so  findet  dann  freilich 
jener  über  dem  Abgrunde  des  Wissens  befestigte  Glaube 
einen  sdiweren  Stand.     Eines  von  Beiden  muss  weichen, 


364  Allgemeiner  Werth 

beide  m  einander  gesellt  heben  dch  auf.  Entweder  man 
bleibt  ganz  auf  dem  allgemein  menschlichen  Standpunkte, 
und  vertraut  dem  Bewusstsein  in  allen  seinen  Aus- 
saguen,  indem  man  es,  eben  als  solches,  als  ein  die 
Realität  Offenbarendes  fasst,  nach  Unten ,  eines  sinnlich 
Realen,  nach  Oben,  eines  übersinnlich  Realen,  Göttlichen; 
oder  man  behauptet  theoretisch  die  Subjektivität  alles 
B<ewusstseins  schlechthin.  Jenes  ist  der  Jacobi- 
sche, dieses  ist  der  Kantische  Standpunkt.  Zwischen 
beide  muss  allerdings  zur  Auflösung  dieses  Widerstreites 
die  entwickeltere  Spekulation  treten,  nicht  aber  um  einen 
bloss  partiellen  Frieden  zwischen  beiden  zu  schliessen,  in- 
dem man  jedem  von  beiden  nur  halb  Recht  giebt :  die  J  a- 
co bische  Ansicht  fom  Bewusstsein  wird  vielmehr  speku- 
lativ bestätigt  und  begründet,  der  Kantische  Subjektivis- 
mus dagegen,  als  bloss  negativer  Durchgangspunkt  in  der 
Entwicklung  des  Wissens,  völlig  aufgehoben  und  widerlegt. 

Anders  macht  es  Fries,  der  sich  gleichfalls  zwischen 
Beide  gestellt  hat :  er  nimmt  von  jedem  der  beiden  Gegen- 
sätze die  Hälfte,  und  stellt  so  äusserlich  eine  über  die  an- 
dere. Das  Wissen,  d.  h.  das  sinnliche  Vorstellen  und  das 
nach  den  Kategorieen  einhergehende  Denken  (Sinnlichkeit 
und  Verstand),  wird  mit  Kant  zu  einem  Subjektiven 
gemacht,  und  für  eine  bloss  menschliche  Vorstellungsart 
erklärt:  dagegen  soll  das  ursprungliche  Bewusstsein  des 
Ewigen  in  uns,  der  Jaco bische  Vernunllglaube ,  als  das 
allein  reale,  allem  Wissen  und  Denken  übergeordnet 
werden :  diesem  sollen  wir  vertrauen,  jenem  nicht !  Damit 
wird  ab^  der  Widerstreit,  der  an  sich  schon  zwischen 
den  Lehren  Kant 's  und  Jacobi's  waltete,  und  der,  wie 
wir  nachgewiesen,  diesen  gerade  zur  innern  Ergänzung  und 
zum  berichtigenden  Complement  für  jenen  machte ,  durch 
solches  äusscrliche  Pflanzen  des  Einen  auf  den  Andern  nur 
desto  sichtbarer,  und  die  geheime  Reibung  muss  zuletzt 
auch  nach  Aussen  in  Flammen  schlagen. 

Zuerst  nämlich  macht  jener  Niederschlag  des  Wissens 
zu  einer  bloss    menschlichen    Vorsteliungsart  auch   den 


von  Fries  Theorie.  365 

Glauben,  der  ja  demselben  Bewusstsein  angehört,  nur  all-- 
zusehr  des  gleichen  Hangels  verdächtig,  je  mehr  dieser 
an  sich  schon  als  schwankender,  ungewisser,  kurz  s üb* 
jektiver  sich  ankündigt,  denn  das  Wissen.  Istdiessnur 
menschliche  Torstellungsart,  irriger  Schein,  warum  soll  man 
Glaube  und  Ahnung  weniger  dalur  halten?  Völlig  will^- 
kührlich  glaubt  Ihr  Euerm  Glauben,  mistraut  aber  dem 
Wissen:  woher  doch  das  Recht  zu  solcher  Halbheit?  Weil 
die  Resultate,  die  Euer  Wissen  gefunden,  negativ  und 
unerfreulich  lauten,  so  soll  alle  Wissenschaft  eitel,  ja  das 
Wissen  selbst  in  der  Wurzel  nichtig  sein  ?  Freilich  haben 
wir  schon  zugegeben ,  dass  auch  diese  Lehre  Euch  tradi- 
tionell ist:  es  kehrt  darin  nur  die  alte  Jacob ische  Be- 
hauptung von  dem  nothwendigen  Widerstreite*  zwischen 
Spekulation  und  Glauben  zurück;  aber  nicht  diese  ist's, 
welche  Jacobi's  grosser  Entdeckung  ihren  Werlh  giebt, 
welche  vielmehr  sie  verkürzt  und  missleitet  hat  —  Der 
Zweifel  ronsste  entweder  völlig  durchgeführt ,  oder  ganz 
davon  abgestanden  werden.  Diess  ist  das  Verharren  im 
natüriichen  Bewusstsein,  jenes  der  Eingang  in  die  eigent- 
lichct  Spekulation.  Der  einfach  unverkünstelte  Sinn  fasst 
vertrauensvoll  die  Welt,  wie  sie  sich  ihm  darbietet ,  ja  er 
versteht  nicht  einmal  jenen  künstlichen  Zustand  zweifelnder 
Reflexion;  er  ruht  zuversichtlich  in  seinem  Wissen,  und 
verschliesst  sich  nicht  dem  Glauben;  er  ist  ganz  und  mit 
ungetheiltem  Geiste  sich  gegenwärtig.  Aber  das  Bedürfniss 
der  Philosophie,  wie  ihr  Begriff,  setzt  schon  voraus,  dass 
die  ursprüngliche  Harmonie  zwischen  uns  und  der  Welt 
getrübt  sei ,  dass  überhaupt  der  Zweifel  Wurzel  gefassl 
habe. 

Soll  nun  hieraus  die  höhere ,  spekulative  Harmo- 
nie sich  wiederherstellen,  so  bedarf  es,  den  Zweifel  voll- 
standig  and  in  ganzer  Kraft  gegen  Wissen  wie  Glau- 
ben zu  richten.  Alles  zu  zersetzen,  uni  es  neu  und  erprobt 
durch  jenes  Läuterungsfeuer  zurückzuempfangen^  und  diess 
ist  der  grosse  Process  des  Denkens ,  der,  durch  die  Jahr- 
hunderte sieb  hinziehend,  und  verschieden  geschlichtet,  uns 


3ti6  Allgemeiner  Werth 

JetEl  in  seiner  nmfft^sendsten  Gestalt  zm  Lösungr  Torliegi 
Jenepaaren  ohne  gehörige  Untersuchung  Zweifel  und  G!au* 
ben,  statt  Einem  derselben  ganz  anzuhangen,  und  gerathen 
dadurch  in  einen  beidlebigen  Zustand  so  seltsamer  Art,  dass 
sie  sich  mit  dem  natürlichen  Bewusstsein  völlig  entzweien^ 
ohne  eigentlich  einen  spekulativen  Schadenersatz  dafür  ztH 
rfickzuempfangen.  Denn  wie  fem  ist  Fries  davon  ge* 
blieben ,  das  Princip  des  Zweifels  in  ganzer  Konsequent 
und  Härte  vor  sich  auszusprechen  I  Es  liegt  überhaupt  im 
Widerspruche  des  Gedankens  eines  Realen  ausser  dem 
Bewusstsein.  Indem  ich  davon  weiss  ^  und  sein  Sein  be- 
haupte, ist  es  viehnehr  in  mir,  nicht  ausser  mir.  Und 
ob  überhaupt  diess  Ausser  mir  dem  In  mir  je  entqpre* 
che,  wie  diess  ganze  Verhältniss  zu  denken ,  diess  ist  die 
entscheidende  Frage,  welche  im  Zusammenhange  wissen- 
schaftlicher Philosophie  nothwendig  die  erste  bleibt ,  die 
«berso  lange  nicht  umfassend  gelöst  ist,  als  man  bei  den 
widerstreitenden  Halbheiten  eines  Wissens  und  Glaub^is 
stehen  bleibt. 

Aber  steht  denn  auch  Euer  Glaube  in  der  Tbat  so 
erhaben  da  über  allen  Formen  des  Wissens  und  Denkens? 
Versieht  uns  wohl !  Jene  „  Ideen  **  der  religiösen  Wdtan- 
sicht,  wenn  es  mit  denselben  nicht  beim  blossen  Worte»^ 
bei  der  unverständlichen  Behauptung  bleiben  soll,  müssen 
auf  eine  bestimmte  Weise  gefasst,  als  Gedanken  von  andern 
unterschieden,  d.  h.  gedacht  werden.  Ihr  denkt  sie  also 
nicht  minder  in  den  Vers tandeskategorieen,  und 
könnt  gar  nicht  anders,  wenn  Ihr  überhaupt  nur  von  ihnen 
reden  wollt.  Vorher  aber  habt  Ihr  die  Kategorieen  und 
alle  nach  ihnen  bestimmten  Begriffe  bezeichnet,  als  nur  der 
Sphäre  des  menschlichen  Vorstellens  angehörend,  k^nes- 
weges  aber  fähig  zur  Auffassung  der  I  d  e  0  n,  welche  eben 
darum  die  höhere,  wahrhafte  Realität  enthalten»    • 

Aber  Ihr  bestimmt,  denkt  doch  auch  diese,  wodurch 
sie  nach  Eurer  Lehre  unmittelbar  in  die  unreale  Vorstel- 
lungswelt hinabgezogen  werden,  d.h.  aufhörep,  Ideen 
zu  sein.     Und  —  sehen  wir  recht ,  so  sind  diese  Ideen 


von  Prioff  Theorie.  387 

selbst  insgesammt  nur  Produkt  einer  vergleichenden  (te^ 
flektirendcn)  Vcrstandesthaligkeit ;  sie  sind  rein  antithe- 
tischer Form,  also  nur  verstandlich  an  und  durch 
ihren  Gegensatz^  welcher  eben  die  bloss  menschliche  Von- 
stellungsweise enthalten  soll:  Der  Geist  ist  nicht  abhän- 
gig von  Raum  und  Zeit ,  sondern  frei  von  den  materieDen 
Beziehungen ;  die  Weltwesen  dependiren  nicht  von  einan- 
der und  zuletzt  von  einem  blinden  Weltgesetze ,  sondern 
es  existirl  wahrhafte  Selbstbestimnning  und  ein  weise  wal- 
tender Gott  I  Wer  sieht  nicht,  dass  diess  bloss  Reflexions- 
bestimmungen sind,  die  mit  ihren  Gegensätzen  durebans 
derselben  Sphäre  des  Erkennens  angehören,  wo,  wenn 
der  Eine  Gegensatz  als  unreal  verworfen  wird,  der  andere 
mit  ihm  unwiederbringlich  verloren  ist. 

Zudem  bedarf  es  darüber  kaum  einer spedellemNack- 
weisong;  KanI  selbst  rede  für  ins:  es  begegnen  uns 
hier  ja  eigentlich  nur  die  bekannten  Antinomieen  aus  deor 
Kritik  der  reinen  Vernunft,  von  denen  die  einen,  irreligiös 
seren  Inhalts ,  zu  einer  bloss  menschlichen  VorsteilungsM 
niedergeschlagen  werden,  während  die  andern,  wiewohl 
sie  nur  im  Gegensatze  mit  jenen  existiren,  unter  dem  vor«* 
nehmem  Namen  von  Ideen,  einer  hohem,  religiös- 
ästhetischen Weltansicht  angehören  sollen.  Ist  aber 
das  Gebiet,  welchem  ihr  Gegensatz  angehörte,  nichtig,  so 
fallen  sie  selbst  der  gleichen  Nichtigkeit  anheim;  denn  wir 
finden  in  diesen,  wie  in  jenen,  nur  zwei  zusammengehörende 
Hüften.  Das  ganze  Princip  duldet  keine  Halbheit  und  In«- 
konsequenz:  man  muss  den  Subjektivismus  völlig  durch«- 
fuhren ,  bis  zum  Widerspruche ,  md  damit  zur  Negatioii 
seiner  selbst.      ' 

J  a  c  0  b  i  indess  trifk  dieser  Vorwurf  nicht ;  sein  Stan ^^ 
punht  fSUt  eigentlich  vor  und  ausserhalb  der reflekti- 
renden  Bewegiii^ :  er  ist  Zeugniss  des  Be^^üsstseins  von 
sich  selbst,  reinster,  unbefangenster  Ausdruck  seiner  innem 
Gewissheit.  Auch  Kant  trifft  er  eigentlich  nicht:  er  hat 
die  spekulative  Anregung  der  Reflexion  begonnen,  wenn 
auch  nicht  vollendet;  und  blosse NichtvoUendung  darfKei« 


368  Uebergang  za  Fr.  Bont^weck. 

nem  ran  Vorwmfe  gereichen.  Fries  dagegen  steht  mit 
Einem  Fnsse  in  der  Reflexion,  mit  dem  andern  in  dem  all- 
gemein menschlichen  Bewusstsein;  mid  diess  soll  ihm  den 
Schaden  ersetzen,  den  jene  ihm  zugefugt,  —  wissen- 
schaftlich beurtheilt,  ein  unmögliches  Begehren  1  Al- 
les wird  sabjektiv,  Glaube  wie  Wissen^  wenn 
man  das  unmittelbare  Bewusstsein,  die  Ba« 
sis  und  den  Entwicklungspunkt  alles  Erken-^ 
nens,  sich  idealistisch  zersetzt  hat:  wasdem- 
nach  als  das  letzte  Resultat  dieses  Stand- 
punktes festzuhalten  ist 


Keiner  hat  die  hier  nothwendig  zurückbleibende  ab- 
solute Negativitat  direkt  wie  indirekt  schärfer  in's  Lieht 
gestellt,  als  Friedrich  Bouterweck,  dessen  Philoso- 
phie demnach  iur  die  Krisis  und  Reife  jener  ausseriich 
versuchten  Vermittlung  zwischen  Kant  und  Jacob i  an- 
zusehen ist.  Schon  seiner  altem ,  von  ihm  selbst  zurück- 
genommenen Apodiktik*)  lag  der  bedeutende  Gedanke 
zu  Grande,  welchei^nur  durch  die  Form  und  V^bindung, 
in  die  er  gehüllt  war,  gleich  einem  verschütteten  Samen- 
kome,  nicht  zum  Aufkeimen  gebracht  werden  konnte:  — 
das;»  allem  Bewusstsein,  als  Empfindung,  Denken  u.  s.w., 
ein  Sein  ursprünglich  zu  Grunde  liege ,  welches  Jiicfat 
erst  durch  Reflexion  erschlossen  werde,  sondern  unmittel- 
bn  mit  ihm  gesetzt  sei,  weil  das  Bewusstsein  selbst  nur 
•durch  seine  Grundbeziehung  auf  dasselbe  und  uiter  Vor- 
«ussetznng  desselben  möglich  seL 

Er  drückte  diess  Verhältniss  damals  in  der  Form  eines 
Gegensatzes  ans,  den  wir  auf  ähnliche  Weise  auch  in  sei- 
nem letzten  Werke  werden  zurückkehren  sehen :  entweder 
#ei  alles  Sein  ein  bloss  emgebildißtes ,   oder  es  müsse  eia 


*)  Idee  einer  allgemeinen  Apodiktik;  II  Thle.  Qöt- 
tingen  1799. 


Seine  Idee  einer  Apodiktik.  360 

absohiles  Erkenntnissvermögen  (ein  urßprflnglichef 
ßewusstsein  Jenes  Seins)  geben,-  welches  selbst  dem  Den* 
ken  zu  Grunde  liegt,  und  durch  welches  das  Sein  «apo- 
diktisch^  gefunden  wird.    Die  Sache  an  sich,  d^r  Be- 
griff einer  Immanenz  des  Seins  im  Bewusstsein  und  umge- 
kehrt ,    der  ursprünglichen  Einheit  des  Subjektiven  und 
Objektiven ,  ist   ohne  Zweifel  der  wahre ;   aber  er  bleibt 
in  dieser  Fassung  unfruchtbar  und  wirkungslos,  weil  er  an 
der  Reflexion  sich  nicht  durchgeführt,  und  der  Zweifel  an 
der  Realität  des  Seins  sich  vorh^  nicht  bis  zum  Momente 
des  Widerspruches  mit  sich  selbst  fortgetrieben  hat,  wo- 
durch das  von  Beut  erweck  nur  Vorangestellte  und  Vor- 
ausgesetzte hier  nicht  als  Resultat  des  dialektischen  Beweise« 
herrorspringt ,  und  den  Zweifel  hinter  sich  und  überwun- 
den hat.    In  diesem  Zusammenhange  bleibt  es  nichts  mehr 
als  eine  Annahme  oder  Hypothese,  und  so  fiel  B outer- 
weck der  Form  nach  mit  seinem  ursprünglichen  Bewusst- 
sein des  Seins  allerdings  in  eine  Art  von  Dogmatismus  zu- 
rück, der  von  Kant,  noch  mehr  aber  von  F  i  c  h  t  e,  schon  vol. 
lig  beseitigt  war.  (Vgl.  dess.  Leben  u.  Briefwechsel  II.  S.  308.) 
Die  spätere  Umgestaltung  seines  Systemes  hat  er  am 
Befriedigendsten  niedergelegt  in  seiner  letzten  und  reifsten 
Schrift:  die  Religion  der  Vernunft  (Götting.  1824), 
einem  bedeutenden  Geschenk  lur  Viele  unserer  philosophi- 
schen Zeitgenossen ,    um  sie  zum  Selbstverständniss  über 
jenes  Princip  zu  bringen,  was  aber^  so  viel  uns  bekannt, 
bei  Niemand  sonderliche  Frucht  getragen.    Er  zeigt  darin 
mit  der  höchsten  Klarheit  *) ,   woran  freilich  nochmals  zu 
erinnern  nötfaig  war,  seitdem  man  die  ersten  Nachweisun- 
gen Kants  und   der  Wissenschaftslehre   darüber  verges- 
sen:  dass,  nachdem  die  lleflexion  einmal  die  Vorstellung 
dem  Vorgestellten  entgegengesetzt  hat,  wie  bei  erwachen-' 
dem  Selbstbewusstsein  unvermeidlich  ist,   damit  auch  der 
ZiW^el  hervortritt  an  der  Realität  des  Vorgestellten.    Man 


*)  ,,Z  w  e  i  I  e  Abhandlung:  die  Wissenichafl  und  der  QUab« 
iu  Bfaiehtuog  auf  di«  ReUgioB.<<    S    72»  if. 

24 


370  Doulerwucks 

Will  Ober  die  Vorstellung  hinaus,  in  die  Sache  selbst :  aber 
diess  ist  eben  der  Widerspruch ;  denn  indem  ich  die  Sache 
XU  ergfTciien  glaube ,  fasse  ich  immer  nur  meine  Vorstel- 
lung von  ihr,  als  das  stets  Dazwischentretende.  Es  ist  der 
alte  Satz,  der  seit  der  Wissenschaftslehre  allgemein  bekannt 
und  geläufig  sein  sollte:  dass  das  Bewusstsein  in 
allem  Wissen  und  Vorstellen  unmittelbar  nur 
seinen  eignen  Zustand  gewahr  wird.  Und  wenn 
man  die  Vorstellungen,  welche  von  dem  Gefühle  der  Noth- 
wendigkeit  begleitet  sind,  als  die  objektiven  bezeich- 
net ;  so  sind  wir  selbst  mit  diesen  nicht  fiber  die  Schranken 
unseres  Bewusstseins  hinaus.  Wahr  oder  objektiv 
heisst  eigentlich:  „was  wir  auf  eine  gewisse  Art 
vorstellen  mtissen,  weil  wir  nun  einmal  Menschen 
sind^  (S.  73.).  Hieraus  entsteht  unbedingter  Skepticismns: 
man  kann  nicht  wissen,  ob  nicht  unser  ganzes  vorgebliches 
Erkennen  blosse  Selbsttäuschung  sei,  in  der  wir  uns  Man- 
ches als  zufllHg,  Manches  als  nothwendig  vorstellen,  was 
der  Fluss  der  Vorstellung  nach  inneren  Gesetzen  mit  sich 
bringt.  Dazu  wird  S.  Maimoji  angeführt  und  mit  Recht 
behauptet,  auch  die  Kantische  Philosophie  ende  darin, 
als  in  ihrer  höchsten  Konsequenz. 

Dieser  durchgeltihrten  Reflexion  stellt  er  nun  den 
„Glauben*  im  allgemeinsten  Sinne  entgegen,  ihn  bezeich- 
nend als  das  unmittelbare  (also  nicht  weiter  begründete) 
Vertrauen  auf  unser  Wissen.  Glaube  ist  der  Zustand 
6es  Geistes ,  in  welchem  der  Zweifel  entweder  ganz  nie- 
dergeschlagen oder  wenigstens  zum  Theil  aufgehoben  ist 
durch  die  Anhänglichkeit  des  Geistes  an  eine 
bestimmte  Vorstellung.  (A.a.O.  S.  77.)  —  Freilich 
meint  Bouterweck  damit  einen  schon  durch  Reflexion 
hindurchgegangenen,  und  von  ihr  getrübten  Zustand,  nicht 
das  reine ,  unbefangene ,  wie  unwillkürliche  Vertrauen  in 
unser  Bewusstsein ,  feu  v^lchem  selbst  der  entschiedenste 
Skeptiker  im  Leben  zurückkehrt,  wiewohl  es  (vorerst  noch) 
d»s  absolut  unphilosophische  ist.  Bezeichnender  w«re  da- 
her ,    was  er  sogleich  darauf  hinzufügt ,    dass  der  Glaube 


Religion  der  Vernunft.  371 

(in  dem  Sinne  jenes  nnmittelbaren  Vertrauens)  selbst  E 1  e« 
m  e  n  t  alles  Wissens  sei ,  dass  er  sogar  dem  sinnlichen 
Vorstellen  zu  Grunde  liege ;  (S.  84.  oder  nach  J  a  c  o  b  i  's 
Worten :  dass  wir  ohne  Glauben  nicht  zu  Tisch  und  Bette 
kommen  können.) 

Was  er  (in  der  ^dritten  Erklärung«)  über  den  Begriff 
der  Vemunfl  hinzufügt,  ist  das  Bedeutendste,  mfisste  jedoch^ 
da  es  eigentlich  nur  assertorisch  behauptet ,    nicht  aber 
entwickelt  ist  aus  dem  Gesammtorganismus  des  Bewusst- 
Seins,  noch  mancherlei  Berichtigung  erfahren,  um  für  wis- 
sensebalUiche  Theorie  gelten  zu  können.    Die  Vernunft  ist 
nach  ihm  zuerst  innerer  Sinn,  ein  Vermögen  unmittel-* 
barer  Erkenntniss ,  wie  der  äussere ;   daher  auch  dieselbe 
„Passivität^  in  jener,  wie  in  diesem.  „Je mehr  Sinn, 
in  dieser  hohem  Bedeutung  des  Wortes ,  desto  mehr  Ver- 
nunft ist  im  Menschen.<<  —  So  d  a  n  n,  sagt  er,  nimmt  die 
Vernunft -Thätigkeit  das  Mannigfaltige  der  Vorstellun-* 
gen  in  die  Einheit  des  Bewusstseins  auf;  bildet  Allgemein«« 
begriffe ,  daraus  Schlösse.     Diese  Schlüsse  gehören  selbst 
aber  unter  die  Vorstellungen;   daher  sind   sie  an   sich 
weder  wahr,  noch  falsch,  ausser  insofern  man  sie  auf  die 
wirklichen  Anfangspunkte  des  Bewusstseins ,  die  Anschau* 
ungen  ,  auf  intuitives  Erkennen  zurückführt.    Vertraut 
man  aber  allein  den  Schlüssen,  und  giebt  sich  der  Mei^ 
nung  hin ,   dass  die  demonstrative  Erkenntniss  über 
die  intuitive  erhaben  sei,  oder  ohne  diese  bestehen  könne ; 
so  erzeugt  diess   den  logischen  Aberglauben,   aa 
welchem  auch  die  meisten  neudogmatischen  Systeme  kran- 
ken.     Man  kann  nicht    aus    blossen   Begriffen    ein  Er- 
kenntniss objekt  erwerben.    Richtig,  so  wie  dieser  Sata& 
auch  das   wahre  und  bleibende  Resultat  der  Kanti  sehen 
Philosophie  ist!   —  Aber  mit  dieser  Abweisung  ist  nodi 
Nichts  geleistet  für  die  Bestimmung  des  Wesens  der  Ver- 
nunft und  für  Sicherung  ihrer  Realität,  vielmehr  wird  diese 
dadurch  nur  noch  dringender  gemacht. 

Und  damit  wenden  wir  uns  zur  „dritten  Erklärung^ 
der  Vernunft  nach  Boutcrweck,  zum  entscheidenden 


372  .  Boulerwecks 

Punkte.    Sie  ist  nämlich  auch  noch  Quelle  eigenthüotlicher 
Erkenntnisse,  unmittelbarer  Vorstellungen,  durch  welche  sie 
sich  eben  so  sehr  über  die  aus  sinnlicher  Anschauunff  tnt- 
springenden Vorstellungen,  als  über  die  Yerstandcsb^riffe 
erhebt.     Es  sind  die  Ideen  (S.  106.)-     Hierüber,   setzt 
er  hinzu,  sei  die  Philosophie  noch  am  Wenigsten  im  Kla* 
reo,  und  es  sei  auch  nicht  zu  erwarten,   dass  auf  dieser 
aussersten  Höhe  der  Selbsterkenntniss  die  Missverständnisse 
sobald  sich  vermindern  würden.  —  Und  doch  ist,  meinen 
wir ,   diese  Selbsterkenntniss   (Selbst beobachtttng)an 
sich  nicht  das  schwerste  Geschäft  der  Philosophie:  es  be- 
darf dazu  nur  einer  richtigen  Methode,  und  besonders  des 
Abstreifens  aller   wissenschaftlichen  und  sonstigen  Vomr- 
theile,  die  nirgends  reichlicher  gewuchert  haben ,  als  bier. 
Man  muss  sich  nur  getrauen ,    wirklich  finden  zu  wollen, 
was  in  der  Ursprunglichkeit  des  Bowiisstseins  liegt ,  nicht 
weniger,   dem  Dünkel  gewöhnlicher  Begriffsweisheit  zu 
Liebe,  aber  auch  nicht  mehr,  um  irgend  welchen  Lieb* 
lingsmeinungen  Vorschub  zu  thun. 

Die  erste  dieser  Ideen  sei  die  des  Absoluten,  fahrt 
er  fort,  erhaben  über  alle  andere  Vorstellungen:  Kant 
habe  diese,  wie  andere  Ideen,  nur  zum  logischen  Regu- 
lativ j^emacbt,  ihnen  also  ihre  objektive  Realität  abgespro- 
chen ,  wodurch  sich  das  ganze  System  des  menschlichen 
Wissens  in  ein  bloss  logisches  Vorstellun  gsge- 
webe  verwandle;  was  eben  Resultat  der  ganzen  kriti- 
schen Philosophie  sei.  ^Denn  alle  Wirklichkeit  wird  iu^ 
uns  zur  blossen  Voi'stellung ,  wenn  wir  uns  das  Absolute 
nur  als  Vorstellung,  wenngleich  als  Vernunft-Vor- 
Stellung  denken«   (S.  1 09.). 

Aber  welch  ein  Mittel  weiss  er  selber  gegen  diese  Ver- 
flüchtigung aller  Realität;  auf  welchen  Angelpunkt  will  er 
das  ungehenere  Gewicht  aller  spekulativen  Gewissheit 
stützen?  Auch  hier  ist  es  einzig  nur  wieder  der  Glaube 
an  die  Vernunft  (S.  110«),  durch  welchen  er  die  Realität 
der  Idee  des- Absoluten  zu  retten  vermag,  ohne  wel- 
phen  jedoch  auch  sie  sich    immer  wieder  in 


Religion  <ler  Vernunft.  373 

eiii  nur  subjektiv  nothwendigfes  Vorstellen 
verwandelt.  Und  hiermit  sind  wir  auf  den  Gipfel  die- 
ser Theorie  gelangt,  —  ein  Gipfel,  der  in  anderm  Sinne 
wieder  ihr  Wendepunkt  wird,  auf  welchem  sie  sich  überstürzt. 

^ener  Glaube  nämlich  ist,  eben  als  solcher,  ein  un- 
mittelbarer ,  ungerechtfertigter :  er  hat  nur  sich  s  e  I  b  s  ty 
keinesweges  aber  Gründe  für  sich  anzuführen;  freilich 
darf  er  seiner  intensiven  Kraft  vertrauen,  und  menschlicher 
Weise  hat  man  nicht  nöthig,  bange^u  sein  um  sein  Fort- 
bestehen. So  steht  er  aber  in  seiner  Unmittelbarkeit  noth- 
wendig  unter  der  Reflexion,  als  dem  entwickeitern 
Bewusstsein,  welches  allerdings  Gründe  für  sich  hat,  und 
einen  Reweis  führt  von  der  allgemeinen  Ungewissheit  aller 
Erkenntniss.  Mögen  wir  auch  nicht  glauben  an  die  Wahr^ 
heit  jener  Gründe ,  so  können  wir  sie  doch  nicht  durch 
blossen  Glauben  widerlegen;  und  diess  eigentlich  ist  der 
Charakter  jenes  Standpunkts :  es  ist  ein  unaufhörlichea 
Schwanken  und  Ringen  zwischen  Glaube  und  Reflexion, 
ein  wechselndes  Trauen  und  Zweifeln  ,  ein  Rejahen  ,  das 
stets  in  Verneinung  sich  zu  wandeln  droht ,  eine  Vernei- 
nung, die  zum  Glauben  zurückflücht^ ,  und  wer  von  bei- 
den letztlich  den  Sieg  behält,  da  keiner  in  so  nnvoUende-« 
tem  Zustande  und  undurchgekämpfter  Sache  mit  Ehtschic- 
denheit  ihn  in  Anspruch  nehmen  kann,  {hängt  von  gann 
persönlichen  Zustanden  oder  Neigungen  ah.  Der  kräftigere 
Charakter,  wie  Uume,  Kant,  Fichte  in  seiner  ersten 
Periode  —  (sie  kannten  nämlich  jenen  Glauben ,  als  die 
notbwendige  Gegenseite  der  vernichtenden  Reflexion,  so 
gut,  wie  Jacob!  und  Routerweck ;) —  wird  das  spe- 
kulativ auf  jeden  Fall  höher  stehende  Recht  der  Refle^ 
xion  geltend  machen ,  eben  weil  es  ein  philosophischer 
Standpunkt  ist:  schwächere  Individitalitäten  werden,  sich 
aus  Bedurihiss  das  Recht  des  Glaubens  nicht  nelimen  lassen» 

Und  diesen  unausgefochtenen  Kampf  zwischen  deii 
beiden  Mächten  des  Bewusstseins  zeigt  nun  das  B  out  er- 
weck *sche  Werk  in  seinen  folgenden  Theilen.  Bei  allen 
böhem  Ideen  —  der  Gottheit,  der  Freiheit  und  Unsterb- 


374  VerbreUung  mid  YieigestaUIgkeit 

* 

lichkeit  —  wird  Glaube  und  Reflexion  in  ihrem  Widerstreite 
gegen  einander  gehalten,  überall  aber  zuletzt  durch  einen 
Machtspruch  zu  Gunsten  des  Glaubens  entschieden. 
Der  Verfasser  legt  der  Reflexion  Stillschweigen  auf,  indem 
er  die  vernichtende  Oede  schildert,  welche  sie  übrig Jässt; 
sie  schweigt  jetzt  wiridich,  überwältigt  von  der  Stimme 
allgemein  menschlicher  Wahrheit,  um  im  nächsten  Augen- 
blicke desto  kralliger  mit  ihren  philosophischen  Rechten  wie- 
der hervorzutreten ;  und  in  dieser  unaufgelossten  Dtssonaoz, 
die  indess  der  eben  so  scharfe,  als  redliche  Denker 
sich  selbst  nicht  verhehlte,  endet  sein  Werk. 


Dennoch  dürfen  wir  Pries  noch  immer  als  den  Mas- 
sischeti  Autor   dieser  vielverzweigten  Zwischenepoche  be- 
trachten :   alle  Fragen  derselben  sind   von   ihm    mit   Voll- 
ständigkeit, Ordnung  und  Klarheit  ausgeführt  worden,  und 
überhaupt  lassen  sich  unter  die  allgemeinen  Gesichtspunkte 
d^s  Wissens,  Glaubens  und  Ahnen s  viele  Zwischen« 
bestimmungen  hineinschieben ;  viele  bis  auf  das  Persönliche 
hejpab  schattirte  Nuancen  können  sich  darin  neben  einan- 
der stellen,  so  dass  dem  Individuellsten  und  dessen  Befrie- 
digung, als  dennoch  einer  philosophischen,  Raum  gegeben 
wird.    Denn  der  Grund  der  Entscheidung  ist  hier  ein  ganx 
psychologischer  oder  subjekUver:  der  Grad  der  Lebendig- 
keit, mit  welcher  die  Reflexion  und  der  Zweifel,  oder  das 
unvermittelte  Bewusstsein  und  der  Glaube,  den  Geist  zuerst 
ergreifen ,  das  subjektive  Vertrauen  auf  die  eine  oder  die 
andere  Macht:  diess  Alles  ist  durchaus  abhängig  von  per- 
sönlichen Meinungen,  Bildungsvoraussetzungen,  Erfahrun- 
gen ,  es  kann  sogar  wechseln  innerhalb  der  eigenen  per- 
sönlichen   Fortbildung;    und    so  haben    wir    auf  diesem 
achwankenden  Boden  psychologischer  Standpunkte  bei  mehr 
als   Einem  Philosophen  und  Theologen  aus  diesem  Kreise 
Metamorphosen  erlebt,  deren,  unter  den  Thcologrn  nament- 
lich von   der   Nuance   der   Anhänger  Priesens   bis  70 
denen  Schleie rmachcrs   hinüber,   nicht  Wenige  und 
sehr  Ausgezeiclmete  sind ,  als  deren  sp^ulatives  Protokoll 


diCfies  PrioQipQb  375 

und  theoretisches  Selbstbekcnntoiss ,  warum  hier  nicht  zm 
objektiven  Ruhe  zu  konimen,  das  obige  Bouterweck  sehe 
Werk  beiracbiet  werden  kann« 

Ueberbaupi  aber  wäre  denen,  welche  nicht  ablassen, 
in  ^Selbstbeobachtung  und  Psychologie  den  festen  Grund 
der  Wahrheit  finden  zu  wollen ,  die  einfache  Erinnerung 
entgegenzustellen,  dass  der  Mensch,  welchen  sie  beob- 
achten, und  auf  dessen  vermein  Hiebe  Urthatsächlichkeiten 
sie  den  unerschütterlichen  Grund  der  Philosophie  legen, 
aicbts  weniger  als  der  absolute,  ganze,  aufsein  ursprung- 
liches geistiges  Niveau  zurückversetzte  ist:  es  sind,  wie 
wir  an  Jacob i  und  Fries  gezeigt  haben,  nur  die  wie- 
der halbbewusstlos  gewordenen  Bildungsvoraussetzungen, 
welche  das  achtzehnte  und  neunzehnte  Jahrhundert  in  uns 
bervorgebracht^  und  die  wir  nun  iur  Urwuchs  und  mensch- 
lich Autochthonisches  halten.  Mit  unserer  Theorie  von  . 
Wissen,  Glauben  und  Ahnen,  Vernunflglauben  u.  dgl.,  würden 
wir  kaum  die  Gränzen  von  Europa  überschreiten  können. 

Desshalb  ist  es  auch  höchst  schj^iorig,  ein  durchgrei- 
fendes Einiheilungsprincip  für  die  Möglichkeit  dieser  phi- 
los(^faischen  Formen  aufzustellen.  Das  Nachfolgende  ist 
nur  als  ein  Versueh  eines  solchen  bcgriffsmässigen  Ver- 
ständnisses zu  betrachten,  wobei  es  leicht  geschehen  kann, 
dass  in  dem  Gedränge  der  Erscheinungen  viele  Eigenthüni- 
lichkeiten  uns  entgangen,  manche  Zwischenlarbungen  fakcb 
j^efaast  worden  sind,  während  diess  einer  nur  die  Haupt- 
slandpunkte der  Philosophie  charaktcrisirenden  Kritik  der-^ 
selben  weniger  zum  Vorwurfe  gereichen  kann^  als  einem 
Werke  von  historischer' Aufgabe. 

Die  gemeinscliafiliche  Grundevidenz ,  das  eigentlich 
Interessante  und  Unabläugbare ,  worüber  man  völlig  mit 
sich  in's  Reine  gekommen  ,  war  der  Satz ,  dass  das  Be- 
wusstsein  niemals  über  sich  hinausgehen  könne, 
um  etwa  seinen  Begrüf  vom  Objektiven  mit  dem  Objekte 
selbst  zu  vergleichen,  und  sich  so  der  Realität  seines  Wissens 
zu  versichern.  Diess  ist  das  immer  wiederkehrende  Grund- 
argument, das  wir,  entweder  skeptisch  gewendet,  oder  dem 


376  Fielgestaltigkeii 

Glauben  an  die  HeaUttt  anterg^eordnet,  oder  selbst  als  ein 
letztes,  nicht  weiter  za  begründendes  Faictum,  oder  im  Al- 
lemiren dieser  sämmtlichen  Standpnnlite ,  bei  Schulze, 
Fries,  Krug  und  Bonterweck  antreffen.  Hier  blieb 
aber  noch  immer  als  Anlehnungspnnkt  das  Ding  oder  die 
Dinge  an  sich,  unter  welchen  leeren,  mithin  fügsamen  und 
vielgestaltigen  Begriff  ohnehin  sich  das  Verschiedenartigste 
bringen  Vl%$&. 

Aber  eine  scharfe  und  konsequente  Passnngf  dieser 
Einsicht,  musste  den  Widerspruch  jenes  Dinges,  welches 
erscheinen  soll,  und  doch  auch  nicht  erscheinen,  ganz  be- 
seitigen. Es  ist  selbst  nur  das  (unwillkährlicbe)  Produkt 
der  nothwendigen  Selbstbeschrankung  des  Bewusstseins, 
die  Schranke,  die  es,  seiner  absoluten  Reflexionsform  zu- 
folge,, sich  selbst  geben,  ebenso  aber  immer  wieder  durch 
diese  Reflexion  aufheben  muss.  Diess  ist  mehr,  als  die 
skeptische  Unentschiedenheit  über  die  Objektivität  je- 
nes unerkennbaren  Dinges  an  sich ;  es  ist  der  durch- 
drungene und  erkannte  Begriff  desselben  und  die  Zerstö- 
rung seiner  Realität.  Im  Wissen, und  im  Wissen  des 
Wissens,  weil  es  in  alle  Ewigkeit  nur  von  sich  selbst 
zu  wissen  vermag,  lässt  sich  nichts  Anderes  errei- 
chen, ifoch  auch  nur  fordern  ohne  Selbstwiderspruch. 

So  Fichte  bekanntlich  in  der  altem  Geslalt  seiner 
Lehre:  einen  Realismus  von  der  Erkenntniss  aus  be- 
gründen zu  wollen  ist  schlechthin  unmöglich ;  „alle  Rea- 
lität entsteht  nur  durch  —  Neigung,  um  es 
kurz  zu  sagen^  (Fichte  an  Reinhold:  Leben  und 
Briefwechsel  IL  S.  308. ) ;  und  gäbe  es  kein  anderes  0  r- 
gan,  sie  zu  ergreifen,  ^c^  wäre  sie  ßr  den  Menschen 
nimmer  zu  finden.  Der  durchgeführte  Idealismus  hat  nur 
das  doppelte  Ziel,  dies  rechte  Organ  und  damit  die  wahre 
Realität  durch  Zerstömng  des  Täuschenden  und  Realität 
bloss  Lügenden  zu  wecken  und  dem  Menschen  zu  einem 
nothwendigen  zu  machen ;  ihn  aus  der  vernichteten  Schein- 
welt in  die  wahre  hinaufzudrangen.  —  Die  Ausfühmng 
davon  im  Gleichgewichte  der  beiden   Seiten  hat  Fichte 


dieses  Princips.  377 

insemer  Bestimm'ang  des  Menschen  gegeben,  nnd^ 
auch  lillerarisch  betrachtet  ^  ist  es  schwer  erldärbar ,  wie 
der  Binflnss  dieses  Werkes,  welches  zugleich  den  allmSh^ 
liehen  Uebergang  F  i  c  h  t  e  's  in  seinen  zweiten  Standpunkt 
bezeichnet ,  auf  die  spater  versuchten  Synthesen  der  Se*- 
flexions-  und  Glaubensphilosophie  unerkannt  bleiben  koirnte. 
Mag  Fries  noch  so  sehr,  und  mit  seinem  Rechte,  sieh 
in  der  Methode  als  Gegner  von  Fichte  erkennen;  der 
Uebergang  von  dem  „Wissen^  in  den  „Glauben^  und 
hier  wiederum  von  dem  Praktischen  in  das  Religiöse  ist 
zuerst  von  Fichte  gemacht  worden*,  und  sogar  die 
Wendung  fehlt  nicht  in  jenem  Werke,  dass  der  praktisch^ 
Geist  die  Welt  als  das  Objekt  und  die  Sphäre  seiner  Pflicht, 
nachdem  er  aufgehört  habe,-  sieh  als  den  Sciaven  derseU 
ben  ZB  wihnen  (S.*177.)9  nun  wieder  in  einem  Glauben 
zuröokerhilt,  der  seine  Garantie  und  Gewisfliieit  hat  in  der 
unwiderstehlichen  Ueberzeugung ,  dass  eine  jede  sittliche 
That,  in  dieser  ausgesfiet,  ihre  unausbleibliche  Feige  ha<*- 
ben  werde.  Die  Natur  ist  nun  nicht  mehr  Schranke,  oder 
eine  fremdes  und  unerkanntes  Gegenüber,  sondeni  ein  der 
Vernunft  und  der  Freiheit  schlechthin  zu  Unterwerfen-^- 
des*).  — 

Unter  der  doppelten,  dem  eigentlichen  Kanfianis* 
mus  naher  stehenden  Voraussetzung  jedoch,  zuerst  dass 
sich  hinter  dem  Unmittelbaren  der  Erscheinung,  dem 
Wissen  ewig  unzugänglich,  die  Welt  der  Dinge 
an  sich  verberge,  und  der  daraus  sich  ergebenden 
zweiten,  dass  desshalb  die  hohem  praktischen,  wie  reli- 
giösen Wahrheiten  nmr  geglaubt  werden ,  und  die  philoso* 
phiscfae  Begründung  desshalb  nur  darin  bestehen  könne, 
diesen  Glauben  durch  eine  Theorie  des  Bewusstseins,  als  die 
einzig. für  sie  mögliche  Form,  nachzuweisen:  las» 


*)  Vcrgl.  Ficbie'sBestimmoiigües  Me.ntcbeo:  erste 
Ausg.  S.  174— 78.  182.  186.  ff.  Begriff  des  G  1  a  u  b  e  n  s  S. 
193.  ff*  197.  Verhältniss  zur  Natur  innerhalb  dieser  Ansicht 
S.  221.  ff.  UebergaDg  %on  dem  Praktischen  in's  Religiöse  S. 
363.  29t.  320-338. 


378  Ableitaiig  seiner  Fi»niieii. 

ien  flick  fir  diese  g«iize  A&flidit  irar   drei  Abslmbagea 
voo  Unten  nach  Oben  denken :   entweder  das«  der  Kach- 
druck  auf  das  Resultat  der  Reflexion  gelegt  und  das  Un- 
gewisse, KOT  Unentschiedenheit  Aufibrdemde  im  Inhalte  des 
Glaubens  in  den  Vordei;gnuid  gerückt  wird;  —  das  s  k  ep  li- 
ache  Moment,  welches  in  diesem  ganzen  Standpunkte  ver<- 
steckt  liegt,  und  bei  Fries  «nd  Beute  rweck  eigentlich 
nur  niedergeredet  wird   durch  das  absolute  Veto   ihres 
glaubigen  Bewusstseins :  —  oder  dass  das  deichgewicbti- 
ge,  Unentschiedene,  das  Eine  oder  das  Andere  Zulassende, 
'diese  faktische  Beziehung  zwischen-  dem  Subjektiveo  und 
Objektiven,  selbst  bloss  faktisch  au^fasst  und  ak  die  un- 
fibersteig^iche,  nicht  weiter  zu  erklärende  Grnndthalaache 
bezeichnet  wird;  —  der  empirische  SyntheÜsmiis  Krugs: 
«-  oder  endlich,  was  hier  so  nahe  liegt,    dass  es  kaum 
abgehalten  werden  kann ,  indem  das  aligemein  Menschliche 
jenes  Glaubens  sich  im  christlichen  wiedererblicken  wird, 
•dass  diejenigen,  welche  auf  die  Seite  des  Glaubens  tr^ea, 
in  diesen  Inhalt  zugleich  den  Inhalt  des  christlichen  Be- 
wusstsems  anfhehmen.    Diess  ist  die  Granze ;  es  wird  da- 
-durch   nicht  nur  aus  dem  philosophischen  in  das  theologi- 
sche Gebiet  übergegangen,  sondern  aus  dem  wissen^ehaR- 
lidien  in  das  allgemeitt  erbauliche  oder  das  Gebiet  Aeto- 
rischer  Darstellung« 

L 

An  dem  Skepticisrous  von  Gottlob  Ernst  Schulze 
—  denn  dieser  vertritt  die  erste  der  bezeichneten  Formen 
"-^  ist  das  Interessante  nicht  sowohl  seine  Starke  nnd 
Konsequenz,  als  die  Schwache,  das  allmähliche  Sichseibsl- 
abhandenkommen  desselben.  Und  wie  vielgestaltig  auch 
jetzt  alle  Richtungen  der  Philosophie  ihre  Vertretung  finden, 
so  ist  doch  nicht  auf  das  Entfernteste  ein  entschiedener, 
im  Sinne  der  Alten  gedachter  Skepticismus  darmitor  anzutref- 
fen; statt  selbst  anmasscnd  oder  keck  zu  werden,  richtet 
sich  der  Zweifel  jetzt  immer  nur^  wie  er  sagt ,  gegen  die 
Anmassungen  jder  dogmatischen  Spekuklion,  um  seiner 


Antiker  und  niCNlerner  Skepticismus.  S79 

Seits  Empirismns  zn  bleiben,  und  die  Philosophie  xa  einer 
bloss  erfahrungsmassigen  Wissenschaft  herabzustimmen. 

Anf  den  ersten  Blick  könnte  man  glauben,  dass  der 
Grund  dayon  in  der  allgemeinen  Kraftlosigkeit  unserer  Zeil, 
in  der  Schwäche  unserer  Individualitaten  zu  suchen  sei^ 
welche,  trotz  alles  eigenwilligen  Meinens,  doch  sich  nicht 
getrauen  oder  nicht  im  Stande  sind,  in  die  theilnahmlose, 
jeder  Entscheidung  sich  enthaltende  Einsamkeit  ihres  SuIk 
jekts  sich  zu  versenken.  —  Der  wahre  Grund  jedoch  ist 
anstreitig  ein  tieferer,  derselbe ,  der  auch  den  Kampf  und 
die  Widerspruche  der  Subjektivitäten  gegen  einander  nicht 
zu  einem  so  tiefen  und  grundentzweienden  werden  lässig 
wie  im  antiken  Leben. 

Die  alte  Skepsis  konnte  nur  entstehen  nach  dem  Sturze 
der  geistigen  Realität  des  Alterthums,  nach  dem  Untergang? 
ifares  Staates  und  Götterglaubens,   und  aus  der  völligen 
Verzweiflung  an  der  Wellgegenwart.    Der  Widersipruch  dcjc 
Wirklichkeit  gegen  die  Anforderungen  des  Geistes  konnte 
sich  spekulativ  nur  als  die  durchgeführte  Skepsis ,  als 
das  Abläugnen  jedes  Kriteriums  der  Wahrheit,  ausprägen. 
Für  uns  wäre  dieser  Zustand  ein  völlig  unwahrer,  ja  gril-» 
lenhafter  und  kranker,  so  wie  uns  jene  Geistes^tbaltuHg 
fast  unverständlich  geworden  ist,  dass  man ,  um  dem  Wi-« 
dersinne  der  Gegenwart  zn  entgehen,  der  sieh  überall  auf*« 
drängte ,    und   in  sieh    wenigstens    die  Eintracht  hav^ 
tustellen ,  bis  zu  der  Gewaltsamkeit  sich  steigern  mussli.'^ 
alles  Wirkliche,   als  das  an  sich-Unwahre  und  WertlilQse, 
mit  Verachtung  von  sich   zu  weisen.     Für   uns    hat  die 
christliche  Religion  in  der  Tiefe,  des  Geistes  jedes  Rechi 
der  Skepsis  besiegt :  durch  sie  sind  wir  in's  Reich  der  Wahr^ 
heit schon  eingesetzt;  was  uns  entgegentritt,  objektiv  auggebiU 
det  ist  im  Staate  und  in  der  Religion ,  ist  das  Wahre  nnd 
Yernunfgemässe  selber.    Das  einzelne  Subjekt  vermag  nicht 
mehr  zu  sein ,  als  die  geistige  Gegenwart ,   die  ihn  trägt ; 
ihm  entsteht  vielmehr  die  entgegengesetzte  Aufgabe,  sich 
jenem  adäquat  zu  machen  und  gewachsen  zu  zeigen :  prak- 
tisch genug  £0  thun  aeinen  Aufforderungen»  theoretisch  es 


380  G.  E.  Scknke's 

'  .    .  .    . 

denkend,  begreifend  sich  anzueignen.     So   ist  auch  der 

einzige  Skepticismus ,  welchen  das  Christcnthnm  entstehen 
lassen  konnte,  und  welchem  die  spekulative  Philosophie  be- 
stätigend beitreten  muss,  die  erhabene  Skepsis  der  Mysli- 
ker,  welche  sich  in  Opposition  setzte  gegen  die  BegriiTe  und 
Heflexionsgegensätze  des  gemeinen  Verstandos,  und,  mit 
Verwerfung  dieser  ganzen  Erkenntnissform  für  die  ewigen 
nnd  göttlichen  Dinge,  durch  die  Scholastik  des  Mittelalters 
nnd  die  nen  auftretende  Verstandesphilosophic  in  Frank- 
rdch  und  England  sich  hindurchzog.  Dieser  darf  auf 
ein  nniversalhistorisckes  Interesse  Anspruch  machen ,  nicht 
der  ganz  partikulare  ,  gelehrt  kritische  von  H  u  m  e  und 
^cbulze,  welchen  der  Letztere  desshalb  gut  als  Anti- 
dogmatismus  bezeichnete ,  gerichtet  gegen  bestimmte 
Zeitsysteme. 

Schulzens  skeptische  Briefe  (^  Aenesi  denius 
oder  über  die  Elemente  der  von  Herrn  Pro- 
fessor Reinhold  in  Jena  gelieferten  Elemen- 
tarphilosophie, nebst  einer  Vertheidigung  des 
Skepticismus  gegen  die  Anmassüngen  der 
Vernunflkritik«:  ohne  Druckort,  1792.)  erschie- 
nen im  Culminationspunkte  der  Wirksamkeit  von  Kants 
nnd  Reinholds  Philosophieen.  Bcrähmt  sind  sie  gewor^ 
den  durch  die  Widerlegung  des  R  e  i  n  h  o  1  d  sehen  Versuchs, 
den  Grundsatz  vom  Vorstellen  zum  Principe  der  gesammten 
Transscendentalphilosophie  zu  machen.  Aber  wichtiger 
und  umfassender  ist  seine  Polemik  gegen  Kant:  sie  hat, 
neben  dem  allgemeinern  Verdienste  wissenschaftlicher  An- 
regung ,  auch  noch  das  positive ,  auf  Künftiges  vorarbei- 
tende, dass  hier  zuerst  aufmerksam  gemacht  wird  auf  das 
Element  des  Vermmftglaubens,  das  schon  in  Kants  theo- 
retischen Grundvoraussetzungen  versteckt  sei,  welchen 
Aenesidemus  noch  einmal  H  u  m  e 's  -  Standpunkt  ent- 
gegensetzen zu  dürfen  glaubte  :  die  skeptisch  empirische 
Auffassung  und  Ableitung  des  Causalbegriifes ,  mithin  auch 
alier  apriorischen  Grundsätze  bei  Hume,  sei  von  Kant 
noch  nicht  widerlettt  oder  überschritten;  denn  auch  Kant 


Skepticisnms.  38i 

ndune,  obne  Beweis  der  Berugniss,  die  Gfiltigkeil  der  Ka* 
tegorieen  an ,  auf  Erfahrungsgegenstande,  auf  das  er- 
scheinende Ding  an  sich ,  angewendet  zu  werden ,  wobei 
er  sich  am  Ende  nur  auf  die  „Gewohnheit^,  d.h.  auf  den 
unwiderstehlichen  Instinkt  der  Vernunil,  als  das  letzta 
Faktum  eines  nicht  weiter  zu  begründenden  Fürwahr- 
haltens,  berufen  könne.  Aber  auch  nur  diess  sei  der  wahre 
Sinn  des  skeptischen  Arguments  von  Hume. 

Hieraus  ergiebt  sich  nun  schon  ,  dass,  wenn  A  e  n  e- 
sideraus" dergleichen  Argumente  den  Kantianern  seiner 
Zeit  anbieten  konnte,  die  Schärfe  und  durchgreifende  Be- 
stimmtheit des  von  Kant  aufgestellten  Kriteriums  zwischen 
dem  Apriorischen  und  Aposteriorischen  im  Bewusstsein  der 
spekulativen  Zeitgenossen  wieder  verwischt  oder  ganz  verlo- 
ren war.  Diess  hat  sich  dann  auch,  wie  wir  nachwiesen,  auf 
Fries  fortgeerbt,  und  hierin^  zusammt  dem  späterhin  von 
Kant  selbst  in  Umlauf  gebrachten  Vorurtheile,  welches  je- 
doch mit  seinen  ersten  Erklärungen  in  ausdrücklichem 
Widerspruche  steht,  da$!s  seine  Kritiken  nicht  Propädeutik 
eines  Systemes  der  Philosophie,  sondern  diess  System  sel- 
ber seien,  —  hierin  lag  die  vollgenugende  Veranlassung  iur 
Skeptiker,  wie  kritische  Philosophen,  von  den  nächsten 
Schritten,  zu  denen  jene  Entdeckung,  fuhren  musste,  abzu- 
lenken, und  die  Philosophie  zu  einer  „  Zergliederung  ^  der 
»innem  Thatsachen.^  werden  zu  lassen.  In  diesem  Sinne 
kann  nicht  obne  Fug  gesagt  werden,  dass  Kant  nach  sei- 
ner Wirkung  und  in  dem  Verständnisse,  welches  er  bei  der 
Hehrzahl  seiner  Zeii;genossen  gefunden,  das  Hume  sehe 
Princip  nicht  überwunden  habe;  denn  ein  grosser  Theil 
seiner  Anhänger  stand  selber  mit  letzterem  noch  auf  dem 
gkichen  Boden. 

Diese  skeptische  Wendung,  Vorstellung  und  Sache, 
als  das  ewig  ausser  einander  Bleibende,  sich  entgegenzu- 
setzen, hat  Schulze  in  seiner  Kritik  der  theoreti- 
schen Philosophie,  II  Thle.  (Hamburg  1802.)  gegen 
die  Philosophie,  dogmfitische,  wie  kritische,  repräsentirt  in 
den  S];;stemen  von  JLpcke,  Leibni4z  und  Kant^  weiter 


382  G.  E.  Schulze's 

fortgesetzt.  Philosophie  dcfinirt  er  nls  «die  Wissen- 
schaft von  den  obersten  und  unbedingten  Ur- 
sachen alles  Bedingten,  von  dessen  Wirklich-^ 
heit  wir  Gewissheit  haben. <^  Aber  als  Wissen- 
schaft von  systematischer  Einheit  bedarf  sie  desswegen 
eines  einzigen  obersten  Grundsatzes  oder 
G  r  u  n  d  b  0  g  r  i  f  f  s,  woraus  alle  ihre  weiteren  Sätze  durch 
„Zergliederung«  abgeleitet  werden  können.  (Bd.  I.  S.  20.  ff.> 
Hier  zeigt  sidh  die  bemerhenswerfhe  Voraussetzung,  über 
öle  man  seit  Rein  hold  einige  Zeitlang  einverstanden 
war,  und  die  auch  Veranlassung  zur  ersten  Form  der  Wis- 
senschaftslehre wurde,  dass  die  Philosophie  nur  dadurch 
System  —  „Wissenschaft  aus  Einem  Stäcke<<,  wie  es  hiess, 
werden  könne,  wenn  sie  durch  Analyse  aus  einem  Grund- 
Satze  oder  Principe  ihren  Inhalt  gewinne ,  statt  vom  G  e-* 
gebenen  auszugehen,  und  aus  diesem  die  eigenthüm-« 
Kchen  spekulativen  Probleme  sich  bilden  asu  lassen.  Man 
muss  gestehen ,  dass  die  immanente  Dialektik  des 
absohlten ,  schlechthin  nur  aus  sich  selbst  sich  fortbestim-* 
menden  Begriffes  die  letzte  und  konsequenteste  Frucht 
dieses  —  Reinhoidischen  Vorurtheils  geworden  ist. 

Hier  besteht  nun,  fahrt  Schulze  fort,  der  „Erb- 
fehler^ aller  Spekulation  darin,  dass  das  Bewusstsein,  mit 
der  rropiriscben  Erkenntniss  des  Gegebenen  sich  nicht  be- 
Modrgend,  weii  diess  Gegebene  nach  Inhalt  und  Existen» 
steh  als  ein  ZuÜiliiges  erweise,  den  verborgenen  Grund 
desselben ,  das  Unbedingte  zu  diesem  Bedingten ,  suchen 
milsse,  und  doch  nie  erreichen  könne,  weil  diess  hinter 
uhserm  Bewusstsein  liege,  welches,  über  sich  selbst  niemals 
Mnausgelangend,  dieses  übersinnliche  Objekt  nie  mit  seiner 
Vorstellung  davon  vergleichen  könne  (a.  a.  0.  S.  öl.)« 
Hierin  besteht  das  Grundargument  des  gegenwärtiger  Skep- 
tizismus; aber  es  verdient  als  charakteristisch  für  densel- 
ben angeführt  zu  werden ,  dass  er  selbst  diesem  Principe 
einen  doppelten  und  sogar  schwankenden  Ausdruck  gab. 

Einmal  nämlich,  —  und  diess  ist  die  vorherrschende 
AuffiBissung  —  bleibt  er  bei  der  Voraussetzung  der  GMig^ 


Skeplicismus.  383 

keit  und  Realität  der  Dinge  an  stell  stehen ,  auf  ivelche 
sicli  die  Vorstellungen  beziehen ;  aber  sie  bleiben  das  Vn^ 
bekannte ,  weil  sie  der  Vorstelhing  entgegengesetzt  sind. 
Die  von  Locke  und  Leibnitz  (dogmatisch)  angenom- 
mene Uebereinstimmung  zwischen  beiden  mnss  da- 
her (skeptisch)  eben  unentschieden  gelassen  w^den.  Alle 
Yorslelliing  bleibt  VorsteOung;  Wir  können  sie  nie  mit  dan 
Objekte  v^gieichen,  sondern  inuner  nur  etwa  mit  einer 
andern  Vorstelhing  desselben :  und  kefai  Vemfinltiger 
wird  wähnen ,  im  Besitze  der  Vorstellung  von  Etwas  die» 
ses  Etwas  zugleich  mit  zu  besitzen  (Bd.  I.  Vorrede.  S.  XL 
S.  583.  588—90:  u.  s.  w.). 

An  andern  Stellen  dagegen  (Aenesidemus  S.  245.. 
Kritik    der    theoretischen    Philosophie    B.  L 
S.  70.)  tritt  die  konsequentere ,  und  auf  jeden  Fall  allein 
skeptisch  zu  nennende  Betrachtung  hervor:  dass  diese  ur« 
sprüngliche  Beziehung  der  Vorstellung  auf  ein  Objekt,  mit-» 
hin  der  Begriff  eines    Objektiven  überhaupt, 
selbst  nur  Vorstellung ,   ein  Subjektives ,  InnerltchesL  seL 
Man  müsse   die  Vorstellung  des  logischen  Seins  von 
der  des  realen  Seins  genau  unterscheiden.    Mit  diesem 
Gedanken  hätte  Schulze  m  dem  das  Ding  an  sich ,  als 
äusserliches,   schlechthin    vernichtenden    Idealismus 
Fichte^s  und  weiter  damit  zum  Umschwünge  der  ganzen 
idealistischen  Spekulation  zurückgelenkt.    Aber  diess  waren, 
so  scheint  es,  vorubei^ehende  Regungen  in  ihm,   welche 
die  Grundtage  seines  Standpunktes  nicht  erschütterten.   Es 
bleibt  vidmehr  dabei ,  dass  wir  ^zufolge  einer  ursprüngH« 
eben  Einrichtung  unseres  Erkenntnissvermögens^,  Aber 
welche  wir  nicht  hinauskönnen,    und  die  uns  unerklärlich 
i^t,  •—  (die  lediglich  empirische  ultima  ratio  dieser  ganzen 
Kilosophenschttle)  —  zwar  die  Beziehung  unserer  Vor- 
stellungen auf  ein  Objektives  ebenso   ursprünglich   aner- 
kennen müssen,  als  doch  nicht  minder  die  Unmöglich- 
keit, hinter   das    wahre'  Wesen  derselben  zu  kommen. 
Hiermit  hat  diese  Skepsis^  welche  sonach  nur  das  Stehen- 
bleiben beitav  UnniitteMren  imd  Enipicischen  anralhen  kann, 


384  €.  E.  Schulzens. 

sich  gieichfalls  der  Anerkennongr  des  allgfemeui 
Veraanftglaobens  angeschlossen,  oder  ihm  voigearbeitet 
Aus  denselben  Gründen  bleibt  nun  auch  nach  Schulze 
jede  theoretische  Philosophie  ein  durchaus  unausführbarer 
Gedanke.  Die  HaiqKinstanzen  gegen  wissenschaftlicbe 
Spekulation  überhaupt  sind  aber  dreifach;  sie  duurakte- 
risiren  den  Geist  dieses  Skepticismus  erst  ToUstandig  (Kri- 
tik der  theor.  Phil.  Bd.  L  S.  613—28.):  die  Philoso- 
phie ,  indem  sie  eine  Wissenschaft  sein  soll ,  bedarf  unbe- 
dingt wahrer  Grundsatze,  um  von  ihnen  auszugehen.  Sol- 
che sind  aber  unmöglich,  weil  die  Uebereinslim- 
mung  des  Begriffes  mit  dem  Gedachten  nie 
unmittelbar  und  nothwendig  gegeben  isL  — 
Hieraus  erhellt  der  eigentliche  Sinn  der  Forderung,  welche 
der  Skepticismus  an  die  theoretische  Philosophie  macht, 
um  die  Uebereinstimmung  zwischen  Vorstellung  und  Vor- 
gesteUtem  zu  erweisen.  Jene  Instanz  nämlich  ,  allgemein 
angewandt,  würde  auch  jede  wissenschaftliche  Mathematik 
unmöglich  machen ;  indem  nach  der  Konsequenz  derselben 
z.  B.  ebenso  wenig  apodiktisch  behauptet  werden  könnte, 
dass  der  in  der  Vor  Stellung  der  Grössenverhällnisse 
freilich  absolut  nothwendige  Grundsatz:  dass  alle  Hälften 
einander  gleich  siiid  ,  auch  von  den  realen  Grössen 
gelte.  Dennoch  würde  dieser  Einwurf  gegen  jene  Skep- 
sis ,  bei  ihrer  nicht  seltenen  Bezugnahme  auf  Mathematik 
und  matbematische  Wissenschaftlichkeit,  sie  nicht  in  Ver- 
legcuheit  setzen :  denn  nach  ihr  bewegt  sich  die  Mathe- 
matik selbst  nur  in  der  Welt  der  Erscheinung,  nicht  der 
Dinge  •  an  sich;  und  was  in  ihr  die  (absolute  Ueberein- 
sliminung  ihrer  Gründe  und  Lehrsatze  mit  dem  Wirklichen 
hervorruft,  ist  selbst  nur  eine  Uebereinstimmung  zwi- 
schen Vorstellungen,  denen  der  unmittelbaren  Sin- 
nesanschauung und  des  durch  Reflexion  erzeugten  m'atheina- 
tischen  BegriiFes.  *—  Hier  Hesse  sich  jedoch  auf  alle  Weise 
Dragen,  warum  nicht  auch  die  Philosophie  mit  der  Realität, 
die  sie  zu  begründen  hat,  bei  einer  solchen  Ueberein- 
stimmung der  Dinge  an  sich  mit  ihren  Vorstellungen  stehen 


Skepticismusv  38S 

bleiben  solle ,  und  TOUkommen  sich  Genüge  geleistet  zu 
haben  glauben  dürfe^  wenn  sie^  gleich  der  Mathematik)  den 
fipodihtischen  Beweis  führte  wie  diese  (die  diesseitige) 
Objektivität  mit  dem  Subjektiven  übereinstimmen  müsse? 
Denn  ohnebin  wird  es  nimmer  gelingen ,  eine  andere 
Objektivität,  ein  Wirkliches  jenseits  des  Wirkiidien ,  d.  h« 
eine  überwirkliche  Wirklichkeit,  ^^vorstellig  zu  machen.^  •-«- 
Daran  ergiebt  es  sich  aber  recht  augenfällig,  wie  es  sich 
mit  jenen  j,Dingen  nn  sich^  bei  diesem  Skepticismus ,  wid 
bei  den  bisher  charakterisirten  Philosophieeh  des  gleichen 
StantlptinkteS)  eigentlich  verhalt«  Sie  sind  das  rein  Negative^ 
6€hle<?hthin  Unvorstellbare^  das  blosse  Nichts  ah  Realität  $ 
eine  absolut  nur  leere  Stelle^  eine  schon  im  begriiTe  sich 
selbst  aufhebende  Fiktion,  welche  man  dennoch  nicht  weg-& 
Werfen  darf^  um  nur  den  philosophischen  Unterschied  zwi» 
6dien  nothwehdigem  und  willkührlichem  Vorstellen  in  det 
iHieorie  retten  zu  können^ 

Diese  Unmöglichkeit,  die  Dmge  an  sich  auch  nnt 
^Yorstellig  zu  machen  ^'^  Wird  von  der  zweiten  Instani 
tea  bestimmterem  Ausdrucke  gebracht.  Was  die  Philosophie 
von  d*?!!  obersten  Gründen  des  vorhandenen  Bedingten  er-^ 
kannt  zu  haben  meinte  diess  kann  sie  bloss  in  Begriffen 
aufgefasst  und  gedacht  habeii.  Der  mit  ^blossen  Begriffen^ 
beschäRigte  Verstand  hat  aber  gar  kein  Vermögen,  Etwaii 
der  Wirklichkeit  gemäss  auch  nur  vorstelligf 
machen  zu  können;  denn  Vorstellungen  sind 
nicht  die  Sachen  selbst;  Noch  weit  weniger  aber  Be^ 
griffe^  Denn  nur  das  Individuelle  lexistirt  ^  welches  sich 
^ar  ia  den  (gleichfalls  individuellen)  Vorstellungen^  nicht 
aber  in  den  (abstrakten)  Begriffen  wiedergegeben  denket! 
liesse:  blosse  Begriffe  können  also  nie  über  daft 
Wirkliche  entscheiden^  Auch  dieser  Beweisgrund  ist 
charakteristisch)  und  diesem  ganzen  philosophischen  Stand-» 
punkte  gemeinschaftliche 

Der  Sinn  ist  der  schon  früher  ^  besonders  bei  Cele» 
genheit  einer  vergleichenden  Kritik  der  Locke  sehen  und 
Leibnitzischen  Theorie^  von  dem  Skeptiker  dargelegte^ 

85 


386  G.  E.  Schiitee*s 

es  giebt  nur  IndividueUes,  aDes  Aflgemeine  wird  iediglick 
durch  Abstraktion  aus  jenem  g^efanden ;  der  Begriff  ist  da- 
her nur  abstrakt,  mithin  gleichsam  ein  Sobjektives  in 
zweiter  Instanz ,  noch  weiter  entfernt  von  den  Dingen  ao 
aich.  So  hätten  wir  uns  diese  dennoch  als  individueOe  za 
denken:  jeder  sinnlichen  Einzelvorstellung  entspräche  ein 
Ding  an  sich,  nur  mit  verhüllten  Qualitäten  für  uns ;  denn 
was  diese  an  sich  sind,  ist  eben  nkhl  vorstellig  zu  ma- 
chen. Die  ausschliessende  Realität  daher,  welche,  im  Ge- 
gensätze mit  der  Vemunftallgemeinheit ,  dem  sinnlichen 
Vorstellen  gelassen  worden  ist ,  wird  ihm  dennoch  wieder 
entzogen,  den  sinnlich-unsinnlichen  Diessheiten  gegenüber, 
welches  die  „Dinge  an  sich*  sind.  —  Wie  wenig  von  die- 
ser Seite  her  die  Skepsis  es  zu  Konsequenz  und  Entschie- 
denheit gebracht  hat,  wie  weit  sie  zurückbleibe  hinfer  der 
Skepsis  der  Alten,  hat  bekanntlich  Eeget  gezeigt  in  sei- 
nem für  diess  ganze  Verhältniss  epochemachenden  Auf- 
sätze „über  das  Verhältniss  des  Skepticismus  zur  Philoso- 
phie, und  Vergleichung  des  neuesten '^  (Schulze sehen) 
„mit  dem  alten.*  (Kritisches  Journal  der  Phil. 
Bd.I.  St.  2.  S.  1— 74.) 

Das  dritte  skeptische  Argument  bezieht  nun  diese« 
allgemeinen  Begriff  der  Jenseitigkeit  aller  Dinge  an  sich  auf 
den  des  Unbedingten.  Er  gründet  sich  vorzüglich  auf  den 
Schluss  von  der  Beschaffenheit  der  Wirkung  auf  die  Be^ 
schaffenhett  einer  angemessenen  Ursache.  Aber  dieser 
ist  eben  völlig  unsicher:  das  hiesse  hier  vom  Bedingten 
auTs  Unbedingte  schliessen. 

Ein  Skepticismus  mit  so  vielen  empirischen  und  un- 
berechtigten Beimischungen  kann  noch  nicht  in  sich  zur 
Ruhe ,  zum  Stehen  gekommen  sein ;  wir  dürfen  erwarten, 
ihn  selbst  nur  in  Wandel  und  Umbildung  begriffen  m 
sehen.  Und  so  ist  es  Schulzen  wirklich  ergangen, 
gleichwie  Bouterweck  und  vielen  Andern;  denn  es  i^ 
das  unvermeidliche  Loos  auf  diesem  Gebiete.  Er  hat  in 
der  Folge  seiner  spätem  Werke  über  theoretische  Philoso- 
phie („Encyklopädie  der  philosophische-n Wis- 


Skepticismusi  387 

96tt6chaften«  Göttiiigeh  1818.  2t8  Aufi^,  uh4  ühet 
diemenschliche  Erkenntnisse  ebendas.  1832.} 
$e\m  Skepsis  noch  weiter  herabgestimml^  und  zum  Schhissö 
endlich  auf  dem  Gebiete  psychologischer  Philosophie  Plati 
genommen.  In  dem  letztern  Werke  nennt  er  den  von  ihm 
gewählten  Standpunkt  den  des  natürlichen  Realis« 
mas,  und  erkennt  in  der  Yerbjndung  der  platonischen^ 
dem  Jenseits  der  Erfahrung  zugewendeten  Art  des  Philo-» 
sophirens  mit  der  aristotelischen ,  von  der  Erfahrung  be-a* 
ginnenden,  das  Heil  lur  die  künftige  Philosophie ^  ^elchd 
ein  System  werden  müsse ,  welches  ein  allmähliches  Fort^ 
schreiten  von  den  aristotelischen  Untersuchungen  zii  den 
^  platonischen  von  Gott  und  den  göttlichen  Dingen  in  sich 
schliesse.  Hiermit  ist  also  der  Skepticismüs  völlig  ftufge« 
g^ben ;  er  verliert  sich  in  die  Hofihüng  auf  eine  k  ü  n  f » 
tige,  befriedigendere  Philosophie,  während  ihm  jetzo  am 
Näch^n  liegt,  das  Studimn  des  menschlichen  Erkenhthiss-^ 
Vermögens  fortzusetzen ,  tmd  durch  eine  richtige  theoriid 
über  das  Erkennen  auch  das  „natürliche  Verhält^* 
B  i  s  s^  aufzuhellen,  in  welchem  die  Vernunft  und  der  Ver-^ 
stand  zu  einander  stehen.  (Wegen  des  näheren  Inhalte 
Seiner  eigenen  Theorie  über  das  Erkennen  dürfen  wir  auf 
B.  Reinholds  Lehrbuch  der  Geschichte  dei^ 
Philosophie  ite  AuCL  1836.  S.  622.  23.  verweisen^  ein 
Weik,  ebenso  zuverlässig  in  seinen  Angaben ,  denen  mei- 
stens Quellenstudium  zu  Grunde  liegt^  als  umlsichtig  in  sei^» 
tier  Kritik.) 

ti. 

indem  wir  Wilhelm  Traugoit  ki^üg  hier  bn» 
t^ihen  und  ihm  die  eweite  Stelle  im  gegenwärtigen  Zu- 
sammenhange geben^  können  Wir  nur  bekennen^  d^s  diese 
^  als  die  zweckmässigste^  keinesweges  ali^  eine 
iDoeriich  nothwendige  ^  erscheine.  Diess  gründet  sich  je» 
doch  auf  ein  eigenthüinliches,  in  der  Beschaffenheit  der  Sache 
^Ibst  liegendes  Verhältnisse  welches  öiler  wiederkehrt)  als 
Bum  sich  gestehen  will»  —  b  der  that  nämlich  i^ind  nicht 


388  W.  T.  Krugs 

alle  Philosophen  und  Philosopbieen,  die  sich  faktisch  findep, 
auch  noüiwendige  :  wie  kann  solchen  daher  eine  nothwen- 
dige  Stelle  gegeben  werden?  Ebenso  ist  aber  auch  in 
den  Philosophieen ,  die  Nothwendigkeit  haben ,  nichl  Alles 
nothwendig:  vielmehr  ringt  die  Nothwendigkeit  ihrer  Idee 
mit  dem  Wirklichen  ,  Undurchbildeten  ihrer  onraitlelbarcn 
Erscheinung ;  und  zwischen  diesen  beiden  Enden,  der  Idee 
und  des  Zufälligen ,  der  ewigen  Wahrheit  und  des  bloss 
faktischen  Ereignisses,  reihen  sich  alle  Philosophieen  neben 
einander;  daher  auch  die  entgegengesetzten  Urtheile  und 
Crcsichtspunkte  über  die  Bedeutung  einer  einzelnen  Philo- 
sophie ,  wo  sich  von  Seiten  des  Benrtheilenden  wie  des 
Beurteilten  die  Anspräche  gar  verschieden  stellen  müs- 
sen. Für  K  r  u  g  ist  diess  freilich  der  schlimmste  Umstand, 
dass  die  beiden  entgegengesetzten  Parteien  der  Philosophie, 
sonst  diametral  verschieden  in  ihrem  Urtheile ,  darin  ein- 
verstanden scheinen ,  sein  System  für  unausreichend  und 
seiner  Aufgabe  nicht  gewachsen  zu  erklären ,  so  dass  es 
in  der  That  nöthiger  wird,  an  seine  wirklichen  Verdienste 
zu  erinnern ,  als  in  das  gemeinsame ,  mit  hergebrachtem 
Wohlgefallen  wiederholte  Urtheil  einzustimmen;  dennauch 
Krug  könnte  sagen  ,  wie  jene  Königin  des  Dichters  :  er 
sei  besser  als  sein  Ruf.  Wir  furchten  daher  nicht,  seinem 
wohlerworbenen  Ruhme,  als  freigesinnten,  muthigen  Denkers, 
als  populären  philosophischen  Schriftstellers  in  allen  Thei- 
len  der  Philosophie ,  welche  dafür  sich  eignen ,  überhaupt 
als  eines  unparteiischen,  ehr-  und  wahrheitliebenden  litte- 
rarischen Charakters,  so  wie  seinen  Verdiensten  in  einzel- 
nen Theilen  der  Philosophie  und  in  fast  allen  .der  Littera- 
tur,  zu  nahe  zu  treten ,  wenn  auch  wir  sein  System ,  nach 
seiner  eigentlich  philosophischen  Bedeutung,  für  ein  zufäl- 
liges ,  durch  keine  innere  Nothwendigkeit  getragenes ,  für 
das  Produkt  einer  bloss  historischen  Zusammenfugung  tra- 
ditionell aufgefasster  Ideen  erklären  müssten.  Für  solche 
Erscheinungen  ist  fast  nur  eine  historisch  psychologische 
Deduktion  möglich ;  aber,  einmal  aus  diesem  Gesichtspunkte 
gefasst ,  erhalten  sie  oft  ein  neues ,  unerwartetes  Interesse 


SyiUhetismus.  389 

• 

und  sogar  Wichtigkeil  nach  ^er   innern   Bedeutung  des 
Zeilpunktes,  als  deren  Ausdruck  wir  sie  fassen  dürfen. 

Fichte  hat  einmal,  um  Reinhold  in  seiner  cha- 
rakteristischen Stellung  zu  bezeichnen,  ihn  den  Repräsen- 
tanten  des  Philosophie  studirenden  Publikums  genannt;  aa 
ihm  könne  der  spekulative  Schriilsteller  den  Maasstab  neh- 
men, theils  wie  er  verstanden  werde  von  demselben,  theils 
was  ihm  überhaupt  von  spekulativen  Ideen  eingehen  wolle. 
—   So  könnte  man  Krug  vielleicht   den  Repräsentanten 
nennen    der  in   ihm  historisch  gewordenen  und  zum  Ste- 
hen gekommenen  Spekulation,  im  Zeitpunkte  ihres  ersten 
Uebergangs  von  Fichte  zu  Schelling^    den  Vertreter 
und  Zeugen  desjenigen,  was  in  jener  allerdings  höchst  be- 
deutungsvollen, wiewohl  unwiederbringlich  der  Vergangen- 
heit anheimgefallenen  Epoche ,    im  grossem  Publikum  von 
philosophischem  Inhalte  überhaupt  zum  AUgemeinbesitz  ge- 
kommen war.    Alle  Ideen  und  Probleme,  welche  das  K  a  n- 
t  i  sehe  und  Fichte  sehe  System  theils  aus  sich  hervorge- 
bracht, theils  angeregt  und  übrig  gelassen  hatten,  sind  der 
Krug  sehen   Philosophie    wohlbekannt   und   naeh    ihren 
Schlagwörtern  ihr  völlig  geläufig:   dennoch   sind  es  nioht 
mehr  Ideen  oder  Probleme  geblieben;   sie  haben  sich  in 
empirisch  -  psychologische    Iliatsachen ,    in    ein  subjektiv 
Vorfindliches  von   durchaus  faktischem  Charakter  verwan- 
delt, mit  einer  so  reinen  und  völligen  Abscheidung  alles 
spekulativen,  weiter  treibenden  Impulses  darin,  dass  diess 
eben  das  Neue  und  Interessante  wird,  ein  philosophisches 
System  nicht  nur  ohne  eigentlich  philosophische  Produkti- 
vität entworfen  zu  sehen  --*  (denn  auch  ohne  solche  Idee»« 
Produktion  im  höhern  Sinne  kann  ein  Denker  einen  schon 
gewonnenen  Standpunkt   auf  das  Förderndste  und  Beleb- 
rendsle  ausbeuten) ,  -*-  sondern  es  ohne  allen  philosophi- 
schen Gehalt,,  ja  ohne  Kunde  und  Intef^e  an  den  eigen- 
tlmmlichen  Aufgaben  der  Spekulation  zu  finden ,  und  bloss 
durch  eine  historische  Notiz  von  denselben  geleitet.. 

Um  nämlich  summarisch  den  Inhaltsbestand  derKrug- 
schen  Philosophie  anzugeben  ^  so  hat  er  dagenige ,  was  in 


3ÖÖ  W.  T.  Inig» 

dem  Kantisch-Flchteschen  Systeme  gerade  die  Au^ 
gäbe,  das  stachelnde  Problem,  was  uberbaupt  jener  ganzra 
philosophischen  Epoche  das  Wunderbare  und  Räfhselhafte 
war,  in  dessen  Bcwnsstseia  sich  damals  die  ganze  Anfgabe 
der  Spekulation  zusammengedrängt  hatte :  —  wie  ein  Objek- 
tives jemals  zn  einem  Subjektiven,  ein  Sein  für  sich  za 
einem  vorgestellten  zn  werden  vermöge,  wie 
es  mit  dieser  sonderbaren  Verwandlung  zugehen 
möge  —  (um  Fichte's  Worte  zu  gebrauchen,  mif  wel- 
chen er  am  Eingang  seiner  Sittenlehre,  17^.  S. 1. 11. 
,die  Aufgabe  aller  Philosophie«  fasst;)  —  welche  Aufgabe 
Fries  und  die  bisher  charakterisrrten  Denker  wenigstens 
fnSQfem  lösten,  philosophische  Auskunft  darüber  ga- 
ben, als  sie  die  Einheit  zwischen  Subjektivem  und  Objek- 
tivem, die  freilich  am  Wissen  in  Abrede  zu  steHen  sei ,  im 
Glauben  erreicht  fanden,  —  welche  Frage  Sckelling 
durch  den  grossen  Gedanken  umfassend  löste,  und  so  in  ihr 
die  universale  Aufgabe  der  Philosophie  wiederfand :  dass  die 
Well  des  Subjektiven  und  Objektiven,  Natur  und  Geist, 
|iur  dadurch  auch  im  Akte  des  Bewusstseins  sich  durch- 
dringen ,  Eins  werden  können ,  weil  sie  ursprünglich  Eins 
und,  nur  in  verschiedener  Potenz,  Ausdruck  der  absoluten 
Vernunft  seien :  —  diese  Einheit,  welche  den  Andern  Auf- 
gabe, etwas  zu  Erklärendes  war,  verwandelte  Krug  in 
eine  ursprängliche,  nicht  weiter  zu  erklärende  Thatsa- 
che;  das  Problem  der  Philosophie  ist  ihm  der  absolute 
Grinzpunfct,  über  welchen  keine  Philosoph^  hinaus 
kann,  ohne  ,^srch  ii(i  gnmdlojse  Spckülatronen  und  leere 
Traumereien,  zu  verlieren.«  So  endet  sein  System  gerade 
in  dem,  womit  das  der  Andern  beginnt,  und  die  von  Krug 
l^ehauptete  Lösung  der  Aufgabe  besteht  darm,  sie  als  das 
schlechthin  U  n  a  u  f  I  ö.s  U  e  h  e  geradehin  vorauszusetzen, 
als  das  erste  od^let^te,  nicht  zu  erklärende  Grundfak- 
lum.  Alle  Versuche  nämlich,  diese  Einheit  des  Subjektiven 
und  Objektiven  erklären,  begroiiBich  machen  zu  wollen, 
d.  h.  nach  dem  philosophischen  Pewusstseiu  der  damaligen 
Zeit,  das  Problem  der  Spekulation  wirklich  zu 


lüseny  ftlien  ihm,  uro  ihrer  selbst  willen  schon,  undgans 
aHein  wegen  des  darin  gehegten  Vorsat&s  ^  in  das  Ge- 
biet der  leeren  Hypothesen  und  grundlosen  Forschungen. 
Den  Beweis  unserer  Behauptung  bildet  die  nachfolgende  Aus* 
luhrung. 

Für  seine  Philosophie  bleibt  daher  nur  das  schlecht-« 
hin  Unphildsophische  übrig,  die  Analyse  psychologischer 
Thalsachen,  oder  auch  überlieferter  philosophischer  Ideen, 
die  bloss  historisch  gegeben,  gleich  jenen,  einThatsäch- 
l'c'hes  werden  müssen.  Hierbei  war  Krug,  /lach  seinem 
faktischen  Zusammenhange,  im  weitem  Sinne  auf  Kant,  in 
Bezug  auf  die  Systemaiicitöt ,  überhaupt  auf,  das  Formelle 
der  ^Philosophie  aus  Einem  Stücke^,  —  welches 
damals,  gleichfalls  übereinkommlicher  Weise ,  zu  den  An- 
forderungen an  ein  System  gehörte  ,  —  auf  Fichte  ge- 
wiesen ,  wobei  er  noch  den  Vortheil  hatte ,  den  idealisti- 
schen Excentriciläten  desselben,  namentlich  seinem  Besei- 
tigen des  Dinges  an  sich,  durch  den  ursprünglichen  Stand- 
punkt seiner  Philosophie  aus  dem  Wege  gehen  zu  können, 
ttnd  doch  einer  Widerlegung  desselben  {überhoben  zu  sein. 
So  finden  wir  in  Krugs  System  alle  formellen  Unterschei- 
dungen, Grundsätze,  den  ganzen  wissenschaftlichen  Appa- 
rat des  Fichteschen  Systemes  äusserlich  wieder,  selbst 
aber  als  etwas  Vorausgesetztes ,  Ueberkommenes ,  und  so 
können  wir  seinen  transscendentalen  Synthetis- 
mus  am  Kurzesten  bezeichnen  als  eine  in's  Psychologi- 
sche zurückübersetzte  Wissenschaftslehre,  welche^ die 
t ransscendentale  Einheit  alles  Wissens,  die  im 
Ich  gefunden  sein  sollte,  in  eine  bloss  faktische, 
formelle  verwandelt:  im  Ich  sind  alle  Thatsachen  des 
Bewusstseins  eben  wirklieh  bei  einander.  Der  Kärnti- 
sche Satz:  dass  die  Vorstellung  des  Ich  denke  alle 
meine  Vorstellungen  muss  begleiten  können j  ist  zu 
einem  Thatsachlichen  geworden:  sie  begleitet  dieselba 
wirklich,  und  diess  muss  uns  genügen. 

Dieser  rückbildeade  Parallelismus  ist  nun  fast  in  allen 
einzelnen  Theilcn  seiner  Theorie  nachzuweisen.  —  Die  Wis- 


993  W.  T.  Kivgfl 

« 

^nschaftdehre  behaiiptete  in  ihrem  }A  die  Einheil  des 
von  Kant  nnvennittelt  gelassenen  theoretischen  nnd prak- 
tischen Vemögens,  und  d^mit  das  Piincip  aller  Transscen- 
'(lentalphilitfophie  gefunden  zu  haben.  Ebenso  bezeichnet 
Krug  in  seiner  , Fundamen  talphilosophie  oder 
lirwissenschartlichen  Grundlehre^  (  Zilichan 
1803.  3te  Aufl.  1827.)  nicht  nur  gerade  dasselbe  als  die 
Aufgabe  dieses  We^es,  die  gemeinschaftliche  Ch^mHage 
für  die  theoxetiscbe  und  praktische  Philosophie  zo  sein, 
sondern  ganz  ebenso  ist  ihm  das  Ich  diess  gemeinschafU 
ijiche  Princip. 

Nach  der  Wissenschaftslehre  ferner  ist  der  Ausgang»-, 
punkt  aller  Philosophie  die  absolute  Identität  des 
Subjektiven  und  Objektiven,,  als  derjfenige  Moment,  in  wei- 
chem beide  noch  nicht  geschieden,  sondern  Ursprung« 
lieh  Eins  sind.  Diese  absolute  Identität  lissl  sieh  jedoch 
nicht  nachweisen,  als  unmittelbare  Thatsao^e  des 
iPewusstseins:  es  tässt  sich  nur  zurnokschliessen  von 
der  Wirklichkeit  des  Bewusstseins  auf  diess  Gnmdprincip 
in  allem  Bewusstsein.  Es  ist  das  Altgegenwärtige  darin 
ohne  desshalb  im  Einzehien  ausdrücklich  hervorzutreteii. 
Denn  wie  ein  wirklict^  Bewusstsein  entsteht,  ist  die  IVen. 
Iiung  von  Subjekt  und  Objekt  schon  gesetzt,  aber  zu-, 
gleich  damit  vollziebt  sich,  in  Aufhebung  der  Trauuinf» 
die  Vereinigung  des  Subjektiven  und  Objektiven  in  jedem 
Akte  des  wirklichen  Bewusstseins.    .Auf  den  man-. 

.  •  ...  .7/ 

«igfaltigen  Ansichten  dieser  Trennung  des 
Subjektiven,  und  Objekttven,  und  hiuMf  ieder- 
'um  d^r  Vereinigung  beider«  beruht  der  ganze 
llech.anismus  des  Bewusstseins«!  (Fichte  a.  a, 
Ö.  &IL)w 

Es  ist  mm  merkwürdig,  zu  sehen,  wie  alte  diese  Sätzo 
Aufnahme  lEinden  hn  Krug  scheu  Systeme,  aber  soglerch 
doch  einen  andern  Sinn  erhalten.  *:t-  Auch  nach  Krug 
Ist  das.  Philosophiren  — r  „ein  Einkehren  in  sich  selbst  und 
Aufmerken  anf  sich,  um  sich  set^t  m  erkennen  und  za 
veiiRel^n,  und  dn^urch  xuin  Frieden  'm  und  mit  sich  selbst 


Symbetisonis.  .      39Q 

m  gehinfen>  (Fundamen  talphilosophie,  S.  8«, 
vgl.  S*  19,  Anm.,  S.  26. ,  und  Fickte'$  Darsteilung  der 
Wissen^ehaflslehre  im  Philos.  Journal,  1797.  H.  I.  S.  6.  7.) 
Daher  fallen  in  der  Philosophie  und  in  ihr  allein  das  er«- 
kennende  Sobjekt  und  zu  erkennende  Objekt  schlechlhin  zu-i** 
sammen;  -^.  sie  ist  also  eigentlich  nur  Selbsterkennt^ 
niss  und  betrachtet  diese  als  Princip  aller  ihrigen  fir^ 
kenntniss;  -^  ^denn«  (wird  nun  jedoch  hinzu  gefiigt) 
«was  sieb  selbst  erkennen  und  verstehen  gelernt  hat,  muss 
auch  im  Stande  sein ,  von  Allem ;  was  es  denkt  und  tbftfy 
befriedigende  Gründe  anzugeben.^  -^  Die  durchaus  prak- 
tische Tendenz  der  Philosophie  wird  daraus  hergelei«. 
tet,  welche  die  alten  Philosophen  nur  selten,  die  neuem 
fiehr  häufig  aus  den  Augen  verloren  haben  sollen  ,  u«  s.  w. 
(A.  a.  0.  S.  29  fr.  Endlich  die  Anmerkung  S.  48.49.,  wo 
ein  Hindurchleuchten  von  Reminiscenzen  aus  Fichte*s 
Bestimmung  des  Blenschen  sich  kaum  verkennen  lässt.) 

Aufgabe  der  Fundamentalpiiilosophie  ist  es 
daher,  die  Qrundprincipien  alles  Erkennens  zu  finden,  und 
aus  ihnen  das  System  alles  Wissens  zu  erbauen, 
Kant  bat  dazu  nur  eine  Propädeutik  geliefert ;  er  hat  Priiv- 
cipien  vorausgesetat,  sie  aber  nicht  abgeleitet,  noch  ge^tigt^ 
ob  er  deren  eines  oder  mehrere  setze.  (Genau  so  be- 
zeichnete Fichte  die  Idee  seines  Systems  und  sein  Ver- 
kSltniss  zu  Kant  in  dem  ankündigenden  Programm  über 
denBegriff  der  Wissenschaftsl^ehre  oder  der 
sogenannten  Philosaphie^  1794;  Vorrede  und 
sonst.) 

Düe  Fundamentalphilosophie  hat  desswegen  zuerst  die 
<^bersteR  Principien  der  philosophischen  Erkenntniss  aufzq-« 
suchen:  ob  es  deren  giebt,  weiss  sie  freilich  nicht;  sie 
kann  dessbalb  nur  vom  prableouitischen  Phiiosophiren  zum 
iq^odiktischen  gelangen,  sofern  es  ihr  gelingt ,  dergleichen 
zu  fiuden  ($.  4.  Ajim.  2^  ^Problematische  EJemeu- 
tariehre^  $..  5.  ff.  §.  28.).  Hierbei  scheint  das  ebenso 
eingeleitete  Philoysophiren  Reinbolds  bei  Begründung 
s^mes  (spateru)  rationalen  Realismusi  zum  Vorbilde  gedient 


394      «  W.  T.  Kfl^ 

n  liabeii,  waldies  firefliek  gtns  in  der  OrAmng  UBd  re- 
lativ grüadlicb  m  nennea  ist,  so  lange  man  historisch 
empirisch  in  die  Philosophie  sich  hineinbewegt  und  iur  das 
oberste  Prineip  eine  ledi^ich  empirische  Bewahrung  sucht, 
nicht  der  ursprOnglichen  Evidenz  desselben  vertraoend,  mit 
welcher  man  eben  darum  anfangen  kann.  —  So  po- 
stnlirt  nun  auch  Krug  sehr  charakteristisch  oberste 
Principien,  d.  h.  ,,er  nimmt  an,  es  gebe  dergleichen, 
weU  er  den  Versach  mach  en  will,  sie  zu  finden*^ 

(EL  56.). 

Das  höchste  Realp.rincip  (prmdpiuM  cBsentä)  der 
philosophischen  Eriienntniss,  die  Grundbedingung  ihrer  Mög- 
Uchkeit,  —^  zum  Unterschiede  von  den  Idealprinci- 
p  i  e  n  Cprindpüs  cognoscendi)^  welche  nur  die  Bedingungen 
der  Gültigkeit  der  einzelnen,  unter  einander  zusammen- 
hangenden philosophischen  Erkenntnisse  sind  —  ist  das 
Ich,  wiefern  es  sich  selbst  zum  Objekte  der  Erkaint^ 
niss  macht  ($.  360-  Diess  scheint  sich  nun  völlig  von 
selbst  zu  verstehen ;  denn  ohne  ein  „philosophisches  Sub- 
jekt %  femer  ein  solches  Subjekt,  welches,  der  Voraus- 
setzung nach,  weil  philosopkirend,  „auf  sich  reflekliit^  ^nd 
so  sich  selbst  „zum  Objekte  seiner  selbst  machte  wäre 
keine  philosophische  Erkenntniss  möglich.  Diess  ist  je- 
doch der  Sinn,  in  welchem  allein  absolute  Identität  von 
Subjekt  und  Objekt  dem  Ich ,  als  dem  Realprineipe  der 
Philosophie ,  zugeschrieben  werden  kann.  Daraus  ergiebt 
sich  die  Widerlegung  des  von  der  WissenschaRslehre  auf- 
gestellten Princips  der  absoluten  Identität  (S.  63^65.}. 
Es  bezeichnet  auf  das  Treffendste  das  Wesen  dieser  Phi- 
losophie und  ihr  theils  entlehnendes ,  theils  widerlegend 
verbesserndes  Verhaltniss  zu  Fichte;  wir  gehen  daher 
naher  darauf  ein. 

Widerlegt  wird  nämlich  das  Ich  der  Wissenschaflslehre 
durch  jenes  Realprincip  sogleich  in  der  dreifachen  Bezie- 
hung. Das  Ich  des  Philosophen,  weil  es  auf  sich  re- 
flektirt,  muss  sich  darin  zwar  als Sid>}ek (-Objekt  an- 
erkennen;  aber  man  kann  daraus  nicht  ohne  Ueboreiluflg 


SyntiieUsinu«.  «       395 

schliessen,  wie  Fichte  g*et)iaTi,  da^s  dM  Ich  an  und 
fär  sich  betrachtet ,  auch  Subjelit'^Objekt  sei,  d.h.  dass 
afles  Objektive  far  das  Ich  nur  Produkt  desselben  sei. -^ 
Eben  so  denkt  sich  das  Ich  im  Philosophiren  Kwar  ris 
ein  Unbedingtes,  weil  es  diese  Brkennlniss  aicbt  von 
einem  anderweiten  Principe  aMeiten  kann ;  aber  der  Schluss 
wäre  übereilt,  dass  es  desshalb  tlberhaupt  ein  Unbe^ 
djngtes  sei,  dass  das  Ich  weder  Etwas  über  sich,  noch 
neben  sich  habe,  von  dem  es  in  Ansehung  seines  Sein« 
und  Wirkens  abhängig  sei. 

Endlich  muss  das  philosophirende  Ich  sieh  in  Bezug 
auf  die  philosophische  Erkenntniss  eis  einiges  Real*« 
p  r  i  n  c  i  p  denken  ;  aber  daraus  folgt  nicht,  weder  dass  m 
nach  das  einige  Realprincip  aller  Dinge  sei,  welche 
fiberbaupt  erkannt  werden,  noch  dass  es  auch  einige« 
Idealprincip  der  Erkenntniss  sei ,  aus  wekhem  man 
Alles  dedociren  müsse ,  um  ein  Ganzes  der  Wissensehaft 
Ea  erbauen ,  mithin  dass  Real  -  und  Idealprincip  identisch 
seien. 

Alle  diese  Fehlschlüsse  hat  mm  die  Wissenschaftslehre 
begangen  durch  eine  dem  Urheber  freilich*  selbst  unbewusst 
geUiehene  Erschleichung.  Jene  Sätze  sind  nämlich  in  ge- 
wisser Hinsicht  (»eeunAtm  quid)  wahr,  inwiefern  das  Ich 
als  philosophirendes  Subjekt  gedacht  wird ,  nicht  aber  in 
Beziehung  auf  das  Ich  überhaupt ,  oder  an  und  (lir  sich 
isimplic^ery.  Diese  Verwechslung  hat  nun  Fichte  began-« 
gea,  die  ganze  Wissenschallslehre  ruht  also  auf  einem 
SopA&wa  amphiboHae  u.  s.  w.  (SL  65.) 

Ueber  die  Sache  selbst  scheint  uns  nicht  von  Nothen 
Etwas  hinzuzusetzen;  nur  fallt  dje  Aerrolichkcit  der  Wi- 
derlegung und  verbessernden  Umgestaltung  in  die  Augen, 
welche  Krug  dem  Principe  der  Wisseiischaftslehrc  angedei- 
henlässt^  Fichte  war  nicht  so  bescheiden,  biossauf  Üen 
Credit  seines  Ich,  und  zwar  seines  pbilosophirenden,  jene 
S§tze  aufzustellen.  Er  nahm  das  Ich  an  sich  selbst,  die 
Uee  desselben ,  und  getraute  sich  aus  der  Evidenz  dersel- 
ben in  jedes  mögliche  IcJi  hinein  (vom  j^menschliohen^ 


396  W.  T.  Krugs 

ist  bei  ihm  nie  die  Rede)  iris  aHgeneingfilti;  zn  behaup- 
ten :   dass  das  Ich ,   sich  setzend  im  ursprünglichem  Akte 
der  Selbstanschauung  ,   ebenso  schlechthin  seinem  Objekti- 
ven sich  entgegensetzen ,    als  zugleich  doch  mit  ihm  sidi 
gleich,  in  Uebereinstimmung  setz^a müsse.   Alles 
Objektive  ist  daher  nur  für  das  Ich^  und  in  Bezug 
auf  dasselbe  möglich,  wie  verstandlich,    lieber  ßch  selbst 
hinausgehen  kann  das  Ich  nicht  einmal  wollen ,  weil  ihm 
jeder  nächste  Akt  der  Reflexion  zeigen  würde ,    dass  es 
nicht  gelungen  ist,  noch  je  gelingen  könnte,  indem  jedes 
U  e  b  e  r  sich  für  es  sdbst  nur  ein  I  n  s  i  c  h  sein  kann.  Das 
Ich  ist  sich  sel1>er  das  schlechthin  Erste  und  Letzte, 
das  nur  sich  selbst  Voraussetzende  und  nur  aus  sich  selbst 
Erklärliche ,  die  absolute  Form.     Weiter  reicht ,   wie 
Fichte  einmal  sehr  bezeichnend  sagt,  keine  „rechtliche^ 
Deduktion:  die  Frage  nach  einem  Ans  ich,  nicht  für  das 
Icli,  kann  nicht  einmal  Sinn  haben  für  dasselbe.   Das  Ding 
an  sich  ist  eben  mit  der  Thatsacbe  dieses  Begriffes  schon 
Etwas  für  das  Ich ,    ein  ihm  Innerliches  geworden.     Man 
vergleiche  damit,  wie  Krug  in  seiner  Metaphysik  der 
Erkenntnisslehre  2te  Aufl.  1820.  $.  13.  S.  27— 31. 
das  Verhältuiss  zwischen    dem  Erkennen  und   dem  Dinge 
an  sich  festsetzt.     Hier  wird  einerseits  zwar  richtig ,  nnd 
.zufolge  des  behaupteten  ursprünglichen  Synthetismus  kon- 
sequent erklärt:  was  das  Gemüth  nach  seiner  nrsprungL. 
liehen  Handelsweise  an  dem  realen  Dinge  erkennt,  müsse 
demselben,  sofern  es  Erkenntnissgegenstand  ist,  zukommen 
und  allgemeingültig  von  ihm  ausgesagt  wer^ 
den.   Anderntheils  aber  schleicht  sich   doch   wieder  das 
Be^nken  ein,  ob  es  auch  demselben,  inwiefern  es  Ding 
an  sich  sei,   beigelegt  werden   könne?    Diess   sei  eine 
transscen4ente  und  folglich  unbeanlwortliche  Frage^     Als 
ob  nicht  jenes  Ding  an  sich  auch   uur,   als  ein  ^zufolge 
der  ursprünglichen  Handelsweise  des  Qeoiüths^  gedachter 
RegriiT,  Erkenfitoissgegenstand  wäre ,  alsa  schlechterdings 
innerhalb  des  Gemüths  und  seines  E^-kemitnisbereiches 
fallen  müsste;  wodurch  die  Frage  keine  ^^transscendeste«' 


Syntheltemitf.  397 

oder  ^  utibeantwortliGhe  * ,  sondern  eine  simdose  und  sich 
selbst  aufhebende  wird* 

Wnr  eilen  jedoch,  den  BegrUF  jenes  Synthetismus  selbst 
noch  näher  in^s  Auge  zu  fassen.  Die  Hauptaufgabe  der 
Fundamentalphilosophie ist  eine  doppelte:  den  Ausgangs- 
ponkt  der  philosophischen  Erkenntnis  (von  den  obersten 
Principien)  festzusetzen ;  .dann  aber  auch  zu  untersuchen, 
wie  weit  an  sich  selbst  nur  diese  Forschungen  fortgesetzt 
werden  können,  oder  was  absoluter  Granzpunkt 
aller  Philosophie  sei. 

Das  Realprincip  ist  im  Vorhergehenden  angege-p 
ben:  die  Idealprincipien  theilen  sich  nach  dem  Gesichts- 
punkte, was  das  Ich  ursprünglich  weiss,  und  wie  es  diess 
weiss,  in  materiale  und  formale  (Fund.  Ph.  $.  39.). 
Jene  sind  die  Thatsachen  des  Bewusstseins, 
die  sich  durch  Reflexion  und  Abstraction  auf  gewisse  all- 
gemeine Begriffe  oder  Grundthatsachen  zurückfuhren  lassen« 
So  viel  es  deren  (faktisch)  giebt ,  so  viele  materiale 
Idealprincipien  sind  anzunehmen.  Alle  lassen  sich 
aber,  wiederum  durch  noch  weiter  fortgesetzte  Reflexion 
and  Abstraktion,  auf  die  allgemeinste  Thatsache  (das 
oberste  Idealprincip)  zurückfuhren:  Ich  bin  thätig; 
(S.  40^46.  48.,  mit  Vergleichung  der  polemischen  An* 
merkung  gegen  Fichte  und  Schelling,  S.  81.  ff.,  wo 
ihre  seltsame  Idee  bekämpft  wird,  aus  einem  solchen  ober- 
sten Principe  alle  übrigen  „Thatsachen^  apriori  deduciren 
zu  wollen.  Wenn  allerdings  alles  diess  nur  Thatsachen 
sind,  und  man  nicht  einmal  auf  die  Frage  kommt,  ob  zwi«- 
schen  den  Hauptmomenten  des  Bewusstseins  oder  den 
Grendthatsachen  nicht  ein  n  o  t  h  w  e  n  d  i  g  e  r  Zusammen- 
hang bestehe;  kann  ein  solches  Fortschreiten  mit  Noth*- 
wendigkeit  von  der  einen  zur  andern  nur  als  ein  ganz 
müssiges  Unternehmen  erscheinen.  Man  erblickt  wieder 
die  unerschütterliche  Ruhe  und  selbstgetreue  Konsequenz 
des  Empirismus,  der  sich  nicht  einmal  die  Vermuthung  an- 
fechten lässt,  dßss  es  mit  den  spekulativen  Konsiruktionen 
^er  Gegner  auf  etwas  Anderes  abgesehen  isei.    Dennoch 


398  W.  T.  Knigf 

wflrde  der  Bej^iflT  der  Thätigkeit,  selbst  nur  tls  die  ober^ 
sie  T  hat  Sache,  kaum  dem  Ich  von  Krug^  vindicirt  wor- 
den sein,  wenn  ihm  Fichte  nicht  mit  dem  in  allen  Akten 
.seines  Bewusstseins  sich  setzenden  Ich  vorausg^egangen 
wäre.) 

Die  formalen  Idealprincipien  sind  die  Gesetze 
der  Thätigkeit  des  Ich  in  jenen  verschiedenen 
Gnmdthatsachen ;  sie  sind  daher  so  vielfach,  wie  diesö 
Thitigkeit  selbst.  Aber  diese  ^Gesetze^  oder,  wiesogieick 
hinzugesetzt  wird,  „obersten  Regeln^  ($.  50.)  arscheiaeil 
wiederum  keinesweges  als  etwas  ^  an  sich  Nothwendiges^ 
«midem  sie  emstehen  ($.  49.)  ans  der  Reflexion  auf  die 
Gleichförmigkeit  und  Regelmässigkeit,  wekhe 
thatsäehlich  in  der  Thätigkeit  des  Bewusatseins ,  bei  aller 
Verschiedenheit  derselben,  stattGndet^  und  weiche  die 
Gesetze  ausmachen,  die  durch  die  ursprüugli« 
che  Bestimmtheit  unserer  Natur  fixirt  sind« 
(Diese  Gesetze  sind^  analog  dem  Ausdrucke  der  bisherigen 
Philosophieen ,  eine  faktisch  ursprüngliche,  nicht  weiter 
lu  ericlärende  „Einrichtung^  imseres  Geistes.  Man  vefgi» 
Anm.  zu  §.  50.  S.  86.  L) 

Die  Mannigfaltigkeit  dieser  formalen  Idealprincipien 
inuss  jedoch  in  einem  Yereinigungspunkte,  in  einem  ober» 
sten  Pormalprincipe  zusammenlaufen ,  weiches,  da  die 
Philosophie  die  höchste,  der  Vereinignngspunkt  aller  Wis» 
aenschaflen  ist,  zugleich  auch  das  oberste  Fonnaiprincip 
lener  Wissenschaft  sein  muss.  —  Nun  aber  wird  mein 
fhiiosophiren  durch  den  Zweck  bestimmt,  den  ich  dabei 
habe.  Dieser  hängt  an  sich  zwar  von  meiner  freien  Wahl 
«b,  kann  also  ein  „beliebiger^  sein>  aber  ich  werde  doch 
wohl  thun,  einen  solchen  zu  setzen,  der  für  mich  selbst 
von  der  grössten  Wichtigkeit  ist ,  und  von  dem  ich  auch 
bei  Andern  ^vernünftiger  Weise ^  dasselbe  Interesse  vor« 
aussetzen  darf  ($.  61 — 53.)» 

Ich  will  also  —  diess  ist  wenigstens  mein  Zweck  -« 
meine  gesammte  Thätigkeit  kennen  lernen,  und  zwar  nicht 
bloss  in  ihrer  MaiinigfiBltigkeit,  sondern   in   ihrer   höehst 


SyBlkctifimui.  3d9 

«ftSglielien  Einheit:  ^  ich  will  wissen,  ob  eine  durch- 
gängif^e  Ueb  ereins  t  immung  meiner  gesamm*« 
lea  Thätigkeit  wirklich  oder  möglich  seu^ 
Denn  es  beunruhigt  mich,  wenn  meine  Thätigkeit  mit  sich 
selbst  'in  Widerstreit  geräth  n.  s.  w. 

Ich  erhebe  also  aus  freiem  Entschlüsse  fol- 
genden Satz  zum  obersten  Fonnalprincip  der  Philosophie : 
ich  suche  absolute  Harmonie  in  aller  meiner Thätig«- 
keit.  —  Diess  höchste  Princip  ist  jedoch  offenbar  kein 
gegebenes,  sondern  gemachtes.  Es  dient  nicht  zur 
Ableitung  aller  philosophischen  Erkenntnisse  aus  einem 
einzigen  Salze,  sondern  zur  Uinleitung  auf  ein  einzi- 
ges ZieL  Diess  ist  aber  jene  hervorzubringende  lieber- 
einstimmung.  Harmonie  im  Denken  und  Erkennen,  im 
Wollen  und  Handeln,  muss  Jedermann  interessiren,  der  dai 
Wabre  und  Gute  liebt ;  denn  ohne  jene  Harmonie  sind  dieati 
nur  leere  Namen.  Daher  hat  das  Phtlosophiren  nicht  nur 
eine  spekulative,  sondern  aiueh  eine  höchst  praktische  Ten- 
denz :  und  darum  bangt  der  glückliche  Erfolg  des  Philoso« 
phirens  ebenso  sehr  von  der  Gesinnung  ab ,  als  vom  Ta- 
lente u.  s.  w.  ($.  54.  mit  Anm.  1.  und  2.) 

Diese  charakteristische  Entwicklung,  welche  wir  dess- 
halb  in  ihren  Hauptzügen  vollständig  wiedergegeben  haben, 
lasst  nun  auch  äusserlich  keinen  Zweifel  mehr  übrig , .  dass 
es  hier  auf  die  Lösung  eigentlicher  Probleme  philoso- 
phischen Inhalts,  etwa  des  i('  alistischen,  wie  das  Sein  zum 
Wissen  sieh  verhalte ,  oder  des  zugleich  metaphysischen, 
wie  die  Einheit  des  Ich  eine  Mannigfaltigkeit  von  Ver<>- 
mögen  und  Beziehungen  in  sich  zulasse ,  schlechthin  nicht 
ankommt.  Es  gibt  dergleichen  gar  nicht  iur  diese  Philoso- 
phie; sie  begnügt  sich  vielmehr  in  historischer  Berichter«- 
slattung  die  durch  psychologische  Reflexion  und  Abstrak- 
tion gefundenen  obersten  und  vermittelten  Thatsachen  des 
Bewnsstseins  —  höchstes  Real*  und  untergeordnete  Mate- 
rialprincipien  genannt  —  nach  einander  darzulegen,  als 
das  „zugleich  praktische^  Ziel  dieser  Untersuchung  aber 
nachzuweisen,   wie  Harmonie  zwischen  diesen   gegebenen 


40«  W.  T.  Krugs 

Thäti^elfen  des  Geisfes,  zwischen  Empfittden  und  denken^ 
der  Uebericgimg ,  Denken  ond  Handeln  hervorzobriiigeD 
sei,  wodurch  sich  Alles  sogleich  in  praktische  Philosophie, 
Lebensweisheit  n.  dgl..  verlauR.  (Vgl.  §.  84.  ff.) 

Hat  nun  jene  Philosophie  zugleich  jedoch,  ebenso  hi- 
storisch, von  dem  Vorhandensein  solcher  Probletne  und 
ihrer  Lösung  Notiz  genommen;  so  müssen  sich  ihr  beide 
für  den  geistigen  Horizont,  welchen  sie  nie  verlassen  kaiin^ 
noch  nur  psychologisch  gestalten.  Diess  hat  sich  bisher 
schon  ergeben ;  und  -^  sehen  wir  recht,  so  ist  auch  jenes 
höchste  Formalprincip :  absolute  Harmonie  in  aller  llätig^ 
keit  des  Bewusstseins  zu  lachen  -^  nichts  Anderes,  als 
eine  Reminiscenz  aus  der  Wissenschaftslehre,  welche  in 
ihrem  Uebergange  aus  dem  theoretisdieu  in  den  pmkti« 
sehen  Theil  und  durch  diesen  praktischen  Theil  erst  nach» 
weisen  zu  können  behauptet »  wie  Einheit,  Gieichgewichf^ 
Harmonie  in  das  Ich  kommt. 

Der  theoretische  Theil  der  Wissenschaftslehre  kaim 
den  Anlass  ^  durch  welchen  die  (an  sich)  unendliche  Thä* 
tigheit  des  Ich  begränzt  und  dadurch  Hur  Intelligr<^nz 
deterroinirt  wird,  bekanntlich  nur  ^postüliren.^  Lasst 
sich  der  Grund  dieses  Anstosses  nicht  aus  dem  Ich  sei« 
ber  ableiten;  so  hat  die  Wissenschaftslehre^  als  Theorie^  keiü 
festes  Fundament)  aber  auch  das  Ich,  als  Gegenstand  der* 
selben,  in  sich  keine  Einheit  und  Uebereinstim-* 
mung  mit  sich  selbst.  -^^  Dieser  Grund  des  Anstosses 
and  der  Beschrankung  seiner  Thatigkeit  wird  nun.  in  dem 
praktischen  Theile  wiiklich  gefunden :  das  Ich  selbst ,  in 
seiner  unendlichen  Thatigkeit  ^  muss  sich  ebenso  unendlich 
begränzen^  um  ebenso  unendlich  über  jede  Begranzung 
hinauszugehen.  So  entsteht  für  das  Ich  der  Anstoss  oder 
ein  Nichlich.  Es  liegt  im  Begriffe  der  Unendlichkeit ,  in 
sich  selbst  sich  ein  Endliches^  Begrenztes  entgegenzusetzen^ 
aber  ebenso  jedes  derselben  zu  negiren,  sich  absolut  frei 
davon  zu  zeigen«  Ist  mithin  die  Begranzung  ^  das  Nicht-« 
ich  ,  einmal  gesetzt ,  so  zeigt  sich  das  Ich  sogleich  als 
schlechthin   bestimmend    dasselbe t    d«   h»    es   wird 


prakti^<li^,  r^  Dtt»  Ich  €&TetclHlMir:  0or  4ßi  Begviff.sHaefe 

selbA  — tritt  mit  sich  in  Hannonüey  wettxi  ed  abfohlt  prak- 

Uaeh  wird.    Man  swht^  Krug  hat  üccsTheoreoi  einer  im 

wirklichen  kh  -fftct»  sich  vollziehanden  Wahrheit  in  ein 

erst  durch  die  PWlosx^ie  anzustrebendes  Postulat:  such« 

Harmonie  u.  s.  w.  verwandelt,       >  i 

Oie««  Beschaffenheit  seiner  Phitosophie  •  konnii  noch 

wtleiiahfentletmnd  ,   so  sn.sagQpi  interessanter  zu  .fage^ 

wei«n  wie  in  die  Untersu/^hung  der  Eu|i4t9«»eiitalprhilOT 

Sophie  eingehen   (im  z^wt^jten  J^aupt^tucüe.  S  .55* 

S.  96.  ff.):  was  der  ahs-olutre:  GT:ä;n9.pq^kt  der  Pthifr 

1  o  ß  o  p  b  i  e  sei.    Hier  }^Bgßf^n,  wir  zufiiiqhjst  Slt^n  ,  4ie 

ein  gaiia  spekulatives  Gepräge  ,haben. 

'iXii9.B<i^a^skseiii  jst  <dte  Synthese  ^^  Seins  und  Wiin 
seivs\»t  jedes  besondere  Bfiiriisstsein .  ist  daher  a^ieh^eine 
beetimmte  Art  dieser  Synthese.  —  Sokfae.  bestimmteil 
jiad.wecbseikiden^  Synthesen,  waren  aber  gar  nicht  möglicbi 
weoti  Sein  und  Wissen  nicht  schon  ursprünglich  (^apriari) 
im  loh  verknüpft  wöreB.  Diese  Synthese  ist  daher  an«use4 
hen,  als  eine  ursprüngliche  Thatsache^  fL  h»  äna 
soicfae,  die  sich -in  keinem  Momente  der  Zeit  und  deef  Be- 
"wustseitis.  nachweiw<;en  lässt,  sondern ^  jedem  derselben 
seblecblhin  vorhergeht  (S. 08.  vergliclien  mit  dem^  wias 
oben  dai^ber  aus.der  Wissenschaflslehre  voricam).  Daher 
kann  diese  Synthese  auit^h  die.  1  r a  n  s  s  c  e  n  d  e  n  t  a  Le  ge«« 
mmni  werden  ^  zum  Unterschiede  von  jöder  besondenr, 
empirisch  ffe^benen. 

Diese  Urfhatsache  ist  aber ,  eben  viä  solche» 
«eblechthin  unbegreiflich;  es  ist  durchaift;  uner« 
kJarfoar,  wie  und  wodurch  Sein  und  Wissoii  in  uns  ver« 
knüpft  sind^  ^ndem  uns  das  Bcwusstsein  bloss  lehrte  das^ 
beides  in  ifAs^  verknupft^sei,  wenn  wirSifwas  bewusst  sindi, 
und  dass  es  eben  darum  schon  vor  allem  bestinimtea 
Bewusstseln.  verknüpft  seia. müsse. <^  —  Daher  ist  jene  trauif«- 
acemtenlale  Syltthese  der  absolute  Granzpunkt  d^s 
Philösophirens:  jede  Philosophie^  die  darüber  hinaus^ 
gdieA  will,  muss  trunsacendent  werde«,  »weilato 

26 


44M  W.  T.  Kruf^i 

ins  Transflcendenlale  selbst  iberfliegeii  wiH.«  -- 
^Und  auch  die  Anerkennung^  jener  Unbegrei&icUeil 
nnd  ^ie  daher  entstehende  freiwillige  Beschränkung^  der 
Spekulation  auf  jenen  Granzpunkt,  ist  die  nnuaiganglich 
ttotbwendige  Bedingung  eines  gtOeklicken  Erfolgs  iai  Phi- 
losophiren«^  ($.  57.  58.,  S.  99. 100.). 

Erkennt  man  jenen  Gesichtspunkt  nicht  an,-  so  ist  nur 
der  doppelte  Weg  möglich :  entweder  das  Ideale  aus  dem 
Realen  (im  Realismus,  der,  konsequent  gemacht,  Ma- 
terialismus wird),  -«  oder  umgekehrt  das  Reale  aus 
dem  Idealen  (im  Idealismus,  der,  konsequent  durchge- 
luhrt,  Nihilismus  wird),  abzuleiten.  Beide  können  diese 
Ableitung  nicht  zu  Ende  fuhren ,  weil  keinem  von  flinfn 
die  Nachweisung  gelingt,  wie  das  Eine  zum  Andern 
—  Ideales  zum  Realen  oder  umgekehrt  —  eigentlich 
kommt  Ebenso  genügt  auch  keines  dieser  Systeme  mei- 
nem praktischen  Interesse :  das  höchste  Ziel  meines  Philo- 
sophircns,  Harmonie  in  mir  hervorzubringen,  wird  nicht  in 
ihnen  befriedigt;  denn  beide  sind  mit  den  sittlichen  Ideen 
und  Gefühlen  unvereinbar  ($.  58 — 66.). 

Da  sich  nun  solchergestalt  weder  Sein  aus  Wissen, 
noch  Wissen  aus  Sein  ableiten  Ifisst ,  muss  man  bei  ihrer 
ursprünglichen  (d.  h.  faktisch-unmittelbaren  und  nicht 
weiter  erklärlichen  oder  höher  abzuleitenden)  Verknüpfung 
stehen  bleiben.  Das  System  der  Philosophie,  wdches  jene 
Schranken  anerkennt ,  und  so  zugleich  aus  der  Widerie- 
gung  der  beiden  filr  sich  einseitigen  Systeme  hervorgeht, 
ist  der  transscendentale  Synthetismus,  welcher 
folglich  transscendentaler  Realismus  und  Ide- 
alismus in  ursprünglicher  und  eben  darum 
unzertrennlicher  Vereinigung  ist  (S.67.S.  130). 
Hiermit  wäre ,  müssen  wir  zugestehen ,  den  Worten  nack 
das  Höchste  erreicht,  zu  welchem  es  bis  auf  den  gegen- 
wirtigeoi  Augenblick  die  deutsche  Spekirialion  gebracht  hat 
Wir  müssten  diess  System  den  grossen  Erscheiaungen  des 
Schellingschen  und  Uegelschen  an  die  Seite  stellen; 
und  am^h  hierdurch  trüge  es  das  .Zeichen  der  iclMesten 


SyMbetiiimis.  403 

imd  tiefflieii  Blnrielil  an  sidk,  daw  es  das  Bewosslaeni 
von  «ch  UUe  und  bekannte ,  aus  der  Wideriegung  und 
Venultlung  entgegengesetzter  Einseitigkeiten  hervorgegan-«- 
geD  zu  sein. 

Dennoch  ist  es  nur  eine.  Parodie  derselben  und  seiner 
eigenen  Versprechungen:  statt  eines  „apriorischen,  trans* 
scendentalen  Princips^  erhalten  wir  das  Resultat  einer  em- 
pirisdi  bleibenden  Refleidon,  und  der  „S  y  n  t  b  e  t  i  s  m  u  s^ 
besteht  lediglich  in  der  Behauptung ,  dass  man  über  di^ 
nicht  ursprüngliche,  sondern  unmittelbar  gege- 
bene Beziehung  des  Subjektiven  auf  ein  Objektives,  über 
die  „allgemeine*  Thatsache-^  der  Annahme  einer 
StMienweH,  deren  sjch  auch  der  entschiedentste  Idealist 
nicht  zu  entschlagen  vermag,  nicht  hinausgehen  könne,  und 
dea  Ratii,  bei  diesem  natürlichen  Bewusstsein  eben  stehen 
m  bleiben.  (Fund.  Phil.  8. 118.  19.  S.  122  — 27.  Die 
weitere  Ansf&hmng  davon  ist  m  der  Metaphysik  oder 
Erk.  Lehre  $.  10.  S.  21.  und  $.  15  ff.  gegeben.) 

Demungeachtet  würde  man  ungerecht  urtheilen,  wenn 
man  diese   Sätze  für  bloss  nachgesprochene  oder  für  das 
Produkt  eifi^  ausserlichen  Nachahmung  halten  wollte ;  viel- 
mehr ist  das  Krug  sehe  System  völlig  selbststfindig  und 
sogar  aus  der  Opposition  gegen  den  Idealismus  und  das 
Identititssystem  erwachsen.     Und  diess  giebt  ihm  gerade 
das  Interesse  und  macht  es  zu  der  eigenthümlichen ,  bei- 
nah  mit  nichts  Anderem  vergleichbaren  philosophischen  Er- 
scheinung.    Es  ist  hervorgegangen   einestheils   aus  dem 
YoDstdndigen  Bewusstsein  über  die  Aufgabe  der  Spekulation 
in  der  Gestalt,   wie  sie  sich  damals  aussprechen  musste, 
andemtheils  aus  der  völligen  Unfähigkeit,  die  bei  ihm  ohne 
allen  Kampf  und  Zweifel  zu  naiver  Sicherheit  gediehen  war, 
jene   Anfgabe-aaders  als  im  empirisch    psychologischen 
Sinne  zu fessen.  Das  Krugsche  System  ist  daher,  wie  sich 
diess  aus   der  Kenntniss  seines  charakteristischen  Inhalts 
woU  tm  Genüge  eigeben  hat,  eine  Philosophie  ohne  allen 
spekulativen  Beisatz,  aber  getreulich  die  nächsten  philoso- 
phischen Ueberiiefarungen  in  sich  wiedergebend.     Jedes 


404  W.  T.  rnigfi 

Wort  in  flim  <leutet  auf  ein  wahret  Problenr;  ater '  üb 
Ldsnng'  ist,  ihm  eine  empirißcb^  Stätte  anzuweisen,  es  xor 
<Jitoadthefsache  zu  stemp4rin ;  und  sa  ist  diese  Philosophie 
das  lehrreiche  und  denkwürdige,  weil  völlig  rein  duiichge* 
führte  Beispiel  geworden,  was  eine  fbilosophjsche  Ckund- 
ansieht,  reflektirt  in  einem  ganz  unapekulativen  Bewoast^ 
sein,  in  diesem  hervorzubringen  vermöge.  Krng  wäre  eta 
grosser  Philosoph,  der  NmseqiiOntesle  Ausdruck  seiner 
Epoche,  wenn^  es  keine  Spekulaliin'  gäbe. 

Aber  in  diesem  Betmcht  ist  er  sogar  als  eine  aHge*- 
meina,  im  ZnföRlgeti  so  m  mgeh  aoUfwendige  Mnsteigestalt 
Rt  ^olbbe  Siels  wiederhehpende  Bestrebungen  zu  bezei 
nen.  Nichts  ist  gewöhntiefaeir ,  ;|a  nn^cmieidlicher  in 
Zeit  votf  r^ger,  an  Allem  tbeilnehmender  Ltlteratnr,  als 
dass  auch  die  zur  Spekulation  Unaufgelegten  un<l  ddrek  keia 
inneres  Interesse  dazu  betriebenen  Nofios  nehmen  von 
dem',  was  dfe  Philosophie  ihrer  Reit  bese4iäiligt ,  dass  sie 
durch  irgend  ein  Organ  dasselbe,  eben  als  Notiz,  —  mb 
Neuigkeit  Rlr  die  t^^gier ,  oder  als  trocknes  Resultat  za 
sonstiger  Anwendung,  —  sich  anzueignen  suchen.  Ebenso 
versteht  es  ^id»,  dass  sie  dieses  äussere  Vermtttiungsorignii, 
•benso  wie  dieses  nicht  selten  sich  selbst,  gleicbfalls  fiir 
einen  FIkilosophen  und  die  Relalion  iur  PhHosophie  halten^ 
W\e  oft  man  audi  wiederholen  möge,  dass  ein  spekulalrves 
Prin-cip  oder  eine  philosophische  Wellffnstohl ,  zinn  Gegen^ 
Stande  einer  faktischen  Berichterstatlang  geworden ,  noün- 
wendig  damit  aufgehört  bat^  -spekulativ  zw  sein.  Es  v^ma^ 
gar  mcht  historisch  ircu  üborMeferl  zu  wenhpi ;  es 
ist  das  Oegentheil  seiner  selbst,  uirwahr  gowordt«,  und  je 
spekulativer  an  sich  selbst,  desto  sicherer  und  unvermeid- 
licher. 

Hier  ist  nur  ein  doppelter  Ausweg  miüglicb:  man 
det  für  das  Spekulative  darin  dnen  empirischen  Simi 
und  amplificirt  diesen  durch  fernere  Ausspii^nngen  in  gk^i^ 
chem  Geiste.  Diess  ist  Krug  aufs  Höchste  gelungien  fiir 
seine  Zeit.  Oder  man  setzt  sich  in  einfachen  Widersprach 
gegen  dasselbo^  verwirft  eü  und  bewahrt  .o»am  Bndo  iia 


Synthetiismiui.  49fi 

der  Cki^bUcUe  dlon^chUclier  S/oiiderbfirIceiteii.  1»  einer 
rihrtgeii  Zeit,  wie  die  gef  enwartige ,  wo  zudem  das  „Pa- 
TBd^nßl^  -nur  reizi  und  tnlockt ,  ituiss  die  erstere  Gattung 
der  Yermitlelndeii  den  grössten  Antbeil  im  Publikuna  finden, 
und  00  dürfen  wir  mit  Zuversicht  für  jedes  System  und 
jede  lAitosopbische  Epoche  seit  der  K  an  tischen  auch 
ihren  Popvlarvermittler  erwarten. 

Dass  das  Krugsche  System,  gerade  weil  es  vom 
Inhalte  der  Philosophie  auf  unphilosophiscbe  Weise  Ge- 
brauch macht,  in  seinem  ersten  Aullreten  die  weiteste  Ver- 
hreitnag  und  den  grössten  Beifall  finden  musste , .  liegt  üi 
der  Natur  der  Sacber,  und  in  der  Hotnogeneitat  desselben 
zu  seinem  Publikum.  Jetzt  sind,  bei  dem  Wechsel  der  Ai»- 
toritäten  und  Systeme ,  dergleichen  Vermittler  für  andere 
Philosophieen  an  seine  Steld  getreten ,  ohne  dass  diese 
sich  freilich  bis  zur  Klassicität  der  Leistungen  ,  welche 
Krug  für  seine  Zeit  und  (tir  den  Kantiselien  Standpunkt 
vollbradit  hat,  erheben  mögen«  Wie  viele  Organe  dieser 
Art  dai»  Hege  Ische  Princip  schon  gefunden,  freilich  nicht 
ohne  tiefe  Verietzung  des  eigentlich  spekulativen  Gehalte« 
m  ihm ,  daran  bedarf  es  hier  nur  der  allgemeinen  Erin* 
nerong. 

Damit  sind'  nun'  die  andern,  posittveren  Verdi(Mste 
Kru g's  f&r  4^  PIMesophie  nicht  ausgeschlossen,  sondern 
gerade  als  Bedingengen  seiner  Hauptleistung  an^j^terkennea. 
Zanäcftsi  die  nngevneifie  Klarheit,.  PHicision  und  Nettheit 
seiner  philosophischen  Darstellungsweise,  wiewohl  man  Ott 
nicht  hegrein,  wie  er  nicht  von  Ungedidd  und  Uekerdmsa 
ergriffen  wird  bei  umslindlicheii  Auseinandersetzungen  dea 
von  selbst  sich  Versteheoden:  diess  unermödtiche  nnd 
gteichmSssige  Exponiren  erinnert  sehr  an  W  o  I  f  Ps  scien^ 
tifischen  Vortrag  in  seinen  lateinischen  und  deotsehen* 
Lehrwerken.  So  ist  seine  „Logik  oder  Denklehre^ 
(•2te  Ausg.  1819,  3tc  Ausg.  1827.)  noch  jetzt  ein  nach 
zweckmässiger  Kürze ,  Klarheit  und  Verständlichkeit  kaum 
ubertroffenes  Werk  ,  wenn  von  der  leichten  und  vollstfin- 
digen  Aneignung   des  alten  logischen  Maleuals  die  Rede 


406  Uebergang  dieses  Standtpnnkles 

ist.  Aber  auch  fAr  die  wissensdiafUiche  Psychologie  hat 
er  sich  unseres  Eraohtens  ein  vorbereitendes  Verdienst  er« 
werben  durch  seine  „Grundlinien  zn  einer  neuen 
Theorie  der  Gefühle  (1823.),  indem  er,  freilich,  wie 
uns  dünkt,  eine  von  Chr.  Weiss  früher  begründete  Theorie 
eigentlich  nur  reproducirend *) ,  die  seit  Kant  fast  allge- 
mein gebrauchliche  Hypothese  als  unzulässig  zurückwies, 
dem  Erkennen  und  Wollen  nun  noch  als  eine  dritte  Thä- 
tigkeit  des  Geistes  das  „  Gefuhlsvermogen  *  anzureihen, 
welches  auch  er  vielmehr  richtig,  wie  uns  dünkt,  als  ste- 
hende Innerlichkeit ,  aus  dem  Ineinandergreifen  des  er- 
kennenden und  wollenden .  Lebens  des  Geistes  hervorge- 
hen lisst. 

lU. 

Der  6 1  a ab  e  —  ergänzend  die  Ungenüge  des  Wissens; 
die  Wissenschaft  ^  unflhig  zur  Erkenntniss  der  gött- 
lichen Dinge ,  und  so  ihr  Inhalt  dem  des  Glaubens  aus- 
drücklich gegenübergestellt :  —  allen  diesen  Ansichten  und 
Voraussetzungen  liegt  die  Konsequenz  fast  unausweichbar 
nahe,  zugleich  das  Historische  und  Positivedes 
Glaubens  zu  umfossen,  um  wenigstens  duith  diess  Mittel 
dem  Schwankenden  und  Subjektiven  aut-  und  abwogender 
Gemüthsbestimmungen  in  ^in  Festes,  Gewisses,  und  Gemein- 
schafUiches  zu  entweichen.  Wir  haben  gesehen,  wie  in- 
haltsleer und  stofBos  J  a  c  o  b  i  's  Lehre  werden  musste,  weil 
sie  dem  Gehalte  des  christlichen  Glaubens  sich  verschloss. 
Diess  Hohle  derselben  haben  seine  Nachfolger,  überhaupt  eine 
spatere  BUdungsepoche,  tief  empfunden,  und  der  Durst  nach 
einer  Objektivitfit ,  bestimmter  und  standhaltender  Gegen- 
ständlichkeit, für  ihren  Glauben  ist  desto  tiefer  erwacht 
Daher  die  zahlreichen,  geheimen  oder  lautgewordenen  Be- 


*)  Wir  köaaen  nämlicii  die  kritische  DarstcUang  ,  die  er  von 
W«isl'<  Theorie  in  leioem  Buche  gegeben  hat  (S.  116 — 
24.) ,  nUhi  TÖllig  gttrtu  nad  richtig  finden* 


in  09$  Positive  des  Glaubens.  407 

k^ffimgeii  von  dem  ^^Frevel«  des  Wissens  zur  Tugend  des 
CilaidDens^  aber  eben  so  von  dem  Abmüdenden  jener  per- 
sdnGdien  Glaubensbeliebigkeit  zu  einem  Sicbgefangenge- 
ben  in  dem  Positiven  des  Dognia.  JHan  gewinnt  damit 
allerdings  eine  Objektivität  för  den  Geist ,  die  wenigstens 
eine  JäusserliGhe  ist,  und  der  Verstand  —  darin  liegt 
A%s  Charakteristische  dieses  Standpunktes  —  hat  die  Rolle 
selbsCstfindiger  Erforschung  oder  Begründung  der  Wahrheit 
ausgeben ,  —  diese  ist  überhaupt  eine  fertige ,  äberlie- 
ferte ;  —  aber  er  hat  noch  immer  durch  Süssere  Rechtfer- 
Ugungsmitfel  und  Probabilitäten  den  Rechtstitel  aufzuwei- 
sen, wodurch  die  Offenbarung  verlangen  kann,  den  Ver- 
stand unter  ihren  Inhalt  gefangen  zu  nehmen. 

.  Wir  können  darin  nur  das  letzte  Stadium  des  lieber- 
ganges  aus  der  Philosophie  in  die  Nichtphilosophie,  zugleich 
aber  ein  sehr  wesentliches  und  in  dem  Gemälde  dieser 
\ganzen  subjektiven  Glaubensricbtung  nothwendiges  Glied 
erkennen.  Ware  in  der  That  die  Spekulation  nicht  auch 
eine  geistige  Objektivität,  besasse  nicht  auch  sie  die  Macht 
einer  historischen  Entwicklung,  welche  aus- den  engen 
Schranken  persönlichen  Furwahrbaltens  und  ejgengemachter 
Wahrheit  zu  befreien  im  Stande  ist :  fürwahr  es  bliebe  dann 
nur  übrig ,  sich  der  in  der  Geschichte  gegebenen  Wahr- 
heit zu  vertrauen,  und  an  den  allgemeinen  Trost  anzu- 
Uamnem,  dass  der  Geist  des  Menschen  darin  nicht  ge- 
tauscht werden  könne;  denn  in  der  Einsamkeit  dnes  per- 
soniichen  Selbstbeliebens ,  was  oft  „  Selbsidenken  ^  heisst, 
kann  und  soll  er  bei  den  höchsten  Fragen  des  Geistes  nicht 
verharren» 

Einzelne  Namen  von  Solchen  zu  nennen  ^  die  jenen 
Bekehrongsprozess  in  sich  vollbracht  haben ,  wäre  hier 
ebenno  überflüssig,  als  ungehörig:  ihre  scbriftsteiieri- 
sche  Charakteristik  fällt  über  das  Philosophische  hinaus  in 
das  Allgemeine  unserer  litterarischea  Zustände.  Sie  sind 
Gegner,  ja  Antipoden  der  Philosophie,  indem  sie  die  Grund- 
bedingung ihrer  Existenz  läugnen  oder  venirtheilen.  Wenn 
sie  dennoch  mit  der  Philosophie  in  ein  Verhaltaiss  treten, 


406  €.  A*.  Eschenmayer'B 

HO  ik  es,  'iiift  6i0  von  <}eiii  Gebi^to  ^er  Afeliglta'irad  iRer 
höterii  Wahrheiten  hinwej^sübeuelieft  und  auf  Logfk^  for- 
tneite  Ausbildung^  des'SclniFr^inns  n.  dg^l.  emzusehriiiken.*) 
Auch  Eschenmayter  ist'  dieser  Richlunf  verwandt, 
indem  er  dem  Wissen  das  Recht  wie  das  Vermögen  ab- 
spricht, €ott  iind'die  ewigen  Verhältnisse  desselben  rar 
Schopftingf  zu  erkerinen  oder  in   den  Begriff  aufzunehmen. 
Wissen ,  Begreifen  -ist  ihm  ,    nach  den  Prämissen ,  die  wir 
schon  geprüft  haben,  nur  das  Vermögen  der  logischen  Re- 
flißxion  und  Abstraktion  ober  sinnliche  Dinge,  nicht  beruh- 
rend'das  Gebiet  ewiger  Wahriiciten.     Er  bezeichnet  den 
Glauben,  als  die  unmittelbare,  dem  Geiste  einge- 
borene Gewissheit  von  der  Existenz  des  Göttlichen, 
Seligen.    Sein  Grund  liegt  im  Schauen  des  Absolu- 
ten,  welches  jedoch  nur  hervorgeht  aus  dem  Bestreben 
der  Seele,  die  Ideen  der  Wahrheil,  Schönheit  nnd  Tugend 
in  einem  Höhern  Eins  werden  zu  lassen.     Diese   Har- 
monie der  Ideen  ist  das  Absolute.     Es  MIdet  die 
Spitze  der  Pyramide,  in  welcher  unsere  Erkenntnis»-,  Ge- 
fahls-  und  Willensseite  zusammenlaufen,  und  hat  so  keine 
'Existenz  ausser  der  Seele.    Es  gehört' viehhefhr  zn  dem 
i  de  a  I  CTi  Kfeise,  den  die  Philosophie  beschreibt;  und  wenn 
diese  die  Reöonstruction  des  EAennens,  Fohlens,  Wollens 
Toltendet  hat,  muss  sie  im  Absoluten  endigen.    Diess  kann 
daher  nichts  Anderes  sein,  als  das  höchste  tJrbiM  zu  dem 
Gegenbilde,  welches  die  Wiilosophie  in  den  drei  höch- 
sten Heen  und  ihren  Wdtordnungöh  darstellt.  —  Die  Idee 
des  Absoluten  ist  daher  nach   Ei^chenmayer  in  der 


*)  Gharakterisirt  find  diete  Bestrebungen  in  eiaer  Al^baadluBg 
de«  Verfassers :  ),das  froiDme  Bew  U8.s.t8ei  u  in  seinem 
Verhältnisse  zu  Wissenschaft  und  Spekula tion'^ 
(Zeitschri  ft  rUr  Philosophie  Rd.  IV  S.  103—131.).  ^^' 
ren  Inhalt  um  so  mehr  Iilerher  gehOrt ,  als  diese  jetzt  viel' 
beguiüttigte  ,  der  Sp^kiiKitioa  feindliche  Richtung  iu  dem  darin 
bpurth«>ilten  Werke  8o;;ar  die  Form  eines  neuen  Syilew« 
40f  fhilasopfaie'  anKanehmeo  gesacht  liat. 


Theorie  Voii  CrlaoSm-uafl  Wisse».  4DB 

Weh  f eaKirtv  es  isl  der  C  o  1 1  e  k  t  it  Iref  rJ¥i;  der^i  dem 
ZusaimncnfaUen  jener  Ideen,  sofern  sie  sieb  .inr  ünhrersodi 
realisiri  finden^  herveif^Mlt.  Es  isldieis'^r  tetzie  Schrift 
^r Philosophie ^^die ,)Po«ewz^ de»  Ewigen.'-  iMeser  abef 
ist  der  erste  zur  Nicbtpbilosbip'hte,;  sutn  Glaubeii 
—  der  Potenz  des  Seligen;  denn  Gott  ist,  in  Bezug  auf 
das  Absohlte,  die  nnendliche  Hd  böhere  Potent  •desselben'. 
(Bsehenma  yer,  die  Philosophie  in  ihrem  (?€^ 
berganpe  zur  Nichtphilosophie  ;  Eriangen  18te^ 
$.40. f.  und  Psychologie^  als  empiris^ohe,  reinii 
und  angewandte;    2te  Aufl.  Stuttgart  18^2.  '§.  199i 

S.  117.)  " 

Das  Vermittelnde  dieses  Glaubens ,  In  dem  uns  nun 
die  Gewissiieit  Gottes  aufgeht,  isf^as  Schauen.  Wie 
das  Gewissen  über  unsere  Handlungen  Recht  spndit 
anf  sehlechtbin  nr^prünglicbe  Weise,  und  im  Reifgiösefi 
die  Idee  der  Wahrheit  repräscntirt :  „so  unt^rrichfel  nn^das 
Sdiauen  in  dem  Mysticismus  unseres  relitriösen  Ver^ 
hältnisses.  ^  Er  repräscntirt  die  Idee  der  Sch^hiheit  irii 
Rdigioven. ' 

,,Aas  diesem  Schanen  ^mmen  die  prophetischen  <ire^ 
aichle  der  fronmen  Seher  und  ihre  Ofibnbarangen.-  in 
Symbolen,  die  unter  Bildern  das  Geistige  vierhüllen ,  öRi^t 
sich  m»  eine  höhere  Welt  — ^  das  Reich  der  götHioiien 
Marchl,  Weisheit,  Lfd)e  und  Gnade.«-  DiesB  ist  eben  die 
Welt  des  Glaubens.         '  ^ 

Dieser  ist  jedoch  eine  ebenso  de^  Seele  eingidMorfme 
Funiilion ,  aU  Denken ,  Fühlen  und  Wollen.  Er  ist  kein 
Firwahrhalten  aus  BegriiTen ,  —  anch  nicht  aus  innem 
Gefühlen  —  auch  nicht  aus  moralischen  Gründen,  sondern 
eine  Gewissheit  dureli  Offenbarung.  Darum  ist  er  aueb 
die  Urkunde  der  Gottheil.  — Das  Wissen  kommt 
nie  ans  seinem  idealen  Kreise  heraus ,  auch  nicht  in  der 
Annahme  des  Absoluten.  Ob  daher  ausser  der  Idee,  und 
der  der  Idee  correspondirendcn  ,  aber  auch  nur 
gewusslen  Welt,  eine  Existenz  sei  ^  das  kann  ms 
das  Wissen  nicht  kund  thun. 


410  CA.  BgckeBinayef 0 

Das  Jedoeh,  was  in  der  WirkUehkeil  einer  Wdl  gege- 
ben ist,  gehört  immer  nur  zur  Sphäre  miserer  Seele.  Diess 
Reale  ist  nur  die  Kelirseite  des  Idealen  in  uns ,  and  beide 
beziehen  sich  durchaus  auf  einander»  und  die  Ursprung- 
Uehsten  Gleichungen  und  Proportionen ,  die  innerhalb  des 
geistigen  Origanismus  bloss  ideal  sind,  sind  in  der  Ans- 
senwelt  in  unendlich  vielen  Reflexen  real  geworden.  Diess 
das  ideaWealistische  Bildungsmoment  der  Sc  he  Hing- 
sehen  Philosophie,  welche  auch  in  der  sonstigen  Konstrak- 
lionsweise  in  Potenzen,  Differenzen,  Gleichungen,  Polaritä- 
ten tt.dgl.  znr  psychologischen  Theorie  Eschenmayer's 
wesentlich  beigetragen  hat 

Diese  niedere  Gattung  von  Existenz  darf  jedoch  nicht 
verwechselt  werden  mit  jener  höhern,  die  über  Ideales 
und  Reales  und  über  die  Seele  selbst  hinausliegt  —  und 
diess  ist  das  Göttliche.  Von  dieser  Existenz  kana 
kein  Wissen  unterrichten ,  weil  diess  über  die  Seele  hin- 
aus keinen  Werth  mehr  haL  Aber  der  Glaube  offenbart 
uns  dieselbe. 

Diess  nun^  was  im  Glauben  gewiss,  aber  prädi- 
catlos  ist,  wird  durch  das  Wissen,  nicht  seiner  Existenz, 
«i>ndem  seinem  Werthe  und  seinen  Eigenschaften  nach, 
ibestimmt.  Daher  ist  das  wahre  Verhaltniss  des  Wissens 
ziim  Glauben  gerade  das  umgekehrte  von  dem  nach  der 
gewöhnlichen  Meinung.  Der  Glaube  ist  nicht  der  zom 
Wissen  hinzukommende  Beifall,  sondern  das  Wissen,  das, 
um  jene  Werthe  und  Eigenschaßen  zu  erhalten,  se'me 
Ideale  steigert  und  von  dem  darin  gegebenen  Menschlichen 
reinigt,  ist  der  hinzukommende  Beifall  zum 
Glauben^  welchem  die  Existenz  des  Göttlichen  auch  ohne 
Zuthun  der  Veniunfl  gewiss  ist.  —  Dieser  Glaube  ist 
Faktum  im  Menschen  und  in  der  Menschheit  Nur  ist 
das  Wesen  desselben  zu  unterscheiden  von  seinen  einzel- 
nen ,  sehr  veränderlichen  Formen. 

Hier  ist  aber  die  innere  Steigerung  jener  Reihen  nicht 
aus  der  Acht  zu  lassen.  Die  Idee  der  Wahrheit  beseelt 
unsere  Vernunft ,  ist  aber  selbst  wieder  angeregt  vom  Ge» 


Theorie  von  Giwben  tnHl  Wissen«  411 

wiflien.  Die  Idee  der  Schönheit  beseelt  die  .Phantasie ,  i^ 
aber  selbst  wieder  angeregt  dorclt  das  Sehanen  der  Seele. 
Die  Idee  der  Tagend  endlich  beseelt  den  WiUen,  ist  aber 
selbst  wieder  angeregt  durch  den  Glauben. 

Ohne  den  Gebranch  der  Vemnnft,  der  Phantasie  und 
des  Wülens  wäre  keine  Philosc^hie  möglich ;  und  ohne 
Funktionen  des  Gewissens,  Schauens  und  Glaubens  keine 

ion.  —  Mit  diesem  Vermögen  ist  'die  Charakteristik 
aller  Vermögen  umfasst  Wir  finden  sie  in  drei  Ordnun- 
gen gereiht:  die  imtevste  (Doppei-)Reihe  der  drei  Vennö^ 
gen,  Empfindung,  Anschauung  und  Naturinstinkt,  wie  Vmu 
steliungsvermögen ,  Einbildungskraft  und  niederes  Begeh- 
nmgsvermögen  (vgl.  §.  29— 6&  und  $.  82—84.),  haben 
wir  mit  den  Thierm  gemein.  •  Die  mittlere  Doppefareihe, 
Verstand,  GeRUhlsvermegen  und  Gemuth,  so  wie  Vernunft, 
Phantasie  und  Wille,  können  wir  die  rein  menschliche 
nennen;  und  -zuletzt  ergiebt  sich  eine  (einfache)  Reihe, 
Gewissen,  Schauen  und  Glauben,  die  uns  über  das  Mensch- 
liche hinausfuhrt,  und  uns  an  die  himmlische  Bestimmung 
mahnt  (Psychologie  a.  a.  0.  $.135 — 145.). 

Wir  lassen  den  Werth  und  die  Wahrheit  diewr  psy- 
chologischen Schematismen  ganzlich  auf  sich  beruhen ,  um 
anerkennend  henrorzuheben ,  wie  durch  diese  Eschen- 
mayer sehe  Theorie  der  ganze  gemeinschaftliche  Slandpimkl 
emer  Ueberordnung  des  Glaubens  über  das  Wissen  sich  aller- 
dmgs  niodificirt  oder  in  eine  neue  Form  gefugt  hat.  Zuvör- 
derst sind  es  hier  nicht  die  Grunde  eines  reflektircnden  Idea- 
iismug,  der  das  Wissen  nur  zu  einem  Bewusstsein  um  die 
Erscheinung  herabsetzt,  welche  den  Glauben  über  das  Wis- 
sen setzen  lassen.  Das  Wissen  ist  aller  Dinge  an  sich 
maditig-;  aber  sie  sind  nur  die  weltlichen  Dinge:  es 
beruht  auf  der  absoluten  Identität  des  Idealen  und  Realen, 
deren  Wirklichkeit  eben  die  Welt  ist,  und  deren 
I  d  e  e  im  Absoluten  der  Vernunft  vorschwebt 

Der  Begriff  des  ^Absoluten«  entspricht  hier,  wie  man 
sieht,  genau  dem  Standpunkte  der  Seh  eilingschen  Philo- 
sophie ;  es  ist  die*  im  Universum  in  der  Reihe  ihrer  Potcn<* 


ftlft  *'-       CA.  Bschenmayei^ 

^n  tinehdlich  sieh'iverwIrUiehende , :»  lieh  sdbst.jedooii 
rein  ^pcUenitose  Idenlilat  deä  Realen  und  ideale*.  AWv 
GotJt  Ist  sie  nach  Eschenmayer  damn^  nioM>,  weD  4ife 
Idee, des  Heiligen  und  Seligen  nicht  in  ihr  ansgednidttisl. 
Das  religiöse  Bewusstsein  mit  seinen  Bedilrfiu^sen ,  wie  in 
seiner  Ausbildung,  kann  in  ihr  den  Gott  nicht  ifvietfeffih- 
den,  den  es  schon  besitzt,  und  dessen  es  namentlich  in  4tr 
positiven  'OOenbarung  schon  gewiss  gewordon  istt  UAU 
diess ist  der Gtund,  derEsohenmayern  nöthigt,  Tur  ihn 
-oine  besondere,  «her  jedes  Wissen  hinaiislcegeNda  Veiw 
-mitflung  anzunehmen.  De^shalb  mHSls  ein  jenseüs  «Her 
.Vemunfterkenntniss  und  seines  Absoluten,  über  diesen  gam- 
zen  Standpunkt  hinausreichendes  ^  besonderes  Orgen  a»- 
l^cnommen  werden,  welches  diese»  an  mittelbare  fie- 
wissheit  verleiht:  es  ist  der  „Glaube^,  der  likr  sunächst 
nur  an  negativen  Bestimmungen  erkanht  whrd« 
'fff  Bekannt  ist,  wie  £schenm.ayer  bemüht  war,  froher 
gegen  Schelling,  später  auch  geg^^i  Hegel,  die  &e<^lB 
dieses  Glaubens  und  seines  Giottes,  als.  des  schkchlhin  U6^ 
hern  gegen  die  spekulative  Vernunft  und  ihre  Idee  cbs 
-Absoluten,  zu  vertreten,  freilich  nicht,  ohne  -  diä  >WiUkühr 
und  das  Schwankende  seiner  Behnnptungehrdaruber  aoidiai 
Tag  zu  geben.  Dass  es  offenbairer  Widevsprnck.und  Sallisl- 
nMSBverstitndniss  sei,  ein  Absolutes  eusiigeben,  und /Galt 
dennoch  ats  die  unendlich  höhere  PoleBz.ü^ber  dkaseilid 
zu  stellen,  dass  man  eben  dadurch  zeige ^  der  idea^. dflas 
-Absoluten  fern  geblieben  zu  sein;  diess  hat  So h« Hing 
in  ^Phik>sopfaie  und -Region  ^  mit  eindringUchsler  SddxSß 
gezeigt,  ebenso  in  seinem  „Antwortschreiben  an  Es  che n- 
mayer^  (in  der  allgemeinen  Zeitschrifl  von  Deutschen 
für  Deutsche)  nachgewiesen,  in  welcherlei  weitere  Wilt- 
kührlielikeiien  eine  so  leicht  gehaltene  Theorie  sich  nothr- 
wendig  hineinarbeite.  Ueberhaupt  ist  diess  das  OfTenkoi^ 
digc  und  auch  sonst  Bekannte  dieses  Verhältnisses.. 

Dennoch  müssen  wir  den  verborgenen  Antrieb,  welcher 
•E  s  c  h  e  n  m  a  y  c  r^ti  zu  diesen  ohne  Zweifel  ungenügend 
ausgedrückten  Bestimmungen  gebracht  hat,  fiir  einen  wich- 


Theorie  ^4H»?  liihube«  ytni  YTissen.  4i8 

«gen.fimdTtiefeA  Vdfbliok  erUi#en  in  S»  iMMe  Stxnte, 
welche  dic^  Sttehiflftttoüi  über  dad^ Iddntitäti^sf stein  ia  Scb«)^ 
fing*-«  und  H.eg'ats  PANlosophieeft  hinfiu^  zu  ersteigen  bidi 
Die  naebfolfende  <>härak«eiialik  beider  Systöme  m  diesein 
Werke  wird  nämlich  darthun,  wie  der  gemeinsohAnüohe 
^ranteangel  derselben  (d.  h.  des  frühem  SchelHiA^* 
sehen),  uni  der  in  ihhen  ungelöst  bleibende  Widerspru^jl 
atlerikigs  darin :  bestdht ,  did  Idenfitil  des  Idealen  und 
Realen  oder  der  Natur  und  des  fieistes  al»  das  Absokil^  3«! 
8el»e6,  wahrend',  diese^  sieh  selbst  vielmehr'  nur  als  das 
Bedingto,  Ye^mttMte  auA^efet,  und  so  die  Idee  des  Absetnien 
mn^^einä Stttfe  höh^r  hinaufg'eruckt  werd^cn.mutisi 
'  Watt  entTemt  »dafum^  €roU  :vber  das  Absoititd 
j€mer  idetititiit.hinausihiatellea^  mldibn,  wie  bier  geschi^t} 
XHTO  «Objekte  .eitfes^.  sdiwer  c^H  4efiiitfendeii  Glanben«'2i 
madhelt,  wirdnVielmQfar.  wnfgdx^Kt  die  vermeinllicbo  Ab4 
sei«tfieiljeBc«r  Identität,  ihr  6o.tt**€rl.eiehsei^  widerlegH 
und  die  NiditabsMutheit  defselben  naobgewfcisen.  I)asa 
dies»,  #e  Einaicbl,  wie  falschlich  das  Identitätssysteot  Sei» 
Princip  zum  Absoluten  erhebe,  in -Esehenmayer  dar 
Grund  waf,  um  Aber  dasselbe*  den  Gott  seines  Glaubeils  zn 
setzen,  ist  unterb^nnhar;  das;GefuU  jenos  Mangelst  maebto 
sich  nach  der  religiösen  Seite  Lul'ti  wahrend  es  nach  det 
spekulativen  bin  sieh  miti  dem  anerkennenden  GeHenltissen 
des.'S-ckellingsdiieii  (/und  Hegelschbh)  Standpunktes^ 
als  des  höchsten  ipkilo:s»o^b'i«chen,  ein  Genügen  thati 
Und'  anders»'  joüssen  wir  bekeniten ,  wäre  es  nach  der  M* 
gem^en^  Oekonomie  aller  geistigen  Entwicklnng,  selbst  inl 
Gebietender  ^Spekulation ,  für  damals  kaum  mögfich  geure<- 
senr wenn  «ein  relativer ,  gegen- das  Frühere  höherer  und 
absdilies&etider  Kolmiftationspimkt  kervorgearbeitei  isb^ 
wird  es  fasfr^unineglich*,  ihn' sogleich  wieder  über  sieb 
selbst  in  einc^  netie^  klarbewussteSieigerung  hinauszutre^ 
ben«  Hier  nüissen  andere  Ausdrucksweisen,  iVolestationenl 
des  Gtanbens  oder 'Ergänzungen  durch  detiseiben,  als9nr>« 
rogale  uad  '¥oranzeigen-  der  künftigen  spekulätiirenBefne* 
dtg^ng*  aosreiokei. 


414  C.  A.  EschenuMjer^B 

« 

In  jenem  Ziwammenlitiige  Jedoeh  bitfe  Es  oh  es«* 
m  a  y  6  r  auch  nichl  mehr  eiaes  so  imgesdiickt  eifigefohitea 
CHaubens  bedurft ,  um  der  Idee  eines  Gottes  jenseilip  4er 
^absoluten*'  IdentiMt  gewiss  ni  werden:  er  wäre  ia  den 
sfnfenweisen  FortscbritI  eines  am  Begriffe  des  Absirinten 
sdber  sich  vertiefenden  spekdatiren  Denkens  hiaeiB  ge- 
kommen, ond  bitte  sich  anch  die  dürftige  nnd  wiflkillirii- 
che  Deduktion  durch  jene  schematisirten  Reihen  psycholo* 
gischer  Vermögen  ersparen  können. 

Dennoch  selbst  in  diesem  so  gewagt  hingesiclliaii 
61aid>en,  in  eine  halb  rithselhafte  Verwandtschaft  gebrmAü 
mit  dem  „Schauen^  mit  der.  prophetischen  Sehergabe,  <leni 
Divinationsvermogen  u.  s.  w.  (a.  a.  O.  $.  134.  S.  1120» 
Usst  sich  eine  tiefere  Meinung,  ein  Snn  ächter,  lange  Ver- 
kannter Wahrheit  unmöglich  übersehen.  Eschenmayer 
bezeichnet  mit  ihm  eigentlich  den  Glauben  in  evangelisch 
Sinne,  das  Ai^  einer  ausdrücklichen,  specieH  so  m 
nenden  Offenbarung.  Diess  ist  also  das  , Organa 
welches  er  dem  gewöhnlichen  Wissen,  auch  dem  spefailn- 
tiven ,  entgegenstellt ,  und  als  das  der  ursprünglichen  Ge- 
wissheit Gottes,  des  wahren  Gottes,  bervorhebt,  dn3 
Organ  der  Eingebung;  woraus  die  Prophetie  und  «He 
eigentliche  OiTenbamng. 

Dass  wir  die  Realität  desselben  und  seine  weltge* 
schichtiiche  Macht  anericennen,  wefehe  erst  den  Anfang 
nnd  die  Fortentwicklung  einer  objektiven  Erkenntiiiss 
Gottes  in  den  Religionen  der  Menschheit  möglich  werden 
lisst,  und  ohne  deren  Annahme  eine  Lücke,  ein  Unerklär- 
liches bliebe  m  dem  Ursprünge  des  religiösen  Bewusstseins 
imMenschengeschlechte;  —  diess  haben  wir  nachgewiesen 
in  dem  Gegensatze  zu  den  schwankenden  Begriffen  über 
Offenbarung,  welche  wir  bei  J  a  c  o  b  i  fanden  (vgl.  S.  995t — 
30B.) ;  und  wir  erkennen  es  als  kein  geringes  Verdienst  von 
Eschenmayer,  dass  er,  dem  herrschenden  ignoriren 
zum  Trotz,  weiches  die  Pbilos^hie  bis  auf  den  gegenwir« 
iigen  Zeitpunkt  fitr  diese  und  alle  damit  zusannnenkangen- 
den  Thatsachen  hartnäckig  an  den  Tag  legt-,  jenem  Be« 


Theorie  lon  Gitvben  und  Wissen.  4t5 

grUfe,  wenn  such  noch  miansgeahn  mid  selbsl  gldduMO 
nwr  bistortfch,  einen  n«tz  in  der  Reihe  seiner  Gemüthsver» 
iMgen  anzuweisen  wagte.  Ebenso  riihmen  wir  seinen 
Math ,  weil  er  nur  in  wahrer  Gemathstiefe  und  Innigiieil 
gründen  kann,  dass  er,  durch  die  Angriffe  mner  nachwueh- 
sigeB»  vermeintlich  weit  ihn  nberschanenden  philosophischen 
Generation  unerschuttert,  in  einfacher^  wenn  anch  der  tief- 
sten Grunde  selbst  nicht  mfichtiger  Zuvenrieht  auf  seinen 
ersten  Ueberzeugwigen  beharrt  ist. 

Dennoch  kann  von  diesem  Glauben  ans  Schauen 
Diehl  gesagt  werden,  was  Eschenmayer  von  ihm  be- 
halltet' —  viefanehr  scheinen  sich  da  noch  die  Jacob^i- 
sehen  Verwirrungen  einzumischen  — :  dass  derselbe 
ein  allgemeinoT,  universell  verbreiteter^  in 
der  ganzen  Menschheit  vorhandener  sei  CS. 
131.>  Er  ist  viehnehr  nicht  ein  Allen  zngetheiltes  Oiw 
gan,  nicht  das  gemeingAltige  Gottesbewusstsein ,  vielmete 
etwas  durchaus  Bxceptionelles  ^  welches  die  Gemeinschaft» 
lichkeU  gerade  .aussdüiesst :  und  hier  hat.  sich  diesem  an 
sich  so  bestimmten  begriffe  des  Glaubens ,  eb«i  weil  ihn 
'Bschenmayer  gleich  ursprünglich  nicht  in  seiner  ao^ 
schliesslichen  Scharfe  gefasst  zu  haben  schien  ^  die  unb^ 
stimmtere  Vorstellung  J  a  c  o  b  i  's  und  seiner  Schule  «nie»- 
susehieben  vermocht. 

Sodann  ist  nicht  minder  die  Behauptung  falsch,  dass  das 
Objekt  dieses  „sdiauenden^  Glaubens  an  sich  in  ihm  prä* 
d  i  k  a  1 1 0  s  bleibe ,  und  seine  Bestimmungen  lediglich  aus 
dem  seine  Ideale  steigernden,  und  auf  das. 
selbe  übertragenden  Wissen  zu-  schopfeif 
.habe  ($.  143.  S.  120.).  —  Hiermit  sdieint  Eschen« 
may er. vollends  den  Ernst  und  die  Tiefe  einer  Wahrheit 
preiszugeben ,  welche  ein  der  bisherigen  Spekulation  fremd 
gebliebenes  Zugestindniss  hätte  herbeiführen  können.  Um- 
gekehrt ist  vielmehr  zu  sagen,  —  und  wir  glauben  es  ge- 
zeigt zu  haben,  —  dass  von  dem  innerlichen,  uberweUli- 
chen  Wesen  Gottes  ursprünglich  nur  Gott  selber  durch 
OSanhanmg  dem  Bewusstsein  Kunde  verliehen  haben  kann. 


410-  .'.     O/  A.  Eartamnayoi^« 

Dto  #riiA^^  BifihM  Gattes  tot  der  W«it ,  die  UgocMee, 
dte  Idee  voji  dem  ewig  Dneieinen ,  lat  keine  ilre 
steigernde  VeriNinfl  zaerst  und  a«s  sich  selbst 
iem  ^an  sich  prildikalioaent'  Gotte  zu  prftdiciren  vermocht. 
Aier  ein  Anderes  ist,  dass  diese  Ideen,  einmal  in  den  Be^ 
sfui  des  Geistes  gelangt  y  wenn  auch  nur  ab  Mysterien  6ir 
den  Glauben^  von  diesiom  aus  durch  das  rem  spekrialnre 
Danken  wiedöfgewonnen  werden  mussten,  um  in  den  freie« 
Besitz  der  Erkenntniss  gelangen  zu  käme«»  Jenes  scMäeast 
dieses  nicht  im;  vielmehr  •  wird  nur  so.  diess  Verkillniss 
eta' g«iw.es^  frrundlicb  dortbgefuhrtes :  Beides  ttifl  sich  i;fe^ 
geiiseltigl  Die  Spckubtian^rbUlitt  jenem  ihren  bislo  ri«-^ 
•dl eil': Böden  «md  ihren*  arsli^fi  AakfiQpfungspankt;  aber 
Sie  erwliist^es  imoh  aaoh  .  seinem' hohen  und  geheimnlss^ 
yMlt».  llrsptmige,  indenK  ehie  Einsicht,  die  nur  die  tiefst«^ 
grflndHehste  Insicheinkefar  deis  Denkens  zu  erreichen  vermno; 
kl  solcher  frühzeitigen  Unnf ttetbatMt  gefiinden ,  kein  zs« 
flUig  Erdachtes  oder  bloss  Eingebildetes  sein  kann. 
1  •  DcssfaaU)  können  wir  endlich  es  nur  für  verwirrend 
kälten,  wenn  Eschem-mayer  das  «VerhaMniss  zwischen 
Wissen  (Spekulation)  und  Glauben  als  -  das  einer  äussern 
Brgiazung  jenes  durch  letzteren  bezeichnet.  -—  Das  >Vi»- 
stn  tat  uaob  ihm  nur  mit  dem  Endlichen  zu  tbon ; 
über  dasselbe  hinaus  verliert  es  alle  Bcdeutuag:  und  sn 
isl ' der ' »GUufae  das'  Organ  eroer  ganzneuen,  speciGsch 
flfiidievtn  Welt,  die  ntr  auf  diese  Weise  den»  Menrrhen 
«länglich  iAt  er  ist  besonderes  Erkenntnisspirineip 
ehiar»  elgmtHumliehen  Sphäre  von  Objekten  und  W-ahrkei^ 
%ßn , '  wdlohe  nie  Gegenstand  des  Wissens ,  auch  niohl  der 
JSpekttlatioki ,  weMen  können  ,  welche  letztere  in  der  Ick*« 
des  Abtfolvlen  endet  und  erlischt.  Dies^  ist  zuglaich  der 
Unpi^ung  der  wahren  Mystik,  welche  gleii:UaIls  über  jeden 
speiulatrven  Begriff  hinausliegt. 

Der  Grund  -  dieser,  und  ähnlicher  Behauptungen ,  die 
Bschenmayer  ökrigens  mit  vielen  der  erleuchtetsten 
iteiigiosen  theVl,  ist  bei  diesen  ihre  ünkenalniss  des  We^ 

der  flf^eknbten;  wnhdie  sie  mit  empimdi  rt— nnirotil 


Theorie  Ton  Glaiibeii  mid  Wiss^.  417 

den  Reflexionen,  mit  der  sogenannten  Yersttodesiniltar  ver- 
wechseln. Was  jedoch  diese  Nachtheiliges  und  Verwer- 
fendes über  die  absolute  Blindheit  des  Verstandes  in  Be- 
treff aller  ewigen  und  gottlidien  Verhältnisse  sagen  y  das 
HieOl  bekanntlich  die  Speknliation,  ja  hat  es  aus  der  ersten 
Hand,  ind^n  sie  die  vollstdndige  Theorie  über  das  Wes^i 
dieses  sinnlichen  Verstandes  besitzt,  und  ihm  überall  den 
Selbslirtderspmch nachzuweisen  vermag.  —  Eschenmay- 
er 'n  dagegen  kann  diese  gerechte  Entschuldigung  nicht  za 
Gimsten  kommen;  er  musste  das  Wesen  der  Spekulation 
erkannt  haben,  welche  ihm  in  der  Grundidee  des  Seh  el- 
lin gschen  Systemes  nach  ihrem  Einen  und  ewigen  Gegen- 
stande ebenso  bestimmt  entgegentrat ,  als  in  ihrer  specifi- 
schen,  die  dem  Verstände  unüberwindlichen  Gegensätze 
negirenden  Etkenntnissweise.  Bei  ihm  war  es  Unentsdiie- 
denheit ,  Unklarheit  über  das  Eine ,  wie  über  das  andere 
Prindp,  über  Spekulation,  wie  über  den  Glauben ,  was  ihn 
bei  einer  Mebeneinanderordnung  beider  stehen  liess.  Gott 
ist  im  Wissen,  wie  im  Glauben  das  gemeinschaftli- 
che, ja  das  einzig  wahre  und  einzig  mögliche  Ob- 
jekt; wie  könnte  also  der  Inhalt  des  Glaubens  oder  der 
Mystik  fem  von  dem  Wissen,  oder  der  Spekulation  bloss 
entgegengehalten  werden  ?  So  gewiss  jener  erst  die  ganze 
Tiefe  der  Wahrheit  enthalt,  darf  die  Spekulation  nicht  aus- 
ser derselben  bleiben ,  sondern ,  sich  ihrer  bemächtigend 
und  aus  ihr  die  Probleme  des  Welterkennens  lösend,  damit 
zugleich  die  Universalität  und  ausSchliessende  Wahrheit 
derselben  erweisen« 

Nach  allem  Bisherigen  scheint  sich  nun  das  Endurtheü 
über  die  wissenschaftliche  Stellung  Eschenmayers, 
in  welchem  sich  noch  immer  eine  Menge  der  interessan- 
testen und  wichtigsten  Zeitfiragen  berühren,  sicher  und 
parteilos  aussprechen  zu  lassen.  Er  reprasentirt  in  sei** 
ner  Philosophie  den  Uebergang  in  das  Gemüthliche,  in 
die  Frömmigkeit,  welche,  —  wenn  sie  als  das  rein 
Menschliche ,  ja  als  der  Kern  des  ganzen  Menschen  (folg- 
lich auch  des  Philosophen)  neben  der  Philosophie  aller- 

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418  C.  A.  BsrhenmDim 

mtngs  forlbestehen  soll ,  mif  dasjs  der  Gott ,  weldiM  die 
Spekulation  erkennt ,  nun  auch  die  Kraft  und  Lenckte  des 
gesammten  Lebens  werde,  —  kter  mm  gar  m  einer  eigen- 
tkümlichen  und  hohem  Erkenntnissweise  des  Göttlichen 
sefter  gemacht  wird ;  und  diess  ist  es  nur,  was  wir  ling- 
nen :  er  macht  die  Frömmigkeit  (den  Glauben)  znr  höchsten 
StafTel  der  Philosophie^  nicht  zur  nothwemligen  Gegenseite 
derselben  in  einem  nicht  einseitig  erstarrten  Geistesleben. 
Pas  Wissen ,  in  der  Form  der  Philosophie ,  fasst  Gott  und 
ans  ihm  die  Welt  im  reinen  Begriflte  und  enthält  sich  so- 
ffrtl  jedes  gemAthli<Aen  Ergusses  darüber ;  sie  verwecfasell 
ihr  Thun  nicht  mil  dem  der  Erbauung.  Aber  darum  isl 
die  Philosophie,  ist  der  Philosoph  nicht  genülhlos, 
Tiehnehr  wird  ihn,  als  Mensehen,  die  liefete,  allgegenwär- 
tigste Andacht  durchdringen,  sein  ganzes  L^ben  wird  Be» 
getsterung  und  Liebe  des  Göttlichen  S(^n,  weil  ihn  oben  die 
Erkemitniss  Gottes  nnd  seines  Walte  ns  als  eine  atlgegea- 
wirtig  klare  stets  begleitet,  und  weil  er  dessen  In  seinem 
Bewttsstsein  ganz  sicher  geworden  ist.  —  Diesen  Unter- 
schied (nicht  Gegensatz)  zwischen  dem  Spekulativen  and 
Menschlichen  verwischt  nun  Eschenmayer,  gleich  man- 
chem Andern,  wenn  er  mit  seinen  DarsteUungen  in  das 
Gebiet  des  Erbaulichen  überschweift,  ja  in  ihm  eine  eigen- 
thflmliche,  der  Philosophie  zum  insserlichen  Korrektiv  die- 
nende Weisheit  erworben  zu  haben  behaupteL 

Hiemach  tissl  sich  nun  ohne  grosse  MMie  die  Grinz- 
berichtigung  zwischen  Behauptungen  zieheir*),  welche  vid 
Wahres,  aber  auch  viel  Falsches  und  Willkührliches  za 
endiallen  scheinen.  So  lehrt  er  ausdrücklich ,  dass  das 
Wissen  nvr-  für  das  Zeitleben  der  Seele  ausreiche,  und 
dass  durch  den  Menschenfall  dem  Geiste  bloss  die  Ahnung 
der  hohem  Welt  geblieben  sei.  ,^ede  Philosophie  (daher), 
weiche  das  Streben  nach  jenem  hohem ,   was   Jeder  als 


*)  Ctcb^Binayer'«    Mysterien    des   inneril     Leben«, 

Tubiogeo,  laaa  s.  vi.  xi  -jcyi.  u.  «.  w. 


Theorie  von  Glauben  nnd  Wissen.  419 

AhnnBg  in  sich  findet,  nicht  aufhiebt,  ist  auf  dem  Wege 
zur -Wahrheit;  jede  Philosophie  dagegen,  welche  mit  einem 
BegriiTe  oder  einer  Idee  endigt  (?) ,  erstirbt  auch  in  der-^ 
selben  nnd  verschliesst  sich-  auf  immer  den  Weg  zur  Of* 
fenbamng.  Jede  Philosophie  ist  im  hrthnrn,  wenn  sie  das 
Heilige  nicht  höher  setzt,  als  das  blosse  Wahre,  Schöne 
und  Gute.^  Wenn  wir  diese  ganz  willkühriiche  Begriffs- 
abtrennung  auch  gelten  lassen^  so  fragt  sich  nur,  ob  das 
Heilige,  oder  genauer  doch  wohl  die  Eigenschaft  des  Hei« 
ligen,  auch  nach  seiner  Meinung  einem  andern  Objekte 
beigelegt  werden  solle ,  als  die  Eigenschaft  des  Urwahren^ 
Schönen  und  Guten,  —  nämlich  Gott,  ser  dass  dieser  ein« 
mal  zwar  bloss  als  das  Wahre ,  Schöne  und  Gute ,  dann 
aber  hoher  auch  als  das  Heilige  erkannt  würde.  Meint 
Eschenmayer  Letzteres  mit  seinem  „Höher-Set» 
z  e  n  ^  des  Heiligen ,  so  sind  wir  zwar  damit  ganz  einveiw 
standen,  sehen  aber  nicht  ein,  warum  die  Philosophie  nicht 
Gott  als  den  heiligen  soll  denken  können ,  und  möchten' 
mir  fragen,  auf  welchem  andern  Wege,  als  dem  des  Den** 
fcens  (des  begriffsmassigen  Unterscheidens) ,  er  selbst  zv 
öie»em  Begriffe  gelangt  kU 

^Die  Philosophie  ist  im  Irrtlium ,  wenn  sie  Gott  he^ 
greifen,  in  sich  nehmen,  oder  sieh  in  ihn  hin-* 
eindenken  will^;  —  ein  beherzigenswerthes Wort  für 
manche  Spekulanten,  welche  der  Verfasser  dort  im  Auge 
hat  I  Aber  schliesst  die  Verwerfung  der  pantheistischen 
Immanenz  im  Menschengeiste,  woraus  jene  den  Begriff  der 
absoluten  Erkennbarkeit  Gottes  ableiten ,  damit  das 
„Begreifen^'  Gottes,  und  eine  Erkennbarkeit  desselben  nach 
andern  Erkenntnissprämissen  aus?  AUes  diess  sind  so 
schwankende  Bestimmungen,  dass  man  sich,  je  nach  der 
Weise  der  nähern  Bedeutung,  ebenso  sie  zu  bejahe»,  jak- 
zu  verneinen  entschliessen  müsste.  Dass  der  Begriff,  das 
Denken  Gottes ,  als  des  Absoluten  ,  nicht  widersprechend, 
sondern  schlechthin  ursprünglich  und  nothwendig  mit  dem 
Begriffe,  dem  Denken  des  Endlichen  mitgesetzt  sei,  hat  sich 
in  der  ganzen  bisherigen  Entwicklung ,  und  auch  den  be- 


42Ö  C.  A  Esihenmayers  Tlieoric  n.  s.  w. 

• 

sondern BrkUningen  Eschenniayers  gemfiss, so cTident 
ergeben ,  dass  darüber  kein  Einspruch  von  ihm  zu  erwar- 
ten isL  Wie  ist  denn  davon  nun  versciiieden  das  hier 
geleugnete  Begreifen  desselben,  und  wenn  es  verschie- 
den wäre,  auf  welche  Erkenntntss|Nrincipien  gründet  sieh 
dieser  Unterschied?  — 

So  ergiebt  sich  abermals,  und  noch  an  dem  letzten 
Philosophen  in  dieser  Bildungsreihe ,  dass  hiermit  in  kei- 
nem Sinne  ein  Abschluss  erreicht,  oder  ein  an  sich  wich- 
tiges Bildungselemenl  zu  seiner  höchsten  Reife  und  Ans- 
büdung  gelangt  ist  Solche  Theorieen  des  Erkennens  oder 
Vemunftkritiken,  wie  wir  sie  an  uns  vorubergefuhrt  haben, 
kssen  das  wissenschafUicbe  Bedürfiuss  einer  entscheiden- 
den ,  das  wahre  Ergebniss  von  dieser  Seite  mit  abschhes- 
sender  Strenge  herattskehrenden  Philosophie  gerade  recht 
deutlich  hervortreten.  Dass  diess  in  J.  G.  Fichte*s 
Wissenschaftslehre  nach  ihrer  ersten  Gestalt  ge- 
schehen sei ,  haben  wir  schon  im  Vorigen ,  im  Gegensatz 
mit  dem  Bestreben  Anderer,  dem  negativen  Resultate  der- 
selben zu  entgehen,  an  den  einzelnen  Stellen  nachgewiesen. 
Somit  würde  die  Wissenschaftslehre  von  dieser 
Seite  gleichfalls  noch  in  den  Umkreis  dieser  Philosophieen, 
und  zwar  an  den  Schlusi^  derselben,  fallen.  Indem  jedoch 
dieselbe  den  Umschwung  von  dem  rein  Negativen  und  Lee- 
ren der  Subjektivität  nicht  nur  absolut  nothwendig  gemacht 
hatte  in  dem  Umkreise  damaliger  Spekulation  ,  sondern 
selbst  ihn  volbsogen,  das  Princip  der  Reflexion,  durch  höchste 
Steigerung  desselben  aus  ihm  selber,  auf  bleibende  Weise 
durchbrochen,  es  sich  selbst  durch  sie  aufgehoben  hatte  in 
die  absolute  Realität:  so  gehört  sie  um  dieser  positiven 
Seite  willen  zugleich  den  spätem  Philosophieen  und  dem 
folgenden  Abschnitte  an. 


ZufiBinmeAfassung  alles  Bisberigeiu  4fil 

Hiermit  haben  wir  alle  Formen  der  Philosophie ,  wel* 
che  vom  Bewusstsein  and  der  Selbslerkenntniss  ihren  Aus-*- 
^ngspoiikt  nehmen ,  von  Locke  an  bis  auf  die  gegen- 
wärtige Zeit,  in  vergleichender  Charakteristik  geschildert. 
So  schlechthin  berechtigt  und  wesentlich,  als  gemeingültl-r 
gar  wissenschaftlicher  Ausgangspunkt,  sich  dies$  Princip 
auch  bewähren  wird  ;  so  zeigt  schon  die  historische  Ver- 
gleichong,  wie  eng  an  sich  selbst  der  Umkreis  ist,  in  wel- 
chem sich  seine  Entwicklung  auf-  und  abbewegt.  Der  erste 
Kampf  zwischen  Sensualismus  und  Idealismus  brachte  die 
skeptische  Unentschiedenheit  Hüme's  hervor:  hier  wurde 
zugleich  schon  sichtbar  der  Vemunftglaube  Jacobi's»  die 
Berufung  auf  das  unmittelbare  Gefühl ,  wie  das  Ai^gumenl, 
dass  man  über  den  Staudpunkt  des  allgemeinen  Menschen- 
verstandes au(*h  in  der  I%ilosophie  nicht  hinauskonne :  Aus- 
sprüche, welche  nachher  so  unzählige  Male  erklungen  «ind. 
Kant  fpgte  dieser  Verhandlung  die  gewaltige,  in  ihren 
Folgen  entscheidende  Entdeckung  hinza ,  —  wobei  er 
übrigens  nur  einen  tiefsinnigen  Geistesblick  Leibnitzens 
erneuerte  —  über  das  Wesen  und  den  Ursprung  des 
Apriorischen,  der  Kategorieen  und  der  Vemunftideen, 
im  Bewusstsein.  Diess  musste  der  Hebel  werden,  um,  vrj^ 
über  den  Sensualismus,  so  über  den  in  sich  verschrfinltfen, 
empirisch  sich  bomirenden  Subjektivismus  sich  hinaoszu- 
schwingen.  IVie  sehr  aber  diese  wahrhaft  grosse  Ent- 
deckung unter  seinen  nächsten  Nachfolgern  verkümmerte, 
ist  im  Einzelnen  nachgewiesen  worden. 

Ueberhaupt  bewährt  sich,  auf  wie  wenige  entschei- 
dende Ideen  beschränkt  —  (es  sind  die  eben  angefahrten) 
—  der  Standpunkt  des  reflektirenden  Selbsterkennens  ist, 
wenn  er  nicht  parallel  geht  und  ursprünglich  hin^perichteC 
ist  auf  die  Begründung  einer  objektiven  Philosophie.  In 
sich,  durch  Selbsteikeiintniss,  das  Kriterium  aller  Wahrheil 
zu  finden  ,  ist  in  alle  Ewigkeit  hin  tfer  Weg  grüQdlicher 
Bildung  und  Wissenschaft.  Aber  auch  hier  ist  das  Ver- 
haltniss  ein  wechselseitiges :  das  Selbst,  nur  an  sieh  seiher 
sich  messend  und   alle  Objektivität  zurücknehmend  iir  die 


42S  ZusammenTassung  alles  Bisherigen 

ABspiegehing  der  eigenen  SubjekUObjektivität,  wie  diess  di^ 
Form  der  unendlichen  Reflexibilität  allerdings  zulasst,  — ver— 
lälU  damit  einem  steten  Au^  und  Absteigen  in  sich  selbst, 
einem  engen,  ohne  Ausweg  wieder  in  sich  zurudkehrenden, 
nur  an  Wiederholungen  reichen  Umlaufe,  ohne  wahre,  Torf- 
SjOhreitende  Entwicklung.  Aber  ebenso  wenig  ist  ein  rea- 
listisches Versunkensein  in  die  Objektivität,  ein  Sichabsor— 
birenlassen  von  ihr ,  im  Stande ,  das  eigentliche  Probiem 
des  £rkennens  zu  lösen;  und  mit  Recht  hat  man  es  cha— 
rakteristisch  gefunden,  dass  S  p  i  n  o  s  a  's  Abhandlung  über 
die  Yerbeflserung  (Vollendung)  des  menschlichen  Verstan- 
des Fragment  geblieben  ist:  sie  musste  es  bleiben,  weil 
aie  keinen  Anfang  hatte. 

Aber  erst  jetzo  ist  Oberhaupt,  durch  die  Ausbildung 
der  objektiven  Philosophie  zum  absoluten  Idealismus, 
die  Möglichkeit  gegeben,  die  Aufgabe  einer  Erkenntniss- 
lebre  auf  eine,  den  menschlichen  Geist  über  alle  GnmdVer- 
baUnisse,  in  dmen  er  steht,  wahrhaft  und  aus  der  Tiefe 
verständigende  Weise  zu  lösen.  Diese  Aufgabe  ist  die 
Wachste  an  d^r  Zeit,  auch  ist  sie  noch  keinesweges  gelösl 
in  den  jetzt  herrschenden  Systemen.  Diess  zu  zeigen ,  isl 
gleichfalls  eine  der  Hauptaufgaben  des  folgenden  Abschnit- 
tes^ welcfier  auch  übriges  allein  im  Stande  ist,  indem  er 
die  grossen  Systeme  der  Gegenwart  tum  Ausgangspunkt 
macht,  das  Vereinzelte  oder.  Halbvollendete,  der  bisher  be* 
tr^htet^n  Pl*ii|€[ip«en  in  einem  grossem  Zusammenbang« 
zu  zeigen.  Das  tiefe  Bedurfniss  einer  Versöhnung  des  aufs 
Hö(3^le  in  sich  gespannten  Geistes  ist  in  der  bisherigen 
PanateUung  wohl  zum  dringenden  Bewusstsein  gekoaunen. 
piese  sollte  der  Zeit  zu  Theii  werden  durch  einen  der 
graten  und  tiefgreifendstea  Umschwünge,  der  je  die  Phi- 
losophie ergriffen  hat ,  welcher  jedoch  noch  keinesweg-cs, 
wie  i$an  behauptet,  sein  Ende  gefunden,  sein  wahres  Ziel 
erreicht  bat.  Hierüber  jedoch  gerade  waltet  jetzt  der  Streit« 
Und  so  ist  es  das  Ziel  des  gegenwärtigen  kritischen  Wer- 
kes, —  nac'h  der  bisher  -iiurchmeSNeneu  Vergangenheit  ge-. 
wpudfiti  2u.  Iseigcui  wie  diese  sich  ganas  und  unwieder« 


und  üetergang  in's  Folgende.        ^         423 

brin^lich  auTgehuben  hat  in  das  grosse  Hauptergebniss  der 
l^eg^iiwärtigen  Philosophie  im  Schellingschen  und 
Heg^ eischen  Systeme;  wobei  wir  zugleich  auch  der 
He  rbart sehen  Lehre  in  einem  bestimmten  Sinne  Antheil 
an  dieser  Gegenwart  zugestehen  müssen :  —  auf  die  Zu- 
kunft gerichtet  jedoch,  nachzuweisen ,  wie  die  Gegenwart 
selbst,  um  die  Wahrheit  ihres  Princips  zu  erreichen,  so  wio 
methodisch  desselben  sicher  zu  werden ,  noch  zli  einem 
neuen  Fortscbritto  über  ihre  bisherige  Gestalt  auizufor- 
dem  ist,  ' 


Drittes  Buch. 


Die     Philosophie     der    gegcawärtigea 

Epoche. 


il 


Des  Carte«  •  Splnosat  I«elbiilt^ 


Wir  nahen  der  philosophischen  Gegenwart,  kt  es  tarn 
gelungen,  im  vorigen  Buche  nachzuweisen,  wie  die  beiden 
darin  charakterisirtefi  Hauptistandpunkte  —  der  K  an  tische 
der  Reflexion  und  einer  versiu:hten  subjektiven  Vehnitliulig, 
wie  der  J.acobi'sche  dor  Yemunihinmittelbarkeit  und  ur-^ 
sprünglichen  Gewissheit  eines  Absoluten,  —  mit  ihren  g&* 
genseitig  dich  aufhebenden  Ansprächen  in  einem  lediglich' 
negativen  Resultate  endigen,  zugleich  aber  nadi  den  innem 
Elementen  ihrer  Ansicht  auf  eine  in  ihnen  selbst  liegende,- 
nicht  bloss  durch  sie  geforderte,  spekulative  Erfüllung 
hinweisen:  so  stehen  wir  jetzt  daran,  diese,  so  weit  sie 
wirklich  hervorgetreten,  in  der  gegenwärtigen  Epoche  der 
Philosophie  nachzuweisen,  —  ein  um  so  schwierigeres,  weil 
besonders  dem  Streite  aiisgesetztes  Unternehmen,  als  hier 
eben  noch  Alles  Gegenwart ,  Werden,  Entwicklung  ist ,  ja 
Manches,  was  man  für  erreicht  hält,  ein  noch  zu  Leisten- 
des sein  möchte,  wodurch  es  in  die  vieldeutige  Zukunft 
oder  in  den  Parteienkampf  der  letztverflossenen  Zeit  hin-ii 
äberspielt 

Viden  nämlich,  ont  welchen  sich  sonst  der Veriasser 


428  Allgemeiner  TorblicL 

über  das  allgemeine  Wesen  der  Spekolation,  wie  Aber  die 
Bedcutmig  ihrer  gegenwärtigen  Epoche,  im  Einverständnisse 
befindet,  scheint  dennoch  der  Gipfel,  in  welchem  diese  col- 
miniren  müsse,  schon  erreicht  zu  sein  in  einem  bestimm- 
ten Systeme,  dem  Heg  eischen.  Wir  mnssten  dicss  gleich 
vom  Anfange  her  in  Abrede  stellen ,  und  die  weitem  Do- 
kumente über  dieses  System,  die  seitdem  in  der  Reihe  von 
Hegels  Werken  bekannt  gemachte  Ausführung  der  ein- 
zelnen .  philosophischen  Disciplinen ,  haben  uns  darin  nur 
bestätig:  —  nicht  sowohl  aus  der  ganz  allgemeinen  Be- 
trachtong,  weil  es  in  jedem  Sinne  unceitig  erscheinen  muss, 
von  der  V<rilendung  einer  so  jungen  Wissenschaft,  nnd  zu^ 
gleich  einer  so  umfassenden,  wie  überhaupt  die  Philosophie 
ist,  reden  zu  wollen,  als  weil  das  Hegeische  System  in 
«einem  bestimmten  Verhältnisse  zu  seinen  beiden  grossen 
Vorgängern,-  dem  K  a  n  t  i  sehen  und  dem  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen« 
die  beiden  in  ihnen  liegenden  spekulativen  Impulse  noch 
nidit  erschöpft  und  zn  ihrer  Vollendung  gebracht  hat :  ihre 
Epoche  ist  noch  nicht  geschlossen. 

Auch  darüber  hat  sich  jedoch  schon  in  einem  ange- 
sehenen Kreise  von  Denkern  Binslimmigkeit  gebildet,  so^ 
wohl  in  BetreiT  des  Gmndmangels ,  welcher  dem  Principe 
jener  Philosophie  überhaupt  anhaftet,  als  wegen  des  neuen, 
welches  dadurch  nothwendig  geworden.  Nach  Hegel, 
nnd  seit  dem  gegenwärtigen  Erscheinen  dieses  Werkes, 
ist  die  Philosophie  schon  thätkräftig  weitergegangen,  za 
frischen  Bildungsgegensätzen  und  Entwicklungen.  Diess 
wird  für  uns  jedoch  die  Gränze  unserer  historischen  Dar- 
stellung bleiben  müssen;  denn  hier  ist  ein  erst  Auszubilden- 
des, Neuzugestaltendes  anzuerkeitnen,  wofilr  die  Form  der 
Kritik  oder  der  Debatte  die  einzig  angemessene  ist.  Für 
diese  hat  daher  der  Verfasser  und  die  mit  ihm  Aleichstre- 
bcnden  ein  anderes  Organ  der  Hittheilung,  das  der  Zeit- 
Schrift,  sich  wählen  müssen^  auf  deren  Inhalt  wir  spa- 
ter nicht  selten  verweisen  werden. 

Wie  jedoch  nur  durch  die  Vei^ngenhcit  die  Zukunft 
zu  verstehen  ist,  so  giebi  umgekdirt  erst  diese,  nachdem 


Allgemcifier  Vorblick.  429 

sie  in  unterscheidender  Eigenlbtimlichkeit  hervorgetreten, 
auch  der  Vergangenheit  ihre  volle  Bestimmtheit  und  DeiH 
tung.  So  bedürfen  wir  selbst,  hier  der  2^kun(t ,  um  die 
letzte  Vergangenheit  zu  verstehen,  ja  um  sie  als  ein  wahr« 
haft  Vergangenes  aufzuweisen.  Die  Hege  Ische  Lehre 
z.  B.  zeigt  sich  gerade  darum  als  vergangene ,  zur  histo- 
rischen gewordene ,  weil  über  den  Sinn  derselben ,'  über 
die  Bedeutung  ihres  Princlps  in  ihrem  Umkreise  ZwiespHlt 
ausgebrochen. ist;  die  verschiedenen  Deutungen  derselben 
sind  die  ersten  Schritte  über  sie  hinaus ,  an .  denen  die 
innere  Vieldeutigkeit,  die  in's  Unentschiedene  auslaufenden 
Züge,  welche  jedem  nqch  nicht  in  sich  zum  Abschlusis  ge^* 
kommenen  philosophischen  Principe  eigen  sind,  sich  Ifln- 
lem  und  fixiren.  Nur  durch  die  neue  Lehre,  die  sich  am 
der  vorhergehenden ,  so  wie  im  Gegensatze  mit  ihr  bildet 
(Beides  muss  stattfinden),  kommt  diese  zu  ihrer  in  sich 
abgegranzten  Bestimmtheit.  Die  Kantische  Philosophie 
hat  erst  an  der  Wissenschaftslehre  ,  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s  altere 
Lehre  an  Hegel,  selbst  Leibnifz  an  Kant,  wie  sehr 
jener  auch  mit  der  Innern  Keimkraft  seine!'  Ideen  über  den 
Kantianismus  hinausreichen  mochte,  seine  Scharfe  und  Be- 
gränzuqg  erhalten.  Diess  an  einem  Systeme  aufweisen,  seine 
Gränze  und  das  Princip ,  welches  es  selbst  nöthig  macht, 
ist  das  äusserliche  Zeugniss ,  dass  das  allgemeine  philoso* 
phische  Bewusstsein  es  schon  der  Vergangenheit  angereiht 
hat,  in  welcher  es  freilich^  dem  Zeitwechsel  entrückt,  seine 
ewige  Geltung  hat. 

Diess ,  was  vorausgeschickt  werden  musste ,  um  die 
wesentlich  modificirte  Darstellung  des  Folgenden  einzulei* 
ten.  Zuletzt  müssen,  wir  jedoch  bei  den  h  ie r  zu  betrach- 
tenden Systemen  nach  einer  ganz  andern  Seile,  als  bisher, 
und  weit  tiefer  in  die  Vergangenheit  zurückgreifen.  KanI 
halte  seine  positiven  Voraussetzungen  in  L  o  c  k  e  und  H  um  e ; 
diese  wendete  er  negativ  gegen  die  herrschende  Metaphy- 
sik seiner  Zeit^  Aber  schon  bei  Jacobi  meldete. sich 
historisch  wenigstens  die  Beziehung  auf  S  p  i  n  o  s  a ,  selbst 
auf  Leibnitz.    —    Fichte,  Schelling  jedoch,  mit 


436  Allgemeiner  RückUiek    Des  CaHeg 

denen  der  Begriff  des  Absohlen  in  die  Philosophie  wieder 
einiriu  nd  den  Mittelpunkt  derselben  bildet ,  erneuem  m 
sieh  jene  Lehren  auf  eigenthäihlicbe  Weise.  Pichie*9 
Princip  ist  die  Combination  des  Begriffes  der  absoluten 
Sdl^stanz,  deren  Unterschiede  ihr  selber  immanent,  selbst- 
gegebene  sind,  und  der  L  e  i  b  n  i  t  z  i  sehen  Honade.  Daher 
auch  sein  berühmt  gewordenes  Urtheil  über  Spinosa  und 
Leibnitz,  mit  welchem  er  diess  Yerhältniss  bezeichnete: 
Spinosa 's  System  sei  die  einzig  konsequente  Philosophie^ 
wenn  das  Recht  aufgewiesen  werden  könne,  über  das 
Ich  binauszogehen ;  Leibnitz  aber  se?  der  einzig  wahr- 
haft überzeugte  Philosoph  gewesen,  weil  sein  Princip  ober 
di6  in  sich  absofait  selbstgewisse  Sobjektivität  nicht  hin- 
anagegangen  seL 

So  müssen  wir  jetzt  zurückgehen  auf  den  Anfang 
der  ganzen  gegenwärtigen  Philosophie  nach  allen  ihren 
Seiten,  in  welchem  knospenartig  Alles  in  einander  gewtk- 
keit  liegt,  was  nachher  hinter  einander  hervorgetreten.  Es 
iat  die  Philosophie  des  Des  Carte s.  Ist  daher  von  den 
Methodisch  wissenschaftlichen  Voraussetzungen  der  neuem 
Phik)8ophie  cfie  Rede ;  so  kann  nur  diese  als  der  alleinige 
Ausgangspunkt  bezeichnet  werden ,  während  andere  6e- 
sidbtspunkte  auch  auf  andere  Anfange  zurückweisen  kön- 
nen. —  Desshalb  findet  auch  zwischen  Des  Cartes  und 
Fichte,  von  dem  ein  ganz  ähnlicher  Umschwung  der 
Philosophie  ausgegangen  ist ,  eine  offenbare  ,  wenn  wir 
nicht  irren,  auch  von  Andern  schon  nachgewiesene  Ana- 
logie Statt ,  welche  sich  sogar  in  die  Eigenthümlichkeiten 
ihrer  Schriften  herab  verfolgen  Hesse.  Wie  in  dem  Letz- 
tem die  Keime  aller  Ideen  liegen ,  welche  von  S  c  h  e  1  - 
ling  und  Hegel  ausgebildet  worden  sind.;  so  in  den 
Schriften  des  Des  Cartes  alle  Elemente  für  die  nach- 
folgenden Systeme,  und  durch  diese  auch  für  die  uns  nahe 
liegende  Philosophie. 

Ja  es  kann  sogar  die  Frage  erhoben  werden,  ob  in 
der  That  alle  Principien ,  welche  in  Des  Cartes  liegen, 
bis  jetzt  ausgebeutet  sind,  ob  nicht  noch  ein  letztes,  nahe* 


und  fiein  VerküUlmsB  eur  Gegenwart  431 

füfartes,  in  iteem  Grande  zurflckfeblieben  ist?.  Denn  s^Mt 
DesCartes  hat  eine  Vergangenheit  von  -spekidalhreoi 
Reichthume  und  Tiefe  hinter  sich,  die  scholastische  Philo- 
sophie, die  er  keinesweges  zu  vernichten  vermochte,  -^ 
vielmehr  hegt  auch  sie  Feuerbeständiges  in  sich,  —  son- 
dern die  er  nur  durch  den  Geist  der  Selbstständigkett  und. 
die  Voraussetzungsiosigkeit  seiner  Forschung  zu  befreien 
trachtete:  und  auch  darüber  hat  erst  die  nachfolgende 
Untersucbong  zu  entscheiden. 

Aber  nur  dann ,  wenn  auch  dieses  letzte  Element  AA 
verwirklicht  hat,  kann  die  notiere  Philosophie  ihren  Umlanf, 
ihre  erste  Epoche  voHendet  haben.  InDesCart'es  begann 
die  Befreiung  des  Subjekts  von  der  Objektivität,  damit  dali 
höcftste  skeptische  oder  kritische  Mistrauen  in  die  Wakr^ 
heil  derselben.  Diese  subjektive  Richtung  hat  lange  von 
hieraus  ihre  Hauptformen  durchversucht  'Die  neue  Epoche 
seit  Schelling  leitete  die  Versöhnung  ein:  wenn  de 
vollendet  ist  nach  allen  Momenten  der  Wirklichkeii^ 
dann  ist  die  erste  Epoche  geschlossen;  aber  damit  niebt 
das  Ende  der  Philosophie,  sondern  dervollstfindig  ver-«» 
mittelte  Anfang  gewonnen  zu  einer  unzersläckelt  ob- 
jektiven, gleich  mit  ihrem  Beginne  voUstfindig  einschrei* 
tenden,  und  daram  auch  die  ganze  Wirklichkeit  begreifenden 
Wissenschaft ;  wodurch  die  Philosophie  aufhört ,  eine  kav» 
atenmassig  abgesonderte  Scienz  zu  jsein,  vielmehr  die  eim- 
nelnen  Wissenschaften,  als  die  universale,  selbstbewussft 
vereinigende  Idee  derselben,  durchdringt ,  und  ihre  entlCM- 
gensten  Enden,  —  Theologie  und  Naturerkenntmss,  Skepsia 
und  Offenbaningsinhalt  -^  an  einander  zur  Vermittlung  bringt. 
Und  dann  wird  auch  mit  diesem  Anfange  die  wahre,  inhalts- 
volle Unendlichkeit  der  Philosophie  gefunden  sein,  indem 
ihre  Entwicklung  kein  Systemwechsel,  kein  Wechsel  in 
den  Principien  mehr  ist:  diese  sind  sammtlich  erschöpft 
nnd  zn  festen  Gfiedem  einer  Begriffstotalität  verarbeitet, 
mit  deren  Vollendung  die  metaphysische  Vorarbeit 
Ür  die  Philosophie  geschlossen  ist.  Wie  nah  uns  diesen 
Abichhiai  Hegels  grosse  BnldecKlmg ' der  dialektischen 


43t  Bei  Gate« 

B^MhaAmheil  jeser  PriadpieD  gebradil  hat,  wird    ddi 
^MdüUto  in  weitem  Veriaofe  zeigen. 


De6  Cartes,  eine  der  kriftigsleii  mid mspnmglidi« 
«Im  Persöniichkeiieii,  welche  die  Geschichte  der  Philoso- 
phie aiifzuweisai  hat,  fast  sich  nähernd  an  frischer  Inge- 
Boitat  und  seibstständig  eindringendem  Blicke  den  ersten 
jk<5Uefiischen  Phitosophen,  vollzog  die  fiir  die  dnnalige  Zeit 
^Mtscheidende  That  der  Spekolation,  indem  er  als  erste  Be» 
^ngUQg  derselben  ^  aassi^ch,  dass  aie  alle  gegebene 
JEffcenntniss,  jede  Voranssetznng  von  sich  zu  wräea 
Jiabe,  mn  ans  dem  sichlechthin  Gewissen  durdk  Denken 
die  Welt  der  Wahiheit  vdUig  nen  sich  anfzubanea  irad 
Uschis  gelten  zn  lassmi,  als  was  in  diesem  Wiedarhentel- 
taigsproeesse  die  Probe  gehalten  habe.  —  Mar  dass  ei 
mit  der  Unabhängigkeit  eines  Welt-  nnd  Edelmannes  glei- 
^r  Weise  den  Gelehrten,  wie  den  Religio^n  seiner  Zeil 
{fegenüberatand,  dass  er  mit  seiner  Bildung  in  keinem  Sinne 
.aus  ihrer  Tradition  und  Verpflichtung  hervorging,  noch  auch 
öffentlich  lehrend  in  diese  eingriff.,  machte  es  ihm  mög- 
lidi,  selbst  ausseriich  diese  grundrevolntionire  Pantdozie 
jHir  aussprechen  zu  dürfen.  Welch  einen  gewaltigen  Kampf 
diese  zunächst  nur  formelle  Maxime  in  der  ganzen  Zeit 
hervorrief,  wiewohl  beide  Parteien  zuerst  sehr  fem  davon 
waren,  die  tiefgreifende  Gewalt  derselbe  zu  kennen  — 
obschon  der  tractaluM  theologico  ~  polükus  und  poäUcnM 
Spinosti's  die  erste  Probe  davon  werden  konnte —  das 
ist  hinreichend  bekannt  und  auch  neuerdings  mehr  als  ein. 
mal  sehr  befriedigend  dargestellt  worden. 

Aber  das  Priiicip  war  nicht  skeptisch,  vielmehr  der 
direkte  Gegensatz  der  Skepsis:  diese  endet  in  dem  Un- 
entschiedenlai$sen  alles  Uebrigen,  weil  nur  das  eigene  Sub- 
jekt sich  gewiss  sei.  Des  Cartes  beginnt  von  dieser 
Selbstgewissheit ,  um  alles  Andere  an  Gewissheit  ibr  gleich 
zu  machen.    So  Tag  in  ihm  viehnehr  der  fiegrundungstrieb, 


tmd  sein  Veriiiltnifis  tat  Gegenwart  433 

der  Drmgf  naeh  Vorwfirid)  die  Lttel  und  de^  Hdth  Ä^  Dim* 
kens)  mit  welchem  er  indeoS)  gleick  eindm  imgeduldigBii 
Eroberer,  schon  im  efsten  Anlaufe  das  gunise  Reieh  der 
Wafarireit  zu  nmfafiseli  und  sich  zulKUeigneh  gedachtem-  Et 
ist  der  Vater  aller  nachfolgenden  Pfailosophie&n  geworden^ 
indeiD  er  mit  gewaltiger  Kraft,  aber  nur  massenhaft  und 
tindnrchbUde^  die  PriHcipien  derselben  aus  der  Tiefe  för» 
dette.  Diese  Leistung  ist  sein  eigentliches  Verdienst:  nicht 
w  i  e  er  seine  Priificipien  au^geffihrt  hat^  wo  er  über  eineii 
rohen,  bloss  dusserliiih  vermittelten  Dualismus  nicht  hinaus^ 
gekemmen  ist^  welchem  man  merkwürdiger  Weise  indess 
nuch  für  die  Gegenwart  einen  besotidem  Werth  nnd  rege« 
tierativiß  6ed^utung  hat  beilegen  Wollen.^)  In  seinen  eigent* 
licbM  philosophischen  Atisluhrtingen  brachte  er  tiuT  eiit 
lückenhaftes^  traumfihnlithes  Nachbild  der  WirklicUceil 
hervor  t  seine  Physik,  wie  seine  psychologischen  Erklänm»» 
gen  werdet!  immer  ein  merkwürdiges  tmd  warlii^des  Bei-* 
fipie}  bleiben )  wie  weit  ein  formales  Systematisiren  nach 
dürftigen  Principien  tmd  Hypodiesen  von  der  Wahrheit  und 
tler  natürlichen  Anschanung  sich  entfernen  kanni 

Des  Carteis  halte  den  Satist  tvgüo^  trgo  sum^  als 
die  nrsprüngltchste  und  gewisseste  Erkenntnlss  attsgespro« 
chen )  denn  in  ihm  ftdlt  das  Denkende  und  Gedachte  (Sub* 
jektives  und  Objektives)  schlechthin  s^fiammen^  und  durch» 
drhrigt  Sich  fcuvMliger  Einheit.  D esshalb  Wird  erAusM 
gangspunkt  der  Philosophie.  -^  Aber  er  behauptete^  darin 
nur  das  formale  Princip  der  Gewisshelt  gcfenden  zu 
haben >  das  reale  Princip  aller  Gowissheit  und  Wahrheit 
fimlet  er  in  Gott^  indem  Nichts  sein  und  erkannt  werden 
kann,  ausser  mittels  der  Idee  Gottes,  welche^  im  Be» 
Wusslsein  ttrsprünglitSh  sich  findend,  nicht  dcsSert  Bnsetig'' 
niss  sein  kann,  sohdem  umgekehrt  ihm  sich  eingebildet 
hat»     Aus  ihrem   Vorhandensein  muss  nokhwendtg  daher 


*)  t)t.  C.  V.  If  oct  ,  Cdptfeshijf  tln  J  Seihe  R  feg  n  «*r  ,' fein 
Beitrag  Cur  Cliaraktpristik  clel*  plii!c»sop[it.schi*Ti  Eit*»tr^biitigetl 
anderer  Zeit.     Wien  1835.    Vgl.  iiDti?a  6.  4«15. 

28 


434  Die  drei  Princquea 

4rar  die  Existent  Gottes  selber  surfickgesehlossoi  wer- 
den ,  als  des  gemeinscbaniidten  Grundes  alles  Seins  wU 
aUes  Erkennens  vom  Sein.  Da  es  nun  im  Widerspmrbe 
mit  dem  Begriffe  eines  absohit  vollkommenen  Wesens  sUs 
hen  würde,  dass  es  tauscht;  so  bin  ich  ebenso  gewiss, 
wie  von  seiner  Existenz,  davon  versichert,  dass  Mes^  wu 
ich  klar  und  deutlich  denke ,  auch  wahr  ist. 

So  hangt  die  GewissbeU  und  Wahrheit  aller  Erkemil- 
niss  von  der  ursprunglichen  Erkenntniss  Gottes  ab;  diese, 
4ie  selbst  unmittelbare,  durch  sich  gewisse,  ist  der  ein- 
zige Grund  aller  andern  Erkenntniss  und 
der  Gewissheit  in  derselben.  Wie  alle  Dinge 
durch  ihn  und  in  ihm  sind,  so  werden  sie  auch  nur  er- 
kannt durch  ihn' und  in  ihm.  Dieser  Begriff  der  Inina* 
nenz  in  Gott  för  alles  Sein,  wie  darum  auch  für  alles 
Erkennen,  ist  das  zweit  ePrincip  der  Cartesianiscbea 
Philosophie.  —  Jene  beiden  sind  idealistisch  und  realistisch 
voUstindig  ausgebeutet  worden  durch  die  nachrotgenden 
Phüosophicen ;  über  sie,  und  was  in  ihrem  Bereidie  liegt, 
hat  man  sich  bis  jetzo  erschöpfend  verstindigt:  darüber 
hinaus  aber  nicht;  und  man  laugnet  nicht  selten  sth 
gar,  dass  es  spekulativ  überhaupt  nur  ein  solches  Dard- 
ber  gebe.  Vielmehr,  was  man  für  ein  Solches  halte, 
falle  unter  jenen  spekulativen  Standpunkt  der  Immaneiu 
hinab,  sei  nur,  in  Vorsteliungsweise  entstellt,  die  Wahrheit 
der  Immanenz. 

Dennoch  hat  sich  historisch  wenigstens  aus  dem  Erb- 
theil  der  vorausgehenden  Philosophie  in  Des  Cartes  DOck 
ein  drittes  Princip  erhallen,  dessen  innere  Macht  er  frei- 
lich selbst  nicht  gekannt  hat.  Die  Immanenz,  in  der  sieb 
Geist  und  Natur ,  —  die  „  denkenden  und  ausgedehntes 
Substanzen,  —  zu  Gott  finden ,<<  indem  diese  nur  dnrch 
die  fortwährende  Mitwirkung  in  der  Existenz  ärbalten 
werden  können,  —  schlägt  wenigstens  in  ihrer  ersten  Gestalt 
vorbedeutend  genug  bei  Des  Cartes  in  den  Begriff  der 
Transscendenz  über.  Beide  endliche  Substanzen,  weil  direkt 
sich  entgegengesetzt,  sind  ihni  uiunittelbar  stiUechlhin 


In  seiner  Phitosofhie«  435 

nnabhinglg  und  r9üig  beziehungslos  auf  einander.  Somit 
ist  ilire  wirkliche  Uebereinsümmung  nur  zu  erklären  unter 
Vonittssetziinff  des  fortwährend  gelegfentlichen  Bin- 
Wirkens  einer  dritten,  stets  sie  erhaltenden,  mithin  all- 
schoprerischen  Substanz.  Diese  dritte  Substanz,  die  daher 
gieichmassig  ausser  Beiden  sein  muss,  ist  pott 

So  leitet  dieser  rohe,  weil  abstrakte,  Dualismus  wenig- 
stens die  interessante  und  wesentliche  Betrachtung  ein, 
dass  Gott,  indem  er  die  angemessene  Uebereinstimmung  zwi- 
schen den  an  sich  geschiedenen  und  heterogenen  Geistes- 
und Korpersubstanzen  unaufhörlich  erhält,  und  das  absolut 
Passende  in  jedem  Augenblicke  jeder  einbildet  (die  Hy- 
pothese des  Occasionalismus),  er  selber  darum  nicht 
nur  sie  durchdringt  und  ununterbrochen  im  Dasein  erhält 
(Gottes Welterhaltung  ist  fortdauerndes  Schaffen):  sondern 
zugleich  selbstbewusst  und  persönlich  über  ihnen  steht^ 
am  jede  der  endlichen  Substanzen  in  jener  neuschaffenden 
Erhaltung  mit  einander  yermitteln  zu  können,  —  eine  Vor- 
aussetzung ,  welche  ohnehin' Des  Cartes  besonders  er- 
weisen zu  müssen  sich  nicht  einfallen  liess,  —  dass  über-- 
kaupt  somit  Gottes  Wirklichkeit  in  keinem  Sinne  aufgehe 
in  der  Weltwirklichkeit. 

Allgemeiner  ausgedräekt :  die  Immanenz  der  Krea-- 
(or  in  Gott  und  Gottes  in  der  Kreatur  zeigt  sich  demnach 
solcher  Art,  dass  sie  eben  darum  selber  nur  unter  Vor- 
aussetzung der  Transscendenz  Gottes  mög- 
lich im. 

Und  diess  ist  das  dritte,  auch  von  der  gegenwär- 
tigen Spekulation  noch  unberührt  gebliebene  Princip  der 
Ca rt es i  anischen  Philosophie,  weil  es  erst  aus  völliger 
Erschöpfung  der  Systeme  der  Immanenz,  als  der  jetzt  gel- 
tenden und  zunächst  seither  ausgebildeten  hervorgehen 
kann.  Und  wenn  jene  Ifeu- Cartesianer  nur  diess  be- 
zeichnen woHten,  als  das  Regenerative  im  Cartesianismus, 
wie  es  wenigstens  ihre  Polemik  gegen  die  Systeme  der 
Immanenz  schliessen  zu  lassen  scheint;  so  wären  wir  völ- 
lig einverstanden  mit  ihnen.     Aber  wir  müssen  auf  dem 


436  .    Nachcartosiailer. 

beseichneten  Entwicklungsgänge  bestehen,  dass  mir  am 
dein  Begriffe  der  wechseli^eitigen  Immanenz^  ab 
wahrer  und  bestätigter,  der  Begriff  der  wahren  und  lebeadi« 
gen,  nicht  in*s  Deistische  zurückschlagenden  Transscendeni 
Gottes  über  der  Welt  hervorgehen  kann.  Weil  Gott  der 
Welt  immanent,  und  diese  ihm;  ist  er  als  ewig 
transscendenter  zu  denkend  Diess  ist  derweitere 
Fortschritt,  in  welchem  alle  Systeme  der  blossen  hn- 
manena  ihre  Widerlegung  finden,  wodurch  eine  neue  Reihe 
von  Systemen,  über  jene  hinaus,  aber  sie  in  sich  enthal- 
tend, entsteht,  welche  der  Gegenwart  fürerst  nochjensdtig 
sind.  Ihr  Princip  freilich  ist  da ,  —  denn  es  ist  so  alt 
und  alter,  als  das  der  ausschliessenden  Immanenz,  —  dodi 
wissenschaftlich  nur  in  verkümmerter  Gestalt,  oder  noch 
schwach,  ohne  Autorität,  unansehnlich,  wie  ein  Prinoip  der 
Zukunft.  Seine  Tiefe  und  sein  eigenes  Ende  ist  aber  noch 
nicht  ausgcmossen ,  denn  es  trägt  in  sich  die  Kraft  einer 
gänzlichen  Umgestaltung  der  Wissenschaik 


Wie  sich  die  einzelnen  Glieder  und  Zweige  ablöstcfl 
von  dem  Grundstamme  Cartesianischer  Lehre ,  lasst  sich 
historisch  schrittweise  verfolgen«  Keine  philosophische 
Entwicklung  war  stufenmässiger,  weil  sie  aus  einfacheo, 
aber  einer  weitem  Bestimmung  bedürftigen  Anfängen  sich 
ergab.  —  Ein  Entgegengesetztes ,  wie  Körper  und  Geist, 
kann  nicht  auf  einander  einwirken:  diess  hat  sich  von 
dorther  ergeben.  Folglich  ist  Wirksamkeit  nur  die  imma- 
nente, im  wirksamen  Wesen  selbst  beharrende:  darum  i^t 
sie  aber  auch  schlechthin  begleitet  von  dem  Bewusst- 
sein  dieser  Wirkungsweise.  Das  nächste  Axiooi 
tritt  auf:  weder  wir  selbst,  noch  andere  Sub- 
stanzen  können  wirken,  ohne  zugleich  damit  zu 
wissen,  auf  welche  Art  es  geschieht;  ein  bewusst« 
loses  Wirken  überhaupt  ist  nicht  denkbar.  ->—  So  JohaoB 
Clauberg,  der  scharfsinnigste  und  bündigste  der  Carte« 
sianer  nach  Leibnitzens  Urtlieil,  in  seiner  Ontoio^ 


J.  Clauberg  und  A.  Geulincx.  437 

phia  et  9cientia  prima  de  iis,  qnae  Deo  crea-^ 
iurigque  suo  modo  commnnia  attribuuniur*); 
bestimrnter  und  ausschliesscnder  diesen  Punkt  heraushebend 
Arnold  Geulincx**),  welcher  "damit  einen  bedeutenden 
Schritt  gegen  den  Idealismus  des  Malebranohe  machte. 
Er  zog  die  beiden  nächsten  Folgerungen  jener  Prfiniissen : 
zoersi,  dass  den  kdrperlicben,  bewusstlosen  Substanzen  nicht 
eigene  Kräfte,  überhaupt  ein  Princip  der  Wirksamkeit 
oder  eigenen  Veränderung  beigelegt  werden  kann.  Dem- 
nach ist  die  göttliche  Allmacht  die  einzig  wirkende 
Ursache  in  ihnen:  sie  sind  die  blosse  Erscheinung 
derselben;  und  der  Cartesianiscbe  BegrifF  der  endlichen 
Substanz  ist  von  dieser  Seite,  Spin  osa  vorarbeitend,  völ- 
lig aufgehoben,  t—  Sodann  vermag  auch  der  Geist  nicht 
zu  wirken  auf  seinen  Leib  oder  durch  dessen  Vermittlung 
auf  die  Aussenwelt:  denn  er  weiss  nicht,  auf  welche  Art 
diess  geschiebt,  oder  wie  er  es  vermöchte:  ^sein  Nichtwis-* 
i»en  lässt  hier  jedoch  auf  sein  Nichtkönnen  schUessen.  Alle 
Wirkungen  des  Geistes  gehen  lediglich  auf  ihn  selber 
zurücl^  und  seine  ganze  Tbätig^eit  ist  auf  den  Kreis  des 
Bewusstseins  beschränkt.  Das  diesen  Wirkungen  Ent- 
sprechende, so  wie  umgekehrt  die  den  körp^ichen  Ver- 
andennigen  analogen  Geisteszustände],  bringt  Gott  hervor 
auf  eine  der  Art  nach  unerkennbare  und  geheimnissvolle 
Weise,  der  Wirkung  nach  vollkommen  deuttich  und  mit 
unablaugbarer  Gewissheit 

Somit  ist  G  o  1 1  der  einzige,  wahrhaft  dem  Geiste  gegen- 
wärtige, so  wie  unmittelbar  auf  ihn  einwirkende  Gegenstand« 
Ihn  allehi  sieht  er  in  unmittelbarer  Anschauung, 
alles  Andere,  die  Dinge ,  nur  in  ihm,  und  auf  eine  durch 
ihn  vermittelte  Weise^    Es  ist  die  Lehre  von  Nicolas  M  a- 


*)  In   «]«ii  Optribus  phiiosophicU  loanru  Claub^r^ii»  AouUloiL 
1694  4.    VgU  Leiboltiana  S.  147. 
^)  Metaphjrsica  vera  ei    ad  menteat  P0ripaietieorunL     Amslel. 
1691.  &  26-^3.  TmJ^  aiavt6y  üv^  Kthica.  Aautelod«  1709 
L  5.  2«  Aum.  4— 14« 


438  N.  Malebranche 

lebrancbe,  die  derselbe  ia  geinem  vortrelOichen ,  aadi 
durch  Klarheit  und  Tiefe  der  Darstetiung  klassisch  zo  ne»- 
nenden,  jetzt  freilich  berühmtem  als  bekannten  Werke:  de 
la  recher  che  de  la  f)erite*^  niedergelegt  haL  Es 
ist  ein  zur  Theosophie  spiritualisirter  Idealismus,  ausg^end 
von  dem  tiefsinnigen  und  gründlichen  Gedanken,  dass  nur 
dasjenige  Wesen  den  Geist  mit  Brkennlniss  begaben ,  und 
reicher  daran  machen  könne,  was  iim  überhaupt  in  Exi- 
stenz erhält.  Gott,  wie  er  Schöpfer  unsers  Geistes  ist, 
kann  auch  darum  nur  der  wahre  (unmittelbare)  Grund  und 
Quell  all  seiner  Erkenntnisse  sein. 

Von   hier  aus  hat  sich  sein  Werk  zu  einer  volstan- 
digen  Erkenntnisslehre,  als  Lehre  von  der  Erwerbmig  der 
Wahrheit  und  Vermeidung  des  Irrthums,   ausgebildet**). 
Indem  er  aber  die  Grundprämissen   dafür  aus  dem  hoch« 
sten,  immerhin  aber  noch  unausgebildeten,  der  Zwischen- 
bestimmungen entbehrenden   metaphysischen   Stand- 
punkte schöpft,   zugleich  jedoch   bei  den  spectelteten  Er- 
kenntnissfragen  verweilt  und  sich  in  den  Kleinhandel  scharf- 
sinniger psychologischer  Bemerkungen  und  Rathschläge  ein- 
lässt ;  überall  s.charfsinnig  und  original,  oft  gross  und  tief : 
-"  so  kommt  seine  Theorie  doch  im  Ganzen   nidit  über 
das  Unausgebildete ,    Incohärente   einer  genial  paradoxen 
Hypothese  hinaus.    Man  hat  sie ,  wie  späterhm  die  seines 
Geistesverwandten,  Berkelei,  eine  ingeniöse  Sophi- 
st ik  genannt;    und  sie  ist   in   ihrer  eigentlich  wi<ditigeii, 
Metaphysik  mit   Erkenntnisstheorie  vermittelnden  Richtung 
ohne  Nachfolge  geblieben. 

Das  Wesen  des  Geistes  besteht  im  Denken ,  wie  das 
Wesen  der  Körper  in  der  Ausdehnung:  diess  ist  das  alte 
Cartesianische  Princip.    Alle  Bestimmungen  des  Geistes  da- 


^)  Zuerst  Paris  1674;  nach  letzter  Ausgabe  in  seiuen  Oeuvrts» 

Paris  1712.  XIBdp.  12. 
*•;  Sehr  wichtig  und  tief  ist  seine  Ansicht  von  der  Wurzel  J« 

intelleituellen  Irrthums,  weichen  er  in  der  zur  falMhen  Lust 

oder  Unlust  erregten  i^>eibeit  findet i    P.  I.   Liv.  I.  chap. 5. 

Li?.  111.  chap.  4  8. 


Principien  seiner  Erkeimlntsslchre.  439 

her,  wie  Empfinden,  Einbiidon,  treibst  Wollen  n.  s.  w.,  sind 
nur  Modifikationen  des  Denkens.    Hiermit  ist  der 
Geist  allein    in  seiner  wahren  Eigenscliaft   begriffen ;   das 
scblechthin  ibm  Entgegengesetzte,  unter  ihm  Stehende ,  die 
Körperwelt ,   kann  daher  in  keinem  Sinne  Einfluss  auf  ihn 
ausüben.      So    widerlegt  M  a  I  e  b  r  a  n  c  h  e   ( P.  ü.  Liv.  HI. 
de  Veniendement  qu  de  Fesprü  pur :  chap.  2.)  unter   den 
möglichen  Hypothesen  zur  Erklärung  der  Sinnenempfindun- 
gen  die  sensualistische  treffend  und   vollständig;    er  stellt 
die  Sinnlosigkeit   und  Unstatthaftigkeit   der  Annahme  von 
Bildern ,  die  sich  dem  Hirn  einprägen ,  von  physisch  äus- 
sern Eindrücken,  die  innerliche,  geistige  werden  sollen,  hi*s 
hellste  Licht,   und  hat  dadurch  Berkeiei  vorgearbeitet, 
welcher  in  dieser  Region,  bis  auf  eine  Theorie  des  Sehens 
herab ,  so  Grosses  geleistet  hat  —   Die  sinnlichen  Wahr- 
nehmungen  sind  entweder  daher  blosse  Einbildungen,  Pro-^ 
dukte  der   innem   Thätigfceit  des  Geistes,   —   dann  aber 
würde  kein  Unterschied  sein   zwischen  Sensation  und 
Imagination,  welcher  doch  feststeht  und  unverrückbar 
ist*),  —   oder  jene  müssen  bewirkt  sein  im  mensch- 
lichen Geiste  durch   eine  ihm  verwandte  ,  zugleidi  jedoch 
ihm  übergewaltige  Macht:  es  kann  nur  Gott  sein.    Und  so 
lenkt  Malebranche  auf  eine  freilich  zu  jähe  und  vdll- 
käbriiche  Weise  in  das  metaphysische  Resultat  ein  ,   das^ 
im  göttlichen  Schöpfungs-  und  Brhaltungsakte  des  Geistes 
selber  der  Grund   aller  seiner  objektiven  Erkenntniss  ge-^ 
landen  werde.    Freilich  ist  es  die  spekulativste  und  sübli- 
niirteste  Gestalt,    zu  welcher  die   bei   Des  Cartes   fast 
nur  äusserlich  zwischen  Subjekt  und  Objekt  eingeschobene 
Assistenz   Gottes   sich    steigern  kann.     Das  Bedeutungs- 
Tolle  und  Hefe  jedoch ,  was  darin  liegt ,    ist  die  Einsicht, 
dass  die  Lösung  des  Erkenntnissprohlemes   selber  in   die. 
Metaphysik  zurückführt,  dass  der  wahre  Begriff  deB  Abso- 
luten dadurch  eingeleitet  und  vermittelt  werden  muss* 


*}  Gins  aboUch  B  e  r  k  e  1  e  L    Siehe  oben  S  d7<-69. 


440  Principieii  seiner  Erkenntaisslehre. 

Hier  finden  siph  nun  weiter  bei  ihia,  wie  embryi 
artig  eingebüUt  ^  die  durchgreifendsten  ^tze ,  die  ^Ue  anf 
dem  grossen  Principe  rylien,  dass  jegliches  WirUiche,  andi 
die  materiellen  Pinge,  Qur  dadurch  für  da$  Subjekt  i  nlel-i 
]  i  g  i  h  e  1  werde ,  weil  e$  an  siph  «elhst  durch  Intelligenz 
hervorgebracht  sei.  \V^ir  er|j[ennen  nyr  dadurch,  die  Dinge, 
weit  sie  von  Gott  ursprunglich  erkannt  sind,  ihrer  (dee  nach, 
wie  in  ihrer  Wirklichkeit^  und  ihre  Erkennbarkeit 
für  uns  muss  uns  auf  ein  absolutes  Urerkann^ 
liein  in  Gott  9urück3chUes$;en  laa^eo,  Pieas  das 
AUgeiaeine,  -r-r  welches,  speciell  b^i  lülalebranche  mit 
der  durch  den  ^nbehQUene^  Carte$iapischen  Dualismus 
(lerbeigeführten ,  dach  iie^sianig  kühnen  Hypotheae  ai^h 
verl^nd ,  da^a  diess  6r|^ei^\en  auch  s  o  kein  anaüttelbare« 
zu  ii»ixk  vermöge  ^  s^dem  nur  von  Gott  Me^ifirHt  wordeii 
könne^  durch  ein  mitwissende«  E.ipgerücktaeiu 
des  Menschen  in  die  eigene  gastliche  Welterkenntniss,  wek 
^hca  er  dem  menschlicl^en  Geiste  ver$tatte^  fis  i&^  ein  Akt 
götlKcher  Magie  9Uf  den  mensohlichen  Geist :  daa  Wunder 
des  Erkennei>s  «cb^int  er  n^r  durch  eip  ^öaaerea  Grondn 
lypider  sich  erklären  zu  können. 

Diesa  aber  ist  zugleich  die  einfachste  und  ^^rfbidlichste 
Erklärung ,  die  uns  übrig  bleibt:  de^n  nur  so ,  «icht  auf 
kleinliphe  und  durch  Zwischenglieder  vennitte|te  W^^is^« 
pfiegt  Gott  «eine  grossen  Wirkungen  hervorzubringen^  Gott 
erkennt  in  seinem  eigenem  Geiste  nicht  nui^  das  Wesea 
aller  Dinge  ^  sondern  auch  ihre  Existen?^;  denn  diese  ist 
nur  abhängig  von  seinem  Willen ,  durch  welchen  er  daher 
mit  senier  Wirksamkeit,  wie  ir^it  seii^m  S^rkennen 
in  den  gesc^haßenen  Dijpgen  gegenwarl^  ist.  Diess  ist  der 
wahre  Begriff  seiner  Allgegenwart,  (hn:ch  welche  ac-  sonach 
auch  auf  das  Innigste  m^  dem  pienschlichen  Cteiste,  «I& 
gescbaffienem,  verbunden  i^t:  er  ist  der  Raum^  der  Geister, 
gleichwie  die  Au$/lehnung  der  Ratun  der  kO^eFlicbep  Din- 
ge; er  umfasst  sie  alle  in  der  ^infachhoit  seines  Wesens 
(Liv,  III,  cliap,  4.  5.  6.> 

Nur  so  ist  erklärbar,  wie  der  Geist  die  allgemeinen  Ideen 


Prineipten  seiner  Erkenntnisdefare.  411 

^ter  Gatliing,  Art  u.  s,  w.  zu  denken  fSkig  wird,  in  denen  alkf, 
Einzelne  zagleich  und  auf  wahrhaft  eiafache  Weise  eriuninl. 
wird;  wie  er  fiberhaupl  eine  aUgemeiofi  Wabrlieit  auf  eiM 
ursprfingiiche  und  uomittdhare  Art  zu  erlteaneA  im  ßtanda 
ist.  Er  vermöchte  es  nicht,  wenn  es  nicht  duroh  die  .fiei* 
genwart  dessen  wäre,  welcher  allein  den  Geist  erieuchten, 
des  Allgemeinen,  der  Ideen  iheilhaftig  machen  kann.  QM 
selbst  unierrichtet  die  Philosophen  in  den  ewigen  Wahr* 
lieiten,  welche  sie  undankbarer  Weise  natürlich^  nm^ 
pen ,  wAhnand  ihr  Ursprung  doch  eip  himinlisc^et'  istt 

Desswegen  ist  der  grQndlictiste  Bewcij!  für  die  Exin 
stanz  Gottes  in  der  Idee  w  finden,  die  unser  Qeist  voaii 
Unendlichen  hat;  denn  der  Qcdanke  eii^^s  unendlich 
volftonunenen  Wefiens«  wie  vir  ihn  von  Gott  habiBn»  kum 
picht  von  einem  erschaffenen  Wesen  in  uns  horyorgebracht 
^in.  T^  Der  Geist  hat  aber  nicht  bloss  die  Ide^  de^  (Jn^ 
endlichen ;  er  hat  0e  noch  v  a  r  der  Idee  des  Endlichen^ 
Um  das  Endliche  zu  denken,  muss  es  ke  stimmt  werdei^ 
innerhalb  jenes  aUgeyieinen  Begriffes,  welcher  ihm  also  vor«-« 
auszusetzen  ist.  Der  Geist  erkennt  daher  Oberhaupt  Nichts 
(Bestimmtes)  Endliches),  ausser  nur  durch  die  Idee,  die 
er  vom  Unendlichen  hat,  und  diese  entsteht  so.  wenig,  wie 
die  Philosophie  behauptet ,  aus  der  Vereinigung  aller  bo^ 
sondern  Ideen ,  dass  viehnehr  diese  an  sich  aeihst  nur 
möglich  sind  durch  Innere  Forlbestimmung  der  Idee  dea 
Unendlichen:  ^^  gleichwie  Golt  auch  realer  Weise  seia. 
Daseia  nicht  aus  der  zufälligen  Existenz  einzelner  Dinge 
schöpft ,  sondern  diese  nur  d^rch  ihn  zu  sein  veruiögeifc 
(a.  a.  Ol  Chap.  6^  7.)^ 

In  der  Aprioritat  oder  UrsprungHchkelt  dieser,  wie^ 
wohl  pihestimmt  gelassenen,  Idee  des  Unendlichen^  -r^  wel«* 
che  er  nur  um  solcher  Unheslimmtkeit  willen  sogleich  für 
identisch  oiit  der  Idee  Gottes  hfdten  durfte ,  -«-  hat  nun 
Halebran^he  demungeachlet  richtig  den  Ort  uihI  das 
Objekt  der  Metaphysik  entdeckt,  welchen  Spinosa  so^ 
gleich,  den  Einschritt  von  der  Srkennknisslehre*  aus  über*» 
stttiogend  (wiuwoU  nioht  in  eigentlich  historischem  Zu*- 


411  Sein  VeiftAttniss  so  6pinosa< 

fetfmnenhange  TOn  hier  aus,  denn  er  ist  der '  Zell  nadi  der 
Mhere  gegen  Malebranche),  —  realistisch  ansgefuDt 
hat  dorch  den  Begriff  der  Einen  göttlichen  Sub- 
stanz in  der  Unendlichkeit  des  Denkens  und  der  Aus- 
dehnung. 

Denn  es  war  nur  noch  ein  Sehritt,  um  jenes  Axiom 
VOR  Male1)ranche  umkehrend,  oder  es  von  dem  Aus- 
drucke der  Subjektivität  beA-eiend,  der  selbst  bei 
Mulebranche  kein  ausschliessender  war ,  faidem  er  die 
Realität  der  räumlichen  Dinge,  wiewohl  als  unmittelbar 
unerkennbarer ,  ebenso  realistisch  behauptete ,  —  nun  zu 
Migen :  Alle  endlichen  Dinge  sind  in  Gott ,  und  das  Be- 
wusstseifi ,  der  Geist ,  ist  ebenso  nur  die  Eine  Hälfte  und 
Grundrichtung  der  schöpferischen  Thätigkeit,  als  die  Aus- 
dehnung die  andere  ist  Und  um  so  mehr  war  in  Male- 
branche Spinosa's  Princip  wirklich  schon  enthalten, 
als  auch  bei  jenem  der  Certesianische Begriff  endlicher 
Substantialität  schon  vor  dem  schärfer  gefassten  Gedanken 
der  durchdringenden  Wirksamkeit  Gotteis  im  geschopflicbeu 
Dasein ,  —  darin ,  dass  die  Welterhaltung  nur  als  ein  un- 
unterbrochenes Fortschaffen  gedacht  werden  könne,  — 
sich  aufgelöst  hatte.  Darin  war  schon  der  ganze  Spino- 
sa,  und  in  diesem  scharf  wiederhergestellten  BegriSb  der 
Immanenz  Gottes  bestand  das  epodiemachende  Recht 
seiner  Philosophie.  Ist  also  der  Begriff  endlicher 
Substanzen  nicht  auf  andere  Weise,  von  einer  ganz 
andern  Seite  her  zu  rechtfertigen ,  so  kann  er  äberhaupt 
nicht  gerettet  werden. 

Für  Malebranche  jedoch  war  diess  noch  eine 
durchaus  jenseitige  Frage;  ihn  drängte  es,  jenen  grossen 
Gedanken  der  göttlichen  Immanenz,  der  eigentlich  als  der 
keimende  und  begeisternde  in  der  ganzen  Spekulation  jener 
Zeit  lag,  an  das  Licht  zu  bringen.  Er  hat  es  gethan, 
ohne  dem  Pantheismus  zu  verfallen;  aberauch 
ohne  ihn  zu  dberwinden.  Vor  jenem  schützte  ihn  der 
mit  Starke  und  Innigkeit  in  ihm  lebende  christlidie  Gottes- 
begriff; diess  vermochte  er  nicht,  weil  das  Princip  der 


Sein  VerhUtniss  za  den  frtnadsischeii  Mystikern.    44t 

huMnens  sdbst  noch  nicht  in  seiner  Kraft  hervorgetreten 
war.  Desshalb  hat  er  auch  nicht,  bei  dem  Tieisinne.  untt 
der  Höhe  seines  Geistes ,  einen  spekulativen  Abschhiss  sn 
bilden  oder  einen  geschlossenen  Standpunkt  zu  gewinnen 
vermocht  Solchen  Geistern  wird  immer  ungerecht  begeg^ 
net,  und  so  wurde  es  uns  gewisser  Maassen  Pflicht,  seine 
eif  entliohe  Bedeutung  nachzuweisen.  Neben  -  Blaise  P  a  s-* 
cni  nnd  St.  Martin  ist  er  der  einzige  Denker  von  ori^ 
ginalem  nnd  spekulativem  Gehalte,  den  Frankreich  hervor-: 
gebracht,  wo  man  lange  Zeit  eine  psyciiologische  CasuistÜt 
oder  die  feine  Penetration  der  SiltensdiHderungen ,  wi<l 
sie  auch  in  Deutschland  der  phiiosopht^clie  Roman,  Allwllt^ 
Woldemar  an  der  Spitze,  ausheutele,  mit  dem  Nameti  der 
Pbikisophie  beehrte.  Es  ist  denkwürdig  und  durchaus  ch*-^ 
rakleristisch ,  dass  nur  ihrer  religiösen  Tiefe ,  nicht  ihrem 
rehi  philosophischen  Triebe  jeiie  Manner  es  verdanken, 
die  Höhe  der  Spekulation  bciMirtzu  hdb^n.  Pascal 
vertritt  unter  ihnen  den  Moment  der  spekulativen  Skepsis; 
nit  durchgreifender  Schärfe  nnd  schlagenden  Stretflichteni 
entttn  er  die  Unßhigkeit  und  die  Selbstwidcrsprüche  der 
Versfandesbcstfmmungen,  wenn  sie  auf  die  ewigen  Wahf^ 
betten  des  „Glaubens^  angewandt  werden  soUen:  Ma^ 
lebranche  hat  seine  Wurzel  recht  in  Muten  der  Fnn^ 
damental Wahrheiten  der  Philosophie,  wobd  er  iadess  weit 
entlegene  Standpunkte  und  Systeme  in  einander  greifen 
Ifisst ;  die  Folgezeit  hat  ihn  nicht  zu  widerlegen ,  nur  seine 
Sätze  ans  einander  zu  rücken  und  anders  zu  vermitteln.' 
St  Martin,  der  dritte,  der  sich  ihnen  vergleichen  lässt 
nm  nationaler  Verwandtschaft  willen,  liegt  jedoeh  in- einer' 
geistigen  Region ,  die  sich  nach  den  hier  vorauszusetzen-^ 
den  Psrimissen  kaum  beurtheilen  lisst,  wie  sehr  er  auch 
die  Höhe  seines  überschauenden  Standpunktes  und  die  Macht 
seiner  Ideen ,  in  denen  er  Probleme  löst ,  deren  Bewusst- 
sein  dem  gewöhnlichen  Denken  noch  nicht  aufgegangen 
ist,  mit  der  Fülle  seines  liebevollen  Cremfiths  umkleidet. 
Trotz  seiner  Einfachheit  und  wahren  Herablassung  gehört 
er  zu  den  «nverstiuidensten  und  unverstfindiichsteii  SchrilW 


M4  B.Spfaiosa, 

Itetlern,  wdi  er.von  Anscbammgen  und  Brruhrafigeii  sprickt) 
die  m  einen  selten  berüiirlen  Le|>enslurei$  faflen^ 


■«e»"—  'M    I    m  '<mm 


Spin^saV  tiehre  auch  nur  nack  ihren  GnmdBtgM 
hiatorisck  darzustellen,  kann  hier  nicht  unser  Zweck  sein^ 
diess  System  hat  erst  nacUeheud,  wie  keines,  seine  velle 
WiihuBg  geübt  und  ist  so  allen  spätem  Lehren  de£Ksett»en 
ßlüpdpunktes  als  wesentlicher  Bestandlheil  einverleibt  wor^ 
ißm  dsjher  kehrt  es  nach  seinem  allgemeinen  Gehalle  in 
der  Darstellung  der  folgenden  Systeme  wieder^  Ueber-* 
b««9t  bewährt  sich  daran  das  grosse  QesetK  riler  grtedU-i 
eben  wissenschaftlichen  £jitwi<Aliing,  dass  das  Ah  strnkt e, 
A^Ugewkeine^  überall  das  Fondamentale  sein 
muscie^  ai^  we]|pbem9  wie  aus.  ein^H  fest  umschltMasenen 
j^em^»  die  nahern  Bestimnumgen  sieh  schrittweise  entwik^ 
belli  mfis^ei^  hd^  dadurch  jene  fundamen^e  AnsiclH  nidil 
W  einei:  falschen ,  wohl  abter  zu  einer  untei^e^rdMten« 
theilwei^en,  zumt^hen.  bekanntlich  b^ezeichnet  Spinesa^a 
Lehre  ^inen  der  ersten,,  aber  wesentlichsteil  Durebgangs-i 
punkte  4er  JMetaphysik  >  un4  so  ist  es*  interessanter  und 
telunreicber  SMr  wsein  krijUscI^i  6esammtzweek>  nnchsu^ 
weisen,  wie  sie  fortgewirkt  hat  und  wieder  auferstanden 
ist  in  den  nnchfolgend^n  Systemen,  ab  das  fiinisebio  ihrer 
Satae  hier  Korzufübreiw  Ohnehin  besehrSnkt  stek  das 
eigentUoh  Naehli^Uige  derselben  nur  auf  wenige  Hauplge^ 
dwken;  er  ist  die  (Sresse  und  Wahrheit  der  GrondaU' 
sieht»  die  unwiderstehliche  Hoheit  dcreduschen  Gesinal«g, 
dlie  der  abstrusen  iPorm  des  Systems  ihre  Deutung  und 
Weihe  gegeben,  und  worin  das  Geheimnissyelle  un^  ttn-> 
aussprechUch  An;i^ieheiMle  jener  nicht  selten  yieldeittigeA 
AusspriÄche  liegt.  Die  etua^elnen  höchst  unbefrioiUgenden 
Erklärungen  der  Phänomene  der  Körperwelt  und  des  (ieistes, 
mit  denen  sich  besonders  das  «weite  und  dritte  Buch 
der  Ethik  beschalligt,  sind  darüber  völlig  vergessen  worden. 


AI^iemeiMf  Charakter  und  Inhalt  seiner  FhQosoiihl^    446 

EiMliit^h  pfl^e  imn  ihn  sonsl  als  Muster  bfindig^  U^ 
thodik  und  strenger  Konsequenz  ta  bezeichnen,  wie  S  c  h  ek 
fing  in  der  frühesten  D&rsteliong  seines  Syi^tems  ihn  m 
seinem  Vorbilde  nahm,  ,,weil  siich  so  die  Eviddna 
derBeweise  am  Bestimmtesten  beurtheileli 
lasse^**).  Späterhin  brachten  herbe  Kritiken  eines  beiden 
PhilosDpkieen  feindseligen  Standpunkts  das  offenbare  Ge^ 
heimnifls  von  den  formdien  Möngebi  seines  Systems^  von 
der  Zusammenhangiosigkeit  seiner  Darstellung  und  der  ab- 
strakten WiUkuhr  seiner  Sätze  euch  vor  das  grossere 
philosot»hische  Publikum«  Seitdem  hat  man  aufgehört^  seine 
Denfcstrenge  zu  rühmen,  ohne  dass  die  innere  Unsterbiich-i« 
koit  seiner  Ansicht  das  Geringste  gelitten  hätte» 

Wenn  nun  Spinosa's  ganzes  Denken  in  der  einfadi 
erhabenen  Anschauung >  aufging,  dass  all  das  dnendlioh 
EinaEelne,  wie  es  dem  innnlidien  Bewusstsein  als  einzige 
Realität  und  feste  Gewissheit  erscheint,  an  tAck  selbst  und 
ausser  Gott  Nichts  sei,  noch  vermöge,  dass  es  ewigbefassl 
and  geordnet  liege  i^  der  Unendlichkeit  der  Einen  Snb-< 
stanz,  wie  daher  auch  aOe  äusseriiche  Disharmonie  und 
UnvoUkommenheit ,  ja  sdbst  viras  uns  als  B5ses  erscheinty 
in  der  Harmonie  des  Ganzen  schon  gelöst  und  versöhnt 
sei,  und  die  tiefste  Eintracht  nicht  verlasse;  wie  diese 
Einsicht  i&r  den  menschlichen  Geist  zugleich  die  einzige 
Quelle  der  wahrhaften  Erkenntniss  der  Dinge  und  seiner 
eigAitUchen  Glöckseeligkdt  sei,  indem  daraus  die  verste« 
hfmde  Liebe  Gottes  entspringe,  mit  der  Gott  in  uns  sich 
ewig  liebt;  «—  und  hierin  ist  zugleich  das  Bleibende  sei« 
ner  Lehre  zusammengefasst :  —  was  können  wir  sagen  ^ 
dass  ihm  abgegangen  wäre  an  der  tiefsten  zu^eich  und 
begeisterndsten  Erkenntnisse  da  er  ebenso  die  erste  Grund« 
läge  aller  metaphysischen,  überhaupt  spekulativen  Wahrheit 
mit  sichern  Zügen  entworfen ,   als  andrerseits  die  höchste 


*)  Schillings  „Darst«tlutig  meines  Systems  der 
Philosophie«:  Zeitschrift  für  spekul.  Philo««  1603.  11.  3. 
&  Xill. 


M6    Allfaimiietnbr  Clnnikrer  mid  Jnlnll  seiner  PkaoBopüie. 

^Pracht  phiidsophischen  For9chen9  efprdM  nnd  gekostet 
btttto?  --*  Dennoch  bHeb  gerade  diessnbrig,  diess  war 
uatisgeniflcht,  wie  sich  das  Alles  denken- lasse ,  wie  die 
EinheK  der  absoluten  Substanz  zugleich  Unendlicfakeil,  neck 
dazu  in  der  doppelten  Form  unendlichen  Denkens  und  an* 
endliche  Ausdehnung,  zu  sein  vermöge,  imd  wie  auch 
«vr  der  Schein  seibstsliiuliger  Endlidikeiten  in  Gotl  sich 
erMsire»  bisse?  AHe  diese  Wideivpröche,  diese  metaphy- 
sischen Aufgaben ,  sind  versteckt  oder  erdrückt  mUer  aft» 
gemeinen  Definitionen  und.  abstrakten  Eridarungen:  es  ist 
mit  einem  Worte  ein  spekulatives  Postulat,  der  höchst  all- 
gemeitt  gehaltene,  nach  allen  innem  GrundzAgen  aber 
unausgeführte  und  unverstandiiche  Entwurf  eines  Syste» 
nes,  welchen  Spinosa*s  tiefeianiges  Gemuth  (das 
dIgentKcbe  Talent  und  die  Grösse  seiner  spekulativen  Be- 
gabung) zwar  mit  Liebe  und  inbrünstiger  Ueberaeugmig 
sich  belebet  mochte,  hinter  welchem  aber  erst  die  me- 
iiiphysische  Untersuchung  beginnen  muss.  Auch  hat 
er  eigentlidi  kleines  d^  spekulativ^  ^Probleme  gelöst,  nur 
ittfgelöst  in  der  Atigemeinheit  aeiDer  Ansckmiungn. 
Denn  selbst  die  Identität  von  Denken  und  Aasdehnung, 
4>der  von  Geist  and  Natur,  welche  er  zuerst  auagesprochen, 
ist  bei  ihm  nur  in  höchster  Allgemeinheit  und  nnfruchi- 
barer  Unbestieukilheii  geblieben.  Der  Hauptsatz  nämlich: 
dass  die  Ordau-fig  und  V^rjLBtpfung  der  B^ 
griffe  (der  Modifikationen  der  unendltdhen  denkearien 
Substanz) .  mi t  der  Ordnung  und  VeTknfipfuag 
de-r  ausgedehnten  Dinge  völlig  .eiu&rlel  sei, 
aus  dem  Grunde  ^  weil  in  beiden  nur  dieselbe  und  Eine 
Substanz  sich  unendlich  verwirkticbe  —  dass  mithin  jedem 
Körper  eine  Seele  in  irgend  einem  Grade  von  Realität  bei- 
gesellt ist,  welche  schk^thin  dem  Grade  der  Realität  die- 
ses Körpers  entspricht,  und  die  weitern  Bestimmungen, 
welche  das  zweite  Buch  der  Ethik:  de  natura  et  ori- 
gine  tnentis  daraus  herleitet,  sind  so  fem  von  jeder 
wirklichen  Erklärung,  der  Seelenerscheinungen ,  und  genü- 
gen so  wenig  einer  concreten  Anthropologie  und  Psycho- 


Seia  VedraKniss  tat  spätem  Philoi^phie.         Hl 

kigie,  dass  sie  den -alten  Rithsellösnngen  gleichen »' wofte 
die  Lösung  ein  neues  Problem  ist« 

Die  eigentliche  Bedeutung  des  Systemes  ergiebt  sich 
erst,  wenn  wir  die  £in-  und  Gegenwirkungen  betrachten^ 
welche  es  hervorgerufen.  Gleich  Anfangs  wurde  es  nicht 
missverstanden  in  seiner  Umgebung ,  wie  man  gewöhnlich 
meint,  sondern  lange  Zeit  verstand  man  sich  nur  nicht 
weit  genug  hinein.  Man  war  über  den  Hauptpunkt  gauf 
einig,  dass  S  p  i  n  o  s  a  *s  Lehre  (nach  der  damaligen  Spra* 
che)  Gott  und  Natur  identificire,  d.h.  die  Wirklichkeif 
Gottes  völlig  aufgehen  lasse  in  der  Wirklichkeit^ 
Natürlich  musste  der  damals  herrschende  Standpunkt  der 
ausschliesslichen  Transscendenz  darin  Atheis* 
mvfi  finden;  denn  in  dieser  Lehre  fiel  der  Gott  ganz  hin^ 
weg,  der  ihnen  allein  Gott  war:  der  andere  höchst  wirk« 
liebe  und  energische ,  welchen  das  System  ihnen  darbot^ 
war  Cur  sie  keiner,  sondern  ,^atur.^  Sp  trafen  unver^ 
söhnliche  Gegner  auf  einander;  aber  sie  hatten  sich  rich^ 
6g  verstanden.  Ebenso  treffend  von  seinem  Stand-^ 
punkte  ist  die  Bezeichnung  W  o  1  f  f  s  für  die  Spinös  is<^0 
Lehre:  er  nennt  sie  Fatalismus*),  weil  sfie,  den  Be« 
griff  der  endlichen  Substanzen  aufhebend ,  damit  auch  den 
GedaxriKen  menschliche  Freiheit  und  Selbstbestimmung  ver« 
nichte.  Und  auch  die  (unten  angefahrte)  umständliche  Kr^ 
tik  desselben  trilH  sogleich  den  Hauptpunkt :  S  p  i  n  o  s  a 
habe  nicht  erwiesen,  dass  der  Begriff  der  Substanz 
nothwendigmit  dem  des  durch  sich  selbst  seienden 
Dinges  (ens  a  se)  zusammenfalle:  —  was  auch  insofern 
völlig  richtig  ist,  als  es  nur  eine  Definition  war,  durch 
welche  Spinös a  Anfangs  diese  Bedeutung  des  Begriffes 
Substanz,  als  die  einzige  bei  ihm  geltende,  feststellt. 
Doch  ist  in  diese  Definition  nur   zusammengedrängt,  was 


*)  Wulffs,  veruunftige  Gedauken  von  Golt  und  der 
Welt  u.  ».  w.  S,  397.  Theolo^ia  naturalis,  1737.  Vol.  II; 
&.  509*  und  betooders  die  ausfulirliclie,  Punkt  für  Punkt  ef-« 
Grternde  Kritik  dieses  Systems  daselbst  J}.  671—710. 


4M  WbUft  Kritik  deMftett. 

Mch  lib  Resultat  Aet  Tofdüsgehendön  Philosophie  des  C^r^ 
tosianismus  ergeben  hat :  und  es  kanti  so  erhiubt,  als  be^ 
feeiehiietld  scheinen,  das  Resultat  der  voratisgehehden  Phi» 
(bsophie^  xugleich  als  neüeK  Principe  in  Form  eiHer  aOge« 
tiicitieit  Erklärtingf ,  voranzusteUen  ^  womit  Jedoch  ,  neben 
dieser  historischeil  Anknlipfiuig  und  Ruckvertnitlhitig' ,  die 
t^'Ordening^  eifcicr  allgemein  wissenschaMIchen  Begrün« 
dnng  ^igleich  wieder  eihtritt^  in  der  wir  Spinosa's  Un* 
gcnfige  schon  eingeistanden  habeti.  ^  Dennoch  ttnit  sich 
auch  Wolff  nicht  tnit  einer  so  formellen  Rüge  genug 
Ctoi.  §.  684.  Vol.  IL  S.  687i  ff.) ,  sondert  er  keigi  aosflihr' 
Reh  und  grundlich ,  dass  dct  Begfriff  des  litnitirten  odef 
endfichen  Weschs  „  wie  in  der  Sphäre  des  Denkens^  so  in 
der  der  Ausdehnung,  .keinesweges  die  Bestimmung  def 
Stibstarttlatitat  von  sich  ausSbhliei^e ;  dehn,  WO  ein  Behair« 
liches  den  Weeh^el  an  sich  2Ulasi$e ,  da  sei  auf  ein  Sub- 
Statitielles  ta  schliessen  (a.  a.  0.  $.  697.  AT.).  Und  nua 
Bäumt  er  nichts  aus  diesem  Gegenargumente  alte  Fölgeron-» 
gen  henSttleiten,  welche  auch  die  eitizelnen  Erklärungen  Spi> 
tiosa's  als  witikfihrliche  oder  Unbestimmte  erscheilieii 
lassen.  Denn  nicht  eu  läugnen  ist^  dass  gerade  diese  Weiche 
Und  Bodenlosigkeit,  nach  der  im  Endlichen  nichts  Bebarrli« 
ehcs  KU  linden  sein  soll ,  ihn  auch  in  seiner  speknlatireu 
Auffassung  der  einzelnen  Probleme  in  WiDkUhr  oder  Utibe*' 
stimmtheit  zerflicssen  lassen*  Es  Wird  diess  eine  entschei- 
dende Betrachtung  auch  ftir  die  nachrolgenden  Philoso« 
phieen  werden. 

So  bleibt  für  Wolff  das  Verdienst,  die  früheste 
gründliche  und  in^s  Einzelne  eingehende  philosophische 
Kritik  jenem  Systeme  haben  angedeihcn  zu  fassen ;  während 
Leibnitz,  nur  im  Allgemeinen  sich  haltend  und  sogar 
aus  gutem  Grunde  der  Vorsicht  und  Gerechtigkeit  unent-- 
schieden  lassend,  was  die  eigentliche  Meinung  dieser  Phh* 
tosophic  sei ,  mehr  den  Gegensatz  seiner  eigenen  zu  ihr 
in's  Licht  stellt  ^  als  sie  aus  sich  selbst  widerlegen  will. 
Doch  würde  man  irren,  falls  man  nicht  die  tiefste  Einsicht 
ihm  zutrauen  wollte  über  den  wahren  Cardinalgrund  ihrer 


Verhiltate  Ton  Leibiiiti  20  flun,  449 

Diferens,  wain  er  aack  bei  den  gclegentiiclieii  Anflftmiu- 
gen  Spinosa'8  nnr  sich  begnügt ,  gegen  den  einseitigen 
Spinosischea  Begriff  der  Macht  in  Gott,  ohne  den  der 
Weisheit  und  der  Güte ,  seu  protestiren  *).  Diess  verrSth 
schon  sein  berühmt  gewordener  Aussprach ,  dass ,  wenn 
es  keine  Monaden  gftbe,  Spinös ä  Recht  hfitte. 

Man  hat  sich  bei  Würdigung  desselben  meist  mit  der 
VorsteUung  begnügt,  als  wenn  Leibnite  den  Eigensinn 
einer  selbsterdachten  philosophischen  Hypothese,  eben  der 
Monaden,  der  Grösse  der  Spinosischen  Anschauung  entge«- 
gengeslellt,  und  damit  S p  in  0  s  a  für  widerlegt  gdialten  habe. 
Man  irrt  sich  darin,  wie  auch  sonst  über  den  Ursprung  der 
Monadenlehre,  und  diess  ist  der  Beginn  des  Unrechts  gegen 
den  hohen  Genius  und  eine  seiner  tieften  Ueberzeugungen, 
geworden.  Es  wird  sich  zeigen,  dass  es  ein  auf  unuberwind^ 
licher  Anschaming  des  Wirklichen  l^eruhendes  Princip 
war ,  welches  jenen  Ausspruch  hervorrief.  Er  ist  völlig 
dem  andern  gleich,  welbhen  wir  wohl  als  das  entscheidend- 
ste Corfekiiv  für  die  Spekulation  ansehen  dürfen,  und  der 
sich  auch  spater  n  der  eigenen  kritischen  Darstellung  noch 
einige  Mal  erneuern  wird:  Ware  das  Wirkliche  in  seiner 
universalen  Tbatsachlichkeit  ein  anderes,  als  es  ist;  so 
möchte  auch  das  behau|itete  Erklämngsprineip  ihm  Genüge 
Ihun :  so  aber  treibt  uns  jenes  eben  darüber  hinaus ,  wie 
hier  über  die  Spinosische  allbefassende  Substanz.  -^ 

Indess  mag  die  Widerlegung  Wolffs  so  iafiponireiid 
eeBcUenen  sein,  dass  S  p  i  n  0  sa  's  unmittelbare  Eihwirkung 
erlosch:  er  war  vergessen  und  verrufen  migleioh.  '  Aaicli 


*}  Vgl.  Ttntam0nTheodic߀a4Opff,eil,ünitik»TA>  S.  53«  256. 365. 
T.II.P.I.  S.  115. 225.  per  ttäriLSte  Ausdruck,  cl|Br«ich  bei  i|im 
über  Spinosa  findet,  ist  wohl  der  (T.  II.  S.91-)9  ^o  «r  ¥oi% 
den  Abs urili täten  im'SpfnosiscI^  Gottesbegriffe  redet'  Aucl^ 
da  setzt  er  jedoch  sogleich  hinzu,  dass  die  Quelle  jenes  Irrthums 
nnr  lieg^'  in  dcfr  ydtlig  ausgesprochenen  Kousrequenz  der  Lehre; 
wnlche  dem  eisdlicbtn.Dingfl  eigemies'  Vermdgen  und  Thltig-^ 
.Mt  «bsp;ftf!hti  d  .h..dc)r  .C«rte»i«»iic]|en.  .... 

29 


•^« 


der  gelMn^.Cv^m^  4m  licfs^-itiif  ilitn  weiMe,  war,  nie 
JPriedrioh  ,S cA^l^g^l  in  seiser  Ckalniklcrtsfik  desselben 
besonders  jl eh  e  1 1  i n  g  im  Denkmal  (S.  47.  48.)  sehr 
ge^igjt  haben,  der  aHgemeine  des  frischen  Denkers,  welcher 
f|ie  (deistisicben)  Vorstellungen  seiner  Zeit  über  GtftI  ^icht 
mehr  geniessbsr^  findet,  dki  Gott  fast  nnr  zum  suppediü* 
■renden  Yeiyfleger  mensohlich  endlicher  Bedürftigkeit  her- 
abgewürdigt hatten.  Diesen  gegenüber  konnte  er  sich  an 
der  Grösse  jener  keuschen,  reinen,  selbstentsagenden  Idee, 
welche  den  Menschen  rückhaltlos  in  die  Macht  Gottes  da- 
hin giebt,  nur  bekrdfligend  erfreuen ;  und  nicht  mit  Unrecht 
hat  S 0 h e  1  li n g  (an  jener  Steile)  die  Geistesenge  und 
Dürftigkeit  jener  gezüchUget,  welche  nnt  der  Bntdeeknag, 
^essing  sei  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  Sp»- 
HQsist  gewesen^,  rüdihaltig  thaten,  oder  sie  sogar  ztan  Ab- 
fijßhreckungsmittel  gegen  die  Philosophie  überhanpt  bemilzeD 
wölttenw 

Dennoch  bleibt  Jaoobi'n  das  entscheidende  Ver- 
ditolit,  Spinosa's  System  in  seiner  historischen  IntegriM 
wiederhergestellt  zu  haben.  Diese  Nachwirkung,  war  ge- 
wattig  und  entscheidend  ;  zwar  an  Kant  ging  sie  vottber, 
aber  isie  wurde  auf  Ficht  e,  noch  starker  aaf  Sehe  Hing 
nbergeleilel ,  und  erzeugte  von  hier  ans  die  Wiedeitier- 
sleHung  einer  vom  Subjektiven  aus  sich  vermittelnden  ob- 
jektiven Philosophie;  aber  auf  der  Grundlage  des 
Spinosismus,  nac^h  dem  Principe  der  Imma- 
nenz. Hiermit  sind  wir  zu  den  Gestalten  der  Gegenwart 
gelangt ,  in  denen  die  Idee  jenes  Systemes  aar  neuen ,  — 
mit  Recht  hat  man  hinzugesetzt,  zur  höher  gesteigerten 
Wiedergeburt  gelangt  ist. 

Hierbei  ist  jedoch  höchst  1>emerkenswerlh ,  dass  das- 
jenige lYinclp'i  welches  in  der  Tliat  es  vermochte,  der 
Lehre  Spinosa^s  eine  neue  Seele  einzuhauchen,  dem 
Begrifle  der  Macht  und  d^  Nothwendigkeit  nicht  das  bloss 
Entgegengesetzte  aufzudringen,  sondern  eine  weitere  Ent- 
wicUqng  seiner  selbst  ihm  einzulBgen,  von  einer  gani  an- 
dern Seite  kam,  alg  die  bisherige  Ueberliefenuqff  es  erwar- 


ien  UesB,  nml  ab  e^  m  den  eMgetim.  Conkextntefls  Stu4* 
punktfi  paasle.  .Am  Begrifle  des  ZW.eekesi»  der  iolinfi» 
nenten  T^leotogie,  hat.  sich'  der  Ujnisclmuiigt  id#r 
ganxen  . gegen wartigeB.' Philosophie  bereuet,  und  fährt 
fort,  von  hier  aas  sich  20  voUetiden;  und  Immaau^l 
Kant  ist  der  Meister,  der  dadacoh  am  Ende  seiner  spekulii- 
tiven.  Laufbahn,  mid  seinen  eigenen  fitandpirnkt  damii  weit 
überschreitend,  ja  das  Blement  dcrfielhstwidcrlegung  darin 
an's  Licht  förderndy  imbewasst  odar  wider  WiUen  der  Vid- 
ier auch  der  objektiven:  Philosophie  geworden  ist  Ba  ist 
der  ^eheimnissvolle  Begriff  des  Zweckes/ der,  indem  urir 
gcnöthigt  sind,  ihn  nicht  aur  als  ein  SiAjektives,  roenschh 
lichfrei  Gewühltes,  sondern  als  ein  objektiv  Geworden 
nes,  bewusstlos  sich  vollziehendes  thatsachlich  anxiH 
erkennen,  uns  nach  seinbr  aigefi6it  M6gUchfceit  und  £f- 
Uari)arkeii  zn  forschen  nöthigi  DaS^JiiHgemeine  davoji  i<!t 
schon  obedft  hei  Berichtovsfäilungi  fibcf  dcö  .swialtcn .  Thell 
der  Kritik  der  Urlhetlskraft  abgchanddl  worden;,  die.  sfle^ 
cielle  Beziehung  Kants  auf  S  p  i  n  0  s  a ,  wo  es  geraddüto 
z»  den  entscheidendsten ,  vorausgreifendsten  Ecklürangen 
kommt,  mussten  wir  bis  auf  diese  Stelle  verspüren..     . 

Hier  namlidi  (Kritik  der  Urtheilskraft  9.Au0. 
S.  aiOr-aao»  wo  Kant  die  Frage  aufwirfl,  wie: vielerlei 
Systeme  oder  Hypothesen  es  gebe,  um  die  objektive 
Zweckmässigkeit  in  der  Natur  zu  erklären,  erwähnt 
er  auch  der  Ansicht  von  Spinosa  (S.  325 — 27.;  vgl. 
S.  373.),  und  charakterisirt  sie  auf  die  trefiPendste  Weise. 
Es  ist  die  erste  ihr  an's  Leben  greifende  Kritik. 

Spinosa,  sagt  er,  wolle  dadurch  der  Idee  von 
Zwecken  in  der  Natur  alle  Realität  nähmen ,  dass  er  sie 
nicht  Jßr  Produkte  einer,  absoluten  Caiistlltät,  sondern 
ala  eindm  Urwesen  mit  uphedingter  Nothwendigkeit  Inhä- 
rirende  Accidenzen  gdteh  iässt'  Hiermit  habe  er  den 
Natorformen  zwar  die  Einheit  des  Grundes,  weü 
che  zu  aller  Zweckmässigkeit  (um  sie  zu  erklä«» 
rea)  erforderlich  ist,  gesichert,  zugleich  aber  die 
Z n f ä  1 1  i g k e i t  derselben ,  oluic  die  keine  Kwe c ke 4 iv^ 


4B2  IKatTs  Bdiekng 

•^eit  f*e4a'eht  iferden  könne,  htnweggMonmeR ; 
•berkanpl  den  Gedanken  einer  Absiebt,-  so  wie  eines 
Verstande^im  Urgxnnde^  aurgelioben. 

Uiennit  leiste  aber  der  Spinosismtis  nicht,  was  er 
woHe,  d.h.  er  habe  dadorcfa  die  Existenz  jener  iBnem, 
bewnsstlosen  Zweckmässigkeit  (die  er  nicht  iäugnet)   kei- 
nesweges  erkMrt    Er giebt  dafinr  bloss  die  Ei  n  h  e 1 1  d es 
Snbstrats,  dem  äBe  Ratnrdinge  inhäriren ,  an.      Aber 
•wenn  man  ihm  auch  diese  Art  cn  existiren  fiir  die  Weit- 
wesen  einräumoi  woHte ,  —   d.  b.  wenn  es  in  Bezug  auf 
die  allgemeine  Existenz  iler    Weltwesen    denkbar 
bliebe,  sie,  nach  Weise  des  Spinös  a,  fiirdie  nnendlicheo 
•llodifikationen  der  Einen  ewigen  Substanz  zu  halten;  — 
-so  ist  doch  diese   ontologische  Einheit  sofort  nocdi  nicht 
Zweckeinheit,  und  macht  diese  keinesweges  b^^eif- 
Vck    Die  letztere  kann  schlechthin  nicht  folgen  aus  einer 
blossen  Verknüpfung   der  Weltvresen  in  Einem  Subj^e 
(dem  Urwesen) ,    als  der  Accidenzen  einer  Substanz ,  n 
deren ,^atur^  oder  ursprünglich  nothwendigem  Wesei 
sie  gehwen;   sondern  sie  erfordern  zu  ihrer  Erklärung 
schlechterdings  die  doppelte  Bestimmung:    dass  sie  innere 
Wirkungen  (nicht  Accidenzen)  der  Substanz,  als  einer 
Ursache  sind,   und   dass  diese  Substanz  nur  Ursache 
durah  ihren  Verstand  sein  könne. 

Hau  ersehe  hieraus, . dass  S p i n o s a  nicht  den  Rea- 
lismus, sondern  nur  den  Idealismus  der  Zweckmäs- 
sigkeit zu  behaupten  die  Absicht  gehabt  habe:  —  d.  k. 
eigentlicher  Zweck  existirt  nach  Spinosa  nicht  in  den 
Dingen,  sondern  nur  wir,  unser  subjektiver  Verstand,  tragen 
ihn  hinein  in  die  Beurtheilung  derselben :  in  ihnen  ist  nur 
„unabsichtliche  Zweckmässigkeit^  vorhanden. 
—  Aber  selbst  diese  habe  Spinosa  nicht  zu  bewerk- 
stelligen, ( denkbar  ktt  machen)  gewusst:  „weil  die 
blosse  Vorstellung  derEinheit  des  Substrats 
auch  nicht  einmal  die  Idee  von  einer,  auch 
nur  unabsichtlichen,  Zweckmässigkeit  be- 
wirken kAnn«"  (S.  337.>. 


Und  iran  noch  sum  Schlüsse  die  gewichtigen,  weit  fai. 
die  Folge^il  der  PhOosophie  hineinschanenden  Worte 
Kaiit*S)  mit  denen  er  in  Aussicht  stellt,  wie  das  kaum 
gerundene  grosse  Princip  der  immanenten  Teleologie  selbst! 
zu  überschreiten  sei  (S.  326.) :  ,,Will  man  aber  das ,  was 
die  Scbide  die  transscendentale  Vollkommenheit  der  Dinge 
ein  Beziehung  auf  ihr  eigenes  Wesen)  nennt,  nach  welcher 
alle  Dinge  Alles  an  sich  haben,  um  s  o  ein  Ding  und  kein 
andere»  zn  sein  ,<«  -^  (also  eben  den  Begriff  des  Zweckes, 
der  sich  in  jedem  Dinge  gleich»  Weise  zeigt,  und  wodurch 
es  Selbstzweck,  die  immanente  Teleologie  inihmrea- 
lisirt  ist)  •—  „Zweckmässigkeit  der  Natur  neu- 
nett :  so  ist  das  ein  kindisches  Spielwerk  mit  Worten,  statt 
BegriSiML  Denn-  wenn  alle  Dinge  als  Zwecke 
gedacht  werden  mfissen,  also  ein  Ding  sein 
und  Zweck  sein  einerlei  ist;  so  giebt  es  im 
Grunde  Nichts,  was  besonders  als  Zweck  vor«^ 
gestellt  ZQ  werden  verdibnte.^^ 

In  diesen  Worten  liegt,  eingehüllter  Weise,  die  dop-% 
pelte  Instmz  gegen  den  Begriff  der  immanenten  Teleologie,; 
falls  man  hei  ihm,  als  dem  Letzten,  stehen  bleiben  wolL 
te ;  —  Instanzen,  an  denen  freilich  selbst  das  Hegel  sehe 
System  m's  Stocken*  und  zürn  FaU  gekommen  isL  Es  ist 
zuerst  der  Satz,  -^i^velcben  die  Ontologie  des  Verfassers 
in  der  Dialektik  des  Zweckbegriffes  ^)  ausfübriich  in's  Licht 
gesfent  bat,  —  dass,  wenn  auf  völlig  gleiche  Weise  Je-- 
de A  als  Zweck  an  sich  selbst,  wie  ab  Mittel  Jur  alles 
Andere,  betrachtet  werden  müsste,  worin  also  ansgediuoktr 
ist  die  allgemeine  RealisindBg  der .  immanenten  Teleologie 
im  ^Umrersum,^  —  das  eben,  was'  Kant  bezeidmet;  ~ 


■   I 

*)  Crandsuge  sam  Syiteme  der  PhilosopUie:  zweite 
AbtheiiuQg,  die  Ontotogie;  1836v  $.  264.  S.  457. 
vgl  $•  267.  AniD«  S.  463.«  uod  die  spätere  AutfuhruDg  in  der 
Einleitung  zur  sp  ekul  a  tiven  Theologie:  ZeiC^ 
Schrift  für  Philosophie  und  spek.  TheologT^v 
Bd.V.  H.3.  S.  199^201^ 


454  Kant's  Beüobung  at  Spinosa. 

iMrtBit/in  der  Thal  Nichts  mehr  wahrhaQ,  weder  Zwrck, 
noch  Hittel  zu  sein  vermöchte.  Der  Begriff  des  Zweckes 
ist  überhaupt  unabtrennbar  yob  dem  eines  schlechlhia 
höchsten,  absoluten  Endzweckes. 

Darin  ist  jedoch  zugleich  schon  die  zweite ,  noch  be- 
stimmter gegen.Sfiinosa'  oder  das  panlheistisclie  Princip 
gerichtete  Instanz  «ithalteny  dass  dieser  absolute  End- 
zweck nicht  das  Absalute,  das  Unin^rsum  selbst  sei;  wins 
diess,  so  wiederht^Re  sick  in  der  Tbat  der  eben  gerügte 
Widerspruch':  Gott  ist  nicht  der  absolute  Bndzwed^  in  den 
die  Weltwieseh  sich  siuflöaeB,  sondern  dar  absolut  Zweclb- 
setzende  (wie  bei  uns  dieser  Säte  ausgedrückt  and  ge- 
gen das  letzte  System  der  innnaneiiz,  das  Heg  et  sehe, 
gewendet  worden  ist 3  Ontologie.  S.465.,  vergLS. 521.). 

Weiche  Waffen  und  Abwehr  K  a.n  t  in  seiifem  Lehr- 
gebäude, sich  übrigenst  erdächte  gegen  die  Grosse^  solcher 
Eingebungen  und  Veraatidicke  des  eigenen  Genius^  babea 
wir  schon  im  VorhergehendeA  gesehen.  Er  begnügt  sich 
nickt  sowohl  damil^  diese  Ehtdeckimgen^  wie  Samenkörner 
auf  den  Zufall  des  :Wurzelschlagens,  achtlos  aosBUstreuen; 
d  verlöscht  vielmdir  ausdniicklidi  ihren  Glanz,  und  sucht 
ihre  Bedeutung  Delber  sich  auszinredcs:  er  laufet  ihre 
objektive.  Beschafindieit  und  stimmt  sie,  nachdem  die  Geg- 
ner widerlegt  sind,  denneck  zu  subjektiven,  bloss  regnla- 
fiven  Principien  herab.  —  Wie  wir  es  sahen  bei  dem  Be- 
grifle  der  iinmahenten  Teleofaj^ieind  der  Idee  eines,  He- 
dianismüs  und  freie  Zweckbfestimmaiig  sddeditkin  ül  sich 
Vermittelnden  inlnitiTen  Verstaniies  (s.  ob.  Sw  231. 
232.) ;  ebenso  macht  er  es  mit  dem  Begriffe  des  höchsten 
und  rabsoluten  Endzwecks,. ^aus  welehem  er  Sp  i  n  asfi  wi- 
derlegt. Wir  sind  nicht  befugt ,  einen  sichern  theore- 
tischen Schhiss  zu  machen  auf  das  absolute  Dasein  eines 
solchen  absolnt  zwöcksetzenden  Verstamdes .  Er  taugt  nicht 
zuni  cohslilutiv  .spekulativen,  Principe;  seine'  Berechtigung 
gyht^picllit  übßr  das  Sübjpidivp..  hinaus^,  und  so  gqlidrt  er 
BOT  der>refl.ektirQndcn  Urtheilskraft  an. 

Daher  blieb  hier  noch  immer  4iie  ScheidBwand  der 


Sein  VerhSboiss  zit  Schelltng  45d 

«wtedben  dem  Subjektiven  und  Objeklhren  ste^ 
li^i ;  das'  Bf istraueh  erwacht  in  Kant  immer  wieder  gpe^en 
die  Realität  seiner  eigenen  Entdeckungen.  Und  'so '  be^ 
durfle  es,  auch  von  diesem  tidhenputikte  atis,  von  dem  er 
seine  Btcke  in  die  weiteste  ZuknAIt  der  SpekidAtion  sen-^ 
dete,  des  Vebergang^s  durch  den  Stdridpunkt  der  Wissen^'* 
Mbafklefare ,  «der  •  es  über  dies  Mi^räueii  hinans  sur  ab^ 
sdifiessenden  Eiitscheidiing  gebracht 'Imt/ 

Durah  diu  Vermittiiuig  jene^^Kfi'n'tig^ien  OetfataKeii^ 
g^dttnges  hin  Sehe  Hing  nnd  Hegel,  das  Spino'sl-^ 
sehe  Princip  der  ImmanenB  erineuermf,  in  sieh  selbst  es 
höher  au  stelg^mi«  Hiernach'  sind  ^die  Viibeile  ta  ehnrei^ 
sm  ,  die  jeder  von^BeMeir  üb^  ihttln  gemeinschaiUicheit 
Vorgänger  geftUl  bat. 

Sehe  Hing  fiisste  den  Begriff  des  Zwed^es,  ab  den 
der  Polen a:   die  absolute  Substanz,  als  Identität  der 
Nahir  und  des  Geistes ,  reaüsirt  in  sich  sdbst  den  hmnä- 
nenlen  Zweck,  indem  sie ^  „als  unendliche  Subjekt - 
ObjdLtivilat,«'  sich  unendlich  „dbjektivirl  (zünfi  Obfekt  ivird), 
aber  ans  jeder  Objektivität  (EndHehkeit)  siegfreich  vrleder 
hervor  und  nur  in  die  höhere  Potenz  der  Subj^ktivi^i 
tfit  znröoktritt,  bis  sie  nach  Erscböpfting  dieser  Möglichkeit, 
objektiv  ZQ  w^den  ,    als  über  alles  siegreiches 
Subjekt  stehen  hfeibt^    (Vorrede  zu   Cousin 
über  französisehe  und  dentschePhilosophie, 
S.  Xill.);  worin  zugleich  «ie  sk^&  seH^  als  den  absolu- 
ten Endzw^k  realisift  hat.   «^    Hiermit  konnte  Sck'eU 
Itng,  seme  Verwandtscittift  zimi  Sptnosismiis  anerkennend, 
das  e^iene  System  im  Verhältnisse  zu  jenem  charahferisfren, 
wie  dynamische  Philosophie  zur  mechanischen,  und  es  sdftet^ 
als  efci  einseitig  realistisches  System  bezeichnen, 
das  sich  vatk  fidgrifle  des  l>inges,  als  todten  Inbe^frtlRfs^' 
ven  Accidenzen  und  Moden,  nidM' befreien  kann,  und  dem 
die  unendliche*  Substanz  jeUen   auch   Mui^ein  Ding  ist.^ 
l>iess<' i^eich  sei  der  Grund  seines  Deterfninlsmus,  irfdem^ 
er  auob  d^  Willon  als 'eine  Sache  behandh3f;{l)e  nur  be-^' 
stiraml  -^sbin  kdnn^  (furch  eine  andere  Sadie, -di^  ^iedeiT 


45Q  und  tn  Heget. 

4iircli  eine  andere  befitimmt  isl,  und  00  in^^  Unendlkke. 
(lieber  das  Wesen  der  menschlicben  Frei- 
teil,  S.  417.  18.) 

Da&s^lbe  hat  eigentlich  Hegel  nur  schärfer  aUdh- 
gedrückt,  wenn  er  das  Verhältniss  seiner  eigenen  Philoso-* 
phie  zum  .Standpunkte  ^pinosa's  durch  den  bekannten 
Ausspruch  bezeichnet  (Phänomen ologne  des  6 ei« 
stes,  Vorrede  S.  XX.  XXI.  vgl.  XXV.  alte  Ausg.):  dass 
ABes  darauf. ankomme,  d|is.  Wahre  (Absolute)  nicht  als 
Substanz,  sondern  elieiiso  sehr  als  Subjekt  aufzufas- 
sen und  auszudrücken.  Es  ist  das  Prio^ip  der  unendli-« 
eben  Negativität,  >Y4?Icb«^  die. Substanz  inigleich  zum. 
Subjekt  macht.  Sie  ist,  als  S^lgekl,  die  reine  einfache 
Negativität,  eben  dadurch  Entzweiung  des  Sinfachea, 
qder  die  entgegensetzende  Verdopplung,  welche  wiederum 
die  Negation  dieser  gleichgültigen  Verschiedenheit  und 
ihres  Gegensatzes  ist :  nur  diese  sich  w  i  e  d  e  r  h  e  p  st  e  1- 
1  e  n  d  e  Gleichheit  oder  die  Reflexion  iiti  Anderssein  in 
in  sich  selbst  ist  das  Wahre ;  —  der  Kreis,  der  sein  Ende 
als  seinen  Zweck  voraussetzt,  und  so  zu  seinem  Anfan- 
ge hat. 

Insofern  ist  die  Substanz ,  als  das  Subjekt ,  ätfdi  der 
absolute  Geist;  denn  es  ist  die  wesentliche  Bestimmung 
d^s  Geistes,  im  Anderssein  bei  sich  sdU>st  zu  Ueiben,. 
die^s  Andere  als  sich  selbst  zu  wissen.  Der  Geist,  daher, 
4ie .  unendliche  Negation  der  Negation ,  ist  fder  immdnentß 
Zweck,  der  als  die  übergreifende  Subjekti¥ita4'/alis.;aHen 
Gegensätzen  und  Entfremdungen  zu  sich  selbst  sich  wie- 
derherstellt. Diess  die  charakteristischen  Bestimmuogen 
Hegels,  in  denen. er  Spinosa's  System;uber  die  ur- 
sprüngliche Begränzung  hinausgebracht^  und  mit  dem  Kan« 
tischen  Principe  vermittelt  zu  haben  erachtet  konnte. 

Nun  hat  er  jedoch  auch  noch  qiäter  eine  Bestimmung 
hinzugißfügt,  durch  welche  die  Lehre  Spinosa's  von  dem 
Vorwurf  des  Pantheismus  und  Atheismus  befreilv  wer-^ 
den  soll.  (Ency41opädie  de  r.philos.  Wisiren- 
schaffen  S.  60.61.  3te  AuO.  ^  Vgl.  Hegels  Ge- 


sahichle  der  Philosophie  Bd.  UL  & 373. 408.)  . I»- 
dem  sie  namUch  die  Realität  der  Welt,  ab  eioes  Aggregat» 
^^ndlicher  DingeS  TÖUig  aufhebt  und  ihr  nur  GoU  existirty 
müsse  man  sie  nach  ihrer  charakteristischen  Weise  als 
Akosmismus  beseichneQ.  Dieser  Begriff  wird  zwar 
ton  Hegel  an  einer  spatem  Stelle  (a.  a.  0.  S.  59^.93.> 
auch  auf  die  Lehre  der  .Eleaten  angewendet ;  Aberhanpi 
l^lf  alle  Systeme,  welche  die  gemeine  Vorstellang  als  pan** 
theistische  zu  bezeichnen  pflege.  Bestimmter  jedoch  komme 
er  w/f  denen  Systemen  ra,  welche  das  Absolute 
ii.nr  als  Substanz  fassen,  nnd  deren  Hangiel 
eben  darin  bestehe,  nicht  zur  Bestimmung- 
der  Substanz  als  Subjoikt  und  als  Geist  fort- 
zugehen. 

Hierin  ist  nun  offenbar  die  doppelte  Folgerung  enthalt 
teil.  Zuarst,  das&  nur  Spinosa  und  die  im  Bagriiflit  der 
Snbstantialitat  .des  Absoluten  ihm  verwandten  Systeme,  nidit- 
aber  die  spatem,  also  das  Schellingsche  und  Bl^egeJ- 
sehe,  als  akosmistische  bezeichnet  werden  könnten; 
dass  mithin  zweitens  in  den  letztem  der  Grund  hinwegge-» 
fallen  sei,  der  jene  zu  ako&misti sehen  macht.  J^dif 
Spinosa  liegt  dieses  darin,  dass  er  der  Welt  jede  >  af-« 
firmative  Realität^  abspricht:  Hegels  System  alsO; 
z.  B.  müsste  dagegen  eine  solche  relative  S<^8tständigkeit, 
(SubstanUalitat)  für  die  Welt,  für  die  ,,cndUchen  Dinge  % 
übrig  lassen ,  um  nach  seiner  eigenen  Versicherung  diesen 
Kamen  nicht  zu  verdienen.  » > 

Damit  hatte  sich  Hegel  jedoch,  isrenigsfens  nach  der 
äussern  Fassung  der  Sa^he ,  eines  Widerspruchs  gegen  jsiich 
selber  schuldig  gemacht,  indem  er^  von  dem,  sonstigen  Siime 
seines  Systemes  ganz  abgesehen,  in  demselben  Zusammen- 
hange, wo  er  S  p  i  n  0  s  a  's  I^ehre  als  akosmistische  bezeich« 
net,  zugleich  umständlich  zeigt,  in  welche  Ungereimtheiten 
und  Widerspräche  diejenigen  sich  hineinarbeiten,  w.9lch,e 
der  Welt,  Gott  gegenüber,  eine  solche  ^affir-* 
mative  Realität^*  zugestehen  (S.  594.  95.)*  Aus 
welchem  Grunde  kann  er  somit  sich  berechtigl  halten,  den 


VX>  oftBWm  9  AMiSlaOTMff. 

Bffriff  des  Akosnisim»  Air  setne  eigene  Lekrc  abralelUieB? 
Gewiss  giescbak  e»  in  «ifiriehfigster  Uebeneogtmf ;  aber 
vom  Scheine  des  Widerepniehs ,  oder  vidmehr  von  Sofg- 
lesigkeit  der  Darstellung  imd  Vemachlissigung  wesentlieher 
Micteibestlitmnngen  kann  er  dabei  nicbt  frei  gesproehen 
Werden. 

Ohne  Zweirel  glaubte  nimlich  Hegel  dazn  denselben 
Onmd  211  haben,  ans  welchem  er  iKberhanpt  auch  über  den 
Sjpbiosismas  hinausgelangt  ta  sein  behaupten  durfte.  — 
Do fl  bleibt  es  (der  Darstellung  wenigsten^  nach, 
welidie  Sp  i  tt  0 s a  seiner  Lehre  gegebeo  hat)  bei  der  lödlen, 
unterschiedlosen  Allgemeinheil  der  Substanz.  Das  Endliche 
ist-  kein  Anderssein ,  mr  eine  Reihe  Ton  Accidenzen  und 
Modifikationen ,  in  denen  das  Absolute'  aus  seiner  Identitit 
nicht  heraustritt. 

Hier  enf Äussert  Gott  sich  wirklich  seiner  selbst,  geht 
lAnn  Gegensatze  von  sich  fort,  und  die  Aufhebung  dessel- 
ben ist  keine  bloss  einfache  Negation  oder  Entleerung, 
sondern  ein  Negiren  ^s  Negativen,  ein  VenKesseitigen  des 
Jenseits.  Das  unendliche  Anderssein  ist  die  göttliche 
Wirklichkeit  selbst:  der  absolute  Geist  ist  der  unend- 
lltfh  sich  vermenschlichende.  Und  so  hat  Hegel  mit  vol. 
lern  Rechte  den  Accent  auf  das  Diesseits  (die  Welt),  als 
die  götdiche  Gegenwart ,  gelegt. 

Aber  auch  von  hier  aus  Ifisst  sich  noch  einmal  auf 
die  Seite  Spinosa's  treten,  um  nachznweiscu,  dass  der- 
selbe Grund ,  welcher  den  Begriff  des  Akosmismus  f&r 
Högels  System  zu  einem  schiefen  und  ungeeigneten  ma- 
chen würde,  auch  von  S  p  i  n  o  s  a  in  Anspruch  genommen 
werden  kann:  überhaupt  dass,  indem  beide  Systeme  nur 
in  Betracht  der  Entwicklung  desseTbcn  Prin- 
cips,  kcinesweges  aber  imPrincipe  selbst,  von 
Einander  verschieden  sind,  entweder  beiden,  oder  kei- 
nem von  Beiden  jene  von  Hegel  crftfnclene  Bezeichnung 
zukommen  kann. 

Bei  Spinosa  ist  das  „endliche  Ding**  die  einzelne 
Modifdcation  desr  unendlichen  Denkens  oder  der  unendlichen 


■    Spinösa'5  AHosnrisoRig.  4S9' 

Aasilebnnng^,  deren  absolnte  BMidl  die  g6idichfe  Substlmz 
isU    Hiefmit  ist  mm,  dem  Shme  und  4er  irrnem  Beiekiitiiiiiiif 
nach,  zuTordenst  der  Begriff  der  „to  4 1  en,  unterschied^^ 
losen    Allg'emeinheit,^    oder    gar    der   abstrahten 
Identität  des  EndKchen  und  des  Unendlidien -v8Iii|f  ab-» 
grwiesen,  welche  man  Spinosa  aufzubürden  pflegt.  Me 
Substanz  ist  concrete  Allgemeinheit,  so  gut  wie  bei  He«»! 
gel:  sie  aifirmirt  sich  selbst  in  jeder  cndUchen  Hodifi^ 
kation;  denn  sie  wird  ja  zu  ihr  in  Folge  der  «ige He»,/ 
innern,  ihre  Natur  ausdrückenden  Ke^thwen^. 
digkeit;  und  der  Satz:  detenmmaih  esi  negaiioy  ent*- 
hält  auch  für  Spinosa  nur  die  Eine  Seite  der  Wahriieit, 
den  Bezug  der  endlichen  Moden  zu  einander,  keines** 
weges  ihr  VerhAltnins  zur  göttlichen  Substanz« 

Sodann  aber  y^rwirklicht,  ^bej*ht^  sieh'  diese  nnab* 
lassig  in  solchen  Modiflkaüoneh :  jeder  endliche  HoHnn  tsl. 
durch  andere  in  unendlicher  ReUve  begrinzt,  in  der^n  CM-^. 
tinnitSt  erst  die  absolute  Sbibistanz  ihi^  WiiUichkeH.hat,' 
in  keinem  einzelnen,  das  nur  Verschwindendes,  Uoss  Mo** 
ment  ist  in  jener  unendlichen  Selbstrealisation.    So  ist  auch 
dem  Principe  nach  die  eigentliche  Entdeckung  der  He  gel- 
schen Philosophie,   die  Affirmation,  als  Negation  der 
Negation  .oder    unendliche    NegativItälV   in 
Spinosa 's  Systeme  enthalten.     Denn  weder  <bei  dieMtUy 
noch  bei  jenem  sind  diese  Modi,   diese  CokicretlM  de» 
Allgemeinen,  —  und  d  ie  ss  ist  das  Entscheidende  Sit  itm* 
Princip  —  eine  scfaleohdiin  ewige,  substantiell  Form  «ei^ 
ner  Selbstverwirklichung ,  sondern  ein  flu^siges^  Ideelles» 
Moment,  der  sich  aufliebt  in  die  „uborgreifende^  Allg(taiein«f ; 
beit  der  Substanz.     (Wovon  gleich  mehr  zu  reden  sdn  \ 
wird  bei  Gelegenheit  de^  Heg  eischen  Auffassung  Lelb^' 
nitziseher  Lehre  im  Gegensatz  zu  der  des  Si^inosa^  . 
Die.Uegelscfae  Bezeichnung  des  Spinosiscbea  8y«t 
Sterns  als  Akesihismu^  trift  also  entweder  bei  Weitem  mti^y 
denn  (als)  nur  dieses,  trifft  aHe  Systeme,  denen  überhaupt  der 
Begriff  kreatArlicher  SubstantiaUtaft  abgeht ,  demnach  aufch 
das  Hegeiiiche:  oder  er  muss  soläM  venSpinoiia/s . 


460  LelbtiilxiM  netetAysIsdiM  Pirincip. 

Systtm  in  Abrede  gesielt,  und  etwa  nur  auf  die  giin£ 
enluridGeite ,  die  Ejüslenz  eines  Werdenden,  MaimigMUgen, 
ab  der  Welt,  Überhang  negirende  oder  dahingfesteHt  sein 
laaaende  Ansicht  der  Elealen  eingesdiraidrt  werden.  Anf 
keinen  Fall  kann  Hegel  Spinosa's  System  im  Unter- 
schiede von  den  seinigen  damit  charakterfart  zn  haben 
behaupten. 

Akosmistisch  —  von  Gott  ans  —  apantheistiseh ,  -rr 
xMm  der  Welt  ans  gesehen,  —  kann  daher  nur  dasjenige 
System  mü  Gnind  und  seinem  Pirincipe  nach  genannt  wer^ 
den,  wdches  auch  im  EndUcben  den  BegrifTdes  Beharr- 
lichen, Substantiellen  zn  speknlativer  Gritong  m 
bringen  vennag.  Wer  sein  eigenlKcher  Reprdsoitant  in 
nachcarlesianischer  Fhüo^pfaie  sei ,  kann  nicht  zweirelhail 
sein:  es  ist  LeilHti  it.  —  Hiermit  hat  sich  die  Noth- 
wendigkeit  gefnndenv  auch  historisch  zu  dem  oilgegenge» 
sctslen  Principe  fort2Rigdien,  in  welchem  der  Begriff  e  n  d* 
lieber  Substlintialitat  den  Unterscheidangsmonient 
ansaiacbt:  das  metaphysische  Prinoip  Leibnitzens. 


UAi  die  epochemachende  Stellung  zu  rechtfertigen, 
welche  wir  Leibnitz  hiermit  anweisen,  dorchdie  er,  den 
gewohnten  historischen  Beziehungen  entrückt,  und  ansser- 
hnih  dier  Reihe  der  gleichzeitigen  und  nachfolgenden  Phi- 
losopiieni -stehlend,  in  bestimmtem  Sinne  vielmehr  ihnen  ent- 
giegengefetelit'  wird,  als  der*  Ausgangspunkt  einer  neuen 
Bntwickhingsreihe,  wird  es  nothig ,  sogleich  von  der  ver- 
scUedenbn  Aidhssnng  zu  reden,  die  sein  Princip,  der  H  o- 
n^dismus,  Anfongs  und  späterhin  gefunden.  -Bei  uns 
sind  es  jedoch  nicht  seine  Ansätze  zu  einer  diristlich 
tkeistischen  Philosophie,  welche  ihm  hier  diesen  auszeidi-- 
nenden  Rang  erweri)en  —  wiewohl  begreiflich  ist,  dass 
avch  sie  in  innigster  Wechselbedingung  zu  jenem  Principe 
stehen  werden ,  —  sondern  es  selbst  in  seiner  rein  meta« 
physischen  .Nüchternheit  erwirbt  ihm  diese  Stelle. 


Die  cnmte  HStmirknng  dessetteh  md  seind  2«il  M  be^ 
ksmit ,  und  avch  von  ms  schon  oten  (S.  4^.  43.)  in  den 
aUgemeinsten  Bezieliungen  dargestellt  worden.  Sie  halle 
die  eigentliebe  Sedeutung  desselben  imberihrt ,  je  ausser 
Acht  gelassen ;  und  überhaupt  ist  es  durch  eine  tieflieg^de 
Nothwendigiteit  gegeben ,  dass'  erst  dann  die  verborgene 
Macht  eines  Gedankenprincips  hervorbrechen  kann,  nachdem 
der  Gegensatz,  den  es  zu  zerstören  bestimmt  ist,  in  sei* 
ner  vollen  Stärke  bervorgetrelen.  Die  L  e  i  b  n  i  t  z  i  sehe 
Philosophie  ist  eme  von  dai  wenigen  rüokwärtsliegendcni, 
weicke,  wie  es  einst  der  Splnosischen  besohieden  wv, 
noch -jetzt  Auferstehungskraft  in  sich  bewahrt,  und  gleich 
diesem  eine  Nachkommensdiaft  von  Systemen  aus  sich  er^ 
zeugen  wird.  Das  ei^nzend  -  beriditigende  Verhdltnlaff, 
welches  in  embryon^artigem  Gegensalze  Leibnitz  n 
Spin  ose  gebildet,  muss  in  wdl  entwickeltem  FeraiM 
noch  eimnal  auftreten.  *) 

Sein  Prmcip  kann  nämlich  ni^ht'  vor  den  Systemen 
der  Immanenz,  sondern  nur  durch  diese  hindurch,,  a«« 
mid  nach  ihnen  seine  volle  Kraft  erhaben;  das  Spinfo>ti<* 
sehe  Princip  ihusste  ihm  Torantretsn-  und  es  zurüÄdräagen 
auf  einige  Zeit :  denn  es  liegt  im  nothwendigen  BM^ 
wicklnngsgange  der  Erkenntniss,  dass- das  Abstrakte,  Fun- 
damentale den  Ausgangspunkt  bildet  ~  Dien»  isti  geschehen 
bis  zum  gegenwärtigen  Zeitpunkte:  aber  das  Bewusst- 
sein  über  die  eigentliche  Bedeutung  L  e  i  b  n  i  t  s  i  seher  Pht4 
losophie  ist  noch  keinesweges  erwacht;  denn  selbst  das 
allgemein  jetzt  sich  regende  litterarische  Intöresse  an -sei-« 
neu  Werken  und  seiner  Philosophie  ist  von  sehr  imeM^ 
schiedener,  schwankender  Bedeufnnjg,  wie  die  philosopbi'^ 
sehen  BrUlmmgen  zeigen ,   von  welchen  es  begteitet  isti 


*)  Man  verg^leiche  damit  die  Charaktemlik ,  welche  wir  Toq 
Leibnitzent  Staudpunlcte  im  allgemeinen^  metaphysiäclirn 
ZiisorameDliange  gaben :  ,,Zur  apekuiativen  Th  e  o  1  o  g  i  e*^ 
in  der  Zeitschrift  für  Philosophie  und  Spekula- 
tive  Theologie  Bd.  V.  H,  2.  &  IC6^  67. 


402  UilniltzeaB,  meiMikfäfiAes  PrM|). 

Denn  amll  hitir  bedarf  es  einer  noch  niebt  mm  aligemei- 
nen BcvdiBstsein.  gekommenen  spekulativen  Krise  im  P^rin- 
cife  selbst.. 

In  der  sunachsl  vergangenen  Epoeke  war  besonders 
Leibnilzens  orthodoxer  Theisauis  anslössig  gewor- 
den ;  er  reizte  zum  SpoUe  oder  machte  die  wissenschaft- 
liche Aufrichtigkeit  des  Philosophen  verdächtig.  Man 
glaubte ,  er  habe  seine  (eben  auch  nur  panlheisü3chen) 
•UeberzeugungcQ  absichtsvoU  verhüllt  lunter  rechtgläubigen 
Wendungen ;  seiner  Tbeodicae  sprach  man  desshalb  allen 
f^kulaiiv^n  Werth  ab,  indem  sie  sich  nur  mit  leeren,  ,^n 
.VorsteUung&weise  aufgefasslen ^  Problemen  befasse,  und 
«elbst  die  eifrige  Rüoksichtsnahme,  welche  Sc  he  Hing'  in 
seiner  Abhandlung  über  die  Freiheit  jene«  Werke 
nngedeihea  Iv^ss,  machte  bei  Andern  manchen  SeitenUick  anf 
eine  ahnliche  BeschafTeoheit  seiner  eigenen  Ansichten  regc: 
—  Beides  klug  sich  dankende,  aber  nnkritisch-rhiperkritisdw 
Verrantimngcn,  die  von  selbst  verschwinden  werden,  wenn 
naa,  durch  die  jetzt  geforderte  nähere  Bekanntschaft  mit 
«einen  Werken,  Leibnitzens  Denkweise  im  Graa- 
aen ,  und  bis  in  den  Zusaounenhang  des  Einzdnen «  ken« 
nnn.  lernt« 

Leibnitz  fand  in  der  philosophischen  Denkweise 
meiner  Zeit  eigentlich  nur  zwei  gleichberechtigte  G^cn- 
sfitze  vor :  den  monistisch-pantheistischen  Intellektnatisraas 
S  p  i  n  o  s  a  's  und  die  hartnäckig  empirische,  sensnalistische 
Richlimg  i.  0  c  k  e  '&  Beide  verwarf  er  ebenso  sehr,  als  er 
ihnen  zugleich  bedingte  Anerkenntniss  gab;  denn  er 
rftckie  beide  um  eine  Stufe  höher  und  vennittelta 
sie  hierdurch.  Diess  ist  die  grös^te,  eigentlich  ver8oh<* 
nende,  nnid  fernejrhin  fruchtbringende  That  seuies  spekula- 
tiven Genius,  indem  er  damit  die  weit  auseinander  liegen- 
den Enden  philosophischer  Bildung  in  der  Tiefe  des 
Gedankens  verknüpft  und  in  ihrer  inncrn  Eiirhcit  nachge- 
wiesen hat  Der  Intellektualismus  hat  dadurch  seinen  rea- 
listischen  Wiederhalt,  und  dieser  uaigekehrt  seine  letzte 
Begründung  in  jenem  erhalten. 


MMtoeM'  mi;(i»fc{r<kK*w  Artltci^.  463 

IMia  tidiwi^tt^,  SinyelBe  zuvorderst,;  vM4em*«fkr 
SciisMüIimips  .seinem  A«iga«gispiinkt nimmt ,  i^lbei  Leib^ 
nitz  piqht  die  «luiliche,  aiigeniaUige  UnnuHtelbtirkeUf  daa 
oinzekie  Dipig;  —  TiiBliiiefar  ist  idlei/Stmtjieiilpfindia^  obiie 
Realität»  sie  islnnr  daft:^erworrene.Be>jtuS6(6eAntuiibe8tiiiiiD4- 
bar  vieler,  in  einander  fliessender  Sefiaationeti,  welche  es 
dem  Verstände  unniögüdi  maclien,  ihren  Inhalt  genau  um 
untersi)faeiden.  Im  Sinnlichen,  aU  solchen,  idt  fiberhaupt 
das  Einfach^  (^Reale)  nißht  zu  finden  *}.  Abet  es  deuteH 
hin,  lassl  varansaet^eA  ein  wahrhaft  IndividiieUes,  ursprOag- 
lieh  QnalUativefl ,  M  auch  in  dieser  Ur(}ualit«.t|  ntdrt 
verändert  werden  kamt« '  Diess  ist  die  Quelle,  aus  weicher 
eigentlich  (nach  unten  noch  naher  zn  entwickelndem  Grin«- 
den)  Leibnitzen  der  unterscheidende  Begriff  der  Monade 
hervorging.  Das  unendlidi  Individuelle,  nicht  aber  als 
Sinnliches,  sondern  als  (intellektneller)  Bealgruiid  deasek- 
ben,  ist  an  die  Stelle  der  (schieinharen)  empirieohenr  Bin- 
zeldlnge  getreten. 

Abel*  «0.  i^igenlhuBdieh^  Si^lbststandtg ,  behan«nd  die 
Monade  ist  um  ihrer  Urqualitfit  willegn,  so  ist»  doeh  ^bis 
Allgemeine  in  ihr  gegenwärtigt.das  BidJBfelne<iat 
ttor,  durchdrungen  vom  AUgismeinen.  Diess  abmr/.lat 
das  Ideale  an  jenem,  das  Zeugaiss  eines  allverkrtpfe»^ 
den  4  in  einamder'  ordnenden:  schopfetischen  Verstandeil, 
welcher  sieh  hfennit. aBein  dem  Begriffe  der  Welt,  als  der 
anendliclieii,  aUbezogenen  Monaden,  gewachsen  zeigt.  Der 
Urgrund  ist  hiemach  selber  nicht  bloss  das  Allgemein 
ne,  sondern  diess  allbeztohend  Einende,  ist  Ur<- 
mo  n  a  s. 

Hiermit  ist  ferner,  zugleich  die  Konsequenz  dessen 
gegeben,  was  Leibnitz,  mft  > vielleicht  nidht  vMig  äiK- 
Ir^ender  Beseiebnüng,.  die  vorvusbestimrate  Har- 
nen ie  genannt  hal;  Die  Monnde  ist  nicht  bloss  das 
schlechthin  JSigönäiüailiohe ,  nnr  sidi  selbst  Gleiche ;  son* 


*)  Uiibnitsi^  ßdmviaux E$$a/*,  ÄTaatpropos,  S.  9.  10-  Litr.  f. 
S  27.2a  ed.  Rajpe: 


LoffiRilzMi  inetapilyriielw  Prindp. 

dem  dalRiH  ist  sie  zogieicli  bezogfen  auf  das'  mieiid- 
lich  Andere;  diess  ist  in ühp  gegenwärtig;  md  sie  ist 
sodann  niclit  nur  also  bezogen,  sondern  werdend  —  aas 
aich  selbst  sich  rerwanddad  —  stellt  sie  diese  Bezogen- 
beit  auch  in  sich  vor;  der  Gegenstand  (Inhalt)  ihres 
Vorst^ens  ist  das  Universum.  Und  wie  sie  sich  andi  in 
dieser  ans  ihrem  Innern  gescliöpften  Succession  verandere, 
immer  bleibt  sie  entsprechend  den  Veränderungen  jener 
Unendlichkeit  um  sie  her.  Diess  der  Begriff  der  vorher* 
-bestimmten  Harmonie ,  der  solcher  Art  orsprungHch  nidit 
als  eihe  spekulative  Hypodiese  zur  firUftning  des  Zosam- 
menbanges  der  Dinge  anzusehen  ist ,  vidmehr  sich  ab 
•universale  Thatsache,  als  in  jedem  Augenblicke  sich 
-vollziehendes  Weltereigniss  aufdringt,  und  selbst  nichts 
Anderes  ist ,  denn  jene  Thatsache ,  nur  zum  universalen 
Begriffsausdrucke  erhoben. . 

Daraus  ergtebt  sich  M  doppolte  Betrachtung  fiir  den 
eigentlichen  Sinn  Leibnitzi scher  Philosophie: 

Zuerst  ist  in  der  allgemiMnen  Grundlage  j^ies  Be- 
gAffes  nicht  sowohl  enthalten ,  dass  die  Harmonie  eine 
Bchlechthitt  vor  aus  bestimmte  sein  müsse,  dass  sie  als 
etwas  von  Ewigkeit 'Fertiges  ,  unbedingt  Sichabwickdndes 
an  den  Monaden  sich  voUzidie ,  wiewohl  wir  freilich  be* 
liennen,  dass  Leibnitz  um  anderer  Grande  willen ,  die 
mit  einer  tiefer,  liegenden  Einseitigkeit  in  der  EntwickhRig 
seiner  Hauptidee  zusammenhangen ,  genöthigt  war ,  jenem 
an  sich  vieldeutigen,  aber  allgemein  unabweislichen  fiegrilie 
eine  solche  vorlauflge  Ausbildung  zu  gd>en. '  So  hatte  sich 
Leibnitz  zwar  einerseits  erhoben  über  den  Begriff  einer 
iusseriiehen  Verkettung  von  unendlich  sieh  deter- 
mmnrenden  Ursachen  -^  (das  metaphysische  Ge^enst  jener 
•Zeit,  durch  weiches  sie»  nadi.Jaoobi 's  treffendem  Ur* 
theile ,  zu  DelerminisfliHis  ittd  Fatalismus  taiwiederbringtich 
hinabgelockt  wurde)  »r*  durch,  den  Begriff  der  Selbstän- 
digkeit und  Undurchdringliclikeit  der  monadiscben  Indivi* 
dualitäten  gegen  einander.  Keanes  wirkt  ursächlich  (als 
absolute  Determination)  auf  das  Andere. 


Die  prästabilirie  Hannome.  465 

Aber  an  die  Stelle  trat  das  andere ,  nicht  minder  determi» 
nistische  Princip:  indem  nämlich  keines  der  einfachen 
lYeltwesen  unmittelbar  auf  das  andere  einzuwirken  ver- 
mag,  und  dennoch  harmonischer  Zusammenhang  zwischen  . 
allen,  in  ihrem  Sein,  wie  in  ihrem  Werden,  grundthaU 
sächlich  stattfindet,  gleich  als  ob  eine  solche  wechsel- 
seitige Einwirkung  wirklich  bestände:  so  ist  anzunehmen, 
dass  die  ordnende  Determination  in  die  notbwendige  Ent- 
wicklung jedes  Weltwesens  für  sich  ursprünglich  hinein- 
gelegt ist;  und  das  schlechthin  Determinirende  ist  Gott. 
Der  Begriff  der  Selbst-  oder  Aussichbestimmung  ist  daher 
eigentlich  nur  ein  illusorischer;  er  findet  bloss  Statt  in 
Rücksicht  auf  den  (nicht  bestehenden)  unmittelbaren 
Zusammenhang  der  Weltwesen  unter  einander;  in  Bezug 
darauf  kann  man  jedes  ansehen,  wie  wenn  es  schlecht- 
hin selbststindig  und  frei,  eine  Welt  iur  sich,  wäre;  in 
Wahrheit  aber  ist  die  jedes  für  sich  durchdringende  abso- 
lute Determination  das  allein  Wirksame.  So  ist  das  deter» 
mniistische  Princip  nur  nach  Unten,  nicht  aber  nach  Oben 
oder  überhaupt  abgewiesen.  *) 

Diess  leitet  jedoch  zu  der  zweiten  Betrachtung,  dass 
Schuld  dieser  Halbheit  undUngenuge  ganz  nur  die  einsei- 
tige Bestimmung  im  Begriffe  der  Monade  ist,-  wodurch  die 
Selbstbehauptung  und  Undurchdringlichkeit  für  Anderes  zu-^ 
gleich  nun  absolute  Zusammenhanglosigkeit  mit  ihm  vor- 
aussetzen soll,  was  in  keinem  Sinne  daraus  folgt,  noch 
im  allgemeinen  Begriffe  der  Monade  mitbewiesen  worden  ist. 
Jm  Gegentheil  kann,  —  wovon  die  Ausführung  anderwärts 
gegeben  und  woran  hier  nur  zu  erinnern  ist,  —  jene  Selbst 
behauptung  allein  bei  einer  wahren  und  wesenhailen  Ein- 
wirkung auf  einander  sich  in  Kraft  zeigen,  aus  gegenwir- 
kender Ueberwindung.  derselben  hervorgehen.  Hiermit  ist 
ein  wirklicher  (und  wirksamer)  Zusammenbang  gesetzt  zwi- 
schen den  Weltwesen;  aber  er  determinirt  keines  dersel- 
ben, sondern  regt  jedes  zurSelbstdetermination  aus 


*)  Maa  vergleiche  das  früher  Entwickelte,  S.  148.  49. 

30 


466  GriYize  und  Mangelhanigkeil 

Sich  selber  auf,  welche  nun,  als  die  noUiwendig  eatspr»- 
chende'  Gegenseite  zu  jenem  Begriffe  der  gegensettigca 
Wirksamkeit ,  ihrei  volle  Wahrheit  erhalten  hat.  Das  har- 
monisirende  Pnncip,  die  allgemein  schöpferische  Weltmadit, 
wird  daher  auch  an  ihrem  Tbeile  nicht  mehr  gedacht  wer- 
den können,  als  bloss  Determinirendes,  zu  (mechanischer) 
Abwicklung  die  Wellwesen  Vorausbestimmendes ;  denn  da- 
bei halte  es  sein  Bewenden ,  wenn  der  Begriff'  der  Deter- 
mination der  letzte  und  vollständige  wäre:  —  sondern  es 
werden  dann  noch  andere  Bestimmungen  sich  ihm  bei- 
gesellen müssen. 

Diess  ist  eines  der  h'erausstehenden  Enden  an  der 
Leib nit zischen  Philosophie,  wo  sie,  unvollendel,  auf 
spätere  Ausbildung  zu  warten  hatte.  Diese  ist  ihm^  in  einem 
dar  gegenwärtigen  Systeme  (dem  H  e  r  b  a  r  t  schen>  auf  eine 
scharfsinnige  und  durchaus  fördernde  Weise  zu  Theil  ge- 
worden: der  Begriff*  der  „Selbsterhalfung«  (SHbstfoe^ 
Stimmung)  setzt  den  der  „Störung^  (Einwirkung  |  vor- 
aus ;  der  Zusammenhang  Aller  mit  Allen  *  ist  daher  eta 
realer.    Diess  die  Eine  Seite. 

Aber  auch  der  Begriff  des  Absoluten  wird  laut  Obi- 
gem tiefer,  reicher,  persönlicher  zu  denken  sein,  indem  der 
wichtigen  und  wesentlichen  Bestimmung,  dass  es  Deter- 
minirendes ist,,  eine  andere  gegenüber  treten  und  mit  ihr 
vermittelt  werden  muss ,  welche  zugleich  in  ihm  eine  an 
sich  haltende,  die  AUdetermination  begränzende,  das  Ge- 
schöpf freilassende  Macht  setzt.  Hierzu  reichen  jedoch 
nicht  mehr  aus  die  gewohnten  AHgemeinbegriffe- Leib- 
nitzischer  und  auch  (späterer  Philosophie  von  Gott,  als 
-der  höchsten  Vernunft,  dem  wellschöpft-rischen  Denken 
oder  dem  absoluten  Geiste ;  diese  fallen  sämmtlich  vielmehr 
auf  die  andere  Seite ,  und  würden  den  Begriff  des  Allde- 
terminirenden  verstärken  helfen.  Hierzu  .muss  in  ein  völ- 
lig anderes  Gebiet  von  Vorstellungen  übergegriffen  werden : 
nicht  nur  allgemein  persönliche  Eigenschaften,  sondern  die 
wir  die  inneriichsten ,  concreteisten  des  Geistes ,  gemülhii- 
ehe  ,  nennen  dürfen ,  genügen  hier ;  und  an  diese-  vnirden 


dieses  Princips.  467 

wir  gewiesen  werden,  in  ein  von  der  gewohnten  Metaphy- 
sik kaum  noch  berührtes  Gebiet,  um  das  Weltproblem 
gründlich  und  durchgreifend  zu  lösen.  Zu  bekennen  ist 
jedoch,  dass,  wenn  die  Leibnit zischen  Principjen  sich 
auch  nicht  bis  zu  diesem  Punkte  ausgebildet  haben ,  den- 
noch in  seiner  ganzen  Weltansicht  der  Antrieb  liegt,  nach 
dieser  Seite  der  Welterklärung  vorzudringen. 

Dagegen  ist,  besonders  durch  und  seit  Hegel*),  die 
zweite  Hauptbestimmung  der  Leibnit  zischen  Philoso- 
phie zur  nachdrücklichen  Anerkennung  gediehen :  der  bei 
Spinös a  abstrakt  und  einseitig  gebliebene  Begriff  der 
Substanz  habe  durch  Leibnitz  seine  Ergänzung  im 
Begriffe  der  Individuation  gefunden;  das  Substantielle,  All- 
gemeine sei  nur  als  Einzelnes  wirklich:  diess  ist  oft 
genug  wiederholt  worden ,  dessen  Bedeutung  und  Richtig- 
keit an  sich  nicht  zu  verkennen-  ist. 

'  Dennoch  ist  der  eigentliche  Sinn  jenes  Satzes,  wie  ihn 
Leibnitz  fasst,  umgangen  worden  oder  in  Zweideutigkeit 
geblieben.  Nach  der  Hegeischen  Bezeichnung  ist  das 
Allgemeine  (die  Substanz)  bei  Leibnitz  auch  nur,  wie 
bei  ihm,  das  unendlich  sich  Individualisirende ,  die  Form 
unendlicher  Subjektivität  und  Negativität^  und  nur  so  in  be- 
stimmtester Weise ,  als  die  unendliche  Formthätigkeit  der 
absoluten  Substanz,  welche  darin  und  nur  darin  —  nicht 
Subjekt  —  sondern  Subjektivität  wird^  ist  das  Princip 
des  Honadischen  aufgefasst  worden,  wie  wenn  kein  ande- 
rer Sinn  desselben  übrig  bliebe. 

Damit  setzt  sich  jedoch  die  Anerkennung,  welche 
Hegel  dem  L ei bnitzi sehen  Principe  hat  angedeihen 
lassen,  in  direkten  Widerspruch  mit  der  eigentlichen  Mei- 
nung des  Philosophen ,  und  aus  der  vorgeblichen  Ueber- 
eiostimmung  wird  vielmehr  der  bestimmteste  Widerstreit. 
Das  Monadische  an  der  absoluten  Substanz  nach  Leibnitz 


•)  Hegels  Wissenschaft  der  Logik  (JI.  S.  197—99., 
sämmil.  Werke,  Bd.  IV.)  Ency kiopädie  der  phU 
iosopliischen  Wissensciiaflen,   3ie  Ausg.  S.  191. 


468  n«»gels 

ist  nicht  jenes  unnblassige  Monadisrli- werden,  die  ,,Efliil- 
guration<<   zu  unendlichen  Monaden,  als  einer  Well;  —  in 
welchem    Sjnne  liälte  Leibnitz   i^nst  Gott  die  Unnonas 
zu  nennen  vermocht?  -^  Noch  sind  diese  die  unendliche, 
wieder  sich  aufhebende  Formthäligkeit  der  absoluten  Sub- 
stanz, die  in  ihnen  doch  allein  nur  das  Substantielle  bleibt; 
—  wie  hätte  Leibnitz  die  endlichen  Monaden  sonst  als 
reelle  Substanzen  bezeichnen  können?  —    Sondern  nach 
ihm  sind  in  Jedem,  dem  Absoluten,  wie  dem  Endlichen, 
bfei de  Momente,  der  Substantialitat*  und  der  Subjektivität, 
bleibend  und  unauflöslich  vereint ;   denn  auch  die  geschaf- 
fenen Monaden  sind  an  sich  selbst  bestimmte,  der  Dauer 
nach  unendliche,  der  Specifikation  nach  endliche  Substan-' 
zen ,   als  Subjekte ,   im  Abbilde  der  Urmonas.    Nur  diess 
in  seiner  freilich  noch  unvermittelten  Paradoxie. ist  der Sino 
des  Lei bnit zischen  Principes,   und  man  kann  schwer- 
lich beliaupten,  nur  die  geringste  Folgerichtigkeit  und  Zn- 
sammenhang in  seiner  Philosophie  übrig  zu  lassen  ,    wenn 
man  diesen  wesentlichsten  Punkt  derselben  bei  Seite  brin- 
gen  will.       Ein    solches    indifferenzirende   Einschwärzen 
Spinosä's  in  Leibnitz,  oder  ein  stillschweigendes  In- 
einanderschieben des  Pantheistischen  mit  dem  Deismus  — 
denn  diese  sind  es  ,  die  sich  hier  begegnen  —  bleibt,  so 
wie  beide  historisch  gegen  einander  gestellt  sind,    völlig 
unausführbar.     Wie   es    Hegel    versucht  hat,    treibt  er 
Leibnitz*  selbst  auf  den  pantheistischen  Standpunkt  zu- 
rück. 

Dennoch  ist  es  höchst  bezeichnend  fiir  jenen,  wie  er 
in  der  allgemeinen  Stellung,  welche  er  dem  Le  i  b  n  i  1 2  ischen 
Systeme  anweist',  sich  versichert  hallen  konnte,  keine  Um- 
deutung  mit  demselben  vorzunehmen,  Tsondem  das,  was  wir 
das  Nichtpantheistische  in  ihm  nennen  ,  bloss 
seinem  Mangel  an  systematischer  Ausführung  Schuld  zu 
geben.  Man  wird  unwillkührlich  ah  den.  schon  beleuchte- 
ten Ausspruch  J  a  c  o  b  i's  erinnert:  daissdieLeib'nitz^isch- 
Wolffsche  Philosophie  den  unablässigen. For»«her 
mm  Spinosismus  zurückführe. 


Kritik' desselben.  469 

Scbon  -die   Stelle   unter   den    lo^isch^n    Kategorieen 
(Hegels  Logik  a.  a.  0.  S.  186  f.  197.),    in  welche  das 
L  e  i  b  n  i  I  z  ische  Princip  eingereiht  wird ,  ist  für  jene  Auf- 
fassong   entscheidend  geworden«     Sie  ist,   als  Kategorie, 
ohne  Zweifel  die  richtige ,  scharfbezeichnende ;  aber  es  ist 
überhaupt  Tiel  zu  wenig  bisher  bedacht  worden ,  dass  die 
Leibnitzische  Philosophie  gar   nicht   als    dialektisches 
System  betrachtet  werden  kann  in  dem  Sinne,  als  wenn  es 
die  Durchfühniifig  einer  Kategorie  nach  allen  ihren  Begriffs- 
momenten hätte  sein  wollen,  und  wie  wenn  diese  nicht 
zur  vollständigen  Ausfährung   gekommen    wäre.    Vielmehr 
scheint    sie  uns  fragmentarisch   oder  rhapsodisch  in  dem 
tiefem  Sinne,  dass  die  Hauptgedanken  derselben  hervorge- 
gangen sind  aus  Erfahrung ,  aus  einer  ebenso  universalen, 
als  eindringenden  Auffassung    des  Wirklichen  und  Steige- 
rung desselben  zur  Idee ,   wo   die    iiach  Oben   deutenden 
Enden  freilich  unverknüpfl  bleiben  mussten.  Desswegen  ist 
sie  jedoch  die  lebendigste,,  der  Wirklichkeit  nahedringend- 
sto  und  ihr  sich  anschtniegendste  Philosophie  getdieben  bis 
auf  die  S  c  h  e  1 1 i  r  g  ^c&e  ^  in  ähnliobem  Geiste  entwor-^ 
fene, 

Hegels  Kritik  dagegen  besteht  in  einer  dialektischen 
Analyse  des  Begriffs  der  Monade,  und.  in  der  Nachweisüng, 
welche  Momente  dabäl  von  L  e  i  b  n  i  t  z  unausgeführt  ge- 
blieben sind:  aber  schon-  aus  der  Höhe  der  allgemeinen 
Kategorie^,  welcher  er  jenen  Begriff  anreiht  (der  Wirk- 
lichkeit, als  der  in  sich  reflektirten  Einheit  des  We- 
sens und  der  Existenz  S,  184^99.)»  ergiebt  sich -die  Tiefe 
und  Wichtigkeit  seines  Princips.  Das  Absolute  ist  eben  da- 
durch nicht  nur  abstrakte  Oeere)  Identität . mit  sich, 
sondern  unendlich  erfüllte  Wirklichkeit ,  indem  es  die  un- 
endliche Aeusserlichkeit  der  Attribute  und  Moden 
sich  selbst  giebt ,  darin  aber  Identität  mit  sich  ist,  als 
auf  sich  selbst  sich  beziehende  Negativität,  die  ihr  Scheir- 
nen  in  Anderes  eben  als  Scheinen  setzt. 

In  diesen  —  logisch  betrachtet  wesentlich  höchsten 
*-  Begviff  des  Absoluten   (denn  er  ist  es »  zufolge  dessen 


470  Hegelg 

ts  in  der  conoröten  Philosophie  als  absoluter  Geist  erwie- 
sen zu  werden  vermag)  theilen  sich  nun  gleichsam,  nach 
Hegel,  die  Philosophie  des  Spinosa  und  desLeibnitz. 
Der  Begriff  des  Absoluten  ist  bei  Spinosa  zwar  voll- 
ständig, indem  er  beim  Absoluten  anfangt,  das  Attribut 
darauf  folgen  lasst  und  im  Modus  des  Attributs  endigt ; 
aber  diese  werden  nur  ohne  Ableitung  riach  einander  "auf- 
gezählt, und  das  Dritte  ist  nicht  die  Negation  a  1  s  Nega- 
tion,  wodurch  sie  an  ihr  selbst  die  Rückkehr  in  die 
erste  Identität  und  diese  die  Wahrhafte  Identi- 
tät wäre. 

Dieser  Mangel  der  Reflexion  in  sich  in  der 
ßpinosi sehen  Auffassung  des  Absoluten  wird  jedoch  er- 
gänzt durch  den  L  e  i  b  n  i  t  z  i  sehen  Begriff  der  Monade, 
(So  ist  es  bei  Hegel  sogleich  nur  dieUrmonade,  wel- 
cher er  nicht  nur,  als  einer  Gattung  monadischen  Daseins, 
sondern  als  der  schlechthin  alleinigen  ,  Geltung  beilegt.) 
In  ihr  zeigt  sich  gerade  das  dort  Fehlende :  sie  ist  Eins, 
das  mit.  sich  Identische  ,  aber  als  das  unendlich  Negative : 
-sie  ist  die  Totalität  des  Inhaltes  der  Welt;  aber  dieser  ist 
in  ihr,  als  der  Identität,  nicht  verschwunden,  sondern  auf 
negative  Weise  aufbewahrt.  Die  Monade  ist  daher 
wesentlich  vorstellend,  und  die  Veränderungen  und  Be- 
stimmungen in  ihr  sind  Manifestationen  ihrer  in  ihr 
selbst  Sie  ist  E  n  t  e  1  e  c  h  i  e  ,  das  Offenbaren  ist  ihr 
eigenes  Thun.  Daher  ist  sie  schlechthin  ohne  Passivität, 
nur  selbstbestimmend,  ein  in  sich  geschlossenesAb- 
solutes.  Wird  sie  daher  als  begränzte  oder  endli- 
che gesetzt;  so  lässt  sich  diese  (eigentlich  an  ihr  wider- 
sprechende) Bestimmung  nur  so  mit  ihrem  Begriffe  ver- 
mitteln, dass  die  damit  geselzte  nothwendige  Beziehung 
auf  andere  Begränzte  nur,  als  ein  schlechthin  Prä  Stab i- 
lirtes,  durch  ein  anderes  Wesen  ausser  ihnen  hervorge- 
bracht sein  kann. 

Somit  ist  nun  einerseits  im  Begriffe  der  absoluten 
Monade  die  Natur  der  Reflexion  zu  finden,  als  die  sich 
auf  sich  selbst  beziehende  Negativität  sich  von  sich  abzih- 


Kritik  dewelbeiL  471 

itOiiMii^  ywodupoh  sie  setzend  und  schaffend 
ist'';  andererseits  wird  im  Leibnit zischen  Systeme  be- 
haupte! ,  dfiss  Gott  die  Quelle  der  Existenz  und '  des  We- 
sens der  Honaden  sei,  d.  h.  „dass  jene  absoluten  Schran- 
ken ün  Ansichsein  der  Monaden  nicht  an  und  für 
sich  seiende  sind,  sondern  im  Absoluten  verschwinden^. 
Aber  diese  Bestimmungen  gehören  bei  Leibnit z  der  rai^ 
sonnirenden  dogmatischen  Reflexion  an,  und  sind  nicht  zu 
spekulativer  Entwicklung  eriioben.  j^So  erhält  das  Princip  der 
Individuatiott  seine  tiefere  Ausführung  nicht,  die  Begriffe 
über  die  Unterscheidung  der  verschiedenen  endlichen  Mo- 
naden und  über  ihr  Verhältniss  zum  Absoluten  entsprin- 
gen nicht  aus  diesem  Wesen  selbst  oder  auf  absolute 
Wei«e«. 

Noch  kürzer  nind  bestimmter  drückt  Hegel  diess  in 
seiner  Encyklopädie  so  aus  (S.  190:  Die  einfache 
Totalttat  (der Urmonade)  zerfällt  in  die  absolute  Viel- 
heit der  Unterschiede  «so  ,  dass  sie  selbststän- 
dige Monaden  sind.  In  der  Monade  der  Monaden  und 
-der  prästabiiirten  Harmonie  ihrer  innern  Entwicklungen 
•sind  diese  jedoch  wieder  zur  Unselbstständigkeit  und  Idea- 
lität reducirt.  Die  Leibnitzische  Philosophte 
ist  SP  der  vollständig  entwickelte  Wider- 
spruch. 

Hierin  liegt  jedoch  das  Lehrreiche  dieser  Umdeutu^g 
Hegels;  denn  dass  sich  damit  auch  ein-Missverste-^ 
hen  gründlichster  Art  verbunden  haben  möge,  lässt  sich 
kaum , verkennen.  Schwerlich  ist  nämlich  anzunehmen^  dass 
Leibnitz,  der  Mann ,  von  welchem  Lessing  sagte, 
dass  er  sonst  nicht  auf  halbem  Wege  stehen  zu  bleiben 
pflege  —  bis  zu  einem  solchen  Grade  über  den  Sinn  deß 
eignen  Systenies  unklar  gewesen  sei,  um  nur  aus  Selbstmiss- 
versland die  endlichen  Monaden  für  substantielle,  schlecht- 
tuii  dauernde  und  unaufhebbare  zu  halten ,  während  sie 
vielmehr  ,,im  Absoluten  verschwindende^  hätten 
sein  inüssen  nach  der  wahren  Konsequenz  seiner  Lehre. 
Wir  glauben,  dass  er  ein  solches  Konsequentermachen  der- 


473  EigenOiGher  Sinn 

selben ,  wilre  es  ihm  angeboten  worden,  sehr  entscUeden 
von  sieh. gewlesen  hätte. 

Irren  wir  nämlich  nicht,  so  waren  es  keinesweges  ifia- 
lektische  Halbheit  und  Unvermögen,  sondern  ganz  besUmmte, 
aus  der  Natur  des  Gegebenen,  als  der  zu  eiUireih- 
den  iVeltthatsache,  hervorgehende  Grunde,  welche  ihn  dea 
Begriff  endlicher  Substantialität  zum  Mittelpwikld 
seines  ganzen  Systems  machen  liessen.  Die  Thatsache  deS 
Werdens,  der  unablässigen  Veränderung  in  allem  Gegebe- 
nen, welche  doQh  stets  in  einem  gemeinAimen  Resultate, 
zur  Weltharmonie ,  zusammenstimmt ,  war ,  nach  Allem  a 
urtheilen,  das  Problem,  welches  ihn  am  Ursprüngiichstea 
beschäftigt  hatte ,  und  zu  dessen  Lösung  er  sein  Syste« 
entwarf:  durch  Schlüsse  aus  diesem  begebenen  und  durch 
weitere  Combinatton  der  so  gefundenen  Hauplbegriffe. 

Daher  neigt-  sein  wissenschaftlicher  Vortrag  sich  überall 
zur  Induktion:  er  erinnert  an  die  gegebene  Erschei- 
nung, um  sie  auf  ihren  BegrifP  zurückzuf&hren ;  daher  konnte 
Lelbnltz  sich,  auch  in  fragmentarischen  Berichten  über 
seine  Philosophie  Genüge  thun,  wo  er  yon  den  verschieden- 
sten Ausgangspunkten  her  mit  tiefer  Einsicht  dem  Hauptbe- 
grißb  zuzuleiten  versteht :  er  ist  eben  die  nothwendige  An^ 
nähme  e  n  dl  i  c h  e  r  Substantialitäten.  Und  selbst  in  denjeni- 
gen Abhandlungen,  worin  er  sein  System  in  fibersichtlicheii 
Zusammenhange  darlegt  —  es  sind  eigentlich  nur  seine 
lateinischen  theses  und  die  dem  Inhalte  nach  nahe  ver- 
wandten principes  de  la  natura  et  de  la  §ra'C$ 
fondit  en  raison^  wozu  noch  die  wichtige,  über  seine 
Jugendbildung  lehrreiche  Winke  enthältende  Abhandlung: 
iyistime.  nouveau}  de  la  communication  des 
eubitanees  und  die  considerations  9ur  iet 
principes  devie  e-i  eur  les  naturee  plasli-' 
que$  gerechnet  werden  dürfen  *)  —  selbst  in  diesen  Ab- 
handlungen beginnt  er  nicht  auf  dem  Wege  der  Deduk- 


«}  0p9ra  Uihniiii  studio  Lud.  DuUM  Vol.  II.  T.  I.   8.  20- 
4S.  49—56. 


fetaler  Lehre.  473 

tioii  TOm  Begriffe  des  ^scUechAfn  nothweihligen  Weiens^, 
um  durch  dessen  Ausstrahlungen^  den,  Begriff  der  Weil 
SU  begr&nden ;  sondern  er  leitet  von  der  Gegebenheit  vk^ 
sanimengesetzter  (Mannigfaltigiceit  seigender  und  auflös- 
barer) und  sich  stetig  verftndemder  Dinge  auf  die  Nolh- 
wendiglceit  eines  ursprünglich  Einfachen  und  imWech^ 
sei  Dauernden  zurück.  Freilich  folgt  nur  aus  der 
Contingenz  des  Endlichen  (der  Welt)  die  NothireiiAg^eft 
des  ewigen,  absoluten  Wesens;  aber  als  Urmonas  ist  es 
nur  zu  denken,  weil  endliche  Monaden  sind,  und  weil  das 
Absolute  nur  die  Vollkommenheit  des  Endlichen  in  höch*- 
ster  VoDendung  besitzen  kann.  Der  Gang  der  Betrachtung 
ist  überall  der  aufsteigende,  der  der  Induktion. 

Solchergestalt  nun  vom  Gegebenen  ausgehend,  und 
durch  keine  allgemein  Metaphysische  Reflexion  über  das 
Verhdltniss  des  Endlichen  zum  Absoluten  und  seine  SelbsU- 
aufhebuiig  in  ihm  vorausbestimmt,  musste  er,  gerade  wie 
Her  hart  unter  den  gegenwärtigen  Philosophen,  ebenso 
auf  dem  Substantiellen  in  der  Verinderlichkeit,  wie  auf  dem 
schlechthin  Ursprünglichen  des  qualitativen  Unter- 
schiedes, bestehen.  Es^st  der  grosse  und  folgenreiche  6e- 
danke,  dass  nicht  nur  das  Werdende  den  Kern  eines  Dau- 
ernden in  sich  voraussetzt ,  der  nicht  angefangen  haben 
kann,  wie  desshalb  auch  nicht  sich  auszuleben  vermag,  ^ 
womit  jedoch  auch  S  p  i  n  o  s  a  und  das  pantheistische  Prin- 
cip  einverstanden  seih  könnte;  welche  jenes  Dauernde  auf 
den  alleinigen  Begriff  der  Einen  Substanz  zurückbezie- 
hen —  sondern  auch ,  was  weniger  bisher  in  seiner  ein- 
fachen Konsequenz  erwogen  zu  sein  scheint ,  dass  ebenso 
der  qualitative  Unterschied  ein  urbestimm.ter ,  durch- 
aus anfangloser  und  unvertilgbarer  ist.  Auch  das  quali- 
tativ Unterschiedene  kann  nicht  in*s  Andere  übergehen,  ent- 
stehen oder  vergehen:  es  macht  eben  jenen  unverandiT- 
lich  substantiellen  Kern  in .  allem  Wechsel  und  Wandel 
aus.  Hieraus  folgt  aber  zugleich  die  Nolhwendigkeit ,  ein 
Mehrfaches  solcher  gegen  einander  fester,  ihre  Verän- 
derlichkeit nur  aus  sich  selbst  schöpfender  Unterschiede 


474  BigttOioher  Sm 

.unnekoMi ,  nd  dies  M  der  ledifiicli  nw  dem  Oef  e- 
.benen  geführte  Beweis  von  der  Existeni. qualitativer  Mo» 
4iaden  oder  endlicher  Substantiaiilalen. 

Aber  damil  steht  zugleich  der  fernere  Gedanke  in 
nothwemdiger  Verbindung ,  dass  jene  wider  einander  ge- 
kehrten Unterschiede  eben  damit  in  innerer  Beziehung  n 
eisaader  (gleichviel  vorerst,  wie  dies  gedacht  weirde)  ste- 
hen missen.  Der  specifische  Gegensatz,  nack 
wekhem  (zufolge  des  voji  L  e  i  b  n  i  t  z  angestellten  Prin- 
dps.  der  Identität  des  Nichtzuunterscheidenden)  *)  Jedes 
das  Andere  ist  für  Jedes,  ruft  damit  die  Wech- 
selbeziehung und  den  Zusammenhang  aller  die- 
ser SpecificaUonen  gegen  einander  hervor.  Und  wenn 
leihnitz  auch  nicht  die  dialektische  Nothwendigkett 
dieses  Ueberganges  so  bestimmt  ausgesprochen  haben 
mag,  so  liegt  doch  seine  Ausführung  im  BegriiTe  der  vor- 
ausbestimmten Harmonie  vor  uns:  die  Unterschiede  sind 
zugleich  9ur  innigsten  Verknüpfung  mit  einander  „a user- 
seh en^,  sie  bilden  ein  geschlossenesSystemnu- 
ter  einander,  in  welchem  kein  Glied  zu  fehlen  vermag; 
wo  daher  jedes  iur  sich,  wie  alle  insgesammt,  die  gegen- 
seitige Garantie  ihres  Wesens,  wie  ihrer  Existenz,  enthalten. 
Der  kleinste  Theil  des  Universums  ist  so  unverganglicli, 
wie  und  weil  es  das  Ganze  ist. 

D  i  e  s  s  ist  aber  der  Moment,  durch  welcBen  L  e  i  b  n  i  ts 
xum  Begrifle  der  Urmonas  aufsteigt.    Gott  Ist ,    nach  der 


♦)  Wie  er  dnssplbt;  beweist,  nämlich  aus  dem  Salze  des  zurei- 
chenden Gründen, 'indem  sich  kein  zureicheuder  Gnuid  <!«"" 
ken  liesse,  warum  irgend  Etwas  völlig  gleich  seia  solle 
dem  Andern  ,  d.  h.  indem  offenbar  ein  Unzweok massiges, 
Ueberflüasigea  in  einer  solchen  Verdopiiehmg  liegen  würden 
acheint  uns  höchst  charakteristisch  zur  Bezeichnung  der  Art, 
wie  Leihnitz  auf  diess  Princip  geleitet  worden  ist,  noch 
dazu,  wenn  er  hinzusetzt:  c^est  un  grand  prejui^e  eontre  i^' 
indi$cernabte9 ,  qu'on  n*en  trouve  aucun  exempU.  ^j*- 
Recueil  de  lettre*  enire  Leibnitm  §t  Clark €•  Vol.  0* 
P.  I.  S.  i3&,  146.  47.  N.  %i.  24.  25. 


seiner  Lehre.  475 

ontologiseheir  und  cosmologischen  BeweisAhnoiff  -*•  das 
scblechthin  noUiwendige  Wesen ,  dessen  Idee  seine  Exi-» 
stenz  in  sich  schliessl ,  und  derJetzte  zureichende  Gnmd 
aller  endlichen  Dinge.  Aber  über  diesen  Bereich  wird 
sogleich  hinausgeschrilten :  in  ihm  ist  nicht  nur  die  Quelle 
ihres  Daseins,  sondern  auch  ihres  Wesens  (jener  qua-i- 
litativen  Urbestimmiheit),  wieweit  diess  ein  Reales  ist,  oder 
innerhalb  des  Möglichen  Realität  gewon«- 
nen  hat. 

DesshaH)  ist  das  Denken  Gottes  die  Stätte  der  ewi- 
ge n  Wahrheiten  oder  Ideen  (jener  qualitativen  GnmdM. 
bestinimiingen ,  nach  welchen  Gott  die  Weit  gebildet  hat), 
und  ohne  diess  (Denken)  wäre  weder  Realität  im  Be-^ 
reiche  des  Möglichen,  noch  Existenz,  noch  überhaupl 
ein  Mögliches  denkbar.  (Thesis  a.  a.  0.  N-  42.  S.  25. : 
JPrapierea  wtellectus  Bei  est  regio  verüahim  aeternarum 
mU  idearum ,  unde  dependeni ,  et  sine  ipsa  ^  (tnieUedn  ?) 
y^nUiü  realitatis  foret  in  possäriHtaiAus ^  et  nihü  non 
moda  existeret,  sednihü  etiam  possibile  foret,"*  VgL 
S.  36.  36.) 

Gott  kann  daher  überhaupt  nur  als  die.  Vollkommen- 
heit, Allmacht  der  Intelligenz  gedacht  werden  -^ 
so  behauptet  Leibnitz  —  desshalb,  weil  das  Geg^ 
bene,  die  W*eltthatsache,  die  also  bescha£Fene  ist.  So  hingt 
nun  auch  die  fernere,  oft  für  anstössig  befundene  Bestin»- 
mung  auf  das  Engste  damit  zusammen ,  dass  im  göttlichen 
Denken,  dem  Grunde  der  Welt,  a  n  sich  unb  esti  m  m  hax* 
viele  Welten  möglich  gewesen  seien.  Es  ist 
em  richtiger  und  wesentlicher  Begriff  am  selbstbewussten, 
mithin  von  Freiheit  und  Wahl  durchdrungenen  Denken, 
dass  es  den  negativen  Moment  der  Möglichkeit  oder  Un- 
entschicdenheit ,  aus  welchem  es  sich  herausbestimmt, .als 
aufgehobenen  an  sich  tragen  muss.  Jeder  Akt  des*origina- 
len  (erfindenden)  Ur- (nicht  Nach-)  Denkens  bat  den  Hin- 
tergrund schrankenloser  Mögüchkcitsrüile  in  sich,  und  be- 
darf es,  diese  zur  innem  Be^thnmtheit  und  geardneten 
Enlschiedenheit ,  or  «*  theilend  und  schliessend ,   zu  fuüren. 


476  Ei^fenUicher  Sina 

So  unabweislich  apdi  in  Gott,  wenn  sein  Denken  der  Wett- 
ideen  nicht,  bloss  in  aliegoriscber  BildUchkeit  oder  m  Un- 
gewisser Vorstellung  uns  fern  gehalten  werden  soll.  Ab^ 
es  ist  ganz  der  tiefen  und  zugleich  sinnreichen  -Geisles- 
richtung  Leibnitzens  gemäss,  diesen  Theil  seiner  Welt- 
ansicht, auf  welchen  ihm  Alles  ankam,  das  J^uruckdriiiigen 
der  noihwendigwirkendcn  Ursachen,  als  der  ersten,  uoi  die 
Finalursächen  als  die  §rste.  Ursächlichkeit  nachzuweiseui 
auch  von  dieser  Seite  her  in's  Licht  zu  steUen. 

Er  scheint  hier  nämlich ,   allerdings  überflüssiger  und 
unberechtigter  Weise  (weil  die  Wellursache   dazu   keinen 
Ruckhaltspunkt  giebt  — ') ,    bis  zu  der  Betrachtung  fortzu- 
gehen, dass  die  Weltmdglichkeilen  nicht,  nur  im  potenliaien 
Denken  Gottes  geblieben ,  sondern  zum  Actus  des-  wirkli'- 
chen  Gedachtwerdens  erhoben  worden  seien ,  oder ,   be- 
stimmter gesprochen^  ^-  da  einen  zeitlichen  Anfang  der Well, 
tmd  daher  ein  wirkliches  Vorher  jener  Betrachtungen 
im  Leeren  eines  Nichtexisttrens  der  Welt,  L  e  i  b  n  i  t  z  schon 
zolblge  seiner  Zeittheorie  nicht  zugeben  kann  -^  ewig 
•dazu  erhoben  werden:  hier  nun  hat  jede  dieser  raög* 
liehen  Welten  im  Geiste  Gottes  einen  Anspruch    auf 
Dasein  gemäss  des  Grades  ihrer  VoUkommenfaeil  (loKt 
ieg  [mondes]  possiblee  preiendeni  ä  Vis^ence  dams  FwUem^ 
dement  de-Dieü  ä  propärtian  de  leur  perfecHoM;  S.36,ll.> 
Desshaib  kann  entscheiden  nur  die  Wahl  des  möglidi  be- 
sten Weltplanes,  der  herausgeläutert  und  abgeschieden  wird 
•  aus  jener  ungewissen  Möglichkeitsfälle :    ein  BegriiT,   der, 
wenn  man  den  gewöhnlicK  damit  verbundenen  Gedanken 
eines  schlechthin  fertigen,  in  der  Welt. nur  widerstandslos 
determintstiseh  sich  -abwickelnden   Wellbeschlusses  fallen 
lässt,  — .wobei  L  es  sing  mit  Recht  von  der  Vorstellung 
einer  unendlichen  Langenweiie  in  Gott  ergriffen  ^viirde-  — 
einer   Gottes  -  und  Weltlehre  ^uch   künftig  unentbehrlich 
sein  möchte.,,  die  in  der  That  den   Begriff  einer  Freiheit 
und  eines  Aussichselbstseins,  als  .einen   universalen,  mit 
Ernst  durchzuführen  wagt.    Aber  man  darf  sich  onthaUen, 
dabei  in  eine  psychologische  Analyse  der  geistigen  Eigen- 


seiner  Lehre.  477 

Schäften  Golfes  solcher  Art  einzugehen^  wonach  seine 
We i  s  h  e  i  l  die  beste  nnler  den  mögKchen  Welten  erkennt, 
seine  Güte  sie  wählt,  seine  Macht  sie  verwirklicht 
iThesis  57.  a.  a.  0.) :  diess  sind  halbwillkührlichc  Unter- 
scheidungen, her\'orgegangen  aus  einem  luxurirenden  Den- 
ken ,  wie  es  L  e  i  b  n  i  t  z  so  oft  auch  in  der  Theodicäe 
geübt  hat,  dessen  sich  die  Philosophie  jedoch  nm  so  stren- 
ger zu  (enthalten  hat,  als  sie  über  da^  Gegebene  und  dessen 
Erklärung  nie  hinausgreifen,  diesen  Augepunkt  sich  nie  ver- 
rücken ,  noch  weniger  verlalschen  darf.  Zwar  kaiikt  "die 
Tiefe  und  Wahrheit  des  Princips,  aus  dem  jene 'Erweite- 
rungen stammen ,  dadurch  nicht  angetastet  werden ;  wöbt 
aber  ist  es  über  den  überflüssigen  Ausspinnungen  delssdk 
ben  verkannt  und  vergessen  worden. 

Aecht  spekulativ  ist*  es  jedoch,  wenn  Leibnitz  zur 
Unterstützung  jenes  grossen  Princips'auf  das  Erfahrungsmäs- 
sige  hinweist :  kein  Weltverhältniss,  zeigt  er,  lässt  sich  völlig 
auf  Nothwendigkeit  zurückfuhren,  oder  giebt  Kunde  davon, 
dass  es  Werk  bloss  nothwendig  wirkender  Ursachen  sei. 
Vielmehr  zeigen  sich,  als  universelle  Thatsacfae,  die  einfach- 
stcR  Grundverhällnisse  in  die  denkbarste  Mannigfaltigkeit  va- 
Tiirt,  die  grössten  Wirkungen  hervorgebracht  durch  die  ein-* 
fachsten  Mittel ;  Raum .  und  Zeit  auf  das  Weiseste  gespart 
zu  den  gfösstmöglichen  Zwecken ;  —  und  wir  meinen,  die 
ganze  Naturforschung  sdtd^,  bis  hinein  in  die  einzelsten 
anatomischen  und  physiologischen  Verhältnisse,  hat  diesen 
Brfabrungssätz  bestätigt.  „Es  ist  überraschend,  setzt  Le  ib- 
nitz  hinzu,  dass,  wenn  man  allein  den  Begriff  der  Noth- 
wendigkeit zu  Rathe  zieht,  von  welehem  die  logischen, 
Kcunictfischen  und  arithmetischen  Wahrheiten  abhangen, 
man  die  Gesetze  -der  Bewegung ,  wie  sie  seine  Zeit  und 
zum  guten*  Tlieile  er  selber  entdeckt  habe,  sich  nicht  ge- 
nügend zu  erklären  veimöge.  Man  muss  vielmehr  dabei 
8uf  die  Finalursachen  zurückgehen,  nach  dem  Prin- 
cipe des  Angemessenen  (de  la  convenance)  d.  h.  der 
Wahl  einer  göttlichen  Weisheit.  Diess  ist  einer  der 
«indringlichsten    und   überzeugendsten   Be'- 


478  Uebergang 

weise  der  Existenz  Gottes  ffir  Alle,  welcke 
gründlich  denken««  (a.  a.  0.  S.  36,  9..  10.  11.). 

So  sind  nach  Leibnitz  die  nothwendig  wirkenden 
Ursachen  tiberall  die  s  e  c  u  n  d  a  i  r  e  n,  gesetzten,  hervorge- 
bracht durch  das  Princip  des  Zweckes  und  der  Wahl.  Die 
wählende;  (frei  intelligente)  Macht  ist  allein  die  erste 
Ibiurursache.  Daher  sind  Nothwendigkeit  und  Zweckoiis* 
aigkeit  nicht  überhaupt  nur  vermittelt  im  Begriffe  der  im- 
manenten Teleologie,  welcher  die  universale  Welt- 
diatsache  der  Identität  beider  eigentlich  nur  behaoptet, 
nicht  erkl  ärt :  —  jener  Begriff  ist  ja  bis  auf  die  gegen- 
wärtige Zeit  lange  genug  mit  dem  Gedanken  der  WeltseelCi 
der  bewusstlos  wirkenden  .  YernunH  in  Verbindung  ge- 
setzt worden:  —  sondern  er  ist  wirklich  erklärt,  seiner 
«llgemeinen  Möglichkeit  nach  begreiflich  gemacht 
worden. 

Hierdurch,  so  wie  durch  den  Erweis  von  der  Noth- 
wendigkeit endlicher  Substantialitäten,  welchen  Leibnitz 
wenigstens  angetreten,. hat  er.Spinosa  und  sein  gan- 
zes Princip  vollständig  überwunden.  Es  sind  diess  die 
Elemente  der  Zukunft  in  Leibnitz,  mit  denen  er  noch 
weit  in  unsere  Zeit  'hinüberscheint,  und  welche  der  unmit- 
telbaren Gegenwart  aufzubewahren  sind.  Mit  Des  Carte« 
bat  er  den  Gedanken  gemein,  dass  jene  Immanenz  der 
Welt  in  Gott,  welche  mit  ihrer  £ndlichkeit,  Bedingtheit,  zu- 
gleich gesetzt  ist,  -^  weil  die  Welt  nicht  Produkt  einer 
Kothwendigkeit 9  sondern  zweckerfuUt ,  desshalb  Werk 
einer  Intelligenz  zu  sein  verräih ,  —  nur  unter  .Vorausset- 
vmg  der  Trans scendenz  Gottes  über  der  Welt  mög- 
lich sei.  (Vgl.  oben  S.  435.36.)  Ihm  selbst  aber  eigen  ist 
d^  Begriff  jener  substantiellen  Individualität  in  Allem, 
welche ,  mit  eigenthümlichem ,  nur  aus  sich  selbst  und  ihr 
gemäss  sich  bestimmendem  Leben,  keinen  G^^ensatz 
zwischen  Geist  und  Materie  zulässt,  sondern  nur  eine  stu- 
fenweise  Reihe  von  niedem  oder  /vollendetem  Monaden 
darstellt,  welche  zugleich  wie  Mittel  und  Zweck,  näher  wie 
peripherische  upd.  Centhdmonade  s\ch  zu  einander  verhalten, 


in  das  Folgende.  479 

BAd  M  die. festen,  stete  deoh  zur  Binheil  zosammeiislim- 
menden  Weltimlerdchiede  bilden.  Nach  Oben,  wie  nach 
Unten,  hat  Leibtiit£  hiermit  die  Enden  des  Weges  ge- 
aeeigt,  welche  das  «tisgebiidete  System  der  Philosophie  in 
erreichen  hat,  oder  auch,  wenn  man  will ,  seine  rechten 
principiellen  Anfange  nachgewiesen ,  fH^hai^t  ^aber  daf 
Princip  der  Philosophie  als  Idealismus  bezeichnet . 


Es  wäre  vergeblieh  mti  ein  erkfinsteltes  Bestreben, 
ein  dem  genialen  Entwürfe  dieser  tiefgreifenden  Ideen^  eng 
sich  anschliessendes  und  nach  allen  Seiten  -hin  sie  ausbeu-« 
tendes  oder  steigerndes  System  der  Philosophie  nachweisen 
zu  wollen,  einer  postulirten  philosophischen  Continuität  ZQ 
Gefallen.  Wir  haben  gezeigt,  dass  diess  kaum  möglich 
war ,  und ,  wie  es  versucht  worden  ,  misslingen  musste : 
und  weil  es  misslang,  mussten  wir  Leibnitz,  wie  Spi- 
nös a ,  mit  den  Systemen  der  Gegenwart  in  nächste  Be* 
Ziehung  bringen.  Beide  waren  spekulative  Propheten;  jener 
hat  indess  bereits  volle  Gegenwart  und  Ausführung  gefun- 
den in  den  letzten  Systemen  der  Immanenz:  Leibnitz  hat 
sich  noeh  nicht  ausgelebt;  er  enthält  in  sich  das  Princip 
des  Ueberganges  aus  den  Systemen  der  Immanenz  in 
das  der  Transscendenz.  Dieses nothwendigen Ueber- 
ganges wissenschafllich  bewusst  zu  werden,  ist  jedoch  die 
Angabe  des  gegenwärtigen  Zeitpunkts,  und  so  lallt  L  e  i  b- 
nitzens  Philosophie  noch  immer  der  unmittelbarsten  Ge- 
genwart zu.  Desshalb  sind  seine  Principien  bisher  auch 
nur  allmählich,  nach  und'neben  einander  zur  Ausfüh- 
rung gelangt,  und  das  vollständig  ausgeführte  Gegenbild 
seines  Systemes  ist  noch  zu  ei'warten. 

Sq  ist  die  episodische  Einschaltung  geschlossen,  zu 
welcher  wir  am  Anfange  des  dritten  Buches  genöthigt  wur- 


480 


Uebeii^lig  in  das  Folgende. 


den,  indem  die  naehkantische  Philosopiiie  weiter  rück* 
wartoliegende ,  von  Kant  nnberührte  Elemente  wieder  in 
sich  aufnahm,  und  darch  sie  gerade  den  Umkreis  der 
Kantisch-« Jacobischen  Gesammtdenicweise  zu  spren- 
gen vermochte.  Wir  lenken  jetzt  daher  xom  Schlosse  des 
«weiten  Buches  zurück. 


n.    Johann  QottUeb  Fichte. 


Als  die  Punkte,  in  welchen  die  Kantische  Theorie, 
nicht  sowohl  nach  ihren  Resultaten ,  als  durch  ihr  metho- 
disches Verfahren ,  unzureichend  oder  unentschieden  ge- 
blieben ist,  und  welche  sie  somit  als  weitere  Probleme 
der  Zukunft  überlassen  musste,  haben  in  der  vorhergehen- 
den Kritik  sich  folgende  gezeigt.  Sie  betreffen  theils  Un- 
terlassenes ,  Unvollendetes ,  theils  wirkliche  Irrthümer  und 
Verstösse,  deren  Folge  zum  grossen  Theile  wir  noch  tra- 
gen, so  wie  diese  auch  in  ihrem  wahren  Ursprünge  noch 
keinesweges  von  Allen  erkannt  sind. 

Kant  gab  seine  kritische  Untersuchung  des  Erkennt- 
nissvermögens  ursprünglich  für  eine  propädeutische, 
and  diess  nach  innerer  Nothwendigkeit.  Denn  die  vorlfiu- 
fige  Frage ,  ob  überhaupt  eine  Wissenschaft  der  Art,  wie 
Philosophie,  möglich  sei,  konnte,  ob  sie  nun  mit  Ja  oder 
Nein  entschieden  wurde ,  in  ^  keinem  Falle  ,  auch  auf  das 
Umfassendste  beantwortet,  an  die  Stelle  der  Philosophie 
selber  treten.  Dennoch  kam  es  für  Kant  selber ,  nicht 
bloss  für  seine  Anhänger^  aUmfthlig  dahin ,  dass  ihm  die 
verneinende  Beantwortung  im  Umfange  seiner  drei  Ver- 
nunftkritiken, gerade  so,  wie  sie  sich  in  ihrem  losen  Ver- 
bände an  einander  fügten,  weil  sie  den  wesentlichen  phi- 

31 


482  Pichte*«  Verhältniss 

losopliischen  Inhalt  in  ihren  Bereich  gezogen  hallen,  znm 
ToUendelen  Systeme  der  Transjjcendentalphilosopkie 
Miirde.  Im  Gegensatze  damit  konnte  nur  auf  das  Stärkste 
zum  Bewusstsein  kommen,  was  die  Form  der  PiiUosophie 
jftls  Wissenschaft  forderer  sie  müsse  System  „aiis 
Einem  Stücke^  sein. 

Der  Locke-Hum  eschen  Schule  des  Empirismus  ent- 
gegen hatte  Kant  die  grosse  Evidenz  errungen,  und  da- 
durch die  Principien  seiner  Erkenntnisstheorie  wieder  za 
der  (richtig  verstandenen)  Leibni  tzi sehen  Lehre  zurück- 
geführt., (iass  das  schlechthin  Allgemeingültige  und  Noth- 
wendige  unserer  Erkenntniss  nicht  empirischen  Ursprungs 
sein  könne,  sonderm  ein  dem  Bewusstsein  Apriorisches 
sei ,  nicht  erst  „von  Aussen  her*  erworben  ,  sondern  sein 
angebomer  Besitz,  Grund-  und  Urerkenntniss ,  damit  zu- 
gleich aberleer,  nur  die  allgemeine  ^Form^  sei,  durch 
welche  der  empirische,  an  sich  formlose  „ Stoff ^-  erst  ge- 
staltet, zum  wissbaren  gemacht  werden  kann. 

So  schlüpfte,  als  etwas  sich  von  selbsl  Verstehendes, 
die  Nebenfolgerung  mit  ein,  dass  das  Apriorische  eben 
nur  von  subjektiver  Bedeutung,  zugleich  die  leere 
Form  sei,  welche  sich  mit  fremdem,  ganz  von  Anders- 
woher stammendem  Inhalte  zu  erfüllen  habe.  Der  Idealis- 
mus, welcher  von  der  Einsicht  in  die  apriorische  Nalur  der 
aUgemeinen  Wahrheiten  unabtrennlich  ist,  entartete  dadurch 
zur  beschränktesten  Gestalt  der  Sabjektivitatsphilosophie ; 
und  die  Falschheit  der  Folgerung  aus  der  richtig  erwie- 
senen Apriorität  von  Raum  und  Zeit  und  von  den  Katego- 
rieen  auf  ihre  durchgängige  Subjektivität  musste  aus  so 
unwiUkührlich  leichtem  Anfange  in  ihrem  Resultate  zum 
ungeheuersten  Verstösse  werden.  Nur  von  daher  stanunt 
der  grundverwirrende,  durch  keine  sachliche  Nachweisung 
gerechtfertigte  Gegensatz  zwischen  subjektiven  An- 
ad^auungs-  und  Verstandesformen  und  einem  objektiveo, 
in  jene  Formen  eintretenden  Dinge  an  sich ,  womit  die 
ganze  Lehre  von  dem  nur  Subjektiven  seiner  Erscheinung 
und  der  absoluten  Unerkennbarkeit  seiner  ObjekUvitit,  wel- 


zu  Kant.  48S 

che  scheinbar  sich  erst  aus  einer  langen  kritischen  Unter-* 
Buchung  ergeben  sollte^  in  Wahrheit  schon  in  jene  falsche 
und  zugleich  unerwiesene  Voraussetzung  hineingelegt  war« 
Kants  Theorie  war  ihm  unwillkührlich  fertig  geworden 
in  den  Voraussetzungen,  mit  welchen  er  sie  begann. 

Ein  ^Erkenntnis 5 vermögen^  femer,  diesem 
Ausdrucke  zufolge  innerlich  Eins  und  ein  geschlossenes 
Ganzes  ^  kann  auch  nur  in  der  ihm  zugewandten  Untersu- 
chung betrachtet  werden^  als  diess  aus  der  Einheit  sich 
entwickelnde,  aus  bewusstloser  Unmittelbarkeit  des  Sinnen- 
empfindens zu  bewusster  Entfaltimg  gelangende;  und  die 
Weise,  dieser  objektiv  allgemeingültigen  Entwicklung  dessel- 
ben zuzusehen,  wird  in  diesem  Falle  auch  die  rechte  Metho- 
de einer  kritischen  Untersuchung  desselben  sein.  Statt  dessen 
wurde  dds  Bewusstsein  von  Kant,  und  den  Nachfolgern  in 
seinem  Geiste,  „zerlegt^,  wie  ein  todtes  Objekt,  um  seine 
^Zusammensetzung^  zu  erforschen ,  und  die  mannigfachen 
Trennungen  und  Eintheilungen,  seines  theoretischen  Vermö- 
gens in  Sinnlichkeit^  Verstand  und  Vemunil,  der  Vernunft  sel- 
ber in  theoretische  und  praktische,  in  ein  niederes  und  höheres 
Begehrungsvermögen,  in  zwei  Arten  von  Urtheilskraft;  *** 
dazu  endlich  die  durch  Alles  hindurchgehende  Scheidung 
der  apriorischen  (subjektiven)  Form  des  Bewusstseins  von 
seinem  aposteriorischen  (darum  aber  dennoch  nicht  eigent- 
lich objektiv  werdenden)  Inhalte:  —  alles  Diess  lässt  den 
BegrüT  des  inner n  Zusammenhanges,  der  Einheit  für  die- 
selbe, aufsuchen,  da  sich  im  wirklichen  Bewusstsein  von 
jenen  Trennungen  und  Gegensätzen  Nichts  spüren  lässt, 
viebnehr  das  stets  Fliessende  und  Uebergehende  aller  Zu- 
stande desselben  in  einander  die  immer  gegenwärtige  Einheit 
der  Persönlichkeit  darin  thatsächlich  bekundet»  Auch  diese 
Einheit  ist  von  Kant,  als  durchgreifende  Thatsache^ 
richtig  bezeichnet  worden,  •-*  „das  Ich  denke  muss  alle 
meine  Vorstellungen  begleiten  können«^  — :  aber  so  galt 
es  gleichfalls  nur ,  wie  etwas  äusserlich,  ja  zufällig 
jene  .entgegengesetzten  Zustände  Verknüpfendes  durch  den 
Akt  der  dazu  tretenden  Reflexion,  nicht  als  allge- 


484  Fichle*s  Ycrhältnlss 

gfenwartig  durchdringende  Einheit  ihres,  somit  g  e  s  c  h  I  o  s- 
8  c  ni9  n ,  Mannigfaltigen.  Der  Versuch  jedoch ,  diese  aus 
dem  Ich  zu  deduciren ,  musste  gemacht  werden ,  sobald 
sich  nur  der  strengere BegrifF einer  Wissenschaft  vom 
Bewusstsein  gefunden  hatte. 

Aber  in  jenem  höchsten  Resultate  der  Kan tischen 
Vemunflkritik  liegt  zugleich  ihr  höchster  Widerspruch :  sie 
endet  in  einer  Halbheit,  die  der  nächste  Schritt  der  Spe- 
kulation abwerfen  musste.  Die  Dinge  an  sich,  dem 
Bewusstsein  in  seinen  Anschauungs-  und  B^grifTsformen 
erscheinend,  verbergen  sich  nach  dieser  Lehre  den- 
noch eben  dadurch  ihm  unwiederbringlich:  wiewohl  sie, 
die Receptivitat  desselben  „afficirend%  den  Stoffseiner 
Erkenntniss  ihm  verschaffen ;  so  ist  doch  dieser  Erkennt- 
nissstoff wiederum  keiner  e  denn  eben  darum,  weil  wir  sie 
nach  den  apriorischen  Anschauungs-  und  Denkfonnen  auf 
subjektiv  bestimmte  Weise  zu  erkennen  genöthigt  sind,  ist 
Nichts  davon,  objektiv  an  ihnen  gültig.  Es  kommt  Nichts 
von  dem  Allen  ihnen  an  sich  zu,  was  wir  „zufolge  der  sub- 
jektiven Beschaffenheit  unsers  Erkenntnissvermögens''  ihnen 
beilegen  müssen.  Der  Akt  des  Erkennens  selber  entzieht 
uns  ihre  Ansich  -  Erkenntniss ;  durch  ihr  Erscheinen  ver- 
hüllen sie  sich  uns  eben  auf  ewig :  —  der  höchste  Selbst- 
widerspruch, und  die  tiefgreifendste  Ungereimtheit,  welche 
je  eine  Philosophie  ausgesprochen  hat,  zu  der  sie  dennoch 
unvermeidlich  zurückgedrängt  wurde  durch  jenes  erste 
Grundversäumniss. 

Aber  da  von  den  Bestimmungen  des  das  EritenntniiH»- 
vermögen  „  aflicirenden '^  Dinges  an  sich  im  Verlaufe  der 
kritischen  Untersuchung  ein  Prädikat  nach  dem  andern  hin- 
wegschmolz ,  was  blieb  es  selbst  in  seiner  völligen  Inhalts- 
losigkeit und  Negativitat,  als  nur  die  leere  Stelle  für  den 
noch  äusserlich  zurückgebliebenen  Gegensatz  von  Subjek- 
tivem und  Objektivem,  der  als  Gegensatz  des  Inhalts 
schon  verschwunden  ist  ?  Aber  auf  dem  Gegensatse  des 
Subjekts  und  Objekts  beruht  hinwiederum  die  Grundorga- 
nisation alles  Bewusstsein«;  jenes  (leere)  Objektive  kann 


zu  Kam.  46S 

daher  nur  als  in  und  für  das  Bewusstsein  sel- 
ber gesetzt  erscheinen,  nachweisbar  als  noth- 
Mrendiges  Produkt  dieser  seiner  sich  vollziehenden, 
thätig  werdenden  Grundorganisation.  So  machte  sich 
Fichte  zum  Erben  der  K  a  n  t  i  sehen  Spekulation,  indem 
er  in  der  ersten  Gestalt  seines  Systemes  ihr  nur  wah- 
res Ergebniss  ganz  aussprach. 

Damit  war  aber  auch  sogleich  eine  andere  Form  der 
Behandlung  und  Methode  gefordert,  denn  es  entwickelt  sich 
hier  auch  eine  andere  Grundansicht  vom  Wissen  selber. 
Es  ist  nicht  mehr  als  leidende  Receptivitdt ,  von  Aussen 
empfangend ,  wie  bei  Locke,  nicht  mehr  als  ein  in  sich 
geschlossenes  subjektives  Vorstellen. mitten  in  einer  unbe- 
kannten ,  auf  Glauben  hinzunehmenden  Wblt ,  wie  bei 
Hume,  nicht  mehr  als  eine  Mannigfaltigkeit  subjektiv 
«priorischer,  an  sich  leerer  Formen,  einem  darin  erschei- 
nenden Dinge  an  sich  gegenüber,  wie  bei  Kant,  sondern 
als  ein  durchaus  selbststandiges,  immanent  nach  den  eigenen 
Gesetzen  seines  Wesens  sich  entwickelndes  Princip,  als 
eine  völlig  geschlossene  und  aus  sich  zu  er- 
klärende Welt  zu  denken. 

So  stellte  die  Wissens-  oder  Wissenschafts- 
lehre bei  ihrem  Hervortreten  sich  nidit  als  eine  neue,  der 
K  a  n  t  i  sehen  entgegengesetzte  Philosophie  dar,  sondern  als 
erneuerte,  nur  schärfer  bestimmte  Untersuchung  der  schon 
von  Locke  und  Hume  angeregten,  von  Kant  aber 
näher  vorbereiteten  Frage  nach  dem  Wesen  des  Be- 
wusstsein s.  Fichte 's  frühesten  und  spätem  Erklärungen 
blieben  sich  darin  völlig  getreu :  er  fasste  die  K  a  n  t  i  sehe 
Theorie  nur  in  streng  idealistischem  Sinne ;  was  dem  Aus- 
drucke nach  dagegen  war,  getraute  er  sich  durch  eine 
Auslegung  zu  beseitigen  ,  welche  Kant  allein  *erst  mit 
sich  selbst  in  Uebereinstimmung  zu  bringen  vermöchte 
(Zweite  Einleitung  in  die  W.  L.,  Phil.  Journal 
1797.  U.  4.  S.  371.  if«).  Dem  Inhalte  nach  sei  sein  System 
ganz  nur  das  Kau  tische-:  er  wisse,  dass  er  nie  Etwas 
sagen  könne,  worauf  nicht  schon  Kant,  unmittelbar  oder 


486  Allgemeiner  Begriff 

mittelbar,  deutlicher  oder  dunkler,  gedeutet  habe 
(Vorrede  zum  Begriffe  der  W.L.  S.  V.).  Alle  Ma- 
terialien seines  eigenen  Baues  seien  von  Kant  schon  in 
schtoster  Sorgfalt  neben  einander  gdegt,  von  ihm  seien 
aie  uur  zu  einem  innerlich,  geschlossenen  Ganzen  zu  Ter- 
einigen«  Sein  wissenschaftliches  Verfahren  sei  desshalb 
ganz  unabhängig  vom  Kantischen;  er  glaube  den  Weg 
entdeckt  zu  haben,  auf  welchem  sich  die  Philosophie  zum 
Bange  einer  evidenten  Wissenschaft  erheben  könne*.  Die 
Philosophie,  als  Wissenschaft,  müsse  von  einem  eignen 
Principe^  als  höchste,  absolute  Wissenschaft,  von  dem 
höchsten,  schlechthin  unbedingten  Principe,  von  der  Grün  da- 
läge allerGeivissheit  im  Wissen,  ausgehen.  Seine 
Philosophie  sei  System,  und  System  der  Systeme ,  weil  sie 
IBr  alle  andern  Wissenschaften  die  systematische' Form  be- 
gründet; die  Kan tische  Lehrd  sei  mir  Prop&deutik  n 
einem  solchen.  (Phil.  Journ,  a.  a.  O.  S.  359.  BegrilT 
der  WissenschaftsU  S.  11.  14.  ff.  22.  .ff.  u.  s.  w.) 

So  Fichte  bei  seinem  ersten  Hervorbreten;  ne/ch  in- 
nerlicher und  erschöpfender  erklärt  er  sich  darfiber  in  sei- 
nehVorlesungen  aber  die  Wissenschaftslehre 
aus  dem  Jahre  1804*),  welche  auch  sonst  ein  wichtiges 
Aktenstück  in  der  Entwicklung  seines  Systemes  sind,  in« 
dem  sie  den  Uebergang  In  die  zweite  Gestalt  desselben 
enthalten« 

Philosophie  hat  die  Au%abe,  alles  Mannigfaltige 
znrfickzuf&hren  aufEitiheit,  wie  umgekehrt  das  Mannig- 
Cahige  sämmUich  ^  so  wie  es  ist,  herzuleiten  aus  d^ 
Einheit,  oder  dem  Absoluten.  Philosophie  ist  „I>ar- 
Stellung^  des  Absoluten ,  als  der  Einheit  alles  Mannig- 
faltigen. Diese  Aufgabe  hat  die  Wissenschaftslehre  gemein 
mit  aller  Philosophie ;  nur  fasst  sie ,  dadurch  sich  unter- 
scheidend von  allen  frühem,    und.  nach   ihr  hervoi^getre- 


*}  J.  G.    Pichte's    nach  g«laiaeu«  Werk«.    Bonn  1834. 
B.  ü.  S.  95.  f.  101.  ff. 


der  Wissenschaftri^re.  467^ 

läfteit  Philosophien ,  das  Prfncip  des  HannigfalUgm  in  sei^ 
»er  tiefslen  Wurzel  and  letzten  Urdi^unktion. 

Vor  Kant  nömlich  ^  (und  eigentlich  auch  seit  K  a  n  t, 
der  in  diesem  Punkte  gerade  nicht  verstanden  worden ,  so 
wenig ,  wie  die  Wissenschaftslehre)  —  wurde  das  Absoi 
hite  in  das  Sein  gesetzt,  ,,in  das  todteDing,  als  Ding^. 

Aber  schlechthin  jedes  Sein,  so  gewiss  es  fiir  Ande-^ 
res  ist,  setzt  Denken  oder  Bewussts.ein  desselben 
voraus  ;  :  es  ist  selbst  nur  die  Eine  Hälfte ,  Clied  einer 
Disjonktion ,  welche  aber,-,  da  alles  Mannigfaltige  auf  die- 
sen letzten  Gegensatz  von  Denken  und  Sein  nicht  nur  zu- 
ruckgefdhit  werden  kann,  sondern  m  us  s ,  zugleich  die 
schlechthin  höchste  Urdisjunktion  ist.  .  hie  absolute  E  i  n- 
hei  t  kann  daher,  eben  so  wenig  in  das  Sein,  als  in  das 
gegenöberstehende  Bewusslsein  ,  sondern  i  n  d  a  s  P  r  i  n- 
cip  der  Einheit  und  Unabtrennbarkeit  beider 
fallen  ,.  das  zugleich  damit  das  Princip  der 
Disjunktioii  beider  ist  D  iess  nennen  wir  reines 
Wissen-,  Wissen  an  sich,  also  Wissen  durchaus  von 
keinem  Objekte, -^  weil  es  sonst  nicht  Wissen  an.  sich 
wäre,  sondern  zu  seinem  Sein  noch  der  Objektivität  be- 
dürfte, zum  Unterschiede  von  Bewnsstsein ,  das  stets 
ein  Sein  setzt,  und  darum  nur  die  Eine  Hälfte  ist. 

Diess  habe  Kant  entdeckt,  ftigtFjchte  hinzu,  offen«» 
bar  nach  der  liberalsten  Austeguhgsweise,  indem  er,  was 
ab  vDientwickeUe  EpnseQuenz   in^  K^^  und  in   ihnl 

selber  erst  entdeckt  werden  musstc,  ials  seine  Bnideckung 
bezeichnet  *):  dadurch  sei  er  Stifter  der  Transsceh-t- 
dcnta  Iphilosophie  geworden*     Darin    sei   ihr   also 
auch  die  Wissenschaftslehre,  als  Transscendentalphilosophiev . 
ganz  ahnlich,  dass  sie  nicht,  wie  die  vorkantische  Pbilo^ 


*]  Vgl  a.  a.  O.  S.  102.  Wi«  er,  «diesem  gegenüber,  das  Pak* 
ÜRche  seine«  Verhältnisses  zu  Kant  aasab,  ist  aus  persön- 
lichen Aeasserungen  gegen  Fraunde  au  ersehen:  Pichte*! 
Lehen  und  litt  erarit  eher  Briefwechsel  11. 
S«  302.  a03.  320. 


488  AUgeme&ier  Begriff 

Sophie,  In  das  Ding,  aber  aucli  niclil  In  das  aobjek- 
tive Wissen,  —  «was  eigentlich  nicht  möglich, 
denn  wer  sich  auf  das  zweite  Glied  besinne, 
hätte  ja  auch  das  erste,^  —  sondern  in  die  Ein- 
heit beider  das  Absolute  setzt. 

Hierzu  fugt  Fichte  sogleich  die  polemische  Bemer- 
kung über  das  Grundmissverstandniss  seines  Systemes  und 
den  Grundfehler  der  nach  ihm  auftretenden  Verbesserer, 
woraus  sich  ergiebt,  wie  er  das  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehe  Princqi, 
seinem  eigenen  gegenüber,  gleich  von  Anfang  angesehen. 
Nachdem  man  nSmlich  vernommen,  dass  die  Wissenschafls- 
lehre  sich  für  Idealismus  gebe ,  schloss  man ,  dass  sie  das 
Absolute  in  die  subjektive  Hälfte^  das  oben  so  bezeichnete 
Denken  oder  Bewusstsein  setze,  —  wie  sehr  es 
auch  sich  selbst  und  dem  von  ihr  aufgestellten  Begriffe 
des  Absoluten  widerspricht.  Dennoch  sei  diese  Ansicht  der 
Wissensohaftslehre  bei  Freund  und  Feind  gleich  recipirt, 
und  es  gebe  kein  Mittel,  sie  ihnen  auszureden.  Die  Yer« 
besserer  hätten  unter  diesen  Umständen  das  Absolute  w  i  e- 
d  e  r  in  die  zweite  Hälfte  geworfen ,  beibehaltend  übri- 
gens das  Wortlein  Ich!  — 

Von  Kant  ist  die  Wissenschaftslehre  aber  dadurch 
verschieden :  die  höchste  Urdisjunktion  und  ihre  Einheit 
erkennend,  ist  er  doch  in  eine  Disjunktion  anderer  Art  ge- 
fallen. Das  Band  des  unabtrennlichen  Seins  und  Denkens 
begriff  er ;  aber  er  begriff  es  nicht  in  seiner  reinen  Sdbst- 
ständigkeit  an  und  für  sich,  wie  es  die  Wissenschaflslehre 
aufiBteUt,  sondern  nur  als  gemeinsame  Grundbe- 
stimmung, oder  als  Accidenz  seiner  drei  Ur- 
modifikationen,  in  der  theoretischen  Ver- 
nunft, der  praktischen  Vernunft  und  der  Ur- 
tbeilskraft,  wodurch  ihm  eigentlich  drei  Absolute 
entstanden,  von  ihm  besonders  abgehandelt  in  seinen  drei 
Kritiken,  während  ihm  das  wahre ,  Eine  Absolute  zu  ihrer 
gemeinsamen  Eigenschaft  verblasste.  Der  Begriff  des 
reinenCabsoluten)  Wissens  mithin,  das  sich  selbst, 
innerhalb    seiner   Urdisjunktion ,    nachweisbar   und    auf 


der  Wissenschailslelire.  489 

vMter  abzuleitende  Weise ,  in  jene  drei  6nmdmodifik«tio<- 
nen  tlieilt,  war  K  a  n  ten  entgangen. 

Diess  reine  Wissen —  (gleich  dem  Absoluten 
gesetzt ,  genau  in  dem  angegebenen  Sinne)  —  zum  Auf- 
gangs- und  Deduktionspunkte  zu  machen,  ist  dagegen  Cha- 
rakter der  Wissenschaftslehre.  Daher  muss  es  die  Bo- 
hauptung  derselben  sein,  dass  das  Wissen  ,  in  dem  Sinne, 
wie  es  gefasst  worden  ,  wirklich  eine  rein  für  si.ch 
bestehende  Substanz  sei,  dass  es,  als  solches,  von 
uns  „realisirt^  werden  könne ,  und  dass  eben  in  seiner 
Realisirung  die  whrkliche  Realisinmg  der  Wissenschaftslehre 
bestehe. 

Die  Einsicht,  mit  der  sie  anbebt ,  wird  daher  keines- 
Weges  zunächst  in  der  Einsicht  der  Spaltung  des  Wissens 
in  Sein  und  Denken ,  noch  d^  tiefer  liegenden  Disjunktion 
desselben  in  theoretische  und  praktische  Vernunft  und  in 
Urtheilskraft  bestehen :  \ielmehr  in  der  Einsicht  der  u  n- 
mittelbaren  Unabtrennbarkeit  dieser  beiderlei 
Weisen,  sich  zu  spalten.  Die  Deduktion  dieser  beiden  Spal- 
tungen besteht  daher  anderntheils  in  der  Nachweisung  der 
darin  sich  behauptenden  Einheit  und  Selbstständigkeit  des 
reinen  Wissens.  Das  Princip  des  Wissens  entspricht  bo 
dem  Begriffe  der  L  e  i  b  n  i  t  z  i  sehen  Monas,  nicht  aber  als 
der  endlich  begräazten ,  sondern  als  des  die  Begränzung, 
Spaltung  und  Concretion  in  sich  ebenso  unendlich  setzen- 
den, wie  in  seine  Einheit  und  durchdringende  Ganzheit 
aufnehmenden  urmonadischen  Wissens.  So  ist  jener  Be- 
griff der  Urmonas  einerseits  aus  seiner  abstrakten  Fassung 
in  die  Wirklichkeit  versetzt,  andererseits  jedoch  ist  es  un- 
möglich gemacht,  was  dem  Principe  nach  von  Leibnitz 
schon  geschehen  war,  mit  dieser  Gestalt  des  Begriffes  das 
Princip  der  Immanenz  zu  überwinden :  die  Wissenschafts- 
lehre  macht  selbst  vielmehr  hiemach  eine  bestimmte  Ge- 
stalt unter  den  Systemen  der  Immanenz  aus.^- 

Die  Wissenschaftslehre  dringt  somit  hindurch  bis  zur 
höchsten  Synthesis ,  und  vollzieht  —  „realisirt<<  —  so  das 
reine  Wissen  in  sich ;  sie  gedenkt  daher  schleoUhin  nichts 


490  Einfteitspunkt 

UihbegTeiffidKM  asozogebeii,  und  Nichts  nnh^Sbn  za  lassen; 
wie  sie  denn  sich  bescheidet,  gar  nicht  existiren  zu  wol- 
len ,  falls  ihr  ein  durch  sie  nicht  Be^iffenes  nachgewiesen 
wird,  indem  sie  durchaus  entweder  Alles  sein  will  oder 
^r  nicht.  .,,Sollte  sie  auch,  wie  ich  zur  Vermeidung 
■des  Missverständnisses  sogleich  hinzusetze,  ein  absolut 
.Unbegreifliches  zugeben  müssen  ;  sa.  wird 
siiB  es  eben  als  das,  was  es  ist,  als  absolut 
linbegteiflich,  begreifen,  also  es  doch  be- 
greifet, wobei  denn  wohl  eben  das  ab&olute 
Begreifen  anheben  dürfte.<<  (A.  a.  0.  S.  lOäi 
106.  104.) 

Diese  letzte,  von  uns  desshalb  besonders  ausgezeich- 
nete Aeusserung  .triSl  den  Punkt,  der,  als  der  gemein- 
«chflfUiohe ,  nach  Rückwärts  und  Vorwärts  weisend ,  die 
irühere  und  spätere  Gestalt  des  System^s  verbindet.  Oas 
sis  unbegreiflich  begriffene  absolut  Reale 
ist  au  c£i& Stelle  des  Kantischen  Dinges  an  sich  getreten, 
und  breitet  sich  aus  dem  diuikeln  Hintergründe  jcfaer  Fas- 
sung, allmählich  immer*  stärker  und  schärfer  giefasst,  in -der 
fortschreitenden.  Selbstbildung  des  Systemes  aus.  Aber  es 
ist  in  keinem  Sinne  ein  Objektives  mehr,  wie  bei  Kant, 
nur  auch  kein  Subjektives ,  wie  man  nach  dem  gewöhnli- 
dien  Missverständnisse  die  Wissenschaftslehre  ausgedeutet, 
sondern  was -schlechthin  über  diesen  Gegensatz  hinausliegt, 
indem  es  ^  als  absoluter  Gehalt  der  jd>soluten  form,  ües 
SubjekUObjektiven,  diesen  (erschöpfend  von  jener  zu  eon- 
struirenden)  Schematismus  des  Wissens  erfüllt,  und  es  sd- 
ber  dadurch  zu  dem  als  Schema  (Bild)  sich  begreifenden 
Schema  macht.  Diess  die  spätere  Wendung  des  Systemes, 
welche  dem  Wissen,  als  absolutem  Urbilde^  ein  Ursein^  das 
Absolute  oder.  Gott,  als  Extstentialgrund  untertegen  niusste 
vor  und  zugleich  in  aller  Subjekt*ObjektivUäL 

Hiermit  wird  aber  alles  bloss  objektive  Sein,  das 
eigentliche  sogenannte  ,JDing*',  völlig  aufgehoben  und  in 
feiner  Nichtigkeit  nachgewiesen:  diess  ist  die  Bine^  nega-* 
tive  Seite  der  WissenschaOslehre ,   die  PuncUuhaung  des 


des  Sytftemes.  491 

fHnclps  der  Reflexion.  Die  Aufrage  des  gemeinen  Be^ 
wusstseins  yoiq  unmittelbaren  Sein  der  Anssendinge  kann; 
philosophisch  beurtheilt,  nur  die  Bedeutung  erbaltefi:  dass 
jene  Aus^endinge  und  die  ganze  Objektivität  Nichts  seien, 
als  die  Summe  der  gegebenen  Vorstellungen 
des  unmittelbaren  Bewusstseins',  ilber  deren 
Realität  oder  Nichtrealität  dasselbe  gar  nicht  zum  Zeugnisse 
aufgemren  werden  kann.  Es  ist.  vielmehr  nur  das  durdi 
die  Wissenschall  des  Wissens,  auch  in  seiner  Gewissheil 
eines . Objektiven  sich  gegenüber,  in  dieser  lliatsäohlich^ 
keil  zu  Erklärende,  oder  aus  einem  hohem  Principe  zuBe« 
gründende. 

Indem  es  hfimlich  von  einem  Objektiven  weiss,  wird 
diess  nur  seine  Vorstellung ,  dessen  ganze  Realität  selbst 
unreine  vorgestellte,  nicht  seiende  ist,  d.  b.  eine  solche^ 
Ober  deren  Sein  innerhalb  d  i  e  s  e  s  Wissens  Nichts  zu  er«» 
mittein  ist  Würde  sie  dagegen  als  nicht  vorgestellte,  son- 
dern nuT  seiende  gefffsst;  so  wäre  sie  hiermit  gar  nicht 
wehr  für  das  Wissen  vorhanden ,  und  in  keinem  mögH^ 
eben  Bewusstsein  kann  es  ubeiliaupt  vorkommen.  Würde 
sie  aber  wieclerum  als  Gewusstes  gesetzt ;  so  begänne  da«» 
mit  nur  derselbe  Zirkel,  des  Wiederaufgehobenwerdens. 
Indem  das  Sein  fiir  Wissen  ist,  ist  es  eben  nichi  Sein, 
sondern  Vorstellung:  wäre  es  jedoch  nidit  für  dasselbe, 
«o'kann  überhaupt  in-B^zug  auf  Wissen,  in  keinem  Sinne 
von  Ihm  die  Rede  sein. 

tJm  daher  den  Widerspruch  in  ganzer  Schärfe  auszu* 
sprechen:,  das  Wissen  und  Sagen  vom  Sein  hebt 
im  Einzelnen  das  Sein  selbst  auf,  und  zer«- 
stört  sein  Ansich:  indem  esEtwas  für  das 
Bewusstsein  wird,  hört  es  damit  auf,  E  twas 
an.  gich  zu  sein,  und  ist  lediglich  Vorstellung 
eines  solchen  Ansich.  Diess,  dass  kein  S  e  i  n  ohne  das 
zweite,  -^  wiewohl  in  der  Regel,  gleichfalls  nach  einem 
«bsolnten  Gesetze  des  Bewusstseins  ,  verborgen  bleibende, 
—  Glied  ddr  es  setzenden  Vorstellung,  —  des  Denkens, 
sei,  bezeichnet  Fichte  als  die  grosse  Entdeckung K a n  t s, 


492  Princip 

womit  er  Jedem  Dogmatismos  iür  immer  ein  Ende  gemacht 
habe.  Aber  entschieden,  in  einem  Gesammtausdnicke  zu- 
aammengefasst ,   hat  er  selbst  es  ausgesprochen. 

Indem  nämlich  solchergestalt  das  Wissen  immer  sdion 
mehr  ist,  als  es  unmittelbar  von  sich  weiss;  knüpft 
eben  diese  unvermeidliche  Doppelheit  seiner  Natur  —  die 
nothwendige  Folge  seiner  absoluten  Grundform  —  den 
seltsam  verschlungenen  Knoten  der  Reflexion,  die  je- 
des gegebene  Wissen  in's  Unendliche  zwingt ,  über 
sich  selbst  hinauszugehen,  und  so  in  Widerspruch  mit  sich 
zu  treten.  Das  Wissen  selbst  ist ,  seiner  Form  zufolge, 
diese  absolute  Reflexibilität;  indem  es  jedoch  auf 
diese  Weise  stets  seine  eigene  Begranzung  zu  überschrei« 
len  vermag,  wird  auch  der  Augpunkt  desselben  dadurch 
stets  ein  anderer ,  und  das  Bewusstsein  der  Realität ,  in 
welchem  es  dort  aufging ,  ist  hier  verschwunden ,  indem 
diese  nun  zu  einem  bloss  Vorgestellten  herabgesetzt  wird. 
So  sucht  das  Wissen  im  Einzelnen  ewig  eine  Stütze, 
worauf  es  fusse ,  während  es  doch  eben  im  Einzelnen  sie 
sich  stets  selber  hinwegzieht.  Es  bezieht  sich  unmittelbar 
auf  Sein,  als  das  in  ihm  Abgebildete;  aber  die  Reflexion 
hebt  dabei  hervor ,  dass  das  Wissen  überall ,  also  auch 
hierin ,  nur  von  sich  selbst  wisse ;  jenes  Sein  also  selbst 
nur  Vorstellung  des  Seins  sei. 

In  welcher  einzelnen  Form  oder  Thatsache  das  Wis* 
sen  daher  Seinsetzend  wäre ,  d.  h.  aufginge  in  abso- 
luter Gegebenheit,  wie  diess,  zufolge  seines  Wesens,  ihm 
nothwendig  ist ;  so  hätte  damit  die  Reflexion  Befugniss,  es 
aus  dieser  Abgeschlossenheit  aufzujagen,  indem  sie  das 
ebenso  in  der  Form  desselben  liegende  Bewusstsein  geU 
tend  macht,  dass  jenes  Sein  doch  selbst  nur  innerhalb 
des  Wissens,  ein  von*  ihm  Vorgestelltes  sei.  —  So 
scheint  alles  Wissen/  in  einem  beständigen,  sich  selbst  bc* 
kämpfenden  Widerspruche  aufzugehen:  so  wie  das- 
selbe von  der  einen  Seite  in  einer  festen^  gegebenen  Be- 
granzung, in  einer  angeschauten  Realität,  sein  Beruhen 
finden  muss;   so  wiederholt   die  Reflexion,   durch  gleiche 


der  ReOexion.  493 

Gesclzlichkcit  des  Wissens  bedingt,  eben  so  im  Einseinen 
unendlich  den  Process ,  diese  Realität  zu  stürzen  und  auf- 
zuheben. Es  ist  ein  ewig  wechselnder  Kampf  zwischen 
augenblicklicher  Beruhigung  und  desto  entschicdenerm 
Zweifel ;  nur,  indem  das  Wissen  Realität  noch  sucht,  scheint 
sie  ibn  beschieden;  wie  es  jedoch  sie  wirklich  erreicht 
zu  haben  glaubt ,  schwindet  sie  ihm  dadurch ;  und  jeder 
Moment ,  wo  es  die  ewig  fliehende  und  dennoch  stets  vor 
ihm  schwebende  erreicht  zu  haben  meint,  deckt  ihm  nur 
eine  neue  Selbsttäuschung  auf. 

Dieser  Zirkel  und  stets  sich  erneuernde  Widerspruch, 
in  welchem   das  Bewusstsein   im  Einzelnen    unrettbar 
gefangen  ist,  begründet  eben  alle  Skepsis,  wie  alle  negativ 
idealistischen  Theorieen.    Ist  einmal  die  unmittelbare  Ein- 
heit zwischen  Wissen  und  Sein,  die  Uebereinstimlnung  von 
Subjektivem  und  Objektivem,  in  der  alles  unbefangene  (nicht 
reflektirende)   Bewusstsein  aufgeht,   zerstört,   sind   beide 
durch  Reflexion   in  Gegensatz  mit  einander  getreten ;  so 
kann  diese  nur  darin  enden  ,  beide  Glieder ,  als  von  ein- 
ander unabhängige,  aufzuheben.    Es  wird  geltend  gemacht, 
dass  das  Sein  doch  eigentlich  nur  in  und  für  Bewusstsein 
existire ,  wahrhaft  also  beide  Gegensätze  nur  in  absoluter 
Einheit  mit  einander  existiren  können.    Von  der  andern 
Seite  i)eruht  aber  ebensosehr  der  ganze  Organismus  des 
Bewusstseins  auf  der  Wechselbeziehung  zwischen  Subjekt 
und  Objekt,  zwischen  Bild  und  Gebildetem,  also  auf  dem 
wahren  und  realen  Gegensatze  derselben  ,  so  dass  es 
bei  jener  Ansicht    der  Reflexion  dennoch  nicht  sein  Be- 
wenden haben  kann. 

Doch  fruchtet  es  Nichts ,  vor  dem  nicht  minder  noth- 
wendigen  Ergebnisse  derselben  bloss  die  Augen  zu  ver- 
schliessen  und  seine  Konsequenz  ignoriren  zu  wollen,  wie 
diess  in  jeder  dogmatischen  Philosophie  geschieht ,  d.  h. 
einer  solchen,  worin  das  Princip  der  Reflexion  nicht  aner- 
kannt und  mitdurchbildet  wird.  —  Wahrhaft  spekulativ  kaon 
jene  Konsequenz  demnach  nur  dadurch  überwunden  wer- 
den, dass  ihr  Princip  vollkommen  durchgeführt ,  und  damit 


494       SpokuIflUve  Ueberwindunjf  diese»  Princips. 

die  eigenllichc  Wurzel  und  der  Grund  jenes  Widerstreites 
im  Bewusstsein  selber  aufgedeckt  wird. 

.Es  ist  der  Standpunkt  und  die  philosophische  Bedeo« 
tuttg  der  Wissenschanslehre,  jenes  Princip  der  Reflexion  in 
wissenschaftlicher  Form  geltend  gemacht ,  aber  in  ihrer 
weitem  Entwickeiung  auch  über  sich  selbst  hinausgebracht, 
und  seine  Ternichtende  Gewalt  aufgehoben  zu  haben.  Jena 
Seite  —  die  negative  —  möchre  an  ihr  erkannt  worden 
sein  von  den  Mltphilosophirenden,  weniger  entschieden  die 
aiidere,  eigentlich  erst,  erfüllende ,  welche  ihr  im  grossen 
Ganzen  der  philosophisclien  Wissenschaft  stets  einen  be- 
deutenden Platz  sichern  muss  *).  Indem  sie  nändich  das 
Besinnen  zum  Charakter  ihres  Philosophirens  machte, 
und  darin  zu  absolut  durchsichtiger  Besonnenheit 
sich  vollendete ,  hat  sie  eben  damit  jenes ,  alle  Realität 
verflüchtigende  Princip  der  Reflexion  über  sich  selbst 
verständigt ,  und  seine  wissenschaftliche  Gränze  und  ei«> 
f entliehe  Bedeutung  ihm  nachgewiesen.  Kant  hat  we« 
nigstens  hingedeutet  auf  diess  ganze  Verhältaiss,  indem 
er ,  wenn  auch  noch  in  mangelhaftem  wissenschaftlichem 
Ausdrucke,  das  Ich  denke,  welches  alle  einzelnen  Vor. 
Stellungen  müsse  begleiten  können,  als  die  synthetische 
Einheit  der  Apperccption ,  als  den  Brennpunkt  alles  Be* 
wusstseins  bezeichnete.  Mangelhaft  nennen  wir  aber  je« 
neu  Ausdruck  aus  doppeltem  Grunde ,  weil  nicht  das 
Denken  oder  überhaupt  eine  besondere  Geistesfunktion 
es  ist ,  welche  wesentlich  die  Einheit  der  Apperception 
ausmacht ;  sodann  weil  das  Ich  nicht  bloss  alle  einzel- 
nen Vorstellungen  muss  begleiten  k  ö  n  n  en  ,  sondern 
wirklich  begleitet,  ja  wesentlich  in  sich  schliesst,  wiewohl 
es  nicht  immer  aus  dem  innem  Mittelpunkte  des  Bewusst^ 


*)  Gleichwohl  ist  fu  gestehen,  dass  seit  dem  ersten  Erscheinen 
(lieser  Schrift  und  seit  der  Bekanntmachung  der  nachgelasse- 
nen Werke  Ton  Fichte  uuch  diese  Seite  seines  Systemes 
eine  ToUständigere  und  allgemeinere  Anerkeuntuiss  erlangt 
hat.     Anmerk.  zur  sweiteu  Aufl. 


Erste  Gostalt  der  Wissenschaftslehre.  495 

seiDs  als  das  Selbstsehcnde  in  die  Peripherie  des  Selbstge^ 
sebenwerdens  tritt 


In  der  ersten  Darstellung  der  Wissiensch^flslehre  kam  es 
nödi  darauf  an,  jene  höchste  Einheit  von^  Subjekt  und  Objekt 
selber  zu  gewinnen ,  und  aus  ihr  die  Nothwendigkeit  der 
ifi  ihr  selbst  gesetzten  Gegensätze  zu  construiren.  Daher 
ist  dort  das  allgemein^  (unendliche)  Ich  das  Deduktions- 
princip,  welches,  an  der  schlechthin  durch  dasselbe  ge* 
setzten  Begränzung  des  Nichtich  sich  verendlichend,^ 
gleich  in  ein  unendliches  Streben  über  dasselbe  hinau^fe- 
wiesen  wird.  Hier  streift  jedoch  das  System  noch  unent« 
schieden  in  sich  selbst  an's  Nihilistische.  Aber  je  mehr 
das  Ich  sia  die  absolute  Form  der  Subjekt  -  Objektivität 
erkannt  wurde,  desto  stärker  trat  das  darin  still  vorausge-^ 
setzte  Substantielle  und  die  Nothwendigkeit  ihrer  Erfüllung 
hervor.  Hiermit  muslste  der  Ausdruck :  Ich  für  das  Prindp 
hinwegfallen ;  die  Substanz  des  Wissens,  das  Universum 
der  Intelligenz ,  trat  an  seine  Stelle ,  bald  realistischer  als 
Dasein  des  absoluten  Seins  (in  seiner  Religionslehref), 
bald  idealistischer,  als  Licht,  Urlicht,  endlich  als  sich  selbst 
verstehendes  und  damit  in  seiner  Absolutheit  sich  vernich- 
tendes Schema ,  Erscheinung  des  Absoluten,  bezeichnet. 

Nach  diesem  Vorblicke  wird  nun  auch  die  erste  6^ 
slalt  seines  Systemes,^in  ihrer  historischen  Beziehung  zu 
Kant  und  dessen  unmittelbaren  Nachfolgern,  in  etwas  an- 
derem Lichte  erscheinen^  wie  gewöhnlich. 

Dass  es  dem  Kantischen  Kriticismus  an  der  Einheit 
eines  Alles  zugleich  umfassenden,  allgemeingültigen  Princips 
gebreche,  hatte  schon  Reinhold  entdeckt,  und  die  For- 
derung gestellt,  die  Transscendentalphilosophie  auf  ein  sol-* 
ches  kritisch  reflektirend  „aufzubauen^,  um  die  an  sich 
zwar  allgemeingültige  Philoisophie  Kants  dadurch  auch 
WT  allgemeingeltenden  zu  machen.  Aber  als  R  e  i  h  h  o  1  d 
seine  Theorie  des  Vorstellungsvermögens  entwarf  (1788 — 
89),  war  kaum,  die  K  an  tische  Kritik  der  praktischen  Ver- 
nunft (17bb.),    noch    nicht  seine  Kritik   der  Urtheilskrafi 


496  Erste  Gestalt 

erschienen.  So  konnte  jener  nur  darauf  bedacht  seiii)  die 
in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  unverbundtn  gebliebenen 
Gegensätze  unter  sich  zu  vermitteln  durch  eine  gemein- 
schaftliche Thatsache  des  Bewusstseins. 

Der  Gegensatz,  wie  der  Zusammenhang  zwischen  ddm 
Trahsscendentalen  und  Empirischen,  das  Gemeinschaftliche 
der  Sinnesanschauung,  der  Verstandesbegrifie  und  der  Ter- 
nunftideen  lässt  sich  auf  den  verbindenden  Begriff  der 
Vorstellung  zurückfuhren.  Alle  jene  Unterschiede,  in- 
dem sie  in  das  Bewusstsein  eintreten,  können  nur  von  ihm 
vorgestellte  sein.  Mithin  ist  der  „Grundsatz^  der  Vor- 
stellung der  einfachste  und  oberste ;  er  besitzt  durch  sich 
selbst  Evidenz  und  Gewissheit.  —  So  entstand  aus 
der  Einsicht  in  jenen  Mangel  der  K  an  tischen  Transscen- 
dentalphilosophie  das  Bedürfniss  —  aus  der  Entdeckung  jener 
Üniversalthatsache  der  Entwurf  einer  Elementar-  oder 
Fundamentalwissenschaft  für  dieselbe,  welche 
Reinhold  als  Theorie  des  Vorstellungsver- 
mdgens  auszuführen  gedachte.  Die  weitem  Verhand- 
lungen ergaben  indess  sehr  bald ,  dass  jenes  Princip  kein 
,iGrundsatz<<,  sondern  eine  Thatsache,  kein  an 
sich  Evidentes  und  Grundgewisses,  sondern  ein  durch  psy- 
chologische Analyse  gefundener  höchster  GattungsbegriiT 
des  Bewusstseins  sei ,  aus  welchem  man  nicht  synthetisch 
deduciren ,  sondern  in  fortgesetzter  Analyse  die  äbrigen 
Thatsachen  des  Bewusstseins  unter  ihn  einordnen  könne. 

Demnach  war  dadurch  der  nächste  Fortschritt  gesche- 
hen :  der  Begriff  eines  Einheitsprincipes,  aus  welchem  sich 
synthetisch  -  nothwendig  der  Grundgegensatz  und  die  wei- 
tem Unterschiede  des  Bewusstseins  ergeben,  war  als  For- 
derung aufgestellt.  Ebenso  hatte  Jac.  Sigism.  Beck, 
wiewohl  später,  als  der  erste  Entwurf  der  Wissenschafts- 
lehre schon  erschienen  war^  von  anderer  Seite  den  Trans- 
scendentalismus  Kants  vollendet:  das  Ding  an  sich,  die 
ausserhalb  des  Bewusstseins  fallende,  es  „aflicirende^  Ob- 
jektivität war  von  ihm  (in  dem  „einzig  jn  öglichen 
St.andpunkte,  aus  welchem  die  kritische  Phi- 


k 


der  Wisserischtililehre.  497 


losaphie  b'earthoiit  werden  innss*.  Riga  1796.) 
als  unverträglich  mit  dem  .wahren  Sinne,  der  Kan  tischen 
Philosophie^  abgewieaen  worden.  Ebenso. hatte  Kant  sA* 
ber  dnrch  den  Säte  ron  der  Einheit  der  spithetischcn  Ap« 
perception  auf  des. höchste^  allvermittelnde  Princip  im.  Be^ 
wusstsein  gedeutet  Die  Combination  von  diesen  drei  Ge- 
danken enlhielt  das  Princip  der  WissenschaOslehre ,  und 
sie  war  sich  zugleich  dies^  Entstehung'  vöfiig  bewusst; 
wie  es  Oberhaupt  der  glücklichste  und  bildungsreichsta  Zeit** 
piqikt  für  die  Fhüösi^hie  ist ,  wenn  sie  sich  stetig  und 
selbatbewusfll  entwickelt^  oder-,  falls  die  nächsten  Schritte 
des  Pfades  dch  zu  verlieren  dirohen  ^  wenn  sie  Tfid[warts 
blickend  sich  vöUig.  2u .  Orientiren  sucht  Diese  besonnene 
Reife  damaliger  Ausbildung  forderte  besonders  Rein- 
hold, weniger  durch  die  Macht  seines  Denkens ,  aber 
durch  die  Sittlichkeit  und  offene  Geradheit  seines  Forschens. 
Er  war  sogieich  bereit,  auch  einen  'ihm  selber  feindüehen 
Fortschritt  gewissenhaft  eiiizugei^en  und  empfehlend  in 
das  Publikum  einzuführen.  Selbst  seinem  spätem  Missgriffe 
mit  der  Philosophie  Bardili*s,  endlieh  seindln  Versuche, 
noch  weiter  zurdckschreitend,  durch  Krtük  der  Spradie  und 
crkennlnisstheoretischQ  Forschungen  über  das  Veriialtmss 
der  Sinnlichkeit,  und  des  Denkvermögens  eine  Vereinba- 
ning  unter  den  Philosophieen  herbeizufuhren,  lag  unstreitig 
in  dunkler  Ahnung  das  Richtige  und  gerade  Zeilgemässe 
zu  Grunde :  doch  trat  es  nie  klar  :und  vollendet ,  dai'um 
anch  nicht  zu  eigener  Befriedigutig  iur  ihn,  aus  ihm  her- 
aus. Reinhold  gehörte  zu  den  Geistdm,  wdchc  nie 
fertig  mit  sich  werdfin ,  aber  durch  die  hallungsvoUe,^  ge-^ 
wissenhafle/  Selbstbeschaidung  stets  ehlwdrdig  bleiben.  *) 


*)  Die  Urtheile  Fichte'*  über  Rein  hold  und  seine  Philoso- 
pjjie  (^Begriff  der  Wis tensehaftslehre'«.  Vorrede 
S.  VI.),  weldie  er  nie  verläugnet  hat  {▼ergl,  „  Leb  en.ti  ni^ 
Briefwechsel"  H.  273.  77.  f.  3l0-«^12.  323.)/  und  dofi 
Schellings  (Pliilos.  Schriften  S.  65.  66,)  , müssen  auch 
ieftt  nis  durchaus  bezeichnend  und  roassvoll  hier  angeführt 
U'crdfn« 

32 


496  Brsle  Gastall 


Fiehle  selber  spricIU  sich  Ober  jenea  Uebecgaag  so 
aus  (Leben  und  Qriefwedisel  II.  S*  22&) :  er  habe  bloss 
die  Bemerkung' R ei nholds^  dass  das  System  der  Philo» 
Sophie  auf  einen  hödisten,  dorch  sich  evidenten  Gnaidsalz 
ruhen  müsse,  und  Kants  Bemerkung,  der  oflfonbar  auf 
die  Subjektivität,  als  dieses  Priacip,  hingewiesen»  unter  sich 
zu  veitinden  nölhig  gehabt ,  um  die  Idee  seinw  Wissea- 
schaftslehre  zu  jEassen.  Richtig;  denn  das  in  der  Thal 
durehaus  Neue,  was  durch  Fichte  in  die  PhOoaophie 
Kam ,  der  Geist  der  Methode  ,  der  dedudrcnden  Aohiei- 
sung  der  Nolhwendlgkeit ,  von  Glied  zu  GHed  sfsthetisch 
fortzuschreilen,  war  in  der  Forderung  begriodet,  die  ganze 
Philosophie  aus  Einem  Principe  herzuleiten.  Es  war  damit 
in  die  stagnurende  Zeit  ein  Eingriff  geschehen ,  wie  durch 
Des  Cartes,  spateriiin  durch  Hegel,  und  nicht  so- 
wohl eine  besfimmte  Gestalt  des  Systenes ,  viebnehr  em 
neuer  Büdungsstandpunkt  und  Stil  des  Philosophirens  ein- 
geführt. Die  so  asigertgte  und  Andern  mitgetiieilte  Bewe- 
gung reicht  weit  hinaus  aber  das  Ziel ,  welches  der  Be- 
ginner ihr  setzte ,  und  schon  in  Fichte  hat  seine  Me- 
thode mehrere  sehr  bestimmt  zu  unterscheidende  Stadien 
des  eigenen  Systemes  hervoigebitdet 

Schon  diess  ist  bedeutungsvoll,  dass  er,  der  Erste  seit 
der  Cartesianischen  Schrift  de  methodo ,  über  den  Begriff 
der  Philosophie  als  Wissenschaft  nach  ihren  formellen  An- 
fdrdeningen  —  (Kant  hatte  nur  die  allgemeine  Möglich- 
fceit  derselben  zu  untersuchen  sich  vorgesetzt)  —  selber  phi- 
losophirte.  Es  ist  geschehen  in  der  Schrift:  „üb  er  den 
Begriff  der  Wissenschaftslehre  oder  der  so- 
genannten Philosophie«'  (1794.  2te  Aufl.  1798.)- 
Hierin  wird  aus  dem  allgemeinen  Begriffe  der  Wissen- 
schaft, aU  einer  Gewissheit  im  Wissen,  wodurch 
ein  Umkreis  von  Sätzen  verbunden  und  zur  gleichen  Ge- 
wissheit mit  dem  Principe  der  Wissenschaft  erhoben  wer- 
de, die  Nolhwendlgkeit  nachgewiesen,  dass  es  eine  Wis- 
senschaftslehre geben  müsse:  —  die  Wissenschaft 
nämlich,  welche  den  Grund  aufzuweisen  hat,  wann  über- 


dar  WtesenschaiUlebre.  490 

hanpt  eine  solobe  (bedingfie)  Gewtesheil  In  Wissen  zu  sein 
vermöge,  dorcli  Nackweisung  desFrincipes  des  Wis^ 
sens,  setner  Urgewissbeit 

Sie  muss  daber  ein  Princip  für  sieb  selbst  beben,  . 
welcbes  weder  aus  ibr  bewiesen  werden  kann,  noch  aus  ^ 
irgend  einer  andern  Wissensohaft.  Das  Princip  isl,  weil 
es  ist ,  unbedingt  und  sugleicb  aUbedingend ;  diffoh  sich 
evident;  aber  allem  Andern  nur  durch  seine  Gegenwart 
darin  Evidenz  verleihend.  Giebt  es  daher  überhaupt  cÄn 
System  im  Wissen ;  so  giebt  es  auch<  einen  ersten ,  abso«- 
luten  Grundsatz  nnd  me  Wissenschaftslehre :  giebt  es 
diese,  bo  auch  jenen.  Auch  die  Wissenschaftslehre  kam 
nur  sein,  weil  sie  ist.  Es  ist  dies  der  unvermeidliche  Zir«- 
kei,  der  dann  immer  sich  ergiebt ,  wenn  wir  zum  Schlüsse 
gelangt  sind,  zu  der  sich  selbst  tragenden  und  in  sich  zu«- 
Tuckkehrenden  Vollendung.  Nur  die  Wissenschaftslehre  \^ 
diese  Totalit&t,  und  so  absolut  vollendet ,  weil  sie  die  ab^ 
sohlte,  in  sich  selbst  gleiche,  in  der  Anwendung  aber  on« 
endliche  Gewissheit  des  Wissen»  zu  ihrem  Principe  hatL  Sie 
ist  die  Wissenschaft  von  der  nothwendigen  Hand«* 
Inngsweise  des  menschlichen  Geistes  in  $ei^ 
ner  (dem  Inhalte  nach  unendlichen)  Freiheit  des 
Handelns. 

Desshalb  ist  nicht  mehr,  wie  bei  Reinhold,  die 
allgemeinste  Thatsache  des  Bewnsstseins ,  sondern  die 
nrsprunglicbste  Thathandlung  in  allem  Wissen  der 
Ausgangspunkt  der  Wissenscbaftslehre.  Es  ist  diese  das 
sich  selbst  setzende  und  in  allem  Setzen  mit  sich  gleich 
bleibende  Idi.  Die  Gewissfaeit  und  Nothwendigkeil  in  allem 
öbfigen  bestimmten  Wissen  ist  nur  die  Uebereinstim- 
mung  und  Sichselbsigleichheit  des  Ich  in  dieser  einzdheA 
Gestalt  seines  Stchselbslsetzens.  Somit  setzt  sich  die  Ge-^ 
setsgebung  des  Wissens  aus  dem  reinen  Ich  fort:  das 
Notbwendige,  was  in  der  Urgewissheit  (Ich  =s  Ich)  gröndef:, 
geht  in  (tie  einzeheii  Gebiete  des  Wissens  über:  ds  ist 
nur  die  Fortsetzung  und  concrete  Passung  jener  ürgewiss-* 
heit  selber.     Diese  wird  dann   aber  01\jekt   besondem* 


600  Das  absoluta  loh  in  denelben, 

Theile  der  WUsetiscIiAfblehre,  oder  eigeMr  abgesonderter 
Wissenschafteiu  (Das  VerhaUaiu»  der  Geometrie,  der  Na- 
turwissenschaft und  der  Logik  xnr  Wissenschaftalehre  hat 
Fichte  in  diesem  Sinne  besonders  abgeleitet:  ^Begriff 
der  W.  L.«  S.  42.  f.  S.  4t--Ö0.) 

Der  Schematismus  der  Wissenschallslehre  in  ihrer  frü- 
hesten Darstellung ,  nach  den  drei  möglichen  höchsten 
Grundsätzen,  —  dem  ersten,  nach  .Inhalt  und  Form  unbe- 
dingten ,  dem  zweiten ,  unbedingt  der  Form  \  bedingt  dem 
Inhalte  nach ,  dem  dritten ,  unbedingt  im  Gehalte ,  bedingt 
in  der  Form ,  —  können  wir  hier  übergehen  ,  indem  er 
gleich  in  der  zweiten  Bearbeftung  derselben  (in  deo  Ab- 
handlungen des  philosophischen  Journals  1797.)  Cailea  ge- 
lassen wurde.  Die  „zweite  Einleitung  in  die  W.L* 
giebt  dagegen  ausreichende  Rechenschaft  (eb  endaselbst, 
1797.  Bd.  L  &  327.  ff.  334.  ff.  IL  S.  36.  ff.),  wie  das  Ich 
derselben,  durch  reine,  aber  denkende  CinteUektudle') 
Selbstanschauung,  zu  gewinnen  seL 

Das  reine,  absolute  ich  ist  nur  durch  unendliche,  sidi 
selbst  setzende  Thätigkeit.  Ueber  das  Ich  kann  nicht  hin- 
ausgegaiagen  mrerden:  was  da  ist,  ist  nur  für  dasaetbe; 
und  die  Memung ,  dariiber  hinausgegangen  zu  sein ,  bebt 
sich  selbst  auf.  Alle  Realität,  wie  Gewissheit  lur  uns,  fallt 
nur  innerhalb  desselben. 

Aber  die.  unendliche  Thätigkeit  des  reinen  Ich  ist  nur 
als  begränzte  zu  denken,  wenn  es  zu  wirklicher  Selbst- 
anschauung kommen  soll.  Schranke  jener  Thätigkeit  ist 
also  das  schlechthin  zu  Fostulirende ,  damit  das  in  seiner 
Thätigkeit  ah  sich  unendliche  (hiermit  ideell^)  Ich  in  den 
Moment  wirklicher  Selbstanschauung  trete.  Das  concrete 
Ich  wird  es  nur  am  ebenso  bestimmten  Niehtich. 
Schranke,  Beschränkung  innerhalb  der  Unendliebkeit,  setzt 
aber  Theilbarkeit  der  letztem,  jede  Theilbarkeit  fer- 
ner setzt  Quantum:  Es  muss  daher  im  reinen,  absolu- 
ten Ich  ein  theilbares  Quantum  des  Ich  sowohl,  als 
des  Nichtich,  gesetzt  sein,  welches  aber  ebenso  schlecht- 
hin muss  aulgehoben,  in  seiner  Schranke  überschritten 


vorbildend  das  Pr&icip  Schelltngs  und  Hegels.      60  i 

werden  Itönnen,  ohne  dass  das  (reine)  leb  anfgeho- 
b  e  n  ist.  Das  absolute  Ich  kann  sich  nur  als  em  schlecht« 
hin  getheiltes  Ich  (unendliche  Reihe  von  Ichen),  einem  ebenso 
gelheilten  und  durchaus  bestimmten  Nichtich  gegenüber 
(Sinnen weit),  wirklich  anschauen.  Beide  sind  daher  tä 
dem  absoluten  Ich  und  durch  dasselbe  nicht  nur  über^ 
hatipt  in  unabtreiinlicher  Beziehung  zu  ein^ 
ander,  sondern  zugleich  als  schlechthin  sich  ge- 
genseitig bestimmende  gesetzt  *) 

Diess  Prittcip  nun ,  —  die  Einheit  des  Unendlichen 
und  Endlichen ,  die  es  eben  dadurch  ist ,  dass  es ,  absolut 
sich  verwirklichend ,  sich  verendlichen  muss ,  aber  jodo 
Sclbstverendlichung  überschreitend,  sich  darin  als  das  Un- 
endliche erweist,  —  diess  Princip  ist  der  Grundbegriff  des 
Absotuteii  in  den  beiden  folgenden  Systemen  gew4>rden< 
Das  reine,  absolute  Ich  F  i  e  h  t  e  's  stellt  vorbildlich  die  ab- 
solute Identilat  des  Sttbjektiyen  und  Objektiven  bei  Schel- 
lin g  dar,  welche,  ausdrücklich  als  „unendliches  SuIk- 
jdit-Objekt^  bezeichnet,  „ihrer  Natur  nach  sich  objektivirt ; 
aber  aus  jeder  Objektivität  (Endlichkeit)  nieder  hervor-  und 
in  eine  höherePotenz  der  Subjektivität  wieder  zuruck- 
trill«.  So  scheint  vielmehr  der  Begriff  der  Steigerung,  der 
Potenzen  jenes  Processes  ,  bei  S  c  h  e  1 1  i  n  g  der  specifisch 
neue  zu  sein ;  aber  auch  von  diesem  wird  sich  eine  Ana- 
logie in  der  Wissenschaflslehre  finden.  Ebenso ,  ja  noch 
entschiedener,  taudit  das  absolute  Ich  F  i  e  h  t  e  's  in  H  e- 
g  e  1  s  absoluter  Idee  mit  dem  Momente  der  unendlich  über- 
greifenden Subjektivität  wieder  auf.  Und  F  i  c  h  t  o'n  selbst 
cigriff  einmal  dor  Gedanke  (in  einem  Briefe  an  Jac  obi 


*)  Man  vergleiche  auuer  dem  entea  HauptftbedmitU  des  t  h  e  <^ 
retiBchen  TbeiU  der  W.  L.  (»^Gruadlage  des  tkeoreUschett 
W»tent<<  SL  46.  ff.)  ond  dem  J&rund  risse  Jet  Eigen- 
ihamlichen  der  W.  L.  in  Rucksicht  auf  das  theo- 
retische Vermöge n«  seine  ErlLlärungen  im  Briefwechsel 
mit  Jacobi  und  Reinhotd  (Leben  U.  S.  18L  Vd2. 
231.  32.) 


502  Das  endltche  Ich  uiul  NichiclL 

a.  a.  0.  S.  181.>,  welchen  er  nur  im  Systeme  selbst  kei- 
ner Durcharbeitung  unterwarf,  dass  das  Einzelich,  auT  em- 
pirischem Standpunkte ,  das  reine  Ich  ausser  sich  als 
€k>tt  setzen  mässe ,  mit  Hinzufügung  der  merkwürdigen 
Worte:  ^Wie  kämen  wir  auch  sonst  zu  den  Eigenschaf- 
ten, die  wir  Gott  zuschreiben,  und  uns  absprechen,  wenn 
wir  sie  nicht  doch  in  uns  fönden,  und  nur  in 
einer  gewissen  Rücksicht,  als  Individuum, 
sie  uns  absprächen?^'  Dass  aber  aus  diesem  Prin- 
cipe, so  unmittelbar  von  Kant  herkommend ,  kein  Ideal- 
realismus werden  konnte  im  vollen  Sinne ,  diess  hatte 
dann  seinen  ausreichenden  Grund,  dass  Fichte  sein  von 
dort  aus  gewonnenes  Princip  überhaupt  nur  insoweit  gul- 
lig finden  konnte,  als  die  Grundthatsache  des  Wissens  und 
der  Gewissheit  i  m  Wissen  daraus  deducirbar  sei.  Wer 
giehi  uns  denn  das  Recht,  über  das  Ich  hin- 
auszugehen? —  musste  er  fragen,  —  oder  ist,  wenn 
wir  auch  hinausgegangen  zu  sein  erachten,  das  vermeint- 
lich darüber  Liegende  nicht  dennoch  nin*  (ur  das  Ich, 
aus  welchem  Zirkel  wir  nie  herauskommen  ?  Kurz  ^  die 
Konsequenz  der  Reflexionsansicht  musste  zuerst  lur  sich 
selbst  und  vollständig  sich  durchsetzen,  und  durch  sich 
selber  überwinden.  Diess  Schauspiel  wird  uns  das  Fol- 
gende vorführen. 

In  jenem  Principe  ist  ein  Gnmdgegensatz  enthalten, 
aus  welehem  die  UrcUsjunktion  aUes  wirklichen  Wissens 
hervorgeht. 

1)  Das  Ich  setzt  sich  als  durch  ein  Nicht- 
ich bestimmt,  der  Schranke  seiner  absolu- 
ten Thätigkeit:  dicss  ist  in  höchster  Allgemeinheit 
intelligentes  Ich,  auf  das  Unmittelbarste  Ge- 
iuhl,  Siefa-Fixirlwissen  des  Ich  in  einem  gewissen,  durchaus 
bestimmten  Bildrnhalte.  Es  ist  in  jedem  Falle  der  voraus- 
zusetzende Moment  fUr  das  Folgende;  das  Ich,  bevor  es 
praktisch  werden  kann,  muss  sich  als  wirkliche  In- 
telligenz erst  ergriffen  haben:  dicss  ist  nicht  möglich, 
ohne  ihm  gegenüber  die  Schranke ,  das  Nichlich ,  als  be- 


Dm  miäche  loh  und  HlcblicL  503 

sUnoiendoi,  das  (endliche)  Idi,  ab  aeiaer  FaMtilil  sich 
bewiusles,  vorauszusetzeiu  Ohne  Objektires  kein 
Sabjekl. 

2)  Das  Ich  setzt  sich  als  bestimmend  das 
Nicht  ich;  der  ebenso  ursprünglich  mit  dem  ersten  ver- 
einigte ,  aber  sogleich  darans  resultirende  Zustand  des 
praktischen  Ich. 

Auf  dem  steten  Sichvoraussetzen  und  Sichgegensetzen 
dieser  beiden  Grondzustande  beruht  die  Organisation  des 
Bewosstseins.  Ohne  den  Gegensatz  von  Ich  und  Nichtich 
und  ohne  dasBewusstsein  gegenseitiger  Einschränkung  wäre 
gar  keines  wirklich:  denn  wirkliches  Bewusstsein  ist 
nur  ein  bestimmtes  Verhältniss  dieses  Gegensatzes.  Das 
Ich  kann  sich  gar  nicht  anders  als  wirklich  setzen  ^  denn 
durdi  das  Nichtich  bestimmt ;  diesen  Zustand  bringt  es  als 
Leiden,  Receptivitat,  Gebundenheit  in  seinem  Wissen,  zum 


So  wird  ilun  das  Nichticb  zu  Dingen  an  sich  und 
ausser  ihm.  Das  VorsteUen  der  Dinge  ausser  uns  ist 
ein  Handeln  des  Ich ,  wodurch  es  die  Realität  von  sich 
hinweg  in  die  Dinge  setzt.  Dadurch  erhalt  das  Nichtich 
für  das  Ich  selbststindige  Wirklichkeit ,  aber  nur  insorcm, 
als  das  Ich  die  an  sich  seiende  Wirklichkeit  y  die  nur  ihm 
zukommt ,  auf  jenes  überträgt.  Ausserhalb  der  Beziehung 
auf  das  Ich ,  auss^halb  dieses  Augpunktes  des  Bewusst- 
-Seins,  ist  es  ohne  alle  Bedeutung.  Diess  ist  leicht  und 
unwidersprechlich  zu  erweisen:  die  Behauptung  seines  An- 
Sichseins  schlösse  sein  Sein  für  das  Ich  aus.  Ihr 
wirkliches  Yoigestelltwerden  setzt  die  „Dinge«'  also  noth- 
wendig  innerhalb  der  Sphäre  des  Subjektiven, 
ab  Produkte  des  reinen  Ich  in  seiner  absoluten  und  un* 
endlichen  Ihätigkeit,  als  Gegenüber  dem  endlichen  Ich,  dem 
sie  dadurch  ein  vorgestelltes  Ansich  werden. 

—  Diese Sä4se—  jugen  wir  hinza  —sind  in  solcher 
Allgeroeinheit  noch  unbestimmt  und  bedürfen  der  Ausführung 
uad  nähern  Fixinug;  aber  widerlegt,  direkt  au%ehoben 
können  sie  nicht  werden.    Der  wirkliche  Gegensatz 


501  Das  theoretische  Bewtestseia  Aßs  Ich. 


swisdhen  deh  Dkiefen  ^ind  ihrem  Bewui^rtseiii,  der 
listische  oder'  dsaltotische  Gesichtspunkt ,  ist  darch  sie  fär 
immer  widerlegt.  F  ü  r  die  Intelligenz  vermag  nur  zu  sem 
das  an  sich  Intell%ible.  -^   i 

Jüehmen  wir  daher  jene  Lehre  von  der  Einwirkung 
der  äussern  Dinge  auf  das  vorstellende  Subjekt  an,  so  ist» 
nach  dem  doppelten  Gesichtspunkte,  auch  eine  doppelle 
Antwort  darauf  2u  geben : 

tDem  £inzelich  gegenfiber,  in  seiner  nnmillelbttreii, 
empirischen  Seibstgegcbenheit,  sind  sie  durchaus  unabhän- 
gig von  demselben^  gleichgebürtig  mit  ihm ,  seine  Tätig- 
keit' ursprunglich  beschrankend  und  weiter  sonach  stets 
bedingend;  —  wiewohl  in  dem  tiefsten  Grunde  der  Sache 
„wir  innner  es  selber  sind ,  die  auch  darin  handefai ,  nicht 
die  Dinge.« 

Von  dem  transscendentalen  Gesichtspunkte  aus  entdek- 
ken  wir  aber  für  beide,  als  die  schlechthin  unaiH 
trennlichen  antithetischen  Glieder  einer 
Synthesis,  indem  das  für  das  Ich  Seiende  nur  im 
Ich  sein  kann,  den  gemeinschaftlichen  Grund  im  reinen 
oder  absoluten  Ich. 

Hiermit  sind  die  beiderseitigen  Ansprüche  des  Realis- 
mus und  Idealismus  wirklich'  ausgeglichen  :  beide  wollen 
das  Problem  über  den  Zusauimenhang  der  Erkeniitniss  mit 
^em  Dinge  an  sich  lösen.  Aber  der  einseitige  (dogmati- 
sche) Realismus ,  wie  der  einseitige  (bloss  subjektive  oder 
skeptische ,  die  Welt  zum  Schein  herabsetzende)  Idealismus 
vermögen  es  nicht  ^).  Hier  ist  die  Ausgieichung  völlig  und 
gtfindlieh  erfolgt.  Der  transscendentale  Idealismus  fuhrt 
gerade  den  Beweis  dessen,  was  der  ReaHsmus  nur  behaup- 
täa  kann :  dass  wir  der  Dinge  bewusst  werden,  wie  sie 
sind;  Der  transscemJentale  Standpunkt'  vertritt  gerade 
völlig  den  realistischen;  er  ist  zugleich  empirischer 
Realismus,  und  in  diesem  Sinne  hat  sich  die  Wissen* 


*)„E£St*   £ialei.t^n9    in    ^'^    WiiiieAacliartsleliff 
von  l'^i^hte«  PhiU  Jouro.  t797.  B4.    1.  S.  37.  ff. 


Das  UieoretiMSlio  Beünmtscin  des  Ich«:  506 

sciiirfhMure  gleteh  Anfangs  ifir  ideal-Realismns  er- 
klait ;  denn  durch  sie ,  wie  sich  Fichte  an  einer  andern 
Sfetle ausdrückt,  erfolgt  ^die  ganzliche  Ausitöhnung 
der  Philosophie  mit  dem  gesundenM^nschen-- 
Terstande^.  Diess  kann  nur  betssen,  da  die  Aussagen 
des  „gesunden  Menschenverstandes^  in  keinem  Sinne  Etwas . 
philosophisch  erklaren  können^  vielmehr  selbst  das  p h i« 
losophisch  zu  Erklärende  sind:  er  wird  in  seineioi 
unmittelbaren  Bewusstsein  in  der  That  völlig  erklärt  und 
so  in  sich  zufrieden  gestellt  *) 

Die  urq)ringliehstc  Einheit  zwischen  leb  und  Nichticb, 
Bewusstsein  und  Ding,  ist  aber  das  G  e  f  fi  h  1.  Fühlen  hcissi 
unmittelbares  Bewusstsein  dieser  Beschrankung  desBildens; 
und  diese  ist  das  Ursprünglichste  im  Ich,  der  faktische 
Entstduingsgrund  des  einzelnen  Ich.    • ' 

Dass  daher  ein  Ich ,  und  ein  ihm  Entgegengesetztes 
—  Nichtich  —  sei,  geht  schlechthin  allen  Operationen  des 
Gemütbes  voraus;  sie  werden  dadurch  erst  möglich.  la 
die  Sphäre  des  empirischen  Ich  fällt  gar  kein  Grund, 
warum  das  Ich  »  Ich ,  und  das  Ding » Dkig  sem  müsse : 
auch  ist  diess  aus  jenem  Ich  nimmermehr  abzuleitw »  aus 
dem  überhaupt  sich  Nichts  ableiten  lasst:  — sondern  diese 
Entgegensetzung  ist  ihm,  als  empirischem,  absolutes  Fak- 
tum, weil  es  selber  dadurch  entsteht,  d.  h.  sich  gegeben 
wird,  es  also  faktisch  (wiewohl  wissenschaftlich  durch 
Reflexion)  nie  aufheben  kann.  Diess  sind  die  ursprüng- 
lichen, ihm  unbegreiflichenSchranken,  die  kein 
endliches  Wesen  auflieben  kaim. 

Ueber  diese  Sätze  hinaus  geht  keine  Phi- 
losophie; aber  aus  ihnen  muss  die  ganze  Philosophie 
d.  h.  das  ganze  Verfahren  des  menschlichen  Geistes ,  cnt- 
vrickelt  werden. 


*)  „Grund  riss    detBigenlii  umlichen    der  Wisseti- 
tf  chaft  sUhre*!:  2i6  Aufl.  1802.  S:i67.  169.  „Erste  Eiu- 
*   leilung««  a.  a.  O.  S.  12.  S.  46.  ff.    „Leben  n\xd  Brief- 
Wechsel««  II.  S.  181. 


506  Das  tbeoretiscke  Bewattteein  des  Ich. 

Jooeg  unprAngKche  Setsen ,  Gefenselzea 
and  Theilen  ist  nun  aber  kein  Denken,  kein  An* 
schauen,  kein  Empfinden,  kein  Begehr  en,  kein 
Fühlen  (in  dem  gewöhnlichen ,  pfailoaophischen  Snne) 
1.  s.  f.,  sondern  es  ist  die  gesammte  Thätigkeil 
.des  menschlichen  Geistes,  die  keinen  Namen  hat, 
die  im  Bewnsstsein  nie  voriKommt,  die  nn begreiflich 
ist,  weil  sie  das,  durch  alle  besondem  und  le<fi|ich  inso- 
fern einBewosstsein  bildenden  Akte  des  Gemfitfas  Bestimm- 
bare,  keinesweges  aber  ein  Bestimmtes  ist  *) 

Das  Nfthere  des  Versnchs ,  die  einzefaien  Momente  je- 
ner Gesammiheit  aus  dem  Ich  zn  dednciren ,  fibeigehen 
wir  hier,  weil  uns  diess  in  reiferer  Form  nacUier  wieder 
begegnet  Mit  dem  Vorigen  ist  aber  zugleich  schon  der 
Uebeigang  in  den  praktischen  Theil  der  Wissen- 
schaRdehre  gegeben ,  welcher  mit  dem  theoretisciien  so 
eng  verbunden  ist ,  dass  er  die  Theorie  des  Bewnsstseins 
erst  vollenden  kann.  C^Grundriss  desEigenthflmli. 
eben«  u.  s.  w.  S.  221  ff.) 

Damit  das  reine,  absolute  Ich  in  seiner  unendlichen 
Thdtigkeit  begrftnzt  werde  und  so  zum  wirklichen  Selbst- 
anschauen als  Sid>jekt-Objekt  gelange ,  wurde  der  Ansfoss 
durch  das  Nichlich,  die  Begränzung,  und  damit  die  Wech- 
selwirkung zwischen  endlichem  Ich  und  endlichem  Nichl- 
ich schlechthin  postulirt  Lässt  sich  der  Grund 
dieses  (hier  nur  posttdirten)  Anstosses  nicht  aus  dem 
Ich  selber  deduciren,  so  hat  die Wissensdiaftdekre 
kein  festes,  unerschütterliches  Fundament.  Diess  kann 
aber  nur  in  ihrem  praktischen  Theile  gefunden  werden ; 
denn  das  Ich ,  als  Intelligenz ,  wurde  überall  nur  erUärbar 
unter  Voraussetzung  der  schon  vorhandenen  Be- 
grenzung. 


')  »»Gmndlrisi  de*  Eigenthuinlicheu'«  u.  s.  w.  S.280.r. 
«.Begriff  d«r  W.  L"  Vorrede  S.  VI.  Aamerkesg  »ur  er- 
<6.ieo  Ausgabe  (nachher  wcggelaveji) ^  Lebe»  und  Brttf- 
wechseW  U.  S.  182. 


Das  prftklisclie  Bewusstseia  des  Ick*  507 

• 

Aber  das  Ich  soll  ^  aBen  sciMn  Bestimmung^eii  nach, 
sehlächthiii  durch  sich  selbst  gesetzt,  and  dem« 
Bach  unabhängig  von  ebiem  möglichen  Nichtich  sein.  Und 
doch  damit  es  diess  sei^  damit  es  dem  wahren  Begriff  (den 
immanenten  Zweck)  von  sich  erreiche,  moss  es  sieb 
selbst  gefunden  haben,  Intelligenz  geworden  sein.  In-^ 
leUigentes  Ich  setzt  unmittelbare  Abhängigkeit  vom  Nicht- 
ich, Sdiranke,  und  diess  ist  der  allgemeine  Grnndl 
dwsclben,  die  Nothwendigkeit,  die  im  BegrMb  des  Ick 
liegt ,  dass  es  iiberiiaupt  sich  verwirkliche. 

Hiermit  sind  jedoch  das  absolute  und  das  intelligente 
Ich  —  die  doch  nur  Eins  ausmachen  sollen  —  einander 
entgegengesetzt,  was  der  ursprünglichen  IdentitftI  ihroi 
Begriffes  widerspricht.  Dieser  Widerspruch  kann  nur  so 
aufgehoben  werden,  dass  das  Idi,  ursprünglich  inteliigent, 
zugleich  sich  anschauen  rauss,  als  hinwiederum  schlecht 
hin  best i mmend  das  Nichtich ,  oder  praktisch. 

Das  Nichtich  ist  sonach  nicht  blosse  Schranke,  kb« 
solutes  Fixirtsein  des  intelligenten  Ich,  sondern  Gegen« 
stand  eines  Handelns  des  Ich  auf  dasselbe ,  und  in  die- 
ser Rücksicht  die  Thätigkeit  des  Idi  zwar  bestimmend,  — 
nicht  aber  wahrhafl  begranzend ,  oder  ein  settatständigea 
Princip  des  Widerstandes  ihr  entgegenzuhalten  fihig.  I» 
der  Sinnenwelt  und  im  sinnlich  bestimmten  Ich  ist  Nichts^ 
was  dem  praktischen  Handeln  des  Ich  und  dem  Sittenge- 
bote eine  wahrhafte  Schranke  zu  sein  vermöchte ;  die  Sin- 
nenwelt ist  nur  die  durchaus  selbstlose  Sphäre  der  sittlich- 
praktischen Thätigkeit,  als  solche  durchaus  bestimmten, 
aber  an  sich  gleichgültigen  (apriori  unbegreiflichen)  Inhalts : 
nur  dass  sie  sei,  nicht  was  sie  sei,  mit  Nothwendigkeil 
erkennend  lassend.  Aber  wie  sie  auch  ist,  an  sich  sel- 
ber ist  sie  ohnmachtig,  um  Widerstand  zu  thun  dem  prak«^ 
tischen  Ich;  vielmehr  ist  jede  Gegebenheit  in  ihr  gleich 
gut,  gleich -gültig,  um  die  Sittlichkeit  daran  zn  ent-  ' 
wickeln. 

Bei  diesem  in  Bezug  auf  die  Grundwahrheit  der  gan- 
zen Weltansicht  einzig  richtigen  und  cinfech  erscböpfcndan 


506  Das  prtktische  Bewussbcia  des  Ich. 

Sfttze  iil  es  aiidi  oi  der  folgendeii  UmgeslaHong  des  Sy- 
stemes  geblieben.  Aber  wenn  die  Natur,  in  ihrem  Verhilt- 
nisse.zura  Reiche  des  Geistes  mid  seiner  Entwickhing,  in 
Wahrheit  dn  durchaos  Ohnmächtiges  bleibt  ^  und  nur  die 
Verwirldichuttgsslatte  desselben,  ein  teleologisch  ihm  Zage» 
bildetes  ist :  so  folgt  keinesweges  daraus,  dass  sie  an  sich 
selber  ein  leer  Schematisches ,  der  Vernunft  Baares  sein 
Bjlsse.  Vielmehr  muss  schon  der  grfindlich  fes^ehaltene 
Begriff  jenes  Zugebildetseins  der  Natur  für  die  Intelligenz 
auf  die  Konsequenz  fuhren ,  dass  sie  an  sich  nur  intelli- 
gentm  Wesens,  unmittelbare  Vernunft  sein  könne. 
Dennoch  hat  der  Urheber  der  Wissenschaftslehre,  die  Grösse 
sdnes  eigenen  Princips  misskennend,  sich  dieser  Konse- 
quenz nie  bequemen  wollen,  aus  einer  tief  in  der  Bildui^ 
der  Zeit  liegenden ,  in  ihm  nur  zur  Reife  gebrachten  Ab- 
kehr von  der  Natur  und  ihrem  Walten.  — 

Aber  es  ist  auch  'noch  ein  anderer ,  tiefer  liegender 
Widersprudi  im  Begriffe  des  Ich  zu  losen,  liegend  in  dem 
Gegensatze  seiner  (an  sich)  unbegränzteh,  (für  sich)  jedoch 
immer  begränzten  Natur. 

Insofern  das  Ich  unendlich  ist ,  kann  seine  Thätigkeit 
nicht  auf  die  Begränzung  gerichtet  sein ,  in  der  es  unmit- 
telbar sich  findet:  sie  kann  nur  auf  es  selbst  zurück- 
gehen. Sie  ist  unendliche  Selbstbestimmung,  als 
die  dem  Principe  nach  erste  und  ursprflngliche  Thätigkeit 
desselben.  Als  begrähzt  Thätiges ,  wie  dennoch  das  Ich 
unmittelbar  sich  findet,  ist  es  auf  seine  Schranke,  das 
Nichtich ,  gerichtet :  es  ist  in  diesem  Bezüge  o  b j  e  k  t  i  t  c 
Thätigkeit  auf  einen  sie  beschränkenden,  röckbeslim- 
menden  Gegenstand. 

Beides  ist  nur  so  vereinigt  zu  denken ,  dass  die  un- 
endliche ,  in  sich  zurückkehrende  Thätigkeit  des  Ich  sich 
zu  der  objektiven,  wie  Ursache  zur  Wiikung  verhält :  dass 
das  Ich,  in  der  endlichen  Begfränzung  seiner  Thätigkeit 
dennoch  unendlich,  sich  durch  die  erstere  zur  letzten  be- 
stunme.  Das  Ich  ist  in  dieser  Endlichkeit  un- 
endlich, well  es  über  jede  Schranke  hinaus« 


Das  praktische  Bewnsstsein  ies  Ich.  S09 

gehen  kann.  Aber  hiermil .  wird  auch  die  Oleioh-ii 
heil  (Uebereiasiimniuig)  der  nnendliolieii  und  der  objek« 
tiven  Thati^eii  gefordert,  da  in  ihr  erst  der  Fundamen- 
talwiderspruch  des  Ich  gelöst  sein  kann:  d.  h.  beide  ^s ol- 
len^ schtechlhin  gleich  sein;  das  Objekt  Sali  scUecktbiii 
za  einem  mit  dem  Subjekte  flbereinstinunenden  gemacht 
werden,  —  und  das  absolute  Ich,  gerade  mn  seines  absohi-- 
ten  Seins  willen,  ist  es,  was  diese  Uebereinstiflunmig  fordert, 
—  der  kategorische  Imperativ  Kants  (S.  240.)* 

Das  Nichtioh  kann  aber  niemals  yöllig  fibereinstimmen 
mit  dem  Ich ,  sofern  es  auch  nur  der  Form  nach  ein  dem 
Ich  Anderes  sein  soll :  mithin  ist  die  selbstbestknmende 
Thatigkeit  des  Ich  gar  kiein  Bestimmen  amr-  wirkfichen 
Gleichheit,  sondern  nur  ein  Streben  au  einem  solchen 
gleichmachenden  Bestimmen  ^  aber  ein  unendliches^ 
welches  dennoch  völlig  „rechtskräftig^  ist;  denn  es  ist 
tkurch  das  «bsohite  Setzen  des  Ich  mitgesetzt. 

Somit  ist  durch  das  Wesen  des  absohilen  Ich  selber, 
welches  sich  verwirklichen,  als  endlich  -  bestimmtes  setzen 
muss,  zugleich  gesetzt  ein  unendliches  (alternireiid 
sich  begränzendes  und  diese  Gränze  überschreitendes) 
Streben.  Diess  aber  kann  nur  stattfinden  in  Bezug  auf 
ein  mögliches  Objekt—  Weil  daher  das  unendliche 
Streben  sich  schlechthin  verwirklichen  muss ,  ist  ebenso 
schlechthin  eine  Sphäre  desselben,  die  allgemeine  Ob** 
j  e  k  t  i  V  j  t  a  t ,  gesetzt.  Das  intelligente  Ich,  nrit  der  darin 
gesetzten  Synthesis ,  ist  nur  der  Verwirklichungsmoment 
des  praktischen:  die  Sinnenwelt  hat  nu^  darin  ihren  Ab- 
leitungsgrund. 

Diess  endlich  ist  der  wahre  Deduklionspunkt  der  Ver-« 
ein%ung  zwischto  dem  intelligenten  (theoretischen)  und  dem 
absoluten  (praktischen)  Ich.  DerAnstoss  durch  das  Nicht- 
ich ist  im. endlichen  Ich  eben  schlechthin  gesetzt  durch 
das  absolute,  damit  das  absolute  Ich  in  sich  sdbst 
zur  Wirklichkeit  komme,  -—  also  strebend  (S.  242 — 266.)' 

Die ,  daraus  erfolgende  Einheit  des  Ich  mit  dem  Ob- 
jekte, in  der  es,  wie  es  sich  selbst  setzt,  ebenso. unmittelbar 


610  Einheit  boMer  lOie. 

$tdi  bevTHsal  wird;  um  der  daher  aBc^  Intelligenz  ausgeht,  hmn 
nur  bezeichnet  werden  ab  Fühlensuder  terwrimus  a  quo 
»Uer  weitem  theoretischen  BesÜmninngen.  Aber  ebenso 
unmitteiber  wird  das  Idli  sein  unendliches  Streben  fiUai, 
als  Trieb;  aber  als  auf  das  Objiekt  gerichteter  Trieb : 
der  lffrmbm$  a  quo  aller  praktischen  Bestimmungen.  —  In 
diese  Synthesis  fiillt  der  Grund  alier  Realität  Da- 
her scheint  die.  Rivalität  eines  Dinges  gerühlt  zu  werden, 
wahrend  doch  nur  das  Ich  gefühlt  wird ,  sich  fühlt  in 
seiner  unabwendbaren,  zwischen  beiden  Grondgcgensutzen 
der  Unendlichkeit  und  der  Begränzung,  dadurch  des  Ge- 
fdbls  und  des  Triebes,  schwebenden  Organisation. 

Etwas ,  das  lediglich  im  Gefühle  ist ,  ohne  dass  das 
Ich  fietner  Anschauung  desselben  sich  bewusst  wird,  noch 
bewdsst  werden  kann  ,  wird  geglaubt  An  Rea- 
lität, sowohldes  endlichen  Ich,  als  des  Nichts 
ich,  findet  lediglich  Glauben  statt,  aber  eist  hier  nach 
seinem  Principe  aufgewiesener  nothwendiger.  Das  Ich 
bleibl:  damit  eben  in "  dem  Zirkel  seines  eigenen  Wesens 
eingeschlossen,  den  es  zu  durchbrechen  niemals  vermag, 
dessen  Augpunkt  mit  allen  seinen  Konseqnenzen  die  Re- 
flexion nicht  aufhebt ,  nur  erklärt .  Fichte  hat  diess  an 
andererstelle  (Leben  und  Briefwechsel  II.  S.308.) 
sehr  bezeichnend  so  ausgedruckt:  dwss  alle  Realität  für 
uns  nur  durch  Neigung  entstehe,  —  durch  jenes  un- 
mittelbare,  unrefiektirte  Einssein  mit  dem  Gefiihle,  dessen 
wir,  auch  durch  die  Reflexion  es  aus  seinem  Grunde  be- 
greifend, uns  nicht  enischlagen  können. 

Es  ist  ganz  derselbe  Begriff,  ja  dasselbe  Wort  — 
3,G]aube  an  die  Realität^  —  dem  wir  Torber  bei 
Jacobi,  in  noch  bestimmterem ^  philosophisch  entwickel- 
terem  Bewusstsein  bei  Hume  begegneten.  Aber  bei  Bei- 
den trat  er  der  Spekulation  entgegen,  als  ein  von  ihr  un- 
erUn-bares  Faktum ,  als  Instanz  wider  sie ,  wodurch  sie 
Lügen  gestraft ,  ja  zu  Grunde  gerichtet  werde. 

Anders  in  der  Wissenschaßslehre ;  und  man  siehl, 
wie  Recht  Fichte  hatte,  Jacobi  entgegen  in  aller  Aus- 


ÜM^Ihaftes  in  diößci^Gestatt  des  Sfrtenii.       511 

drtekMeUntt  darauTfli  bMlehen^  ^tst  seine  Philo^ 
Sophie  bbenso  sehr  ihr  Wesen  im  GLanben 
habe»  ais  die  JjLCobi8che<>  tl'^ben  eCe/IL S. 306.>. 
Aber  nidit  im  Glauben,  als  einem  schlechthin  nobegreifli^ 
«hen  Faktum :  sie  dedudit  vielmehr  seine  absohite  Nelh-»- 
vrendigkeit,  ja  das  Unwideriitehlicbe  desselben,  einiget  sich 
also  völlig  mtt  ihm  und  erklärt  ihn.  Hiermit  ist  sie  alsoi, 
dem  vrissenschaftticheo  Bewusstsein  nach,  völlig  and  anab* 
liugbar  über  Jacobi  hinausgeschritten. 

Aber  die  AUeitong  jenes  „Giaubäis«  selber  mir  nach 
anderer  Seite  hin  rnivoUständig  geblieben,  und  Jacobi 
bat  mit  dvr^^hdriagendem  Blicke  (in  seinem  Sendsclircibea 
an  Fichte)  diesen  Mangel  entdeckt,  indem  er  das  Sy- 
stem als  aihilistisohes  bezeichnet  Denn  hier  in  der 
That  liegt  der  Mittelpankt  der  Ungenfige,  durch  welche  die 
damalige  Gestalt  desselben  über  sich  selbst  hinausluhrea 
nussle«  Bs  wird  von  ihm  nachgewiesen,  dass  das  Idi,  um 
sich  sdbst  setaen  zu  können,  ursprünglich  fixirt  sein  müsse 
in  iiigettd  einem  scbkchtlrin  fertigen  (sinnlich  emptriscbea) 
Bildinhalte,  —  gleichviel  wie  beschaifen  —  den  es  alsNicht«- 
ich  sich  gegenüberstellt  Sichsetzen  des  Ich ,  und  Sieh- 
setzen  in  einem  specifisch  bestimmten  Gefühle  ist  ein  ein- 
ziger, untheilbar  verbundener  Wissensakt  Das  Dasein  des 
Wissens  in  seiner  absoluten  Reflexionsform  setzt,  d.  h. 
postuli'rt  sciilechthin,  einen  absoluten  Büdinhait  Hier- 
mit wird  jedoch  der  Bildinhalt  selbst  als  nur  formeller, 
leerer,  behandelt;  denn  nur  dass  ein  solcher  sein  müsse, 
nicht  aber  was  er  ist ,  kann  in  diesem  Zusammenhange 
nachgewiesen  werdra.  Aber  die  Forderung  eines  absolu- 
ten Büdinhalles  {%r  das  Ich  erklärt  nicht  zugleich^  woher 
ein  solcher  ihm  kommen  könne:  das  Postulat  enthält  kein 
Dedidrtions  -  oder  Erklirungsprincip*  Die  Wissenschafls- 
lehre  der  ersten  Periode  ist  nickt  von  dem  Fehler  freiza- 
sprechen,  Beides  unter  einander  gemischt,  die  Nachweisung 
von  dem  Bedürfhisse  eines  solchen  Inhaltes  im  Ich,  mit  der 
Deduktion ,  der  Erklärung ,  dass  ein  solcher  sein  müsse 
und  woher  er  komme,  verwechselt  zu  haben.    Aus  dem 


613       MmgoBiaikes  in  dieser  OestaU  d^  SyslHW. 

<r6iiimi)  idi  kam  er  ebendeMMb  nicht  stMamat,  w«Q 
das  Ich.  seiner  Grundform  nach  desselben  bedarf.  Die 
wahihafte  Eo^nng  vrfire  die  gewesen,  dass  das  leb,  das 
Wissen,  sehlechthin  nicht  bloss  ans  sich  selbst  erkUii  wer- 
•dcn  könne ,  überhaupt  kein  letztes,  in  sich  selbst  riige- 
scMolisehes  Gmndfaktnm  sei ,  sondern  sich  nnr  als  Abg^ 
stönmtes ,  Zwieites ,  Principinrles^  begreifen  könne ,  als  das 
Michtabsolute  eines  Absoluten.  Diese  letztere 
Wendung  entscheidet:  der  QueU  jenes  absoluten  Bitdinhal- 
les  ist  entdeckt,  und  das  Wissen  ist  selbst  nichts  Anderes, 
als  die  absolute  Reflexions-,  Selbsterscheinnng»** 
form  für  jenen.  Der  Gegensatz  des  Subjektiv«»  und  Ob- 
jektiven ist  in  die  Einheit  dnssdben  ebenso  zusaaunenge* 
fasst,  als  sie  selber  doch  jenen  Gegensatz  nnablaasig  set- 
zen muss»  Jetzt  erst  ist  der  Idealismus  Mridirhaft  realistisch 
geworden. 

Die  WissenschaOskhre  selbst  suchte  sich  Anfangs  das 
Gestindniss  diesetr  Lücke  zu  verbergen^  indem  sie  auf  ihre 
fieehts-  und  Sittenlehre  verwi^.  Aber  sie  selbst  w«rde 
dadurch  nicht  ausgefüllt,  sondern  ihre  Entdeckung  nnr  hin- 
ausgehoben:  nach  der  gewöhnlichen  Weise,  die  sdiwaehe 
Seite  einer  Lehre  dadurch  verdecken  zu  wollen,  dass  man 
sie  an  mehrere  Stellen  vertheilL 

In  der  Rechtslehre  ist  nämlich  der  Begriff  des  Lpdi- 
.vidunms  der  fundamentale.  In  der  Sphfire  des  intelligenten 
Ich  ist  eigentlich  gar  kein  individuelles  Ich :  die  Sinnenwelt 
in  ihrer  schlechthin  fixirten  Anschaubarkeit,  die-Denkg^setze 
4n  ihrer  Aligemeingültigheit  sind  vielmehr  dasjenige,  wovor 
4dle  Individualität  zur  B^deutaugslosigkeit  verschwindet. 
Aber  das  intelligente,  an  seiner  Schranke  sich  findende, 
daran  ^u  sich  selbst  kommende  loh  ist  Q]>en  damit  nur  als 
Individuum  wirklich. .  Das  „veoiuiißige  Wesen«  kann  sich 
nicht  mit  Selbstbewosstsein  setzen  ,,  ohne  sich  (als  Indivi- 
duum), als  Eins  unter  Vielen,  gleich  Bewussten  und  gleich 
Freien,  zu  setzen. 

Hier  wird  jedoch  das  Ich  ein  individueües  nur  durch 
die  Besonderheit  der  Wirkungssphäre,   in  der  jedes  sich 


Principieh  der  Rechtslehre.  611^ 

gegeben  ist,  «—  darch  alles  Das,  was  wir  iüssere,  Na- 
tur an  ihm  nennen  können,  —  und  wo  zugleich,  durch  das 
erste  Moment  seiner  Selbstbestimmung  gegen  diese,  jedes 
folgende  bedingt  wird.  Von  einer  innerlichen,  geistig  er- 
füllten IndividnalitSt ,  wodurch  sie  die  aus  ursprünglicher 
Selbstheit  eigenthümliche  sei,  lässt  sich  nach  dem  anfSng- 
liehen  Standpunkte  der  Wissenschaftslehre  kein  Grund  an- 
geben ;  und  dennoch  ist  es  ursprüngliches  Bedürfniss,  un- 
entwickelte Grundvoraussetzung  des  Systemcs,  dem  prakti- 
schen Ich  eine  solche  durchaus  übersinnHche  Realität  zu- 
zusichern ,  indem  nach  ihm  nur  das  praktische  Ich  das 
reale  ist 

Der  Rechtslehre  faHt  es  anheim,  die  Verhaltnisse  der 
indivkiaellen Iche  zueinander  abzuleiten.  Die nothwendigen 
Bedingungen ,  unter  denen  ein  individuelles  Ich  neben  den 
andern  allein  ein  frei  sich  bestimmendes  sein  kann^  erzeu- 
gen die  Rechte  desselben:  unveräusserliche  oder 
Urreclite,  die  mit  dem  Begriffe  der  freien  Person  un- 
auflöslich mitgesetzt  sind ;  Zwangsrechte,  welche  durch 
den  Eingriff  Anderer  in  meine  Urrechte  mir  erwachsen ;' 
ich  darf  sie  zwingen,  diese  zu  ackten.  Ob  der  Fall  jener 
Verletzung  meiner  Unrechte  aber  eingetreten  ist,  kann  nur 
durch  Rechtserkenntniss  und  Richterspruch  entschieden 
werden.  Desswegen  muss  diess,  so  wie  die-Gewdhrleistung 
der  Rechte  eines  Jeden,  in  die  Hände  eines  Dritten,  Mäch-* 
tigern,  dem  Alle  vertrauen,  niedergelegt  werden:  so  ent- 
steht der  Begriff  des  Staats,  des  gemeinen  We- 
sen s.  *) 

So  ist  die  Rechtslebre  rein  gehalten  von  der  Einmi- 
schung sittlicher  Principien  und  Beweggründe,  —  eine 
Sonderong,  welche  hier  zuerst  mit  voller  Schärfe  geschah, 
und  die  sidi  Pichte  wohl  als  Verdienst  anredinen  konn- 
te**).    Auf  dem  Gebiete  des  Rechtsbegriffes  erscheinen 


*)  Grundlage  des  Naturrechts  Th.I.  S.  104—128.  Vgl* 
das  System  der  Rechtslehre  in  den  nachgelasse* 
nen  Werken  Bd.  IL   S.  500— 516- 

*')  Sjstem  der  Rechtslehre  a.  a.  Q.  S.  498. 

33 


514  Pracipi^n  der  SiUetileiiffe. 

die  Iche  sich  nur  in  absoluter  Spaltung,  ab  Indi- 
viduen. 

Der  Sittenlehre  filllt  es  nun  zu,  die  Individuell 
wieder  zur  Einheit,  xum  Bewusstsein  der  Gemeinschaft, 
zunickzufuhrea,  das  reine  Ich,  welches  Anfangs  als' all- 
gemeines Princip ,  als  Hintergrund ,  gezeigt  wurde ,  Jetzt 
auch  in  seiner  Realisirbarkeit  und  Seibstreaiisiruiig  nach- 
inweisen.  Hier  bedarf  es  eben  darum  eines  Realen, 
des  sittlichen  Willens j  der  Etwas  wiU,  »icht libmliaupl 
nur  will.  Dieser  scharfe  Gegensatz ,  an  dem  d^  Begrif 
des  reinen  Ich,  als  absoluteiiy  ^ich  bjteclien  mufiste^  trat  erst 
in  der  zweiten  Gestalt  der  Sittenlehre  hervor:  das  Reale, 
bihaltvoHe ,  jedes  Ich  eigentluiadick  IndividualisireMe  und 
d^ch  dadurch  zugleich  zur  Eiobeit  Verbindeude,  ist  das 
Bild  Gottes.  Nur  dadurch  wird  das  loh  reales 
Princip*>  — 

Obigem  zufolge  fallt  dMer  in '  den  Bereich  der  SSiten* 
lehre  ebensowohl  .die  genetische  Ableitung  des  empiriscAea 
leb  aus  deni  reinen ,  als  auch  die  Zuräckiuhnmg  des  er- 
sten! au(  dieses;.  Das  Vereistigwigsglied  des  reinen  und 
empirischen  Ich  liegt  darin,  dass  ein  Yemunftwesen  schlecht- 
hin nur  als  Individuum  sein  könne,  wiewohl  es  zuialiig  und 
durchaus  empirischen  Ursprungs  ist,  wie  jedes  Individuum 
bestimmt  sei.  Das  aber,  was  das  Ich  zum  .individuellen  nacht, 
ist  der  Wille,  die  durchaus  eigenthämliche  Selbstbestim- 
mung desselben  in  der  schlechthin  ihm  gegebenen  Sphäre 
seines  Wirkens  in  der  Sinnenwelt.  Somit  gehört  der 
Wille  selbst  zu  der  unmittelbaren  Selbstgegebenheit  des 
Ich :.  $r  ist  das  Empirische,  so  wi^  der  ^V  e  r  s  t  a  n  d«  (im 
weitesten  Sinne,  die  Intelligenz  und  das  Yorstdhingsver- 
mögea,  —  der  Augpunkt,  in  weichem  die  allgeaieine  In- 
telligenz sich  auf  individuelle  Weise  in  mir  eigreift  im 
ganzen  Contezte  der  Empirie  — X  und  der  Leib,  als  der 


*)  System   der  Sittenlehre   in  den  nachgeL  Werken 
Bd.  III.  S.  13. 14. 


Primj^eB  der  Sitt^ekre.  515 

meinige ,  die  vnteEfte  Zospiteang  des  IndividueUen ,  zu 
dieser  uiuDitlelbaren  Selbstgegebenheit  gehören. 

Aber  das  Objekt  des  Sittengesetzes,  d.  i«  dasjenige, 
worin  es  seinen  Zweck  daiigestellt  wissen  will,  ist 
c^cy eebthitt  nichts  Individnelles,  sondern  die  Yernnnft  aber- 
liappt:  in  einem  gewissen  Sinne  hat  das  Sittengesetz 
sich  selbst  znm  Objekte.  Aber  diese  Selbstobjekti- 
irirong  kann  es  vermitteln  nur  dirclL  die  individuellen  Iche. 
Das  SittengesetE  ist  daher  für  diese  die  Verwirklichung 
und  Darstellung  des  reinen  Idi  in  ihnen  t  mithin  ist  es  für 
sie  des  schleehthin  allgemeine ,  wie  geoieiasann.  ^des 
Individuum  soll  schlechthin  «ich  gleich-  oder  fiberein- 
stimmend  machen  der  absoluten  Vernunft,  dem  remen  Ich. 
Diess  kann  aber  nicht  am  Einselnen  erreicht  werden,  son* 
dem  nur  in  der  Gemeinsamkeit  Aller.  Mithin  ist  zurRea- 
fisimng  des  absoluten  Soli,  des  unbedingten  Zweckes, 
als  vermittelnder  Zweck  geselzt  die  Veredlung  und 
Sitllfchkeit  Aller.  Nicht  Ick  bin. mir  Endzweck;  ich  bin 
für  mich  selbst  nur  Mittel  eines  Endzwecks ,  alle  An- 
dern zur  Sittlichkeit  zu  erheben.  Alle  Andern  ausser 
ihm  sind  dem  Individuum  Zweck,  nie  es  sich  selbst  Der 
(Sesichtspunkt,  von  welchem  aus  alle  Individuen  ohne  Aus- 
nahme letzter  Zweck  sind,  liegt  über  alles  individuelle 
Bewusstsein  hinaus.  Daher  wird  die  Vernunft)  das  reine 
Ich,  von  dem  endlichen  (intelligenten)  vich  ausser  sich  ge- 
setzt. Nor  die  gesammte  Gemeine  vernünftiger  Wesen  ist 
die  Reallsirung  der  Vernunft,  des  reinen  Ich.  Die 
Darstellung  desselben  ist  das  Ganze  der  vernünftigen  We- 
sen, die  Gemeine  der  Heiligen. 

^edem  allein  wird  vor  seinem  Selbstbewusstsein  die 
ErreidiUQg  des  Gesammtzwecks  der  Vernunft  aufgetragenj 
die  gan^  Gepneine  der  vernünftigen  Wesen  wird  von  sei- 
ner Sorge  und  Wirksamkeit  abhangig,  und  er  aUeio  ist  v^ 
Nichts  abhängig.  Jeder  wird  Gott,  so  weit  er  es 
sein  -darf ,  d.  h.  mit  Schonung  der  Freiheit  aller  Indivi- 
duen» Jeder  wird  gerade  dadurch ,  dass  seine  ganze  In- 
dividualitat verschwindet  und  vernichtet  wird,    reine  Dar- 


510  Das  reine  Ich  «  Ckm. 

Stellung  des  SUtengfeset^es  in  der  Sinnenwelt ;  eigenU 
liches  reines  Ich,  dnrch  freie  Wahl  und  Sdhsibe* 
srimmung^.  ♦) 

Hiemach  bestinimt  Fichte  an  zwei  andern  SteUen**) 
den  Gegensatz  seiner  Lehre  mil  dem  Stoicismus,  wie  mit 
der  Mystik.  Im  konsequenten  Stotcismns  wird  die  unend- 
liche Idee  des  Ich  genommen  für  das  wirkliche  Ich.  Der 
stoische  Weise  ist  aUgenugsam  und  unbeschrankt;  es 
werden  ihm  alle  Prädikate  beigel^,  die  dem  reinen  Ich 
oder  auch  Gott  zukommen.  Nach  der  stoischen  Mond  sol- 
len wir  Golt  nicht  gleich  werden,  sondern  wir  sind  selbst 
Gott.  Die  Wissenschaftslehre  unterscheidet  dagegen  das 
reine  Ich  und  das  empirische:  diess  kann  nur  darnach 
streben,  in  unendlicher  Annäherung  dem  reinen  Ich  gletch, 
mit  ihm  Eins  zu  werden. 

Damit  ist  zugleich  auch  der  i,Irrdimn  der  Mystiker* 
abgewiesen:  in  der  Form  der  sittlichen  Bestimmung  ist 
zugleich  schon  die  Unendlichkeit  des  dem  Ich  aufgegebttien 
Endzwecks  ausgesprochen:  denn  die  ganze  Erfüllung  dersel- 
ben ist  in  keiner  Zeit  möglich.  Jener  Irrthum  beruht  dar- 
auf, dass  sie  das  in  keiner  Zeit  zu  Erreichende  voTsteUen, 
als  erreichbar  in  der  Zeit,  ^ie  gänzliche  Ver- 
nichtung des  Individuum  und  Verschmelzung 
desselben  in  die  absolut  reine  Vernunftform 
oder  Gott,  ist  allerdings  letztes  Ziel  der 
endlichen  Vernunft;  nur  ist  sie  in  keiner  Zeit  mög* 
lieh.«  — 

Hier  tritt  sonach  Gott  an  die  Stelle  des  reinen  Ich; 
aus  jenem  (transscendentalen)  Augpunkte  her  sind  närolidi 
die  einzelnen  Intelligenzen,  a  I  s  einzehie,  nicht  vorhanden ; 
denn  die  empirische,  und  vom  empirischen  Stand- 
punkte aus  nothwendig  als  real  erscheinende,  Gränze  des 
Nichtich,  die  das  wirklich  bewusste  Ich  zum  individoellea 


•)  System  der  Sittenie  lire  1798.  S.  341—44. 
••)  Grund  läge  der  W.   L.    2tc  Aufl.  S.  2(i5.  Aum. ,    und  Sy- 
stem der  Sittenlehre  S.  f 94. 


Gott,  inwiefem  iitteUigeBtes  Wesen.  617 

macbt,  verschwindet  hier  vor  dem  reinen  Ich,  welches 
seine  absolute  Verwirkli  chnngsform  —  Sinnenwelt 
und  empirisches  Ich  r—  schlechthin  producirt,  mithin  andji 
das  daran  geknüpfte  Individuum. 

Aber  wiederum  kann  das  reine ,  aUgemeiiie  Ich ,  die 
Grundmibstanz  und  der  farblose  Aether  der  Intelligenz,  sich 
nur  an  einer  solchen  Brechung  zum  Bewusstsein ,  Selbst, 
verdichten:  Ich  istnur  Begranztes,  Individuum,  das  reine 
Ich  nur  wirklich  in  unendlicher  Individuation ,  der  Quell 
und  Trieb  unendlicher  Selbstyerendliichung.  Denn  es  ist 
ja  der  (falsche ,  in  seinen  Wirkungen  grundyei^erbliche) 
Lehrsatz  der  Wiasenschaftslehre ,  dass  die  Form  des 
Bewasstseins  die  Form  der  Endlichkeit  sei. 
Desswegen  ist  der  ^Gesichtspunkt^  Gottes,  des  reinen  Ich, 
abermals  nur  ein  idealer;  es  ist  da  keine  Sehe,  kein 
wirklich  schauendes  Subjekt- Objekt.  Der  Gott  ist  reine, 
ni4>er8önliche  Geistigkeit,  unendliche  Subjekt -Objektivität, 
—  und  damit  sind  wir  hier  schon  in  den  Kreis  der  spä- 
tem, verwandten  Vorstellungen  Hegels  eingeführt. 

Daraus  ergeben  sich  nun  völlig  folgerichtig  die  sonsti- 
gen Aeusserungen  in  diesem  Betreffe.  Dass  Gott  Intelli- 
genz sein  müsse ,  ist  unabläugbar ;  wie  vermöchten  wir 
selbst  es  sonst  zu  sein?  Der  Materie  nach  ist  die  „Gott-^ 
heit'^  —  (so  heisst  es  hier  sehr  bezeichnend ,  weit  öfter, 
als  ^Gott^O  —  lauter  Bewusstsein :  sie  ist  reine  Intelligenz, 
geistiges  Leben  und  Thätigkeit.  Dieses  Intelligente  aber  in 
einen  Begriff  zu  fassen  —  alles  Begreifen  setzt,  ein  Be- 
schranken, ein  Zusammenfassen  des  Begriffenen  im  Gegen- 
sätze eines  Andern,  draussen  Bleibenden,  ist  also  Verend- 
lichung  —  und  zu  beschreiben,  wie  es  von  sich  und  An- 
dern wisse,  Ist  schlechthin  unmöglich.  Unbegreiflichkeit 
gehört  zu  seinem  Wesen  *)• 


*}  Gerichtl.  Veranlwortung  gegea  die  Anklage 
des  A  th  eisiii  u$»  S.  47— 50«  A  ppella  t  i  on  aa  d  a  a 
Publikma,  S.  98.  Leben  und  Brief  we  cb»  ei  11. 
S   305. 


518  Principfett  der  Rdigiondehre. 

In  jener  Theorie  und  den  über  sie  g^pfio^fenen  .Debat- 
ten ist  nun  eine  Analogie  und  gewisser  Maassen  ein  Vor- 
spiel gegeben  von  den  Verhandiongen  Aber  die  Persönlicb- 
keil  Gottes,  deren  Begriff  Einige  im  Uege Ischen  Systeme 
finden,  Andere  in  Abrede  stellen.  Audi  hier  nämlich^  me 
in  der  Wissenschaftslehre,  isl  eine  doppelte  Aoslegimg  nicbt 
gerade  ausznschliessen«  Dabei  jedoch  an  ein  absichtsvolles 
Sichverstecken  der  Philosophen  zu  denken  und  sie  eines 
Verhehlens  ihrer  wahren  Meinang  verdichtig  zu  halten, 
zeigt  die  tiefste  Unkuttde  .von  dem  Wesen  der  aus  sich 
selbst  sich  fortbestimmenden  Spekulation.  Solche  Ungewiss- 
heil  und  Vieldeutigkeit  zeigt  sicherlich  auf  die  Stelle ,  an 
welcher  das  System  sich  nicht  genögt;  und  die  Aufhebung 
jener  Vieldeutigkeit  ist  zugleich  ein  Fortrücken  des  Syste- 
mes  selbst,  sei  es  durch  den  Urheber  desselben,  sei  es 
durch  einen  Andern.  Zuhiebst  jedoch  kann  über  sich 
selbst  und  seine  unmittelbare  Evidenz  keui  Philosoph 
hinaus. 


Diess  war  in  ihrem  allgemeinsten  Umrisse  die  ur- 
sprüngliche Gestalt  der  Wissenschaflslehre,  wozu  sich  jedoch, 
zunichst  auf  äussere  Veranlassung,  noch  ein  anderes  Ge- 
dankenelement gesellte,  welches,  aus  unscheinbarem  An^ 
fonge  wachsend,  endlich  nöthigte,  jene  erste  Form  des 
Systemes  zu  erweitem  und  in  Betreff  der  erwähnten  Viel- 
deutigkeit sich  entschieden  abznschliessen.  Wir  meinen 
Fichte's  Ableitung  des  religiösen  Bewusstseins  in  dem 
Au&atze  .ȟber  den  Grund  unsers  Glaubens  an 
eine  göttliche  Weltregierung',  und  in  den  damit 
zusammenhangenden  Abhandlungen  ^y 

Zuerst  ist  nicht  zu  übersehen,    dass  hier  ein  neuer 


*)  Philosophisches  Journal  1798.  Bd.  VIU.  S.  1—20. 
imd  ^,aui  pitie'm  Priva  trch  reiben  im  Janner  1800*' 
ebendas.  Bd.  IX.  S.  358—390. 


PrtMJffieii  der  Iti%i«MfeUre»  6ld 

Airiaiif  febomtneii  wii»d  von  einem  «usserlialb  des  Syste- 
men Hegenden  tunkte.  Wie  tiämlich  die  Sittetoleiire  von 
der  ThatsaM^he  ausging,'  Ams  sich  im  Bewüsstsein  des 
Mensciien  die  tunötlitgting  finde,  Einiges  tn  thnn  und 
Einiges  eu  lassen,  schleciilhin  und  ohne  allen  fittssem  Zwecic, 
welche  BtsschaflenheK  setne  moralische  Natnr  zu  nennen 
sei ,  die  daher,  ab  eine  inbsolute  lliatsache ,  auch'  in  ihrer 
Nothwendigkeit  zudeduciren,  Aorgabe  der  Trans^ 
scendentalplnlosophie  ^ei  *) :  do  verhalt  Sieh  die  Philoso* 
phie  auch  zu  dem  thatsächlichen  Glauben  an  eine 
göttliche  Weltregierung.  Sie  hat  ihn  zu  erklären,  sein 
Faktum  als  ein  nöthwendiges  auTzuweisen,  keinesweges  ihn 
hervorzubringen,  was  auch  ein  vergeblicher  Versuch  whre^ 
indem  keine  Philosophie  einen  solchen  Glauben  zu  errfi«» 
sonniren  vermöchte. 

Aber  es  giebt,  nach  denPrincipien  derWisscnschafts- 
lehre,  von  der  Sinnenwelt  aus  keinen  Weg,  um  diesen 
moralischen  Glauben  zu  begründen,  seine  Existenz  zu 
erklären.  Sie  enthalt  schlechthin  Nichts,  was  auf  die 
Gegenwart  eines  moralischen  Princips  in  ihr  hindeutete. 
Durch  den  Begriff  einer  übersinnlichen  Welt  müsste 
jener  Glaube  daher  begründet  werden,  und  in  diesem  liegt 
er  auch  auf  das  Bestimmteste.  Ich  finde  mich  schlechthin 
gebunden  durch  einen  übersinnlichen  Zweck:  ich.  soll 
schlechthin  ihn  zum  Inhalte  meines  Handelns  machen.  Ich 
muss  seine  Ausführung  daher  als  schfechHiin  möglich 
setzen,  und  alle  Bedingungen  ebenso  unbedingt,  wie 
ihn,  welche  mit  jener  schlechthin  zu  setzenden  Möglichkeit 
verknüpll  sind.  Ich  muss  Beides  durchaus  nothwen- 
d  i  g  setzen  ,  weil  davon  das  einzige  wahrhaft  Unbedingte 
abhangt,  was  ich  anzuerkennen  vermag:  das  Pflicht-* 
gebot. 

-Ein  solches  unmittelbares  Setzenmüssen  heisst  aber 
^Giaube^,  hier  bestimmter  „moralischer  Glaube^. 
Der  Inhalt  dieses  Glaubens  ist*  aber  ebenso  gewiss,  wie 


*)  Syatem  der  Sitt'enieh  r«  1798.  S.  1—5. 


52Q  Pie  mofdische  Wettordbiwp 

das  Fflichtgebot  unbediqgt  ist;  4eiin<  diimfi  Mtal  imm 
aus :  beide  sind  Eins  iind  unabtrennlieh.  Und  jn  der  Auf- 
Weisung  dieser  Einheit  besteht  zuvörderst  die  Deduktioo 
dieses  Glaubens«  —  Was  ist  sodann  aber  der  InhalC 
desselben?  Die  Uebersengung  von  der  Existenz  einer 
lebendigen  und  wirkenden  moralischen  Welt- 
ordnung. „Diese  ist  selbst  Gott;  wir  bedürfen  kei- 
nes andern  Gottes .,  und  können  keinen  andern  fassen.* 
(„Ueber    den  Grund  unsers  Glaubens^  a.  a.  O. 

8.  150 

Wai^  Fichte  jedoch  unter  „lebendiger  moralischer 
Ordnung^  verstanden  hat,  erklärt  der  zweite  Aufsatz  („a  u  a 
einem  Privatschreiben«  a.  a.O.S.364.382.86— 89.) 
auf  das  Bestimmteste.  Der  sittliche  Wille  ist  das  einzig 
in  die  Macht  jedes  einzelnen  Vemunflwesens  Gestellte; 
dass  diese  Willen  aber  überhaupt  Erfolg  haben,  dass  so- 
dann ein  gemeinsamer  Erfolg  aus  ihnen  hervorgehe,  diess 
liegt  in  keinem. der  Yemunflwesen  für  sich,  sondern  in 
«inem  jenseits  ihrer  anzunehmenden  ,  zugleich  jedoch 
durch  sie  alle  hindurchwirkenden  sittlichen  Prin- 
cipe, einer  sittlich  ordnenden,  allgegenwärtig  , wirksamen 
Macht  »Und  in  diesem  von  allem  sittlichen  Handeln  un- 
abtrennlichen  Glauben  an  die  Wirksamkeit  jener  Macht  ist 
der  religiöse  Glaube  gegeben  in  der  einzig  reinen ,  eines 
vemünfUgen  und  sittlichen  Wesens  würdigen  Gestalt«. 

Er  vergleicht  bei  dieser  Veranlassung  seine  Religions- 
lehre mit  der  K  a  n  t  i  sehen :  wie  diese  lehrt ,  dass  aus  der 
Moralitat  eine  derselben  angemessene  Glückseligkeit  erfol- 
gen müsse;  der  Grund  dieser  Folge  aber,  das  die  letztere 
mit  jener  Vermittelnde,  nicht  der  Mensch  sein  könne, 
sondern  Gott;  wie  daher  aus  dieser  Einsicht  durch  Kant 
der  moralische  Beweis  fuir  das  Dasein  Gottes  gesichert 
werde :  ganz  in  derselben  Schlussweise  werde  von  ihm 
nachgewiesen,  wie  dasjenige,  was  den  sittlichen  Willen 
aller  Individuen  zu  einem  Gesammterfolge  vereinigt*,  was 
aus  ihnen  ein  sittliches  Weltganzes,  eine  Gemeine  der  Hei« 
ligen  hervorgehen  lässt ,  und  diese  darin  erh^alt ,  nicht  in- 


Selbstwideriegun;  detf  Systemes  daran.         B21 

Beriifilb  der  Individuen ,  fondemnvr  Aber  Ihnen  g^ 
dacht  werden  könne  (S.  282.  SS.)* 

Durch  diese  anhangsweise  Deduktion  ist  F  i  c  h  t  e  je^ 
doch  nnwiUkührlich  über  sein  Princip  im  Ich  hinau«g*e^ 
schritten :  er  hat  das  indirekte  Zeugaiss  abgelegt,  dass  es 
Bicht  genüge,  nm  das  za Erklärende,  die  Thatsachlicb«* 
keit,  daraus  herzuleiten.  Das  Ich  ist  nicht  mehr,  wiee$ 
in  der  Wissenschaftslehre  und  Sittenlehre  durchaus  er- 
schien ^  das  ernsig  Wirksame^  um  die  moraliseii« 
Welt,  die  Yerwirklichwig  des  Vemunftgemässen  in  den 
unendlichen  Ichen  hervorzubringen :  auf  das  reine  Ich^  das 
nur  in  ihnen  sich  realisirt ,  in  ihrer  Unendlichkeit  seine 
einzige  Wirklichkeit  hftt ,  kann  es  auch  nicht]  übertrag^i 
werden,  jene  lebendig  wirkende,  sittliche  Ord-^ 
nung  ausser  den  Ichen  ^Iber  tu  sein.  So  ist  und  bleibt 
sie  iur  Fichte,  wie  der  analoge  Begriff  es  für  Kant 
war,  ein  Postulat  seiner  Philosophie,  und  auch  jener 
hätte  von  diesen  Punkte  aus,  aus  demPostulate  einer 
sittlich  wirkenden  Macht  über  und  doch  in 
den  Ichen,  ebenso  wie  Kant  es  gethan,  eine  ethik<^ 
theologische  Deduktion  von  dem  Dasein  und  den  eigen- 
schaftlichen Bestimmungen  Gottes  versuchen  können,  wo-^ 
bei  auch  das  Charakteristische  der  Deduktion  gemeinsam 
gewesen  wäre,  dass  sie  im  transscendentalen  Gesichtspunkte 
geblieben  wäre,  dass  sie  nur  hätte  reichen  sollen  bis  zur 
Deduktion  der  absoluten  Gültigkeit  für  das  Ich. 
Fichte  unterliess  es,  schon  darum,  weil  diese  ganze  Auf- 
fassung nur  ein  vorübergehender  Durchgangspunkt  für  ihn 
wurde. 

Das  Bedeutendste  davon  ist  jedoch  wohl  diess,  dass 
es  abermals  der  tiefe  Begriff  der  „Ordnung^ ,  der  harmo- 
nisirenden  Macht,  der  Zweckverbindung  war,  der,  als  nicht 
zu  umgehende  Universalthatsache ,  als  Weltgrundlage  sich, 
aufdrängend,  hier  über  das  Ideallstische  deslreinen  Ich  und 
der  vereinzelten  sittlich  wollenden  Iche ,  wie  anderwärts 
über  das  PantheisKsche  einer  Weltseele  und  einer  unend- 
lich sich   individualisirenden   allgemeinen  Vernunft  hinaus*- 


&2a  tTebdrgtaf 

Meb.  Und  dien  wir  wirklich  der  imsdieiiibire  PüAi, 
an  welcliem  die  innere  Erweiterung  nnd  VairtMldmg  der 
Wissenscliafldelire  sich  anspann.  Das  Grosse  nnd  Blei- 
bende des  Standpunktes  war  jedoch  auoh  iiir  ihre  Tölgende 
Gesiak ,  ja  im  Namen  der  ganzen  Philosophie)  gewonnen: 
da.ss  die  ursprüngliche  Identitil  des  Sub- 
jektiven und  Objektiven  entdeckt  war. 

Diesen  Uebergang  und  sein  Sinnen  und  Seibs^irüfen 
•cUldert  ein  im  Jahre- 1800  geschriebener  Brief  Fichte*s 
an  Sehe  Hing  *).  Er  vermisst  an  seiner  Wissenschafls- 
lehre^  dass  ne  noch  nicht  System  der  intelligibeln 
Welt  geworden  sei.  Dazu  müsse  vor  ADem  das  Recht 
angewiesen  werden,  Aber  das  Ich  hinauszugehen. 
Dann  können  auch  jene  ursprünglichen  Beschränkungen 
—  nach  Oben  das  Gewissen,  nach  Unten  das  mate- 
rielle Gefühl  —  tiefer  erklärt  werden :  Jene  aus 
dem  Intelligibeln  als  Noumen  (oder  Gott):  die 
GelfiUe ,  welche  nur  der  niedere  Pol  des  erstem  sind,  aus 
der  Manifestation  des  Intelligibeln  im  Sinn«- 
liehen^:  (wodurch  allerdings  für  ihn  eine  grundveränderte 
Ansicht  von  der  Natur  herbeigef&hrt  worden  wäre).  — Diess 
giebt  zwei  neue  entgegengesetzte  Theile  der  Philosophie, 
die  im  transscendentalen  Idealismus  (in  der  Wissenschafts- 
lehre), als  in  ihrem  Mittelpunkte,  vereinigt  sind.  Die  end- 
liche Intelligenz,  als  Geist  (es  wäre  das  invividuelle 
Ich),  ist  die  niedere  Potenz  des  InteUigibeln,  als  Noumen : 
(es  wäre  Gott,  nicht  mehr  bloss  als.reines  Ich,  abso- 
lute  Vernunft  form,  sondern  als  Reales,  das  Bewusstsein 
Erfüllendes;  denn  die  ursprüngliche  Begränzung 
des  Gewissens  soll  daraus  hergeleitet  werden).  Die  end- 
liche Intelligenz,  als  Na t  u  r w  e  s  en ,  ist  die  höchste  Po- 
tenz des  Intelligibeln,  als  Natur.  (Der  organische  Leib 
also  würde  hier  einem  neuen  Zusammenhange  angereiht  wer* 
den ;  er  wäre ,   wie  die  Naturphilosophie  später  es  lehrte, 


*>  Leben  and  ßriefweclise  1  L  S.  415^17. 


in  die  zweite  Gestalt  Aeä  SysteoM«  623 

höchstes  Glied  in  der  Reike  der  Organisationen^  and  Ol^- 
ganismus  das  Intelligfible  in  der  Natur.) 

BedeutungsvoD  setzt  -Ficlite  hinzu:  ^Haben  Sfe  nun 
das  Subjektive  i  n  d^r  Natur  für  das  InteHigiHe,  sonach  a  us 
der  endlichen  Intelligenz*  (dem  endlichen  Ich, 
welches  ein  Nichtich  sich  gegenüber  hat)  ^gar  nicht 
Abzuleitende  genommen,  so  haben  Sie  ganz 
Recht«. 

Die  zwei  von  hier  aus  sich,  ergebenden,  durchaus  nenen 
Wissenschaften,  welche  Fichte  ankündigt,  können  mii^ 
sein:  spekulative  Gotteslehre  und  in  dieser  die 
Ableitung  des  ^ystenes  des  Intelligibeln<<  aus  Gott;  did 
andere:  Philosophie  der  Natur;  beide  vereinigt  in 
der  Wissenschaftslehre,  als  der  Ableitung  der  a  b  s  o  1  u  t  e  li 
Vernunft-  oder  Reflexionsform.  Die  Natnrpbilo« 
Sophie  hatte  aber  das  Inteiligible  in  der  Natur,  oder,  wie 
diess  S  c  h  e  1 1  i  n  g  in  seinem  Systeme  des  taansscendentalen 
Idealismus  ausgedruckt  hat:  die  Einheit  des  Mechanismus 
mid  des  Zweckes  ableiten  müssen  „aus  der  Manifestation 
des  Intelligibeln  im  Sinnlichen*,  als  seiner  niedersten 
Potenz:  eine  freilich  sehr  unausgef&hrte  Kategorie,  worin 
jedoch  der  Gedanke  wenigstens  mit  voDer  Entschiedenheit 
hindurchblickt ,  die  Natur  nicht  mehr  bloss  als  Schranke, 
als  Innenwelt  und  Nichtich,  sondern  als  Intelligenz,  nur 
in  niederster,  bewusstloser  Existenz,  zu  fassen.  *) 

Nun  ist  merkwürdig,  dass  Fichte  die  Wissenschafts«* 
lehre  nach  jener  Seite,  nach  Oben  hin,  vollendet  bat,  nicht 
aber  nach  Unten.  Das  Wort,  welches  er  sich  hier  gege- 
ben ,  die  Natur ,  als  Intelligenz  (Subjekt  -  Objekt)  in  nie- 
derster Potenz,  ans  sich  selbst  zu  erklären,  sie  zum  Prin- 
cipe ihrer  selbst  zu  machen ,  ist  unausgeffihrt  geblieben : 
so  gewiss  ist  es,  und  in  allen  Fällen  zu  bestätigen,  dass" 
ein  Philosoph  auch  spekulativ  sich  nicht  der  Individualität 
seines  Blickes  und  seiner  nrsprflnglichen  Bildung  entwin** 
den  kann:  er  vermag  nur  seine  Welt,  den  Umfang  seiiiei' 


*)  V«rgU  ob«ii  S.  508. 


5S4  y<»lilicke  anf  später  UMOiigefiikrto». 

dufcberlebten  Asschammgeii  zw  Philosophie  zu  madieB. 
Jene  ist  bei  Fichte  nur  das  Reich  dos  Geistes,  midzwar 
des  pralttischen  Geistes,  gewesen ;  in  den  Rechts-  md  sitt- 
lichen Bestimmungen  schaltet  er  als  sicher  treffender  Mei- 
ster. Daher  erkennt  er  auch  nur  die  freie  und  besonnene 
Exislenz  des  Geistes  als  die  eigentlich  reale  an:  das  an- 
bewusste  und  uawillkührliche  Walten  der  Divination,  über- 
haupt die  Intelligenz  in  der  Form  der  Unfreiheit  und  Nicfat- 
besinnuttg,  blieb  ihm  unverstanden  zur  Seite :  so  das  ästhe- 
tische Wirken  des  Genius ,  so  auch  das  damit  yerwandCe 
Wirken  der  Natur.  Aber  weit  spater  trat  ihm  diess  ganze 
Gebiet  noch  einmal  nahe ,  als  ihn  die  Erklärung  der  Er- 
fcheinongen  des. Somnambulismus  auf's  Anhaltendrte 
beschäBigte ;  und  in  seinem  Tagebuche  aus  dem  Jahre 
1813  (zum  Theil  abgedruckt  in  den  „nachgelassenen 
Werke  n«"  Bd.  HI.  S.  297-^44.)  sind  die  tiefgreifendslen 
Ansätze  gemacl|t.  (S.  301 — 304.) ,  um  jenes  der  Freiheit 
und  der  bewusstvoUen  Intelligenz  Unterliegende  and  stets 
Durchwirkende ,  den  substantiellen  Geist ,  zum  stehenden 
Begriffe  in  seinem  Systeme  zu  bringen :  er  erkennt  richtig 
und  ausdrücklich,  dass  diess  zuletzt  in  einer  andern  Ridi* 
tiingauf  einPhysiciren  des  Idealismus  hinauskoni- 
nian  wflrde  (S.  331.) ,  und  endlich  ,  dass  der  eigentiicl^ 
Zwec.kbegriff,  damit  also  auch  der  Begriff  des  Orga- 
nischen in  seinen  tiefstenVoraussetzungen,  für 
die  Wissenschaflslehre  ein  ungelöstes  Problem  geblieben  sei 
(S.  342.). 

Wie  uns  aus  seinem  Nachlasse  sichere  Spuren  vor- 
liegen ,  hatte  Fichte  früher ,  wie  später ,  ein  System  der 
Aesthetik  ^  und  der  Naturphilosophie  im  Auge ;  und  nach 
einer  mündlichen  Aeusserung  (Leben  L  S.  574.)  hoflte 
er  noch  im  vorletzten  Jahre  seines  Lebens,  wo  er  zugleich 
die  letzte  Hand  an  die  Darstellung  seiner  Lehre  legen 
wollte,  wenn  ihm  nur  ein  Lebensraum  von  zehn  Jahre 
vergönnt  sei ,  von  ihr  aus  alle  anAlem  Wissenschaften  neu 
umzugestalten.  Von  seinem  Gesichtspunkte  iur  die  Aesthe- 
tik wird  späte/  zu  sprechen  sein:   die  Ableituugsmonente 


Frincipien  m  einer  Niititrpliilofepliie.  525 

lür  die  Naturphilosophie  sind  in  seinen  (im  Winter  t812 
gehgltenen,  also  vor  den  angef&hrlen  Fragmenten  im  Tage« 
buche  fallenden)  Vorlesungen  über  die  transscenden- 
lale  Logik  (Nachgelassene  Werke,  Bd.I.  S.347 
— 364.)  enthalten:  doch  ist  eine  wesentlich  andere  Auf- 
fassung ,  als  die  firühere ,  darin  nicht  erreicht  Die  Natur 
gehört  auch  hier  nur  zum  formalen  Sein  der  Er* 
scheinung:  sie  ist  lediglich  die  an  sidi  inhaltsleere, 
nichtig  gleichgültige  ReflextbiKtät  eines  Hohem,  ebenso  wie 
es  die  ganze  unmittelbare  Selbstanschauung  des  Ich  Ist: 
aber  äe  ist  eben  darum  vollendete  Totalitil,  die  Einheit 
eines  geschlossenen  Ganzen.  -  Die  Naturknift  ist  ^her  di» 
unmittelbare  Aeusserung  des  Gesetzes  der  faktischen  An*- 
sohauung,  welche  ist,  weil  sie  ist,  zufolge  weldier  aber 
das  Mannigfaltige  notwendig  Eins  ist.  Aus  diesem 
Begriffe,  der  Grundkategorie  für  die  Natur ,  wird  die  An- 
ziehungskraft der  Materie  erklärt:  aus  der  gleichfalls,  dem 
Sein  gegenüber,  in  der  faktisdien  Anschauung  schiechW 
hin  geforderten  Form  der  Genesis,  das  Werden  und  die 
Veränderung  der  Raumtheile  gegeneinander,  wovon  dag 
einfachste   und    absolute    Beispiel    die    Bewegung  iid 

(S.  347—59.). 

Ebenso,  da  die  Einheit  des  Mannigfaltigen  nicht  bloss 
auf  die  quantitative  Znsammengesellung  der  Raumtheile 
gehen  kann,  sondern  diese  selber  zugleich  nur  als  dui%i^ 
aus  bestimmte ,  in  sinnlich  ^qualitativen  Unterschieden ,  zu 
existiren  vermögen ,  so  giebt  diess  das  allgemeine  Gesetz 
der  chemischen  Affinitäten.  —  Femer.,  indem  die 
ehemische  Anziehung,  nach  dem  abgeleiteten'  Grundgesetze 
des  Altemirens  der  vollendeten  Fakticität  und  der  Genesis, 
sich  in  der  Anschauung  gleichfalls  als  ein  Werdendes 
zeigen  muss ,  soll  diesem  Begriffe  das  Wachsen,  und, 
als  Naturprodukt,  die  Pflanze  entsprechen.  Die  Genesis 
der  Bewegung  sodann,  das  Aussichselbstanfangen  derselben, 
und  ihr  Sichlosreissen  von  dem  Allgemeinen  der  Anzie* 
hnng  als  selbstständige  Bewegungskraft ,  stoUt  sich  im 
Thierleibe  dar:    so  wie  endlich,  als  der  höchste  und 


526  ftmifieu  m  ebm  NutwpUtosopkitf. 

leMe  Ponkt  in  der  Smpme  der  ftchledllun  gegebenen  Ab- 
achaming,  eine  durch  geistiges  Wollen  hervorgebrachle,  an 
einen  dafür,  organimrien  Körper  gekifttpBe  Bewegung  und 
Selbstbeistimming,  «Is  nnmitlelhare  Aevasening  de^BegrilTes 
in  der  Genesis,  des  W  i  1 1  e  n  s.  Diese  .Erscheinung  ist  die  des 
Wenschen,  ausdrücklich  in  dieser  seiner  e m p i r is c h.en 
Erscheinfing;  „Der  Mensch  ist  in  seiner  Wurzel  Empirie; 
er  isl  aber  empirisches  Bild  des  Ich,  welches  ist  ursprüng- 
liches Bild  •  der  Birscheinmig,  welche  ist  Bild  Gottes.  Warum 
noii  das  Bild  des  kh^  (der  Mennch)  ^»gerade  so  en^irisch 
bißfltiiWit  ist,  mit  soleben  fünf  Sinnes,  dafür  ist  kein  Grand, 
md  datmf  konunt  Nichts  air^  da  das  Ganze  Iddils  ist; 
denn  der  Mensch  ist  in  dieser  flegion  durchaus  ein  leores 
Bad,  welches  anf  unendliche  Weise  anders  gebildet  sein 
kannte.  Was  Wdires  an  den  Menschen  ist,  hegt  darüber 
hinaus«  (S.  369r.-3620. 

So  soll  die  Natur ,  nach  der  aUgemeinen  Anforderang 
der  Deduktion,  Bild  des  Begriffes,. das  ans  demBe- 
gri^Te  schlechthin  AbgeHetste  sein:  dieser  Gedanke  bleibt 
jedoch  vöHig  unausgeführt;  denn  din  nähere  empirische 
Bestinunthett  soll  grundlos  «ein ,  mithin  unberührt,  wie  un- 
erreichbar vom  BegriiTe,  ein  Zufalliges,  Gleichgültiges.  Die 
einaige  AUeiUmg  ief  Natur  besteht  hier  in  dem  Beweise, 
dass  sie  unahleirbar  sei  in  ihren  einzelnen  Bestimmungen. 
Aber  die  Deduktion  zeigt  sich  anch  darin  als  völlig  miss- 
hingen, indem  nicht  einmal  die  Griknderscheinungen  des 
organischen  Lebens,  der  vegetative  und  animalische  Orga- 
nismus^, auch  nur  annähernngsweise  ihre  Begreiflichkeit 
erhalten  haben.  Wir  dürfen  diess  für  charakteristtsch  er- 
kliren :  weder  der  in  den  Schranken  der  Subjektivität  blei- 
bende Idetaiismus ,  noch  der  Realismus  ,  wie  er  sich  auf 
eine  sonst  bedeutende  und  eingreifende  Weise  im  H  e  r- 
bar Ischen  Systeme  ausgesprochen  hat ^  ebenso  wenig  die 
blos$  empirische  Erklfirungsweise ,  sind  dem  Begriffe  des 
Lebe  n  B  gewachsen :  in  ihm  tritt  ein  durchaus  ihnen  Jen- 
seitiges ,  Incomiueasurables ,  Unbegreifliches ,  als  T  h  a  ts  a- 
ohe,  entgegen. 


Uebeigang^pi^lci  537 

Wir  kehf^  svuelL  Den  Udl»ef9an^[idstand|rari4 ;  die 
Selbstndthigvner  des  Ich,  Aber  sidtL  hinanszogeh^ii ,  den 
Kreis  der  unendlichen  Retexibilität  xa.  dürchbrecheii  -*- 
die  eigentlich  spekulative  Lebensihat  der  spätem  Wissen- 
schafMehre    --*-  enthält  Ficbte's   Bestimmong   der 

Mensches  (1800.)« 

Ihr  awdtes  Bncli :   das  W  i  s  s  e  n ,   spricht  das  bish^ 

rige  idealistische  Resultat  mit  ganzer ,  absichlsvoUer  Härte 
aus:  Afles  Wissen  isl  iedigiieh  Sichwissen:  in  allem  Wis- 
sen von  etoMm  Sein  bleibe  ich  immerdar  nur  Meiner' 
sdbst  bevutet:  nur  so  lange  ich  nicht:  re&ektire  auf  mein 
BUdsein,  sendem  Bild  b in ,  kann  mur  die Tänschnng  de» 
Glanbens  an  ein  Sein  vorschweben ;  jeder  Akt  der  Reflexion 
verscheucht  sie. 

kh  weiss  überall  von  keinem  Sein;  auch  nicht  von 
meinem  eigenen:  es  ist  kein  Sein.  Ich  lEielbst  weiss 
äberhaupt  nicht,  und  bin  nicht:  Bilder  sind;  sie  sind 
das  Einsige ,  was  da  ist ,  und  sie  wissen  von  sich  nach 
Weise  der  Bilder  —  Bilder,  ohne  etwas  in  ihnen 
Abgebildetes,  ohne  Bedeutung  und  Zweck.  —  Alle 
Bealität  verwandelt  sich  in  einen  wunderbaren  Traum,  der 
in  einem  Traume  von  sich  selbst  zusammenhängt.  Das  An- 
schauen  ist  der  Traum,  das  Denken  i^  der  Traum 
von  jenem  Traume.  *) 


•)  S.  17a  f.  ^  Hiet  Mt  Migleich  ao  die  hutonfchen  fiezidia]!«^ 
gen  zn  eriaBeni,  weicht  Fichte,  im  Aage  hat  bei  dieser 
DarttflUiwg  def  trabaMendeaUlea  Idealitmof  ,,Mi  den  «ohoei- 
deodsten  AasdruclLen  and  Weadangen,  um  diess  Resultat 
▼  erhasst  zu  machen,  dem  man  sich  «^  doch  ontonrer- 
IWa  mtiss«.  Ohne  Zweifel  l^eaog  diese  sich  auf  Ja^cobi,  um 
dessen  rhetorische  Polemik  in  ihnlkhem  Slil  (in  sdhiem 
yiSondaeh reiben  an  Ftehte'^)  aufannehmen  nnd'  zu 
üheribjeten»  Ja  die  Warte  des  „Geistee««  (S»  175.):  n^un^ 
sicbüiger  !  das  nennen  deines  Gleichen  -R  u  c  hl.os  ig4 e  i  t, 
wenn  man  sich  getraot  au  sehen,  was  da  i^t^  und  ao  weit 
sieht,  als  sie  seihet;  und  dann  auch  noch  weiter:  —  glaub- 
test Du  denn,  dass  diese  Resultate  mir  weniger  bekannt  wä- 


528    zwischen  der  ersten  wid  xweiten  Gestalt  des  Systemes. 

Aber  diess  ist  die  absolvte  Natur  des  Wissens.  Wiflst 
Du  das  innere  Wesen  deines  Geistes  andern,  «nd  demen 
Wissen  anmutheh,  mehr  zu  sein,  als  eben  Wissen^  ein  Sy* 
Stern  blosser  Bilder  ?  Alles  Wissen  ist  nur  Abbildong- ;  es 
wird  in  ihm  immer  Etwas  gefordert,  was  dem  Wissen 
entspreche ;  aber  diese  Forderung  kann  durch  kein  W  i  »- 
sen  befriedigt  werden.  Wissen  ist  nidit  Realität,  eb^i 
darum  weil  es  Wissen  ist. 

Hiermit  verschwindet  aber  auch  die  Realität  der  Sin- 
nenwett,  die  als  das  Unmittelbarste  und  Gewalligste  dem 
Ich  gegenüberstand  :  die  Natumotfa^endigkeit,  deren  Sklave 
es  zu  werden  furöhiete,  ist  ihm  d>enso  damit  versdiwiin- 


ren,  und  dais  ich  nicht  so  wohl  begriffe j  als  Du,  wie  darch 
jene  Grundsätze  alle  Realität  durchaus  Temichtet  und  in  ei- 
nen Traum  Yerwancleit  werde ?^  —  Diese  Worte,  die  Jaco- 
bi'f  Polemik  in  einschneidender  Weise  Qb^raU  trafen  ottd 
angriffen,  konnte  denelhe  sogar  direkt  auf  sich  gerichtet  an- 
sehen. So  nahm  Jacobi  seinerseita.  die  Bestimmung  dea 
Menschen,  besonders  das  dritte  Buch  derselben:  Glaube 
aberschriebeu^  worin  sogar  ein  bisher  allein  ihm  zuständiges 
Gebiet  ihm  abgewonnen  zu  sein  schien,  mit  höchstem  Hiss- 
fallen  auf,  und  ergoss  sich  sogleich  mit  dem  beredtesten  Un- 
willen darüber,  eine  fast  persönliche  Antipathie  gegen  Ficbte 
bezeugend  (Reinholds  Leben  und  li  tte  r  a  riach  es 
Wirken  Ton  £.  Reinhold.  1825.  S.  ^4.  5&.) :  „Etwas 
meiner  Individualität  Widerstebenderes  giebt-  es  nicht,  als 
diese  Fichteaohe  Art,  &unst  und  Natur«*.  —  „Ich  schrieb 
einmal  an  Jemand  Über  die  Sonderbarkeit,  dass  es  nach 
Flehte  selbst  (in  seiner  Sittenlehre)  absolut  wahr  sein 
mibste,  dass  seine  Philosophie  nicht  wahr  sei.  Diess  ist  mir 
durch  dais  neue  Buch  nun  noch  recht  auffallend  gewerden.** 
Bier  entgebt  Jacobi  gerade  das,  Was  in's  Lieikt  in  setxea, 
die  Bestimmung  des  Menschen  geschrieben  war,  dass  näm- 
lich Fichte's  ganze  „Philosopbie**  niclit  bloss,  dieser  Irans- 
scendentale  Standpunit  unendlicher  Reflezibilität  sein  sollte, 
sondern  zugleich  die  Selbstwiderlegung  desselben  \  dass  sie 
also  das  Bewusstsein  der  „Unwahrheit^y  welches  J  a  €  e  b  i 
gegen -sie  behauptet,  schon  in  sich  anf|$eiio»men  hatte. 


Uebergangsp.  zwischen  d.  ersten  u.  zweiten  CTestalt  etc.    529 

den;  auch  sie  ist  nur  Produkt  des  Wissens.  Dicss  ist  das 
einzige  Verdienst  des  Transscendentalismus :  er  zerstört 
Hnd  vernichtet  den  Irrthnm.  Wahrheit  geben  kann  er  nicht; 
denn  er  ist  in  sich  selbst  absolut  leer  (S.  277.). 

Hiermit  scheint  uns  der  erste  kritische  Moment  seiner 
Selbsterkenntniss  erreicht.  Es  ist  zu  sehen ,  auf  welchem 
Wege  hier  noch  jener  „Glaube«  eingeführt  wurde,  um  die 
dem  Wissen  verschwundene  Realität  auf  wissenschaniiche 
Weise  sich  zuzuführen. 

Das  Thnn  ist  die  eigentliche  Bestimmung  des  Men- 
schen: diess  konnte,  als  das  Resultat  der  Rechts-  und 
Sittenlehre,  aufgenommen  und  tiefer  unterbaut  werden.  Das 
Thun  setzt  Zweckbegriffe.  Diese  sind  jedoch  nicht, 
wie  die  Erkenntnissbegrilfe,  Nachbilder  eines  Gegebenen, 
sondern  Vorbilder  eines  Hervorzubringenden.  Die  reelle 
Kraft  soll  ausser  ihnen  liegen  in  dem  schlechthin  Zweck- 
setzenden; die  Erkenntniss  hat  hier  nur  zuzusehen,  wie 
ans  ihm  selber,  schöpferisch ,  eine  neue  Welt  sich  entwik- 
kelt  Diess  ist  der  Punkt,  an  welchen  das  Bewusstsein 
aUer  Realität  sich  anknüpfen  muss :  meine  reelle  Thatkraft 
ist  es.  Verhalte  es  sich  mit  der  Realität  der  Sinnenwelt 
ausser  mir,  wie  es  wolle:  Realität  habe  ich:  sie  liegt  in 
mir  und  ist  mir  selbst  einheimisch.  Was  mich  nö- 
thigt  zu  denken*,  dass  ich  so  handein  solle,  pölhigt  mich 
zu  glauben ,  dass  aus  meinem  Handeln  Etwas  erfolgen 
werde,  unverloren  für  alle  künftige  Zeit  hin.  So  geht  dem 
Auge  meines  Geistes  eine  andere ,  bessere  Welt  auf,  als 
die  für  mein  sinnliches  Auge  vorhandene :  die  ewige  Welt, 
zugleich  aber  auch  als  letzter,  wahrhaft  realer,  durchaus 
von  der  Reflexion  unauflöslicher  Grund  der  sinnlichen.  In 
ihr  ist  reih  und  bloss  der  Wille,  wie  er  im  Dunkel  mei- 
nes Gemüths  vor  allen  sterblichen  Augen  verschlossen  liegt, 
erstes  Glied  einer  Kette  von  Folgen,  welches 
durch  das  ganze  unsichtbare  Reich  der  Geister  hindurch- 
lauft ,  und  es ,  nachdem  die  trennenden  Unterschiede  der 
Selbstsucht  in  den  Ichen  sich  vernichtet  haben ,  auch  in 
dem  Bewusstsein  Aller   zu  einem  einzigen  Ganzen  zusam- 

34 


530  Uebeiffflngspvnkl 

tncnrasst.  *)  Das  Absolute  ist  jetst  gefanden :  es  ist  der 
ewige  Wille,  der  durch  die  endlichen  Iche  hindurch  ack 
vollzieht,  und  diese  ebenso  zu  einer  hohem  Binheil  har- 
tnonisirt,  wie  sie  alle  in  gemeinsamen  GeßUen,  Ansdianim« 
gen,  Denkgesetzen  Eins  sind  durch  die  absolute  Veraunft- 
ibrm  des  Wissens.  Im  Hintergründe  dieser  absoluten  Form 
hatte  sich  hiermit  die  Nothwendigkeil  eines  Realen  ,  Ei^ 
lullenden ,  jene  dadurch  zur  Form  Herabsetzenden  ge- 
zeigt. Diess  Yerhällniss  wurde  nun  in  den  folgenden  EnU 
Wicklungen  der  Wissenschaftslehre  immer  bewusster  and 
unterschiedener  ausgebildet 

Die  Blicke  jedoch ,  die  von  hier  aus  noch  einmal  der 
Natur  sich  zuwendeten,  um  sie  nicht  mehr  als  blosse  ,^in- 
n  c  n  we  1 1^  und  Schranke  für  das  schlechthin  sich  fixirende 
Bewusstsein,  sondern  als  die  Verwirklichung  jenes  absolu- 
ten Willens  im  bildenden  Leben  zu  begreifen  (a.a.O. 
S.  330.  31.  35.  u.  s.  w.),  blieben  vorübergehende,  wieder 
aufgegebene  Regungen;  wir  können  lünzusetzen,  eigent- 
lich nur  in  bewussterer  Konsequenz  des  einmal  ergriffenen 
Princips :  auch  hier  sollte  das  absolut  Reale,  der  Reflexion 
Unzersetzliche ,  nur  im  Gewissen,  im  Bewusstsein  der 
Sittlichkei^t,  sich  offenbaren,  was  kaum  mit  dem  Un- 
wilikührlichen  im  Geistigen ,  am  Wenigsten  mit  dem 
Wesen  der  eigentlichen,  bewussUosen  Natur  in  Zusammen- 
hang zu  bringen  war. 

Streng  wissenschaftlich  blieb  aber  noch  inuner  das 
Recht  aufzuweisen ,  „über  das  Ich  hinauszugehen.« 
Hier  tritt  nun  der  Begriff  des  reinen  Wissens ,  der 
absoluten  Form  der  Intelligenz,  des  „reinen  Ich^, 
aus  welchem  in  der  frühern  Wissenschaftslehre  Alles  her* 
geleitet  werden  sollte,  in  die  Mitte.  In  ihm  muss  der  neue 
Vermittlungspunkt  liegen,  nach  Unten  die  verschiedenen 
Formen  der  Subjekt -Objektivität  daraus  herzuleiten,  nach 
Oben  aber  es  selbst  nicht  als  das  letzte  Princip,    sondern 


*)    Bestinimnng    des    Mflnscken     S.    383     2d0-  94.    300. 
41.   •.   w. 


xwLschen  der  ersten  u.  zweitem  GeslaU  des  Systemes.    531 

als  selber  Principiirtes ,  Form  (vgoomnov}  eines  Gestalt  in 
ibm  annehmenden,  es  durchhauchenden  Realen,  Absolu- 
ten nachzuweisen.  Es  kam  darauf  an,  das  (in  Bezug  auf 
alle  sonstigen  Gegensatze  und  Disjunktionen  in  ihm)  abso- 
lute Wissen  an  sich  selbst  als  das  Nichtabsolute  ei- 
nes Absoluten  nachzuweisen,  als  das,  wenn  es,  allem 
Andern  gegenüber,  sich  als  das  Unbedingte  fassen  muss, 
doch,  sich  selbst  in  seiner  Einheit  und  Lebenswurzel  er- 
greifend, sich  nur  als  Bedingtes  des  wahrhaft  und  zuhöchst 
Unbedingten  fassen  kann. 

Hierüber  sind  in  dem  schriftstellerischen  Nachlasse 
Fichte 's,  der  mehrere  noch  ungedmckte  Entwürfe  zu 
Vorlesungen  über  die  Wissenschaftslehre  seit  dem  Jahre 
1801  enthält,  die  verschiedensten  Wendungen  versucht, 
um  diess  Absolute,  als  ein  stichhaltendes  vor  der  zersetzen- 
den Gewalt  der  Reflexion,  zu  erhärten.  Wir  haben  bei 
der  Herausgabe  der  „Nachgelassenen  Werke^'  die  ausgear- 
beitetste  dieser  Darstellungen  gewählt  (Nachgel.  W.  Bd.  H. 
S.  89 — 314.),  zugleich  auch,  weil  diese  den  charakteristi- 
schen Wendepunkt  der  neuen  Ansicht  am  Schärfsten  aus- 
zusprechen scheint ;  überhaupt  ist  jene  Darstellung ,  übri- 
gens ebenso ,  wie  die  erste  gedruckte  Wissenschaflslehre 
(V.  J.  1794.),  auch  nur  aus  Veranlassung  von  Vorlesungen 
geschrieben,  und  für  diese  bestimmt  *),  vollkommen  werth, 
an  Energie  des  Denkens ,  wie  an  Kraft  und  Virtuosität 
vielbeweglicher  Darstellung  und  glücklicher  Blicke  der  er- 
sten Werke  zur  Seite  gestellt  zu  werden;  doch  ist  sie  nur 
das  Erzeugniss  weniger  Monate  des  Vorsommers  1804. 

Hier  wird  nun  gleich  im  Beginne  das  herkömmliche 
Hissverständniss,  die  Wissenschaftslehre  sei  blosser  Sub- 
jektivismus, „sei  auf  dem  Reflexionspunkte  hangen  geblie- 
ben<^,  auf  das  Bestimmteste  abgewiesen,  —  entscheidender 
noch  durch  die  Darstellung  ihres  wirklichen  Princips  wider- 


*)  Man  Tergleiche  eine  gelegentliche  Aeassernng  Fichte's  über 
«einen  ganzen  schri  fUteUeritchen  Charakter  (Leben  und  Brief- 
wechsel II.  S.  455.). 


A32  Zweite  Gestalt  de»  Systemen 

legt.  Die  Einheit  von  Denken  und  Sein ,  von  Subjekt 
und  Objekt,  i«t  diessPrincip,  nachweisbar  aas  sich  setzend 
die  erscheinende  Urdisjunktion  jener  beiden  auf  einander 
sich  beziehenden  Glieder,  innerhalb  derselben  eine  Mannig- 
faltigkeit anderer  untergeordneten  Disjunktionen ,  in  wc^ 
eben  allen  nur  jene  Einheit  sich  verwirklicht.  Alles 
wirkliche  Wissen  ist  daher  nur  eine  blondere,  wandel- 
bare Gestalt  dieser  stets  in  ihm  sich  durchdringenden  Ein- 
heit von  Sein  und  Denken«  Fichte  nennt  desshalb  jene 
Einheit  reines  Wissen,  Gewissheit,  oder  nach  einem  glück- 
lich, wie  uns  dünkt,  gewählten  Tropus,  reines  Liebt, 
—  das  noch  ungebrochene  Element  alles  InteUigir^is,  das 
verwirklicht  immer  ein  besondres  Verhaltniss  von  Sein 
und  Denken  zu  einander  darstellt  *). 

Aber  wie  in  diesem  Einen  Lichte  alle  Mannigfaltigkeit 
und  alle  Spaltungen  des  Bewusstseins ,  und  so  auch  der 
letzte  Dualismus  von  Subjekt  und  Objekt  sich  vernichtet 
haben ,  aber  zugleich  begreiflich  geworden  sind  in  dem 
höchsten  intuitiven  Akte  der  Wissenschaflslehre,  der  sich  in 
die  Einheit  derselben  stellt;  so  hebt  doch  dieser  Begriff  der 
Einheit,  als  des  letzten  Realen,  sich  an  sich  selbst  auf:  in 
dem  unendlich  sich  spaltenden  Uiiichte  der  Intelligenz  kann 
sich  nur  zur  Selbsterscheinung  kommen  ein  unendliches 
Sein,  —  aber  nicht  darum  ein  objektives,  wodurch 
es  auf  das  Allerbeschränkteste  Glied  einer  Disjunktion,  noch 
dazu  einer  sehr  niedrigen  und  durchaus  endlichen,  werden 
wurde,  ein  Todtes,  Abgesetztes,  und  ein  sehr  leicht  nach- 
weisbares Produkt  eines  unwillkühriichen  Objektivirens 
des  Bewusstseins,  —  vielmehr  ein  absolutes  Leben,  aber 
als  solches  nur  in  der  Form  des  Wissens  sich  selbst  er- 
greifend und  unendlich  sich  vollziehend ,  und  jene  daher 
setzeAd  als  die  absolute  Selbsterscheinungsform  tur  sich  selbst. 

Das  Absolute  kann  daher  nur  erlebt  werden  im 
Wissen ;  and  nur,  so  Du  selbst  es  lebst ,   es  in  Dir  lebt, 


)  Nacltgelaflseae    Werlie   Bd.  II.    S.    106.  114.    130.   46. 
149—51.  169.  u.  s.  w. 


Princip  desselben,  533 

wirst  Du  desselben  inne.  Nur  so  verschwindet  Dir  gründ- 
lich und  Yollstdndig  die  Reflexionsform ,  und  das  von  ihr 
untbtrennliche  Objekliviren,  somit  Ertodten,  der 
Realität  un^  des  Absoluten,  welches  jedes  im  Begfrifie  Hin- 
setzen desselben  unvermeidlich  bei  sich  fuhrt.  Denn  so-- 
fem  es  auch  die  Wissenschaftslehre  also,  wie  sie  es  muss, 
im  Begriffe  hinstellt,  hat  sie  es  ertödtet,  hatte  es  selbst  im 
Begriffe  gar  nicht  mehr ,  wenn  sie  nicht  das  Bewusstsein 
bdtte,  vom  Begriffe  desselben  zu  seinem  Leben  und  £rle<- 
ben  fortgehen  zu  müssen. 

Diess  nun  in    dem  reinen  Lichte   sich  S0lbst  ergrei- 
fende, wissende  Absolute  ist  das  —  absolute  Wissen, 
im  bestimmten  Unterschiede  von    dem  Lichte   selber  oder 
dem  reinen  Wissen.      Aber  ts  ist  selbst  (für  uns)  nicht 
im  Begriffe  oder  Abbilde ,  sondern  in    seinem  Erleben  zu 
gewinnen.    —    Darum   ist   es   nichts    Unmittelbares» 
sondern   nur   genetisch    erzeugbar.     Das    absolute 
Wissen  kann   sich  nur  anschauen ,   als  Akt  der  Selbster- 
zeugung ,    der   freien  Hat ,    von    einem   schlechthin 
vorausgegebenen  Fertigsein  des  Wissens   aus,   der 
Natur  im  weitesten  Sinne.     Die  ganze  Unendlichkeit  der 
Quantität  mit  ihren  Formen  von  Zeit  und  Raum  und  ihren 
unmittelbaren  qualitativen  Unterschieden   ist  nur  die  nach- 
zuweisende  —    und  die  Wissenschaftslehre  hat  diese  De- 
duktion zu  volliuhr^n    •*-    Grundlage  und  Bedingung  des 
eigentlichen  Daseins  und  der  Wahrheit;   mithin  an  sich 
selbst  ohne  alle  Wahrheit  und  Realität. 

(Die  nähere  Aufweisung  dieser  zum  Absoluten  teleo- 
logisch hinaufführenden  Stufen  des  Wissens,  welche  in  der 
hier  charakterisirten  Darstellung  der  Wissenschaftslehre  nur 
kurz  und  rhapsodisch  versucht  worden,  ist  mit  grosser 
Klarheil  und  ebenmässiger  Ausfiihrung  in  den  „Thatsachen 
des  Bewusstseins  enthalten  [v.  J.  1812.  nachgel.  W.  Bd.  h 
S.  400.  ff.]^  und  auf  diese ,  als  die  ^eigentliche  Quelle  da- 
für, zu  verweisen.) 

Somit  lässt  sich   das   ganze  Resultat  der  Lehre  nach 
'ihrem  damaligen  Ausdrucke  so  aussprechen:    Alles  Dasein, 


&H4  Princip  desadb&L 

schlechthin  wie  es  Namen  haben  mag,  vom  allemieder- 
sten  bis  zum  höchsten,  dem  Dasein  des  absoluten  Wissens, 
hat  seinen  Grand  nicht  in  sich  selber,  sondern  in  einem 
absoluten  Zwecke:  es  ist  der,  dass  das  absolute 
Wissen  sein  soll.  Durch  diesen  Zweck  (späterhin 
genannt  das  absolute  Gesetz  des  Erscheinens 
Gottes)  ist  alles  Uebrige  gesetzt  und  bestimmt;  und  nur 
in  der  Erreichung  dieses  Zweckes  erreicht  es  und  stdit 
es  dar  seine  eigentliche  Bestimmung. 

Nur  im  Wissen  daher,  und  zwar  im  absoluten 
Wisi^en,  ist  Werth,  mfd  aDes  Uebrige  ohne  Werfii:  — 
im  absoluten  Wissen,  nicht  in  der  Wissenschaftslehre; 
denn  auch  sie  ist  nur  der  Weg ,  und  hat  nur  den  Werth 
des  Weges ,  keinesweges  den  Werth  an  sich.  „Wer  hin- 
aufgekommen ist ,  der  kümmert  sich  nicht  weiter  um  die 
Leiter.« 

Wer  aber  von  dieser  Erkenntniss  nur  wahrhaft  er- 
griffen ist,  bei  dem  wird  sich  der  rechte  Wandel  (die 
That  und  das  sittliche  Handeln)  schon  von  selbst  ^geben: 
er  wird  nicht  unterlassen  können  zu  leuchten  mit  dem  ihm 
aufgegangenen  Lichte,  ^ur  ist  ein  Unterschied  zwischen 
dem  Rechtthun  aus  so  verschiedenen  Quellen.  Das  aus 
eigennütziger  Klugheit,  oder  aus  (Kan tischer)  Selbstach- 
tung zufolge  eines  kategorischen  Imperativs  entsprungene 
giebt  todte  und  kalte  Früchte,  ohne  Segen  für  den  Thä- 
ter,  wie  für  den  Empfanget^.  Nur  in  der  höchsten  Ein- 
sicht ist  auch  das  Rechtthun  seiner  selbst  gewiss,  und 
keines  äussern  Antriebs,  wie  keines  Lohnes,  bedürfend.  *) 

Hierin  ist  schon  vollständig  enthalten ,  was  Fichte 
in  seinen  populären  Vorlesungen,  am  fiindringendsten  in 
„der  Anweisung  zum  seligen  Leben  oder  der 
Religionslehre«  über  das  Verhfiltniss  seiner  Iliilosophie 
zur  Religion  und  zur  philo'sophischen  Erfassung  des  Christen« 
thums  ausgeführt  hat,  und  schon  in  dem  zuletzt  charakte^ 
risirten  Vortrage    über  die  Wissenschaftslehre   wird  dicss 


*)  Nachg«!.  Werke  a.  a.  O.  S.  278— -293. 


Verhältnis  der  Pöpidarscfariilen  dazu«  535 

Vcrhaitnfss  nach  allen  charakteristischen  Hanptzügen,  weicha 
in  jenen  Vorlesungen  dargestellt  sind,  kurz  angegeben  *). 
Man  hat  in  diesen  populären  Ausführungen  seiner  religiö- 
sen Weitansicht  den  höchsten  und  letzten  Standpunkt  finden 
wollen ,  in  welchen  hierin  sein  Fhilosophiren ,  wie  selbst- 
entsagend, sich  verloren  habe  ;  mit  dem  Scheine  des  Rechts, 
so  lange  seine  nachgelassenen  Werke  noch  nicht  erschie- 
nen waren :  und  bekanntlich  war  es  die  Hauptinstanz  S  c  h  e  I- 
lings  in  seiner  Streitschrift  gegen  Fichte,  dass  der 
Standpunkt ,  welchen  sein  Gegner  hier  als  den  religiösen 
verkünde,  schon  mehrere  Jahre  früher  von  ihm  in  wissen- 
schaftlicher Form  aufgestellt  worden  sei.  Aber  auch  seit 
dem  Erscheinen  des  Nachlasses  ßhrt  man  fort,  diesen  po- 
lemischen Fund  als  ausgemachte  Thatsache  zu  wiederho- 
len, und  Einer  der  Geschichtschreiber  neuerer  Philosophie, 
wiewohl  er  den  Nachlass  excerpirend  perlustrirt  zu  haben 
scheint,  schliesst  übereilt  genug  seine  Berichterstattung 
daraus  mit  der  Bemerkung*:  da  es  Fichte'n  mit  der  wis- 
senschaftlichen Deduktion  seiner  Sätze  nie  recht  habe  ge- 
lingen wollen,  so  habe  er  sich  mit  desto  grösserer  Wärme 
in  dem  religiösen  Gebiete  festgesetzt,  und  S  c  h  e  1 1  i  n  g  be- 
balte Recht,  wenn  er'  den  eigenen,  früher  gewonnenen 
wissenschaftlich€>n  Standpunkt,  zu  dem  Fichte  nur  un- 
vollkommen hinangestrebt  habe,  als  den  hohem  und  allein 
geltenden  dem  letztem  entgegen  halle.  ♦♦) 

Es  ist  Zeit ,  dass  diese  Behauptungen,  herrührend  aus 
einer  jetzt  nicht  mehr  zu  verantwortenden  Unkenntniss 
der  historischen  Urkunden,  endlich  aus  der  Geschichte  der 
Philosophie  verschwinden.      Wir  haben  den  wissenschaft- 


♦)  A.  a.  O.  S.  291.  305.  312-314. 

**)  Er  bedient  sich  dabei  des  Ausdrucks:  ,,da8«  Fichte  nur  iiiii 
Seh  e  1 1  i  nt(  sehen  Redensarten  um  sich  werfe,  ohne  den 
Kern  seiner  Gcduiiken  zu  erreichen",  Worte  Kichle's  dabei 
citireud,  die  vor  dem  Erscheinen  des  Sc  he  IM  ng sehen  Sy- 
stemes  geschrieben  sind!  Micheiet  Gesch.  der  letz- 
ten Systeme  der  Philosophie»  Bd.  U.  S.  132. 


536  '  Ueberwindimg 

liehen  Bildungsgang  Fichte's  aus  den  Jedem  sogingfi- 
chen  Quellen  bis  zu  dem  Punkte  voilsUindig  dargelegt,  wo 
er  (1806.)   mit  seinen  populären  Vorlesungen   hfervortraL 
Darin  zeigt  sich  eine  stetige ,  völlig  selbstständige 
Entwicklung  des  Identitatsprincipes ,   das  immer  schon  das 
seinigß  war^  welches    am  Ursprünglichsten  von    ihm  *iiB 
^reinen  Ich^,  der  Identität  und  dem  Urheber  des  (subjek- 
tiven) Ich  und  (objektiven)  Nichtich  nachgewiesen  wurde. 
Das  Streben  seiner  fernem  Bildung  konnte  daher  nicht 
mehr  darauf  gerichtet  sein ,    —   wie  gemeint  worden ,  — 
jenes  Princip  erst  zu  gewinnen  oder  in  seiner  wahren  Be- 
deutung sich  klar  zu  machen,  sondern  aus  dem  bloss  For- 
mellen, Nihilistischen,  ihm  eine. reale  Erfüllung  m  geben: 
die  Realität,  welche  sein  System  vorher,  in  Kantisch- 
Jacöbischer  Weise,   nur  in  einem  Glauben,  dem  re- 
flektirendcn  Wissen  gegenüber,  besessen  hatte,  ins  wissen, 
als  das  Absolute  des  Wissens  selber,  hineinzuziehen.   Vor- 
her war  seine  Philosophie  in  Wissen  und  Glauben,  in  Re- 
flexion und  fast  gewaltsames  Abweisen  derselben  gespal- 
ten; damals  hätten  ihn  jene  Vorwürfe  treffen  können,  dass 
er  vor  dem  Bedürfnisse  religiösen  Abschlusses  dem  Rechte 
der  Spekulation  Schweigen  auferlegf  habe;  gleichwohl  war 
er  sich  dieses  Jaco  bischen  Elements  in  seiner  Philosophie 
und  der  nur  äusserlichen  Umwendung  in  dasselbe  völlig  be- 
wusst.    Er  glaubte  sich  bewiesen  zu  haben  ,  dass  nor  in 
diesem  endlichen  Sic^^abwenden  von  der  Reflexion  Rettung 
vor  ihr  sei :  jenes  sich  selbst  abspiegelnde  Wissen  ist  leer, 
nur  Wer  sich  an's  Leben  dahingiebt ;  hat,  gewinnt  die  Rea- 
lität (S.  oben  S.  529.). 

Aber  diese  Beschwichtigung  des  Zwiespaltes  konnte 
selbst  damals  seinem  zur  Einheit  drängenden  Geiste  nur 
eine  vorläufige  sein:  desshalb  war  es  sein  Ringen,  die  Re- 
flexion, welche  sich  des  Identitätsprincipes  bemächtigt  halte, 
aus  sich  selbst  zu  überwinden,  allgemein  wissenschaft- 
lich das  Recht  aufzuweisen ,  ,,über  das  Ich  hinauszu- 
gehen.« 

Und  dieser  entscheidende  Wurf  ist  ihm  unwidersprech- 


des  Reflexioi»staiid)>u!ikles  dadurch.  537 

lieh  gelungen :  er  hat  dadurch  Tom  r  e  f I  e k ii  re  n  d  e  n 
Subjekte  aus  in  allgemein  wissenschaftlichem  Zusam- 
menhange den  Standpunkt  der  Identitaty  der  Imma- 
nenz der  Realität  oder  des  Absoluten  im 
Wissen,  gerechtfertigt.  Seit  Fichte  ist  es  schlechthin 
unmög^ch  geworden,  das  Absolute,  als  solches,  zu  einem 
bloss  Objektiven  im  Wissen,  einem  Gegen- 
stande desselben ,  zu  machen.  Es  kann  nur  sein ,  — 
wie  man  auch  weiter  diess  Verhaltniss  fasse ,  wo  sich  da- 
bei allerdings  auch  abstrakt  ungenügende,  und  darum  in's 
Falsche  leitende  Wendungen  einmischen  mögen ,  —  ein 
dem  Wissen  von  ihm  Immanentes :  Gott  kaim  nur  durch 
sich  selbst ,  durch  seine  Gegenwart  in  uns ,  von  uns  er^ 
kannt  werden.  Diess  ist  —  wenn  sie  darin  nur  verstan- 
den worden  wäre  —  summarisches  Resultat  der  Wissen- 
schaftslehre. Sie  ist  damit  die  spekulative  Grundlage  oder 
Rechtfertigung,  die  jede  wahre  Philosophie  (ur  sich  vor- 
aussetzt ,  die  sie  aber  nicht  bloss  a  I  s  Voraussetzung  (wie 
es  durch  Scfaeilings  intellektuelle  Anschauung  gesche- 
hen), als  ein  Vorangesteiltes  oder  Postulirtes,  gelten  lassen 
kann..  Und  es  ist  bekannt,  dass  gerade  dadurch,  indem 
Schelling  für  sein  Princip  der  Rechtfertigung  sich  über- 
hob, die  nachfolgende  Philosophie  über  ihn  hinausgehen, 
d.  h.  andrerseits  wieder  zu  Fichte  zurückkehren 
musste  ,  um  den  übersprungenen  oder  anticipirten  Moment 
aufzunehmen  und  in  den  Zusammenhang  der  Philosophie 
zu  verarbeiten:  es  ist^  was  Hegel  mit  seiner  Phänomeno- 
logie des -Geistes,  als  „ersten  Theiles  des  Syste- 
me s  der  Wissenschaft^^,  beabsichtigte.  Fichte  hat 
durch  den  historischen  Fortgang  der  Philosophie  über  Schel- 
ling hinaus  und  die  seitdem  angeregten  Fragen  die  voll- 
standigste  Genugthuung  dem  Letztem  gegenüber  erhalten. 
Feststeht  S  che  Hing  s  tiefere,  reichere,  umfassendere, 
darum  auch  freiere  und  beweglichere  Auffassung  desPrin- 
cipes  der  Identität:  aber  eben  so  haben  wir  erwiesen, 
dass  Fichte  dasselbe  Princip  besessen  habe,  in  dersel- 
ben Klarheit  und  Bedeutung ,  nur  von   der  ideellen  Seite 


638  Veriiaitntes 

es  durchführend,  dadurch  freilich  jedoch  einer  grossenBe- 
eintrfichtigung  es  preisgebend. 

Aus  diesen -GesiehtspunlKten  sind  anch  die  polemischen 
Aeusseningen  beider  Männer  gegen  einander  im  bemthei- 
len:  sofern  sie  nicht  geradesü  auf  unvollständiger  und  dess- 
halb  missverstehenden  Kenntniss  der  gegnerischen  Philosophie 
beruhen,  trifft  jede  auch  in  der  ausserlichen  Uebertreihang 
den  rechten  Punkt  des  Grundmangels  an  der  andern.  Weil 
Schelling  die  Reflexion  ausdrücklich  abwies  und  die 
genetische  Vermittlung  seines  Princips,  als  das  Unphilose- 
phische  und  Platte,  verschmähte,  kurz,  weil  er  die  &nm- 
genschaft  seiner  Vorgänger  nicht  mit  sich  fortnahm  ,  son- 
dern reaktionär  polemisch  zurückwies:  sah  Fichte  darin 
eine  Abwendung  vom  Geiste  freier  Wissenschaft,  das  ar- 
beitsscheue Zurückziehen  in  eine  dem  dunkeln  Drange  des 
Vemunftinstinktes  sich  überlassende  Subjektivität,  was  ihm 
in  der  weitern  Laufbahn  des  Verfassers  von  den  „Apho- 
rismen über  die  Naturphilosophie«  in  den  Jahr- 
büchern für  Mödicin  bis  zum  „Denkmal  für  Jacobi* 
immer   stärker  und    ungescheuter    hervorzutreten    schien. 

Um  dieses  sorglosen  Trotzes  gegen  die  Reflexton  wil- 
len musste  es  aber  Fichte'n  bedanken,  als  wenn,  aller 
Behauptungen  des  Gegentheils  unbeschadet,  der  wahre  Begriff 
der  Identität  des  Subjekt-Objektiven  von  Schelling  nicht 
erreicht  sei :  sonst  konnte  dieser  Begriff  der  Reflexion  nicht 
widersprechen,  er  musste  durch  sie  erhärtet,  aus  ihr  gewon- 
nen werden.  Der  nicht  überwundenen  ,  nur  verschmähten 
Reflexion  entgegen  bleibt  jedoch  schlechthin  nur*  die  Fomi 
des  unreflektirten  Bewusstscins,  des  blossen  Objektivi- 
rens,  sich  Gegenüberstellens  der  Realität,  übrig,  — 
dasjenige ,  welchem  Fichte  durch  sein  System  für  immer 
ein  Ende  gemacht  zu  haben  überzeugt  war.  So  konnte  er 
in  dieser  Form  und  Vortragsweise  Schellings  nur 
einen  Rückschritt  in  den  Dogmatismus  finden ,  und  (in  ei- 
ner ungedruckten  polemischen  Abhandlung)  hält  er  sein 
System  solch  eines  blossen  Objektivirens  des  Absoluten  für 
dringend  verdächtig,  übrigens  nachweisend,  wie  es  eigent- 


zwischen  Pichte  und  Schelling.  ft39 

lieh  nur  auf  der  Kunst  beruhe,  an  der  rechten  .—  Jedem 
indess  anders  beliebigen  —  Stdie  vo^  der  Reflexion  das 
Auge  zu  schliessen  und  die  Hand  aufzuihnn,  um  den  Schein 
der  Realität  und   des  Absoluten  auf  eine  Weile  festzufaal« 
len.  —  Das  polemische  Bruchstück  ist  ungedruckt  geblie» 
ben,  indem  es,  unerfreuliche  Beziehungen  vrieder  erneuernd^ 
zugleich  in   den   eigentlichen  Sinn  des  Schelling  sehen 
Systemes  nicht  einzudringen  schien.  Aber  in  den  jungsteil 
Schicksalen  und  Gegnern  desselben  wiederholt  sich   nur 
jene  Voraussagung  und  Polemik  seines  Ältesten  Gegners.  *) 
Denn  das  bloss  contemplatiTe  Elemenf  ist  in  Schel-> 
ling  durch  seine  spätere  Entwicklung  immer  stärker  und 
ausschliesslicher  hervorgetreten  r  mit  erstaunenswerther  Tiefe 
bat  er  sich  jetzt  in  die  entlegensten  und  yerschlungensten 
Gebiete  der  geschichtlichen  Wirklichkeit  versenkt,  um  wahr* 
haft  seherisch  den  Lebenspuls  und  innigsten  Geist  dersel- 
ben herauszuschauen.    Diese  Leistung  halbunwillkührlicher 
Genialität  wird  man  einst  als  eine  seiner  grössten  erken- 
nen mässen ,   und, als  völlig  werth,  der  grossen  Naturan- 
sicht zur  S^te  zu  treten,  welche  Schelling  erweckt  hat. 
Doch  kann  sie ,   um   ihrer  specifischen  Art  willen ,    keine 
eigentliche  Schule  Und  unmittelbare  Nachfolgerschaft  er- 
wecken, die  nur  aus  der  Ueberiieferung  eines  frei  und  be- 
weglich zu  entwickelnden,  mithin    auch   der  Entwicklung 
bedürftigen  Principes  ebenso  frei  erwachsen  kann,  und  so 
ist  der  spekulative  Durchgangspnnkt  unwiederbringlich  Von 
ihm  hinweg  auf   das  spätere  System    geleitet.    So  musste 
Schelling,  seinem  Genius  getreu  bleibend,  desshalb  auch 
von  der  andern  Seite  sein  Schicksal  erfüllen,  wie  Fichte^ 
seiner  Zeit  fremd  und   unverständlich    zu  werden.    Kaum 
mochte   diese  Entfremdung  sich  ändern  ,    auch  wenn  sein 
neues  System  bekannt  ist,  und  wir  halten  den  Grund  von 
Schellings  gegenwärtiger  Schweigsamkeit  aus  der  rich- 


*)  Dazu  noch  na  chgeiass  e  n  e  Werk  e  Bd.  I.  S.  460.  513. 
Bd.  II.  S.  197.  f.  331.'  Bd.  HI.  S  42.  43.  371.  ff.  Leben 
und  Briefwechs«!  Bd.  IL  S.  193.    VgL  Bd.  JL  S.  325. 


540 

Ügsten  BenrtäeStang  seines  Veriiiltnisses  zur  Gegeiiwtit 
hervoi^gpegangen.  Aber  das  tiefer  Hegende  Princip  dieser 
wissenschafUtchen  Abkehr  hat  Fichte  in  seinem  grossen 
spekulativen  Genossen ,  dessen  „wahrhaft  göttliche 
Divinationsgabe^  er  frühzeitig  bewunderte  ^,  damit 
ebenso  scharf  und  eindringlich  erkannt 

Umgekehrt  wandte  Se belli ng  gegenFichte^s  spä«» 
teres  System  die  nicht  minder  treffisnde  Bemerkung,  da^ 
Wer  das  Princip   der  Identität  des  Unendlichen  und  End. 
liehen,  die  Gegenwart  des  Absoluten  imWiriüidien,  nur  so 
einseitig  auffaslb ,  wie  es  von  Fichte  bei  seinem  ganz- 
lichen Misskennen  der  Natur  geschehen  sei,  sich  auch  dess 
verdächtig  mache ,   gleich  ursprunglich  jenen  grossen  Ge- 
danken nicht  in  freier  Sicherheit   und  voller  Vemunftge- 
wissheit  besessen  zu  haben.    S  c  h  e  1 1  i  n  g  nannte  daher  an 
anderer  Stelle  seine  Philosophie,  nicht  ohne  tiefgreifenden 
Sinn,  „eine  sich  selbst  missverstehende^.    Und   doch   war 
Grund  davon  bei  Fichte  nicht  die  fehlende  Wahrheit  des 
Principes  ,  — .  denn  Wer  hätte  es  energischer  gefasst  und 
strenger  in  seiner  ausschliessenden  Kraft  es  ausgesprochen, 
als  eben  er?    Es  war  die  absolute  Schranke  seiner  Indi- 
vidualität und  der  Studien,  welche  jene  Seite  der  Wirklich- 
keit ihm  verschloss;  und  die  Virtuosität,  zu  welcher  sieh 
in-  Fichte  die  Macht  des  selbstbesonnenen,  alles  UnwiD- 
kührliche  und  Etngeberische  unerbittlich  zur  Klarheit  hin- 
drängeaden  Denkens    ausgebildet  hatte ,   vollendete  seine 
Selbsigenuge  darin.    Wenn  daher  Seh  eil  ing  mit  bitterm 
Spotte  ihm  vorwarf,  dass  er,  falls  er's  vermochte,  die  Na- 
tur in  sich  vertilgen  würde ;  so  müssen  wir  diess  als  wah- 
*ren  und  tiefen  Ernst  für  Fichte  erkennen:  nichts  unwiil- 
kührlich  bloss  Gefühltes    oder  Erahnetes  übrig  zu  lassen^ 
den  blinden  Vemunflinstinkt,  in  der. Wissenschaft,  wie  als 
dunkeln  Leiter  der  Menschheit ,   völlig  in  die  Klarheit  des 
Begriffs  und  in  die  besonnene  Leitung   der  Vemunftkunst 
aufzulösen,  hielt  er  für  seine  eigentliche  Aufgabe,  und  das 


*)  L«ben  und  Briefwechcei  Bd.  LS.  4l5. 


zwischen  Eichte  und  Schellinif.  541 

Princip  davon  entdeckt  zu  haben,  für  die  weltgeschicht- 
liche, ja  weltnmgestaltende  That  der  Wissenschaltslehre  *). 
So  schliesse  sich  diese  vergleichende  Charakteristik 
in  der  Betrachtang  ab ,  dass  beide  grosse  Manner  zuletzi 
doch  nur  in  ihrer  starken,  aber  heterogenen  Individualität, 
die  eben  darum  jedoch  im  Einsehien.  eine  FfiUe  paralleler 
Zage  zeigt,  die  unüberwindliche  Schranke  finden  mussten, 
0m  dasselbe  Princip  in  so  entgegengesetzter  Richtung  aus- 
zubilden. 


Indem  wir  uns  dazu  binwenden,  die  letzte  Gestalt  der 
Wissenschaflsiehre  nach  dem  in  den  „n achgelassenen 
Werken^  Enthaltenen  in  ihren  Hauptzägen  darzustellen; 
muss  eine  allgemeine  litterarische  Bemerkung  vorange- 
schickt werden.  Es  ist  schon  erwähnt  worden,  dass  man 
gewohnt  ist,  unter  den  Werken  dieser  letzten  Epoche 
F.  i  c  h  t  e  's  Popularvorlesungen ,  namentlich  seine  Beligions- 
lehre,  iur  den  höchsten  Licht-  und  Gipfelpunkt  seiner  An- 
wehten zu  halten :  daran  schliesst  sich  natfirlich  und  glaub- 
haft die  Folgerung ,  dass  er  seine  höchsten  Einsichten 
überhaupt  nur  in  Form  religiöser  Anschau  besessen  habe* 

Wie  wir  jene  Aussagen  widerlegten ,  so  müssen  wir 
überhaupt  das  Urtheil  über  die  wissenschaftliche  Bedeutung 
dieser  Verlesungen  einigermaassen  herabstimmen.  Fichte 
selbst  urtheilte  so  massig  über  ihren  Werth,  dass  er  in  der 
Vorrede  zu  einer  derselben  äussert,  er  habe  nur  durch 
das  Zureden  seiner  Freunde  (was  wörtlich  wahr  ist)  über- 
haupt vermocht  werden  können,  sie  dem  Drucke  zu  über- 


*)  Wir  .dürfen  dafür  nur  an  tain  zweites  Getprach  über  mPa« 
triotismus  und  sein  Gegeniheil'*  (Nachgel.  Werke. 
Bd.  III.  S.  248 — 274)»  und  an  den  Inhalt  seiner  Staats- 
lehre (Berlin  1820.)  erinnern,  namentlich  wie  er  darin  das 
Verhältniss  der  Wissenschaft  zum  Christenthume  und  zur  Rir* 
che  festsetzte. 


543  Die  Wissenschanilehre 

geben.  Was  den  wissensehefilichen  Gdialt  vnd  Stendposkl 
seiner  Vorlesangen  ^fiber  das  Wesen  des  Gelehrten^  und 
über  die  „Religionslehre«  (1806  md  1806.)  betriflt;  so  ist 
dieser,  nicht  bloss,  wie  dort,  lemmatisch ,  wozu  die  popn- 
hre  Veranlassung  zwang,  sondern  mit  strenger  principidler 
Ableitung,  in  dem  Vortrage  über  die  IVisseBSchaRslefare 
vom  Jahre  1804  vollständig  enthalten.  Schon  damals  ver- 
mochte er  d^  religiösen  Weltanschaunng  die  wissensdiaft- 
liche  zur  Grundlage  zu  geben ;  und  der  spätere  Inhalt  der 
Nachgelassenen  Werke  (die  Vorlesungen  von  1810 — 14.) 
sind  eine  so  vollständige  Ausführung  des  Systems  von  dem 
einmal  gefassten  Standpunkte  ,  wie  man  diese  bisher  den 
firfthern  Werken  zugestanden  hat. 

Das  Grosse  und  Tiere  Jener  populären  Reden  vrar  der 
mit  voller  Inbrunst  der  Uebcrzeugung  ausgesprochene  Ge- 
danke —  den  übrigens  die  Wissenschaftslehre  von  1804 
(S.  291.)  schon  in  kürzester  Bestimmtheit  enthält,  —  dass 
wir   nur    dadurch   über   jedes  objektivirende  Bewusstseia 
und  die  daran    sich   knüpfende  Reflexion   hinausgelangen, 
der  höchsten  Realität,  Gottes,  gewiss  werden  können,  dass 
sie  selbst  in  uns  eingeht,  dass  wir  von  ihr  erfüllt,  mit  ihr 
Eins  geworden  sind.  Nur  die  L  i  e  b  e,  das  Bewusstsein  dieser 
Einheit,  über^vtndet  die  Reflexion,  ist  auch  Gewissheit,  weil 
Gegenwart  desselben.    Diess  ist  aber  allein  Religion,  nach 
dem  Chris  tenthurae  Glaube,  im  Gegensatze  mit  d^rWerk* 
heiligkeit;    und   so  ist  die    innerste  Einheit   der  "Wissen- 
Schaftslehre,  als  Lebens-  und  R  e  1  i  g  i  o  n  s  lehre   (denn 
auch  diese  Begriffe  sind  Eins),  mit  dem  Christenthume  ge- 
funden.   Das  Denken,  die  Wissenschaft ,  hat  mir  die  Auf- 
gabe, jene  empirische  Mannigfaltigkeit  und  Spaltung  zn  er- 
klären, welche  ausser  dem  Absoluten  ein  Sein  vorspiegelt, 
d.  h.   diese   als    nothwendige  Erscheinungsform   desselben 
nachzuweisen ,   wodurch  das  Eine  Absolute  in  seinem  un- 
endlichen Leben  als  alleinige  Wahrheit  zurückbleibt.  Diess 
der  summarische    Inhalt  der  Religionslehre  und  die 
dort   ausgesprochene   Bezeichnung  itires  Verhältnisses  zor 
eigentlichen  Philosophie:   dass  aber  in:  jenem  Zusammen- 


in  ihrer  aweiten  Gestalt  543 

hange  der  religiöse  Slandpnnkt  als  der  einsige  bezeichnet 
Mrerden  durfte,  welcher  die  Wahrheit  besitzt,  weil  er,  der 
Reflexton  entwachsen  oder  ursprünglich  ihr  fremd ,  in  ihr 
lebt  und  ist ,  war  vöHig  begründet ;  denn  das  spekulative 
Resultat  ist  nur  der  von  der  Reflexion  gerechtfertigte,  nacb- 
{fewiesene  Inhalt  der  Religion.  — 

Die  Hauptxüge.  des  spätem  Systemes  lassen  sich  in  die 
nachfolgenden  Sätze  zusammenfassen.  Wir  legen  dabei 
„die  Wissenschaftslehre  in  ihrem  allgemei- 
nen Umrisse«^  (Berlin  1810.)  und  die  Voriesungen  deff 
Nachlasses  zu  Grunde,  den  Gang  der  erstem  jedoch  inso- 
fern verändernd ,  als  wir  nidit ,  wie  diese ,  indem  sie  ain 
Ende  der  aufsteigenden  Entwicklung  des  Wissens  steht, 
vom  Sein  des  Absoluten  beginnen  können,  sondern 
diesen  Begrifi*  aus  dem  des  Wissens  selber  zu  vermittebi 
haben.  Dieser  rückwärtsgreifende  Gang  des  Wissens  in 
seinen  eigenen  Grund  und  Ursprung  ist  in  den  Vorlesun- 
gen „über  die  Thatsachen  des  Bewusstseins^ 
CNachgel.  Werke  Bd.  I.  S. 403  ff.)  am  Vollständigsten 
dargelegt. 

Die  Wissenschaftslehre ,  durch  eine  erlaubte  Abstrak-^ 
tion  fallen  lassend  alles  einzelne  und  bestimmte  Wissen, 
geht  von  der  Frage  aus :  was  das  Wissen ,  jenseits  aller 
seiner  Besonderheit,  in  seinem  absoluten  Wesen  sei,  un<t 
setzt  dabei  voraus,  dass,  falls  sie  dasselbe  in  seiner  Ein» 
beit  richtig  begriffen,  auch  die  mannichfaltigen  Bestim« 
mungen  desselben  sich  erschöpfend  aus  diesem  Begriflb 
werden  herleiten  lassen. 

Das  Wissen  an  sich  ist  absolutes  Bilden  zu  nennen, 
d.  h.  Vermögen,  Princip,  Bilder  zu  entwerfen.  Wir  kön»« 
nen  insofern  umfassender  sagen ,  Wissen  sei  absolutes 
Bildsein,  falls  dadurch  nur  nicht  ein  Beruhen  in  einem 
einzelnen  Bilde  oder  einer  Bildform  verstanden  wird ,  da 
jenes  n;ar  der  abstrakte  Ausdruck  seiner  Allgemeinheit  ist, 
die  im  wirklichen  Wissen  lediglich  auf  eine  bestimmte 
Weise ,  andern  Bestimmtheiten  gegenüber ,  sich  darstellen 
kann. ' —  Absolute  Form   des  Wissens  wird  aber  dasje- 


544  Dfe  WissenschaRsIehre 

nigfe  sein,  was  durch  seinen  Chamkter,  als  Bildlichkeit  Sber— 
haupt,  nothwehdigf  gegeben  ist:  und  insofern  bierin,  mit 
Allem ,  was  weiter  ans  der  absoluten  Form  des  WisseiK 
folgt ,  eine  Mannigfaltigkeit  solcher  nothwendigen  Bestim- 
liiungen  hervorgeht;  werden  wir  diese  die  Gesetze  des 
Wissens  nennen  können. 

Unmittelbar  tritt  in  ihm  die  Unterscheidung  hervor, 
dass  es,  eben  als  Bild,  sich  entgegensetzt  dem  in  ihm 
Abgebildeten,  dem  Inhalte  seines  Bildens.  Dieser 
ist  als  das  Erste,  absolut  ihmVorauszusetzende,  za 
denken,  zugleich  aber  auch,  als  dasjenige,  was  nidit  ge- 
trennt von  ihm  und  innerlich  geschieden  ,  vielmehr  nur 
als  dem  Bilden  immanent  und  für  dasselbe,  gedacht  za 
werden  vermag.  Um  also  gleich  hier  einen  für  das  Fol— 
gende  wichtigen  Satz  hervorzuheben:  ein  absolutes  Qaa-* 
le,  ein  Inhalt,  ist  dem  Wissen  schlechthin  vorauszusetzen, 
—  als  welches  sich  dieser  bei  weiterer  Entwicklung-  der 
Theorie  auch  zeigen  möge;  —  denn  es  wdre  der  offen- 
barste Widerspruch,  ein  Bilden  des  Ntctfats,  ein  leeres,  in- 
haltloses Wissen  zu  denken:  —  sodann  ist  derselbe  als 
innerlich  Eins  mit  dem  Wissen  zu  setzen ,  d.  h.  in  sei- 
nem Bilden  ganz  un4  ohne  Rückhalt  sich  dar- 
stellend, wie  er  ist,  so  dass  sein  Sein  und  sein  Bild 
nur  Dasselbige  enthalten;  —  widrigenfalls  das  Wissen 
ja  abermals  zu  einem  Bilden  des  Nichts  ,  d.  h.  zu  einem 
Nicht-Wissen  würde,  ein  Gedanke,  der  sich  selbst 
aufhebt. 

Aus  diesen  beiden  Sätzen ,  wiewohl  sie  erst  im  irei- 
tem  Verlaufe  ihre  vollständige  Bedeutung  erhalten  können, 
folgt  zunächst  doch  schon  zweierlei :  dass  das  Reale  (Sein) 
dem  Wissen  in  keinem  Sinne  ein  Objektives  zu  sein  ver- 
möge, somit  umgekehrt,  das  objektive  Sein  —  die  g^e- 
wöhnlich  sogenannten  Dinge  —  kein  wahrhaftes  Sein  sei : 
sodann  dass  das  Sein,  so  gewiss  es  ist,  eben  to  vöUig^ 
aufgehe  im  Wissen ,  so  dass  das  Sein  nur  das  schlechthin 
in  das  Bild  seiner  selbst  Eintretende,  Offenbare  und  Durch«* 
sichtige  sei^—  unbedingt  wissbar;  umgekehrt  das' Wissen, 


in  ihrer  zweiten  Gestalt.  545 

das  schlechthin  das  Sein  durchdringfende ,  in  Bildlichkeit 
auflösende ,  zwischen  beiden  aber  in  der  tiefsten  Lcbens- 
wnrzel  kein  Gegensatz  und  keine  Trennung  sei  *). 

Indem  aber  Wissen  oder  Bild  überhaupt  voraussetzt 
r^'xn  in  ihm  Abgebildetes;  ist  es  daher  nur  innerhalb 
eines  Gegensatzes,  und  als  das  £ine  Glied  dessel* 
ben  zu  begreifen ;  und  wo  nur  dieser  Charakter  der  Bild- 
hclikeit  hervortritt,  mms  auch  jener  Gegensatz,  wenn  auch 
durchaus  nicht  in  den  Fokus  dieser  Bildlichkeit  tretend, 
vorhanden  sein.  -^  Wo  aber  überhaupt  ein  Gegeosatz  statte 
findet,  ist  dieser  niur  für  eine  höhere,  formal  beide, 
als  Glieder  eines  Gegensatzes,  vereinigende,  qualitativ 
sie  einander  entgegensetzende  Einheit;  —  die  synthetische 
Einheit  einer  Trennung,  oder  die  Trennung  in  synthetischer 
Vereinigung. 

So  ist  nun,  da  Bild  nur  in  einem  Gegensatze  gedacht 
werden  kann,  damit  auch  der  Gedanke  einer  hohem  Ein- 
heit gesetzt,  weiche,  über  jenem  Gegensatze  von  Bild  und 
?iichUMld  schwebend  und  ihn  abbildend,  erst  denselben 
möglich  macht.  Diess  begründet  nun  die  allgemeine  Form 
des  Wissens,  als  solchen.  Bild  muss  daher  in  einem  hö- 
hern Bilde  als  solches  begriflTen ,  der  Exponent  seines 
Wesens  ihm  unmittelbar  hinzugefügt  werden.  Aber  indem 
diess  höhere  Bild,  diess  Bild  des  Bildes,  nicht  ein  abstrak- 
ter, unwirklicher  Gedanke ,  sondern  das  absolute  Wissen 
selbst  ist;  so  müssen  wir  sagen,  dass  das. Wissen  zu- 
gleich dieses  Bild  von  sic^,  dieser  absolute  Exponent  sei- 
nes Charakters  sei. 

Wissen  also  ist  überhaupt  (vor  allen  weitem  .Bestim- 
mungen, und  als  Gemeinschaftliches  dieselbe  umfassend) 
Bild,  das  sich  verstehet  als  Bild,  und  hieraus  ist 
die  Form  desselben  durch  analytische  Entwicklung  zu 
finden.  —  Sein  allgemeiner  Charakter  ist  daher  auf   die 


*J  Wi  ssenschaftslehre  inj  allgem.  Umrisse  S.  10— 13. 
Wiss«ii8chaft8l.  vom  J.  1812.  Bd.  Tf.  S.  .333  ff.  347-49. 
u.  s.  w. 

35 


546  Grandbegriff  des  Wissens. 

Alt  zu  bestimmen ,  dass  es  nirgends  aufgebl  im  eiafacbea 
ßild-sein,  sondern  dass  diess  Sein  durch  alle  seine 
Nomente  hindurch  begleitet  ist  von  seinem  sich 
selbst  spiegelnden  Reflexe:  Wissen  ist  absolute  Re flexi- 
b  i  I  i  t  ö  t ;  jeder  Zustand  des  Wissens  kann  wiederum  Ge* 
sehcnes  werden:  und  falls  der  objektiv irte  Bildzu- 
stand,  das  Bild-sein  desselben,  in  verschiedene  Momente 
zerfiele;  so  wäre  das  objektivirende  Bild,  als  das 
Gemeinsame  in  jenen  Momenten,  die  Einheit  derselben, 
ihr  ordnend  Zusammenfassendes;  —  und  überall  wäre  im 
(wirklichen)  Wissen ,  durch  diese  absolute  Form  bedingt, 
das  Princip  und  der  wahre  Zustand  des  Wissens  um  eine 
Stufe  höher  zusetzen,  als  es  faktisch  sich  begrciil, 
indem,  zufolge  dieser  Form ,  das  Hervorbringende  dessel- 
ben versteckt  und  ungesehen  bleibt,  und  erst  im  nachfol- 
genden Akte  der  hoher  steigenden  Reflexion  aufgedeckt 
werden  kann.  Die  Wissenschaftslehre  ist  daher  voriaiifig 
als  Auflösung  der  gesammten  möglichen  Reflexibilttit  in 
wirkliche  Reflexion ,  als  verwirklichte  Reflexibilität  zu  be- 
zeichnen *). 

Jenes  formale  Sichverstehen  als  Bild  aber  xer- 
CUU  in  einen  neuen  Gegensatz ,  dessen  beide  Uilllen  wie- 
derum schlechthin  durch  einander  bedingt  sind:  wir  un- 
terscheiden nämlich  daran  zunächst  die  Anschauung  des 
reinen  (noch  unbestimmten)  Ich,  sodann  den  dazutreteD- 
den  Begriff,  den  charakterisirenden  Exponenten  flir  je- 
nes Ich,  als  welches  bestimmte  es  sich  anzuschauen  habe. 

Was  aber  als  Mannichfaltiges  auf  diess  Ich  bezogen 
wird,  sind  insgesammt  Bilder,  die  nach  der  Jtothwendi- 
gen  Form ,  die  Jeden  Bildzustand  begleitet ,  in  einem  hö- 
heren Bilde  als  solche  begriffen  werden  mössmi:  die  ge- 
meinschaftliche  Form  daher^  in  wekher  das  leb 
dieselben  auf  sich  bezieht ,  ist ,  dass  jene  Bildlichkeit  als 
solche  verstanden  werde,  d.  h.  dass  das  Ich  sich  in  jedem 


♦)  W.  L   im  allg.  ümr.  S.  13,  W.  L.  a,  t.  O.  S.  405.  406  ft 
Vgl.  325. 


GramlbogriiT  des  >yis8en$.  547 

derselben  als  besUmmtes  Bild  begreife.  —  Und  dieser 
zweite  Hauptlheil  der  ganzen  Synlhesis  bliebe  jelzl  noch 
gcnaoer  zu  erörtern  übrig. 

Was  bedeutet  zuerst  „Sicfaverstehen  als  Bild?^ 
kidem  ein  bestimmter  Jnhalt  als  Bild  verstanden  werden 
soll,  ist  diese  Charakteristik  nur  innerhalb  einer  Entgegen* 
Setzung  möglich:  er,  als  Bild,  ist  diess  nur  im  Gegensatze 
mit  einem  Ntchtbilde ;  es  ist  das  Abgebildete ,  das  Sein, 
welches  als  das  ihm  Vorauszusetzende  erscheint.  So  wird, 
was  im  Bilde  gebildet  wird  —  sein  Bild -In  halt,  — 
vielmehr  als  das  Nichtbild ,  Sein,  ihm  vorausgesetzt  wer- 
den müssen,  am  daran  das  Bild,  als  Nichtsein  —  vieknehr 
als  Bildendes  jenes  Seins,  —  zu  begreifen.  Das 
Ich  schwebt  daher  in  dieser  Synihesis  charakterisirend 
über  dem  Gegensatze  von  Bild  und  Sein,  jede  dieser 
Wechselbestiinmungen  durch  die  andere  setzend.  So  ist 
das  Ich ,  indem  es  sich  als  in  einem  bestimmten  Bildzu- 
stande begreift,  dadurch  nothwendig  ein  Seinselzen- 
iles^  nnd  so  wie  nach  Oben  die  Synihesis  durch  die  Alles 
vereinigende  Anschauung  des  Ich  geschlossen  ist,  so  fin- 
det sie  nach  Unten  ihre  feste  Grundlage  und  ihren  Ab- 
sebittss  an  der  Vorstellung  des  Seins. 

Dadurch  ist  aber  diese  Form  des  Wissens  als  absolut« 
Fünffachheit  in  der  Einheit  gesetzt:  die  reine  Ich- 
anschanung  zerfallt  zunächst  in  die  Zwiefachiieit  des  Sub- 
jekt-Objekts ;  dazu  gesellt  sich  sogleich  das  Sichverstehen 
als  Bild ,  von  dem  das  Sein  als  sein  begleitender  Gegen- 
satz unabtrennlich  ist :  und  so  sind  diese  fünf  Glieder  nur 
durch-  und  ineinander ,  und  von  absoluter  Einheit  durch- 
drungen, die  das  Ich  ist.  Diess  ist  aber  selbst  nichts  An* 
deres,  als  jene  zur  Einheit  verschmolzene  Fünfiachbeit,  das 
sie  durchstrahlende  Licht  des  Bewusstscins.  Und  wenn  wir 
jene  Mannichfaltigkeit  dennoch  nicht  als  das  vom  Ich  Ge» 
setzte,  Hervorgebrachte  denken  können  (wie  Einige 
die  früheren  Darstellungen  der  Wissenschaftslehre  deute- 
ten); so  ist  noch  weit  weniger  jene  Ichanschauung  als 
Produkt  der  Mannichfaltigkeit  von  Vorstellungen ,  die  sich 


548  Absolute  FakiicUat  desselben. 

dazu  vereinigen,  seine  Vorstellung  aUmahlig  aus  sich  ent- 
stehen zu  lassen  ,  wie  eine  neuere  Philosophie  die  Sache 
angesehen  hat,  zu  denken:  —  sondern  an  sich  (d.h. 
absehend  von  der  faktischen,  zufälligen  Entwicklung  des 
einzelnen  Bewusstseins)  sind  alle  diese  Momente  schlecht- 
hin in  Einem  Schlage ,  indem  sie  nur  durch  einander  zu 
sein  vermögen :  und  jenes  Setzen  oder  Dcduciren  aus  dem 
.Ich  gilt  nur  innerhalb  des  wissenschaiUichen  Processes, 
der,  das  innere  Zugleich  jener  Momente  auflösend,  sie  aus 
ihrer  Einheit  genetisch  entstehen  lasst 

Aber  das  Wissen ,  indem  es  überhaupt  existtrt ,  muss 
sich  unmittelbar  als  fertiges,  durchaus  vollendetes 
gegeben  sein ;    d.  h.   es  macht ,  vollzieht  sich  niclit  erst 
selbstschöpferisch  und   mit  Freiheit  zu   einem  bealimmten 
Bildzustande ;  sondern  wie  es  ist^  ist  es  ohne  all  sein  Zu- 
thun  sich  ein  unmittelbar  Gegebenes ,  —   sich  selbst  a  b- 
solutes  Faktum.    Daraus    folgt,   dass    es  gleich  ur- 
sprunglich   in   seinem  Bilden   auf  eine    bestimmte  Weise 
fixirt  sein,  sich  in  einem  gegebenen  Bildinhalte  als  schlecht- 
hin gebunden  finden  muss:    und  dicss  wäre  die  fak- 
tische  Grundlage  alles  Bewusstseins,   der    lermimu 
a  quo ,  woraus  jeder   höhere  Zustand  desselben  sich  ent- 
wickelt, und  worauf  er  sich  bezieht.    —   Das  Ich  isl  sich 
unmittelbar  gegeben,    als  ein  fertiger  Bildinhalt,   heisst 
aber :    es  ist  schlechthin  wahrnehmend,  was  deradbe 
ihm  darbietet,  und  also ,  wie  er  sich  ihm  gestaltet ,  beides 
mit  absoluter  Negation  seiner  Freiheit  zu  bilden.    Das  Be^ 
wusstsein  findet  sich  in   diesem  Zustande  überhaupt  lei- 
dend, hingegeben  und   versenkt   in  ein  schlechthin  cdmc 
sein  Zuthun  sich  ihm  machendes  Bilden.    Diess  setzt 
es  als  Aussen-Welt,  —  d.h.  eineSphäre,  über  die  ihm 
absolut  keine  Gewalt  zusteht,  als  ein  ihm  Fremdes  und  Un- 
abhängiges, —  sich  selbst,  als  dem  Innerlichen,  entgegen.  So 
wird  jener  unmittelbare  Bildinhalt  des  gegebenen  Bewusst- 
seins als  ein  von  ihm  Unabhängiges,  d.  h.  nicht  als  (frei- 
entworfenes)  Bild,    sondern    als  Sein  angeschaut.    Das 
unmittelbare  Bewusstsein,  als  solches,  ist  noth wendig  an- 


Unmilidbare  Gegenwart  des  Denkens  darin.        549 

schauend,  oder  Seinsetzend.    Diess„Sein<^  ergiebt 
sich  aber   nicht  etwa   aus   dem  Inhalte   der  unmittelbaren 
qualitativen  Anschauung;  -^  im  sinnlich  Qualitativen  derselben 
kann  schlechthin  Nichts   von  diesem  Begriffe   enthalten 
sein:  — sondern  es  ist  Resultat  des  absoluten  Bewusstseins, 
dass  in  jenen)  Bildinhaltc    alle  Freiheit   des  Bildens  negirt 
sei,  also  Produkt  eines  über  die  reine  Wahrnehmung  hin- 
ausgehenden Urtheils.    Das  Sein  wird  nicht  angeschaut, 
sondern  durch  eine  zum  Inhalte  dazutretende  Funktion  des 
Bewusstseins  gedacht.     Jedem  Anschauungsakte  gesellt 
sich  daher  ebenso  unmittelbar ,  als  der  verborgene  Expo- 
nent desselben,  ein  Denkakt  bei,  Sein  und  Bild,  ihrem 
schlechthin    ursprünglichen    (apriorischen)  Charakter  nach« 
sich  gegenüberstellend  und  Eins  durch  das  Andere  begrei- 
fend.   Dem  faktischen  Wissen    ist   daher   schlechthin  ur- 
sprünglich das  Denken  gegenwärtig;  das  Wissen  wird 
nicht  erst  Denken,    so  dass  diess   als  ein  besonderer  Zu- 
stand  oder  Funktion  des   erstem  wäre,   sondern   es  ist 
Denken,  ursprünglich  und  schlechthin,  und  in  seiner  Grund- 
form   nichts   Anderes,    denn    Denken,     Verstand. 
Diese  absohite,  schon  im  faktischen  Wissen  in  unmittelba- 
rer und  danmi  sich  selbst  verborgener  Gestalt  gegenwar- 
tige Verstandesform    —    Sichverstehen  der  absoluten 
Erscheinung  —  erschöpfend  zu  verstehen  ,  Verstehen  des 
absoluten  Vorstandes  zu  sein,   kann  abermals  als 
unterscheidender   Charakter    der  Wissenscbaflslebre  gel- 
ten. *) 

Hieraus  ergiebt  sich,' als  Neben folgerung,  auch  der  be- 
deutende Satz,  dass  das  sogenannte  logische  Denken,  wel- 
ches die  gewöhnliche  Logik  zum  Gegenstande  nimmt,  und 
das  sie  für  das  primitive  halt,  nichts  Anderes  sei,  als  das 
Bewusstwerden ,  die  Nachkonstruktion  des  ursprünglichen, 
dem  faktischen  Wissen  einverleibten  Denkens. 

Dtidurch  wird  allein  auch  erklärbar,  was  die  gemeine 
Logft  so  wenig  erklart ,    dass  sie  nicht  einmal  der  Noth- 


")  Nacbgel.  Werke  Bd.  1.  S.  408-411.  413.  14. 


550    Vcrfaällniss  der  gcuohRlicbca  Logik  zu  denselben. 

tvendigkeit  einer  Fnij^e  danach  sich  bewusst  wird  ,  oder 
es  einer  Untersuchung  werlh  hält:  —  wie  der  empi- 
risch (regebene  Inhalt  der  Anschamnig ,  die  Faktiriläl , 
sich  den  (logischen)  Geselzeo  des  Denkens ,  den  For- 
men des  Begriflcs ,  als  genus  und  species  so  IreffUcfa 
fäge  und  ihnen  einpassen  ISsse.  Wäre  jener  Inhall  nicht 
ursprunglich  schon  durch  die  absolute  Verstandes- 
form  der  Erscheinung  Gottes  gesetzt,  somit  absolut  in- 
telligirt  und  intelligibel;  so  vermöchte  auch  das 
nachkommende  (empirische)  Denken  ihm  nicht  die  (ver- 
meintlich seinigen  oder  gar  erst  durch  Logik  angelernten) 
Fou'men  der  Intelligenz  aufzudrucken:  —  ein  gnindwich- 
tiger  Salz,  den  erst  die  spätere  Wisscnschaftslehrc  aus 
den  dunklem  Prämissen  ihrer  ersten  Gestalt  zur  völligen 
Klarheit  herausgeiäutert  hat,  entscheidend  überhaupt  für 
den  ganzen  tieferen  Sinn  ihres  Idealismus,  zugleich  aber 
auch  zum  ersten  Male  einen  verständlichen  Zusammenhang 
aufweisend  und  eine  Brücke  schlagend  zwischen  dem  Den- 
ken ,  als  einem  sogenannt  nnsern  und  innem ,  und  der 
Aussenwclt,  alsi  einer  von  uns  unabhängigen  Objektivitäl. 
Auch  die  von  hier  aus  vorzunehmende  Revision  und  Kritik 
der  gewöhnlichen  Logik  hat  Fichte  nicht  unterlassen. 
Hierher  gehört  seine  ,,  transscendentale  Logik 
oder  über  das  Verhältniss  der  Logik  zur 
Philosophie*^  (Nachgel.  Werke  Bd.  L  S.  105— 400.), 
welche  alle  jene.  Aufgaben  löst  und  die  vorhin  erwähnten 
Sätze  begründet ;  so  wie  seine  ,,E  inleilungsvorie- 
sungen  in  die  \Vissenschaftslehre<<  (Ebendas. 
S.  3 — 103.),  welche  besonders  den  Charakter  des  empüv 
sehen  Bewussfseins,  seinsetzend  zu  sein,  mit  der  höcbslcd 
Kvidenz  darlegen. 

Mit  dieser  ebenso  ursprünglichen,  wie  faktischen  Syntkesis 
von  Ani?chauung  und  Denken  ist  jedoch  die  Selbsfgegebenheil 
des  Bewussiseins  noch  nicht  erschöpft,  oder  der  unmittel- 
bare Znstand  desselben  vollständig  umschrieben ;  viel- 
mehr werden  wir  dasselbe  noch  nach  einer  entgegen^^c- 
set/Jen  Kichtung  hin   eben  so   unnütlelbar  bestimmt  ündea. 


Fakticilät  des  Ich  als  Nalurwifle  und  Trieb;        551 

Dabei  entsteht  aber  die  Frage ,  wie  überhaupt  das  Eine 
Bewusslsein  in  ein  mehrfaches,  ja  in  einen  Gegensats 
von  Zuständen  zerfallen  könne.  Sie  wird  nur  dadurch 
eil  lösen  sein,  dass  nachgewiesen  wird  ,  wie  in  der  Ein- 
heil des  Bewusstseins  selbst  dieser  Gegensatz  gegründet 
sei ,  wie  daher  das  Bcwusstsein  vielmehr  nicht  wahrhafte 
Einheit  sein  könnte,  wenn  diese  nicht  die  Einheit  von 
Entgegengesetztem  wäre. 

Indem  nämlich  das  Ich  unniittelbar  sich  als  wahr- 
nehmend anschaut,  ergreift  es  darin  zunächst  sein  Bil- 
den ,  das ,  was  es  absolut  ist,  als  gebunden ,  d.  h.  sem 
Vermögen,  als  negirt:  dadurch  geht  es  aber  hinaus  ober 
das  blosse  Wahrnehmen  ,  indem  es  in  ihm  zugleich  sein 
Vermögen  ,  überhaupt  zu  bilden ,  —  zunächst  freilich  als 
negirtes,  —  anschaut.  Die  Anschauung  der  Gebundenheit 
des  Vermögens  enthält  nämlich  sicherlich  am  Ursprung« 
liebsten  das  Bild  des  Vermögens  selbst :  um  also 
der  Negation  desselben  sich  bcwusst  zu  sein ,  ist  die  An* 
schauung  der  Wirklichkeit  desselben  unmittelbar  gesetzt. 
Gleich  ursprünglich  also,  indem  es  sich  als  wahrneh- 
mend gegeben  ist,  fasst  das  Ich  sich  nicht  bloss  als 
wahrnehmend ,  sondern  in  der  absoluten  Doppelheit 
eines  Gebundenseins  und  einer  Freiheit  seines  Vermögens 
za  bilden ;  und  auch  hier  ist  nicht  ein  Vorher  und  Nach- 
her des  einen  oder  des  andern  Gliedes,  sondern  absolut 
zugleich  gesetzte  Synthesis. 

Was  Itegtaberin  der  Anschauung  dieser  Frei-* 
heit?  —  Auch  diese  wird  selbst  wieder  in  eme  Doppel- 
heit zerfallen  müssen:  zuerst  Bild  der  Freiheit  über- 
haupt, der  formalen  Unabhängigkeit  des  Ich  von  der 
Naturgewalt  der  Aussenwell.  Das  Ich  schaut  sich  in  ihm 
an,  als  frei  wirkend;  der  Hemmung  der  Aussenwelt 
absolute  Rückwirkung  entgegensetzend  und  sie  bewäl- 
tigend. (Es  ist  der  unmittelbare  Naturwille  des  Ich: 
das  Aussending  [die  faktische  Anschauung]  bestimmt  das- 
selbe ;  aber  umgekehrt  sucht  das  Ich  gegenstrebend  sich 
jenes  anzueignen  oder  anzupassen  —  durch  Begierde  und 


552  als  Eiiibildungskrafl. 

Trieb,  —  oder  nach  dem  Iiöchsleii  Ausdrucke  dieses  Ver- 
mögens —  sucht  es  die  Aussenwell  seinem  freienlHorfeiieii 
Zweckbegriffe  zu  unterwerfen.—)  Zugleich  isl  aber 
noch  zweitens  darin  die  Freiheit  zu  bilden  gesetzt, 
in  welcher  das  Ich  sich  eben  so  unmiüelbar  «nzuschaufin 
hat:  es  ist  die  Bildungs-  oder  Einbildungskraft 
des  Ich,  das  Vermögen,  den  gegebenen  Bildinhall  frei 
wiederherzustellen,  oder,  ihn  umgestaltend,  neue  Vorstellun- 
gen daraus  hervorzurufen ,  welches  in  seiner  Unmittelbar- 
keit als  völlig  gesetzloses  Einbilden  und  an  einander  Forl- 
treiben zufalliger  Vorstellungen ,  als  die  erste  ungezügelte 
Macht  der  Einbildungskraft,  sich  zeigt. 

Die  unmittelbare  Selbstgegebenheit  des  ich  zerfallt 
demnach  in  eine  Dreifachheit  der  Momente ,  die 
schlechthin  im  Wechselverhaltuisse  mit  einander  stehen,  also 
unzertrennlich  sind  ;  und  erst  hiernach  wäre  eine  er- 
schöpfende Bezeichnung  des  Wesens  desselben  möglich. 
Das  Wissen  ist  in  seiner  Wurzel  bildendes  Leben  — 
absolutes  Vermögen,  durch  eine  Hannichfaltigkeit  von  Mo- 
menten hindurch  sich  bildend  zu  entwickeln.  Als  Bild, 
setzt  es  aber  nothwendig  voraus  und  bezieht  es  sich  auf 
ein  in  ihm  zu  Bildendes^  einen  Inhalt,  ein  Sein,  des- 
sen abbildende  Darstellung  es  ist,  um  in  derTbat 
Wissen  zu  sein.  Eben  so  ist  aber  die  gemeinsame 
Form  des  Wissens,  welche  seine  mannichfaltigen Momente 
ordnend  zusammenschliesst ,  durch  seinen  absoluten  Bild- 
charakter bedingt:  es  ist  das  Sichverstehen  als  Bild,  wo- 
durch es  sich,  als  Negation  seiner  selbst,  ein  Sein  entge- 
gen- und  voraussetzt. 

Das  Wissen  aber,  in  seiner  unmittelbaren  Gegeben- 
heit, ist  sich  zunächst  der  Beschränkung,  Fixirlheii 
seines  Bildens,  bewusst;  —  eine  hier  noch  unbegreif- 
liche Schranke  desselben,  well  nur  das  Warum  derselben 
(damit  es  überhaupt  zu  einem  Wissen  komme),  nicht  aber 
das  Woher,  das  höhere  Princip  davon  nachgewiesen  wer- 
den kann,  wofür  sich  eine  andere  Stelle  finden  wird.  - 
Aber  ^n  dem  Bcwusstscin  jener  Bcschräukung  des  Bildcus 


Die.  Fakticiliit  nur  von  formeller  Bedeutung.      553 

entzündet  sich  untniltelbar,  d.  h.  ist  von  ihm  unzertrenn«- 
lieh ,  das  Selbstgefühl  der  absoluten  Freiheit  des  Ich  ,  zu- 
nächst als  Rückwirkung,  Gegenstreben  gegen  jene 
Schranke;  der  Richtung  von  Aussen  nach  Jnnen  stellt  sich 
unmittelbar  die  von  Innen  nach  Aussen  gegenüber,  —  der 
]\aturwille;  —  ebenso  die  Freiheit  des  Bildens,  das 
Vermögen,  den  Inhalt  jener  gegebenen  Vorstellungen  sich 
als  Eigen th um  zu  bewahren,  oder  umgestaltend  neue 
daraus  zu  erzeugen. 

Aber  diese  gesammte  faktische  Selbstgegebenheit  des 
Wissens,  die  Empirie  mit  Allem,  was  ihr  verbunden  ist^  bat 
durchaus  nur  formelle  Bedeutung ;  es  soll  sich  überhaupt  nur 
durch. sie  die  absolute  Form  des  Sichverstehens  realisiren, 
der  Fokus  wirklichen  Bewusstscins  sich  entzünden.  Dio 
Erfahrung  ist  absolutes  Bild  des  formalen  Sichverstehenfi 
der  Erscheinung  Gottes;  und  nur  diess  ist  sie.  Diess 
giebt  das  schlechthin  empirische  Objekt  und  das  System 
dieser  empirischen  Objekte ,  die  Natur,  welche  schlecht- 
hin Nichts  sind,  als  das,  woran  das  Verstehen  dargcstelll 
wird,  indem  das  Wahre  der  Empirie  nur  in  der  Form  des 
Verslehens  überhaupt  liegt.  *) 

JEben  darum  kann  jedoch  das  Wissen  (als  Erscheinung 
des  Absoluten)  schlechthin  nicht  aufgehen  in  diesem  nur 
formalen  Selbstverstehen:  es  rofisste  ihm  gegenübertreten 
ein  höheres  Verstehen,  worin  die  Erscheinung  sich  als  das - 
versteht ,  was  sie  in  der  That ,  und  abgesehen  von  ihrer 
blossen  Form ,  als  reale,  ist ,  als  die  Erscheinui^  dos 
Absoluten,  und  dieses  Bild  des  Absoluten  musste  heraus- 
treten in  diesem  BegrilTe. 

Zu  erinnern  ist  näiidich  daran,  was  wir  schon  im  Vo- 
rigen nachgewiesen  haben,  dass  das  Wissen,  als  absolut 
bildendes  Leben,  .unendliche  Bildlichkeit,  nicht  lecft,  formell, 
sundern  Bilden  eines   unendlichen   Inhaltes,   einer 


*)  T  h  a  l  s  a  r  ii  e  n  des  P  e  w  u  s  a  t  5  e  i  u  s  iu  Jeu  nacli^elassciicn 
Werken    Bil.  I.  S.  419.' 


554  Das  absolut  Reale  im  Wissenc 

scUechlliin  ihm  iminanenten  Reaiiiät  sein  köanc.  Nicht 
diess  ist  hier  jedoch  der  Gegenstand  des  Beweises,  son- 
dern in  welcher  Form  des  Sichverstehens  allein  jenes 
Realbild  im  Bewusstsein  erscheinen  könne. 

Das  Absolute,  dessen  absolute  Erscheinung  das  Wis* 
sen  ist,  und,  was  damit  schlechthin  sSusammenfallt ,  als 
solche  sich  versteht,  ist  zuvörderst  nicht  der  todte  Begriff, 
den  wir  so  eben  ,  es  objektivirend  j  ausgesprochen  haben, 
sondern  es  ist  in  sieh  absolutes  Leben.  Das  absolulo 
Wissen  demnach,  als  des  absoluten  Lebens  Erscheinung, 
als  das,  wodurch  es  in  die  Verstandesform,  die  Selbsfklar- 
beit ,  aufgenommen  wird ,  kann  ebenso  wenig'  ein  in  sich 
gebundenes,  fertiges  und  todtes  Sein  sein ;  vielmehr  muss 
es  sein  ein  Vermögen  zur  Verwirklichung  nur  dessen, 
was  in  ihm  liegt,  von  Bildern  in  der  festen  und  stehenden 
Form  des  Sichverstehens.  Das  Bilden  jenes  unendlichen 
(göttlichen)  Gehaltes,  zugleich  als  sichverstehendes, 
kann  somit  nur  Bild  einer  freien  Vollziehung,  eines 
Seins  durch  absolute  Selbstbestimmung,  sein;  und  eben 
darum  ist  die  Empirie  nur  die  leere  Form  des  Sichverste- 
hens, weil  sie  schlechthin  fertig  und  gegeben,  Negation 
der  Freiheit ,  damit  aber  zugleich  der  nothwendige  Aus- 
gai^spunkt  ist,  durch  welchen  es  zum  Bewusstsein  der 
Freiheit  und,  was  davon  unabtrennlich,  des  realen  absolu* 
ten  Inhalts  komme.  *) 

So  ist  im  Wissen,  und  zwar  innerhalb  der  fesibe- 
stimmten  Einheit  der  Selbstanschauung,  des  Ich,  vrelches 
durch  die  absolute  Form  des  Sichverslehens  der  Erschei- 
nung schlechthin  gesetzt  ist,  ein  Grundgegensats  gegeben, 
der  einen  absoluten  Hiatus  bildet,  einen  termmus  a  quo  und 
ad  quem:  das  Bild  des  empirischen  Seins  und  die  ganze 
UnmittelbaHteit  desselben ,  —  sodann  ein  genetisches  Bild, 
welches  nur  unter  Bedingung  der  freien  Entwicklung  der 
Erscheinung  hervortreten  kann,  und  das  mit  demselben 
zugleich  gesetzte  reine  Denken  oder  Intelligiren. 


*)  W.  L.  im  allg.  Umrisse,  S.  7.  11. 


YcmiiUluDg  beider  Sphären  im  Willen  j  555 

Aber  scbon  früher  ist  nachgewiesen,  dass  das  emplri«* 
sehe  Ich,  ausser  der  sinnlichen  Anschauung,  Vorstellen, 
dadurch  vermittelt,  zuhöchst  W  i  11  c,  Naturwille  sein  müsse» 
absolutes ,  wiewohl  zunächst  nur  leeres  (rormelles)  Princip 
einer  Wirkung  in  der  Natur.  Der  Wille  ist  das  absolut 
Höchste,  Uebersinnliche  derselben:  selbst  Natur,  denn  er 
ist  schlechthin  gegeben  in  dem  Conlexle  der  faktischen 
Selbslanschauung  des  Ich  ;  i  n  der  Natur  aber  das  Uebersinn- 
liche, denn  er  ist  Bild  (Reflex)  der  realen  Erscheinung  des 
Absolaten.  Dadurch  haben  wir  eine  Naiur  mit  Leben,  wie 
diess  nicht  anders  sein  kann ,«  da  die  Natur  das  Bild  der 
Form  der  Erscheinung  ist,  welche  Form  Leben  ist.  ,,Man 
spricht  so  oft  von  einer  W  c  1 1  s  e  e  1  e  —  Naturseele.  Frei- 
lich gtebt  es  eine  solche ;  nur  glaube  man  nicht ,  dass  es 
zwei  Seelen  in  der  Natur  gebe:  sondeim  die  Seele  des 
Menschen  ist  diese  Weltseelc.  Des  Menschen;  —  denn 
das  Ich,  als  organisches  Nalurglicd,  heisst  so.^ 

„Dass  die  Menschen  vor  diesem  Gedanken  erbe* 
ben,  kommt  bloss  von  der  verächtlichen  Meinung,  die 
sie  vom  Menschen  haben ,  weil  sie  nicht  das  Ueberwirk- 
liehe  sehen  j  dessen  Venvirklichungsform  lediglich  der 
Mensch  ist.^  —  „Dadurch  fallt  auch  in  der  Wurzel  hinweg 
und  verschwindet  in  Nichts  jenes  absolute  Naiurgesetz, 
welches  die  Philosophen  aller  Schulen  noch  immer  als  Et-> 
was  hinstellen ,  vor  welchem  sich  die  Freiheit  zu  furchten 
babe^  und  das  dieselbe  beschranken  könne.  Die  Freiheit 
ist  ja  das  Princip  der  Nati^r,  und  das  Princip  wird  niemals 
durch  sein  Principiat  beschrankt^' *) 

Alles  diess  findet  seine  Erklanmg  in  dem  Satze, 
w^elchen  besonders  die  Sittenlehre  mit  Nachdruck 
durchRihrt,  dass  das  empnische  Ich  an  sich  seibsl  gar 
keine  R^Klat  habe,  sondern,  wie  die  ganze  übrige  Natur, 
nur  formelles  Schema  der  Erscheinung  Gottes  sei ;  dass  es 
real  nur  werde ,   damit  aber  zugleich  in  sich  absterben 


^ThatiaclieiidesBewiisstseinsBd.  I   S.  4ld~4(>4- 


556     ^    bestiinmlcr  im  sittlichen  Willen  des  Ich. 

lasi^e  das  an  sich  Nichtige  jenes  zufälligen  und  unstätcn 
Naturwillens,  indem  es  sich  anschaue  als  Verwirklichmigs- 
glied  der  übersinnlichen  Welt.  Das  Ich  muss  sich  erschei- 
nen mit  einem  absoluten  Willen  der  Pflicht,  wel- 
cher alles  besondere  Wollen  schlechthin  aufhebt.  Dieser 
Wille  muss  seine  Persönlichkeit,  sein  Charakter  sein, 
aus  welchem  allein  er  lebt,  und  woraus  alles  sein  anderes 
Leben,  nur  als  Erscheinung  dieses  Charakters,  sich  entwik- 
•kclt.  Diess  wird  die  neue,  nun  aber  ewige  Wurzel  setner 
Persönlichkeit,  in  der  das  göttliche  Erscheinen  unendlich 
abüiesst,  und  dieso  sich  ge\wnnen  hat  zu  einer  bleibenden 
und  schlechthin  eigenthümlichen  Gestalt  seiner  Ver- 
wirklichung. Eine  solche  Persönlichkeit  ist  daher  auch 
ihrer  ewigen  Fortdauer  schlechthin  gewiss;  denn  in  die 
absolute  Ewigkeit,  d.  h.  in  die  Zeltreiiie,  die  schlechthin 
kein  Ende  nehmen  kann,  ist  sie  schon  wirklich  eingetreten. 

„Dagegen  kann  jedes  Ich,  das  sich  nicht  einer  sol- 
chen Persönlichkeit  bewusst  ist,  sicher  sein  seiner  abso- 
luten Vernichtung,  und  das  Beste,  was  es  erwarten  und 
hoffen  kann ,  ist  eben  diese  Vernichtung  und  der  Durch- 
bruch  des  neuen  und  schlechthin  ewigen  Lebens,  von  wel- 
chem wir  reden.  Sein  Leben  trägt  den  Tod  in  sich,  weil 
OS  eigentliches  (reales)  Leben  gar  nicht  ist  Ob  nun  al- 
lenthalben diese  Sterblichkeit  übergehen  werde  in  das  neue 
Leben,  oder  in  ein  absolutes  Verschwinden  seiner  Erschei- 
nung aus  dem  Systeme  der  absoluten  Erscheinung ,  das 
wissen  wir  nicht,  haben  aber  durchaus  keinen  Beweisgrund 
gegen  die  letzte  Voraussetzung,  und  diess  lässt  sich  dar- 
thiKi. «  *) 

So  konnte.  Fichte  in  diesem  Zusammenhange  ohne 
Widerspruch  ebenso  den  Satz  aussprechen :  das  empirische 
Ich  muss  vernichtet  werden,  wie  in  andcrm  Zusamn^ßnhange 
den  entgegengesetzten:  dass  das  empirische  Ich  selbst 
nichtig  sei.     Es  gilt  hier  nur,  dass    das  an   sich  Nichügc 


*)  ,,$ystem  der  Sittenle  h  re«<  1812.    Bd.  iU.    S.  35^49, 
52—56. 


SilUiches  Princip  (»er  Well ,  557 

vernichtigt,  das  Sierblichc  gerade  dadurch  zum  Tode  ge- 
bracht werde ;  dass  an  dessen  Steile  und  in  dessen  Aus- 
iüUung  das  wahrhaflc  Lebon  Iritt. 

Hiennil  ergiebt  sich  für  unsern  unmittelbaren  Zusam- 
menhang, dass  jener  sittliche ,  allein  eigentlich  reale  Wille 
nur  anknöpfen,  erfüllend  eintreten  kann  in  den  Natur- 
willen  des  Ich.  Durch  jenen  wird  er  gesetzt  als  über«- 
naturliches  Princip  innerhalb  der  gegebenen  Natur;  als 
Princip  einer  übernatürlichen  Ordnung,  umgestal- 
tend die  natürliche.  Diess  müsste  sich  ausdrücken  in  einer 
Ordnung,  die,  wenn  sie  da  wäre  ,  nicht  da  wäre  um  d  c  r 
Na  tu r  willen,  in  irgend  einer  ihrer  Gestalten,  sondern 
schlechthin  um  ihrer  selbst  willen,  und  die  Natur 
ebenso  schlechthin  sich  unterwerfend.  Das  Ucberwirklichc 
verhält  sich  darum  zur  Empirie ,  wie  der  Begriff  zur  An- 
schauung ;  das  Ueberwirkliche  ist  ein  Ordnen ,  die  Natur 
das  Mannigfaltige ,  an  dem  das  Ordnen  erscheinen  soll« 
So  kann  diese  neue,  höliere  Ordnung ,  die  dnrch-  das  Ich, 
als  Yermittlungsglied,  sich  in  der  Naturordnung  verwirklicht^ 
nur  in  der  Form  der  Genesis  und  des  Gewordenseins, 
und  zwar  durch  den  Willen  des  Ich  hindurch,  seinen  Natur«* 
willen  beherrschend,  im  Gegensatze  der  niedern  erscheinen. 
Das  Ich  muss  sich  mithin  bewusst  werden,  theils  seiner  ab- 
soluten Freiheit,  theils  aber  auch  der  Unterwerfung  dieser 
Freiheit  unter  jenes  überwirkliche  Princip.  Nennt  man  nun 
jene  Beziehung  des  Ueberwirklichen  auf  das  Wirkliche, 
wodurch  es  Princip  ist  des  letztem  ,  ein  Gesetz,  aber 
ein  Gesetz  an  die  Freiheit  und  den  Willen,  so  spricht  man 
dieses  Gesetz  aus  als  Soll. 

Diess  ist  der  kategorische  Imperativ  Kants. 
„Mit  der  Wahrheit  der  Kan tischen  Behauptung  hat  es 
sonach  seine  vollkommene  Richtigkeit«  Stellt  man  ihn  aber 
hin  als  absolute  Thatsache ,  ohne  allen  Zusammenhang  mit 
andcni  Thatsachen,  so  gicbt  diess  kein  sehr  verständliches 
und  zusammenhangendes  Princip.  Wir  begreifen  ihn,  als 
die  Beziehung  des  schlechthin  Ueberwirklichen,  und  die- 
ses 9   als  der  Erscheinung  Gottes ,    auf  das  Wirkliche  und 


558      als  Band  des  Erapirisch«»  und  Uetorempirischen. 

Sichtbare,  al«  Prtncip  auf  sein  Prineipiat ,  durch  die  Frei« 
heit  des  Ich  hindurch,  weil  die  Wirklichkeil,  als  Wirklich* 
keil,  absoluter  Grund  ihrer  selbst  ist,  und  darum 
eben  als  Freiheit  erscheint.  So  giebt  es  iur  uns  keine 
absoluten  Imperative ,  sondern  wir  sehen  sie  wer- 
den.«* *) 

Uiennit  ist  überhaupt  ein  tieferer  Zusammenhangf  zwi- 
schen der  Empirie  und  dem  Uebcrempirischcn  vemiillell: 
da  jene  an  sich  selbst  nichts  Anderes  ist ,  als  die  Ver- 
wirkiichungssphure  von  diesem,  dieses  umgekehrt  sein  ab- 
soluter Zweck;  so  ist  darin  ein  „heuristisches 
Princip«^  gefunden,  um  die  Empirie  daraus  abzuleiten 
und  in  ihren  nähern  Bestimmungen  kennen  za  lernen :  — 
einPrincip,  von  dem  Fichte  hinzusetzt,  dass  es,  so 
viel  ihm  bewusst ,  noch  in  keiner  Philosophie  also  ange- 
wendet worden  sei.  **) 

Dadurch  kehrt  nämlich  der  eigenthämliche  GesichU* 
punkt  wieder,  den  Fichte  seit  der  ersten  Idee  seines 
Systemes  festgehalten  hatte.  Die  niedere  Form  des  Wis- 
sens existirt ,  und  extstirt  also,  nur,  damit  das  hö- 
here Wissen  daran  sich  entwickle :  dieser  teleologische 
Moment  ist ,  im  Gegensalze  mit  jedem  Spinosistisdien  De- 
teminationsprincipe,  seine  bestandige  Deduktionsweise  ge- 
wesen. Der  ganze  innere  Zusammenhang  der  Wdl  und 
die  Beschaffenheit  des  geistigen  Lebens  zielt  auf  die  höch- 
ste Gestalt  alles  Daseins  hin,  das  Bewusstsein  der  Erschei- 
nung Gottes ,  als  solcher.  Das  Ueberwirkliche ,  nn- 
sichlbar  und  im  Hintergrunde  der  Wirklichkeit,  ist  dennoch 
der  wahrhafte  und  bestandige  Grrnid  derselben;  es  drangt 
sich ,  durch  die  niedere  Wirklichkeit  und  die  Form  der 
Freiheit  sich  vermittelnd ,  unablässig  in's  Dasein«  Es  ist 
das  Yernunnprincip ,  der  göttliche  Geist  der  Geschichte, 
der  alles  Andere ,  auch  die  freien  Individuen ,  zu  seinem 
blossen  Mittel  herabsetzt. 


•)  Thatsache«  a.  a.  O.  S.  467 •>  475.  477—78. 
•♦)  Thatsacben  S.  482.     " 


Analogie  darin  mil  ScbcUings  und  Hegfels  Lehren.     559^ 

In  dieser  Ansicbts  -  und  Deduktionsweise  liegt  eine 
offenbare  Analogie  mit  dem  naturphilosophischen  Satze, 
dass  die  bewusstlose  Natur  lediglich  der  lerhüllle  Geist, 
dass  in  ihren  Entwicklungsstufen  teleologisch  der  Mensch, 
nach  seinem  Organismus  und  seiner  geistigen  Existenz, 
vorgebildet  sei,  der  am  Ziele  ihrer  Entwicklung  hervortre- 
ten müsse.  Auch  hier  ist  dem  niedem  Dasein  ein  Damit, 
ein  Zweck,  eingebildet,  und  hier,  wie  dort,  ist  das  alle 
eigentliche  Erklärung  ausschliessendc  Princip  der  Nothwen- 
digkeit  weit  überflügelt,  wodurch,  wie  bei  Spinosa,  alles 
Faktische  zu  einem  gleichmässig  Werthvollen  und  Nothwen- 
digen  gemacht  wird,  worin  es  ein  Oben  und  Unten,  ein  Da- 
mit und  Wozu  gnr  nicht  giebt. 

Dennoch  müssen  wir  bekennen,  dass  in  jenen  beiden 
Philosoph ieen ,  wie  auch  in  dem  dritten,  spitem  Syste« 
mc ,  mit  dem  Geltendmachen  dieses  neuen  Principes  nur 
auf  halbem  Wege  stehen  geblieben  worden ;  ebenso  scheint 
sich  dieser  Mangel  besonders  an  der  Wissenschanslehra 
sichtbar  machen  zu  lassen,  obschon  er  völlig  in  derselben 
Weise  den  beiden  andern  Systemen  eigen  ist.  Da  hierin 
einer  der  Wendepunkte  liegt,  um  die  bisherige  Philosophie 
zu  einer  Steigerung  und  Umgestaltung  ihres  Gesammtstand^ 
Punktes  zu  noAigen ;  so  legen  wir  das  Verhaltniss  naher  dar. 

Die  WissenschaAslebre  deducirt  aus  dem  schon  nach«- 
gewiesenen  immanenten  Zwecke  der  Empirie  die 
einzelnen  Bestimmungen  derselben:  damit*  sich  aus  ihr 
das  höhere'  Bewusstsein  der  Erscheinung  Gottes  ergebe, 
m  u  s  s  sie  so  und  so  innerlich  bestimmt  sein.  Analog  da- 
mit die  Naturphilosophie  und  Hegel:  die  immanente  Ver- 
nunft in  der  Natur  treibt  den  Geist ,  als  ihren  Zweck ,  aus 
ihr  hervor.  Die  Naturvemunft  selbst  aber  ist  die  bewusst- 
lose; sie  ist  der  Zweck,  aber  sie  hat  ihn  nicht:  ihr 
Thun  ist  zweckvoll,  aber  nicht  zwecksetzend.  — 
Hier  bleibt  in  jenen  Systemen  allen  eine  Lücke,  ein  Uner- 
klärtes zurück,  welches  man  wohl  zu  behaupten,  nicht  aber 
begreiflich  zu  machen  ,  zum  Verstandnisse  zu  bringen  im 
Stande  ist. 


r 


560        Gcmcinschnfiliclicr  Mangel  dieser  Systeme. 

Wie  kann  jenes  ^Damit^  nämlich  f3r  das  schöpfe- 
rische Princip  ^'ehalten  werden,  welches  dasjenige  in 
dem  nicdern  Dasein  s^ugleich  hervorbringt,  was  es 
zu  seiner  eigenen  Verwirklichung^  in  demselben  nur  f  o  r- 
dert  oder  voraussetzt?  Oder,  um  in  den  tierem  Zu- 
sammenhang der  Wisscnschanslehre  einzugehen :  indem 
der  Grund  aller  Empirie,  das  absolute  Erscheinen  Gottes,  in 
die  absolute  Verstandesform  eintritt;  mit  dieser  Verstandes- 
oder Ichfonn  aber  die  Form  der  Freiheit,  als  das  Vermit- 
telnde, ebenso  schlechthin  gesetzt  ist,  wodurch  das  abso* 
lote  Erscheinen  unmittelbar  ein  überwirkliches  ist,  die  Em- 
pirie jedoch  nur  den  Typus  der  Ersichtlichkeit  derselben 
an  sich  tragen,  Mittel  ihrer  Versicbtbarung  sein  soll: 
so  bleibt  ganz  unerklärt,  da  von  einem  sonstigen  Begrifle  der 
Schöpfung  dieses  niedern  Mittels  in  diesem  Zusammen- 
hange nicht  die  Rede  sein  kann,  wie  dieses  Soll  sich  vor- 
bildlich darin  abspiegeln  und  so  realisiren  könne,  sich  tea- 
llsiren,  ehe  es  selbst  noch  ist?  Denn  es  soll  ja  werden 
erst  durch  jenes  sein  Mittel.  Diess  ist  hier  noch  völlig 
unverstandlich,  ja  widersprechend;  d.  b.  in  dem  allgemei- 
nen spekulativen  Zusammenhange  wird  es  selbst  ein  weiter 
auA  lösendes  Problem. 

.  Ganz  Aehnliches  bleibt  in  Schellings  älterm  und 
in  Hegels  Systeme  zurück :  Der  Geist  ist  der  immanente 
Zweck  der  Natur :  diese  ist  daß  Mittel ,  aus  welchem  er 
sich  selbst  hervor-  und  zum  Bewusstsein  seiner 
|)ringt  Die  Natur  ist  aber  das  bewusstlose  Tbun  des  Gei- 
stes* Aber  wie  vermag  überhaupt  zuerst  der  Zweck  i  n 
dem  Mittel  gegenwärtig  zu  sein,  der  erst  durch  das  Mittel 
hervoigebracht  werden  soll;  wie  ist  eine  solche  (ideelle) 
Vorexistenz,  ein  Wirklich-  und  Nichtwirkiichsein  zugleich, 
verständlich  zu  machen  ;  —  näher  sodann ,  wie  vermag 
ein  bewusstlos  Vernünftiges  und  Absichtsvolles,  ein  ab- 
strakt Logisches  und  reines  Denken,  als  höchstes  und 
letztes  Princip,  gedacht  zu  werden?  Auch  diess  kann 
man  nur  behaupten,  als  höchste  Wahrheit  eben  hinstellen, 
mit  der  Versicherung,  dass  darüber  hinauszusteigen  vei^geb- 


Geimeinschaftlicher  Mangel  dieser  Systeme.        561 

lieh  sei,  aber  wahre  Verständlichkeit  ist  ihm  nicht  abzn- 
gewinnen,  und  so  erklärt  er  eigentlich  auch  Nichts  in 
letzter  Instanz. 

Aus  dieser  vorläufigen  Parallele  ergiebt  sich  jedoch, 
wie  die  bisherige  Philosophie  in  ihren  sämmtlichen 
Hauptrepräsentanten  ein  gewisses  gemeinsames  Niveau  noch 
nicht  überschritten  hat,  und  dass  es  ein  ebenso  gemein- 
schaftlicher Grundgedanke  ist ,  der,  gegen  jede  Gestalt  je- 
ner Philosophie  gewendet,'  sie  nothigen  ^ürde  ^  über  sich 
hinauszusteigen. 


Bis  zu  diesem  Hauptpunkte  in  der  Charakteristik  der 
Wissenschaftslehre  vorgerückt,  können  wir  den  aufsteigen- 
den Gang  derselben  kurzer  zusammenfassen.  Durch  die 
übersinnliche  Natur  des  Ich  wird  seine  empirische  Selbst« 
gegebenheit  durchaus  bedingt  und  vorgebildet.  So  gehört 
zu  dieser  Form  der  Empirie  das  Ich  mit  Wahrnehmung, 
Raum  und  Zeit,  und  den  übrigen  schön  im  Vorigen  ange- 
gebenen Kategorieen  der  Natur;  femer  mit  Willen,  repro- 
duktiver und  produktiver  Einbildungskraft,  mit  Verstand 
und  Urtheilskraft.  Was  aber  durch  diese  Grundformen 
und  ihre  Gesetze  mitgesetzt  ist ,  ist  reiner  StoJP  und  vei^ 
geht  vor  dem  Sittengesetze  in  die  Bedingung  für  dessen 
Realisirung^  ist  an  sich  aber  durchaus  foimeÖ  und  gesetzlos. 
Die  Natur  — Alles  nämlich,  was  zum  BegrifTe  der  Selbst- 
gegebenheit des  Ich  gehört,  könnte  im  weitesten  Sinne 
Natur  genannt  werden,  weil  es  absolute  Pakticität  ist,  — 
ist  an  sich  selbst  darum  durchaus  nicht  Bild  Gottes ,  son- 
dern nur  dasjenige,  worein  Gott  zu  bilden  ist ;  ebenso  we^ 
nig  ist  sie  Gottes  Geschöpf,  sie  hat  mit  Gott  gar  Nichts 
gemein.  Wir,  die  vernünftigen  Iche,  können  werden  Gottes 
Geschöpfe,  und  die  Natur  zu  unserm  eigenen  Geschöpfe 
machen;  wir  sind  das  Bild  Gottes,  und  die  Natur  ist  un- 
ser Bild.  ♦)  — 


*)  „Thatsachen"  S.  483—516. 

36 


562  -AbleituDgr 

Aber  in  dem  Systeme  dieser  thatsachlicbcn  Unmittel- 
barkeit liegt  noch  eine  Thatsache,  welche  bisher  übersehen 
worden:  die  an  sich  Eine  Erscheinung  theilt  sich  in  eine 
Reihe  von  leben.  Die  Erscheinung  ist  Eine ;  die 
Grundform  der  Erscheinung  ist  Ich.  So  schiene,  wie  in 
dem  empirischen  Grundbilde,  der  Natur,  eine  solche  AUgc- 
meinheit  liegt,  auch  ein  solch  allgemeines  Ich ,  nicht  aber 
Individualitäten  desselben,  gefordert.  Dennoch  widerspricht 
diesem  die  Thatsache. 

Die  Individualitat  des  Ich,  Trennung  desselben  in  lebe, 
fallt  jedoch  nicht  in  das  Gebiet  der  Wahrnehmung :  die 
objektive  Sinnenwelt  ist  vielmehr  allen  ohne  Unterschied, 
mit  absoluter  Aufhebong  des  Individuellen,  ganz  dieselbe: 
alle  Iche  zusammen,  in  wiefern  sie  Personen  sind,  wer- 
den umgekehrt  gehabt  von  jener  Einen  Anschauung  der 
Natur.  Auch  die  allgemeinen  Bestimmungen  der  geistigea 
Existenz  kommen  jedem  Ich,  seinem  Begriffe  nach,  zu. 
Erst  innerhalb  derselben  fSlU  die  Spaltung:  in  die  in- 
nere Selbstbestimmung  der  Freiheit,  z.  B.  in  der  Attentioni 
in  der  Bildungskraft,  im  Denken  und  den  einzelnen  Wol- 
lungen, so  lange  diese  selbst  innerliche  bleiben.  Wer- 
den sie  vollzogen,  so  treten  sie  dadurch  in  die  Eine,  ge- 
meinsame ,  alle  Individualität  bindende  Naturanschauung : 
^unA  daher  kommt  es,  dass,  was  Einer  thut,  kein  Anderer 
zu  dersetbigen  Zeit  thun  kann ,  weil  der  Eine  in  der  That 
es  nicht  thut ,  als  Einer ,  sondern  als  der  Reprasenlant 
Aller,  als  die  Gesammtnaturkraft,  die  sich  nicht 
selbst  widersprechen,  aufheben,  verdoppeln  kann<<.  —  „Wir 
müssen  nur  nicht  vergessen,  dass  wir  nicht  zusamnienhan» 
gen  in  den  Dingen  ,  sondern  in  dem  Einen  absoluten  Be- 
wusstseiu,  das  da  ist ,  so  wie  Gott  isl  in  seiner  Ei-schci- 
nung,  —  welches  in  den  verschiedenen  Formen  seiner 
Sichtbarkeit  als  ein  Mannigfaltiges  erscheint,  im  Grunde 
aber  ist  die  Eine  Lebens-  und  WirkenskrafL^' 
—  „Die  Erscheinung  Gottes  ist  Ein  Geist,  und 
zwarBiner  inAllen,  welcher  sich  aber  selbst 
anschaut,  als  ein  System  vieler.^ 


des  individudlen  Ich.  563 

^Dft  ferner  jedoch  die  Empirie  überhaupt  nnr  ein  for-* 
malcs  Bild  der  Erscheinung  ist ,  so  ist  klar ,  dass  sie  auf 
diese  Weise  Eins  sein  muss,  als  Bild  der  Einheit.  Zwi*- 
sehen  diesen  beiden  Endpunkten ,  dem  höchsten ,  der  Er-« 
scheinung  vor  allem  Begriffe^  und  dem  niedersten, 
der  Empirie,  liegt  nun  die  Disjunktion  des  Ichs  in  Iche,  in 
ein  System  derselben,  betreffend  nur  das  Verstandes« 
b  i  1  d  der  Erscheinung  von  sich  selbst'^  *) 

Hiermit  hat  F  i  c  h  t  e  die  tiefste  Wurzel  seine)r  Lehre 
ausgesprochen ,  anknüpfend  an  jene  frühesten  Begriffe  vom 
reinen  Ich  und  von  den  empirischen  leben,  und  diese,  die 
individuellen,  auch  hier  versenkend  und  verschwinden  las- 
send in  die  Substanz  des  Einen  Geistes,  der  ewigen  Selbst- 
erscheinung Gottes.  -—  Die  Frage  bleibt  jedoch  übrig,  warum 
anch  nur  der  Erscheinung  nach  es  nicht  Bin  Ich  sei,  und 
welches  der  eigentliche  Grund  dieser  in  der  absoluten  Ver- 
standesform gesetzten  Spaltung? 

Wir  berühren  damit  einen  andern  tiefsten  Punkt  in 
d^  spatem  Ausbildung  seiner  Lehre. 

Die  Eine  Erscheinung  in  der  höchsten  Potenz,  die  wir 
kennen,  die  an  Gott  ist,  Gottes  Accidens,  und  durchaus 
nicht  ein  eigenes  Sein  und  Substantialital 
hat,  ist  Leben,  aber  ewig  vollendet  und  urtheilbar;  und 
so  ist  sie  nicht  etwa  zu  denken,  als  ein  in. eine  unend- 
liche Zeit  auszudehnendes  Vermögen  zu  erscheinen, 
sondern  sie  ist  eben  das  Erscheinen  ganz  und  ewig ,  wie 
Gott  in  sich  selbst  ganz  und  ewig  ist  Aber  ihr  Erschei- 
nen ist  nur  Sich  erscheinen.  Sie  ist  daher  wirklich  alleiii 
in  der  Verstandesform  ,  und  zufolge  dieses  Gesetzes  des 
Sichverstehens  stellt  sie  sich  als  ein  besonderes ,  auf  sich 
selbst  beruhendes,  immanentes  .Sein  dar,  als  fixirtes 
Objekt  ihres  Sichverstehens.  Diess  ist  das  Ich:  alles  zu 
Verstehende  wird  aufgetragen  auf  diese  Form  des  Einen 
Ich:  ich  bin  diess  Alles. 

Diese  Hinschauung :  Ich,  ist  das  einzige  wirkliche  Sein 


•)  „Thatsachen"  S.  517— 527, 


504  Ableitung 

jenes  göttlichen  Erscheinens:  sie  ist  darum  ebenso  gewiss 
du,  als  jenes  Erscheinen  oder  die  allgemeine  Bildungskraft 
selbst.  Diese  Ichform  nun  ist  der  Schöpfer  eines  Objekti- 
ven, fertig  Hingeschauten  in  seinem  Grundbilde.  Es 
ist  darum  zugleich  das ,  wodurch  jenes  Eine  und  ewig  er- 
scheinende Leben  zu  einem  fixirten  Objektiven  gemacht 
wird,  wodurch  Zeit  und  Unendlichkeit  in  dasselbe 
hin:Mnkommt,  sammt  allen  den  andern  Kategorieen  der 
Empirie,  welche  die  JLogik^  abgeleitet  hat,  innerbnlb  de- 
ren jenes  ewige  (qualitative)  Erscheinen  Gottes  erst ,  als 
ein  Werdendes,  und  durch  Freiheit  des  Ich  Werden- 
des ,  mithin  in  eine  unendliche  Zeitreihe  von  Seibslbestim- 
mungen  Zerschlagenes,  eintreten  kann«  —  Zerschlngenrs 
aber  nur  (setzen  wir  hinzu)  in  der  nothwendigcn  Bildlich- 
keit jenes  Objektivirens  der  Ichform ,  wahrend  es  an  sich 
das  urtheilbar  Eine  Erscheinungsleben  Gottes  isL  —  Hierin 
ist  aber  zunächst  noch  keine  Mannigfaltigkeit  oder  Spal- 
tung innerhalb  der  Ichform  selbst  als  nothwendig  auf- 
gewiesen. 

Doch  könnte  sich,  unter  dieser  Voraussetzung  und  im 
bisherigen  Zusammenhange,  das  Ich  nur  als  das  letzte  und 
höchste  Princip  erscheinen :  es  hat  kein  Mittel ,  wie  keine 
Nöthigung,  über  sieh  hinauszugehen,  und  sich  zu  fassen, 
als  das,  was  es  doch  in  Wahrheit  ist,  als  blosse  Erschei- 
nungsform des  Einen  Erscheinens  Gottes,  als  Erschei- 
nung der  Erscheinung.  (Hierdurch  hat  P  i  c  h  t  e  den 
fiühem  Standpunkt  derWissenschaftsIehre^  worin  das  reine 
Ich  in  Wahrheit  diess  Letzte  blieb,  und  die  Sittenlehre  die 
höchste  Wissenschaft  wurde  ,  in  den  Context  der  eigenen 
möglichen  Standpunkte  des  allgemeinen  Ich  ajufgcnommcn ; 
aber  nur,  um  die  Möglichkeit  und  Nolhwendigkeit  nachzuwei- 
sen, über  ihn  hinauszugelangen,  und  so  auch  einen  höbern 
Standpunkt  der  Wahrheit  anzuericennen ,  als  den  sittti* 
eben,  welcher  seiner  Strenge  nUch,  »von  Gott  Nichts 
weiss**.  *)  ) 


*)  System  der  Sittenlehre  1812   Bd.  111.    $.4.25.   u.  s.  w. 


des  individuellen  Ich.  565 

Es  muss  daher  in  der  objekti venSelbstanscharung 
des  Ich  (in  seiner  empirischen  Selbstgegebenhetl)  Etwas 
liegen,  von  welchem  aus  ein  solches  freie  Sicherhe. 
ben  über  das  Ich  möglich  wäre: — ein  Zusatz  in  seiner 
ünmillelbarkeil ,  der  Nichts  weiter  wäre ,  denn  seine  B  e- 
greifiichkeit  als  Erscheinung  der  Erscheinung.  (Es  ent- 
geht dabei  nicht  die  abermals  teleologische  Art  der  Be* 
weisluhrung:  das  Ich  soll  sich  über  sicherhoben;  darum 
muss  im  Faktum  seiner  Sclbstanschauung  etwas  Dem  £nt-> 
sprechendes  gegeben  sein,) 

Welches  dieser  Zusatz  sei ,  ist  sehr  leicht  zu  erken- 
nen :  das  Ich  soll  an  ihm  sich  begreifen,  als  die  blosse  Yer« 
standcsfonn  der  Einen  Erscheinung,  und  darin  des  Einen 
erscheinenden  Gottes.  Diesen  Begriff  seiner  selbst  soll 
es  finden,  soll  durcti  sein  Denken  dazu  genölhigt  wer^ 
den  von  seiner  unmittelbaren  Sclbstanschauung  aus; 
am  Angeschauten  soll  sich,  als  Exponent  desselben,  der  B  e- 
griff  entwickeln.  Der  iermmus  a  quo  für  den  Begi'ilT 
der  Einheit  ist  aber  die  Mannigfaltigkeit.  Inder 
unmitlelbainpn  Selbslanschauung  daher  muss  das  Ich  schlecht- 
hin versenkt  sein  in  ein  Mannigfaltiges;  in  seiner  gesamm- 
ten  Wirklichkeltsfonn  kann  überiiaupt  nur  Mannigfaltigkeit, 
keine  Einheit,  gefunden  werden.  So  ist  das  Ich  auch  nur 
ein  Mannigfaltiges;  und  wirklich  ist  kein  Ich,  als  Eines, 
sondern  nur  als  Ichc.  EberT  darum  können  sie  aber  nicht 
bei  sich  selber ,  als  dem  Letzten ,  stehen  bleiben :  in  ihrer 
Mannigffalligkeit  liegt  die  Nölhigung  für  ihr  Denken ,  sich 
als  blosses  Principiat ,  Erscheinungsform  eines  Andern,  zu- 
letzt nur  des  Einen  Absoluten ,  zu  begi*eifen.  *) 

Es  ist  derselbe  Gedanke,  an  der  Fakticität  des  Ich  befe- 
stigt, welcher  sonst  in  dem  kosmologtschcn  Beweise  für  das 
Dasein  Gottes  sich  geltend  macht :  das  Mannigfaltige,  Wer- 
dende,  ist  eben  darum  ein  Endliches,  welches  Princip 
seiner  selbst  zu  sein,  den  Grund  scmes  Daseins  in  sich 
selbst  zu  haben ,  nickt  veimag.     Aus  dieser  jiCoiHingeuz^ 


•)  „Thalia  che li«  S.  627    551. 


566  Ableltong 

desselben  (aus  seinem  Auch-nichUsein-kfinnen)  sddiessf 
Jener  Beweis  auf  die  Existenz  eines  absolut  Seienden,  so« 
gleich  eines  absoluten  Grundes  ilir  alles  diess  auch  nicht 
seui  Könnende.  Diese  Schlussweise  nun,  welche  gewöhn- 
lich für  eine  besondere  Leistung  und  die  eigene  Erfindung 
des  philosophischen  Denkens  gehalten  wird,  verallgemeinert 
Fichte,  indem  er  sie  in  der  faktischen  Anscbamings- 
und  Yerstandesfonn  des  allgemeinen  Ich,  und  in  dem  notb- 
wendigen  Denken  seiner  selbst  schlechthin  begründet  nach* 
weist.  Nicht  der  Philosoph  denkt  diesen  Beweis,  sondern 
die  allgemeine  Intelligenz,  die  absolute  Verstandesform, 
denkt  ihn;  und  in  jedem  Akte,  durdi  welchen  das  Ich 
sich  als  endliches  setzt,  ist  auch,  mit  oder  ohne  aus- 
drückliches Bewusstsein,  die  Idee  des  Absoluten,  und  darin 
des  Grundes  jenes  Endlichen,  mitgesetzt.  Und  dieWissen- 
schaftslehre  darf  um  so  mehr  auf  der  nothwendigen  Unab- 
trennbarkeit dieser  beiden  Gedanken  bestehen,  als  ihr  die 
Mannigfaltigkeit  jener  sich  selbst  erscheinenden  endlichen 
Iche  in  der  Wurzel  keine  Wahrheit  hat ,  nur  die  als  ein 
Nichtiges  zu  erkennende  Form  der  Bildlichkeit  J3t.  — 

So  zeigt  sich  auch  von  hier  aus :  ^-  was  die  Iche  zu 
individuellen  macht,  ist  weder  —  nach  Unten  — die 
faktische  Selbstanscbauung ,  noch  -^  nach  Oben  —  das 
qualitative  Erscheinen  Gottes,  als  der  absolute  Zweck 
der  Welt,  sondern  das  Ergreifen  jenes  Zweckes,  der  sitt- 
lichen Weltaufgabe  von  einer  besondem  Seite:  jedes  leb 
ist  wahrhaft  individuell  und  eigenthümlich  nur  in  def  Dar- 
stellung jenes  Zweckes.  Es  ist  hierin  nicht  die  blosse 
Vervielfachung  des  Ich  (wie  sie  im  Gattungsleben 
vorkommt),  sondern  die  gegenseitige  Ergänzung  und  b- 
tegrirung  der  Iche  gesetzt :  sie  insgesammt  machen  das 
tifittm  coUeoHeum  des  gemeinsamen  Ich ,  und  der  Einea 
göttlichen  Erscheinung  aus ,  aber  als  geschlossenes 
System  eigenthümlicher ,  durch  einander  sich  vollenden- 
der Individualitäten :  eine  Gemeinde  der  Geister,  vereinigt 
durch  den  sittlichen  Willen  und  die  harmonisch  sich  ihnen 
stellenden  Lebensaufgaben ;   und   so   muss  auch   von  hier, 


des  individaellen  Ich.  567 

vcm  dem  qitalitiativen  Momente  der  Mannigfaltigkeit  der 
Iche  aus ,  die  theoretische  Erhebung  zur  Einheit,  zum 
Bilde  Gottes,  nothwendig  erfolgen.  *) 

Damit  isl,  von  beiden  Seiten  her,  die  Möglichlceit  und 
Nothwendigkeit  einer Wissenschaflslehre  nachgewiesen:  sie 
selbst  nämlich  ist  nichts  Anderes,  als  die  Vollziehung  jener 
in  der  ganzen  Grundform  und  Selbsterscheinung  des  Ich 
liegenden  Reflexion:  dass  das  Ich  in  seiner  Man« 
nigfaltigkeit  und  in  den  ganzen,  damit  zu* 
gleich  gesetzten  empirischen  Apparate, 
nichts  Letztes, .sondern  selbst  Principiat,  aber,  als  le* 
diglich  bildendes  Vermögen,  Principiat  eines  B  i  1  d  I  e  b  e  n  s, 
diess  jedoch  Principiat  eines  im  Bildleben  erscheinenden 
absoluten  Seins  sein  müsse:  die  Wissenschaflslehre 
ist  nur  das  in  der  Grundform  der  Erscheinung  als  möglich 
und  nothwendig  gesetzte,  irgend  einmal  demnach  sich  voll- 
ziehen müssende,  absolute  Sichverstehen  der 
absoluten  Erscheinung.  Sic  beginnt  also  da- 
mit, dass  sie  ,  unter  den  bisher  abgehandelten  „Thatsa-* 
eben  des  Bewuss tseins^  sich  selbst  als  die  höch- 
ste Thatsache  begründet,  und  so  zugleich  ihr  eigenes  Da- 
sein erklärt  und  sich  stets  von  Neuem  erfindet 

Eigenthümliche  Aufgabe  der  Wissenschaftslehre  ist  es 
daher,  das  Sichverstehen  der  Erscheinung  -^ 
was  deren  absolute  Grundform  ist,  —  zu  vollenden: 
ihr  einfaches  Problem  ist  daher  nur,  die  absolute  Ver- 
standesform zu  erschöpfen,  d.  h.  alle  Mannigfaltigkeit, 
welchen  Namen -sie  auch  habe,  aus  dieser  abzuleiten,  und 
so  dieselbe  auf  Einheit  —  aber  zunächst  gar  nicht 
auf  Einheit  des  Seins,  sondern  des  Bildwesens, —  zurück- 
zuführen. Indem  sie  dadurch  den  Grund  aller  Mannigfal- 
tigkeit in  Einern^  dem  Grundbilde,  findet,  Bild  und  Bildlcben 
aber  nicht  das  Letzte ,  Absolute,  sein  kann ,  sich  viclmelir 
als  Nichtabsolutes  schlechthin  erkennt :  erhebt  sie 
sich  hiermit  zum  wahrhaft  Letzten ,   dem  absoluten  Sein 


•)  ,/rhat«acheii«*  S.  552    561. 


&68  Das  absolute  Sein, 

(Quäle  und  Inhalt)  jenes  Bildiebens.  Die  Refiezion,  ge- 
rade weil  sie  sich  durchgeführt,  in  absolutem  Selbstverste» 
hen  gefasst  hat,  vernichtet  sich  selbstbewusst  an  jenem 
Begriffe  des  absoluten  Seins. 

Daher  ist  nur  das  Absolute  in  der  wahren  und  ein- 
fachen Form  des  Seins:  reines,  an  sich  seiendes 
Leben.  Die  Erscheinung  ist  nicht  in  diesem  Sinne,  son- 
dern nur  in  der  zusammengesetzten  Form  des  S  i  c  h  v  e  r- 
stehens.  Nennen  wir  diese  zweite  Art  des  Seins,  um 
die  in^  ihr  liegende  Beziehung  auf  sich  selbst ,  ihr  n  u  r 
f  ür  s  i  c  h  Sein  auszusprechen ,  etwa  D  a  sein  ,  Existenz, 
Aeusserung  des  absoluten  Seins  (so  hatte  Fichte  das 
Verhältniss  beider  Begriffe  auch  in  seiner  ,,ReligionsIehrc^ 
gefasst);  so  heisst  dieser  Satz:  was  da  ist,  ist  nur  da 
im  Verstände.  Der  Verstand  ist  aber  nicht  Verstand  von 
Nichts,  sondern  der  Erscheinung,  des  absoluten  Bildwesens; 
diese  wiederum  ist  nicht  Erscheinung  von  Nichts,  sondern 
des  Absoluten,  und  erst  hier  ist  der  Umkreis  des  Be- 
gründens  wahrhaft  beschlossen.  ^) 


Hiermit  ist  nun  aufsteigend  das  höchste  Princip  der 
Wissenschaftslehre  gefunden  worden ,  der  Begriff  des  a  b- 
soluten  Seins.  Das  Wissen  ist  dadurch  jedoch  wie- 
derum, wie  es  scheint,  seinsetzend,  objciitivirend,  ge- 
worden ;  —  träten  daher  nicht  aUe  Rechte  der  Reflexion 
an  dieses  „Sein*  wieder  hervor?  Und  wehrt  nicht,  was  ist 
der  eigentliche  Grund,  jene  davon  abzuhalten,  welche  vor- 
her im  Einzelnen  an  jedem  Sein  aufwies,  dass  es  nur 
objektiv  Hingebildetes^  also  aus  einer  deutlich  nachzuwei. 
senden  Synthesis  von  Subjekt-Objektivem  Erwachsenem  sei? 
Warum  ist  diess  Sein  überhaupt  gar  kein  Objektives 
mehr,    sondern  in  seiner  Absolulheit,   welche  darin  eben 


♦)  „Thatiacben"  S.  567. 


als  Gehalt  des  abscdofen  Wissens.  569 

gegründet  ist,  Princip  alles  Subjekt-Objektiven,  der  absoi* 
tuten  Vcrstandesform  ? '  Liegt  namliGb,  unsem  Nachweisun* 
gen  zufolge,  in  dieser  Ueberwindung  der  Reflexion  und  in 
der  Begründung  jenes  Princips  der  Identität  des  Subjekte- 
Objektiven  die  allgemeine  wissenscbaftliehe  Bedeutung  die- 
ses Systems ;  so  ist  es  jetzt  an  uns,  auch  voik jenem  hoch* 
sten  Standpunkte  aus  diess  Verhaltniss  nachzuweisen. 

Hier  gilt  es  nun,  an  die  frühem  Sätze  über  das  We-» 
scn  des  Wissens  und  seine  allgemeine  Bedeutung  zu  er- 
innern. —  Das  Wissen  in  seiner  Allgemeinheit  und  uin-p> 
fassend  all  die  einzelnen  Bestimmungen  und  Momente,  die 
in  ihm  gesetzt  sein  können,  ist  unendlich  bildendes  Leben  2 
als  solches  ,  darum  nicht  mehr  bloss  in  seinen  einzelnen 
objektiven  Bewusstseinsakten,  sondern  an  sich  und  im  All"« 
gemeinen,  setzt  es  einen  absolut  unendlichen  Inhalt,  — 
nicht  aber,  als  ob  es  ihn  hervorbrächte,  da  es  selbst  viel« 
mehr  nur  durch  denselben  überhaupt  möglich  wird,  — 
sondern  es  setzt  ihn  voraus,  als  die  Grundbe- 
dingung seines  Seins.  Das  Wissen  weist  durch  sich 
selbst  über  sich  hinaus  auf  ein  schlechthin  ihm  Vorauszit« 
setzendes ,  und  kündigt  sich  an  durch  sein  Wesen ,  als 
Zweites,  Abgestammtes,  nur  durch  und  inAn- 
derm  Seiendes. 

Dieses  schlechthin  Erste,  vor  allem  Wissen  und  allen 
konkreten  Begriffen  und  Gegensätzen,  die  dasselbe  weiter 
hervorruft,  —  also  an  sich  selbst  durch  keinen  derselben 
zu  bestimmen,  indem  diese  Bestimmung  ja  doch  nur  Pro- 
dukt sein  könnte  eines  innerhalb  des  Wissens  vollzoge- 
nen Gegensetzens,  —  kann  nur  durch  einen  einzigen 
Bcgriß  bestimmt  werden,  der  selbst  freilich  wiederum  nur 
innerhalb  eines  Gegensatzes  ist,  aber  nicht  eines  solchen, 
den  das  Wissen  aus  sich  gesetzt,  hervorgebracht 
hjitte,  sondern  der  mit  dem  allgemeinen  Begriifc  des  Wis- 
sens selber  gegeben  ist. 

Absolutes  Wissen  setzt  voraus  absolutes  SeVn, 
was  nun  nicht  mehr  ein  Objektives  im  Gegensätze  drs 
Sul^ektiven  sein  kann  ^   sondern  der  Gehalt   in   allem 


570  Aufliebiingf 

Subjekt -objektiven  Bilden  des  Bcwusstscins,  das 
selbst  in  ihm  Darstellende,  die  tnneriieh  mit  ihm  yer- 
e inigte  Wurzel   und  Grundla;rc  desselben  gedacht  wird. 
Durch  seine  Existenz  und  sein  Wesen  (als  Bild)  giebt  das 
Bewusstsein  schlechthin  Zeugniss  Itir  das  Sein  des  Ab- 
soluten, welches  ist,   so  gewiss  und  weil  über- 
haupt  Bewusstsein    ist.    Und  hieran  kann  die  ein- 
tretende Reflexion,  die  vorher  am  einzelnen  Sein  mit  Recht 
den  vernichtenden  Zweifel    hervorhob,   nur  sich  selbst 
vernichten ,   und  somit  überhaupt  erlöschen :    es  ist    die 
wahrhafte,  einzig  Stich  haltende  Realität,  weil  das  Be- 
wusstsein selber  durch  sein   allgemeines  Sein  Zeug- 
niss daftlr  wird ;   und   eben  dadurch ,    dass  die  Reflexion 
sich  durchgeführt,    die  absolute  Reflexibilität   durchaus  in 
sich  vollzogen  hat,  ist  sie  genöthigt,  sich  aufzugeben  und 
über  sich  hinauszugehen.    Und  die  Wissenschaflsiehre,  als 
diese  Durchfuhrung  der  Reflexion ,    ist  sonach  ,   auch  von 
liier  aus  betrachtet ,   keine  fremdartige  oder  künstlich  er- 
dachte Theorie,    sondern  nur  das   nothwendige  Scibstver- 
stindniss   des   allgemeinen  Bewusstseins    selber,    die  ur- 
sprüngliche Selbstbesinnung  desselben :   das  Wissen, 
durch  Reflexion   eben  sich  abthuend    von  der  Zerstreuung 
über   die  Mannichfaltigkeit    seiner  Objekte   und    endlichen 
Beziehungen ,  besinnt  sich  auf  sein  ursprüngliches  Wesen, 
auf  die  Wurzel  seines  Seins,  und  nachdem  in  diesem  Läo- 
terungsprocessc  alle   andere  Realität  sich    ihm   verflüchtigt 
hat,  findet  es  hier,  in  der  eigenen  Tiefe,  die  unentweich- 
bare  Beziehung   auf  eine   un  endli  che  Realität,   als 
deren  Sichtbarkcits-  und  Verslandcsform  es  sich  selbst  nur 
fassen  kann.    Die  absolute  Realität  offenbart  (versicht- 
bart)  sich  in  ihm ;  die  Schranke  der  Subjektivität  ist  durch- 
brochen ;  die  Verhärtung  des  Ich  in  sich  selbst  übeo^nn- 
den:   es  kann  sich  nur  als  an  und  in  einem  Andern, 
dem  Absoluten,  erkennen,   und  wie  es,  dieses  in  steh 
olTenbarcnd ,   auch  für  sich  selbst  nur  Realität  zu   gewin- 
nen vermöge.    Auch   die  tiefere  wissenschaftliche  Selbst- 
besinnung ist  daher  nur  ein  vollkommnercs  Erken- 


der  Reflexioii  daran.  571 

nen  des  Abaoluten,   weil  es  der  alleinige  In- 
halt des  Wissens  ist 

Dadurch  erglebt  sich  aber  zunächst  die  ganxe  Be- 
deutung der  Reflexion  und  des  durch  sie  erregten  Zwei- 
fels: es  ist  dieNegation  des  Endlichen  imBewussU 
sein  nicht  gesetzt,  damit  es  überhaupt'  bei  diesem  Negiren 
sein  Bewenden  habe,  welcher  ganz  haltungslose  Standpunkt 
vielmehr  fOr  sich  Selbst  sich  in  einen  absoluten  Wider- 
spruch auflöst ;  sondern  indem  daran  mit  unwiderstehlicher 
Gewalt  das  Bewusstsein  des  Absoluten  als  der  wahr- 
haften Realitdt  hervorbricht,  hat  eben  jene  Negation 
selbst  erst  ihre  Bedeutung  erhalten:  nur  um  der  Schein- 
weit ihr  Recht  zu  thun,  dann  aber  sich  selbst  aufzugeben, 
kann  die  Reflexion  sich  geltend  machen ;  und  wir  haben 
hier  in  wissenschaftlichem  Ausdrucke  nur.  denselben  lieber- 
gang  von  der  absoluten  Negation  zu  dem  erfiUlenden  Po- 
sitiven gefunden,  der  schon  vorher  bei  H  u  m  e  in  histori- 
schem Zusammenhange  von  uns  dargestellt  wurde:  die 
Skepsis ,  die  Reflexion  ist  Qberall  nur  die  negative  Seite 
der  philosophischen  Wahrheit  Ist  im  Wissen  nicht  vor« 
erst  die  Welt  des  Endlidhen  überwunden ,  so  vermag,  es 
auch  sich  selbst  nicht  recht  zu  erkennen,  als  innerlich 
Eins  mit  dem  Ewigen,  Absoluten« 


So  ist  vollständig  das  Princip  gerechtfertigt,  aus  wel- 
chem das  System  dasjenige,  dessen  Lehre,  Ableitung  es  zu 
sein  behauptet,  selbst  ableitet,  und  wir  setzen  unsem  Leser 
an  dem  Eingange  der  eigentlichen  Wissenschaftslehre  ab, 
auf  deren  speciellere  Ausführung  wir  ihn  verweisen  müs^ 
sen.  *) 


•)  ,,D  i  e  W  i  »  s  e  n  s  c  h  a  ft  s  I  e  h  r  e,  V  o  r  g  e t  r  a  g  e  11  1  m  J.  181 5.'* 
Nachgelassene  Werke  Bd.  11.  S.  317.  ^  336--dl6. 
u.  t.  w. 


573  Hookster  DedidiKonspankt 

Hier  begnAgen  wir  uns ,  das  Charakterisfisdie  dieser 
allgemeinen  Principien  herauszuheben;  zwar  sind  sie  von 
Fichte  selbst  in  jenem  Vortrage  der  WissenschaRslehre 
mit  ebenso  viel  Klarheit,  als  Kurze,  ausgesprochen  worden; 
doch  hat  man  durchaus  in  allen  krilischen  Berichterstat- 
tongen  und  Geschichten  neuerer  Philosophie  diesen  Theil 
völlig  ignorirt ,  welcher  doch  erst  über  den  Charakter  der 
Wissenschaftslehre  in  ihrer  spätem  Ausbildung  entschei« 
den  kann. 

Der  Philosoph  muss  mit  dem  faktischen  Wissen  zu 
Ende  gekonmion  sein:  dieses  Ende  ist  der  Begriff 
des  Absoluten;  und  dieser  von  der  andern  Seite  her 
(för  das  Herabsteigen)  der  A  n  f  a  n  g  der  Philosophie.  Das 
faktische,  von  Genesis  durchdrungene,  zufällige,  mithin 
auch  nicht  sein  könnende ,  Sein  treibt  das  Denken  auf 
das  Sein  des  Absoluten,  welches  darum,  als  nicht 
nicht  sein  könnend,  den  Begriff  der  Existenz 
not h wendig  in  sich  scliliessend,  gedacht  werden  muss. 
Hiermit  ergiebt  sich  der  Gegensatz  zweier,  wie  es  zunächst 
scheinen  muss,  sich  gegenseitig  ausschliessender  Begriffe 
von  Existenz :  das  Absolute  kann  nicht  nicht  sein, 
und  keine  Genesis  kann  damit  vereinigt  werden.  Das 
Faktische  kann  seiend,  oder  auch  nicht  seiend,  gedacht 
werden;  wir  fragen  sodann  nach  einem  Grunde  dessel- 
ben: es  wird  erzeugt  in  der  Emsicbt;  also  kann  es 
mit  der  Genesis  synthesirt  werden,  ja  es  muss  diess  auf 
einem  gewissen  (dem  rein  faktischen)  Standpunkte. 

Die  Philosophie  muss  darum  neben  dem  absoluten  Sein 
auch  ein  faktisches  Sein  zugeben;  denn  Werden,  Ge- 
nesis, das  vom  Absoluten  aus  seinem  Umkreise  schlechthin 
Ausgeschlossene,  existirt  thatsäcblich.  Hieraus  entsteht  der 
Widerspruch,  dessen  Lösung  die  eigcnthümUche  Auf- 
gabe der  Philosophie  ist.  ^  Kein  Sein  ausser  dem  Einen  ab- 
soluten, spricht  der  Begriff:  dennoch  ist  ein  faktisches  Sein, 
behauptet,  jenen  widersprechend,  das  faktische  Bewusstscin. 

Aber  warum  soll  dieser  Widerspruch  gelöst  werden? 
Es  ist  bloss  das  Interesse    des  Verstandes,  der  Klarheit: 


der  Wisscnsehaftsicbre.  573 

man  kann  ihn  allerdin^  auch  ung'elöst  lassen.  Nor  Gott 
ist,  Alles  ist  in  ihm,  haben  Viele  gesagt;  diess  giebt 
ein  andächtiges  Schwfinnen.  Die  Frage  ist  viehnefar:  wie 
ist  denn  nun  Alles  in  Gott?  Diess  dürfte  sogar  höchst 
praktisch  werden. 

Zur  Lösung  jenes  Widerspruches  giebt  es  zwei  Wege, 
von  denen  jedoch  nur  Einer  denselben  wirklich  löst ,  der 
andere  ihn  stehen  lässt,  ja  ärger  macht,  indem  er  ihn  zur 
Schau  ^teflt.  Der  letztere  besteht  darin ,  wenn  man  den 
Gmndcharakter  des  Seins  mittheilt  an  das  faktische  Sein, 
und  ihii  beiden  gemein  macht. 

Diese  Mittheilung  selbst  scheint  auf  doppelte  Weise 
möglich:  entweder  das  absolute  Sein  wiederholt  und  setzt 
sich  (im  faktischen  Sein)  noch  einmal  ganz;  so  ist  iä 
ihm  Genesis  und  Wandel.  (Hiermit  kann  Fichte  eigenl« 
lich  nur  die  Schöpfungstheorie  im  Auge  gehabt  haben,  die 
eine  Mittheiiung  Gottes  durch  Schaffen  an  die  WeJt ,  diess 
aber  als  einen  in  die  Zeit  fallenden  Akt  Gottes  betrachtet 
Eine  solche  Fassung  ist  völlig  unverträglich  Aiit  dem  ganz 
nur  abstrakten  und  elementaren  Begriffe^  welchen  die  Wis- 
senscfaallslehre  von  Gott  hat :  es  ist  daher  höchst  charak- 
teristisch ,  dass  Fichte  jene  Lehre  nur  stehen  lässt ,  als 
ein  völlig  Unverständliches  und  Incommensurables  ,  indem 
er  ihr  von  seinen  Prtncipien  aus  völlig  Nichts ,  nicht  ein- 
mal ein  bis  zum  Interesse  ihrer  Widerlegung  Reichendes, 
abgewinnen  kann.) 

Oder  das  Absolute  ist  in  sich  selbst  ein  Mannig- 
faltiges und  insofern  Faktisches.  Das  Letztere  ist  der 
AufscUuss  Spinosa*s;  und  diess  die  von  ihm  vorge- 
brachte Lösung  jenes  Widerspruchs.  Nach  ihm  ist  das 
Eine  Absolute  zugleich  schlechthin  mannigfaltig,  Denken 
und  Ausdehnung;  jedes  dieser  ewigen  Attribute  wie- 
derum ist  ebenso  absolut  bestimmt  und  gegliedert  bis 
auf  die  kleinste  Modifikation  herab.  Nicht  das  Absolute 
wandelt  sich  daher  oder  wechselt;  es  isf  schlechthin  der 
Wandel:  dieser  ist  (als  eine  unendliche  Reihe  endlicher 
Modifikationen  des  Denkens  und  der  Ausdehnung)  selbst  in 


674  Mit  Sptno8a*s  Piineliie  vergltchcn 

das  absolute  Sein  aorgcnommen.  Die  Fakticitat  ist  m*9 
Absolute  erhüben  worden. 

Aber  diess  einmal  zugegeben ,  isl  das  Absolute  diess 
Alles  mit  Nothwendigkeil;  es  moss  so  sein  und  kann 
nicht  anders:  ^mithin  nach  einem  Gesetze.  Dadurch  er- 
halten wir  zwei  Absoluta,  ein  bestimmendes,  jenes 
Gesetz,  das  durchaus  von  sich  keine  weitere  Rechenschaft 
geben  kann,  wonach  Alles  absolut  und  mit  Nothwendigkelt 
ist,  was  da  ist;  und  ein  bestimmtes,  in  seiner  Frei- 
heit des  Seins  beschränktes.  Das  Absolute  ist  nicht  alles 
—  sondern  nur  das  nach  einem  Gesetze  der  Möglich- 
keit mögliche  Sein:  der  Begriff  des  Durch  und  Von 
sich  selbst  Seins  des  Absoluten  ist  angetastet.  (Eme  Kri- 
tik jenes  Systemes,  welche  ganz  abweicht  von  der  gewöhn- 
liehen Art,  es  aufzulassen  und  zu  beurlheilen.) 

Es  bleibt  daher  nur  übrig  die  zweite  Auskunft :  dem 
faktischen  Sein  das  eigentliche  Sein,  die  Art  und  Weise 
des  Seins  des  Absoluten,  ganz  abzusprechen,  und  ihm  eine 
4urchaus  andere ,  jener  schlechthin  entgegengesetzte  Form 
des  Seins  beizulegen.    So  die  Wissenschaftslehre. 

Ffir  sie  stehen  darum  unveränderlich  fest  die  Satzet 
Eins  i  s  t  und  ausser  diesem  Einen  i  s  t  schlechthin  Nichts. 
Alles  Andere  i  s  t  nicht :  diess  ist,  als  der  Wissenschafts- 
lehre charakteristisch ,  festzuhalten  und  keiner  ihrer  Aus- 
drücke so  zu  nehmen ,  als  ob  jenem  widersprochen  wer- 
den sollte.  Ebenso  sind  damit  nicht  Sätze  zii  verwechseln, 
welchen  die  Wissenschaftslehre  gerade  widerspricht,  und 
sie  als  den  Grund  aller  Verworrenheit  erkennt :  z.  B.  Alles 
i$t  Eines,  Alles  in  dem  Einen.  —  Alles:  die  Summe  des 
Mannigfaltigen?  Wer  könnte  nur  verstehen,  dass  in  dem 
Einen  ein  Mannigfaltiges  sei ,  und  vollends  ein  beendetes, 
beschranktes  Mannigfaltige?  Es  wäre  eben  der  Spino- 
sische  Widerspruch. 

Einige,  die  der  Wissenschaftslehre  Ehre  anzntbwi 
glauben  mit  Sätzen  solcher  Art:  wir  sind  in  Gott,  habea 
unser  Leben  in  ihm ,  u.  dgL ;  möchten  sich  erst  umthim, 
in  welchem  Sinne  und  in  welcher  Beschränkung  man  diess 


mid  von  ihm  mtersehieden.  575 

auch  in  der  Wissenscbaftslehre  sagen  könne.  Dieser 
Meinung  müssle  KanI  gewesen  sein,  wenn  er 
ins  Rein.e  gekommen  wäre:  sonst  Keiner.  Die 
Naturphilosophie  macht  das  Faktische  zum  Absoluten ,  den 
eigentlichen  Charakter  des  Letztem,  die  Nicht-Genesis, 
durchaus  verkennend ,  wie  S  p  i  n  o  s  a.  — 

Eine  andere  Form  des  Seins  also  Or  das  Fakti- 
sche musste  geiunden  werden.  Da  könnte  sich  nun  das 
Denken  vergeblich  erschöpfen  und  abmuhen,  eine  solche 
auszudenken:  diess  ist  nicht  mehr  Sache  des  Denkens. 
Sie  nniss  sich  finden,  faktisch  gegeben  werden. 

Und  sie  findet  sich  auch.  Das  Sein  selber  ist  nur 
für  den  Begriff^  iOr  das  Bild  desselben.  Das  Bild 
des  Seins  ist  unabhängig  vom  Sein,  und  dieses  von  jenem. 
—  Da  SS  mithin,  ausser  dem  Sein,  ein  Bild  desselben  ist, 
dass  Bildsein  daher  als  diese  andere  Form  dos  Seins  zu 
betrachten,  ist  an  dem  Begriffe  klar.  Diesen  ist,  laut 
des  unmittdbaren  faktischen  Bewussiseins ;  und  er  ist,  laut 
seines  Zeugnisses  von  sich  selbst  in  unmittdbarer  An«* 
schauung ,  der  Begriff  des  Seins.  Es  ist  darum  gefun«* 
den,  was  ausser  d^n  Absoluten  sein  könne;  —  könne, 
weil  es  eben  ist,  denn  die  Möglichkeit  wird  hier  nur  ge- 
schlossen aus  der  Wirklichkeit,  da  Alles  ausgeht 
von  der  Fakticität  und  Wirklichkeit 

So  ist  der  Widerspruch  im  Ganzen  getost,  d.  i. 
es  ist  ein  Mittel  seiner  Lösung  gegeben.  (Die  weitere 
und  wirkliche  Lösung  würde  nämlich  darin  bestehen,  nach" 
zuweisen,  dass  alles  faktische  Sein  wirklich  nur  Bild- 
wesen oder  Produkt  eines  Bildwesens  sei ;  der  durchge- 
führte Idealismus  wäre  zugleich  der  Beweis  der  Richtigkeil 
jener  Lösung.)  Wohl  aber  kann  nun,  wenn  diese  andere 
Seinsform  gefunden  ist  am  Grundfaktum  derselben,  diess 
wiederum  aus  dem  Begriffe  des  Seins  abgeleitet ,  mit  ihm 
in  Verbindung  gebracht  werden.  Das  Grundfaktum  des 
Bildes,  und  der  ganzen  ,  von  ihm  unabtrennlichen  Ver- 
standesform kann  selber  nicht  auf  Nichts  beruhen  ,  Bilden 
von  Nichts  sein,  sondern  allein  Bilden  der  absoluten  Rea- 


570  Dat  lib«riole  Ersrheinen  Gottes 

litat  f  und  in  seitior  liefsteR  Wurzel  nicht  abgetrennt  Ton 
ihr,  fiondeni  nur  ihr  eigenes  ins  Bild  Treten,  Selbstverste^ 
hen  sein.  Weil  Bild  ist  —  schlechthin  faiitisch  ,  --  so 
schliessen  wir  ferner,  ist  diess  nur  des  absolulen  Seins 
Erscheinung;  mithin  erscheint dasSein zugleich,  ebenso 
absolut,  als  es  ist  *) 

Hiermit  ist  nun  —  unter  Voraussetzung  obiger  Aas- 
fiihnmg  —  der  Wissenschaltdefare  zufolge*  das  Weltpro- 
blem wiridich  gelöst.  Das  absohite  Sein  bleibt  in  sich 
Eins,  unwandelbar ,  ungetheilt  und  unvertfeißittgt :  auch 
das  Bild.,  die  Erscheinung,  ist,  als  Grundbiid,  in  der 
Wurzel  nur  Eine.  Genesis,  ja  unendliche  Genesis  und  die 
Spaltung  In  eine  Unendlichkeit  von  Ichen,  kommt  in  die- 
selbe erst  durch  ihre  absolute  Verstandesform  hinein ,  mid 
die  Nftchweisung  derselben  daraus  —  damit  also  die  eigent- 
liehe  Welterklärung  —  ist  Sache  der  wirklichen  Wissen- 
achaßslehre. 

Die  Verstandesform  aber  ist  iur  die  Erscheinung 
ebenso  absolut  und  aus  dem  Absoluten ,  wie  sie  selbst 
und  das  Sein  es  ist :  nicht  wir  haben  sie,  sondern  sie  hat 
und  gestaltet  uns;  sie  ist  das  wahrhafte  Welt-,  Mannig- 
faltigkeit Schaffende.  Alle  Dinge  sind  freilich  nur  im 
Wissen  ;—  in  jenem  verwirklichten  Sichverstehcn 
di^r  Erscheinung ;  aber  diess  Wissen  ist  selbst  das  gfitt- 
liche  Dasein  **)  und  ewig,  wie  Gott :  zwar  ein  anderes, 
als  diess  innere  Sein ;  aber  unabtreni^ch  von  ihm  und 
ihm  gleich.  So  konnte  F  i  c  h  t  e  (in  der  „Religionslehre«'), 
an  neupiatonisch  -  gnostische  Philosopheme  erinnernd ,  es 
die  W  e  i  s  h  e  i  t  nennen,  die  bei  Gott  ist,  und  nach  Johan- 
nes den  Logos,  durch  den  alle  Dinge  geworden  sind. 

Aber  als  welcher  offenbart  sich  denn  Gott  in  dem 
Wissen,  als  seinem  Dasein?  Diese  Frage,  das  Quali- 
tative, den  eigentlichen  Inhalt   desselben   betreffend, 


*)  Wissensclia  ftslehre  a.  a.  0.  Sr  326— 337. 
*')  Wissens  cbaft<lehre  S    338.  u.  Pichle's  Religions- 
1  e  li  r  ej  ürilte  Vorlesuug ,  S.  82.  ff. 


in  der  absohiten  Verstandesform,  .  577 

wird  von  der  Wissenschaflslehre,  wenn  sie  in  ihrer  streng 
theoretischen  Begränzung  bleibt,  nothwendig  ans  ihrem 
Umkreise  hinweggewiesen  werden  müssen.  Sie  ist  näm- 
lich an  sich  nichts  mehr  als  allgemeine  Wissenslehre,  for- 
male Hieorie  des  Bewusstseins ;  die  eigentliche  Realität, 
das  Qualitative  desselben,  kann  sie  daher  in  diesem  Zusam- 
menhange nicht  erkennen ,  weil  ihr  ganzes  Wissenschaft« 
liches  Element  nur  ist  die  Reflexion  auf  die  Form  des 
Wissens,  mit  nothwendigem  Hinwegsehen  von  dem  Inhalte 
desselben,  der  vielmehr  in  Bezug  aufdie  allge- 
meine Wissenschaft  des  Wissens  aus  jener  nicht 
abzuleitender,  d.h.  nnbegreiflicher,  bleibt.  Desswe- 
gen  kann  die  Wissenschaftslehre  bei  jener  Frage  nur  aufii 
sich  selbst  hinausweisen  in  die  Wirklichkeit  des  Wis- 
sens, und  die  darin  gegenwärtige  Offenbarung  Gottes.  In- 
dem ihr  ganzes  Resultat  aber  der  Beweis  ist,  wie  lediglich 
durch 'das  religiöse  Bewusstsein  und  sittliche  Handeln  (nicht 
etwa  bloss  in  negativer  Moralitat)  das  Absohite  ohne  Hülle 
und  Abbruch,  d.  h.  als  Gott,  sich  im  Ich  verwirklicht: 
endet  sie  dadurch  indirekt  in  einer  Religionslehre, 
und  verweiset  so  zuletzt  an  das  Leben  und  dessen  hö- 
here Ausbildung,  für  weiches  sie  nur  die  formale  Vor- 
bereitung sein  zu  können  gesteht.  —  Aber  eben  diess 
besonnene  Festhalten  ihres  Standpunktes,  diess  Anerken- 
nen der  nothwendigen  Schranke  desselben,  hat  ihr  vielfach 
die  Anklage  einer  bloss  formalen,  nihilistischen  Wissen- 
schaft zugezogen;  und  auch  die  ganze  Polemik  Ja  c ob i 's, 
wie  sie  sich  in  dem  berühmten  Schreiben  ironisch,  als  Un- 
wissenheitslehre, der  Wissenslehre,  als  einer  leeren,  nich- 
tigen ,  sogar  ausdrücklich  für  atheistisch  bezeichne- 
ten, entgegengesetzt,  beruht  bloss  auf  dem  Begehren,  ent- 
weder das  eigentlich  Qualitative ,  Unergründliche ,  das  nur 
KU  Erlebende,  a  priori  zu  erkennen,  oder  desshalb 
alle  Philosophie  als  werlhlos  aufzugeben.^  ^     ' 

•)  Thalsaclieii  Bd.  I.  S.  569— 572.,  Wi  ssenscliafls'l.  Bd.  11. 
S.  49 1.92.  Vgl.  Bd.lll.S.3ü9.,  und:  Zu  „Jacobi  an  Fichte" 
das.  S.  390     394. 

37 


578  Inkoaseqoenz  der  W.  L« 

So  gehl  auch  die  WisseaschafUlehre  zoletzl  darauf 
hinaus ,  wie  jede  gunze ,  aus  einem  Hittelpankte  sich  ent- 
faltende  Erkenntniss  ,  die  gesammte  Denkweise  amai- 
bilden,  und  eine  bestimmte  Lebens  ans  ich!  als  die 
einsig  und  erschütterUch  wahre  aufzustellen.  Sie  trifft  den 
ganzen  Menschen  und  dessen  innerste  Gesinnung;  wie 
vermochte  daher  auch  nur  theoretisch  derjenige  sie  zu 
fassen  oder  sie  gelten  zu  lassen ,  dessen  eigentliche  Welt 
ihre  ganze  Denkart  zerstört  ?  Und  so  wird  auch  sie,  gleich 
jeder  andern  wahrhaft  spekulativen  Lehre ,  nie  eigentlich 
populär  werden  können ,  oder  allgemein  anerkannt ;  viel- 
mdir  wäre  eine  solche  AUgemeinfasslichkeit  iur  jede  Phi- 
losophie das  verdachtigste  Anzeichen. 

Noch  bleibt  indess  ein  wichtiger  Punkt  der  Erwägung 
übrig  ober  eine  Seite  am  Systeme,  welche  im  Vorigen  noch 
nicht  besonders  zur  Sprache  gekommen.  —  Nach  d^  vom 
Urheber  selbst  nachdrücklich  ausgesprochenen  Konse^pieos 
seiner  Ldire  ist  das  Wissen  in  allen  seinen  Formen  mti 
Entwickehingsstufen  nichts  Anderes  ,  als  das  mehr  .oder 
minder  entwickelte  Selbstverstehen  der  Erscheinung  Gottes: 
nirgends  also  und  in  keiner  Form  ist  es  völlig  leer,  einer 
eigentlichen  Healitat  enti^ehrend;  und  die  Reflexion,  wel- 
che ,  aufsteigend  vom  unmittelbaren ,  faktischen  Be- 
wusstsein,  Alles  hinter  sich  zu  zerstören ,  jede  Realität  zu 
tilgen  schien,  muss  zum  höchsten  Punkte  der  Befriedigung 
in  sich  selbst  gelangt ,  von  da  wieder  herabstteigen, 
und  jenen  .Fluch  der  Vernichtung  zurücknehmen,  ja 
die  ganze  Welt  des  Bewusistseins  sich  in  neuem  verklarti- 
rem  Lichte  wiedererstehen  lassen.  Alles  Wissen  zeigt  sich 
nur  als  die  verhülltere  oder  entwickeltere  Selbstoffenbaruog 
des  Absoluten ;  und  Idealismus  und  Realismus  haben  in  der 
Tbat  sich  vollkommen  durchdrungen;  die  objektiven  Dinge 
eines  einseitigen  Realismus  sind  verschwunden ,  eben  so 
aber  auch  das  leere  Sich  in  sich  Abspiegebi  eines  ideali- 
stischen Bewusstseins.  Die  wahrhafte  Realität  und  das 
absolute  Wissen  sind  als  Eins  erkannt  worden  in  ihrer 
tiefsten  Wurzel:    jene    ist  nur  im  Wissen,  dieses  aller 


in  ihrer  Anffawmig  der  Natur.  579 

ItealiUlt  mlchllg;  beide   fcfalechtbiit  durchdringlich 
Br  einander« 

So  kann  denn  flttcit  das  Bewusstoein  deg  sinnlichen 
Universums  keineswegs  mehr  gelten  ^  als  die  bloss  sttbjek« 
tive  Erscheinung  eines  durchaus  Unbekannten  Dinges  (nach 
Kant),  noch  als  ein  leerer  Schematismus  des  Wissens  in 
rieh  selbst  (nach  der  ersten  nnd  zweiten  Gestalt  derWis-» 
Benschaftslehre);  sondern  es  muss  erkannt  werden  als  die 
Selbstoflenbarung  des  Absoluten  in  der  Form  unmittelbarer 
Gegebenheit  und  strenger  Gesetslichkeit^  und  so 
als  die  erste  feste  Voraussetzung  des  Daseins  und  des  Wis» 
sens,  für  die  Entwicklung  der  durch  Freiheit  zn  vermitteln-« 
den  Formen  desselben.  Indess  kann  aaf  dem  Standpunkte 
der  Wissenschafkslehre  ^  als  Theorie  des  Wissens ,  nur  im 
Allgemeinen  bewiesen  werden,  da ss  ein  solches  unmittel-« 
bares  Dasein  und  Bewusstsein  nothwendig  sei ;  k^neswegi 
abet^  als  welches  es  sich  gegeben  sein  müsse ^  odei 
Mit  andern  Worten :  es  ist  von  hier  aus  keine  spekulative 
tliysik  möglich ;  die  Wissettschaftslehre  kann  das  faktische 
Wissen  nur  a  1  s  Faktisches  aufnehmen  ^  und  von  da  aus 
weiter  gehen :  sie  enthält ,  wie  wir  uns  mit  Rücksicht  auf 
die  spätem  Systeme  ausdrucken  würden ,  nur  die  Gruqcl-' 
läge  einer  Geistesphilosophie»  lieber  diese  SelbsU» 
enthultung  geht  jedoch  die  Wissenschaflslehre  hinaus:  sie 
stellt  einen  positiven  BegriiT  von  der  Natur  auf,  indem  sie 
ihr  überall  nichts  mehr  ist,  als  die  absolut  gegebene^  aber 
bloss  formale  Bildlichkeit ^  nothwendig  gesetzt^  damit  eS 
nur  überhaupt  zu  einem  Wissen  komme ,  als  solche 
aber  durchaus  ungöttlich  und  leer  an  Realität,  welche  nur 
durch  die  Freiheit  hindurch  in  die  Sinnenwelt  eingeführt 
zu  werden  vermöge.  Also  lediglich  in  dem  aus  dem  Na-» 
turzustande  schon  entwickelten  Bewusstsein  erscheint  nach 
dieser  Ansicht  das  Göttliche 9  nicht  in  der  Natur;  woraus 
man  sich  dann  die  übrigen,  zum  Theil  im  Vorigen  ausge« 
hobenen  Folgerungen  leicht  selbst  entwickeln  kann« 

Uns   scheint  jedoch    diese   Ansicht    von    der  Natitf 
nicht  nur  nicht  bedingt  zu  sein  durch  die  Konsequenz  det 


580  Tieferer  Grund  derselben.* 

Wissenschanslchre,  sondern  sogmr  im  WidersIreile  zu  ste- 
hen mit  dem  ganzen  Principe  derselben.    Keine  Form  des 
Bewusstseins  nach  ihr  kann  Wissen  des  Nichts,   leere, 
bloss  formale  Bildlichkeit  sein;  Bild,  in  welchem  Nichls 
sich  bildete,  wire  ein  absoluter  Widerspruch:   und  diesen 
Satz ,  —   das  wahre  Endergebniss  der  ganzen  Lehre  und 
zugleich  den  Begründer  eines  wissenschaftlichen  Realismus, 
—  in  allen  seinen  Beziehungen  und  Folgen  zu    entwik- 
kein ,  wäre  eben  die  weitere  Aufgabe  derselben.    So  ist 
nach  dieser  Grandansicht  vom  Wissen  auch  das  faktische 
Bewusstsein   nur  irgend  eine  bestimmte  Ansichtsweise  des 
Einen  ewigen  Inhaltes  des  Wissens,  der  göttlichen  Erschei- 
nung; -^  wir  haben  bereits  nachgewiesen,  welche?    Und, 
wie  wir  gesehen  haben,  fehlte  es  selbst  in  Fichte  nicht 
an  vorübergehenden  Regungen   zu  dieser  einzig  richtigen 
und  konsequenten  Ansicht  von  der  Natur. 

Fragen  wir  aber :  woher  jener  Widerstreit  der  Wis- 
senschaftslehre gegen  ihr  eigenes  Princip,  noch  dazu  in 
einem  so  wichtigen  Punkte,  stammen  möge,  worin  sie  aller- 
dings bisher  ihren  Gegnern  die  verwundbarste  Seite  darge- 
boten hat:  —  so  ist  es  offenbar  noch  der  Kantianismos, 
namentlich  seine  falsche  Raum-  und  Zeittheorie,  welche 
die  Wissenschaftsichre  in  ihrer  spätem  Vollendung  noch 
nicht  ganz  abgestreift,  und  welche  sie  hier  mit  ihrer  eige- 
nen Grundansicht  in  Widerstreit  versetzt  hat  —  Sind 
Raum  und  Zeit  in  der  That  nichts  Anderes,  als  die  sub- 
jektiven Anschauungsformen  des  Bewusstseins,  so  muss 
konsequenter  Welse  auch  die  Erscheinung  der  wahrhaften 
Realität,  des  Göttlichen,  von  ihnen  ausgeschlossen  bleiben; 
im  räumlich  Ausgedehnten  und  im  zeitlich  Verlaufenden, 
der  Natur,  kann  nach  dieser  Ansicht  das  Gepräge  eines 
Schöpfergottes  nicht  einmal  mehr  gesucht  werden;  sie  ist 
dann  durchaus  nur  eine  Welt  subjektiver  Bilder, 
ohne  höhere  vorbildliche  Bedeutung:  und  wenn  diess 
die  unmittelbaren  Nachfolger  Kan't's  nicht  anerkennen 
oder  nur  unvollständig  zugeben  ,  so  ist  diess  nur  eine 
der  Inkonsequenzen ,    die    sich  schon    oben    bei  der  ge- 


Ob  die  W.  L.  paniheistisch  ?  581 

nauern  Musterung  ihrer  Philosopheme,  uns  nicht  verbergen 
wollten.  So  entscheidend  ist,  von  Kant  aus,  eine  bericli- 
tigic  Raum-  und  Zeittheorie  desselben ,  und  die  entschie- 
dene Ablehnung  aller  darauf  gebauten  Felgerungen  oder 
Voraussetzungen  ,  welche  sich  tiefer  und  unwillkührlicher, 
als  man  meint ,  mit  den  spekulativen  und  theologischen 
Grundvorstellungen  der  Gegenwart  verbunden  haben. 


Nach  dieser  in  allen  Uauptzügen  vollständigen  Dar- 
stellung der  Wissensehaftslchre  liegt,  bei  der  Richtung  der 
Zeil  in  Beurtheilung  früherer  und  gegenwärtiger  Systeme, 
die  Frage  nahe  —  und  man  wird  sogar  darüber  schon 
entschieden  haben  nach  den  sonstigen  Voraussetzungen, 
welche  man  mitbringt,  —  ob  die  Lehre;  für  panthei- 
s tisch  zu  halten  sei  oder  nicht? .  Und  in  der  That  hat 
sich  ein  Jünger  pantheislischer  Lehrweisheit  sogleich  dafür 
erklärt ,  und  als  das  höchste  Lob  derselben  es  ausgespro-- 
chen,  die  Unphilosophie  werde  ihr  diesen  Vorwurf  machen, 
—  denn  sie  sei  Gottes  voll! 

Dass  Pantheismus  an  sich  kein  „Vorwurfe  gegen 
eine  Philosophie,  dass  er  vielmehr  ein  notliwendiger  und 
wichtiger  Durchgangspunkt  sei  zu  einem  gründlichen  Sy- 
Sterne  des  Theismus,  davon  sollte  Ersteres  anerkannt  sein, 
zumal  da  der  dabei  angewendete  Maasstab  so  verschieden 
und  die  Vorstellungen  über  Pantheismus  nicht  selten  so 
unklar  und  schwankend  sind :  —  und  über  Letzteres  wird 
die  allgemeine  Einsicht  auch  nicht  ausbleiben. 

Ist  Pantheismus  jedoch ,  seinem  philosophischen  Be- 
griffe  nach ,  n  u  r  diejenige  Lehre  zu  nennen,  in  der  Gottes 
Wirklichkeit  in  der  Weltwirklichkcit  (in  dem  Einen  und 
Allen  des  Universums)  völlig  aufgehl,  er  nur  ein  der 
Well  immanenter  ist:  so  gäbe  es  kein  System,  welches 
anlipanlheistischer  wäre,  ja  was  diesen  Widerspruch  gegen 
den  Pantheismus  in  eine  schärfere  Formel  gebracht  hätte, 


6S%  Wesentticher  Mangel 

fils  eben  die  Wissenschaftjslehre.  Sucht  man  daker  Ver« 
gleictiiiiigspunkte'  för  dieselbe  mit  älteren  Philoaophieeii^  so 
würen  diese  an  einer  andern  Stelle  m  suchen,  als  in  der 
Gruppe  pantheisUgcher  Systeihe.  Sie  wäre  eher  als  toIU 
(staiidige  Durchführung  des  eleatischen  Princips  sa  bezeich^ 
aen,  indem  auch  hier,  wie  dort,  der  Begriff  des  Seins  von 
pllem  Wandel  und  aller  Mannigfaltigkeit  rein  erhalten,  und 
der  faktischen  Welt ,  als  dein  blossen  Phänomenen, 
entgegengesetzt  wird ;  oder  treffender  und  bestimmter  wäre 
fm  die  Lehre  der  j^euplatoniker  yni  erinnern  ^r-  (und  in 
der  That  hat  sehr  einsichtsvoll  der  jüngste  Geschichts^ 
Schreiber  der  neuem  Philosophie  bei  den  letzten  Ansichten 
fichte's  des  ProklQs  erwähnt),  —  indem  auch  hier 
der  Verstand  zum  zweiten  Principe  aus  dem  an  sich 
unwandelbar  Einen  gemacht,  welcher,  die  in  ihn  über«- 
Piessende  Fülle  abbildend  und  in's  Verständniss  erhebend, 
die  Ideenwelt  erzeugt ,  deren  Abbild  abermals  die  Natur, 
das  in  Wahrheit  Nichtseiende  der  Sinnen  weit ,  ist.  Alle 
diese  Standpunkte  sind  spmit  i^ls  d^m  Psintl^eismus  gegqe^ 
risphe  zu  betrachten. 

Aber  ganz  unabhängig  von  solchen  äusserlichen  Be^ 
j^eichnungen  und  Parallelen  ist  zu  sagen ,  dass  das  System 
aus  innern  Gründen  nicht  befriedigt ,  inde^i  das  Weltpro- 
(>len)  in  ihm  weder  gefasst ,  noch  geltet  ist  auf  eine  ir-? 
gendwie  ausreichende  Weise;  wovon  nebenbei  der  Erfolg 
zugleich  der  ist,  dass  dem  Pantheismus  darin  nur  wider-, 
sagt  wird,  nicht  er  aus  sich  selber  ühenvunden  und  in  die 
aus  ihm  hervorgehende  ho|iere  Ansicht  eingefiihrt  zu  wer-* 
den  vermag.  So  bleibt  dieser  ihni  feindlich  gegenüber  und 
ein  wirklich  gefahrlicher  Gegner  desselben, 

Gegen  die  ganze  Lösung  der  Aufgabe  der  Philosophie 
liämlich ,  wie  die  Wisaenschaftslehre  sie  volllührt ,  gleich-; 
wie  gegen  viele  ähnliche ,  pur  ipfi  Abstrakte^  blci)>ende 
Lösungen,  ist  vor  Allein  die  einfache  Bemerkung  zu  rich- 
ten: dass  in  ibneuilie  Aufgabe  selber  völlig  unbefrie- 
digend gefasst  worden  ist,  Die  gesammte  F  a  k  t  i  c  i  t  ä  t, 
—  die  „Well^,  aber  als  Problem ,  —  ist  das  fest#  Patvm 


des  ganzen  Systemes.  £83 

• 
fBr  die  Erkennfniss  des  Absoluten;  ans  diesem  soll  cugleich 

das  Problem  der  Welt  gelöst ,  deren  Fakiicität  begreiflich 
gemacht  werden.  Nur  auf  diesem  doppelten,  theils  regres« 
ßiven^  theils  progressiten  Erkenn  tnisswege  ist  Oberhaupt 
Metaphysik  mögliche  diess  erkennt  Spinosa,  die  Wissen- 
schaftslehre und  eigentlich  alle  auf  Metaphysik  eingehende 
Philosophie  an,  ohne  freilich  das  Bewusstsein  dieses  metho- 
dischen Verhältnisses  überall  zur  völligen  Klarheit  ausgebil- 
det zu  haben.  ^ 

Wie  kann  jedoch  —  muss  man  fragen  —  jene  Gmnd- 
aufgabe  der  Philosophie :  das  Absolute  und  sein  Verhält- 
niss  zur  Fakt|citdt  zu  erkennen,  ausreichend  gelöst  wer- 
den ,  wenn  der  Begriff  des  Faktischen  selbst  durchaus  un*' 
zureichend  gefasst  wird  ?  Und  fürwahr,  man  kann  diesen 
Begriff,  und  damit  auch  den  Begriff  des  absoluten  Grun- 
des, nicht  abstrakter  —  ganz  eigentlich  oberflächlicher  be-* 
zeichnen  ,  —  aber  es  ist  der  gewöhnliche ,  immer  wieder 
zu  bekämpfende  Aberglaube  scholastischer  Bildung,  dass 
das  Abstraktere  auch  das  Tiefere  und  Spekulativere  sei, 
da  doch  das  Gegentheil  gelten  sollte,  —  als  indem  man  das 
Faktische  bloss  als  Werdendes,  Endliches,  fasst,  wodurch 
man  sich  nun  auch  mit  so  unausreichenden  Abstraktionen 
im  Begriffe  des  Absoluten  ein  Genüge  thun  konnte,  wie  sie 
in  d^  ganzen  Reihe  der  neuem  Systeme,  von  Spinosa 
an ,  auftreten :  das  Absolute  sei  die  absolute  Substanz  un- 
endlicher Medißkationen  von  Denken  und  Ausdehnung,  sei 
das*  alle  Genesis  von  sich  ausschliessende  Sein ,  sei  die 
unendlich  sich  verendlichende  Idee  u.  dgl.  Daher  die  Un- 
fruchtbarkeit und  Oede  aller  bisherigen  spekulativen  Got- 
testheorieen  ,  die  über  solche  abstrakte  Gegensätze  und 
Vermittlungen  aus  jenem  Grunde  nirgends  hinausgekonw 
men  sind. 

Gewiss  ist  Endlichkeit  Grundcharakter  der  Fakticität; 
aber  lange  nicht  ihr  ganzer :  ebenso  liegt  Ewigkeit ,  Aus- 
schliessen  aller  Genesis  und  alles  Wechsels  in  seinem  An- 
siohselbstsein,  im  Begriffe  Gottes;  aber  es  ist  lange 
nicht  sein  ganzer  Bogriff.    Je  tiefer,  reicher,  konkreier 


584  Bleibende  Bedeutnng' 

daher  das  WeUproblem  an  sich  g-efassl  wird  ,*  —  welches 

darum  sehr  verschiedene  Ausdrücke  zulasst ,  ja  fordert, 
und  diese  zu  finden,  zugleich  aber  sie  in  den  höchsten 
Ausdruck  zusammenzufassen ,  kann  selber  nur  Gegenstand 
philosophischen  Denkens,  ofienbar  in  einer  die  Metaphy- 
sik einleitenden  Wissenschaft,  sein:  —  desto  tiefer,  rei- 
cher und  wahrer  wird  auch  der  BegrÜT  des  Absoluten 
daraus  hervorgehen. 

Hiemach  kann  uns  nun  die  Wissenschaftslehre  gleich 
ursprünglich  nicht  als  Metaphysik ,  sondern  nur  in  einer 
andern  Beziehung  Wichtigkeit  haben.  Sie  ist  uns  gerade, 
was  sie  von  Anfang  her  bis  zuletzt  sein  wollte,  Wissen- 
schaft des  Wissens,  vollständige,  aus  den  tiefsten 
metsiphysischen  Gründen  schöpfende  Begründung  des 
Erkenntnissbegriffes.  —  Insofern  bleibt  ihr  eine 
doppelte  Bedeutung ,  eine  historische  und  eine  allgemein- 
wissenschaftliche, welche  freilich  nirgends  wahrhaft  getrennt 
werden  können. 

In  historischer  Beziehung  bildet  sie  den  Uebergang 
von  den  Subjektivitätsstandpunkten  der  Kantisch-Ja- 
cobischen Epoche.  Sie  hat  dem  Principe,  wenn  auch 
nicht  der  vollständigen  Ausführung  nach  (wegen  ihres 
mangelhaften  Begriffes  von  der  Natur) ,  den  Begriff  eines 
bloss  subjektiven  Wissens,  dem  das  Objektive  draussen 
oder  gegenüber  bleibt,  als  ein  ihm  Fremdes  und  Anderes  — 
(den  bis  auf  D  e  s  C  a  r  t  e  s  und  die  Scholastiker  zurückrei- 
chenden, in  Kant  völlig  verhärteten  Dualismus  refldkti- 
render  Abstraktion)  —  völlig  und  durch  alle  Instanzen  wi- 
derlegt —  das  objektive  und  doch  fiir  Wissen  vorhanden 
sein  sollende  Ding  an  sich  als  den  Widerspruch  an  sich 
selbst  nachgewiesen. 

Hierdurch  wird  aber  dem  Resultate  der  Wissen* 
schafislehrc  zugleich  seine  bleibende  Stelle  im  ganzen  Sy- 
steme der  Philosophie  gegeben.  Der  Standpunkt  der  Ein-« 
heit  des  Subjektiven  und  Objektiven  *,  die  Grundvorausset- 
zung aller  Philosophie,  ist  durch  sie  begründet ;  die  Wis- 
scnschaftslehre  ist  allg eme i ncEiul ei tungs wissen- 


desselben.  585 

schart  in  die  Philosophie,  sie  erklart  die  Möglichkeit  der- 
selben in  der  Möglichkeit  alles  Wissens,  und  die  Philoso- 
phie wird  durch    sie  nicht  als   ein  besonderes,  durch  be- 
sondere Kunst  oder  Erwerb  sich  vollendendes ,  in  jedem 
Falle  erkünsteltes  Wissen,    sondern  als  die  nothwen- 
d  i  g  c  und  durchaus  allgemeine  Vollendung  des  Wissens 
in  sich   selbst  nachgewiesen.     Ihr  Resultat  ist  der  BegriiT 
und  die  Realisirbarkeit  des  absoluten  Wissens,  der 
Macht   des  Erkennens  über  alle  Objektivität,   um  der  ur- 
sprünglichen Einheit  des  Subjektiven .  und  Objektiven  willen. 
Kein  Sein,  ohne  dass  es  nicht  dem  Wissen  durchdring- 
bar wäre,  überhaupt  keine  Welt  ausser  dem  Wissen 
oder    der  Wissbarkeit.     Sein,  Wirklichkeit,  schliesst 
hiemach  absolute  Erkennbarkeit  in  sich  ,   und   die  Bedin- 
gungen (Formen)  des  Wirklichen,  sind  unmittelbar  die  der 
Erkennbarkeit,  wie  umgekehrt:  die  Kategorieen  haben  nicht 
nur    schlechthin  Subjekt  -  objektive   Bedeutung, 
sondern  sie  sind  das  Alldurchdringende  im  Sein,  wie  Wis- 
sen ;    dasjenige  daher ,  was  auch  die  gegenseitige  Durchs 
dringlichkeit  beider,  ihr  völliges  Aufgehen  in  einan- 
der, der  Möglichkeit  nach,  setzt.    Subjektivität  und  Objek- 
tivität entsprechen  sich  nicht  bloss,  gleich  zwei  an  sich 
getrennten  Sphären,  in  einer  bei  ibrem  innem  Gegensatze 
lediglich  postulirten  oder  geglaubten Uebcreinstim- 
mung,  —   (so  wäre  diess  Verhältniss  bei  Jacobi  auszu- 
drücken) —  oder  sie  können  und  sollen  praktisch  sich  ent- 
sprechend gemacht  werden  —    (so  trat  das  Verhältniss 
zwischen  Ich  und  Nichtich  in  der  ersten  Gestalt  der  Wis- 
senschaitslehre  hervor) :  —  sondern  sie  sind  Eins  in  ih- 
rem Unterschiede.    Der  Idealismus ,    auf  seine  Spitze 
gestellt,  hat  sich  hiermit  als  durchgreifniden  Realismus 
erwiesen,  und  in  dieser  Eigenschalt  sich  zugleich  vollstän- 
dig erklärt.  ♦) 


*)  Ujn  schon  Ausgeführtes  niclit  noch  einmal  zu  wiederholen, 
verweisen  wir  nameuLlich  iu  Bezug  auf  das  Vej-hältuiss  der 
WissenscbafUlehre  zu  den  spatern  S)'stenictt   der  Philosophie 


586  Bleibende  Bedeutung 

So  wird  die  allgemeine  spekulative  Entwicklimg  darcb 
die  Wissenschaftslehre   bestimmt  an  der  Stelle    abgesetzt, 
wo  der  Schellingsche  Standpunkt    und  überhaupt    alle 
realistische  Philosophie  beginnt,  —  aber  in  anderm  Sinne, 
als  man    diess  Verhaltniss   gewöhnlich  zuzugeben   geneigt 
ist;    denn  die  Wissenschaflslehre  ist  von  uns  als  die  vor« 
begrändende,  rechtfertigende  jenes  Standpunkts   erwiesen 
worden.    Aber  darum  begleitet  sie  auch  denselben  durdi 
alle  seine  Theile  hindurch ,  ja  greift  hinaus  über  ihn ,  we- 
nigstens in  der  Form,  welche  das  Schellingsche  Syslem 
ihm  gegeben,  und  es  ist  Hegels  grosser  Entwurf  gewe- 
sen ,  jenes  Princip  der  Wissenschaftslehre  selbst  dem  ge- 
rammten Systeme  der  Philosophie  einzuverleiben,    lieber, 
baupt  aber  leuchtet  ein,  dass  die  Maxime  der  Besonnenheit 
und  die  methodischen  Forderungen  und  Vorbegriffe ,  wel- 
che daraus  sich  ergeben,  nicht  nur  vorr)e  gelten  in  einer 
solchen  allgemeinen  Einleitungswissenschaft ,   und  nachher 
för  immer  abgelegt  werden ,    sondern   durchweg  beherr- 
schende und  leitende  bleiben  müssen.     Auch   unabhängig 
davon,  dass  die  Wissenschaftslehre  zuerst  ein  Beispiel 
durchgeftihrter  spekulativer  Methode  gegeben ,  hat  sie  da- 
her auch  das  allgemeine  wissenschaftliche  Bevnisstsein  der 
Methode  und   des  Begfiffiss    der  Philosophie    möglich  ge- 
macht.   Sie  bleibt,  in  ihrem  Resultate,  integrirender 
Theil  des  allgemeinen,  ebenso  gegenwärtigen,    als  könf- 
tigen ,  durch  alle  Zeiten  hindurch  tiefer  sidi  ausbildenden^ 
^ystemes  der  Philosophie, 

Man  hat  es  anstössig  gelunden  und  nur  etwa  mit  ver- 
wandtschaftlicher Vorliebe  entschuldigen  wollen ,  dass  ich 
in  der  Vorrede  zu  den  nachgelassenen  Werken 
CBdJII.  S.  VIIIo  Fichte  einen  Philosophen  der  Gegen- 


9uf  die  „G  rundzuge  lum  System«  derPhilotopbie: 
Erste  Abtheitung"  S.  274  flf.  und  auf  die  Abbandluog 
yyflber  das  Verhaltniss  des  Form«  und  Realprin- 
cipes«  in  der  Zeitschrift  f ar  Philoiophie  Bd.  11. 
H.  l.  S.  77-82. 


desselben«  587 

wart  genannt  habe.  Durchaus  in  dem  hier  nacligewiese-- 
nen  Sinne  war  diese  Bezeichnung  gemeint  und  ich  kann 
nicht  umhin,  sie  hier  zu  wiederholen. 

Aber   auch  in  anderm  Sinne  muss   ich  die  Wissen« 

gchaflslehre  als  nur  der  Gegenwart  angehörig,  und  so  alle 

Beschränkungen  derselben  an  sich  tragend,  bezeichnen,  — 

und  diese  Behauptung  diU'fte  jenen  Brinnemden  vielleicht 

noch  anstössiger  sein  9  je  fester  sie  sieh  selber ,  nur  auf 

andere  Weise,  in  dieser  Gegenwärtigkeit   der  Philosophie 

fibschliessen,  und  je  hartnäckiger  sie  läugnen,  dass  es  ä  b^r 

sie  hinaus  noch  Philosophie  gebe.    Wir  haben  nachge-* 

wiesen  ,  dass  die  Wlssenscbaftslehre  eine  der  nothwendi* 

gen    Gestalten    sei   auf    dem    gegenwärtig  herrschenden 

Standpunkte  der  Immanenz  -^und  ihre  nähere Yer-» 

wandtschafl,  ihr  Vorspiel  auf  die  Hegel  sehe  Lehre  kann 

gar  nicht  abgelsiugnet  oder  verkannt  werden :  -7*-  aber  auch, 

wie    und  warum,    eben  um  dieser   blossen  Immanenz 

willen,  über  sie  hinausgeschritten  werdQQ,^us5e.    Das  Glei«- 

che,    und  ans  gleichem  Grunde,    ist  nun  auch   von  der 

0  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Lehre  in  ihrer  ersten  Qestsilt,  ita^m  von 

4er  Hegel^cheii  zu  s^eigen^  ' 


m.   Friederich  WUhclin  Joseph  fSchellliiir* 


För  SchcIIings  allgemeinen  Standpunkt  hat  sich  die 
Wissenschallslehrc  als  ebenso  allgemeine  Voraussetzung 
oder  Vorbegründu^*  ergeben:  dass  nämlich  das  Wissen, 
näher  das  spekulative  Wissen ,  subjekt-objektiv^ 
dem  Sein  (der  Wahrheit)  immanent ,  oder  anders  ausge- 
drückt ,  dass  das  Ideale  zugleich  real  sei.  Dennoch  lässt 
sich  historisch  kein  unmittelbarer  Uebergang  zeigen  von 
dieser  zu  jenem ;  denn  gleich  ursprünglich  hatte  bei  S  c  h  e  I- 
ling  der  Begriff  des  Idealismus  und  das  Ich,  als  Princip 
desselben ,  eine  andere  Bedeutung ,  als  bei  Fichte. 
Schelling  hat  sich  darüber  auf  das  Deutlichste  selber 
ausgesprochen,  indem  er  *)  erinnert,  er  habe  den  Idealis- 
mus immer  nur  in  seiner  objektiven  Bedeutung,  und 
das  Ich  in  dem  Sinne  gefasst,  dass  von  der  Philosophie 
zu  zeigen  sei ,  wie  Alles  —  auch  das  sogenannte  Objek- 
tive, die  Natur,  —  gleich  dem  Ich  ist:  die  bewusst- 
lose  Natur  Subjekt-Objektivität  in  niederer  Potenz,  Vemunfl 
in  bewusslloser  Gestalt,   der  Geist  Subjekt-Objektivität  in 

*)  la  der  Vorrede  zur  Darstelfting  seines  Systemes  der 
Philosophie,  in  der  Zei  t  sc  hri  ft  für  spekuiatire 
Physik  Bd.  IL  Hca.2.  S.  VI- VIII. 


Schellings  Verhältniss  zu  Fichte,  589 < 

hödister  Potenz,  oder  die  zum  Selbslbewusslsein  erhobene 
VemunfL 

Diess  kann  man  zunächst  jedoch  nur  einen  Absprung 
nennen  von  der  stetigen  Entwicklung  der  Spekulation  durch 
Kant  und  Fichte;  denn  in  der  Gestalt,  wie  ScheU* 
ling  die  Philosophie  aufzunehmen  hatte,  war  der  Begriff 
der  Natur,  als  eines  objektiv  Existirenden,  ideali- 
stisch vielmehr  völlig  vernichtet  Die  Natur,  die  ^objek- 
tiven Dinge^  waren  nur  für  das  Ich  und  im  Ich  ein 
„Ansicht,  keinesweges  eine  Realität  ausser  demselben, 
wonach  es  sich  selbst  in  irgend  einem  Sinne  als  deren 
,,höhere  Potenz<<  hätte  begreifen  können.  Und  erst  aus 
Widerlegung,  dieses  idealistischen  Standpunktes ,  — 
welche  die  Wissenschaflslehre  selber  in  ihrem  zweiten 
Stadium  vollzogen  hat,  —  konnte  ein  Idealismus  im  Sinne 
Schellings  hervorgehen. 

Diese  stetige  Entwicklung  und  das  nächste  Resultat 
derselben  im  Auge  behaltend,  hatte  Fichte  daher  Recht, 
den  Sehe  Hin  gschen  Begriff  einer  realen,  subjekt-objek- 
tiven  Natur,  und  die  Idee  eines  solchen  Ideal-Realismus 
zu  verwerfen,  und  erneuert  darauf  zu  bestehen ,  dass  alles 
Sein  nur  für  das  Wissen  (Ich)  da  sei;  Wissen  sich  also 
nicht  aus  diesem  Sein,  als  Potenz  desselben,  herleiten 
lasse,  überhaupt  die  absolute  Doppelheit  des  Subjekt-Ob- 
jekts nimmermehr  durch  blosse  Steigerung  des  an  sich 
Einfachen,  des  Objekt-Seins  erklärt  werden  könne:  und 
diess  in  der  That  ist  es,  was  wir  ihn  gleich  Anfangs  dem 
Entwürfe  einer  Naturphilosophie ,  als  der  behaupteten  G<^ 
genseite  zu  dem  transscendentalen  Idealismus,  entgegen- 
halten sehen.  *)  Aber  diess  Unrecht  Schellings  war 
ein  vorausgreifender  Blick »  des  Genius ,    der  sich  in  das 

höchste  Recht  auflöst,  eine  Spekulative  Wegverkurzung,  die 

1  «•'^r 


*)  „Zu  Schellings  transscen  den  tale  m  Itlealismus" 
in  den  nacli  gelassenen  Werken  Bd..  )1L  S.  368—70. 
Yergl.  Leben  und  Briefwechsei  Bd.,  1.  S.  416. 


•690  und  EQ  Hegel. 

jeioik ,  wie  Altes  dieser  Art  ^  der  iBke  nidil  fibetlieliM 
konnte,  ruckliolend  jene  Lncke  atiszttiullen;  deno  in  dem 
SiMe  jener  strengen  Stetigkeit  War  der  Idealismus  der 
Wissenschaftslehre  in  ihrer  ersten  Gestalt  keinesweges  wi- 
derlegt,  ztmächst  nur  beseitigt,  dvrch  das  Schellingr^ 
Sehe  System,  wiewohl  in  mittdbarer  Folge  auch  aus  denseU 
ben  der  Begriff  des  absolaten  Wissens  gewonnea 
werden  masste,  worin  die  afichste  Vollziehung  seines  Macb« 
folgers,  Hegel,  bestand,  der  sich  dadurch  '^  in  seinef 
Phänomenologie  des  Geistes  -^  selbststjbidig  dilis  jdeai 
flcheliingsehen  Principe  herausstellte. 

Hiernach  besünual  sich  genau  das  Verhittniss  S  e  h  e  I* 
lin gs  zu  seinem  Vorgänger,  wie  unmittelbarem  NachfoU 
fer  ^  worAber  man  theils  Ungenaues  ^  theils  geradezu  Fal« 
scbes  überUefiMt  hat,  und  zu  fiberltofern  fortßhrt  Fichte 
hat,  mündlich  und  in  Briefen,  immer  es  abgelehnt.  Sehet» 
1  i  n  g  als  aus  seiner  Schule  hervorgegangen  und  als  im  nr« 
sprönglichen  Einverständnisse  mit  ihm  bezeichnet  zu  Sehens 
sein  Augpunkt  konnte  ihn  jene  Wencfong  Scheliingn 
nur  als  eine  unvermiltelte  und  unberechtigte  verwerfefl 
lassen.  Si>hellings  Philosophie  ist  nach  Rudnirärln 
durchaus  selbstständig,  durch  einen  schlechthin  neuen,  nun 
sich  selbst  schöpfenden  Anlauf  hervorgebracht:  überall  na 
bewttsster  Polemik  gegen  Kant,  in  .unbewusster  gegen  die 
Wissenschaftslehre,  deren  Grundgedankien  Schell ing  von 
An&ng  an  in  dynamisch  realistischem  Sinne  gefosst  hatte) 
mit  Fi^  bemerkend,  erst  aus  dar  vollständigen  Ausführung 
beider  Systeose  könne  es  sich  zeigen,  ob  und  wie  weit  er 
mit  Fichte  übereinstimme  nnd«  von  jeher  öbereinge« 
stimmt  habe.  *) 

Und  wenn  in  Beztig  auf  Sphellings  Nachfolger  die 
Ueberliefemng  aufgebracht  und  in  Umlauf  gesetzt  worden 
ist,  dass  dieser  ihn  erst  über  sich  habe  aufklären  und  ihm 
sagen  müssen,  wie  er   zuvörderst  über  die  Kan tische 


*)  Vorrede  n.a.O.  Zesltschrift  fAr  spak.  Physik,  il.  3. 

s.  vin. 


Sehdiingfs  VerhaltDiw  zu  Hegel.  591 

Philosophie,  dann  auch  über  die  Fichtesche  hinausge« 
kommen,  während  er  selbst  sich  noch  in  den  Gränzen  des 
subjektiven  Idealismus  zu  befinden  glaubte :  so  kann  dies9 
Tradition,  hat  Hegel  wirUich  dergleichen  geäussert,  nur 
aus  einem  Mijssverständnisse  von  Hegels  Worten  erwach- 
sen sein.    Dieser  musste  sich  erinnere,  dass  S  c  h  e  1 1  i  n  g 
seit  dem  Beginne  seiner  selbstständigen  sdiriftstellerischen 
Laufbahn (1797.)  der  Transscendentalphilosophie 
immer  und   mit  ausdrücklichem  Bewusstsein  eine  Philo- 
Sophie  der  Natur  entgegengesetzt  hat,  diese  als  deo 
Standpunkt  der  Produktion ,  jenen   als  den  der  Reflexion 
bezeichnend,  beide  ab  die  entgegengesetzten  Hälften  eines 
liinheitssystemes  b^rachtend ,    dessen  Idee  ihm  vom  Be^ 
^inme  an  vorschwebte  ,   und   die  schon  in  der   „E  i  n  I  e  i-^ 
lang  zum  Entwürfe  des  Systemes  der  Natur«- 
Philosophie  oder   aber  den  Begriff  der  spe« 
fculativen  Physik^  (1799.),   ebenso  in  seiner  Einlei«* 
long  zum  Systeme  des  transscendentalen  Idea-» 
lismus^.  (1800.  S.  1-— 23.),  dann  in  seiner  „Deduktion 
des  dynamischen  Processes^   (Zeitschrift. für 
spek.  Physik  1800.  Bd  L  Heft  2.  $.  63.   S.  83^87.) 
und  endlich  in  der  gegenEschenmayer  gerichteten  Ab-» 
handlung  „über   deq  wahren  Begriff  der  Natur«* 
Philosophie  und  die  richtige  Art,   ihre  Pro- 
bleme aufzulösen^  (Ebendas.  Bd.  H.  Heft  L  S.  116, 
119.  ff.  124.  u.  s.  w.)  auf  das  Deudichste  ausgesprochen 
worden  ist,  noch  ehe  er  (1801.)  mit  der  Darstellung  sei«« 
nes  Systemes    vom  Standpunkte  der  Identität  hervor« 
Irat:  —  Alles  Schriften  ,  welche  noch  vor  seine  unmittel- 
bare Verbindung  mit  Hegel  (1801.)  fallen. 

Auch  der  nach  derselben  Quelle  behauptete  spätere 
Einfluss  Hegels  auf  Sehe  Hing  und  die  Beschuldigung 
eines  geheimen  Aneignens  der  Ansichten  seines  Freundes 
von  Seite  des  Letztern  lässt  sich  durch  eine  vorurlheillose 
Vergleichung  der  Schriften  beider  Denker  aus  jener  Periode 
keinesweges  rechtfertigen:  schon  diese  zeigen  die  ganze 
Divergenz  der  Individualitäten  und  Richtungen,  welche  sich 


692  '  Scbellings  VcrliaHniss  zu  HcgeL 

nachher  nvr  weiter  ausgebildet  hat.  Sc  hell  in g  versenkt 
sich ,  von  diesem  Zeitpunkte  seines  Auftretens  an ,  immer 
mehr  in  die  realistische  Tendenz ,  das  objektive  System 
der  Dinge  zu  finden  ,  und  in  entsprechender  Konstruktion 
künstlerisch  es  wieder  hervorzurufen:  Hegel  war  damals 
noch  mit  dem  durchgreifenden  Verstandnisse  der  spekula- 
tiven Standpunkte  seiner  Zeit  und  der  klaren  Bemachti- 
gimg  des  neuen  Princips  verwickelt^  dessen  negative  Gewalt 
und  widerlegende  Erafl  gegen  die  vorhergehenden  Systeme 
er  sogleich  ergriffen  hatte,  und  mit  einer  Tiefe  und  einem 
(Scharfsinne  an  allen  Gestalten  und  Windungen  derselben 
durchführte)  welche  den  allgemeinen  Sieg  des  Principes  erst 
begründeten.  Er  ergriff  zunächst  nur  die  polemische  Kehr- 
seite desselben  gegen  die  zurückliegenden  Standpunkte, 
aber  auf  eine  durchaus  allgemeine,  d.  h.  spekulative  Weise: 
ihm  ist  das  Princip  sogleich  schon  ein  dialektisches  ge- 
worden ;  er  fuhrt  daher  die  vorliegenden  Gegensatze  jener 
Fhilosophieen  in  dasselbe  zurück ,  so  dass  sie  darin,  ab 
lebendig  sich  wiedererzeugende  Theile^  erhalten  blei- 
ben. Sc  hell  in  g  spricht  nur  die  Identität  derselben  ans, 
und  den  Gegensatz  für  sich  als  den  ewigen  Irrthum;  aber 
er  erklärt  nicht,  wie  er  überhaupt  entstanden  sei  im  Den- 
ken, und  wie  er  stets  neu  entstehe. 

So  würde  jenem  sein  späteres  methodisches  Princip, 
aus  der  doppelten  Negatioa  die  wahre  (vermittelnde)  Be- 
jahung hervorgehen  zu  lassen,  an  diesen  kritischen  Erör- 
terungen immer  klarer.  Seine  experimentirenden  Zersetzun- 
gen vorausgehender  und  gleichzeitiger  Geistesstandpunkte 
sind  ihm  daher  Vorstudien  zur  Phänomenologie  und  zur 
Logik  geworden:  Glauben  und  Wissen  in  den  ver- 
schiedenen-Gestalten  der  Reflexion ,  wie  er  sie  an  der 
Kantischen,  Jacobischen  und  Fichteschen  Philoso- 
()hic  darstellt ,  werden  ihm  allgemein  nothwendige  Durch- 
gangspunkte tier  Bildung,  und  seine  wichtige  Abhandlung : 
,,über  das  Verhältniss  des  Skepticismus  zur 
Philosophie^  erinnert  wieder  an  die  seit  dem  Alter- 
Ihume  vergessene  Einheit  des  Skeptischen  mit  dem  Speku^ 


Schellingj;  Verhiltniss  zu  Eegel.  593 

* 

lativen ,   als    der   zum   Positiren    sich   hindurciiringenden 
NngRlion. 

Hegel  hat  daher  neben  Sehe  Hing  sogleich  selbst* 
stfindig  sich  der  kritischen  und  formellen  Seite  des  gemein- 
schaftlichen Princips  bemächtigt,  ebenso  aber  jenen  in  sei- 
ner unberührten  Selbstständigkeit  gelassen  ,  ohue  in  diis 
Bigenthämlichkeit  seiner  realphilosopbischen  Construktionen 
einzutreten.  Sogar  in  seinem  gleichfalls  frühesten  Auf- 
salze: über  die  wissenschaftliche  Behandlung 
des  Naturrechts  berührt  er  schon  vorgreifend  den 
höchsten  Gipfel  seiner  spatem  Lehre,  und  es  blickt  bereits 
dieselbe  Austerität  und  Härte  der  Ansicht  gegen  den  Be- 
griff des  indiyiduellen  Geistes  oder  der  einzelnen  Persön- 
lichkeit hervor,  deren  Nichtigkeit  an  sich  selbst  und  ihre 
Versenkung  in  die  allgemeine  Substanz  des  Yolksgeistes, 
als  des  wahrhaß  Göttlichen ,  schon  hier  gelehrt  wird ;  — 
während  Sc  he  Hing,  auch  in  der  ersten  abstraktesten 
Fassung  seines  Systemes  •--  (wir  werden  die  Stellen  dar- 
zulegen haben) — mit  tiefem  Vemunflinstinkte  die  Idee  des 
Persönlichen  *  stets  in  seiner  Integrität  und  Heiligkeit  für 
^e  eigene  höhere  Zukunft  aufbewahrt  hat 


Die  angeführten  Schriften  jener  Epoche  (1797—1800.) 
bilden  nun  die  erste  Gestalt  des  Seh  elling sehen  System 
mes  und  die  Voraussetzung  seiner  spätem  Lehre.  Aber, 
was  entscheidender  ist,  wie  durch  jene  das  System  einge- 
leitet worden,  wird  darin  schon  die  scharfbestimmte 
Gränze  bezeichnet,  welche  es  in  seiner  zweiten  Gestalt 
noch  behalten,  und  die  dieser  den  ausschliessenden  Cha- 
rakter der  Immanenz^  aufgeprägt  hat  Desshalb  ist  es 
von  Interesse ,  das  Hervorgehen  des  Systemes  aus  jenen 
ersten  Anfangen  genauer  zu  verfolgen,  als  'diess  bisher  ge- 
schehen sein  möchte.  —  Wir  legen  dabei. S ch eil ings 
friUieste  Erklärungen  zum  Grunde ,  wie  sie  in  den  ange- 
fahrten Schriften  jener  Periode  enthalten  sind. 

38 


5M  Ersle  Gestalt 

Alle  wahre  Spekulation  ist  Idealismus:  sie  kat 
nachzuweisen,  wie  alles  Wirkliche  nur  eine  eimehne  Ge- 
stalt (PoteuE)  der  durch  bestimmte  Stufen  der  S^isian- 
schauung  sich  entwickehtden  Intelligenz  ist  Es  gidbü  4»- 
her  einen  IdeaKsmus  der  Natur  (Nalnrphilosophie)  und  eineft 
Idealismus  des  ich  (Tranisscendentalphilosophie). 

Die  Naturphilosophie  geht  aus  von  der  inteliek-» 
4uellen  Anschauung,  wie  sie  in  der  Wiasensckafts- 
lehre  gefordert  wird  ,  nur  mit  Abstraktion  von  dem  A»- 
schauenden  (Subjektiven)  in  dieser  Anschanasig.  In 
der  Wissensdiaftslehre  erzeugt  die  inteliektneHe  An- 
-schauung  das  Princip  derselben,  das  reine  Idi:  indem 
•ich  mich  anschaue^  über  schlechthin  rein  und  abgeoEOgm 
von  jeder  weitem  Bestimmtheit,  habe  ich  das  rein  Sabjek. 
tive  dem  rein  Objektiven  v5Uig  gleich  gesetzt:  der  bhafi 
^r  Anschauung  ist  das  reine  -S  i  c  h  s  el  b  s  t  s  tim  en.  S» 
wird  das  Ich,  tndem  es  «rklärt ,  im  Begriffe  genetisch  ge- 
macht  werden  «oll  ^  selbst  zunächst  in  die  Potenz  des  Be- 
wnsstlosen  zuriickversetift ,  d.  fa.  nicht  «Is  (atusdrflcldioh) 
Ich  igefasst.  Denn  9ch  ist  nur  das  Subjekt-Objekt ,  in  so- 
fern es  sich  selbst  als  solches  ericeviat,  ndit  das  vefaie 
(wahrhaft  ursprüngliche)  Subjekt-Objekt  in  seinem  Selbst- 
setzen. Die  Akte ,  welche  in  der  Wissenschaftslehre  als 
Akte  des  Ich,  also  gleich  in  der  höchsten  Potenz 
atf%estellt  werden,  sind  eigentlich  (nrflprunglich)  Akte  des 
reinen  Subjekt-Objekts,  und  daher  als  solche  noch  nichl 
Empfindung,  Anschauung,  u.s.w.^  welche  sie  nur  durch 
Erhebung  in*s  Bewusst sein  werden  können. 

Dieses  reine  <;an  sich  potenzlose  und  doch  sich  potea-*- 
zirende)  Sutyekt-^Objekt  ist  nun  Inhalt  der  mteltdiloeBea 
Anschauung  in  «ihrer  reinen ,  ursprfingiichsten  Bedeutung, 
so,  wie  Sc  hell  ing  sie  fordert:  Inhalt  zuvdrdetst,  nieht 
€re gems tand  «oder  -objektives  Ding  an  sich ,  fftr  dieselbe; 
indem  in  4er  Idee  derselben  liegt,  «aad  es  sidi  am  Bade 
•des  subjektH)bjektlvirenden  Potenzirens  zeigen  muss ,  dass 
4ie  intellektuelle  Anschauung,  in  welcher  der  Philosoph  sie 
fasst ,  selbst  nur   eine  Potenz  ihres  SichselbstselEens  und 


von  Sphdlings  Systeme.  595 

zwar  eine  der  bachsten ,  ist ,  dass  sie  im  Phitosoplien  nur 
sich  selbst  setzte  oder  ihrer  bewusst  wird* 

Dfts  Geschäft  des  Philosophen  ist  es  daher  nur,  diesem 
Selbsipotenziren  des  absoluten  Subjekte-Objekts  zuzusehen; 
darin  besteht  die  philosophische  Construktion  — .  eigent- 
licher die  Selbstconstruktion  jenes  absoluten  Subjekt-Obf 
jekts  auf  idealem  Wege,  wie  es  sich  realer  Weise  im 
Umversnm  construirt.    Der  Beweis  iur  die  Wahrheit  des 
Princips  kann  daher  nur  an  der  That  der  Ausführung  yoU* 
zogen  werden:   die  Construktion  hebt  an  von  der  nieder^ 
stan  Potenz  und  lasst  das  Subjekt^Objekt  der  intellektuelle^ 
Anschauung  bis  zur  höchsten   der  Selbstanschauung  sich 
steigern.    Erst  nachher,  durch  Vollendung  fieser  ununter-*- 
brochenen  Reihe  von  Steigerungen,   kann  sich  ergeben, 
dass  man  nicht  nur  ideal ,  sondern  zugleich  real  gedacht, 
das  Wirkliche  erklärt  hat. 

Hieraus  ergiebt  sich  das  Verhaltniss  des  Systems  zur 
Wissooschaflslehre  (in  ihrer  damaligen,  ersten  Gestalt). 
Alles  Philosophiren,  also  auch  das  rein  theoretische,  durch 
welches  die  Naturphiloso^phie  entsteht ,  setzt ,  um  subjektiv 
Hiögiich  zu  sein ,  die  Wissenschaftslehre  voraus,  und  beruft 
sich  auf  sie.  Alles  philosophische  Wissen  gründet  in  einer 
Wjssenslehre  überhaupt ;  und  dieser  ist  es  verstattet, 
ja  »e  ist  genöthigt,  Alles  gleich  in  der  höchsten  Potenz, 
der  des  wirklichen  Bewusstseins ,  und  so  das  Subjekt-Ob- 
jekt schon  als  Ich ,  zu  nehmen.  Die  Wissenschaftslehre 
ist  nicht  die  Philosophie  selbst,  sondern  Philosophie  .über 
die  Philosophie. 

Es  ist  daher  keine  Frage,  dass  diese  Philosophie  über 
das  Philosophiren  subjektiv  (in  Bezug  auf  das  philosophi- 
rende  Subjekt)  das  Erste  ist,  ebenso,  dass  in  deren  Um- 
kreise das  Ich  schon  in  die  höchste  Potenz  aufge- 
nommen ist.  .  So  lange  ich  im  Philosophiren  mich  in  dieser 
Potenz  erhalte,  kann  ich  auch  kein  Objektives  anders, 
als  im  Momente  seines  Eintretens  in's  Bewusstsein  (denn 
diess  ist  seine  höchste  Potenz),  niminermehr  in  seinem 
ursprünglichen  Entstehen  aus  der  bewusstlosen 


586  Bleibende  Bedeutung 

So  wird  die  allgremeine  8pel(ulative  Entwickhing  durch 
die  Wissenschaftslehre   bestimmt  an  der  Stelle   abgesetzt, 
wo  der  Schellingsche  Standpunkt   und  überhaupt    alle 
realistische  Philosophie  beginnt,  —  aber  in  anderm  Sinne, 
als  man    diess  Verhaltniss    gewohnlich  zuzugeben   geneigt 
ist;    denn  die  Wissenschanslehre  ist  Yon  uns  als  die  vor- 
begründende, rechtfertigende  jenes  Standpunkts  erwiesen 
worden.    Aber  darum  begleitet  sie  auch  densell»en  durdi 
alle  seine  Thetle  hindurch ,  ja  greift  hinaus  über  ihn ,  we- 
nigstens in  der  Form,  welche  das  Schellingsche  System 
ihm  gegeben,  und  es  ist  Hegels  grosser  Entwurf  gewe- 
sen ,  jenes  Princip  der  Wissenschaftslehre  selbst  dem  ge- 
rammten Systeme  der  Philosophie  einzuverleiben.    Ueber. 
bflupt  aber  leuchtet  ein,  dass  die  Maxime  der  Besonnenheit 
tind  die  methodischen  Forderungen  und  Vorbegriffe ,  wel- 
che daraus  sich  ergeben,  nicht  nur  vorqe  gelten  in  einer 
solchen  allgemeinen  Einleitungswissenschaft ,   und  nachher 
fär  immer  abgelegt  werden ,    sondern   durchweg  beherr- 
schende und  leitende  bleiben  müssen.     Auch   unabhängig 
davon,  dass  die  Wissenschaftslehre  zuerst  ein  Beispiel 
durchgeluhrter  spekulativer  Methode  gegeben ,  hat  sie  da- 
her auch  das  allgemeine  wissenschaftliche  Bewusstsein  der 
Methode  und   des  Begriffes   der  Philosophie    möglick  ge- 
macht.   Sie  bleibt,  in  ihrem  Resultate,  integrirender 
Theil  des  allgemeinen,  ebenso  gegenwärtigen,    als  künf- 
tigen ,  durch  alle  Zeiten  hindurch  tiefer  sich  ausbildenden, 
Systemes  der  Philosophie, 

Man  hat  es  austossig  gefunden  und  nur  etwa  mit  ver- 
wandtschaftlicher Vorliebe  entschuldigen  wollen ,  dass  ich 
in  der  Vorrede  zu  den  nachgelassenen  Werken 
(Bd,III.  S.VIIIO  Fichte  einen  Philosophen  derGegen- 


9uf  die  „Grundvuge  lu  in  System«  derPhiloiophie: 
Erste  Abtheilung'«  S.  274  flf.  und  auf  die  Abhandlung 
»,Sber  das  Verhaltniss  des  Form-  und  Realprin- 
cipes«  in  der  Zeitschrift  f  Or  Phi  ioiophie  Bd.  II. 
H.  1.  S.  77-82. 


desselben«  587 

wart  genannt  habe.  Durchaus  in  dem  hier  nachgewiesen^- 
nen  Sinne  war  diese  Bezeichnung  gemeint  und  ich  kann 
nicht  umhin,  sie  hier  zu  wiederholen. 

Aber  auch  in  anderm  Sinne  mnss  ich  die  Wissen« 
Schaftslehre  als  nur  der  Gegenwart  angehörig,  und  so  alle 
Beschrankungen  derselben  an  sich  tragend,  bezeichnen,  — 
und  diese  Behauptung  durfte  jenen  Erinnernden  vielleicht 
noch  anstössiger  sein  9  je  fester  sie  sich  selber ,  nur  auf 
andere  Weise,  in  dieser  Gegenwärtigkeit  der  Philosophie 
fibscbltessen,  und  je  hartnäckiger  sie  läugnen,  dass  es  ü  b^  p 
sie  hinaus  noch  Philosophie  gebe.  Wir  haben  nachge^ 
wiesen  ,  dass  die  Wissenscbaftslehre  eine  der  nothwendi^ 
gen  Gestalten  sei  auf  dem  gegenwärtig  herrschenden 
Standpunkte  der  I minancnz-r- und  ihre  nähere Yer<« 
wandtschaft,  ihr  Vorspiel  auf  die  Hegel  sehe  Lehre  kanq 
gar  nicht  abgeläugnet  oder  verkannt  werden :  -^  aber  auch, 
wie  und  warum,  eben  um  dieser  biossei^  Immanenz 
willen,  über  sie  hinausgeschritten  werd<}f^,,musse.  Das  Glei* 
che,  und  ans  gleichem  Grunde,  ist  nun  auch  von  der 
Siehe  Hing  sehen  Lelire  in  ihrer  eisten  Qest^lt,  dpnn  von 
4er  Hegelscheii  zu  i^eigeq.  * 


598  Erste  Gestalt 

diess  im  eignen  Namen  hinzuffigen  —  keine  geringe  Ver- 
wirrnng  bislier  Ober  die  encyUopädische  Anordnong  der 
einzeben  Theile  des  Systemes  der  Philosophie  übrig  ge- 
lassen hat 

Sie  kann  nicht  umhin,  dem  BegrilTe  des  Wissens  eine  d  op- 
pelteStelle  zu  geben:  in  ihrem  Anfange  wid  ebdeltmigs- 
weise,  indem  die  Philosophie,  als  bestimmtes  Wissen,  sich 
selbst  hervorzubringen  hat  aus  dem  allgemeinen  Inhalte  des 
Wissens :  dann  im  objektiven  Systeme  der  Dinge,  wo  ans 
dem  Begriffe  des  Geistes  auch  der  des  wissenden  (Seisles, 
die  Möglichkeit  des  Erkennens  überhaupt,  abzuleiten  ist 

Aber  dort  und  hier  kann  dieser  Begriff  nicht  Yölfig 
als  der  nämliche  wiederkehren,  und  auch  hierüber  hat 
Sehe  Hing  im  Obigen  auf  das  Richtige  vorgedeutet  Zu 
Anfang  oder  in  der  philosophischen  Einleltungswissenschaft 
ist  es  der  Begriff  des  Wissens  (Erkennens),  als  der  Identität 
des  Subjekt-Objektiven  überhaupt,  welcher  als  Aufgabe,  ab 
zu  realisirendes  Postulat,  dieser  Realisation  durch  die  im- 
manenten Stufen  der  Selbstentwicklung  des  Wissens  unter- 
worfen wird :  hier  kann  nur  von  der  niedersten  Potenz  des 
Zusammenfaltens  jener  beiden  Faktoren  im  Wissen  aus- 
gegangen werden;  es  ist  die  Empfindung  und Anschannng. 
«—  Die  allgemeine  und  vollständige  Erklärung  jedoch, 
wie  ein  Wissen  und  darin  die  besondem  Wissenssliifen 
möglich ,  wie  überhaupt  daher  die  objektive  Natur  biteBi- 
gibel,  der  subjektive  Geist  wahriieiterfftllt  se^n  könne ,  — 
vermag  erst  das  System  der  Philosophie  in  seinem  umfas- 
senden Zusammenhange  zu  geben:  im  Begriffe  des  abso- 
luten Geistes,  als  des  Grundes  der  Welt ,  kann  allein  auch 
der  höchste  Grund  gefunden  werden  von  jener  Wechsel- 
durchdringung  und  Einheit  des  Subjektixen  und  Objektiven, 
welche  in  jedem  Akte  des  Wissens  auf  eine  besttnirote 
Weise  sich  vollzieht  Diess  führt  S  c  h  e  1 1  i  n  g,  seinem  da- 
maligen Standpunkte  gemäss,  so  aus,  dass  er  in  den  Kate- 
gorieen  der  Natur  und  in  ihren  ursprünglichsten  Schöpfiings- 
akten  den  Charakter  einer  erloschenen  oder  noch  nicht  in*s 
Bewusstsein  erhobenen  Vernunft   erkennt     Die  Natmrpbi- 


von  Schcltiogs  Systeme.  59tf 

l#«Ofllie  ist  Hini  so  die  objektive  Begründung  des 
Idealisma«,  weil  sie  die  Natur,  als  an  sicli  Vernunft,  aach- 
^reist. 

Hierdurch  sind  die  Begriffe  des  Objektiven  und 
Subjektiven,  in  dem  Sinne,  wie  sie  die  frühere  phi- 
losophische Bildung  kannte,  aus  ihrem  Fundamente  umge- 
wandelt ;  sonst  wurde  an  ihnen  der  Gegensatz  dßr  Natur 
und  des  Geistes,  des  Realen  und  Idealen,  bezeichnet; 
aber  dieser  Gegensatz  selber  ist  völlig  verschwunden:  des 
Objektive  ist  Ideales  und  Reales  zugleich ;  Bei«- 
des  ist  nie  getrennt,  sondern  auch  in  der  Natur  schon 
ursprünglich  beisammen;  den  Beweis  davon  hat  die  Na- 
turphilosophie zu  fuhren.  Zum  Objektiven,  einem  Sai>- 
jektivsn  gegenüber ,  wird  das  Ideal  -  Reale  nur  durch  das 
ettlsteliende  Bewusstsein ,  ib  welchem  das  Subjektive  sieh 
bis  zur  höchsten  (theoretischen)  Potenz  erhebt ;  die  Nach- 
Weisung  davon  gebührt  dem  transscendentalen  Idealismus. 

Jenes  reine  Subjekt-Objekt  aber,  welches  durch  aMe 
Potenzen  gieichmässig  sich  verwirklicht,  i^t  durch  seine 
Natur  schon  -^  durch  den  Widerspruch,  der  in 
ihr  liegt  —  zur  Thäligkeit  (Selbstverwirklidimg)  de- 
terminirt.  Jener  Widerspruch  ist  der  Kampf  des  tdeejMen 
inil  dem  Realen,  so  aber,  dass  das  Ideelle,  als  <[Ke  wahre 
Natur  und  das.  eigentliche  Wesen  des  reinen  Subjekt-Ob- 
jekts, sich  immer  tiefer  und  sieghafter  aus  seiner  Unmit*- 
telbarkeit  —  es  ist  die  an  sich  seiende  oder  noch  be- 
wusstlQse  Vernunu  —  herauszidantern ,  sich  in's  Bewusst- 
sein zu  erheben  ringt.  Schöpfungsakte,  durch  welche  die 
Natur  scheinbar  todte  und  vemuuftlose  Produkte  erzeugt, 
sind  die  Akte  des  in  der  Natur  waltenden  Subjekts,  am 
zur  Selbstanschauung  zu  gelangen :  es  sind  misshuigene 
Versuche  desselben,  sich  zu  r^ektiren,  und  die  todte 
Natur  nur  eine  unreife  Inteiigeaz.  Daher  in  allen  ihren 
Phänomenen  der  ursprünglich^  intelligente  Charakter  gegen- 
wärtig ist ,  und  in  den  Bahnen  der  Wellköiper  z.  B.  mit 
bewusstloserRegebnässigkeit  nur  die  orhabexie  G^metrie.des 
Weltgeistes,  jener  reinen  Subjekt-Objektivität,  sich  volfciieht. 


600  Sein  allgemeiner  Charakter. 

Das  Ideelle  daher  ist  das  Uebermäcbtige,  welches  jed 
niedem  Produktionsakt,  der  noch  nicht  zngleich  vöUig^n* 
Akt  der  verwirklichten  Intelligenz  ist^  überwindet,  and  m 
die  höhere  Potenz  seiner  selbst  hinüberhebt:  —  die  ersten 
Vorspiele  jenes  Begrifles ,  der  nachher  im  spatem  Systeme 
als  die  ^übergreifende  Subjektivität'^' anfgetrelen 
ist.  —  Das  höchste  Ziel  aber,  sich  selbst  ganz  Objekt  zo 
werden  ,  oder  jenen  Widerspruch  zu  lösen ,  mit  dem  die 
Natur  in  ihrer  Unmittelbarkeit  kämpft,  erreicht  sie  erst 
durch  die  höchste  und  letzte  Reflexion,  welche  nichts  An- 
deres, als  der  Mensch ,  oder  allgemeiner  das  ist ,  was  wir 
Vernunft  nennen,  durch  welche  die  Natur  erst  voll  s  lau- 
dig  in  sich  zurückkehrt,  und  wodurch  nun  offen- 
bar wird,  dass  die  Natur  ursprünglich  iden- 
tisch mit  dem  ist,  was  in  uns  als  Bewusstsein 
und  Intelligenz  erkannt  worden  ist. 

So   war  sich  Schelling  schon  in  seiner  ersten  Pe- 
riode, welche  uns  Andere,   als  im  Kan  tisch- Fi  cht  e- 
schen  Standpuukte  befangen,  ausgeben  möchten,  aurs  Kiar- 
gte  und  Kräftigste  des  Principes  bewusst,  weiches  er  noch 
zuletzt,  in  der  Vorrede  zu  Cousins  Schrift*),   —  Spi- 
nös a  *s  und  Hegels  Systemen,  als  den  Phiiosophieen  des 
reinen  Rationalismus,  gegenüber,  und  im  Gegensatze  mit 
jeder  Forschung  in  bloss  allgemeinen  Begriffen,  und  mit  einer 
Dialektik  aus  abstrakten  Bestimmungen,  —  als  das  Prtncip 
des  Wirklichen  und  Concreten,  dessen,   was  da  ist,  be- 
zeichnet«   Er  nennt. an  jenem  Orte,  als  eine  durch  le  ben- 
dige  Auffassung  des  Wirklichen  seiner  Philoso- 
phie aufgedrungene   empirische  Bestimmung ,   das  im- 
endliche  Subjekt -Objekt,  d.  h.  das  absolute  Sub^ 
jektj  „das  seiner  Natur  nach  sich  objektivirt  (zum  ObjdEte 
wird),  aber  aus  jeder  Objektivität  (Endlichkeit)  siegreich 
wieder  hervor-,  und  nur  in  eine  höhere ,  Potenz  der  Sob^ 


*)y.  Cousin  fiber  franzosische  und  deutsche  Pli i- 
lo  Sophie,  nebst  einer  beurtheilenden  Vorrede  von  Sc  hei* 
liDg.  1834.  S.  XIIL  XIV. 


Sein  Bllgemeincr  Charakter.  601 

■ 

jektiYitat  wieder  zurücktritt,  bis  es,  nach  ErsöhöpDing  sei- 
ner ganzen  Möglichkoit,   objektiv   zu  werden,   als. 
über  alles  siegreichei$Subjekt  stehen  bleibte 

Dieser  Gedanke  ;  fast .  in  demselben  Wortausdrucke, 
worin  Seh  ellin g  auch  in  seiner  spätem  Epoche  den 
charakteristischen  Inhalt  seiner  Lehre  mehr  als  einmal  aus- 
gesprochen hat,  ist  ihm  ^nom  Anfange  an  gegenwärtig  ge- 
wesen: es  ist  das  Fundament  seiner  ganzen  Lehre,  und 
der  Eingang  in  ihr  eigentliches  Versländniss  hängt  davon 
ab,  ihn  in  seiner  ursprünglichen  Ingenuität ,  und  der  her- 
gebrachten Spekulation  in  AUgemeinbegriiTen  und  ihren  ge- 
wohnten Erklärangen  aus  allgemeinen  Gesetzen  und  Kräf- 
ten gegenüber,  in  seiner  paradoxen  Eigenthümlichkeit  zu 
fassen.  Dies»  scheint  bisher  noch  keinesweges  geschehen 
SU  sein,  aus  demselben  Grunde,  welcher  auch  nach  Scb ei- 
lin g  einer  abstrakten  BegrilTsphilosophie  in  unserer  Bil- 
dung sogleich  wieder  Eingang  verschafft  hat. 

Was  es  mit  jenem  endlichen  Stehenbleiben  eines  über 
Alles  siegreichen  Subjektes,'  d.  h.  einer  Transscendenz  Got- 
tes über  der  Welt,  für  eine  Bcwandtniss  hat,  ob  es  in  der 
That,  um  des  Anfangs  und  Einschreitens  im  Systeme  wil- 
len, gelingen  konnte,  den  BegrilT  der  Immanenz  dadurch 
zu  überflügeln,  muss  die  weitere  Darstellung  zeigen.  Desto 
mehr  jedoch  ist  das  Grosse*  und  Eigenthümliche  des  gan- 
zen Princips  dieser  Philosophie  im  Bewusstsein  zu  erbal- 
ten. Der  absolute  Grund  der  Dinge  ist  ihr,  zum  Unter- 
schiede von  allen  andern  Philosophieen,  zugleich  ein  Con- 
cretes,  ist  individuell:  der  Gegensatz  des  Allgemeinen 
und  Einzelnen ,  an  welchem  das  gewohnte ,  -auch  spekula- 
tive Denken  bis  auf  unsere  Zeit  hin  sich  genügen  Hess, 
gerade  in  der  dialektischen  Vermittlung  beider  Gegensätze, 
in  welcher  doch  der  Gegensatz  ,  als  der  zu  vermittelnde 
eben ,  stehen  gelassen  wurde ,  —  ist  hier  völlig  über- 
schritten. Das  allgemeine  Princip  des  Univprsums  ist  viel- 
mehr Individuum,  aber  ausdrücklich  nicht  in  der  spä- 
tem, besonders  Heg  eischen  Weise  gedacht,  dass  es,  als 
allgemeines  Wesen,  zugleich  Individuum,    unendliche 


602  Sein  att^meiner  Charakter. 

IiHÜTidiialitJit  (abermals  ein  Ahstniktimi)  sei;  vielmehr  ist 
das  Absolute  selbst  als  höchstes  Individuum,  afcso- 
Itttes  Subjekt  zu  denken,  dessen  unendliche  Lebeiisaklo 
daher  auch  nur  Individuen  sein  können. 

Von  diesem  Principe  sagt  nun  S  c  h  c  1 1  i  n  g,  dass  es  »eiiie 
durch  lebendige  Aufßissung  des  Wirklichen  Uun  aarge* 
drungene  empirische  Bestimmung^,  keinesweges Rc^- 
tat  eines  von  AUgemeinbegriflten  ausgebenden  Nachdeiikeos 
gewesen  sei.    Er  verhält  sich  ganz  als  empirisch  intuitiver 
Forscher  zu  seinem  Gegenstande ;  Denken  und  Ansckaoung' 
fallen  ihm  zusammen:   das   universal  Wirkliche  lasst    die 
Idee,  welche  sich  in  ihm  verwirklicht,  durch  einen  Akt 
genialer  Einschau  ihn   zum  Bewusstsein    bringen.     Aber 
es  kann  sich  nur  darum  in  ihm  in  so  zusammenrassendoni 
Bewusstsein V ergreifen,  -*  dieas  ist  die  im  Uintergmnde 
Kegende  Voraussetzung  dabei,  —  weil  in  derThat  nur  ein 
Geistiges,  ein  Subjekt,  sich  in  allem  Wirkliehen  reaUsirt. 
Dieser  Lebens«  und  Selbstschöpfungsdrang  des  höchsten  IndU 
viduums,  -^  nennen  wir  es  die  Natur  oder  Gott  -^  das  Idedle, 
den  Geist ,    der  sein  Wesen  an  sich  selbst  ist ,   auch  aus 
sich  zur  Ausdrficklichkeit  einer  Welt  zu  gebaren ,  und ,  in 
der  höchsten  Potenz,  sich  in  dieser  wiederzuerkennen,  — 
dieser  nothwendig  iVete  Lebensdrang,  *-  Schelling  hat 
ihn  später  Wille  genannt,  und  so  auch  den  Lebensketn 
aller  geschaffenen   Dinge ,   wodurch  sie  Eigentiiümlichkeit 
erhalten,  als  ihren  Willen  bezeichnet,  —  er  ist  -der  allge- 
meine Grund  der  Schöpfung,  und  in  ihr,  dass  Alles  leben- 
dig und  individuell  sei.     Denn  auch   hier  ist  an  den  be- 
zeichnenden Ausdruck  Schellings  zu  erinnern:  Gottes 
Geist  sei  nicht  so  arm ,    dass   er    (in  jenem    unendlidien 
Selbstverwirklichungsakte)   nach  Allgemeinbegriffen  schüfe. 
Diess  das  Allgemeinste  und  Leitende   fiber  seine  Phi- 
losophie :  jetzt  ist  die  Frage,  wie  sich  diess  Princip  in  ein 
System  hineinzubilden  verbucht  und  welche  Bihinngsstand- 
punkte  es  darin  durchlaufen  hat.    Selbst  indess,.wenn  wir 
die  Bezeichnung:   System  auf  diese  Lehre  anwenden,  ge- 
schieht es  nicht  im  gewöhnlichen  Sinne  einer  sysieaiatischen 


Scheüings  VerbiltniSB  zu  Hegel.  691 

Philosophie,  dann  auch  über  die  Fichtesche  hinaiuige- 
kommen,  während  er  selbst  sich  noch  in  den  Gränzen  des 
subjektiven  Idealismus  zu  befinden  glaubte:  so  kann  dies9 
Tradition,  hat  Hegel  wirklich  dergleichen  geäussert,  nur 
aus  einem  Missverstandnisse  von  Hegels  Worten  erwachs 
5en  sein.  Dieser  musste  sich  erinnen)»  dass  S  c  h  e  1 1  i  n  g 
seit  dem  Beginne  seiner  selbstständigen  schriftstellerischen 
Laufbahn (1797.)  der  Transscendentalphilosophie 
immer  und  mit  ausdrücklichem  Bewusstsein  eine  Philo^ 
Sophie  der  Natur  entgegengesetzt  hat,  diese  als  den 
Standpunkt  der  Produktion ,  jenen  als  den  der  Reflexioii 
bezeichnend,  beide  als  die  entgegengesetzten  Hälften  eines 
Einheitssystemes  betrachtend,  dessen  Idee  ihm  vom  Be^ 
ginne  an  vorschwebte,  und  die  schon  in  der  ,,Einlei* 
lung  zum  Entwürfe  des  Systemes  der  Natur« 
Philosophie  oder  aber  den  Begriff  der  spe* 
kalativen  Physik^  (1799.),  ebenso  in  seiner  Einlei«* 
lung  zum  Systeme  des  transscendentalen  Idet- 
lismus^.  (1800.  S*  1—23.),  dann  in  seiner  ,J)eduktion 
des  dynamischen  Processes^^  (Zeitschrift. für 
spek.  Physik  1800.  Bd,  L  Heft  2.  $.63.  S.  83—87.) 
und  endlich  Inder  gegen  Es  che  nmay  er  gerichteten  Ab* 
handlung  „über  deq  wahren  Begriff  derNatur«* 
Philosophie  und  die  richtige  Art,  ihre  Pro« 
bleme  aufzulösen«  (Ebendas.  Bd.  H.  Heft  L  S.  116« 
119.  ff.  124.  u.  s.  w.)  auf  das  Deudichste  ausgesprochen 
worden  ist,  noch  ehe  er  (1801.)  mit  der  Darstellung  sei« 
nes  Systemes  vom  Standpunkte  der  Identität  hervor« 
trat:  —  Alles  Schriften  ,  welche  noch  vor  seine  unmittel« 
bare  Verbindung  mit  Hegel  (1801.)  fallen. 

Auch  der  nach  derselben  Quelle  behauptete  spätere 
Einfluss  Hegels  auf  S  c  h  e  11  i  n  g  und  die  Beschuldigung 
eines  geheimen  Aneignens  der  Ansichten  seines  Freundes 
von  Seite  des  Letztern  lässt  sich  durch  eine  vorurlheillose 
Vergleichung  der  Schriften  beider  Denker  aus  jener  Periode 
keinesweges  rechtfertigen:  schon  diese  zeigen  die  ganze 
Divergenz  der  Individualitäten  und  Richtungen,  welche  sich 


604  Sein  aUgemetner  Cbantkter. 

zur  Philosophie  im  gewöhnUehei» Sinne,  zu  einem  Systeme 
apriorisch erAbleitungen,  zu  machen  sei,  —  in  der 
Abhandlung  von  der  Weltseele  (1798.  2teAuil.  1806.) 
hatte  er  diese  vielmehr   sehr  bezeichnend   „eine  Hypo- 
these der  hohem  Physik  zurErklärung  des  a]lgi?mei- 
nen  Organismus^  genannt:  —  an  die  Incongruenz  zwischen 
dem  Inhalte  und  jener  (der  begriirsarl]gen)Form,  —  wir  kön- 
nen hinzusetzen,  an  den  anfänglichen  Hangel  des  Bewusst- 
seins  über    die  Grundverschiedenheit  jenes  Princips   von 
dem  der    vorhergehenden  Philosoph  ieen,   woraus  das  un- 
sichere Herumtasten  und  wiederholende  Versuchen  in  Dar- 
stellung der  allgemeinen  Principien  seiner  Philosophie  ent- 
stand, haben  sich  frühere  und  spätere  Gegner,  darin  nicht 
ohne  offenbare  Berechtigung,  gehalten. 

Dass  er  jetzt,  abermals  in  gegnerischer  Betrachtung, 
durch  Kundnsdime  von  dem  nach  ihm  auftretenden  Hegel- 
schcn  Systeme,,  darüber  zur  vollständigsten  Klarheit  gelangt 
sei,  ist  nicht  zu  bezweifeln:   in   der  angeführten  Vorrede 
(S.  XIV.)  rügt  er  nämlich  die  Verwandlung  und  hyposta- 
sirende  Uebertragung  dessen ,   was  er  an  seinem  Principe 
das  Lebendige  und  Wirkliche  nennt,  wodurch  auch  in  der 
Methode    diesem    ein    eigentlicher   Fortschritt    und    eine 
,ySelbstbewegung^  beigelegt  werden  könne,  auf  ein  blosses 
Gedankending ,    auf  einen  logischen  (metaphysischen)  Be- 
griff, welche  Umwandlung   aber  sogleich  ihr  Unvermögeo 
vcrrathe,  wenn  diese  Philosophie  „den  schweren  Schritt  in 
die  Wirklichkeit  zu  thun  habe^'^    mit  welcher  ungesondert 
£ins  zu  bleiben ,  und  ein  Abstraktes ,  Metaphysisches ,  gar 
nicht  anzuerkennen,  die  seinige,  wie  man  sieht,   hier  das 
entschiedenste  Bewusstsein  hat.    Daher  nennt  Schelling 
sie  positive  Wissenschaft;  darum  erklärt  er  den  Begriff  des 
Seins ,  Werdens  ,  ohne  ein  Seiendes  und  Werdendes ,  für 
den  leersten  und  nichtigsten  aller  Gedanken.  — 

Die  angeführte  Darstellung  des  Systemes  in  der  Zeil- 


un4  Realen  in  der  Natur,   als  Einleitang  itur  „Welt* 
•  tt«le*'  (Zweite  Aofl.  1806.)  S.  LL 


Schcllings  Varhfiltiriss  zu  Hegel.  693 

lativen,   als    der   zum   PositiTen    sich    hindareliringenden 
Negation. 

Uegelhat  daher  neben  Schclling  sogleich  selbsf«- 
sländig  sich  der  kritischen  und  formellen  Seite  des  gemein- 
scbafUichen  Princips  bemächtigt,  ebenso  aber  jenen  in  sei- 
ner unberfihrten  Selbstständigkeit  gelassen  ,  ohne  in  di& 
Bigenthümüchkeit  seiner  realpliilosopbischen  Construktionen 
einzutreten.  Sogar  in  seinem  gleichfaUs  frühesten  Auf- 
sätze: über  die  wissenschaftliche  Behandlung 
des  Naturrechts  berührt  er  schon  vorgreifend  den 
höchsten  Gipfel  seiner  spätem  Lehre,  und  es  blickt  bereits 
diesdbe  Austerität  und  Härte  der  Ansicht  gegen  den  Be- 
griff des  individuellen  Geistes  oder  der  einzelnen  Persön- 
lichkeit hervor,  deren  Nichtigkeit  an  sich  selbst  und  ihre 
Versenkung  in  die  allgemeine  Substanz  des  Volksgeistes, 
als  des  wahrhaft  Göttlichen ,  schon  hier  gelehrt  wird ;  ^ 
während  Sehe  Hing,  auch  in  der  ersten  abstraktesten 
Fassung  seines  Systemes  —  (wir  werden  die  Stellen  dar- 
zulegen haben) — mit  tiefem  Vemunftinstinkte  die  Idee  des 
Persönlichen '  stets  in  seiner  Integrität  und  Heiligkeit  für 
ilie  eigene  höhere  Zukunft  aufbewahrt  hat. 


Die  angeführten  Schriften  jener  Epoche  (1797-^1800.) 
bilden  nun  die  erste  Gestalt  des  Seh  e  Hing  sehen  System 
mes  und  die  Voraussetzung  seiner  spätem  Lehre.  Aber, 
was  entscheidender  ist ,  wie  durch  jene  das  System  einge- 
leitet worden,  wird  darin  schon  die  scharfbestimmte 
6  r  ä  n  z  e  bezeichnet ,  welche  es  in  seiner  zweiten  Gestalt 
noch  behalten,  und  die  dieser  den  ausschliessenden  Cha- 
rakter der  Immanenz^  aufgeprägt  hat  Desshalb  ist  es 
von  Interesse ,  das  Hervorgehen  des  Systemes  aus  jenen 
ersten  Anfangen  genauer  zu  verfolgen,  als  diesa  bisher  ge- 
schehen sein  möchte.  —  Wir  legen  dabei .  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s 
früheste  Erklärangen  zum  Grunde ,  wie  sie  in  den  ange« 
führten  Schriften  jener  Periode  enthalten  sind. 

38 


606  Zweite  Gestalt  des  Syfitemes 

sondern  von  der  Identität  derselben  aosgehl:  er  terselzl 
sich,  «um  die  Evidenz  der  Beweise  {Hrufen  zu  lassen*,  in 
die  S  p  i  n  0  s  i  sdie  Methode  ,  welche  ,  selbst  bei  diesen 
üicht  original,  auf  die  scholastischen  Formen  des  Carte» 
sins  zurückweist. 

Das  Grundgebrechen  derselben  ist  schon  bet  der 
Wolffschen  Philosophie  geschildert  worden*  Sie  hebt 
von  Definitionen  und  Erklärungen  an ,.  und  lassl  daraus 
Demonstration  n%en  durch  analytische  Folge- 
Tungaus  den  zuerst  aufgestellten  Begriffen. 
Diess  droht  sogleich  Formalismus  zu  werden:  man  kamt 
nämlich  eine  Folgerung  aus  vorausgesetzten  und  hinrei* 
fchend  erklarten  Bcjgiiffen  immerhin  in  ihrer  formellen  Kon- 
sequenz zugeben  müssen,  ohne  dass  die  Realität  nnd  Evi- 
jdenz  des  ersten  Begriifes  {imreichend  erhärtet  ist;  und  so 
JUeibt  dem  ganzen  methodischen  Verfahren  vom  Beginne 
ßn  der  Eindruck  eines  auf  willkfihrlichea  oder  unerwiesenen 
Voranssetzwigen  sich  stutzenden  Begriffsfortschrittes  aa^ 
drückt.  Denn  die  ersten  Fragen  sind  (Übersprungen ,  was 
das  Gegebene  sei,  von  welchem  die  Spekulation  aosziH 
gdien  babe,  und  wie  man  ihrem  Realprincipe  diese 
Jtealitat  zu  vindiciren  vermöge,  —  Fragen,  welche,  so  ein- 
lach sie  erscheinen,  dennoch  die  mannigfachsten  .YcHimter- 
SttchuBgen  in  sich  schliessQn.  Es  vrird  sich  zeigen ,  wie 
entscheidend  diese  Betrachtnng  flpur  die  folgenden  Systeme 
geworden  sei. 

Hiermit  kann  nun  auch  die  ^rklärung^,  mir  wel- 
cher Schellijig  sein  System  (a.  a.  0.  $.  1.)  beginnt: 
«ich  nenne  Yemmiß  die  absolute- Vernunft  ,  oder  die 
Vernuntl,  insofern  sie  als  totale  Indifferenz  des 
Subjektiven  und  Objektiven  gedacht  wird* :  - 
den  Schein  einer  bloss  willkührlichen  methodischen  Vor- 
aussetzung nicht  überwinden.  Einen  Satz,  welcher  so  un- 
geheuere Folgerungen  in  sich  schliesst,  wie  dieser,  in  den 
das  Denken  endlicher  Gegensätze  ganz  abgestreift  und  der 
absolute  Standpunkt  eingenommen  werden  soll,  durch  wel- 
chen femar  nicht  nur  der  ^Gedanke  des  Absoluten,  ab 


als  Identitalssyslrm.  607 

der  Indiflferenz  zugleich  und  der  Identilftt  aller  Gegensatze 
des  Bndlichen,  gewonnen,  sondern  anch  durch  ,,uileUek- 
tuelle  Attschauung^^die  unbedingte  Realität  und  Wirk« 
lichkeit  dieses  Gedankens  festgestellt  werden  soll :  —  einen 
solchen  Satz ,  der  noch  unentwickdt  eigentlich  das  ganze 
System  i  s  t,  bloss  eiklfinmgsweise  vorauszuschidcen,  mochte 
wohl  der  höchste  Beweis  mediodischer  Unfireiheit  und  Be- 
wusstlesigkeit  «ein,  welchen  die  neuere  Geschichte  der  Fht«- 
iosopfaie  kennt,  noch  dazu,  wenn  man  femer  erwägt,  was 
der  Verfesser,  zur  ,3c<^btfertigung  dieses  Sprachgebrauchs^ 
-nicht  sowohl,  als  zur  ^rwecknng  dieser  Idee«  so^ 
gleich  hinzugefügt  (S.  1.  2.> 

Er  legt  darin  nicht  dar ,    wie   ihm   selber  diese  Idee 
entstanden  ,  die  von  ihm  nur  geforderte  intellektuelle 
Anschauung  zur  festesten  Gewissheit  geworden  ist,  sondern 
•er  gfreift  auch   hier  nach  einem  Apparate  äusserlich  Uei* 
hender  Anmuthungen  oder  scheinbar  voraussetzungswekier 
Behauptungen.    Jene  Erklärung  nämlich  ist  ihm  seB>er 
eigentlich  Resultat,  t  ermittelt  es  Endei^gebniss  der 
beiden  schon  -  znrfidkgelegten  Hauptgegensfttze  seines  Sy« 
Sternes ,  der  Philosophie  der  Natur  und  der  Transscendea- 
talpbilesophie.    Das ,   wie  wir  oben  von  ihm  erfuhren  *)| 
durch  Abstraktion  von  dem  Subjektiven  der  intellek** 
Quellen  Anschauung  in  der  Wissenschaitlehre  entstandene, 
vorerst  eigentlich  nur  hypothetisch  zur  Erklärung 
der  Natur  angenommene  (a.  a.  0.  S.  126.))  reine 
Subjekt-Objekt,    von  welchem  die  Consiruktion  der 
Potenzen  beginnt ,  hat  sich  hier,    mif  dem  Standpunkte 
des    Identitatssystemes ,    bereits    durch  alle  Potenzen  des 
<^ektiven  ~  der  Natur  ~   wie  des  Subjektiven  —  des 
Geistes  —  hindurchentwickelt,  und  hat  darin  seine  Univer* 
saiitat  und  Absoiutheit  (das  bidiflforente  und  Identische  z  u* 
gleich   in  Bezug  auf  jene   realen  Gegensätze  zn  sein) 
durch  die  T  h  a  t  erwiesen.    Es  ist ,  laut  der  vollzogenen 


')Vgl.  Zeitschrift  für  Spekula  tive  t^hys  i  k  1801:  Bd.lf. 
H«ft  t.  S.  120.  122  »  betoaders  S.  125.  26. 


60b  Die  intellektuelle  Anschauung. 

Constrnktion ,  das  allein  Wirkliche  in  allen  Gegen-* 
Sätzen  der  Natur  und  des  Geistes;  aber  damit  besieht 
selbst  kein  Gegensatz  mehr  zwisclien  Natur  und  Geist.  Die 
einfache  Erhebung  des  Denkens  von  dem  Hesultate  jener 
beiden  entgegengesetzten  Wissenschaften  zu  ihrer  gegen- 
satzloscn  Identität  macht  die  Vermittlung  und  den 
Beweis  jener . ^ Erklärung <<  aus,  dass  es  ein  absolutes 
Subjekt-Objekt,  die  Vernunft,  als  totale  Indifferenz 
des  Subjektiven  und  Ob jektiven,  giebt:  das 
Realpriiicip  des  Systemcs  ist  damit  in  seiner  Wirklich- 
keit, me  für  das  Denken.,  so  für  die  Anschauung,  in  der 
That  erhärtet;  es  ist,  in  dem  die  Identität  (das  Gedacht- 
werden müssen)  und  die  Realität  (Anschaubark eit)  schlecht- 
hin zusammenfallen;  oder  nach  der  scholastischen  Defini- 
tion ,  das  Wesen  ,  dessen  Begriff  schlechthin  das  Sein  ia 
sich  schliesst.  Diess  ist  zugleich  der  wahre  und  gedan- 
kenmässige  Fortschritt  der  spekulativ  geschichtlichen  Ge^ 
sammlenlwicklung:  überall,  wie  sich  auch  im  Bisherigen 
ergeben  hat,  ist  das  zusammenfassende  Resultat  des  Vor- 
hergehenden zugleich  ein  neuer  Standpunkt,  der  damit 
auch  neue  Probleme  in  sich  schliesst.  Die  ,,intel- 
lektuelle  Anschauung^  und  ihr  Inhalt  ist  so  ia 
der  That  begründet  und  erwiesen;  nach  Rückwirts 
zu  schliesst  bei  Sehe  Hing  Alles  auf  das  Beste  zusam- 
men: nur  nach  Vorwärts  hin  —  womit  wir  freilich  einen 
weit  in's  Folgende  reichenden  Vorblick  uns  erlauben  — 
bleibt  ein  darin  eingehülltes  Grund«  und  Hauptproblem  un- 
erledigt: ob  jenes  reine  Subjekt-Objekt,  in  den  Akten  der 
unendlichen  Selbstverwirklichung  aus  dem  Bewusstlosen 
zum  Bewusstsein  sich  potenzirend,  eben  darum  das  Abso- 
lute zu  sein  vermöge,  was,  wie  man  sieht,  aufs  Engste  mit 
der  Frage  nach  der  ausschliesslichen  Immanenz  des  Abso- 
luten im  Endlichen  zusammenhängt 

Statt  jener  die  Richtigkeit  des  spekulativen  Zusammen- 
hanges bewahrenden,  und  so  mit  ihrem  Inhalte  einsblei- 
benden  Begründung  seines  Princips ,  hat  S  c  h  e  1 1  i  n  g ,  ge- 
gen sich  selbst  im  Unrechte  und   die  Berechtigang  seiner 


Die  intclleklnelle  Anscbflunng«  609 

Idee  in  Schatten  stellend,  sich  begnügt,  nach  dem  Gebrau- 
che sonstiger  Philosophie ,  nur  2u  beschreiben  oder  anzu- 
geben, wie  man  zum  Denken  derselben  gelange.  ,,Man  ge- 
langt dazu  durch  die  Reflexion  auf  das^  was  sich  in 
der  Philosophie  zwischen  Subjektives  und  Objektives  stellt, 
und  was  offenbar  ein  gegen  beide  indifferent 
sich  Yerhalt'cndes  sein  muss^.  Aber  es  ist  diess 
kein  Akt  unmittelbarer  und  einfacher  Reflexion,  indem  diese 
nur  das  leere  Abstraktum  einer  solchen  Indifferenz 
erzeugen  könnte ,  sondern  die  allervermitteltste  Zusammen- 
fassung der  in  ihrer  Einseitigkeit  schon  vernichteten  Ge- 
gensatze des  Subjektiven  und  Objektiven ,  wie  sie  Natnr- 
und  Transscendentalphilosophie  vollbracht  hat.  Nur  dann 
ist  das  zwischen  Subjektives  und  Objektives  „sich  Stellende'^ 
nicht  mehr  ein  bloss  „logischer  Begrifft  ein  „leeres  Sein 
ohne  Seiendes*^,  welches' Seh elling  späterhin  so 
perhorrescirt  hat. 

„Um  die  Yomunft  als  absolut  zu  denken ,  um  also  zu 
dem  Standpunkte  zu  gelangen,  welchen  ich  fordere,  muss 
vom  Denkenden  abstrahirt  werden.  Dem,  wel-i 
eher  diese  Abstraktion  macht,  hört  die  Vernunft  unmittel- 
bar auf,  etwas  Subjektives  zu  sein   —  ja  sie  kann  auch 

nicht  als  Etwas  Objektives  gedacht  werden : sie  wird 

also  durch  jene  Abstraktion  zu  dem  wahren 
Ansich,  welche;  eben  in  den  Indifferenz- 
punkl  des  Subjektiven  und  Objektiven  fallt^ 
(a.  a.  0.  S.  2.). 

Diese  Erläuterung ,  rein  für  sich  selbst  und  ohne  die 
sie  tragenden,  ja  allein  verständlich  machenden  Rückbezie^ 
hungen  betrachtet ,  welche  wir  angegeben  haben,  kann  nur 
als  der  Gipfel  wiUkührlich  dogmatisirender  Besinnungslosig* 
keit  erscheinen.  Wie?  Durch  die  blosse  „Abstraktion  vom 
Denken  derselben<<,  durch  diesen  Akt  allein,  soll  die  in  ih- 
rer Unmittelbarkeit  und  Fakticitat  nur  als  Subjektives  zu 
tiezeichnende  Vernunft  zum  Ansich,  zum  Absoluten, 
werden?  Und  vor  dem  nothwendig  sieh  aufdringenden 
Bedenken,  an  diesem  Absoluten  mnr  ein  Produkt  des  Den- 

39 


610  Pie  inleUektueUe  AaschaitiHig: 

kens  ro  bemt^eii)  uvUI  man  sich  durch  die  JfordetuBg^ 
deeken,    i90$   mw  eben  hierbei    vam  Denken    zu  ah- 
strahiren,    auf    den  prodaoirenden  PenkalU   nicht  zu 
achten  ha  he?    Diesa  war   ea  aogleich,  was   der  Ur- 
heber der  Wiasenaehaflalehre  dieaem  Beginnen  entgegen- 
mhaltea  hatte;   md  wenn  Sc-helUng   in  der  Anmer- 
kung m  S,  2.  (S.  3.)   hinzu$et£t :   «Die  Vernunft  i  s  t  das 
Ahaolnte,  sQbald  aie  gedacht  wird ,    wie  wir  ea  $.  1.  be- 
atiaunl  haben;   der  gegenwärtige  Satjs  (daas  die 
Vernunft  Allea  sei,)  gilt  mithin  bloss  unter 
disser  Voraussetzung:^  —  so  tritt  dieser  Darstel- 
kmgsweiae  voUkoaeHnen  beveoktigt  die  Frage  gegenüber: 
wenn  wir  aber  die  ganxe  Voraussetzung  yerwerfen, 
oder  das  Gegentheil  derselben  beweisen  ?  Dann  wäre  Vor- 
aussetzung  gegen  Voraussetzung   in  Nichts    aufgegangen. 
~    Diese  « voraussetzende  ^   Formalistik  konnte   fast  an 
das  so   arg  verspottete    problematische  PhilosO' 
phiren  Reinholda   erinnern,    dem  wenigstens  dabei 
das  Boduribisa  im  Hmtergrunde  lag ,   durch    den  proble- 
matischen Anfang  eben  zur  voriäufigcn  Festeteltamg  eines 
Bcalprincipes  hindurchzudringen :  ein  nur  nicht  zur  völli- 
gen  Klarheit  gebrachter  Gedanke  der  Gründlichkeit ,  daFS 
erst   von    diesem  Punkte  an  das  eigentlich  objektive 
System  beginnen  könne. 

Diese  übereinander  sich  schiebenden  Verwachsnogeii 
weit  auseinander  zu  haltender  Fragen  erreichen  endlidi 
ihre  Vollendung ,  wenn  S  c  h  e  1 1  i  n  g,  kurz  vorher  (S.  2.), 
das  Wesen  der  Vernunft  und  Vemunfterkenntniss  charak- 
terisirend  ,  soig^icb  hinzusetzt :  ,,da8S  es  die  Natur  der 
Philosophie  sei,  allesNacheinander  und Aussereii- 
ander,  allen  Unterschied  der  Zeit  und  überhaupt  jeden, 
den  die  blosse  Einbildungskraft  in  das  Denken  einnisciit, 
völlig  aufzuheben,  und  nur  das  in  ihnen  zu  sehen,  wodarch 
sUi  die  Eine  Vernunft  ausdrucken ,  nicht  aber  insofern  sie 
Gegenstande  der  bloss  an  den  Gesetzen  des  MechaaiSBias 
wd  ia  der  Zeit  fortlaufenden  Reflexion  sind^.  Es  ist  da- 
mil.  das  Altes  unter   der  Form  der  Ewigkeit  begreifende 


nach  ftrem  Grande  und  Principe.  €11 

ierikm  geim$  cogniäams  bei  Spinoza  bezeichnet :  doch  hat 
dieser  wenigstens  das  Bedurfniss  empiiinden,  in  efaiem  iin<* 
Yoiiendeten  Versudie  über  „Ansbildung  der  Vernunfterkennt^ 
niss^  die  beiden  untergeordneten  Krkenntnissweisen  zum 
absoluten  Erkennen  der  Wahrheit  hinaurzubtlden.  Hier 
wird  dagegen ,  was  nur  als  .Resultat  einer  vollständigen 
Theorie  des  Erkennens  in  stufenweiser  Abstreifung  der 
endlichen  Formen  desselben  gelingen  kann,  kurz  und  rhfr« 
psodisch  voransergriffen ;  und  auch  an  dieser  Stelle,  wie 
noch  in  der  Folgeftbei  bedeutenden  Gelegenheiten,  werden 
die  sich  empordrangenden  Fragen  und  keimenden  Probleme 
Yor  der  raschen  Eile  erdruckt,  den  realistischen  Stand- 
pimkt  zu  gewinnen,  zur  Sache  selbst  zu  kommen.  *>^ 


*)  Eine   diesem   Standpiinkle    genau    entsprechende  Erkenntniss- 
theörie  hat  G.  M*  Klein   gegeben:  „V  erstan  d  es  1  e  h  re'' 
Bamberg  18t0;  nachher  weiter  ausgeführt  hk  desselben  „An- 
schaonngt-    uitd    Denk  lehre''    (Ebendas.  l81Sf    erste 
Auftage;  1824>  xveite  Aufl.)     Nach  diesem    Werke   sintl    drei    ' 
Standpunkte  der  Erkenntniss  zu  unterscheiden }    die  an    »ich 
einseitigen  Sphären  der  sinnlichen  Erfahrungserkenntniss  und 
der  Erkenntniss    des    blos^    Uebersinnlichen ,    als   Vernunft- 
erkenntniss :  Beide  treten  erst  in  der  ebenso'  spekulativen,  als 
nnschauenden    Erkenntniss    in    die    wahre    Mitte    zusAmmen, 
welche    die   philosophische   Erfahrivng    bildet.     Alle 
unsere  sinnlicfaeo,  wie  iibersiDnlkheA,  EHuenntnisse  .kontten  sich ' 
nur  auf  die  Natur  oder    den  Geist  des  Measchea    beziehen: 
die  Vemunft Wahrheiten    tind  selbst  aar   wirklich  am  UBmit- 
telbaren ,    nod  auch  Gotl  können  wir  nur  insofern  erkennen» 
als  er   sich    in    der   Natur    und  Menschheit    geofTenbart    hat. 
Das  Vernünftige  iind  Spekulative  ist  daher  auch  nur  das  An- 
schaubnre.  —    Üiess    ist   an    sich  vollkommen    richtig,    eine 
leere  Jenteitrgkeit  desselben  eatscIrretteBf  ahinwthen,  mi4  anf 
.  <ler  Gegenwart  attd  Uninrltelbarkeit  des  Göttlieltea  2u  beste- 
hen.    Aber  die  andere   Frage  ist  dabei  noch  keineeweges   er- 
ledigt,  ja   gar  nicht    berührt:     ob    eine    (metaphysische)    Er> 
kenntniss  der  Vemunriwahrheiten     in    ihrer    Reinheit  und   an 
sich  seienden  Allgeraeinheit  nicht  die  erste  nnd  eigenthomfiche 
Aufgabe  der  Philosophie  sei?  Indess,  ganz  genrass  den  Tntentio- 


612  Weitere  Aororderungeii 

Diesa  Alles  ist  nun  spater  in  die  bestimmte  wissen« 
schaiUiche  Anforderung  zusammengefasst  worden ,   die  in- 
tellektuelle Anschauung,  welche  hier   Voraussetzung 
geblieben  sei,  zum  spekulativen  Resultate  zu  machen, 
,  und  was  zugleich  daraus  hervorgehen  würde ,  das  Prineip 
der  Identität   des  Unendlichen  und  Endlichen  zu  einem  im 
freien  Gedanken   (begriilsmässig  oder  metaphysisch)  ver- 
mittelten zu  erheben.    Wie  diess  geschehen  ist  im  folgen-r 
den  Systeme,  haben,  wir  der  weitem  historischen  Entwick- 
lung zu  überlassen.    Der  Tadel  jedoch  4iber   die  Formlo- 
sigkeit oder,  wie  man  es  nannte,  den  Mangel  der  Methode, 
im  Schellin g sehen  Systeme,  ist   seitdem  zu  einer  Art 
von  Gemeinspruch  geworden ,  um   sich  dadurch  mit  der 
grossen  Bedeutung  seines  Trincips  auf  das  Kürzeste  abzu- 
finden. 

Auch  wir  haben  jenen  Tadel  erhoben  und  ausluhiüch 
rootivirt;  jedoch  nur  in  solchem  Maassc,  als  wir  es,  wie 
bereits  gesagt,  für  die  Schuld  äusserer  Missgrifie  ,  nicht 
für  einen  innem  Mangel  oder  für  Ohnmacht  des  Princips 
an  sich  selbst  erklären  können,  hier  in  einem  äusserlichen 
Formalismus  veii)lieben  zu  sein.  Lassen  wir  nie  aus  den 
Augen,  dass  Sehe  Hing  Hetaphysiker  zu  sein  weder  be- 
gehrte, noch  vermochte,  dass  jedem  Begriffe  ,  jeder  Ver- 
nunftwahrheit bei  ihm  durchaus  eine  Anschauung  ent- 
spricht, dass  sein  System  eigentlich  nur  ist  eine  Reihe 
von  zu  Ideen  erhobenen  Erfahrungsanschauungen;  bleibt 
femer  uns  gegenwärtig,  dass  die  DarsteUung  seines  Identi- 
tätssystemes ,  wie  sehr  er  auch  von  Aussen  diese  Abhän- 
gigkeit zu  verdecken  suchte ,  durchaus  nur  ini  lebendigen 
und  unmittelbaren  Zusammenhange  mit  den  beiden  vorher- 
gehenden Theilen  seiner  Philosophie  verständlich  ist :  so  erle- 
digen sich  die  gewöhnlichen  Vorwürfe  gegen  dasselbe  fast 
sämmtlich ;  auch  die  „intelldKtuelle  Anschauung^  ist  in  Wahr- 
heit, wie  weit  sie  Erkenntnissprincip  für  das  Folgende  seiner 


nen  Schellings,  überspringt  er  sie  mehr,    alt  dass  er  sie 
abweisen  solilel 


an  dieselbe.  613 

DarsteUiing  sein  soll,  ausreichend  begründet.  Aber  an  die 
Stelle  solcher  einzelnen  Bedenken  tritt  uns  die  durcbgrei* 
fende  Erinnerung,  dass  die  relative  Vollendung  und  Ge- 
schlossenheit des  Systemes  für  sich  desto  entschiedener 
andere  Interessen  von  sich  ausschliesse  und  unbefriedigt 
lasse.  Gewiss  ist  der  Entwurf  desselben  aus  dem  Einen 
Gusse  einer  wahren  Idee  und  eines  tiefliegenden  Veniunft- 
principes  hervorgegangen:  es  ist  seiner  eigentlichen  Be- 
deutung nach  durchweg  realistisch ,  Versuch  eines  natür- 
lichen Systemes  der  Dinge  nach  dem  Principe  der  in.  ihnen 
zur  Idealitat  sich  hinauFpotenzirenden  absoluten  Vernunft. 

Aber  das  Charakteristische  bleibt,    dass  in   ihm    das 
metaphysische  Erkennen  keinen  Platz  findet:  dieVer- 
nunftallgemeinheit;  a  1  s  solche  ,  kommt  in  ihm  nirgends  zu 
ihrem  Rechte  und  ausdrücklichem  Bewusstsein,    —   denn 
die  wenigen  metaphysischen  Satze ,    welche   die  hier  be- 
sproche^ie  Darstellung  (§§.  1 — 50.  S.  1—35.)  enthalt,  und 
die  meist  nur  mit  polemischen  Beziehungen  durchflochle- 
nen  Expositionen  dieser  Art  in  den  spätem  Werken  sind 
eher  geeignet ,  diesen  Mangel  aufzudecken,  als  ihn  zu  be- 
friedigen.    Ja  in  dieser  Sphäre  ist  Schell  in  g,    dessen 
Genius,  als  Naturforscher  in  der  tiefsten  Bedeutung  dieses 
Wortes ,    als  S  e  h  e  r   in  jedem  Gebiete    der  Wirklichkeit, 
seine  volle  Gewalt  und  tiefe  Penetration  nirgends  verleug- 
net,   geradezu  dürftig   und   ohnmachtig  zu  nennen.    Die 
rein  gedankenmässige  Entwicklung  eines  Begriffes  aus  sich 
selbst  bis  zu  Ende  will  an  keinem  Orte  gelingen,  wiewohl 
er  an  der  zugestandenen  methodischen  Meisterschaft  Fi  ch- 
te's  darin  ein  Vorbild  gehabt  hätte.     Es  müssen  realisti- 
sche Anschauungen   oder  Vergleiche   der  Darstellung  auf- 
helfen y  in  welcher  die  Schönheit  und  plastische  Anschau- 
lichkeit ,    der  Drang  und    die  Tiefe   seiner  ursprünglichen 
Vernunftevidenz  an  die  Stelle  des  eigentlich  entwickelnden, 
zum  Ziele  leitenden  Beweises  treten.   Die  Widerlegung  der 
einseitigen  Bestimmungen   des  endlichen  Erkennens  beste- 
hen einestheils  allerdings  in  einer  tiefgreifenden  Kritik  der 
Mängel,   unberechtigten   Voraussetzungen   und  Vonirlbeile 


fil4  Weitere  Anforderungen 

der  gewöimlicbea  Wissenschail;  anderaÜieUs  wird  jedoch 
die  Nichtigkeit  und  das  ZusaminenfaUen  jener  Gegensäixe 
mehr  behauptet,  und  der  Standpunkt  ihrer  IndifTerenz  höch- 
stens beschriebe n,  —  als  jeder  aus  sich  seU>st  widerlegt 
und  in  die  Einheit  mit  dem  entgegengesetzten  übergeführt 
(Als  Beispiel  und  Beleg  für  das  Gesagte  dürfen  wir  seine 
Abhandlung:   von  der  höchsten   oder  absoluten 
Erkenntnissart  im  Allgemeinen,  in  der  ,,neuen 
Zeitschrift    für   spekulative    Physik^    Tübingen 
1802.  Bd.I.  Heft  1.   S.  l->32.  anführen,   welche   mtt  den 
beiden  folgenden  desselben  Heftes :    Beweis,    dasses 
einen  Punkt  gebe,  wo  das  Wissen  um  das  Ab- 
^solute  und  das  Absolute  Eins   sind  (S.33— 48.) 
und  über  die  Idee   des   Absoluten  (S.  49 — TTO^  so 
viel   wir  uns   erinnern ,   die  einzigen  sind ,   in   denen  es 
Sc  he  Hing  ausführlich  versucht  hat,  genetisch  zum  Stand- 
punkte seines  Systemes  hinaufiuleiten.     Sie   scheinen  ms 
insgesammt  die  angegebenen   durchaus   charakteristischea 
Entbehrungen  und  Vorzuge  an  sich  zu  tragen.) 

Ebenso  hat  sich  das  System  auch  in  der  unmittelbar 
hier  vorliegenden  Darstellung  aller  Rechenschaft  überhoben, 
wie  Philosophie  überhaupt,  näher  wie  die  absolute  Erkennl- 
lüssart ,  aus  welcher  es  selber  entworfen  zu  sein  behaup- 
tet, entstehen  kann.  Es  erklart  durchaus  nicht  seine  eigene 
Möglichkeit ,  oder  verflicht  die  Frage  darnach  nur  in  die 
allgemeinen  Konsequenzen  seines  Standpunktes,  wobei,  wenu 
es  zur  Ausdrückiichkett  dieser  Aufgabe  käme,  der  Zirkel 
solcher  Erklärungsweiso  handgreiflich  werden  mussle. 
Schell  in  g  hat  jedoch,  wie  wir  wissen,  diese  ganze  Un« 
tersuchung  von  sieb  ab* ,  und  auf  die  Wissenschanslebre, 
als  die  Philosophie  über  das  Philosophiren  ,  ziirückgawie- 
sen.  *)  Von  dieser  hat  sich  jedoch  gezeigt ,  dass  sie  in 
ihrem  genuinen  Sinne  jene  Frage  keinesweges  also  beant- 
wortet, dass  sie  die  Lehre  des  Nachfolgers  ohne  Weiteres 


*}  Zeitschrift   für   spekulatire   Physik  1801.    Bd.  II. 
U.  1.  S.  116. 


an  diei^lbe.  615 

Ott  Uircn  Zusammeiriiang  verwenden  kMttite.  BfgeiitHeh 
hat  sie  daher  Schelling  nur  übersprungen,  oder  als  ein 
ferfieres,  ron  ihm  nicht  berOhrtes  IVoblem ,  der  spekulati- 
ven Zukunft  überlassen« 

Und  so  ergiftbe  sich  schon  hier,  nach  deni  ersten  Un-^ 
g^flhren  Ueberschlage,   dass  ausser  dem  Objektiv  realisti-^ 
sehen  Systeme  der  Dinge,  v^ie  es  Schelling  entworfen, 
in  weichem  das  Denken  mit   der  Anschauung  sich  durchs 
dringt,  Spekulation  und  Erfahrung  in  einander  fallen ,  und 
die  ganze  Untersuchung  nur  eine  in  die  Idee  sich  auilie-^ 
bende  (verklärende)  Erfahrung  ist  —das  System  theilt 
sich  hiemach,   seinem  Inhalte  gemfiss,  nur  in  die  beiden 
grossen  Sphären  der  Natur  und  des  Geistes  —  der  Begriff 
und  das  Bedfirfniss  einer  die  Vernunftwahrheiten  und  Ver« 
häHnisse    derselben   rein   betrachtenden    (metaphysi- 
schen) Wissenschaft,  so  wie  einer  allgemein  einleitenden^ 
dus  Erkenntntssproblem  im  weitesten  Suine  lösenden  Disci«* 
plin,  durch  jenen  Mangel  gerade  geltend  gemacht  und  her-<> 
vorgerufen  werden.  Hätte  Schelling  das  objektive  System 
der  Philosophie  sogar  vollendet ;    er^  würde  dadurch  jener 
doppelten  Aufgabe  doch   gleichmässig  fern  geblieben  sein. 


Wir  kehren  nach  dieser  allgemeinen  Erörterung  2U 
der  schon  angelTIbrten  Darstellung  des  Systemcs  zurück, 
wo  es  nicht  dtnrauf  ankommen  kann,  jeden  Satz  und  Para- 
graphen derselben  einzeln  zu  erwägen  —  wir  müssen  in 
diesem  Betrachte  vielmehr  auf  ehie  treffende  Kritik  solcher 
Art  in  Fiehte's  nachgelassenen  Werken  (Bd.III. 
S.  371— 389.)  verweisen  ,  —  als  überhaupt  die  wissen« 
sehaftltdie  Form  dieses  ganzen  Philosophirens  txt  cliarak- 
terisiren«  —  Uehrigens  sind  die  ersten  fünfzig  Paragraphen 
jener  Darstellung,  welche  die  allgemein  metaphysische  Be- 
gründung umfassen  sollen,  darum  von  Wichtigkeit,  weil  sich 


616  Die  absoluto-  Vcraunfl , 

0U8  ihneii,  und  an  ihrer  Stelle,  (Uc  ganze  objektive  Logik 
Uogels  colwickelt  hat. 

Nach  jener  Anrnngserklarung  ($.  iJ),  von  welcher  sich 
ergab,  dass  sie  eingewickelt  schon  Alles  in  sich  enthält 
oder  voraussetzt,  was,  der  methodischen  Zurüstung  und 
dem  ausserlichca  Beweisapparate  nach,  erst  erwiesen  wer- 
den sollte ,  ist  das  Verfahren  nun  das  doppelte  ,  Hand  in 
liand  gehende:  die  endlichen  Gegensätze. des  empirischen, 
•auch  des  reflektirend  philosophischen  Erkenncns  werden, 
als  letzte  und  gültige  Bestimmungen ,  von  der  „absolutes 
Vcnmnd^  negirt  — sie  ist  das  gegen  sie  Indifferente; 
—  aber  ebenso  worden  die  wahrhaft  objektiven  Gegen- 
sätze, auf  deren  relativem  Ueberwiegen  aller  Unterschied 
des  Daseins  beruht ,  der  Gegensatz  des  Subjektiven  un3 
Objektiven  ,  Idealen  und  Realen  ,  als  die  im  Unterschiede 
zugleich  in  Eins  gesetzten ,  in  der  Totalität  des  Univer- 
sums zur  Einheit  (Identität)  sich  auflösenden,  bestätigt,  — 
die  absolute  Vernunft  ist  die  Identität  derselben. 

Die  nicht  zum  ausdrücklichen  Bewusstsein  gelangende 
Grundvoraussetzung  ist  dabei  jedoch  die,  welche  eben  nur 
Resultat  sein  kann  der  rückWärtsliegenden  nnd  schoa 
durchmessencn  Theiie  der  Natur-  und  Transscendenlalphilo- 
Sophie ,  —  dass  jenes  hypotheti'sch  angenommene 
reine  Subjekt-Objekt,  nach  dem  Ausdrucke  gegenwärtiger 
Darstellung :  die  a  b  s  o  1  u  t  e  V  e  r  n  u  n  f  t,  die  realen  Gegen- 
sätze der  Natur  und  des  endlichen  Geistes  wirklich  in  sich 
enthalte  und  sich  als  vöUig  ausreichendes  Real-  und  &- 
klarungsprincip  für  dieselben  schon  ei^eben  habe.  Es 
schwebt  der  Darstellung  schon  vor,  was  als  ausdrückliches 
Bekenntniss  erst  im  $.26.  (S.6.>  mit  der  „Erklärung^ 
enthalten  ist:  die  absolute  Identität  sei  abso- 
lute Totalität,  sei  das  Universum  selber. 

Nur  unter  dieser  Voraussetzung  wird  vefständlich,  wie 
S  c  h  e  1 1  i  n  g  sich  überreden  konnte ,  auf  eine  so  alige- 
meinp  Erklärung,  wie  sie  $.1.  enthält:  „er  nenne  Ver- 
nunft die  absolute  Vernunft,  oder  die  Vernunft,  insofern 
jjic  als  totale  Indiiüercuz   des  Subjektiven   und  Objektives 


als  Indifferenz  gelasst  617 

gedacht  wird^  ~  anf  eine  solche  —  Nominaldefini- 
t  i  o  n  sogleich  den  zweiten  Satz  folgen  zu  lassen :  y^nSr 
ser  der  (dieser)   Vernunft  ist  Nichts,  und  in 
ihr  ist  Alles  ($•  2.  8.2.);  wodurch  der  Gegenstand  je- 
ner Definition  sogleich  nun  zu  nichts  Geringerem,  als  dem 
Rcalprincipe  aller  Dinge,  erhoben  wird.    Es  sollte  in 
direkter  Folgerung  aus  jenem  Satze  vielmehr  nur  heissen : 
Für  diese  Vemunll   ist  Nichts ,  weder  Subjektives  noch 
Objektives  ,  weil  sie  als  gegen  beide  gleiph   Indiffe- 
rentes gesetzt  ist;  —  denn  von  der  im  Stillen  hinzuge- 
dachten Prämisse    aus  den   vorhergehenden  Theilen  der 
Philosophie,  dass  sie  in  der  That  sich  schon  erwiesen  habo 
als  gegen  die  laut  faktisch  er  Erfahrung  gegebene 
Differenz  des  Subjektiven   und  Objektiven  gleichgültig  sich 
verhaltend,  darf  von  Rechtswegen  in  diesem  Zusammen-» 
hange  keine  Notiz  genommen  werden. 

Die  dem  $.  hinzugefügte  Beweisführung  vollends  lenkt 
ab  von  jenem,  dem  einzig  wahren  Gesichtspunkte.  Es 
wird  darin  apagogisch  gezeigt,  dass  die  Annahme,  es  sei 
Etwas  ausser  der  absoluten  Vernunft,  entweder  für  die- 
selbe ^  also  als  etwas  Objektives  für  Subjektives,  —  oder 
nicht  für  sie  — also  ftls  etwas  Objektives  zu  Objektivem, 
—  in  beiden  Fällen  gegen  die  Voraussetzung  des 
$.1.  s  e  i.  Es  ist  aber  gegen  die  Voraussetzung  des  $.  1.  nur 
unter  der  Bedingung,  dass  man  das  Resultat  der 
beiden  vorhergehenden  Theile  des  Systemes  hier  mithin- 
eitttragen  wilL  Ohne  diese  Beziehung  kann  aus  der  ein- 
fachen „Voraussetzung^  nur '  gefolgert  werden ,  dass  für 
e'me  solche  Indifferenz  weder  Subjektives  noch  Objek- 
tives ,  dass  Nichts  für  sie  existire.  —  Die  absolute  Ver- 
nunft, so  anfänglich  als  Indifferenz  gefasst,  gleicht  durch- 
aus dem  Heg  eischen  Anfange  vom  Sein,  dessen  noch 
Nichts -Sein  dieser  jedoch  mit  Bewusstsein  aussprach. 
»  Diess  anders  Setzen  und  anders  Meinen ,  indem  die 
wahren  Prämissen  und  Beweisgründe  nirgends  ausdrücklich 
herausgestellt  und  beim  Namen  genannt  werden,  solcher 
Gestalt    daher  auch   dem  Philosophen   selbst  nie  in  seine 


618  Die  absolute  Vcinunll  y 

klare  Gewalt  gekommen  sein  kdnnen;  sondern  nnr  tob 
hintehhcr  lind  bewusstlos  in  ihn  kineinwirken ,  diess  stete 
^uid  pro  quo  setzt  sich  nun  auch  in  die  folgenden  ${. 
fort.  Nickt  was  S  c  h  e  1 1  i  n  g  ausdrücklich  sagt  and  be- 
weist  —  es  bleibt  Tast  ul>eran  der  formelle  Beweis  eines 
Folgems  aus  der  einmal  angenommenen  Voraussetzung  oder 
eines  apagogischen  Widerlegens  der  entgegengesetzten  An- 
nahme •—  vielmehr  was  er  nicht  sagt,  sondern  snbinteBi- 
girt ,  verleiht  den  einzelnen  SAtzen  Verständlichkeit  rnid 
Wahrheit,  wiewohl  wir  auch  aus  diesem  Gesichtspunkte  in 
ihnen  nur  eine  sehr  sprungweise  und  lückenhaH  durchge- 
führte, in  ihrer  Anordnung  durch  fiusserliche  Motive  be- 
dingte Reihenfolge  erblicken  können.  Wir  ffihren  die  Haupt- 
gedanken davon  auf: 

Die  Vernunft  ist  schlechthin  Eine  und 
sich  selbt  gleich  ($.  3.>  Das  erste  Prädikat  ist  mh 
tcr  den  angegebenen  Voraussetzungen  sogleich  zuzugeben; 
denn  die  Vemunil ,  als  absolutes  Realprincip ,  als  Gmnd 
dos  Universums  gefasst,  kann  nicht  umhin,  schlechthin  nar 
Eine  zu  sein;  doch  wird  späterbin  noch  eine  wesentliche 
Bemerkung  nothig  werden  aber  eine  hier  zurückbleibendö 
Zweideutigkeit.  Wenn  jedoch  das  Prädikat  der  Sich- 
selbstgleichheit hinzugefilgt  wird,  so  kann  diess,— 
falls  es  nicht  in  dem  flachen  Sinne  einer  formell  logi- 
schen Identität  genommen  werden  soll,  nach  welchem 
man  sagt ,  dass  jedes  »Ding«'  und  jeder  Begriff,  wie  auch 
sonst  bestimmt,  so  wenigstens  als  das  sich  selbst  Gleiche, 
mit  sich  Uebereinstimmende ,  gedacht  werden  müsse,  — 
hier  im  Gegentheile  nur  die  Bedeutung  haben,  dass  die  ab» 
sohlte  Vernunll  auch  in  dem  ihr  Ungleichen  aad 
Differenten  (welches'  hierbei  stillschweigend  miüiin- 
eingetragen  wird),  das  mit  sich  Identische,  zur  Sichselbst- 
gleichheit daraus  sich  Iferstellende  ist.  Anderktz- 
tem  Deutung  dieses  Satzes  lässt  nun  weder  der  Zas8«i- 
menhang  des  Ganzen ,  noch  die  gleich  aus  dem  Satze  ge- 
zogene Folgerung  zweifein  ($.4.):  dass  das  höchste 
Gesetz    für    das   Sein  der  Vernunft   das  der 


als  IdCQtilal  gebssL  619 

Identität  sei.  —  Von  diesem  Sinne  des  Satzes  müssenf 
wir  jcdock  abermals  behaupten,  dass  er  mit  Nichten  folge 
aas  der  Darstellung  selbst,  sondern  nur  ans  dem  in  sie 
Uineingetragenen. 

Diese  sofortige  Erhebui^  des  formell  logischen  6e- 
solsses  der  Identität  zu  einer  realphilosophisoben  Bedeutung^ 
crgiebt  sieh  sogleich  im  Folgenden  noch  klarer:  Jenes 
Gesetz  isl  die  sich  selbst  setzende  Identität  der 
absoluten  Vernunft  in  den  Dingen,  welche  ihrerseits, 
wie  bald  nachher  gezeigt  wird ,  mit  dem  relativen  lieber- 
gewichte  der  Einen  oder  der  andern  Differenz  zu 
kämpfen  haben.  Desshalb  wird  (Zusatz  2  zu  $.  4.)  der 
Satz  A  9^  A  die  einzige  Wahrheit  genannt,  welche  an 
sich,  ohne  alle  Beziehung  auf  Zeit  gesetzt ,  d.  h.  mithhi 
„eine  ewige  Wahrheit^  seL    Und  (im  Zusatz  f.)  wird 

—  freilich  in  einer  verkehrten  Ordnung  dieser  Corollaricn 

—  hinzugefügt,  dass  durch  alle  andern  Gesetze,  wenn  es 
deren  giebt,. Nichts  bestimmt  wird,  wie  es  in  der  Vernunft 
oder  an  sich  ist,  sondern  wie  es  in  der  Reflexion  oder  in 
der  Erscheinung  ist.  In  demselben  realistischen  Sinne  wird 
das  Subjekt  und  Prädikat  (il  »  A}  des  Salzes  der  Identi- 
tät (§.  16  mit  Zusatz)  in  eine  reale  Differenz  gesetzt,  yon 
welcher  zugleich  nun  behauptet  wird ,  dlass  diess  keinen 
Gegensatz  an  sich  in  der  absoluten  IdentitM  begründe. 

Ebenso  wird  aus  dieser  Uindeutung  gefolgert  das  ah^ 
solule  Sein  der  Identität  (§.  6.)  und  die  unbedingte 
Erkenntniss  derselben  ($.7.);  Beides  $ber  in  dem 
Sinne  (vgl.  $.8  nrtt  Zusatz  1.  und  2.) 9  doss  nur  von  der 
absoluten  Identität  es  gilt,  durch  ihren  Begriff  al- 
lein ihr  Sein  und  ihre  unbedingte  Erkenntniss  m  setzen* 
^Gs  gehört  zum  Wesen  der  absoluten  Identi- 
tät, zu  sein.^ 

Desshalb,  und  unter  dieserVoraussetzung,  kann  auch 
die  Vernunft  als  mit  der  absoluten  Identität 
Eins  seiend  genannt  werden ( §. 9.)*  Die Unbedingtheit 
des  Seins  und  Wesens  der  absoluten  Identität  laut  gleich- 
sam  zusammen    oder  deckt   sich  mit    der   Unbedingtheit, 


630  Die  absolute  VernunR, 

welche  von  Anfang  her  der  Vernunft  zugestanden  worden 
ist  Das  IdentititsgcseCz  ist  daher  das  Gesetz,  md 
zwar  das  einzige,  der  absoluten  Vernunft ;  —  oder,  wie 
es  anderswo  heisst,  ihre  abi^olute  Form  (vgl.  $.  15  mit 
Zusatz  1.).  —  Die  weitem  Folgerungen  reihen  sich  an: 
die  absolute  (so  mit  der  Vernunft  Einsgewordene)  Identi- 
tat  ist  schlechthin  unendlich  ($.  16.) ;  sie  kann,  als  Iden- 
tität ,  — f  (in  allem  sonstig  nicht  identischen  Dasein)  ^ 
nidit  aufgehoben  werden  ($.  ll.>  Die  absolute  Iden- 
tität ist  das  Einzige,  was  schlechthin,  öderen  sich, 
ist.  Also  ist  Alles  nur  insofern  an  sich,  als  es  die  ah- 
sohite  Identität  selbst  ist,  und  insofern  es  nicht  die  abso* 
lute  Ideutitat  ist,  ist  es  überiiaupt  nicht  an  sich  ($.  If. 
12.  Zusatz  1.  2.).  — 

Mithin  ist  Nichts,  dem  Sein  an  sich  nach,  entstan- 
den, und  Nichts,  an  sich  betrachtet,  endlich(S. IH.  14.}. 

Hieraus  folgt  (E  r  1  ä  u  t  e  r  u  n  g  zu  $.  14.) ,  dass  von 
Standpunkte  der  Vernunft  aus  (zugleich  dem  der  Wahrheit 
und  Philosophie)  keine  Endlichkeit  sei,  und  dass  die  Dinge 
als  endlich  betrachten,  —  ebenso  als  verschiedene  und 
mannigfaltige, —  ganz  dasselbe  heisse,  als  sie  nicht  an  sieb 
oder  vom  Standpunkte  der  Vernunft  aus  betrachten.  Und 
der  Grundirrthum  aller  Philosophie  sei  die  Voraussetzung, 
dass  die  absolute  Identität  wijiilich  aus  sich  herausgetreten, 
und  das  Bestreben,  diess  (vermeintlicbe)  Herau^reten,  auf 
welche  Art  es  geschehe,  begreiflich  zu  machen. 
Die  absolute  Identität  hat  nie  aufgehört,  diess  zu  sehn,  und 
Alles,  was  ist,  ist  nicht  etwa  die  Erscheinung  dersel- 
ben ,  sondern  sie  selbst.  Die  wahre  Philosophie  besteht 
umgekehrt  in  dem  Beweise,  dass  die  absolute  Identität 
(„das  Unendliche^)  nicht  aus  sich  selbst  heraustritt,  und 
Alles,  was  ist ,  insofern  es  ist,  die  Unendlich- 
keit selbst  sei.  Nur  Spinosa  habe  von  allen  bishe- 
rigen Philosophen  diesen  Satz  erkannt,  fugt  Schelling 
hinzu,  habe  aber  den  Beweis  dafür  nicht  vollständig 
geführt,  sei  überhaupt  darüber  fast  allgemein  missver- 
standen worden. 


als  MenUtttt  gefasst.  681 

Die   beideii   letzten  BemerkungoH  konnten  zu  denken 
geben  ,   auch   in  Betreff  der   richtigen  Auffassung  seines 
eigenen  Systems.     ^^Fast   allgemein  missverstan-* 
den«  in  Hinsicht  de^  Haup4)unktes,  der  absoluten  Identität 
des  Ewigen  und  Endlichen,  konnte  man  das  System  Spi-t 
n  o  s  a  's  ni^ht  fugUch  mehr  nennen ,  seitdem  J  a  c  o  b  i ,  in 
seinem  Briefen   über    die  Lehre  Spinös a's   und  in  der 
darin  enthaltenen  Darstellung  derselben,  gerade  diesen  Mo« 
ment,  dass,  wie  er  sich  ausdrückt,  das  Werden  ebenso, 
wenig  angefangen  haben  könne,    als  das  Sein   (S.  168« 
2te  Ausg.) ,  in  ein  unstreitiges  Licht  gesetzt  hatte.    Auch 
der  Yonvurf  gegen  S  p  i  n  o  s  a  selbst ,   den  Beweis  dafür 
unvollständig  gelassen  zu  haben,  kann  sich  nur  auf 
eine    andere   Seite   jenes   Begriffsverhältnisses    beziehen» 
Nicht  die  Identität  der  unendlichen  Substanz  und  der  end-*^ 
liehen  Dinge,  als  ihrer  Modifikationen,  hat  S  p  i  n  o  s  a  zwei- 
felhaft gelassen  oder  unvollständig  erwiesen  —  wenn  man 
nämlich  Erweisen  eine  vollständige  und  bewusste  Explika« 
tion  des  einmal  ergriffenen  Pnncipes  nennt,    und  mehr 
hat  Sehe  Hing  auch  nicht  getban, —^  sondern  das  ist  dag 
Mangelhafte  seines  Standpunktes  —  und  Sehe  Hing  hat 
sich  gleichfalls  in   seiner  Abhaindlung   über  die  Freiheil 
darüber  erklärt,    —  dass  es  endliche  Dinge  sind,  aus 
deren  unendlicher  Summe  das  Wesen  und  Sein  der  abso- 
luten Substanz  bestehen  soll.  —    Wir  ha^en  bei  dem 
Tadel  .S  c  h  e  1 1  i  n  g  s   vielmehr   den  Nachdruck  darauf  zu 
legen,  dass  ihm  selber  das  Endliche,  als  solches,  wirk-« 
lieh,  verschwunden ,  ein  starres ,  fertiges ,  durch  eine  ihm 
äusserlich  bleibende  Causalität  mit  mechanischer  Nothwen- 
digkeit  bestimmtes  Einzelding  gar  nicht  vorhanden  ist  Das 
Binzebie  ist  selbst  nur  flüssiges  Moment  des  unendlichen 
Lebens,  welches  auch  in  sein  Einzelnstes  seine  Natur  ^  die 
Prädikate    der  Absolutheit    und   Ursprünglich- 
k  e  i  t ,  bineiolegt    S  c  h  e  1 1  i  n  g  s  Philosophie  ist  dynamisdi, 
nicht  mechanistisch;    und  hiervon  ist   es  vollkommen  ge- 
recht zu  sagen,  dass  es  weder  von  S  p  i  n  o  s  a  gehörig  er- 
wiesen, noch  viel  weniger  durch  J  a  c  o  b  i  gewürdigt  worden 


683  Der  Beweis 

sei.  Dcap  von  diesem  hat  sieh  gezeigt,  da»s  er  seQier  nur 
eine  mcchamstische  Philosophie  kennt  und  bekämpft. 

Mit  diesen  Sätzen  hat  Schell ing  den  ersten  auf- 
steigenden Schritt  in  sein  Princip  hinein  vollendet:  aUe 
in  faktischer  Erscheinung  gegebenen  Differenzen  sind  auf- 
gehoben, —  d.  h.  wie  es  vorerst  nur  erscheinen  bum^ 
vernichtet  —  in  der  ewig  mit  sich  gleichbleibenden 
Identität  der  absohiten  Vcmunfl.  Diese  ist  bis  jetzt 
keinesweges  schon  „das  Unendliche^,  sondern  die  ferb- 
und  unterschiedlose  fiinerleiheit  desselbigen  Wesens  in  ab- 
strakter Ewigkeit ,  rein  Seiendes  ohne  jeden  weilern 
Beisatz«  Die  Differenz  ist  von  ihm  vielmehr  nur  ver- 
neint, die  Identität  ist  noch  keinesweges  die  des  skh 
setzenden ,  aber  ins  Gleichgewicht  zurückkehrenden 
lebendigen  Unterschiedes.  Vorher  haben  wir  diess^  so  aus- 
gedrückt,-dass  hier  der  Begriff  der  Indifferenz  noch 
der  herrschende  sei,  keinesweges  der  der  eigentlichen, 
sieh  auswirkenden  Identität,  die  sich  nur  am  Nicht- 
identischen  bewähren  kann.  Diess  das  Erste ;  und  wemi 
Schelling  in  der  zugleich  lockern  oder  unbestimmten 
Weise  seiner  Darstellung  auch  beide  Begriffe  mit  Klarheit  zn 
sondern  unterlassen  hat ,  so  ist  dtess  doch  abermals  eine 
deir  unterzulegenden  Prämissen,  um  sich  jene  Darstelhmg  in 
völlig  innerm  Verständnisse  näher  zu  bringen. 

Fragen  wir  jedoch,  durch  welchen  BegriSnipparat  der 
Beweis  dalur  in  wisscnsehafMieher Hinsicht  geführt  wor- 
den ist,  so  ist  es  hier  —  (die  sonstige,  verboifen  blei- 
bende Unterlage  dalBr  kennen  wir  freilich  schon)  —  mir 
die  schon  charakterisirte  Umdentmig  des  logischen 
Princips  der  Identität  Die  Folgerungsweise  ist 
summarisch  so  auszudrucken :  der  Satz  der  Idenfität  ist 
eine  ursprüngliche,  keines  Beweises  bedürfende,  ewige 
Wahrheit;  sein  Inhalt  schliesst  durch  sein  Wesen  das 
Sein  in  steh;  denn  er  ist  das  Einzige,  was  in  riiem 
Sein  unmittelbar  wahr  ist.  Desshalb  ist  wakr- 
hafl  (oder  an  sich)  in  Allem  nur  die  absolute  Identitit 
wirklich  ;  das  DiSerente  ist  das  Miebtsciende.     Die   iden- 


dieses  Princips.  6St3 

Utal  ist  daher  selbst  rar   noch  als   Indifferenz   ge- 
fasst« 

Es  bedarf  kaum  noch   der  nöhem  Ausführung^  wie 
bierin  der  Nerv    des  Beweises  nur   auf  dem  Doppelsinne 
beruht,  dass  dasjenige,  was  ursprfinglich  allein  in  logisch-» 
formcUer  Bedeutung  auf  diese  unmittelbare,  keines  Bewei«« 
ses    bedurllige ,  wie   fähige   Gültigkeit  Anspruch   macht, 
Cnjedes  Bestimmte  ist ,  als  bestimmtes ,  >1  a  il ,  mit  sich 
selbst  idcntisch<<) ,  sogleich  nun  in  einen  höhern ,  meta- 
physischen Sinn  übertragen  wird :.  „i  n  jedem  bestimm- 
ten (Endlichen)  ist .  seine  Wahrheit  nur  die  absolute  Idon- 
titäl ,  und  diese  das  eigentlich  in  ihm  Wirkliche^«.  Durch 
eine    ungeheuere  Hypostasining   wii^  jener  nur   formelle 
Gedanke   der  Identität   in   ein  wirklich  Seiendes  ver« 
wandelt;  die  Identität  ist  das  Absolute,  und  der  Sats, 
welcher  in  formell  logischer  Bedeutung  allerdings  auf  im-* 
mittelbare  Geltung  Anspruch  macht :  dass  die  Identität  durch 
die ^ Unbedinglheit  ihres  Wesens  unmittelbar  ihr  Sein  in 
sich  schliesst,  wird  von  Sohelling   in  gewissem  Sinne 
in  einen  Beweis  filr  das  Dasein  jenes  Absoluten  (Gottes) 
venvandelt.     An  sich   selber  und  in  ihrem  unmittelbaren 
Sinne  ist  jene  Identität  nur  der  bekannte  höchste  Gat- 
tungsbegriff der  Logik,  welcher  in  keinem  Sinne  mohr 
Art  (spedes)  werden  kann.    Aber  wiul  man  sich  erhü- 
ben können,  diesen  höchsten  Gattmagsbe^rifj^  i  u  dem  aller- 
dings jedes  Bestimmte  ist ,   nun  sofort  zu  einem  wirklich 
Existirenden  zu  erheben?    Und  doch  beruht  auf  dieser 
Wendung  die  ganze  vermeintliche  Beweiskraft  des  Vorigen. 

Dass  mithin  diese  Zurustungen  zur  Begrondung  des 
Princips  der  absoluten  Identität  durchaus  mangelhaft 
sind ,  ja  in  gar  keinem  Verhältnisse  stehen  zu  der  gewat» 
tigen  Last,  welche  sie  fortbewegen  sollen,  —  dass  sie 
zunächst  in  ein  völlig  anderes  Gebiet  von  Begriffen  fal- 
len, darüber  kann  kein  Zweifel  oder  keine  Beschönigung 
Statt  finden.  Und  zwar  nicht  minder,  als  das  Doppelte,  hätte 
geleistet  werden  müssen,  um  auf  jenen  Satz  dSeAnsjKuche 
eines  metaphysischen  Resulbits  za  gründen« 


694  Der  Beweis 

Der  Begriff  y  welcher  wirklich  den  Hintergmnd  jenes 
Beweises  ausmacht  und  ihn  aus  seiner  verborgenen  Ondlc 
nährt,  ist  nicht  der  der  (logischen)  Identität,  sondern  der 
eigentlich  metaphysische  der  Endlichkeit  Der  wahre 
Sinn  des  Scheliingschen  Satzes  wäre  daher  also  aus- 
zusprechen :  der  Begriff  der  Identität  ist  nicht,  wie  die  ge- 
meine Logik  anzunehmen  pflegt,  auf  alles  Seiende  schlecht- 
hin anzuwenden;  das  Endliche  vielmehr  ist  das  Micht- 
identische ,  das  sich  Ungleiche ,  das  Andere  gegen  sirh 
selbst,  das  Fliessende,  Vergängliche.  Diess  wäre  die  Eine 
Seite  jenes  Satzes,  wodurch  der  Begriff  des  Endlichen  für 
sich  selbst  aufgehoben  wird.  Das  Endliche  ist  das 
Nicht*Seiende,  nur  Erscheinende;  nicht  es  selbst  tsf, 
sondern  in  seinem  Existiren  ist  wahrhaft  nur  ein  Ande- 
res. Und  das  äussere  Gepräge  oder  Kriterium  davon 
wäre,  dass  es  die  Identität  mit  sich  selbst  nicht  zu 
wahren  vermag. 

Hiermit  ist  nun  die  andere  Wendung,  die  in  dem 
Satze  enthalten  ist,  hinreichend  vorbereitet.  Indem  der 
Begriff  der  Endlichkeit ,  d.  h.  der  Identität  des  Endliche 
mit  sich  selbst,  sich  in  seiner  Nichtigkeit  gezeigt  hat ,  er- 
giebt  sich  daraus,  dass  wahrhaft  in  ihm  hur  wirklich  sei 
ein  Ewiges,  d a r i n Sichgleichbleibendes,  in  all  jenem 
Nichtidentischen  (oder  in  den  erscheinenden 
Differenzen,  die  aber  nicht  das  Ansich  oder  die  Wahrheit 
des  Seins  ausdrücken,)  die  Identität  mit  sich  Be- 
hauptendes. Hiermit  wäre  der  Beweis  wenigstens  ^  a  n- 
gefangen  von  der  Existenz  des  Ewigen,  als  der  abso- 
luten Identität  Bei  Sehe  Hing  ist  diess  Alles  jedoch  nm* 
als  Anforderung,  Aufgabe,  hingestellt,  und  selbst 
darüber  mangelt  das  bestimmte  wissenschaftliche  Bewusst- 
sein,  während  es  auf  das  Klarste  im  spätem  Satze  U  egels 
ausgesprochen  ist :  dass  altes  Endliche  der  Widerspruch 
sei,  an  welchem  es  untergehe,  —  wobei  freilidi  der  Aus- 
druck des  „Widerspruches*  —  wovon  anderswo  — 
als  ein  unrichtiger  sich  zeigen  wird. 

Dennoch  ist  jene  halb  unbewusste  Erbebnng  des  Iden- 


dieses  Princips«  625 

titflIiSgesetzeff  Ms  seiner  bloss  logischen  Bedeutung  in  ein 
spekuiativ'-metaphysisches  Gebiet  einer  der  tiefsten  und  fol- 
genreichsten Blicke  gewesen^  in  welchem  Schellings 
spekulativer  Genius  sich  kund  gethan  hat;  mit  diesem 
Einen  und  doch  gewaltigen  Schritte  ist  der  eigentliche  Wen- 
depunkt gewonnen  Worden^  durch  den  sich  die  neue  Bpo* 
che  der  Philosophie  von  der  Kant isch«>-Jacobi sehen 
Periode  gründlich  und  specifisch  scheidet  Hier  sollte  alles 
Erkennen^  auch  das  philosophische  ^  nur  auf  die  endlichen 
Dinge  beschrankt  sein,  vom  Unendlichen  aber  keine  Kunde 
haben:  da  war  es  die  That  SohellingS)  eine  der  gross»* 
ten  in  der  ganzen  Geschieht^  der  Philosophie^  jenen  Be*- 
griiT  des  Endlichen,  als  eines  letzten  und  abschliessenden^ 
und  das  enge  Haften  daran,  zu  durchbrechen  ^  und  in  ihm 
gerade  das  Ewige,  als  das  darin  gegenwärtige,  nachzüweiv 
sen.  Das  Erkennen  ist  so  wenig  als  nur  auf  das  Endliche 
beschränkt  anzusehen,  dass  yielmehr,  was  es  im  Endlichen 
wahrhaft  weiss  und  erkennt ^  nur  dasEwige  ist»  So 
Sehe  Hing  mit  energischer  Evidenz  und  mit  einem  po« 
Je  misch  alle  Instanzen  durchkämpfenden  Nachdrucke. 
-Aber  selbst  die  lakonische  Weise^  mit  welcher  er  den  pO'»- 
«itiven  Beweis  führte,  die  Parodoxie^  welche  die  äussere 
Unbeholfenheit  jenes  Beweises  übrig  liess ,  hatte  die  AVir-* 
kung  eines  aufrüttelnden ,  zu  weiterer  Forschung  spornen-* 
den  Anstosses. 

Aber  die  blosse  Vernichtung  des  BcgrifTes  des 
Endlichen  durfte  nicht  genügen:  Seh  ellin  g  konnte  nicht 
.dabei  stehen  bleiben,  das  Sein  des  Endlichen,  Differenten, 
nur  zu  laugnen,'was  er  in  den  bisher  betrachteten  Pa-^ 
ragraphen  ausschliessend  gethan  hatte,  mit  einem,  wie  wir 
es  oben  nannten,  in  sein  Princip  zurückschreitenden 
Verfahren*  Er  musste  zur  Wiederherstellung  fortgeben:  » 
der  Begriff  des  unendlichen  Sichdifferenzirens  musste 
im  Begriffe  der  Identität  selber  ^  als  ein  ihr  in- 
newohnender Moment  ^  nachgewiesen  werden.  Hiensu 
schickt  er  sich  von  S*  ^o*  in  folgender  Gestalt  an. 

Die  absolute  Identität   ist  nur  unter  iet 

40   • 


676  Versachte  AUeitaig 


Form  des  Stlxes  Ä  am  A^  oder  diese  Form  isl 
telbar  durch  ihr  Sein  gfeseict  Nun  isl  die  absohite 
Identilit  unbedingt;  eiso  tsl  mit  ihrem  Sein  a«cii  jese 
Form  gesetzt ,  und  ^  ist  hier  Iteia  UdiergBiDg ,  kein  Yer 
und  Nach)  sondern  absolute  Gleichzeitigkeit  des 
Seins  und  der  Form  selbst^^CS.lSu). — lene  JfinmF 
nändich  wird  sich  bald  als  das  DWerendraade  aufweisen; 
mithin  ist  die  eben  ff^iörte  (wiederum  an  sich  nur  for- 
ftielle)  Folgerung  gleich  der ,  dass  die  absohite  Identttit 
nicht  erst  in  irgend  einer  ^yZeil*  zum  Sididifierenztrendea 
wird,  zur  Welt  ooacreter  Dinge  auseinandertrilt ,  soa« 
dem  in  ^absoluter  GIeichzeitigfceit<<  «it  seinem  mRspnui^ 
Uchen  Sein  es  söbon  ist. 

Zusatz  1.  und  8*  •dehnen  jene  Gedanken  nooh  ans- 
tferöckiicher  zur  UnterscheiduBg  von  Wesen  mid  Fermi 
Ton  Ansidi  und  Nichtansich ,  der  letztere  in  der  bentimm* 
len  Wendung  ans:  dass>  was  bloss  zu  der  Form  des 
Seins  der  absoluten  Identität,  nicht  aber  zu 
ihr  selbst  gehört,  nicht  an  sich  gesetzt  sei. 

Am  Folgenden  CS*  i6  mt  Zusatz  1.)  ei^giebt  sich  naa 
eine  neue  merkwördige  metaphysische  Uebertragua^ :  Z  w  i* 
sehen  dem  Ä  des  Subjekts  und  dem  A  des  Pri« 
^ikats  ist  an  $iek  kein  Gegensatz  möglich; 
lindes  is\  fiin  und  dasselbe  gamski  A  un  der 
Stelle  des  Subjekts  und  der  desPridikats  ge- 
setzt. Diese  beiden  4  stnd  nändich  bestimmt,  spfiter  als 
die  beiden  Pole  der  sich  diierenzirenden  Identilat,  mit  4em 
Ueberwiegea  des  siAjektiven  oder  des  objektiven  Paks, 
aufzutreten,  und  dass  BiermR  kein  wahret  Gegensatz,  sondern 
nur  eine  „quantitative  Differenz«^  (vgl.  S.94-a.ff.) 
in  ißT  absoluten  Identität  gesetzt  fiei ,  soll  der  Zusatz  be^ 
gi^taden,  dass  das  ganze  Ä^  die  absolute  Identitfit  sel- 
ber ,  in  jedem  der  differenzirenden  Striten  des  Subjekts 
amd  Prädikats  gegenwärtig  sei.  ^-^  Ueber  den  formellen 
Missbrauch  des  il « i<  in  dieser  Bedeutung  biaucht  nichts 
mehr  hinzugesetzt  zu  wenlen;  wenn  aber  derselbe  einmal 
yeiAaRet  ist ,  so  «irgtebt  sich  der  awelta  lasatz  aDerdiags 


des  Princips  der  Differenz.  027 

ir0ii  selbst:  ^dass  die  tbsolste  Identitit  nur  lin- 
ier der  Form  einer  Id.entitat  der  Identität 
«et%  d.  h.  unter  der  Form,  wodurch  sie  in  aDen  (er-^ 
scheinenden)  Differenzen  sich  ak  die  ursprüngliche 
Identitäl  ihres  Wesens  behauptet,  und  damit  ihr  „Sein« 
Aberall  und  scUechthin  ihrem  ^Wesen«  gleich  macht» 

Zwar  ist  nun  dadurch  ein  Sein  und  eine  Form  des 
Seins  im  Allgemeinen  der  absoluten  Identität  irindioirt; 
aber  keinesweges  ist  angeg^en,  noch  weniger  abgeleitet, 
welches  diese  ewige,  dem  Satze  Aas  A  ^n  Unbedingt* 
heil  gleichkommende  Form  bestimmter  Maassen  sei?  Bs 
verlohnt  der  MAhe,  die  Art  dieser  Ableitung ,  wie  sie  von 
$•  17«  beginnt,  genauer  kennen  su  lernen. 

Bs  giebt  eine  ursprängliche  Brkenntniss 
der  absoluten  Identitit,  und  diese  unmittel-» 
bar  mit  dem  Satze  A  ma  A  gesetzt  ($.  17.);   denn 
es  giebt  (nach  $.  7.)  fiberhaupt  eine  Erkenntniss  der  Uen^ 
lität,    Bs  kann  damit  nur  das  Faktum  unserer  (subjek« 
liven)  BAmntniss  jener  Vemunftwahrheit  gemeint  .sein, 
km  euie  Thi^sache  unseres  Bewusstseins ,  .  deren  Inhalt 
i^A  at  il)  zugleich  auf  absolute  Ursprungliohkeit  Anspruch 
macht.    Dass  sich  diess  in  Schellings  Sinne  nicM  an« 
ders  veihidte ,   ist  ausserdem  noch   aus  der  Art  der  B^ 
weisfuhrung.  zu  ersehen :  die  ursprüngliche  Bikenntniss  der 
absoluten  Identität  folgl  nicht  aus  ihrem  Wesen ,   sondern 
nur  aus  ihrem  Sein  (ist  eben  schlechthin  faktisch  ge- 
setzt), gehört  mithin  zur  Form  ihres  Seins.  Diese  Form  ist 
aber  (laut  des  Vorigen)  so  ursprünglich,  wie  IhrSein, 
und  wie  ihr  Wesen  selber.  —  Bs  entgeht  uns  indessen 
nicht ,  dass  hier  vorerst  nur  behauptet  wird,  die  Ursprünge 
liehe  Brkenntniss  der  Identität  gebore  zur  Form  ih* 
res  Seins,    sei   eine   derselben,  also  keinesweges  die 
einzige  und  ausschliessliche,  was  dann  offenbar 
erst  weiter  zu  beweisen  wäre. 

Anders  der  «darauf  folgende  Satz:  Altes  ^  was  ist, 
ist  demWesen  nach,  sofern  diess  ansioh  oder 
absolut  betrachtet  wird,  dieabsolule  Idcntt« 


028  Versuchte  Abteitongr 

tat  selbst;  der  Form  des  Seins  nach  aber  ein 
Erkennen  der  absoluten  Identität  ($.  18.)-  Der 
zweite  Theil  des  Satzes ,  heisst  es ,  folgt  aus  §.  17. ;  es 
wird  also  sofort  die  Partikularilät  jenes  Satzes  (§.  17.)  zw 
Universalität  oder  Absolutheit  erhoben:  die  Form  des  £r- 
kennens  ist  die  absoluteFosm  des  Seins  der  Iden« 
tität,  durch  die  Alles  ist.  —  Zusatz  1.  und  2. 
lassen  über  diese  überraschende  Wendung  vollends  keinen 
Zweifel.  ^Die  ursprüngliche  Erkenntniss  der  absolute« 
Identität  ist  also  zugleich  ihr  Sein  der  Form  nach ,  und 
umgekehrt  jedes  Sein,  der  Form  nach,  ein  Erken- 
nen —  nicht  ein  Erkannt^erden  —  der  absolu* 
ten  Identität^  (Zusatz  1.).  —  ,,Es  giebt  kein  ur- 
sprünglich Erkanntes^  (blosse  Objektivität,  und  einfaches 
Dingsein),  „sondern  das  Erkennen  ist  das  ursprüngliche 
Sein  selbst,  seiner  Fonp  nach  betrachtet:^  —  alles  Sein 
ist  Subjekt-Objekt,  Akt  der  Selbstanschauung  der  absola- 
ien  Identität  (Zusatz  2.) 

Dazu  nun  noch  ($.  19.  mit  Zusatz,  und  $.  20.  21.) 
die  ausdrückliebere  Exposition  des  Vorhergehenden:  das  Ge- 
rammte, was  ist,  ist  dem  Wesen  iiath  die  absolute  Iden- 
tität selbst ,  der  Form  seines  Seins  nach  das  Selbster- 
kennen der  absoluten  Identität  i  n  ihrer  Identität.  Das 
Selbsterkennen  der  Identität  ist  (daher)  un- 
endlich. Sie  kann  sich  aber  nicht  unendlich 
selbst  erkennen,  ohne  sich  als  Subjekt  und 
Objekt  (in  einer  relativen  Differenz,  und  in  einem  Ueber- 
wiegen  des  Subjektiven  oder  des  Objektiven)  zu  setze n< 
Damit  wird  denn  der  Moment  des  Differenzirens  in  den 
(gleichfalls  an  sich  einfachen)  Akt  des  Selbsterkennens  der 
absoluten  Identität  allmählig  eingeschoben  durch  scheinbar 
logische  Analyse. 

So  beschaffen  ist  dar  „strengwissenschafUiche^^  Beweis 
des  Fuifdamentalsatzes  dieser  Lehre  (dass  alles*  Wirkliche  nur 
jdurch  einen  Scibstanschauungsakt  des  ursprünglicben  Subjekt- 
Objekts  sei),  der  freiüch  sich  ursprünglich  für  Sc  bel- 
li ng  durch  eine  reale  Konstruktion  yon  ganz  anderer  Art 


des  Princips  der  Differenz.  629 

und  Bedeutung  ergfcbcn  hatte :  denn  auch-  hier  ist  die  Natur- 
und  Trans^cendentälphilosophie  die  eigeniliche  Quelle  jener 
£vi((eri2.  Hier  kommt  der  Beweis  nur  durch  die  doppelte 
Ersclileichung  zu  Stande,  von  der  sich  zweifeln  liesso,  ob 
die  Bcwusstlosigkeit  derselben  von  Seilen  des  Urhebers, 
oder  ihr  bisheriges  Unentdecktgebliebensein  das  grössere 
Erstaunen  erregen  müsse  :  —  Zuerst  wird  die  subjektive 
Gewisshcit  jenes  formell  'logischen  Satzes  der  Identität  in 
unsenn  ßewusstsein  durch  die  ungeheuerste  Hypostase  zu- 
gleich objektivirt  und  reaiisirt:  sie  „gehört^  zur  absolu- 
ten Seinsform  der  absoluten  Identität;  was  zunächst  allen- 
falls die  haftbarere  Folgerung  darbieten  konnte ,  dass  jene 
ursprangliche  Erkenntniss  der  absoluten  Identität  i  n  u  n  s 
an  six::h  selbst  nicht  die  unsere  oder  unser  Weric,  sondern 
die  Selbsterkenntniss  der  absoluten  Identität  durch 
uns  sei.  So  wäre  diess Selbsterkennen  wenigstens  als  eine 
<ler  Seins-  oder  „Selbstbejahungs^  -  Formen  der  absoluten 
Identität  erwiesen. 

Aber  auch  dabei  wird  nicht  stehen  geblieben,  sondeni 
durch  den  zweiten  Uebergriff  jene  r\UT  theilweise  Geltung 
weggeworfen;  dIess  Selbsterkennen  ist  vielmehr  die  unbe- 
dingte und  durchaus  universale  Form  alles  Seins  der 
absoluten  Identität.  —  Es  ist  zweifelhaft,  ob  sich  noch'Ein 
Beispiel  in  der  Geschichte  der  Philosophie  finden  möchte, 
wo  der  Hauptgedanke  eines  Systemes  auf  so  falsch  gestellte 
und  wankende  Sätze  gegründet  worden  wäre.  Spino- 
sa*s  Darstellung  bietet  kaum  etwas  Aehnliches  dar,  und 
Wolffs  veritifene  Formalistik  ist,  damit  verglichen,  ein 
Muster  gründlicher  und  behutsamer  Wissenschaftlichkeit. 

Haben  wir  im  Bisherigen  den  allgemeinen  wissen- 
schafllichen  Charakter  der  Sehe  Hing  sehen  Darstellung 
seines  Systemes  hinlänglich  nachgewiesen;  so  können  wir,' 
von  jenem  Hauptsätze  an ,  alles  Folgende  kürzer  zujsam- 
men  fassen. 

In  jenem  ursprünglichen  Selbsterkennen  der  absoluten 
Identität  ist  zwischen  dem  Subjekte  und  Objekte  keine  an- 
dere, als  eine  quantitative  Differenz  möglich  ($.  23). 


630  Dto  qaaDtitattve  Diifereni 

Dieie  Isl  aber  im  Einzelnen  wirklich  gesetzt,  weO  m 
gonsl  flberiiaapt  nicht  ,,a  c  t  u<^  existtren  könnte ,  wiewohl 
sie  in  der  Totalität  oder  im  Universum —  die  ab- 
solute Identität  ist  aber  absolute  Totalität 
oder  Universum  ($.  26.  mit  Erklärung  und  Zu- 
s  a  1 2),  *-T  a  ( s  quantitative  Differenz  nicht  gesetzt  ist,  son- 
dern in  dieser  Totalität  sich  vielmehr  in  quantitative 
Indifferenz  auflöst.  Nur  inwiefern  Etwas  ausser- 
halb  dieser  Totalitat,  ^zufolge  einer  willkähilidien  Tren- 
nung des  Einzelneil  vom  Ganzen«  (Anmerkung  zu $.28. 
«^  wie  ist  aber  eine  solche  überhaupt  möglich?)  —  eiw 
blickt  wird ,  erscheint  es  a  1  s  Einzelnes  und  in  der  (frei- 
lieh,  nur  quantitativen)  Differenz  des  Subjektiven  und  Ob- 
jektiven« Anmch  selbst  aber  ist  kein  Binzebies  undkelae 
solche  quantitative  Differenz  ($.  24 — 31.). 

Dazu  wird  (als  das  eigentlich  Beweisende)  die  ihrem 
sonstigen  Inhalte  nach  bd£annte  j^Eriäuterung^  (S.17.) 
gefflgt ,  ^dass,  könnten  wir  All^s,  was  ist ,  in  der  Totalität 
erblicken«  (warum  jedoch  können  wir  es  nicht  ?  —  diess, 
wie  Schelling  nachher  sogar  zugiebt,  hartnäckige 
Unvermögen  bedurfte  irgend  einer  Erklärung  — ^),  ,wir  i  m 
Ganzen  ein  vollkommenes  quantitatives  Gleichgewicht 
von  Subjektivität  und  Objektivität,  also  nur  die  reine 
Identität  gewahr  werden  würden ,  so  sehr  audli  in  Anse- 
hung des  Einzelnen  das  Uebei^ewicht  auf  die  Eine 
oder  die  andere  Seite  fallen  mag«.  «*-  Woher  aber  ein 
Einzelnes  oder  wenigstens  der  stete  Schein  eines  Eiuet« 
neu  ausserhalb  der  Totalität,  welcher  uns  diese  viel- 
mehr gar  mcht  ,^gewahr  werden  lässt«? 

Wir  haben  in  einer  firühem  Kritik  des  Spinös a  die 
Lücke  und  den  Abspimg  nachgewiesen ,  welcher  mdi  in 
seiner  Ethik  bei  dem  Uebeigange  aus  der  ewigen  und  un* 
endlichen  Natur  Gottes ,  ans  welcher  selbst  nar 
Unendliches  und  Nothwendiges  folgen  kann, 
zu  den  endlichen  und  zu  fälligen  Dingen  findet  (vgl. 
Ethic.  L.  L  Prep.  21.  22.  23.).  Er  Mngt  ihn  nur  sa 
Stande,  indem  er  <Prop.^28.)  den  unerwarteten  Slls  em* 


det  fihibjdrthren  imd  ObjDkllTeiL  631 

sehiebt:  „dass  ein  jedesEinzelnes^twelches  hier* 
mit  theoretisch  Terneint,  faktisch  aber  «igenommm  wird) 
^weder  existtreii,  noch  zumWirken  bestimmt 
sein  kann,  es  sei  denn  dnreh  0ine  anderoi 
gleichfalls  endliche  Ursache  -^  und'  so  iii*s 
Unendliche  fort^;  wodurch  der  vemeint^  SiHilichkeit 
und  behaupteten  Unendlichkeit  eine  unendliche  Reih« 
Yon  Endlichkeiten  snbstitairt  wird,  und  darin  be- 
sieht die  Abieitonf  ier  endlichen  Dinge  ans  dem  unend- 
lichen und  ewigen  Wesen.  (Derselbe  Satz,  ebenso  benutzt^ 
kehrt  auch  in  der  Schellingsohen  Darstellung,  {$.  3&. 
36.  und  Zusatz,  wieder.) 

Ganz  ahnhch  istbeiSchellingdas Schwanken  und 
widerspruehvoUe  Altemiren  zwisdhes  dem  seiend  <- nicht- 
seienden  Einzehien  und  der  „reinen*,  jede  DiiTerenz 
vielmehr  auslöschenden  Identität  Wir  reden  hier 
nicht  bloss  von  den  Lftcken  und  der  gänzlichen  Ohnmacht 
der  Beweisführung ;  das  Resultat,  auch  zugegeben  ohne  Be- 
weis, lässt  kaum  scharfe  Fassung  imd  bestimmte  Klarheil 
au ;  denn  wie  soll  die  reine  Identität ,  welche  als  Totalität 
CUniversum)  unendlicher  Di&renzeo  gesetzt  wird,  hinwies 
derum  doch  als  die  reine  gedacht  wiarden?  Gerade  in-* 
dem  gleich  darauf  in  ihr  „^otenJten^  gesetftt,  und  ein 
^ichpolenziren  derselben  angeaoaunen  wird>  i;st  sie 
nicht  mehr  die  reine,  und  sofern  sie  ihrer  Seinsförm  nach 
Selbsterkmnen  in  ihrer  Totalität  sein  soll ,  wäre  auch  das 
reine ,  d.  i.  leere  Selbstefkennien  derselben  ein  so  wertk- 
loses,  Inßig»  Abstraklnm,  dass  es  sieh  zur  völlig  unver«- 
ständlichen  Allegorie  verflüchtigt,  oder  dem  Solhstwider«- 
spmche  gleichkommt. 

Desriialb  ^eift  nun  Schelling  «ogieich  zu  den  con- 
creteslen  Bestimmnngen  und  Unterlagen  jener  Sitze.  Jüi» 
Krall,  welche  sich  in  die  Masse  der  Natur  ergieast.,  ist 
dem  Wesen  nach  dieselbe  mit  der,  welche  sieh  in  der 
geistigen  Welt  darstellt,  nur  dass  sie  dort  mit  dem  Ueber«* 
gewichte  des  Redien,  hier  mit  dem  des  Ideellen,  zu  käm- 
pfen hat :  aber  auch  dieser  Gegensatz,  welcher  ein  Gegen- 


632    Die  qaani.  DUItocnz  des  Subjektiven  n.  Objektiven. 

aats,  nicht  dem  Wesen ,  sondern  der  blossen  Potenz  nsdi, 
ist,  ersctteint  als  Gegensatz  nur  dem,  wdcher  sich  ausser« 
halb  der  Indiflferenz  befindet ,  und  die  absolute  Id^tilät 
flicht  selbst  als  das  Ursprüngliche  erblickt^ 
Hiermit  ist  er  endlich  aus  der  leeren  Höhe  des-  Meta|ihy^ 
^icirens  auf  den  festen  Boden  des  Concreten  gelangt;  es 
ist  die  Natur  und  die  geistige  Welt ,  an  welchem  jener  in 
der  Identität  verlöschende.  Gegensatz  sich  zeigea  soll ;  aber 
wie  er  verlöschen  könne,  was  jenes  Auflösen  in  die 
Reinheit  der  Identität  selbst  sei ,  ist  darum  nicht  be» 
greißicher  geworden.  So  ergiebt  sich  schon  jetzt,  dasg 
den  metaphysischen  Prämissen  Schell  in  gs  selb^  das 
Formprincip  eines  Mannigfaliig^en  völlig  abgehe:  daher 
kommt  es ,  dass  er  auch  in  der  Darstellung  mil  der  Un« 
beholfenheit  Zu  kämpfen  hat ,  bald  das  geg^isatzlos  Iden« 
tische  hervorzuziehen ,  ohne  von  da  aus  in  einer  achtes 
Ableitung  zum  Unterschiede  gelangen  zu  können,  bald  von 
dem  Gegensatze  ,  als  dem  Faktischen ,  auszugehen ,  ohne 
sein  Verschwinden  in  der  Identität  recht  begreiflich  machen 
zu  können.  Ss  bleibt  immer  der  Zwiespalt  der  beiden 
auseinanderstrebenden  Gedankenhälften  dbrig.  Denn  'der 
betreffende  Satz,  durch  den  S  c  h  e  1 1  i  n  g  jenen  Uriiergang 
yu  begründen  meint ,  dass  die  absolute  Identität 
dem  Wesen  nach  in  jedem  Tkeile  de«  Univer- 
sums dieselbe  sei  (vgl.  $.  34.),  erklärt  nieht  denUih 
terschied ,  er  hebt  viehnehr  den  faktisch  gegebenen  ^  als 
den  wesenlosen,  auf.  Und  damit  begnügt  Sc he)-^ 
ling  sich  meist  auch  in  den  sonstigen  spätem  Expositionen 
seines  Princips,  Aber  nicht  davon  allein  kann  die  Rede 
sein ,  •».  es  ist  bloss  die  £ine  Seite  des  Beweises ,  das 
Jlückschpeiten  in*s  Prineip,  -^  die  Wesenlosigkeit  der 
,,Theile^  oder  Gegensätze  des  Universums  zu  behaiqilen, 
sondern  umgekehrt  auch  das  unendliche  Anderswerden  je^ 
fies  Prinoips  der  Identität  zu  erscheinendenGegensätzen, 
nus  ihm  selber  nachzuweisen, 

■  Mit  diesen  Unterlassungen  und  Locken  hängt  nun  auf 
das  £ngste  zusammen,  dass  jäc  hei  ling  sogleich  die  fol-' 


Dio  abs.  Identität  gleich  dem  Universum.         633 

genden,  eigentlich  wichtigsten  Sätze  seiner  Philosophie 
($.32,33.)  anreihen  zii  können  meint:  Die  absolute 
Identität  ist  nicht  Ursache  des  Universums, 
sondern  das  Universum  selbst;  desshalb  ist  das 
Universum  gleich  ewig  mit  der  absoluten 
Identität. 

Ueber  den  Sinn  dieses  Ausspruchs  kann  kein  Zweifel 
sein:  er  bezeichnet  die  Immanraz  des  Absoluten  im  Bnd- 
lichen,  und  zwar  die  blosse  Immanenz  desselben,  auf 
das  Bestimmteste  und  Ausschliessendste.  Nur  das  ist  die 
Frage,  wie  sich  derselbe  in  den  bisherigen  Zusammenhang 
seiner  Prämissen  einfuge? 

Die  sämmtlichen  Gegensätze  sind  versenkt  in  die  ab- 
solute Identität:  sie  machen  die  Form  ihres  Seins 
aus;  denn  in  ihnen  ist  nur  sie  das  Wirkliche.  Diess  ist 
der  Sinn  und  das  eigentliche  Resultat  alles  Bisherigen:  die 
unendliche  Totalität  (das  Universum)  der  Gegensätze  ist 
nur  die  sich  verwirklichende  Identität  Aber 
ifaiss  sich  hier  zwischen  Beides :  die  Gegensätze  einer^  und 
die  Identität  andrer  Seits ,  kein  Mittelglied  einfugt ,  dass 
man  beide  so  ohne  weiteres  Bedenken  im  Begriffe  der 
Wiiidichkeit  zusammenfallen  und  sich  durchdringen  lässt, 
diess  ist,  wie  die  Kritik  des  Bisherigen  wohl  mit  höchster 
Klarheit  gezeigt  hat,  keinesweges  Resultat  eines  positiven 
Beweises  und  einer  wirklichen  Begründung,  vielmehr  im 
Gegeniheile  das  schlaffe  Ergebniss  eines  unterlassenen  Be- 
weises, Rest  einer  vergeblich  versuchten  Bcgriffsvermittelung 
zwischen  der  Identität  und  dem  Universum  der  Gegen-« 
Sätze. 

Eigentlich  verhält  es  sich  daher  so  mit  jenem  pan- 
Uieistischen  Grundaxiome :  weil  Schelling  nicht  nach- 
zuweisen vermochte,  wie  'die  (angeblich  reine) 
Identität  wirklich  Ursache  werde  der  Gegensätze  des 
Universums,  weil  er  die  Nachweisung  dieses  Ueberganges 
schuldig  blieb;  so  soll  gar  kein  Uebergang  statt* 
finden,  und  keine  Ursächlichkeit  desUniver- 
sums, als  welche  in  ihm  selbst  liegt. 


634  Kritik 

Hier,  bei  diesem  entsdieidendoi  metaphysiscken 
Wendepunkte ,  können  wir  uns  daher  anch  nichl  mehr  auf 
die  Resultate  der  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Natur-  und  Transsem- 
ilentalphilosophie  häufen,  in  denen  wir  bisher  die  eigent- 
liche Auslegung  und  Begreiflichkeit ,  ab^  anch  die  Ter- 
borgeiie  Stütze,  für  seine  Theorie  fanden :  hier  kommt  es  tn 
gerade  auf  die  metaphysische  Entscheidung  der  Präge :  o  b 
jene  cum  Universum  ton  relatiyeit  Gegen- 
sitzen  auseinandertretende,  in  ihnen  sich 
verwirklichende  Identität  demsufolge  zn- 
gleich  demBrgriffe  des  Abseinten  gewacht 
sen  sei?  Ob  die  Identität,  gerade  weil  sie  nur 
das  im  Universum  sidi  Verwirklichende  sein  soll,  dess- 
halb  den  wahren  Charakter*  der  Absolntheit 
nicht  entbehre?  Man  kann  die  Richtigkeit  der  Schel- 
lin gschen  Nachweisungen  in  Be^ff  seiner  Nator-  uad 
Transscendentalpbilosophie,  den  aufgewiesenen  PftralldisBnis 
zwischen  Naturprocessen  und  geistigen  Vollziehungen,  aho 
die  innere  Identität  ihres  Princips,  als  der  immanentes 
Vernunft,  vollkommen  zugeben  —  und  wir  haben  schoa 
bezeugt,  dass  wir  in  diesem  Falle  sind  —  ohne  damit  die 
andere  Behauptung  weder  zuzugeben,  noch  erwiesen  ta 
finden,  dass  diese  innerweltliche  Identitil,  die 
immanente  Vernunft,  das  Absolute,  seL  b 
wird  sich  gerade  zeigen,  wie  in  diesen  Pkmkt,  in  die  zwi- 
schen den  Worten  Sc  he  11  ings:  ^dass  die  absointe  Iden- 
tatit  nicht  Ursache  des  Universums ,  sondern  das  Uni- 
versum selber  sei«,  ofien  gelassene  ungehenere  Gedaa- 
kenlücice,  die  ganze  folgende. Bntwicidung  der  PhilosopUs 
hineinfällt   * 

Diess  ist  somit  die  erste  Antwort,  welche  Sckel- 
ling  uns  giebt  auf  die  früher  schon  bei  ihm  angeregte 
Frage ,  ob  er  vermöge ,  durch  den  Begriff  der  Immanenx 
zu  dem  der  Transscendens  des  Absoluten  hindordiaadriB- 
gen?  Er  sagt  zwar  in  der  sehen  oben  angeführten  spe- 
testen  Erklärung  über  das  Frincip  seines  Systems  (Vor- 
rede zu  Cousin,   &XIII.;,  es  sei  das   absolate 


des  Princips  der  Immanenz.  OSi 

Subjekt^  welches  nach  Ersehöpfung  aller  H&gf- 
lichkeiten,   objektiv    zu   werden,  —   und  diese  er^ 
schöpfte  Selbstobjektivirung  wäre  ohne  Zweifel  'das  ,^Uni^ 
versum^,  jene  Totalitat  der  relativen  Gegensätze, — al$  über 
Alles  siegreiches  Subjekt  stehen  bleibt   — 
Solcher  ewigen   und  mit  dem  Seibslobjektiviren  gleich 
ursprünglichen  Transscendenz   wird  jedoch   in 
der  altem,  auch  noch  spaler  von  Sehe  Hing  als  authen- 
tisch bezeichneten  Darstellutig  auf  das  Nachdrücklichste  wi«** 
dersprochen ,  und  die  „Absonderung^  des  absoluten  Prin* 
cips  von  seinem  unendlichen  Prineiinate ,  wie  nicht   die 
Yemanft,    sondern  nur   die  Reflexion,  und  Einbildung  sie 
mache,   als  „die  Quelle  aller  Irrthümer^  bezeich- 
net (S.  19.  20.  f.).    Es  zeigt  sidi  demnach,   dass  hier 
sich  das  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehe  Princip  aoch  nicht  bis  zu  jener 
Höhe  heiauq^elatttert  hatte. 

Dennoch  ist  hierl^ei  noch  ein  Doppeltes  zu  erinnern. 
Zuvörderst  lässt  si(^  die  von  Schelling  hier  abgewie- 
sene ,  ja  durchaus  verworfene  Transscendenz  selber  in 
einem  zwiefachen  Sinne  denken:  zunächst  in  der  alten,  von 
Kant  und  J  a  c  o  b  i  eigentlich  erst  ausgesprochenen  und 
zur  Ausschliesslichkeit  erhobenen  Bedeutung  des  absoluten 
Gegensatzes  zwischen  dem  Unendlichen  und  Endlichen, 
zwischen  Gott  und  der  Welt.  Diesen  hat  Schelling' 
ausschliesslich  im  Auge,  als  die  allerdings  historische  Vor- 
aussetzmig  seiner  eigenen,  und  als  den- Ausdruck  der  da- 
maligen gesaimnten  philosophischen  Bildung:  diesem  ge- 
genüber und  in  direktem  Widerspruche  gegen  denselben 
behauptet  er  (Be  absolute  Immanenz  beider  in  ein- 
ander. 

Aber  diese  Immanenz,  Gegenwart  Gottes  in  der  Well, 
ist  dadurch  allein  noch  nicht  als  die  ausschliessliche 
gesetzt;  es  ist  an  sich  selbst  damit  noch  nicht  behauptet, 
dass  Gottes  Wirklichkeil  schlechthin  aufgehe  in  der  Wirk- 
lichkeil des  Universums ,  und  umgekehrt  in  diesem  nur 
die  Selbstverwirklichung  Gottes  gesetzt  sei:  es  ist  diess 
eine  weitere,  in  keiner  Weise  mit  jener  ersten  Bcgriffsbe» 


636  Erilik 

stimmunjf  zn  vcrmengfendo  Frage ,  deren  wosentlichcr  Un- 
terschied von  der  ersten  freilich  durch  die  beiden  en(* 
gegengeseizten  Parteien  bisher  übersehen  worden  ist.  Gott 
kann  ebenso  sehr  als  der  Welt  immanent  gedacht  wer- 
den müssen,  wie  eben  darum  zugleich  in  absohitcr 
Transscendenz  zu  derselben  sich  verhaltend ,  und  zwar  ia 
der  nothwendigen  Verbindung  beider  Begriffe  ,  dass  um 
seiner  Weltimmanenz  willen,  um  diese  zu  begreifen,  der 
Begriff  seiner  Transscendenz  sich  als  nothwendig  aufweist, 
und  umgekehrt,  dass  nur  aus  einer  solchen  Transscen- 
denz der  Begriff  einer  solchen  Immanenz  möglich  (er- 
klärbar) werde. 

Diesem  letztem  Doppelbegriffe  und  der  damit .  ange- 
deuteten Wechselbeziehung  des  einen  auf  den  andern,  hat 
Schelling  durch  jene  allgemeine  Erklärung  gegen  die 
bisherige  ausschliessende  Transscendenz  offenbar  nicht  wi- 
dersprochen oder  eine  solche  erweiterte  Bestimmung  on- 
niüglich  gemacht;  aberv  in  der  That  erreicht  und  ausge- 
sprochen hat  er  diese  eben  so  wenig  durch  die  frühere 
Gestalt  seines  Systemes.  Die  weitere  Entwicklung  dessel- 
ben muss  zeigen ,  ob  sie  in  der  Folge  wirklich  von  ihm 
erreicht  worden  ist,  oder  nicht. 

Daraus  crgiebt  sich  zugleich  schon  der  zweite  Punkt: 
CS  kann  nämlich  noch  mehr  behauptet  werden  zu  S c bel- 
li ngs  Gunsten.  In  der  That  hat  er  mit  dem  tiefen  Ge^ 
danken  des  absoluten  Subjektes ,  welches  sieh  unendlicii 
objektivirt,  aber  aus  dieser  Objektivität  zu  sich  zurück- 
kehrt ,  --r.  also  das  ewig  bei  sich  Bleibende  ist  in  jeder 
Selbstobjektivirung ,  -^  einer  Idee  die  Bahn  gebrochen, 
wolclie  allein  im  Stande  ist,  das  Räthsel  einer  solchen  hii- 
nmiienz  Gottes  im  Universum,  wie  wir  sie  in  der  Well,  als 
dorn  realisirten  Systeme  in  einander  wirkender  Zwe<5ke  und 
AiitU.'l ,  wirklich  vor  uns  erblicken  ,  auf  eine  begreillirhe 
Weise  zu  lösen.  £s  ist  die  Idee  des  Geistes  selber. 
Nur  im  absoluten  Geiste  sind  beide  Geiiensatze  von  Trans- 
scendenz und  Immanenz ,  wie  gebieterisch  der  eine  auf 
dort  andern  treibt,  auf  völlig  begreittiche  Weise  vermiUelt. 


des  Princips  clor  Irnimmenz.  637 

Der  6eist*al]eia  vemiag  bei  allen  UnU^rschieden ,  Selbst- 
entfremdungen  und  Widersprüchen,  denen  er  sich  über- 
lasst,  dennoch  über  ihnen  in  .sich  zu  bleiben,  und  in 
der  vollen  Hingabe  an  die  einzelnste  Objektivität  und  Aus- 
echHcssiichkeit  sich  doch  ganz  mitzubringen,  völlig  darin 
und  darüber  hinaus  zusein.  Das  eigentliche Gebeimniss 
und  Grundproblem  der  Spekulation  und  alles  Daseins ,  wie 
etwas  wahrhaft  Anderes  und  Eigenes  zo  cxistiren  vermöge 
ausser  dem  Absoluten,  wird  nur  im  Geiste,  dem  absoluten, 
wie  dem  kreatürlichen ,  gelöst.  Und'  nicht  zu  läugnen  ist, 
dass  Fichte  und  Sehe  Hing  diesen  Gedanken  zuerst 
entzündet ,  Hegel  ihn  fortgesetzt  hat. 


Die  spätem  Sätze  der  angeführten  Schellingschen 
Darstellung  (von  $.  37  u.  ff.)  gehen  sogleich  über  zur 
Konstruktion  der  concreten  Differenzen  in  der  absoluten 
Identität. 

Die  quantitative  Differenz  des  Subjektiven  und 
Objektiven  ist  der  Grund  aller  Endlichkeit,  und  umgekehrt, 
die  quantitative  Indifferenz  beider  ist  Unendlich« 
keit  —  Die  absolute  Identität  ist  (daher)  im  Einzelnen 
unter  derselben  Form,  unter  welcher  sie  im  Ganzen  ist ;  -^ 
sie  ist  im- jedem  Einzelnen  ganz.  Jedes  Einzelne  ist  also, 
zwar  nicht  absolut,  doch  in  seiner  Art  unendlich.  Es 
ist  aber  in  seiner  Art,  oder,  da  die  Art  des  Seins  bestimmt 
ist  durch  die  quantitative  Differenz  von  Subjekt  und  Ob- 
jekt ,  und  diese  Differenz  wiederum  durch  Potenzen  des 
Einen  von  beiden  ausgedrückt  wird,  i^n  seiner  Potenz 
unendlich ;  denn  es  drückt  das  Sein  der  absoluten  Identität 
für  seine  Potenz  unter  derselben  Form  aus,  wie  das  Un. 
endliche  (das  Universum  selbst) ;  es  ist  also  in  Anse- 
hung seiner  Potenz,  obgleich  nicht  absolut, 'unend-- 
lieh.  Jedes  Einzelne  daher  ist  in  Bezug  auf 
sich  selbst  eine  Totalität:  —  welche  Schelling 
die  relative  nennt  ($.  37 — 39  ,  $.  40  mit  B  e  w  e  i  s, 
S.  41.  42.). 


638  Der  Begrir  der  Potensen. 

Die  tbsolvle  Idenlitit  i8t  aber  nir  unter 
der  Form  aller  Polensen.  Aue  Potenzen  sind  da- 
tier absolut  gleichseitig.  Sie  beateben  nur  indem 
-relatiTon  Ueberwiegen  dea  Sobjeldiven  oder  dca 
Objelftiven,  welches  in  der  TotaUtfit  zur  qnantitatlTea 
Indifferenz  beider  znrdckfSBt  Ea  kann  daher  ia's 
Unendliche  (z.  B.  in  irgend  einem  TheQe  des  Universnois) 
nie  SubjektiTes  oder  Objektives  für  sich  gesetzt  seia, 
aondem  i  n  Jedem  ist  auch  das  andere ,  nur  mit  dem  De- 
berwiegen  des  Einen  oder  des  Andom  ($,  43 — 50.)- 

Nennen  wir  in  diesem  relativen  Ueberwieeen  A  das 
Subjektive  (Ideelle) ,  B  das  Objdttive  (Reelle) :  so  «ragt 
sich,  wie  S  c  h  e  1 1  i  n  g  es  erreicht,  aus  diesem  allgemeinen, 
farblosen  bieinandersein  beider,  indem  jedes  derset 
hen  in's  Unendliche  hin  soll  überwiegen  kön- 
nen, eine  Reihe  fest  unterschiedener  und  stufenweise  aoP 
steigender  Potenzen  zu  constmiren.  —  In  dem  il  »  B  ist 
Ä  wirklich  als  bloss  Erkennendes,  B  aber  als  dts, 
was  ursprünglich  ist,  jenes  also  als  bloss  ideell,  die- 
ses als  reell.  So  kann  es  aber  nicht  sein;  denn  Ä  ist 
wie  B  (der  ganzen  Chrundvoraussetzung  nach),  ^flea 
beide  gleich  reell  gesetzt  werden ,  so  fUlt  in  den  Ueber- 
gang  aus  der  relativen  Identität  in  relative  TotalitSt  notk- 
wendig  relative  Duplicitfit:  jene  entstdit  aber  erst, 
nachdem  beide  realiter  gleich  gesetzt  sind*.  (BrliiH 
t  e  r  tt  n  g  zu  $.  50.  S.  33.)  —  Duplicität  allerdings ;  aber 
warum  relative  Duplicität,  da  das  Ueberwiegen  von  A 
oder  B  in*s  Unendliche  bei  ihrem  bieinandersein  eine 
solche  stetige  Potenzenfolge  desselben  keinesweges 
TU  begründen  vermag?  Das  (a.a.O.)  hinzugefugte  Sdient 
soll  „anschaulich  maclhen*,  nicht  beweisen!  Aber  weiter: 
Indem  ^  »  jB  als  relative  Identität  gesetzt  wird,  wird 
auch  ein  Heraustreten  des iA ans  derselben  (eineao»- 
druckliche  Verwirklichung  der  Idealen)  als  nothwen- 
dig  gesetzt;  denn  es  soll  zwar  subjektiv, 
«her  als  ieieni  d.  h.  reell  gesetzt  sein. — Hier- 
aus folgt   nach  der  liberalsten  Interpretation  dennoch  nur, 


Dar  Begriff  dor  Potenzen.  639 

dacs  das  Ideelle ,  6n  aSgremeine  Princip  des  Selbsterken« 
nens  der  absoluten  Identität y  flberhaapi  sieh  realisiren 
miiss,  dass,  wie  es  bald  nachher,  um  diess  zu  beschreiben, 
lieisst,  (S.35.)9  ^^amch  das  Subjektive  nach  Reali- 
tät strebf*:  es  ist  das  Sein  des  Geistes  iber- 
haupt  igeseizt,  mit  Nichten  aber,  Cund  diess  ist  ja 
der  eigentlich  zi  enr eisende  Originalgedanke  des  Systemes)« 

—  dass  er,  wiewohl  das  absolut  Ursprüfagli- 
che  und  das  Prttis  von^Allem,  dennoch  erst  aus 
einer  Stufenfolge  von  Potenzen  zur  AusdruckUcb- 
keit  und  Wirklidikeit  sich  heraufläuteni  könne!  —  Es  wird 
fortgefahren:  ^In  il  »  £,  als  relativer  Identität,  ist  die 
absolute  Identität  nur  (überhaupt  unter  der  Form  des  Selbst- 
erkenuens  gesetzt^.  ^  ,^nn  ist  sie  aber  überhaupt  Uft» 
endliches  Selbst  er  kenn«n<^  nach  vorigem  Beweise 

—  (wie  precär  und  erschlichen  dieser,  hat  sich  schon  er- 
geben); -^  ^es  kann  also  Tiichts  in  ihr  sein,  was  nickt 
auch  unter  dar  Form  des  Seibstorkennens  gesetzt  wurde, 
und  diesswird  nothwendig ,  und  so  lange  fortgesetzt  wer- 
den müssen  (?),  bis  sie  unter  der  Form  des  ab- 
soluten Selbsterkennens  gesetzt  ist^  (S.  34.)» 

Auch  hieraus  folgt  in  Wahrheit  Nichts ,  als  der  Satz, 
dass  jedes  Ob  jektive  überhaupt  auch  .in  die  Form  ab- 
soluten Erfcennens  eintreten*  müsse,  dass  mitbin  die  unend- 
liche Objektivität  des  Universums  z  u  gl  e  i  c  h  die  allge- 
meine Potenz  der  Erkennbariteit  schlechthin  und  den 
Drang  in  sich  trage,  zu  diesem  absoluten  Selbsterkennen 
(etwa  im  philosophischen  Subjekte  des  Menschen)  sich  zu 
erheben«  Es  ist  der  Begriff  des  absoluten  Wissens, 
der  uns  an  einer  sehr  bedeutungsvollen  Stelle^  amSchlusse 
des  Hegelschen  Systemes,  wieder  begegnen  wird, 
nicht  aber  eine  Ableitung  der  Weitpotenzen. 

Mit  diesem  Satze  sind  wir  also  abermals,  wie  mit  den 
andern  Hauptpunkten  des  S  c  h  el  1  i  n  g sehen  Systems  in  vor- 
liegender Darstdkiag  desselben,  von  ihr  selber  hinweg  und 
auf  die  ätere  Natur-  und  Transscendeatalphilosophie  ver- 
wiesen.   Ist  es  in    diesen   gelungen ,   eine  Potenzenreibe 


fi40  Der  Begriff  dcf  PotenzcO. 

durch  Konstruktion  des  Realen  nacheuweisctl  ^  $o  kunium 
wir  vielleicht  zugestehen^  in  Betracht  des  Genialen  und  des 
ticftreffenden  dieser  empirischen  Intnition,  ihr 
lebnsätzlich  auch  eine  metaphysische  Geltung  gegeben 
zu  sehen.  Handelt  es  sich  jedoch  von  der  allgemeinea 
Anforderung  an  dieses  System  ^  als  Wissenschaft;  so  er^ 
giebt  sich  von  selbst ,  wie  leicht  gebant,  ja  fhndamentlo?, 
dasselbe  erscheinen  müsse:  von  keiner  der  eigentlich  ent- 
scheidenden Begriffe  ist  auf  allgemeine  oder  aprio^ 
sehe  Weise  ein  rechtmässiger  Beweis  gefuhrt. 

Die  hier  angegebene  Unterscheidung  unserer  Kritik  be. 
Währt  sich  auch  noch  aus  einem  andern  Gesichtspunkte.  Nach 
einigen  ähnlich  klingenden  Aeusserungen H e g el s^  welche 
man  direkt  auf  die  Darstellungen  Schellings  bezogt  hat 
man  dem  Letztem  vorgeworfen,  die  Differenzen  des  Con« 
creten ,  statt  sie  abzuleiten ,    „in  die  Nacht  des  Absolutes 
versenkt  zu  haben*.    Diesen  Vorwurf  müssen  wir ,  Ange^ 
sichts  der  realen  Konstruktionen  desselben,  völlig  unbe- 
gründet finden.    In  Betreff  seiner  Metaphysik  jedoch  müsste 
er,  wenigstens  dem  £inen  Theile  nach,  zugegeben  werden. 
Hier  sind  es  nämlich  immer  zwei  Standpunkte,  welche  sicli 
abwechselnd    hinter    einander    hervorschieben ,    und  die 
„dialektisch*   allerdings    nicht  unter  sich   verbunden 
sind;    der  der  absoluten  Identität^    in  welcher  das 
Ueberwiegen  de»  Einen  und  andern  differenten  Poles  der- 
gestalt sich  ausgleicht,  dass  ,,in  ihr  gar  Nichts  sich 
unterscheiden  lässf«  (Zusatz  S. 31.  vgl.  S.  33.),— 
und  der  der   absoluten  Totalität,    die   sich  aus  der 
relativen  Identität  und  relativen  Totalität  ergiebt  (E  r  1  ä  u^ 
terung  1.  zu  S*  ^OO^  und  in  welcher  die  beiden  entge* 
gengesetzten  Pole  des  Subjektiven  und  Objektiven,  mit  ei^ 
nem  Ueberwiegen  des  Einen  oder  des  Andern  „in 's  Un- 
endliche hin'^,  waraus  das  „einzelne  Ding^,    als  selbst 
eine  relative  Totalität,  hervorgeht,    die  realen  Differenzen 
hervorbringen,  indem  in  jedem  beides  (Subjekt,  wie  Ob- 
jekt) zwar  gesetzt^   doch  in  immer  anderer  quantitativen 
Differenz  gesetzt  ist. 


Der  Bogriff  der  Potenzen.  641 

Hier  abcf  creig^tet  es  sich  nun  durch  das  schon  nach- 
Sfcwicscne  durchgreifende  Missgcscbick  im  Formellen  der 
Darstellung,  dass,  statt  irgendwo  in  stetiger  Gedankcnf'olge 
Yiachzuweisefi ,  wie  sich  die  absolute  Identität  zur  Fülle 
jener  wirklichen  Unterschiede  ausbreitet  und  in  ihnen 
die  ursprüngliche  IdeSiIitäl  (jenes  priiu  des  Geistes  oder 
absoluten  Selbsterkennens)  immer  höher  und*  poteneirler 
volteieht,  umgekehrt  nur  versichert  wird  -^  was  bei'm  er« 
sten  AvsgaRgspunkte  von  der  Identität^  als  b  1  o  s  s  c  r  I  n  d  i  C- 
f  erene,  wahr  sein  mag^  nicht  aber  spater  mehr  —  diiss 
der  Unterschied  der  Potenzen  in  ihr  gar  nicht  exi- 
stire,  Ä  undS  sei  in  ihr  wahrhaft  nicht  als  ver-^ 
schieden,  mithin  auch  nicht  als  ideell  oder  real 
gesHstzl  u»  s.  w.  (S.  33.  34.) 

So  gehen  durch  das  Innere  der  Seh  ellin  g  schon 
Darstellung  zwei  entgegengesetzte  Strömungen  >  durch  die 
610  Buf  der  Einen  Seite  stets  wieder  aufhebt  und  umwalzt, 
was  sie  auf  der  andern  behauptet  zu  haben  schien :  das 
negirte  DifTerente  wird  gesetzt,  dann  aber  wieder  diese  ße^ 
jahung-  nc^irt;  ein  äusSOrlicher  Widerstreit,  der  den  An<~ 
grifTen  seiner  Gegner  gewonnenes  Spiel  über  sein  System 
gegeben  hat.  Der  Grund  davon  liegt  jedoch  nicht  in  einer 
tic^rarzelnden  Discrepanz  oder  Ungereimtheit  desselben, 
sondcm  darin,  dass  man  sich  noch  nie  mit  voller  Klarheit 
CS  ausgesprochen  hat, — und  Schellingen  freilich  selbst 
ist  diess  ebenso  wenig  gelungen,  -^  wie  seine  metaphy- 
sischen Sätze  und  Beweise  lediglich  die  Abschaltung  seiner 
reellen  Konstruktionen  sind,  abstrakte  Ausdrucke ^  ja  eben 
desshalb  nur  Symbole  für  dasjenige,  was  sich  im  Con- 
creten  in  seiner  Geltung  ihm  bereits  erwiesen  hak  Sehet* 
lings  System  ist,  gleich  dem  Antaus, ' ohnmächtig,  wenn  es 
in  der  Höhe  abstrakter  Bestimmungen  zu  streiten  hat;  aber 
auf  den  Boden  der  Wirklichkeit  zurückkehrend  und  in  die 
concreten  Anschauungen  sich  vertiefend,  gewinnt  es  immer 
innigere  Stärke. 

Dass  überhaupt  aber  jene  Fundamentatbegrifle  desSy- 
Sternes   keinesweges  mclaphysischcr  Natur  und  Ursprungs 

41 


642  Schcllings  spalorc  Darstdlancr 

• 
sind,  (liess  zeigen  am  Besten  diö  spätcrn  wicdcrholicn  Dar- 
steliangen  derselben,  wo  Schclling,  des  ihm  immer  nur 
äusserlich  gebliebenen  Zwanges  apriorfstischer  BegriSsi&giiiig 
sich    entschlagend,  in  ganz  concreter  Anschaunngsweise 
spricht    Besonders  gehört  hierher,  ausser  den  Aphoris- 
men zur  Einleitung  in   die  Naturphilosophie 
(in  den  Jahrbuchern  für  Medicin),   seine  Abhand- 
lung  über   das   Yerhaltniss   des  Idealen   uad 
Realen  in  der  Natur  ♦).    Hier  nennt  er,  —  mit  aas- 
drucklicher  Beziehung  auf  die  Theorie  eines  damals  leben- 
den ausgezeichneten  Physikers '  (rgl.  S.  XVI.),  welcher  die 
innere  Nothwendigkeit ,  mit  der  zwei  specifisch  entgegen- 
gesetzte physikalische  Kräfte  sich  suchen,    und  in  unauf- 
löslicher Wechselbeziehung  zu  einander  stehen,  ebenso  be- 
zeichnet —  jene  Identität  des  Endlichen  und  Unendlichen, 
welche  er  früher  metaphysisch  zu  konstmiren  unternahm, 
sogleich  realistisch  das  absolute  Band,  die  (reale,  nicht 
bloss  logische)  C  o  p  u  1  a   —  „so  lange  bis  er  etwa  einen 
andern  Ausdruck  derselben  findet'^   —  in  der  die  onend* 
liehen  Positionen  selbst  nur   das  Eine    sind.    Hierbei  er- 
innert er   gleich  Anfangs  an  den  universalen  Begriff'  der 
Materie,  weiche  der  Inbegriff  jener  Positionen,  zugleich 
ihre  in  die  Einheit  sich  auflösende  Unendlichkeit,  und  so 
der  ursprünglichste  Abdruck  jenes  sich  auswirkenden  Ban- 
des ist  (S.  XXIL  XXIV.  XIX.  f.). 

Das  Band  kann  daher  auch  bezeichnet  werden  als  die 
unendliche  Liebe  seiner  selbst  ( — „welche  in 
allen  Dingen  das  Höchste  ist^  — ),  die  unendliche 
Lust,  sich  selber  zu  offenbaren,  —  Sichselberwollen, 
Sichselbstbejahen  auf  unendliche  Weise. 

Das  Absolute  ist  daher  nicht  allein  ein  Wollen  sei- 
ner selbst  (eine  für  Sehe  Hing  charakteristische,  bis  in 
die  letzte  Periode  seines  Philosophirens  ihm  treu  geblie- 
bene Kategorie,  wonach  er  in  allen  Dingen  das  sie  reali- 


♦)  AU  Einieituiig  7.ur  Schrill:     Von    der  Weltsecle,    xwcile 
verbcsserle  Auflage,  1806.  S.  XiX.  iL 


von  seinem  Principe.  043 

sirondc  and  zugleich  spocificircnde  Princip  ihreii 
Willen  nennt ,)  -*  sondern  ein  Wollen  auf  unendliche 
Weise,  also  in  allen  Formen,  Graden  undPoteni^eA 
von  Realität  , 

Der  Abdruck  dieses  ewigen  und  unendlichen  Sichsel- 
berwollens  ist  die  Welt.  So  ist  ßie  von  dem  Absolutep 
selbst  nicht  verschieden,  sondern  nur  die  vollsländige  und 
in  progressiver  Entwicklung  ausgebreitete Copula ; 
—  zu  welcher  Erklärung  -wir ,  in  bestätigender  Ergänzung 
unserer  vorhergehenden  Kriük ,  abermals  bemerken  müs-- 
sen ,  dass  auch  hier  von  der  behaupteten ,  durch  Poten- 
zen allmählich  sich  steigerndenEntwicklung 
der  Copula  oder  Identität  ein  allgemeiner  Beweis  nicht 
voiüegt.  Nur  die  universelle  Erfahrung  einer  solchen 
Potenzenfolge  in  der  Natur  ist  daher  der  eigentliche  Be« 
weis. 

Identität  in  der  Totalität ,  und  umgekehrt ,  ist  (daher) 
das  ursprüngliche  und  in  keiner  Art  trennbare  oder  auf- 
lösbare Wesen  des  Bandes,  welches  dadurch  keine  Dupli- 
cital  erhält,  sondern  vielmehr  erst  wahrhaft  Eins 
wird. 

Weder  ans  jener,  noch  aus  dieser  daher,  kann  die 
vollendete  Geburt  der  Dinge  begriffen  werden ,  sondern  ' 
nur  aus  dem  noth wendigen  Einssein  beider  in  Allem  und 
Jedem,  wie  in  dem  Bande  selbst.  Die  Vollständig- 
keit der  Bestimmungen  in  allem  Wirklichen  ist  ganz 
gleich  jener  Vollendung  des  Ewigen  selbst, kraft 
welcher  es  in  der  Identität  das  Ganze,  und  in  der  Ganzheit 
das  Identische  ist. 

Es  ist  der  Satz,  welchen  auöh  die  vorher  angeführte 
Darstellung  heraushob,  und  der  besonders  in  den  Aphoris- 
men zur  Naturphilosophie  mit  vollem  Nachdrucke  ausgeführt 
wird:  dass  das  Einzelne  nicht  bloss  Moment  im  Unendr 
lichen ,  sondern  selbst  ein  Unendliches  ist ,  Selbstbejahung 
der  Identität  auf  eine  durchaus  eigene ,  nur  ihm  selbst 
gleiche  Weise.  Es  ist  diess  das  Siegel  der  absoluten  Iden- 
tität an  J  c  d  c  m ,  dass  es  ebenso  sehr  das  nur  mit  sich 


644  KoDstrakKon  des  Bealcn. 

Identische  ist,  wie  jenes  von  der  absoluten  Identität  selber 
gilt.  Diess  ist  Eugicich  der  wesentliche  Grundonterschied 
Schellingscher  Lehre  von  der  des  Spinosa:  derBe- 
griiF  des  endlichen  „Dinges^,  deren  unendliche 
Reihe  in  der  absoluten  Substanz  zusammengerasst  wird, 
ebenso  der  Begriff  der  eigentlichen  Endlichkeit,  im  Un  ter^^ 
schiede  vom  Unendlichen,  ist  aufgehoben.  — 

Ueberbllcken  wir  indess  alles  Bisherige  für  einen  sum« 
marischen  Ausspruch,  so  müssen  wir,  wenn  Schelling 
in  seiner  spätem  Erfclfirttng  gegen  Hegel*)  diesem  vor« 
warf,  den  Fortschritt  von  dem  bloss  Logischen  (Metaphy- 
sischen) zur  Wirklichkeit  nicht  haben  vollbringen  zu  köiw 
nen ,  auch  andrerseits  erinnern ,  dass  ein  solcher  bei 
Schelling  ebenso  wenig  sich  findet.  Dieser  hat,  wie 
hier  an  den  letzten  Erklärungen  noch  zur  unwidersprecfc- 
liehen  Evidenz  gekommen,  mit  seinen  metaphysischen  Aih 
Sätzen  niemals  das  ^Wirkliche%  Concreto,  die  Erfahr 
T  u  n  g^  verlassen,  kraft  deren  nur  wahr  ist,  was  von  jenen 
Allgcmeinsätzen  Schelling  seinen  realen  Konstruktionen 
vorausgeschickt  hat.  Bei  letztem  befmdea  wir  uns  nun* 
mehr,  und  hiermit  beginnt  das  Gebiet  von  Scji  eil  in  gs 
eigentlich  grossen  Entdeckungen. 

Die  Materie  ist  die  erste  relative  Totalität, 
die  Grundvoraussetzung  aller  Potenzen,  daspriifiufn  exu 
stens;  mithin  sind  in  ihr,  «wenn  nicht  der  Wirklichkeil, 
doch  der  Möglichkeit  nach,  alle  Potenzen  enlbalten 

($.51.  mit  Zusatz :  S*  B90«  ^^^  i^^  ^^  ^^^  (unterste  Potenx 
der)  Einheit  des  Idealen  und  Realen :  das  Ideale,  Subjektive, 
„das  erkennende  Princip<^  (§.  55«  und  Anmerk.  zn 
$.  56.  S.  43.)  geht  in  die  Materie  mit  ein,  und  wird  auf 
ursprungliche  Weise  in  ihr  reell. 

Hieraus  ergiebt  sich  die  dynamische  Konstraktion  der 
Materie ;  sie  ist  stets  sich  erneuerndes  Resultat  eines  „d  y  n  a- 
mischenProcesses^**),  in  welchem  die  ursprüngliche 


♦)  Vorrede  tu  Cousin  S.  XIV. 

'*)  Vgl.-  Allgemeine  Deduktion  det  dynamii^faen  Pro- 


Begriff  der  Materie«  645 

Biclitung  nach  Innen,  das  Ideale,  als  A  t  ir  a  k  t  i  v  k  r  a  f  t,  die 

ebenso  ursprüngliche  Richtung  nach  Aussen,  das  Keale,  als 
Expansivkraft  «uflrelen :  (§.  53.  und  Zusatz  3,  Vgl.  Sy- 
slem  des  transscendentalen  Idealismus,  S.169. 
u-  IK>    Beide  aber,  als  entgegengesetzte,  werden  ausge-. 
löschl  in  ihrem  gemeinsamen  Grunde ,  der  absoluten  Iden- 
iilat,  zu  einem  Ineinanderbestehen,  wodurch  in  der. 
Konstruktion  der  Materie  zu  ihren  beiden  ersten  Dimensio- 
uea  die  dritte  hinzukommt  (S.  36.37.  39.  der  Zeilschrift 
zur  spek.  Physik  Bd.  IL  H.  2.):   so  ist  die  absolute  Iden- 
litäl ,    als  Einheit  dieser  drei  Momente  oder  Dimensionen 
der  Malerie,   am  Unmittelbarsten  als  Schwerkraft  zu 
setzen.    Aber  die  Schwerkraft  ist  darum  nicht  in  irgend 
einem  Produkte  wirklich,  oder  anschaubar;  sie  ist  vielmehr 
zwar  das   in  Allem  dynamisch  Wirkliche;    aber  weil  alles 
Concreto    schon  eine   bestimmte  Potenz   des  Idealen  und 
Realen  ausdrückt,  die  Schwerkraft  an  sich  jedoch  das  Po- 
tenzloso ,  obschon   der  Grund  aller  Potenzen  ist ,  nur  das 
dynamisch  oder  als  Grundlage  Alles  Durchdringende.  »Es 
ist    aus    diesem    unmittelbaren   Gesetztsein    der 
Schwerkraft  durch   die  absolute  Idealität   ersichtlich ,  wie 
immöglich  es  sei,  die  Schwerkraft  als  Schwerkraft  zu  er- 
gründen  oder   in  der  Wirklichkeit  darstellen  zu 
wollen,    da  sie  ^als  die  absolute  Identität    gedacht  wer- 
den rouss,  nicht  inwiefern  diese  ist,  sondern  insofern  sie 
Grund«  (Grundlage,  sclbstgegebene Voraussetzung)  „ihres 
eigenen  Seins,   also    seihst  nicht  in   der  Wirklichkeil  ist« 
(a.  a.  O.  S.  41.).    ~   Sc  he  Hing  nennt  sie  daher  auch 
überhaupt  die  construirende  Kraft,   und  bezeichnet 
sie  mittelbar  als  den  Grund  aller  Realität,  nicht 
nur  nach   dem  Sein,    sondern   auch    nach    der  Fort- 
dauer der  Dinge.  Alle  Materie  ist  daher  als  ursprüng- 
lich flüssig  zu  denken  (Zusatz  1   und  3.  m  $.  54. 
S.  42.). 


cesses  in  der  Zeitschrift  für  »pekula  tive  P  hy  »  i  k 
Bd  I.  lUa  1.  S.  100—136.  H.  2.  S.  Uk  ?4^.  2^-  "•  »•  '^' 


646  Die  Potenzenreihc. 

Die  Schwerkraft  geht  schlechthin  auf  das  Sein  des 
Produktes,  welches  durch  relatives  Ueberwiegen  des  Idea- 
len oder  Realen  (A  &  B)  bezeichnet  wird  (§.  63.)*  Nun 
geht  aber  das  quantitative  Setzen  der  AttrakSv-  und  Expan- 
Sivkrail  in's  Unendliche;  aber  im  einzelnen  Produkte 
können  beide  nur  mit  quantitativer  Differenz  gesetzt 
sein ,  d.  h.  mit  dem  relativen  Uebergewichte  der  einen 
oder  der  andern,  so  dass  das  Gleichgewicht  nur  im  €tan- 
zen ,  in  der  Totalitat  des  materiellen  Universums ,  ausge- 
glichen wird  (S.  51.  57.  Zusatz  6.  zu  §.  58.)- 

Was  aber  in  einem  Einzelnen  die  Begranzung  der  Po- 
tenz hervorbringt,  ist  das  ideelle  Princip.  Diess  wird 
nur  begrSnzt,  insofern  es  dem  Reellen  gleich,  d.  h.  selber 
reell  und  damit  zugleich  reell  begrdnzt  wird.  Aber, 
als  reell  begränztes ,  kann  es  nicht  in  seiner  Idealitat  be- 
grSnzt werden.  Hithin  wird  es  in  dieser  Ideali  tat 
unmittelbar  als  unbegränzbar  gesetzt  Es  kann 
aber  nicht  als  unbegränzbär  gesetzt  werden ,  als  in  einer 
höhern  Potenz  der  Subjektivität,  mithin  ist  un- 
mittelbar eine  solche  höhere  Potenz  (il^  gesetzt  Das 
quantitative  Gesetzt-  oder  das  Begränztsein  ies  A 
(des  Ideellen)  in  der  relativen  Totalität  von  il  »  fi  ist  die 
specifischc  Schwere  ($.  57.  58.  mit  Zusatz  1 — 6.). 
Hit  andern  erklärenden  Worten:  die  specifische  Schwere 
in  der  Körperreihe  (vgl.  §.  72.  mit  A  n  m  e  r  k  u  n  g  1.  S.  51.) 
ist  das  bestimmte  Realwerden  und  die  Begranzung  des 
idealen  Princips  in  ihr,  wodurch  auch  allein  die  speciGsche 
Differenz  in  den  Vorigen  hervorgerufen  wird. 

Wegen  der  Ableitung  der  Potenzenreihe  können  vir 
uns  auf  das  Vorhergehende  berufen.  Hier  dagegen  dränirt 
sich  eine  andere ,  allgemeinere  Bemerkung  auf:  nur  durch 
den  Kampf  des  ideellen  Princips  mit  dem  realen,  oder  da- 
durch, dass  es,  sich  verwirklichend,  immer  in  eine  reale 
Begranzung  geräth,  entstehen  überhaupt,  wie  gezeigt, 
die  Potenzen  ;  aber  auch  die  Möglichkeit  für  jenes,  aus 
jeder  bestimmten  Potenz  mit  dem  Ueberwiegen  des 
Ideellen  h  i  n  a  u  s<-  und  über  sie  fort  in  eine  höhere  Potenz 


Wolter  die  höchste  PoUmz?  647 

desscUM!»  ^nziltiolen.  Wir  finden  hieran  wieder  jcnesf 
was  schon  bekannte  reine  Subjekt-Objekt,  welches  zu- 
lelzl  mit  dein  völlige  Siege  über  alle  seine  Versuche,  ob- 
jektiv zu  werden,  al»  über  Alles  erhabenes  Sub- 
jekt stehen  bleiben  soll:  die  höchste  Potenz  des 
Ideellen  wäre  darin  einreicht. 

Aber  zu  einer  solchen  eben  vermissen  wir  alle  Be- 
dingungen in  der  bisherigen  allgemeinen  BedukUon,  wie 
in  den  gegenwartigen  speciellen  Erklärungen  :  das  ideeUc 
Princip  wird  ganz  im  Gegentheile,  aber  völlig  konsc* 
quent,  als  ideelles  Princip^  für  „völlig  unbegränz- 
bar^  er  klart  ($.58*))  d.h.  niemiils  wirklich  ein^  höch- 
ste Potenz  erreichend,  sondern  i|i  einen  unendlichen 
Progross  hinauslaufend.  Das  Universum  ist  dann 
jedoch  keine  geschlossene  Totalitat ,  nicht  realisiries 
Vernunft  System,  sondern  ein  Unendliches  im  schleeh* 
tea,  negativen  Sinne,  so  wie  sich  überhaupt  die  entschei- 
denden Folgen  dieser  Erklärung  für  den  Charakter  des 
^nzcn  Systems  gar  nicht  in  ^rede  stellen  lassen.  Es 
J^Ieibt  gleichsam  oiTen  nach  Oben  zu,  und  selbst  der  Cha- 
rakter der  Idealität  ist  gefährdet  und  zum  unbestimmten 
Abstraklum  herabgesetzt  durch  den  Hangel  des  BegriSss 
«incr  wahrhaft  höchsten,  das  Ideale  auf  völlig  adäquate 
Weise  verwirklichenden  Potenz. 

Dennoch  können'  wir  diesen  Mangel  nicht  als  einen 
liloss  zufälligen  erkennen,  oder  als  einen  solchen,  der  a«s 
blosser  Inkonsequenz  oder  Vernachlässigung  gewisser  im 
Principe  liegender  Bestimmungen  hervorgegangen  wäre, 
welche  man  nachträglich  etwa  noch  hervorzuziehen  hfitte. 
'Er  ist  ein  wesentlicher  und  durchaus  charakteristischer, 
denn  er  klängt  mit  dem  Ablehnen  einer  vorausgehenden 
.metaphysischen  Wissenschaft  auf  das  Innigste  zusammen; 
er  ist  der  negative  Beweis  dafür ,  dass  auch  zur  realen 
Konstruktion  der  Potenzenreihe  im  Universum  etwas  we- 
sentlich Höheres  vorausgesetzt  werde,  denn  nur  die  ge- 
niale Anschauung  eines  erfahrungsmässig  in  den  Stufen 
der  Weltwesen  sich  potenzirenden  Geistigen :  der  schiecht- 


§48  Woher  die  höchste  PeteacY 

hlh  allgemeine  (metaphysische)  Begriff  des  Gei* 

stes,  als  des  das  System  der  Potenzen  wdiihaft  absohlie»* 
senden,  selbst  über  die  Potenzen  binansUegendeB,  ist  daaai 
nöthig.  Denn  ob  diese  Poterizenreihe  uns  er&hnmgs* 
mSssig  bis  zur  schlechäiia  höchsten  Potenz  vorliege, 
kann  aus  blosser  Erfahrung ,  mithhr  aus  einer  intnitivea 
AulTassung  derselben,  unmdgiich  entschieden  werden. 

Und  so  müssen  wir  zuvörderst  filr  den  Zusanunenhang 
des  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Systemes  den  Satz :  dnss  das  ideeMe 
Princip,  a  1  s  ideelles,  schlechthin  unbegrftnzbar  sei  ($.  5S.)f 
durchaus  konsequent  und  nothwendig  finden.  Nur  ^a  wM 
gerechtfertigt,  wie  überhaupt  Potenzen ,  höhere  Stufen  der 
Idealitat,  möglich  sind,  wenn  gleich  ursprünglich  das  Idedk 
als ' das  Uebermächtige,  vom  Realen  gar  nicht  zu 
Begranzende,  siegreich  stets  däruberHinansschreitendOi 
behauptet  wird.  Diess  ist  ja  zudem  die  grosse  Tbat  der 
Schellingschen  Lehre,  die  Natur  daraus  wirklich  koiw 
struirt,  es  in  ihr  nachgewiesen  zu  haben.  Dann  wird  m 
aber  auch  sieh  zu  den  Entbehrungen  bekennen  müssen,  die 
von  einer  so  unmittelbaren  Auilkssung  unabtrennllch  sind. 

Wenn  nämlich  das  Ideale  vom  Realen  (laut  des  Obigen) 
nicht  begranzt  zu  werden  vermag,  so  ist  in  ihm  selbst 
überhaupt  kein  Princip  der  Begränzung  vor« 
banden.  Seine  Begränzung,  Bestimmtheit,  erh^t  es  erst 
vom  Realen  her ;  an  sich  selbst  dagegen  ist  es 
hier  „das  Unbegränzbare^.  Und  überhaupt,  wenn 
wir  einen  Begriff  zu  suchen  haben,  nach  welchem  das  Ideale 
an  Sieh  selbst  sich  zu  begränzen  und  in  ii^end  einer 
Selbstgestaltung  abzuschliessen  hätte;  so  kann  eine  solche 
„höchste^  Potenz  durchaus  nicht  mehr  erklärt  worden  aus 
jenem  wechselseitigen  Uebergewichte  des  Idealen  und  Rea* 
len  —  im  Begriffe  dieser  Potenzenreihe  liegt  es  viebnehr, 
in*s  Unbegränzte  (d.  h«  Unbestimmte)  hinauszulaufen,  mithin 
der  Begriffsmassigkeit  völlig  zu  entbehren :  —  eine  solche 
Selbsibegrdnzung  eines  an  sich  schrankenlos  Ideellen  kann 
vielmehr  auf  wirklich  begreifliche  Weise  nur  gefunden  wer^ 
den  in  dem  E  n  t  s  c  h  1  u  s  s  e,  in  der  Denk-  und  Willensmaclit 


Metaphysischo  Lücke  in  lÄieScin  Bcgrinb.         649 

eines  absohiten  (persönKchen)  Subjektes.  Wie  fern  hiervon 
jedoch  ans  der  gegpenwärtige  Standpunkt  des  Seh  ei  unge- 
sehen Systemes  nacii  seinem  wirklieh  zum  Bewussisein  her«» 
ausgebildeten  Standpunkte  noch  lassl,  ergiebt  sieh  von  selbst. 
Und  so  müssen   wir' auf  die  immer  wieder  sich  aufdrfin- 
gende  Fragte,  ob  Sehe  Hing  jenes  reine  Suhjekt- Objekt 
seines  Anfangs  zur  wahrhaften  Transscendenz  eines  über 
der  Welt  (der  Potenzenreihe)  stehenden  Subjekts  hinaus-^ 
snifilhren  vermocht  habe ,  von   hier  aus  mit  einem  enteil 
schiedenen  Nein  antworten.    Sogar  scheint  in  den  bislie- 
ingren  Prämissen  dazu  gar  keine  Aussicht  zu  liegen;   und 
was  in   spätem  Paragraphen   dieser  Darstellung  sich  dar- 
über entdecken  lässt ,    -^  wovon  alsbald ,   —  wird  durch 
den  eigenen  ungewissen  Charakter  nur  um  so  stärker  un^ 
ser  gegenwärtiges  Bedenken  rechtfertigen.  -^ 

Wie  sodann  jedoch  dieses  Ergebnlss  auPs  Innigste 
mit  dem  Mangel  einer  metaphysischen  Yorwissenschaft  bei 
S c hei  1  in g  zusammenhängt,  ist  noch  zu  zeigen.  Was 
derselbe  Verwirldichung  des  Ideellen  im  Realen  und  Po«- 
tcnzirung  jenes  aus  diesem  nennt,  ist,  was  Kant  und  dio 
spätere  Philosophie  die  Gegenwart  des  Zweckes ,  -«-  oder 
die  Spuren  eines  absichtsvollen  Wirkens ,  —  in  der  Natur 
und  ihrer Nothwendigkeit,  kurz  die  immanente  Teleo- 
logie  genannt  hat.  Und  so  lässt  sich,  was  wir  entbeh- 
ren, aOgemein  dahin  aussprechen:  dass  dem  Systeme  die 
dialektische  Analyse  des  Zweckbegriübs  abgeht,  die,  mit  der 
Erörterung  des  Zwecks  überhaupt,  auch  den  BegriiT  des 
höchsten  Zweckes  fder  schlccUhin  höchsten  „Potenz^) 
im  Universum  durchaus  apriorisoh  nachzuweisen  hätte.  Diess 
nun  hat  eine  gründlich  durchgeführte  Metaphysik  zu  lei- 
sten: ob  die  Hegeische  Logik,  die  diese  allgeineinc  Be- 
stimmung an  sich  trägt  und  auch  jenen  BegriiT  behandelt 
hat,  ihm  zugleich  schon  seine  vollständige  Ausführung  ge- 
geben habe,  ist  eine  erst  später  zu  lösende  Frage.  Aber  sie 
hat  ihn  wenigstens  in  der  ganzen  metaphysischen 
Bedeutung  erkannt^  welche  er  besitzt,  währenil  hierüber  im 
Schell  in  gschcn  Systeme  der  reine  Defekt  ofibn  daliegt. 


650  Cohäsionsknift 

Was  Schclling  die  »höchslc  Potenz«^  ge- 
nannt hat ,  entspricht  metaphysisch  ausgedriickt ,  den  Be- 
griffe des  absoluten  Weltzweckes.  Dass  aber 
ein  solcher  überhaupt  gesetzt  sei^  und  ^  a  s  er  sein  müsse 
dem  allgemeinen  Begriffe  der  Welt  oder  des  UaiTersiims 
^olge,  kann  sich  gar  nicht  empirisch  ergeben,  —  dass 
nämlich  die  Zweck-  oder  Potenzenreihe  nicht  in 's  Un- 
endliche gehen  könne,  ist,  empirisch  betrachtet, 
gar  kein« Widerspruch ;  —  es  ist  nur  metaphysische 
Aufgabe ;  hier  aber  ergiebt  sich  mit  Nothwendigkeit,  dass, 
wenn  überhaupt  Zweck  oder  Zweckmassiges  Cldeelles)  in 
der  Welt  gesetzt  sei,  auch  ein  wirklicher  und  erkennbarer 
höchster  Weltzweck  gesetzt  sein  müsse,  ein  absoluter 
gchluss  jener  Potenzenreihe.  Wir  können  dar- 
über einstweilen  nur  an  die  metaphysische  Ausführung  <Ke- 
ses  Begriffes  in  der  Ontotogie  CS*  263— 267.>  und  in 
den  clulcitendcn  Abhandlungen  zur  spekulativen  Theologie 
(Zeitschrift  für  Philosophie  Bd,V.  H.  2.S.197  ff.  201—204.) 
verweisen. 


Wir  gehen  zur  Dariegung  der  e^entlichen  Potenzen 
über. 

Expansiv-  wie  Attraktivkrafl,  für  sich  gedacht,  sind 
.unwirklich  und  wirkungslos:  nur  beide  Kräfte  in  einan- 
der geben  ein  Produkt:  in  einen  Punkt  vereinigt,  geben 
sie  die  Linie,  als  die  erste  Synthcsis  des  Punktes  mü 
dem  unendlichen  Baume,  zugleich  als  die  erste  ursprüng- 
liche Dimension  der  Materie,  die  Länge.  (AI  lg.  Deduk- 
tion des  dynamischen  Processes  Bd.  L  Heft  1. 
S.  106—118.;  Darstellung  §.46.  mit  Zusatz:  $.  51. 
S.  36.)  —  Die  Form  dieser  Linie  ist  das  Bedingende  der 
Cohäsion  der  Materie;  denn  in  jedem  Punkte  dieser  Li- 
nie sind  A  und  £,  Attraktiv-  und  Expansivkraft,  in  rela- 
tiver Identität.  Es  ist  also  zwischen  je  zwei  Punkten  die- 
ser Linie  eine  Krall,  welche  ihrer  Entfernung  von  einander 
widersteht,  d.  h.  Cohasionskraft. 


als  Magnbtifinus.  651 

IHc  Form  dieser  Linie  ist  die  des  Magnetismus; 
die  Länge  kann   in   der  Natur  nur  unter   der  Form  des 
Mag-iietismus  existiren,  und  dieser  ist  dessliaH>  als  allgo- 
m  oine  FuKJction  der  Materie   anzuseilen.    Dio* 
Materie  im  Aanzen  ist  ein  unendlicher  Magnet.  Der 
Magnnetismus  ist  daher  Bedingung  aller  Gestaltung.   Diesen 
durchgreifenden,  alle  mechanisch    atomistischen  Ansichten 
von  der  Materie  ein-*  f3r  allemal  aufhebenden,  auch  durek 
die  durchgreifendsten  Erfahrungen  nachher  bestätigten  Satz 
hat  Schell ing  zuerst  in  seinem  Bntwuri'o  zum  Systeme 
der  Naturphilosophie  indirekt  bewiesen,  in  seiner  Dcduktioa 
des  dynamischen  PrOcesses  (S.  112  u.  iT.)  zum  Uauptsafzo 
gemacht,  in  seiner  „Darstellung«^  ($.68.  mit  Zusatz 
S'  69.  71.  und  Zusatz)  auf  jene  Konstruktion  «ich  beru- 
fend, nur  ausgesprochen.  — 

Aller  Unterschied  zwischen  den  speciOsch  verschiede- 
nen Körpern  ist  nur  durch  die  Stelle  bestimmt^  welche  sie 
im  Totalmagnete  (der  Materie)  haben:  je  zwei  Kör- 
per daher,  die  von  einander  (specifisch>  verschieden  sind, 
können  wie  die  zwei  entgegengesetzten  Seiten  eines  Ma- 
gnetes betrachtet  werden,  und  um  so  mehr,  je  grösser  ihre 
relative  Differenz  ist.  ^—  In  dem  Totalmagnete  muss  der 
empirische  Magnet  als  der  Indifierenzpunkt  betrachtet  wer- 
den, weil  in  ihm  das  relative  Ueberwiegen  der  Einen  oder 
der  andern  Kraft  wirklich  d.  h.  faktisch  znm  Gleichge- 
wichte gelangt,  also  der  in  den  übrigen  Körpern  nur  la- 
tente Magnetismus  hier  zur  wirklichen  und  steten  Erschei- 
nung kommen  kann.  Der  empirische  Magnet  ist  das  Ei- 
sen. Alle  Körper  sind  daher  potenüalüer  im  Eisen  ent- 
halten ,  und  blosse  Metamorphosen  desselben  (§.  74 — 78. 

mit  Zusatz.). 

Ebenso  ist  aber  auch  unser  Planetensystem  im  Ganzen 
ein  Magnet,  wie  es  die  Erde  im  Einzelnen  ist;  und  so  bis 
herab  auf  die  irdischen  Körper :  die  Reihe  der  irdischen 
Körper  ist  gleich  der  Reihe  der  himmlischen.  Ueberall 
waltet  eine  sich  auf  Anderes  beziehende  Differenz,  deren 
^annung  in  irgend  einem  ladiffcrenzpunkte  sich  ausgleicht. 


es«  Das  Lieht 

aber  ebonso  sehr  aua  diedem  wieder  «ieh  anfadit,  w^  den 
allgemeinen  Cohäfiion0procc$8 ,  aus  welchem  AUes 
bervorgebl,  stets  erneuert  AUe  Körper  sind  daher  in 
Cranzen,  oder  an  sich  betrachtet ,  Eine  Mm 8 e  CS- '9^ 
mit  Zusätzen),  ^ 

Den  Paralidisnus  xvriseheii  der  Reihe  der  MetaDe  iiBd 
der  Planeten,  ,,worin  mehrere  von  jenen  sich  m  gewissen 
andern  offenbar  wie  Monde  zu  ihren  Hauptplanetra  yerfaal^ 
len%  hat  Schelling  in  der  Neuen  Zeitschrift  für 
spekulative  Physik  (Bd.  I.  St  3.  1803,  S.  103  b.  Bl 
und  St,  3.  S.  92.)  durchgeführt:  Abhandlungen  von  dem 
reichsten  und  tiefsten  Gehalte  über  Parallden  iii  der 
Natur  aus  jenen  einfaeheii  Principien,  Doch  ist  nidit  zn 
verkennen«  dass  hier  viele  Deduktionen  schon  an  der 
Granzo  stehen,  in  das  bloss  äusserlich  schematisirende  Ver^ 
gleichen  auszuschlagen,  was  man  S  c  h  e  1 1  i  n  g  selbst ,  mit 
mehr  Recht  seiner  Schule  y  zum  Vorwurfe  gemacht  hat 

In  der  Schwerkraft  (§%  54.  Anmerk.)  müssen]  wir 
zwar  dem  Weseu  nach  die  absolute  Identität  erkennen; 
aber  nicht  als  seiend,  vielmehr  n|ir  als  Grund  (Grund- 
lage) ihrer  Existenz«.  Die  Cohäsionskraft  ist  die  unter  der 
allgemeinen  Form  des  Seins  CA  »  jB)  existirende 
Schwerkraft«  In  beiden  ist  die  absolute  Identität  mit  dem 
ganzen  Uebergewichte  der  Objektivität  (ilO  gesetzt  Die- 
ser muss  gegenuhertreten  die  absolute  Identität  mit  dem 
ebejiso  entschiedenen  Uebergewichte  der  Subjektivität  C^i^)* 
Diess  ist  das  Licht:  es  ist  das  Existiren  der  ab- 
soluten Identität  selbst  auf  schlechthin  un- 
mittelbare Weise,  und  darin  liegt  der  Grund  des 
ursprünglichen  Gegensalzes  von  Schwerkraft  und  LichL 
Die  Schwere  ist  das  äussere,  das  Licht  das  innere 
Anschauen  der  Natur.  „Bei  Weitem  den  Meisten  kommt 
es  vor,  als  ob  das  Ideello  weniger  exisUre  oder  sei,  aL> 
das  Reelle:  —  diese  mögen  darauf  aufmerksam  sein,  dass 
sie  in  dem  Lichte  schon  ein  principium  mere  ideale 
tactu  existens  erblicken'^.  Selbst  das  Denken  ist  nur 
der  letzte  Ausdruck  von  dem,  wozu  dus  Liebt  denAufaog 


Da«  Licht  -^  dio  Eiektricttat.  653 

gemacht,  die  absolute  Idealiläl  in  der  Nafur^  nicht  Mom 
reell,  sondern  schlechthin  wirksam.  Die  absokite  Merttitity 
sofern  sie  ab  Licht  ist,  ist  nicht  Kraft,  sondern  Tha* 
tigkeit  -^  Die  Schwerkraft  ist  constrttirende  Kraft  ^  sie 
ergiesst  sich  in  das  Produkt  Aber  durch  das  Licht  wird 
6ie  bestinmt,  zu  reconstruiren.  Die  ganze  Natur 
(in  dem  engem  Sinne  dieses  Wortes,  welchen  er  ihr  in  der 
Erklärung  $.  61.  giebt)  ist  nisr  die  Geburt  aus  dem  Kampfe 
zwischen  Schwere  und  Licht.  ($.  62.  mit  Zusalz:  $.  93^ 
mit  Anmerkk.  und  Erläuterungen^  S«  69—^2.)  S«  94:  Zu^ 
saiz  1.  und  2.  zu  $.  63.) 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dnss  hiermit  die  Göthe- 
sehe  Lehre  vom  Lichte  und  der  Farbe  (vgl.  das  Weitere  aber 
Durchsichtigkeit  und  Farbe  $.  98 — 106.)  zuerst 
philosophische  Aufnahme  und  An^kennung  linden  musste, 
und  se  lange  es  in  der  Philosophie  eine  spekulativ  dyna«- 
4nische  Ansicht  von  der  Natur  giebt ,  wird  dieselbe  nur 
eine  Lidbttheorie  solcher  Art  richtig  finden  können.  Schet- 
ling  bezeugt  daher  auch  ausdrücklich  von  ihr  (S.  60. 61.>, 
dass  nur  auf  der  Basis  einer  solchen  Ansicht  von  der  Iden- 
tität des  Lichtes  in  sich  selbst  sich  das  ganze  IdentitätB^ 
System  habe  Erheben  können. 

In  der  Rekonstruktion  der  Materie »  in  welcher  laut 
des  Vorigen  das  Licht  das  Bestimmende,  den  Process  stets 
Hervorrufende  ist,  muss  dtdier  irgend  ein  Moment  vorkom** 
men ,  in  welchem  die  Attraktiv^^-  und  Repulsivkraft ,  der^i 
wechseldurchdringende  Identität  in  der  Schwere  gesetzt 
war,  absolut  sich  trennen.  Hiermit  wirken  sie  niolit 
mehr  (als  Magnetismus)  in  Einer  Linie  nach  entge- 
gengesetzter Richbmg,  sondern  von  jedem  Punkte 
dieser  Linie  nach  allen  Richtungen.  Zur  ursprünglichen 
Dimension  der  Länge  kommt  so  die  Breite  hinzu,  in  der 
NaUir  real  repräsentirt  durch  die  Elektricitäl,  als 
Breitenkraft  (Deduktion  des  dynamischen  Pro- 
cesses  Bd.L  H.I.  S.  115.  119  ff.  124.  Darstellung, 
$.83.  mit  Zusätzen.)*  Die  weitem  Folgerungen  und  Er-- 
weise  daraus  müssen  wir  übeiigehen :  nur  das'  g^t  hervor, 


Go4  Die  Etektricitüt. 

« 

dftss  die  ElcktrieUat  überiianpt  nichts  Anderes  ist  ^  als  der 
durch  die  Berührung  zweier  in  ihrer  Cohasion  dUTcrentea 
Körper  hervof^gemfeiie  Gegensatz,  weicher  sich  auszugiei- 
ehen  strebt  dnrch  die  wechselseitige  Cohäsions- 
veränderung.  Sie  wird  daher  immer  nur  er- 
weckt, und  im  Grunde  gar  nicht  mitgetheilt 
($.  86.  Zusatz):  sie  ist  die  Erweckung  der  Innersten 
Individualität  des  Körpers,  der  des  andern  gegenüber, 
<ider,  da  ein  einzelner  Körper  in  Wahriieit  nicht  ist  (S-  65. 
Znsatz  und  $.  79.  80*)^  der  zur  bestimmten  Potens  in  ihn 
fixirten  absoluten  Identität. 

,^an  könnte  sagen ,  der  dynamische  Process  sei  ein 
durchgängiger  Versuch  der  Schwerkraft,  auch  das,  was  sie 
gezwungen  enthüllt  hat,  wieder  zu  verbergen.  Der  Hagnet 
.sirdit  mit  seinen  beiden  Polen  zusammen,  und  wird  daran 
mir  durch  s^ine  Starrheit  gehindert  Jeder  Pol  sacht  mit 
seinem  entgegengesetzten  zusammenzuhängen,  am  sich 
zu  verbergen;  die  Sonne,  welche  gegen  alle  ihre  Pia- 
jueten  nur  Einen  Pol  repräsentirt ,  inclinirt  ihre  Axen  und 
^ndit  mit  ihnen  zu  cohäriren.  Der  Erde  ist  es  mit  dem 
-Monde,  und  wohl  allen  Planeten  mit  ihren  Monden  gdnn- 
gen ,  wenigstens  zur  Cohasion  in  der  Form  mit  ihnen  za 
gelangen^.  (Damit  scheint  nur  gemeint  werden  zu  können, 
dass  der  Mond  in  das  ganz  bestimmte  Cohärenzverhältniss 
-zur  Erde  gerathen  ist,  immer  nur  die  Eine  Hälfte  ihr  zn- 
znkehren.)  —  „Zwei  indifferente  Körper,  wran  sie  nicht 
Magnetismus  (Totalität  in  Bezug  auf  sich  selbst)  setzen, 
erwärmen  sich ,  weil  jeder  im  andern  das  setzt ,  wodurch 
er  mit  ihm  cohäriren  könnte.  Zwei  differente  hängea 
wiiklich zusammen,  gleichsam  als  ob  jeder  seinen 
Mangel  an  Ganzheit  durch  den  andern  zu  ver- 
bergen suchte«  (S.  82.  83.). 

Wir  zeichnen  diese  Stelle  aus ,  als  eine  derjenigen, 
worin  sich  der  Charakter  der  idealistischen  Ansicht  S  c  fa  c  I- 
1  i  n  g  s  von  der  Natur  am  Eigensten  abriegelt.  Was  gleich- 
nissweiso  oder  auch  nur  in  rhetorischem  Sinne  gesagt  er- 
scheinen möchte,  ^isl  der  eigentlichste  Begriff:  aoch  soll  die 


Die  EIcktricilat.  65Ö 

Nafar  nicht  bloss   die  (formenen)  Momente  der  Vernunft, 
dos  Begriffes,  an  sich  tragen  —  was  wir  vielmehr  als  die 
Hegel  sehe    Ansicht  von  der  Natur  bezeichnen  können  i 
—  sondern  ein  bewusstlos  Individuelles,  Eigeriwilliges  regt 
sich  in  jedem  Naturwesen,  als  das  Siegel  der  Identität  an 
ihm,  wodurch  es,  in  seiner  Art  oder  Potenz,  der  abso^ 
toten  Identität  sidi  gleich  setzt.    Es  ist   dasselbe,  Principe, 
'welches  S  c  h  e  1 1  i  n  g  späterhin  Wille  nannte ,  und  als  das 
«nlversale  a&er   ursprünglichen  Seinsentstehung   bezeich- 
nete :  blindes  Wollen  im  chemischen  Körper,  wenn  er  das 
ihn  Ergänzende  sucht,  dämmerndes  in  der  Pflanze,  in  dem 
Thiere ,  dem  ihm  ergänzend  Homogenen  zu ,  bewusstes  im 
Menschen,  der  Etwas  über  sich  will.  —  Uns  schemt  diesö 
Idee,  welche  sich  schon  in  Schellings  frühesten  AeosK 
scrungen,  wie  z.  B.  in  der  hier  angefährten,  sehr  bestimmt 
findet,  noch  viel  zu  wenig  in  ihrer  Eigenthümlichkeit  er- 
kannt oder  auch  nur  mit  historischer  Entschiedenheit  auf- 
gerasst,  —  abgesehen  freilich  von  Schuberts  Werken,  in 
welchen  dergleichen  Aensserungen  häufig  sich  finden, .  aber, 
.weil  sie  dort  nicht  eigentlich  philosophisch  behandelt  sind, 
am  Ersten  den  Schein  übrig  gelassen  haben,  bloss  in  alle- 
gorischer oder  symbolischer  Bedeutung  genommen  worden 
za  sein.    Sie  sind  gerade  die  eigentlichste  Zuspitzung  des 
Sc  hell  in  g  sehen*  Princips.  — 

Aber  weder  durch  Magnetismus ,  noch  durch  Elektri- 
cität  wird  cKe  Totalität  des  dynamisclien  Processes  dar- 
gestellt Im  Magnetisrnns  repräsentirt  unter  der  Form  der 
relativen  Identität  der  Eine  und  sdbe  Körper  zugleich 
den  positiven  und  negativen  Faktor;  hi  der  Elektricität 
werden  in  der  relativen  Duplicität  (Differenz)  die  beiden 
Faktoren  durch  getrennte  Körper  dargestellt.  Weder 
in  jenem,  noch  in  dieser,  ist  daher  Totalität. 

Diese  Totalität  kann  nur  durch  das  Hinzukommen  des 
absolut  Indifferenten  dargestellt  werden ;  denn  nur  dann  ist 
(piantitative  Differenz  und  Indifferenz  zugleich,  d.  h. 
Totalität  erreicht.  Diess  geschieht  hn  chemischen 
Pro c esse,  zugleich  dem  Processc  der  dritten  Dirnen- 


65G  Der  chemische  Process* 

sion«  Dio  beiden  Körper^  welche  sich  im  otoktriisdieii  Wo^ 
cesse  nur  in  den  beiden  ersten  Dimensionen  verind^n^ 
werden  im  chemischen  Processe  in  allen  drei  Dimensioiiett 
verändert ,  d,  h.  sie  gelangen  zur  wirklichen  gegensei- 
tigen Durchdringung  und  erfüllen  gemdnschafUicfc 
denselben  Raum.  Das  Schema,  des  M agaetismns  ist  folglidi 
die  Linie,  der  Blektrioitfit  der  Winkel,  des  ch^ni^wAen  Pro« 
cesses  das  Dreieck^  als  zugleich  die  dritte  Dimension  dar<* 
stellend.  Im  chemischen  Processe  sind  daher  alle  andern 
dynamischen  Processe ,  nicht  nur  pofenHa ,  sondern  auch 
adu  vorhanden,  und  der  Moment  des  Magnetunnus  sowohl^ 
als  der  der  Etektricität)  erneuert  sich  (potenzirt)  im  che^ 
mischen  Processe ,  was  S  c  h  e  1 1  i  n  g  in  einer  qiecieBoii 
.Theorie  desselben  näher  durchfuhrt  (Deduktion  des 
dynamischen  Processes  Bd.  I.  H. 2.  S.  11  ff«  S.35% 
J)arstellung  $.110.  mit  Zusatz  l.und2.  $.112.113. 
.mit  Zusätzen  u.  s.  w.  S.  84— 88.)» 

Der  chemische  Process^  obwohl  er  nach  allen  Dim^i- 
sionen  wirkt,  aßicirt  doch  in  allen  bloss  die  Cohäsion ;  und 
alle  sogenannten  Qualitäten  der  Mateiie  sind  blosse  Po- 
tenzen der  Cohäsion.  Desshalb  ist  die  Substanz  jedes 
Körpers  von  seinen  Qualitäten  völlig  unabhängig  und  nickt 
durch  sie  bestimmt.  £s  ist  daher  in  Wahrheit  nur  Eise 
Substanz  in  den  Körpern,  oder  der  Substanz  nach  sind  alle 
sich  gleich,  und  das  Sein  der  Materie,  abstrahirt  von 
ihren  Potenzen,  ist  gleich  dem  allgemeinen  Sein, 
und  völlig  dasselbe  mit  ihm. 

Kein  Körper  ist  daher  seiner  Substanz  nach  zusam- 
mengesetzt ,  und  auch  ,  wenn  er  chemisch  zerlegt  wird, 
heisst  diess  nur,  dass  das  £ine  und  gleiche  Existirende 
unter  differenten  Formen  der  Existenz  gesetzt  ist«  Dess- 
halb ist  alle  Materie  nach  Innen  sich  gleich  und 
diiTerirt  bloss  durch  den  nach  Aussen  gerichteten  Pol.  Also 
Aleali  und  Säure  z.  B.  sind  an  sich  völlig  indifferent, 
und  differiren  bloss  dadurch ,  dass  jedes  im  Andern  den 
entgegengesetzten  Pol  hervorruft  —  ^ohno  Zweifel  dadurch, 
dass  jenes  den  Wasser-,  diess  denSauerstoOpoI,  nach  Aussen 


Höchster  Gnmd  4es  Specifischen  in  der  Natur.      657 

kehrt^.   -^  Die  Substanz  entflieht  uns   eben  darum  unter 
den  Händen,  weil  jeder  Körper  nur  durch  den  andern  ver- 
änderlich, und  in  jedem  Momente  des  Processes,  der  Form 
der  ExistenE  nach,  ein  anderer  ist,  ohne  da ss  je  das 
reine  und  formlose  Wesen  selbst  hervortre- 
ten könnte^  —    Durch  keinen  Process  kann  daher  in 
den  Körper  Etwas  kommen ,   das  nicht  schon  p  o  t  e  n  t  i  a- 
liter  in  ihm  ist    Denn  Alles,  was  durch  den  chemischen 
Process  in  einem  Körper  gesetzt  werden  kann,  sind  blosse 
Potenzen  der  Cohäsion ;  da  sich  aber  alle  Materien  von  ein- 
ander nur  durch  die  Potenzen  der  Cohäsion  unterscheiden, 
so  heisst  diess :    in  jeder  Materie  sind  alle  Potenzen  der 
Ck>häsion  schon  enthalten.     Kein  Entstehen  im  chemischen 
Processe  ist  daher  ein  Entstehen  a  n  s  i  c  h,  sondern  blosse 

Metamorphose. Es  ist   nothwendig,  dass  die 

chemische  Metamorphose  nach  entgegengesetzten  Richtun- 
gen und  in  freistehenden  Polen  (Kohl^istoiE-  und  StickstoflT- 
Pol)  endige  (f.  120—1350. 

In  diesen  Sätzen  S  c  k  e  1 1  i  n  g  s ,  darf  man  vielleicht 
mit  Recht  behaupten ,  sind  die  festen  Grundlagen  wenig- 
stens zu  einer  Metaphysik  der  unorganischen  Natur  ge- 
geeben.  Einer  Metaphysik,  sagen  wir  ausdrucklich ;  —  denn 
die  Processe ,  durch  welche  der  in  der  sichtbaren  Natur 
unbegränzte  Unterschied  von  Stoffen ,  Materien ,  und  von 
specifischen  Qualitäten  derselben  entsteht,  werden  hier  zu- 
räcKgefiihrt  auf  einfache  ^dynamischem  d.h.  Gedanken- 
verhältnisse ,  auf  ein  Plus  und  Minus  des  Sichpotenzirens 
oder  Depotenzirens  der  Cohäsion,  auf  die  allgemeine 
Wechselwirkung  der  dadurch  hervorgerufenen  diffe- 
renten  Produkte  auf  einander,  welche  nur  gegenseitig  oder 
an  einander  ihren  specifischen  Unterschied  hervorrufen, 
gegen  welchen  jeder  Körper  an  sich  selbst  indifferent 
sich  verhält,  d.  h.  wo  die  specificirende  Kraft  (nach  dem 
gewöhnUchen  Ausdrucke)  als  latftnt^  oder  an  sich 
selbst  nicht  vorhanden ,  zu  erachten  ist. 

Mit  einem  tiefen  Blicke  hat  Hegel  daher  diese  Ver- 
hältnisse schon  in  seine  Logik  herübelgenommen  und  dort, 

42 


658  Idee  einer  Metaphysik  der  N&mr , 

als  eigentlich  metaphysische ,  in  den  Abschnitten  des  Me« 
chanismus  nnd Chemismus  abgehandelt;  nnd  auch  daVeiw 
fasser  darf  hiert>ei  auf  die  entsprechenden  Capitel  seiner 
Ontotogie  (^Ursache  nnd  Wirkung«  S^  238—245^ 
und  «Kraft  und  Produkte  §.  246^256.)  nm  so  be- 
stimmter verweisen,  als  er  darin  die  einzelnen  Standpnnktei 
in  denen  diese  metaphysischen  Begriflb  sieh  fixiren  lassen, 
fea  ausdrlckltchen^  dem  Standpunkte,  den  hier  bei  Schelf 
ling  die  absolute  Identitfit  einnimmt,  entsprechenden  De- 
finitionen des  Absoluten  ausgebildet  hat.  In  ersterer  Be* 
riehnng  ist  das  Absolute  eis  die  aUgemeine ,  m  afien  S^ 
eificationen  der  Dinge  hindnrchwirkende,  öbrigens  sie  sebst, 
als  specifische,  unberöhrt  lassende  Grundursache  be-- 
zeichnet  (Ontolegrid  $•  24S.  S.  430  f.)»  welche  wir 
realphtloso^Mch  nur  als  die  allgemeine  Schwere  betrach« 
ten  können;  auf  dem  zweiten  Standpunkte  wird  das  Abso* 
tute,  gan2  eHlsprechend  der  absolulen  Identität,  welche  im 
Processe  des  unendlichen  Sichdifferenzirens  in  ehemischen 
Unterschieden  doch  das  mit  sich  Identische  bewahrt,  das 
specifirende,  darin  aber  Eins  bleibende, Weltgeseti 
genamit  (§.  255.  S.  444  f.). 

Aber  es  möchte  damit  immer  noch  gefordert  sein,  das 
wahre  Verhaltniss  dieser  grossen  Entdeckungen  Sehet* 
lings  zu  einer  künftigen  Naturphilosophie  bestmimter  was* 
zusprechen,  als  es  bis  jetzt  gesdiehen  ist.  Von  der  Einen 
Seite  bilden  jene  Kategorieen  nnd  ewigen  6 rnn d- 
Verhältnisse  der  unorganischen  Natur  die  metaphysi- 
sche Vorbedingung  und  den  einigenden  Halt  des  Verstand«» 
nisses  für  aDe  die  grossen ,  auf  dem  Wege  der  Empirie 
gemachten  Entdeckungen  in  der  Physik,  wdche  seit  dem 
ersten  Hervortrelen  Sehe  Hing  s  dieser  Wissenschaft  eine 
beinahe  völlige  Umgestaltung  gegeben  haben;  durch  sie 
sind  jene  tiefgreifenden  Ideen  Sc  belli  ngs  nur  bestätig«, 
erläutert  und  weiter  entwickelt  werden.  Se  hat  er  das 
Recht,  sich  den  spekuhtiven  Propheten  der  ganzen  neneni 
Physik  zu  nennen ,  und  gewiss  ist  auch  in  den  reichen 
aphoristisch«m  Sätzen,  welche  der  DarsteUung  seiner  Nalnr- 


zum  Unlevscliiede  von  der  Natiiifhik>6o)>hie.       659 

Philosophie  eiagestreittsindf  noeh  Vieles^  was  einer  Ver-* 
leiblichung  nnd  Bekleidung  durch  die  mannigfacbste  bestd*- 
tigrende  Erfahrung  entgegengeht,  oder  was  iminittelbare  Prä- 
miwie  zu  solchen  weitem  Unt^suchongea  werden  kann. 

Dennoch  hört  danun  diess  Alles  nicht  auf,  nur  Meta- 
physik zu  sein  in  dem  scharfen  nnd  ausschliesseaden  Sinne, 
de&  dieses  Wort  bei  uns  hal.  Und  es  liegt  ebenso  im 
allgiemetnsten  Interesse  4^  ;Kterbeit  jdber  das  Formelle  der 
Philosophie,  sich  über  diese  w^hpe  Beschafienheit  nicht  zii 
täuschen,  als  es  dadurch  eivt  mogUch  wird»  eine  Zweideu«* 
ügkeit  oder  Utteutsehiedenheit  ^  welche  in  den  hisherigei^ 
Principien  der  Schelling^chen  {fatmphilosophie  zurückf- 
geblieben  ist ,  ynd  die  sieh  auch  in  da^  nachfolgende  Sy^* 
Stern  übersiedelt ,  ja  innerlichst  ihm  einveii^ibl  hat ,  in 
ihres  frühesten  AnzeicsheB  zu  e^tgreafen  und  zur  fintschei- 
dungr  zu  bringen^  Wir  fassen  die  Sache  an  äirem  conc»'e- 
testen  Ende ,  wie  eß  hier  igerpde  vorliegt. 

Wenn  die  neue  Cheogüe  seit  Ggy-Lussac,  Berze- 
1  i  u  s  u.  A.  nachweist ,  wie  die  äusserlich  unbesti^mbarcfi 
chemischen  VnteriS^hiede  sich  >auf  sehr  wenige  einfache 
Grundstolfe  zurückfiihren  lassen,  die  nur  nach  gewissen 
unveränderlich  bestimmten  Proportionen,  in 
festem  arittmetischem  VoiiiaUnisse,  mit  einander  sich  ver- 
binden ,  wie  .daher  ^alle  chemischen  Dilferenzen  nur  in 
quantitativer  JHaassversehiedenheit  der  Verbindung  je- 
ner Urstoffe  bestehen ;  so  entspricht  diess  durchaus  dex 
hier  entwickelten  Grtindansicht  der  Naturpfailosophie :  die 
specifiscben  Materien  sind  nur  versqhiedenß  Potenzen 
des  CohasionsverhMtnisses ;  in  jeder  Materie  sind  daher 
der  Potenz  nach  alle  andere  enthalten ,  jedes  Specifische 
kann  aus  jedem  werden  durch  Metamorphose  u.  s.  w. 
Und  metaphysisch  hat  Hegel  in  demBc^UFe  desMaasses 
auf  das  Bastimmteste  das  Ueberschlagen  des  Quantitativen 
in's  Quahtative  nachgewiesen  *)•     Dennoch  Ist  hier  ein 


*)  Hegels  Wissenschaft  der  Logik»   Werke   Bd.  III. 
ftS.  4'i0'f.$  TSl.  Ontotogie  S.  !!»• 


660  Idee  einer  Metaphysik  der  Natur 

wesentlicher  Unterschied  nicht  zu  übersehen.    Die  neuer« 
Chemie,  wenn  sie  auch  bis  an  die  finsserste  Gränze  ihrer 
Analyse  schon  vorgedrungen  wäre,  was  allerdings  sie  seihst 
noch  nicht  behauptet,  würde  doch  auch  dann  ein  Ur  qua- 
litativ e  s  ,  und  zwar  in  einer  specifisch  sich  ergänzen- 
den Mehrheit  desselben,   ein   geschlossenes  S}*- 
Stern  von  Urquali täten,  die,  wahrhaft  indecomponi- 
bei,  dennoch  ursprünglich  nichts  bloss  Quantitatives  sind^ 
anzunehmen  genöthigt  sein ;   ja   diese  Reduktion  aller  nur 
erscheinenden  oder  bedingten  Qualitäten  auf  solche  Qualiüls- 
fibsbluta  ist  der  wahre  und  letzte  Zweck  aller  ihrer  Ana- 
lysen.   Das  Vertrauen  auf  ein  Urqualitatives  .ist  die  Vor- 
aussetzung dabei,  und  die  Nothwendigkeit  eines  solchen  das 
eigentliche  Resultat. 

Und  diess  ist  zugleich  der  wahrhaft  begriffsmäs- 
s  i  g  e  Uebergang ,  den  in  seiner  Allgemeinheit  eben  die 
Heiaphysik  zu  vollziehen  hat:  es  ist  nicht  die  blosse 
Quantität,  das  Maass,  welche,  mit  sich  selbst  sich  multipii- 
cirend  oder  potenzirend ,  auch  nur  den  Schein  ein^  Qua- 
litativen hervorzubringen  vermöchte ;  so  ist  es  auch  nicht 
die  blosse^  qualitätslose  Identität,  welche  lediglich  durch 
verschiedene  Potenzirung  der  Cohäsion  die  specifischea 
Unterschiede  der  Körper  erzeugt ;  —  diese  Anlegung  sei- 
ner Sätze  hat  Sehe  Hing  indessen  nur  übrig  gelassen: 
—  sondern  das  Quantitative  überhaupt  ist  nur  die  Specifi- 
kationsform,  welche,  als  Form,  abermals  nicht  ausser- 
lieh  oder  accidentell,  wie  ein  besonderes  Princip,  zur  Qua- ' 
lität  hinzutritt,  senden^  welche  vom  Qualitativen,  als  dem 
Ursprünglichen,  Unzerlegbaren ,  sich  selbst  beigelegt  wird, 
d.  h.  es  setzt  sie  mit  seiner  Verwirklichung. 

Und  hieraus  erledigt  sich*  zugleich  die  andere ,  hier 
übrig  bleibende  Frage ,  welche  die  bisherige  Philosophie 
freilich  sich  kaum  zum  Bewusstsein  gebracht  zu  haben 
scheint,  wie  das  Universum,  an  sich  vollendete  Tota- 
lität, geschlossenes  Vernunftsystem,  zudem 
Nichts  mehr  hinzukommen,  von  dem  Nichts  hinwcggedacfat 
werden  kann ,  —  ein  Be^griff,  welchen  wieder  erweckt  zu 


zum  Unterschiede  von  der  Naturphilosophie.        661 

haben,  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sich  zum  hohen  Verdiensie  anrechnen 
kann  ,  —  zugleich  nun  dennoch  ebenso  unmittelbar,  link- 
en dl  ich  es  sei  in  intensiver,  wie  extensiver  Bedeutung? 
Es  sind  nur  die  unbcgränzbaren  Combinationen  der  Figur, 
der  Zahl  und  des  Maasses,  kurz  das  Formunendliche ,  wie 
es  die  Grpsscnlehre  nachweist,  was  jene  geschlossene  To- 
talität der  Kräfte  und  Specifikationen  zu  einem  iu's  Unbe- 
gränzte  sich  Wiederholenden  und  ModiGcirenden  macht. 

Dieser  Gegensatz,    und   zugleich    das  dialektische 
Verhältniss    der  Be  dingtheit    des   Quantitativen  durch 
das  Qualitative,    der  Form  vom  Realprincipe ,   ist  nun  bei 
Schelling    völlig  im    Unbestimmten    fl-elassen   worden. 
Diess  wäre  zuvörderst    ein  Mangel   seiner   metaphysi*^ 
sehen  Prämissen  für  die  Naturphilosophie :  aber  da  er  nicht 
^die  blosse  Metaphysik  einer  solchen ,    sondern   sie  selbst 
geben  wollte;   so  kommt  hier   noch  die  weitere  Ungöüüge 
dazu ,  jenes  Grundverhältniss  verkannt ,  und  das    für  den 
Charakter   eigentlicher  Naturphilosophie  uncrlassliche  real* 
philosophisclie  Element,  welches  nicht  durch  bloss  apriori- 
sche Konsljuktion  herbeigeschallt,  vielmehr  zu  ihr  voraus- 
gesetzt, eigentlicher  bis  in  die  Anschauung  (Erfahrung)  hin- 
ein aufgesucht   werden  muss,  in  seiner    durchgreifenden 
Verschiedenheit  von   jenem  gänzlich  übersehen  zu  haben, 
liier  ist  es  eben,  wo  alles  metaphysische  Denken  mit  Be- 
wusstsein  sich  die  Gränze  setzen ,  und  die  Anschauung  in 
sich  hineinlassen  soll. 

Diess  Alles  ist  nun  dem  allgemeinen  Principe,  wie  der 
einzelnen  wissenschaftlichen  Ausfuhrung  nach,  noch  unent- 
schieden ,  unentwirrt  geblieben  in  der  Schelling  sehen 
Darstellung:  aber  sie  selbst  ist  so  sehr  aus  realphiloso- 
phischer Anschauung  'geschöpft  und  von  ihrem  Hauche 
durchdrungen,  dass  sie  nicht  ausdrücklich  auf  die  gegne- 
rische Seite  gestellt  werden  darf.  Erst  im  Hege  Ischen 
Systeme  ist  bis  zur  bewussten  Einseitigkeit  fortgegangen 
worden ,  Alles  aus  der  Immanenz  des  Denkens  hervorge- 
hen lassen  zu  wollen ,  und  so  die  ganze  Philosophie  in 
Metaphysik  zu  verwandeln.    Aber  es  bedurfte  eines  so  cnt- 


662  Das  Lidit,  als  metamorphosäreDde , 

scheidenden  Henrorti'etens ,  um  dai'an  das  BewHssttmin  de^ 
Einseitigen  darin  hervoraarüfen,  welches  die  volle  Krisis,  die 
ScheldiiQg  von  Metaphysik  und  Realphilosophie,  herbeige- 
(Ohrt  hat,  deren  Vermischung  in  den  ersten  Principien  der 
Naturphilosophie  wir  hier  schon  bei  S  c  h  e  1 1  i  n  g  vrahmeh- 
men  konnten,  was  an  seiner  ersten  Quelle  sogleich  airige- 
deckt  werden  musste.  — 

Wir  kehren  in  den  nahem  Zusammenhang  seiner  na- 
tnrphilösophischen  Satze  zurück. 

Nicht  der  dynamische  Process  ist  das  Reelle,  Son- 
dern die  durch  ihn  gehetzte  dynamische  Totalität; 
denn  überhaupt  nur  die  Totalitat  ist  das  Reelle.  Umnitle]* 
bar  durch  diess  Gesetztsein  der  dynamischen  Totalitit  ist 
das  Hinzutreten  des  Lichts  zum  Produkte  ge« 
setzt:  denn  in  jener  ündet  das  Licht ,  das  ideelle  Prindp, 
seine  6 ranze  ($.  94.  vgl  mitS<  134.),  d.h.  es  bort  auf, 
ideell  zu  sein,  und  wird  reeU,  tritt  zum  Produkte  des  dyna- 
mischen Processes,  welcher  dadurch  eine  Totalität  zum 
Produkte  erhält«  Der  Ausdruck  derselben  ist  Licht,  mit 
Schwerkraft  verbunden  ($.  135.  136,  mit  Zu- 
sätzen)« 

Unmittelbar  durch  das  Gesetztsein  dieser  relativen  To- 
talität ist  die  Schwerkraft  als  blosse  Form  des  Seins  der 
absoluten  Identität  gesetzt ,  als  das  A  o  c  i  d  e  n  t  e  1 1  e ;  es 
ist  das  stets  neu  Producirte,  Ausdruck  der  hohem  Potenz, 
die  sich  in  ihm  darstellt ,  und  dadurch  eben  die  blosse 
Schwere,  a  1  s  solche ,  überwindet,  zum  AccidenteHen,  Vvh 
wesentlichen  herabsetzt. 

Die  ursprüngliche  Metamorphose ,  deren  Totalprodokt 
wir  bisher  erkannt  haben,  deutet  daher  das  allmähli- 
che Gesetztwerden  der  Schwerkraft  als  blosser  Form  der 
absoluten  Identität  bki;  A^,  oder  das  Licht,  ist  aber  die 
höhere  metamorphosirende  Potenz  derselben,^  wodurch  jene 
aus  ihrer  Ruhe  gerissen  wird,  und  nun  durch  magnetischen, 
elektrischen  ,  in  der  Totalität  durch  chemischen  Process, 
die  Potenzen ,  unter  denen  sie  gesetzt  ist ,  anfzuhebeo 
sucht. 


die  Sohwcrkra{t ,  als  metamorphosirte  Potenz.      663 

Als  Potenz,  oder  in  irgend  einer  Pqt^iv»  ffose^t,  kann 
sie,  da  sie  an  sieb  indifferent  ist ,  nur  nach  den  entge- 
gengesetzten Polen  dieser  Potenz  «gesetzt  sein ,  welche  als 
spccüisch  sich  ergänzende  gedacht  werden  müssen.  Diess 
Gesetz  gilt,  wie  alle  Gesetze  des  ^eins  der  absoluten  Ideu* 
iitat ,  |,in's  Unendliche^  (hier  wieder  die  begriffloso 
Unendlichkeit,  welche  schon  oben  bemerkt  wurde  1)  -^und 
zwar  sowohl  in  Ansdiung  des  Einzelnen,  als  des  Ganzen. 

Hier  fugt  sieh  sogleich  nun  unerwartet,  mit  der  bei- 
Sreiugten  Entschuldigung,  dass  man  »Sätze,  deren  Beweise 
Jeder  durch  eigenes  Nachdenken  finden  kann,  al$  Lehn- 
Sätze  aufstelle,^  —  der  Lehnsatz  an^  dass  die  entgegen- 
g-esetzten  Pole,  unter  welchen  die  Schwerkraft  auf  gleiche 
Weise  als  Form  der  Existenz  der  absoluten  Identität  ge^ 
setzt  ist  —  in  Ansehung  des  Ganzen  Pflanze  und 
Thicr,  in  Ansehung  des  Einzelnei^  die  Differenz  der 
Geschlechter,  —  überhaupt  also ,  dass  jenes  Total- 
produkt aus  Schwere  und  Licht  der  Organismus  sei, 
)&ugleich  als  A^  ($.  137-^141.  mit  Zusatz  L). 

Wir  können   das  Bekenntniss    dieser  Lehnsatzlicbkeit 
an  einer  Stelle ,  wo  ein  offenbarer  Sprung  in  ein  jenseiti- 
ges Gebiet   hinein    stattfindet,  nicht  anders  als  charakte- 
ristisch nennen.     Totalprodukt  aus  Schwere  und  Licht  in 
ihrer  tiefsten  Einigung  ist    der  Organismus   entschiedener 
Maassen  nicht;  ein  generisch  höheres,  eigentlich  ideelle^ 
Princip,  das  der  Vernunft,  senkt  sich  lüQrmit  dem  Ma- 
teriellen ein,  gerade  in  der  Potenz  es  aufnehmend ,  bis  zu 
welcher  Schwere  und  Licht  in  ihrem  wechselseitigen  Kampfe 
es  gebracht  haben ,   in  dem  elektrischen  und  chcmiscl|en 
Processe.    Gerade  deren  Produlite  ergreift  der  Lebenspro^ 
cess,  um  sich  aus  ihnen  seine  leibliche  Verwirklichung  zu 
erbauen ,  fiberwindet  sie  aber  damit  |  und   setzt  sie  zum 
blossen  Mittel  seiner  selbst  herab.    Und  so  betrachtet  gleich 
weiter  unten  Schelling  selber  diess  Verhältniss,  indem 
er  (S.  145.  Erklärung,   S.  114.)  hinzufügt,   dass  die 
Natur  durch  Cohäsion  und  Licht  nur  Grund  (Grundlage) 
ihres  Seins  als  A^  (Oiganismus)  sei,   so   wie   sie 


601  Der  Or^^nlsmiis. 

darin  wiedemm  Grand  ihres  Seins  in  einer  noch  hölieren 
Potenz  (offenbar  nur  als  Geist)  sein  möge.  Mithin  hat 
^icht^  in  diesem  Deduictionsversuche  nur  die  allgemeine 
Bedeutung  des  Ideellen ,  der  relativ  höhern  Potenz  über-* 
.haupt,  der  hier  noch  unsagbaren,  abstrakten.  Es  ist  Man- 
gel der  Klarheit,  nicht  Fehler  der  Grundansicht;  und  nur 
das  wäre  zu  rflgen,  dass  in  einer  durchgreifenden  Verwech- 
selung von  Producirendem  und  Grund,  der  Organismus  To- 
lalprodukt  aus  Licht  und  Schwere  genannt  wird ,  während 
diese  nur  die  Grundlage,  der  Möglichkeitsgrund  sind,  dass 
sich  aus  und  an  ihnen  das  organische  Leben  ver« 
wirkliche. 

Bestimmter  wird  dann  ($.  145.  Zusatz  2.)  dasVer«* 
hältniss  der  vorausgegebenen  Potenzen  zu  der  des  «Olga- 
nismus  dahin  angegeben ,  dass  diese  den  Organismus  nur 
von  Aussen  zurWirksamkeit  determiniren,  d.  h. 
(Erklärung  zu  $.  145.)  ihn  erregen,  reizen; 
wodurch  A^  in  der  Identität  von  A  ^s  B  im  Organismus 
als  Reizbarkeit,  der  Organismus  selbst  aber,  in  Bezug 
auf  jene  mitil^  gesetzten  niedern  Potenzen,  als  Indiffe- 
renzvermögen gesetzt  sein  muss. 

Hieraus  erhell!  nun,  sagt  Schelling  (S.  115.  116.)« 
dass  die  absolute  Identität  eben  so  unmittelbar  Ursache 
des  Organismus,  als  des  AmiAB  in  dem  primum  exi* 
$iens  Ist.  Der  Organismus  ist  daher  das  secundum 
existens:  (er  ist  relativ  auf  jenes  ebenso  unvermittelt 
und  unbedingt,  nur  durch  die  Urthat  der  absoluten  Identi- 
tät gesetzt ,  wie ,  relativ  auf  die  Existenz  überhaupt ,  das 
primum  existens  gesetzt  war.)  Da  aber  die  absolute  Iden- 
tität ,  als  unmittelbare  Ursache  des  Organismus ,  abermals 
Grund  ihrer  Existenz  ist,  so  stellt  sie  sich  hier  auPs  Nene 
nur  als  Schwerkraft  der  höhern  Potenz  dar. 

Durch  die  ganze  Reihe  geht  sonach  die  absolute  Iden- 
tität, als  Grund  ihres  eigenen  Seins,  sich  selbst,  sofern  sie 
existirt ,  voran:  durch  die  ganze  Reihe  begleitet  sie, 
gleichsam  als  das  mütterliche  Princip,  die  Schwerkraft, 
welche ,  von  der  absoluten  Identität  befrachtet ,  sie  selbst 


Der  Organismus.  665 

lienrorbringt.  Es  erheHl  ans  dem  Ganzen,  dass  der  Orgfa- 
nismus ebenso  ursprünglich  ist,  als  die  Materie;  aber 
auch ,  dass  es  ebenso  unmöglich  ist,  das  erste  Einschlagen 
des  Lichts  in  die  Materie  auf  empirischem  Wege  darzustel- 
len, als  das  erste  Einschlagen  des  ideellen  Princips  in  das 
reelle  überhaupt  (durch  den  ersten  SelbstverwirkKchungsakl 
der  absoluten  Identität  in  der  Materie). 

Hiermit  lässt  sich  von  dieser  Darstellung  S  ch  el I  i  n  gs 
aus  der  letzte  entscheidende  Blick  in  das  Ganze  des  Prin- 
cips thun.  lieber  den  Begriff  der  blossen  Indifferenz 
in  Bezug  auf  die  Potenzen  und  Gegensätze,  welche  aus  ihr 
hervortreten ,  Ist  die  absolute  Identität  in  Folge  der  Dar- 
stellung selbst  weit  hinausgelangt;  und  wenn  wir  gegen 
den  Anfang  jener  Darstellung  erinnern  mussten,  dass  dort 
das  Princip  dieser  Philosophie  zwischen  dem  Begriffe  der 
Identität  und  der  Indiflbrenz  unentschieden  zu  schwanken 
scheine :  so  hat  sich  durch  die  letzten  Erklärungen  diess 
völlig  und  unzweifelhaft  bestimmt.  Die  Identität  ist  jetzt 
nicht  mehr  bloss  Identität  der  in  ihr  gesetzten,  „existi- 
renden*,  Potenzen,  sondern  vor  jeder  wirklichen 
^Existenz^  ist  sie  alle  jene  Potenzen  schon  ideell  oder 
potentialiter  (yg].  S.  ISO.)?  d.h.  schlechthin  ewig 
und  seit  Anbeginn,  um  sie  in  wirklicher  Existenz  sein 
zu  können.  „Wir  können  uns^  sagt  S  c  h  e  1 1  i  n  g  (a.  a.  0.) 
^die Organisation  gar  nicht  als  entstanden  denken  a-us 
dem  Unorganischen,  sondern  als  vom  Anbeginn, 
wenigstens  potentia  gegenwärtig.^ 

Was  von  dieser  Potenz  CA^}  Schelling  ausdrück- 
erklärt^  muss  von  ihnen  allen  gelten :  sie  sind  präexistent 
in  der  (im  Stillen  dabei  vorauszusetzenden)  eigenen  ideell- 
realen  Präexistenz  der  absoluten  Identität :  diese  ist  selber 
das  ewig  vollendete  Vorbild  dieser  geschlos- 
senen Potenzenreihe,  welche  „existent^  werden,  zur 
objektiven  Wirklichkeit  gelangen  können  nur  dadurch,' 
das  i  sie  ewig  und  vollendet  in  ihr  s  i  n  d.  U  o  b  e  r  d  i*c 
eigene  „Existenz^  hinaus  hat  daher  die  abso- 
lute   Identität   selbst   ein   potentiales,  aber 


666     Erste  Anklänge  einer  Transscendenz  des  Absoiuleo. 

•desshalb  um  nichts  weniger  reales  und  we- 
senhaftes Dasein,  weil  sie  nur  so  Grund  aller 
Realität  zu  sein  vermag. 

Diess  sind  die  Prämissen,  «^  ob  deutlich  hier  schon 
von  Schellin g  gedacht,  ob  nicht,  lassen  wir  unentschie- 
den, —  welche  wir  dennoch  als  die  letzte  Konsequenz 
solchen  Aeusserungen  zu  Grunde  legen  müssen,  wie  wir 
sie  angefiihrt.  Und  hierin  kündigen  sich  allerdings  zum 
ersten  Haie  die  Spuren  einer  Transscendenz  im  Begriffe 
des  Absoluten  an,  welche  wir  bisher  vermissten.  Aber  so, 
wie  sie  vorliegen ,  keimartig  ,  zweifelhaft  ,  der  ungewiss 
nachspfirenden  Deutung  überlassen ,  können  sie  zwar  un- 
sere Aufmerksamkeiten  leiten  bei  dem  weitem  Verfolge 
von  Schellings  Ansichten ;  aber  sie  können  nicht  für 
den  Anfang  einer  wissenschaftlichen  Ausfuhrung  jenes  Be- 
griffes gelten.  Daher  sind  sie  auch  in  der  Schule  Sc  hei* 
lings,  und  bei  der  nächsten  Nachfolgerschaft  desselben  in 
Hegel,  ohne  stetige  Ausfuhrung  geblieben. 

Der  Rest  der  S ch eil ing sehen  Darstellung,  welche 
wir  bisher  zu  Grunde  legten ,  enthält  nur  noch  wenige 
wichtige  Bestimmungen,  deren  weitere  Ausführung  hier  schon 
einiger  Maassen  an  das  schematisirende  Vergleichen  und  Pa- 
rallelisiren  zu  streifen  scheint  (z.B.  $.  152.  mit  Zusatz: 
S«  155.  157.  u.  s.  w.)  ,  welches  die  Schule  späterhin  oft 
für  philosophische  Konstruktion  selbst  ausgegeben  hat. 

Die  unorganische  Natur,  als  solche,  existirt  nicht; 
denn  das  einzige  An  sich  dieser  Potenz  ist  die  Totalität, 
d.  h.  selber  der  Organismus.  Die  sogenannte  unorgani- 
sche, Natur  ist  daher  wirklich  organisirt ,  und  zwar  für 
die  Organisation,  gleichsam  als  das  allgemeine  Samenkorn, 
aus  welchem  diese  hervorgeht. 

Die  Weltkörper  sind  Organe  des  allgemeinen 
anschauenden  Principes  der  Welt,  oder  der  abso- 
luten Identität.  —  Wie  das  anschauende  Princip  der  Welt 
sich  im  Weltkörper  individualisirt ,  so  das  des  Welt- 
körpers im  Organismus,  den  es  aus  sich  hervorbringt. 
—  Die  Organisation  jedes  Weltkörpers    (z.  B.  der  Erde) 


Zweideutigkeit  in  diesem  Principe.  —  Oken.        667 

Ist  daher  das  herausgekehrte  Innere  dieses  WeltkörpcrS 
selbst,  imd  durch  innere  Yerv^andlong   (z.  B.  der  Erde) 
gebildet.    Die  Erde  selbst  wird  Thier  und  Pflanze,  und  es 
ist  eben  die  zu  Thier  und  Pflanze  gewordene  Erde  ,    die 
wir  jetzt  in  den  Organisationen  erblicken.     Die  jelzl  vor 
uns  liegende  unorganische  Materie   ist   freilich  nicht  die, 
woraus  Thiere  und  Pflanzen  geworden  sind ;    denn  sie  ist 
vielmehr  dasjenige  von  der  Erde  ,   was  nicht  Thier  und 
Pflanze  werden ,  oder  sich  bis  zu  dem  Punkte  verwandeln  ' 
konnte,  wo  es  organisch  wurde:   es  ist  das  Residuum  der 
organischen  Metamorphose ,   welche  mit  der  Erde  vorge- 
gangen ist.    CS«  148.  149.  1.  2.   $.  153.  Erläuterung 
».  120.  21.) 

In  dieser  Darstellung  erblicken  wir,  —  von  manchem 
andern  speciellern  Bedenken  abgesehen/  —  dem  allgemein 
nen  philosophischen  Ausdrucke  nach,  dieselbe  Zweideutig* 
keit ,    denselben  Mangel    der  Unterscheidung  von  Grund 
(Unterlage)  und  Hervorbringendem  (Princip),  welchen  wir 
schon  bei  der  Deduktion  des  A^  oder  der  Potenz  des  Or- 
ganismus erwähnen  mussten.     Er  hat  auch  nicht  unterlas- 
sen, in  der  naturphiiosophischen  Schule  selbst  seine  Früchte 
zu  tragen,  und  (um  einer  neuerlich  aufgebrachten  Bezeich«* 
nung  uns  zu  bedienen)    auch  hier  eine  rechte  und  linke 
Seite  derselben  sich  bilden  zu  lassen.     Dem  unmittelbaren 
Sinne  nach  ist   hier  die  höhere   Potenz  schon  in  der  nie- 
dern  enthalten;  sie  selbst  steigert  sich  zu  derselben:    das 
Organische  ist  nur  der  höhere  Ausdruck   des  Unorgani-» 
sehen,  der  Geist  endlich  nur  die  höchste  Blüthe  der  Schwere 
und  des  Lichtes  ,  das  höchste  Produkt  der  Metamorphosen 
der  Erde.    Wir  brauchen  nur  an  die  naturphilosophischen 
Darstellungen  von  0  k  e  n  zu  erinnern  ,  um  diese  Richtung 
damit  hinreichend  bezeichnet  zu  haben. 

Aber  sie  ist  gerade  entgegengesetzt  der  wahren  S  ch  el- 
lin g  sehen  Ansicht:  die  höhere  Potenz  ist  vielmehr  das 
schlechthin  Jenseilige  für  die  niedere,  das  nicht  aus  ihr  zu 
Erklärende  oder  zu  Gewinnende,  das  über  sie  kommt  und 
sie  sich  unterwirft  zu  einer  schlechthin*  neuen  und  hohem 


668  Steffen». 

Crestalt  de»  idealen  Prinoips ,  welches  d«s  ^Siegreichem  i  n 
Allem  ist  und  durch  Alles  hindurch.    So  zweifelsohne  der 
wahre  Sinn  der  S  c  h  e  11  i  n  g  sehen  Potenzenlehre ;  aber  die- 
ser Sinn  ringt  hier  zweifelhaft  und  unentschieden  mit  sei- 
nem  direkten  Gegentheile,  ja  er  vergreift  sich  dahin,  Aus- 
drücke aus  diesem  Gegentheile  zu  nehmen.    £rst  Stef- 
fens hat   das  grosse  und  eigenthämliche  Verdiensl^  die 
naturphilosophisch0  Grundansicht  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s   ia|  diesem 
'  Punkte  zur  Entschiedenheit  fortgebildet  zu  haben :  es  macht 
das  -^  in  gewissem  Sinne  auch  metaphysische  —  Resqllat 
seiner  Anthropologie  aus,   an   den  concreten  Stufen 
des  organischen  Lebens  nachgewiesen  zu  haben,  wie  jede 
y,Potenz<^  in  derselben  ein  specifisch  Neues  und  Jenseitiges, 
durch  keinen  blossea  Uebergang  aus  der  vorigen  Stufe  zu 
Erklärendes ,  eine  völlig  neue  Schöpfung  enthalte ,  die  das 
Ungeahncto  und  nur  Anzuerkennende  aufweist.   Steffens 
hat  dabei  ■  mit  einer  tiefen  und  weitreichenden  Analogie  an 
die  Eingebung  des  Genius  im  Geistigen  ,  in   der  höchsten 
Beziehung  an  das  Wunder  erinnert ,    wodurch   das  Uner- 
wartete^ durchaus  mit  dem  Vorhergehenden  nicht  in  Con- 
tinuität  zu  Bringende,  sich  begiebt.    Seist  nicht  Steigerung, 
sondern  Ueberwindung  des  Niedern   durch  ein  Höhe- 
res, der  wahre  Sinn  der  Potenzen;  dadurch  zeigt  sich  aber 
der  ganze  Begriff  derselben  unzureichend,  und  die  weitere 
Entwicklung  der  Wissenschaft  hat  ihn  zurücknehmen  müs- 
sen aus  tiefem  Gründen,  als  den  bloss  „förmellen<^.    Nicht 
das  Niedere  potenzirt  sich  zum  Uöhern  in  ursprunglich  un- 
unterscheidbarer  Identität  des  Idealen  und  Realen,  —  was 
wieder  der  Rückfall   in   den  Begriff  der  Indifferenz  wäre, 
—  damit  das  Ideale  so  erst  wirklich  („existirehd^)  werde: 
sondern  das  Ideale  ist  selbst  das  Ursprüngliche  und  Wirk- 
liche, das  schlechthin  Anfängliche  ,   welches  sich  nur  dem 
i\  ledern  eingebiert,  es  von  Stufe  zu  Stufe  überwindend  und 
endlich  zum  gelungenem  Gegenbilde  seiner  selbst  erhebend. 
Diess  die  hier  noch  dunkel  bleibenden,  aber  kaum  zwcifel- 
hallen  Prämissen,  welche  Schell  in  g  vorschwebten,  aber, 
in  seinem  Entbehren    aller  melapbysischon  Yorbegruiidmig) 


Schcllintrs  Defininon  der  Nitur.  669 


•p» 


weder  freien  Ausdruck ,  noch  die  rechte  AnsdrBcklichkeil 
der  Form  und  der  Begriffsmissigkeit  haben  finden  können. 
Wie  sie  in  seinen  nächsten  Werken  und  endlich  auf  der 
Höhe  seiner  Weltonsicht  sich  gestaltet  haben ,  wird  die 
weitere  Folge  zeigen. 

Wir  beschliessen  diesen  Abschnitt  der  Sc  hei  11  ng- 
sehen  Darstdlung  mit  der  Definition ,  welche  er  darin  von 
der  Natur  giebt,  und  die  er  noch  in  einer  spätem  Schriß, 
in  welcher  er  über  den  ursprunglichen  Standpunkt  derNa«- 
turphilosophie  schon  hinausgeschritten  war*),  als  die  erste 
urkundliche  bezeichnet  und  wiederholt. 

Zuerst  wurde  ($.  61.  der  angeführten  Darstellung)  die 
Natur  bestimmt,  als  die  absolute  Identität,  insofern  sie  un«- 
ter  der  Form  von  A  und  B  (als  das  Ideelle  überhaupt  in 
Gestalt  der  Unmittelbarkeit ,  der  Realität)  actu  existirt 
Nun  existirt  sie  aber  als  solche  nur  in  der  Cohäsion  und  dem 
Lichte  (als  A^  undil^).  Da  sie  aber  durch  beide  Grund 
ihres  Seins  als  A^  ist ,  und  da  sie ,  als  il^ ,  Grund  ihres 
Seins  in  einer  noch  hohem  Potenz  werden  kann  —  A^  ist 
aber,  wie  bekannt,  der  Organismus ;  —  „so  werden  wir  all- 
gemein sagen  können:  wir  verstehen  unter  Natur  die  ab- 
solute Identität  überhaupt,  sofern  sie  nicht  als  seien d, 
sondern  als  Grund  ihres  Seins  betrachtet 
wird,  und  wir  sehen  hieraus  vorher,  dass  wir  alles  Na- 
tur nennen  werden,  was  jenseits^  (d.  h.  unter,  als  be- 
dingende Gmndlage  ihrer  Existenz)  „des  absoluten 
Seins  der  absoluten  Identität  liegt.«  (S- 145.  Erklärung 
S.  114.) 

Jene  „höhere  Potenz«,  als  deren  Grund  der  Organis- 
mus bezeichnet  wjrd,  ist  die  ideelle  Reihe  der  geistigen, 
am  Menschen  sich  verwirklichenden  Funktionen.  In 
diese  Reihe  und  in  die  menschliche  Verwirklichung  müsste 
daher,  nach  dem  bisherigen  Zusammenhange,    ,,das  ab- 


*)  Schell ings  Denkmal  der  Schrift  von  den  gutU 
liehen  Din{;en  des  Herrn  Fr.  H.  Jacobi  a.  s.  w.  1811. 
S.  o*  "o* 


670  Dts  Jenseitige  dcfr  Nfttur« 

solute  Sein^  <tar  absoluten  IdenlitSi  fidlen*  Avdi  M 
kein  Zweifel,  was  nach  den  vorl&oSgen  ErUiningen  S  chel« 
lings  (Darstellung  S.  C27.)  untar  Soleier  absoluter  Ezi» 
sienz  der  absoluten  Idratitat  (zngitich  der  höchsten 
Potenz)  hier  zu  verstehen  sei.  Die  ideelle  Reihe  ,  stgt 
er,  soH  in  künftigen  Darstellungen  durch  die  drei,  in  Anse« 
hung  des  ideeUen  Faktors  positiven,  Polenten  bis  rar  Kon-* 
struktion  des  absoluten  Schwerponkles  geführt  werden ,  In 
welchen,  als  die  beiden  höchsten  Ausdrücke  der 
Iftilifferenz,  Wahrheit  und  Schönheil  fnilen. 
(Etwas  anders  und  weiter  ausgebildet  in  dem  das  ganze 
System  vorbildenden  Schema  der  Potenzen :  vergl.  A  p  h  o« 
ri£men  zurNaturpfailosophie  in  der  Zeitschrift 
für  Medic in,  Bd.  I.  H.  1.  S.  66.)«  In  ämra  ist  also  das 
der  Natur  durchaus  jenseitige  Sein  der  absduten  Idenlitit 
erreicht,  oder  um  die  im  Denkmal  gegen  Jacobi  vor- 
kommende Unterscheidung  zwischen  Deus  impliciius 
und  explicitus  hier  aufzunehmen:  in  Wahrheit  und 
Schönheit  oder  Wissenschaft  nnd  Kunst  ist 
Gott  entwickelt  oder  eigentlich  wirklidu  Diess 
von  hieraus  die  einzig  zulassige  Deutung. 

Gegen  diese  und  ihre  Konsequenzen  hatte  nick  aber 
Jacobi  gerade  in  der  Schrift  erklärt,  welche  4as  „Denk- 
mal^ bekämpft:  er  haUe  das  Sys^m  a}s  Identificirung Got- 
tes mit  der  Natur  (derWeUwirkUohkeit)^  und  so  als  athen 
stisch  bezeichnet;  in  jenem  Sinne  offeiriMr  mit  Recht, 
sofern  er  dabei  die  ältere  wissensdiaftliche  DaffSteUw^  im 
Auge  hatte  und  die  scheinbar  exoterischen ,  an  sich  aber 
schwierigern  und  unbestimmteren  Darstelbingeii  in  Schel- 
lin gs  «Phäosophie  und  Religion^  und  in  seiner  Abhand- 
lung „über  die  Freiheit^  bei  Seite  liess. 

Um  so  merkwürdiger  ist  es  nun  zu  sehen,  in  weichem 
Sinne  Schelliag  jenen  alten  BegrüF  der  NaUnr  gerade 
gegen  Jacobi  glaubt  wenden  zu  können,  und  was  er  sel- 
ber zur  weitern  Erläuterung  desselben  beifügt  (Denkmal 
S.  6.).  Zuvörderst  sei  Natur  (in  engerer  Bedeutung)  und 
Naturphilosophie  immer  bloss  als  die  eine  Hälfte-  des  Gan- 


SchoUings  spätere  Erkürungen  •   671 

Een  beseichitel  worden ;   den  reellen  tlieile  sei  der  ideale 

entg^egenzusetzen :  eine  Aushalft,  weiche  den  eigentlichen 

Sinn  von  Jacobi's^  Einwarf  kaum  beseitigt  haben  dürfte; 

denn  nicht,  dass  Qeit  im  Measthen,  in  Wissenschaft  und 

Kunst  erst  seine  iiochste,  vdllig  adäquate  Wirklichkeit  sich 

^ebe,  -^  nicht  diese  „Seilet  vermissl  er  am  Scheliing-« 

sehen  Systeme ,  sondern  das  verwirft  er ,  dass  Gott  seine 

Wirklichkeit  nur  in  der  Natnr (Welt),  in  der  Potenzenreihe 

des  Realen  und  Idealen^  haben  solle.  Weiter  jedoch,  als  bi^ 

zu  diesem  Resultate,   reicht  die  angef&hrte  Definition   der 

Natur  nicht ;  und  schwerlich  ist  sogar  anzunehmen ,  dass 

Seh  ellin  g  selbst   bei  der  ersten  Aufstellung  derselben 

einen  andern  Sinn  fSr  zulässig  gehalten  haben  wfirde,  noch 

weniger  die  nachherige  Deutung  beabsichtigt ,  oder  mch 

nur  mithineinvcrslanden  habe. 

Um  so  merkwürdiger  und  durchaus  bedeutungsvoll  ist 
es,  dass  zehn  Jahre  später ,  im  „Denkmal^  dieser  andere 
Sinn  als    der  ausschliessliche  und   allein  gemeinte  auftritt 

—  ein  Zeichen,  wie  tief  und  durchgreifend  Seh  eil  in  g 
seine  Principien  seitdem  umgestaltet  hatte,  ohne  dass  es 
ihm  freilich  gefallen  hätte,  diese  umgestaltende  Wirkung 
audi  ausdrucklich  gegen  seinen  Anfang  zurückzuwenden. 

Die  angeführten  Worte  der  Definition  (sagt  er,  S.  7.) 
bestimmen  zugleich ,  was  ausser  der  Natur  ist  Natur, 
behaupten  sie ,  ist  Alles ,  was  (vom  höchst^i  Standpunkte 
der  schon  seienden  absohiten  Identität)  jenseits  dieses 
ihres  absoluten  —  nämlidi  subjektiven  ^-  Seins  liegt 

—  («Subjektives  Sein<^  d^  absoluten  Identität  konnte  bis 
jetzt  nur  bedeuten  ihre  Verwirkhchung  in  der  höchi^n 
Potenz  der  Idealität ,  also  überhaupt  innerhalb  der  Po» 
tenzenreihe.)  —  „Dasselbe,  vom  Standpunkte  des  Menschen 
ausgedrückt,  würde  so  lauten  müssen :  Natur  ist  Alles,  was 
für  uns  die  SS  seit  8  der  seienden  absoluten  Identität, 
diessseits  ihres  fabsoluten,  nämlich  subjek«- 
tiven,  Seins  liegt  Daraus  erhellt,  dass,  die  Natur 
oder  auch  unsere  eigene  gegenwärtige  Exi- 
stenz  zmn  Standpunkte   angenommen ,    die  seiende 


672  über  diess  Veriiftltniss. 

absolute  Identität,  d.  h.  Gott,  als  Subjekt,  eia  Jen« 
seits-,  also  woU  auch  ein A asser •*  und U eher-  der 
Natur  sein  muss^  (a.  a*  0.  S.  8.)- 

Durch  diese  Wendung  ist  plötzlich  AUes  anders  ge- 
worden. ,^atur^  umfasst  jetzt  zogleidl  auch  die  ideelle 
Reihe  der  Potenzen,  wie  sie  sich  im  Menschen  verwirklicht 
hat,  ,|Unsere  eigene  gegenwärtige  Existenz^ 
also  überhaupt  die  ganze  Potenzenreüie :  —  und  nach- 
dem jenem  Begriffe  diese  neue  Bedeutung  subsUtuirt  wor- 
den ist ,  welche  freilich  in  ausdrücklichem  Widerspruche 
steht  mit  dem  ursprünglichen  Sinne  und  der  Konsequenz, 
innerhalb  welcher  sich  dieser  ergeben  hat,  —  so  kannte 
mit  einigem  Scheine  des  Rechtes  behauptet  werden, 
schon  aus  der  Definition  der  Natur  folge  eine  Jensei- 
tig k  e  i  t  des  absoluten  Seins  der  Identität  (ur  dieselbe, 
—  oder  Gottes  Sein  liege  ausser  und  über  allen  Poten- 
zen ,  nicht  aber  als  deren  blosse  Indifferenz. 

Dennoch  war  für  jeden  genauem  Kenner  von  S  c  h  e  1- 
1  i  n  g  s  Systeme  diese  Sinnvertauschong  nicht  schwer  zu 
entdecken:  sie  lag  bei  einer  Yergleichung  der  ursprüng- 
lichen Worte  und  der  gegenwärtigen  zu  nahe.  So  konnte 
sie  leicht  als  ein  direktes  £ingestandniss,  ja  als  sophisti- 
sche Ausflucht,  gedeutet  werden,  und  hätte  Jacobi'n  bei 
der  Richtung  auf  die  Gesinnungen  seines  Gegners ,  welche 
er  seiner  Polemik  gestattete ,  leichtgewonnenes  Spiel  ge- 
geben ,  wäre  dieser  nicht  auch  hier  mit  zu  geringer  Spe- 
ciaikenntniss  der  Lehren,  die  er  bekämpfen  wollte,  in  den 
Streit  gegangen«  Wir  selber  sind  jedoch  schon  darum  weil 
entfernt,  hier  eine  Absichtlichkeit  Schellings  zu  ver- 
muthen ,  weil ,  von  allen  tiefem  Gründen  abgesehen^  eine 
solche  Absichtlichkeit  gerade  sich  mehr  verhüllt  hätte.  Es  ist 
die  aufrichtige  wissenschaftliche  Meinung  Schellings,  wel* 
che  sich  hier  ausspricht ;  und  die  vollgenügende  Erklärung 
dieses  zunächst  seltsam  scheinenden  Wechsels  wäre  wohl 
darin  gegeben ,  dass  er  sich  allmählich  so  weit '  ent- 
fernt hatte  von  seinem  ersten  Standpunkte,  oder  dieser 
so  sehr  von  ihm  erweitert  worden  war,  dass  der  Ursprung- 


Verhältaiss  Scheliings  und  Jacobi'^.  67.3 

liebe  Sinn  desselben  mit  der  hohem  Bedeutung^  welche  ihm 
die  spatere  Ansicht  gegeben  hatte  ^  tinwilMhriich  und  un<> 
gesondeti  susammfenschiüobk  Das  frühere  System  er-* 
sekeini  dem  Weiteigeschrittenen  fast  nothwendig  in  einem 
andern  Lichte ,  weil  er  nun  zugleii^h  in  das  Rrfifaere  hin«- 
eiiischaut ,  Was  ihm  daAlus  geworden  ist ;  — *>  und  ganz 
Aehnliches  hat  sich  taeh  bei'  Fichte  in  Bezug  auf 
seine  beiden  Standpunkte  etgeben^  -^  ohne  dAss  sich 
freflich  für  Schelling  die  ellgemeine Ferderung  dadorck 
erledigt  hätte  ^  mit  wissetDschafUichem  Bewusstsein  und 
Klariieit  den  lösten  Standpimkt  in  seinra  b&hem  hin^ 
äberzafiihren. 

Hiernacb  liesse  sich  der  keinesweges  bisher  ssilm  End-» 
nrtheii  gediehene  Streit  zwischen  Jacobi  und  Schek 
nug  iii  folgender  Weise  schlichten,  die  bt^ide^Theile  itt 
ihr  Redit  zurückzustellen  geeignet  sefaeiikt: 

Jacobi  hatte  in  seiner  letzten  poleihischen  Schrift 
—  ohne  freilich  damit  zti  deh  Beschnldigmigeli  des  Athei^ 
mus,  kaum  nur  des  Pimtheismus,  überhauj^t  abm*  keine&>- 
weges  zu  Anklagen  berechtigt  zu' sein,  die  einen  philoso-^ 
phischeb  Standpunkt  nidht  widerlegen  können  -^  in 
Schellings  System  seilen  anfSkigUcken  Sinn  und  seine 
ihatsacUidi  ausgeprägte  Wirkung  auf  die  damalige  Zeil 
bekämpft  und  beide  unstreitig  in  ihren  allgemeinen 
Grundzugen  richtig  diarakterisirt»  Seine  Polemik  wird  im- 
mer ein  bedeutendes  Aktenstück  gegen  den  naiuralisti* 
sehen  Pantheismus  der  damaligen  Zeit  bleiben,  gleichwio 
jetzt  die  Epoche  des  s  p  iri  tua  1  isti  s  eben  Pahtheismus  sick 
ihrem  Ende  naht,  und  ähnliche  Protestationen  gegen  sich 
hervorgerufen  hat.  Freilidi  hatte  sich  Schelling  voil 
jenem  losgesagt,  und  war  durch  seine  letzte  grössere  Schrift 
über  die  Freiheit  auch  spekulativ  ausdrücklich  über 
seine  Prämissen  hinausgeschrittra ;  dennoch  war  er  attf 
einem  seiner  Durchgang^unkte  der  unstreitige  Urheber 
desselben  in  einigen  oft  grellen  Nachwirkungen  bei  Andena 
geiforden;  und  Jacobi'sErklärungeu  bezogen  sich  langd 
nicht  aufSchelling  altein  oder  uusscUiessend ,  wiewohl 

43 


674  Vertiillntss  ScheiiUig:s  und  iacobrs. 

f  te  alles  Ernslefl  darauf  ausgingen ,  ihn  für  jene  Friniiiasea 
fefantwortlich  zu  machen. 

SohelUng  an  seinem Theile,  voll  von  dem  Bewussi- 
sein ,  weich  einm  Weg  der  Sdbstentwiddung  er  schon 
nrfickgd^gi  habe  seit  jenen  eralen  Darartellungen^  and  ge- 
rade damals  in  tier  Arbeit  begriffe» ,  den  TheiwMis  aus 
der  Tiefe  der  firkenntniss  auf  nmÜEissende ,  weil  bhI  den 
Dnrkhchttn  Uaiid  in  Hand  gehende  Weise,  nen  zu  begri»- 
dfn,  Jtonttte  den  damals  gegen  ihn  gerichteten  Angriff 
war  verspätet  oder  unzeüig  finden  nach  seiner  Schritt  ober 
die  Freihdt;  aber  enpöüen  mossie  ihn  die  Art  Asssei- 
ben, welche  darauf  gerichtet  schien,  seine  ganze  Wirksam- 
keit auf  die  Nation  f&r  immer  m  Uhmen.  Wie  er  geant- 
wortet ,  ist  bekannt  genogc  es  war  zur  Erwiedenng  des 
«oraiisohen  Angriffes  aUefdings  auf  eine  lilterarisc&e  Ver- 
nichtung seines  Gegners  abgesehen ;  Aer  er<  konnte  seiner 
Abwehr  nur  dadurch  «tea  Sieg  zuwenden ,  und  diesen  zum 
Triumphe  vollenden,  wnnn  el*  den  fragmentarischen  Bridirnn- 
fen  über  das  WissenschafUloiie,  w^hes  sein  ,,Denknia!^  ent- 
hielt, ein  vollstindiges  Werk  hätte  folgen  lassen^  wdches 
den  Sinn  jener  aphoristischen  Behauptungen  tiefer  t^egrm- 
det  und  von  der  Xweideutigkeit  befreit  hätte ,  die  ihnen 
dort  noch  anhaftet :  und  katrni  kann  geleugnet  werden,  dass 
«eit  jener  Zeit ,  bei  dem  fortgesetzten  Schweigen  während 
an  vieler  VeranlasBungen  zmn  Reden,  der  Zweifei  an 
SthellingRamn  gewonninhat,  und  seitdem  mit  immer 
stärkeren  Schatten  seinen  Ruhm  und  sein  unsterbliches  Yer- 
dimist  zu  umhüllen  suchte^ 


Der  strenge,  dnrch  dä$  System  selbst  vorgebildete 
Zusammenhang  scheint  zu  fordern,  jetzt  zur  Konstndction 
der  idealen  Reihe  übefzugeben  nnd  so  heranzuziehen,  was 
in  Schellings  spätem  Weichen  — in  Ami  gVorlesnn- 
gen  über  die  Hethnde  des  akademischen  Stu- 
diums« in  „Philesophie^  nnd  Religion«  imd  in 


Fernere  Scbriften  der  awellen  Epoche.  075 

der  Abhandlmig  „über  die  Freiheit«,  mehr  firagmenia-» 
riseh,  als  ausgeführt,  und  keinesweges  au  die  vorige  Dar* 
Stellung  genau  ^ich  anschliessend ,  dartter  gegeben  ist. 

Dennoch  würden  wir  dadurch  eine  grosse  Lücke  in 
der  Fortbildung  des  Systemes  übrig  lassen,  welche  jenes 
NichtonscUiessen   des  Spätem   an  das  Freiere   nicht  nur 
voUstfindig  erklärt,  sondern  sogar   su  einem  berech^gt^n 
und  notbwendigen  macht.    Der  Drang  nach  Vorwftris,  zm 
Fortsetzung  jener  Koiüstruktionen  ans  der  ideellen  Reihe, 
stockte  plötalich  inSchelling;  er  wandte  sich  gegen  die 
Allgemeinheit  seines  Principes  znraek,  indem   er  es  tiefer 
zn  begründen,  freier  in  seine  Gewalk  zn  bekommen  suchte ; 
und  lüer  beginnt  die  Reihe  jener  denkwürdigen  Sehriftai 
nnd  Abhandlungen  zwischen   den  Jafarm  1802-^1806^  die 
er  in  unglaublidi  rascher  Fcdge  erscheinen  liess,  ohne  dass 
die  Fülle    den  mannigfachsten  Produktion  ihrer  Hefe'  und 
Kraft  Abbrnck  gethan  hätte.    Durch  diese  gelang  es  ihm 
erst ,  nicht  durch  seine  frühem  DarateUnngen  ,  vor  steh 
selbst  und  vor  den  Mitphilosophirenden  s«n  Princip  in  rol«* 
1er  Klarheit  auszusprechen,  nnd  durch  dasselbe  die  gewal- 
tige Umschaffung  der  wissenschafUicben  Denkweise  au  ei^ 
ringen ,  Welche  der  Kantiscfaen  Grundansicbt  im  Spekn- 
httiven,  und  ebenso  der  gewöhnlichen,  rationell  empirischen 
Behandlungsweiae  der  Erfahrai^fswissenschaften  nach  vor* 
aus  angenommenen  Reflexiondiestimmnngen  ein  Ende  ge- 
macht hat.    Hierher  gebdren  besonders  seine  Abhandlun- 
gen in  der  Neuen   Zeitschrift  für  spekulative 
Physik  (3  Hefte  1802^1803.)  ^von    der  höchsten 
und  absoluten  Erkenntnissart^  (Ueftl.S.  1-— 82.) 
der  beweis,    dass  es  einen  Punkt'gebe,   wo 
das  Wissen   um  das  Absolute  und   das  Abso- 
lute selbst  Eins  sind^  und  ^ie  Idee^esAbso^ 
luten^  (S.  34 — 77.):  j^von   der  philosophischen 
Konstruktion  oder  von   der  Art,    alle  Dinge 
im  Absoluten   dari^ustellon«   (Heft  2.  8.  3— 50.>. 
Ebenso  sind  hi«  anzuffihren  seine  Vorlesungen  über 
die    Methode    des    academischen    Studiums 


676  Weitere  Begrändimg 

(Zweile  Ausgabe  1813.)  besonders  die  über  die  Na^» 
iurwissenschaft  im  Allgemeinen  (S.  242.  fll) 
und  über  das  Studium  der  Physik. und  Chemie 
(S.  263.) ;  endlich  in  Bezug  auf  das  Verhältnis«  des  Erki^inens 
zum  Sein,  des  Apriorischen  zum  Empirischen,  des  Idealist 
mus  zum  Realismus  und  alle  damit  verwandten  Fragen, 
S  c  h  e  1 1  i  n  g  s  Streitschrift  gegen  Fichte  (Darlegung  dea 
wahren  Verhältnisses  der  Naturphilosophie  zur  verbesäer« 
ten  Fichte'schen  Lehre  1806«  S.  33.47.50  ff.  u.  s.  w.). 

Der  HaupU  und  Cardinalirrthum  jener  spekulativen  An- 
sicht ,  wie  der  Voraussetzungen ,  welche  der  Empirismus 
zur  Wissenschafk  hinzubringt,  besieht  in  der  doppelten  An^ 
nähme :  d  o  r  t  ^  dass  das  Ewige^  die  Ideen  ein  dem  Unmil- 
telbaren,  Endlichen  Jenseitiges,  erst  durch  Denken  zu 
Gewinnendes  seien  ,  und  dass  sie  diesem  sogar  über- 
schwänglich,  transscendent  bleiben :  hier,  dass  man  durdi 
die  Annahme  bedingter  Ursachen,  Kräfte ,  Malerien  o.  dgL 
eine  Naturerschdnuug  wirklich  erklären  Zu  können  meine. 
Beidem  hat  Sehe  Hing  sein  einfach  grosses  Princip  ge« 
genübergestellt ,  dass  das  Ewige ,  Ideelle,  auch  das  einzig 
Wirkliche  und  Unanttelbare  sei ;  man  habe  die  Wahrheit 
nicht  hinter  den  Phänomenen  zu  suchen,  sondern  sie  seien 
selbst  das  Gesetz,  die.  Theorie,  und  nichts  Anderes, 
denn  diess ;  das  Unmittelbare,  Einzelne,  selber  schon  das 
Ursprüngliche  und  Ewige ,  nur  in  einer  seiner  Selbsiver- 
wiridichungen.  Die  Einheit  von  Denken  und  An-- 
schauung  war  damit  ausgesprochen« 

Kant  hatte  in  seiner  Kritik  der  reinen  Vernunft  den 
einen  grossen  Schritt  der  Wahrheit  entgegengethan  ,  dass 
er ,  die  Vernunft  (in  ihrer  engern  Bedeutung)  als  das 
Vermögen  der  Ideen  (Principien)  bezeichnend,  die 
Ideen  als  das  schlechthin  Apriorische,  aller  Erfahrang 
Vorausgehende,  nachwies:  er  hat  dadurch  der  Philosophie, 
bestimmter  der  Metaphysik,  ihr  Gebiet  für  immer  wieder-* 
erobert.  Aber  durch  die  merkwürdige  Vertauschung  und 
Gleichstellung  von  Apriorischem  und  Subjektivem ,  deren 
erste  unscheinbare  Anfinge  wir  in  der  Kant i sehen  Raum» 


des  Schellingschen  Prinoips  in  ihnen.  677 

und  Zeitrtieorie  nachgewiesen  und  bis  zu  dem  ungcheuem 
Resultate  jener  nnwillkührlichen  Verwechslung   vollständig 
▼erfolgt  haben  in  unserer  Kritik  der  Kantischen  Pliiloso- 
phie  Cvgl.  S.  185^194.  226.  233.  235-^.) ,  —  wurden 
f&r  Kant  die  Ideen  zu  bloss  subjektiven  Vorbildern,  denen 
alle  Forschung  zwar  nachstrebe,  welchen   aber  keine  Er** 
fahrung  jenrals  adäquat  sein  könne.     Diess  Resultat  wurde 
Glaubensartikel  der  Zeit :  die  Verschmähung  des  Wirklichen, 
als  des  ursprünglich  schon  der  Idee  Unangemessenen,  Un- 
göttlichen, das  Uinausschnea  in  eine  nebelhafte,  dem  Prin^ 
€ipe  nach  schon  jeder  Begreiftichkeit  entschwindende  Well 
Jenseits  des  Raumes  und  der  Zeit^,  wurde  zum 
allgemeinen,  von  der  Philosophie  selbst  sanktionirten  Grund« 
Zuge  damaliger  Gesinnung  und  Bildung. 

Diese  scheinbar  unüberwindliche  Scheidewand  zer- 
trümmerte Sc  he  Hing  mit  Einem  gewaltigen  Schlage;  den 
für  jenseilig  und  überfliegend  gelxaltenen  Ideen  gab  er  eine 
objektive ,  ja  unmittelbare  Begründung ,  indem  er  in  den 
GmnderscheiHungen  der  Natur  ihren  ideellen  Charakter 
nachwies,  und  so  sie  aus  der  Sphäre  des  Erscheinenden, 
Bedingten,  Endliehen,  zmn  aus  sich  selbst  Sichbedingenden, 
Realen,  zur  Gegen  wart  des  Absoluten  erhob.  Aber 
zuerst  vermochte  er  die  grosse  erkenntnisstheoretische 
Wichtigkeit  des  neuen  Principes,  der  Kanti  sehen  Grond- 
ansicht  gegenüber ,  selbst  nicht  zu  fassen;  er  hatte  sich 
noch  nicht  ausdrücklich  und  mit  gründlichem  Bewusstsein 
abgetrennt  von  der  vorigen  Bildungsepoche,  Diess  geschah 
später  duroh  die  Reihe  der  vorhin  angeführlen  Schrillen, 
die  wir  desshalb  als  den  Scbluss  und  die  Vollendung  des 
zweiten  Standpunktes'  von  Sc  h  el  1  i  n  g  bezeichnen  können ; 
denn  sie  enthalten  zugleich  das  Bew.usstsein  jenes  Friiici*- 
pes  von  sich  selbst. 

Aber  auch  hier  Var  es  niclU  bei  Sohelling  eine 
Widerlegung  durch  ein  Eingehen  in  den  Kern  und  die  in- 
nern  Motive  der  gegnerischen  Theorie ;  sondern  in  einzel- 
nen durchgreifenden  Blitzen  und  apkoriMisch  ausgefübitca 
Axiomen,  mehr  noch  mittelbar  durch  die  Folge  seiner  po- 


67ä  Weitere  Begr&ndmiir 

sitiven  Ansichten,  zerstörte  er  die  Gnmdfeste  der  Kant»- 
sehen  Philosophie.  Damm  fehlte  aber  die  Vermittlong':  der 
Gegner  blieb  im  Bewosstsein  seines  Rechtes,  sorüd^ge- 
drängt,  aber  nicht  flberfBhrt ;  nnd  hierin  möchte  der  Grand 
aller  Polemik  liegen ,  welche  die  nachlebende  K  a  n  I  i  sehe 
Schule  gegen  die  Sohellingsche  Ansicht  gerichtet  hat: 
ja  wir  brauchen ,  im  Rückblicke  auf  unsere  eigene  Kritik 
jener  Lehre,  die  Ueberzeugung  nicht  zu  Tcrbergen  ,  dass, 
wie  oft  auch  spater  Ton  Schellings  undHegels  Schule 
aus  eine  Kritik  des  Kantischen  Systemes  bis  in's  Bin- 
zelne  hinein  unternommen  worden  sein  mag,  so  riel  wis 
bewusst,  erst  von  uns  zum  ersten  Quell  und  Ursprünge  des 
Irrthums  zurückgegangen  ist,  der  seinen  so  tief  und  gründ- 
lich begonnenen  Idealismus  in's  bloss  Subjekfire  zunick- 
schlagen Hess,  wodurch  auch  seine  Ideenlere  die  be- 
schränkte Bedeutung  behalten  musste,  welche  Schellin- 
g  e  n  zu  bekämpfen  übrig  blieb. 

Aehnlich  und  nicht  minder  unentschieden  war  Anfangs 
das  Verhällniss  Schellings  zu  der  alten  empirisdieB 
Behahdiungsweise  der  Naturwissenschaft  und  ihren  Begrifi- 
voraussetzungen.  In  seiner  ersten  naturphilosophiscAen 
Schrift:  Ideen  zu  einer  Philosophie  der  Natur 
(Erste  Ausg.  1797.)  und  selbst  noch  in  dem  Werke  über 
die  Weltseele  (Erste  Ausg.  1798.)  lehnt  er  sidi  an 
die  überkommenen  Vorstellungen  von  Materien  und  Krif- 
ten,  von  ihrem  Gegensatze  und  ihren  wechsdseitigen  Be^ 
schränkungen,  und  hüHt  seine  Ideen  in  diese  durchaus  im- 
angemessene  Form.  Erst  jetzt  (neue  Zeitach rift  o. 
s.  w.  Heft  1.  S.  3 — 10.)  ist  er  auch  darüber  völlig  im  Ha- 
ren und  zur  Entschiedenheit  über  sein  eigenes  Princfp  ge- 
langt. Er  sagt  im  Wesentlichen  Folgendes  über  jenes  Ver- 
hältniss : 

Nicht  dass  der  Empirismus  innerhalb  seiner  Sphäre 
bald  mehr,  bald  weniger  den  Verstand  braucht,  oder  ein 
bald  mehr  oder  weniger  philosophisches  Ansehen  sich 
giebt ,  macht  ihn  weniger  oder  mehr  verwerflich ;  die 
ganze  Erkenntnissart  ist  falsch  ,    dem  Principe  nach ,  und 


iß$  ScfaeUingsobeti  Priaetp»  in  Urnen.  679 

doie  ewige  und  unversiegbare  OueHo  des  Irdiiuin^.  —  Jet. 
ue«  SchUej»5en  von  der  Ursache  auf  die  Wirkung  ist  in  der 
Thal  nichts  Anderes ,  als  ein  förmliches  sich   selbst  aus- 
sprechendes Nichtwissen,     Denn  wie  kann  eine  Reihe  von 
K'^nntnissen  ein  Wissen  sein ,   welche  in   keinem  Punkta 
etwas  Unbedingtes   bat?    Das   einzelne  Glied  in  der 
Kette  hat.  einen  Wertb.;   aber  es  hat  ihn  durch  ein  ande-t 
res ,  diess  wieder  durch  ein  anderes ,  u,  &  f.  in's  Unend-* 
Viche ;  der  Werth  jedes  Einzelnen  ist  also  bedingt  durch 
eine   unendliche  Reihe,  welche  selbst  ein  Uading 
isi^  und  nie  wirklich  sein  wird,  und  jedes  Binzelne  bedeu-» 
tet  nur  darum  £twas ,  weil  man  sicher  ist ,  dass  man  nia 
uöihig  haben  werde,  den  Werih^des  Ganzen  zu  realisiren, 
•  oder  dasis  man  nie  b  i  s  zumLelzten  kommen  könne, 
wo  sich  dann    die  ganze    vermeinte  Wiiäsenschafl  in  ein 
Niclil/3  auflösen  würde,    (Fün^^a^r  das  treOende  Bild  unse-«- 
rer   experiinentirenden  Wissenschaften,  die  Versuche   auf 
Versuche  häufett,  kidem  sie  meinen,  daran  doch  immer  nur 
ein  Bedingtes  zu  haben,  und  iiie  zum  Ursprünglichen  jener 
wecliselndon  Combinationen  koihmen  zu  können !) 

Die  Wuth  „  Alles  zu  erklaren,  Nichts  nehmen  zu  kön-> 
neu,  wie  es  ist,  in  seiner  Totalitat,  sondern  nur  auj^einaur 
dergezpgen  in  Ursache  und  Wirkung  zu  begreifen ,  ist  es, . 
was  am  Meisten  aus  der  Indiffereu  z  des  Den- 
kens und  An^chauens  reisst,  welche  der  ei-- 
gentliche  Charakter  jdes  Philosophen,  der 
absoluten  Erkennlnissari  ist, 

hl  diesem  Bestreben  bleibt  Schlechterdings  Nichts  an 
seiner  Stelle,  in  seinem  Wesen.  Alles  im  Universum  isl 
unbedingt  in  seiner  Art,  Nichts  ,  was 'nicht  vollendet 
in  sich ,  sich  selbst  gleich  wäre«  Eben  daitim  hat  auch, 
wenn  einmal  von  Erscheinung  die  Rede  Lst,  jede,  das  glii- 
che  {locht  zu  sein.  Nicht  Eine  ist  der  anderii 
wahrhafte  Ursache,  sondern  jede  ist  indem 
Unbedingten  auf  gleiche  Weise  gegründet. 
Anstatt  diesen  gleichen  Werth  anzuerkennen,  und  Jedes  in 
seiner  Potenz  dasselb^e  sein  zu  lassen,  was  das  Andere  in 


680  Begriff  der  absoluten  ErkeimUiteart. 

der  seinigen  ist,  wird  viehnehr  des  Eine  dem  Andern 
Icrgeordnet ,  aus  dem  Andern  sm  begreifen  gesttcht ,  uras 
gerade  eben  so  ist,  als  wenn  der  Geometer  das  Ooadrat 
aus  dem  Dreiecke  y  den  Zirkel  aus  devi  Quadrate  aUeitea 
wollte. 

Diesen  Aphorismen ,  -^  die  jedoch  ebenso  sehr  auf 
eine  ausgeführte  Erkenntnisslehre  zuruckdeuten ,  welche 
den  eigentlichen  Charakter  der  Anschauung  und  seinVer^ 
haltniss  zUm  Denken  festzustellen  hat ,  als  eine  solche  nö* 
thig  machen,  —  ffic)it  S  c  h  e  11  i  n  g  mit  tiefer  und  cinschaei-» 
dender  Ironie  Betrachtungen  ein  aber  den  Abergkiuben  und 
den  superstitiosen  Fetischismus  der  empirischen  Natarwis-' 
^enschaft,  welche  an  £e  RealitSt  ihrer  bypothetisdi  eison- 
flenen  JWalerien  und  Ursachen  glauben  miig ,  und  wirkScke 
Erklärungen  der  Natur  dadurch  ersonnen  zu  haben  sich 
einredet  Es  ist  nicht  zu  täugnen,  dass  die  veränderte 
Methode  gegenwärtiger  Naturwissenschaft,  der  reinen  Okt 
jektivitat  der  Erscheinungen  sich  hinzugeben  und  jede  hy« 
poth^Usche  Erklärung,  als  das  Ueberitussige,  Leere,  Zuge^ 
dichtete ,  abzuhalten ,  wesentlich  durch  die  Reform  mühe«; 
^^  dingt  fet,  wekhe  Sehe  Hing  in  di^  Spekulation  ge-. 
brachf^ 

Jenen  beiden  Bildungsrichtungen  jfleichennaassen,  ^ren 
innere  Verwandtschaft  sieh  kaum  veriäugnen  lässt,  indem, 
falls  es  philosophisch  bewiesen  ist,  dass  das  wahrhafte  We* 
sen  der  Dinge  doch  nicht  ergründet  werden  kann,  es  we^ 
nigstens  gestattet  scheint ,  als  Surrogat  der  fehlenden  Er- 
tcenntniss,  allerlei  Bypothesen  darüber  sich  anszusinnen  — 
tritt  nun  Schellin g  entgegen  darch  seinen  Begriff 
der  absoluten  Erkenntnissart.  Es  ist nöthig,  dar- 
über etwas  Allgemeineres  zu  sagen. 

Die  Paradoxie  des  Anfangs  und  d^  ursprüngUchea 
Anmutkungen  seines  Systemes  kam  für  Schell ing  vre« 
nigstens  insofern  zum  Bewusstsein  ,  als  er  die  Vorausset« 
Zungen  desselben J'ur  ein  unmittelbar  Uncrklärli^r 
ches,  erst  im  Ganzen  des  Systems  sich  Auflösendes 
und  Rechtfertigendes  erkannte.      Der    wahre   spckulalive 


Begriff  der  absoluten  Erkeimtnissart.  681 

Standpunkt  ist  nur  durch  ein  völliges  Abbrechen  von  den 

Voraussetzungen   der  gemeinen  Erkennlniss   zu  gewinnen. 

Aber  diess   macht  ihn   eben  au  deiii  der  ficht  philosophi^- 

achen  Erkenntnissweise:   sie  ist  Nichts,  was  gelehrt 

werden  könnte,  und  ebenso  wenig  giebt  es  einen Ue« 

bergang  von   den  Bedingtheiten   des  gemeinen  Erkeiinens 

zum  unbedingten,  von  den  Gegensätzen  desselben  zur  ab- 

aolut  gegensatzlosen  9   alle  DiflTerenzen   in   sich  tragenden 

Erkenntnissweise.    Lässt  sie  sich  daher  aueh  keinem  in- 

telligenlen  Wesen  andemonstriren ,  so  kann  ihr  auch  von 

Keinem  Etwas  entgegengesetzt  werden.    Und  zu  begreifen 

ist  überhaupt  auch  nicht,  warum  die  Philosophie  zu  beson« 

derer  Rücksioht  auf  das  Unvermögen  verpflichtet  sei.    £s^ 

ziemt  sich  vielmehr  den  Zugang  zu  ihr  scharf  äbzuschnei-« 

den,  und  sie  nach  allen  Seiten  hin  von  dem  gemeinen  Wissen 

dergestalt  zu  isoliren ,  dass  kein  Weg   oder  Fusssteig  von 

ihm  aus  zu  ihr  fUiren  könne.    Hier  fangt  die  Philosophie 

an,  und  Wer  nicht  schon  da  ist ,  oder  vor  diesem  Punkte 

sich  scheut ,    der  bleibe  auch  entfernt  oder   fliehe  zuröck 

(a.  a.  0.  S.  33-38.  41.  44  f.  u,  s.  w.). 

Mit  dieser  vorlaufigen  Abfindung  durch  solche  kate«« 
gorische  Erklärungen ,  di^  nachher  auch  von  spätem  Bil- 
dungsstandpunkten noch  oft  wlederhoh  worden  sind  -^ 
wobei  man  zudem  das  bloss  populäre  Binfciten  und  Yer-^i 
slandlichndachen  der  spekulativen  Erkenntniss,  welches  man 
ablehnte  ,  mit  der  unerlasslichen  wissenschaftlichen  B  e-f 
grundung  derselben  verwechselte —  überhaupt  mit  dcr-s 
gleichen  Negationen  konnte  Sehe  Hing  selber  sich  nicht 
befriedigt  halten.  Die  behauptete  Identität  des  Ewigen  und 
Endlichen  in  der  intellektuellen  Anschauung,  wodurch  sich 
das  Anschauen  zugleich  im  Denken,  das  Denken  dem  Ewi-p 
gen,  das  Ideelle  dem  Realen  substantiell  einverleibt  befin- 
den soll ,  ^  alles  Diess  muss  sich  wenigstens  in  der  To- 
talität des  Systemes,  durch  die  Grundkonsecpienz  desselben, 
rccbtfißrtigen  und  in  diese  aufgenommen  werden.  Aber 
ebenso  bedurfte  die  Einheit  des  Endlichen  und  Unendli- 
chen,  die  unmittelbare  Wirklichkeit    des  Absoluten^  einer 


682  Vorspiel  darin  unf  Hegels  Logik. 

freieD ,  unabfafingigen  VemiittlBiig  im  Denken :  es  ist  die 
Grundvoraussetzung,  und  Schelling  bat  es  radem  aocli 
sonst  ausdrücklich  ausgesprochen  *),  dass  mit  dem  Real- 
gründe  auch  der  Idealgrund  in  absoluter  JEinlieit  ge- 
setzt seL 

Aber  es  bedurfte  eines  gemeinsamen,  die  Seiten  des 
Ideellen  und  Realen   in  ihm  unmittelbar  als  identisck  sei^ 
senden  Begriffes;  und  so  entstand  in  jenen  DarsteUwigcii 
das  Vorspiel  einer  Erkenntnisslehre  und  einer  Heiaphysik, 
welche  zugleich  ihm  wieder  zusammenwuchsen:   es 
war  darin  der  Entwurf  zu   einer  Lehre  von  der  absoIiH 
ten  Vernunft  in  schlechthin  subjekt-objekti- 
vem  Sinne,  als  Erkenntniss-*  und  Realprincip 
zugleich ,  niedergelegt ,  welche  die  beiden  Enden  des  £f- 
kennens  und  der  Objektivität  ebenso  scheidet,  al^  zusam- 
menfasst.     Der  Begriff  einer  Logik  im  .Sinne    Hegels 
war  gefunden,  welcher  die  Ausführung  dieses  Princips  und 
die   völlige  Verschmelzung    des  Metaphysischen   und  £f- 
keaiUnisstheoretischcn   a^u  Stande  brachte,   wahrend   eine 
noch    spätere  Zeit  Beides  wieder   sondern  —   (nicht  enl- 
gcgensetzeu)  —  zu  müssen  geglaubt  hat. 

Was  ist  nun  jener  gemeinschaflliche  Begriff,  in  wel- 
chem Erkennen  und  Sein  ohne  Weiteres  zusammenfallen 
und  Eins  sind,  von  wo  aus  wir  also  ebenso  wohl  nach  der 
Seite  des  Erkennens,  als  nach  der  des  Seins,  hinubertrelen 
können,  ohne  jedoch  in  einen  wahren  Gegensatz  beider  zu 
gerathen?  Es  ist  der  Begriß  des  Selbsterkennens 
des  Absoluten,  als  mit  der  ewigen  Form  desselben  zu- 
gleich gesetzt.  Schelling  giebt  (Neue  Zeitschrift 
u.  s.  w.  Heft  1.  S.  33—480  darüber  dieselbe  Erklämi« 
und  Beweisführung,  welche  scboQ  in  der  ersten  Daistel* 
lung  (§.  17 — 21.)  uns  begegneten,  und  daselbst  von  uns 
umständlich  beleuchtet  wurden  (vgl.  oben  S.  627.  ff.).  — 
Hier  müssen  wir  zwar  die  Analyse  dieses  ursprtiag- 
lieh  auch  nur  vorausgesetzten  Princips  gelungener, 


*)  Vgl.  z.  B.  Bruno  S.  46  ff 


Das  Absolute  y  663 

bewtissler,  den  BegriS  desselben  intensiver,  die  DarsteUmig 
freier  finden:  aber  die  allgemeine  Begründung,  naeh  den 
vorher  nachgewiesenen  Grundbedingungen,  ist  um  keinen 
Schritt  weitergerückt.  Sie  geht,  ihrem  wesentlichen  Inhalte 
nach ,  folgendermaassen  von  Statten. 

In  der  Idee  des  Absoluten  wird  nothwendig  eine  ^ew 
che  absolute  Einheit  der  Idealität  und  Kealitit^  des  Wissens 
und  Seins ,  der  Möglichkeit  und  Wiridicbkeit  gedacht.  --• 
Uebrig  geblieben  ist  diese  Idee  in  der  dogmatischen  Phi- 
losophie unter  der  Gestalt  des  ontologiiKchen  Beweises  lur 
das  Dasein  Gottes ;  so  war  jener  Gegensatz  zwar  in  Gott, 
aber  nicht  im  Erkennen  der  Philosophie  aufgehoben ,  und 
ho  folgte  nicht  mehr  aus  der  Idee  in  Gott  selbst,  sondern 
aus  dem  Denken  des  Philosophen,  das  Sein  Gottes :  dieser 
wurde  abermals  als  ein  nur  Objektives  zu  jenem  ge- 
fnsst ,  und  der  K  a  n  t  i  sehe  Einwurf  („die  gründliche  Ge-» 
ineinheit  der  vom  Kriticismus  darüber  eingeführten  Vorstel- 
]ungen<<  S.  39.)  konnte  nun  Geltung  und  Schein  gewinnen« 
^—  Dass  aber  die  Idee  des  Absoluten ,  wie  sie  mit  den 
bezeichneten  Prädikaten  sich  nothwendig  in  unserm  Wis- 
sen findet,  im  Absoluten  selbst  sei  —  (also  unmittel- 
bar dadurch  eine  Garantie  vom  Sein  desselben  in  sich 
schlicsse,  d.  h.  „der  Punkt  sei,  wo  das  Absolute 
selbst  und  das  Wissen  desAbsoIuten  schlecht, 
hin  Eins  ist*^)  —  diess  wird  folgendei^estalt  er- 
wiesen. 

Was  in  allem  Sein  vereinigt  ist,  ist  das  Allgemeine 
und  Besondere,  wovon  jenes  dem  Denken,  dicss  dem  Sein 
entspricht.  In  Ansehung  des  Einzelnen  und  Endlichen  folgt 
jedoch  nirgends  aus  dem  Allgemeinen  das  Besondere,  aus 
dem  Begriffe  das  Sein.  —  Das  Wesen  aller  Dinge  aber 
ist  Eines,  und  in  demselben  für  sich  liegt  kein  Grund  des 
Besondern.  Das,  wodurch  es  sich  absondert  und  unter- 
scheidet, ist  die  Form,  welche  die  Differenz  des  Allgemei- 
nen und  Besondem  selbst  ist,  die  an  den  Dingen 
durch  ilir  Dasein  ausgedrückt  ist.  (D.h.  Form 
ist  im  Absoluten    nur  desshalb  zu  denken  ,   weil   endliche 


684  »Is  Einheit  von  W^sev  und  Form, 

Dinge,  Besonderes  fegeben  ist ,  welche»  sieh  nur  d^nl^e« 
Msst,  als  durch  das  Sichformen  des  AUgemeineo  ia^'s  Be-^ 
sondere  gesetzt.  Das  Formprincip  im  Absoluten,  wird  auch 
hier,  wie  in  den  frühem  Darstellungen,  nur  aus  dem  Fak-r 
tum  eines  Endlichen  zurückerschlossen ;  ketnesweges  Kssl 
man  es  folgen  aus  dem  Wesen  des  Absoluten.) 

Da  es  nun  aber  die  Form  ist,  wodurch  das  Besondere 
ein  Besonderes,  das  Endliche  endlich  ist,  so  i:;t,  woi(  im 
Absoluten  (seiner  Idee  zufolge)  das  Besondere  und  Allge^ 
meine  schlechthin  Bins  ist,  auch  die  Form  mit  dem 
Wesen  Eins;  und  schon  in  dieser  gleichen  Abso- 
lulheit  des  Wesens  und  der  Form  liegt  die 
Enthüllung  derMögliohkoit:  \hc  das  Absolute  uod 
das  Wissen  des  AbsoliUen  Eins  sein  können. 

Da  nämlich  die  Differenz  des  Idoalen  und  Realen 
Ovohinein  jener  Unterschied  des  Absoluten  und  eines  Wi^ 
sens  um  das  Absolute  lediglich  fallen  kannte)  der  Differenz 
des  Wesens  und  der  Form  völlig  gleich^usela^n  ist,  beide 
aber  im  Absoluten  völlig  Eins  sind:  so  ist  Einheit  des 
Idealen  und  Realen  ebenso  nüth wendige  Form  des 
Absoluten ,  als  die  Form  in  ihm  seihst  absolut  und  dem 
Wesen  gleich  ist. 

Nun  ist  aber  in  der  absoluten  Erkeontniss  (jener  fak- 
tisch gegebenen  Idee  des  Absoluten)  eine  solche  absolate 
Einheit  des  Denkens  und  Seins  wirklich  gesetzt;  der  ein- 
zige Gegensatz,  der  zurückbleiben  könnte,  wäre  der,  dass 
das  Erkennen  nur  formell  bestimmt  ist,  und  so  dem  Abso- 
luten selbst  entgegengesetzt  wäre:  allein  die  Form  ist 
auch  das  Absolute  selbst ;  denn  Einheit  des  Wesens  und 
der  Form  gehört  zu  seiner  Idee.  Es  ist  sojiacfi^  was  vor* 
her  nur  der  allgemeinen  Möglichkeit  nach  bestimmt  war, 
jetzt  auch  wirklich  gesetzt :  die  formell  absolute 
Erkenntniss  ist  nothwendig  zugleich  eine 
Erkenntniss  des  Absoluten  selbst.  Es  giebtso- 
nach  eine  unmittelbare  Erkenntniss  des  Absoluten  und  nur 
des  Absoluten,  —  weil  hier  der  einzige  Punkt  ist,  wo  Ein- 
heit des  Wesens  und  der  Form  statlfindct,  d.  h.  wo  die 


darin  von  Erkennen  und  Erkanntem.  685 

Rrkenntni^s  mit  ihrem  Gegfcnstaftde  absolut 
Kilis  sein  kann:  und  jene  ist  die  erste  spekulative Er- 
Icenntniss,  das  Princip  und  der  Grund  aller  Möglichkeit  aller 
Fhilosophi^k 

Hier  ist  Wieder  der  Nerv  des  Beweises  ganz  nur  der  ^ 
frühere,  welcher  der  ersten  Darstellung  zu  Grunde  lag» 
£s  g  i  e  b  t  erweislich ,  mit  unbedingter  Fakticität^  eine  Idee 
des  Absoluten ;  nun  ist  aber ,  zufolge  dieser  selben  Idee, 
Nichts  ausser  dem  Absoluten,  alles  Besondere,  Endliche  nur 
die  Differenz  der  Form  von  seinem  Wesen ,  deren  ur- 
sprüngliche Einheit  jenes  bleibt ;  also  ist  auch  jene  Idee 
des  Absoluten  durch  seine  Form  gesetzt:  in  un- 
serm  Erkennen  von  ihm  erkennt  lediglich  das  Absolute  sich 
^Ibst ;  Subjekt  und  Objekt  fallen  hier  auf  das  Ursprung'« 
liebste ,  imd  zwar  im  Absoluten,  zusammen» 

Der  in  sich  selbst  sich  umherwendende  Zirkel  des  Be- 
weises, was  seine  Form  betrifft  i  kann  Keinem  entgehen  $ 
aber  auch  dem  Inhalte  nach  ist  es  noch  ein  weiter  Weg 
der  Vermittlung  von  dem  Satze ,  dass  das  W  e  s  e  n  des 
Absoluten  ebenso  schlechthin  die  ewige  Form,  die  unend«- 
liche  Selbstoffenbarung  und  Selbstbejahung  sei^  bis  zur 
Nachweisung,  dass  in  unserm  Bevnisstsein  von  ihm  es 
selbst  das  eigentlich  Sichwissende  und  Selbstbcfjahende  sei. 
Alle  diese  halbgewaltsamen  Verwachsenheiten  haben  spä- 
terhin bei  Andern  die  reichlichsten  und  verderblichsten  Irr^ 
thümer  aus  dem  Principe  hervorgehen  lassen. 

Aber  von  hier  ans  geht  Sc  he  Hing  sogleich  noch 
einen  machtigen  Schritt  weiter.  Da3  absolute  Erkennen» 
welches  auf  eine  so  precfire  Art  als  e  i  n  e  der  Fakticitaten 
oder  Formen  i  m  Absoluten  nachgewieseu  worden  ist^  wird 
sofort  nun  zur  Form  aller  Formen,  zur  absolutem 
Form  erhoben.  Die  nothwendige  und  ewige,  dem 
Absoluten  selbst  gleiche  Form  ist  das  abso- 
lute Erkennen.  „Denn  die^  (als  absolutes  Faktum  in 
unserm  Erkennen  gesetzte)  „intellektuelle  Anschauung  ist 
absolut,  d.  h.  in  derselben  ist  das  Absolute,  aber  nur 
als  Erkennen ,  d.  h.  formell  y  und  so ,  dass  diese  formelle 


6b6  Krilik 

Absolutheit  nooh  der  AbsokiUioit  im  und  für  sich  enig«-» 
gengeselzX  werden  könnte.  Hier  trUt  aber  die  Idee  des 
Absoluten  ein ,  kraß  welcher  in  Um  kein  Unterschied  sein 
kann  des  Wesens  und  der  Form,  mitliin  ist  das  absobte 
.Erkennen,  als  formelles,  nothwendigf  das  Absotnte  selbst, 
und  sonach  die  nothwendige  und  mit  dem  Absoluten  gleich 
ewige  Form  des  abi^oluten  Erkennens''  (a.  a.  0.  S.  55.  56.). 

Wir  haben  die  durchaus  charakteristischen  Worle  dkv 
ser  Beweisführung  vollständig  angeführt,  —  alk*s Fer- 
nere ist  nur  kritische  oder  polemische  Erweiterung  dersel- 
ben, ^*  um  auch  an  dieser  Steile  die  gänzliche  Ungenfilee 
ihrer  Form  und  bestimmter  noch,  die  überall  bewnsstlos  mil- 
kineinspielende  Vermischung  des  ErkenntnisstheorelischeB 
und  Metaphysischen  nachzuweisen,  weiche  den  Beweis  noch 
des  letzten  Restes  von  Bündigkeit  beraubt. 

Nach  allem  Bisherigen  kann  nur  fiir  erwiesen  gelten, 
dass  unser  Erkennen  voiri  Absoluten  in  ihm  selber  und 
durch  dasselbe  Statt  finde:  somit  ist  eine  för  die  Philo«- 
Sophie  propädeutische  Frage  erledigt  oder  es  ist  für  die 
Erkenntnisslheorie  vollständig  erklärt,  wie  es  überall  za 
einem  Wissen  vom  Absofaiten  kommen  könne.  Gott  weiss 
sich  selbst  in  uns :  Bewusstsein  überhaupt ,  näher  sodaaa 
Wissen  seiner  selbst  in  uas^  ist  daher  eine  der  For- 
men (Potenien)  seines  Seins :  „inteUektuelle  Anschauung^. 
Da  aber,  was  als  Fonn  in  ihm  ist,  gleich  ewig  ist  mit  sei- 
nem Weseii;  so  ist  anch  jene  nicht  geworden,  oder  her. 
vorgebracht  vom  mensdiiichen  Bewusstsein :  vielmehr  ist 
sie  das  Substantielle ,  (der  Potenz  nach)  Ewige  unseres 
Geistes.  —  Und  bis  so  weit  reicht  auch  nur  die  Deutuag, 
die  wir  den  eben  angeführten  Worten  geben  dürfen. 

Mit  Nichten  Jedoch  ist  dadurch  der  metaphysische 
Satz  erwiesen ,  dass  jener  absolute ,  göttlich  menschliche 
Erkenntnissakt  in  Gott  die  Form  aller  Formen,  das 
einzige  Princip  alles  Objektivwerdens  Gottes 
sei.  Jener  Akt  eines  absduten  Erkennens  in  uns .  wad 
wider  das  Recht  der  Deduktion  ausgedehnt  zum  universa- 
len Sclbsteikenntnissakte  Gottes   in  allem  Objekitvei».    — 


dieses  Princlps.  G87 

lind  dennoch  wird,  nach  dieser  Yoranssetzmig ,  mit  meta- 
l^ysischen  Axiomen  solcher  Art  die  Darstellung  überschüt^ 
tet.  Das  absolute  Erkennen  sagt  Schell ing,  welches 
iiolhwendig  das  Absolute  selbst  und  son*ach  (!)  r«^  noth* 
wendige  und  mit  dem  Absoluten  gleich  «wige  und  erste  (?) 
Form  desselben  ist ,  ist  im  Idealismus  der  Wissenschans- 
lehre  als  absolutes  Ich  bezeichnet  worden.  (Man  vergleiche 
damit  unsere DarsteUung derselben S. 500-^03.  516.)  D as  ist 
der  Begriff.,  mit  dem ,  wie  mit  einem  Zauberschlage ,  die 
Wdt  sich  öffnet,  das  Objektivwerden  des  unend- 
lichen Denkens  ist  die  Welt:  die  Dinge  an  sich  sind 
die  Ideen  im  ewigen  Erkenntnissakte  Gottes. 
Ifas  Denken  (was  so  eben  Selbsterkennen  hiess)  ist  das 
Unendliche  in  ihm,  aber  es  giebt  sich  selbst  seine  Gränze; 
diese  ist  die  Form:  so  wird  es  das  Sein,  das  Endliche, 
Objektive.  Die  ewige  Einheit  beider,  das  schlechthin  als 
endlich ,  real  und  objektiv  sich  setzende  unendliche  Deor^ 
ken  ist  aber  das  Absolute. 

Wie  daher  das  Absohrte  fiar  sich  und  an  sich  abso^ 
lute  Einheit  sein  könne ,  in  der  schlechthin  Nichts  unter- 
scheidbar und  unterschieden  ist,  und  wie  es  eben  dcsswe« 
gen,  weil  es  an  sich  Eins,  für  den  Reflex  Alles  ist ,.  in 
ein  Universum  oder  eine  Totalität  übergehe ;  diess  kann 
Keinem  verborgen  bleiben,  der  das  absolute  Erken- 
nen und  in  diesem  die  reale  Einheit  zugleich 
und  ideale  Entgegensetzung  des  Realen  und 
Idealen  (eben  mittels  jenes  unendlichen  Erkenntniss- 
aktes) begriflfen  hat.  Hier  liegt  das  sograannte  Geheimniss 
der  Einheit  in  der  Ifannig&lligkeit  und  der  Mannigfaltig- 
keit in  der  Einheit. 

Darin  ist  zugleich  nicht  nur  die  Einheit  des  Einzelnen 
oder  Endlichen  mit  dem  Absoluten,  sondern  auch  seine  Wo« 
sensgleichheit  mit  ihm  und  wahre  Abbildlichkeit  enthalten; 
denn  auch  das  Einzelne  ist  nur  dadurch,  dass  es  in  der 
Vernunft,  und  so  als  organisches  Glied  des  absoluten 
Ganzen,  nnd  dadurch  als  Reflex  der  absoluten  Einheit  be- 
griffen werden  muss. 


6SH  Ideales  und  Reales  Im  Absolttteii  ^ 

biese  im  absoluten  Ericenntnissakte  Gottes  geB&tM 
Ürdnplicität  in  Einheit  beginnt  schon  Schelling  mit  ilen 
Symbole  der  Dreieinigkeit  im  götUicIien  Wesen  ku  veiglei^ 
chen.  pas  absolute  Erkennen,  die  Form  aller  FdimeQ,  ist 
ewig  bei  Gott  und  Gott  selbst :  der  dem  Absolutes  einge« 
bome  S  0  h  n  ^  nicht  verscbiedea  von  seinem  Wesen^  soih 
dem  Eins  mit  ihm:  der  ewige  und  allgemeine  Mittler 
mit  dem  Vater  (Neue  Zeitschrift  IL  1.  S.44«^w48.&5fll 
62.  75— ?7.  Br\inO)  S.  219.  220.). 

Diesä  ist  bis  zur  angegebenen  £pocho  der  Charakt«' 
wissenschaniicher  Darstellung  bei  S  c  h  e  1 1  i  n  g  smr  BcgnliH 
düng  seines  Principes:  an  die  Thatsache  der  intellektuellen 
Anschauung,  an  die  Fakticitöt  eines  absoluten  Brkennens 
in  uns^  musste  er  anknüpfen  ^  um  bis  zu  jener  melaphysi^ 
sehen  Höhe  eines  weltschöpferischen  Erkenntnissakles  a 
Gott  emporzudringcn.  Aber  eine  andere  Form  tritt  ailmih-« 
lig  an  die  Stelle  der  bisherigen^  und  besonders  im  Britno, 
begünstigt  durch  die  freieren  Wendungen  des  Gespräciest 
und  von  dem  contemplativen ,  mehr  darstellenden^  als  be-- 
gründenden )  Geiste  des  Ganzen  fortgetragen  ^  giewiaat 
Schelling  zuerst  einen  metaphysischen  Anfang  seines 
Principes  aus  sich  selbst« 

Das  Absolute  ist  unendliches  Leben  in  sich  ,  und  ifr- 
sofern  allein  schon  Einheit  (Ali*Ck>pula ,  Band ,  wie  es 
in  andern  Werken  heisst)  des  Idealen  und  Realen  t  unend'« 
4iche  und  lautere  Selbstbejahnng  seiner  in  allem Da^ 
seim  Bejahung  des  Seins  ist  Erkenn  tniss  des  Seins^ 
und  umgekehrL  Das  Ewige  also,  da  es  wesentlich  ein 
Selbstbejahen  ist,  ist  in  dem  Sein  auch  ein  Selbstei^ 
kennen,  und  umgekehrt  (lieber  das  Verhält^ 
niss  der  Naturphilosophie  zur  Fichteschen 
Lehre  8.  SO»). 

Und  so  kann  die  Einbildung  des  Unendlichen  (Ideellen) 
in's  Endliche  und  Reale,  welche  sich  in  jedem  Wirklichen 
vollzieht,  überhaupt  nur  ein  intellektueller  Akt  des  Selbst-* 
erkennens  sein;  näher  dann,  wie  im  Bruno  gezeigt  wer«- 
den  soll ,   sich  wie  Denken  und  An$cl)auei|,  Yer«> 


sich  verhaltend,  wie  Denken  und  Anschauen.      689 

wandlongf  eines  (ideal)  Gedachten  in  ein  (real^ 
eoncret)  Angeschautes  sich  verhallen:  sie  ist  die 
V  e  r  w  i  r  k  1  i  ö  h  ü  n  g  des  ürbildlichtöii  (im  Denken)  duröh 
<ien  realisirehden  Anschauüngsakt^  um  hierin  das  Abbild- 
liehe  dem  Ürbilde  völlig  gleich  zu  setzen; 

So  wird  im  Bruno  auf  das  Bestimmteste^  und  in  die-^ 
Isem  Zusammenhange  keinesweges  in  bloss  mythischer  Fär- 
bung, eine  vorbildliche  Ideenwelt  des  Universum^  iii  fiolt 
gelehrt  >,  in  weicher  alles  Vor  und  Nach  und  Aussereihan- 
Aer^  allä  Zeitunterschiede  und  Raumdimensionen  Schlecht- 
hin aufgehoben  und  in  Eins  gesetzt  Sind«  Sie  Wird  dort 
dem  Chaos  verglichen^  in  welchem  gleichfalls  nach  deii  al- 
tem Vorsteliungen  alle  Dinge  in  einander  und  imgetreiint 
liegen ;  di^ss  Chaos  ist  aber  zugleich  im  abisolüten  Den- 
ken ^  dürchdrungeh  und  g^eordnet  von  ihm:  so  ist  es  dot 
Grund  und  das  Urbild  aller  Schönheit  und  Harmonie  in  der 
Weli ,  welche  hur  iil  ischwachem  und  verzogenem  Abbildd 
den  Glan:^  jetier  Denkbildei"  der  absoluten  Vernunft,  in  dor 
das  Uiletidiiche  zugleich  gesondert  und  in  ewiger  Beziehung: 
Huf  einander  liegt,  wiederzugeben  verinag; 

yfi6  aber  ist  jener  schöpfeiische  Anschaüühgsakt  zu 
denken  ?  Er  ist  die  Einbildung  der  Ideeii  in  die  Bestimmt- 
heil  von  Raum  uild  Zeit;  nur  dadurch  werden  sie  reäle^ 
dass  sie  eingeschaut  werden  in  jene  beiden  Fonnen^  did 
Grundbilder  jener  ursprünglichen  Unendlichkeit;  Üiid  {Wie-^ 
wohl  dadurch  kein  wahrer Gegensatzzwischeri  dem Idea- 
Ijen  und  Realen  hervorgerufen  wird,  indeni  Denken j  wie 
Anschauen  intellektueller  Natur  sind;  so  ist  doch  im  In- 
tellektudlen  selbst  dadurch  ein  Unterschied  .  gesetzt  ^  der 
dem  Gegensätze  entspricht^  welchen  das  gewöhnliche  Er- 
kennen »wischen  dem  Idealen  und  Itealcn  annimmt  Did 
einzelnen^  endlicheil  Dinge  existiren  hur  durch  den  Selbstr^ 
nnschauungsidit  d^  Absoluten  in  ihnen:  die  ihiien  cinge^ 
bildete  Idee  ist  ihre  Sejele^  die  räumlich-zeitliche  Bezieh 
hang,  in  die  jene  durch  das  Anschauen  eintritt.^  ist  ihr 
Leib;  aber  auch  hier  ist  dem  Wesen  nach  kein  Gegen- 
satz zwischen  beiden« 

44 


600  Kritik 

^So  sind  die  einzelnen  Dinge,  diö  vielfiilliiTPti  GeslaU 
len  der  lebenden  Wesen ,  oder  was  sonst  nnr  untrrscliie- 
den  werden  kann,  nicht  als  wirklich  getrennte  im  Univer- 
sum enthalten ;  dennoch  sondern  sie  sich  von  demselben 
nur  für  sich  selbst  in  dem  Haasse  ab  ,  als  die  in- 
nere Einheit  sich  in  ihnen  aufschliesst ,  d.  h.  je  relativ 
vollkommener  sie  die  ewige  Einheit  abbildlich  in  sich  dar- 
stellen. Der  Stein  z.  B.  ist  in  der  absoluten  Gleichheil 
mit  allen  Dingen;  auch  für  ihn  sondert  sich  Nichts  ab: 
Dägegen  dem  Thiere,  dessen  Leben  in  ihm  selbst  ist,  öfT- 
net  sich  mehr  oder  weniger ,  je  mehr  oder  weniger  indi- 
viduell sein  Leben  ist,  das  All;  und  endlich  der  Mensch, 
durch  die  Art,  wie  er  völlig  ebenbildlich  im  Absoluten  ist, 
ist  fähig  gemacht,  sich  selbst  die  Einheit  zu  sein.  Nimm 
aber  jene  relative  Gleichheit  hinweg ,  und  Du  siehst 
Alles  wieder  zusammengehen  inEins.^  (Bruno 
S.  85.  86.  131  u.  ff.  Vgl.  über  das  Verhältniss  des 
Idealen  und  Realen  S.  XLV.)  Der  zuletzt  erwähnte 
Begriff,  wie  im  Menschen,  dem  leb,  der  äusserstc  Punkt 
jener  vor  sich  selbst  erscheinenden  relativen  Seibststanc^- 
keit,  der  Grund  des  Abfalls  eines  Endlichen  vom  Absolu- 
ten, gesetzt  sei,  wird  in  der  spätem  Schrift  :Philosophic 
und  Religion  weiter  ausgeführt. 

Diess  Schellings  Standpunkt  im  Bruno,  dessen 
metaphysischen  Inhalt  wir  im  Vorigen  summarisch 
angegeben  zu  haben  glauben.  Der  Parallelismus  dessdben 
mit  der  spätem  Wissenschaftslehre  leuchtet  übrigens  ein 
unter  der  schon  oben  in  Bezug  auf  sie  angegebenen  Beschrän- 
kung (vgl.  S.558  ff.  578-81.)-  Aber  auch  in  dieser  Gestalt  sind 
es  immer  nur  metaphysische  Axiome ,  welche  noch  sehr 
fern  beiben  von  wissenschaftlicher  Entwicklung,  viel  weiter 
noch  von  eigentlicher  Begründung  im  grossem  Zustmm^i- 
hange  eines  frei  auf  sich  selbst  ruhenden  Systems.  Der 
leitende  Begriff  ist  der  der  Copula»  des  Bandes, 'wodurch 
das  ewig  Eine  sich  selbst .  den  Gegensatz  eines  Unendli- 
chen giebt,  ohne  doch  außsuhdren  ,  im  Gegensatze  -selbst 
das  mit  sich  Eine  zu  bleiben.    Dieser  abstrakte  und  höeb»t 


.  dieses  BogriiTcs.  691 

allgemeine  Begfriff  der  »Selbstbejahung«  im  Andern 
der  Verdoppelung  in  sich  selbst,   um   sich  als  Einheit 
gerade  zu  verwirklichen^  lässt  sich  am  Unmittelbarsten  nur 
vergleichen  und  empirisch  uns  näher  rücken  durch 
den  intellektuellen  Akt  der  Selbstanschauung,  und  ebenso  ist 
zuzugeben,  dass  eine  soldie  Einheit  nur  im  Ich,  im  Selbst- 
bewusstsein,  zur  vollen,  ausdrücklichen  Verwirklichung  ge- 
lange.   Dennoch,  wie  viele  Zwischenbestimmungen  fehlen 
noch  bis  zu  dem  Punkte  hin,  wo  für  bewiesen  gehalten 
werden  könnte^  dass  um  jener  Analogieen  willen  das  AIh 
solute,  als  unenjdliche  C  o  p  u  1  a,  unendliches  Anschauen  sei- 
ner selbst ,  und  der  Akt  der  Weltschöpfung  nur   für  eine 
intellektuelle  That  desselben,  nur  in  absoluter  Vernunft  ge- 
gründet ,  zu  halten  sei !    Noch  weniger  kann   der  Unter- 
schied und  die  Einheit  von  Denken  undAnschauung, 
welche  hier  hineingezogen  werden  aus  nicht  weniger  nur 
empirischen  Voraussetzungen,   jenen  Begriff  weiter   ent- 
wickeln;   überhaupt  ist  es  der   gewaltsamste  Sprung,   das 
Anschauen   zum   einzigen  weltschöpferischen  Principe   zu 
erheben :  welche  Lücken  sind  auszufüllen  ,  welche  dazwi- 
schenfaljenden  Fragen  sind  zu  lösen !    Es  bleibt ,  —  nach 
dem  Bereiche  dieser  Prämissen  beurtheilt,  und  abgese- 
hen von  den  realen  Konstruktionen  und  Anschauungen  — 
ein  ganz  ebenso  abstrakter  Idealismus ,  wie  der  der  Wis- 
senschaftslehre;    und   selber  dessen  wissenschafliiche  Be^ 
gründmig  kann   nach    dem  Bisherigen  nicht  für  erledigt 
gehalten  werden.  Wir  müssen  desshalb  auch  darüber  noch 
immer  den  weitem  Verlauf  des  Systemes  im  Auge  behalten. 
Ein  solcher  ergiebt  sich  in   der  nächsten  Schrift  aus 
dieser  Epoche:  Philosophie  und  Religion  (lQ04t.')^ 
in  welcher  er ,   nach  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  als 
einer  Fortsetzung  des  Bruno,   nachdem  er   der  Darstel- 
lung dßr  reellen  Potenzenreihe   mehrere  Schriften  gewid- 
met hatte,  zum  ersten  Male  in  die  Darstellung  der  ideellen 
Sphäre  übertritt.    Aber  auch  diese  Schrift  ist  Fragment  ge- 
blieben, —  Fragment  in  dem   doppelten  Sinne.,  dass  sie 
^eineiiweges  die  ganze  Welt  des  Ideellen  umfasst,  und  dass 


(392  Schcllings  Philosophie  und  Rdigfion. 

sie  auch,  an  sich  selbst  rhapsodisch  und  aphoristisch,  mehr 
einzelne  Bruchstficke  aus   der  Idealphilosophie  zur  Aiideu-» 
tung  bringt,  als  in  einem  gediegenen  Zusammenhange  dem 
Leser  vorführt.     Ihr  Verßisser  erklärt  und  entschuldigt  es 
halb  in  der  Vorrede  (S.  IIL)  mit  der  äussern  Veranlassung 
zur  Herausgabe  dieser  Schrift ,  welche  nur  vergönnt  habe, 
die  Theile  derselben,  aus  der  höheren  organischen 
Form  gerissen,  welche  sie  ursprünglich  besessen  hätten, 
vereinzelt   dem  Publikum  vorzulegen,    —    Wir   erkennen 
daraus  die  Verpflichtung  der  Kritik  >  jene  höhere  Einheif, 
wo  möglich,  wiederherzustellen,  nicht  nur  in  Bezug  auf  die 
einzelnen  Theile  der  Abhandlung  selbst,  sondern  auch  in 
Rücksicht  auf  ihren  weitem  Zusammenhang  mit   den  vor- 
hergehendem und  nachfolgenden  Werken  Seh  eil ings« 

Wir  sehen  daher  von  den  polemischen  Beziehungen 
der  Schrift  zu  der  damals  schon  hervortretenden  CHaubeas«- 
theorie  von  Eschenmayer  ab,  um  sogleich  auf  ihren 
5pekulativen  Inhalt  einzugehen. 

Es  ist  auch  hier  wieder  die  Idee  des  Absoluten 
und  der  Beweis ,  dass  die  Erkenntniss  derselben  nur  eine 
unmittelbare,  anschauende  sein  könne,  wovon 
ausgegangen  wird.  Nur  das  Zusammengesetzte  ist  durch 
„Beschreibung^  erkennbar,  das  Einfache  aber  will 
angeschaut  sein;  so  vergleicht  er  jene  Erkenntniss  dem 
Lichte  in  der  Natur ,  i  n  welchem  nur  ein  Sehen  der  eis^ 
zelnen  erleuchteten  Dinge  möglich  ist  Völlig  ebenso  kommt 
jene  absolute  Erkenntnissart  nicht  erst  zu  der  Seele  durch 
Unterricht,  Anleitung  u.  dgl.  hinzu,  sondern  sie  ist  ihre  v^ahre 
Substanz  und  das  Ewige  von  ihr:  in  ihr  wird  alles  Uebrige 
erkannt,  und  die  Absicht  der  Philosophie  in  Bezug  auf  den 
Menschen  ist  vielmehr  .die,  ihn  von  dem  Zufälligen,  das  d^ 
Leib,  die  Brscheinungswelt,  das  Sinnenleben  zu  ihm  hinzu^ 
gebracht  hat,  zu  dem  Ursprunglichen  zuruckzufSbren.  Dess^ 
halb  können  alle  Anleitungen  zu  dieser  Erkenntniss  nur 
negativ  sein,  indem  sie  die  Nichtigkeit  aller  endlichen  Ge. 
gensätze  «eigen,  und  so  die  Seele  indirekt  zur  Anschauung 
des  Unendlichen  fähren.    Zu  dieser  gelangt,  lasst  sie  yon 


Standpunkt  dieser  Scbrifl.  693 

telbst  nachher  jene  Behelfe  des  negaÜTen  Beschreiben» 
fallen ,  um  die  Anschauung  in  ihrer  Reinlieit  und  Gegen- 
satzlosigkeit  zu  besitzen  (S.  15-r-17.)- 

Für  die  Reflexion  jedoch  jCd.  h.  iQr  die  Vermitt- 
limg  im  Denken,  welche  jene  Idee  an  das  Gegebene  knöpft) 
lässt  sie  sich  nur  auf  den  dreifachen  Ausdruck  zurftckf3h- 
ren,  welchen  Sohelling  schon  im  Bruno  (S.  166*)  ab 
die  drei  möglichen  Formen  des  Schlusses  nachgewiesen 
hatte:  die  Formen  des  kategorischen,  hypotheti^ 
sehen  und  d  i  s j  u  n  k  t  i  ve  n  Schlusses.  Aber  selbst  diese 
sind  nur  die  Erscheinungsweisen  desAbsoluten 
in  der  Reflexion  (im  Denken),  und  hierin  sind  sie 
alle  sich  völlig  gleich. 

Einer  der  tiefsten  und  fruchtbarsten  Gedanken  8  ekel«« 
lings,  in  dessen  Begrönduhg  und  volle  AusfiUurung  die 
rechte  Aufgabe  einer  spekulativen  Brkenntnisslehre  zu  seU 
zen  istt  Die  Lehre  vom  Schlosse,  als  der  ausgebildetsten 
Vernunft«-  (Denk-)Form  des  Brkennens,  hat  nur  nachzuwei^ 
sen ,  wie  in  jeder  Form  des  Schlusses,  in  besonderer  6e^ 
stalt ,  das  Endliche  im  Absoluten  begründet ,  das  Bedingte 
am  Unbedingten  befestigt  wird.  Alles  Begründen  ist  be-r 
wussüos  oder  mit  ausdrücklichem  Bewusstsein  ein  ^  meta^ 
physischer  Akt,  welchem  die  Beziehung  auf  das  Unbedingte, 
die  Idee  desselben,  schlechthin  zu  Grunde  liegt :  wir  kön-f 
nen  uns  darüber  auf  die  weitere  Ausführung  in  unserer 
Erkenntnisslehre  beziehen,  -r-r 

Die  erste  Form  des  Setzens  der  Absolutheit  ist  die 
kategorische:  das  Absolute  ist  weder  das  blossSub-r 
jekttve ,  n  0  c  h  das  bloss  Objektive;  Diesem  tritt  dabei* 
sogleich  die  hypothetische  zur  Seite :  Wenn  ein  Sub- 
jekt und  ein  Objekt  ist,  so  ist  dfui  Absolute  das  gleiche 
Wesen  beider ,  ebenso  schlechthin  das  Sulyektive,  wie  das 
Objektive.  Damit  ist  zugleich  schon  die  dritte  Reflexions-r 
funn,  die  disjunktive,  gesetzt:  Es  ist  nur  Eines;  aber 
dieses  Jüiuc  kann  auf  völlig  gleiche  Weise  jetzt  ganz  ^U 
ideal,  jet;^  gan^  al^  r^al  betrachtet  wftrdcfi. 

Diese  nicht  vermittelte,  sondern   ganz  unualtelbare, 


694  UnmHIelbaifa^l 

nicht  äussere ,  sondern  innere  Identität  des  Idealen  und 
Realen  hat  allen  Denjenigen  verborgen  bleiben  mässen, 
welche  nicht  erkannt  haben,  dass  das  absolut  Ideale,  ohne 
mit  dem  Realen  integrirt  zu  werden;  an  sich 
selbst  auch  absolut  real  ist. 

Der  Voraussetzung  einer  bloss  vermittelten  Erkennt- 
niss  des  Absoluten,  gleichviel,  wodurch  diese  Vermitllung 
geschehe  ,  kann  das  Absohite  des  Philosophen  nur  als  Et- 
was ers<5heinen,  was  angenommen  wird ,  um  philosophiren 
zu  können;  da  vielmehr  das  Gegentheil  stattfindet:  alles 
Philosophiren  beginnt  un4  hat  erst  begonnen 
mit  der  lebendig  gewordenen  Idee  des  Abso« 
luten.  —  Aber  nicht  minder  wird,  wer  die  Evidenz  er- 
fahren hat,  welche  in  der  Idee  des  Absoluten  und  nnr  in  ihr 
liegt ,  und  welche  zu  beschreiben  jede  menschliche  Spra- 
che zu  schwach  ist ,  alle  Versuche  ,  sie  durch  Glauben, 
Ahnung  u.  s.  w.  auf  das  Individuelle  des  Indivi- 
duums zurückzufiihren  und  zu  beschranken,  als  ganx  un« 
angemessen  betrachten  müssen  (S.  9 — 14.  17.  18.)- 

Der  Zweck  der  erhabensten  Wissenschaft,  sagt  Seh e> 
ling  in  einem  andern  Werke  (über  das  Verhdltniss 
des  Idealen  und  Realen  in  der  Natur  S.  L.  U.% 
kann  nur  dieses  sein:  die  Wirklichkeit  im  strengsten  Sirnie, 
die  Cregenwart,  das  lebendige  Da -sein  eines  Gottes  im 
Ganzen  der  Dinge  und  im  Einzelnen  darzuthun.  Wie  hat 
man  je  nach  Beweisen  dieses  Daseins  fragen  können? 
Kann  man  denn  über  das  Dasein  des  Daseins 
fragen?  Es  ist  eine  Totalität  der  Dinge,  so  wie  das 
Ewige  ist ;  aber  Gott  ist  als  das  Eine  in  dieser  Totalität. 
Die  All-Copula  ist  in  uns  selbst,  als  die  Ver- 
nunft, und  giebt  Zeugniss  unserm  Geiste.  Hier  handelt  es 
sich  nicht  mehr  von  einer  ausser-^  oder  übernatürlichen 
Sache ,  sondern  von  dem  unmittelbar  Nahen ,  dem  allein 
Wirklichen ,  zu  dem  wir  selbst  gehören ,  und  in  dem  wir 
sind.  Hier  wird  keine  Schranke  übersprungen  ,  keine 
Granzc  überflogen ,  weil  es  in  der  That  eine  solche  nicbl 
giebt.  —  ' 


dor  Idee  des  Absoluten.  605 

^^Ucs^  vfßs  man  gegen  eine  Philosophie,  die  vom 
Gütlichen  handelt,  oder  nuch  wohl  gegon  ifiissverslandene 
oder  sich  selbst  missverstehende  Versuche  einer  solciieni 
vorlängst  vorgebracht  hat,  ist  gegen  uns  völlig  eitel, 
und  wann  vfhd  endlich  eingesehen  werden,  dass  gegen 
diese  Wissenschaft  —  Transscendens  und 
Immanenz  vöUigund  gleich  leereWorte  sind, 
da  sie  eben  selbst  diesen  Gegensatz  aufhebt, 
und.  in  ihr  Alles  .  zusammenfliessl  zu  Einer 
Gütterfülllen  Welt«?  *) 

Gegen  die  Kraft  und  Wahrheit  dieser  ErkiäruQge« 
bleibt  kejn  Einwand  übrig ,  und»)  wir  schliessen  uns  voll-- 
ständig  ihnep.  an  io  dein  eigentlichen  Sinne  und  derbe« 
stimmten Begrönzung,  welche  sie  haben  können.  Die. Idee 
des  Unbedingten  ist  die  ursprünglichste,  durchaus  a.prio-» 
rische:  denn  mit  der  schlechthin  ersten  und  unwiltet- 
barsten  Gewissbeit  eines  Seienden  (Wurklichen)  uberhaupl 
i^t  die  Gewissheit  eines  Urwirklichen  gegeben.  Wer  möchte, 
isagen  wir  mit  S  c  h  e  1 1  i  n  g ,  in  der  Fülle]  und  GeVijssheit 
des  Daseins  wohl  nach  Beweisen  des  Daseins  fragen?  Je<- 
der  Akt  des  Bcdingens  und  Begrundens,  auch  im  Einzel'^ 
nen,  setzt  in  sich  die  Grundbeziehung  auf  ein  Unbe- 
dingtes und AUbegröndendes  schon  voraus;  ohne  letzten 
Grund  wäre  nirgends  ein  Grund;  und  so  ist  mitten  in 
diesem  Dasein  des  Bedingten  und  zu  Begründenden  das 
Ursprünglichste,  wie  Gewisseste,  das  Unbedingt-Allbegnui- 
dende.  Diess  meint  und  bezeichnet  Schellings  „intellek- 
tuelle Anschauung«. 

Ob  dieser  von  Fichte  zur  Bezeichnung  der  reinen 
Selbstanschauung  des  Ich  gewählte  und  also  übertxagene 


*)  Damit  ist  die  ebenso  klare,  als  energische  Darstellung  zu  ver- 
gleiclien,  die  Schelling  von  dem  Hauptprincipe  seines 
Systpmes  gegeben  hat  in  der  Darlegung  des  wahren 
Verhältnisses  der  Natorphilo  sophi  e  cur  rer-^ 
besserten  Fichteichen  Lehre  1800.  S.  I3-— !Bf.  33» 
39.  47*  50-63. 


@96      Veniii$chiiiig  4er  UFsprtqgüehkeU  dieser  I4oc 

Avsdfacl^  mit  Gfiiok  eiKl€^t  aei,  wird  sich  mdil|e¥ 
jien.  Vom  Inhalte  desselben  haben  anch  wir  eikemil- 
nis^eoretiseh  und  raetaphysLsch  (iq  einem  sog^eidi  piker 
SU  bestimmenden  Sinne)  die  dtaldilische  Aiisf^hrang  gege?- 
))en,  nnd  verweisen  auf  dieselbe ,  indem  es  hier  mr  gilt, 
^en  Punkt  des  Blnverstandnisses  und  ^er  Abweichung  auf 
das  gcharfste  zu  beeeiohnen.  Denn  woit  Afiem  ist  es  nö- 
Ihig,  den  abgeführten  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Darstellungen  ge? 
genüber,  aitf  die  Granse  ihrer  Berechtigung  hinzuwefaiai, 
fufid  ^e  ^dtern  ^fqrderpngen  <ler  Wissefischaft  an  sie 
gelt^ncl  XU  macliem 

|)oheIli(ig  behauptet  überall  mit  Recht,  dass  man 
durch  aPrklarungen  und  Besohreil^ungeiiS  nicht 
'^zu  gelange  könne ,  die  uvspringlictie  Bvidena;  jener 
Pnmdüberzeuguag  nqck  klarer  zu  machen.  Er  hätte  bcr 
stimpler  sagen  können,  -rr  da  mit  „Brkläreii  und  Beschrei- 
Jf&k^  es  in  der  Spekulation  überhaupt  nh^nds  getba^i  ist, 
r-  dass  schon  ein  ursprAnglich  Unangemessenes  dann  liege, 
durch  ein  begründend  es  Erkennen  dasjenige,  was  Tiel-r 
mehr  Grund  von  Allem  ist,  erweisen  und  befestigen  za 
wollen.  Aber  diess  trifft  zugleich  den  Hangel  der  eigenen 
^rkenntnissthearetischen  Voraussetzungen  Schellings. 
Es  giebt  nicht  nur  ein  deducirendes  Erweisen  durch  Be- 
gründung, wo  veh  dem  Gründe,  als  dem  Höhere,  Yor- 
au^ZHsetzenden,  zu  seiner  Bedingung  herabgeschritten  wird, 
sondern  auch  ein  regressives  Zuröcideiten  desj  Bedingten 
in  seinen  Grund ,  i/aid  so  dennoch  auch  eine  vermittelnde 
JpSrkenntniss  des  Letztem,  welches  sich  daran  eben  als  ins 
Urspr4ungliche,  Unbedingte,  erweist 

Wir  müssen  hier  daher  Sc  he  Hing  dasselbe  erwi- 
dern, was  wir  Jacobi  gegenüber  geltend  machten  (vgf. 
^en  S.  287.  88.  293.) :  er  vermischt ,  wie  dieser ,  ür- 
sprüngliches  mit  Unmittelbarkeit  desselben^  und  die  Idee 
d^s;  Absoluten  so  für  ^t^as  Uomitlelha^s  haltend,  was 
^ie  nicht  ist,  Iqhnt  er  jede  VermiiUung  iur  diosellie 
^,  wie  Jlacobi.  Ihn  trifft  daher  dieselbe  Widcricgung, 
yfie  diesen ,  indem  er  seinen  Vemunflglaubcn  an  Gott  iur 


mit  Umnittelbarkett  derselben,  697 

■ 

etwas  Unmittelbapes  hielt,  und  ebenso  jedoBegrbidiin|f  dtvon 
ablehnte,  Gerade  das  Ursprüngliche  im  Erkennen  muss,  wie-f 
sen  wir  nach,  spekulativ  vermittelt,  zur  Ausdröoklichkeil 
seines  Bewusstseins  gebracht  werden ,  und  ebenso  umge-» 
kehrt :  nup  das  wahrhaft  UrspnInglicHe  und  Orundgairisse 
kann  durch  solche  Vemritthmg.  erwiesen  und  zum  rechten 
6rande  weiterer  Vermitäungen  gemacht  werden.  ^Beweise^ 
von  der  Idee  des  Absoluten  im  bezeichneten  speku-p 
lativett  Sinne ,  weit  entfernt ,  überflüssig  oder  uuzdtig  zu 
sein,  sind  eben  Beweise  ihrer  Ursprünglichkeit,  und 
stellen  sie  erst  als  Idee  hin:  bei  der  Anschauungy 
als  dem  Unmittelbaren,  I^ann  in  keiner  Weis^  mt  ihr  ^< 
lieii  geblieben  werden* 

biess  ist  das  Brste.  Abe?  die  zweite  Frage  ist:  was 
^  spekulative  Brkennen  an  dieser  Idee  in  ihrer  Urt 
sprünglickkeit  wirklich  besitzt,  und  was  erstaua 
einer,  wenn  auch  nicht  öbferaH  zu  ausdrücklichem  fiewusst-i 
sein  gelangenden,  Weiterbestimmung  derselben  hervorgeht? 

Sie  enthält  an  sich  selbst  nur  die  einfache  6e-t 
wissheit  eines  übrigens  durchaus  unbe-« 
atimmten  Absoluten  überhaupt.  In  allem  Dasein, 
sofern  es  werdend  und  wechselnd ,  muss  ein  schlechtbin 
Beharrliches  sein :  soweit  geht  die  Evidenz  jenes  6c^ 
dankens ;  was  dazu  kommt ,  ist  schon  ein  Werk  weiterer 
Ausbildung  desselben,  denkender  Reflexion  darüber.  S  c  h  elt 
ling  sagt  zwar,  dass  die  Idee  des  Absoluten  ihrer  No*«- 
tur  nach  nur  Bin  es  bezeichnen  könne  (8.  8.))  aber  er 
miterlässt  die  Nachwi^sung,  weil  —  er  es  nicht  beweisen 
kennte.  Brst  ein  weiteres,  nftber  die  abstrakte  Ursprünglich-« 
keit  jener  Idee  hinausschpeitendes  Denken,  weiches  sie  be-^ 
zieht  auf  den  allgemeinen  Weltzusammenhang,  und  den  aus 
ihi\k  resultirenden  BegniF  dßs  E  i  n  e  n  U  n  i  v  e  r  s  u  m  s,  kann 
die Nolh>vendigkeit  ergeben,  einen  wahrhaft  letzten,  einen- 
den Urgnmd  d^Sj^dbe^i  an^unel^i^en,  welcher  desshalb  als 
schlechthin  nu^  Ejner  sic^  erweisen  muss.  Die  Evidena^ 
der  Einheit  des  Absohlten  ist  selbst  eine  vermittelte; 
die  Reflexion    eines  sollen    ztnn   Spekulativen   gebildeten 


698  VornioUe  AUottimgr 

Denkens  maas  sich  aus  der  rohen  FahUcilal  vereinzetler 
Stnnendinge  schon  zum  Begrifie  des  Universums  erhoben 
haben ;  und  so  ist  es  gerade  und  auf's  Ansdrücklicbste  bei 
Schelling:  im  Einen  Unhreraun  Objekiivirt.sich  ihm  die 
Idee  des  (diesem  zuii>ige  nnn  einigen)  Absoiulen.  Aber 
hiermit  ist  er  weit  über  dea  remen  Apriorismns  und  die 
VeiTMittftarspninglichkeit  jener  Idee  hinausgeschritten.  Diese 
verboiigen  gebUebenei.  Entwicklung  spekulativen  Denkois, 
die  theils  in  historisch  vorausgesetzten  Veniunftsf  steinen  me- 
tegelegt ist ,  theiis  vom  allgemein  vorausges^zten  Glao- 
ben  des  christUcheil}  Bewuastseinft)  als  ein  von  selbst  sich 
Vecstehcndes ,  .zum  spekulativen  Denken  milhinzugduracht 
wird,  muss  dennoch  in  seiner  vollständigen  Ausfiihrang  zum 
ansdrücklichen  Bewusstsein  jener  Voraussetzungen  und  da- 
mit über. sie  hinansgelangen:  die  von  Schell ing  in  ver- 
meintlicher Uunittelbarkeit  beiasseae  Idee  des  Absolu- 
ten, und  des  Einen  Absoluten ^  muss  vielmehr  in  der 
nadigewiesenen  doppelten  BaZKhung  vermittelt ,  —  nicht 
begründet ,  sondern  als  das  Alibegföndendo  jedes  der  Be- 
gründung Bedürttigen  au^ewiesen  werden.  *) 

Aber  ebenso  sehr  zeigen  sich  die  Folgen  der  unge- 
nügend abstrakten  Fassung  jener  Idee,  in  Geslalt  der  Un- 
mittelbarkeit, an  den  weltern  Ableitungen ,  welche  daraus 
gemacht  werden  sotten.  Es  gilt  iür  Sc  hell  ing,  aus 
ihr  ,,die  Abkunft  der  endlichen  Dinge  und  ihr 
Verhältniss  zum  Absoluten  herzuleiten^  (S.18.). 
Hier  zeigt  sich  nun  jene  Idee  des  Absoluten  in  ihrer 
„Reinheit^  wie  er  sie  festgehalten  wjssen  will  (S.  21.)9 
als  viel  zu  leer,  abstrakt,  bestimnuingslos ,  um  solche  Uer- 
leitung  aus  ihr,  und  ein  Verhältniss  in  ihr  zu  sich 
8  e  1  b  s  t,  auf  gründliche  und  begreifliche  Art  zu  Stande  zu 


*)  Alles  diesa  kano  nur  im  metaphysischen  Zusamroenhange  be. 
gründet  werden  durch  eine  yollsiandige  dialektische  AucHili- 
rtmg  jener  Idee:  wir  verweisen  daher  den  Leser  aatdrilcklicb 
nn  dieselbe  in  der  Abhandlong  aar  spekulatiTea 
Theologie  (Zeitschrift  für  Philosophie  ttad 
spekoi.  Theologie«, M.  V.  U.  2.  S,  155-163). 


der  cndlichfin  Dinge  ^  aus  ihr.  6VH) 

bringen.    Die  Axiome  vom   „einfachen  Wesen  des- 
selben^^,  das    „an  sich  ikur  i d e a I<«   ist,   dem  aber  gleich 
^ewig^  ist  die  «ewige  Form^  j  welche  darin  besteht,  «dass 
dflu^  scUechthin  Ideale ,  unmittelbar  als  solches,  ohne 
also  ans  seiner  Idealitat  herauszugehen,  auch  als  einRean 
Ib8  sei:<'   (S.  22.)  —   woraus  dann  wieder   auf  die  be-* 
kannte  Weise   nach  dem  Resultate  hingelenkt  wird ,  dass 
Ausdruck  jeher   ewigen  Form   das  absolute  Selbst«« 
erkennen  sei  (S.  24.))  —  ivas  können  sie  anders  be* 
weisen ,  ak  das   gänzliche ,  bis  auf  die  Tautologieen  und 
Verlegenheiten  des  Ausdrucks  herab  sich  veiliündende  Un- 
Yermögen  ihres  Urhebers,  durch  metaphysischesDen- 
ken  einen  eigentlichen  Begriffsfortschritt  oder  Realunter^ 
schied  in  der  Idee  des  Absoluten  nacharweisen.    Es  feMI 
der  innere  Widerhalt  in   ihr,    die  Möglichkeit,   wahrhaft 
concreto  Unterscheidungen   in   sie   hineinzubringen,  woil 
der  Röclcgang  aus  dem  Endlichen  in  sie,  aus  der  Welt 
ooncreter  Unterschiede  undGegensätze,  wel- 
che in  ihr  sich  whrklich  vermittein  sollen,  übersprungen 
ist,  oder  verleugnet  wird.  Dennoch  nämlich  bringt  Seh  el-« 
ling   diese  Voraussetzungen  zu  seiner  Darstellung   still*« 
schweigend  hinzu,   und  versteht  sie  in  seine  vermeintlich 
metaphysischen  Nachweisungen  überall  mithinein ,  so  dass 
nun   bei  seinen    weitem   Erörterungen   dieser   Lehrsätze 
(S.  24 — 27.)  nur  den  doppelte  Fall  übrig  bleibt :  entweder 
man  leiht  ihm  dabei  jene  ruckwartsliegenden  Voraussetzun- 
gen ,   und  legt  ihren  Sinn  mit   ihm    hinein  in  jene  Sätze, 
welche  eigentlich,  wie*wir  an  der  ersten  Darstellung  sei- 
nes  Systemes   sdion   zeigten   (vgl.  oben  S.  607-^61509 
ihre  Begründung  allein  in  den  lieiden ,    noch  vom  Stand- 
punkte  der  Differenz  aus  entworfenen  Wissenschaften,  dem 
,yEnt würfe  der  Naturphil o so phie<<  und  dem  „Sy- 
steme des  transscendentalen  Idealismus^  fin- 
den können ;  so  kann  man  in  jene  Erklärungen  alU^rdings 
einstimmen,  ohne  sie  jedoch  in  diesem  Werke  bewiesen 
KU  finden:   oder  man  weist,   wie  die  Rechte  der   wissen- 
scbafUidien  Form  es  fordern,  solche  bewusstlos  bleibende 


760  Onmdmangel 

Unterlage  zurück ;  so  mas8  man  die  voriiegende  DarakeUmg 
YÖllig  ungenügend  finden.  Sie  gewährt  nur  das  Schauspiel  ei- 
nes steten  Ausgehens  von  Voraussetzungen  und  vergeUidiea 
Siohberufens  auf  Sätze  ^  die  erst  bewiesen  werden 
«ad  dadurch,  gerade  bewiesen  werden  sollen ,  dass 
sich  auf  sie  beruft  i  es  ist  die  ununterbrochene  peHHopri 
dpa  des  Beweises^  dass  das  Ideale  zugldch  real  «ei,  «ei 
es  auch  umgekehrt  gelte« 

Hier  ist  es  jedoch  am  Orte ,  hervorzukehren  und  nr 
Anerkenntniss  zu  erheben,  was  Sehe  Hing  in  der  Ikai 
gemeint  hat  mit  dem,  was  er  nur  sagt  -^  Hätte  er 
jene  rfiokschreitende  Vermittlung  vom  coucret  Eodlieken 
des  Subjektiven  und  Objektiven,  von  Oeist  und  Nater, 
kl  das  Absolute,  als  die  ebenso  concrete  Identität 
l>eider,  wirklich  vollzogen,  wie  wir  diess  hier,  wie  iberaU 
in  seiner  allgemein  metaphyäschen  Beweisiuhrung,  bei  ihm 
vermissen:  —  so  war  mit  dieser  Vermitllung  der  Idee  des 
Absoluten  auch  eine  andere,  selbst  concrete,  Idee  de»« 
selben  gefunden.  Hat  sich  die.  Natur  erwiesen,  als  die 
objektive  Vernunft,  der  in  der  Unmittelbarkeit  sei« 
ner  selbst  noch  befangene  Geist,  der  bewussle  Geist  aber, 
als  die  zu  sich  selbst  sich  vermittelnde  Natur;  ist  also  die 
Wesensgleichheit  von  Natürlichem  und  Geistigem  im  Be. 
griffe  des  Idealen,  der  Vernunft  selbst,  gefunden; 
wird  dann  ferner  von  dem  also  im  Endlichen  sich  realisi^ 
renden  Weltb egriffe  aufgestiegen  zum  absoluten 
Principe  desselben:  so  kann  diess  nun  nidit  mehr  ge- 
dacht werden  als  eine  abstrakte  Identität  des  Sub- 
jektiven und  Objektiven,  mit  unmittelbarer 
und  ausschliessender  Immanenz  in  diesem,  son- 
dern als  das  an  sich  selbst  Ideale,  als  der  absohite 
Geist,  zugleich  darin  aber  als  die  absolute  Macht,  sich 
zu  realisiren,  ohne  damit  die  Natur  des  Geistes  abzulegen, 
ohne  „herauszugehen  aus  seiner  Idealität« 
(S.  24.  26.)*  ~r  Untec  diesen  in's  Benken  heram^fe- 
stellten  Voraussetzungen  scblicsst  die  Immanenz  des  Abso^ 
luten  seine  Transsc^idenz  wiiklich  in  sich ,  und  die  ailge* 


dtcsos  Vcrsttcks«  .    7Q1 

Meine  Möglichkeit  ist  nacbgcWie^n ^  wie  jeiiär  ganze  Qe-^ 
gemsAtz^  nach  Schellings  früherem  Aussprache,  «völlig 
bedeutungslos^  für  das  System  werden  könne !  er  ist,  we-» 
aig'stens  dem  Principe  nach ,  vermittelt. 

Mögen  nun  auch  jene  Prämissen  keinesWeges  als  atis^^ 
reichend  befunden  werden  zur  Lösung  der  ersten  meta«*- 
physischen  Aufgabe^  mnss  bekannt  werden,  dass  in  ihnen 
Lücken  und  Unentschiedenheiten  zurückbleiben  *)  t  so  enU 
sprechen  sie  doch  genau  dem  bisherigen  Standpunkte 
S  c hellin gs,  und  erklären  vollständig,  wie  wir  ihn  in  der 
hier  betrachteten  Schrift  wiederfinden*  Wir  können  daher 
unter  diesen  Vorbehalten ,  welche  unsere  Kritik  schön  in 
sich  schliessen ,  sogleich  auszeichnen ,  welche  weitere 
Entwicklung  seiii  Prtncip  erhalten  hat.  Das  Resultat  des 
darin  Gewonnenen  ist  nämlich ,  dass  der  Standpunkt  der 
blossen  Identität  des  Endlichen  und  Unendlichen  immer 
mehr  verlassen  wird,  und  schon  mit  Bevnisstsein  und  Au&^ 
drficklidikeit  der  Begriff  der  Immanenz  Gottes  in  der 
Welt  in  die  Idee  einer  Transscendenz  desselben  über«* 
zugreifen  beginnt 

Wir  haben  nämlich  hier  nach  Schell  in g  Folgendes 
zn  unterscheiden:  Pas  schlechthin  Ideale,  das  eTwig  fiber 
aller  Realität  schwebt  und  nie  aus  seinef 
Ewigkeit  kemustritt  -*  Gott;  -*•  was  Isidion  an 
das  „reine  Sid)jekt^  der  spätesten  Aaflhssung  erinnert, 
^vrdcbes  nach  allen  Versuchen  objektiv  zu  werden,  als 
das  gegen  sie  Freie  und  Siegreiche,  stehen  bleibt^ :  ^  so-^ 
dann  das  schlechthin  Reale  (das  Objektivwerden  jenes), 
welches  nicht  ein  wahres  Reales  von  demselben 
sein  kann,  ohne  ein  anderes  Absolutes,  nur  rea-^ 
1er  Weise,  zu  sdn;  und  das  Vermittelnde  beider» 


.*)  Aoch  hier  matitn  wir  lur  Ergänzung  und  Erläutenmg  auf  did 
Vollständige  Ausfuhrung  derselben  verweisen,  welche  auf  den 
hier  erwähnten  Seh etling sehen  Standpunkt  ausdrücklicb 
Rücksicht  nimmt  (zur  speku  L Theologie  a.  a*  O.  Bd.  V. 
H.  I.  S.  94-96.  111—113). 


/02     •  Dennoch  Vorbcreiliing  «larin 

die  Absoliithoit  oder  die  Form.  Inwiefern  nun,  kraft 
derselben,  das  Ideale  im  Realen,  ate  seinem  sdbsteiandigeii 
Gcgenbilde,  objektiv  wird,  „kann  diese  Form  als  ein 
Selbsterkennen  beschrieben  werden«^,  das  aber 
nicht  ein  nor  Accidenteltes  am  Absoluten,  sondarn  sdbsl 
seine  substantielle  Natnr  ist. 

Diess  selbststandige  Siohselbsterkennen  des  schlecht- 
hin Idealen  ist  nun  die  ewige  Umwandlung  der  reinen 
Identität  in  Realität^  das  Absolute  wird  daher  darin  nicht 
bloss  in  einem  idealen  BUde  von  sich  objektiv,  sondern 
in  einem  Gegenbilde,  das  zugleich  es'selbst,  ein 
wahrhaft  anderes  Absolutes  ist.  Sein  schöpferisches 
Produciren  ist  ein  Uineinbilden ,  Einschauen  seiner  selbst 
in  das  Reale,  wodurch  diess  selbstständig,  und 
gleich  dem  ersten  Absoluten  in  sieh  selbst  ist. 
Diess  ist  die  Eine  Seiie  an  ihm.  — -*  Aber  es  ist  diess 
selbststandige  objektive  Gegenbild  seiner  selbst  doch  nur 
dadurdi  möglich^  sofern  es  zugleich  orsprünglich  Ideales, 
die  ewige  Form  des  Selbsterkennens  ist:  diess  ist  seine 
andere,  ideale  oder  subjektive  Seite.  (S*  23 — 29.) 

Hit  andern  und  ausdrücklichem  Worten,  —  die  frei- 
lich hier  eben  noch  nicht  bis  zu  dieser  Ausdrücklichkeit 
herausgeläutert,  viel  weniger  zur  BegrUTsvermiltiung  gelangt 
sind:  —  die  Immanenz  Gottes  in  der  Weltob- 
jektivität ist  selbst  nur  möglich  in  Folge,  sejner 
ursprünglichen  Superiorität  über  dieselbe, 
seiner  rein  idealen  Transscendenz.  Jene  hat  io 
diese  sich  aufgelöst  und  zugleich  ihren  Grand  in  ihr  ge^ 
funden.  (ass  diess  die  einzig  rechte  Deutung  derSchel- 
1  i  n  g  sehen  Worte  sei ,  scheint  sciion  daraus  hervorzuge- 
hen^ weil  nur  unter  dieser  Voraussetziog  der  Begriff  eines 
objektiven  Gegenbildes  Gottes,  als  eines  zweiten  Abso- 
luten, zulässig  und  vjdkständlich  wird;  auch  so  nur  ferner 
ist  Konsequenz  und  Zusammenhang  in  die  folgenden  Er- 
klärungen hineinzulegen,  wovon  sogleich. 

Demungeacbtetmuss  andererseits  zugegeben  werden, 
dass  mit  diesen  Fortschritten,  die  Sehe  Hing  hier  nicht 


mt  cino  höhere  Bntwickhmg  703 

tindcullich  Ober  sein  eigenes  ursprungliches  Prindp  gewon- 
nen hat,  die  wirklichen  Präfnisscii  f^cincr  Deduktion,  wiä 
er  hier  sie  giebt,  völlig  anzureichend  werden.  Er  unter» 
scheidet  offenbar  mit  mehr  oder  minder  Bewusstsein  eine 
doppcIteExistential  weise  des  Absoluten:  die  ideale, 
überobjektive ,  und  die  reale ,  wdtobjektive :  die  Vermitl- 
lung  beider  ist  die  ewige  Form,  das  absolute  Selbsterken*- 
nen  jener  in  dieser.  Ist  es  jedoch  nur  Ernst  mit  jener 
Behauptung  einer  idealen  Existenz  desselben,  ist  sie  In  der 
That  „das  erste  Absolute,^  wie  er  sie  nennt;  so  er* 
giebt  sich  sofort  die  weitere  Anforderung,  ihr  selber,  ab 
<iieser  ersten,  eine  eigene  Form  der  Existenz,  ein  von 
jener  ihrer  Objektivität  freies  Insichselbstsein  zu 
vindiciren. 

Und  diess  wird  auch  aus  den  nächsten  Gründen,  wel- 
che der  gegenwärtige  Zusammenhang  an  die  Hand  gi^t, 
sich  nicht  abweisen  lassen :  damit  das  Absolute  sich  o  b-* 
j  e  k  t  i  V,  im  Universum ,  erkennen  könne  ,  bedarf  es  eines 
ursprünglich  idealen  Selbsterkennens  in  ihm  (oder 
nach  der  im  Bruno  beliebten  Unterscheidung :  das  zur 
Welt  sich  realisirende  Anschauen  des  Absoluten  setzt 
Denken,  eine  vorbildliche  Idealwelt  in  ihm  voraus). 
'  Whr  jerhielten  so  in  Sehe  Dings  eigenem  Sinne  einSclbst- 
erkennen  Gottes  von  idealer,  wie  realer  Art,  eine 
doppelte  Form  seiner  Existenz. 

Aber  hiermit  ergiebt  sich  für  ihn  nur  eine  neue  Ver- 
legenheit; denn  kaum  wird  es  jetzt  gelingen,  in  den  Begriff 
des  Selbsterkennens,  das  seiner  ganzen  Natur  nach  nur  ein 
Ideales  bezeichnen  kann ,  eine  so  triftige  Unterscheidung 
hineinzuzwingen ,  dass  es  irgend  begreiflich  werde ,  wie 
jene  Intellektualweit  durch  den  blossen  Akt  der  Selbstan- 
schauung aus  Idealität  in  Realitüt  übergehe,  da  ihre  Ejör- 
stenz  in  einem  solchen  Selbsterl^ennen  überhaiy)t  nur  die 
ideale  sein  zu  können  scheint.  So  miiss  si<^  nach 
Scheliings  eigenen  Voi^aussetzungen  der  Begriff  dos 
Selbsterkennens  als  völlig;  ungenügend  erweisen,  umRealh- 
grund  des  ^Gegenbildcs''  Gottes,  des    „zweiten  AI»- 


704  des  ScheUingschen  Principes« 

Bolütcn^  zli  werdeti.  Die  Welt  serschmilzt  in  die  ideale 
Ihn^Iichkeit  der  göttlichen  Selbstanschannng,  jene  relative 
Selbstständigkeit  odet  Absolutheil  der  Ideen  (von  welcbea 
sogleich  mehr)  wird  nicht  erreicht  ^  nnd  an  die  Stelle  des 
die  Transscendenz  des  Absoluten  auf  den  vorigen  Stand- 
punkten absorbireiiden  Weltbegriffes  ist  jetzt  A kos m Is- 
mus getreten ,  was  iih  letzten  Effekte  und  Resultate  wak 
Jenem  auf  Eins  hinauskommt! 

Doch  sind  diess  Bedenken  ^  mit  denen  wir  nicht  nnr 
über  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s  Standpunkt,  wie  er  im  angefahrten  Weike 
niedergelegt  ist,  sondern  über  den  Bereich  der  gegenwips 
tigen,  in  Hegel  kulminirenden  Spekulation  hinansb^teiD. 
Im  Gegentheil  ist  zu  sagen 4  dass  in  Schell ing  allein 
und  ausdrücklich  das  Bewusstsein  dieser  Probleme  $  und 
der  Dtaiig  ihrer  fiefsten  Und  durchgreifendsten  Lösong^ 
angetroffen  wird ;  desshalb  hat  es  auch  mit  jenem  Begriffe 
« weltschöpferischen  Selbsterkennens  bei  Schell  ing  sein 
Bewenden  nicht  gehabt  Oilfenbai'  hat  das  Gefiihl  dieser 
Schwierigkeit  ihn  hier  zu  dem  j,  Abfalle  <^  der  Ideen  von 
Gott,  um  wenigstens  den  Söheid  eines  Andersseins 
zu  erklären  ^  hingedrangti  Späterhin  tritt  der  Wille  als 
universales  Prineip  an  die  Stelle  decäselben :  in  welchem  Sinne 
und  unter  welchen  begrifflichen  Konjunkturen »  wird,  sich 
im  weitern  Verlaufe  zeigen«  -^ 

Mit  jener  Lehre  vom  Abfklle  und  der  daran  hangen-« 
den  Frage  von  der  ,,Abknnft  der  endlichen  Dinge  aus  dem 
Absohiten^  und  von  ihri^  Bezäehung  zn  ihm  verbalt  es 
sich  nach  dem  Bisherigen  nun  folgender  Gestalt : 

Das  Absolute  wurde  im«  RealcA  nicht  wahrhaft  objek» 
iiv,  theilte  es  ihm  nicht  die  Macht  mit «  gleich  ihm  seine 
Idealität  in  Realitäl  zU  verwandeln^  uod  sie  in  beson^ 
dern  Formen  ztl  objektivireft«  Dieses  zweite  Produ-> 
ciren  ist  das  der  Ideen ^  odejT  dieses  und  jenes  Prodo- 
ciren  durch  die  absolute  Foi'm.  ist  vielmehr  Eins.  Auch  die 
Ideen  sind,  relativ  üuf  ihre  Ur^inbeit  in  Gott^  in  sich 
selbst;  aber  sie  vermögen  es  nur  dadinrch  zu  sein^  dass 
sie  selber  zugleich  ideal,  in  der  Uccmbeit  sind« 


Das  Nähere  jener  Ableitung.  705 

ITiemit  ist  behauptet^  dass  die  Ideen,  die  wahrhaft 

realen  Dinge  -^  nicht  die  sinnlichen^  die  Scheinbilder  der 

Ideeti)  -^   durch  das  erste  Produciren  derselben  aus  Gott^ 

mar  nach  ihrär  Möglichkeit  -^  sich  zu  Objektiviren -r^ 

niciit  nach  ihrer  Wirklichkeit  gesetst  sind:   ihre  Ver^ 

virirklichiing  ist  wesentlich  ihre  Selbstthat^  in  welcher  sie 

jedoch  Wahrhaft  Eins  mit  ilfrem  Absoluten,  und  Gegenbilder 

desselben  Joder  der  Ureinheit  sind.     Diese  relative 

Absolutheit  und  das  Selbstverwirklichen  der 

Weltwesen  ihr   ftufolge^  ist  eine   der  wichtigsten 

Bestimmungen   für  Sohellings   Und  die  ganze  folgende 

Philosophie:  .mag  auch  der  metaphysische  Dedüktionsgrund^ 

welcher  hier  gegeben  wird ,    dass  das  objektiviretide  Ab-» 

solute  seiner  Objektivität  die  Gegenbildlichkeit^  die  gleiche 

Natur  desfo^esetztenProducirens  verleihen  müsse,  so  alt^ 

gemein  ausgedruckt»  fiir  ungenügisnd  gehalten  werden»  .  Eä 

fehlen  abermals  hier  Zwischenbestimmungen»  um  jenem  Be^ 

griffe  der  Bbenbildlichkeit  die  Ausdrücklichkeit  und  scbarib 

BegrdnZüng  zu  geben ,  in  welcher  er  Wahrheit  und  Be-» 

greifliehkeit  gewinnt»  d;  h.  authdrt,  doch  nur  ein  halbsym* 

boüscher^  Aiksdruck  zu  sehi»  *^ 

Das  Resultat  dieser  fortgesetzte  Subjekt-Objektivimng^ 
wekhe  nach  dem  Einen  ersten  Gesetze  der  Form  desAb^ 
0oliilen  ins  Unendliche  geht)  istt  dass  die  ganze  ab- 
soiote  Welt  mit  allen  Ab^fiingen  der  Wesen  sich  auf  die 
absolole  Einh^t  Gottes  redücirt^  dass  demnach  in  jener 
nichts  wahrhaft  Besonderes,  und  bis  hierher 
Nichts  ist  ^  das  nicht  absolut  ^  ideal  ^  ganz  Seele  und  nor* 
iura  nat%ran$  wäre» 

Hier  schallet  sich  nun  der  von  Neuem  unterbrochenen 
Deduktion  eine  lebhafte  Polemik  gegen,  jede  ältere  und 
neuere  Philosophie  ein^  welche  versucht  habe^  an  der 
vermeintlichen  Realität  der  endlichen  Dinge  haftend ,  eine 
Ableitung  desjenigen,  was  wahrhaft  nicht  existirt,  aus 
dem  Absoluten  zu  unternehmen.  Die  ächte  Spejkulation  habe 
au  den  erscheinenden  Dingen .  nur  dtrs  negative  Verhält-* 
nisS)   ihr  Niditsein,   daher  aqph  ihre  unmittelbare 

45 


700  Das  Nfihere 

Verhältnisslosigkeit    znm  Absoluten  m    beweisen. 
Hiermit  wäre  sonach  die  Lehre  von  der  ^Abkunft  der  end-« 
liehen  Dinge«   umgekehrt   der  Beweis,    dass   eine    solclie 
Abkanfl,  wie  ihre  Existenz,  keine  Wahrheit  hdhe.  —  Jbl 
Einem  Worte,  vom  Absoluten   zum  Wirklichen   giebt   « 
keinen  stetigen  Uebergang;    der  Ursprung    der  Sin« 
nenwelt  istnur  als  ein  f  ollkommen««  Abbre* 
eben  von  der  Absolutheit,  durch  er nen  Sprung 
denkbar:  -^  ^  ihr  Grund  kann  nicht  in  einer  Mitthei' 
hing  von  Realität  liegen ,  welche  Mitlhcilung  vom  Absoiu- 
ten  ausgegangen  wäre;   er  kann  nur  in   einer  £nt« 
fernung,  in  einem  Abfalle  vomAbsalutea,  lie- 
gen« (S.  29—35*). 

Diese  zunächst  ganz   assertorisch   und  im  Tone  der 
Versicherung  eingeführte  Lehre  vom  Abfeile  der  endlichett 
Dinge  bringt  nun  die  Deduktion  eigentlich  voa  der  Stelle, 
und  über  das  farblose  Produciren  der  Ideen  aus  Ideen  in's 
Unendliche  hinaus  (S.  34*  35.)-    Es  ist  ^  kein  Konslgriff, 
aber  eine  auch  von  andern  Philosophen  häufig  geübte  na« 
turiiche  Selbsthälfe  eines  mit  schwacher  plastischer  Kraft  in 
ihnen  auftretenden  spekulativen  Princips,  statt  einer  stetifM 
Entwicklung  desselben  an  der  Handhabe  der  Polemik  oder 
Kritik  sich   zu  weitem  dialektischen  Bestimmungen  in  thai 
fortzuhelfeir.    Wir  sind  jetzt  bei  einem  —  wir  iMssen  noch 
nicht,  ob  wahren,  oder  nicht  wahren  Andern,  dem  Ab« 
soluten  gegenüber  ,  —  auf  jeden  Fall  bei  einer  ^Staineo' 
weit*'  angelangt,  die  zwar  ^nicht  existirt^,    denningeacklet 
jedoch  ^durch  einen  Abfall  der  Ideen  vom  Absoluten^  cn 
zeugt  ist.    Das  Räthsel  dieses  Widerspruchs^  zu  dessen  Be« 
schwichtigung  die  Seh  eil  in  gsche  Darstellung  sich  durcb 
die  härtesten  Begrifle  hindurchwindet ,  kann  erst  nachher, 
aber  auch  hier  nur  vermuthungsweise,  gelost  werden]  und 
es  könnte  fast  ndthig  scheinen  ,  für  solche  DarsteUongs-» 
art  eine  Art  von  Conjekturalkritik  sich  zu  gestatten,  wie 
bei  der  Forschung  über  alte  Philosopheme« 

Die  Selbstständig^keit ,  das  Insichsdbstsein  der  Idee»« 
weit,  als  des  Gegenbildes  des  Absoluten,  —  diese  eigent« 


jener  Ableitung.  707 

liehe  und  wahre  Realität  desselben,  —  ist  Frei- 
heit,   und  von  jener  ersten  Selbstständigkeit   des- Gegen- 
biides  fliesst  aus,  was  in  der  Erscheinungswelt,  im  endli- 
chen äeiste,  als  Freiheit  wieder  auftritt,  „welche  n^ch  die 
letste  Spür  und  gleichsam  das  letzte  Siegel  der  in  die 
ahgefoliene   Welt  hineingeschauten   Göttlichkeit  ist.<<    Das 
Gegenbild  wäre  nicht  wahrhaft  absolut^   könnte  es  sich 
nicht  in  seiner  Selbstheit  ergreifen >   um  als  das  ander ä 
Absolute  wahrhaft  zu  sein;     Aber  es  kann  diess 
nicht  sein^  ohne  Sich  von  dem  währen  Absoluten  zu 
treniieil^  oder  von  ihm  abzufallen;    Es   ist  aber 
üttr  iti  sich  selbst  und  absolut^  sofern  es  nur  im  Ab- 
sdluteri  ist  -^  (wodurch  jene  Trennung  und  jener  Ab- 
fäll sofort  wieder  zurückgehommiBn  schienen !);    ^^    Diess 
sein  Verhältiiiss  . ist    das  der  Noth  wendigkeit;   aber 
ebeii  in  dieser   äbsoioteri  NothKVenriigkeit  ist  es   absolut 
fräi;    Indäm  es  daher  in  seiher  eigenen  Qualität,  als 
freies^   vöti   der  NbihWen  digkeit  abgetrennt^ 
ist  -^  (v^i*mag  es   denn  aber  eiil  so  Abgetr^nnties  zu 
sein"^    Wir   haben  ja   ebeii  das  Gegentheil  vemonlaeti; 
und  Wehii  es  diess  vermag  ^  Si^  ist  die  Möglichkeit  geradä 
das  Nächziii^eisende) :  -^  hört  es  auch  auf,  frei  zu  sehi^  und 
VerWiökelt  sibh  mit  der  Nothwendigkeit^  wel- 
che diid  Negation  jener  absoluten  ^  also    rein,  ehdlieh 
ist;    D^r  Sache  nach  ist  hierin-  die  wichtig^  und  tiefe  Be- 
trachtung ausgesprochen  ^  dass  die  (wahre)  Freiheit  jedes 
Geschöpfs^  mit  der  i  n  ti  e  r  ti  Nothwendigkeit  seines  Wesens 
Bins^  mir  aus  dieser  flieSst^  dass  eine  davon  losgerissene^ 
grundlose  Freiheit   (Wilikühr)  sich  beizulegen  ^  Selbst-^ 
illüsiöil   und  Täuschung  eines   in   der  äusserlicheii 
CausälverkettUng   der  Dinge  befangehen  (endlichen)  Yer- 
standäs  ist.    In  jener  Darställung  wird  jedoch  die  Wahr- 
heit dieses  Satzes   scheinbar    zum  Selbstwiderspruche  und 
Missvcfrstände^  indem,  was  feilsche  Meinung  ^  Illusion ,  Täu-^ 
schong  des  Verstandes  ist^  dem  Ausdrücke  nach  zu  einen! 
Wirklichen,    zu  einem  „Aufhören  der  Freiheit**^ 
zu  einem  ^Verwickeln  derselben  mit  einer  endlichen  Noth- 


70S  Das  Nähere 

wendigkeit*^  gemacht  wird ,  weiche  doch  in  Wahrbeit  gar 
nicht  existirt  Und  in  diesen  zwis/AenschUlemclen  Begriff 
von  Wiridichkeit  und  NichtWirklichkeit,  in  den  Begriff  eines 
Solchen,  das  nur  in  der  Tauschung  einer  falschen 
Imagination  existirt,  werden  wir  auch  die  Bedea- 
tung  jenes  Abfalls ,  und  der  Entstehung  endficher  Dinge 
durch  denselben,  einschwinden  sehen. 

Der  Grund  des  Abfalls  daher,  und  insofern  auch  j^ies 
Producirens  endlicher,  nichtiger  Dinge,  liegt  nicht  im 
Absoluten,  sondern  im  Realen,  Angeschauten  selbst,  und  in 
dessen  Freiheit.    Vom  Absoluten  aus,  als  dem  Grunde  der 
Freiheit,  ist  also  nur  bis  zur  Höflichkeit  desselben  zu 
gelangen:  seine  Wirklichkeit  liegt  lediglich  im  Abge- 
fallenen selbst,   welches  eben  daher   ^^nur  durch   und 
für  sich  das  Nichts  der  sinnlichenDinge  pro^ 
dncirt^.    Indem  nämlich  das  Producirende,  vom  Absola- 
ten  getrennt ,  selbst    nicht  mehr  absolut  ist ,  kann  es  nur 
dasjenige  produciren ,  dessen  Realitfit. ausserhalb  sei- 
ner Idealität  ist,  welches  demnach  nur  eine  sinnliche, 
bedingte  Wirklichkeit  hat. 

Daher  kann  auch  der  Ursprung  keines  endliGhen  Dings 
unmittelbar  aufs  Unendliche  zurückgeführt,  sondern 
nur  durch  die  Reihe  der  Ursachen  undWirkungen  begrif- 
fen werden,  die  selbst  endlos  ist ,  wodurch  auch  hier  ge- 
zeigt wird,  dass  der  Grund  der  endlichen  Dinge  nur  ab 
ein  Abbrechen  von  der  Absolutheit  gedacht  werden  kann. 

Das  Producirende  derselben  bleibt  immer  die  Idee, 
„welche,  sofern  sie  bestimmt  ist,  Endliches 
zu  produciren,  in  ihm  sich  anzuschauen, 
Seele  ist^.  —  Dieser  ist  ein  doppeltes  Leben  verliehen, 
eines  in  sich  selbst,  wodurch  sie  aber  der  Endlichkeit  ver- 
pflichtet, und  welches,  inwiefern  es  vom  andern  sich 
trennt,  ein  Scheinleben  fst;  das  andere  im  Absoluten, 
welches  ihr  wahres  Leben  ist  Dieser  Ewigkeit  des  Ab- 
falls und  seiner  Folge,  des  sinnlichen  Universums,  ungeach- 
tet, ist  sowohl  in  Bezug'  auf  das  Absolute,  als  auf  die  jene 
Scheinwelt  producirende  Seele,  jener,  der  Abfall,  wie  dieses, 


Jener  Ableitung.  709 

das  siftnliche  Universum ,  ein  bloss  AccidenteUes , '  Ansser- 
wesenlliches :  in  keinem  von  jenen  beiden  verändert  er 
Etwas ,  weil  das  Gefallene  sich  unmittelbar  dadurch  in  das 
Nichts  einfahrt ,  und  in  Ansehung  des  Absoluten,  wie  des 
Urbilds  (der  producirenden  Seele)  ,  es  wahrhaft  Nichts 
und  nur  für  sich  selbst  ist. 

Die  Seele ,  ihren  Abfall  erkennend ,  strebt  gleichwohl 
in  diesem  ein  anderes  Absolutes  zu  sein  und  Absolutes  zu 
prodociren*    „Ihr  Verhängnisse  ist  aber,  was  an  sich  ideal 
war ,   real,   demnach  als  Negation  des  Idealen ,  zu  pro- 
duciren.    Sie  ist  also  produktiv  von  besondern 
und   endlichen  Dingen.     Aber  sie  strebt ,  in  jedes 
dieser  Scheinbilder  die  ganze  Idee  nach  ihren  beiden  Ein- 
heiten, und  alle  ihre  Abstufungen  hineinzulegen  ,   und  so 
entstehen  ihr  die  verschiedenen  Potenzen   der  Dinge,  in- 
dem sie  slurenweise ,  jetzt  ganz  im  Realen ,  jetzt  ganz  im 
Idealen  die  Idee  ausdruckend ,   sich  bis  zur  Ureinheit  er- 
hebt.   Aber  um  ihrer  Verwicklung  in  die  Selbstheit  willen, 
ist  ihr  Produkt  nur  die  natura  naturata^  welche  sich 
für  sie  in  den  Schauplatz  der  Geburt  der  endli- 
chen und  sinnlichen  Dinge  ausbreitet. 

Die  in  den  Abfall  hineingezogenen  beiden  Einheiten 
der  Idee,  die,  wodurch  sie  in  sich,  und  die,  wodurch  sie 
im  Absoluten  ist ,  die  an  sich  selbst  Eins  sind  (und  sein 
sollen),  werden  in  dem  Abfall  zu  einem  Zwei,  einer  Dif- 
ferenz, und  die  Einheit  wird  ihr  daher  nothwondig  zu  ei- 
nem Drei. 

Das  Bild  dieses  Insichselbstseins  ist  die  Zeit;  denn 
jedes  Ding  ist  zeitlich ,  welches  die  voUkommene  Möglich- 
keit seines  Seins  nicht  in  sich  selbst,]  sondern  in  einem  An- 
deruhat,  und  dieZeit  ist  daher  das  Princip  und 
die  notbwendige  Perm  aller  Nichtwesen. — 
Das  Bild  der  andern  Einheit ,  der  Zurücknahme  des  DifTe- 
renten  in  die  Ureinheit,  ist  der  Raum;  in  ihm  ist  dieselbe 
zur  umfassenden ,  die  Diflerenzen  in  die  Identität  zurück- 
nehmenden Totalität  ausgebreitet. 

Das  Producireade  (die  Seele)   sucht  inde5s  das  Pro* 


710  D^  Nai^erQ 

• 

(iacir(e  so  viel  möglich  der  Idee  gleich  zu  inacheiu    Wie 
das   wahre  Universum  alle   Zeit   als  Möglic^keil  in 
sich,   aber  keine  ausser  sich  hal,  strebt  j^nes,   die  Zeil 
(lern  Dritten  (dem  der  Zeit,  wie  dem  Räume  eingebildeten 
Produkte,  Naphbilde  der  Idee)   zu  upterwerren,  und  sie  in 
^er  andern  (dieser  gogenbildiichen)  Einheit  zu  fessein. 
Weil  aber  die  Seele  nicht  zurückl^nn  in  dio  absolute  The^ 
sis,  die  absolute  EinSj,  (-::-  und  doch  wird  nachher  ^Is  die 
Bestimmung   und  der  immanente  Zweck  des  Uniyessnms 
^ez^eicl^net  die  Versöhnung  des  Abfalls  und   die  Räckkehr 
der  Seelß  in  die  wahre    —  bewusste  —  Emheit  noit  den 
Absoluten;    hier  bleibt  also  zu  fragen,  warum,   was   die 
Seele  ^n  dieser  Stelle ,  bei  ihrem  Ausgange  aus  dem  Ab- 
soluten ,   nicht  vermag ,  ihr  durch  jenen  ableitenden  Uan 
^eg  gelingen  soJl  fy  rr  so  producirt  sie  niu:  die  Synihesis 
^der  die  Drei  ^  worin  die  beiden  Einheiten,  nicht,  wie  im 
Absoluten  ungetrübt,  i^s  ein  und  dasselbe  Eins,  das  sich 
^icht   summirt,    sondern   als  ein  unfkberwindii- 
9  h  e  s  Zwei  stehen.  (Warum  oder  wie  «unüberwindlicbes«? 
P^ss(  das  Eingehen  des  Raums  in  die  Zeit ,  und  die  Ansr 
gleichung  dieser  stets   zugleich   in  ihnen  gesetzten  Differ 
renz,  in  der  kosnuschen  Bewegung  de^  \V^eltkörper  ^folge, 
als  den^  A.hdrucke  der  Idee  im  sinnUchen  Uni- 
yer  sum,  hatSchoUingim  Bruno  gezeigt:  noch  inniger 
und  durchdringender  wird  die  Einheit  im  chemischen,  be- 
sonders im  organischen  Prozesse,  hergestellt,  welche  letzlere, 
als  da$  Zeit  und  Raum,  jedes  für'  sich,  wie  in  ihrer  wech- 
selseitigen Beziehung,  eigentlich  tiberwindende  ftincq» 
zu  bezeichnen  wäre.  —  Doch  ist  diess  ebenso  für  Schel- 
ling  gesprochen  in  einem  andern  Zusapimenhange ,  lüs 
hier  gegen  denselben.) 

Das  Producirle  ist  daher  ein  Mittelwegen  ,  we^ 
^hes  an  der  Natur  der  Einheit  jind  der  Zweiheit,  ,des  gu- 
ten und  bösen  Princips^,  gleicherweise  Theil  nimmt,  worin 
die  beiden  Einheiten  sich  trüben ,  und  ein  der  ^videoz 
undurclidringJiches  Scheinbild  der  wahren  Realität  hervor- 
bringen.   1:$  ist  die  Materie,   durch  welche,  wie  durch 


jener  AbleUnng.  711 

einen  getrflbten  Spiegel,  die  Seele  von  nun  an  die  wahren 
>Vescn,  die  Ideen,  zu  erkennen  vermag.  Diess  ist  der  Cha-« 
rukter  des  endlichen  Erkennens,  welches  daher  zu  den  Ge- 
|renständen  an  sich  nur  ein  irrationales,  durch  keine  Glci« 
chung'  aurzulösendes,  Yerhaltniss  hat.  (S.  31—45.) 

Das  für  sich  selbst  Sein  des  Gegenbildes  drückt  sich, 
darch  die  Endlichkeit  fortgeleitet,  in  der  höchstenPo- 
Ien2  als  Ichheit  aus.    Die  Seele  schaut  daher  in    alle 
Dinge  schon  einen  Abdruck  dieses  Princips  ein, —  des  allge^ 
meinen  Grundes  des  Abfalls  im  GegenbUde.    Am  unorgani- 
schen Körper  drückt  es  sich  als  Starrheit,  in  derEinbildung  der 
IdcnÜldt  in  Differenz  oderBeseelung,  als  Magnetis- 
mus aus.  An  den  Weltkorpem,  den  unmittelbaren  Seh  ein- 
bilde r  n  der  Idee,,  ist  die  Centrifugenz  ihre  Ichheit.   Wo 
die  Ureinheit,  das  erste  Gegenbild,  in  die  abgebildete 
Welt  hineinfallt ,   erscheint  sie  als  Vernunft  (Ao- 
yöQ ,  zugleich  das  Bild  der  Vernunft ,  der  absoluten  ?orm), 
-—  und  als  gefallene  Vernunft  —  Verstand   (i»©!/?)'   — 
Die  Vernunft  aber  und  die  Ichheit  in  ihrer  wahren  Abso- 
hithcit  -^  sind  Ein  und  dasselbe ;  und  ist  diescj  der  Punkt 
des  höchsten  Insichi^elbstseins    und  der  Entfremdung  des 
Abgebildeten^  so  ist  sie  zugleich  der  Punkt,  wo  in  der  ge- 
fallenen Welt  selbst  wieder  die  urbildliche  sich  herstellt, 
^ene  überirdischen  Mächte  zunächst  versöhnt  werden  und  in 
Wissenschaft,  Kunst  und  sittlichem  Thun  der  Menschen  sich 
herablassen  in  die.  Zeillichkeit    Die   grosse  A.b sieht 
des  Universums  und   seiner  Geschichte  ist 
lieUe  andere,  als  die  vollendete  Versöhnung 
und   Wiederauflösung    in    die    Absolutheit^ 
(S.  41,  420, 

Die  grosse  Absicht  der  gesummten  Welterscheinung  da-^ 
her,  wie  sie  auch  in  der  Geschieht^  der  J^enschheit,  obgleich 
nur  von  ßiner  gleite ,  sich  ausdruckt ,  ist ,  dass  die  Ideen, 
di«  Geister,  von  ihrem  Centrum  abfallen,  sich  in  der  Na- 
tur, der  allgemeinen  Sphäre  des  Abfalls  ,  in 
die  Besonderheil  einiuhren ,  mit  der  Endlichkeit  und  Leib- 
liddieit  sich  impliciren  mussten,   damit  siv  nachher  ,  als 


712  Das  KUiere 

Peiondere,  bi  die  Indififerenz  surftckkehren  ,  und,  iki 
versöhnt,  in  ihr  sein  könnten,  ohne  siez« 
stören,  (S;  64,) 

Die  Natur,  „diess  verworrene  Scheinbild  gefaOener 
Geister^,  ist  daher  nichts  Anderes,  als  ein  Durchgeboioi- 
werden  der  Ideen  durch   alle  Stufen  der  Endlichkeit ,  — 
und   diess  der   höchste  Grund,    wie  die  Bcslinunmig  der 
Potenaen ,  realer  sowohl ,  wie  idealer  Reihe ,    -^  his  die 
ßelbstheit   an  ihnen,   nach  Ablcgnng'  aller  Differenz,  cor 
Identität  mit  dem  Unradlichen  sich  läutert,   und  alle,  sü 
reale,  zugleich  in  ihre  höchste  Idealität   eiofebea. 
Da  die  Seihstheit  eigentlich  das  Producirende  des  Leibes  ist, 
so  schaut  die  Seele  in  dem  Maasise,   als  sie  mit  SelhsChefl 
))ehaftet  ist,   sich  in  einen  materiellem  oder  weniger  Bia<- 
terieUen  Leih  und  Zustand  hinein ,    so  wie  sie ,    wenn  ^ 
im  gegenwärtigen  Leben  Alles ,    was  bloss   auf  den  Leib 
sich  bezieht,  von  sich  abgesondert  hat,  unmittelbar  in  iu 
Geschlecht  der  Ideen  zurückkehrt ,  und  rein  ffir  sich ,  oh&e 
eine  andere  Seite,   in   der  Inteliektualwelt  ewig  lebt  — 
piess,  die  Palingenesie    der 'raensdiliehen  Seele   und  ibie 
Befreiung  von   der  .  niedem  Leiblichkeit  und  Rückkehr  in 
die  Welt   der  Ideen,  ist  nach  Seh  ellin  g   ihre  wahre, 
isugleich  aber  persönliche,  Unsterblichkeit  (S. 68-^7^^)* 
Besteht  aber  die  Sinnenwelt  nur  in  der  Anschaur 
ung  der  Geister;    so  ist  jenes  Zurückgehen  der  See- 
len in  ihren  Ursprung  und  ihre  Scheidung  von  Cos- 
creten   jnigleioh  die  Auflösung  der  Sinnenwell 
selbst,  die  zuletzt  in  der  Geisterwelt  verschwindet,  b 
gleichem  Verhältnisse,  wie  die  Geisterwelt  sich  ihrem  Cen« 
tro  annähert,   schreitet  auch  jene  zu  ihrem  Ziele)  dem 
aucd  den  Gestirnen  sind  ihre  Verwandlungen  bestimmt,  und 
ihre  aümäblige  AuflösuA^  uns  der  tiefem  Stufe  in  ^^ 
höhere. 

Hierdurch  erscheint  aber  jene  UnvenneidUchkeit  to 
Abfalls  und  das  dadurdi  über  dai$  Universum  gekonuDene 
Geschick  selbst  in  einem  höheren  Lichte.  Die  Seibstbei; 
der  Ideen  war  eine  aus  der  wmittelbdreii  Wirkong  Go^ 


Jener  Ableitung.  713 

lierfliessende  Folge  ^der  ewige  Nöfhwendigfceit  seiner  Na«- 
tmr«,  der  absoluten  Form:  die  Selbstheit  und  AbsolutheH, 
in  die  sie  sich  durch  die  Versöhnung  ein- 
führen, ist  eine  selbstgegebene,  so  dass  sie,  als 
^vvahrhaft  selbststflndige  im  Absoluten,  unbeschadet 
von  dessen  Absolutheit ,  sind.  Dadurch  wird  der  Abrall 
das  Mittel  der  vollendeten  Offenbarung  Got- 
tes. Die  Selbstheit  und  Endlichkeit,  welcher  er  die  Ideen 
liingegeben,  die  in  ihm  ohne  selbstiges  Leben  waren,  ver** 
leiht  ihnen  die  Fähigkeit,  als  unabhängig  existirende  wie- 
der i  n  der  Absolutheit  zu  sein ,  weicheis  durch  die  voll- 
kommene Sittlichkeit  geschieht. 

Durch  diese  Ansicht  vollendet  sich  erst  der  Begriff 
Jener  Indifferenz  oder  Neldlosigkeit  des  Absoluten  gegen 
Bein  Oegenbild ;  -««-  es  ist ,  nach  S  p  i  n  o  s  a  's  Ausdrucke, 
die  intellektuale  Liebe,  mit  der  Gottunend- 
lich sich  selber  liebt  im  Gegenbflde,  ihm  die 
Selbstheit  gönnt >  und  in  derselben  —-  es  ist  die  „Endak- 
sicht  der  Schöpfung«  «^  es  zur  Gleichheit  mit  sich  selbst 
zurückführt.  (S.  72.  bis  Ende.  Vgl.  über  die  Freiheit 
S.  494.  95.)  -^  „Das  ist  das  Geheimniss  der  ewigen  Liebe« 
sagt  S  c  h  e  1 1  i  n  g  an  anderer  Stelle  ^),  „dass,  was  für  sich 
absoltit  sein  möchte ,  dennoch  es  flir  keinen  Raub  achtet, 
es  fib  sich  zu  sein,  und  es  nur  in  und  mit  dem  An«^ 
dem  ist«.    Die  Liebe  verbindet  solche ,  deren  jedes  luf 

^c)i  c^ein  |£Qimtef  und  es  doch  ^i cht  sein  will« 


^    r 


la  diesen  Ideen,  <r^  dereii  Ursprung  und  Darstellungs^ 
weise  offenbar  platonisch  ist,  wäiirend  bestimmter  noch 
P  lotin  OS  jcum  Voi4)ilde  gedient  hat  bei  der  Lehre  von 
der  Sede  (der  Psyche )  als  dem|  ndritten«  Principe) ,  die, 


ffm 


^Aphorismen   xur  Elnleltiing  in   die  Nftturphil  o- 
tophie  S.  59« 


71jt  Kritik 

abgewendet  van  ihrem  Ursprünge ,  mit  bewusstlos  ptasli- 
scbem  Triebe  die  Ideen  dem'  Schainbilde  der  Ifaterie  ein- 
bildet, und  so  die  Sinnenwelt  erzeugt;  --r-  in  diesen  Ideen 
müssen  ;iwei  Seiten  scharf  von  einander  geschieden  wer- 
den, der  metaphysische  Thei),  und  der,  wo  realphilosophisdi 
von  den  Potenzen  des  yniver^uins  gehandelt  und  sogar  die 
Qsoliatologie   desselben  vorausgedeutet  wird.      Dbss  beide 
lUlzunah  zu  einander  ger&clKt  sind ,    dass    ganse  Wiss^n* 
achaflei)  ausgebildeter  Spel^ulatiqn  sich  dazwiscbendrängen 
müssten,  um  jenes  mit  diesem  organisph  und  in  ebenmis- 
aiger  Ausbildung  zu  verbinden ,  kmn  schon  die  summui- 
fiche,  aber  wesentlich  vollständige  Berichtersliittang  zeigen» 
welche  wir  vqn  der  Abhandlung  gegeben :  überhaupt  aber 
vqn  der  wissenscharUichen  Foro^  keii^  Wprt  meiir!   Wir 
nüssen  ohnehin  ben\er](en ,    dass  mit   dieser  Schrift  eine 
völlig  neue  Bildungsepoche   in  Sehe  Hing  beginnt,    ^r 
yerläsat   die  Konstruktion   concreter  Naturerscheinungen; 
(j|er  ganze  Standpunkt   der  Naturphilosophie  wird  ihm  seis- 
her   die  Voraussetzung   univer^talerer    Kombinationen  und 
pouceutriFterer  Weltansohauungen,  und  sq  y(ii^d  auch  seioe 
Darstellung  inimer  innerlicher,    ahgewendeter  von  eigent- 
licher Qegriffsentwicklung  oder  dem,   was  gemeinhin  pU- 
Iqsophische  Fprm  h^isst.    So  i^  seine  merkwürdige  Ab- 
handlung uher  die  Freiheit  geschrieben,   das  Bmcb- 
ft^ok  einefii  völlig  andern  Stiles  uud  Inhalts  von  Speiui- 
lat\Qnen. 

Zu  diesen  kann  mau  sich  nur  doppelt  verhalten:  ent- 
weder ihnen  ganz  fem  bleiben ,  als  einem  formell  ungenö- 
genden,  ungeläuterten  Aufgahren  von  speculativen  Ideen, 
fius  welchem  sich  vielleicht,  falls  der  Begriff  hineintritt, 
^jniges  herausscheiden  jtiesis^ ,  während  das  Meiste  vai 
jeden  Fall  ^Is  Schlacke  zu  Boden  (Mit :  —  so  hat  sicb^ 
trotz  des  grossen  afienbaren  oder  geheimen  Einflusses 
jener  Abhandlung  Scheliings,  im  Ganzen  die  phibso- 
phische  Bildung  des  Zeitalters  dazu  verhalten ;  auf  die  g^ 
sammte  spekulative  Fortbildung  haben  jene  Ansichten  nocb 
nicht  eingewirkt    Man  hat  sogar  die  ganze  spätere  Epoch<$ 


diGsei  (des  ddtten)  SSimdpiuiktes,  715 

Scliellingg  fBr  einen  AbMI  dosselbeii  Von  sich  selber 
auszugeben  gewagt !  —  Oder  man  findef,  ohne  Zweifel  ge- 
Techter  und  besonnener  von  der  grossen  Bedeutung  der 
ersten  Weiice  flchellings  auf  den  tiefem  Qeist  der 
iq>4tem  schliessend,  es  überhaupt  nötbig ,  auf  ihren  Inhalt 
anzugehen  i  so  ist  dtess  nicht  ohne  Schwierigkeit  und 
ohne  die  Gefahr,  in  der  Deutung  fehlzugreifen,  Es  wird 
fast,  wie  schon  angedeutet^  eine  kombinirende  Conjektvrnl« 
luitik  nötbig ,  die  aber  zum  Mindesten  ebenso  anziehend 
und  belohnend  ist,  als  wenn  wir  die  grossen  Bruchstöcke 
alter  ^>ekulation  enträthseln. 

Indem  nach  S c h e II  i n g s  eigenen  Erklärungen  *)  die 
«pfltere  Abhandlung  fiber  die  Fr  ei  he  it.  durch  ihren 
Inhalt  an  den  in  Philosophie  und  Religion  ge* 
maöhten  Anfang,  sich  anschticsst,  ^der  freilich  durch  Schuld 
der  Darstellung  undeutlich  geblieben  ist^;  so  f&hrt  uns 
diese  am  Nächsten  in  die  spätere  Schrift  hmfiber.  Durch 
sie,  als  die  mittlere,  kann  es  uns  vielleicht  geitirgen  ,  die 
früheste  Gestalt  des  Systcmes  mit  der  spätem  in  eine  st&r 
tige  Verbindung  zu  setzen.  Wir  nehmen  daher  den  Faden 
der  Kritik  da  wieder  auf,  wo  wir  ihn  faHen  Hessen  (s^  oben 
8.  704.),  um  zur  Berichterstattung  iberzugehen. 

'  Princip  aller  Realität  ist  das  ewige  Selbsterkennen  Gottes  i 
wir  leih^  diesem  Begriffe  einstweilen  die  von  S  che  i  lin  g 
noch  keinesweges  gerechtfertigte  Deutung  ^  dass  nachge* 
wiesen  frei,  wie  der  intellektuelle  Urakt  Gottes,  tn  w^icheii^ 
er  seine  innere^  ideale  Unendlichkeit  anschaut,  und  welr 
eher  alier  Weltbildung  vorauszusetzen  ist,  unterschieden  wer«- 
den  könne  von  depa  sich  zur  Welt  realisirenden  Selbst-. 
erkennen  Gottes,  dass  überhaupt  die  Realität  derselben 
daraus  erklärt  sei  (vgl.  S.  703.).  Aber  in  dem  telzteni 
selber  scheint  nach  Schelling  etwas  Doppeltes  unter- 
schieden werden  zu  müssen.  Der  selbsterkennende  Schö- 
pfungsakt Gottes  dherträgt  seine  ganze  Wesenheit  an  das, 
worin  er  objektiv  wird.:    dies3  ist  die  erste  eigent^ 


f)  Phtiotophisc^he  Schriften  Bd.  I.  Vorred«  S.  IX. 


716  Kritik  dieses  Standpmktes. 

lieh  gföMkhe  SchApftmg;  die  realisirte  Ideenwelt: 
die  Ideen  treten  dadurch,  aus  ihrer  bloss  idealen  Yore»- 
etens  im  Geiste  Gottes ,  in  die  Sonderang  und  Ausdrüek- 
lichkeit  heraus:  es  ist  das  Universum  in  der  FäHe  aller 
seiner  Potenzen  und  Abstulnngen ,  in  welchem  die  ganze 
Möglichkeit  Gottes  objektiv  zu  werden,  real  oder.ob* 
Jektiv  geworden  ist.  Es  ist  daher  Gott  in  seinen  Ge» 
genbilde:  ein  wahrhaft  anderes  Absolute  (PhiL 
und  Relig.  S,  28.  30.> 

Dennoch  scheint  damit  noch  nicht  zugleich  gesetzt  zu 
sein,  was  wir  errahrungsmässig  Raum  und  Zeit  nennea 
(vgl.  a.  a.  0,  S.  45,  47.),  -*-  nämlich  das  sich  ausscUies- 
aende  Aussersichsein  der  räumlich  erlullten  Theile,  die  ge- 
genseitige Undurchdringiichkeit^und  Starrheit  der  Materiatur, 
und  die  ebenso  das  Reale  in  Dehnung  auseinaaderhaU 
tende,  wahrhaft  vernichtende  Form  der  Zeit.  Ueborhaq)t 
Ist  dieser  Punkt  ^  einer  der  dunkelsten  der  S  c  h  e  1 1  i  n  ;- 
sehen  Lehre  ;  und  jene  Herabsetzung  beider  Wiridichkeits- 
formen  zu  Bildern  einer  blossen  Scheinwelt  deutet  auf  dne 
doppelte  Auffassung  derselben :  des  realen  und  des  unrealen 
Raumes,  der  wahren  und  der  falschen  Zeiilicfakeit;-r-  wei* 
ches  Alles  wir  freilich  den  zukünftigen  Fragen  der 
ßpekulatian  beizuzählen  haben.  * 

Aber  die  Ideen,  das  ^wahre  Universum^,  sind  nur  in^ 
sofern  ein  anderes  Absolute,  als  sie  wahrhaft  selbst- 
ständig, in  sich  und  aus  sich  selbst  iahen*  Sie  habea 
ihr  „Wesen«,  das  Urbestimmte  jhrer  Idealität,  in  Gott;  es 
ist  die  unzerreissbare  Einheit,  durch  welche  sie  mit  ihm 
verbunden  sind,  der  sieh  in  der  That  in  ihnen  objektiviit 
hat  Aber  eben  desshalb  ist  darin  der  neue  Anfang 
eines  Slchselbstbestimmens  derselben  gegeben:  ihre  Wirk- 
lichkeit ist  nur  aus  ihnen  selber,'  darch  diese 
Selbstbestimmung:  Freiheit  ist  der  durchaus  universale 
Charakter  aller  Kreaturliohkeit.  Himn  findet  jedoch  Sc  bel- 
li n  g  femer  die  Möglichkeit  eines  Abfalls  der  Ideen,  eines 
SeinwoHens  derselben  ausser  der  Einheit ,  einer  falschen, 
erlogenen  Selbstständigkeit:  wie  aber  durch  das  Prododien 


Das  wesentlich  Neue  desselben.  717 

abgefUleiten  Ideen  die  Scheinwelt  der  endliehen  Dinge 
oraseugt  werde,  dabei  gerade  verdunkeit  sich  die  Evidenz, 
1M^<1  die  Stetigkeit  der  Entwicklung  wird  lockerer. 

Dennoch  ist   sogleich  der   Gedanke  heraniSzuheben» 

nr^chen  wir  für  den  neuen  und  entscheidenden  zu  halten 

nicht  umhin  können:    der  Begriff  einer  relativen  Ab« 

s  o  1  n  t  h  e  i  t  der  Kreatur ,  der  Satz  ,  dass  sie  ihrer  Mög- 

liehkeit  nach  aus  Gott  sei,  ihre  Wirklichkeit  aber  aus 

sich    selbst,    aus    .einetoi   neuen  Anfange    durch 

Selbstbestimmung  habe.    Keine  Verwirklichung  der  Kreatur 

isi  das   blosse  Produkt  einer  Schöpferwirksamkeit   in  siß 

hinein ,    sondern   das   Zusammenwirken  Gottes ,   in   dem 

Grunde,  weichen  er  durch  die  Idee  für  die  Kreatur  gelegt 

hat,  und  der  sich  bestimmenden,  ein  eigenes  Leben  in  sich 

(»tzändenden  Kreatur  selber. 

Hiermit   halten   wir  den    ersten  Schritt  gethan  zu 
einer  Ueberwindung  des  Pantheismus,  und  so  aUch  zu  einer 
Losong  der  Fragen  über  das  Yerhaltniss  von  Freiheit  und 
Notfawendigkeit ,  Selbstständigkeit  des  Willens  und  Wirk-« 
samkeit  Gottes«^  auf  eine  nicht  mehr  nur  abstrakte  Weise* 
Diese  Probleme  müssen  aber,  ebenso  wie  etwa  die  Frage 
nach  Persönlichkeit  des  Menschen  und  Unsterblichkeit ,  im 
Ganzen  ond  Universellen  des  metaphysischen  Princips  ge-' 
löst  werden.    Dieser  Begriff  ist  die  eigentliche  Entdek- 
kung  Schellings   auf  seinem    dritten  Standpunkte  und 
der  Anfang  einer  neuen,  umgestaltenden  Philosophie:   erst 
lüermit   ist   der  BegriS  der  Immanenz  oder  der  Identi-» 
tat  des  Unendlichen  nnd  Endlichen  (der  Gentralbegriff  des 
zweiten  Standpunktes)  eigentlich  durchbrochen,  und  eine 
Philosophie  eingeleitet,  welche  über  den  wissenschaftlichen 
Kuhmnationspunkt  seines  nächsten  Nachfolgers ,  Hegels, 
hinausreicht  RealphUespphiscb  ist  diess Princip  von  Stef- 
fens, metaphysisch  von  den  Systemen  ergriffen  worden, 
welche  dadurch  gerade  das  Recht  erhellen,    sich  nach-, 
hegelsche  zu  nennen.     Aber  es  ist  diess  jetzt  kein 
Gedanke  mehr ,  welcher  dem  einzelnen  Philosophen  ange- 
hörte, von  dem  ein  ausschliessender  Besitz  noch  mögtieh 


f^ 


Üb  Kritik 

Mrei  ^  ist  dAs  tidbte  ficdfirßiiss  ^r  Zeil  in  Hileit 
ZvTäigen  ihi^r  Bildung)  imd  ein  dtess  befriedigendes  pUlo- 
sophisches.  System  ist  jetzt  Hur  tioch  von  jeneu  AaAk 
potlkte  tndglich  4  lienne  man  sein  Prinzip  das  der  Person- 
liebkeit  oder  das  der  Frethail^  nd  in  der  lliat  kami  man 
es  auf  diese  aweifache  Weise  nennen  t 

Aber  liierin  üegt  für  Scheiling  noch  die  elgent^ 
liebe  ParadoxieV  die  tiefste  Schwierigkeit  seiner  Lehre  — 
Vielleicht  andi  aller  Spekulation  ?  £s  ist  eu  ^ehen^  wie  er 
sie  in  Philosöphiä  und  Religion  su  lösea  suchti 

Die  ^erste  Schöpfung*   ist  dieser   sufolge  iii  den  ob^ 
jektiv  kingeschauten^  dadurch  zur  Schiedlichkäl  gekomme« 
neu  Ideen  su  sucbem     Diese  würden  jedoch  nicht  wahr- 
haft objektiv,  theilte  ihnen  das  Absolute  nicht  dasselbe 
t)roduktiYe  Vennogen  ,    die  Mächt  mit  ^    seine  Idealität  in 
Reftlitflt  umzuwandiilR  ^und  sie  iii  besondern  Por med 
im  objektivilren«  (8.  29;>    Diess  ist  ^das  zweite  Prodo« 
dren<^    der  Ideen    (die  xweite  Schöpfung).    Sie  sind  wie 
trtastisöhe  Mächte  anzusehen^  die  »ch  durch  objektivirendes 
Herausbilden  ihrer  Ideriitat  in  eiiiaelnd  Geataiteii  tkeileD, 
and  in  Urbilder  ihr«*  selbst  pröpi^iren.    Uier  hätten  wir 
daher  schon^  wie  es  scheint,  wenigstens  im  allgemeinsteii 
Umrisse  ^  ein  Prihcq)  aur  Erklärung  der  ^endiichen*,  *^eib» 
Beinen^  Dinge  gewonnen^  deiien  gleichwohl  f  ü  r  s  i  c  b  tein^ 
wahrhafte  Realität 4  ebenso   wenig  ein  unmittelbares 
Veiiiältniss  »un  Absoluten  ^ '  ausuerkennen  wäre;    ^^   Bis 
Beispiel  solcher Dpla.s tischen*  Ideen  -^  übrigens  eia 
alter  tmd  tief  spekulativer  Gedanke  -».  hat  uns  S  c  h  e  P 
ling  selbst  schon  in  Bruno  dargelegt:   es  sind  die  Ge* 
sHrne  und  Wellkdrper  (8»  90  t  106  ffi)^    die  ^erste  fiin^ 
heit  eines  jeden*  an  sich  selbst^  aus  welcher  erst  die  Main 
nigfalttgkeit  und  Getrenntheit  der  einzelnen  Dinge  auf  ihm 
hervorgehti      Sie   sind  $    gleich    einem    organischen 
Leibe.)  unendlicher  Verwandlungen  fähig  in   das  System 
der  Naturdinge  /  welche  wir  auf  ihnen  erblicken^    und  in 
denen  sie  somit  ihre  Innerlichkeit  ^  Potenz  (Idealität)^  zur 
äusscrliohen  Unterscheidung   gebracht  >   objektivirt  haben^ 


dieses  Stnndpunktes.  710 

int  Abbilde  dei"  6bsoiuteh  Kinbeit «  ttnd  Wie  cliei^  ctie 
unendliche  Mannigraltigkeit  aller  Din^e  (Ideen)  ati9  sich 
hervorgehfen  Ifisst.  Näher,  ühd  ^vahlrer  vielleicht,  wäre  Äti 
das  plastisch  Urbildliciie  zh  erinnern,  dos  deti  Thier^  tihÄ 
PSanzenspebies  vorlsteht,  und  dirrch  alle  Vereinzelung  ihrer 
isnlstehenden  und  vergehenden  Geschlectiler  mit  wahrha^ 
ter  Unsterblicbkeit  das  Gepräge  ihrer  Individualitat  festhält 
ttnd  jedem  Exemplare  bi^  in's  Einzelne  aufzuprägen  Weis», 
Ja  unter  Widerstrebenden  Bedingungen  sogar  mit  siUnreit^ 
bewusstioser  Weisheit  das  Angemessenste  herauszubilden 
verstehti  Hiermit  scheint  uns  für  eine  geWisseSphäre, 
f&r  das  grosse  Gebiet  des  organischen  Lebens,  das  rechte 
firidäruhgsprincip^  die  Einheit  der  cohcreteh  fdee  mit 
dem  Wirklichen^  von  Sehe  Hing  gefunden  zu  sein  ^  in 
welcher  „die  einzelnen  Dinge*  stets  neu  etzeUgt  Werden, 
ohne  doch  auf  Realität  tind  Wahrheit  Ahspilich  tu  habeil« 
Nach  Unten  dagegen ,  in  der  Schwere ,  in*  dem  Allgehiei^ 
tien  der  kosmischen  und  tellurischen  Kräfte ,  in  den  ein«» 
ftachen  Naturqualitäten,  Welche  im  chemischen  Processe  das 
eigentlich  Unsterbliche  sind,  köntien  wir  jene  plastisch  het-* 
ausbildende  Idealität  seelisch ei'  Einheit  Und  Mannigfal^ 
tigkeit  nicht  Wiederfinden :  und  nach  Oben  hin  ^  in  der 
Sphäre  des  Geistes,  wäre  zu  erweisen,  was  Sehe)« 
ling  ebenso  ununterschieden  lässt,  -»^  wiewohl  es  Vor^ 
aossetzung  seiner  Unsterblichkeitslehre  (S.  72.)  sein  mfisstOi 
•*^  wie  in  jedem  geeist  igen  Individuum  eine  eigenthum- 
liehe  Idee  sich  verwirklieht,  welche  gleicher  Weise  ab  die 
höhere  begeistende  Potenz  zu*  dem  bloss  Seelisehen  der 
Organisation  sich  verhält «  wie  diese  Zu  den  chemischen 
Stofl^en,  aus  ihnen  sich  Verleiblichend  und  sie  sich  unter»* 
Werfend. 

Doch  abgesehen  von  diesen  speciellen  Fragen,  gelingt 
es  vielleicht  jetzt  besser^  die  Idee  des  Abfalls  nach  Sehe ü- 
I  i  n  g  s  eigenen  Voraussetzungen  zu  deuten  ,  wiewohl  es 
fluch  hier  sich  fragt^  wie  weit  es  uns  gelingt ,  das  nickt 
flberall  klar  Uerausgebildete  mit  sicherem  Sinne  zu  treffeni 

Jenes  erste  Produciren  der  Ideen  aus  dem  Absoluten, 


720  Kritik 

welches  er  eine  wahre  traitsscendentale  Theogonie  neoüt^ 
enthält  noch  Nichts,  was  nichl  absolut,  ideale  blosse  natura 
naiuraiM  wäre  (S.  30.)  s  wir  sind  hier  überhaupt  noch 
nicht  bis  zum  wahrhaft  Besondem,  Endlichen  gelangt}  b  i  s 
hierher  ist  also  auch  kein  Abfall  zu  denken«  ErsI  im 
zweiten  Produciren  der  Ideen  aus  sich  selbst  beginnt  «r; 
aber  damit  auch  eine  gewisse ,  schwer  auszuscheidende 
Zweideutigkeit  dieses  Begriffes  9  welche  abermals  lediglich 
ihren  Grund  zu  haben  scheint  in  dem  nahen  Aneinander-* 
ruckeii  von  Punkten  der  Untersuchung,  die  weit  yon  ein« 
ander  zu  sondern  wären» 

Jenes  aus  Gott  obj^ktivirte  und  dennoch  ideale  Uni-» 
Tersum  könnte  nicht  wahrhaft  ein  anderes  Absolutes  sein^ 
ebne  sich  dadurch  vom  wahren  Absoluten  zu  trennen^ 
von  ihm  abzufallen.  Im  Absoluten  liegt  nur  die 
Möglichkeit  dieses  Abfalls^  die  Wirklichkeit  lediglich 
im  Abgefallenen  selbst^  in  der  aus  ihm  selber  stammenden 
That  oder  Vollziehung  (S»  37.  38.)* 

Welches  ist  diese?  Wir  können  nur  finden:  das  zweite 
Produciren  selbst  ^  durch  welches  die  Ideen  zufolge  ihret 
wahren  Gottgieichheit  und  j,andern*  Absolutheit  eine 
neue  Schöpfung  aus  sich  hervorgehen  lassen.  Der  Abfall 
ist  daher  die  aus  ihrer  Gottgleichheit  mitNothwendig^ 
keit  (vgl*  S«  39.)  hervorgehende  That:  er  ist  daher  so 
nowig^  als  die  Absolut)ieit  selbst  und  als  die  Ideenwelt; 
er  kann  auch  desshalb .  nicht  ^erklärt^  werden  ^  ,,denn  er 
ist  absolut  und  kommt  aus  Absolutheit^^  0^.  39.  40.):  -" 
demungeachtet  liegt  in  ihm ,  in  der  Verwirklichung  jener 
Absolutheit ,  der  Grund  des  Endlichen  und  des  Bösen :  -^ 
isie  ist  das  ^Princip  des  Sündenfall es^S  ^n  wel- 
ches sich  die  Strafe  knäpft ,  welche  in  der  Ver« 
Wickelung  mit  dem  £n  dlichen  b  esteht  (S.  42. 
40.).  Die  verwirklichte  That  des  Ausser-GotU-Seins,,  die 
Kreatürlichkeit)  ist  auch,  nicht  der  entfernten  unmittelba-* 
ren  Möglichkeit,  sondern  der  unmittelbaren  Wirklichkeit 
nach,  die  erste  Sunde. 

Hier  erblicken  wir  nun  sogleich  den  yerhängnissvoIIeD 


dieses  Slandpunktcs.  721 

Irrihum  eingeleitet,  welcher  nicht  für  Sc  he  Hing,  wohl 
aber  für  Viele  seiner  Nachfolger,  zum  Wendepunkte  ihres 
eigenen  Falles  geworden  ist :  das  Ununterschiedenlassen  bei 
Schelling,    —    bei  den  Andern   die  gänzliche  Vermi- 
schung und  Verwechselung  —  des  Kreatürlichen  und  der 
falschen  Endlichkeit,    als   wenn    das  Endlichsein  an   sich 
selbst  schon  die  Sünde  und  das  zu  Strafende  oder  Gestrafte 
—  mit  innerer  Nichtigkeit  Gestrafte  —  wäre;  ebenso  als 
wenn  in  der  Form  des  Ich  (vgl.  S. 41.  43.),  in  dem  Sich- 
ergreifen des  Geistes  als  eines  Selbst,  an  sich  schon  der 
Sündenfall  läge.    Doch  thut  es  nicht  Noth,  die  weitreichen- 
den Folgen  dieses  Gnmdirrthums  neuerer  Spekulation  nä- 
her darzustellen,  noch  ist  es  Zeit,  eine  alte  Polemik  gegen 
denselben  zu  erneuern ,   welche    der  Verfasser  schon  seit 
seiner   ersten  philosophischen  Schrift    (der  Vorschule 
zur  Theologie)  in  allen  Gestalten  bekämpft  hat:  hier 
ist  es  nur  unser  Geschäft,  bis  zur  ersten  Ouellc  jener  Ver- 
wirrungen zurückzugehen.    Da  ist  i)un  nicht  zu  verkennen, 
dass  Schelling   selbst,   nfcht  durch   positive  Lehrsätze, 
aber  durch  Uebergchen  dazwischen   liegender  Bestimmun- 
gen, Veranlasser  jenes  Irrtbums  hat  werden  können.    Erst 
durch  seine  spätem  Erklärungen  in  der  Abhandlung  über 
die  Freiheit,  dass  der  Begriff  der  hnmanenz  des  End« 
liehen  in  Gott ,   und  der  Abhängigkeit   von  ilim ,   an  sich 
schon  eine  Selbstständigkeit  desselben ,   ja  Freiheit ,  nicht 
nur  nicht  ausschliesse,  im  Gegentheil   eiuscliliesse  (S.  413. 
414.) ,  dass  ferner  das  Böse   in  seiner  unmittelbaren  Er- 
scheinung, a  1  s  „Abgefallenes" ,   nur   am  Ziele  der  Natur, 
im  endlichen  Bewusstsein,  hervorbrechen  könne,  und  auch 
hier  nicht    als  unmittelbare  Folge  der  Selbstheit  ^  sondern 
einer  innem  Verkehrung  derselben  (S.  4ö6.) :  —  erst  durch 
diese   Erklärungen    ist  Schelling  jener  Deutung   aus- 
drücklich cnlgeo^engetrcten.    Ebenso   ist   an    eine   andere 
Stolle  zu  erinnern,  wo  er  erklärt,  der  letzte  und  vollgültige 
Aulschliiss   über   den  Ursprurifi^   der  endlichen  Dinge,  und 
ihrer  Scheinexislonz  ausser  dem  Absoluten ,    könne  nur  in 
der  praktischen  Philosophie  gegeben  werden:  ein^ 

46 


t 


722  Die  Lehre  vom  Abfalle 

Ausspruch,  der  kaum  einen  Zweifel  fibrig  zu  lassen  scheint 
über  die  Bedeutung  jenes  nur  imaginativen,  d.  h»  in 
falscher  Vorstellung,  in  theoretisch- m  ora- 
lischer  Yerkehrung  deis  Menschengeistes, 
beruhenden  Abfalls  oder  Getrenntseins  des  Endlichen  yoid 
Absoluten. 

Und  so  versuchen  wir  die  Doktrin  vom  AbfaUc  ,  wie 
sie  inPhilosophie  und  Religion  vorgetragen  wird, 
folgender  Gestalt  zu  deuten ,  freilich  nicht  ohne  den  aus- 
drücklichen Widerspruch  einzelner  (schon  angeführter) 
Aussagen  und  Wendungen  zuzugeben ,  dennoch  vielleicht 
in  dem  einzigen  Sinne ,  welchen  der  Zusammenhang  mit 
dem  übrigen  Systeme  zulässt.  Dazu  kommt ,  dass  nur  so 
die  Lehre  von  der  ^celc« ,  als  dem  Producirenden  von 
Raum  und  Zeit,  und  vom  Scheinbilde  der  Materie,  in  wel- 
chem zugleich  „der  Ursprung  aller  Privation ,  aller  Be- 
schrankung und  des  daraus  hervorgehenden  Uebels^  liegt 
(S.  44.  47.  48.  50.))  eine  verständliche  Lösung  erhält: 

Nicht  das  „zweite  Produciren«  der  Ideen ,  welche  das 
sinnliche  Universum  als  die  unmittelbare  Verwirklichung  ihrer 
selbst  erzeugen,  enthält  an  sich  schon  den  Abfall  vom  Ali- 
soluten  im  eigentlichen  Sinne :  jene  sinnlich  unmittelbaren 
Einzelnheiten,  die  vervieltaltigten  Exemplare  der  Ideen,  sind 
darum  doch  nicht  einzelne  Dinge,  Selbstständigkeiten  ge- 
worden :  sie  sind  zusammengefasst  und  gehalten  von  der 
ihnen  immanenten  Einheit  ihrer  Idee ;  und  wie  diese  ihr^ 
Immanenz  in  Gott,  gerade  in  Folge  ihrer  Ebenbildlichkeit 
mit  ihm,  nie  entweicht,  sondern  befasst  ist  in  ihm,  als  der 
absoluten  Einheit:  sq  sind  auch  jene,  mittels  der  re^ 
lativen  Einheit  ihrer  Idee ,  an  der  sie  wie  Zweige  und 
Blüthen  'an  ihrem  Stamme  hangen ,  von  der  Ureinheit  ge- 
tragen ,  auf  sie  bezogen ,  und  in  ihr  Uindnrchwirken  auf- 
genommen. 

Von  dieser  Einheit  mit  Gott ,  welche  sie  in  der  That 
daher  nie  verlassen,  werden  die  einzelnen  Individuationen 
der  Ideen  nur  in  einem  falschen ,  der  Totalität  vergessen- 
den Erkennen   gesondert;    es    ist  keine  Losreissung  der 


der  endlichen  Dinge.  723 

That  —  sondem  nur  eine  Abtrennung  dem  Denken  nach : 
die  SS  producirt  durch  falsche  Imagination  die  ^endlichen 
Dinge^ ,  als  von  der  inneren  Einheit  und  Totalitat  des  Ab« 
sohlten  abge*sonderte  Existenzen;  diess  erzeugt 
den  Abfall  von  Gott :  der  Mensch,  sein  falsches  Vorstellen« 
ist  alleiniger  Urheber  desselben;  aber  auch  nur  ihm  gilt 
diese  Scheinwelt, ^«  nur  für  sein  von  der  Einheit  abgewen- 
detes Bewusstsein  existiren  sie  (vgL  S.  720;  und  jenes  leere 
Abstraktum  einer  Materie ,  das  sinnliche  Universale  einer 
oberflächlichen  Reflexion ,  ist  a  n  s  i  c  h ,  d.  h.  fär  jene 
absolute  Einheit  und  das  in  der  Wahrheit  ruhende  JErken-« 
neu,  die  philosophische  Anschauung,  nicht  vorhanden. 

Von  dieser  befreit  daher  die  spekulative  Anschauungs^ 
weise  der  Dinge,  indem  sie  jene  Gegensätze  der  Reflexion, 
von  Endlichem  und  Unendlichem,  Sinnenwelt  und  abstrakter 
Uebersinnlichkeit,  von  Anschauung  und  Denken  verwirft :  wir 
fassen  vielmehr  die  Dinge  so,  wie  sie  sind,  in  der  Totalitat  des 
Universums  und  der  in  ihm  sich  verwirklichenden  Ideen; 
ihre  erlogene  Eigenheit  und  Absonderung  verschwindet^ 
und  wir  sehen  in  ihnen  das  Absolute  nicht  nur  hindurch^ 
scheinen  -*  denn  dem  Endlichen,  weil  es  nicht  ist, 
kann  auch  die  Macht  nickt  beigelegt  werden,  welche  den 
Strahl  des  Absoluten  zu  brechen  oder  zu  umhüllen  ver-^ 
möchte ,  —  sondern  das  unmiltelbarc  Leben  des  Absoluten 
in  dem  sich  selbst  objeklivirenden  Universum  seiner  Ideen 
erfollckeri  und  besitzen  wir  schon  in  der  Unmittelbarkeit 
der  Anschauung.  (Vgl.  oben  S.  694.  95.) 

Wenn  wir  daher  die  einzelnen  Versuche  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s^ 
sich  über  die  Konsequenz  seines  altern  Princips  zu  erhe-* 
ben,  auf  dasselbe  zurückbeziehen,  mit  der  Frage,  ob  eine 
wahrhafte  Steigerung  desselben  durch  jene  Versuche  in  der 
That  erreicht  und  gelungen  sei:  so  müssen  wir  umgekehrt 
uns  bekennen,  dass  sich,  statt  besiegt  zu  sein ,  aus  jenen 
Bildungsansätzen  das  ältere  Princip  nur  noch  in  grösserer 
Macht  und  Ausschliesslichkeit  wiederherzustellen  scheint« 
Der  Begriff  der  Iimnancnz  Gottes  in  der  Welt ,  ohne  sich 
von  hier  aus  zu  dem  der  Transsccndenz  zu  steigern,  ab-* 


724  Die  nächsten  Schriften  SchcUings 

sorbirt  im  Gegontheil  diesen  wiederum  :  wir  Gnden  ms  9f^ 
den  Standpunkt  des  alten  Idcntilatsbegrifles  zurückversetzt, 
und  müssen  den  Versuch,  aus  dem  Begriffe  der  Ein  heil 
(Immanenz)  selber  den  des  Unterschiedes  CderTraas- 
scendenz)  zu  begründen ,  für  misglückt  erachten ,  so  tief 
und  richtig  an  |sich  der  Begriffsfortschritt  wäre,  in  der 
rechten  Immanenz  selber  den  Grund  einer 
Transscendenz  zu  finden.  Auch  der  Begriff  des 
Abfalls  von  Gott,  der  den  Gedanken  eines  Unterschiedes, 
einer  wahren  Dualität  von  Gott  und  Kreatur ,  vorübef|r&* 
hend  befestigen  sollte,  schwindet  bei  durchdringendem  ¥ct- 
Ständnisse  zu  einem  bloss  imaginirten,  zum  Abfalle  und  Dbi- 
lismus  in  einem  täuschenden  Bewusstsein,  zusam- 
men ,  und  die  volle  Immanenz  findet  sich  umgekehrt  nv 
daran  bestätigt:  —  wiewohl  wir  zugeben  müssen,  dass 
jene  Idee  eines  verkehrenden  imaginativen  Princips  im 
kreatürlichen  Geiste,  in  welchem  von  Schelling  der 
Grund  aller  Abwendung  von  Gott  und ,  in  der  falschen 
Freiheit ,  auch  der  Ursprung  des  Bösen  gesucht  wird,  auf 
etwas  Tieferes  und  Realeres  deutet,  als  der  gegenwäiüge 
Zusammenhang  es  zuzulassen  scheint,  und  dass  insofern  die 
Schelling  sehe  Lehre  vom  Abfalle,  schon  wie  sie  in 
^^Philosophie  und  Religion^  vorgetragen  wird,  Zu- 
gloch einen  weit  speciellem  Sinn  einschliesst ;  aber  zur 
Ausführung  oder  zur  bestimmten  Abscheidung  dieses  ethi- 
schen Sinnes  von  der  allgemein  metaphysischen  Bedeutung, 
welche  er  dort  zunächst  haben  soll ,  ist  es  nicht  gekom- 
men. Wir  können  ihn  daher  hier  noch  einen  fremden,  un- 
durchbildeten ,  „mystischen«'  Bestandtheil  nennen  ,  welcher 
sich,  künftigen Entwickelungen vorgreifend,  inSchellings 
ursprünglichem  Principe  festgesetzt  hat. 

Die  nächsten  Schriften  Schellings  aus  diesem  Zei^ 
räume  drangen  daher  das  sich  vorankündigende  neue  Prin^ 
cip  wieder  in  den  Hintergrund  ,  und  der  Standpunkt  der 
Immanenz  tritt  reiner,  als  je,  in  ihnen  wieder  hervor :  seine 
„Aphorismen  zur  Einleitung  in  die  Naturphi- 
losophie^ (1805.),  worin,  was  in  Philosophie  und  Reli- 


aus  dieser  üebergangscpoche.  725 

gion  Ideo  liiess ,  als  Position  und  SelbstaflSnnalion  Gottes 
im  ursprüug^lichcn  Selbsterkennen  bezeichnet  wird,  suchen 
den  BegrifP  des  Endlichen  besonders  von  der  Seite  aufzu- 
heben, indem  sie  nachweisen,  wie  in  jedem,  auch  dem 
einxelnsten  und  scheinbar  beschränktesten  Dasein ,  eine 
actuelle  Unendlichkeit  der  Anschauung  vorliege; 
vnd  wie ,  was  wir  Endliches  an  den  Positionen  nennen, 
mir  die  Relation  derselben  auf  einander  ist,  die  Gott  ihnen 
nicht  geben,  nicht  positiv  in  ihnen  bejahen,  weil  es  bloss 
ein  Accidentelles  ist,  aber  ihnen  auch  nicht  nehmen  kann, 
weil  er  sie  sonst  zu  einem  reinen,  absoluten  All  machen 
müsste,  wie  er  selbst  es  ist.  —  Alles ,  was  die  endlichen 
Dinge,  als  solche,  von  Gott  unterscheidet,  besteht  in  einem 
reinen  Mangel,  in  nichts  Positivem.  Die  Relation,  in  der 
sie  zu  einander  stehen,  ist  daher  ihrem  Leben  in  Gott  ent- 
gegengesetzt, und  y^ittsofern  ihr  von  Gott  abge- 
fallenes und  abgetrenntes  Leben^,  in  welchem 
da:s  falsche  Scheinbild  der  Ewigkeit ,  die  Zeit ,  oder  Ent- 
stehen und  Vergehen  stattfindet,  während  in  dem  ewigen 
Leben  Gottes,  als  des  All,  Nichts  in  Wahrheit  entsteht  oder 
vergeht.  —  Es  kann  daher  auch  in  der  ächten  Philosophie 
von  keinem  „Ursprünge^'  des  Endlichen,  als  des  wahr- 
haft NichtSeienden,  aus  Gott  die  Rede  sein,  vielmehr  fin* 
det  zwischen  dem  Endlichen ,  sofern  es  als  existirend  ge- 
dacht wird ,  und  dem  Unendlichen  gar  kein  Verhältniss 
Statt;  —  „so  ist  es  gewisserMaassen  richtiger, 
auch*  alle  Stetigkeit  zwischen  ihm  und  dem 
Unendlichen  aufzuhebend^:  *)  —  wodurch  unsere 
Auslegung  jener  Lehre  vom  Abfalle  für  den  damaligen 
Standpunkt  Schellings  zur  höchsten  Gewissheit  erhoben 
wird.  Hit  diesen  Erklärungen  stimmen  überein  seine  Ab- 
handlung „über  das  Verhältniss  des  Idealen 
und  Realen    in   der   Natur<^  und  seine  pplemische 


*)  ,,A  p  h  0  r  i  s  m  e  n"  u,  s.  w.  in  den  Jahrbüchern  d  e  r  M  e* 
(licin  Bd.  I.  H.  1.  S.  22.  23.  34.  35.  (besonders  $.1030  38. 
u.  f.  w.  S.  75.  86.  76-81. 


726  Gesammtkritik 

Schrift  gegen  Pichte,  deren  wesentlichsten  metaphysi- 
schen und  *  erkenntnisisitheoretischen  Gehalt'  wir  sdMm  an- 
gegeben hitben* 

Aber  jener  Versach,  wie  wenig  er  entscheidenden  Er- 
folg gehabt  haben  möge ,  hat  doch  fSrdas  Sckelling* 
sehe  System  nicht  nur,  sondern  ifir  die  ganse  spät^^  Phi- 
losophie, eine  tiefere  und  allgemein  lehrreiche  Bedentang: 
denn  nicht  in  Zufall  oder  in  sonstigen   äussern  Veianhs- 
pungen ,  sondern  in  einer  innem  Unzdängiichkeil  des  an 
m  Grunde  liegenden  Erklärungsprincipes  selbst  li«gt  jenes 
|tf isslingen ,  daher  auch  das  Belehrende  desselb^a ;  es  ist 
nämlich  bis  jetzt  noch  ein  gemeinsamer  Mangel  und  ein 
ebenso  gemeinschaftlicher  tiefliegender  Grand  desselben, 
welcher  das  grosse,  nach  SchelHng  auftretende  Sfsten 
nicht  weniger  trifft,  als  das  ihm  vorangehende;  und  indoB 
wir  ihn  aufdecken,  versetzen  wir  uns  zugleich  in  den  ti^ 
lit^ii  Mittelpunkt  der  eigentlich  metaphysischen  Fragen  hinein. 

Der  BegrifT,    den  Seh  eil  in  g  eigentlich  fessehi  and 
tnthfilien  wollte  in  jenen  Begriffsentwicklungen  insgesammt, 
ist  der  einfachste,   aber  zugleich  universalste  und  tie£^: 
der    des  Da-Seins,    des   Wirklichen  selber.    Was 
Sehaffen,  Auswirken  in   der  tiefsten  Lebenswurzd 
bedeute,  diesen  Kern  und  Urquell  aller  Wirklichkeit  zu  ent- 
hüllen, scheint  das  Ziel  seines  innersten  und  anhaltendsten 
Forscherringens  gewesen  zu  sein,  das  sich,  äusseriich  we- 
nigstens, bis  jetzt  noch  nicht  genug  gethan  hat  —  In  der 
Epoche    der  Werke ,   die  wir  bisher  betrachtet ,   hatte  er 
die  ebenso  einfache  Antwort :   Schaffen ,  Hervorbringen  ist 
der  intellektuelle  Akt   einer  sich  objektivirenden  Selbstaii- 
^cbauung;.x?as  bisher  Eingewickelte  (Ideelle)  tritt  damit 
in  ausdrückliche  Entfaltung  (realisirt)  auseinander:  — 
die  S c  bei  ling sehe  Einheit  des  Idealen  und  Realen  in  ib- 
rem  tiefsten  Wesensgrunde.    Das  Geschafi'enc  ist  nor  in 
diesem  sich  selber  abspiegelnden  Anschauen  des  Schaffenden, 
und  dieser  intellektuelle  Entfaltungsakt  ist  der  wahre  Grund 
und  das  Princip  alles  Daseins.    Aber  auch,  was  sich  in  den 
krcatürlichen  Dingen  fortzougt,  und  was  die  Lust  der  Pro- 


dieses  Standpunktes.  727 

pagation  ausmacht,  ist  jener  Drang ,  sich  in  einem  Eben- 
l>tlde  zu  befestigen  und  anzuschauen« 

Dieser    einfache  Gedanke  ist  der  Kern  des  Schel- 
lingschen  Idealismus;  und  wir  setzen  hinzu:   wena  He« 
g-  eis  System  Bedeutung  und  Wahrheit  haben  soll,  so  hat 
es  sie  nur  in  jenem  Gedanken :  und  in  der  That  meint  das 
Letztere  dasselbe  mit  dem  in  seine  Momente  sich  zerlegenden 
und  im  unendlichen  Anderssein  derselben  bei  sich  bleiben- 
den   absoluten   Begriffe.     Aber    der  Gedanke  selbst  bei 
Sc  belli  ng  ist  eigentlich  nur  die  gewaltigste  Hjipothcse, 
ihm  aufgedrungen,  wie  er  sagt  *),  durch  die  lebendige  Auf- 
fassung der  Wirklichkeit  selbst ,    welche  in  diesem  Erkla- 
rungsprincipe  am  Erschöpfendsten  begriffen  werden  konnte ; 
die  Weltbildung  kann  nur  sein  eine  intellektuelle  That,  der 
ungeheuere  Selbstanschauungsprocess,  Jenes  'zugleich  Einen 
und  unendlichen  göttlichen  Subjektes. 

Dabei  hätte  Sehe  Hing  noch  immer  das  Recht,  die 
Hegeische  Ausführung  seines  Princips  als  einen  Abfall 
vom  ächten  Geiste  des  Idealismus  zu  bezeichnen:  was  bei 
ihm  lebendig,  concret,  und  darum  auch  begreiflich  ist,  hat 
sich  dort,  wie  es  scheint,  in  die  öde  Abstraktion  eines, 
—  man  weiss  nicht  wie?  —  in  Momente  seiner  selbst  zer- 
fallenden, eigentlich  völlig  unverstandlichen  absoluten  Be- 
griffes verwandelt.  —  Für  uns  ist  es  hier  noch  nicht  Zeit, 
die  wahre  und  grosse  Bedeutung  auch  dieses  HegeU 
sehen  absoluten  Begriffes  darzulegen ;  nur  das  ist  heraus- 
zuheben ,  dass  aber  den  Grundgedanken  jenes  idealismus : 
Schaffet!  ist  intellektuelle  That,  auch  die  von 
lieget  vertretene  Metaphysik  nicht  hinausgekommen  ist; 
in  jenem  Satze  liegt  bis  jetzt  noch  die  höchste  Blüthe  der 
gegenwärtigen  Spekulation. 

Aber  für  alle  auf  diesem  Principe  beruhenden  Welt- 
ansichten ist  die  Immanenz  der  einzig  übrig  bleibende 
konsequente  Begriff:  das  im  Schaffen  Uingeschaute 
ist  damit  nicht  eigentlich  hervorgetreten  aus  Gott ,  als  ein 


•J  Vorreile  zu  Cousin  S.   XIV. 


728  Gesammtkritik 

Anderes  mit  selbststSndiger  Lebensregrung  und  Loslassimg 

von  Seiten  Gottes,  und  zu  eigener  Transscendenz  desselben 
über  jenes  hinaus.  ,Die  Weltschöpfung  bleibt  die  theoretiscbe 
That  eines  innerlichen ,  wie  energisch  auch  gcdaditcn. 
Selb  stbespiegelns.  Wahrheit  hat  die  Welt,  aber 
keine  Wirklichkeit  in  oder  ausser  Gott:  es  ist  .der  ver- 
geistigtste Akosmismus.  Und  sehr  konsequent  iässt  S  ch  el- 
lin g  daher  selbst  in  dem  Werke,  welches  den  ersten  An- 
satz enthält,  sich  über  jenes  Princip  zu  erheben  ,  die  An- 
sicht von  einer  Realität  der  endlichen  Dinge  ausser  Gott 
ebenso  nur  aus  dem  kreatürlichen  Akte  eines  theoreti- 
schen Sündenfalls  hervorgehen. 

Zwar  behauptet  S  c  h  e  1 1  i  n  g,  dass  den  Gedanken  Got- 
tes Objektivität,  selbstständige  Wirklichkeit  zukomme; 
und  er  könnte  an  den  Künstler  erinnern,  der  die  Idee  sei- 
nes  Werkes  in  plastischer  Selbstständigkeit  sich  gegenüber- 
stellt, und  seine  Idee  erst  hieran  selber  recht  besitzt  Aber 
die  nahe  liegende  Aehnlichkeit  des  Gleichnisses  zeigt  viel- 
mehr  die  innere  Unähnlichkeit  des  Begriffes,  und  dass  jentö 
eben  nur  Behauptung  bleibt.    Abgesehen  davon,  dass  der 
nicht   göttliche  Künstler   eines  Stoffes  bedarf,    um  seiner 
Idee  Wirklichkeit  ausser  sich  zu  geben,  wovon  hier  die 
entgegengesetzte  Voraussetzung  gilt;  so  hat  auch  an  sich 
da^  Kunstwerk  kein  eigenes,    selbstständig  sich  fortpflan- 
zendes Leben,  keine  Gewalt  der  Propagation  :  eine  solche 
$chöpfühg  wäre  schlechthin  fertig  und  vollendet,    lediglich 
Produkt  des  Alles  fixirenden  und  bis  zur  Entschiedenheit 
treibenden  weltschöpferischen  Anschauens,  und  dessen  völ- 
liges, bis   in's  Einzelne  herausgewirktes  Artefakt    Weder 
eine  Selbstschöpfungs-  und  Selbstentschcidungslhat  von  Seile 
der  Kreatur  an  sich  selbst,   noch  weniger  ein  Fortzeogen 
aus  dem  Mittelpunkte  eigenen  Lebens  jst  aus  diesem  Prin- 
cipe gedenkbar ;   die  Schöpfung  wäre  absolut  vollkommen, 
aber  ewig  und  bewegungslos.  Dicss  ist  das  Paradoxe,  Unge- 
nügende, was  für  jene  Wcllansicht  zurückbleibt:  das  Princip 
einer  wahren  Genesis  und  realer,  solbstslandig  sich  bewe- 
gender Weltkräftc    ist   abgescimitten.     Sehe  Hing  sagt 


dieses  Slandpunktos.  720 

znyar  auch  hier  mit  einem  niclit  zu  verbergenden  Gedan^ 
kensprongo,  dass  das  Absolute  im  Realen  nicht  wahrhaft 
objektiv  mirde,  wenn  es  ihm 'nicht  die  Macht  mitlheillo, 
g^teich  ihm  seine  Idealität  in  Realität  zu  verwandeln,  wenn 
die  Ideen  nicht  selbst  wieder  producirende  wären  *).  Aber 
diess  wahrhafte  Objekliv-werden  ist  eben  hier  die  Frage 
und  das  zu  Erklärende.  Das  aus  dem  ideellen  Abgrund'Q 
der  göttlichen  Imagination  zur  Ausdrücklichkeit  bloss  Hin- 
geschaute  ist  darum  noch  nicht  ^wahrhaft  objektiv<<; 
dafür  muss  noch  etwas  Anderes  hinzukommen.  Am  Wenig- 
sten kann  ihm  darum  vom  Absoluten  die  Macht  »mitge- 
theilt^  werden ,  abermals  durch  forlzcugendes  Produciren 
die  eigene  Idealität  in  Realität  umzusetzen :  denn  schon  das 
erste  Mal  ist  dieser  Umschwung  nicht  gelungen ;  wir  sind 
aus  dem  Umkreise  des  Idealen  noch  nicht  herausgekommen, 
trotz  aller  Versicherungen  des  Gegentheils« 

Diess  ist  die  Widerlegung  jenes  Princips  in  höchster 
und  umfassendster  Instanz:  aus  ihm  allein  kann  das 
^U  a  s  e  i  n^  nicht  erklärt  werden.  ,  Gewiss  ist  der  eigent- 
liebste  Schöpfungsakt  Gottes  nicht  ohne  die  Mitwirkung  je- 
ner intelligenten  That;  der  ewige,  absolute  BegriflT,  das 
hingeschauto  Welturbild  ist  in  Gott  die  noth- 
wendigeVoraussetzung  seines  SchafTc^ns;  aber  jene 
ist  es  nicht  allein  und  ausschliesslich  ,  sie  kann  überhaupt 
nicht  als  das  specifisch  Schöpferische  gelten,  son- 

*  •  * 

dem  dafür  ist  eine  andere  Potenz  des  Geistes  zu  suchen, 
>velche  in  ihrer  geistigen  ideellen  Natur  zugleich  den  Keim* 
des  Realen  einschiiesst.    Zu  zweifeln  ist  nicht,  welche  die- 
ses sei:  es  ist  der  Wille. 

Hierzu  ist  Sehe  Hing,  von  Neuem  seine  Weltansichl 
vertiefend ,  nun  selber  noch  fortgeschritten :  es  ist  diq 
dritte  Epoche  seiher  Philosophie,  beginnend  mit  seiner 
Abhandlung  über  das  Wesen  der  menschlichen 
Freiheit  (Philosophische  Schriften  1.  Bd.  1809.),  deren 
Urkunden  jedoch  weder  nach  Innen ,  —   was  die  Ausbil- 


t)  PJiiiosop  hie  u  u  d  H  e  li  g  i  o  n  S.  23.  29—30.  37.  u.  s.  w. 


730  Entschiedenes  Hervortreten 

dang  des   neuen  Prtncipes,  als  solchen,  betriiR ,  —  noch 
nach  Aussen,  —  was  seine  systematische  Ausbreitung  an- 
belangt, —  mit  einiger  Vollständigkeit  öffentlich  vorliegen. 
Ein  Endurtheil  über   diese  dritte  Epoche  ist  daher  schon 
desshalb  nicht  möglich;    dagegen  scheint  es  wichtig  und 
nOthig  genug,  der  gewöhnlichen,  die  verschiedenen  Stand- 
punkte derselben  nivellirenden  Ansicht  von  der  Schellin g- 
schen  Philosophie  ge^nüber  darzulegen,  wie  mit  der  Umge- 
staltung ihres  Princips  auch  die  Weltansicht   selbst  ein» 
specifisch  verschiedenen  Charakter  angenommen  habe.   End- 
lich scheint  von  selbst  zu  folgen ,  dass ,  wenn  der  Stand- 
punkt  der  zweiten  Epoche    im  Ganzen  mit    dem  Uegei- 
sehen  Systeme  parallel  ging,   die  Steigerung  jenes  and 
eine  Erhebung  über   die  Gesammtheit  des  letztem  in  sich 
schliessen  werde ;  und  so  wird  es  auch  der  weitere  Fort- 
gang ergeben.    Wirklich    berubren  wir  von  hieran  zma 
ersten  Male  im  Bisherigen  ,    —   einige  Anregungen  aus 
Cartesianischer  Philosophie  und  die  Vorblicke. Lei b- 
nitzens  abgerechnet  —    die  Keime  und  Bildungsansatze 
einer  zukünftigen  Philosophie ;  und  es  ist  durchaus  charak- 
teristisch und  aus  dem  Tiefsten  geschöpft,  wenn  Schci- 
1  i  n  g  sein  neues  Princip  mit  den  Worten  einfuhrt :    es  sei 
nun  an  der  Zeit,  dass  der  höhere,  oder  vielmehr  der  ei- 
gentliche Gegensatz,  der  von  Nolhwendigkeit  und  Freiheit, 
hervortrete,  mit  welchem  erst  der  innerste  Mit- 
telpunkt   der    Philosophie    zur    Betrachtung 
komme.  *}    Es  ist  nämlich   sehr  wahr,  dass  mit  jenem 
idealistischen  SchöpfungsbegiKro,  weder  der   wahre,  den 
Pantheismus  überwindende  BegrifT  der 'Kreatur,   noch  der 
entschiedene  Begriff  der  krüalürllchon  Freiheit ,  —   beide 
gehen  Hand  in  Hand  —  haben  hervortreten  können. 


*)  Philosophisciie  Schrifteu  Bd.  1.  VorreJe  S.  VUi. 


1 

der  dritten  Epoche  bei  SchcUing,  731 

Qie  ersten  einleitenden  Erklärungen,  mit  denen  S  c  h  e  U 
ling  seine  Abhandlung  über  die  Freiheit  eröfihet,  dienen 
dazu,  den  Uebergang  zu  bezeichnen,  durch  welchen  er 
das  vorige  Princip  in  das  neue  auflöste^  oder,  genauer  und 
aufrichtiger  gesprochen  ,  wodurch  er  die  Unbestimmtheit 
und  das  Schwankende  in  dem  ersten  schärfer  fixIrCe  ^  und 
es  80  zur  Ausschliesslichkeit  erhob. 

Wechseldurchdringung  des  Realismus  und  Idealismus  war 
die  ausgesprochene  Absicht  seiner  ursprünglichsten  Bestre* 
bungen.  Aus  der  erkannten  Einheit  des  Dynamischen  der  Na- 
tur mit  dem  Gemüthiichen  und  Geistigen  ging  die  Naturphiloso- 
phie hervor,  welche,  als  blosse  Physik,  zwar  für  sich  bestehen. 
konnte ,  im  Ganzen  der  Philosophie  aber  stets  nur  als  der 
reelleTheil  derselben  betrachtet  wurde,  der  ersP durch  die 
Ergänzung  mit  *  dem  ideellen,  in  welchem  Freiheit  herrscht, 
der  Erhebung  in  das  eigentliche  Vernunftsy^ 
«tem  fähig  wird.  In  der  Freiheit  realisirt  sich  der 
letzte  potenzirende  Akt  (die  höchste  Potenz),  wodurch 
sich  die  ganze  Natur  in  Empfindung,  in  In- 
telligenz, endlich  in  Willen  verklärt. 

„Es  giebt  i.n  der  letzten  und  höchsten  In- 
stanz gar  kein  anderes  Sein,  als  Wollen. 
Wollen  ist  ürsein ,  und  auf  dieses  allein  passen  alle  Prä- 
dikate desselben:  Grundlosigkeit,  Ewigkeit,  Unabhängigkeit 
von  der  Zeit,  Selbstbejahung.  Die  ganze  Philoso- 
phie strebt  nur  dahin,  diesen  höchsten  Aus- 
druck zu  finden:  —  bis  zu  diesem  Punkte  ist  sie 
durch  den  Idealismus  gehoben  worden«  (S.  419.). 

So  weit  die  vorläußge  Ankündigung  des  neuen  Prin- 
cipsi  aber  wir  finden  sogleich  darin  eine  Unbestimmtheit 
aufzuklären,  wodurch,  was  zunächst  als  blosser  Uebergang 
aus  dem  reellen  in  den  ideellen  Theil  des  Syslcmcs  be- 
zeichnet wurde ,  dennoch  zugleich  zur  Widerlegung  oder 
auch,  wenn  man  so  will ,  zur  scharfern  Bestimmung  des 
vorigen  Standpunktes  ausschlug.  Nach  den  vorigen  Wor- 
ten ist  Freiheit,  Wille,  nur  die  „höchste«  Potenz  des 
«ibjekt-objektiven  Processes,  weicher  in  der  bewussüosen 


732  in  der  Abhandlung  über  die  Freiheit. 

r 

^tur  seinen  Anfang  nimmt:  d.  h.  der  Mensch  ^  als  dtr 
freie,  wollende,  aus  sich  selbst  (näher  zumBdsenodrr 
txm  Guten)  sich  bestimmende,  ist  der  Gipfel  dieser  sich  objek- 
tivirenden  Selbstverwirklichung  der  absoluten  Identität :  aber 
auch,  wie  rückwärtsgreifend  von  hier  aus  gefolgert  werdeo 
muss,  —  nur  im  Menschen  ist  eigentlicher  Wille,  Frei- 
heit» Selbstthat  wirklich.  Er  hebt  sich  aus  den  Tiefen  der 
bewusstlos  gährenden  oder  in  Lebensinstinkten  dammeni- 
den  Natur  über  sie ,  zur  Freiheit  und  Macht  a  q  s  sieb 
selbst:  er  ist  der  wahrhaft  und  einzig  Tran ssc  enden te, 
der  Geist ,  das  göttlich  Freie. 

Diess  die  ursprüngliche,   auch   dem  Ausdrucke  nach 
liier  nicht  verleugnete  Konsequenz  des  Systemes  ;  dies9  zu- 
gleich der  Sinn,  in  welchem  auch  ein  vergeistigter  Pantheis- 
inus,  z.  B.  die  He  gel  sehe  Lehre,  die  Freiheit  des  Men- 
schen, als  diese  im  Menschen  sich  vollziehende  Erhebung 
des  göttlichen  Geistes,  über  die  Natur,  mit  vollem  Ernste 
und  Nachdruck  lehren  kann.  —   Dennoch  würden  wir  dx- 
mit  di^  rechte  Meinung  Schellings  an  dieser  Stelle  ver- 
fehlt haben.    Was    nach    der   bisherigen  Konsequenz  nur 
„höchste  Potenz^,  das  ausschliesslich  Menschliche,  sein  kann, 
wird  dennoch  von  ihm  als  da«:  schlechthin  Universelle,  das 
Prii^cip  schlechthin  alles  Seins  gcfasst:    „die  ganze  Phi- 
losophie strebt   nur  dahin,   jenen  höchsten  Ausdruck 
z\i  finden^.;  —   diese  Worte  bedeuten  nicht  den  höd^teo 
Ausdruck ,  zu  dem  sich  real  und   in  der  Natur  der  Dinge 
die  weltschöpferischa  Macht  aufschwingt ,  sondern  sie  be- 
zeichnen den  höchsten  metaphysischen  Begriff  iur  die 
Allgemeinheit  des  weltschöpferischen  Principes  seber,  wie 
der  weitere  Verlauf  der  Abhandlung  es  sogleich  ergiebt 

Daran  verräth  sich  nun  von  Neuem  die  Unbeholfen- 
heit ,  ja  das  ganzliche  Ungeschick  der  wissenschaftlichen 
Form  bei  Sehe  Hing.  Abermals  ist  das  neue  Princip 
picht  vermittelt  oder  abgeleitet,  sondern  nur  aufgestellt,  aus 
der  Wirklichkeit  aufgenommen  ,  und  zwar ,  was  nur  als 
höchste  Potenz  bcgriflen  worden ,  wird  sofort  zum  univer- 
salen Princip  gemacht.    Damit  stellt  sich  jedoch  die  Unbe- 


Das  neue  Princip  derselben.  733 

8timmtheit  wieder  ein ,  welche  von]  solcheri  bloss  aürgo- 
nommenen  BegrifTen  unabtrennlich  ist. .  Wille,  Freiheit,  als 
dicss  Universelle,  wind  mit  ,,LebenS  „Thätigkeit<<,  mit  dem 
überhaupt,  wodm*ch  die  Dinge  werdende  sindj  gleich- 
gestellt: er  ist  zugleich  das  allgemein  Dynamische,  dlö  Le- 
benssucht oder  „Begierde^,  die  „den  Grund  jedes  be- 
sondern  Naturlebens  ausmacht^  der  Trieb  („Eigen- 
wille^) jeglichen  Daseins ,  „sich  nicht  nur  überhaupt,  son- 
dern in  dieser  bestimmten  Existenz  zu  erhalten^  der  nicht 
zo  dem  schon  geschaffenen  Geschöpfe  hinzugekommen, 
der  vielmehr  als  das  Schaffende  selber  zu  denken 
ist  (S.  420.  21.  27.  31.  55.). 

Hierbei  ist  jedoch  der  Begriff  des  Willens  in  Gefahr, 
aus  seiner  scharfbcgranzten  Bestimmtiieit,  wonach  er  fre^ 
bewusste  Selbstbestimmung,  Moment  jener  schöpferisch 
intellektuellen  That,  welche  wir  kennen  gelernt  haben,  und 
nur  dieser  ist,  sich  in  die  alte  Verwaschenheit  zu  verlie- 
ren, nach  welcher  er  Alles  in  Allen,  nicht  die  „höchste  Po- 
tenz^ ,  sondern  die  durch  alle  Potenzen  hindurchgreifende, 
unendlich  modificable  Identität  wäre.    Und   so  droht  der 
Fortschritt  abermals,  weil  an  keinen  festen  metaphysischen 
Begriff  gebunden,  und  durch  ihn  gewonnen,  in  alte  Stand- 
punkte zurückzufallen.    Den  Beweis  für  das  neue  Princip 
kann  aber  Seh  eil  in  g  eigentlich  nur,  wie  früher,  in  der 
Berufung  atif   die  lebendige  Anschauung  der  Wirklichkeit 
finden.   Aus  der  Regelmässigkeit  einer  blossen  Verstandes- 
that  das  Weltdasein  völlig  zu  erklären^  ist  unmöglich :  „das 
Irrationale  und  Zufällige,  das  in  der  Formation  der 
Wesen,  besonders  der  organischen,  sich  mit  demNoth- 
wendigen  verbunden  zeigt,  beweist,  dass  es  nicht 
bloss  eine  «geometrische  Nothwendigkeit  ist ,   die  hier  ge- 
wirkt hat,   sondern   dass]  Freiheit,    Geist  und  Ei- 
genwille  hier  mit  im  Spiele  waren«  (S.  455.). 
Diese  bedeutenden  Worte  erklären  völlig,   und  rechtferti- 
gen zugleich,  die  neue  Wendung,  welche  Schell  ing  ge- 
nommen;   nur  wird  die  Frage  übrig  bleiben,   in  welchen 
metaphysischen  Zusammenhang    und  in  welche  be- 


734  Der  Wille , 

gnriifismässige  Passung  jenes  Princip  wird  eingereikl 
den  müssen? 

Aber  auch  in  diesem  Betrachle  müssen  wir  den  tiefen 
Sinn  bewundem,  der  Schell ing  bei  dem  ganzlicheti Man- 
gel jenes  begriflsmässigen  Zusammenhanges  dennodi  das 
Rechte  hat  treffen  lassen«  Wille  ist  die  concreteste  Zospil- 
zung  der  Persdnlichkeit^  die  innigste  Wecbseldurchdringng 
des  Idealen  und  Realen ,  der  Macht  und  des  inteOigenten 
Lichtes:  er  bedarf  daher  zu  seiner  eigenen  Vorausselsung 
des  Realen,  Substantiellen,  —  einer  Natur  in  sich  selbst; 
—  und  leerer,  dieser  realen  Basis  entbehrender  WiDe  — 
wie  manche  der  spätem  Schellingianer  diesen  BegrifiF  ge* 
nommen  zu  haben  scheinen  *)  —  wäre  abermals  nur  eis 
unwirkliches  und  ohnmächtiges,  Nichts  wahrhaft  zu  etUi^ 
ren  geeignetes  Abstraktum. 

Dieser  Auffassung  tritt  sogleich  nun  Schelling  durch 
die  energischsten  Aeusserangen  des  Gcgentheils  etktgegca. 
Es  wäre  einen  Irrtham  zu  nennen,  sagt  er,  dass  der  Panthas- 
mus  darch  den  Idealismus  -^  (schon  durch  jenen  ganz  all- 
gemeinen Begriff  des  Willens)  —  aufgehoben  sei :  denn  ob 
es  einzelne  Dinge  sind  ^  die  in  einer  absoluten  Substanz, 
oder  ebenso  viel  einzelnen  Willen ,  die  in  einem  Urwillen 
begriffen  sind,  ist  für  den  Pantheismus,  als  solchen,  ganz 
einerlei  (S.  421.  22.).  —  Es  bedarf  dazu  für  den  kreatör- 
liehen  Willen  selber  einer  von  Gott  unabhängigen  Baas 
seiner  Existenz,  überhaupt  also  einer  Basis:  diese  kana 
nur  die  Natur,  oder  im  Ganzen  des  philosophischen  Sy^ 
stemes,  der  Realismus  gewähren*  „Der  Idealisoins, 
wenn  er  nicht  einen  lebendigen  Realismus  zur  Basis  er* 
halt,  ¥rird  ein  ganz  leeres  und  abgezogenes  System.'  *- 
i,Idealismus  ist  Seele  der  Philosophie ,  Realismus  ihr  Leib; 
nur  beide  zusammen  machen  ein  lebendiges  Ganzes  aus. 
Nie  kann  der  letzte  das  Princip  hergeben ;   jaber  er  miiss 


*)  Vgl.  des  Verfassers  Schrift :  ,,ii b^r  Gegensatx,  Wende* 
pankt  und  Ziel  heut  ige  r  Pili  1  o«  ophi  6'*  Dd.LS,119> 
120.  und  die  „Ontologie«  S.  52& 


als  dicss  universale  Princip.  735 

Grund  und  Mittel  sein,  in  dem  jener  sich  verwirklicht***  — 
^Fchll  einer  Philosophie  diess   lebendige  Fundament,  wel- 
ches   gewöhnlich    em   Zeichen   ist,     dass   auch    das 
ideelle    Princip     in     ihr     ursprünglich     nur 
schwach  wirksam  war:  so  verliert  sie  *sich  in  jeno 
Systeme ,   deren  abgezogene  Begriffe  mit  der  Lebeniäkraft 
und  Fülle   der  Wirklichkeit  im    schneidendsten  Kontraste 
stehen«  (S.  327-  28.).—  So  ist  für  Schellin  g  der  Rea- 
lismus seines  rückwärtslicgenden  Standpunktes  zugleich  die 
allgemein  wissenschaftliche  Bedingung  geworden ,  um  dem 
neuen  Principe  die  rechte  Grundlage  und  Fasstmg  zu  geben. 
Wir  gehen  jetzt  zur  Darstellung  desselben  in  seinen  Grund- 
zügcii  fort ,  nach  den  freilich  nicht  selten  schwer  zu  deu- 
tenden Erklärungen  in  seiner  Abhandlung  über  die  Freiheit. 
Gott  kann  nur   den  Grund  seiner  Existenz  in  sich 
selbst  haben,  so  aber,  dass  dieser  etwas  Reelles  und  Wirk- 
licher sei,  nicht  der  blosse  Begriff  seiner  Aseität,  wo- 
mit zuletzt  Nichts  gesagt  oder  erklärt  wäre.  —  Wir  kön- 
nen uns  für  den  Beweis   dieses  Satzes  auch  hier  an  die 
allgemeine  Gmndansicht  Schellings  halten,   dass  alles 
Leben,  alle  aktuelle  Wirklichkeit  —  also  auch  die  göttliche 
—  auf  einem  ursprünglichen  Gegensatze  von  Einwickelung 
und  Evolution,  einem  torminus  a  quo  und  ad  quem 
des  Daseins,  einem  Grunde  von  Existenz  und  einer  daraus 
sich  entwickelnden  Verwirklichung  desselben,  beruhe.  (Die- 
ser yfieus  implicitus^   und  ^explicitus^  tritt  bekanntlich  als 
der  Hauptbegriff  in  Schellings  „Denkmal«  gegen  Jacobi 
hervor.)    —    ,5Golt  hat  in  sich  dicken  innern  Grund 
seiner' Existenz,  der  insofern  ihm,  als  Existirendem,  voran- 
geht: aber  ebenso  ist  Gott  wieder  das  Prius  des  Grun- 
des, indem  der  Grund,  a  1  s  solcher,  nicht  existiren  könnte, 
wenn  Gott  nicht  actu  wäre*^  (S.  436.).' 

Aber  dieser  Grund  in  Gott  von  Gott  selber  jst  nicht 
nur  etwas  Reelles  und  Wirkliches ;  er  muss  nach  der  gan- 
zen GrundauiTassung  Schellings  eben  damit  zugleich 
etwas  Erfahrbares,' wenigstens  in  einigem  Grade  em- 
pirisch Nachzuweisendes ,  sein.     Es  ist  die  „Natur   in 


736  Gegensatz  Ton  Grand  und  Existenz, 

Gott*  —  bestimmter  der  Geist,  Charakter  der  Natur^  der 
Selbstschöpfungsdrang,  mit  dem  sie  blind ,  aber  bewnssttos 
vemunflig,  einem  von  ihr  selbst  unverstandenen  Ziele  vob 
Bildungen  sich  zubewegt:  —  ^die  Sehnsucht,  die  das  eviige 
Bine  empfindet ,  sich  selbst  zu  gebären^  die  unergründ- 
liche Einheit,  die  Gott  ist.  Insofern  ist  sie  auch  «Wille; 
aber  Wille  in  dem  kein  Verstand  ist,  und  darum  audi 
nicht  selbstständiger  und  voUkommner  Wille, 
indem  eigentlich  der  Verstand  der  Wille  in  dem 
Willen  i  8 1^'.  (Richtig ,  Wille  in  eigentlicher  Bedeutung 
ist  nur  das  zweite  Moment  zum  Denkön ,  das  durch  den 
Begriff  hindurchgetretene,  in  ihm  licht  gewordene 
Reale  jener .  Sucht  und  blinden  Begierde :  damit  ist  aber 
der  universale  Begriff  des  Willens  von  Sehe  Hing  selber 
wieder  limitirt  oder  in's  Unbestimmte  gerückt ;  er  giebt  uns 
eine  doppelte  Bedeutung  desselben  t  Wille  in  eigenUiehem 
und  uneigentlichem  Sinne.) 

Aus  diesem  Verstandlosen  nun  ist  in  eigentlichstem 
Sinne  der  Verstand  geboren.  Wiowohl  nämlich  das  reine 
Wesen  der  Sehnsucht  längst  durch  das  Höhere,  das  sich 
aua  ihm  erhoben  hat,  verdrängt  ist,  indem,  die  ewige  That 
der  Sclbstoll'enbarung  Alles  in  Ordnung,  Regel  und  Gesetz 
aufgelöst  hat:  so  liegt  doch  das  Regellose  zu  Grunde;  und 
niig'ends  scheint  es,  als  wären  Ordnung  und  Form  das  Ur- 
sprüngliche, sondern  als  wäre  ein  anfanglich  Regelloses 
zur  Ordnung  gebracht  worden. 

Ohne  dicss  vorausgehende  Dunkel  giebt  es  keine 
Realität  der  Kreatur;  ,,diess  ist  an  den  Dingan  die 
unergreifiiche  Basis  der  Realität,  das,  was  sich  mit  der 
grössten  Anstrengung  nicht  in  Verstand  auflösen  lässt,  son- 
dern ewig  im  Grunde  bleibt^.  Wiewohl  nämlich  dieser  re- 
gellose Wille  unvermögend  ist ,  etwas  Dauerndes  für  sich 
zu  bilden;  so  ist  er  doch  der  Grund  zu  aller  Mannigfaltig- 
keit und  Vielheit  der  Dinge  ,  zugleich  zu  ihrer  Selbsifaeit, 
Gott,  dem  Existirendcn,  gegenüber.  Allgemeine  und 
besondere  Naturanalogiecn  erläutern  diesen  Fundamentcol- 
6atz  seiner  Theorie  (ß.  431 — 33.). 


WiUe  md  Verstand  in  Qotk.  737 

yfit  kaknvsn  dieseti  WiRen   des  Grundes  das  erstö 
Prinöip  in  tiott  nennen.     Aber  in   das  chaotische  Riiigen 
dc^selbto  wird  das  Licbl   des  Selbstetkeiinens  gcM 
bracht:    was  iaiif  deib  vorigen  Standpunkte  Schellings 
ausscUliesseniles  Princip  war,  daruhi  aber  Koglbich  nur  iik 
uneigendlchem  iSinite  galt ,   als  ^Selbstbejahmig  j  Seibstbe-» 
krälligün^  überhaupt,  miliiin  detri  sehr  nahe  kam,  war  jetzt 
ebenso  iineigentiteh  universaler  Wilie^  Belbirtthät  und  Frei-« 
heil;  alles  Wirklichen  genannt  worden :   dbs  wird  hier  zinn 
%  Mf.^  i  t  e  n  Principe  in  Clott ;   aber  es  '  ist  dämm  auch  ^io 
S^bst^rkennen .  im  eigentlichen  und  ättsdr&cklichen  Sinnei 
Eatsprechetid   ndmlich  der  Sehnsucht  •—  (weil  diese  all 
sich  selbst  schon  ein  dem  Verstände  Verwandtes,  ihm.Ge^ 
mässes,  das  Intelligente  iii  sich  vei^schlossen  Tragendes  ist)^ 
ißrzeugt  sich  ih  Gott  eine  innere,  reflexiTä  Vor-» 
Stellung,  durch  MrelcheGott  sich  selbst ^^  (den  In.haU 
jener  Sehnsucht)  ^  in  eiilehi  Ebenbilde  erblickL 
Diesö  VorsteUungr  (Selbstabspiegelung)  ist  das  Erste^  worin 
Gott,  absolut  betraebtet^  verwirklieht  ist,  obgleich  nui^' 
in  ihm  Selbst:  sie  ist  der  göttliche  Kiyag^  der. im.  An-» 
fange  bei  Gott  ist^  der  in  Gott  gezeugte  Gott^    «^    die 
ideellä,  somit  ohnehin  durchaus  vorweltliche  SelbstverWirk-' 
licAung  Gottes  (Si  434.  Vgl.  S.  483.  84.).  -^  «In  dem  gött- 
lichen Verstände   selbst,   als   in   uranfdnglicher  Weisheit^ 
worin  Gott  isich  ideal,  oder  tirbildlich ,  ver*« 
wirkiicht^  Ist,  wie  nttr  Ein  Gott,  so  auch  nur  Eine  mög-< 
liehe  Welti    In  dem  göttlichen  Vetstfande  ist  ein  System^ 
(jenes  urbildlicfao    System  eben   der  Weltbildung)  ^   ,^aber 
Gott  sdbst  ist  kein  System,  sondern  ein  Leben<^   (S*  486a 

4870. 

Diese  Vdr^tcilung  ist  ebgleich  der  Verstand^   das 

Kweüe  nrincip,  das  Ziel  jener  Sehnsucht,  dem  sie  sich 
zubcffvgi.  Gott  aber,  als  Einheit  beider  der  ewige  Geiste 
in  ^  der  reflexiven  Vorstellung  klar  durchdringend  u^d  un^ 
ten»€heidend  den  Inhalt  jener  Sehnsucht,  «spricht  nun,  von 
der  Liebe  bewogen ,  die  er  Selbst  ist»  das  Wort  aus,  dass 
nun  der  Verstand  mit  der  Sehnsucht  zusammen  ü'^ischar««. 

47 


738  Daraus  Bo^riff  «ler  Schöprutfg 

fciider  uiul  aUnäcbtiger  WiHe  wird^  •— ^  dM'  dritto  Trin* 
oip  m  6ült^  *>*.  „und  in  der  anfängiicli-  rcf^iellosiiii  Malur, 
ab  in  ihrem  Eletnente.  und  Wevk^eng&y  Iiil4ei<^  (&  4i4.). 
Hier  iirird  jenes  Bii«iiiNid ,  in  dem  fiM  zuerst  ideeM  sich 
venrcricHohte,  auch  real ,  und  erst  hierafit  begtniit  die  ei- 
gentliche Koamogoniew 

Die  erste  Wirkung  des  Vacstandes  ist  die  Schdiking 
jener  waptungliGh  chaoUscken  Kräfte,  um  die;  in'  Uunem 
Ahgninde  Kegeadb  9  alle  uater  aioli  kefaasendc  mid  ord* 
nende  Einheit  (was  zugleidi  ihrer  aller  iimmaaenUT 
ZwedL  wa^e)  herlmssuhebeii  und  au  verw.irldifciieHh  Diese 
Bmheit,  $nt  welche  alle  Kräfte  der  Natur  zielen,  ist  der 
Mensch,  dämm  zugleich  das  verwirl&liGble ,  der  Natur 
eiBgescUossene  Ebenbild  Gottes  ia  der  Scfadphag ;  ^der  in 
der  Tiefe  verschlossene  göttliche  LebensbBck ,  den  Gott 
ersah,  als  er  den  Willen  aur  Natur  fasate.  loi  Menschen 
allein  hat  Gott  die  Welt  geliebt;  und  eben  diesa  Ebenbild 
Gottes  hat  die  Sehnsucht  im  Contro  ergrißen,  als  sie  mit 
dem  Lichte  in  Gegensatz  trat<<  (S.  437.). 

Denn  durch  jene  Erregung  des  Verstandes  zur  Schei* 
düng  der  Kräfte ,  zum  Aurgeben  der  DuakelheS; ,  wird  die 
Sehnsucht  zur  Gegenwirkung  angefacht ;  äe  sucht  den 
in  ihr  ruhenden  Lebensblick  in  sich  zu  verscUiecäsen ,  die 
Dunkelheit  zu  erhalten,  ,,damit  immer  ein  Grund 
b  1  e  i  b  e<^  (S.  4^.  35.) :  —  eioe  charakteristische^  in  ihrer 
Begründung  aus  dem  bisherigen  Zusammenhange  aber 
schwer  zu  deutende  Lehre.  Die  in  dieser  Scheidung  ge- 
trennten ,  aber  nicht  völlig  aus  einandergetretenen  Kräfte 
sind  der  Stoff,  woraus  nachher  (für  die  Welt  des  Organi- 
schen) der  L  e  i  b  (die  Unmittelbarkeit  der  sinnlichen  Er- 
scheinung) configurirt  wird ;  das  aus  der  Tiefe  des  natür- 
Kchen  Grundes,  als  Mittelpunkt  derKr&fte,  aber  entstehende 
Band  ist  die  Seele.  „Weit  der  ursprftngliche  Verstand  die 
Seele  aus  einem  von  ihm  unabhangigea  Grande,  ajs 
inneres  hervorhebt :  so  bleibt  sie  eben  desshalb  seibat  un- 
abhängig von  ihm ,  als  ein  besonderes  und  für  sioh  be- 
istehendes Wesen«   (S.  435.).    Daraus   das  Selbststaadige^ 


^ 


.und  Kosmagonic«  739 

Centrale,  Eigenwillige,  was  jedem  Seeliscben  und  Geistigea 
beizulegen  ist.  (Vgl.  S.  454.  5&> 

Bei   dem  Widerstreben  der  Sehnsucht  aber,   „wel- 
ches. nQthwendig   ist    2^r  vollkommenen  Ger 
bart^,    klinn   die  Hervorhebung  der  aUerinnersten  £inr 
heil    nur    in  einer    stufenwei^en   Entfaltung    geschehen; 
hier  tritt  die  Potenzenlehre  wii^der  ein*    Bei  jeder  Stufq 
entsteht  ein  neues  Wesen  aus  der  Natur^  dessea  Sf  ele  uqi 
so  YoHkonuBner  sein  muss  ,  je  mehr  es  das,  )was  in  den 
andern   noch  ungescbieden  ist , .  g^e  schieden,  enthält* 
Jedes  Wesen  bat  daher  ein  doppeltes  Princip  in  $ich,  wel- 
ches jedoch  an  sich  selbst  nur  Ein  und  das  nämliche  ist 
Das  erste  Princip  ist,  wpdurch  sie  von  Gott  geschieden, 
oder  im  blossen  Grunde  sind;    das  zweite,  was  in  ihnen 
der  Verstand  herausgewirkt  hat.    „Da  aber  zwischen  bei« 
den  eine  ursprüngliche  Einheit  stattfindet  und  der  Process 
der   Schöpfung    nur   auf  eine  innere  Transmi^tetion   oder 
Verklärung  des  anfänglich  dunkeln  Princips  gejit :  so  sind 
beide,  obwohl  in  bestimmtem  Grade,  Eins  in  jedem  NaUur-, 
wesen*. 

Jenes  Princip  ist  der  Eigenwille  der  Kreatur,  der  aber, 

sofern  er  nicht  zur  Einheit  mit  dem  Liebte,  dem  Principe 

des  Verstandes,  erhoben  ist,  blosse  Sucht  oder,  Begierde, 

blinder  Wille  ist  (aus  welchem  nachher  in  dem  intelligenten 

Wesen  die  Möglichkeit  und  Wirklichkeit  des  Bösen  abgeleitet 

w  ird).    Diesem  Eigenwillen  der  Kreatur  steht  der  Verstand 

als  Universalwille   entgegen,   der  jenen  als  blosses 

Werkzeug  sich  uiUerordnet   —    In    dem  Men^hen  sind 

beide  Principe  in  ihrer  Stärke  und  Vollendung;  in  ihm  ist 

ganz  das  finstere  Princip,  aber  er  ist  zugleich  Geist.  „Wäre 

nun  im  Geiste   dps  Menschen    die  Einheit  beider  ebensqi 

unauflöslich,  wie  in  Gott,  so  wäre  kein  ynlerschi^d,  d.  h. 

Gott  als  Geist  vmrde^  (av^  Menschen)  ,,ni^ht  offenbar.  Die 

in  Gott  unzertrennliche  Einheit  muss  also  im  Menschen  zerr 

tremilich  sein,  —  und  diess  ist  die  Möglichkeit  des  Guten 

und  Bösen«  (S.  436—38.). 

Ss  ist  nicht  dieses  Ort?s  ^    den  Fortschritt  von  der 


740  Möglichkeit  und  Wiridichkcit 

Möglichkeit  zur  Wirklichkeit   des  Bösen  weiter  zu  verrat- 
gen.    Nur  so   viel  mussaus  der  Sehe  Hing  selten  Dar- 
stellung noch  darüber  entnommen  werden,  dass  die  allgt*- 
meine  Erregung  des  Eigenwillens  in  der  Kreatur,  die  Ak- 
tualisirung   des  Bösen   in  der  Versuchung,   dämm   notb- 
wendig  ist,  damit    an  der  Ucberwindnng  derselben  das 
Gute  als  solches,  in  Gott,  als  dem  SichoOenbarenden,  vie 
in  der  bewusstcn  Kreatur,    als  der   im  Guten   berestigten, 
durch  die  Versuchung  hindurchgegangenen,  völlig  wirkKrb 
und  offenbar  werde.    Erst  dadurch  erhalt  jedes  Wesen  die 
volle  Scharfe  und  Eigenheit  der  Existenz :  jedes  kann  nur 
an  seinem  Gegentheile  offenbar  werden,  Liebe  nur  in  Hass, 
Einheit  in  Streit.    Wäre  daher  keine  Zertrennung  der  Priii- 
cipien,  so  könnte  die  Einheit  ihre  Allmacht  nicht  erweisen: 
wäre  nicht  Zwietracht,  so  könnte  die  Liebe  nicht  wirklich 
werden.    Der  Grund    muss  wiriien   in  der  Schöpfung  auf 
universale  Weise  ,   damit  die  Liebe  sein  könne,    und  er 
muss  unabhängig  von  ihr  wirken,    damit  sie 
reell   existire.    Dieses  Wirkenlassen   des  Grundes  ist 
der  einzig  denkbare  Begriff  der  Zulassung  des  Bösen ;   er 
wirkt  nur  als  der  Wille  zur  Offenbarung ;   aber  eben  da- 
mit diese  sei,  damit  die  Liebe  in  ihrer  Allmacht  erscheine, 
muss  er  die  Eigenheit    unM   den  Gegensatz   hen'ormfen 
(S.  452—54-,  vgl.  490  f.  461.).    Der  Anblick  der   ganzen 
Natur  überzeugt    uns  von*  dieser    geschehenen  ErreguniTi 
durch  welche  alles  Leben    erst  den  letzten  Grad  der  Be- 
stimmtheit erhalten!  kann.      In   der    (bewusstlosen)  Natur 
übrigens  kündigt  sich  das  Böse  nur  durch  seine  Wirkung 
an :  dahin  gehört  das  Giftige,  Lebensfeindliche,  Zerstörende 
gewisser  Naturkräfte,  der  natürliche  Abscheu,  den  manche 
Erscheinungen  im  Menschen  erregen ;  dahin  auch  der  kei- 
nesweges   in    ursprünglicher    Nothwendigkeit    gegründete 
Vorgang,  dass  alle  organischen  Wesen  ihrer  individuellen 
Auflösung  entgegengellen.  *  Der  Tod  erscheint   als  Werk 
einer  spätem ,   schon  gestörten  Natnrordnung  (S.  455— 
461.  462.). 

Aber  erst  im  Menschen   tritt  das  Böse^   als  solches, 


des  Bösen.  741 

Fiervof :  es  Ist  die  Verkehrung  des  Willens«  die  Erre« 
grun^  der  Kräfte  des  Grundes ,  welche  bloss  dienen  sollten 
Kur  Aktualität  eines  eigenen  Triebes  und  einer  besondem 
Sucht.    Diese  aber  ist ,  wenigstens  als  Versuchung ,  eine 
durchaus   universale,  damit  in  ihrer  Ueberwindung 
die  Liebe,  die  wiederhergestellte  Einheit,  empfindlich  werde. 
Diese  Offenbarung    und  Macht   des  Guten    rouss   aber   im 
Reiche    des  Geistes  die  nämlichen  Stufen  haben,  wie  die 
erste  Manifestation  in  der  Natur ,  so  {nämlich ,  dass  auch 
hier    der  erste  Gipfel    der  Offenbarung   der  Mensch  ist ; 
aber  der  urbildliche  und  göttliche  Mensch,  der  im  Anfange 
bei  Gotl  war,   in  dem  alle  andern  Dinge  und  der   (krea- 
lürliche)  Mensch  selber  geschaffen  sind.    So  muss  das  im 
Gegrensatze  mit  dem  Bösen  in  die  Welt  gesprochene  Wort 
die  Menschheit  oder  Selbstheit  annehmen,    ein  menschlich 
persönliches  werden  ,  — -   der  Gottmensch ,  als  der  Mittel- 
punkt   des   Reiches    des    Geistes    oder    der    Geschichte 
CS,  467.> 

Diese  letztern  Sätze    der  Schellingschen  Abhand- 
lung sind  es  eigentlich ,   welche  bisher  schon  Einwirkung 
g-e  runden  haben  und  zur  fruchtbarsten  Anwendung  gekom* 
men  sind«    Die   spekulative  Anerkennung   einer   Offenba- 
rung im  allereigentlichsten  Sinne ,   die  Nachweisung ,  dass 
diese    deAsdben  Gesetze    stufenweiser  Entfaltung  in   der 
Weltgeschichte  unterworfen  sei ,    wie  die  Offenbarung  des 
göttlichen  Weltplanes  in  der  Natur,  die  Versuche,  die  Oc- 
konomie  der  göttlichen  Offenbarung  in  der  Geschichte  nicht 
mehr  bloss  rationalistisch,  oder  symbolisch,  sondern  con- 
cret,  als  einen  ebenso  sehr  im  Natürlichen,  wie  im  Geisti- 
gen, sich  abspiegelnden  Process  zu  begreifen, -r-  alle  diese 
Begriffe  haben   die  erste  Anregung  zu    einer  spekulativen 
Behandlung  der  christlichen  Lehre  gegeben,  durch  welche 
—  wir  sagen  nicht  zuviel,  -7-  eine  völlig  neue  Epoche  der 
ReügionswisscnscbaR  begonnen   hat     Der  metaphysische 
Inhalt  der  Abhandlung  hat  dagegen ,  wie   ßcbon    die  bis- 
herige Bcrichteri^tattung  zeigen  kann  ,   desto  weniger  ein- 
gewirkt 


742  Begriff  der  Person, 

Aber  Gott  ist  bisher  nur  betrachtet  vpordcn  ^b  sich 
selbst  offenbarendes  WeseA«',  als  freischaffender  aBmacb- 
tiger  Wille,  der  den  Inhalt  jenes  Verstandes  ,  dw  s^mi- 
fSn^lichen  Wetsheit^*^  den  chaotischen  Kräften  des  Grandes 
einbildet.  Aber  wie  Teriiält  er  äch  zu  dieser  Otenbann^ 
als  „silöiches  Wesen«  ?  Hat  er  das  Böse,  dessen  Mogfich- 
keit  und  Wirklichkeit  durch  die  Selbstoffenbamng  bedingt 
ist,  auch  gewollt,  wenn  er  diese  gewollt  hat ,  und  wie  i^ 
dieses  Wollen  mit  seiner  Hieiligkeit  utid  höchsten  Vallkoii- 
menheit  in  Einklang  £u  bringen? 

Dass  zunächst  die  Selbstoffenbamng  freie  tliai  sei,  ist 
schon  durch  aUes  Vorhergehende,  ja  durch  die  ganze 
Ansicht ,  begründet.  „  W§re  uns  Gott  ein  bloss  fegi- 
sches  Abstraktum,  so  müsste  auch  Alles  ans  ihn 
mit  logischerNolh  wehdigkeit  folgen;  er  selbst 
wäre*  nur  das  höchste  Gesetz ,  von  dem  Alles  ansfliesst, 
aber  ohne  Personalität  und  Bewusstsein«.  —  Aber  er  ist 
Persönlichkeit,  und  zwar  höchste  Persönlichkeit  Wenn 
nämlich  der  Begriff  der  Person  auf  der  Verbindung 
ein  es- Selbststän  digen  mit  einer  Ton  ihm  un- 
abhängigen Basis  beruht,  sodass  beide  sick 
ganz  durchdringejfi  und  Ein  Wesen  sind;  sa 
kommt  Gott  dieser  Begriff  im  eminenten  Sinne  na :  dir 
Natur,  das  Wirken  jenes  Grundes ,  ist  die  Basis ,  —  die 
reale  Seite  in  Gott;  der  Verstand,  die  abspiegelnde  Selbst- 
durchdringung, ist  die  ideale  Seite,  aber  zugleich  damit 
das  höhere,  die  Einheit  des  Bewusstseins  verwiridichende 
Band ,  welches  Gott  zur  Person ,  zum  Geiste ,  nufliia  auch 
zum  frei  sich-  bestimmenden  Geiste  macht. 

Allein  weil  inGott  zwei  gleich  ewige  Anfinge 
der  Seibstoffenbarung  sind,  der  aus  dem  Grunde,  und  der 
durch  den  Verstand ;  so  muss  auch  der  Begriff  seiner  Frei- 
heit in  Beziehung  auf  beide  verschieden  bestimmt  werden. 
Der  erste  Anfang  zur  Schöpfung  ist  der  Wille  des  Grundes: 
dieser  ist  jedoch  „kein  bewusster  oder  mitR^exion  verbnn» 
dcner  Wille,  obgleich  auch  kein  völlig  bewussfloser,  son- 
dern mittlerer  Natur,  wie  Begierde  oder  Lust«  u.  s.  w.  (S.  482.). 


juid  der  Petsöfilidikeit  flotles.  743 

S^hMklhin  iräier  tod  bcwusster  Wilie  ist  dapege«  der 

^WiHokI^  Liebe<^,   der  Selbstoffenberung   aas  dem  Ver*- 

stnnde,  e-ben  weil  er  diess  ist;  und  die  aus  ihm  fol** 

gende  OffiMbamng  ist  Handlung  und  Tfaa t^  i^Die  Scbö«- 

pfkxng^ '  <in  jenem  Sinne  eines  Soheidens  und  Ordnens  der 

Krifte    «»aus  der  alten  .Natur^)  ist  keine  Begebenheit, 

sondern. eine  That.    Es   giebt   keine   Erfolge  aus 

aUgtemeinen  .  Gesetzten,   sondera   Gotl;»   d.h. 

die  JPeraon  Gottes,  ist  das  allgemeine  GeseU,. 

und  Alles^  wa;s  .fesohieht,  geschieht  verhiöge  der  PeTsön«- 

lichkeit  Gottes ,   nicht  nach  einet   abstrakten  'NtothifTeridig- 

keil,  die  wir  nicht  ertrafen  wurden  im  Handeln,  geschweige 

Gott'^.   -^    ^Das  höchste  Streben  der  dynamMichen  Eiiüa- 

nmgsait  ist  kein  anderes,  als  diese  Reduktion-  der  Natur- 

gesetee  auf  Genrath,  Geist  und  WiUen«  <S.  484.).  *) 

Aber  es  fragt  sich  doch  ausserdem  noch^  ob  die  That 
der  SeibstoffenbaruBg  Gottesl  auch  in  dem  Sinne  frei  ge- 
wesen sei,  dass  er  alle  Folgen  derselben  (die  dadurch 
miteiregte  Verwirklichung  des  Bösen)  vorausgesehen  liabe? 
Auch  diess  ist  zu  bejahen  ;  in  der  reflexiven  YorsteHimg, 
in  wöloher  Gott  ideal  sich  verwirlüicht  Coder,  was  Eins  da- 
mit ist,  Toraussielit ,  was  ans  seiner  VerwirUichnng  erfel-> 
gen  muss),  kann  aneh  diess  nur  enthalten  sein.  Dennoch 
nittss  der  Wille  zur  Offenbarung,  die  Liebe  und 
CiUte  m  Gott,  überwiegen ,  damit  es  zur  wiilclicben  Offen- 


^  Dieser  Begriff  der  Person  scheint  auch  in  (Ter  spätem,  dem 
grOtsem  PulxICkum  noch  onbekannten  Darstellung  ronSchel- 
kinf  8.- Systeme  den  Mittelpunkt  tu  bilden,  lirie  aus  den  An- 
deutungea  Stahls  (PhiL  des  Rechts  Bd.  I.  S.  324— >300 
darüber  sich  ergiebt.  Sätze,  vrie  die  von  Stahl  aufgestelt- 
tcD :  M^i^  Person  ist  das  vollendetste  Sjrsteni ,  das  Ursystem, 
und  es  giebt  kein  System  ausser  ihr*';  oder:  „wir  streben 
nur  dämm  Alles  systematisch  7u  machen ,  weil  Gott  persön- 
lich ist*-,  und  ähnliche^  tragen  viel  zu  sehr  den  Stempel  ur- 
kundlicher OViginelit&t  und  innerer  Verwandtschaft  zum  Stune 
der  hier  betrachteten  Abhandlang,  als  dass  wir  nicht  die  tir« 
iprüugliclien  Worte  S  c  h  e  II  in  g  s    darin  vermutheu  sollten. 


744  Begriff  einer  DttdUfit  in  GoUl 

|>aninf  komnie;  und  ^dieseEntsokeidnng?  (der  Offen- 
(»aningsr,  Schöpfongs^Entechlnss)  ^vollendet  erst  deft  Be- 
griff derselben,  als  einer  bewusslen  und  sitUicli- 
freien  That^  (8.  484.).  ^  Die  Oßenbann^r  ist  eine 
sittlich  nothwendige )  -^  der  einsig  müssige  Be^ 
^nff  einer  Nothwendigkeit  in  Gott;  damit  der  ^ie^  lier 
Liebe  sei ,  damit  diese  v6Ilig  oiTenhar  werde  am  Gegen- 
(heile  und  Widerstände ,  hat  Gott  auch  diesen  und  alle 
seine  Folgen  in  der  Schöpfung  über  sich  genommen.  Cad 
^n  diesem  Sinne  lässt  sich  sagen,  dass  Gatt  mittelbar 
fiucJ^  das  Böse  gewollt  (8.  485r^49t). 

Allein  wir  müssen  noch  andere  charakteristiseke  Ans* 
f^rüche  Schell  in  gs  hier  anreihen,  welche,  wie  sie  ger. 
eignet  sind;  die  Rechtfertigung  Gottes  wegen  WaUeninssens 
des  Bösen  noch  weiter  zu  treiben,  als  irgend  eine  Philor 
Sophie  es  unternommen  hat,   vpn  der  andern  Seite  doch 
in  den  Sinn  der  ganaen  Weltansicht  entscheidendere  Blicke 
thun  lassen,  als  'bisher^  -r^    ,,Dass  Gott  die  unordentlichen 
Geburten  des  Chaos  zur  Ordnung  gebracht  und  seine  ew^ 
liinheit   in    die  Nattur  ausgesprochen ,  dadurch  wirkte  er 
der  Pinstemiss  entgegen ,  und  setzte  der  regellosen  Bewe- 
gung des  verstandlosen  Princips  das  Wort,  als  etn  iMstan«- 
diges  Gentrum  und  ewige  Leuchte,  entgegen.    Der  W^üie 
zur  Schöpfung   war   datier  unmittelbar   nur   ein  Wille 
zur  Gehurt  des  Lichtes  und  damit  des  Guten; 
das  Böse  aber  kam  in  diesem  Willen9    weder 
als  Itfi ttel,  noch  als  conditio  sine  qt/tß  non  der 
grossten   Vollkommenheit   der    Welt,   in   Be- 
tracht Es  war  weder  Gegenstand  eines  gött- 
lichen Rathschlusses,   noch   viel  weniger  ei- 
ner   Erlaubnisse'.  (S.  491.   92.).     Hieraus  wideriegt 
Scheliing  den  Leibnitzischen  Begriff  des  Bö^en,  als 
fler  beglelteinden  Bedingung  zum  Guten.    Gott  kann  dem 
\ViUcn  des  Gru^ides  nicht  wehren,  oder  ihn  aufheben,  in- 
dem Gott  damit  die  Bedingung  feiner  Existenz,  seine  Per- 
sönlichkeit ,  aufhöbe.     „Damit  also  das  Böse  iiic|it  wär^ 
niusste  Gott  selbst  nipht  sein«. 


Folge  darau»»  Ar  die  ganze  Ansicht  <?)4& 


ist  Yon.  S  che  Hing  einer  Ansicht  Raum  gier 
geben,  wdbhe.  an  die  VoR^eUMng  eines  Duaiimnus  in  GoM 
selbem  sireill,     Da«  bewussllose  Wirken   des   Grundes, 
welches  die  diaoUschen  Geburten   hervoiigebracht ,  isl  da« 
urs^üngliche  und  ers^e,  dem  dureh  das  Verhängnis»,  vfeU 
che«  itti  Gesetse  alles  Lehens  liegl ,   Gett  selbst  nicht  hat 
entgehen  {(önnen.    Die  Auswirkung  des  Boseni  walohe  mit 
darin  j^tbalten  ist ,    iist  daher  gleichfalls  vpn  Gott  weder 
zugelassen,  noch  beschlossen;   sie  ist   die  unwillhuhrlidbe 
FQlge  jenes  ungeordneten  Aufgihrens  des  Grundes ,   wel- 
cher Gott,  der  E^istirende,  die  Person  Gottes,  viebnehr  bann 
digend  und  ordnend  entgegentritt,   als  allein  der  WiUe 
des   Guten;   und    hiermit  beginnt   die   Schöpfurig, 
welcii0  daher  zugleich  (wie   es   die  Abhandlung  in  ihrem 
letzten  Theile. weiter«  entwiekelt}  in  ihrem  Fortgänge  eine 
De^iegung  lund  Aufliebung  jener  Kraße  des  Grunde?  i^t, 
indem  diose  aus  d^qi  Triebe,  s^lbststandig  und  ausser  ihrer- 
wahren  Einheit  zu  wirken ,  in  sich  zurückgebracht  und  in 
dent  Zustand  des  Crundes ,  der  Pptentialität,  versetzt  wer-, 
dep ,  wodurch   d^s  Bqse  daa  wird ,    was  es   immer  fiein 
sollte,  Basis,  UnterwQrfenes.    Das  Ende   der  Offenbarung 
(die  Vollendung  der  Schöpfung)  ist  daher  die  Ausstossung 
des  Busen  vQui  Guten  ,  d.  h.  dio  Erklärung  desselben  als 
gauziichcr  Unrcalität. 

So  lange  aber  die  anfangliche  Dualität  dauerte, 
herrscJite  d^s  schaffende  Wort  in  dem  Grunde;  ^diese 
Periode  der  Schö.pfung^  (der  Dualismus  des  unter« 
geprdnpten ,  widerstrebenden  und  des  übergeordneten, 
überwindenden  Princips)  „geht  durehallo  hindurch 
bis  zum  Ende,  Wenn  aber  die  Dualität  durch  die 
^heidung  vernichtet  ist,  ordnet  das  ideale  Princip  si^^h  und 
das  mit  ihm  £in$  gewordene  gemeinschaftlich  dem 
Qeiste  unter^  Mnd  dieser,  als  ds(S  göttliche  Bewusstsein,  lebt 
nun  i^uf  gleiche  Wf^ise  in  beiden  Prinpipien^*  -^  ^Das 
ist.  die  Zeit,  wo  Gott  AUos  in  Allen,  d.h.  wq.er  ganz  ver-r 
wiiklicbt  sein  wlrd^e  (Si.  496,  94.). 

Doch  die  llärto ,  ja  das.  Bedenkliche  jenes  Dualismus 


7¥}  Folg«  Mlamos , 

in .CMl)  wdcher  Es'oheiiiiiiyer'n  ist  setaem  bektRiDten 
Sendschreiben  anSehelUng  sogar  sum  harten  oder  ge- 
wttgtK^n  Vorwaife  veranlasste,  dkiss  diese  Ansicht  Gott»  als 
Bxistirenden,  aus  etwas  dem  Teufd  AdHiKdIlfem  faerrofge^ 
fcert  lasse,  halSch^lling  selbst  gleich  uinprüngfieh  «chen 
Miszugleichen  gesuelkt,  vieiieicht  freilieh  nicht  ohne  «hdnrdk 
den  Gewitin ,  welchen  die  Lehre  vom  Grande  in  Gott  ihn 
darbot ,  zu  geOhrden  und  teilweise  sogar  wieder  za 
limitiren. 

Ueber  jenen  beiden  gieich  ewigen  Anfingen,  nagt  er, 
mnsi  ein  Wesen  sein,  was  nnr  ab  die  absolute  I  n  d  i  f fe- 
renäs  beider  bezeichnet. werden  kann,  —  «der  Urgrund 
oder  vielmehr  der  Ungrund^'  —  welches  in  jeden 
deraelben  nicht  nur  zugleich,  sondern  g I  e  ieh  e  r- 
weise,  in  jedem  afs  das  Ganee^  wirklich  ist. 
-  -  >  JÖer  Ungrond  tlieüt  sich  aller  in  die  beiden  glekfa 
ewigen  Anfinge,  nur  damit  die  zwei,  die  in  ihm,  ab 
Ungrnnd,  nicht  zugleich  oder  Eines  sein  konnten,  durch 
Liebe  Eins  werden,  d.  h.  er  Iheift  sieh  nur,  da-* 
mit  Leben  und  Liebe  sei  und  persönliche  Exi- 
s^tenz;  —  denn  das  ist  das  Geheimntss  derLi^e,  dass  sie 
solche  verbindet ,  deren  jedes  fär  «ich  sein  könnte ,  und 
doch  nicht  ist  und  nicht  sein  kann,  ohne  ^s  Andere^.  — 
Indem  sich  aber,  was  aus  dem  Grunde  isIT,  allniahltiA  in 
der  fortschreitenden  Scheidung  der  Kräfte  dem  Geiste,  und 
dHdurch  der  höchsten  Einheit,  unterwirft,  um  völlig  selbst- 
sldndig  und  in  freier  Eigenheit  doch  zugleich  Eins  zn  seiA 
mit  Gott,  indem  so  die  Schöpfung  und  die  Wettkriais  zu- 
gleich vollendet  wird:  „ist  in  dem  Geiste  das  ExtsUrende 
mit  dem  Grunde  zur  Existenz  Eins ;  in  ihm  sind  wfaUkh 
beide  zugleich,  er  ist  die  abselate  Identität  bei- 
der. Aber  aber  dem  Geiste  ist  der  anfängliche  Ungrnnd, 
der  nicht  mehrlndif ferenz  CGleichgültigkeit) 
ist,  und  doch  nicht  Identität  beider  Principten ,  sondern 
die  aHgemeine,  gegen  Alles  gleiche,  und  doch  von 
Nichts  ergriffene  Einheit,  das  von  Allem  ireie  und 
doch   Alles   duichwirkende  VVohlthun,  mit  Einem  Worte 


i«M 


für  die  gan2o  Ansicht  74/ 

itie  Liebe  ,  die  Alles  in  ARem  ist«.  —  „Nur  GM,  nU 
Geist,  ist  di«  Absolute  IdeMirät  beider  Pmoipfen,  über 
nur  dadurch  nnd insofern,  dass  nnd  inwiefern  b«id*e 
seiner  Persönlichkeit    nnternrerfeil    sihd^ 

(S.  497—5010. 

üiess  ist  nun  der  höchste  Lidht^  und  OitiAilpunkt ;,  bi«  ' 
m  weichem  S  c  h  e  11  i  n  gf  in  dieser  Abhandlung-^  und  fibeFü 
hattpt  wohl  in  den  durch  denDitick  fiocli  Vekunnt  gttwtm*^ 
denen  Urkunden  über   sein  System  ^    förlgae^clfritten'  Isti 
Hfeinnit  \A  jedoch  —  was  ziAifichst  zu  zeugen  ^  die  Cehtu 
von  dem  rdtaiiv  unabhängigen  Grunde  ^  aus  welchem  dnd 
Chaos,  als  ursprtlnglichste8,ttnddieAlBtuansftnnif  de^ 
Bösen  staimnt,  bedeutend  modKicirt.    Es  ist  keiii  UnwilU 
kflhrliches    mehr,    keine  unentweichbare  Nothwendigki^il; 
wie  es  vorher  erscheinen  muss^,  wonach  inG*dt4  selbst 
das  Dunkel  dem  Lichte,  das  Chaotische  «ind  Blindwirkende 
dem  Verstände  vorausgeht;  sondern  mü  ffcüeniKnlschlussti', 
in  der  Absicht,  „damit*  durch  die  Einigung  des  Gcflhe»* 
ten  das  Leben  und  die  Liebe  empfindlich  werde,  scheidet 
sich  Gott  in  jene  beiden  Anfange.    Dadurch  fhllen  jedoch, 
wie  schon  bemerkt ,  die  Vorbehalte  hinwejg,  durch  'Welche 
Schelling   die  'Verwirklichung    des   Bösen    uiid    seine 
Theilnahme  daran  von  Gott  abwenden  zu  können  gfMibte, 
Bestimmt  sich  Gott  in  freiem  Entschlüsse  dazu,  si-ch  zum 
Grunde  seiner  selbst  zu  machen,  sammt  allen   diiran  ge- 
knüpften ,   ausdrücklich   „vorausgesehenen«  Folgen  •  l^i  die 
Oekonotnie  der  Schöpfung;   so  Ist  es  Gott  nun  allerdings 
selbst,  welcher  mittelbar  auch  das  Böse  erregt,  und  auch 
Schelling  musste   wieder  auf  die  Anfangs   verworfen^ 
Bestimmung  Lelbnitzens  zurückkommen ,  welche  ohne- 
hin   seiner   ganzen   Grundansicht    völlig    ta   entsprechen 
scheint,  dass  das  Böse  die  „Bedingung,   ohne  wel^ 
che  nicht«,  des  verwirklichten  Guten  sei,  universal 
erregt,    zur  Befestigung  und  zum  Siege  der  Liebe  und 
des  OöUlichen  in   der  Schöpfung.    Aber   nicht  nur  dfesöf 
kleme  Widerspruch  ,   sondern  ein  tioch  tieferer  Zwiej?palt 
des  Systemes  mit  sich  selbst  ergicbt  sich  aus  jenen  spätem 


749  Vcrmdi ,  die.  höchste  Efaihcit 

Beitiifiviiingeii  im  Gegensatze  mit  der  ftmdamenlakn  Lehre 
fiaw  yon  r  Qoftt  umibhfitigfigeii  Grundes  in  Gatt  selbsl,  wo^ 
von  am  Sobhisae  dieses  Abschnitts  bei  Erwähnung  der  lete- 
tcp  Gestalfr  des-  Systemes  noch  Etwas  hinsnizulugen  ist. 
Dennoch  wäre  von  der  andern  Seite  sogletdi  heraus* 
^  sufaeben,  dass  jene«o  eben  vernommenen  Schlusseiidinni- 
gen  v(dlstandig  ausreichen,  um  dem  Begriffe  der  Immaneai 
von  Gott  und  Welt^  von  UneadUdiem  und  Endlichem,  wie 
der  firöhere  StandpunktSchellings  ihn  mit  sich  brachte, 
ein  finde  zu  machen.    Scheilings  spätere  Sdiüier  ha- 
ben behauptet,  sebie  gegenwärtige  Lehre   sei   so   wenig 
Faiithei^mus^  dass  sie  vielmehr  zur  Bekämpfung  seines  Prin* 
i^ps  weit  tiefer  greifende  Fundamentalbegriffe  in  Bewegung 
%n  setzen  termöge,  als  die  herrschende  theistische  Denlc^ 
weise.    Wir  müssen   diesem  Urtheile ,   von  allem  Andern 
abgesehen,  was  die  Lehre  uns  zu  bedenken  giebt,    völlig 
beitreten.    Gott  tritt  in ,  die  beiden  gleich  ewigen  Anfange 
der  Schöpßing  auseinander ,  er  gönnt  so  der  Kreatur ,  ih- 
ren Ursprung  und  ihre  Selbstständigkeit  in  dem  einen  der- 
selben zu  haben ,  damit  er  am  Ende  der  Dinge  mit  der 
selbstfitändigen  und  freien  sich  vereinigen,  damit  die  Udie  . 
sich  verwirklichen  könne.    Hier  kann  mit  Recht  behaqitet 
werden,  dass  Gott  diese  Liebe,  welche  er  am  Schlüsse  ver- 
wirklicht und  offenbart ,  auch  am.  Anfange  ist :    abenmüs 
jedoch  nicht  im  Siinne  eines  abstrakt  allgemeinen  Wesens, 
{sondern  als  ewiges  Subjekt ,   als   absolute  PeiSQnlichkeiL 
ItMlcm  er  nämlich  gedacht  werden  muss,  als  ebenso  frei 
libei*  jenen  Gegensätzen  schwebend ,   wie  sich  iluien  hin- 
geben4i  aber  d^ch  nicht  qiinder  sich  völlig  daraus  zurück- 
behaltend ,   indem  er  in  jedem   der  Giegenslitze  nicht  nur 
zugleich,  sondern  g^n^,   als  derselbe   ist:   lisst 
^ich  dieses  völlige  Eingehen  in   den  Gegensatz  und  die 
eben  so  völlige  Freiheit    oder   Indifferenz  davon   nur  be- 
greiiUch  finden  an  einem  höchsten  Subjekte,  in  dessen 
persenlicheni  Geiste  und  Bewusstsein;  denn  nur  des  Gei. 
stes  Eigenschaft  ist.  es,  dass  er  im  Wechsel  der  Zustände 
sich  ganz  bewahrt  und,  in  alle  Gegensätze  oder  Ausschliess- 


derselben  zu  fassen.       '  749 

KcMceitört  eingehend^  darin  gich  dodi  M^  dev  ißiiiltSe  Und» 
Selbe  mit  hinzubrtitgt,  « 

Wenn  also  Schelling  — ^  um  neefa  einmal  an>Aeitte. 
späteste  Erkläningf  zu  erinnern  —  Qott  ^daa  absolute  Svh^\ 
jekl^  nennt ,  „das  seiner  Natur  nach  sich  objelitivtrt^  «bcri 
aus  jeder  Objektivität   siegreich  wiedbr  hervor-  und  nov^ 
in  eine  höhere  Potenz  der  Subjektivität  Burücktritt^  big  ei. 
zuletzt  a  1  s  über  alles  siegreiches  Subjekt  s  t  e h  e  n  b  1  ei bt<^:) 
so  ist  ihm  von  hier  aus   ebenso  die   rflckwirtsgreifendfi,» 
freilich  noch  nicht  ausdrücklich  von  ihm   ausgesprochene; 
Folgerung  einzuräumen,  dass  Gott  darum   auch  als 
ewiges  Subjekt  am  iin/^an^ire  gedacht   werden 
müsse,  nicht  erst  in  Folge  der  Selbstpaten* 
zirung  durch  den  WeltpreceS'S. 

„Damit^  nämlich  Gott  am  Ende  des  vielversdilünge- 
nen  Weltprocesses  als  diess  ,,siegrei«he^  Subj^li,  -^^ 
als  die  Einheit   des  göttlichen  und  krealurlif^ 
eben  Geistes ,  —  auferstehen  könne;    --  wie  ist  die^ 
ser  wundervolle  Vorgang  (der  gliche  ,,Sieg^  einer  Vor- 
sehung) in  derThat  anders  begreiflich  zu  machen,  als  un« 
ter  Voraussetzung  eines   Ursubjektes,   einer   diesen   Sieg 
vorausschauenden ,  wie  bewusst  auswirkenden  Macht  von 
Anfang?    Ueberhaupt   ist    diess    der   gründlichste   und 
fruchtbarste  Weg  der  Forschung;  wie  er  hiermit  auch  von 
S  ch  eil  in  g  wenigstens  eingeleitet  zu  werden  scheint,  von 
dem  Weltbegrifle  zum  Begriffe  Gottes  aufzusteigen ,  d.  h*- 
die  innerweltliche  Manifestation    desselben    zur  Prämisse 
zu  machen ,  auf  welche  die  Schlüsse  über  seine  vorweit*- 
liehe  Natur  gegründet  werden  müssen,  ^  oder  in  jener  die 
Daten  für  diese  aufzusuchen. 

Diess  ist  unsers  Erachtens  auch  der  eigentliche  fiS-^ 
dungsgang  rein  metaphysischer  Forschung  seit  älte- 
ster Zeit  gewesen ,  welchen  wir  erneuert  eingeschlagen 
haben,  um^  ohne  jenen  (Schellingschen)  Umweg  ,  der 
sich  nicht  ohne  Gefahr  der  Verirrung  erwiesen  hat ,  auf 
das  nächste  Ziel  der  Metaphysik ,  zugleich  den  Höhen- 
punkt der  eigentlichen  Philosophie,  deki  fiegriff 


750  Versuch ,  4io  (loefaste  Einheit 

dergöttiiiAeB  VcvmJkkkeH,  bis.  zu  deeaen  Vorausse 
sung  wenigstens  Schelling  hier  gehingt  ist,  völ 
»HMstindfg  von  «anstigen  Bt^iehungea  zur  RealphUoso- 
phie  loiBtigdieB.  Wes  bei  SckeUing  ninlich  in  seiner 
reslphilosephisdie«  Ko80lniklion  der  Begriff  der  Poleasea 
tindi  dinr  hö€fastea  Potenz  etidiält ,  fassl  unsere  metapby- 
aisclie  Bewieisfuhsnng  aUgemeitter  unter  dem  Begriffe  des 
ifi-  der  Well  «ilgegenwäiligen  ^  imnianenten  Zweckes :  das 
eigentliche  «ettlpbysiadi  m  bearbeitende  Problem  ist  die 
onivenNile  Wellthatsacbe  einer  unendlichen  Zweckverknö- 
pfingy.aof  den»n  upgebewser  Garantie  die  Metaphysik  zn- 
letBUden  unabiwieisUohen  Aussprach  gründet,  dass  das  Abso* 
hite^  ab  eine  der  Wellten  Zweck  einschauende Maoht,  daran 
selbst  nur  als  urdeokendes  und  (dessbalb auch)  wol- 
len d  e^  Weseti  gedaeht  werden  ken^e*  Damit  versehwin- 
dei  jodi(Kb»  was.  noch  wicbliger  ware^  jede  YoransseisiBig 
eines  anßng^ichen.  Dunkels  in  Gott,  als  oiae  widec^re* 
ehende,:  ja;  in  Uefster  Bedeutung  widersinnige,  weil  sie  sieb 
mit  jenes  Thalsaohe  atlgegmwartiger  Zweckverknäpfung  ioi 
üniveesum  uavertragUeb  zeigt  Der  Zweck  in  den  Wdu 
dingen^  wem  Ernst  mit  diesem  Begriffe  gemacht  wird^  kann 
nicht  gefiftsst  werden,  als  ihnen  au^epiigt  durch  eine  erst 
apiler  Ober  sie  kommende  Anordnung  eines  ursprunglich 
regellosen,  der  Zweckbildung  flreokden  Stoffes,  wie  aus  den 
Principicn  der  Schciüng sehen  Kosmogonie  folgen  war« 
de :.  der  Zweck  des  Dinges  muss  selber  aus  seinem  Gründe 
stammen,  seinem  ursprunglicben  Wesen  einverleibt  sein,  ja 
als  Bins  mit  diesem  gedacht  werden.  *) 


*)  Vn^  ui9tapbyajdcbf  /^n^iJuhruiig  jene«  Begriffes  in  der  asgege- 
beiMa  Weise  giebt,  neben  der  Ootologie  des  Verfassers^  be- 
sonders seine.  Abbandlung  zur  spekulativen  Theologie 
in  der  Zeitscbrift  für  Philosophie  (Bd.  V.  H.  2. 
.  S.  195^254.),  worin  auch  (S.  216-^19.)  ein  summa rtsdies 
Urlheil  Aber  die  Seh  el  l  tngsche  Lehre  nach  ihrem  g«gMk- 
wältigen  SUndpfn^btie,  abgtfgeheo  wini,  «uf  dvasen  lahaU  iumI 
Gründe  wir  tp^iter  noch  luruckkommfii  müssen« 


dersolbcnr  tm  fassen.  7^ 

Doch  wfire  wiSit  j^fehU^  wenn   mm  jene  Lehre  von 
eiiK^n  dtnkeln,  bowii^stlo»  wirkenden  Gmnde  in  Gett^  di^ 
ScheMing.  alioh  ap&lier  nioht  aurgegeben  zu  .haben  sok^f^ 
so  vielfdche  InooDyeaienzennacii  aUeii  Seiten  hili  sie  sen« 
ucm  Systeme  kereüea  mmsB ,  bloss  aus  der  noch  rforMtn-^ 
emdea  Verbindung  desselben  alt  4en  BegriSbn  seiner  flU 
tcrn  Naturphilosophie  kevleiteii ,  nni  den  Gnmil  davon  iih 
c4nor:Heber(ragung  ihrer  Pateneenlehre  iii*s  Helaphysische 
finden  woHte.  .  Sie  kingl  bei  :ihmf  vielmehr'  auf  das  TuM» 
mic  einnb  andern  Prdbtenie  ^anisammen ,  dessen  Lösang  er 
darch  jene  Ansichl  kerbeiififarcn  wioUte*    Am  Unumwnnde»«- 
sten  hat  er  sich  dailSber  in  dein  Denkmale  gegen  Jax 
cobi  ansgesprochen.    Jacobi's  Alternativ«  ndmiieh  b^ 
kämpfenil ,  wonach  dieser  behauptete ,  es  könne  nur  zwei 
Haoplüasseii  von  FhHoaofphiäeii  geben,  solche,  wdche  «datf 
Vollkommene   aas   dem  Unvollkommenen  hervoigehen  vni 
aUmdhSoh  sich.entwickehi  lassen  (der  NaturaUsmus) ,  -  und 
solche,  welche  als- Ursprung  von  Allem  das  Vollkommenste 
vorausgehen  lassen,. ,,ein  sitUiehes  Princip,  eine  mit  Weia-i 
kett  wollende  und  wirkende  Intelligenz  ,  einen  Schöpfer«« 
Golf*   (der  Theismus)*);  steBt*  Schelling  ein   drittes, 
beide  vermittehides  System  auf,  aus  folgenden  Gründen*^)  3 
Das  Tiefste,  Verborgenste  in  Gott,  seine  Aseitat,  ist 
nicht  schon  selbst  Bewusstsein  ,    also    der .  bewusste  GotLl 
(An  sich  gewiss  nicht;    die  RealitSt  in  Gott,  seine  Na- 
tur, einseitig  für  sich  selbst  genommen,  müsste  als  etil 
ebenso  Dunkeles   gedacht  werden ,   wie  im  kreatürliohen 
Geiste  eine  dunkle  Grundlage  von  Existenz  ist :    aber  dtek 
doppelte  Frage  bleibt  zurück,   ob  in  Gott  diese  seine 
Natur  nicht  gleich  ursprünglich  von  Bewusstsein  und  Selbste 
durohsichtigkeit  durchdrungen  ist,  w a s  ihn  eben  zu  Gott 


*)9,U«ibfr  güttlicb«  Dinge   und  ihre  Offen  bar  niig^'s 
Jacobi'f  Werke  BcL  JU.  S.  382.  ; 

*")  y,1>enkni  al  der  Sohrift  yon  den  gdtilichen  Dto«^ 
gen«'  8.  76—87. 


753  Allg'em^iiie  Prtmisseh 

macht?  Sodaitn  noch  besKmintcr:  ob  Gott  fnitjen^m  don- 
Mn  Grande  seiner  selbst  schon  schaffend  wirke?  Undjeae 
Vr^e  bejahend,  diese  verneinend,  hfitte  mati  damit  dife  RidM 
ttgkeit  tmd  Allgämeinheit  jeites  Satzes,  wdcher  allehlings  die 
Gmndla^  jedes  wahren  und  lebendigen  Theiamiis  biMet^ 
nicht  aurgegeben ;  ja  man  hatte  sie  vielleicht  von  anderer 
Seite  her  nur  verschärft  nnd  bestäti|ft) 

.  Dass  äich  das  Vollkommenä  aus  seinem  eigenen  Ua-» 
vofflMihmeneh  erhebe  ^  dariii  liegt  nichts  Widersinniges; 
Schelliiig  bestätigt  den  Satz  an  Beispielen  aus  dei' Natur 
des  endlichen  Geistes.  NothMrencfig  muss  jedoch  das 
Allervollkommenste  —  dasjenige,  weldies  die  Yollkooamea-» 
heit  aller  Dinge  in  sich  hat^  ^^  vor  allen  Dmgea  sein. 
Das  Vollkommenste,  dem  blossen  Vermögen  nach^ 
ist  daher  zuerst.  ^^Die  t^rage  ist  aber,  ob  es  als  das  Ak 
IbrvoHkommenste  zuerst  war,  welches  schwer  zu 
gflauben  Ist^  aus  vieleh  Gründen^  zuntt^hst 
aber  schön  aus  den  ganz  einfältigen,  weil  es, 
im  wirklichen  Besitze  der  hö  chsten  Vollkom- 
menheit, keiiien  Grund  zur  Schöpfung  nnd 
Hervorbringung  so  vi  ei  erDinge  hatte,  dnrcb 
dickes,  linfahig  eine  höhere  Stufe  von  Voll- 
kommenheit zu  erlangen^  nur  Weniger  Tolt» 
kommen  werden  konnte'^. 

Diess  halten  wir  itir  den  wahrjcn,  zugleich  ticf||cschöpf-' 
tcn  Grund  ^  welcher  Sc  hell  in  g  die  Lehre  von  einer  ur-^ 
sprunglichen  Evolution  aus  dem  Unvollkommen  in's  VoU- 
kommene  in  Gott  selber  nicht  aufgeben  liess.  Woher 
überhaupt  sonst  das  ganze  Reich,  dasUniveilsüm,  desBewusst- 
losen^  gegen  welches  das  Reich  des  Bewussten,  de»  freien 
Geistes,  äusserlich  ^um  Unbedeutenden  Versehwindet;  woher 
das  mühsame  Ringen  der  Natur  selbst ,  stufenmässig ,  und 
in  wiederholten  Ansätzen ,  die  Gestalt  dieses  Geistes  ^  und 
das  äussere  GefSss  einer  sinnlich  se^listhcn  Organisation 
iur  denselben  zu  finden  5  wenn  es  der  Allmacht  des  voll« 
kommensten  Geistes  möglieh  gewesen  wäre,  gleioh  Ursprünge 
lieh  auch  das  vollkommenste,  und  nur  das  voUkommeosle 


dieser  Weltaiisicht  753 

Geschöpf  20  bilden?    bt  daher  niebl  in   ihm  selbst  eine 
Schranke  anzonehmen,  ein  Widerstrebendes,  welches  nur 
gradweise,  aus  dem  Innersten  seiner  selbst  her ,  überwun- 
den werden  konnte?  —    Es  verdient  bemerkt  zu   wer-* 
den  9  welche   hypochondrische,  aber   originale  und  tict* 
sinnige  Lehre  Friedrich  Daumer  aus  jenen  Prämissen 
und  überhaupt   aus   der  sich  ihm   aufdrängenden  Grund« 
anschauung  von  dem  Uebergewichte  und  der  Ursprünglick- 
keit  des  Unvollkommenen  ausgeboren  hat,  indem  er  den 
Grund  aller  Unvollkommenheit  und  aller  Uebel  des  Daseins 
unmittelbar  in  Gott  selber  findet^  der  in  seinem  Selbstgebä- 
rungsprocesse  durch  die  Welt  noch  keine  höhere  Stufe  der 
Vollendung  sich  errungen  hat    Alle  Individuation  und  Ein- 
zebiheit ,  auch  der  Geister ,  ist  nach  ihm  nur  die  unwill- 
kührliche,  wieder  abzustreifende  Folge  jenes  sich  selber 
suchenden,  zur  Gestalt  bringen  wollenden  Ringens  in  Gott; 
im  Tode,  als  der  Vernichtung  derselben,  werden  er  und  sie 
selbst    wieder   befreit  von   diesen   temporären  Versuchen 
des  Daseins:    sie    kehren   in   die  Ruhe   in  Gott  zuriSck, 
und  wenn  von   einem  Wiedererscheinen  Verstorbener  die 
Bede  ist ,  so  ist  auch  diess  nur  die  kranldiaft  widematAr^ 
liehe  Aufstörung  eines  überreizten  Lebens,  welches  jene  Ruhe 
noch  nicht  finden  kann-;'  die  nut  der  völligen  Aufhebung 
der  Individuation  in  Gott  Eins  ist.  —  Wie  grundverschi»« 
den  nun  auch  diese  Lehre  von  der  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  sei, 
indem  man  sie  das  Widerspiel  der  letztem,  eine  Philosophie 
des  Todes,  nennen  könnte:  so  ist  sie  doch  aus  denselben 
Keimen,  aus   dem  Bewusstsein  derselben  Grundprobleme, 
nur  in  einseitiger  Steigerung  einzelner  derselben,  hervor- 
gegangen; und  auch,  wie  dieser,  muss  man  ihr  zugeste- 
hen ,  aus  einer  tiefen ,  in  Gemülh  und  Geist  durchbildeten 
Grundanschauung  geschöpft  zu  sein,  welche  nicht  durch 
blossen  BegrilTssyUogismus  widerlegt,  £;ondern  deren  Be- 
dürfniss  und  Anliegen   befriedigt  werden  muss  durch  eine 
wirklich  lösende,  jene  Fragen  aufklärende  Gesammtansicht. 
Wiefern  diese  Befriedigung  in  Schellings  gegenwärti- 
ger Philosophie  erreicht  ist ,  muss  bis  zu  ihrer  Veröffent* 

48 


754  Aligemeine  Präniissen 

lichung  tmentschieden  bleiben;  in  Hegels  Systeme  mid  in 
den  herrschenden  Vorstellungen  der  Schule  ist  Nichts  da- 
von vorhanden',  indem  man  hier  nicht  einmal  jener  Fnge 
mit  Bestimmtheit  sich  bewusst  wird,  und  ihr  tiefes  GewiÄt 
empfindet  1  — 

Ebenso  ist  es  die  andere  leitende  Idee  der  Sckel- 
lingschen  Lehre,  dass  allem  Leben  ein  Schicksal,  die 
Nothwendigkeit  eines  Werdens  ans  der  Ueberwindnng  von 
GegensätsM^n ,  auferlegt  sei ;  so  auch  dem  Leben  Gottes, 
falls  es  wirklich  das  lebendige ,  noch  mehr  das  geistige, 
sittlich  freie  sein  solle.  Sc  h  eil  in  g  spricht  sich  darüber 
auch  im  „Denkmal^  auf  das  Bestimmteste  aus*).  Wenn 
des  göttlichen  Wesens  Art  in  Lid>e  und  Güte  besteht ,  so 
kann  seine  vorausgesetzte  Natur  nicht  auch  in  Gate  und 
Weisheit  bestehen,  weil  sonst  kein  Unterschied 
wäre;  in  ihm  selbst  muss  daher  ein  Mangel,  w^üg- 
stens.von  selbstbewusster  Güte  und  Weisheit,  es 
muss  in  so  weit  blosse  Stirke  sein.  Und  wie  sollte 
Gott  doch  selbst,  sammt  seiner  Weisheit  und  Gute,  beste- 
hen ohne  Starke,  da  Starke  eben  das  Bestehen  ist?  Denn 
wo  keine  Stärke,  da  ist  auch  kein  Charakter ,  keine  Indi- 
vidualität und  wahre  Persönlichkeit ;  und  ma  durch  die 
Stärke  kann  auch  die  höchste  Güte  £ur Majestät  erhöht 
werden. 

Wenn  aber  einmal  eine  Stärke,  also  Etwas,  was 
bloss  Natur  ist,  im  höchsten  Wesen  vorausges^zt 
werden  muss:  so  kann  kaum  noch  gefragt  werden,  was 
vorausgegangen,  ob  Gü^  und  Weisheit  zuerst  g^ 
wesen,  und  dann  die  Stärke  ,,darüber<^  gekomm^  sei, 
oder  vielmehr  umgdcehrt  I  Und  so  folgt  denn  von  sdbst, 
dass  das'  zuerst  Gewesene  —  ,,nioht  zwar  eine  Natur 
der  Dinge^  c^ine Schöpfung),  ,^die  noch  gar  nicht  hier- 


*)  Man  Tergleiche  In  weiterer  Beziehung  noch  dutelbst  «eioe 
ErkUrangen  fiber  den  Begriff  der  Persönlidikeit  GoUes,  S.94 
^100;  über  den  Begriff  det  Lebens  S.  102  —  104.  107. 
u.  8.  w. 


dieser  Weltansicht  755 

her  ^hört,  —  wohl  aber  die  Natnr  des  Wesens 
selber  sei ,  das  sich  zum  adu  VoOkommensten  aus  sich 
sdber  evolvirt  habe^:  —  (wobei'  jedoch  immer  noch  die 
allgemeine  Voraussetaang  zu  prüfen  bleibt,  ob  in  Gott 
überhaupt  von  einem  solchen  ^Vorausgehen«  des  Einen 
oder  des  Andern  die  Rede  sein  könne ,  wo  dann  leicht 
das  ganze  Entweder-Oder  dahinfallen  möchte.) 

Auch  die  Intelligenz,  welche  wir  dem  göttlichen 
Wesen  beilegen ,  kann  nicht  so  blank  nnd  bloss  auf  sich 
selber,  als  Intelligenz,  beruhen,  sie  bedarf  eines  Seins, 
einer  realen  Erfüllung ,  „indem  sie^  als  Denken,  gleichsam 
das  Dünne  'und  Leere,  wie  jenes  das  Dicke  und  Volle  ist^* 
Aber  der  „Anfangt'  einer  Intelligenz  in  ihr  selber  *— 
(ein  Anfangen,  ein  wirkliches  Vorausgehen  eines  Nicht-» 
intelligenten,  als  eines  besondem  und  für  sich  bestehenden 
Zustandes,  diese  Eonsequenz  ist  jedoch  abermals  nicht  ge-* 
fordert  durch  den  an  sich  richtigen  Inhalt  jenes  Satzes)—:  kann 
nidit  wieder Intdligenz sein,  „weil  sonst  keine  Unter- 
scheidung wäre«,  ttber  auch  nicht  schlechthin  nicht 
intelligent ,  weil  es  die  Möglichkeit  einer  loteDigenz  ist. 
Die  Gegner  dieser  Ansicht  haben  aber,  nach  S  c  h  e  1 1 1  n  g, 
Hoch  das  besonders  gegen  sich,  dass  sie  nicht  zu  erklären 
im  Stande  sind:  „wie  doch  aus  einer  so  ganz  kla- 
ren und  durchsichtigen  Intelligenz  ein  so 
sonderbar  verworrenes  —  wenn  gleich  in 
Ordnung  gebrachtes  —  Ganzes,  wie  dieWelt, 
habe  entstehen  können«^?  (Denkmal  S.  78.  81. 
83^-84.  86.  Vgl.  S.  105—106.). 

In  der  mythologischen  Abhandlung  «über  dieGott- 
heiten  vonSamothrace«  (1815),  dem  letzten  Werke, 
worin  sich  S  c  h  e  1 1  i  n  g  über  seine  philosophischen  An- 
sichten öffentlich  eiklärt  hat ,  wird  die  Potenzenlehre  vor- 
getragen, aber  mit  ebenso  bestimmter  Hervorhebung  eines 
gegen  sie  freien,  in  ihnen  waltenden  ,  aber  eben  darum 
von  Anfang  her  ihnen  vorauszusetzenden  göttlichen 
Subjekts ,  welche  Lehre  er  in  den  Mysterien  der  Kabiren 
und  überhaupt  in  der  Gesammlheit  der  alten  Mythologie 


756  ScheiUngs 

tufsucht,  und  ^als  dasUrsystem  der  Menschheit'  ans  einer 
Deoiungf  derselben  wiederherzastdl^n,  sucht. 

Das  tiefste,  anfinglichste  Wesen  (Axieros- Ceres)  ist 
Hangar  und  Sucht  nach  Dasein,  der  erste,  entfernteste  Ao- 
fiing  alles  wirklichen,  offenbaren  Seins  ^-  die  „Sehnsndit* 
des  Grundes  in  der  Abhandlung  fiber  die  Freiheit  Die 
nächste  Gottheit  (Axiokersa-Persephone-Isis)  macht  den 
Gnindanfang  der  ganzen  sichtbaren  Natur ,  wodurch ,  wie 
durch  Zauber*,  Alles  zur  Wirklichkeit  oder  Gestaltung  ge- 
bracht wird:^  ,)Zauberinn  ist  Persephone,  als  erster  An- 
&ng  zum  künffigen  leiblichen  Dasein,  als  die,  welche  diess 
Kleid  der  Sterblichkeit  webt  and  das  Blendwerk  der  Sinne 
hervorbringt':  —  yei^eiehbar  ,  nach  der  frühem  wissen- 
schaftlichen Unterscheidung ,  dem  ersten  Scheiden  und  Ord- 
nen des  zweiten  Principes  ,  des  Verstandes  ,  in  den 
ursprunglich  regellos  sich  bewegenden  Natnrkraflen.  — 
Die  dritte  Gestalt*  (Axiokersos-Osiris -Dionysos  •*Othin) 
„überwindet  den  Zauber  der  Persephone,  und  wird  dadurch 
erster  Er  Öffner  der  Natur,  sie  in  mildes  Leben  und  sanfte 
Leiblichkeit  aufschliessend^,  —  den  völligen  Sieg  des  Ver- 
standes über  die  chaotischen  Kräfte  der  Natur  ,  die  blei- 
bend geordnete  Schöpfung  in  einer  Stufenfolge  der  Welt- 
wesen, und  damit  die  Herausbildung  des  eigentlichen  Welt- 
zweckes, des  Geistes,  befestigend :  desshalb  nennt  er  den 
'Dionysos  auch  den  Herrn  der  Geisterwelt,  die  Qffenbanmg 
im  Geiste. 

Aber  über  der  Natur  und  der  (kreatürlichen)  Geister- 
welt steht  das  die  Beiden^  sowohl  unter  sich,  ab  mit 
dem  Ueberweltliohen  vermittelnde  Princip  (Kadmilos  —  Her- 
mes —  der  Engel  des 'Angesichts  Gottes).  Diess  ist  un- 
streitig die  merkwürdigste  Gestalt  unter  den  mythologischen 
Deutungen  Schollings  für  die  Vergleichung  mit  seinem 
eigenen  Systeme.  Offenbar  kann  sie  nur  dem  vergtichea 
werden,  was  Seh  ellin  g  im  Zusammenhange  seiner  altern 
Ansicht  die  Identität  des  Subjektiven  und  Objektiven  nannte, 
d.  h.  dasjenige  Wesen,  was  ebenso  ganz  in  der  Natur,  als 
in  der  Geisterwelt,  sich  verwirklicht:  —  der  Wellgeisl,  das 


myliiologteciie  AbhancUimg  757 

^ttliche  Geistwesen,  was,  durch  die  Natur  sich  potenzirend^ 
im  Menschen  unmittelbar  kreatürlich  wird.    Dieses  hat  nun, 
nach  allen  Erklärungen  Schellings  in  den  Werken  sei« 
nes  zweiten  Standpunktes  und  nach  der  damals  nirgends 
verleugneten  Gesammtkonsequenz  desselben ,.  —  (welcher 
das  He  gel  sehe  Princip  (Anehm  conform  ist)  —  ihm  iiQr 
das  Absolute  selber  gegolten.    Hier  ist  es  dagegen 
nnr  der  Mittler  des  Kreaturlichen  mit  dem  gegetf  die  Welt 
freien  Gotte,  dem  Demiurgos,  Zeus ;  —  der,  wenn  wir  die 
Konsequenz  des  Ganzen  richtig  fassen  und  den  Sinn  einzelner 
Ausdrucke  festhalten,  nicht  die  höchste  Potenz  in  der  Reihe 
der  übrigen,  —  eine  solche  wäre  vielmehr,  als  Person,  Kad- 
miios,  —  sondern  das  schlechthin  über  alle  Potenz  hinaus- 
liegende, und  in  allen  gleichmässig  wirkende  Wesen,  wo* 
darch   doch   die  Einheit  Gottes    in   jener  MannigfalÜgkeit, 
der  Potenzen  oder  götUichen  Machte  wiederhergestellt,  und 
gerade  die  überweltiiche  Persönlichkeit  dieses  ßinen  Gottes 
gerechtfertigt  wird.   Indem  er  frei  in  allen  Potenzen  wirkt, 
und  sie  sämmtlich  zur  Einheit  des  Resultats  im  Weifganzen 
zusammenknüpft ,  muss  er  als  das  Eine ,  bewusst  göttliche 
Subjekt  von  Anfang  gedacht  werden.    In  diesem  Sinne  kann 
S  c  h  e  1 1  i  n  g  das  Kabirensystem  fassen,  j^als  die  Darstellung 
des  unauflöslichen,  in  einer  Folge  von  Steigermigen  vom 
Tiefsten  in's  Höchste  fortschreitenden  Lebens ,  Darstellung 
der  allgemeinen  Magie  und  der  im  ganzen  Weltall  immer 
•dauernden   Theurgie,    durch  welche  das  Unsicht- 
bare, ja  Ueberwirkliche,  unablässig  zur  Of- 
fenbarung Ujud  Wirklichkeit  gebracht  wird.<^ 
—   „Die  ersten  Gottheiten  desselben  sind  weltliche  ,  kos- 
mische Mächte ,    Glieder  Einer  vom  Tiefsten  in's  Höchste 
aufsteigenden  Kette,    die  sich  endlich  alle  in  Eine 
höchste  Persönlichkeit  verklären,  — die  Mitt- 
ier zwischen    dem  Menschen   und  der  (höch- 
sten Gottheit«.  ♦)  — 


*]  „lieber  die  Gottheiten  von  Samothrace,  Beilage 


758  Sptterer  Uebergang  SdieHnigs 


ßo  wdt  fSnfem  ms  die  von  Schell iag  sdbil 
fiber  sein  System  TeröffenUichlen  Uiiciniden ;  die  gegen- 
wfirtige  Geslalt  dessdben ,  worüber  joie  noch  nicht  gege- 
ben sind ,  kann  kein  Gegenstand  fernerer  Darstdlong  vi 
Kritik  sein«  Doch  sind  andi  ober  die  letztere  einige  Winke 
gegeben  worden  in  Chalybäns  historischer  Ent- 
wicklung der  spekulativen  Philosophie  von 
Kant  bis  Hegel  (Brste  Anfl.  1837,  S.  244--«l): 
s weite  Anfl.  1839,  S.  274--2890.  Die  qneUennätsig 
gewissenhafte  nnd  einsichtsvolle  Darirtellang  in  den  nbrigei 
Theiien  des  Werkes  lässt  uns  annehmen ,  dass  auch  Uer 
hinreichende  Daten  su  Grunde  liegen ;  um  so  mdir,  als  die 
dort*  erwähnten  Haup^mnkte ,  —  die  Richtigkeit  des  fin- 
lehien  lassen  wir  unentschieden  —  sich  gennn  an  die 
letzte  Gestalt  von  Schellings  Systeme  anschliesteo,  nnd 
deren  Entwickelung  sogar  fortsetzen  wurden. 

Hiemach  scheint  nämlich  diese  weitere  DuTühbfldnng 
der  in  der  Abhandlung  von  der  Freiheit  neu  fundamenlir- 
tirtcn  Weltansicht  darauf  gerichtet  zu  sem ,  die  Lehre  tob 
dem  blindwirkenden  Grunde  in  Gott,  das  aus  der  Naturphi- 
losophie herubeigebrachte  Princip,  welches  nach  dem  Sinne 
jener  Abhandlung,  wiewohl  nicht  ohne  einiges  Schwanken, 
in  ein  Dualistisches  für  Gott  selber  auszuschlageii  sdiea 
(5.  oben  S.  746—747.),  tiefer  nnd  dauernder  dem  Begrife 
der  götdichen  Einheit  und  Freiheit  zu  unterwerfen.  Diese 
spatere  Entwicklung  drängt  namlioh  mit  der  grösstea  Ent- 
schiedenheit auf  den  Begriff  der  freien  Subjektivität  in 
Gott,  mit  welcher  er,  als  das  frei  sich  entscheidende,  danm 
geistig  persönliche  Wesen,  über  den  entgegengesetzten 
Möglichkeiten  semes  Seins  schwebt:  im  Stande  ist,  m  je- 
der der  drei  Potenzen  (der  allgemeinen Mögtichkeit  des 
Seins  oder  des  Nichtseins,  des  Grundes  zur  eig^dicbes 
Existenz  und  der  dadurch  vermittelten  Existenz)  ganz  n 


zu    den  WTeUaltem,  S.  17.  18.  19--22  ;    TergL  S.  75  £ 
26—28.  37.  u.  s.  w. 


in  emu  vierten  Stemlpluikt.  769 


sein,  oder  eben  so  ganz  bei  akh  selbst  ra  Ueäen,  in  das 
reine  (geistige)  Ansichselbstsein  sich  jEurflckzunefamen. 

Hiermit  verschwindet  völlig  der  B^^riff  j^fier  Noth- 
wendigkeit ,  jenes  Schicksals  in  Gott ,  wodurch  er  so  un-» 
mrilikuhrlich,  wie  ursprünglich,  in«  das  bhnde  Wirken  eines 
Grandes  in  ihm  verwickelt  is^  und  wenn  wir  nrtheilen 
muwten,   dass  in  der  Abhandlung  über  die  Freiheit  dies« 
Ansicht  noch  nicht  vollständig  abgelehnt  oder  dberwunden 
war  9  dass  hierin  besonders  sich  das  Schwanken  derselben 
kund  that :  so  ist  jetzt  das  Unentschiedene  darin  mit  voller 
Ansdrucklidikeit  hinweggethan,  das  Prindp  der  Persönlich- 
keit von  Anfang  hat  völlig  gesiegt ,  und  wir  können  mü 
vollem  Rechte    von   daher  den  Uebeigang  Schellings 
in  eine  vierte  (nach  ihrer  nähern  Entwicklung  übrigens 
noch  unbekannte)  Epoche  datiren.    Für  jetzt  könnten  wir 
das  Charakteristische  derselben  etwa  so  aussprechen : 

In  Gott  ist  die  freie  und  klarbewusste  Hö^ichkeit  ge- 
setzt (und  darum  ist  er  Person,  vor  jedem  Personwer* 
den  m  der  Weltgestaltung) ,  skh  dem  Processe  der  Po«> 
lenzen,  der  Gegensätze  in  ihm ,  hinzugeben  -—  was  sonst 
nur  in  idealer  Selbstanschauung  ihm  vorschwebt ,  zu  ver- 
wirklichen ,  —  oder  auch  nicht     Dass  und  wie  er  sich 
über  diese  entgegengesetzte  Möglichkeit  entschieden ,  dar- 
über kann  apriort  nicht  abgeschlossen  werden :  es  ist  die 
Urthat,  die  absolute  That,  von  deren  Vollziehung  wir  nur 
durch  das  Faktum  der  Welt   und   einer  solchen  «Welt 
Kunde  erhalten.  Desshalb  scheint  Schelling  seiner  Phi^ 
losophie  den  ausschliesslichen  Namen  der  positiven,  mitten 
in  der  Wirklichkeit  stehenden   und  diese  erklärenden, 
vorzubehalten.    In  diesem  Sinne  kann  auch  sein  gewichti- 
ger Ansq»mch  zu  deuten  sein :   dass   mit  dem  rein  Ra- 
tionalen (Apriorischen)  an  die  Wirklichkeit  nicht  heran^^ 
zukemmen  ist. 

hidem  sich  aber  Gott  entschieden  bat,  —  oder  ebenso 
stets  von  Neuem  sich  entscheidet,  —  wirklich  zu  sein;  — 
denn  er  könnte  jene  Urthat  an  sich  eben  so  wieder  zu- 
rücknehmen »  und  überhaupt  die  Weherhaltung  als  ereotio 


760  Al^fenriiMte  Umrisse 

cmUmua  ni  ftfisen,  bioss  in  der  Konsequeia  der  Schel- 
lingschen  Weliansidit  liegen:  —  giebt  er  sich  damit  zu- 
gleich freiwillig  dem  Loose  der  Endlichkeit,  dem  Schidb- 
sale hin ,  das ,  was  er  in  reiner  Idealitäl  zomal  und  als 
Eins  war,  getrennt  zu  setzen;  detm  ohne  einen  sofchen 
Gegensatz ,   ohne  eine  ^annnng^  der  Potenzen,  kann  es 
nun  einmal  zu  einem  Begriffe  der  Sdiöpfang  in   rechtem 
nnd  ansdriickliehem  Sinne  nicht  kommen.    Gott  muss  äch 
selbst  dazn  dem  blindwirkenden  Sein,  als  dem  Grande  sd- 
nee  hohem  Offenbarung ,  unterwerfen,  damit  er   auch  in 
der  Schöpfung  als  Gott,  in  seinem  verwirkltcb- 
len  Bbenüilde,  existire.    Um  dieses  hödisten  voransge- 
sohauten  Zieles  willra  (was  die  „Absicht^,  der  immanenle 
Zweck,  des  Schaffens  ist)  ,  nimmt  Gott  es  über  sich ,  das 
unvollkommene,  blinde  Sein  ^  blosser  Grund  der  Sch^iimg, 
zu  werden:  es  ist  eine  Nothwendigkeit,  aber  keine  media- 
nische, sondern  eine  sittliche,  die  Nothwendigkeit  des  Go- 
ten und  der  Liebe,  um  ans  jener  Uebemahme  des  dimkeh 
Grundes,  in  welchem  die  Gesdiöpfe  ihr'  selbstständiges  Le- 
ben haben,  sie  zur  Einheit  mit  sich,  zur  verwiridichten 
Liebe,  fortzuführen.    In  diesem  Sinne  sprach  Schelling 
schon  frilher  aus ,   dass  auch   die  ältesten  Mystiker  die 
Schöpfung   der  Welt  als  den  höchsten  Akt  der  Seibstenl- 
änssemng ,  Demuth  Gottes  bezeichnet  hebea ,  dass  ferner 
überhaupt  ohne  den  Begriff  eines  leidenden,  „m  en s  eh- 
lich  leidenden*  Gottes,  welcher  sich  zugleich  durch 
alle  Mythologieen  hindurchziehe,  der  Gedanke  einer  leben- 
digen,   in  Abstufungen  getheilten  Schöpfung 
mmöglich  werde. 

Diess  in  ihren  Anfangsumrissen  Schellings 
neuere  Weltansicht ;  ober  das  Nähere  verweisen  wir  auf 
die  angeführte  Darstellung  von  Chalybäns,  ma  das 
etwa  Authentische  derselben  nicht  durch  eine  doppelt  ver- 
mittelte Auffassung  —  die  seinige  und  die  unsrige  —  nn- 
wilikührlich  zu  Verändern. 

Aber  selbst  hiemach  urtheilend,  müssen  wir,  nach  an- 
dern und  allgemeinem  Principien ,  als  den  hier  khr  ge* 


demselben.  761 

wordenen,  AnerkemieR,  dass  jener  FortscliriU  eiji  dorchans 

n  othwendiger,   f&r   eine   gründliche    Erwägung   gar 

nicht  stt  umgehender  war.    In  keinem  Sinne  konnte  Sc  h  e  1- 

1  i  n  fir  stehen  bleiben  bei  dem  Gedanken  einefi  in  den  Grund 

seiner  seibat   ifnd    m  die  sich   offenbarende  Entwtcklang 

daraus  geth eilten  Gottes,  eines  absoluten  GegensatzciS 

des  Dunkels  und  Lidites  in  Gott.    Wozu  Gott  wird  in 

Folge  der  Weltentwicklung,  das  muss  er,  um  diess  werden 

zu.  können,  eben  darum  schon  ursprünglich  sein, — das 

urbewusste  Subjekt ,  Licht  von  Anfang  und  durchaus. 

Dennoch  scheint  es  nöthig ,  von  hier  zunächst  noch 
einen  Schritt  weiter  zu  gehen :   ist  jener  Begriff  des  Ur- 
subjekts  einmal  errungen ,   so  muss  auch  jeder  Gedanke 
eines  ^blind  Seienden  oder  Wirkenden^  in  ihm  schlechthin 
aufgegeben  werden;    es  lässt   sich  mit  streng  metaphysi- 
scher Nothwendigkeit  erweisen^  dass,  giebt  es  ein  ^Blind- 
-wirkendes^ ,    wie  die  Natur ,    diess  um  desswillen  gerade 
nicht  in  Gott   oder  Gott  selber,  sondern  Werk  Gottes 
(bleibe  dieser  Begriff  auch  übrigens  in  seinen  nähern  Be- 
stimmungen  noch   unentschieden)  sein  könne.    Und'  hier 
wagen  wir  allerdings  nicht  mehr  zu  entscheiden ,  ob  die^ 
ser  Begriff  nicht  ebenso   die  letzte  Gestalt  des  S c bel- 
li ngschen  Systemes  überschreiten  würde ,  wie  er  uns  an 
der  eigenen  Hand  des  Meisters  über  die  ältere  Form  des- 
selben, mit  Einschluss  seines  Standpunktes  in  der  Abhand- 
lung über  die  Freiheit,  hinausgeführt  hat,  —  und  wi#  er, 
setzen  wir  hinzu,  in  der  nachfolgenden  Kritik  ebenso  über 
die  Heg« Ischen  Principien  uns  hinausführen  wird. 

Für  uns  selbst  können  wir  darüber  nur  auf  unsere 
metaphysischen  Ausführungen  uns  berufen;  denn  allein  ein 
vollständiger  metaphysischer  Beweis  kann  die  Unterlage 
und  der  Halt  jener  kritischen  Behauptung  sein :  —  wir 
verweisen  in  der  „Ontologie^  auf  den  Uebergang  vom 
Absoluten,  als  der  Weltseele,  als  dem  bewusstlosen  Zweck- 
wirken in  der  Natur  (§.  278.  281.),  in  die  absolute  Ver- 
nunft, als  die  Identität  des  Subjektiven  und  Objektiven 
CS.  282.  8.490—493.),  sa  wie  von  da  zur  Gestalt  des  ab- 


762  Kritik 


solirten  Getetes,  dg  des  weltBchöpferisolMi  Denkens  i$.  983 
—285.) ,  von  wo  aus  wir  noch  einmal ,  um  die  teilte 
Abstraktion  abzustreifen,  zum  Begrifite  der  selbstbe- 
wussten  Einheit  in  der  Einheit  des  Ailwissens  aofsleigai 
mussten  (§.  286 — ^96.>  Die  Einheit  des  AJlwissens^,  das 
Binschauen  der  Einheit  in  die  Weltonendfichkat,  setzt  un- 
abweislich  voraus  Einheit  des  Selbstwissens  C*-  ^0- 
8.  512—14.).  Hiermit  ist  der  Begriff  des  von  der  Wdt 
freien  Ursubjektes  erreicht  und  ontologiseh  erwiesen, 
gerade  also,  wie  Sehe  Hing  ihn  kennt;  — aber  hier  hal 
er  die  Vorstellangen  eines  blinden,  bewnsstios  vemUnfUgea 
Wiritens  in  Gott,  als  rückwärtsliegende,  dem  Wldersprache 
verfallene  Abstraktionen  von  universalenWelt- 
thatsachen,  in  sich  aufgezehrt  und  widerlegt:  sie 
sind  in  ihm  nur  noch  als  dialektisch  aufg^ 
hobene,  für  sich  unwahre,  vorhanden.  Die 
bewusstlose  Vernunft,  das  hat  sich  dort  in  höchster  Auge- 
meinheit  erwiesen,  ist  nur  die  gesetzte  (geschaffene)  Ter- 
nunft,  nicht  die  setzende,  auch  nicht  die  sich  (etiva 
durch  den  Wel^rocess)  setzende  (S.  490.). 

Mit  noch  bestimmterer  Beziehung  auf  diese  Gesfolt  des 
Schellingschen  Systemes  hat  die  spitoro  metaphysisdie 
Abhandlung*)  dasselbe  Resultat  hervorgearbeitet.  Es  ist 
unerlasslich,  um  dieser  kritischen  Bezüge  willen  die  Haupl- 
wendungen  ihrer  dialektischen  Begrtindung  hier  vorso- 
führen. 

Zuvörderst  muss  dem  Sehöpiiingsbegriflb  die  Lehre  voa 
dem  ewigen  Welturbilde  in  Gott  zu  'Grunde  gelegt  werden, 
lieber  diesen  Hauptbegriff  mit  S  c  h  e  1 1  i  n  g  im  Einverständ- 
nisse zu  sein,  —  er  lehrt  ihn  andeutungsweise  sdion  in 
seiner  Schrift:  Philosophie  undReligion,  ausdrück- 
licher in  seiner  Abhandhmg  über  die  Fteiheit,  —  ist  ans 
die  wichtigste  und  fundamentalste  Bürgschaft  einer  künf- 
tigen vollständigen  Ausgleichung  der  Spekulation  über  ibie 


*)  In  der   Zeitschrift    für    Philosophie    und   spekaL 
Theologie  (Bd.  V.  H.  2.  besonder«  S.  212-.219.) 


dieses  Slfuidtninktes.  763 

» 

Iiöchsten  EVagen ;  denn  es  wird  sich  aseigen ,  dass ,  sobald 
dieser  Punkt  der  UebereiBStimmnng  einmal  erreicht  ist, 
nach  Rückwärts  ,  \rie  Vorwärts ,  die  strenge  Konseqaens 
desselben  kein  Schwanken  der  Vorstellungen  mehr  übrig 
lässt. 

Sehe  Hing  selbst   hat  sich   in  jenen  Werken  nicht 
YoUstandig  erklärt,  aus  welchen  Gründen  ihm  jener  BegriiT 
in  Gott,  und  überhaupt  damit  eine  vorweltliche  Inner- 
lichkeit desselben,  gesetzt  seL   Uns  eigiebt  er  sich  aus 
der  Dialektik   des  Zweckbegriffes,  welcher  sich  in 
der  Welt,  als  Grundthatsachliches,  allgegenwärtig 
realisirt.    Das  System  in  einander  geordneter  Zwecke,  wie 
es  jeder  Akt  der  Weltschöpfung  und  Erhaltung   verwirk- 
licht zeigt,  kann  daher  nicht  gedacht  werden  ohne  die  Ge- 
genwart eines  denkenden   «^   die  Aaum-  und  Zeit- 
unterschiede  der  wirklichen  ZweckausGuhrnng    in.  reiner 
Idealitat  (des  Welturbildes)  vermittelnden  und  ihr  Äusein- 
andergeworfensein  überwindenden,  —  ebenso  es  auswir- 
kenden, «;-  wollenden,  —  göttlicben  Std>jektes  in  der- 
selben, welches  damit  ebenso  als  das  schlechthin  ihr  Im- 
manente ,   wie  ihr  Vorangehende  oder  transscendente,  zu 
denken  ist.     Jede  Schöpfiingsthat  desselben   im  Ganzen, 
gleichwie  im  Einzelnsten  ,  ist  ein  Zwecksetzen,  wei- 
ches den  einzelnen  Zweck  dem  unendlichen  Ganzen  einschaut, 
umgekehrt  das  Ganze  dem  Einzelnen  gemöss  hält.    Von 
Seite  Glottes  kann  daher  kein  „blindes  Sein<<  oder  „Wir- 
ken^ dazwischentreten;  der  Urzweck,  wie  der  Einzelzweck, 
der  untergeordnete,  wie  der  höchste  Zweck   des  Univer- 
sums, wären  sonst  gleicherweise  dahin.    Und  zu  sagen  — 
worin  wenigstens   die  frühere  Meinung  S  c  h  e  1 1  i  n  g  s  re- 
präsentirt  wäre,  —  jenes  ursprünglich  blinde  Wirken  des 
Grundes  in  Gott  werde  in  dem  spätem,  eigentlichen  Schaf*- 
fen  des  Verstandes,   durch  Einbilden    der  Weltzwpcke   in 
ihn,  überwunden ,   während  die  Weltwesen  doch  in  jenem 
allein  den  selbstständigen  Grund  ihres  Seins  behielten, —  auch 
diese  Auskunft  würde  nur  auf  eine  schon  oben  zurückge- 
wiesene widerspruchsvolle  Halbheit  fuhren.'    Der  immanente, 


764  Kritik 

jedem  Weilireseii  gegenwirtige,  mit  ihm  mA  realisireBde 
Zwcclc  isl  nichts  Anderes,  denn  dieser  Orund  (Grundlage) 
des  Weltwesens  selbst :  er  ist  eben  Eins  mit  dessen  hä- 
vidnalitaty  die  f  eschlossene  Einheit,  die  es  in*s  Dasein  mft, 
aus  welcher  es  ist  in  all  seinen  Lebensakten;  und  diese 
erst  hinzukommen  zu  lassen  zur  Grundiiage  seiner  Existoiz, 
den  Inhalt  des  eigentlich  Existirenden  zu  dem  (jetzt  nar 
formell  oder  abstrakt  gewordenen)   Lebensgninde   als  ein 
Zweites  dazuzubringen ,   wäre  ein  so  unförmlicher  Dualis- 
mus,   dass  die  ganze  Konsequenz  der  Schellingschea 
Lehre  ihn  weit  hin  wegwirft.    Mithin  muss,   selbst  im 
wahren   Geiste  der  Ton  Schelling  angenom- 
menen Prämissen,  auch  derjenige  Schöpfiingsakt Got- 
tes, wodurch  dem  Geschqife  relative  Selbstständigkeit  aus- 
ser Gott  verliehen  wird  ,  —  werde    dieser   im  Uebrigen 
auch  noch  unentschieden  gelassen  —  dennoch  ein  intel- 
ligenter sein.    Die  Lehre  vom   ^blinden  Sein'  in  GoU 
aber,  in  welcher  Einschränkung  oder  Modifikation  sie  anch 
beibehalten  werde,  ist  unwiderruflich  dem  Widerspru- 
che verfallen  mit  dem  Begriffe   des  Absoluten; 
denn  ein  Widerspruch    wird  es,  wenn  das  im  Schaffen 
zwecksetzende  (Vernunft  auswirkende)  Absolute^  weL 
ches  in  jeder  einzelnen  That  des  Schaffens  die  ganze  Un~ 
endlichkeit  der  Zwecke,  wie  in  der  Unendlichkeit  das  Bin* 
zelne,  sich  bewusst  gegenwärtig  zu  erhalten  hat,  das  so- 
mit das  Einzelne,  wie  das  Ganze  der  Zwecke,  i  n  einander 
schauen,  durchschauen  muss,  an  irgend  einem  Thefle 
seines  Seins  oder  seines  schöpferischen  Wirkens  in  soi<^er 
Blindheit  eines  bewusstlos  Vernunftigen  gelassen  würde. 

Diese  Wahrheit  positiv  ausgedrückt,  erhalten  wir  da- 
durch den  Gegensatz  zweier  sich  ausschliessender,  zugleich 
aber  darin  sich  ergänzender  Sätze:  mit  dem  Begriffe  des 
Absoluten,  als  des, Zwecksetzenden- im  Schaffen,  —  diesen 
Begriff  aber  anzunehmen,  nöthigt  die  Weltthatsadie,  —  ist 
völlig  unverträglich  jeder  Gedanke  einer  unbewosst  in  ihm 
wirksamen  ,  den  Verstand  ihrer  selbst  nicht  besitzenden 
Vernunft.    Ebenso  umgekehrt:   der  bewusstlos  sidi  Tcr- 


dieses  Standpunktes.  765 

wirldichende  Zweck,  das  blind  Teniifaiftige  Wirken,  schliesst 
mit  Nothwendigkeit  den  Begriff  des  Ansfiiohselbstseins,  der 
Absokitheit,  ans:  und  der  Geist  der  Natur,  weil  er  sich. 
nur  in  unbewusster  Weisheit  des  Wnrk^s  zu  zeigen  ver- 
mag, ist  eben  darum  der  nicht- absolute,  nicht  der  Geist 
Gottes.    Das,  was  wir  Natur  nennen ,  diess  aus  verborgi>» 
ner  Weisheit  Siohheransringen  und  Potenziren,  kann  somit 
in  keinem   irgend    verständlichen    oder  gründlichen  Sinne 
in  Gott,  als  dessen  Natur  oder  Toraussetztmg,  welche  ihm 
zur  Existenz  und  Persönlichkeit  verhflft,  gedacht  werden: 
sie  ist  eben  darum  nur  Werk,  Hervorgebrachtes,  weil  in 
ihr  ein  dunkler  Grund  der  Existenz ,  ein  nur  in  bewusst». 
lose  Weisheit  Gesetztes  ist 

Endlich  wird   zugleich  dadurch  für  den  metaphy- 
s  ischen  Beweis  von  dem  Dasein  einer  Ideenwelt  in.  der 
gottliehen  Selbstanschauung,  mithin  überhaupt  einer  Subjekt* 
objektiven  Innerlichkeit  in  Gott,  die  entscheidende  Grutid«« 
prämisse  gelegt :  —  und  auch  davon  vermissten  wir ,  we- 
nigstens in  den  bekannt  gewordenen Darstelbingen Seh el-- 
lings,  jede   vollständige  Ausführung.    Dass  im  Univer-^ 
sum  der  relative,  wie  der  absolute  Zweck  in  alle  ihm  vor-^ 
ausgehenden  Mittel  wahrhaft  hineingeschaut  sei,  dass  über- 
haupt alle  realen  Raum-  und  Zeitunterschiede  von  dem  ia 
ihnen  sich  realisirenden  Zwecke  überwunden  sind:  diess 
erste  und  ursprünglichste  Wunder  des  Daseins  kann  voH- 
gültig',  oder  in  letzter  Instanz  y    nur  erklärt  werden 
durch  die  Voraussetzung^  dass  die  Welt  urbildlich  im  Geiste 
des  Schöpfers  vorhanden ,  ewig  vollendet  sei  in  der 
Zeit  und  Raum   überwindenden  ^elbstanschauung  Gottes^ 
mit  welcher  er  seine  eigene  Unendlichheit ,  die  reale  Seite 
in  ihm,  durchdringt  und  in  der  Klarheit  des  Selbstbewusstr-; 
seins  besitzt.    In  Gott  ist  kein  Dunkel ,  so  gewiss  in  der 
Welt  Zwecke  sich  verwirklichen:  ab^  diess  Zwecksystem 
muss  in  seiner  Vollen  düng,  als  Idealuniversum,, 
von Golt  angeschaut  werden;  nur  so  kann  es,  ohne  sich  ent« 
fremdet  zu  werden,  die  Succession  und  die  selbstständigen 
Unterschiede  im  Wel^rocesse^.überhai^tt  das  Negative  der 


766  Kritik 

Saiiiii**ZeUlielifc6H  dnrchdanern.  Und  so  ßhrt  mts  Stolen- 
weise,  aber  mit  nnwiderslefaHclier  Ndthignng  der  Gedanken- 
folge,  die  dialektisdie  EntwieUmg  von  der  unmitteDiarsteA 
und  universellsten  Thalsacbe  aitf  ihren  höchsten,  allein  erst 
Erklärenden  Grund  in  GoU  aordi^,  woraus  nun  in  herab- 
steigender  Folgerung  die  Prämissen  zu  einer  neuen ,  m  e- 
taphysisch  begrAndelen  Schöpfungstheorie  sich  er- 
geben. 

Hier  stellt  sich  nun  aber  nach  Schellings  spiterer 
Lehre  der  Begriff  des  Willens,  als  eines  MittlereB, 
dazwischen:  es  ist  derlVieb  eines  imaginatiyen,  dem  Ver- 
stände verwandten,  ihm  vorbildenden  Thuns,  welcher  nach- 
her ausdrucklich  über  ihn  kommt  und  das  in  ihm  liegende 
Rflthsel  löst,  ihn  zu  sich  selbst,  zum  bewussten  WiHen,  be- 
freit Aber  auch  diecto  Au£hssung  bricht  sich  am  Begriffe 
des  Absoluten,  naher  des  absoluten  Willens :  sie  ist  aber- 
mals nur,  —  nicht  ohne  Reminiscenz  an  vorausgegangene, 
pantheistische  Standpunkte,  —  die  Abstraktion  jenes 
Begriffes  aus  seiner  kreatürlichen  Form,  <fie 
in's  Absolute  erhoben  ward.  Im  Kreatfiriichen  ist  der 
Wille  der  allgemeine  IMeb  des  Selbstseins  und  derSdhst- 
gebäruHg,  für  welchen,  —  weil  vom  Endlichen  der  Begriff 
des  Sucoessiven,  der  Scheidung  der  Momente,  miabireiuilffk 
bleibt,  — *  die  Intelligenz  und  das  Bewusstsetn  erst  das  Spi^ 
lere  ist,  in  wdches  jener  sich  aufhebt :  so  im  Ganzen  der 
Diatitf ,  wie  im  Einzelnen  der  individuell'- geistigen  Ei^ 
Wicklung. 

Anders  bei  Gott,  weil  in  ihm  keine  andere  Yoraii^ 
Setzung  seines  Daseins  ist,  als  er  seV^er.  Der  Begriff  der 
Aseitat ,  auf  dessen  lebendiges  Denken  Schelling  so 
grossen  Nachdruck  legt,  weist  allein  schon  jede  solche  üo- 
terscbeidimg  ab :  Gott  ist  schlechthin ,  was  er  sein  kann, 
sein  Vermögen  zu  sein  tritt  stets  völlig  und  ungehemmt 
in  die  Verwiridichung  hinüber;  diess  ist  der  wahre  Sian 
seines  Grundseins  in  sich  selbst.  Da  mithin  nur  Er  Grund 
seiner  selbst  in  vollem  Sinne ,  Er  allein  das  ^lechlhin 
Voraus8etzungslo.se    zu  sein  vermag;  so  ist  auch 


dieses  Standpunktes.  767 

je^e  Ursadie  aasgeschlossen,  ihm^  vorerst  g^eichsam^  efaien 
solchen  dunkeln  Willen  eu  leihen,  nnd  nadiher,  als 
irgend  einen  zweiten  Moment,  das  Intelligente  dazu  treten 
zu  lassen.  Der  Akt  seiner  Selbsterzeugong ,  der  Wille 
zu  sich  selbst,  ist  der  ewig  klare,  zuversichtlich  see- 
lige ,  von  der  ewigen  Selbstanschauuig  getragen ,  sofern 
überhaupt  nur  eine  intelligente  Macht  in  Gott  angenommen 
werden  mnss ;  und  es  bleibt  hier  in  der  That  bloss  die 
Alternative ,  entweder  zum  abstraktesten  Standpunkte  einer 
pantheistischen  GottesaufHssnng  wieder  zuröckzufailen,  oder 
mit  dem  Gewinne  des  hohem  Frineips  jene  HalUieit  aus« 
zuscheiden* 

Noch  weniger  kann  bei  dem  Schaffen  der  Well 
ein  blindes  Wirken  als  Grundlage  desselben  und  als  erster 
Moment  angenommen  werden ;  denn  nur  der  im  eigenen 
Sein  vollendete  Gott  ist  als  Schöpfer  zu  denken ,  oder 
der  Pantheismus  wäre  nicht  überwunden.  Auch  hier  ist 
es  daher  nur  Inkonsequenz  gegen  das  eigene  Princip  und, 
näher  erwogen ,  ein  Nichtgedanke ,  ein  Blindwirkendes  zu 
Hülfe  zu  nehmen,  und  diess  doch  in  Gott  Willen  zu 
nennen ;  uneingedenk  dess ,  dass  Wille  in  wahrer  und  ei- 
genUicher  Bedeutung  nur  heissen  kann  das  schon  von  der 
Intelligenz  beherrschte  Realwerden  eines  Gedachten. 
Das  Denken  bestimmt  sich  fort  zum  Wollen ,  nicht  umge- 
kdirt;  denn  auch  schon  in«  abstraktestem  Sinne  bedeutet 
Wollen  nur  Sich  zum  Realprincipe  Machen  des  Den- 
kens: Wille  ist  die  geheimnissvoUe ,  und  dem  Menschen 
doch  so  klar  aufgeschlossene  Macht  —  die  wahre  und 
einzig  gründliche  Vermittlerin  zwischen  Idealismus  und 
Realismus  —  welche,  wahrhaft  schöpferisch  „aus  Nichts^, 
einem  Zauber  gleich^  das  nur  in  vorbildlicher  Idealitit  Be« 
sessene  in  selbststandige  Existenz  hinüberwirft. 

Im  Willen,  und  zwar  im  absoluten,  keiner  vorausge- 
gebehen  Entwicklung  unterworfenen ,  liegt  daher  auch  für 
uns  das  Princip,  welcher  das  Wunder  des  Weltdaseins  löst : 
aber  es  würde  nicht  wahrhaft  gelöst  durch  die  Vorstel-* 
lang  eines  blinden  Willens.     Das  Gewollte  ist  in  der 


7fi8  Endurtkeil 

Thal  hiermii  hervorgelreten  aus  der  i'dealeii  VeräddosMi- 
heit  des  Gedank^s»  in  welchem  es  nur  snbjdLtiv,  für  das 
Denkende  bleibt ;  es  ist|  jetzt  ein  allgemeingältig  Aeos- 
serliches,  Objektivgewordenes;  denn  durch  den  Willensakt 
isi  sein  Inhalt  unwiderruflich  frei,  unabhängig  hingestdit 
vom  Wollenden  selber;  ein  zweiter  Willensakt  kann  den 
ersten  vernichten  oder  weiter  bestimmen,  durch  keine  All- 
macht aber  ihn  selbst  wieder  zunicknehmen  t  er  steht 
da  in  der  Kette  des  Objektiven  schlechthin,  und  in  seiner 
Durchwirkung;  in*s  Folgende  nicht  auEeuheben.  Diese  ob^ 
jektive  Unwiderruflichkeit  der  Dinge  durch  ilur  GewoDtseia 
ist  der  von  Gott  selbst  unabhängige  Grund 
ihrer  Existenz;  —  zugleich  daher  der  Anfang  ihres  ei- 
genen Seins,  sofern  und  weil  Gott  sie  fortwill:  diess 
Fortwollen  auch  des  Einzelnen  ist  aber  unabtremilidi  von 
dem  Universalentschlvsse,  mit  dem  er  das  Ganze  (die  Sklo- 
pfung  selber)  wUl;  die  Dauer  und  damit  die  aus  sich 
selbst  sich  bestimmende  Fortentwicklung  des  Ein- 
zelnen hat  ihre  Garantie  im  Systeme  des  Ganzen.  Wie  ms 
diesen  Prämissen  der  Begriff  einer  Schöpfung  der  Welt  und 
zwar,  da  ein  höchster  Zweck  in  ihr  sich  realisirt,  einer  in 
Unterschiede  (Potenzen)  abgestuften ,  sich  weiiter  entwickle, 
gehört  in  die  spekulative  Theologie:  —  nur  aeigt  sich, 
dass  auch  wir,  wie  Schelling  oder  mit  ihm,  über  das 
schwächlich  unzureichende  £rklärui|gsprincip ,  das  seine 
mittlere  Epoche  beherrschte,  das  Schaffen  für  den  blossen 
Selbsterkenntnissakt  des  Absoluten  zu  halten,  hinausgelangt 
sind :  die  ewige  Selbsterkenntniss  Gottes  —  wiewohl  wir  die 
Darlegung  der  tieferen  Unterschiede  in  diesem  Begriffe  hier 
schuldig  bleiben  müssen,  wie  sie  Schelling  bis  jetzt 
schuldig  geblieben  ist,  —  hat  sich  zwar  als  die  nothwen- 
dig  vorauszusetzende  Bedingung  zum  Schaffen  erwiesen; 
aber  sie  ist  nicht  das  eigentlich  schöpferische  Prindp. 

So  greift  jetzt  AJles  zu  einem  Endurtheile  über  die 
höchste  Gestalt  der  Schelling  sehen  Weltansicht  in  ein- 
ander. Ihr  Ausgezeichnetstes  ist ,  dass  sie  von  der  Seile 
her,  von  welcher  dieser  Sieg  unstreitig  am  Schwiengstea, 


fiber  Schellittgfs  Wellansicht.  769 

aber  auch  am  Folgenreichsten  ihr  werden  mosste,  itr  ihren 

realphilosophisdhen  Ideen  und  vom  Weltbegrifie  ans ,   den 

Anfangs  Yon  ihr  so  entschieden  gezogenen  Umkreis    des 

Pantheismus   selbst  wieder  dnrchbrochen  hat ,    darchbro«- 

chen   wenigsteins   in   der  fundamentalen,   eigendich   ent- 

sdhfiHlenden  Idee :  Gott  ist  ihr  am  Schlüsse  Ihrer  Laufbahn 

niobt  mehr  —  was  er  altem  Pantheismus,  dem  niedrigsten, 

wie  dem  geistigsten,  Ist,  —  ein  bloss  allgemeines  Wesen, 

die  .allgegenwärtige  Grundlage  des  Weltbesondem ,  werda 

es  nun  gefasst  als  absolute  Substanz ,  oder  als  die  allrer^ 

tnitlelnde  Identität  des  Idealen  und  Realen,  wie  ih  der  tir^- 

sprüngiichen  eigenen   Gestalt,  —  oder  als   das  allgemein 

Geistige  in  allen  Geistern,  sondern  ein  Kern  des  ImUvH* 

duallen,  damit  des  Persönlichen,  ist  für.  ihn  gewonnen :  -^ 

er  ist  nicht  einmal  mehr  allgemeiner  (somit  doch  nur  wie«^ 

der  abstrakter)   Wille,   das  Wollende   in  allen  endlich 

unendlichen  Willen,  j|;ondem  wollendes.  Sich  wollend  ao* 

chendes  Ursubjekt,  und  so  Jtuvdrderst  Individuelles; 

wem  er  jedoch  Sich  gefunden,  das  |n  jenes  Duidcel  sei-^ 

jier  Ursprunglicbkeit  verhüllte  Licht  dös  Verstandes ,  ist  er 

ebenso  nicht  bloss  Persönlichkeit^  sondern  Person,  selbst^ 

l)ewiissles  Ursul^kt.    Der  Pantheismus  ist  hi^  nicht  durch 

/diese  od^r  j^ne  Bestimmnag^  ^sondern  durch  die  ganze  spe« 

4>ifi$cbe   Grundansicht  übettroffen,   oder   recht  eigentlich 

nberflüssig. gemacht.,  indem  gezeigt  wird ,  dwsis  Gott,  um 

auch  nur  jeaes   atigemeine  Grundwesen  i  n  der  Welt  sein 

2u  können ,  vor  allen  Dlng^ki   selbststandiges  Eigenwesen 

sein  niGssew  ■    .  .        •    a 

Wenn  wir  daher  —  wn  einen,  frühem  Ausspruch«  m 

wiederholen^}  -^   die  ^gesammte  pantbeistiscdie  Hiohtung 

in :  der  Philosophie  bis  zu  Hegel  hiaanC  bezeichnen  könn-^- 

ten,  als  ain  zum  AhiQluten  Erhehea  eines  allgemeinen 

Weltbegrif  Ces,    einer  Kategorie  ,  die  eben  damit  zu^ 

gleich  jiniversale  W.eltthalsache  Ist':    Gatt,  als  das 


Lj»^^.f  >  ■     I  »i.>^^M^.*M 


«)A.  :i.O.  Zeitschrift  fdr  Philosophie  Bd.  Y.  H. ^; 

49 


770  HiduxlheU' 

Sttbdtiviliene  ia Allem,  —  da»  stihleekthin  Dauernden 
Wechsel)  -^  od^  zuf  ieiob,  $iai  das  L€i)eii  in  aUem  Leb»- 
difen,  die  Seele  in  allen  Seelischett,  und  bei  Hegfei  eml- 
lichi  zagieich  als  die  absahitcl  6eil»tigkeil  ki  allen  Gräten, 
M  denken.;  -^  so  ergiebi  sich  durch :  die  Jetsle  firhebaBf 
^M^ .  S^c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Pffinei^  der  gewaltige  Foitsdirift 
ii  atji  specifiseh  anderes  Erkeanlntssgebiet :  ni^t  i^ml 
etin  Atlgeaietnes  in  seiner  unendlich  kieataifiekeB  Besonder 
jwg  ist  Gotly  al<s  soteher ,  sondern  das  Pereonlicbe ,  frei 
von  jenen  Pcocelse  der  Besondernng  in  sich  Ruhende;  — 
freilteh  jedooh^die  nach  der  Aanlogie  des  Kreaiöriichen  siek 
enlmckelnde;  das  Dankel-ia  sich  mit  dem  Lichte  Tonit- 
lelade  P^soo.  Wir  ioönnten  es. daher  ein  Vergöttera 
des  menSiChendhnlichen  Typus  der  Persön- 
lichkeit nennem 

'  Hiermit  ist  jedoch  kaum  verfcennMr  ein  kMtr  RcA 
des  i  absterbenden  Paniheisnms  zurftdtgeblieben  :  —  ein 
schwer  albzalehnendes.  Debertrieibsel  des  wissensohafUtciiea 
Processes,  durch  welchen,  wie  sdion  gesagt,  anf  dem  «nb- 
aamsten  und  seUupflrtgsten  Wege,  Sc  h el Ii  n g  sa  der  leto- 
tea  Höhe  goiarfgt  isti  Auf  den  Credit  der  Natitr ,  des 
Natur  wir  kenn,  wM  jenes  btinde  Sbib  m  Gott  ange- 
nomnMn,  überhaupt sodtnn,  weil  in  dem  kreatürllchea 
Verlauf*  der  Dinge  das*  Dnakle^  Unfolifcoamme  skh 
Aberatt  als  das  AnfBngIlehe^«Grttndiegende,  bewahrt  Alles 
Leben'  bedarf  einer  Saccessiafi  von  Cegensataen,  das  Liebt 
deS'Dunkds,  das  Freie  und  Oeiatige  dea  ihm  schon  ver« 
wandten ,  aber  blinden  Triebes ,  um  als  solche  henror- 
treteft  za  kSimen;  Dieser  lelKtere  Triish:  eines  bewussl- 
bs  Oeittigfli  nun  ieigl;  sinMi  in  dar  Natur  verwirUicht 

Aber  es  ist  ein^  JU^ssß  Aissertion  SchelHnga  an 
oftabar.unBUt^cbeadeavbd  t&t  diesem  Anwendung  unbe- 
wiaseami^  Primisaea  ,  zu  bdhmpten  ^  daa»  jener  Uitypos 
Usatdriicb^i  Entihhung  aaeh^oHae  Weiteres  aaT^ das  Ab- 
solute zu  übertragen  sei.  Die  metaphysische  Erwä- 
gung diesefi  BegriSes  lebr^,, uijid,  wir  l^ab^ii  es  anderswo 
erwiesen,   dass  dem  nicht  so  sei :   die  Natur ^   eben  ab 


über  Schdltngs  WeUansichr.  771 

bewttsstlos  wirkende  Weisheit,  ist  danim  nicht  iit  Gott; 
und  wenn  wir  das  Problem,  dass  der  Anfang*  in 
der  Schöpfung  sieb  als  dafi  UnvolllioinmeBe 
zeige,  deiss  alles  Kreatörliche  Ton  einem  Zustande  des 
Dunkels  und  der  Einwickelung  aue^ebe,  um  Er.eatürli* 
c  h  e  s  zu  sein,  nur  durch  einen,  auf  andere  Weise  Wider«- 
«prüche  herbeifUirenden  Schiff  eines  blinden  WiUais  ia 
Gott  zu  erklären  vermöchten :  so  wire  es  ohne  Zweifei 
dann  grundlicher  und  aufrichtiger,  zu  gestehen,  dass  diess 
Problem  überhaupt  noch  nicht  gelöst  sei;  wiewohl  wir 
fiuch  so  gestehen  ,  nicht  einsehen  m  können  ,  wie  äber<«> 
haupt  jene  tfebertragrmg  von  dem  geschöpflich  Bedingten 
atif  dai$  Unbedingte  sich  rechtfertigen  lasse.  Das  U  m  g  e«- 
kehrte  vielmehr  scheint  weit  ndherzu  liegen,  derSchluss» 
dass ,  weil  alles  Bedingte  sich,  um  seiner  Bedingtheit  wil- 
len ,  dem  Processe  der  Genesis  unterwerfen  müsse ,  der 
Charakter  der  Unbedingtkeit  absolute  Vollendung ,  NichU 
gcnesis  im  Sltme  der  Endlichk^'t,  in  sich  schliesse« 

Aber  wird  damit  Gott  nicht  wiederum  zu  den  todten, 
ein  f&r  allemal  A;^ligen  Abstraktem  herahg;eset«t ,  wie  der 
J  a  c  o  b  i  sehe  und  mehr  noch  der  filiere  dogmatische  B^ 
^ff  des  ^allerrealsten  Wesens^  ihn  fasste,  voll 
welchem  die  Spekulation  befreit  zu  haben,  Schelling  in 
der  Polemik  gegen  Jacob i  als  sein  Hauptverdienst  be-^ 
zeichnet?  Diese  Frage,  —  wobei  aussondern  sehr  irriger 
Weise  vorausgesetzt  wird,  dass  es  nur  entweder  jenen 
oder  diesen,  keinen  mittleren  oder  hohem,  Begriff 
vom  Absoluten  gebe,  —  diese  Frage  ist  gar  nicht  so  vor- 
IfioGg  und  nach  uffmittelbarem  Gutdünken  y  sondern  allein 
durch  eine  voUstandig  ausgebildete  Metaphysik  zu  lösen. 

Und  so  hängt  vor  allen  Dingen  diese  Ungenüge  des 
Inhalts,  welche  auch  das  letzte  Stadium  Sc  hellingscher 
Spekulation  kaum  verleugnen  könnte,  auf  das  Genaueste  zu- 
sammen, mit  den  allgemein  methodischen  Mängehi,  welche 
der  gpaze  hi^tpriscbe  Verlauf  seiner  Philosophie  bisher  nach- 
gewiesen  Jbat.  S  ch  e  1 1  i  n  g  s  System  ka^n  selbst  nach  seinen 
gegenwärtigen  Principien  darum  nicht  fertig  s<Wi  es  wird 


772  '    Endurtheil 

sich  immer  neuen  Umbildmigen  und  DarsteUungsversucheiiao- 
lerwerfen missen,  s 0  lange  es  keinen  rein  wissen- 
schaftlich sich  herausbildenden,  frei  sich 
beherrschenden  und  besonneji  sich  über- 
schauenden systematischen  Anfang  und  Fort- 
gang hat  *).  Sein  Anfang  und  erklärender  Selbstrer- 
mittlungsgnind  liegt  in  seinem  historischen  Genesis, 
theils  aus  den  vorhergehenden  Systemen,  theils  in  sich 
seU)st;  aber  Nichts  bürgt  ihm  dafür,  da ss  diese  Ge- 
nesis, oder  wo  sie  schon  abgelaufen  sei,  denn  Wer  sol- 
chergestalt sein  Princtp  nicht  völlig  in  seine  (Sewalt  be- 
kommen, kann,  wie  mächtig  es  auch  sei,  und  wie  ener- 
gisch es  ihn  erfüllt  habe,  selber  nicht  wissen ,  zo  wdcher 
Endgestaltung  es  ihn  fuhrt 

So  müssen  auch  wfar  einem  vielfach  geäusserten  Ur- 
theile  über  Schell iugs  Philosophie,  doch  nicht  im  Sinne 
des  Vorwurfs ,  völlig  beistimmen :  sie  hat  es  niemals  bis 
zur  Gestalt  eines  eigentlichen  Syst emes  bringen  können ;  sie 
ist  vielmehr  die  Mutter  einer  Reihe  von  Systemen  ,  deren 
Principien,  gleich  einer  noch  nicht  au^egangenen  Saat,  io 
ihr  liegen;  von  denen  Eines,  gerade  das  aus  der  mitfleni 
Epoche,  mit  Energie  und  wissenschaftlicher  Virtuosität  voa 
Hegel  ausgeführt  worden  ist :  sein  System  ist  die  voll- 
ständtge  Durchführung  und  Ausbeutung  des  Seh  eilt  ng- 
schen  Principes  der  Identität  «des  Idealen  und  Realen,  Den- 
kens und  Seins,  und  nennt  sich  mit  Recht  so  absolutes 
Idealismus.    ) 

Aber  Sc  hell  in g  ist  noch  einmal  principieD  über 
sich  selbst  und  damit  über  Hegel  hinausgegangen- -^  wie 


*)  In  w«lchea  besondera  Beziehungen  dies«  gelte ,  hat  der  Ter- 
faner  in  einer  Kritik  der  Schrift  von  Cousin  über  deutsche 
und  franaösische  Philosophie  und  der  beurtheilenden  Yorrede 
S  c h  el  1  i n  g •  nachzuweisen  gesucht^  unter  dem  Titel :  „Ober 
4ie  Bedingungen  eines  speku  la  tiren  Tbeis- 
in  u  s*'  1835  ,  besonders  abgedruckt,  auf  welche  mt  häer  ter 
ErgänsuBg  Terweisen. 


Aber  Schellings  Weltansicht  773 

wir  von  Seite  Schellings  bereite  erwiesen,  in  Rücksicht 
aufHegel  im  folgendeA Abschnitte  in  erweisen  haben.-« 
Diess  letzte  Princip  hat  seine  systematische  Ausbit* 
dufig*  noch  m  erwarten,  and  erst  dariii  kann  der  im  Ver- 
boi^nen  schon  vorbereitete  Sieg  über  alles  bloss  Pan- 
thelstische,  nicht  bloss  principiell,  oder  diesd  als  Gegensatz 
ausser  sich  lassend ,  sondern  es  aus  sieh  über  sich  selbst 
hinausfikbrend/'und  so  in  seiner  Besonderheil  völlig  zerstö- 
rend, anV  Licht  treten.  Indem  wir  jedoch  diese  systema- 
tische Ausführung  als  eine  Forderung  hinstellen,  und  zwar 
an  die  gegenwärtige  Zeit;  geziemt  es  sich ,  unent- 
schieden zu  lassen,  ob  Schellings  eigenen,  noch  nicht 
liekannl  gewordenen  Ausführungen  einer  solchen  nicht  schon 
völlig  genügt  haben:  nur  das  behaupten  wir,  und  haben 
es  bewiesen,  dass,  wie  seine  Philosophie  öffentlich  bis  jetzt 
vorliegt,  sie  noch  fern  davon  scheint,  ja  auch  in  den  Ent- 
wickhingsstadien,  die  sie  bisher  durchlaufen,  sich  von  ei- 
nem wissenschaMich  sich  selbst  begründenden  Anfange 
eines  Systemes  mehr  entfernt,  als  ihm  genähert  haben 
möchte. 

Von  Anfang  1ier  lasst  sich  nämlich  ihren  realphiloso« 
phischen  oder  theesophischen  Konstruktionen  die  allgemeine 
Frage  entgegenstellen:  virie  diese  Philosophie,  — oder  die 
Spekulation  überhaupt ,  —  die  absolute ,  gotterkennende 
Wahrheit  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen  berechtigt  sei, 
und  wie  sie  dieses  Recht  zu  erhärten  vermöge?  Sie  spricht 
vom  innersten  Wesen  und  Selbsterkennen  Gottes,  von  dem 
überweltlicheu  Urakte ,  der  aller  Schöpfung  vorausgeht. 
Woher  sind  ihr  diese  demiurgischen  Offenbarungen  zu  Theil 
geworden  ? 

Man  kann  allerlei  auf  diese  Bedenken  erwiedem  aus 
den  allgemeinen  Voraussetzungen  jenes  Standpunktes,  wo- 
durch die  Assertion  seiner  einzelnen  Behauptungen  auf 
eine  Grundassertion  und  allgemeine  Voraussetzung  ge- 
wälzt wird,  die  aber  nicht  minder  nur  Voraussetzung 
bleibt,  welche  man  entweder  anzunehmen  hat,  um  nur 
Emgang  zu  finden  in  den  Umkreis  der  Lehre  ,  oder  ganz 


774  EndardieU 

Tenrerfen   kann:   efai  demonstratlr  Zwingendes   daOr  isi 
nicht  vorhanden.    Und  so  wird  ^aufeh  iusseiiicii  (tiese  ent- 
scheidende Vorfrage,  welche  erst  Zutrauen  zn  dem 
Standpunkte    erwecken  kann,    und  ihm  Börgerreckt  gi^ 
im  Kreise  der  Wissenschaft ,   im  ganzen  Umfange  dessel- 
ben nicht  erledigt,  ja  nicht  einmal   im  Ernste   angeregt 
Daher  muss  auch  noch  jetzt  die  Seh  ellin  gscke  Philoso- 
phie skh  sagen  lassen ,  dass ,  je  mehr  man  ihrem  Stand- 
punkte Wahrheit  zugesteht  oder  mit  ihm  einverstanden  ist, 
man  es  iur  desto  unabweislicher  erachte ,   den^  voSstindi- 
gen  Beweis  für  ihn  zu  führen.     Seine  Philosophie  ist  voa 
derArt^  dass  sie  selbstzuerst ein  Wiederauf erstehen 
in  der  Perm  des  Systemas  nötfaig  macht  «od  auch 
das   Bewusstsein   dieser  Nöthigung   aufdringt :   ohne 
eine  Erkonntnisslehre  und  eine  Metaphysik  ^  weiche  ihre 
Voraussetzungen  zu  begründen^  ihren  (eigentlich  nur  anti- 
cipirten)  Resultaten  eine  allgemeine  Entwickhmg'  zo  geben 
vermag,  wird  sie  immer  fundamentlos  bleiben,  und  bei  der 
tiefsten  Nolhwendigkeit,  aus  der  sie  hervorgegang<»,  dem 
Scheine  geistreieher  Willkühr,    eines   genialen   Behd>ens, 
kaum  entgehen.  (Vgl.  oben  S.  613—15.) 

Diess  wird  noch  mehr  einleuchten,  wenn  wir,  was  wir 
uns  nach  einer  so  sorgfaltigen  BinzelentwicUnng  wohl  ge- 
statten dürfen,  in  einem  zusammenfassenden  Rückblicke 
die  ganzQ  Art,  den  Stil  gleichsam,  seines  PhilosophireBS 
charakterisiren.  Schon  von  Anfang  her,  als  Sehelling 
das  neue  Princip  seiner  spekulativen  Physik  aoflBbellte  ,  die 
Selbsterzeugungsakte  der  Natur  dynamisch,  d.  k.  nach  gei- 
stigen Analogieen,  zu  begreifen,  und  in  den  Erscheinungen 
des  Bewusstseins  daher  nur  die  höhere  Potenz  voa  dem 
zu  ßnden,  was  bewusstlos  schon  in  der  Natur  thätig  sei; 
—  also ,  um  in  dieser  Beziehung  an  das  Bestinimtore  sd 
erinnern,  die  anorganische  Welt  aus  dem  Ineinanderwirken 
von  Hagnetlsmos,  Elektricitat  und  chemischem  Processe  in 
verschiedenen  Yerhällnissen  zu  erklaren,  welchen  nach  glei- 
cher Triplicitat  in  der  organischen  Natur  die  Funktionen 
der  Irritabilität ,  Sensibilität   und   des  BildiDigstriebes  ent- 


über  ScheWigs  .Weltansicht  775 

spfreehai  (diess  kaiin  «Is  4a8  RejBüUaft  ^Heiner  ^U^eme!- 

neu  fiediiklion  des  dyaamischeiif  rocesses^^ 

betruditet  werdisn);   ivelcfaer  Dbppeltriplicdät  abermals  ia 

noch  faSheorer  Potent) -r- was  sein  ^System  des  trau sU 

scendental^n  IdeüHsnus^  nadiweist,  —  drei  Mo^ 

mente  in  cter  Geschichte,  des  Sdbstbewnsstseins  enteprechea 

sollen;  -*-  als  daher  <Seh eil ing»   summiiriseh  seine  Na^ 

luraiisickt  darlegead,  .behauptete^:  „alle  NatHrfBaliifiten  sind 

Empfindangen ,  alte  Kasper  Ansohauungen.  der  Natur,   *-« 

die  Natnr   selbst  «ine  mit .  aiieii  ihren  Empimdimgeh  und 

AmehammgeA  ^nslarrte  Intelligent^' :  -^  wdche  Bedeutung 

glaubt:  mutt  wohl,    da^  Sch-itlling  Mbst  diesen  Kon»' 

s^ruktionen  und  dem  dadurch  erlangten  allgemeinen  Be^nl- 

iaie  beigelegt  habe  ?    fir  spridht  sich  ia  der  auch  Iraher 

schon  als  wichtig  b^zeichrtelea  Abhandlung  ,,ttbeT   d«n 

wahren  Begriff  der  Naiurphilosoph  ie  und  die 

richtige  Art,  ihre  Frobleme   aufsulösen^'.  **) 

avf  das  Klarste  und  Eindringeadste  also  darüber,  aus : 

Der.  NatlirphilosOph  $etst  für  seine  Konstruktion  der 
Natoi* /ttberalL Nk^bts  voraus,  als  das  ,^feiiie<(  —  d.  h. 
Böch  viBig  potenKlose,  fSr  den  eigenen  Gegensatz  inditie* 
vetafle  —  ,^u}9eklt^rQbjekt  dar  Inf ellekhieUen. Anschauung^: 
a&  iat  imendliche  ideal*^reale  Thatigkeit ;  darum  zugleich 
aber  stets  ia  seiftem  befitiaant^  Produkte  deterrainfrt  ^  über 
wrtdies  jene  doch .  zugleich  loaaussehreitet  in  eine  höheare 
Fatana. .  Diese  bogranzt  «^  uab^anete  Thätigkei|  (ideal-*^ 
realen  SefiMtanscfaniuisns)  giebt  daher  eine  bestiniaite  Po-j- 
teaaearaäie  von  relativ  differentea  Pnodukten«  ^Ob  jene 
Produkte  die  in  der  Krfikruag  vorkamaienden  sind ,  oder 
aidit,- (k.4immert  mich  vorerst  aicfal;  ich  sehe 
btosa  aqf  die  Selbsikoilsiruktion  des.Sabjekt-Objekts.  Eni* 
stehen  durch  die^ielbe  PnMkikte  fmd  Potenzen  der  idedlen 


L, 


'*}  ielttchfiCt   fflr  8i>ekuIative'Physik    Bd.  I,    1  und 

a  H«ft. 
*)..'K«iU'»cbrift  für  speL  Phy«ik    Bd.  II.   H.   1.    betoodcrs 


776  Bodiutfiea 

I 

Thitigkeit^  wie  sie  in  derNatUT  aafgeseigl  wer- 
den können:  so  sehe  ich  fireilieb,  dass  mein  Ge- 
schäft eigentlich  einDedaciren  der  Natur, 
d.  h.  Naturphilosophie  war;  —  obgleich  Ihr  mir, 
nachdem  ich  für  mich  das  Experiment  ange- 
stellt habe,  gestatten  werdet,  meine  PUiosophie  ha 
Voraus  als  Naturphilosophie  anzuktedigen^. 

In  diesem  Sinne  und  unter  dies^  Begranmng  ist 
nun  .  auch  die  nachfolgende  Aeuflserong  völlig  wahr  und 
bezeichnend:  ,^adurch,  dass  ich  von  der  anschauea- 
den  Thdtigkeit  in  der  intellektueUen  Anscliauinig  absira* 
hire^  —  wodurch  eben  der  Begriff  jener  reinen,  aa 
sich  zugleich  doch  ideal- realen  Thätigkeit  entstellt,  — > 
„nehme  ich  das  Subjekt -Objekt  nur  aus  s^einereig^ 
nen  Anschauung  (ich  mache  es  bewusstlos),  nidrt 
aus  der  meintgen.  Es  bleibt,  als  meine  Konstruktimi, 
auch  fortwährend  in  meiner  Anschauung  begrif- 
fen, und  ich  toeigs^  dass  ich  durchgängig  nur 
mit  meiner  Konstruktion  zu  thun  habe^. 

W  a  s  ist  also  endlich  der  wahre  Grund,  wodurch  S  c  h  e  1- 
ling  hoffen  kann,  da«  ^Experimente  seiner  Kob- 
struktionen  mit  der  objektiven  Selbstkonstrak» 
tion  des  absoluten  Subjekt-Objektes  in  der  Natur  xuMn^ 
men fallen,  (beide  sich  gegenseitig  decken)  zu  lass»? 
Er  hat  es  selbst  ausgesprochen  in  jenem  Winke  ,  dfeesea 
vorübergehend  in  ihm  auMämmemdes  fiewusstsein  um  so 
merkwürdiger  ist,  als  es  daiä  erste  und  letzte  Mai  war,  wo 
Setielling,  noch  an  dem  frühesten  Entspringen  aebes 
Prii|cipes  stehend,  welches  späterhin ,  wie  ein  inädit%  da- 
hinfluthendef  Strom ,  Alles  überwallte  ,  Rechenschaft  gab 
über  die  Möglichkeit  desselben,  oder  ^über  seinPhi- 
losophiren  selber  phiiosophirte^.  Die  nacb- 
herige  Vergleichung  der  in  seinen  Konstruktioneo 
»ufgewiQsonen  Potenzen  mit  den  in  der  wirklichen  Erblu- 
Hing  gegebenen  natürlichen,  die  zu  verhoffende  Ueberein- 
siinunung  jener  mit  diesen ,  deren  Nachweisung  aigendich 
jedoch   ausserhalb    der    philosophischen  Kon« 


Ober  ScheltiagSs  Wcltansicht.  777 

slruktion  selber  iSDt,  <^  diess  nachtrftgliche 
Fakliiiii,  f«y6  nämlich  jenie  HoftniBg  sich  bestätigt  y-^ 
ist  der  wahre  und  einzige  Beweis  für  die  Rea** 
lildt  der  Konstruktion,  mithin  für  den  speku*^ 
lativen  Charakter  des  ganzen  Beginnens, 
vrelches ,  sobald  sich  jene  Uebereihstimmung  nicht  fände, 
nach  Schellings  eigenem  Gestandnisse,  nur  für  eia 
leer  subjektives,  bedeutungsloses  Gedan^ken« 
experiment  gehalten  werden  müsste. 

Schein ngs   Princip  demnach  ^kündigt  sich  in  sei^ 

ttem  ersten  Auftreten  eigentlich  nur  als  eine  Hypothese 

an ,  wekhe  von  ihrem  Brfolge  Bestätigung  erwartet ,   und 

gelber    nur   durch  diesen  >  auf  Gehung  Ansprach  machen 

kann.    Hag  diess  S  c  h  e  1 1  i  n  g  auch  nur  in  halbem  Zoge^- 

Standnisse  dort  angedeutet  hab'en ;    so  ist  diess  doch  die» 

wahre   und    ganze  Konsequenz  seiner  Erklärungen«    Wie 

wenig  jedoch  die  „Darstellung  seines  Systemeii' 

der   Philosophie«    in   der  Zeitschrift   Sür  spekulative: 

Physik  diesen  hypothetischen   oder  bloss  vorauf' 

setzenden  Charakter   fär  ihr  Princip  oder  wissen-« 

sekaMiehes  Fundament  abzostrteifen  im  Stande  war,  haben 

wir  oben  (S.603.  607.  iE  612.  ff.  6150,  nicht  ohne  sorg^ 

firltige  Erwägung   seines   ganzen    Zusammenbanges   niaeh' 

Rückwärts  und  Vorwärts,  dargelban.    Sein  Princip  und  die 

darin  enlhaitenen  Potenzen  sind  eigentlich  nur  „eine  Reihe: 

von  zu  Ideen  erhobenen  Erfahrungsanschau-* 

ungen^  fvgL  oben  S.  612.),    daher  er  das  Zusammen- 

ftillen  von  Denken  und  Anschauung  als  den  ausdrücklichen 

Charakter  seiner  Philosophie  angiebt. 

Sq  ist  nun  auch  jene  Idee  der  unendlichen  Selbstan«* 
schauung  d^r  absoluten  Identität  im  Universum  durchaus' 
nur  von  hypothetischer  Natur,  ein  durdh  Analogie  von 
der  bewnssten  Sdbstanschauung  in  uns  auf  das  Absolute: 
übertragener  Versuch,  aus  diesem  Principe'  alle  Welt^-«^ 
Schonungen  zu  erklären ,  in  ihrer  gesammten,  wie. 
hesondern  Eigenthümffchkeit  wirklich  begreiflich  {zv 
machen ;  «in  ,£xperimcat^,^äbor  dessen  Gelingen ,  wie  bei 


778  Sndmrüeit  ' 

allen  Experinenten  ^  erst  durch  seinen  Brfdg  (doreh  das 
in  der  That  gelöste  Wettrafhsel  im  GirnBoi  «id  im.  Bem^ 
dem)  eBfschieden  werden  kann.  Diesen  Charakter 
byj>otiietiBcher  Principien  hat  seine  Philo- 
sophie anöh  in  ihren  spätem  fitadien  nie* 
mals  abgclegl;  vielmehr  hat  sie  das  Experimentirea 
m\i  dai  Wehthatsachen  auTs  Genialste  und  Grossartigsle 
nur  fortgesetzt,  immer  in  ihrem  VerwArtsschreitea  übersprin- 
gend jede  methodische  Rechenschaft,  jedes  Binletlen  md 
ZmrecÜegen  der  Probleme,  nicht  minder  in  dem  Beireffe, 
wie  sie  enti^hen  ,  als  wie  sie  sbu  losen  sind.  Se  driafft 
Sehe  Hing  unablässig  weiter,  ohnb  seine  Fiankea  gedeckt 
an  haben;  denn  der  Si^  liegt  ihm. nur  vorwärts,  ia 
der  Eroberung  des  Prihcipes,  fOr  welches  er  a&e  Machte 
des  Weltdaseins  auf  das  Kühnste  combinirt ,  um  ihre  her- 
vorbringende Ursache  zu  ergründen,  und  dennoch  auch  dea 
Fuia  ihrer  Bigenthümlichkeit  herauszußhlen ;  die  dabei  oa- 
terdrückten  Vorfragen  interessiren  ihn  kaum. 

Gott  ist  absolute  Vernunft,  der  Nons  ,  die  alt- 
gemeine  intellektuelle  Macht  des  „Denkens^,  in  der  dae 
Ideenwelt,  ihre  Unendlichkeit  in  Einheit,  verboi^gen  ist, 
wie  die  Vorbilder  im  Geiste  des  Künstlers  liegen ,  aber 
nocb  in  einander  gesogen,  nicht  cur  AusdruckUdikeit  be- 
freit. Der  Uebeiigang  in  diese  AusdrücUiohkeit  durdi  le- 
bendiges Hinschauen —  der  Uebergäng  von  ^Denkea« 
in  ^Anschauung^, —  ist  derSchdpfangsakt  des  üni^wrsaDis: 
die  Weltk&rper  sind  selbst  verwirklichte  Ideen,  gottlidi 
Qeelige  Wesen , .  denen  in  ihren  kosmischen  Verhältnissea 
und  Umläufen  die  erhabenste  Geometrie  der  absolutea  Ver- 
nunft eingebildet  ist ,  die  aber ,  im  AbbSde  ihrto  Erzeu- 
gers, selbst  mit  plastischer  AnsöhaviAigsktaft  begabt  sind. 
So  ist  Gott  unmittelbar  nurSchopfer  einer  Ideenwelt;  diese 
sdbststfindig  und  ebenhUdlich  hingeschauten  Ideen  habca 
damit  diess  Vermögen,  durch  ebenbildende  Sdbstansdna- 
•ungen  sich  fortzupflanzen:  *  aber,  selbsistandige,  den  Dä- 
monen vergleichbare  Machte,  wie  sie  sind >  können  sir 
auch  ihres  Ursprungs  vergessend  ^  mid  von  der  ewiges 


fiber  Schdiirtg«  Wcltansic&t.  779 

Einheit,  welche  sie  bäfassl,  »t^fäilend^  BIlHEeliinr,  iii 

V^reinzelongf  gegen  einander,  4)ildeii  r  diees  ist  4ie  Schein-« 

weit  der  Sinnendtnge  ^   in  den  ebenfalb  nui^  voigeßpiegeU 

ten  falschen  ScheinbOdern   des  Rattalea  nhd  'd^  Zeit,  die 

eine  lVeiliiinig<  und  Absonderung  jelictr  Dinge  von  eina»« 

der,  wie  von  der  absohiten  Binteit,  einbilden'  iasseh^  wel« 

che  in  Wahrheit  nicht  vorhanaden  iii.    Si^wiM  Im'.BraiiOK- 

und  in  Philosophie   nnd  Reiigiofi  rhapsodttch  mi 

halbmythisoh    da^  WeltraUisdi  gelöst     Das  Ungenngende 

dieses  Standpunktes  ist  gezeigt  worden.  i-im 

Bald  aber  ihochlerSchelling  Mber  etnpflndeii/  dass 

eine  InleHditiieHe  Macht  in. Goft  allein,   der  Begriff  4ft0 

Selbsterkennens ,   ein«  zu: soh waches  Prinzip  sei,    unit  die 

eigentliche  Parodoxie  des  DaseittS'  zu  ioäen;  4ef  selbst« 

ständige  Lebensdrang,  das  h#atioHaley  iniiornfale,  das  sichr 

in  allen  Weltwesen  zeigt,  behieint'  steh  ebier  .itolch^  Re«^ 

dnktton  «uf  anschauendes  Selbslerhennen  .eher  «i  wider«^ 

setzen,   als  daraus  erklären  zu : lassen ^  in  der  Scbdpitevg 

zeigen  steh  viel  eigenrhächtigei^  Eiemente  und  >  Kräfte,  um 

sie*  bloss  zum  (passiven)  Konstweüke  eiivergüttUdien  V^r^ 

ilonft  zu  machen;    So  griff  Seh elHng  noch  einmal  fre-a 

fer  in  den  Kern  der  Dinge:  jene  Wutzet  4err  Bfg<»nhe!t  in 

ihnen,  wodurch  sie  bewosstios,  abep>slnntotl^i''eiMmfi>1hHew 

unbekannten  und  dennoch  sicher  vorgebildeten  Ziele  sich 

zidsewegen ,  und  dabei  a«f  jedem  Schritte  ihM'  Bnfwick- 

hng   individuell,   unvorfaetgeseiien,  unberechenbar  sind, 

stets  die  Tyohe  au^r  sich  entwickeini,   — i  sie  lässt  sich  am 

Besten  mit  dem  vergleichen,  was*' wir  Wollen   nennen 

worden  in  universalster  Bedeutung,  als  jenes  MHttere  zwi^ 

sehen  Realem  und  Idealem,  Dunkel  und' >Vei*stund^  Wille 

daher  ist  das  Princip  der  Dinge,-sagt  .nim  S  c  h  ei  1  i  ng:  :ih«^ 

nen  allen  liegt  ein  blinder,  aber  das  Licht  in  sich  tragende^ 

und  darum  .es  imdender  ,  UniversatwiMe  zU'Ghrode: 

mithin  ist  ders^Hie  in  Cfo  tt,  aber  nur  insofern'  Hr  Gifnni 

seiner  eigenen  Existenz  ist.     So  ^giebl^sich  In  ihm* ein 

Gegensatz  von  Grund  und  Bxisfctoz,  wnxfilnviliek^Iinrg  ^nnd 

ausdrüdüichein  Dasein,  .'vonNichtoirctd^ärtseln  and  Ottern^ 


780  .<  i      .     BndttrUteU 


bannif.  Büin  iiefliehl  aber  dais  Leos  alles  (endfichen) 
LeMis^  mr  «aniitiegensttfee  .ßeiner  adbsl  wird  sich  dasl^- 
ben  empfindiicli ,  -  kommt  der  Geist  zum  Selbslbewusstsein, 
luuin,die:LteUe  liJis  aoidie  sich  oSenbaren.  Dem  Geschicke 
jeMff.  aitgvmeineQ'  Lebensbechsgimg  (deren  ursprüngtick 
emfriris-okes  Datum  abermals  miverkennbar  ist)  kat 
sich  auch  Gott  mterwotfen,  wq  wirklich  za  sein;  hier- 
iiiiierUiroii  sich  vollgültig  die  zwieracfaen  Anfange  afles 
Dkseins,  und  wie'  die  Grande  der  Schöpfong  die  qdvoD- 
kommensten  sein  musslen. 

^  Aber  noch ■  einmal  mosste  sich  Schelling  erheben: 
Gelt  wäre  nicht«  wahriiait  Eins,  wenn  er  nicht  seine  ^ge- 
nen  fiogensalse  beheqrrscht»,  nnd  in  der  firei^s  Möglich- 
keit, sich  ihnen  hinzugebeA  oder  anch  nichts  über  ihnen 
Stande«  Dibse  abaoluln  Mächt  üb^r  den  eigenen  Gegen- 
satz dtenO' Freiheit ,: in . ihai  md  über  ihm  zugleich  a 
senl,  dtess  eigimtfehe  Band,  in  weichem  das  Entgegen- 
gesalste  bei  einander  sieht  und  in  einander  wirkt ,  ohne 
sich  .SU  sUrte  oder  aurzübeben,  findet  seine  Begreiflichkeit 
nuv.4n  <ieni  (empirisch  gegebenen)  Begriffe  der  selbst- 
bewussteaf  Subfftanas,'  des  persönlichen  Geistes:  Gott 
kann  nur  ab  v4rwellliches  Subjekt  gedacht  werdai.  Die 
weitem  «Ugemeinen  Gmndzüge  von  da  ans  sind  schon  an- 
(^geben. 

Wir:  haben  hier  über  diess  Alles  Nichts  mehr  sa 
sagen ;  aber  so  lange  diese  Principien  insgesammt,  —  und 
welche  auf  ^leichenk  Wege  etwa  noch  daza 
gefunden  werden  sollten,  —  nicht  metaphy« 
s  i  s  c  h .  beslbnmt,  und  dadurch  erst  zo  selbststandigen,  ren- 
nen Begriffen  befrdit,  auf  die  eigenen  Füsse  gestellt  wor- 
den sind;  körtnen  sie,  'insserlich.zute  Mindesten,  das  Ge- 
präge bypoUiettschtir  Voraussetzungen  oder  einer  nur  halb- 
symbolitchen  GelUulg  nicht  aUcgen;  und  es  bleibt  unser 
letztes  Wort:  gäbe  es  noch  ;k6iiie  Metaphysik,  gäbe  es 
noch  voraus  Imne  spekulative  Wissenschaft,  welche  das 
Problem  des  Brketmens  löst ;  sie  müssien  im  Bedürfnisse  pnd 
Interesse  der  S  ch e  1 1  i n g sehen /Philosophie  erfunden,  ihr 


über  Schellings  Weltansichl.  781 

f 

mtterbant   werden.      Aber  diese  vom  Anfange  her  sich 

durchbildende  Methodik,  so  fest  sie  das  von  Schelling 

erreichte  Ziel  im  Auge  behalt,  wird  sich  doch  gegen  die-» 

sen  Inhalt  nicht  bloss  äusserlich   oder  receptiv  verhalten 

können ;    vielmehr  hat  auch   dieser  vieUeicht  eine  Umge-« 

staltung  zu  gewärtigen,  auf  jeden  Fall  steht  er  unter  dem 

Gerichte  dieser  über  ihn  kommenden  Form.    Das  sind 

ftber  Fragen  einer  spekulativen  Zukunft  und  einem  andern 

Orte  vorbehalteiu 


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IT.    Ocory  Friedrich  UrUlielin  Hei^A  ^ 


Auch  zwischen  Schclling^  auf  seinem  letzten 
Standpunkte,  und  Hegel  wäre  ein  direkter  Uebej^ng 
oder  eine  unmittelbare  Anknüpfung  schwer  nachzuweisen, 
ebenso  wenig,  wie  sich  ein  solcher  von  Fichte  zu  Sehe  I- 
ling  ergeben  wollte  (S.  589.)«  Noch. weniger  würde  jedoch 
das  sachliche  Verhältniss  dadurch  getroffen,  wenn  man 
durch  das  Einschieben  von  Zwischenstandpunkten ,  wie  es 
versucht  worden,  diese  Vermittlung  bequemer  herbeifuhren 
zu  können  glaubte.  Hiermit  ist  gerade  das  Umgekehrte 
des  wahren  Verhältnisses  behauptet;  denn  nicht  so  weit 
rückwärts  steht  Sehe  Hing  hinter  seinem  Nachfolger«  dass 
er  nicht  an  ihn  heranzureichen  vermöchte  ohne  solche  Zwi- 
schenvermittlungen;  vielmehr  müsste  Schelling  ans  sei- 
ner spätem  Entwicklung  wieder  zurückkehren  auf  den 
blossen  Standpunkt  des  Identitätssystemes,  von  wo  Hegel 
sich  von  ihm  ablöste ,  um  eine  so  nächste ,  unmittelbare 
Vorbedingung  für  diesen  zu  werden.  Denn  Heg  eis  Philoso- 
phie ist  die  vollendete  systematische  Ausführung  nur  jenes 
Standpunktes  der  Identität  des  Idealen  und  Realen,  wozu 
sich  jedoch  die  allgemein  methodischen  Principien  gesellen, 
welche  er  dem  Fichteschen  Systeme,  ebenso  aber  auch 


Hegel.  783 

flen  Bllehi  HiistiBni  der  Dialektik  entnahm.  Der  BnMrick- 
hing  des  Seh  eilin  gschenPrincips  selber  ist  er  etwa  nwt 
bis  zun  Standpunkte  des  Bruno  zut  Seite  geblieben,  am 
Inhatte  der  späten^  in  die  ideelle  Seite  des  S^fstems  äber^ 
führenden  Schriften:  Philosophie  und  Religion^ 
und  derAbhaiidlung  über  die  Freiheit  bat  er  kei- 
nen Tbeil  mehr  genommen;  auch  zeigt, ^ch  weder  in* sei- 
ner eigenen  Philosophie ,  noch  in  seinen  kritischen  Aeus- 
serungen  über  Sehe  Hing,  die  geringste  Kunde  von 
ihrem  Principe.  *)  . 


^  Den  äussern  B«wei8    davon  giebt  -^   der   innere  liegt  in  un- 
serer gau2en  Darstellung   —    eben    jene    britische  Musterang 
des  S  ch  e(  I  in  g sehen  Systemes,    wie  sie  in  Tiegels  ^»Ge- 
schlcfite  <)er  Phi  lo  sophi  e«    (llt.  S,  646  ff.)   yorliegt. 
%Vl6  durfklg  und  unv61tsläncl{g  auch  übrigens  der  Bericht  sei; 
selbst  dieser  beschränkt   sich   nur    auf  dfe    altern    Schriften 
Sc  he  Hing  8,  etwa  bis  zur  Neuen  Zeitschrift  fRr  spe- 
kulative Physik  (180!!— 3).     negeTbezeichnet  Sehe  Hing 
darin  nur  als  den    „SlIAer    der'  neueren    Natnrphlloso- 
p  h  1  e*S  ausdrucklich  in  dem  Sinne,  dass  diess  „nichts  Ande- 
res** heiss^,  „als  die  K  atur  denkend  betrachten,  was  die  ge- 
wöhnliche Physik  und  die  ältere  Naturphilosophie,  wie  Rant, 
tibrlgefts '  auch   gettian   habe'S    Es    sei    in  diesem   Betrachte 
„eins    der  Verdienste    Schellings,'  den    Begriff    und   die 
{■'orm  (?)  des  Begrlfl^    in    die    Natur    eingeführt  zu 
haben«  (S.  672.   73.  Vgl.  S.  670.).  —    Diess,  dass  S'cheU 
iing' allein    die    Nat^irphilosophie  hervorgebracht, 
Hegel  aber  der  Grilnder  der  Philosophie  des  Geisfes  gewor- 
den sei   (was    in     Betreff  der    co  n  cret  e  n  A  ns  f  u  h  ru  ng 
gegründet  ist  —^  aber  es  handelt  sich  vor  Allem  um  die  Ent- 
Wicklung  des  Priucips)  ;~lst  liachher  das  allgemeine  Wort  der 
Schule  geworden.    —    So  weiss  Heg^l  von  der  Abhandlung 
u'ber  die  Freiheit    nur  zu  sagen,    nachdem    er  erinnert,    dass 
Schelling   „in  Rücksicht   des  Pra  kti  s  eben' nie  ht 
we  iter  for  t'gega  ü' gen  ,   ^i  e  Ka  nt  in  jener  Schrift 
vom  ewigen  Frieden":  jene  Ahandlung  sei  „tiefer *spe- 

"  k'ulativeF  Art,  wiewolil  s  Fe  nur  diesen  tsinen  Pdnkt 
«betreffe**  (S.  672.)  lliemacb  kann  H^gel  auch  tiuht 
ihren    ungefährsten    liihnlt    gekannt  haben.     Kndlich  berich- 


784  Sein  erstes  Hervortreten 

Wir  heben  das  unfprOngliche  Veiftältniss  beider  Den- 
ker KU  einander  schon  oben  (S.  590 — ^93.)  bezeichnet,  als 
wir .  das  gfemeinsefaaiUiche  Hervorgehen  derselbeii  ras 
F'ichta  nachwiesen,  und  haben  dabei  den,  Schellings 


1*«  V» 


tet  «r  nocli  aus  der  iclei^Ifen' Seite  dt»  Systeilies,  „das«  Kunst, 
Dlektkuntt,  HüdisUi  'b«i  S«h  i  II  iog  gei«f  -*  aber  die  Kmsf 
aei  ttof  dos  liibaeiiiJte  in^  smvikher  Forai  (S.  678.).     Hiermit 
kann   er  sich  nur  auf  die  ältero ..Daraifltiiagett  SchelliBS' 
in  seinem  Iransscenclentalen  Idealismui  (1800)  und  die  gletcii- 
zeitigen    Torbereiteudeu    Abhandlungen    in   der    ersten  Zeil- 
•chrifl  für   spekulative   Physik    berufen.     In    dem    überstellt- 
^chen  Schema  dagegen,    welches   Sichelt  ing    vom  Ganzen 
seines  Systemes  g.egebpn  hat  (Jahrb.  derMedicin  180.*) 
Bd.  I.  U.  ^.  S.  66  ),  bezeichnet  er  aU  die  liüchate  Potenz  der 
relativ    ideellen  Seite   die  Geschichte    and    den  Staat, 
also  geradeda^jenige,\va«  Hegel  selbst  in  sei- 
nem Systeme  z,um  höchsten  Resultate  tindZiele 
aller     Geist  es  eutwjcklungen       macht,       während 
Sehe  Hing  vielmelir    auch    darfdier    in    seiner  AbhandluDg 
über  die  Kreibeit  sich  erhoben  hat»   wo  am  Schlüsse  der  Of. 
£rnbarungs-  und  £rlö;iungsprocess  Qottes»  die  Herslellung  der 
Einheit   des  menschlichen    und    göttlichen.  Geistes  in  realen 
—  nicht  in  metaphysisch  abstraktem  —  Sinne  ,    als  das  all- 
gemeine Ziel  der  Schöpfung  nachgewiesen  wird,    in  welcbem 
die, Metamorphosen  des  sinnlichen  Universums,    wie  des  gei- 
stigen,  eulmini ren.     -r     Diesen  offenbaren  Entstellungen  ge- 
genüber,   und   der  dürftigen   oder  missbeliebigen  AufiaMOOg 
seiner  Philosophie  von  Seite  Hegels  ,  —  noch    dazu   nicht 
selten   im,  Tone   eines ,  belpaglich    ironitcben  Darübersteheu 
Torgctragen ,    welcher  überhaupt  ,den  Geist  der  H  je  g  e  1  sehen 
Geschichte  der  Philosophie  ,    besonders  in  ihren  letzten  Par- 
tieen,  nicht  erfreulich  macht,    —    und   ganz    abgeaehen  von 
dem  sachlichen  Inhalte  des  Gutachtens,  welches  bei  Schal- 
ling    über    Hegeis    Philosophie    kaum    ein    anderes    sein 
konnte.,  wird  nian  den  herben  Ausdruck  entschiddijgt ,   weoo 
nicht  gerechtfertigt  finden-,   welchen  Sehe  Hing  jenem  tJr- 
tlieile  in   seiner   bekannten  Vorrede    zu  Cousins    Schrift 
gegeben   hat.     Es  schien    uns  ,    den  fortgesetzten  Verunglim- 
pfungen von  Einer  Seite  entgegen,  so  gerecht  als  nöthig^^,  sn 
das  historische  Sachverhaltniss  darüber  zu  erinnern. 


ScheOing  gegenld>er.  ^  785 

Darstellungen  allerdings  ergfinzenden  Charakter  von  He-^ 
gr  e  I  s  ersten  Leistungen  angegeben.  Ihr  Prineip  war  jedoch 
auch  finsserlich  das  gemeinschafUiche ;  es  ist  die  ausdrück- 
liche VoraussetEung  und  Grundlage,  aus  welcher  Hegel 
in  seinen  kritischen  Werken  argumentirt  Was  darin,  bei 
dem  persönlichen  Austausche  ihrer  Ideen,  dem  Einen  oder 
dem  andern  Denker  als  eigenthfimlicher  Antheil  zufalle, 
kaim ,  soviel  es  nicht  schon  jetzt  in  den  Schriften  beider 
Männer  urkundlich  vor  Jedermamis  Augen  liegt,  wohl  erst"^ 
in  sein  wahres  Licht  gerikkt  werden  durch  die  einstige 
Bekanntmachung  des  Briefwechsels  derselben. 

Bekannt  ist,  dass  Hegel  erst  durch  seine  „Phano- 
menolog'ie  des  Geistes'^ClSO?)  inneriich,  —  Süsser- 
lieh  durch  die  polemischen  Erklärungen  in  derYorrede  zu 
derselben —  sich  yon  Schellings  Systeme  lossagte;  aber 
die  noch  nicht  erörlete  Frage  ist :  ob  ein  n  e  u  e  s  P  r  i  n- 
cip,  oder  ob  nur  eine  andere  Behandlung  des  mit 
S  o  h  e  1 1  i  n  g  gemeinsamen  sich'  darin  ausspreche  ? 

Was  die  angefahrte  Pbletiiik  bcHrifil  gegen  ,,die  hohle 
Tiefe«  der  damaligen  Philosophie,  gegen  die  Weise,  „das 
Absolute  nicht  begreifen',  sondern  itihlen  und  anschauen  zo. 
wollen«,  so  dass  „nicht  der  Begriff,  sondern  sein  GeRkM 
und  Anschauung  das  Wort  führen  und  ausgesprochen  wer« 
den«,  die  Protestation  gegen  die  Jieert  Nacht  des  Abso- 
luten, in  der  alle  Kühe  schwlsrc  sind«  'u.  dgl.  «):  so  kann 
es  zweifelhaft  sein ,  ob  jene  Polemik  (ebenso  wie  die  fast 
gleichlautenden  Aeusserungen,  weldie  aus  den  filtern  Vor- 
lesungen Aber  Geschichte  der  PhUosophie  von  1805—6.  ift 
dem  angeführten  Werke  abgedruckt  sind)  ^^  Schell  in  gen 
gelten  soB,  oder  nicht  Vielmehr  dem  Missbrauche  seines 
Princips  in  seiner  Schule,  gegen  welchen  Sc  belli  ng 
selbst  sich  mit  nicht  minderer  Energie  erklärt  hat.  Allge- 
mein zu  sagen  ,  dass  der  Seh  eil  ing sehen  Philosophie 


*}  Ph&nomeno  logie   dea  Geittei,    erste  Aais*    Vorred« 

S.  XII.  XUl.  XVill.  XIX.  LXlil.  LXV.  n.  s.  w. 
«•)  HegeU  Gesch.  der  Philof^p  hie  Bd.  III.  S.  680^83. 

50 


# 

daa Princip 4er  ^^y^mjatheUS  4er  j^Horos«,  abgehe, 
dass  sie  ^^yeraph^ch ;  auf  Um  bliQke^  (S.  XI.  XII.> ,  wäre 
ganz  ungeharig.;  .\ya&  dem  Sc  belli  ng  sehen  Standpunkte 
von  (kuse  wxs  .abgehe  ,  babcua  wir  niehl  verbehU :  es  ist 
etile  Metaphysik  und  Erl^enotnisslehror,  überhaupt  die  rein 
begrifflictie  Bemäcjbitigang  i^nd  .  £jMf«ltUDg  ihres  Pnncips: 
die  erstere  Wissenschaft  h^  IJegel  ihr  hinzugefügt  nach 
dem  relativen  Maaa^stabe  meines. eigenen.  Standpunktes;  & 
"hat  einen  andern  Hx^ros ,  über  ie$sm .  wahre  Bedeutung 
sich  noch  sprechen  lasseQ  wird :  ab^r  es  wäre  eine  un- 
kritische Uebereilung  T.on:ihm,  darum  der  Sc  hellin g- 
schßn  Philosophie  je^es  metlipdiso]^,  l>estimmende  Prin- 
cip  abzusprechen.  Sie  besitzt  es  (orraeil  nicht  nur  in  dem 
Begriffe  der  Potenzen,  von  deiiea  jede  höhere  ihre  voriier- 
gehende  nicht  nur  in  sich  ai^&iiüBQit  upd  steigert,  sondeni 
auch  in  das  Höheiie  ihrer  selbst  verwandelt;  —  der 
Uegel^che  Begriff  der  oAnfhebung^'  in  ihrem  doppel- 
ten dialektischen  Sinne  ist  4f^rin  .vorgebildet}  —  sondeni 
jenes  Princip  hat  ziq^leich  apph  r.Qa.le  Bedeutung;  der 
bestimmende  Uorps.  für  jed§n  Begriff  im  Systeme  ist  die . 
Stelle,  welche, er  im  objjßktiy.ein  Weltzusammen- 
hangle,  im  Systeme  der  Di^gß  selber  hat:  und  diess  ob- 
jektive Vemimftsysjtem  j^  id^g  Piy^^  nachbildend  wieder- 
herzustellen ,  —  ^AachzucoQßtruiren^,  -— '  dATUk  besteht  ei- 
gentlich d^s  meth9di6ctie  PriUfQip  Schell  in  gs.  Esitf 
dasseU^v^vtrii^'^f^^'i^p'^^.  fV'A^  H.^9.^1  in  (i^iner  ,oIi!|ektiveK 
Dialektik  der  ißapbe  ^i^i^l^t^  ,  imna^ar  ungeatrebt  hat 
S  p  b  e  1 1  i  n  g  '^,.  U^hetier  dep  ejgentbihtüichen,  Piiacips  der 
Methode s  vonHp^qtist  ea  m,  denBegriCf,  in  das  wis- 
senscbafUiche  Bewuß^.jts^fs;ip,.  sßine.r  selbst  erhoben 
wprden.  ♦)•.       .;  -.i .;/   iv,  -  -    . 

*)  Mit  dieser  bistorischea  Feststellung  des  Verhältai^ses  Tei^lei- 
che  man,  wie  Scheiling  dasselbe  poleniisch  bezeichnet 
hat  (Vorrede  «u  ^fiCMiitk'  tib'er.  fraüBöiir«  ch«  and 
deutsche  PbiUsOpb  i)«<<  S*  XIV.)  t  diese  polemische 
Beaiiebung  abgececbnet  ^ '  .wird  1  miin  es!>  nur.  begrut  lefc  fiaden, 


der  Sache  und  der  Methode  in  Einheit.  78l 

Wir  gehen  '  zuni  sech]ichen  Principe  aber ,  welche« 
Hegel  A]b  das  ihm  dgenthämliche  be2eichn€t)  nicht  ohne 
so^letdh  auf  das  enge  Verbündniss  desselben  tnit  dem  def 
Hetkode  hinfiuweisen.  Die  eigentliche  Gestalt  der  Wahr^ 
heit^kann  liar  in  die  WissenschafUichkeit  gesetKt  werden^ 
in' den  Begrifpder  nicht  bloss  ab  das  Unmittelbare 
gpesebt)  oder  ate  llesultat  ausgesprochen,  sondern,  ali^ 
das  sieh  selbsl  iii  jenen  beiden  ßliden  Vermittelnde ,  «^m 
Systeme  si^  entwickelt.  «)     '     • 

Mü  dieser  Förderung  einer '  EntiUtung  des  Principe 
aiK  dbr  Unmittälbarkeit  des  Anfangs  zw  TotaMt^  die  cd 
selber  ist ,  hängt  nun  anPs  Ihnigste  Kusammbn  die  satdi^ 
liebe  AuiRisstfng  jenes  Princips,  nie  sie  Hegel  als  da^ 
ihm  Ei)peiitiianitfcbe  beseichnet:  '^S$  kommt'  nach  meinev 
BinsieftlY  4i0  sieb  durch  die  Darstellung'  des  Systeme» 
selbst  reebtferägen  miisis,  Alle^  darauf  an,  das  Wahre 
nicht  als  Savl^statiz^  sondern  eben9Ö  »€kr  als  Sut»- 
j^kt  äufieikfassen  «nd  aus2Udrücken<<.  —  Uebrigefls-,  be-^ 
meriil  äry  scbliesse  die  SubsUintialität  eben  so  nur  die 
'  Untnitle^ibiarkeit  de»  Wissens,  wie  des  Seins,  dea 


wi^nn  er,  i^wischen  sich  \iiicl  sdiuem  l^achfotger,  das  Hecht  d^r' 
-  ^rforf^t'iiitfh'ib' dieser  Hinsicht  f3r  sich  m  Anspruch' iiftniht; 
Wilf  iülobn^ik  teioaders-  folgende  Stella^  aus:     ,>dM''Sri)»3eLt«( 
:  (diu  nindp  derVraethOi(li»eben  B«wtiguiig)    ^»war^  wie  gesagtf. 
(bei  Hegel)  der  logische  Begriff.     Weil  also  diaser  e» 
war,  4er  ^Lph  ang/eblich  beveg|;e  .-^  wa^  man  zwar  TQn  einem 
.  Lebendigen  ,  Wirklichen »  denken  ,  von  dem,  blossen  Begriflfe 
aber  weder  denken,  noch  imaginiren  ,    sondern  eben  nur  sa- 
ugen kaW^  bannte  6t  die  Bewegung  feltae  d  lalel 1 1  iieh  e, 
''«und  Weil'itii  'flrufiem  Systeme-  die  Feftsl:hi*eHtiiig- iii  diesen» 
läfnne  altenüttgs   keine    diaiebtisdM  .wart'  so  l^alite ;  dieiee 
Systea^  dem  »e^cUs  JPrimrip  der  M^hpde  ,  d«  h<  4ie  M«|gliicbr* 
.  /.kejit^  ^fA^  Sy^eß^   auf  seine  Weise   zu  machen,  gaps.  alleiu 
verdiinkte ,  nach  ihm  gar  keine  Methode ;  .  die  einfachste 
Ar;t  die  eigenthümliche  Erfindung    desselben    sich  anzumas-» 
■•'''8en*''(S.  ^IV\  r.V.).  ■ 
•Tl'Phä:iiomdno!'ogie  Vorrede  S.Vni.  XVlll.  XXlH.  XX^tlt! 


788  Sein  Princip 

für  das  Wissen  Unmittelbaren,  in  sich».   Beides  bleibt  ibin 
daher,  jedes  für  sich  selbst ^  ebenso  unvennitteU,   ab  es 
auch  nicht  zu  einander  kommt:  die  Beziehnag  too 
Wissen  za  Sein  bleibt  unenthüllt,  deren  nothwendige  Ein- 
heit aufzudecken  sich  als  die  eigentliche  Aufgabe  der  Fki- 
nomenologie  ergeben  wird.    ^^Wenn  aber  das  Denken  das 
Sein  der  Substanz ,  als  solcher ,  mit  sich  vereint ,  und  die 
Unmittelbarkeit   oder   das  Anschauen   als  Denken  eifasst; 
so  kommt   es  noch  darauf  an,  ob  dieses  inldtek- 
tnelle  Anschauen  nicht  wieder  in  die  träge  Einfach- 
heit zurfickfUlt  und  die  Wirklichkeit  selbst  anf 
unwirkliche   Weise   darstellt«  (S.  XX.   XXL). 
Diese  bestimmter  gegen  S  c  h  e  1 1  i  n  g  gerichtete  Aeosse» 
rong  enthält  einen  doppdten ,  aber »  wie  es  scheüil ,  sich 
aufhebenden  Vorwurf     Der  allgemeine  Sinn  dessdben  ist 
ohne  Zweifel,  dass  es  Schelling  nicht  gelungen  sei,  die 
^Einfachheit«  der  intellektuellen  Anschauung  und  ihres  Prni- 
cips  der  absoluten  Identität  durch  immanente  Begriflsent^ 
Wicklung ,  zum  Unterschiede  in  sich  selbst  fortzabefitiofr- 
men.    Er   hat  die  Unterschiede  bloss   aufgenooimen   and  ^ 
potenzenweise  jener  Einfachheit  eingereiht:  die ss  ist  der 
stets  wiederkehrende  Vorwurf.    Aber  damit  hätte  Schel- 
ling die  Wirklichkeit  gerade  nur  auf  j^w  irkliche«,  Bicht 
auf  spekulative  Weise  dargestellt,  und  die  letztere  polemi- 
sche Wendung  ums  ab  eine  am  Ziele  vorbeitreffende  er- 
scheinen. 

Die  erste  Präge  bleibt  es  nun ,  wie  Hegel  aber  den 
Gedanken,  in  dem  er  sein  Eigenthfimliches  ausspricht:  die 
Substanz  ist  nur  als  Subjekt  zu  fassen,  sich  be* 
stimmter  erklärt  hat^  theib  um'  die  unv^rmQidliche  Zwei- 
deutigkeit, welche  nach  dieser  Fassung  zunächst  nooh  in 
ihm  liegt,  aufzuheben,  th^ilsum  sich,  Schelling  gegeo- 
über,  diess  Princip  als  sein  Eigenthum  vorbehalten  zu  kön- 
nen. Im  höchsten  Grade  ist  anzuerkennen,  dass  alle  seine 
frühesten ,  wie  spätesten ,  Erklärungen  über  diesen  Punkt, 
welphen  er  ebenso  immerdar  ab  den  Hauptpunkt  bezeicli- 
UDt  hat ,  völlig  sich  gleichgeblieben  sind :   sein  Plmicip  hat 


der  Sachcf  und' der  HedioAo  in  Einheit.  789 

^ch  in  ihm  nicht  gesteigfert  wdhr^d  seiner  Laufbahn, 
sondern  nur  ausgeführt;  es  stand  schon  vollendet  vor 
ifam  bei  seinem  ersten  Hervortreten.  Sein  System  bat  da- 
her keine  Entwicidungsgeschichte  des  Princips ,  wie  wir 
bei  Fichte  und  Schelling  sie  zugeben  mussten,  son-> 
dem,  wie  bei  Kant,  die  Geschichte  immer  reiferer  und 
umfassenderer  Ausführung  eines  solchen.  Aber,  wie  es 
sich  zeigen  wird,  und  worauf  dieses  Fertigsein  am  Anfange 
ohnehin  schon  deuten  konnte',  das  Princip  ist  selbst  ein 
fiberkommenes ,  der  in  einen  prägnanten  Ausdruck  zusam«* 
mengezogene  Gehalt  des  SchelUngsehen  Systemes  in 
meiner  mittelsten  Epoche.  (Vgl.  oben  S.  7S7.) 

Die  ersten,  allgemeinsten  Bestimmungen  der  Subjekte 
vitdt  an  der  Substanz  sind  ganz  Schellingisch ;  der  Unter-* 
schied  ist  nur  der,  dass  auf  das  Formelle,  auf  Herausbil- 
dung dieser  an  sich  seienden  Wahrheit  in  das  Pfir« 
6 ichsein  des  Systemes,  gedrungen  wird.  Hierdurch 
vfird  man  an  die  späteste  Aeusserung,  den  Sohiuss  des  Sy- 
stemes in  der  H  e  g  e  I  sehen  Encykiopfidte,  erinnert,  welcher 
dieselbe Yoliendung  Gottes  zugleich  und  der  systema- 
tischen  Wahrheit  aussprrcht,  dort  aber  nicht  als  ein 
noch  zu  erreichendes,  sondern  im  Rflckblicke  auf  die  vor- 
angehenden Theile  des  Systemes  schon  vollendetes  und  in 
dieser  Vollendung  bewnsst  steh  zusammenfassendes  Ziel. 
Auch  hier  schliesst  also  Hegels  Anfang  und  sein  Ende 
genau  sich  an  einander,  wie  Verheissung  tfkid  Vollbringen, 
was  allerdings  von  Schelling  bisher  nicht  behauptet 
werden  durfte,  weil  er  das  mit  Hegef  gemeinschafllicha 
Princip  selbst  zum  Durehgangspunkte  eines  Weiterscbreitens 
gemacht  hat« 

Die  lebendige  Substanz,  heisst  es,  ist  Subjekt, 
oder  was  dasselbe  heisst,  in  Wahrheit  wirklich, 
nur  insofern,  i\$  sie  die  „Bewegung  des  sich 
selbst  Setzens^  (Fichtisch  und  a^ugleich  Scbellinglsch) 
oder  die  ^Vermittlung  des  sieb  anders  Wer- 
dens mit  sich  selbst^  ist  (Schellingisch :  die  abso- 
lute Identität  stellt  sich  aus  ihrer  unendliebcn Differenz 


790  DieiB  PrliuJpi,   .     i  *     i  ' 

}n  ihren  PetenBen  «ur  IndüTerene  wieder  ^ket^  rWeldie  an 
sich  me  attfjgrekobeii  werden  kann)  ^}* 

Sa  ist,  als  Su)>jefcl,  die  reine  jeiafaohe  Negati- 
yitat  (nach  Scheiling:  ladifferena)  ehan.  dadurdi  liie 
Eateweiung  des  Binfaehan  (nach  S  c  h  e  U  i  n  g  r  *  das  sich 
Difibrenziren  derselben)  oder  die  entf  egangeseUte  Yer<- 
doppehing,  welche  wieder  die  Negation  dieaer  giaiobgäJ-- 
tigen  Verschiedenheit  und  ihres  Gegensatzes  ist :  jvnnr  diese 
sieh  wie  derherstielltende^  (nach  Sohellin  g:  aus 
der  Differenz  w^r  TotalitAt«^  surückkehreDde)  „(Elleicbheit« 
(Identität)  ^^Dder  die  Reflexion  im  Andersseia  ia  sich'^lbst 
*—  nicht  eine  ursprüngliche  .oder  niittelbare  Bin-« 
heif,  als  selche  ,  ist  das  Wahre.  Es  ist  di^s  Werden  sei* 
ner,  der  Kreis,  der  sein  Ende,  als  seinea  Zwi^,  «us^'^i^^  ^ 
seinem  Ahfange . hat,  und  so  nur  durch  dieAusfuhruiag 
und  sein  Ende  wirklieh  ist«  (S.  XXi.>. 

Sofern  nun  Hegel  mit  diesen  Fundamentall^esUaimun-* 
gen,  wie  man  sieht,  den  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Umkreis  keines- 
weges  verlassen  hat,  so  möchte  wenigstens  d^r  Ausdruck : 
5)Subjekt,  Subjektivität^^  original  S4;beinen,  um  dieas 
Beisichselbstbleiben  des  Absoluten  im  unendlichen,  Auders^ 
werden  durch  die  tie&chOpfende  Analogie  eines  in  sich 
selbst  sich  Reflekürens  desselben  dem  Verstäadnisse  naber 
ia  bringen.  Ueberhaupt  könnte  gleich  an  der  Schwelle 
von  Hegels  Philosophie  die  Neigung  desselben  h^clist 
bedeateii(f  Erscheinen ,  io  geistigen  Akten  und  Analcigieen 
die  Lösung  des  Weltrdthseb  zu  suchen,  so  wi^  i^i^M  iBin- 
dcir,  das  Realprincip  der  Dinge  und  das  der  wi^aonschafl* 
liehen  Helheidik  selbstbewuast  als  Eins  au  fassen,  liier 
läge  schon  der  Sat%  im  Ruckhalte ,   welcher  sich  wch  in 


*]  Sch«l  liag.t  Darstelltiag  in  der  Zeitschrift  für 
fpek.  Physik  II..  2-  $.  11.  Zusatz  1.  und  :3[.  zu  §,  12.. 
^.  15 — 19.  $.24 — 31.  §.43.  und  die  erläuternde  RouftLriiktiun, 
um  uach/tiweiseh,  wie  die  absolute  Identität  9us  ibrer  rel.it I- 
veu  DifTpren»  d<»8  Objektiven  oder  Subjektiten  zur  Totali-^ 
•   tat  znfiicklLehrt,  ebeud.  S.  33-*»35.' 


schon  ia  Sd^Uit^  diUhMen.  791 

unsere  ErkOiritÄidsIelird  ^),  «l9  d^  letkte  firkUnrngsgrand 
€ler  Uebereinistitnmung  von  '  Subj^fclivein  und  Objektivem, 
Welt  und  Erkerfnen,  ergiebt :  ^wir  eAeanen  die  Dinge  nur 
dadurch,  weil  sie  in  (Boltes  Bewus^flsetn  vorgecbcht  sind, 
nnd  vermögön  sie  nur  daniitf  (Idttrch  Wissenschaft)  in  ein 
System  zu  bringen,  weil  im  göttlic&en  Denken  einUrsystem 
derselben  isi^.  Das  Principe  aller-  (JBEettti^^  ^t)jekliven)  Me- 
thode kann  selbst  nto*  im  Urdenk^n  des  Absoluten  Beinen 
höchsten  und  wahrhaft  begreiflith^n'Gmiid  finden. 

Dennoch  ihusseri  Vir  auch-  davoW  die  i^iorftü  Seh e)^ 
ling  zusprechen !  nicht  liup  4j$t'iftiM  das SetöpteHsche  (dia 
lüOura  nahtranky  4fis  ait  siich  Ideblle  Md  Siibjeklire,  -^  ^ 
^SiHbjekt  an  sich^i  wie  fleg'el  es  avsdttiicken  könnte,  ~ 
sondern  der  {yotenzireftde  6^(if&|jrii«gsclkt  ist  ein  6  e  1  b  s  t- 
i^r k  e  n  n  e  nf ,  nn^  das*  Seih  dei*  Din^^  in-  '4^n  WeUp'6tenzen 
i(die  natura  naturätä}  'nichts  Anderes ,^tilä  das  immer  , 
lierere  Eintreferi  d^s  ^Idealen  in^if  B^a^  deir  immer  geiun-i- 
genere SelbslerkenfttnissakI  des Vrsubjekt?, welches 
endlieh  im  Menschlichen  Böwui^stselin,  und  Bubdchst  in  de^ 
f'ntdüektuellen  AnS^ha  u^utigf  durch  menacfaliche 
Verfimift,  vöHlg  M  sich  selbst  kommt,  ihdl^m  es  in  de^  Idee 
des  Absoluten',  'darin  das  Absolute  vfiAig  sidh  selbst  er^ 
Itennl  und  bejaht^  ai^h  für  siirh  zum  Subji^kte  wird.  So 
inSchellings  Äfuno  undin  dMi  Abhaifälimgen  der  neuen 
Zeitschrift  fQr  spekulative  Physik.  tV^l.  oben  S.  «75  ff. 
6851-90.)  ♦*) 

Wenn  Hegel  daher  nift  ironischer  Ruckbeziehung 
auf  S  c  h  e !  1  i  n  g  s  »Aphorismen  '  zui*  Wätiirphilosophie«.  so*- 
gleich  hinzusetzt:'  „dass  man  itfi^  Lel)eh  Gottes  und  das 
glottliche  Erkennen  wohl  als^  iÄü  Spiel  der  Liebe   mit  äch 


^}  Qrundsügje  c«,q].  Syttam  r'/dari  Ph  tiosopbi«:!  Wsto 
AbtheiUing,  1832.  $.  227.  S.  313.  14. 
**)  Mit  den    dort    von  S.cheiÜDg    aDgefTihrten  Expositionea  ist 
.    äie'dem  PHttdf)e  nach  Übeteitiitiiiimenile  %iitwicMuiig  dies  Be- 
griffes der  Reii  g  roif,  als  4^  5eH)stBfc>A^<is9t8«ias  «les  absolu- 
tea  Geistes,  bei  H  .eg  e  1  Religionsphil.  I.  S,  1!^9.  zu  Vdrgf eichen. 


7&3  Diegs  FriMip , 

selbst  aussprechen  kfinne,  dass  aber  diese  Idee  zur  Erimn 
liebkeit  und  selbsl  rar  Fadheil  herabsinke,  wenn  der 
Ernst  und  Schmerz,  die  Arbeit  der  Negation  daran  feUe*); 
-^  „das  An  sich  jaies  I^ebens  und  SubjdLts  nmsse  daai 
kominen,  es  auch  f  ür  s i ch  am  sein^' :  —  so  mnss  die  histo- 
rische Feststellung  des  Yerbftlinrsses  zwischen  beiden  Den* 
kern  behaupten»  dass  Schelling  diess  selbsl  sich  sagen 
konnte  und  gesagt  habe  ^  dass  9  wenn  es  ihna  uqgendwo 
fehlte,  es;  nicht  das  PriaiHP  war^  welches  er  f erlig  und 
nach  seinem  Zjelß  hin  vollständig,  wie  man  sieht, 
Hegeln  flberUef^rie,  swd^in,  dass  es  nach  Vorne  hin 
von  ihm  nicht  Y^rmlttelt  wan  Was  f&r  letz  lere  Ver- 
mittlung Hegel  gethan  habe,  gerade  in  seiner  Phänome- 
nologie des  Geistes,  wird  alsbald  zur  Sprache  komaien« 

Er  fahrt  fort:.,  das  Wahre  ist  das  Ganze;  das  Gänse 
ist  aber  nur  das  durch,  se^ne  Entwicklung  ach  voO- 
endende  Wesen«  jSs .  ist  vom  Absoluten  zu  sagen,  dass  es 
Resultat,  erst  am  Eide  ist,  was  es  in  Wahriieit  ist, 
und  hierin  besteht  eben  seine  Natur,  Wirkli- 
ches, Subjekt,  oder  sich  selbst  Werden  zv 
sein.  -^  —  Da^  fied&rfniss,  das  Absolute  als  Subjekt  vor- 
zustellen ,  bediente  sich  der  Sätzp :  Gott  ist  das  Ewige, 
die  moralische  Weltordnuug,  oder  die  Liebe.  —  Aber  hier 
ist  „Gott^  für  sich  nur  ein  sinnloser  Laut,  ein  blosser  Na- 
me, der  erst  von  den  Prädikaten  zu  erwarten  hat,  was 
er  ist,  in  seine  Wahrheit  und  Bedeutung  eingesetzt  wer- 
den kann«  —  -^  ^Jene  Anticipatioo ,  dass  das  Absotate 
Subjekt  ist,  ist  daher  nicht  nur  nicht  die  Wirklichkeit  die- 
ses  Begrifls ,  sondern  macht  sie  sogar  unmöglich ;  deaa 
jene  setzt  ihn  als  ruhenden  Punkt;  diese  aber  ist  die  Selbste 
bewegung«  (S.  XXII.  S.  XXIII— XXVIL).  —  Diess  Alles  M 
S  ch  ellin  g  iurwahr  nicht  mit  so  methodischer  Klarheit 
und  Energie  ansgesprochön ;  aber  es  liegt  in  seinem  Pria- 


*)  Unbeivusst ,  Ifätte  Ue,ge,  l  hiermit  teiQe  eigene  spatere  Aevi' 
j^nmg  iI^«Vs^9l^fEhii9«op|uf  Ih  S.  206.)  parodirt  imd  ge- 
fährdet. .  .     1    :  . 


schon  in  ScbdUng  enthalten«  793 

eipe  .und  bat  nur  Wahrheit  in  Folge  desselben.  Gott  ist 
auch  nach  S  c  h  e  1 1  i  n  g  erst  voHständig  (in  höchster  Potenii) 
erkannt,  als  (endlichbs)  Subjekt  und  Geist  werdender,  und 
in  diesem,  zufolge  der  ihm  eingeborenen  Idee  des  Absolu« 
ten,  zur  Einheit  mit  selbst  zurückkehrender. 

Hegels  Erklärung  über  jenen  Hauptpunkt  schliesst 
folgender  Gestalt:  ,^ass  das  Wahre  nur  als  System  ynskf* 
lieh  oder  dass  die  Substanz  wesentlich  Subjekt  ist^  (biet 
wird  also  ohne  Weiteres  das  Realprincip  und  da«  Prinoip 
der  Methode,  als  das  identische,  Terknüpft),  „Ist  ilt 
der  Vorstellung  ausgedrückt,  welche  dai^  Absolute  als  Geist 
ausspricht  —  der  erhabenste  Begriff,  welcher  der  neuem 
Zeit  und  ihrer  Religion  (der  ehristlidien)  angehört.  Dail 
Geistige  allein  ist  das  Wirkliche  -—  das  Wesen  oder 
An  sich  seiende,  das  zugleich  sich  zu  sich  verhalt^ 
das  Anderssein  und  Ffirsichsein  ist ,  und  in  dieser  Be- 
stimmtheit oder  seinem  Aussersichsein  doch  in  sich  bleibt,^ 
—  oder  an  und  für  sich  is(^.  -- 

Diess  „An  und  für  sich  sein*  ist  es  aber  in  sol-^ 
eher  Weise  „nur  an  sich  Oder  für  uns*;  es  ist  so  nur 
die  geistige  Substanz.  Aber  es  innss  diess  auch 
für  sich  werden;  es  muss  sich  als  Gegenstand  sein, 
aber  ebenso  als  vermittelter,  au%ehobener,  in  sich 
reflektirter  Gegenstand.  Diess  Letztere  geschieht  nur  da-^ 
durch,  dass  es  sich  selbst  in  altem  gegenstandlichen' Dasein 
als  den  reinen  Begriff  erkennt  und  weiss,  und  auf  dies^ 
Weise  in  seinem  Dasein  in  sidi  reflekfirter  Gegenstand  filr 
sich  wird,  Diess  geschieht  in  der  Wissenschaft: 
diese  ist  der  Geist,  nicht  bloss  als  aligemeine  Substanz, 
sondern  der  als  alles  Sein  sich  wissende.  Sie  ist  seine 
Wirklichkeit  und  .das  Reich ,  das  .er  sich  in  seinem  eig<^ 
nen  Elemente  erbaut  (S.  XXVHL  XXIX.).  t 

Auf  gleiche  Weise  sdiliesst  auch ,  wie  schon  gesagt,* 
das  Ende  der  fincyklopädie  der  philosophischen  Wissen-' 
scliaften  sjicji  ab  in  „der  ewigen,  an  und  ffir  sich 
seienden  Idee%  welche,  als  Absoluter  Geist,  sich  ebenso 
wohl  in  4er  an  ciich.  seienden  Objektiv i*tM  der  Sache, 


794  .        <H0gete.Verhftttiilis 

fufodur^li  sl9  Hlob  li  Geist  uml  Natu  r  dirlmirt,  ab  in 
^r  TffiUgkfiit  des  Erkerinens  (der  WissensclHift), 
iwoduiflh  ,&ie  mh  Hiu  jenen  Gegensätzen  ,  als  selbsfgfge- 
bffW^M.wti  Einhalt.  vric$ der*  Eiisain  menfaisst,  ewig 
bethätigt,  erzeiigi}  usd  geiüesst  (Eticykl.  der  philos. 
M^idl».en»!€iiiflft€in,  3te  AnL  S.  538.  99.)-  —  ^  ^öUig 
gfeiiohom  SUHie  eiriicipirildie  erste  Auflage  der  EBcyUo- 
y^^  •<»*  :deji  spätem  isl  diese  voriduflge  Definition,  vn- 
iltr^iiig  twk  ihner  far  des  dortigen  Zusa'mmenhang  pars- 
4o»ea  U/iAteir^taiidlichkeit  v  bihweggeßillen)  den  BegfiB  der 
PbiilQSX)phie  v6r  •  seiner  AmrühriMg  4abin,  dass,  sie  die- 
«ßtlbeails  die  Wifrsenschart  derVernvnft  ^ausgiebf, 
und^zwar  inso  fior^^  als  <iie?ernunft  ihrer  selbst 
i|ls  alles  Seüns  be'wusii  wird  ($.  5.  S. 6.  Ausgab» 

\on.  4^1.70.«    .'.'.:.. 

.  ::  Qurclib  diese  AJlgeineinbestiminnng  ist  Hegel  jedoch 
^t  S.piin.Qi^il'a'.lKi^hne,  als  dem  Systeme  der  Substantiali- 
tat ,  in  ein  ausdrückliches  .nhid  bewussles  Verbältniss  ge- 
irutiini:!  seilen  »wir  dadier^  ob  seine  spätem  Erklänmgea 
4bW{  <iiesS'VerhätBisS''  mit  j/enet  ursppängliehen  im  Kn- 
^ratändnlsse  sind. "  W  as  ist  es  evgendicb,  was  er  an  ihn 
tiiiidelt;.waS4St  daher  aitcb  das  Ueberspinosistiscfae 
ißi  ^ig^n^n.  Systeme^  und  ist  di^ss  at^leich  über  Schel- 
U  Ol  g  hinaus  oder  nicht?  .  -  . 
..  SpiiQ.K>sa  bat  Gott :  nidit  .  als  'den  Geist  bestimmt; 
4efii$batb«im)aflate.s6inG  Philosophie  das  Zeitalter,  in  dem  sie 
flliUrat^  empören.  Das.  Seibstbewiisstsefn  ist  bei  ihm  in 
ßf  griffe,  der  Substana  untergegangen ,  nicht  erhelten  wor- 
^On  ,Seiflieiin''Begrifib  der  Substanz  fehlt  das  Priaoip  der 
P/^rsartli-c^ik.eit,  der  Reflexion  in  sich:  dasDen- 
keii).  ato.dds  Attribut  Gottes;  tnll  als  ein  Zweites,  A^easser- 
liebes ,  ihm  nur  biniu ,  n  e  b  en  dem  der  Ausdebming  i  ^ 
4as6^  s\ß  «nut^tihmunwesentüdiei^ennen^  9ind,  die  Ordnung 
der  J>ii|gek,diescib|e  ist^  als  die  des  Denkend,  dort  eine 
Totalität*  ditr  Dinge,!  hier  der  Gedanken.  Aber  wie  es  eine 
äussere  Reflejäoui  ist,  wddbe  diesen  Unter^diied  macH  so 
i^t.^ie  es.aucbiy.  ^elcbi^  ihn   in  die- «bsohtte  Identitll i>- 


•        ^aü  Splnosa.  T95 

rtekführt. ' D i e  g'änze  freveguhf  geht  ausser  Aem 

Ab'soluten   vor.'    ZiVar   ist  diess  ao  sich  s^st^atteh 

1>  e  ti  k  e  n ,  und  so  f Allt  aueh   diese  Reflexion  nur  in  chs^ 

selbe  hinein ,  aber   nur  al^  Einheit  mit  der  Ausdehnung*^ 

somit  nicht  b\»  diese  Bewegilngp,  welche  we'sentlioli 

auch  dfrsMonient  derEn tgegenfietzung  ist.-^ 

Sc  weit  da«  W^enAicbe '  in  seiner  Logik.    Diese  logische» 

Bestimmungen   schärft  Hegel  in   seiner  Geschichte   dei^ 

Phifosophie  noch  bis   sn '•  folgenden  concretein  Ausdriicken: 

Gotl  ist  hier '  nicht  Gellst,  weil  er  nicht  der  ^dreieintge« 

Ist^    (Welche  metaphysische  Bestimmung  Hegel  dft^ 

mit    meine ,'  ^int    sich    spAfer   ergeben.)    Dte  SobStsfn^ 

Meibt  in  dei»  Starrhett,  Tcristeitiening,  ohne  B^hme scheid 

Quellen^.    In    die  Eine  Substanz .  gehen   alle  Unterschiede 

nnd  Bestimmungen  der  Diiige  nur  zurück  und  v  ersuch  win^ 

4en    in    diesem   Abgrunde   der  Vernichtung) 

Aber  es  kommt  Nichts  heraus;   das  BesondereV wovon  ei* 

spricht ,   wird  nur '  aU  fg  e  n  o  m  m  e  n  aus  der  VorsfellungV 

ohne  dass  es  gerechtfertigt  wäre.    Sollte  es  ger^chtfbrllgf 

sein,  so  mfisste  es  S  p  i  n  o  s  ä  ableiten  aus  seiner  SuhitBitzl- 

Sie  schliesst  sich  nicht  auf:    das  wäre  die  Lebendige 

keit,  Geistigkeit.  — Die  starre  Substantiamit' ist  daj 

Letzte 'bei   Spincs^a,   ni^ht   die  Tinendßehe  Form; 

tt.  Ä  w.    (So   wird  auch  die'  metho'd  isch  e  t^ngönüge 

sogleich  in    dem  ungenügenden  Realprincipe  des  Systertiei^ 

g€Jfundcn,  und  ebenso  ein  Zeugniss  fllr  letztere  UngenQge 

in  }enem  aufgewiesen.)  *) 

In  SuiAmä;    Was   eigentlich   Spinosa   fehlt,   dei^ 
Grund,  waruüi  'die  Sübstane  biei  ihm  nicht  Geist,  schärfei* 


•        ;  '   '  .  .1 

*),  lw9,er  4^111  ob^«  9btr  dat  Vechäl^U«  /Von  Spiao««  ai^d 
Hegel  aus  Lf  Ute  rem  Beigebrachten  (S.  456 — 60.J,  wo  be-: 
iondera  wichtig  ist,  in  welchem  Sinne  Leibnitz  den 
Spinosa  erganzen  solle,  verweisen  wir  auf  Phänomeno-; 
l'tfgie  S.  XX.  Wissenschaft  der  Logik,  ßd.I.  Th.  1!. 
S.  192.  194-^96.  199.  Geschichte  der  PhUoaophi« 
Bd.  III,  S,  375-.78.  382,  8D,  91.  . 


790  Uegds  und  SchelUiig»  Verhältnis» 

anag^drückl:  Geislif  keil  geworden  ist,  Vksst  sich  mr 
dahin  aussprechen,  dass  ihm  das  absoiule  Fornprincip,  lias 
Princip  der  unendlichen  Negalivitat,  abgiehl,  wi^« 
nach  die  absoiate  Substanz  in  ihrem  Andern  dennech 
unendlich  bei  sich  selbst  bleibt  Diess  ist  ,,Lelie&% 
naher  y^isiiges^  Leben,  weil  nur  der  Geist  den  Gegensata 
ebenso  unendlich  in  sich  selbst  setzt,  ab  ihn  zu  dem  sei« 
Bigen,  überwundenen  aufhebt 

Aber  das  ist  ausdrücklich  doch  der  Portschritt,  welcher 
schon  durch  Schelling  über  Spinosa's  Grundansidit 
geschehen  ist,  und  in  dessen  Folge  er  diess  System  als 
ein  einseitig  realistisches  bezeichnen  konnte,  de^ 
sen  Fehler  keines weges  darin  liege,  dass  es  die  Dinge  ia 
Gott  setze,  sondern  dass  es  Dinge,  abstrakte  Weitwe^ 
sen,  seien,  welche  in  der  absoluten  Substanz  nur  inbegrit- 
fen  sind,  wahrend  die  absolute  Substanz  selbst  ihm  vüsk 
nur  Ding  ist,  „Daher  auch  ganz  folgericbttg  seine  m&- 
clianische  Naturansicht,  Oder  zweifelt  man,  dass 
schon  durch  die  dynamische  Naturansicht^  (von  welcher 
Schelling  sodann  zeigt ,  dass  sie  die  Einheit  des  Dy^ 
naioischen  in  der  Natur  mit  dem  Gern ü t blichen  und 
Geistigen  begründet)  ,)die  Grundansicbten  des  S^ino* 
sismus  wesentlich  verändert  werden  mussten?^  *) 

Der  Unterschied  zwischen  Spinosa  und  Schelling 
(sammtHegel)  lässt  sich  daher  auf 's  Schärfste  dahin  aus- 
sprechen :  In  S  p  i  n  0  s  a  ist  die  absolute  Substanz  gleich* 
gewichtig  Denken  und  Ausdehnung:  diese  sind  die  beiden 
an  sich  geschiedenen  Modifikationen  derselben,  und  wet- 
che  nur  dadurch  Eins  werden ,  dass ,  was  die  Substanz  in 
einer,  auch  in  der  andern  Hinsicht  ist.  Es  ist  der  Pa- 
rallelismus von  Denken  und  Ausdehnung  (Subjektivem 
und  Objektivem)  in  dem  niedern ,  genkZ  abstrakten  (Gartesia- 
nischen)  Sinne;  denn  sie  sind  nicht  dem  Wesen  nach  Eins, 
vielmehr  entgegengesetzte;  ja,  was  Spinosa's  Darstellung 
betrifft,  so  fällt  das  Uebergewicbt   der  Geltung  sogar  auf 


■ « ii 


*)  SchelÜAg  über  die  Freiheit  S.  417.  1&  19. 


zu  Spmolra.  ^      797 

Seile  d^r  k6rperticlien  Modifikationen ,  indem  in  ikror 
verschiedenen  Voilkommenheit  aucli  das  Princip  Hegen  soll, 
^w^onacl>  sicli  die  VoUkommeniieit  der  Idee  (Seele)  jedes 
Körpers  riclitet  ( S.  oben  S.  446. ).  Nacli  Sc  bell  in  jf. 
Cund  nach  Hegel)  dagegen  ist  das  Ideelle,  Subjektive  das 
absolute  PHus  und  Grund  aller  Dinge  und  auch  des  sinn* 
liehen  Universums:  die  Substanz  ist  an  sich  schon  nur 
ideelle  Macht,  Geist ,  und  ihr  Sichauswirken  in  den  Wdt*« 
anterschiedeii  hat  nur  das  Resultat,  auch  für  sich  zum 
Geiste  zu  werden.  (Vgl.  oben  S.  455—67.) 

Somit  scheint  erwiesen,  dass,  sowohl  im  Uiiheile  fibei^ 
ihren  gemeinschaftlichen  Vorgänger  Spinosa,  dsin- 
dein,  was  sie  über  ihn  hinaus  als  ihr  Eigenthümlicbes  b&^ 
httnpten,  S  c  h e  1 1  i  li  g  und  Hegel  völlig  einstimmig  sind: 
das  Princip  des  Letztem,  ausdrücklich  so  wie  er  es  in  der 
Phänomenologie  ausgesprochen  hat,  ist  also  ganz  nur  da» 
Schellingsche  und  überkommene:  «—  ob  nocb 
ein  anderes  Princip  in  die  Hege  Ische  Philosophie  hinein«^ 
tritt,  wie  in  die  Schellingsche  allerdings  ein  soidies 
eingetreten,  muss  der  weitere  Erfolg  zeigen.  Nach  seinen 
eigenen  Erofihungen  hat  bis  hierher  Hegel  keine  An^ 
Sprüche  zu  machen  auf  ein  so  eigenes  und  neues. 


Wir  wenden  uns  nun  zu  dem,  was  He^el  sögfleieh 
dagegen  als  sein  Eigenthum  ansprechen  darf,  die  Aus- 
bildung jenes  Principsi  Hegel  erklärt  sich  darüber  auf 
folgende  Weise :  In  ihm  hat  sich  die  Idee  und  der  Grtind 
derWissenschaft  geflmden:  diese  ist  die  verklärte 
Wesenheit,  der  Geist;  der  aDe  Dinge  ist,  so  auch  in  diesem 
Andersseins  wissend  bd  sich  zu  bleiben  ringt ,  und  in 
der  (ausgeführten)  Wissenschaft  das  Wissen  seiner  selbst 
geworden  ist.  So  ist  er  aber  gegen  die  Unmittelbar- 
keit des  Wissens  einem  Werden,  einer  Erhebung  zu  sich 
selbst  unterworfen ;  und  wenn  die  Wissenschaft  verfangt, 


79S      ^  Dio  Phiiiwienfliiogie 

das^  <to  jndi/ridQWQ  sieb  in  dioi^  Sfamipiififci  des  sfl^ 
Qieiiiett  G^t^s  erhebei  so  hat  die^  noigekebri  da«  ^echlS 
BD  todem ,  daM  die.  Wissenschaft  ihin  die  Leiter  weoif- 
atens  .au^  diesem  Standpunkte  reiche..    Der  uamittelbtre 
SMüdpänkt   des.  Bewosstseins  ist ,    von   g«ge|i|stfindlickeii 
Dii^^.  idi  GegenBat^  gegen  sieb  seU)st,  «nd  von  a\ch  im 
Qegeaaataa  gegen  sie,  zu  wissen;  die  Wissenschaft  kann 
denselben  nnt  als  den  Verlost  de^  Geistes,  das  sich  seUisi 
Abhantengekomm^iisein  desselben,  betrachten.     Jeder  von 
diesen  beiden  Tl^ilen   scheint  daher  Skr  dea  andern  das 
Yetk«iijfte  der  Wahrheit  z»  sein,  die  Wisseiiachall 
diim:  tofttürlichen  Bewusstsein  auf  d^oi  Kopfe  zu  gehen,  md 
dkaswiederam  Cur  die  Wissenschaft .  mr  der  Gegensatz  der 
Wahrheit  und  des  Geistes  selbst  zu  aeiii:    Diese  bat  jedech 
äiil»Sleiaent  und  ihre  ailgemeine:  Voraussetzung  im  Selbst- 
bselVQSStseftn ;   sie  bat  daher  die  Unniittelbarkieit  dessdyyen 
Hit.  sich  zu  vereinigen»  oder  vielmehr  m  zeigen,  6ass  nnd 
wi0 «s  :ihr  selbst  angehört:  sie  hat  das  S  e Ibs tbe wtisst« 
telil  aU  £ins  mit  sich  zu  set^eii. 
j. . ,  Die$s  Werden  der  Wissenschaft  überhaupt  ist  Auf- 
ga))r^  >4er  fhanon^enoiof  ie   des  tfieisti^s,    als  des 
^ersten.  i;i^0i.l  es  des  $ystem¥ts.  dersielben**:  — 
späterhin  bekanntlich,  bei  der  vollständigen  Darstellung-  des 
Systemes,  als  solcher  erste  Theil  zurückgenommen,  und  in 
den  öffentlichen   oder  mündlich  gelegentlichen  Erwähnun- 
gen Hegels*)  nur  als  eine  historische  Ueberleitung  ste- 
llen ,gelgs|^9  ^  WO.  den  $tandpui^t,der  »Wüeensohsil  der 

•    :     ■       •  - 1.    .,■    :  I.    . 

*>H'4tf^Bl8  IWJ8Yftii8«.1kaft -der  L*gik  emce  Aiug.  Bd.  L 
. .  S,  Xi.  X»v(W!*tt«.  Aus«*  $.  :^,  34,>,  S.i  ß,,  ▼^f^dtti^  m9K  <l« 
lJjpiMrheiUfuQa.iQ.  der  spatern  «li^ai^e;  S»  59^62.  Eiicjkl<^ 
jpädie,  der  p  b  i  Ic^s.W.is^  e^  Schafte«,  jlriUe  Ausgab« 
S.  35.30. —  Dazu  Micbelet's^  C  esc  h,i,ch  te  der  letzten 
Systeme  der  P  lii  l  o'soph  ie  Bd.  if.'  S.  616.  und  dcsVer- 
f^ners:  ;,aberdjrf8Verhaltdik5  derErVenntniss- 
l^hreiMür  Metap  bysli««  ini  "d^r»  Z«its  clirift  für 
jehilrofc..BdoL,ft*  X  ^  laaiKwle;  .:.f    .  i,  . , 


(. 


4»  ärisMI  799 

Wissenachaftf  21t  gewmiien.    Die  sehr  Mfiigeii  Gfühde  iMe^ 

a^r  •  Zurfidknahme  werden'  sich  nachher  eigcAfti-  '  ^1    '  i^  t» 

Das  Wissen^  wie  es  mxmittettMr  fsti,  iiJlr'4(as<  g^isdo^ 

edfT  sini»Hche:BewasS'tJein:    UnF  zum  d^htiioheti» 

Widsan  oder  znriWissenschaft  %a  w^den^.Jiät  es  tiikieir'iah«JiI 

gea  Wog  ziiräükzol^gai.    Bwsm  Wvrden  des  Wide eii0  ^4im 

jener  seiner  Unmittelbarkeit   zum.  «bisohileii  'Wlisetii  iif^- 

sotaeint  als   elwas  Anderes,  derni  als  ^e  A4fil>eitd'ngi 

des  unwisse.ns.cliaFtivcbenl  •Bewts'Sisein^iBliTi 

W  i B s 4 nis c ha  f t. *^  ^htermit^  werden^  die  fterd^rdngieb  %i^ 

Des  popidämii  Einleitens  und  ZnreeMegeng'ffe:  'das  klW 

ji^tlve  Bedurfniss  ites  VerstehSeiis  :ziirftdkgewi«0eR)  -^i-n/bm 

es  ist  aoeh  etwas  Anderes  ,  alis 'die"B'e^ii#n/d>U'ifgi  d'd¥> 

W  issenschaft  -^  (hieisiit  wird  bezeicfhttet^  '*&As»'4fm 

auch  die  aUgemeinen  erkennlnisst&efOMiaichai  VoA^^fib 

fiiT'  die  Wissenschaft  nicht  sni  erwarten  Shabe)  •-^;  dktkVUf 

hat  es  Nichts  gemein  mit  der  ^Be^iatferttng^  did;  ^^e!  WtiP 

der  Pistole,  mit  dem  absoluten  Wiflsen'' inimittelbar  i^tifing^t}» 

und  mit  andern  Standpirnkten  sdion  dadaroh  fertig' t^t^^idlMbl 

sie  iceiae.Notifl  von -üoien  m  nehmen  *  etMM<<  ^  (S.  "XXVBfr 

— xxxiii)w'  ..■•;!) 

'  Vielihehr  isl  diei Aufgabe,  dais  t^ndiviünum  'von' n^J^ 
nem  ungebildeten  Standpunkte  zum  Wlssenf  zu  führen  ,:itai^ 
allgemeinen  Shme  zii  fassen:  das  all'geftieifife  In* 
aividnam,  der  Wettgeis^tV  ist  fn  »seittef  Bi'K 
dang  zu  betraichten.  Dio^Phänömefioloj^i  hat^di^^^ 
bildende  Bewegung  znm  iBbsohiten'  Wlssefn,  Worin 'jeiläf' 
Gegeonatz  eines,  Aeussera  und  ftiAem  v  iSdb^ktH'eil-  oivd^ 
Objektiven,  abgestreift  ist,  und  d^rG^ist'  sil^h'^alN^  ktleä 
weiss,  sowbM  in  ihrer  Ausführrl4chke4t  und  Not^^ 
wendHgkeit',  als  äueh  in  der  ire^rodadrendenOidstSi^ 
twig  dttsien ,  was  denrf  Geiste  schon*  'Äim'  Mömeiite  ^iM9' 
Bigenthume,  zur  Voraussetzung  und  ^imorgMiäfcfeeii  ÜMretif^I 
herabgeisunken  ist,  darisostellen.  ..;-.-/  i.  i    ..' 

Die  Ldnge  dies6s>Weges  ii^  zte  tttra^efiK'  Weil'die^ 
Sttbslans  des  Individuum» ,  der  Weltg^i«6t^idie'€itMMfr 


800  Die  PMnomettologie 

griiAbt,  fUese  Formen  td  dttrchgehen,  und  die  migeheMre 
Arlieil  der  Weligfesdiichte  zu  dbenehmen,  weil  er 
durch  keine  geringere  das  Bewusstsein  über 
sich  erreichen  konnte;  so  kann  aach  das  bidin- 
dwim  nicht  mit  weniger  seine  Sobstams  begreifen.  Rar 
hat  es.  die  geringere  Mflhe,  weil  diess  an  sich  sAon 
vollbracht  ist ,  und  ihm  nur  die  An^^fabe  bleibt ,  das  An- 
sish  in  das.  Fursidhsein ,  in  das  Begriffene ,  unumwandcin. 
In  diesem  begreifenden  Wiederherstellen  der  Bildongsstn« 
ien  lies  Wdtgeisles  wird  mm  geleistet  und  erreicht ,  iass 
das  Moss  Voigestellte  und  Bekannte,  das  so  Fesige- 
wordene  und  Vorausgesetete,  in  den  begriflfenen  Gedanken 
venvsndelt,  und  so  ia  den  allgemeinen  Begriff,  in 
cjn0  nothwendige,  wie  allgemeingültige  We- 
awiieit  erhoben  wird  (S.  XXXIU^XU.). 

Der  Weg ,  wodurch  der  i^griff  des  Wissens  erreicht 
Wf^rden  soll,  wird  durch  jene  Nachweisung  selbst  ein 
iiothw.endiges  und  vollständiges  Werden,  so 
dass  diese  ,|Yorbeceichuttg^  aufhört,  ein  zufälliges  Fhiloso- 
phjaren  zu  sein,  weiches  an  diese  oder  jene  YoranssetzuBgen 
des  unvollkommenen  Bewusstseins  sich  anknQpft,  sondern 
dieser  Weg  des  Begriffs  wird  die  vollständige  Welt- 
Uohlfeit  des  Bewusstseins  in  ihrer  Nothwen- 
digkeit  umfassen. 

Zum  e  r  s  t  e  n-  Theile  der  Wissenschaft  wird  er  aber 
dadurch,  weil  er.  den  Geist ,  die  allgemeine  Voraussetzung 
aller  Wis^nßchaftj  den  Anfang  des  Wissens  sdilecht* 
hin,  zu  seinem  Gegenstände, hat  Aber  das  unmittelbare 
Qaseiu  des  Geisfes^  das  Bewusstsein,  fallt  in  den  Ge- 
gensatz des  Wi/ssens  und  einer  dem.  Wissen  negativen 
Gegenständlichkeit.  Diese'  Ungleichheit ,  welche  unmHiel* 
bi|r  zwischen  dem  Ich  und  der  Substanz,  welche  Gegen- 
stfmd  desselben  ist ,  stattfindet ,  *  kann  als  der  Mangel  in 
beideio  angesehen  werden ,,  ist  aber  die  Seele  d^  Bewe- 
gung im  Wissen,  welche  diese  Ungleichheit  vertilgt:  denn 
wenn  es  die  Sache  i^s  Ich  ist,,  die  substantielie  Gogen- 
flltadli^hkeit  ^  wdcbe  der  Geist  noch  ia  der  Form  seines 


des  Geistes.  801 

Ansich  ist,  begreifend  in  sich  aurzunehmen :  so  zeigt  sich 

vielmehr,  dkss  diess  Thon  in  den  substantiellen  Geist  selbst 

hineinJOüllt;  er  bewahrt  sich  daran,  dass  er  wesentlich 

S  }^  j  e  k  t  ist     Durch  Vollendung  dieses  Processes   hat 

der  Geist  sein  Dasein  seini^n  Wesen  voilketnoien  gleich 

gemacht:  er  begreift  sich,  wie  er  ist^  die  Trennung  des 

Wissens  und  der  Wahrheit  ist  überwunden :  sein  Sein  ist 

absolut  vermittelt ;  ^—  es  ist  substantieller  Inhalt,  der  ebenso 

fiigenthum   des  Ich,  Gewusstes,  und   zwar  als  Begriff 

Gewusstes,  ist.    Der  substantielle  Geist  (Weltgeist),  nach 

frühem  Aeusseningeit  Hegels^   ist  damit  absolutes 

Wissen,  sich  selbst  durchsichtig  geworden» 

Hiermit  beschliesst  sich  die  Phänomenologie  des  Gei^ 
stes :  was  der  Geist  in  ihr  sich  bewirkt  hat ,  ist  j^d^B 
Element  des  Wissens^  d»  h»  nun  die  doppelte  Seite : 
dtes  er,  der  Geist^  alles  Sein  ist^  aber  zugleich  doch  das 
Sein  durch  sinh  selber  in's  Wissen  auiliebt^  was  die 
Wissenschaft  ist.  ^Iii  diesem  Elemente  breiten  sich  nun 
die  Momente  des  Geistes  iki  der  Form  der  Einfach«-- 
h  e  i  t  aus ,  die  ihren  Gegenstand  als  sich  selbst  weiss. 
Sie  fallen  nicht  mehr  in  den  Gegensatz  des  Seins  und 
Wissens  aus  einander,  sondern  bleiben  in  der  Einfachheit 
des  Wissens ,  sind  das  Wahre  in  der  Form  des  Wahren, 
und  äce  Verschiedenheit  ist  nur  die  Verschiedenheit  des 
Inhalts.  Ihre  Bewegung,  die  sich  in  diesem  Elemente  zum 
Ganzen  organisirt  ist'  die  Logik  oder  spekulative 
Philosophie«  (S. XLI^XLIV.). --  Der  übrige  Theil  der 
Vorrede  bespricht  das  Wesen  der  spekulativen  Methode, 
den  Hauptphasen  des  damaligen  Philosophirens  ^  «dem  sche- 
matisirenden  Formalismus  (S.  XLV — ^LIXo^  dem  rä* 
sonnirenden  Verstände  (S.  LXXII.  ff,)^  und  dem  na« 
türlichen  Philosophiren  des  gesunden  Menschenverstan- 
des und  der  Genialität  gegenüber  (S^  LXXXlVo* 

So  weit  die  vorläufigen  Erklärungen  Hegels  über 
Aufgabe  und  Ziel  seines  „ersten  Theiles  des  Sy-* 
stemes  der  Wissenschaft^^,  welche  sogleich  schon 
einen  vergleichenden  Rückblick  auf  das  Vorige ,  inwiefern 

51 


802  Die  Phänomenolome 


O' 


nämlich  darin  die  neue  Ausbildung  des  altern  S c kel- 
lin g  sehen  Princips  erreicht  sei  (vgl,  oben  S.  784. 85.),  so 
wie  noch  andere  allgemeinere  Erwägungen  nöthig  nackpn. 

Schon  die  ausdrückliche  Beziehung  auf  Schellin; 
Ifisst  nicht  den  geringsten  Zweifel,  in  welchem  VerhiUnis»* 
zu  ihm  Hegel  sich  selber  gedacht  habe  bei  seinem  erstn 
Werke.  Schell ing  setzt  toraus  das  Ideefle  (lucb 
Hegels  Ausdruck:  den  substantiellen  Geist)  als  das  Frius 
und  absolute  Princip  alles  Wirklichen.  Ihm  lag  dabei ,  als 
stillschweigende  Voraussetzung,  wie  wir  nachgewiesen  bi- 
ben ,  der  Gedanke  zu  Grunde ,  dass  sich  jenes  Priocip 
durch  seine  Ausführung,  das  gewonnene  Resultat  m 
Ziele  des  Systems  als  das  rechte  und  einzige  zu  bewah- 
ren habe.  Diese  Voraussetzung  des  Anfangs,  di^ 
der  substantielle  Geist  Alles  sei,  will  nun  Hegel  in  seine 
Vermittlung  zurücknehmen :  —  er  hat  sich  selber  als  das 
„Alles*  zu  erweisen,  indem  er,  auf  dem  Wege  seines  nolh- 
wendigenWerdens,  sich  in-diesen  Momenten  sei- 
ner Genesis  als  die  vollständige  Totalitat  alles  Sems  ant 
weist.  Das  absolute  Wissen  oder  „die  intellektuelle  An- 
schauung« Schellings  im  Anfange  hat  sich  dadord 
vermittelt,  bewährt,  das  blosse  Princip  ist  Resultat  ge- 
worden. 

Hiermit  hat  nun  überhaupt ,  und  abgesehen  von  ailei 
speciellem  Vorbehalten  der  Kritik  ,  Hegel  dasjenige  ge- 
leistet, was  als  erste  Bedingung  erfüllt  werden  musste,  so- 
fern nur  von  einem  eigentlichen  Fortschritte  in  der  Pbiio« 
Sophie  die  Rede  sein  sollte.  Was  im  vorausgehenden  Sy- 
steme allgemeine  Voraussetzung,  ein  Letztes,  blieb,  soU 
hier  erwiesen  werden ,  ist  also  nur  in  der  Gestalt  des 
Problemes  zufassen.  Aber  schon  in  der Fordernag, 
den  vorigen  Standpunkt  zu  begründen,  ist  das  Fernere  oi'^ 
eingeschlossen ,  dass  er  sich  selbst  dadurch  zu  höherer 
Klarheit  erhebt ,  das  unbestimmt  Gebliebene  schärfer  md 
bewusster  bestimmt,  sich  wissenschaftlich  überhaopt 
in  seine  Gewalt  bekommt.  Dieser  allgemein  methodische  Fort- 
schritt Hegels  gegen  S  c  h  e  1 1  i  n  g  ist  jedoch  auch  hislorisch 


des  Geistes.  803 

ein     fast  flllgfemcin   schon   Zugestandenes:   seit  Hegeto 

Auftreten*  ist  nur  durch  ihn  vermittelte  Wissenschaft 

der  Philosophie  möglich,  nach  dem  universalen  Maassstabe, 

der  durch  Schell ing  in  dieselbe  eingeführt  worden  ist> 

wie  in  der  ersten  Gestalt  von  Fichte 's  Systeme  sich  da9 

Forraprincip   fiir  die  Philosophie   vom  subjektiven  Stande 

punkte,  für  die  K antische £poche,  geltend  gemacht  hatte» 

Aber  die  fernere  Frage  ist,  welche  erst  innerhalb  jcS- 

lies  allgemeinen  Zugeständnisses  fällt,  wie  Hegel  jenes 

allg-emeinste  Problem  des   spekulativen  Erkennens   gefasst, 

und  wie  t&r  es  gelöst  habe  ?  —   Wir  müssen  damit  abeiw 

inaLs  auf  die   noch  allgemeinere  Frage   zurückgehen:   wie 

jenes  Brkcnntnissproblem  zu  fassen  und  zu  lösen  überhaupt 

möglich  sei? 

Was  die  Möglichkeit  betrifft,  so  bietet  sich  m 
diosom  Zusammenhange  der  spekulativen  Ueberliefenmg, 
am  Ende  von  S<fhellings  Systeme  und  nach  Aufstelhing 
des  Princips  für  den  objektiven  Idealismus,  schledithin  nur 
der  doppelte  Weg.  Entweder  Uegel  fuhrt  den  Beweis 
wirklich  durch,  auf  wetehen  sich  Sehe  Hing  mit  stitt» 
schweigender  Anti<;ipatioh  nur  berief;  er  weist  ^ur  Vorbei 
gründung  des  objektiv  idealistischen  Princips  in  vollstan« 
diger  Ausführung  nach  ,  wie  der  „substantielle  Geist^  in 
Allem  sei ,  wie  Alles  darum  durch  ihn  intelligibel  für  uns 
werde,  weil  es  nur  der  Geist  sei  auf  den  verschiedenen 
Stufen  seines  Ansicht-  und  F  ü  r  s  i  c  h  -  scins.  Er  könnte 
der  realistische,  realphilosophische  Beweis  genannt 
werden. 

Dennoch  konnte  dieser  Weg  nicht  füglich  von  ihm 
gewählt  werden,  so  lange  nur  von  einer  Begründung  des 
Princips  die  Rede  war;  ^n  in  jener  vollständigen 
Nachweisung  besteht  ihm  ja  eben  das  System  derPhilo-« 
Sophie.  Es  wäre  daher  dasselbe  doppelt  zu  thun  gewe- 
sen, zuerst  einleitend  und  vorbegründend ,  nachher  noch 
einmal  in  der  Ausfuhrung  des  Systdmes  ^) ;  und  wiewohl 


*)  Diess    hat   auf   eine  kaum   abkuläugnende  Art  Weitce  %e» 


{ 


804  Aafgabe 

ÖS  eine  aKe  Erinnerung  der  Hegel  sehen  Lehre  ist ,  das» 
erst  das  Ende  des  Systems  des  Princip  in  seiner  VoUstan- 
digkeit,  und  so  zugleich  der  be'währte  Anfang  sei;  wie- 
wohl es  richtig  und  sachgemäss  ist,  zu  sagen,  dass  erst  sm 
Ende  das  Princip  eines  Systeines  sich  vollständige  erwie- 
sen, als  das  universale  ausgewiesen  haben  kann:  5^0 
ist  es  doch  etwas  völlig  Verschiedenes ,  die  allgemeine 
Nothwendigkeit  eines  Princips  rückwärtsschreitend  ans  ge- 
wissen Prämissen  dar2uthnn,  oder  dasselbe  abwärtssleigend 
in  allen  seinen  Folgen  und  Dependenzen  auszuführen ;  wie- 
wohl erst  darin  das  Princip ,  als  solches ,  vollständig  er- 
kannt zu  werden  vermag  *}. 

So  bleibt  nur  die  andere  Beweisform  übrig ;  wir  kön- 
nen sie  dieerkenntnisstheoretische  nennen,  wd- 
die  auch  allein  erst  die  ganze  Aufgabe  in  der  ihr  zokom- 
joenden  Schärfe  und  Eigenthumlichkeit  fasst.  Denn  hier 
soll  zuvörderst. erklärt  werden,  nicht,  wie  im  Universum, 
im  „Alles  Sein^,  der  substantielle  Geist  wirklich  werde, 
-sondern  wie  eine  Wissenschaft  vom  Universum  m^^ 
lieh  sei,  wie  unser  Erkennen  einzudringen  vermöge  in  die 
unmittelbar  ihm  entgegengesetzte,  ursprü  ngiich, 
wie  es  scheint,    ebenso  ihm  fremde  Objektivität,   wie  es 


(.■ 


xeigt  in  der  AJbhandluog  über  ,ydie  drei  Grund  fr  agea 
der  gegenwärtigen  Philosophie"  (Zaitachrifl  für 
Philo«.  Bd.  I.>  H.  1-  S.  84.).  Ueberhaupt  ist  das  Gutachten 
desselben  über  Hegels  PUanoiDeuologie  mit  dem  hier  Ge- 
sagten ergänzend  zu  vergleichen. 

*)  Mit  dem  hier  Gesagten  ist  7iir  Erläuterung  zu  vergleichen  und 
wohl  zu  erwägen,  was  der  Verfasser  über  diesen  noth wendig 
sich  ergänzenden  regressiven  und  progressiven  Gang 
des  Systeme«  in  Bezug  auf  die  S  che  11  in g sehe  und  He- 
g e lache  Philosophie  in  seiner  Schrift:  über  die  Bedin* 
gungen  eine«  sp  e  Lu  la  tiven  T  he  is  mu  $,  in  allge- 
meinerer  Beziehung  aqf  das  System  selbst  ^  in  seiner  Einlei- 
tung zur  spekulativen  Theologie  ,  abgedruckt  in  der  Zeit- 
schrift fii  r  P  h  i  los  o  p  h  i  e  Bd.  IV.  H.  2.  S.  183  If  ge. 
sagt  hat. 


derselben.  805 

ihres   Wesens  sich   bemächtigen    könne.     Und  hiemiit 
allein  schliesst   sich  Hegel  in  dieser  Frage  richtig  an 
die  ihm  vorausgehende  speknlative  Ueberlieferung  an.    £» 
wurde   in  der  ganzen  Kan tischen  Epoche  zur  Hauptattf-' 
gäbe  der  theoretischen  Philosophie  gemacht,  zu  zei- 
gen, —  um  mich  des  Fichte  'sehen  Ausdrucks  zu  bedie* 
nen  — :    ,,wie  ein  Objektives  jemals   zu  einem 
Subjektiven,  ein  Sein  für  sich  zu  einem   vor-, 
gestellten  zu  werden   vermöge,  wie  es  mit  die- 
ser sonderbaren  Verwandlung  zugehe^  ? — oder  K  a  n  t  i  seh : 
wie    synthetische  Urtheile   a  priori  möglich 
seien?  —  oder  nach  der  altem  Locke  sehen  Fassung : 
was  der  Ursprung  der  allgemeinen  Wahrbei- 
len im  menschlichen  Geiste  sei*)?  —    kurz  die^ 
Lösung  des  Erkenntnisspr oblemes  war  wesentli- 
cher Inhalt  der  theoretischen  Philosophie  jener  Zeit 

Diesen  scheint   zunächst  nun   auch  Hegel    wirklich 
aufnehmen  und   fortsetzen   zu   wollen   in    dem   „ersten 
Theile^  seines  Systemes  der  Philosophie,  weniger  nach; 
den  Aeusserungen  der  Vorrede  zu  dem  angezeigten  Werke, 
deren  dahin  einschlagende  Erklähmgen  wir  schon  kennen 
gelernt  haben,  als  nach  denen  der  „Einleitung^  desselben 
(ß.  3—21.),   wo  er  ganz  mit  Kantischen  Betrachtungen 
anhebt,  dieselben  aber  im. weitern  Verlaufe  nur  darum  ver- 
wirft, weil    sie  selber  für  eine  Theorie  des  Erkennens 
auf  unbewiesenen  Maximen  und  Voraussetzungen  beruhen. 
Statt  dessen  kommt  es   nur  darauf  an,    die  Wahrheit 
des  Wissens  in  ihm  sellfst  zu  untersuchen,  bei  wel- 
chem der  B  egriff  und  der  Gegenstand,  derMaass- 
stab   und  das  daran  zu  Prüfende   nicht  aqseinander- 
zuhalten  sind ,  wie  Kant  überall  diess  thut ,   sondern  wo 
sie  in  einander  fallen.    Andern,  was  das  Wissen  In- 
fi erhalb   seiner   iur  das  Ansich   oder  das  Wahre  er- 
klärt, haben  wir  den  Maassstab,  es  selbst  in  seinen  einzel- 
nen Stufen  zu  messen,  ob  und  wie  es  in  jeder   derselben 


*)  Yergl,  oben  S.  31.  33. 


806  Aurgabe 

nen  Ansioh  oder  dem  BegriSb  seiner  entspricht  oder  nicbL 
Diese  sonst  ans  einander  fallenden  Momente  :  Begriff  und 
Gegenstand,  Ansichselbst-i-  und  Ffir  ein  anderes 
Sein  sind  hier,  im  Wissen,  vielmehr  in  einander;  „wir 
haben  daher  nicht  ndthig,  Maassstäbe  mitzubringen  md 
unsere  EinRUe  und  Gedanken  bei  der  Untersuchung  zu 
applioiren:  dadurch,  dass  wir  diese  weglassen, 
erreichen  wir  es,  die  Sache,  wie  sie  an  und 
für  sich  ist,  zu  betrachten^  C^.  16o« 

Hieraus  entsteht  nun  die  ,^dialek tische  Bewe- 
gung^ im  Wissen  selber,  indem  in  dieser  stufenweisea 
Erhebung  desselben,  um  sich  seinem  Begrifie  gleich  ,  ihm 
entsprechend,  zu  machen,  ebenso  sehr  das Bewu sslsein 
des  Gegenstandes ,  als  ()er  Gegenstand,  wie  endlich 
der  Maassstab  der  Wahrheit  geändert,  gesteigert 
wird.  In  dieser  Steigerung  aus  sich  selbst  fällt  daher  das 
jedesmalige  Resultat,  welches  sich  an  einem  nicht  wahr- 
haften Wissen  ergiebt ,  nicht  in  ein  leeres  Nichts  zankk 
Cwte  der  Skepticismus  es  erscheinen  lässt) ,  sondern  als 
Negation  desjenigen  ,  dessen  Resultat  es  ist,  entfafilt  es 
dadurch  gerade  die  in  ihm  bewahrte,  nur  noch  nickt 
'  in*s  Bewusstsein  entwickelte ,  mithin ,  gegen  dasselbe  ge* 
halten,  höhere  Wahrheit.  Dieses  Fortschreiten  des  Be- 
wusstseins  von  emem  Wissen  und  seinem  Gegenstande  mm 
andern,  insofern  ihm  der  neue,  wahre  Gegen- 
stand daraus  entspringt,  ist  nun  eigentlich  Er- 
fahrung zu  nennen,  und  hiermit  stellt  das  Gesammtre«* 
snltat  jenes  Fortschritts  dar  die  Wissenschaft  von  der  E  r^ 
fahrung  des  Bewuss^seins,  Diese  kann  jedoch 
ihrem  BegriSb  nach  nichts  weniger  in  sich  umfassen,  als 
„das  ganze  System^  des  Wissens ,  od^  „das  ganze  Reich 
der  Wahrheit  des  Geistes^,  so  dass  ,die  Bestimmungen 
desselben  hier  nicht  abstrakte,  reine  Momente  sein 
können^  (wie  die  Logik  sie  fasst  und  darstellt),  „sonders 
so  wie  sie  für  das  Bewusstsein  oder  als  Gestal- 
ten des  Bcwusstseins  sind^. 

Das   Ende   dieses   Fortschreitens   tritt  aber   an   dem 


derselben*  8C7 

Punkte  ein,  an  welchem  das  Wissen  seinen  Schein  ablegt, 
mil  Fremdaptigem,  welches  nur  für  es  und  als  ein  Anderes 
ist»  btehaftet  zu  sein ,  oder  wo  die  Erscheinung  dem  Wei- 
sen gleich  wird :  und  so ,  indem  das  Wissen  sein  Wesen 
erfasst,  ist  es  als  absolutes  Wissen  zu  bezeichnen 
CS.    16—21.). 

Diese  aus  sich  anfangende  und  durch  sich  fortschrei-* 
tende  Bewegung  des  Wissens  legt  nun  sogleich  Hand  an's 
Werk:  der  Anfang  in  sein  Unmittelbarstes,  welches 
eben  darum  nur  «aufgenommen^,   faktisch  anerkannt 
werden  kann,  wie  es  ist,  die  sinnliche  Gewissheit 
(S.  22.) :  das  Ziel,  in  dem  es  sein  Anderes,  und  den.  ver- 
meintlichen Gegensatz  einer  ihm  fremden  Objektiritat  «zu 
sich  selber  gemacht  hat%  ist  die  Wissenschaft,  das 
absolute  Wissen  (S.763.):  — zwei  rein  erkenntniss- 
theoretisohe  Momente ,   während    sich    dazwischen   man- 
cberl^  einschiebt,  dessen  Vorkommen  in  einer  Genesis 
der  Wissenschaft  schon  auf  den  ersten  Anblick  be- 
fremden muss.    Und  so  konnte  man  bei  dem  Anblicke  der 
Ausführung  zweifelhaft  werden,   ob  es  in  der  That  in 
Hegels  Phänomenologie  auf  jene  erkenntniss theo- 
retische Beweisführung  abgesehen  gewesen  sei? 

Und  der  Zweifel  bestätigt  sich  auch :  denn  es  ist  merk- 
würdig zu  sehen,  wie  Hegel  weder  den  ersten  Beweis, 
noch  den  zweiten,  sondern  etwas  Halbes  aus  beiden 
geliefert  hat,  nach  Unten  oder  im  Fundamente  nicht  genug 
gebend   und  den   rechten  Punkt  völlig  verfehlend,  nach 
Oben  zu  viel  und  völlig  Fremdartiges  hereinziehend.    Und 
der  leiste  Umstand  musste  aUein  schon  Hegeln  Veranlass 
sung  werden,  da  er  die  wichtigsten  Abschnitte  aus  der  Phi- 
losophie des  Geistes  hier  bereits  anticipirt  halte ,  späterhin 
das  ganze  Werk  fallen  zu  lassen.    Von  jenem  Verfehlen 
des  Eingangs  und  Fundamentes  dagegen  ist  Hegeln  selber 
^  nie  eine  klare  Einsicht  zu  Theil  geworden.    Er  begnügte 
sich j   die  Phänomenologie  als    „ersten  Theil    seines 
Systeme s^  überhaupt  nur  aufzugeben,  oder  bloss  als  hi- 
storische Hinleitung  zu  dem  schlechthin  „voraussctzungs- 


BOR  KriUk. 

losend  Anfange  des  Syslemes  in  der  Logik  g<etten  m  hs. 
sen :  —  in  der  EncyUopftdie  der  philosophischen  WisseiH 
schailen  wird  nämlich  von  dem  Inhalte  und  den  Resriti- 
ten  der  Phänomenologie,  als  Anfangswissenscbafl,  völlig 
Umgang  genommen  -^  ohne  dass  er  sich  za  deodichein 
^ewusstsein  gebracht  hätte ,  was  an  die  Stelle  des  prei^ 
gegebenen  »ersten  Thetles^  Besseres  Qder  Anderes  tretea 
müsse. 

Dtess  hat  schon  früher  dem  H egel  sehen  Systene 
von  uns  den  Vorwarf  der  Fundamentlosigkeil  zagraofes: 
^ir  werden  ihn  hier  bestätigen  müssen ,  and  zwar  uiter 
der  doppelten  Voraussetzung,  sowohl,  wenn  nadi  4« 
allem  Weise  die  Phänomenologie  als  der  erste  yorbegm- 
dende  Theü  des  Systemes  angenommen  wird ,  indem  sie 
eine  solche  Vorbegrändung  in  eigentücher  Bedeutung  keir 
nesweges  enthält,  "v^ec^er  in  realphilosophischem, 
^och  erkenntnisstheorettschem  Sinne  genoflMDee; 
•^  als  auch,  wenn  man,  nach  Hegels  eigener  späterer 
Ansicht  von  jeder  dergleichen  Vorbegrändung  absehend, 
ifvelche  eigentlich  nur  ein  Vorgriff  aus  der  Logii^ 
|(ei^),  in  der  Logik  ckn  setbsiständig  aus  sicli 
beginnenden,  Nichts  voraussetzenden  An&ii^ 
des  Systeu^es,  und  allenfaUs  nur  die  propädeutischen,  aus- 
serhalb des  Systems  fallenden  Erörterungen  über  die  ver- 
scl^iedenen  Brkenntnissstandpunkte ,  als  subjektive  Vorb^ 
rcilung,  zulasse. 

Aber  auch  die  letztere.Annahme  wird  aufgegeben  wer- 
den müssen ;  denn  der  Anfang  der  Logik ,  eben  damit  er 
dieser  Anfang  in  dieser  Bedeutung  sein  könne,  wird  so 
viel  unbewusst  bleibende ,  so  ungerechtfertigte  Vorausset- 
zungen verrathen,  der  ganze  Einschritt  wird  in  seiner  io- 
nern  Gewaltsamkeit  sich  so  bloss  legen ,  dass  es  nnr  be- 
darf ,    di^s  Mes  zum  Bewusstsein  zu  bringen ,  um  eine 


^)  £^cyklopällie  der  p  hil  os  (»  phi9cl\e  n  WiaseiiscM^" 
tes  3te  Aufl.  $.  23.  S.  Ja.  36. 


der  Phänomenologie,  809 

völlige  Umgestaltong  des  Systemes  von  Vorne  her,  unter 
jener^  wie  unter  dieser  VoraussetsEung,  für  nöthig,  und  ihff 
Bedjirfniss  für  erwiesen  bu  finden.  Beiderlei  Behauptungen 
siad  nun  in  der  folgenden  Kritik  näher  zu  begrfinden, 


.     In  Bezug  auf  das  Ton  Hegel  einiger  Maasaen  in's 

Dunkel  gestellte  Verhältniss  von  Phänomenologie  und  Ix>* 

gik  zuerst  haben   die   neuem  Apologeten  desselben  erin-» 

nert,  — ^  was  unmittelbar  auch  hier  ab  der  beste  Ausweg 

erscheinen  könnte ,  um  die  bezeichnete  Scbwiejigkejt  zu 

lösen,  -^  dass  man  eigendi<A  einen  doppelten  Anfang 

des  Systemes  anaiunehnen  habe,  den  von  der  Subjektivität 

des  Erkennenden,  und  den  objektiven,  von  dem  Principe 

der  Wahrheit  selbst    Diese  Bemerkung,  allgemein  betrach-* 

tet,  ist  so  wahr  und  wichtig,  dass  es,  unsers  Erachtons,  zu 

den  wesentlichsten  Einsichten  in   den  Begriff  des  Syste-« 

mes  der  Philosophie  gehört,  diesen  doppelten  Anfang,  den* 

subjektiven,  das  Realprincip  regressiv  erst  suchenden, 

und  den  objektiven ,  von  dem  gewonnenen  herabsteigen^ 

den ,  im  klaren  Begriffe  auseinander  zu  halten,  und  jedem 

der  beiden  sein  eigenthümliches  Recht  zu  thun  und  eine 

vollständige  Ausbildung  zu  Theil  werden  zu  hissen  *).  Und 

so  gehört   an  sich  selbst  diese  Unterscheidung,    falls  wir 

sie    bei  Hegel    annehmen    dürfen,    zu   seinen   grössten 

Verdiensten   um    die   Fonn    der  Philosophie.      Nur   wird 

sich  im  weitem  Verlaufp  ergeben ,   dass  ihni  nicht  gelun-« 


0  Vgl.  j,aber  dasYerhältnlst  der  Erkenntnlas  lehre 
zur  Metaphysik«' (Zeltfchrift  für  PhÜQs.  I.  H.  1« 
S.  130 — 33.)  und  Qber  den  doppelten  Anfang  des  Systemes, 
^nd  die  ganze  theüs  regressive,  t(ieiis  progressive  Doppeificli- 
tung  desselben:  „zur  spekulativen  Theologie,  er-r 
ster  Artikel«'  (Zeltschrift  etc.  Bd.  IV.  U.  %  S.  171 
177  ff.  182^193.). 


810 

gm  ist ,  den  rechten ,  scbarfbegrfliizten  Begriff  dieser  An- 
finge zu  treffen* 

Man  hat  von  jeher    die  Nothwendigkeit   empftmdeB, 
über  das  Erkennen,  dorch  welches  Philosophie  hervorge- 
bracht wird ,    irgend   vorläufige  Rechenschaft    abasulegen: 
man  hat  sich  seit  Kant  und  Fichte   bestimmter  gesigt, 
dass ,  wie   der  B  e  g  r  i  f  f  der  Philosophie  nur  durch  sie 
selber ,   durch  wirlüiches  Philosophiren ,  gefunden  werden 
könne ,  so  auch  das    geistige  Organ  und  Ange  fOr  ibe 
Welt  nur  von  ihr  asu  erxeugen  sei.     Das  natürliche,  vh 
mittelbare  Bewusstsein  und  Denken   ist  nicht  spekobtifer 
Art:    die  Philosophie  muss  also   zuerst  das  Denken  zu 
aich  selbejr  erziehen ,  aus  dem  unmittelbaren  BewosstseiB 
das    spekulative   Denken  entstehen   lassen.    Die  (redüe) 
Einleitung  der  Philosophie  in  sich  selbst  ist  abo  nor 
die  Genesis  und  die  VerwiiUichung  des  spekulativen, 
absoluten  Wissens.    Eine  sdche  zu  geben,  hat  He- 
gel   offenbar   beabsichtigt   durch   seine  Phänomenologie, 
ausdrücklich*  dabei    zurückweisend   die  Kantischen  Be- 
denklichkeiten von  einem  erst  zu  suchenden  „Maassstabe't 
um  das  Verhaltniss  des  Bewusstseins  zum  Gegenstande,  des 
Wissens  zu  seiner  Wahrheit,  vorlaufig  festzustellen.    lisst 
man   nur  das  Wissen  nach  seiner  eigenen    innem  Koib- 
«  wendigkeit  sich  entwickeln,  darin  den  Gegenstand  mit  sidi 
fortnehmen,  und  so  ihn  selbst  in  seine  Wahriicit  sich  ver- 
wandeln :  so  ist  das  Gesuchte  geschehen ;  das  Wissen  hat 
sich  zur  absoluten  Gewissheit   —  welche  eben  damit  ^ 
Wahrheit  des  Gegenstandes  ist,  —  hinaurgelautert.  Dario 
hat  Hegel  zugleich  jedoch  vöUig  übersprungen  und  be- 
seitigt —  und  zwar  in  nicht  minderem  Grade,  als  So  bel- 
li n  g,  —  was  der  eigentliche  Kern  und  Grundgedanke  der 
Kan tischen  Vemunftkritik  war:  dass  namKch  das  Eiied- 
nen,  als  Thatsache,  wie  als  Begriff,  ein  Problem 
in  sich  trägt,  welches  zu  allererst  gelöst  werden  müsse, 
ehe  auch  nur  über  Realisirbarheit  der  Philosophie  entschie- 
den werden  könne.    Erst  ist   über  eine  weil  tiefer  grei- 
fende Frage,  über  das  Wesen  des   philosophisckeD, 


der  PhSnomenoIode.  811 


o 


wie  a  1 1  e  s  Efkennetis,  zu  entscheiden,  ehe  man  mit  solchen 
phänomenologischen  Yersicherangen  die  Sache  afezuschlie»* 
sen   das  Recht  erhält*     Wie  vermag  das  Erkennen,    ab 
meine  subjektive  Thätigkeit,  das  ihm  gegenäberstehende,' 
Objektive  aufzufassen  und  zum  Bewusstsein  zu  bringen,  ge<» 
rade  also,  wie  es  an  sich  ist,  —  Wissen  von  ihm  zu  wer« 
den  nach  seiner  objektiven  Beschaffenheit,  nicht  nach» 
seinem  etwanigen   Scheine?    Wissen,    Erkennen 
heisst  freilich  nur :  das  innere  Wesen  des  Gewussten  einw 
seben;  aber    der  Begriff  des  Wissens  allein   kann  nicht 
seine  Realität  sichern.    Femer  beruht  auf  der  stiFlschwei-^ 
genden  Voraussetzung,  dass  mein  Bewusstsein  vom  Gegen^ 
Stande   schlechthin  flbereinstinMiie   mit    dem   Gegenstande 
selber,   „Subjekt^  mit  dem  „Objekt^    zusammenfaHe^ 
alles  nioh^hilosophische,  wie  philosophische  Wissen ;   und 
diese  UebereinsUmmung  bewusstlos  eben  nur  vorauszuset- 
zen ,    ungeprüft  dahinzunehmen ,  ist   von  dieser  Seite  der 
Charakter  des  unphilosopbischen  Wissens,  so  wie  das  ihm 
zugestandene  Vorrecht ,  bei  dieser  voraussetzenden  Weise 
stehen  zu  bleiben.    Kein  anderes  Wissen  oder  Wissenschaft 
trifft  die  Anforderung,  sieh  methodologisch  zu  begründen, 
die  Philosophie  allein  hat  die  Aufgabe  ,    ihre  eigene  Mög-* 
lichheit  zu   erklären ;    aber  in    dieser  besondem  Aufgabe 
liegt  auch  die  allgemeine:    die  Möglichkeit  alles  Erken-^ 
nens  aufzuklären,  die  Frage  zu  lösen,  wie  Subjektives  und 
Objektives  überhaupt  zusammenhangen,  „wie  es  mit  dieser 
sonderbaren  Verwandlung  des  Kinen  in  das  An- 
dere zugehe^? 

Diess  ist  der  wahre  Sinn  von  Kants  Frage  nach  dem 
„Haassstabe^,  nach  dem  Kriterium  dessen,  was  schlecht- 
hin Subjekt  -  obj  ektiv,  allgemeingültig  sei, 
wodurch  synthetische  Urtheile  apriori  von  den 
Brkenntnissobjekten  möglich  werden?  Aus  demselben 
Grunde  erklärte  Fichte  ,  Philosophie  könne  nicht  bloss 
absolute  Wissenschaft,  sondern  sie  müsse  Wissen-* 
Schaftslehre  sein,  den  höchsten  Grund  und  die  Me-^ 
thode  schlechthin  für  alles  Wissen  aufdecken. 


812  Kritik 

Wie  verhfift  sich  min  He  fei  «n  dieser  Aufgabe?  Nif 
fortgesetztem  Spotte  gegen  Kant,  welcher  ^dem  bekami- 
ten  Scholastikus  gleiche ,  der  nicht  eher  das  Wasser  be- 
rühren, denken  woII|e,  als  bis  er  schwiniinen  gelernt,  sds 
Denken  untersucht  habe^,  aber  auch  nicht  ohne  ironischen 
Ruekblick  auf  Schelling,  dessen  Philosophie  „nrit  an- 
dern Standpunkten  dadurch  schon  fertig  ist,  dass  sie  keine 
Notiz  von  ihnen  zu  nehmen  erklärf'  *}:  —  hat  er  sdhst 
doch  die  ganze  Fragestellung  und  Untersuchung  bei  Kant 
—  (abgesehen  von  dem  Resultate ,  in  dem  sie  Kant  ab* 
sohloss  und  dessen  unwillkühriiche  Fehler  wir  belencbtel 
haben)  -^  nur  wieder  um  ihre  Schärfe  oder  Eigenäichkeit 
gebracht,  und  in  die  alte  nebulose  Unbestimmtheit  svrück. 
geschoben. 

Statt  jener  durchgreifenden  Gränzberichtigung  über 
das  Allgemeingültige  von  „Wissen^  und  ,,Gegenstand<',  anf 
welche  Kant  ausging,  lässt  Hegel  in  der  Phänomenolo<* 
gie  den  „Gegenstand^  selbst  schon  in's  Wissen  faHeo, 
fasst  ihn  daher  gleich  vom  Beginne  an  nur 
in  seinem  subjektiven  Momente,  und  indem  er 
nun,  „in  der  dialektischen  Bewegung^  beider,  das  Wissen 
am  Gegenstande ,  den  Gegenstand  am  Wissen ,  in  immer 
höhere ,  wahrere  Gestalten  ihrer  selbst  und  ihres  Verhält- 
nisses zu  einander  sich  verwandeln  lässt,  kann  er  auch  in 
diesem  Fortgange,  —  wie  sehr  er  auch  versichere, 
dass  die  Gewissheit  die  Wahrheit  des  Gegen- 
Standes  selber  sei^  -»-  über  das  Gebiet  des  bloss 
Subjektiven  niemals  hinauskommen;  —  der 
„Begrifi^  überschreitet  hier  nirgends  den  eigenen  Umkreis;, 
denn  er  setzt  nur  die  hohem  Formen  seiner  Subjekti- 
vität mit  den  niedem  in  Yergieiohung.  Da  jedoch  He- 
gel von  dieser  innem  Beschaffenheit  der  Sache  Nidits 
liierkt  oder  sich  merken  lässt  (was  eben  der  hartnäckige 
„dogmatische  Schlummer«^  ist,  welchen  Kant  f9r 
immer  verbannt  za  haben  behauptete) ;   so  ist  der  eigenl- 


')  Phänomenologie,  Vorrede  S.  XXXIL  XXXIII. 


der  Phänomenologie*  813 

llcfae  Sinn  der  K  a  n  t  i  sehen  Entdeckung  hier  ebenso  preis-* 
gegeben^  als,  bei  der  Meinung,   über  ihre  Beschränktheit 
weil  hinausgegangen  zu  sein,  und  ihrer  nicht  zu  bedürfen, 
ihr  Fortschritt  auch  für  die  Wissenschaft  im  Ganzen  verlo- 
ren geht.    Zwar  legt  Hegel  jener  dialektischen  Bewegung 
sogleich  die  subj  ekt*ob  j  ektiye  Bedeutung  unter, 
-^  aber  nicht  weniger  ohne  vollständige  Begründung  und 
nur  voraussetzungsweise,    als  es  von  Schelling 
in  seinem  Systeme  geschieht ,  welcher  sich  dessen  jedoch 
bewusst  war,  während  man  hier  das  Heilmittel   gefunden 
KU  haben  meinte ,  den  Subjektivismus  theoretisch  zu  über- 
winden.   Wie  diess  bestimmter   zu  verstehen  ist ,   hat  die 
genauere  Charakteristik  der  Phänomenologie  zu  zeigen  *)• 
Hegel   hat  bei  der  ganzen  Behandlung  dieses  ?to^ 
blems  auf  Fehlem  seiner  Vorgänger  förtgebaut,  und  ihnen 
noch  einen  neuen,  im  Zusammenhange  der  vorigen  liegen--? 
den,  hinzugefügt ;  daraus  ist  der  Entwurf  seiner  Phänome- 
nologie entstanden  **).     Kant  hatte   das  Problem  zuerst 


♦)  Diesen  Zirkel  und  die  y^petitio  prineipii**,  wodurch  He- 
gel in  jenem  Werke  ,^da$  Bewusstsein  nur  mit  sich 
selbst  vergleich t*%  und  durch  diese  idealistische  Wen« 
düng  den  ganzen  Verlauf  der  Phänomenologie  im  Voraus  be- 
stimmt ,  hat  K.  f h.  Fischer  in  seiner  „W issenschafi 
der  Metaphysik"  (S.  11  tf.  397  ff.),  wie  uns  dankt,  voll- 
kommen  evident  nachgewiesen.  J.  Seh  a  1 1  e  r  (die  P  h  i- 
losophie  u  nserer  Zeit  1837.  S.  100  ff.)  hat  redlich, 
gründlich  und  ausführlich  eine  Rechtfertigung  Hcgelä  da- 
gegen versucht«  Wir  lassen- dahingestellt,  ob  er  mich  nur 
sich  selbst  dadurch  völlig  zufrieden  gestellt  habe ,  woran  wir 
fast  zweifeln  möchten  ,  indem  er  mit  der  achtun^swerthesten 
Offenheit  die  ßedenkiichkeitea  und  Schwierigkeiten  nicht  ver- 
hehlt,  welche  der  Gegenstand  noch  immer  für  ihn  habe. 
Warum  uns  selber  seine  Rechtfertigung  Hegels  nicht  genüge, 
warum  sie  uns  den  rechten  Punkt  gar  nicht  zu  treffen  scheine, 
das  könnte  ihm  die  nachfolgende  Untersuchung  zeigen. 

**)  Bei  dem    folgenden  Abschnitte    müssen    wir   zugleich    auf  die 
Abhandlung    „über    dasprincip    der    pbilosopiii- 


814  ^  Kritik 

wieder  hervorgerufen,  und  es  in  schärfsfer  und  Hchtigsler 
Fassung  aulgüslellt ;  auch  hat  er  die  einzig  rechte  Aiil«> 
wort  darauf  gefunden ;  aber  ebenso  ist  er  der  Vater  des 
ersten  folgenreichsten  Fehlers  geworden  i  warum  ihm  nam« 
lieh  der  Begritf  des  Nothwendigen  und  AilgemeinguUigen 
(Apriorischen)  zu  einem  zugleich  nur  Subjektiven 
mnschlug,  wie  diese  Vertauschung  und  Verwechselung  bei» 
der  Begriffe  sich  halb  unwiUkührlich  ihm  unterschob,  dai^ 
iber  dürfen  wir  uns  auf  das  früher  Nachgewiesene  besie- 
liea  iS.  180  iL). 

Wie  sind  synthetische  Urtheile  apfioti 
mdglich  ?  d«  h.  wie  vermag  das  Erkennen  '45chlechthin  jen«» 
seits  aller  Erfahrung  das  Wesen ^  -^  das  Nothwendige 
und  Bleibende  —  der  Dinge  in  sein  Bewusstscin  zu  erhe^» 
ben?  Diess  ist  nur  insofern  möglich ,  als  ein  Gemein^ 
schaftliches  entdeckt  wird,  das  ebenso  in  allem  Seien- 
den, wie  in  allem  zu  Denkenden ,  schlechthin  npthwendig 
und  allgemeingültig  ist,  wovon  durchaus  nicht  abstrahirt 
werden  kann  in  jenem,  wie  in  diesem.  Dicss  ist  das  neu- 
trale Gebiet  für  beide  Sphären,  das  Subjektive  und 
das  Objektive,  der  gemeinsame  Boden,  worauf  sie  sich 
durchdringen,  und  wo  es  für  den  Inhalt  der  Sache  durch- 
aus gleichgültig  ist,  —  (wo  der  Gegensatz  zur  Indifferenz 
herabgesetzt  ist),  —  ob  er  in  die  Vorstellung  oder  in 
dieWirklichkeit  gesetzt  wird:  denn  beide  stehen  hier 
noch  in  absoluter  Uebereinstimmung  und  Inhaltsgleichheit. 

Diess  schlechtliin  Aligemeingüitige  ,  falls  ein  Solches 
gefunden  wird,  kann  im  Erkennen  nicht  bloss  aus  Er- 
iahruug  stammen,  es  geht  aller  Erfahrung  vorher ;  ebenso 
tet  es  im  Sei  enden  nichts  Zurälliges,  oder  nur  einzelner 
Weise,  sondern  ursprünglich  und  allumfassend;  in  Bezug 
auf  jenes  hat  man  es  mit  einem  freilich  nur  sinnlichen, 
aber  naiv  prägnanten  Ausdrucke,  als  die  „angeborenen 


sehen  Methode"  verweisen  (Zeitschrift  für*  Phil. 
Bd.  V.  H.  1.  S.  38  if),  und  über  Hegels  Phänomenologie 
daselbst  S.  60->63. 


der  Phänomenologie.  815 

Ideen«  desselben ,  für  dieses  als  seine  alfgfeiaetnen  Ge« 
setze,  ^Principien^  bezeichnet.  Schon  LeiJjnitz  kannte 
sie,  als  den  eigentlichen  Sitz  der  Metaphysik,  ebenscKals 
den  Grund  aller  Vernunfterkenn tniss  :  aber  es  waren  ihn 
nur  die  ^ewigen  Wahrheiten^*  der  Vernunft,  <&e 
Kalegorieen  des  Denkens ,  im  Gegensatze  mit  dem  sinnit«* 
eben  Erkennen. 

Hier  ist  es  nun  das  Eigentliche  und  Grosse  vonKantft 
Entdeckung,  wie  wir  gesehen,  das  Gebiet  dieses  VemunfU 
nothwendigen  oder  Allgemeingültigen  bis  in  das  Sinnliche 
hinab  ausgedehnt  zu  haben.  Das  Wort  Kants,  —  der 
^össte  spekulative  Fortschritt  am  Ende  des-  achtzehnten 
Jahrhunderts :  —  auch  Raum  und  Zeit  sind  ein  Apriori- 
scbes;  esgiebtein  sinnliches^prtor«, —  begründete, 
als  Basis  einer  neuen  spekulativen  Bildungsepoche ,  den 
objektiven  Idealismus:  —  denn  dass  Raum  und  Zeil, 
nachdem  ihr  schlechthin  „apriorischer^*  Charakter  erwie-« 
sen  war;  nur  durch  jenen  das  Apriorische  subjektivireitden 
Irrthum  bei  K  a  n  t  zu  etwas  bloss  Subjektivem  herabge^ 
setzt  worden ,  können  wir  nach  unsern  frühem  Nachwei- 
sungen, als  eine  unwesentliche,  eigentlich  nur  wider  Willen 
in  das  K  an  tische  Resultat  hineingerathene  KonsequenZ| 
völlig  in  Abzug  bringen  von  demselben. 

Aber  eben  so  war  dadurch  der  Theorie  des  Erkennens 
nnd  dem  Probleme,  wie  Subjektives  und  Objektives  im  Er^ 
kenntnissakte  übereinzustimmen  könne ,  eine  neue  Grund-» 
läge  gegeben.  Kant  legt  in  seiner  Streitschrift  gegen 
Eberhard  mit  Recht  den  stärksten  Nachdruck  auf  die-* 
sen  Unterschied  seiner  Ansicht  von  der  Leibnitzi  sehen; 
er  habe  allein  dadurch  die  Möglichkeit  einer  streng  aprio^ 
rischen Wissenschaft  im  Gebiete  der  Anschauung,  wie 
die  Geometrie  ist",  erklärt.  Aber  es  war  noch  mehr  da- 
durch geschehen :  im BegriiTe  eines  sinnlichen  iipriori 
oder  der  sinnlichen  Kategorieen  war  erst  die  Idee  einer  Na<- 
turphilosophie  möglich,  so  wie  auch  in  ihm  die  rechte  Wurzel 
und  der  Ursprung  der  Uebereinstimmung  von  Subjektivem 
und  Objektivem  gefunden  wird ,   zu    deren   ausreichender 


816  Kritik 

Erklänttig  ^^^  ^^^  ^^  ^^'^  sarückgreifcn  mtiss.    6cn  fo- 
griff  des  Empfindens,   und  damit    des  nnmittelbiirstet 
Znsaromen'-  und  Binsseins  von  Subjektivem  und  Objektivea 
in  finden^  ist  Sache  der  Naturphilosophie :  ihr  höchstes  Zid 
ist  die  Genesis  desselben «   die  Aufweisung ,  wie  das  Sf^ 
stem  der  Naturqualitaten  iili  Systeme   der  Sinne   som 
Subjekti.ven,  Empfundenen  wird«    Die  Naturphilo- 
sophie und  Physiologie  unserer  Zeit  ist  in  der  That  büs  n 
dem  Satze  gelangt :    dass  die  Sinne  in  ihrer  geg-enseitigen 
Ergänzung  das  Innerlich-  (Subjektiv-) Werden 
der  Attssenwelt,  oder,  mit  ebenso  ursprüngliche  Wahr- 
heit;  umgekehrt  die  Naturqualitaten  ein  Aeusserlichwerden 
der  Sinne,  das  sinnliche  Universum  überhaupt  das   Objek-» 
tivgewordensein  der  Vernunft,  des  Geistes,  der  seine  unmit- 
telbarste Gegenwart  im  Baume  hat,    darstellt     So    ist  im 
Empfiitden  die  unmittelbarste  Einheit  des  Subjektivea 
und  Objektiven  nicht  tiur  behauptet,  oder  postulirt,  sondern 
durch  die  universale  Konsequenz,  welche  auf  der  entdeck- 
ten „Aprioritat^^    des  Raumes  beruht,    erwiesen.     Im  Em- 
pfinden sind  beide  Momente  noch  völlig  ungelrennt,  gleich- 
gewichtig; es  ist  ebenso  gut  subjektiv,  wie  objektiv,  s  inn^ 
lich-na türlich,  wie  in  ihm  doch  schon  der  bis  dahin 
herabreichende  Geist  gegenwärtig  ist.    In  dieser  ursprüng- 
lichen Wechseldurchdringung   des  Subjektiven  und  Objek- 
tiven ,  welche ,  da  sie  von  hieraus  gesichert  ist ,  auf  den 
folgenden  Erkenntnissstufen  nie  aufgehoben  wird,  liegt  nun 
die   wahre  Widerlegung   des    subjektiven   Idealismus 
durch   vollständige  Ausführung    seines    eigenen    Prindpsi 
durch  die  Nachweisung  der  Universalität  des  Ideellen  nach 
seiner    erkenntnisstheoretischen   Seite,    wie   auf 
realphilosophische    Weise     diese    Durchführung 
Sehe  Hing  in  seinem  objektiven  Idealismus  vollzogen  hat, 
wo  er  recht  wohl  sich  bewusst  war,  wie  als  mittelbare  Folge 
dieser  ganzen  Grundansicfat   auch  die  Realität  des  Erken- 
nens  gesichert  sei,  für  welche  jedoch  von  diesem  Principe 
aus  den  ausdrücklichen  Beweis  zu  führen,  nicht  umgangen 
werden  kann.    So    muss  die   Theorie    des  Erkennens   iits 


der  PhSnomonologie.  817 

Eum  Empfinden  »irückgehen,  keineswegs«  aber  In  der  Form 
der  Phänomenologie,  als  „sinnliohe  Gewissheit^ 
wie  sich  sofort  ergeben  wird. 

Indess  hat  es  sich  nun  einmal  also  begeben^  dass  der 

richtige  Einschritt  in  den  Idealismus  bei  Kant  cum  bloss 

Subjektiven  umschlägt   und  so  minsste  auch  das  Pro« 

blem  des  Brkennens   bei    ihm  und  seinem  Nachfolger  eine 

veränderte  Bedeutung  erhalten»   Der  Grund  der  Einheit  von 

Subjektivem  und  Objektivem  konnte  jetzt  nur  auf  eine  for<* 

melle,  selbst  eugleich  bloss  subjektive  Basis  gestützt  werden^ 

Yiicht  mehr  auf  die  universale  Wahrheit,  dasa  der  Geist  in 

der  Natur  nur  sich  selbst  anschaue  und  so  ^  ans  der  Mitit 

derselben  sich  erhebend,  und  im  durchgreifendsten  Zusam* 

menhange  mit  ihr,   in  allen  auf  sie  sich  beziehenden  Eiw 

kenntnissakten  nur  ihr  erkennendes  Bewusstsein  sei. 

Fichte  drückt  die  Frage  nach  der  Einheit  des  Sab« 
jektiven  und  Objektiven  so  aus:  „Wie  ein  Objektives  m 
einem  Subjektiven,  ein  Sein  für  sich  zo  einen  Vorgestellten 
werden  könne,  wird  nie  Jemand  erklären,  welcher 
nicht  einen  Punkt  findet,  in  welchem  dasOlH 
j  ektive  und  Subjektive  überhaupt  nicht  ge- 
schieden, sondern  völlig  Eins  sind^.  —  Ganz 
recht;  nur  aus  dem  ursprünglichsten  Zusammen fallea 
beider,  dergleichen  wir  in  der  subjekt^objektiven  Unmit-* 
telbarkeit  des  Empfmdens  nachweisen,  lässt  sich  auch 
herleiten ,  wie  beide  in  den  Momenten  der  Trennung  doch 
in  Uebereinst  immung  bleiben. 

Aber  er  fährt  also  fort :  ,3inen  solchen  Punkt  stellt 
unser  System  auf  und  geht  von  ihm  aus;  es  ist  das  Ich. 
Diese  absolute  Identität  des  Subjektiven  und  Objektiven 
lässt  sich  nur  schliessen,  nicht  etwa  als  Thatsache  des  wirk- 
lichen Bewusstseins  nachweisen;  denn  wie  ein  wirkliches 
Bewusstsein  entsteht,  erfolgt  die  Trennung^  der  Glieder,  die 
aber  zugleich  im  Akte  des  Brkennens  sich  in  Uebereinstim- 
mung  setzen.  „Auf  den  mancherlei  Ansichten  die- 
serT.rennung  des  Subjekt!  ven  und  Objektiven 
und  hinwiiederum  ihrer  Vereinigung  ,  beruht 

62 


818  Kritik 

der  g»n.se-Me9<iaavsinu!S  des  Bewussiscins«*). 
Fichle.*s  Tk^Dm  'entstand  dur^h  ein«  Deduktion  aus 
dem  Satze,  welchen  Kant  aufsteigend  als  die  ^Einheit  der 
Afperception^  ^eibndeo  hatte:  ^das  Ich  denke  muss  alle 
meine.  Vorstellungen  begieite^n  kdaaen^.  Nur  im  Ich  nod 
^nreh  das  lohkem^nt  Uebereinstimmung  in  die  Vor^ 
Stellungen  des  Bewusstseins.  Darüber  hinaus,  sagt 
Fichte,  kann  eine  rechtliche  Deduktion  nicht  einmal  ge- 
hen wollen. 

Zunächst  ist  die  wesentliche  Gleichheit  dieses  Inhaltes 
der  Transsöeadentalphllosopfaie  nach  Kant  und  Fichte 
«üt  der  Aufgabe  y  welche  Hegel  seiner  Phänomenologie 
4es  Geistes  setzt,  nicht  zu  verkennen.  Was  hier  der  er- 
scheinende Gegensatz  von  Bewusstsein  und  Gegenstand  ge- 
nannt wird,  welcher  stets  sich  aufhebt,  indem  mit  der 
Steigerung  des  Wissens  auch  der  Gegenstand  ^n  anderer, 
ihm  angemessener  wird,  das  sind  dort  die  mancherlei  An- 
sichten von  der  Trennung  des  Subjektiven  und  Objektiven, 
in  denen  doch  zugleich  die  Einheit  beider  nachgewiesen 
wird.  Aber  hiei'  und  dort  ist  es  nur  die  subjektive, 
i  n  das  Bewusstsein  fallende,  Einheit  von  Subjekt  und  Ob- 
jekt, die  Vergleichung  des  Wissens  nur  mit  sich  selbst 
und  innerhalb  seiner  selbst»  An  die  Stelle  der  (als 
schlechthin  unbeweisbar  aufgegebenen)  Uebereinstim- 
mung einer  Welt  des  Subjektiven  und  des  Objektiven  — 
des  Geistes  mit  den  Dingen  an  sich  -*-  denn  „Realität  entsteht 
dem  Wissen  nur  durch  Neigung****)  —  trat  furFichte 
die  Identität  von  Subjekt  und  Objekt  i  m  Wi  ssenselbst; 
es  war  die  formelle  Einheit  des  Ich.  .  Diese  nnvenneidücbe 
Felge  der  K  a  n  t  i  sehen  falschen  Wendung  in  einen  sub- 
jektiven Idealismus  ist  det  zweite  Fehler,  welcher  sich 
jenem  ersten  hinznsummirte,  und  wodurch  das  ganze  Pro- 
blem des  Erkennens  einen  verschieden  Ausdruck  erhielt 
Indem  der  Grund  der  Uebereinstimmong  des  Subjektiven 


*•)  t'ichte'»  System  der  Sittenlehre   1798.  S.  f.  II. 
♦^  t1<ihte'»  Leli«ii  und  Briefweehtel  Thl.II.  S.  308. 


der  Phänomenologie.  819 

joaid  Objektiven  in  dem  Ich,  an  dieser  falschen  SteUe,  geirucht 
wurde^  war  der  Sinn  dessen  9  was  man  suchte  ^  selbst  ein 
anderer  geworden :  es  sollte  nur  erklärt  werden ,  wie  das 
.Wissen )  sein  Salyekt^Objektives ,  mit  sich  übereinslitn«* 
me ,  qnd  in  all  dieser  EntgegensetSEmig  tlie  Einheit  des 
Be|vi)sstse|ns  bewahren  könne:  von  einer  Uebereinstimmung 
des  Wissens  mit  einem  ^iDinge  an  sich^  Mrar  nicht  mehr 
die  Rjede;  dieser  ganle  Begriff  und  seine  Ai%abe^  als 
sinnlose .,  in  sich  selbst  sich  aufhebende>  waren  völlig  ab'» 
handpn  gekommen. 

So  übernahm  Schelling  den  Idealismus  und  sein 
Princip:  wir  haben  gesehen ,  wie  er  das  Selbstsetzen  des 
Ich  realistisch  ausdeutete  und  zum  Principe  eines  objekti» 
yen  Idealismus  erweiterte.  Das  von  Kant  und  Ftchtd 
überkommene  Erkenntnissproblem  wurde  da|}ei  zunächst 
übersprungen  ^  oder  vielmehr  nach  Vorwärts  an  das  Ende 
des  Systemes,  als  sein  letztes  Resultat,  hinausgeschoben; 
denn  nach  seinen  frühesten  Erklärungen  hatte  es  Schel-* 
ling  ursprunglich  auf  eine  objektive  Erklärung  des  Idea- 
lismus durch  eine  grundveränderte  Ansicht  von  der  Natur 
abgesehen,  welche  von  der  (subjektiven)  Vernunft  darum 
prkannt  zu  werden  vermag,  Weil  diese  in  ihr  nur  sich  selbst, 
ia|uf  einer  niedem  (noch  objektiven)  Potenz  festgehalten, 
erkennt.  Und  ohne  alle  Frage  hat  Schelling  das  ein- 
zig rechte  Princip  gefunden,  aus  welchem  auch  das  Pro- 
blem des  Erkennens  zuerst  seine  erschöpfende  Lösung  fin- 
den kann:  auch  ist  der  wahre  Sinn  desselben  wiederher- 
gestellt:  es  ist  wieder  von  Uebereinstimmung  des  Geistes 
mit  der  Natur,  nicht  bloss  von  Uebereinstimmung  der  Vor- 
stellungen des  Bewusstseins  unter  einander^  die  Rede.  Den- 
noch, ist  es  bei  Schelling  eben  nur  Princip,  Unausge- 
fi^irtes ,  geblieben. 

Bei  dieser  Lage  der  Dinge  griff  Hegel  in  die  Ver- 
handlung ein :  er  hatte  das  Princip  eben  auszuführen ,  und 
wollte  OS; durch  seine  Phänomenologie  in  der  ausdrücklichen 
Weise,,  (Jass  er  das  unvermittelt  —  „wie  aus  der  Pistole* 
—  dtie  Einheit  des  Subjektiven   und  Objektiven  vorausset- 


820  Kritik 

sende  absolute  Wissen  zam  Rcsnilate,  znih  Erwiesenes  n 
ftiftchen  halte.  Hier  blieb  nur  das  DoppHle  übrig:  ruerst 
w  der  Anfangfsfrage,  gerade  wie  sie  von  Käut  ge- 
stellt war,  zurückzukehren,  sodann  in  dem  Schellinsr- 
Schert  Principe  das  Mittel  ihrer  vollständigen  Lösung  ru  er- 
kennen, und  dasselbe  ebenso  für  den  rein  gehauenen  Be- 
reich der  E Aennlnisstheorie  auszuführen ,  als  den  roA^- 
gründenden  „ersten  Theil  der  Wissen  schafl-, 
wie  es  in  ihren  folgenden  Theilen  für  den  Bereich  dff 
Natur  und  des  concreten  Geistes  durchzuführen  gewesen 
wäre. 

Statt  dessen  hat  Hegel  Keines  von  beiden,  und  fiir 
jedes  derselben  nur  einen  halben  Schritt  gethan :  über  je- 
nes subjektiv-idealistische  Princip,  das  Wissen  nur  in  sei- 
ner Uebercinstimmung  mit  sich  Selbstbinder 
subjektiven  Identität,  zu  fassen  und  gelten  lassen  za 
wollen,  ist  er,  wie  wir  bewiesen  haben  ,  der  Sache  nach 
nirgends  hinausgekommen :  die  Widerlegung  desselben  hätte 
an  den  A  n  f  a  n  g  fallen,  und  im  Forlgange  sich  durchfuhren 
müssen.  So  ist  er  hier,  dem  Principe  nach,  Fichtitner 
geblieben.  Aber  er  gestattet  sich,  gleich  Anfangs  demsel- 
ben die  Bedeutung  unterzulegen,  welche  es  bei  Schcl- 
ling  hat,  die  er  ja  aber,  Schelling  verbessernd  und  das 
an  ihm  Getadelte  berichtigend,  erst  zu  begründen  gedachte. 
Es  ist  eine  falsche  Voraussetzung,  sagt  er  gegen  Kant, 
dass  es  einen  Maassstab  über  das  Wissen  hinaus  gebe, 
durch  welchen  man  seine  Uebereinstimmung  mit  dem  „Ge- 
genstände^ auf  die  Probe  bringen  könnte:  die  Ueberein- 
stimmung des. Wissens  mit  sich  selbst,  seine  Erhebung 
in  die  (ihm  homogene)  Wahrheit,  den  Begriff,  isl  aoch 
die  Wahrheit  (das  objektive  Wesen)  des  (Segefistan- 
des.  Diess  ist  dem  Principe  nach  ganz  nur  Fi ch tisch; 
aber  in  dem  Sinne,  welchen  Hegel  ihm  von  den  Schel- 
I  i  ng sehen  Prämissen  aus  unterlegt,  soll  es  das  Höhere  ge- 
gen Kant ,  wie  Fichte,  das  Beide  Wideriegende  sein. 
Diess  ist  die  peiitio  principiiy  welche  wir  vom  An- 
fange her  durchblicken  sahen,  und  die,  einer  subjektiv  idea- 


der  Phäaomenologie.  821 

lifitischett  FWosophie  gegenüber,  gegen  welche  sie  gerieb- 
tel  war, ^faßt  noch  etwas  Schlimmeres  wird  ,  nämlich  ein 
Rucklf  U  ün  die  blinden  Voraussetzungen  ^ifies  Dogmatifsrous. 
Wir  ,M^npe^  mit  jener  erkenntnisslbeoretischen  Maxime 
(v^-v^  :B05— 7.)  wejclie  ohne  Weiteres  als  das  Höhere 
gegefi  ÜAHt  ,^ich  ankündigt  und  der  Phänomenologie  vor«» 
sHis^etot,  ^dass  in  der  Erhebung  desWissen^i 
zujn. begriffe  die  Sache,  wie  sie  an  und  füpr 
iiick  isi^t  .iQiten(haIten  ^ei  und  darin  erkannt 
^erde,  — .  jdem  Xvruadaxi^oie  aucl^,  des  übrigen  He- 
g^elsjßhen  SysteiQeg,  «**-  in  diesem  Zusammenhange  noch 
Didils  Anderes,  und  fester  Begründetes  erblicken ,  als  das 
seit  C  a  r  t ,e  s  i  ;q  s  oder  W  p  i  f  f  eingeführte  Axiom  der  dog<- 
niifttis^ei^t  ^phulen :  der  klar  gedachte  Begriff  ist 
das  We^en  der  Sache. 

Zij  ißm  Allen  kommt  nun  noch  der  weitere,  anstössigo 
Ueberijuss  der  Phänomenologie,  den  wir  freilich  auch  jiicht 
für  einen  zufälligen  erklären  können  ,  sondern  darin  einen 
Draog  der  Nothwendigkeit  anzuerkennen  haben ,  um  das 
im  Priacip.  Mangelnde  durch  die  Grösse  und  Intensität  4^r 
Leialuqg  aqszugleichen.  Es  ist  die  stete  Vermischung  und 
das  I^einanderlaufenlassen  des  bloss  Erkenntnisstheoreti- 
üi^hen^  was  hier  allein  zur  Sache  gehörte,  mit  Materien  aus 
der  praktischen  Philosophie,  der  Philosophie  der  Geschichte, 
ja  der.  Anthropologie  und  Physiologie  (in  dem  Abj^hnitte 
^ber  Physiognomik  und  Schädel|ehre>.  Das  Wissen,  die 
formelle  Identität  des  Ich,  erweitert  sich  zum  substantiellen 
Geiste, , der,  bis  auf  seinen.  I^ib  und  die  Hand  z.B.  herab 
(Phä^om.  S.  244,  ff.),  sich  vollständig  objektivirt,  aber 
«zugleich  nach  der  subjeküvon  Seite  hin  durch  den  Process 
der  Weltgeschichten  in  Gesittung,  £he,  Rechtszustand,  all- 
gemeiner Bildung,  Kunst,  Religion,  Wissenschaft,  sich  ein 
guistjiges  Univer-sum'  erbaut ,  sich  dadurch  als  ^Weltgeist^ 
luanifestirt ,  und  so  es  erweist,  in  seiner  Objektivi- 
tät nur  boi  sich. selbst  isu  sein« 

Hierdurch  tritlT  an  die  Stelle  des  einfachen  erkenntniss- 
iheorjstifjchen  Problemes  ,   wie  im  £  r  k  e  n  at  n  i  s  s  a  k  t  e 


Si%  Kritik 

WiM^n  Md  Gegfenstand  in  Ueberehistimmimg:  Meibeü  kön- 
iien,  die  umfassende,  eben  darum  aber  diess  nicht  erle- 
digfende  Nachweisung,  wie  der  Geist  in  der  unendfie^MH 
Objektivität  nur  äch  seihst  ht  gegenständlicher  Fonn  bc* 
isiUe,  wie  er  also  an  sich  selbst  schon  das  Aber  aVes 
bloss  Objektive  ühenqäohtige  Princip  sei,  von  seiner  Leib- 
lichkeit  ao,  welcl^er  er  das  eigene  Geptdge  aardrörkl, 
darch  alle  Stadien  der  Selhatobjektivining  hinauf  bis  equ 
absoluten  Wissen,  der  Wissenschaft,  in  welcher  der 
Weltgeiat  gan^  aus  seinem  Anäiich^eiit  sn  sehem 
F  ü  r  s  i  0  h  eingekehrt  ist )  seine  Objektivität  tst  ySSüg  ia 
sein  Selbstbewusi^sein  aufgenommen :  der  Gegensatz  zwi- 
schen Subjekt  und  Olyeht ,  Wissen  und  Gegenstand  hat 
sich  auf  durchaus  universale  Weise  aufgehoben,  indem  das 
(subjektivmenschliche)  Wissen  für  sich ,  vrie  das  GegeiK 
standliche  ihm  gegenüber,  nur  als  Momente  erkannt  wor« 
den  sihd  des  in  ihnen  an  und  für  sich  seienden  absohi^ 
ten  Geistes, 

Statt  jenes  geforderten  erkenntnisstheoretfschen  BeweU 
scs  wird  uns  daher,  wie  es  scheint,  ein  weit  umfassende- 
rer geboten:  die Universalthatsache  eines  weltgeschichtiidi 
s^ur  Verwirklichung  gekommenen  geistigen  Universams«  das 
ungeheuere  Faktum  einer  Wissenschaft,  geben  uns  Bürg- 
schaft dafür,  dass  die  Vernunft  das  Absohile,  der 
Grun4  aller  Dinge  sei,  welcher  sich  im  sinnlichen 
Universum  objcktivirt,  \m  menschlichen  Geist  snbjektivirt 
hat ,  in  Kunst,  Religion,  zuli5chst  in  der  Wissenschaft  aber 
aus  jenem  nur  erscheinenden  Gegensätze  mit  sich  setbsl 
sich  vermiUelt.  So  wird  hier  auf  die  Voraussetzungen  des 
8  c  h  e  1 1  i  n  g  sehen  Standpunktes  wieder  eingegangen,  des-i 
gen  höchste  Potenzen,  Kunst,  Religion,  Wissenschaft  ruck- 
tvärtsgewcndet  werden,  um  daraus  die  allgemein  theoreti- 
sche Bedingung  eines  solchen  Standpunkts  der  Idenfitäl 
des  Subjekti-Objefctiven  überhaupt  zu  rechtfertigen,  wobei 
formell  betrachtet ,  der  Zirkel  dieses  Beweises ,  die  peütia 
principii  darin,  tinabigugbar  sich  aufdrangt. 

Gleichwohl  können  wir ,  der  Sache  nach  und   selbst 


der  PhftnoniAiologie.  $23 

um  di^tfr  VoTfwsißtxmtgeti  wiU^/4^>U<!g«ilKcI|6jSyi6&era 
nicht  lur  fundamenüos  erklären  '  van  .:deT'»PMii0m0Aologid 
des  Geistes  aus  ,  uiul  nicht  .soi  aSlgJDOieiii  s  fet  die  .fcnhere 
Aeüfisc^ung  yott  uns  (S.  8080  'zu«  Jeuten  i  sia  Jundam/ßnUrt 
nämlich  noch  mehr,  als  oiHr/den  Aibfaog  des:Systenies,  die 
Logik;  MB  ist  oder  fundamentirt  (cmgteiQh  auch  das  En  de 
des  Ganzen.  Und  dcsshalb  allein  schon  musste  Heg^eli 
um  eine  Philosophie  des  Geistes  zu  gewinnen,  in  weichet]^ 
nur  ausgebreiteter,  und  in  veränderter  Ordnung,,  der  ganze 
Inhalt  der  Phänomenologie  wiederkehrt^  die  Phanomenolo-r 
gie ,  als  solche,  zurücknehmen. 

Aber  aus  dem  glerchea  Grimde  .hat  die  PhänomenoIOr- 
gie  dennoch  die  eigentliche  Aurgabe .  eines  ersten  Th^S 
des  Systemes  der  Philosophie,  welcher  nur  das  Erkenntnisse 
probl^n  zu  lösen- hat,  weder  richtig  gefasst,  noch  eigent* 
lieh  erledigt;  in  diesem  Sinne  entbehrt  daher  das  Hegel- 
sehe System  auch  von  hier  aus  des  rechten,  iur  die  Fort- 
bildung der  Spekulation  dauerhaften.  Grundes ;  und.  wenn 
wir  uns  9u  jenem  allgemeinen  Zugeständnisse  bekennen,  m 
müssen  wir  ebenso  auf  dem  Beweise  des  leidem  Punktes, 
und  dem  darauf  gestützten  definitiTcn  Urti/eile  über  das 
System,  bestehen. 

Aus  jener  schwankenden ,  wenn  ni(At  geradezu  fal^ 
sehen  Auffassung  ihrer  Aufgabe  erklären  sich  mm  die  ein^ 
zelnen  Verstösse  in  der  Ausführung  der  Phänomenologie, 
sofern  sie,  worauf  es  nach  ihren  auschücklichen .  Erklärung 
gen  in  der  Einleitung  abgesehen  war,  das  Erkenntnisspro«- 
blem  lösen  woUte,  Wir  haben  an  einem  andern  Orte  nach- 
gewiesen und  berufen  uns  hier  darauf  *),  dass  die  beiden 
ersten  Abschnitte  derselben  von  „der  sinnlichen  6e- 
wissheil^  und  von  r.der  Wahrnehmung^,  das  ei- 
gentliche Ziel  gänzlich  verfehlend ,  welches  eine  Erkennt- 
nisstheorie im  Auge  behalten  musste,  nur  die  metaphy- 


*)  ,,lJeber  das  Princip  der  philosoph.i sehen  Metho- 
de« in  der  Zeitschrift  für  Philosophie  Bd.  IV.  H.  1. 
S.  60—04. 


824  Kritik 

ilichen.K8itegürieea,  welche  In  denselbeii  efaeiK  beso»- 
dem  Aiudmck  erhalten^  daraus  hervorarbeilet ;  der  Begriff 
des  Endlichen,  Sichanfhebenden,  der  Begriff  des 
,»Andern  seiner  selbst««,    *^    das   sind  die  Bestin- 
mungen   wQrin  sich    die  Clewisdieit   des  sinnlichen  Die- 
sen, wie  des  Wahrgenommenen  nnd  der  WahmehoHiog  dia* 
lekUsoh  aufbebt  *—    Aus  jenem  gleichen  Grunde  begegnet 
man  im  Folgenden  alsbald  einer  Vermischung  der  Homente 
des  theoretischen  und  praktischen  BewussIseiBS. 
Die  Phänomen  otogie  Eeigt,  wie  in  dieser  dialektischen  Zer« 
setiung   der   sinnlichen  Objektivität,  welche  sur   blossen 
„Erscheinung^,  einer  „übersinnlichen  Welt^  gegenüber,  wird 
iß.  73,  Ygl.  S.  98  ff.),   die  Wahrheit  nur  xur  Gewiss- 
heit seiner  selbst  werden  kann:   es  bleibt  nur  das 
seiner   selbst    gewisse,     das   Selbst-*  Bewassts ein 
tibrig;  -*  ^n  wichtiger  theoretischer  Moment  in  der 
dial^tischen  Entwicklung  des  Erkennens.     Hier  nimmt  er 
aber  zugleich  praktische  Bedeutung  an:  es  ergri^btsick 
daraus  der  „Kampf  auf  Leben  und  Tod<(  um  die  praktische 
„Selbstständigkeit   des  Selbstbewusstseina^ ,   welche 
ihre  nächste  Ansgleidiung  in  dem  Gegensatze  von  j^Uerrn^ 
und  „Knechte«  findet  (S.  114^128.>    So  scharf  und  tret 
fend  die  Wichtigkeit  dieser  praktischen  Momente,  von  der 
Unterwerfung  der  Freiheit  und  dem  Gehorsame  zur  Aner« 
fcennuttg  des  Allgemeinen  im  Selbstbewusstsein  überzugehen, 
für  die    allgemeine  Ausbildung  des  Bewusstseins  hier 
nachgewiesen  wird ;    so  muss  doch  gefragt  werden ,    wie 
diess   irgend  hierher  gehöre,   in    die  Entwicklung  des 
theoretischen  Selbstbewusstseins ,  und  auoh  dem  willigsten 
Leser  muss  sich  der  Zweifel  an  der  Objektivität  einer  Dia« 
leklik  aufdrängen,  welche  so  willkührlich  aus  ganz  hetero^ 
genen  Gebieten  ihre    Uebergänge   zusammengreid,    Diess 
Urtheil  gilt   nicht  weniger  von   der  entsprechenden  Stelle 
in  der  spätem Encyklopä die  der  philosophischen 
Wissenschaften,  wo  jener  BegrifEszusammenhang  in 
der  Philosophie  des  Geistes.,  bei  dem  Uebergänge 
von  dem  Selbstbewusstsein,  als  abstraktem  Für&ic hs ein, 


der  PhSnomenologie.  825 

« 

in  das  allgemeine. Seltotbewusstseur,  als.  i^s  ane.iy 
kennende  Selbstbewusstsein,  im  Verhaltniase  .von  Uenpf- 
schaft  und  Knechtschaft  anrückkehrt  (J^ncyk,).  der.pJiir 
losophischen  Wissenschaft^en  3te  A|ifl»  ,Si  4291. 
431--43Ö.  S.  444-<-48.)-  Hier  jedoch,  wo  die.  Stufen  des 
Geistes  in  ihrer  allgemeinen  Bedeutung  gefasst  werden,  kapf 
jenes  Verhältniss  des  Herrn,  zum  Knechte*  »(seine  überff 
flüssige  Exemplifikation,  wie  daran  der  Einzel-  undEigen* 
wille  sich  gegenseitig  abarbeitet  und  zum  c^llg.emeinen 
aufhebt,  wenigstens  entschuldigt  werden ;  in  der  Fhä^onie« 
iiologie  ist  es  ein  völlig  heterogener  Auswuchs ,  so  wi^ 
noch  vieles  Spatere  dieser  Art  in  ihr  sich  findet^  welches-  aii3 
dem  angegebenen  Gesichtspunkte  —  der  indess  in  der  Einlei«* 
tung  zur  Phänomenologie  selbst  angegeben  worden  ^  -^ 
leicht  sich  entdecken  lässt.  Diess  muss  jedoch  einer  spe-. 
ciellern  Kritik  des  Werkes  und  des  ganzen  Systemes  überw 
lassen  bleiben. 

Wir  haben  zuletzt  nur  noch  herauszuheben,  mit  wet« 
chem  Resultate  di^  Phänomenologie  endet,  um  demSyste^ 
me  hieraus  den  Uebergang  in  die  Wissenschaft  der  Logik 
zu  bereiten. 

In  der  ^^offenbaren  Religion^  hat  sich  der  sub- 
stantielle ,,a  b  s  0 1  u  t  e^  Geist ,  oder  der  „Weltgeist^  (vgK 
S.  708,),  aus  den  unvoUkommnen  Formen  der  Religion,  worin 
er  sich  noch  nicht  als  der ,  welcher  er  ist',  begrifT,  zur 
AVahrheit  seiner  selbst  auf  unmittelbare  Weise ,  heraufge-* 
läutert:  er  ergreift  sich  in  der  Unmittelbarkeit  eines  Selbst*- 
bewusstseins,  wird  menschliches  Subjekt,  gelangt  darin  zum 
Wissen  von  sich  selbst:  oder,  was  dasselbe  ist,  das 
einzelne  Selbslbewusstsein  kehrt  in  seine  Substanz,  seinen 
Grund  zurück,  und  fasst  sich  in  bewusster  Identität  mit 
ihm,  „Diese  Menschwerdung  des  göttlichen  Wesens^ 
(dessen,  was  vorher  der  Weltgeist  genannt  worden  ist) 
„oder,  dass  er  wesentlich  und  unmittelbar  die  Gestalt  des 
Selbstbewusstseins  hat,  ist  der  einfache  Inhalt  der 
absoluten  Religion.  In  ihr  wird  das  Wesen  als  Geist 
gewusst ,  oder  sie  ist  sein  Bewusslsein  über  sich  selbst, 


1 


I 


836  KriUk 

ikUlm  «ein«  (S.  709.  vgl.  S.  711.  ii.  ».  w.).  —  Wie  diese 
"S^Wiis^te '  Einheit  des  GöMichen  und  Menschlichen  anf  rni- 
lAÜtUbai^e^  Weist  im  Gotfmenschen  hervortrill,  nachher 
•durch  ihn  Termittolf ,  indem  sein  Tod  diese  sinnliche  Un- 
tnittälbarkeit  gewaltsam  abstreift,  in  der  Gemeine  ^  sich  aus- 
fer,^itet  (S.  713— -738.),  diese  Entwicklung  ist  von  sonst- 
tier  bekannt  und  hier  nur  des  Ueberganges  wegen  zu  er- 
wähnen. 

Aber  die  Gemeine  ist  noch  nicht  vollendet  in  die- 
0611k  Selbsthewosstsein :  ihr  Inhalt  ist  nur  in  der  Form  des 
Vorsteilens  fllr  sie:  sie  hat  noch  nicht  das  Bewusstsein 
Ikb^r  das,  was  sie  tat.  Sie  ist  die  Gegenwart  des  abso- 
falten  Geistes,  welcher  in  ihr  zum  Wissen  seiner  selbst  ge- 
langt ist ;  er  hat  sich  seines  natürlichen  Daseins  enläossert 
nnd  damit  die  seinem  Wesen  adäquate  Existenz  erreicht 
Aber  die  positive  Bedeutung,  dass  diese  Innerlichkeit  des 
Wissens  ebenso  sehr  das  sich  selbst  gleicheWesen 
iat,  ^der  dass  die  Substanz  hierin  zum  absoluten  Seibst- 
b^ttsstsetn  gelangt  ist,  die^s  wahre  Verhältniss  bleibt  dem 
^andächtigen  Bewusstsein^  verborgen,  welches  die  Sub- 
stanz in  ein  Jenseitige«  seiner  selbst  hinaurrückt. 

Diese  erscheinende  Entzweiung  ist  noch  hinwegzo- 
thuU':  es  geschieht  im  absoluten  Wissen,  der  (voll- 
endeten) Wissenschaft,  unter  der,  diesem  Zusammen- 
hange gemäss,  Hegel  nur  die  spekuFative  W^isseo- 
ßchail,  bestimmter  dann  die  Philosophie  vom  Standpunkte 
der  Identität  des  Subjekt-Objektiven  ,  endlich  die  zum 
Vollendeten  Systeme  ausgebildete  Philosophie  dieses  Stand- 
punkts, meinen  kann.  -r.  Hier  wird  jene  Gegenständlichkoit 
IQr  das  Bewusstsein  auch  noch  hinweggearbeitet:  der  sub- 
stantielle Geist  weiss  sich  ebenso  sehr  in  dem  Subjekte, 
als  diess  sich  in  die  allgemeine  Wahrheit,  die 
Wahrheit  des  Begriffes,  aufgenommen  und  so  die  Zu- 
fälligkeit und  Einzelnheit  seines  Selbst  abgestreift  hat  End- 
lich ist  diese  Bewegung  des  sich  ausgleichenden  Gi^^en- 
Satzes  nicht  als  eine  einseitige  zu  nehmen:  das  Selbst 
ist  darin  ebenso  frei  und  bei  sich ,  als  sich  doch  nur  die 


der  Phänomenologie.  '  SVf 

siilMlftnlK4Ie  Wahrheil  des  ^Hg^meineh  Geistes  in  {hin  ^tmi 
Bewnsstsein  erhebt,        '     »  :  • 

„Was  also  in  der  ReligtoA  Inhalt  oder  Foinn  ded 
Vorslellens  eines*  Atidern  war,'  dasselbe  ist  bielr  eige^ 
nes  Thun  das  Selbst;  der  fte^g^ritf  verbindet  es,  dafss  det 
Inhalt  eigenes  Than  des  'Scflhst  Ist )  -*  denn  dieser  Be^ff 
ist  —  das  Wissen  des  Thiins  des  Selbst  in  sich,  als  al^ 
1er  Weseiihelt  ni^d  alles  Daseins:  däs'WlsSeii 
von  diesem  Sabjekte^,  al9  der  Substanz,  und  von  def 
SubstatiT^,  als  diesem  Wissen  seines  Thuns^^,  -^  „Di^s^ 
lelKte  Gestalt  des  Geistes-,  der  <yeist,  der  seinem  volist§n^ 
digen  und  wahren  Inhalte  zugleich  die  Form  des  Selbsi 
grtebl,.«nd  dadureb  seinen  Begriff  ebenso  reallsirt,  als  hl 
dieser  Realisation  in  seinem  Begriflb  bleibt,  -^ist  der  sidi 
in  Geistesgestalt  wissende  Geist,  oder  das  begf  ei-* 
fende  Wissen«. 

Jet£t  ist  die  Wahrheit  nicht  nur  «rollkommen  der 
Gewissheit  gleich ,  sondern  sie  hat  auch  die  Gestalt 
der  freien  Oewtssheit,  sie  ist  ISr  den  Geist  inr  ()er  Form 
des  Wissens  seiner  selbst,  wfthrend  in  der  Religion  die 
Wahrheit  dieser  Form  der  Gewissheit  noch  ungleich  war, 
Fadurch  ist  dasjenige  zum  Biemente  des  Daseins  oder  zur 
Form  der  Gegenständlichkeit  für  das  Bewusstsein 
geworden,  was  das  Wesen  selbst  ist,  nämlich  der  Be^ 
griff,  —  Die  Wahrheit  hat  die  Gestalt  des  Ich,  das  diesei^ 
und  kein  anderes  ist,  angenommen,  welches  zugleich  doch 
ebenso    vermittelt,   das    allgemeine  Ich   ist    (S.  742 

—754.). 

Mit  Einem  Worte :  der  absolute  Geist ,  der  Weltgeist 
(beide  Begriffe,  wie  man  sieht,  ohne  Weiteres  als  gleich-- 
bedeutend  gebrauoht) ,  ist  es  selber ,  der  die  begreifende 
Wissenschaft,  die  Philosophie,  als  das  Wissen  seiner  selbst, 
als  des  Geistes  in  Allem,  erzeugt,  und  darin  zugleich 
seine  höchste  Selbstverwirklichung,  sein  Werden  zum  all« 
gemeinen  Subjekte,  feiert.  Hiermit  Ist  einestheils  die  Ver- 
mittlung von  Gegenständlichkeit  und  Wissen  oder  Subjek- 
tivem und  Objektivem  in  höchster  Weise  erreieht;    denn 


828  Ki*iUk 

beiden  M  d^Geisl,  als  dag  al^solule  Prinoip,  inunancBt, 
er  ist  in  allem  Dasein ,  wie  er  sicli  mittels  der  Wisse»- 
achaft  in  Allem  als  solpbea  erkeBm.  AAdemlheils  hat 
aick  dafan  die  Einheit  des  Allgemeinen  und  Einseloen  be- 
wiesen: weder  hat  das  Ich  sich  in  der  Form  des 
Selbstbewusstseins  gegen  die  Form  der  Substanüa- 
litat  und  Gegenständlichkeit  festsuhalten ,  ^Is  ob  es  Angst 
vor  seiner  Entäusserung  hätte;  die  Kraft  des  Geistes  ist  es 
vielmehr^  in  feiner  Entäusserung  sich  selbst  gleich  zu  blei* 
bea ,  das  Fürsiehseia  ebenso  nur  als  JHonient  zu  setzeo, 
wie  das  Ansichsetn^ :  —  noch  ii^t  das  Allgemeine  der  in- 
haltsleere ^Abgrund  des  Absoluten^*,  in  den  „die  Unter- 
achiede  nur  zurückgeworfen  werden^^,  um  ihre  abstrakte 
«Gleichheit^'  mit  demselben  avszuoprechea :  „sondern 
„das  Wissen  besteht  vielmehr  in  dieser  scheinbaren  Unthä- 
tigkeit,  welche  nur  betrachtet ,  wie  das  Unterschie- 
dane sich  an  ihm  selber  bewegt,  und  in  sei- 
ne Einheit  zurückkehrt^'. 

Wie  ans  dem  WeUjgeiste  die  Unterschiede  Cdie  „Poten- 
zen'' nach  Sehe  Hing)  hervorgehen,  auf  denen  die  Schö- 
pfung beruht,  so  tritt  auch  in  der  höchsten  Selbstverwirk- 
hchung  desselben  der  selbstverstehende  Begriff  zu  diesem 
hinzu:  das  reale  Thun,  die  weltschöpferiscbe Dialektik  bebt 
sich  in  die  spekulative  auf,  welche  nur  ist  jenes  scheinbar 
untbätige  Zusehen  ,  die  in  den  Schöpfungsakt  eintretende 
Sehe ,  welche  nur  darum  dem  Geiste  durclidringtich,  zur 
Wissenschaft  reproducirbar  ist,  weil  er  an  sich  selbst 
der  Begriff  (S.  753—761.). 

So  langte  Hegel  am  Schhisse  seiner  Phänomenologie 
bei  der  höchsten  und  ausgebUdetsten  Bestimmung  seines 
Anfhngsaxiomes  an:  dass.  die  Substanz  als  Subjekt 
zu  fassen  sei.  Die  Substanz  ist  nicht  nur  überhaupt 
in  einzelnen  leben,  endlichen  Sidyekten,  wirklich,  sondeni 
sie  gewinnt  sich  zuletzt  darin  als  das  allgemeine,  ihrer 
Substantialität  völlig  adäquate  Subjekt ,  durch  die  ab- 
solutwisaenden,  spekulativen  Individuen,  durch  die 
„Gemeine   der  ldee%   wie  ea   vollkonunen  zu&reffeud 


der  PhSttOmenotogie.  829 

Einer  der  Schule  dpfiterhfn  g^ntlnn!  hat  Dais  Absolute,  ab 
Geist  oder  Idee,  hat  an  sich  nieht  nur  realistisch  sich 
ssam  Universum  ausgfevfirkt,  sondern  an  und  fQr  sich  oder 
ideell  nimmt  es  sich  £nm  BegriiTe  seiner  selbst  in  der 
Kunst ,  d^  Religion  ,  der  Wissenschaft  zurflck. 

Das  Ende   der  PhSnoriienologie  entspricht  daher  ge« 
nau  dem  Schlüsse  des  Systemes  in  der  Idee  der  Wissen- 
ßohaft,  der  Philosophie  (EneyklopSdie  d«r  philos. 
Wissenschaften  §.  672.  574—77.),  als  der  sich  wis-i 
senden  Vernunft,  welche,  nachdem  sie  sich  (im  Schöpitaiigf^ 
processe)  in  6 eist  und  Natur  entzweit,  darin  jedoch 
das  Logische,  das  absolut  Allgemeine,  zu  ihrer  Mitte  be-' 
hält,    so    aus  den  beiden  Extremen  ihres  Sich-tMhei«» 
lens  zu  sich   selbst,    als   der  in  ihnen  sich  begreiftsnclenl 
Vernunft  zurückkehrt;   und   auch    hier   wird  von  Hegel 
sogleich  das  weltschöpferische  Moment  und  das  Princip  d^r 
Spekulation  als  in  der  Wurzel  Eins  bezeichnet,  als  der  Be- 
griff an  sich,  der  dort  nur  .objektiv,   hier  subjektiv 
thätig  wird.    Bloss    der  Unterschied   ist  in  dem  Schhissä 
beider  Werke  ,    dass   die  Phänomenologie  den  BegrifT  des 
absoluten  Wissens   nur  erst  als  einen  potentiellen, 
absolut  geforderten,  nachzuweisen  vermag ,  welchen  die  in 
sich  vollendete  Encyklopfidie ,   im  Rückblicke  auf  das'  be^^ 
grifibne,  natürliche  und  geistige  All,  als  einen  durch  sie 
verwirklichten  behauptet,  in  dem   „sich  die  ewi- 
ge, an  und  für  sich  seiende  Idee  als  absolu- 
ter  Geist   bethätigt,   erzeugt    und   geniesst« 
(S.  599.).    Die  Philosophie,  als  zum  encyklopädischen  Ab- 
schlüsse gekommen,   ist  das  vollendete,   ganz  sei^' 
ner   Substanz   adäquate   Bewusstsein  Gotteij 
von  sich   selbst.    Es   ist  gleichgültig,  ob  Hegel  in 
seiner  eigenen  Philosophie  diess  für  erreicht,  iür  durchaus 
verwirklicht  gehalten  habe;  wesentlich  ist,  dass  diess  seitt 
Begriff  der  Philosophie,  und  damit  das  Resultat  semes  Sy- 
stemes gegeben  sei. 

Hierin,  wie  in  allem  Uebrigen,  spielt  jedoch  der  Schloss 
der  Phänomenologie  nur  den    spätem  Ausfuhrungen  voti 


830  l(rilik 

0 je  gel  irt  niigends  Aker  ihreit  lakalt  bindii^egdngreti  oder 
ihm  uiUreu  gewordeo ;  sein  ersteB  Weric  ist  auch  in  dem 
Ißteten  noch  gegenwärtige  und  sehan  in  jenem  werdcai  die 
Qi1indris60  des.Systemes  ma  der  charakteristischen  Mitte 
des  Principes  her  gezogen»  -^  Der  absolute  Geist  hat  zum 
wirklichen  Geiste  erst  zu  werden»  Dl^ä  ist  die  Bnt- 
fiu/ssemiig  desselben,  in  welcher  er  sein  Werden  ztim  tieiste 
in  der.  Form-  des  freien,  sufä lügen  Geschehens 
darfUelit^  sein  reines  Selbst  als  die  Zeit  ausser  ihm 
aBAohiuil:  *-  das  Reich  der  Geschichte ^  in  deren 
jitriger  Bewegung^  und  lungsamer  ^AoseinanderTolg«  von 
G^istem^  der  Begriff  des  durchlebten  Zustandes  immer  das 
^atere ^  Nachkommende  ist »  in  dessen  ,^Krinnerung* 
sicii  jene  aufheben»  (Auch  die  spätere  charakleristiscbe 
Attffassui^  der  Geschichte  nämlich,  dass  der  Begriff  in  ihr 
nie  das  schöpferisch  Vorausgestaltende ,  nur  nach  Räck*^ 
wärts  Erkennende  sein  könne,  dass  der  Vogel  der  Minerva 
^rst  in  der  Dämmerung  eines  schon  veriebten  Zustandes 
seinen  Flug  beginne  *) ,  ist  schon  in  der  Phänomenologie 
atti!gesi>rochen.)  , 

Aber  das  Ziel  der  Geschichte  ist  das  absolute  Wis- 
fiea  oder  der  sich  als  Geist  wissende  Geist ,  deren  ^Weg 
die»  Srinnerung  der  Geister  ist,  wie  sie  die  Organisation 
ihres  Reiches  vollbringen^.  —  „Ihre  Aufbewahrung  nach 
der  Seite  ihres  freien,  in  der  Form  der  Zufälligkeit  er« 
geheinenden  Daseins  ist  die  Geschichte,  nach  der  Seite 
y^r  begriffenen  Organisation  die  Wissenschaft  des 
eracheinenden  Wissens^,  d.h.  die  Phänomenologie^ 
welche  sich  somit  zugleich  als  eine  Philosophie  der  Ge- 
schichte, ausweist  (S«  761 --^  65.)»  So  ist  in  Obigem  die 
Phi^o^ophi^  deis  Gdstes  beg^ndet 

,  Aber  diess  Werden  de3  Geistes  zu  sich  selbst  greift 
qpch  auf  eine  tiefere  Voraussetzung  zurück:  ^das  Werden 
86t9Kt  ein  Seip»  ein  lo^ichbestehen,  voraus,  das  der  Geist 


*}  Vorf^üe  tur  Philosophie  des  RechU,  i,  Aufl.  S*  XXIV. 


der  Phaaomepologiö.  831 

tiur  als  Raum  ^aoKuschauen^  vermag.  ^yDic^-llfatifirris^ 
seia  lebendiges ,  unmitteU)ares  W^rflen ,  .  spe  ^ft  der  ^nt-*» 
äusserte  Geist,  und  in  ihrem  O&^aui  Nicb^tay  dis.die^ 
ewige  Entäussening  ihres  Bestehens  und  ^ie  Bq^w^ 
(rung,  welche  das  Subje^Lt  hersteUl^  (S.  764.;).  Dtess 
die  Grundlage  zu  einer  Philosofiihle  der  Natur,  iiirelßhey  fu> 
Abstrakt  und  dürftig  sie  auch  ist»  -^  wir  Werden  Gel^ont» 
beit  haben^  sie  mit  dem  spjitem  Begriffß  der:Na!l)w:ii(;#fi 
Encyklopadie  zu  vergleicbea ,  —  .  doch  ihren  fkl^gßmj^i^ßfk; 
Grund,  ganz  Schellingisch,  io  die  AiiStchatt%n;gi 
des  absoluten  Geistes  setzt.  Wir  müssen,  dfther  ^^(3pf{ 
Anfang  gemachte  Bemerkung  hier  abermals  beatätjgeiii):  d%n 
Weltschöpferischo  ist  völlig,  wie  bei.Sch^Ilinj[Jn,;Sei«-> 
ner  mittleren  Periode,  die  intellektuelle,  selbstimschiiHen^a 
Macht  des  Absoluten ;  Schaffen  heisst  sein  ^jektivirjei^4fiA 
Selbstanschauen ,  und  die  Spekulation ,  ist . nur.  der  hiocbi^ 
subjektivirende  Akt  desselben ,  Selbsterkennen  in  jen^ 
Objektivität.  Das  einzige  Neue,  was  Hegel  jenem  Prip-? 
cipe  hinzugefügt  hat)  ist  die  klar  ausgesprochene  letztere 
Folgerung«  welche  indess  mittelbar  schon  in  d^  frühesten 
Erklärung  Schellin gs  enthalten  war,  dass  die NatprphI«? 
losophie,  die  Konstruktion  der  Natur  aus  ideellen  FrinpiTr 
pien>  den  realistischen  £rweis  davon  führ«)  splißt  wurup 
das  Objektive  selbst  idealistisch  erklärt,  in  eine  spekulatinf^ 
Theorie  erhoben  Pferden  könne  (S*  ö94.  ff.)^ 

Endlich  stellt  die  Phänomeniriogie  noch  einen  setfrr  bor 
stimmten  Begriff  von  dem  Unterschiede  auf,  welcher  zwt^ 
sehen  ihr  und  der  Logik  -—  hier  „Wissenschail^  genamif 
-^  stattfinde  (S.  762.).  Wenn  in  d^r  Phänomenologie  d^ 
Geistes  jedes  Moment  noch  den  Unterschied  de&WMsem(f 
und  der  Wahrheit  enthält,  zugleich  aber  die  Bew^giaqg 
ist ,  in  weicher  er  sich  aufhebt :  so  enthält  die  ^W^sseiiff 
Schaft'^  —  eigentlicher  die  Logik  —  diesen  U  n  t  e  r  s  c  h  i«  d 
und  dessen  Aufheben  nicht  mehr,  sonderpfi  inr 
dem  das  Moment  die  Form  des  Begriffs  .hat^  vereiiiiT 
get  es  die  gegenständliche  Form  der  Wahrheit  und  .4^ 
wissenden  Selbst  in  unmittelbarer  Eiaheiti.^    D«r  reine  Be^ 


m  Kritik 

griir  tritt  nnt  tn  die  ei^en^n  innern  Unterschiede  «1$^ 
einander,  welciie  in  seiner  Bestimmtheit  liegen  ^  and 
Metrie  Fortbewegfiihg  ist  ebenso  die  rein  inneriiche.  If!er-> 
ans  die  Idee  'der  bo^fk.  «^  Umgekehrt  entspricht  jedem 
abstrakten  Momente  der  Wissenschaft  eine  Gestalt  des  er- 
^cheinendeti  Geistes  dberliaupt  Hier  fallen  diese  jedoch 
ans  der  emfaehen  Vermittlang,  als  D  en  ken,  welches  ihre 
wahre  Natnr  ist ,  in  die  sinnliche  Unmittelbarkeit  aus  em- 
ender,  werdet  äiisserlfch  geschiedene  Gegensätze.  Diesea 
iirt  de^  Uebergang  des  reinen  (logischen)  Begrifles  in  das 
Bewif sstsein,  welches,  als  aninfichst  in  unmittelba- 
rer Gewissbeit  sich  ergreifend,  sinnliches  Bewnsst- 
gein-ist:  -^  der  Anfang,  von  welchem  die  Phänomenolo- 
gie ausgegangen  ist,  und  welchen  sie  am  Schlüsse  begrei- 
fend wieder  aufnimmt.  „Dieses  Entlassen  seiner 
itus  der  Form  seiner  Selbst  in  die  Gegensätze 
det  sinnlichen  Unmittelbarkeit  ist  die  höch- 
gte  Freiheit  und  Sicherheit  seines  Wissens 
von  sich«  (S.  7«i— 63.). 

So  wird  die  Voraussetzung,  welche  im  Verlaufe 
des  Werkes  immer  deutlicher  hervortritt,  dass  in  jenen 
S^lbstvermittlnngen  und  Steigerungen  des  Bewusstseins  der 
Weltgeist,  allein,  der  zugleich  lur  das  Absolute  ge- 
halten wird ,  das  thätige  Subjekt  sei,  durch  Zurückweisung 
auf  jenen  Anfang  auch  bis  zur  sinnlichen  Unmittelbarkeit  des 
Wiissens  ausgedehnt  Wie  der  Wei^eii^  sich  objektiv  zur 
Nftfuf  entäussert  hat,  während  er  eigentlich  nur  in  jener 
(togisehen*)  Idealität  sein  vollkommen  selbstgemässes  Dasein, 
die  reine  „Form  seines  Selbst'  besitzt,  so  ist  es 
auch  zum  sinnlichen  Wissen  geschehen ,  nur  jedoch  um 
Mch  aus  dieser  zwiefachen  höchsten  Selbstentzweiung  zn 
immer  angemessenem  Gestalten  seines  Bewusstseins  zn  er- 
heben. Aher  Hege^l  enthält  sich  bei  diesen  Bestimram- 
^gen  taicht  der  Atififdrücke,  Welche  auf  ein  völlig  persdnü- 
ches  Veritältniss  jenes  Weltgeistes  zu  sich  selbst ,  auf  em 
freies  ^Sichentiassen'^  und  Eingehen  in  das 'ihm  selber  Eat- 
gegen^n^tzte,  hinweisen ,  weil  er  die  Seibstgewissheit  und 


der  Phänomenologie.  833 

Klarbeit  seinem  Wussens  in  sich  so  ^sicher'  «^  d.  h.  so 
persönlich  —  besitzt,  dass  er  in  keinem  Gegensatze 
sich  verlieren  kann.  Offenbar  mnss  dabei  ^-  dunkel  oder 
attsdrückllch  —  ein  Entschluss  und  eine  Wahl  entgegenge«* 
setzter  Möglichkeiten  angenommen  werden;  denn  nur  so 
kann  die  ganze  Voraussetzung,  auf  welcher  die  Phänomen 
noiogie  beruht,  und  die  sich  gegen  denSchluss  hin  immer 
ausdrücklicher  hervorarbeitet,  einige  Wahrheit  und  Begreif** 
lickkeit  erhalten. 

Diese,  und  ähnliche  Wendungen,  wo  dem  an  steh  Ab- 
strakten und  Unpersönlichen  Eigenschaften  oder  Handlungen 
beigelegt  werden«  die  verständlicher  Weise  nur  von  einem 
persönlich  selbstbewus^ten  W6sen  gelten  können,  sind  be. 
kannUich  bei  Hegel  nicht  selten,  und  kehren  an  den  ent- 
scheidenden Stellen  seines  Systemes  sogar  mit  charakteri- ' 
stischer  Prägnanz  wieder.  S  c  h  e  1 1  i  n  g  hat  sich  über  diese 
Zweideutigkeit  und  den  Missbrauch  solcher  Ausdrucke  ,  im 
Verhältnisse  cur  ganzen  He  gelschen  Grundansicht,  ener^ 
gisch  erklärt,  und  sie  sind  es  zugleich«  welche  die  doppelte 
Auslegung  des  Systemes  von  der  Schule  begünstigt ,  ja 
gerechtfertigt  haben  ,  die  sich  darauf  hin  in  eine  ^linke^ 
und  ),rechte  Seite^  spalten  mochte»  üennoch  kann  uns 
jene  abstrakte  Haltung  Hegels  im  Uebrigen  an  sich  nicht 
berechtigen,  diese  Wendungen ,  so  wiederkehrend  und  so 
bezeichnend  in  ihrer  Wahl,  wiez.  B»  der  Begriff  des  Sich« 
entlassens  und  Zurücknehmens«  des  Sich-Ur*« 
t  h  e  i  1  e  n  s  der  ansoluten  Idee  in  Natur  und  Geist ,  Jer 
Reflexion  in  Anderes  und  Insich,  der  über- 
greifendenSubjektivität  u.  s.  w.  bloss  für  schlecht 
gewählte  Tropen  oder  frostige  Allegorieen  zu  halten :  H  e- 
gel  verband  mit  ihnen  den  tiefsten,  bezeichnendsten  Ernst, 
wenn  sie  auch  unwidersprechlich  ein  heterogenes ,  trübes, 
schwer  zur  völligen  Klarheit  zu  •  bringendes  Element  in 
seine  Grundansicht  hineinbringen.  Er  kennt ,  so  gut  wie 
Schelling, —  oder  viehnehr  er  hat  es  von  ihm 
überkommen  und  setzt  stillschweigend  rot- 
aus  — -   jenes  «absolute  Subjekt,  das  seiner  Nator 

53 


8.t4  Kritik 

nach  sich  ziim  Objokl»  wird*  —  (sich  ans  sich   enllässt) 

—  „aber  aus  jeder  Objektivilal  siegreich  wieder  hervor- 
und  in  eine  höhere  Potenz  der  Subjektivität  zuräcktriU^  *) 

—  (aus  jener  Reflexion  in  Anderes  sich  zuräcknimint,  die 
über  jedes  Andersseins  übergreifende  Subjektivität  ist> 
Aber  diese  Voraussetzung  kommt  bei  ihm  nicht  an's  Licki, 
noch  weniger  wird  sie  gerechtfertigt  oder  erwiesen  ,  wie 
der  weitere  Verlauf  es  zeigen  wird;  jene  Erhebung  zu 
concretern,  persönlichem  Bestimmungen  am  Absoluten  bkribt 
eine  gewaltsame,  dem  ursprünglichen  Zusammenhange  sp^- 
cifisch  entgegensetzte:  die  Ausdrucke  des  Sichetttiassens 
oder  Sichentschliessens,  des  Selbstanschauens  im  Andern 
(Encyklop.  §.  214.  Anm.  §.  244.  u.  s.  w.) ,  des  über  jede 
Selbstgestaltung  hinausgreifenden  Subjekts,  werden  nicht 
als  logische  Kategorieen  aufgewiesen  oder  überhaupt  nur 
im  begrifHichen  Zusammenhange  bestimmt,  sondern,  matten 
zwischen  die  abstraktesten  Kategorieen  eingeklemmt ,  er- 
scheinen sie  als  ein  willkührlicher  und  zugleich  fremdar- 
tiger Einschub.  Diese  geheime  Zvvieträchtigkeit ,  welche 
zugleich  zur  Protestation  des  Systemes  wider  sicti  selbst 
ausschlägt,  beginnt  schon  in  der  Phänomenologie  des  Gei- 
stes; aber  sie  hat  bis  in  die  spätesten  Werke  hinein  fort- 

. gedauert,  und  in  den  Vorlesungen  über  Religionsphiloso- 
phie  tritt  sie  so  entschieden  auf,  dass  dieselben  in  fast 
durchgreifendem  Doppelsinne  eine  entgegengesetzte  Aus- 
legung zulassen.  Diess  Alles  wird  im  Folgenden  einzeln 
und  ausiuhriich  zu  erweisen  sein. 

Desswegen  werden  wir  auch  —  wenn  die  innerste 
Meinung  und  Intention  des  Philosophen  in  Frage  kommt  — 
billig  Anstand  nehmen,  diese  als  pantheistisch  zu  be- 
zeichnen ,  wiewohl  er  in  seinen  begrilTsmassigen  Bestim- 
mungcn  über  das  bloss  Pantheistische  nicht  hinauskam,  und 
diesen  Standpunkt  dialektisch  nicht  zu  sprengen  vemodite. 
Dless  Zweideutige  können  wir  daher  die  „mystische^  Seile 


'*')  Schelliog  Vorrede  zu  Gousi  n  ,  S.  XIII. 


der  Phänomenologie.  835 

«n  ihm  nennen,  dasjenige,  was  der  WiUkfihr  und  der  hin- 
eintragenden Auslegung  —  nach  sonstigem  Belieben  und 
andervreiten  Gemüthsvoraussetzungen  —  Spielraum  gelas* 
sen  hat  Diejenigen ,  welche  nur  den  Begriff  haben  wat- 
ten  lassen,  sind  über  den  Sinn  des  Systemes,  —  über 
das,  was  dieser  Sinn  sein  müsse,  —  nie  zweifelhaft  ge-» 
wesen. 


Wenn  wir  uns  nun  fragen ,  absehend  toh  der  Form 
und  dem  dialektischen  Apparate ,  wdche  in  der  Phänome«- 
nologie  noch  unbeholfen  genug  gehandhabt  werden  j  wei- 
clies  das  eigentliche  Fundament  sei ,  worauf  sich  die  oben 
entwickelte  Grundansicht  stutze:  —von  dem  „Wettgeiste^, 
der  sich  durch  alle  Stufen  des  erscheinenden  Bewusstseins 
bis  zum  höchsten  Selbstbewusstsein  in  der  Philosophie  hin* 
aufläutert,  —  welche  Gründe  sodann  sie  habe  zu  der  auch 
sonst  so  geläufig   gewordenen  Yertauschung  des  Weltgei- 
stes mit  dem  „absoluten^  Geiste  oder  Gott,  wodurch  jenes 
zugleich  zum  Selbstbewusstsein  Gottes  wird:   so  werden 
wir   abermals    auf  S c h eil i n gsche  Ueberlieferungen  zn^ 
ruckgewiesen.    Es  ist  ein  Hauptgedanke  Schellings  —^ 
schon  in  der  frühesten  „Darstellung  seines  Syste- 
mes«  (Zeitschrift  für  spek.  Physik  IL  2.  S.  149— 
153.  mit  Erläuterung  S.  120.  f.) ,   nachher  weiter   ausge- 
führt in  seinem  Bruno,,   dann  besonders  von  Steffens 
und  Oken,  —  dass  „das  allgemein   anschauende 
Princip   der  Welt<^  in  den  Weltkorpern  auf  bestimmte 
Weise  und    In   geschlossener  Totalitat  aller  ihrer  Bezüge 
sich  individual  isirt:  diess  ist  jener  „Geist%  das  sub- 
jektive Princip  derselben^  zunächst  nun  der  Erde,  wel- 
ches am  Unmittelbarsten  in  der  organischen  Welt,  in  Pflanze 
und  Thier,  sich  verwirklicht,  eigentlich  ihm  gemässes  Da- 
sein aber  erst  im  Menschengeschlechte,  als  der  freien  Sub- 
jektivität, gewinnt^    Diesen  allgemeinen  Gedanken  hat  nun 


836  Die  Wahrheit  und  die  Schranken 

• 

Hegel,  wie  schon  bemerkt,  bis  zu  der  ihm  cigenthüBH- 
lichen  Nachweisung  ausgeführt ,  dass  hierin  zugleich  die 
höchste  vermittelnde  Möglichkeit  liegt,  wie  es  zu  einer 
Wissenschaft  des.  Objektiven  und  hier  .wiederum  zu  einer 
absoluten  Wissenschaft  —  zur  Philosophie  —  komnea 
könne.  Das  System  der  Philosophie  ist  das  absolute, 
sich  adäquat  gewordene  Bewusstsein,  das  in's  Licht  Getre- 
tensein, des  Weltgeistes  für  sich  selbst. 

Dieser Wellgeidt  (Erdgeist)  —  das  ideelle  Princip 
der  Welt,  indivi  dualisirt  an  unserm  Planeten  —  ist 
die  verborgene  Voraussetzung,  weiche  der  Phänomenologie 
von  Anfkng  her  unterzulegen  ist,  das  verschwiegene  Sub- 
jekt, an  welchem  alle  jene  Metamorphosen  )ind  Steige- 
rungen des  „erscheinenden  Bewusstseins*  (der  Mensdiheit) 
Vorgehen,  und  das  in  ihrer  Geschichte  wesentlich  seine 
Geschichte   hat.    Aber   warum  wäre   es   das    absolute 
Subjekt,  —  oder  jene  Geschichte  die  Geschichte  Got- 
tes, wie  es  auch  in  Hegels  Religionsphilosophie  behauptet 
wird?    Wie  vermag  überhaupt   das  Selbstbewosstsein  des 
Erdgeistes  sofort  für  das  Selbstbewusstsein  Gottes 
ausgegeben  zu  werden,  ausser   und  vor  welchem 
er  keines  besitzt?  Denn  in  diese  Behauptung,  — mag 
man  sie  sonst  mit  dem  intensivsten  und  religiösesten  Ge- 
halte erfüllen^;  auch  betrachten  wir  hier  nicht  ihre  Fromra- 
heit  oder  Heillosigkeit ,   sondern  allein  ihre  Gründlich- 
kait,  •»  laufen  alle  weitere  Konsequenzen  des  System» 
zurück.    Diese  ungeheuere  Uebertragung ,  die  gewaltsam- 
ste, die  es  giebt,  liegt   an   sich  weder  im  Schell  in gf- 
schen  Principe ,  noch  erscheint  sie  als  •  nothwendige  oder 
unmittelbare  Folge  desselben :  sie  wäre  daher  m  rechtfer- 
tigen gewesen  von  Hegel;   aber  sie  wird  von  ihm  nicht 
einmal  ausdrücklich  zur  Sprache  gebracht. 

Diess  ist  nun  der  erste,  aber  gewaltigste  Verstoss  der 
He  gelschen  Ansicht,  welcher  sie  durch  alle  ihre  Theile 
hindurchbegleitet ,  und  allein  auch  ihre  übrigen  langst  be- 
kannt gewordenen  Gebrechen  verschuldet  hat.  Aber  wir 
können  ihn   nur   in  wirklicher  Begrifflosigkeit ,   in  Mangel 


dieses  Standpunktes.  837 

an ,  Gründlichkeit  und  Energ^ie  des  Denkens  finden :  es  ist 
gnnz  nur  Hegels  Fehler ,  der  Irrlhum  der  Ausrührung ; 
das  Princip  selber  tragt  keine  Schuld  daran.  Doch  ist  er 
ein  fast  gemeinsam  gewordener,  an  welchem  auch  Schel- 
lin g  in  seiner  frühern  Epoche ,  mehr  noch  seine  Schule, 
Theil  genommen ,  und  über  welchen  ,  seiner  allgemeinen 
Bedeutung  nach ,  sich  völlig  in  Klarheit  zu  setzen ,  schon 
jetzt  unserer  Kritik  Noth  thun  wird :  denn  es  ist  ein  Halb-- 
irrthum  solcher  Art ,  dass  er  zugleich  eine  Seite  der  tief- 
sten und  berechtigtsten  Wahrheit  in  sich  schliesst. 

Einestheils  nämlich  werden  wir  die  Einsicht,  dass 
das  Schöpferische,  Göttliche,  nicht  ein  iur  allemal  der  Welt 
vorübergegangen  sei  und  die  Geschöpfe  als  fertige  aus  sich 
abgesetzt  habe,  sondern,  ihnen  gegenwartig  und  sie  erhal- 
tend, zugleich  recht  eigentlich  das  Beseelende  und  B e- 
geistende  für  sie  bleibe  ^  in  diesem  Sinne  daher  auch 
Seele  und  Geist  in  ihnen  werdend  genannt  werden  könne, 
—  keinesweges  aufgeben   oder  schmalem   dürfen  in  ihrer 
durchgreifenden  Bedeutung:    es  ist  der  wahre,  ächte,  tiefe 
Sinn  der  Immanenz ,  und  diesen  wiederhergestellt  und  be- 
festigt zu  haben,   das  grosse  Resultat  der   gegenwärtigen 
Epoche.    Der  Weltgeist,  Erd  geisl  —  in  jener  Bedeu- 
tung, wie  ihn  das  S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehe  Princip  enthält,  —  ist  so 
ohne  Zweifel  der  Geist  Gottes,  wie  er  den  Dingen  sich 
einverleibt,  die  schöpferische  Weisheit,  die  in  allen  Ge- 
bilden der  Erde  wirkt,  von  der  tiefen  Geometrie  an,  we^ 
che   die  Welt    der  Krystallisationen  uns   aufschliesst,  bis 
zum  Menschen  in  seiner  physischen,  anthropologischen  und 
weltgeschichtlichen  Entwicklung.    Diesen  Weltgeist,  —  den 
vermittelnden   zwischen   dem  Menschen   und  der  Natur  in 
jeder  ihrer  wechselnden  Beziehungen,  —  sein  Gesetz 
und  seinen  Sinn  zu  erkennen  ist   der  eigentliche  Inhalt 
und  das  Ziel  aller  besondem  Wissenschaften:  an  diesen 
appelliren  sie  mit  Bewusstsein  oder  bewusstlos,  wenn  sie  im 
Bereiche  ihrer  Erfahrungen  auf  eine  der  ahnungsvollen  Be- 
ziehungen treffen,  die  sich  durch  blossen  Mechanismus  oder 
aus  den  gewöhnlichen  Begriffen  der  Causalverbindung  nicht 


838  Die  Wahrheit  und  die  Schranken 

erklären  Ifisst*);  Oberhaupt  ist  er  ihr  allgemeiner,  nach 
einzelnen  Seiten  und  Beziehungen  an  ihnen  aus  seinon 
Dunkel  hervortretender,  im  Ganzen  jedoch  Gefaeimnias  bket- 
bend'er  Hintergrund.  Erst  die  Philosophie  erhebt  nch  zd 
seinem  Begriffe  und  fasst  jene  yereinzelten  Seiten  in 
ihn  zusammen:  das  ist  diebleibende,  berechtigte 
Seite  an  den  Systemen  der  Immanenz;  sie  ma- 
chen die  Idee  des  Weltgeistes  zum  Mittel-  und 
Gränzpunkte  ihrer  Weltansicht 

Anderntheils  ist  jedoch  von  hier  ans  bis  zur  Be- 
hauptung, dass  diess  Göttliche  des  Wellgeistes,  diese  schö- 
pferische Manifestation  Gottes,  Gott  selber  gleich  sei, 
*--  diess  &€tov  der  ganze,  höchste  Gott»  —  noch  ein  weiter 
Weg:  selbst  in  diesem  Zusammenhange  würde  darin  nur 
eine  Reihe  von  Uebereilungen  und  Fehlschlüssen  liegen. 
Dennoch  ist  es  die  Behauptung  der  Systeme  der  Imman^iz, 
oder  wenigstens  die  ihnen  unbewusst  gebliebene  Voraus- 
setzung. Diess  zu  zeigen,  haben  wir  nur  an  das  ReaU 
princip  der  Sehe  Hing  sehen  Weltansicht  und  an  das 
Formprincip  zu  erinnern,  was  Hegel  in  dasselbe 
hineingebracht  hat. 

Jener  Ansicht  zufolge  ist  alles  Wirkliche,  jeder  Sckö» 
pfimgsakt,  aur  durch  die  selbstanschauende  That  eines  or- 
sprünglich  Ideellen:  der  Geist  ist  der  Grand  von  Allem, 
der  absolute  Anfang,  darum  auch  das  Ende  und  Ziel ,  das 
steh  aus  Allem  wiederherstellt  Diesem  hat  nun  Hegel 
das  allgemeine  Princip  seiner  Form  ausgeiunden :  sie  ist 
die  Bewegung  der  unendlichen  Negativität  in  ihm, 
über  jeden  Gegensatz  und  jede  SelbstgestalUmg  hinauszu- 
gehen und  sie  in  sich  zurückzunehmen:  eben  so  in  ilir 
zu  sein,,  als  doch  völlig  frei  über  ihr,  was  nur  Sache  des 
Geistes  ist.  Es  ist  das  ewige  Wesen  des  Geistes  Gottes, 
woran  er  sich  gerade  als  der  Geist  bestätigt ,  von  jeder 
seiner  Individualisinmgen  eben  so  frei  zu  sein ,  sein  An- 
sich  über  ihr  zu  haben,  als  in  jede  sich  ganz  zu  cntäusst^ni. 


*)  Man  vergleiche  oben  die  Leib  nitki^che  ßemerkung,  S.  47' 


dieses  Standpunktes.  839 

.    Diese  «Bewegung^  der  absoluten  Negativitat  vh^t  H  e- 
^  e  I  selbst  jedoch  nur  auf  einseitige  oder  halbe  Weise  in's 
Litcht  gestellt :   er  hebt  auf  das  Stärkste  hervor ,  dass  der 
absolute  Geist  über  die  individuellen  hinwegschreitet  und  sie 
zu  ideellen  Momenten  seiner  selbst  herabsetzt;  er  schärft 
unablässig  ein,   dass  das  Individuum  sich  in  die  geistige 
Substanz,  und  die  allgemeinen  Interesspn  des  Geisles  ein- 
zutauchen und  darin  zu  vergessen  habe.    Aber  diese  Ver-* 
Senkung  in  das  Aligemeine,  wie  die  dialektische  Bückrüh- 
rung selber,  ist  nur  ein  erster  und  halber  Schritt:  nur  der 
Weltgeist  ist  .die  geistige  Substanz ,   der  ^absohitef^ 
Geist,  der  die  Individualitäten  der  Einzelnen,  wie  der  Völ- 
kergeister, aus  sich  hervorlässt ,  wie  in  sich  zurücknimmt, 
und  in  diesem  Processe  „die  Wirklichkeit,  Wabrr 
heit   und  G<ewissheit  seines  Thrones   erhält, 
ohne  den  er  das  leblose  Einsame  wäre^'*). 

Er  selber  jedoch  ist  abermals  in  seine  Substanz  z|i- 
rückzunehmen ,  und  erst  diess  ist  der  ganze  Schritt  und 
die  volle,  das  Princip  von  der  Gestalt  eines  besduun- 
kenden  Pantheismus  befreiende  Wahrheit.  Gleichwie  unser 
Planet  nur  der  Diese  ist,  Moment  im  Universum,  so  ist 
auch  sein  „Geist^  nur  Glied  in  der  Geistertotalilät  dessel* 
ben :  Geist  des  Universums  ist  ein  System  von  WeKgeistern, 
inbeghiTen  und  urgedacht  im  allgemeinen ,'  yfiber  sie  hin- 
ausgehenden^ Geiste  Gottes,  der  nun  wahr  ha  R  der  abso- 
lute ist,  welcher  jedoch  auch  seinerseits  hier  immer  bloss 
von  Seiten  seiner  Weltimmanenz,  als  das  schö- 
pferisch Begeistcnde,  dem  Universum  Sich  Einbildende 
gedacht  wäre.  —  Die  Philosophie  soll  ohne  Zweifel  ihre  allge- 
mein pädagogische  Bedeutung  auch  darin  haben ,  von  den 
tellurischen  Gesichtspunkten  und  Schranken  zur  tbeocentri- 
schon  Ansicht  der  Dinge  zu  erheben :  in  solchen  Auffas- 
sungen hat  sich  jedoch  der  Pantheismus  als  der  xähcsten 
und  engsten  Verschrankuiig  auf  das  TeUurische  schuldig 
verrathen. 


'*)  Phauoiii  eu  ologie  des  Geiäles  S.   765. 


840  Die  Wahrheit  und  die  Sohrankeii 

An  diese  Sfitze  haben  sich  faidess  noch  wdiere  Fol- 
gerungen  angeschlossen,  durch  welche  eine  Gattung  kirch^ 
licher  Orthodoxie  sich  mit  dem  Pantheismus  auf  ein^i  Au- 
genblick vereinigen  zu  lassen  scheint  Auf  der  Erde  ist 
Gott  Mensch  geworden,  sagen  beide :  in  Christus  hat  Golt 
sich  zuerst  in  p^^önlichem  Selbstbewusstsem  eigriffen,  be* 
hauptet.  der  Letztere.  Diese  Eine  That  ist  zugleich  eine  ewige, 
allgemeine  That  2  in  jener  historischen  Fakticität  ist  sugleioh 
die  ewige  Geschichte  Gottes  niedergelegt;  hier  ftber 
ist  einmal  allemal,  sie  wiederholt  sich  nicht  anderswo. 
Die  Erde  ist  daher  Mittelpunkt  und  höchste  Blüthe  desgan- 
sen  Universums :  der  menschliche  Geist  daher  die  einzige 
Stätte  der  höchsten  Sellustverwirklichung  Gottes,  der  Wie- 
derschem  seines  Geistes  ün  Universum,  Die  weitem  Fol* 
gerungen,  selbst  bis  auf  die  astronomischen  Begriffe  ▼ob 
Weltganzen  herab ,  lassen  sich  ohne  Mähe  von  selber  fin* 
den,  so  wie  auch  das  Poetische,  ja  das  Tiefe  dieser  Welt- 
ansicht nicht  zu  verkennen  ist 

Dennoch  erwiedem  wir  ihr,  dass  sie  fan  Namen  der 
Philosophie  zu  viel  behauptet,  dass  sie  ihr  Gegebenes 
äberschreitet,  und  den  Sinn  ihrer  Folgerungen  daraas  nb^ 
seine  Berechtigung  ausdehnt  AU  jenes  in^s  Absolute  Erhe- 
ben teDurischer  Verhältnisse  enthält  diess  Unberechtigle,  der 
spekulativen  Besonnenheit  Ermangelnde;  es  ist  nur  ein 
Dogmatismus  neuer  Art^).  Freilich  hat  die  Philosophie 
auf  dem  Beweise  und  der  Einsicht  zu  bestehen ,  dass  der 
wahre  Begriff  der  Menschheit  so  wenig  unvertragiich  ist 
mit  dem  der  Göttlichkeit,  dass  beide,  nur  in  einander  .dn* 
gehend  oder  an  einander,  das  Göttliche  und  das  Menscb* 
liehe,  als  solche,  zeigen  können.  Nur  s^  ist  der  Begrifi 
der  Offenbarung  in  ausdrücklichein  Sinne,  derMitthei* 
Inng  des  einen  Geistes  in  den  andern,  denkbar  zu  maehea. 
Dass  nun  diese  wahre  Vereinigung  „beider  Naturen«^ 
um  ihrer  Unterschiedenheit  Willen ,    auf  welche  erweislick 


■«■v 


*)  Vgl.  „%ur  sp«kuUtiv^o  Theologie'«  Zeitichrift  BU.  V.  H.l. 
S.  100.  101, 


dieses  Standpunktes.  841 

die  ganze  Entwicklung  der  S^enschheit  hinausgeht ,  zuerst 
in  Christus  erreicht  sei,  vermag  eine  spekulative  Kon- 
struktion der  Geschichte  ohne  Zweifel  zu  zeigen  , '  und  es 
dürHe  der  Gipfel  einer  Philosophie  der  Geschichte  in  der 
Nachweisung  bestehen,  wie  Chrislus  für  uns  der  Gott^ 
Mensch,  der  Mittler  und  Offenbarer  Gottes  sei  im  aller- 
eigentlichsten  Sinne.  Dennoch  .  Ist  diess  die  Granze  :  für 
jene  absolute,  gleichsam  metaphysische  Bedeutung,  welche 
iich  bis  ZQ  den  oben  erwähnten  Folgerungen  ausdehnen 
liesse,  ist  uns  Spekula  tfv  kein  Maassstab  gegeben:  und 
wenn  sich  der  Pantheismus  ihrer  bemächtigt,  um  sie  unter 
seine  Botmftssigkeit  und  Auslegung  zu  nehmen;  so  lisst 
sich  das  Geluhl,  hierin  einer  Täuschung  zu  begegnen^ 
sei  es  seiner  selbst  oder  Anderer ,  kaum  zurückdrängen.] 
Drittens  jedoch  -^  was  nun  vollends  über  das  Bis- 
herige entscheidet  -^  ist  schon  bei  der  Schelllngschen 
Philosophie  nachgewiesen  worden,  wie  das  Princip  der 
Immanenz  durch  sich  selbst  zurückgehe  in 
das  der  Transscendenz.  Der  göttliche  Geist,  in  Ge- 
stall weltgeistUcher  Verwirklichung,  ist  nur  an  sich  Sub- 
jekt, für  sich  wird  er  es  erst  als  Resultat:  so  weit 
Schelling  in  seinem  filtern  Systeme,  so  Hegel  durch- 
aus. Diess  hat  sich  aber  als  das  Ungenügende,  Halbe  ge- 
zeigt ;  diess  Princip  kann  bloss  vorausgesest,  assertorisch 
behauptet,  nicht  aber  begreiflich  gemacht  werden  als  das 
wahrhaft  Absolute/  Eben  weil  Gott,  als  Weltgeist,  mit 
„bewusstloser  Vernunft^  iu  allen  Gestalten  des  Daseins  wirk-« 
sam  ist,  und. aus  dem  Dunkel  desselben  in  immer  geistige- 
rer Weise  sich  hervorbringt,  vermag  er  diess  nur,  weil  er 
vor  allen  jenen  Weltprocessen  ebenso,  wie  in  ihnen,  der 
ewig  klare,  urbe  wusste  ist.  Jene  „bewusstloseWeis-* 
heit<<,  auf  welche  die  bezeichnete  Spekulation  so  grossen 
Nachdruck  legt  und  nichts  Geringeres,  als  das  Gepräge  des 
Absoluten  in  ihr  entdeckt  zu  haben  behauptet,  existirt  selbst 
nur,  von  unserm  Augpunkte  aus  gesehen:  auch  der 
Natur-  und  Weltgeist,  weil  er ,  selbst  relativ  und  nur  Mo- 
ment, auf  ein  weit  höheres  Subjekt  bezogen  werden  musj». 


842  Uebergang^ys  der  Phänomenologie 

als  in  den  Bereich  d^r  bisherigen  Standpunkte  der  Inma- 
nenz  gefallen  ist ,  niuss  in  den  Geis^  Gottes ,  als  den  mit 
Bewusstsein  darin  wirkenden ,  zurückgenommen  werden. 
Knrz  es  kehrt  biet*  dieselbe  Dialektik  zurück,  wdche  wir 
schon  bei  der  Kritik  von  S  che  Hin gs  Philoso|Aie  gel- 
tend machten,  und  es  wäre  nur  hinzuzusetzen^  dass  aarh 
das  Hegeische  System  ebenso  entschicKlen  ihrem  (anekle 
unterliegt,  weil  es  noch  ausschliesslicher  sich  darauf  be- 
granzt  hat ,  nur  die  Eine  Seite  des  ganzen  Verhiltaisses, 
die  der  Immanenz ,  an  sich  auszubilden. 

Wenn  wir ,  nach  diesen  allgemeinen  Vorblicken ,  zun 
Hegeischen  Systeme  nach  seinem  Resultate  am  Schlosse 
der  Phänomenologie ,  und  nach  seinem  Anfange  mit  der 
Logijk  zurückkehren;  so  lässt  sich  aucii  bei  den  freigebig- 
sten Zugeständnissen ,  die  wir  ihm  machen  mögen ,  nicht 
bergen,  dass  dieser  Anfang  der  Logik,  —  wie  man  iki 
auch  fasse ,  ob  als  einen  durch  jenes  Werk  vermitteKeB, 
oder  als  einen  aus  eigener  Unmittelbarkeit  beginnende«, 
—  um  im  Sinne  des  Systemes  solche  „Anfangt  zu  sein^ 
eine  Reihe  von  unbewiesenen '  Voranssetzungen  in  skli 
schlicsse ,  dass  also  in  keinerlei  Betrachte  durch  ihn  die 
wissenschaiUicben  Anforderungen  an  einen  solchen  Anfaaf 
erfüllt  werden. 

Er  kann,  als  grunjdlegender  Anfang  iiQr  eine  als  Me- 
taphysik behandelte  Logik,  nur  gelten  unter  der  doppellea 
Voraussetzung :  der  Gegensatz  des  Subjektiven  und  Objek- 
tiven ist  durchaus  überwunden,  die  Bewegung  des  Ge- 
dankens ist  völlig  nur  die  der  Sache  selbst:  diess 
das  Erste.  Was  jedoch  zweitens  in  jener  Gedankenbe- 
wegung erkannt  wird,  ist  das  Absolute  oder  Gott  selber: 
die  Logik  ist  dieDarstellungGottes,  wie  er  in  sei- 
nem ewigen  Wesen,  vor  der  Erschaffung  der  Katur 
und  eines  endlichen  Geistes,  ist  *). 


*)  Die  Wissenschaff  d  p  i-  Lom'k.  Erstp  Aufl.  Hfl  J  linki 
tUDg:  S.  Xill.  (Zweite  Aufl.  S.  36.  Hegels  Werir  Bd.  III 
S.  3ö.i. 


in  die  Wissenschaft  der  Logik.  843 

Hit  beideriei Voraussetzungen  indess  ist  Hegel,  von 
der  Phänomenologie  aus,  zu  einem  klaren  und 
vollständigen  Beweise  derselben  nicht  hindurchgedrungen. 
Was  er  in  den  spätem  Bearbeitnngen  der  philosophischen 
Encyklopidie  dafür  geihan  hat,  wird  sich  finden.  In  jenem 
Betrachte  haben  wir  gezeigt:  der  subjektive  Idealismus  ist 
nicht  überwunden  in  der  Phänomenologie;  er  ist  immer 
nm*  9is  ein  schon  überwundener  vorausgesetzt,  und 
so  auch  der  Standpunkt  des  absoluten  Idealismus ,  als  der 
allein  richtige,  nur  voraussetzungsweise  hineingezogen  wor* 
den.  So  steht  die  erste  Grundprämisse  des  logischen  An- 
fangs, von.  hier  aus  gesehen,  in  der  Luft.    » 

Aber  „die  Bewegung, des  Gedankens  ist  nur  die  der 
Sache  selbst^.  Welche  Sache  (Realität)  ist  es  denn, 
und  zugleich,  wie  kann  sie  „Bewegung^,  noch  dazu  eine 
„Gedankenbewegung^  annehmen?  Was  bedeutet  überhaupi 
dieser  Begriff,  welcher  die  seltsamste  Anmuthung  in  sich 
zu  schliessen  scheint?  Nur  ein  wirkliches,  lebendiges  Sub-^ 
jekt  kann  es  sein,  das  sich  also  bewegt,  ebenso  ein 
denkende^  Subjekt,  damit  seine  Idealbeweg ting  seinem 
realen  Bewegen  entsprechen  kann.  Esist  das  Absolute  — 
der  absolute  Geist ;  —  die  zweite  Voraussetzung.  D  i  e  s  s 
ist  das  gemeinschaftliche  Subjekt,  das,  in  uns  sich  denkend, 
den  eigenen  Begriff  von  sich  erzeugt ,  das  zur  logischen 
Wissenschaft  wird ,  so  wie  es ,  den  Begriff  objektivirend, 
sich  in  die  Natur  und  den  endlichen  Greist  ausgewirkt  haL 
Nur  durch  diese  Prämisse,  wie  gewaltsam  sie  erscheine, 
kommt  Sinn  und  Verständniss  in  den  Anfang  und  weitern 
Zusammenhang  der  Logik ,  deren  DenkbesCimmungen  als 
fortschreitende  „Definitionen  desAbsoluten  oder 
Gottes^  angegeben  werden  *),  während  das  Absolute 
selbst  in  ihr  „in  seinem  ewigen  Wesen<^,  vor  der 
Erschaffung  einer  endlichen  Welt,  existirt. 


*)  Encykiopadie    r1f*r  philos.  Wissenscbart eo.  Werke 
Bd.  VI    §.  84,  S.  16.x  . 


844  Anfang  der  Logik/ 

Aber  auch  diese  Voranssetmng  ist  nachgewiesenermaa«- 
sen  eine  völlig  unbegründete,  wenn  wir  von  der 
Phänomenologie  herkommen.  In  dieser  ist  kei- 
nesweges  die  Idee  des  Absoluten  als  Resultat  gewiMi- 
nen ,  sondern  allein  die  des  Welt-  oder  Erdgeistes ;  and 
es  hat  sich  ergeben,  wie  weit  noch' der  Weg  sei  von  die- 
ser bis  in  jene  zurQck. 

So  müssen  wir  völlig  auf  die  andere  Seile  treten,  und 
das  System  ganz  unabhängig  betrachten  von  seinen  phäno- 
menologischen Vorbeziehungen.     So  hat  es  Hegel  sdhst 
behandelt  in  den  drei  Bearbeitungen  seiner  ^^Encyklopädie 
der  philosophischen  Wissenschaften^^.    In  der  ersten  Aus- 
gabe derselben  (1817»)  erklärt  er  die  Philosophie  als  ,,die 
Wissenschaft  von  der  Vernunft^,   und  zwar    ,,in sofern 
die  Vernunft    ihrer    selbst   als    alles  Seins 
darin  bewusst  wird*'  ($.  5.):  —  eine  Erklärung,  die, 
wiewohl  sie  genau  und  erschöpfend  den  spekulativen  Stand- 
punkt Hegels  wiedergiebt,  dennoch,  unstreitig  um  ihrer 
Unverständlichkeit  und   Paradoxie   bei   dieser  vorlauten 
Fassung,  späterhin  weggeblieben  ist.    Die  Phänomenologie, 
als  einleitende  Wissenschaft ,  wird  dagegen  fallen  gelassen 
und  der  Vergangenheit  überwiesen   (erste  Ausgabe  $.  34. 
S.  30,)^  ))Weil  das  Bewusstsein  und  dessen  Geschichte,  wie 
jede  andere  philosophische  Wissenschaft,  nicht  ein  ab  so* 
luter  Anfang,   sondern  ein  G I i e d  in  dem  Kreise 
der  Philosophie  sei^:  -^in  der  dritten  Ausgabe  ($.  25. 
S.  35.  36.)    wird  als. Grund  dieses  Fallenlassens  noch  be- 
stimmter das  Doppelte  hin  zugefügt:   dass   die  phänomeno- 
logische Entwicklung   des   Bewusstseins  zum   Theil  schon 
den  Inhalt  anticipiren  müsse ,   der  erst  in   die   concrelen 
Theile  der  Philosophie  des  Geistes  lu  fallen  habe,  wodurch 
die  Darstellung  verwickelter  werde,  und  ihr  Gehalt  sich  in 
den  spätem  Partieen  des  Systemes  wiederhole;  —  über- 
haupt jedoch  sei  zu  bemerken ,   dass  alle  solche  Betrach- 
tungen über  die  Natur  des  Erkennens    u.  dgl.    immer  nur 
vorläufige  bleiben  können ,  weil  ihnen ,  trotz  des  Scheines 
ihrer  Qoacretheit ,  doch  nur  „einfache  Gedankenbe- 


Anrang  der  Logik.  845 

Stimmungen^  zu  Grunde  liegen,  „die  erst  in  der 
Logik  ihre  wahrhafte  Erledigung  erhalten^*« 
—  Hieraus  ergiebt  sich  also,  dass  nach  Hegels  späte** 
rer  Ueberzeugung  der  wis,senschaftliche  Anfang  «sei- 
nes Systeraes  —  abgesehen  von  propädeutischen  Vorer- 
klärungen und  einleitenden  Orientirungen  zum  Behufe  der 
Lehrmethode  oder  nach  subjektivem  Bedurfnisse ,  —  mit 
der  Logik,  und  nur  mit  ihr,  zu  machen  sei,  weil  sie 
die  Lehre  von  den' Kategorieen  ,  den  allge- 
meinsten Gedankenbestimmungen,  den  Grund- 
formen alier  Wahrheit,  ist  *)• 

Hiemach  erklärt  sich  nun  Hegel  in  den  ersten  Aus-« 
gäbe  seiner  Encyklopadie  auf  das  Unbewundenste  dabin: 
dass  der  Anfang  der  Wissenschaft,  alle  sonstigen  Voraus- 
setzungen, Meinungen,  auch  philosophische  Axiome  u.  dgl« 
wegzuwerfen  habe,  nicht  darum,  weil  sie  etwa  falsch  seien, 
sondern  weil  sie  blosse  Voraussetzungen  sind.  Die  Wis- 
senschaft habe  Nichts  vorauszusetzen,  als  dass  sie  rei- 
nes  Denken  sein  wolle.  Dazu  habe  der  Skepticis- 
mus  auf  negativem  Wege,  indem  er  alle. endlichen  Denk- 
bestimmungen ab  widersprechende  nachwies,  zurückfuhren 
wollen — zu  diesem  Zweifeln,  der  Verzweiflung  an 
Allem.  Diese  sei  aber  gleich  der  gänzlichen  Vor'aus- 
selzungslosigkeit  anAUem,  welche  durch  den  freien 
Entschluss  „r e i n  denken  zu  wollen^  durch  die  Fr  ei- 
h  e  i  t  vollbracht  werden  könne ,  welche  von  allem  übrigen 
Inhalte  abstrahirt ,  und  nur  die  Einfachheit  des  Denkens 
erfasst  ($.  35.  36.  S.  30.  ff.  vgl  3te  Aufl.  $.  78.  S.  950* 
Diess  sei  der  wahre,  durch  sich  selbst  sich  rechtfertig» 
gende,  einzig  zulässige  Anfang  der  Philosophie. 


*)  Wie  richtig  diecs  sei,  wie  aber  daraus  nach  uns  gerade  der 
BegriiF  einer  der  LogiL  (im  Sinne  der  Me  taphysik)  voraus- 
gehenden Erkenntnisslehre  begründet  werde  ,  darüber  yer« 
gleiche  man  des  Verfassers  Abhandlung:  über  dasYer» 
hiltniss  der  Erkenatnisslehre  xur  Metaphysik  in 
der  Zeitschrift  u.  s.  w.  Bd.  I.  H.  1.  S«  1^2*  SL 


846  VorboTgeric  VoranssefEungon 

Indoni  nach  dieser  firklftrung,  „rein  nur  denken 
zu  wollen^,  sofort  nun  mit  dem  wahrliafl  erstiHi  Gedan- 
ken: dem  reinen  Sein,  das  noch  Nichts  ist,  be- 
gonnen wird;  wäre  gegen  diesen  Einschritt  Nichts  zd  er- 
innern: aber  es  wird  sogleich  ein  Grund  dieses  Anfings 
fainzogefugt ,  welcher  dem  „reinen  Denken'^  ein  Elemenl 
beimischt  9  welches  nicht  in  ihm  ii^.  „Das  reine  Sein 
macht  den  Anfang,  weil  es  sowohl  reiner'  (d.h.  schlecht- 
hin erster)  „Gedanke,  als  das  einfache  Unmittel- 
bare' (das  einfachste  Sein)  „ist:  der  erste  Anfang  aber 
nichts  Vermitteltes  und  weiter  Bestimmtes  sein  kann'. 

Und  noch  unerwarteter  wird  hinzugefugt:  „die  wahr- 
haft erste  Definition  des  Absoluten  ist  da- 
her (l):  es  ist  das  reine  Sein'  ($.39.).  —  Dem  „reinen 
Denken'  wird  daher  nicht  nur  sofort  auch  das  Sein ,  das 
Objektive  überhaupt,  immanent  gesetzt,  sondern  weit  mehr 
noch,  das  absolate  Sein.  Das  „reine  Denken'  ist  daher 
nach  der  weitern,  schon  nachgewiesenen  Voraussetzung  zu- 
gleich gefasst,  als  absolutes  mit  dem  Sein  identisches 
Denken^  als  dasSichselbstdenken  des  Absoluten. 

Hieraus  entdeckt  sich  klar,  was  es  eigentlich  mit  der 
angeblichen  Voraussetzungsiosigkeit  des  Anfangs ,  der  ab- 
sohiten  „Verzweiflung'  an  aller  Wahrheit  und  Gewissheit, 
bis  sie  sich  im  „reinen  Denken'  gerechtfertigt  habe,  für 
eine  Bewandtniss  bat.  In  der  That,  allein  von  dieser  Stelk 
des  Systemes  aus  beurtheUt,  und  ohne  Rudisicht  auf  den 
weitem  Zusammenhang  mit  dem  Ganzen,  in  welchem  jene 
Behauptung  Wahrheit  erhalten  konnte,  muss  dieser  Anfang 
als  einer  der  unbegründetsten,  sich  widersprechendsten 
und  wiükührlichsten  erscheinen,  mit  weichen  je  ein  Philo- 
soph sich  der  Konsequenz  einer  Selbsttäuschung  -hingegeben 
hut.  So  für  sich  gefasst,  kann  das  System  nur  für  das 
iVodukt  des  zähesten  und  hartnäckigsten  Dogmatismus  ge- 
halten werden. 

Für  voraussetzungslos  Jcann  das  „reine  Denken'  näm- 
lich nur  gelten  in  Bezug  auf  den  Inhalt,  welchen  es 
dialektisch  aus  sich  gewinnt :    ah   dein  ersten  einfachsten 


dieses  Anranges.  •    847 


o 


Gednnken  reiht  sich  der  dadurch  vermilleUe  zweite,  und  so 
fort  bis  zu  Ende.  —  Voll  der  blindesten  Voraussetzungen 
dagfo^en,  die  um  so  verderblicher  sind,  je  weniger  sie  aus- 
drucklich ausgesprochen  werden  ,  ist  es  in  Rücksicht  auf 
die  Bedeutung,  welche  jenen  Gedankenbestimmungen 
zukommen  sollen. .  Was  können  an  sich ,  in  einem  wahr- 
haft Nichts  voraussetzenden  Zusammenhange ,  jene  durch 
reines  I>enken  abgeleiteten  Kategorieen  bedeuten?  Nichts 
mehr,  als  das ^  wofür  sie  selbst  sich  geben  durch  ihre 
Ableitung:  als  schlechthin  nothwendige  Wirklichkeits- 
formen, die  um  dieser  Nothwendigkeit  willen,  schlecht- 
hin ailgcmeingultig  von  allem  Seienden,  wie  zud>en- 
kenden,  gelten,  ohne  die  ein  Seiendes  oder  ai# wirk- 
lich zu  Denkendes  gar  nicht  gedacht  werden  könnte.  Mit-* 
hin  sind  sie  in  diesem  Sinne  auch  ebenso  schlechthin 
objektiv,  wie  subjektiv;  Sein  und  Denken  fallen,  in  Bezug 
auf  sie,  als  indiflerente  in  einander;  d.h.  es  ist  für  deren 
Inhalt  gleichgültig ,  ob  sie  im  Sein  oder  als  Begriffe  ge- 
nommen werden  ,*  und  gleicher  Art  wäre  es  in  diesem 
Sinne  wirklich  bloss  eine  ^Voraussetzung*«  —  ein  unbe- 
wiesenes Vorurtheil ,  —  wenn  man  etwa  (nach  K  a  n  t  i- 
scher  Wejse)  die  Kategorieen  in  nur  subjektiver  Be- 
deutung fassen  wollte. 

Aber  gerade  eben  so  wenig  ist  von  der  andern 
Seite  durch  sie  oder  durch  ihre  dialektische  Entwicklung 
ein  Seiendes,  überhaupt  ein  concretes Wirkliche 
mitgesetzt,  von  dem  jene  Wirklichkeitsformen,  als  die 
Prädikate,  „Definitionen*  desselben ,  gelten  und  darauf  be- 
zogen zu  werden  vermöchten.  Und  so  sehr  Hegel  sich 
gegen  ein  „Erkennen«*  erklart,  das  „ein  blosses  Bezie- 
hen von  fertigen  und  festen  Prädikaten  auf  irgend 
ein  gegebenes  Substrat*  wäre  ($.35.);  —  und  diess 
mit  unbezweifeltem  Rechte,  sofern  jene  eben  nur  fer- 
tige und  feste  Bestimmungen,  diess  ein  anderweitig 
vorausgesetztes ,  beide  überhaupt  unmittelbar  entgegenge- 
setzt sein  sollen':  —  so  ist  damit  die  Frage  keinesweges 
erledigt ,    o  b  ein  Seiendes   sei  in  jenen  WirkIichkeifc$for- 


84S  Verborgüno  Yoraas6ctZDngr«n 

men  ^  und  woher  das  ^Brkennen*  isich  äbeiiiao^t  em<^ 
solchen  za  versichern  gedenke?  Dass  nämlich  diess  Seiende 
den  WirUichkeitsformen  schlBchthin  immanent,  ja  sel- 
ber das  (durch  seine  Selbstverwirklichung)  sie  Setz  ende, 
in  ihnen  sich  Auspragende  sein  werde,  diese  Konseqnenx 
Uegt  freilich  nahe ;  ebenso  isl  durch  weitere  Polgenn^ 
abzusehen ,  wie  diess  schlechthin  Seiende ,  und  dadurch 
Setzende  jener  aHgemeingüitigen  WiijUichkeitsfannen  ,  als 
das  Absolute  werde  erkannt  werden  müssen*  Aber  aBes 
diess  soH  herausgesetzt  werden,  zum  Vorschein  komnien  m 
einer ,  wie  sie  behauptet ,  Nichts  voraussetzenden  Phi^ 
losopWe. 

Statt  dessen  wird  alles  diess  nicht  nur  übersprangen^ 
sondern  es  geschieht  noch  mehr;   das  gerade  Gegehüieä 
des  wahren  Verhältnisses  wird  in  solcher  voraussetxendea 
VITeise,  als  das .  sich  von  selbst  Verstehende,  stUlschweigeod 
untergelegt    Es  wird  von  Hegel  am  Anfange  seiner  JLo^ 
gik  nicht  nur  in  der  That  zuerst  ein  solches  mit  dem  Mun* 
de  verleugnetes   „Substrat^,   ein  Seiendes,   voransg«- 
setzt,  damit   der  subjektive  Begriff:    „Sein^  auch  ob- 
jektive Bedeutung  haben  könne;  nicht  nur  wird  sodann 
angenommen  ein  •seiendes  Absolute,    damit  das  ,^iii^ 
die  erste  Definition  desselben,  zu  werden  vermöge :  —  son- 
dern ausdrücklicher  noch  liegt  in  der  ganzen  Art,  diess  als 
verschwiegene  Voraussetzung  nur  unterzulegen,  und  weder 
ntich  dem  Seienden ,   noch  nach  dem  Was  des  Seienden 
zu  fragen  —  die  grundverkefarende  Konsequenz :  dass  hier- 
mit das  System  der  dort  abgeleiteten ,  gegenseitig  sich  er- 
gänzenden und  in  einen  höchsten  BegriiT  sich  zusammenfas- 
senden Kategorieen  selbst  zum  Absoluten  werden 
muss;    und  da  sie  alle  darin  übereinkommen,  Gedan- 
ken zu  sein,  und  die  in  ihnen  logisch  aufgewiesoie  Be- 
wegung eine  „Gedankenbewegung^  ist,   so  wird  nun  dis 
Absolute  zum  sich  selbstbewegenden  Gedanken: 
innerhalb  der  Logik  in  seinem  Ansich  oder  in  reiner  6e- 
dankenmässigkeit,  innerhalb  der  Natur  sich  von  aick  selbst 
entaussernd,  im  Reiqhe  des  Geistes  zu  sich  selbst  zurück- 


dieses  Anfanges.  849 

kehrend,  und  jenen  logischen  Anfang  ebenso  rechtfertigend^ 
als  aus  sich  selbst  erfüllend« 

Hier  zeigt  sich  das  Resultat  des  Systemes  als  schon 
A  n  t  i  c  i  p  i  r  t  in  der  Verworrenheit  der  Voraussetzungen, 
welche  es  sich  verstattet;  indem  es  behauptet,  in  der 
sich  fortbewegenden  Dialektik  der  Kategorieen  die  DeGni* 
lionen  des  Absoluten  zu  besitzen ,  ist  ihm  dadurch  nicht 
weniger  als  das  Dreifache  voraussetzungsweise  gewiss :  ein 
Seiendes  überhaupt,  ein  seiendes  Absolutes  sodann,  und 
endlich,  dass  diess  Absolute,  als  das  Subjekt  jener  logischen 
Gedankenbewegung,  und  hiermit  die  Einheit  des  Subjektiven 
und  Objektiven,  selbst  der  Gedanke,  die  absolute 
Idee,  objektiv  wie  subjektiv,  an  sich,  wie  an  und  für  sich^ 
sei.  Werden  aber  diese  Voraussetzungen  bei  Seite  gestellt, 
d.  h.  4Kunachst  nur  als  Voraussetzungen  aulgewiesen  ,  so 
muss  das  System  verstummen.  Es  kann  in  diesem  Falle 
sich  nur  darauf  berufen,  dass  der  Umkreis ,  in  welchen  es 
sich  durch  jenen  willkührlich  angenommenen  Anfang  der 
Logik  hineingebaut,  im  Ganzen  auch  folgerichtig  vollendet 
worden  sei ,  und  es  kann  einladen  ,  oder  zur  Bedingung 
machen ,  in  den  Umkreis  einzutreten  ,  wo  dann  auch  die 
Rechtmassigkeit  des  Anfangs  klar  werde.  Welches  AUes^ 
wissenschaftlich  beurtheiit ,  von  gar  keinem  Gewicht  und 
Entscheidung  ist;  denn  es  lässt  sich,  mit  einer  offenbaren 
petitio  prmcipn  an  seinem  Schlüsse  den  Anfang  nur  bestä- 
tigen: der  Kreis  der  Voraussetzung  bat  sich  in  sich  selbst 
abgeschlossen,  über  ihn  hinausgegangen  ist  nirgends. 

Diess  wäre  nämlich  auf  die  Entgegnungen  zu  erwie- 
dern,  welche  das  System ,  wie  wir  wissen ,  auf  solche  Er- 
innerungen in  Bereitschaft  hält,  denen  übrigens  an  sich 
selbst  und  in  begranztem  Sinne  volle  Wahrheit  zuzugeste- 
hen isL  ^Auch  das  Unmittelbare  muss  in  anderm  Sinne 
ein  Vermitteltes  sein ;  denn  Alles  steht  im  Zusammenhange 
mit  Allem  und  kann  nur  in  diesem  seine  Bestimmtheit 
erhalten.  Erst  das  Endresultat  ist  daher  die 
volle  Wahrheif". 

Richtig;  nur  kann  ans  diesem  Axiome  in  keinem  FaUe 

54 


8(0  Verboigeae  Yortotfebsmigeii 

folgen ,  dMs  der  Anfang  des  Systemes  der  Philosofriue  wai 
den  möglichen  Ausgang    hin    nur    vofaiuigesetzt    w^deo 
dürre ,  um  dann  als  richtig  zu  gelten  ^   falls  der  Ausgang 
etwa  ihn  bestätigt.    In  jedem  Anfange  ist  das  Ende  schoa 
mitgegeuwärtig,  und  einen  wilikühriichen  Begina  durch  sei- 
nen Ausgang  oder  Erfolg  erweisen  zu  lassen,   heistf  mif, 
diese  Willkühr  in  sieh  selbst  abschliesscn   und  voUeadeD, 
nicht  aber,  sie  durch   den  Beweis  des  Erfolges  be- 
stätigen.   Unddiess,   was  wir  gegen  den  Hegelschea 
Anfeuig  des  Systemes  in  der  Logik  erinnern  mussten,  ohae 
noch  auf  sein  Ende  hinüberzublicken ,  wird  die  Kritik  an 
diesem  Ende   gerade  bestätigen.    Audi  das  Ende   zeigt 
sich  als  ebenso  willkuhrfich,  wie  der  Anfang,  nicht  blo^ 
weil  es  das  Ende  nur  eines  solchen  Anfanges  isl,  son- 
dern auch,  weil  im  Verlaufe  des  ganzen  Systemes,  -^  Ton 
der  Wahrheit  der  einzelnen  Ausführungen  abgesehai  und 
nur  auf  die  Begründung   seines  Princips  Bedacht  ge- 
nommen —   dieser  Begründung  um  Nichts  näher  ge- 
rückt worden  ist,  als  an  seinem  Anfange.    Das  System  ist 
mit  Einem  Worte  die   vollständige,  zur  encyklopädischea 
Ausbreitung  aller  Theile  gelangte  Durchfuhnmg  einer  spe- 
kulativen Grundvoraussetzung,  —  der,  welche  irir 
schon   kennen   von    der  Phänomenologie   des  Geistes  her, 
und  die»  sich   eben  auch  dort  als    ein  Unbe  wie  seines, 
als  blosse  Erbschaft  der  S  c  he  Uingschen  Philosophie  ge- 
zeigt hat    Nur   die  Grösse    und   innere  Wahrheit  dieses 
Princips  und  die  Bestätigungen,  welche  ein  concretes  Be- 
greifen des  Wirklichen  aus  ihm  als  Nebenerfolg  immer  bei 
sich  führt,  konnten  dem  Urheber  des  Systemes  die  wahre 
fermelle-  BeschaiTenheit   desselben   verdecken:    das  mige- 
heuere  Gewicht  der  Sache  trug  und  unterstützte  die  dorcb- 
aus  noch  unadäquate  Form. 

Jenen  logischen  absoluten  Anfang  jedoch  betreffend, 
durfte  sich  Hegel  um  so  mehr  seiner  scheinbaren  Ge- 
wissheit getrösten,  als  hier  der  merkwürdige  Umstand  em- 
tritt ,  dass  er  in  doppelter  Beziehung  Recht  mit  ihm 
hat ,  dass  aber  eben  darum  das  letzte ,  wahrhaft  ^ntschei- 


dieses  Anfatigfes.  851 

r>nd()  Recht   dazwischen  hineinfflli    Die  Sache  ver* 
ilt  sich  so  damit. 

Dass  von  dem  Vorsatze,  „rein  nnr  denken  zu 
'olIcn%  wie  Hegel  sagt,  von  der  absoluten  Vorausset- 
ingsloslji^keit  jeder  nur  gemeinten,  angenommenen  Wahr- 
eit  alle  Spekulation  anzufangen  habe,  scheint  sich  so  sehr 
on  selbst  zu  verstehen,  dass  diess  die  allgemeine  oder 
11  bjektive  Bedingung  ist,  unter  welcher  überhaupt  nur 
as  Bedurfniss  eines  andern,  als  bloss  empirischen,  immer  in 
ewissen  Voraussetzungen  verharrenden,  Wissens  erwachen 
ann.  Aber  mit  jenem  Vorsatze,  wie  an  sidi  selbst,  ist 
ir  den  wirklichen,  objektiven  Anfang  desSystemes 
och  gar  Nichts ,  weder  gewonnen,  noch  entschieden :  es 
lufen  von  hier  ans  tausend  Wege  nach  allen  Richtungen 
in ,  und  es  muss  schon  darum  als  der  gewaltsamste  Ge-*. 
ankenspnmg  erscheinen  ,  von  dem  unbestimmten  Vor«* 
atze,  „rein  denken  zu  wollen^,  sofort  zum  „ersten  Be- 
riffe'',  dem  „reinen  Sein^ ,  überzugehen ,  indem  es  eines 
chon  sehr  in  sich  vermittelten  spdndaliven  Bewusstsein 
tnd  der  complicirtesten  Bildungsvoraussetzungen  bedarf,  um 
lur  das  Bedurfniss  zu  haben,  auf  einen  schlechthin  ersten 
redanken  zurückzugehen,  und  ihm  spekulative  Bedeutung 
beizulegen  ,  oder  vollends  das  Rocht ,  aus  ihm  d  i  a  1  e  k- 
isch  weiter  fortzuschreiten,  aufweisen  zu  können.  Min- 
Icstens  ein  Begriff  der  dialektischen  Methode  muss  dies- 
em' Beginne  vorausgeschickt  und  darin  der  Beweis 
hrer  Ob  jektivität  geführt  werden. 

Aber  hiermit  allein  schon  sind  wir  von  jenem  sub-* 
ektiven  Anfange  Hegels  aus  in  einen  ganz  andern 
kireich  von  Untersuchungen  hineingewiesen:  vor  aUett 
Hngen  müssen,  wie  man  sieht,  gewisse  erkenntniss» 
heoretische  Fragen  festgestellt  sein,  ehe  jene  ob^ 
fiktiv  logische  Begriffsdialektik  auch  nur  zu  Wort  gelassen 
irerden  kann ;  und  erst  von  jenen  her  lasst  sich  entschei- 
Icn  ,  welchen  Sinn  die  letztere  babe^  und  welche  Bedeo^ 
ung  im  ganzen  Systeme  der  Philosophie  ihr 
ugcslanden  werden  kann.    Gerade  also  die  Fragen  müs- 


85a  Dcpfolsimi 

flen  die  ersten  wep'den ,  welche  auch   die  PbSnomenoiogie 
fiberspringt  oder  voraussetzt,  und  denen  rie  andere  Cschon 
halbmetaphysische)    Untersu<;hungea  untergelegt  hat.    In- 
dem also  Hegel   mit  seinem  Systeme  auf  den  allgemein- 
sten Anfang  alles  Philosophirens ,  auf  die  reine  Voraiisset> 
zungslosigkeit  und  Inhaltsleerheit,  hat  zurückgehen  wollen 
—  ein  Vorsatz ,    der ,  wie   sich  gezeigt  hat ,    ihm  unter 
keinerlei  Gesichtspunkt  gelungen  ist,  welch  ein  Werk, 
ob  Phänonoenologie  oder  Logik ,   man  auch  für  den  wah- 
ren Anfang  seines  Systemes  halte:  —  so  handeln  diejeni- 
gen gerade  seinem  Principe  getreu  und  thun  das  zunächst 
von  ihm  Geforderte  und  eigentlich  Gewollte,  welche  nicht 
Phänomenologie,  nicht  Logik,   als  die  wahre  Anfangswis- 
aenschaft  erklären,  sondern  nur  die  Lehre,  die  sich  über 
jene  Forderung  des   ,)reineQ  Denkens^  selber  verständigt, 
oder  in  weiterer  Beziehung,    welche   das    darin    liegende 
Brkenntnissproblem    löst.      Der  Vorsatz    nämlich, 
Aberhaupt  denken  zu  „wollen*^,  wird  an  solchem  Wollen 
nicht  genug  haben,  um  sogleich  zum  Werke  zu  schreiten: 
er  wird  sich    zuerst  über  das  Voll  bringen,    dessea 
Möglichkeit  und  die  Bedingungen  eines  ,)Speknlativen^ 
Denkens  verständigen  müssen;  kurz  das  reine  Denken  wird 
zunächst  zum  Begriffe  seiner  selbst,  im  weitestm 
Sinne,     durch    eine  Erkenntnisslehre    aufzusteigen 
haben,  und  darin  erst  wird  der  unbestimmte,  alle  Voraus- 
Setzungen  bei  Seite  stellende  Antrieb  zum  Philosophiren, 
der  subjektive  Anfang  der  Philosophie  ,  auf  den  wah- 
fmi,  objektiven  Anfang  des  Systemes  surückgeheo 
und  so  ihn  begründen ,  d.  h.  als  diesen  objektiven  nach- 
weisen. —  Doch  bedarf  es  an  dieser  Stelle  keiner  weiten 
Auseinandersetzung  darüber:    wir  halteir  den  in  Hegels 
eigenem  Geiste  hier  nöthtgen  Fortschritt  iur  schon  gesche. 
hen  in  mehr  als  Einer  Weise,  und  können,  was  uns  selbst 
betrifft,  nur  auf  die  von  uns  gegebene  Ausführung  dessd^ 
ben  weiter  verweisen  *).  — 


*)  Giruadzuge  zum  Systame  dtr  Philosophie;  Erttf 


in  (Kesem  Anfange.  B53 

Aber  auch ,  wa»  Jenen  von  Hegel  aufgewehten  „er- 
;len  Begrifl^  anlangt,  so  hat  er  Recht  mit  ihm  zum  zwei*- 
.  e  n  Male,  ohne  es  darum  im  Ganzen  zu  bekommen.    Das 
,rein  pradikatlose  Sein^,  als  gleich  noch  dem  ^ichts^,  iat 
n   der  That  dieser  schlechthin  erste  Begriff  des  metaphy- 
;i  sehen  Denkens.    Aber  nicht  nur,   dass  zwischen  Hm 
md    jenen   „Vorsatz^   des    reinen  Denkens    eine  ganzä 
Wissenschaft  hineinfallen  muss,   deren  Hegel  nicht  Acht 
hatte;  nicht  nur,  dass  diese  zu  erweisen  hat,  was  Hegel 
für  sein  reines  Denken  nur  voraussetzte,  die  auf  dem  me- 
taphysischen Standpunkte   schon    gewonnene  Identität  des 
Subjektiven  und  Objektiven:  sondern  viel  mehr  noch,  wie 
jener  Begriff  in  Heg^els  Logik  erscheint,    als  die  erste 
Bestimmung  eines  „reinen^,  d.h.  leeren  Denkens,  ist  er, 
nach  seinem  eigentlichen  Werihe  gefasst,   völlig   eben  so 
leer  und  nihilistisch.    Um  Prädikat,   „erste  Definition^  ir- 
ij^end  eines  Seienden ,  vollends  des  Absoluten ,  zu  werden^ 
niuss  das  also  zu  Definirende  selbst  erst  gefunden,  das  Sein 
des  Absoluten   erwiesen  werden.    Erst   dadurch    kann 
der  Logik  (Metaphysik)  ein  substantieller  Gehalt  und  Rea- 
lität zugestanden  werden ,  und  ,  was  noch  wichtiger ,  die 
Idee  des  Absoluten   davor  gesichert  bleiben ,  zum  blossen 
Begriffe  des  Weltgeistes  herabzusteigen ,   wie  sie  von 
der  Phänomenologie   des  Geistes   aus   in   das  System  hin- 
eingerielh.     In  Betreff  dieses  Ueberganges  aus  Erkennt- 
nissichre in  Metaphysik  halten  wir  gleichfalls  das  Wesent- 
liche schon  für  geleistet:   in  der  vollständigen  Lösung  des 
Erkcnntnissproblemes   durch   Vermittlung   des    Subjektiven 
und  Objektiven,  des  Geistes  und  der  Natur,  im  Begriffe  der 
Einen,  in  Geist  und  Natur  gleichmässig  sich 
verwirklichenden,  und  so  beide  vermitteln- 
den Vernunft,    —   welche   daher  eben  „Identität  des 
Subjektiven  und  Objektiven^  das  Schell  in  g- Hegeische 


Abibeil  II  ng,  (taj  Erkennen  ülsSelbsterkenne^; 
Heidelberg  1833.  Einleitung:  Begr^T  der  Philosophie  $.  1^14. 


854  Doppelsiiiii 

AbsohHe,  d.  h*  der  Weltgeist  ist,  —  wird  dieser  Be- 
griS  selber  z^m  Problem,  zum  höher  Kafirklären- 
den:  er  geht  selbst  in  den  Begriff  des  Absoluten  zu- 
rück, weiches  hier  seinem  ganzen  Principe  nach  schon  ein 
schlechthin  jenseits  aller  Weltvernunft  Liegendes  ge- 
worden ist,  weil  die  Weltvernunft,  jene  Identitöt  von  Na- 
tur und  Geist  selbst  aus  ihm  erklärt  werden  soll.  Hier- 
mit entsteht  ans  der  Losung  des  Erkenntnissproblemes  die 
Aufgabe  der  Metaphysik,  das  Absolute  zu  begreifeii, 
wobei  —  davon  abgesehen,  dass  hier  zuerst  ein  lückenlo- 
ser ,  klar  begreiflicher  wissenschaftlicher  Zusaauneoliang 
staltfindet ,  —  gleich  im  Principe  die  pantheistische  Ver- 
schrankung  durchbrochen  ist«  welche  Schelling  erst 
spater,  Hegel  nie  überschritten  fiat  *). 

Hegel  selbst  ist  entschuldigt  wegen  jener  Hissgrifle, 
deren  Entdeckung  freilich  sein  ganzes  System  in  die  Luft 
sprengt  Ihm  war  beschieden,  nach  einer  andern  Seite  hin 
den  nachdrucksvollen  Ausschlag  zu  geben :  die  Nachwei- 
sung der  innem  Dialektik  und  des  in  sich  geschlossenen 
Systemes  der  Kategorieen,  ihrer  innerlich  sich  ergänzen- 
den, in  einen  höchsten  Begriff  sich  zusammenfassenden  To- 
talität ,  macht  das  eigentliche  Verdienst  seiner  Logik  aas. 
Wenn  er  ungeduldig  zu  ihrer  Ausführung  eilte  und  in  die- 
ser Wiedererweckung  des  wahren  Inhalts  der  lletaphysil[ 


*)  Wir  können  nicht  umhin,  auch  hier  auf  die  an  andern  Orien 
gegebene  wissenschaftliche  Ausführung  zu  verweisen,  welche, 
da  sie  dort  mit  ausdrucklicher  Rucksicht  äiuf  das  HegeU 
ach«  System  gegeben  wird  ,  die  gegenwartige  Darstellung  er- 
gänzt und  yerrallstilndigt:  ,,Ontologie'<  (Heidelberg  1S36.) 
Einleitung:  Begriff  der  Ontologie,  J.  XI.  Ann. 
S.  10 — 16.  Ueber  daa  Verhältnias  d  ea  Form-  nod 
Realprincipes  in  der  Zeitschrift  für  Philosophie  Bd.  II. 
H.  1.  S.  88  ff.  ,j2  ur  spekulativen  Theologi  e«  iwei- 
ter  Artikel.  Ebendaselbst  Bd.vV.  H.  1.  S.  91—113.  besonders 
J5>  4-  5.  7.,  deren  eingewobene  Kritik  der  Hegelscb«  Lehrs 
wir  auch  nir  das  hier  Folgende  der  sorgfältigen  Efwagoag 
empfehlen. 


in  diesem  Anfimge^  855 

• 

die  weiter  dabei  zu  bedenkenden  Vorfragen  übersprang; 
Wer  wird  diesen  unwillkührlichen  Hangel  niclit  sogar  be- 
endet finden  in  der  allgemeinen  Natur  der  spekulativen 
Entwicklung,  worin  die  Auffindung  und  thatkrailige  Durch- 
[uhrung  eines  neuen  Princips  immer  das  Erste,  die  Klartieit 
des  Begrifies  und  die  allgemeine  Begründung  desselben  das 
/Zweite,  Nachkommende  ist? 

Wenn  jedoch  seine  Ausleger  und  Apologeten  jetzt, 
wo  diese  .Lücken  des  Systems  wiridich  zum  Bewusstsein 
grekommen  sind,  und  man  Hand  angelegt  hat,  sie  auszu«» 
Füllen,  sich  immer  noch  überreden,  alle  Bedenken  erledigt 
zo  haben,  indem  sie  Hegels  Betrachtungen  über  das  En- 
cyklische  der  Wissenschaft  und  den  zum  Anfange  zurück- 
kehrenden, ihn  rechtfertigenden  Schluss  des  Systemes  —  kurz 
die  einstweiligen  Beschwichtigungen  desselben,  mit  denen 
3r  sich  genügte,  um  mit  dem  eigenen  Principe  nur  in  Worte 
kommen  zu  können ,  —  im  eigenen  Namen  wiederholen : 
;o  kann  diess  fast  nur  als  Eigensinn  oder  Beschränkt- 
leit  erscheinen;  oder,  wenn  wir  darin  eine  sich  beschei- 
lende  Pietät  gegen  den  Heister  erblicken  wollen  ,  so  gilt 
iiese  in  der  Wissenschaft  immer  nur  einer  Einladung  zum 
ichlummemden' Verharren  gleich. 

Dennoch  würden  wir  Unrecht  thun,  zu  behaupten, 
lass  nicht  11  e  g  e  Tn  selbst  im  weitern  Verlaufe  seiner  Lehr- 
hätigkeit  diese  Grund-  oder  Anfangslosigkeit  seines  Sy- 
temes  zum  Bewusstsein  gekommen  wäre.  Ohnehin  schrieb 
^in  Schüler  von  ihm  eine  Propädeutik  zum  Systeme  der 
Philosophie  *),  freilich  als  Commentar  zur  Phänomenologie, 
ndess  mit  der  ausdrücklich  ausgesprochenen  Absicht,  den 
Itandpunkt  der  Logik  und  alle  Voraussetzungen ,  die  der- 
elbe  macht,  dadurch  vorbegrfindend  zu  unterbauen.  So 
am  die  ganze  Frage,  wenigstens  in  Gestalt  eines  Bedürf« 


*)  Gabier  Lehrbuch  der  philosophischen  Propä- 
deutik, als  Einleitung  zur  Wissenschaft,  Tbl.  I. 
Erlangen  182,7. 


856  Begds  Einteilung 

nisses,  um  den  Eingang  in*s  System  Tasdicher  und  lekbler 
zu  machen,  zuerst  ausdrücklich  zur  Sprache.  Aber  diess 
selbst  noch  uobestunmle  Bewusstsein  suchte  sich  bei  He- 
gel gleichfalls  mit  der  Ausrede  zu  genügen ,  dass  es  nur 
eines  populären  Vorredens,  reflektirender  ABknäpfungs- 
punkte  und  vorläufiger  Erklärungen  ausser  dem  Kreise  der 
Wissenschaft  bedürfe,  —  diese  stehe,  nach  wie  vor,  io 
durchaus  selbststandiger  Integrität,  —  um  alles  Gewünschte 
vollständig  zu  erreichen.  Aus  dieser  Idee  sind  seioe  was- 
fuhrlichen  Einleitungen  in  die  Logik  zur  zweiten  nnd 
dritten  Au^abe  der  „Encyklopädie  der  philosopbischea 
Wissenschaften  (1827  und  1830.)  hervorgegangen. 

Diese  Einleitungen   erklären    sich  selbst   ausdräcklicb 
für  durchaus  exoterischen,  die  Gedankenbestimmungen,  auf 
denen  ihr  Inhalt  beruht,  aus  der  späteren  Ableitung    der 
Wissenschaft  nur  anticipirenden   Charakters :   ihre   ganze 
Bedeutung  kann  daher   nur  in   einer  Kritik   der  bishe- 
rigen Vorstellungen  über   das  Wesen  des  Erkennens  oind 
das  Yerfaältniss  des  Sulyektiven  ^nd  Objektiven   bestehen^ 
deren  wissenschaftliche  Prämissen   und  Grundsalze  erst  in 
der  nachfolgenden  Logik   ihre  Ableitung  er- 
halten sollen.    Und  so  ist  denn  auch,  diesem  enlspre- 
cliend,  der  Inhalt  jener  Einleitungen  wesentlich  kritisch«' 
Natur ,  anknüpfend  an  die  letzten  Systeme  der  Philosophie 
und  die  dadurch  geläufig  gewordenen  Vorstellungen  über 
die  Erkenntnissfragen.    Hegel  widerlegt  darin  den  K  a  n- 
tischen  Standpunkt,  indem  er  zeigt,  wie  die  „Verstandes- 
ansieht^,  die  nur  das  Endliche,  Bedingte,  als  erkennbar  er- 
achtet ,  und  das  Erkennen  auf  diese ,  als  sdne  absolute 
Gränze  einschränkt ,  eben  dadurch  sidi  widerspricht,  und 
von  sich  selbst  zeugt,  über  diese  Schranke  schon  hinaus- 
gegangen zu  sein,  ind^n  nur  an  der   Idee  des  Unbe- 
dingten und  an  der  Gegenwart  desselben  im  Erkennen, 
—  an  der  „Vernunftidee%  —   das  Endliche  und  Be- 
dingte, als  solches,  charakterisirt  werden  könne.    Sozei{t 
sich  vielmehr  die  Idee  des  Absoluten  als  die  im  Erkennen 
schlechthin  gegenwärtige  und  grundgewisse ;  mit  dem  Fik« 


in  die  Encykkipftdie.  867 

im  des  Bedingten  ist  der  Gedanlie  eines  Unbe- 
inglen  zugleich  gesetzt. 

Ebenso  widerlegt  er  den  Jacobi sehen  Standpunkt 
les  unmittelbaren  Wissens  vom  Absoluten  wesentlich 
lurch  die  doppelte  Erinnerung,  dass  jene  Unmittelbarkeit 
les  Wissens  seinen  Inhalt,  Gott,  eb^  dadurch  zum  End- 
ichen  und  Besondern  mache;  indem  er,  als  das  nur  ab-* 
;  t  r  a  kt  Allgemeine  gedacht ,  die  (andern)  endlichen  Din- 
re  sich  nur  gegenüber  hal>e;  Geist  aber  könne  er 
lur  heissen ,  insofern  er ,  als  concret  Allgemeines  sich  in 
»ich  selbst  zum  Endlichen  vermittelnd,  gewusst  werde.  So* 
lann  bleibe  man  auf  jenem  Standpunkte  nur  bei  der  „kah-* 
cn  Versicherung^  stehen,  dass  ein  Gott  sei,  nicht  aber 
iomme  zum  Begriffe,  was  er  sein  möge.  Damit  ist  Gott, 
ils  Gegenstand  der  Religion ,  ausdrücklich  auf  den  Gott 
überhaupt,  auf  das  unbestimmte  Uebersinnliche ,  be- 
schränkt, und  die  Religion  mit  ihrem  Inhalte  auf  ihr  Mini^ 
mum  reducirL  In  keiner  Welse  könne  daher  auf  diesem 
Standpunkte  der  Unmittelbarkeit  stehen  geblieben,  er  müsse 
fortgeführt,  zum  Anfangspunkte  weiterer  Vermittlungen  ge- 
macht werden. 

Am  Schlüsse  dieser  Einleitung  fasstsich  aber  wiederum 
das  Endurtheil  alles  Bisherigen  dahin  zusammen,  dass  alle 
diese  Voraussetzungen,  ebenso  die  Annahme  eines  ursprüng- 
lichen Gegensatzes  von  Denken  und  Sein,  von  Wissen  und 
Objektivität,  zunächst  schon  desswegen  bei  Seite  zu  setzen 
seien,  weil  sie  in  blossen  Voraussetzungen  oder  beliebigen 
Versicherungen  bestehen.  „Denn  es  ist  dieWissen- 
Schaft,  in  welcher  alle  dergleichen  Bestim- 
mungen erst  untersucht,  und  was  an  ihnen 
und  ihren  Gegensätzen  sei,  erkannt  werdea 
solK  Der  wahre  Anfang  der  Wissenschaft  wird 
daher  auch  hier  noch  immer  als  „die  gänzliche  Voraus- 
setzungslosigkeit%  der  „Entschluss,  rein  denken  zu  wollen^ 
u.  s.  w.  bezeichnet   (Encykl.  3te  Aufl.  §.  78.  S.  (^.  95.). 

So  scheint,  dem  ausdrücklichen  Wortlaute  nach,  das 
durch  die  Einleitung  etwa  erj^rbeitete  Resultat  wieder  bin- 


858  Hegels  Biiricitang- 

weggeworfen  zu  werden:   es  sott  Nichts  darch  sie 
schieden  sein,    und  Alles    der  kominendeti  Wissenschaft 
überlassen  hieben,  die  sich  daher,  genau  genommen^  wie- 
der zu    der  Reinhe^  und  Leere  ihres  ursprünglichen  An- 
Ihngs  in  der  ersten  Ausgabe  der  Encyklopadie  zorudiTer- 
setzt  sähe  ,   welche  wir  nachgewiesen.    Wozu  dann  über- 
haupt das  Bedfirfniss  einer  Einleitung  und   die  Mühe  der- 
selben, wenn  doch  Nichts  durch  sie  erwhrkt  wird,  und  wir 
auch  nach  ihr   noch  immer  an  dem  einleitungslosen  An- 
fange stehen?    Man  erkennt,  wie  schwankend  and  iinzo- 
sammenhSngend  bis  an's  Ende  Hegels   eigene  Yorstei- 
hingon  über  alle  diese  Fragen  waren :   ohne  Zwetfel  harte 
er  die  Nothwendigkeit  einer  einleitenden  Vorbegrundung 
seiner  Logik  sich  einiger  Haussen   zum  Bewussfsein   ge- 
bracht ;   um  ihr   zu   genügen ,   schrieb  er  die   Einleitung. 
Dennoch  vermochte  er  nicht ,  damit  den  andern  Anspruch 
aufzugeben  ,   der  ihm  den  Anfang  der  Logik  ein   für  alle 
Male  zum  Toraussetzungslosen  machte;   abfer  wäre  es  nur 
ihm  völlig  klar  geworden,  was  mit  dem  schlechthin  „er- 
sten Gedanken^,   von  dem   seine  Logik  beginnt,  für 
einen  solchen  Anfang  wirklich  geschehen  sei  und  was 
nicht,  —  dass  er  zwar  logischer  (metaphysischer)  Anfiang, 
aber  keineswcges  darum   voraussetzungsl  eser,  za 
sein  vermöge:  so  wären  diese  Selbstwidersprüche,  welche 
auch  die  Znsätze  in  der  letzten  Ausgabe  der  Encyklopadie 
(Werke  Bd.  VI.)  noch  nicht  zu  tilgen  vermochten,  vermie- 
den ,  wenigstens  gemildert  worden.* 

Wenn  wir  jedoch,  abgesehen  von  diesen  widersprechen-^ 
den  Erklärungen  ,  an  sich  selbst  beurtheilen,  was  Hegel 
durch  die  Einleitung  wirklich  geleistet  habe  für  Begrün- 
dung des  Systems  in  seiner  encyklopädischen  Darstellunsf ; 
^0  müssen  wir  ihm  zugestehen,  durch  die  Kritik  der  vor- 
hergehenden Systeme  allerdings  hingeleitet  zu  haben  zn 
seinem  Standpunkte.  Wir  wollen  eine  solche  historisch 
kritische  Einleitung  nicht  geradezu  fQr  unzulässig  erklären, 
wenn  die  Sache  gotrolTen ,  der  Erfolg  erreicht  ist.  Auch 
Schell  in  g  hat  jüngsthin  erUärt,  dass  er  es  i3r  das  beste 


in  die  Encyklopädie.  859 

Mittel  halte ,  einen  Standpankt  zu  begntndcn  ,  historiseb 
nachzuweisen ,  wie  alle  andern  Auswege  versucht  seien, 
und  nur  noch  einer,  der  letzte  4  übrig  bleibe«  Auch 
schlägt  er  dazu  ausdrucklicher  eine  Geschichte  der  Philo- 
sophie vor ;  und  auch  von  Andern  in  neuerer  Zeit ,  wie 
von  Braniss  in  seiner  Metaphysik  y  ist  diese  historisch 
einleitende  Yorbegründung  gewählt  worden.  Nur  ist  zu 
erinnern,  dass  die  in  sich  selbst  zum  System  vollendete 
Wissenschaft  sich  damit  nicht  genügen  lassen  könne :  diese 
muss  auch  der  Form  nach  völlig  selbststandlg  und  unab- 
hängig sein  von  allen  zeitlichen  Beziehungen  oder  Vorbe- 
dingungen. 

So  gestehen  wir  nun,  dass  Hegel  auf  jenem  Wege 
die  Idee  desAbsoluten  vermittelt  und  seiner  Wissen-« 
Schaft  der  Logik,  als  eine  gewiss  nicht  verwerfliche  Mit- 
gift, zugebracht  habe.  Aber  diese  Idee,  als  solche,  ist 
auch  dem  Kan tischen  Systeme  nicht  fremd;  vielmehr  ist 
$ic  dort  in  ihrer  Apriorität  und  ^Yernunftursprungllchkeit^ 
in  ein  so  helles  Licht  gesetzt,  als  es  Hegel  nur  zu  wün- 
schen vermag.  Aber  die  wesentliche  Differenz  bleibt  zwi- 
schen Beiden,  dass  Hegel  ohne  Weiteres  die  Objektivität 
ierselben  behauptet,  während  Kant  sie  zunächst  nur  für 
nne  Idee ,  ein  „Ideal^  der  Vernunft  gehalten  wissen  will^ 
>is  etwa  der  Beweis  ihrer  Realität  nachher  gegeben  wer- 
len  könne,  —  eine  Zurückhaltung,  in  welcher  jeder  Den- 
ker ihm  Recht  geben  muss.  (Dass  sich  nachher  bei  Kant 
las  Ergebniss  findet,  ein  solcher  Beweis  bleibe  theoretisch 
mmöglich ,  jenes  Ideal  sei  ein  ,;uber8chwängliches«,  und 
lass  bei  diesem  besondem  Ergebnisse  Irrthümer  vorgefal- 
3n  sein  mögen,  ändert  die  Wahrheit  der  ganzen 
I  a  X  i  m  e ,  welche  der  Kan  ti  sehen  Forschung  zu  Grunde 
cgi ,  nicht  im  Mindesten.) 

Aber  Hegel  tadelt  an  Kant,  dass  er  nicht  eingese- 
en  habe ,  wie  es  dem  Begriffe  Gottes  ^  gerade  wesentUdi 
2i,  die  Einheit  des  Begriffes  und^eins  zusein, 
nd  spottet  auch  hier  nicht  wenig  über  die  ^triviale  Be- 
erkung''   des  alten  Denkers,    dass  Gedanke  und  Sein 


860  Hegels  Einleitimg 

verschieden  seien,  und  dass  hiermit  die  Idee  Gottes  noch 
nicht  auf  sein  Sein  schliessen  lasse.  •  ^Es  müsste  sonderbar 
zugehen,  wenn  diess  Innerste  des  Geistes,  der  BegrtflT,  oder 
auch,  wenn  Ich  oder  vollends  die  co  ncrete  Tota- 
litat, welche  Gott  ist,  nicht  einmal  so  reich 
wäre,  um  eine  so  arme  Bestimmung,  wie  Sein  ist, 
ja  welche  die  alleraimste ,  die  abstrakteste  ist ,  in  sich  20 
enthalten.  Es  kann  für  den  Gedanken,  dem  Gehalte 
nach,  nichts  Geringeres  geben,  als  Sein<<  (Eacykl.  $.  51. 
S.  63.  —  Werke  Bd.  VI.  S.  112.  113.). 

In  der  That ,   Wer  diess  schreiben  konnte ,   verräth 
dadurch,  den  eigentlichen  Nerv  der  K  an  tischen  \¥ider- 
legung  vom  ontologischen  Beweise  iur   das  Dasein  Gottes 
nie  gefasst,  oder  ihn,  wahrend  solcher  höhnenden  Erwide- 
rung gegen  Kant  wenigstens ,  vergessen  zu  haben.    Das 
hat  ja  gerade  Kant  in  ihr  gezeigt,  und  damit  der  alteo 
Fassung  des   ontologischen  Beweises  ,  die  hier  in  bester 
Form  erneuert  werden  soll,  filr  immer  ein  Ende  gemacht, 
~  dass  „Sein<( ,  „Existenz^ ,  gar  kein  Prädikat,    keine 
„Gedankenbestimmung«' ,    weder   eine   j,arme*,    noch   eine 
„reiche^^,  sondern  die  Position  eines  Dinges  oder 
gewisser  Prädikate  desselben  in  den  Coiitext  der 
Wirklichkeit  sei  *).    Was  sieh  Hegeln  hier  unterschi^l 
und  jener  verworrenen   Argumentation   gegen  Kant  die 
innere  Evidenz  verleiht,  ist  die  ganz  schon  pantheistisdie 
Supposition,  das  abermals  anticipirte  Resultat  des  Systenies, 
dassGotteben„cona>rete  Totalität^  nur  des  Universums 
sei.  Das  gegen  Kant  erhobene  Argument  lässl  sich  daher 
vielmehr  so  ausdrücken :  gleich  wie  es  „sonderbar  zugehen^^ 
Riösste,  mitten  in  d^  Wirklichkeit  des  Universums  stehend, 
noch  nach  einem  Beweise,    —  einer  Garantie  fnr  des. 
sen  Wirklichkeit  zu  fragen,  und,  seiner  inhaltsreichen  PöOe 
gegenüber ,  es  wohl  das  Geringste  wäre ,  von  ihm  za  sa- 
gen: es  ist;  eben  also  und  aus  demselben  Grande 


*)  Kants    Kritik     der    rciaen   Vecnunft;     5t«  Auflage. 

s.  626— ae. 


in  die  Encyktopftdie.  861 

filt  diess  auch  von  GoU.  Bei  ihm  haben  wir  im  Godan- 
:en  seiner  Wirklichkeil  die  Wirklichkeit  selber,  weil  er  ja 
lur  ist  das  AII9  —  das  Wirkliche  in  allen  con- 
:reten  Wirklichkeiten.  Die  Widerlegung  Kants 
st  also  aus  einem  Resultate  geflossen ,  welches  jener  zu-- 
iogeben  sehr  weit  entfernt  gewesen  wäre  *). 

Mit  Einem  Worte:  Hegel  hat  in  dieser  Einleitung/ 
[ant  gegenüber,  und  dem,  was  er  die  K an  tische  Vor- 
Aussetzung  nennt,  nur  die  sein  ige  vorangestellt;  beide 
Lommen  daher  auf  den  gleichen  Rang  der  Unentschiedßn- 
leit  zurück.  Wenn  es  bei  Kant  Voraussetzung,  «Vor- 
irtheil^'  sein  soll ,  dass  die  schlechthin  vemunfturspräng- 
[iche  Idee  des  Absoluten  nicht  zugleich  für  real  genom- 
nen  werde,  so  steht  die  entgegengesetzte  Behauptung  H  e* 
l^els  durchaus  ebenso  nur  voraussetzangsweise  da  in 
iiesem  Zusammenhange.  Und  zwar  ausdrücklich  diess 
n  doppelter  Beziehung ;  dass  überhaupt  Begriff  und  Reaii- 
ät,  Denken  und  Sein  zusammenfallen ,  wovon  zuerst  auch 
e  n  e  Frage  abhängt ,  ist ,  wie  wir  zeigten  ,  zwar  überall 
vorausgesetzt  von  Hegel  in  seiner  Phänomenologie  und 
Logik,  nirgends  aber  ausdrücklich  begründet.  Sodann,  was 
)ei  Hegel  jener  wiederaufgebrachten  ontologischen  Ar> 
Ifumentation  allein  ihr  Gewicht  giebt,  der  nur  panthei-* 
$tische  Sinn  ihres  Gottesbegriffes  ,  als  ob  es 
schlechthin  keinen  andern  gebe  ,  oder  als  ob  es  keiner 
.Philosophie  je  eingefallen  wäre ,  einen  andern  zu  suchen, 
—  diese  zweite ,  noch  stärkere  Voraussetzung  kann ,  weil 
;ie  das  erst  zu  enveisende  Resultat  des  Systemes  schon 
irorwegnimmt ,  welche  Anticipation  eben  darum  zurückge- 
iviesen  werden  muss,  —  um  so  weniger  über  die  objektive 
Bedeutung  der  Idee  des  Absoluten  Etwas  entscheiden. 


*)  Dieselbe  Argumeutation,  nur  weiter  auageführt,  liegt  auch  der 
H  e  gel  sehen  KritilL  de«  ganzen  Abschnittes  von  Kants 
Vernunftkrjtik  iiber  die  .UnmdgliQhkeit  eines  spekulativen  Be- 
weises vom  Dasein  Gottes  in  seinen  »»Vorlesungen  über 
die  Beweis •'<  etc.  za  Grunde. 


863  Hegels  Wissens^rbuft  der  Logik: 

E0  tot  daher  durch  diese  historische  Kritik  der  Kan- 
tischen  Philosophie  auch  der  Sache  nach  für  den  He- 
gel sehen  Anfang  der  Logik  Kichts  gewonnen.  Also,  wie 
die  Idee  des  Absoluten  hier  eruirt  wird ,  könnte  sie  als- 
dann erst  Realprincip  und  Subjekt-Objekt  für  die  im- 
manente Dialektik  der  Logik  werden,  wenn  überbaapt  mid 
in  ganz  allgemeinem  Sinne  zuvörderst  dem 
Erkennen  Realität  gesichert  worden  w^ire. 
Vollends  unentschieden  musste  aber  bleiben  bei  dem  er- 
sten Aufstollen  jener  ^Idee^,  ob  sie  überhaupt  eine  so  be- 
schrönkt  pantheistische  Deutung  erhalten  dürfe,  oder  ob 
sie  nicht  als  ein  weit  Höheres  sich  erweisen  werde? 

Wenn  wir   daher   auch   jenes  formelle  Bedenken  bei 
Seite    setzen  und  Hegeln  zugestehen  wollten,    auf  den 
Wege  seiner  Einleitung  oder  sonst  auszuführender  Voii>e- 
trachtungen,  —  wie  sie  uns   in   seinen  ^Vorlesungen 
über  die  Beweise  vom  Dasein  Gottes^  weit  i»es- 
ser  gegeben  scheinen,  die  wir  daher  schon  einmal  als  eine 
Einleitung  in  die  Logik  anzusehen  empfahlen  *)  —  durch 
den  BegriiF  des  Endlichen,  Bedingten  vermittelt,    die  Ge- 
wissheit eines  Unbedingten  überhaupt  wissen- 
schaftMch  festgestellt  zu  haben :  so  wäre  die  Kluft,  welche 
von  hier  aus  bis  zum  wirklichen  Anfange  der  Logik  bietbt, 
dadurch   noch  nicht   ausgefüllt;    sie  träte  nur  noch  ab- 
schreckender hervor.    Wie   weit  nämlich  ist  es  noch  von 
dem  so   ganz   unbestimmten  Gedanken  eines  Unbedingten, 
der  an  sich  selbst   den  Begriff  einer  Mehrheit   desselben 
gar  nicht  ausschliessen  wurde  '*^),  bis  zu  den  Behaiq[»tun- 
gen  ,    welche  dem  Hegeischen  Anfange  aliein  Sinn  und 
Zusammenhang  geben :  dass  das  Eine  Absolute  in  den  Ka- 
tegorieen  der  Logik  sich  definire ,   dass  eine  jede  Sphäre 
der  logischen  Idee  als  ^^eine  Darstellung   des  Ab- 


*)  Religion  und  Philosophie  in  ihren  gogeawirti- 
gen   Verhältnissen.     Heidelberg  1834.   S.  27. 

«)  Vgl  ,,zur  spekulal«  Theologie**  in  der  Ze  i  tschrtft 
Bd.  V.  H.  2.  S.  159.  161.  ff. 


Anfang  denielben«  863 

olaten^t  anziisehMsei(EiicykIop&die:  Werke ficLVL 
.  163. 640«  Hiermit  ist  abermals  die  doppelte  unbegrün-» 
ete  Voraussetzung  dazugemischt,  dass  das  Absolute  ebenso 
ohi  das  Denkende^  als  das  Seiende,  das  Subjektive ,  wie 
objektive,  sei  in  jenem  logischen  Denkprocesse,  und  dass 
ben  d esshalb  ihm  die  Kategorieen ,  die  Formen  alles 
eins,  wie  Denkens,  als  erste  Grondbesttmmungen  bei- 
ulegen  seien. 


Nachdem  von  allen  Seiten  und  unter  allen  Vorausset- 
ungen  oder  Modifikationen  die  hoffnungslos,  ja  unwieder->i 
ringlich  preisgegebene  Stellung  des  Anfangs  der  Logik 
ich  gezeigt  hat;  ist  es  Zeit,  dem  Inhalte  derselben  im 
ünzelnen  näher  zu  treten,  und  damit  in  das  Eigentliche  des 
Systems  einzugehen.  Ueber  den  Sinn  jenes  Anfongs  und 
lie  Voraussetzungen^  welche  ihm  zu  Grunde  zu  legen  sind, 
ann  nach  dem  Bisherigen  kein  Zweifei  obwalten;  weil 
fit  indess  so  genau  dem  historischen  Zusammenhange  ge- 
>lgt  sind,  durch  welchen  sich  alimählig  jenes  verworrene 
reschiebe  entlehnter  Prämissen  und  unbegrfindeter  Behaup^ 
ingen,  von  der  Phänomenologie  bis  zur  Logik  hin  mit  ih* 
pn  verschiedenen  Einleitungen,  aufgehäuft  hat :  so  können 
rir  jenen  Sinn  vielleichl  klarer  oder  eigentlicher  avsspre- 
hen  ,  als  es  bisher,  seftst  von  Hegel,  geschehen  sein 
lochte. 

Die  Phänomenologie  des  Geistes  cfidet  mit  dem  Be- 
riffe  des  absoluten  Wissens,  als  eines  potentia. 
en,  geforderten  sowohl,  als  an  sich  möglichen.  Die 
kUslQhrung,  das  verwirklichte  ^absolute  Wissen^,  —  das 
ibsolnte,  in  das  Licht  seines  eigenen  Begriffes  gesetzt, 
*  ist  eben  das  vollendete  System  der  Philosophie.  So  ist 
as  dem  Anfange  desselben  Vorauszusetzende  eben  die 
dee  des  absoluten  Wissens,  aber  aus  der  Potenz 
es  wirklichen,  realisirten  Wissens   zuriickversetzt  in  die 


864  Hegels  Wisieiisdiaft  der  Logik: 

der  reinen ,  noch  unbestimmten  WiMbarkeit ,  als  des 
Tangs  alles  Beslimmens ,  somit  des  leeren,  ganz  nodi.  be- 
stimmui^iosen  ^eins^. 

Sofern  aber  dem  absoluten  Wissen ,  was  ja  hier  von 
Anfang  bis  zu  Ende  die  Grundvoraussetzung  ist,  nniiiiltei- 
bar  eine  objektive  Realität  entsprechen  soll  und  diese 
bestimmter  zu  bezeichnen  wäre:  so  kann  sie  ebea  nur 
gefunden  werden  im  Inbegriffe  „alles  Wirklichen^  oder,  a 
diess  zum  Gedanken,  tm  Einheit  zusammenzufassen,  in  der 
Idee  des  Universums«  Diese  in  ihrer  PotenÜalilit 
ist  es  daher  vielmehr,  welche  dem  Anfange  der  Logik  zu 
Grunde  liegt ;  und  die  ,^Idee  des  Absoluten«',  welche  U  e^ 
gel  —  gleichviel ,  ob  gehörig  begründet ,  oder  nicht ,  — 
jenem  Anfange  vorausgesetzt  zu  haben  meint,  ist  näher 
betrachtet,  in  Wahrheit  nur  die  des  Universums,  und 
auch  hiermit  schliesst  sich  Hegel  in  bestimmtester  Ueber« 
Ueferung  an  die  erste  Gestalt  des  Schellingschen  Sy- 
stemes.  Nur  diess  kann  die  »concreto  Totatitat^  bedeuten, 
welche  Hegel  in  der  Einleitung  ohne  weiteres  Bedenken 
zu  seinem  ,)Gotte^  erhebt;  und  in  diesem  Sinne  sind 
auch  wir  völlig  im  Stande ,  in  seine  Idee  des  Absoluten 
(»  des  Universums) ,  als  der  vorausgesetzten  Unterlage 
seiner  Logik,  mit  ihm  einzugehen. 

Wir  woUen  bei  dieser  Wendung  der  Sache  den  stärk- 
sten Nachdruck  nicht  darauf  legen,  dass  die  Logik  (Meta- 
physik) nun  nicht  mehr  Lehre  vom  Absoluten  sein 
könne  —  «von  Gott,  vor  seiner  Schöpfung  der  Natur  mtd 
des  endlichen  Geistes^  — ,  sondern  Weltlehre,  die 
dialektische  Ableitung  der  allgemeinen Weltformen, 
wie  sie  aUen  besondern  Erscheinungen  der  Natur  und  des 
Geistes  gemeingültig  sind ;  denn  Gott  ist  nach  jeder  gründ- 
lichen Metaphysik  der  Welt  immanent;  und  jene  allge- 
meinen Weltformen  erkennend,  werden  wir  auch  Gott  ia 
irgend  einer  Beziehung  erkannt  haben.  Das  viefanehr  ist 
die  Frage ,  welche  aber  bei  dieser  Untersuchungsweise 
gänzlich  übersprungen,  ja  unmöglich  gemacht  wird,  ob  Gott 
nur  dor  Welt  immanent,  ob  eine  völlige  Gleichnog 


Anfang  derselben.  865 

tvisclion  bohlen  Begrifien  zu  setzen  sei?  -*-  Zu  Letzterem 
fistet  Vorschub  eine  Verwirrung  der  Begriffe^  welche  auch 
I  e  g  e  I ,  freilich  unbewusster  Weise  ,  nicht  unbenutzt  ge4 
issen  hat,  um  die  Schärfe  jener  Frage  und  die  darin  lie-* 
ende  Alternative  zwischen  einseitigem  (oder  aosschlless^ 
chem)  Pantheismus  und  einem  Uünausschreiten  über  d^n^ 
ßlben  )  von  sich  abzuhalten. 

Das  Absolute,  Gott,  f&r  Grund  und  Inbegriff 
lies  Wirklichen  zu  erklären,  wird  keine  Philosophie^ 
lieh  die  theistisch  skrupulöseste ,  Anstand  nehmen»  Und 
o  wäre  kein  Bedenken,  also  verstanden,  Gott  des  Wirk-^ 
chen  Inbegriff  (Universum)  zu  nennen;  es  wäre  nur 
in  analytischer  Satz,  die  Definition  dessen,  was  „absolut^ 
nd  „Urgrund^  überhaupt  heisst. 

Durch  die  spdralative  Ueberlieferung  der  letztem  Sy* 
tchie  hat  jedoch    der  Begriff  des  Universums  eine    weit 
usschliessendere  Bedeutung  erhalten :   er  bezeichnet  den 
nbegriff  un  ser  er  Erfahrungen,   überhaupt  den 
Bereich   und  Augpunkt  unserer  Ansichtsweise  von  dem 
)ingcn.     So   fällt  das  Absolute   zum   Inbegriffe   und  zur 
Einheit  dieses  Wirklichen  ,   zum  blossen  Weltgeiste, 
loch  ausdrücklicher  in  den  concreten  Bestimmungen,  die 
hm  beigelegt  werden,  zum  Erdgeiste  herab  ,  und  im« 
ncr  meint  man  noch,  durch  jenen  universalen  und  unum- 
tösslichen  Fundamentaibegriif  auch  in  diesem  Missbrauchei 
foderkt  zu  sein.    Diess  ist  es  nun,  was  wir  auch  hier  ab 
pn  Grundirrlhum  und  die  Grundbeschränktheit  des  Heg  ei- 
chen Standpunktes,  welche  aus  der  Phänomenologie  in  die 
lOgik  und  die  übrigen  Theile  seines  Systemes  sich  über« 
ragen  haben,  bezeichnen  müssen:  die  Untersuchung  über  die 
Idee   des   Absoluten^    trägt  gleich  im  Beginne  dea 
inengenden,  jeden   freien  Aufschwung   hemmenden  Irr« 
fium  in  sich,  dass  sie  nur  die  Seite  der  Weltwerdung  Got« 
3S  im  Auge  behält,  und  gar  nicht  für  möglich  hält,  weil 
ie  damit  den  Begriff  der  Wirklichkeit  übei« 
aupt  erschöpft   zu  haben  sich  einbildet,  durch 
mc  über  sie  hinauszugehen,  und  die  Weltimmanenz 

55 


866  Hegeb  Wissenschaft  der  Logik: 

Gottes  2um Beweise  seiner  Transscendenz  zu 
In  der  Idee  des  Universums  selbst  muss  die  Nothve&dig- 
keit  gezeigt  werden ,  zu  ihrer  eigenen  Erklärung  über  se^ 
hinauszugehen:  sie  muss  in  die  Idee  des  Absolntei 
als  ihres  Grundes  ,  zurückgenommen  werden ,  damit  sie 
selbst  nur  begreiflich  werde,  so,  wie  sie  ist  Diess  Ab- 
solute ist  nun  nicht  mehr  das  nur  Weltwirkliche  oder  das 
Untversnm  im  Sinne  letzterer  Philosophie,  sondern  ein  ihm 
Jenseitiges,  ohne  dämm  weniger  wirklich,  oder  in  der 
Idee  des  Universums  in  seiner  weitesten  Bedeutung  omfiust 
zu  sein.  Der  ftilsche  Begriff  der  Transscendenz  ist  daher 
ebenso  darin  beseitigt  —  Ist  nun  die  dialektische  Nach- 
Weisung  jenes  Ueberganges  gelungen,  —  und  sie  macht 
eben  den  Inhalt  unserer  Ontotogie  und.  die  Begründung 
ihres  Ueberganges  in  eine  dadurch  erst  möglidie  »spe- 
knlative  Theologie^  aus;  *)  —  so  ist  das  Hegel- 
sehe  System  nicht  nur  in  seinen  einzelnen  Resuiiateo  wi- 
derlegt, sondern  sein  ganzes  Princip  gesprengt  und  eine 
nmfassendere  Grundansicht  der  Dinge  gebildet. 

Unter  so  hindernden  Einflüssen  jedoch,  die  in  jenem 
Principe  ihren  Grund  haben,'  konnte  Hegels  System  der 
pantheistischen  Beschränktheit  sich  nicht  entziehen ;  und 
Wie  aufrichtig  er  selbst  daffir  auch  bestrebt  war ,  wie  si- 
cher er  meinte,  es  erreicht  zu  haben ,  so  lange  seine  Phi- 
losophie diesem  Principe  unterworfen  ist,  kann  diese  Er- 
hebung nur  für  Selbsttäuschung  gebalten  werden,  die  eine 
konsequente  Forschung  wieder  aufhebt. 

Daher  ßndet  auch  eine  spätere  Erscheinung  ihre  völ- 
lige Begreiflichkeit.  Bekannt  ist  es,  wie  manche  Brklärer 
Hegels  eifrig  bemüht  waren,  alles Pantheistische  aus  ihm 
hinweg  zu  erläutern ,  und  desshalb  auf  den  Sinn  einzel- 
ner Worte  und  Wendungen  zu  dringen.  Aber  man  ge- 
währte bald,  wie  man  damit  eitel  Dunkelkeit,  Sdbstwidor- 


*)  Ontotogie  $.  2^94  f.  S.  510  fT.;  ,,z  u  r  spe4LQlatiT  ta 
Theologie'^  in  der  Zeitscfaria  etc.  Bd.  IV.  H.  4.  S.  186.  f., 
Bit.  V.  H.  2.  $.  56.  S.  »27-234. 


Anfang  derselben.  867 

Spruch  und  Zweifel  in  das  System  hineintrage,  auch  abge- 
sehen davon,  dass  man  sich  mit  den  ausdrücklichsten  Er- 
klärungen und  Durchführungen    desselben   in  Widerstreit 
setzte.    Die  spätere,  weiter  vom  Urheber  abstehende  Ge- 
neration der  Anhänger  hat  jene  Bedenklichkeiten  wegge- 
worfen und  sich  frei  und  unverhohlen  zu  den  unstreitigen 
Konsequenzen  des  Systemes   bekannt.     Und   in  der  That, 
erst  mit  dem  Vorsatze,  in  ihm  keinen  andern  Sinn  finden 
zu  wollen,  als  den  sein  Princip  zulässt,  gewinnt  im  Innern 
desselben  Alles  Zusammenhang ,   Evidenz ,   überzeugende 
Haltbarkeit:    Inhalt  und  Methode  stimmen  dann  wahrhaft 
zusammen  und  bilden  eine  gediegene  Einheit ;  unter  jeder 
andern  Voraussetzung  durchaus  nicht. 

Das  System  hat  zur  Aufgabe  den  rollsländigen  Wie- 
deraufbau des  Universums  in  denkender  Entwicklung  nach 
dem  ,  was  in  ihm  das  Nothwendige,  der  Begriff,  ist. 
Sein  methodisches  Fortschreiten  ist  die  „Dialektik  der  Sache'^, 
die  Aufweisung  des  Innern  Zusammenhangs,  der  zur  Tota- 
lität sich  ergänzenden  Einheit,  der  nothwendigen  Welt- 
formen ,  welche  das  Denken  y  wie  es  dieselbe  in  ihre  Mo- 
mente zerlegt ,  so  auch  aus  denselben  wieder  zu  dieser, 
nun  erwiesenen ,  zum  denkenden  Bewusstsein  erhobenen, 
Einheit  zusammenfassen  muss.  Dass  aber  das  Denken  dazu 
befähigt ,  dass  es  das  schlechthin  Uebermächtige  ist ,  dem 
das  Universum  sich  nicht  vetschliessen  kann  ,  liegt  darin, 
indem  es  selber  nur  der  objektivirte ,  in  seine  Momente 
auseinandergelegte  BegrifF ,  dais  realisirte  Gedän- 
kenuniversum  ist.  Hier  nun  hat  es  Sinn  und  gewinnt 
Bedeutung ,  den  schlechthin  ersten ,  fundamentalsten  und 
durchgreifendsten ,  darum  zugleich  aber  unbestimmtesten 
Gedanken  aufzusuchen.  Und  mit  Recht  hat  die  Wissen, 
schall  der  Logik  auf  die  Ermittlung  dieses  „Anfangs' 
den  grössten  Werth  gelegt,  wie  auf  die  dialektische  Ent- 
wickhmg  alles  Uebrigen  daraus. 

Hiermit  beginnt  nun  für  die  Kritik  des  Systems  ein 
ganz  anderer  Gesichtspunkt:  man  kann  nämlich  über  sein 
Princip  völlig  mit  ihm  einverstanden  sein,  und  dennoch  in 


8ß8  Hegels  Wissenschaft  der  Logik: 

den  einzelnen  dialektischen  Uebcrgangen  Lücken  oder  Irr- 
thümer  finden ;  oder  umgekehrt  mag  man,  wie  wir  io  des 
Falle  sind,  über  den  Rang  und  die  Bedeutung  desPrindps 
versc^hieden  denken,  und  man  könnte  doch  mil  jenem  Gange 
im  Allgemeinen  einverstanden  sein.  Es  hat  den  bi^eriga 
Fehden  über  das  He  gel  sehe  System  keinesweges  zob 
Vortheil  der  Klarheit  gereicht ,  diese  verschiedenea  Ge- 
sichtspunkte nicht  unterschieden  zu  haben.  Aar  jedea 
Fall  zeigt  sich  jedoch,  dass  eine  solche  Kritik  der  einzel- 
nen Gedankenbestimmungen  und  Uebergange  nur  innerhalb 
einer  eigenen  ausfuhriichen  Entwicklung  derselben  mög- 
lich ist.  Wir  müssen  uns  hier  daher  begnügen ,  auf  das 
früher  darin  Geleistete  nur  kurz  zu  verweisen. 

Jener  absolute  Anfang  ist  der  Gedanke  des  reinen, 
noch  unbestimmten  Seins,  desjenigen  also,  welches  um 
seiner  Unbestimmtheit  willen  zunächst  als  gleich  dem  Nichts 
zu  setzen  ist. 

Es  schwinden  an  ihm  von  selbst,  oder,  was  dasselbe 
bedeutet,  es  sind  darin  unmittelbar  enthalten  alle  Gegen- 
sätze ,  von  denen  das  gewöhnliche  Erkennen  sich  nickt 
losmachen  kann.  Zunächst  aber  ist  der  Hauptgegensatz  be- 
seitigt,  dass  Etwas,  entweder  als  bloss  subjektiv  (em 
Denken  und  ein  leerer  Gedanke  desselben),  oder  als  ob- 
jektiv (als  Realität  ausser  dem  Denken),  zu  fassen  sei 
Bloss  Erstcres  findet  hier  nicht  statt,  weil  jener  Anfang 
sich  selbst  zu'  realen  Bestimmungen  dialektisch  fortent- 
wickelt, also  allerdings  sogenannt  „Objektives^  und  ^Ob- 
Jekte^  dann  erkannt  würden ;  Letzteres  nicht ,  da  er  als 
Anfang  alles  Bestimmens  ,  jeder  concreten  Realität  noch 
ermangelt. 

Das  Sein  ist  daher  nur  noch  das  Nichts,  und 
dieser  zweite  Gedanke  ist  erst  die  rechte  Besämmung,  die 
Wahrheit,  des  ersten.  Indem  das  Sein  als  das  Nichts 
bestimmt  wird,  ist  daher  auch  das  S  e  i  n  noch  nicht  wahr- 
haft gedacht,  sondern  nur  das  Sein  d  es  Nichts,  die  reine, 
absolute  Negation  ist  festgehalten.  —  Bezeichnender  Ist  es 
daher,  jenen  absoluten  Anfang   zu   charakterisiren  als  das 


Sein,  Nfchls,  Werden.  869 

lOch  unbestimmle  Subjekt  eines  Urlheils,  das  noch  nicht 
IS  zu  seiner  Copula  und  seinem  Prädikate  fortgedacht  ist» 
«reil  dadurch  theils  der  innere  Widerspruch  des  Dabei- 
tehenbieibens ,  die  weiter  treibende  Gewalt  jenes  Gedan-- 
Lens,  theils  die  absolute  Bestimmbarkeit  und  dieNothwen- 
iigkeit ,  von  ihm  aus  bestimmend  fortzuschreiten  ,  ausge- 
iprochcn  wird.  Sein  wird  als  das  N  o  c  h  -  N  i  c  h  t ,  als 
Hcht-Bestimmtes,  damit  als  Widerspruch  gegen  sich 
lelbst,  ausdrücklich  bestimmt. 

Diess  die  Wahrheit  an  der  Hegeischen  Ausfühnmg 
Encykl.  $.  86—87.  Werke  Bd.  VI.  S.  165^171.):  dass 
edoch  dieselbe  einen  vöUig  schiefen  Sinn  bekomme,  wenn 
cnes  noch  Unbestimmtbleiben  des  ,,Seins<^  in  den  Sät. 
;en  ausgedräckt  wurde ,  wie  Hegel  es  thut :  ,,S  e  i  n  i  s  t 
fleich  dem  Nichts^  —  ,,Sein  und  Nichts  ist 
[asselbe^;  noch  mehr,  wenn  das  Nichts  als  „die 
weite  Definition  des  Absoluten^  bezeichnet  wird :  —  diess 
st  ausführlich  in  der  Ontotogie  (S.  61 — 65.)  nachge- 
lesen. 

Indem  aber  das  reine  Sein  ,  „als  gleich  dem  Nichts^ 
fcselzl  wird,  ergiebt  sich  durch  die  geforderte  Ver- 
littiung  dieses  Gegensatzes  —  (wir  haben  je- 
!och  in  der  eben  angeführten  Kritik  dieser  Hegel  sehen 
^ategorieen  gezeigt ,  dass  beide  nicht  als  Gegensatze  ,  als 
elativ  selb&tständige  Existenzen ,  wonach  „Sein  in  Nichts, 
fichts  in  Sein  übergehe«  ($.  88,  4.  5.)?  sondern  Nichts  nur 
is  die  nähere  Bestimmung  solchen  Seins  gedacht  werden 
önnen,  dass  mithin  auch  keine  „Vermittlung^^  gefordert  sei) 
-  die  Einheit  desselben,  der  Begriff  des  Werdens. 
BS  Werden  ist  die  erste  concreto  und  zugleich  wahrhafte 
edankenbestimmung:  das  Werden  ist  die  Grundbestimmung 
lies  dessen,  was  ist  (S.  175.  76.). 

Dieser  ursprünglichste  Gegensatz  von  Sein  und 
iclils  im  Werden  ist  es  daher,  der  allem  Concreten  inne- 
ohnt:  alles  endliche  Dasein  ist  ans  dem  Sein  und  Nichts 
jsammengeflossen,  und  beide  haben  gleichen  Theil  an  ihm. 
lies   Endliche    ist   daher   der    ^daseiende   Wider- 


870  Hegete  Wissenscbaß  der  Logik: 

spruch<<,  d.  h.  es  enthält  jene  entgegengesetzten  Bestiia- 
inungen,  und  dieser  jedem  endlichen  Dasein  innewohnend« 
Widerspruch  ist  es,  der  es  in  seiner  Existenz  aufreibt  und 
zu  Grunde  richtet. 

In  diesen  letzten  Bestimmungen  der  Logik  durchdrin- 
gen sich  jedoch  die  stärksten  Uebereilungen  und  Begriffs- 
verwirrungen«  weiche  nicht  wenig  zu  den  spätem  Uaupt- 
irrthümem  des  Systemes  beigetragen  haben.  Dass  zuvör- 
derst die  Kategorie  des  Werdens  noch  gar  nicht  hierher 
gehört ,  weil  es  einer  „Vermittlung^  zwischen  Sein  und 
Nichts  überhaupt  gar  nicht  bedürfe,  sondern  erst  viel  spa- 
ter, in  einem  weit  vermitteltem  Zusammenhange  ihren  PlaU 
finde,  weil  „rein es  Werden^  ein  völliger  Nichtgedanke, 
eine  undenkbare  Ungereimtheit ,  und  im  Werden  nothwen- 
dlg  ein  Nichtwerdendes,  ein  Beharrliahes,  vorausge- 
setzt werden  müsse,  diess  hat  unsere  Ontologie  umständ- 
lich gezeigt  (g.  12.  Anm.  II.  S.  65—67.  vgl.  $.  88— 92.> 

Aber  der  scheinbar  zunächst  nur  formelle  Irrthum  hat 
die  tiefgreifendsten  Folgen  far  das  ganze  System.  Hegel 
ist  dem  Probleme  des  Werdens,  und  dem  Widerspruche, 
welcher  im  „reinen  (leeren)  Werden^  ü^t?  n>6  näher  ge- 
treten. Wie  vermag  überhaupt  ein  Seiendes  zu  werden,  in 
das  Andere  seiner  selbst  überzugehen?  Wie  kann  eine 
Inhaltsbestimmung  an  ihm,  die  da  war,  nicht  mehr  sein, 
und  eine  andere  an  deren  Stelle  treten?  Diess  ist,  ganz 
allgemein  ausgedrückt,  das  metaphysische  Problem,  wel- 
ches im  Begriffe  (der  Universalthatsache)  des  Werdens 
liegt.  Hegel  löst  es  nicht  nur  nicht ,  sondern  er  hat  es 
sich  nicht  einm^d  in  seiner  Schärfe  und  entscheidenden  Wich- 
tigkeit zum  Bewusstsein  gebracht.  Er  analysiri  bloss  je- 
nes Problem,  d.  h.  er  legt  dem  Begriffe  des  Werdens  an- 
dere Ausdrücke  unter :  es  ist  das  sich  anders  werdende, 
sich  aufhebende  „Etwas^;  so  aber  geht  es  nur  mit  sich 
selbst  zusammen,  und  stellt  sich  aus  der  Negation 
seiner  selbst  zum  ^ürsichsein^  her  —  ist  hiermit  die 
„wahre  Unendlichkeil«'  (g.  92^95.).  Das  Endliche 
(Etwas)  hat  sich  aufgehoben,  als  Moment,  Ideelles  des  Un- 


Werden.  871 

endlichen  nachgewiesen,  welches  das  allein  Wirkliche^ 
Affirmative  in  der  unabiasaigen  Selbstnegation  des  Endli- 
chen ist.  Das  Unendliche  (Absolute,  Gott)  ist  diess  aus 
der  Vernichtung  des  Endlichen  ewig  sich  Waederherstel-* 
lende,  darum  Affirmative  (S.  186 — 89.)* 

Diess  ist  es  nun ,  was  wir  sonst  schon  die  Scholastik 
und  den  Formalismus  des  Hege  Ischen  Systemes  genannt 
haben:  die  eigentliche  Schwierigkeit  des  Problemes  (im 
Werden)  wird  umgangen  und  es  nur  formell  verändert^ 
andere  Ausdrucke  ihm  untergelegt.  Was  aber  noch  mehr 
bedeutet,  es  wird  aus  demBegrifle  der  unendlichen  Selbst- 
aufhebung, des  ewigens  Vorgehens  des  Etwas  ^  nicht 
etwa  die  Forderung,  die  No  th  wendigkeit  abgelei«* 
let,  ein  Beharrliches,  Niditanfhebbares ,  „Affirmatives^»  al4 
darin  gegenwärtig ,  anzunehmen ,  —  wiewohl  diess  ge« 
rade  Hegeln  dunkel  vorgeschwebt  haben  mag  bei  je^ 
ner  Gedankenwendung,  —  sondern  diess  Sächselbstauflieben 
und  ewige  Vergehen  ist  das  unendlich  Affirmative 
selbst:  das  Positive  ist  nur  das  unendHch  sich  neuge-« 
bdrende  Anderswerden  und  NichtsSein,  d.  h.  selbst 
das  anendliche  Nichts.  Diess  leere  und  sich  selbst 
widersprechende  Argument  ist  es  zugleich ,  welches  als 
Hauptpramisse  den  Hegel  sehen  Beweisen  lur  das  Dasein 
Gottes  zu  Grunde  liegt:  denn  jenes  Unendliche  „affirma- 
tiver^ Selbstaufbebungen  -*-  eine  baare  Ungereimtheit  — 
nun  noch  vollends  zum  Absoluten  (Gott)  zu  erheben,  ist 
die  zweite ,  ganz  unberechtigte  Konsequenz. 

Die  Ursache  jedoch,  warum  sich  Hegel  diese  Will- 
kührlicbkeiten  so  leicht  verbergen  konnte,  liegt  nahe;  sie 
ist  dieselbe ,  welche  auch  der  peikio  principü  des. ganzen 
Systemes  von  Anfang  her  zu  Grande  liegt :  es  ist  der  Zir«^ 
.  kel,  den  wir  in  ihm  nachgewiesen  haben,  dass  er  die  Re»** 
litat  der  absoluten  Idee,  welche  sich  ihm  dennoch  als  Re-^- 
sultat  ergeben  soll,  schon  unbewusster  Weise  voraussetzen 
muss,  um  den  Beweis  dieses  Resultates  nur  beginnen  zu 
können* 

Soauch  hier:  aU»  oaendiichcar  Seibaiaufhebung   des 


879  Hcgüls  Wissenschaft  der  Logik  : 

Endlichen  wird  und  resullirl  in  alle  Ewtgfc^'l  Nichts, 
wenn  man  nicht  voranssetzungsweise  das  posi^ 
Unendliche  mit  hinzubringt  und  jenem  unterlegt.  Uege) 
hat  es  schon  unbewusster  Weise,  wenn  er  yon  jenem  »ch 
selbst  audiebcnden  Endlichen  spricht:  es  ist  das  bewusst- 
los  vorensgesetzte  Substrat,  an  welchem  er  jenes  Endliche 
befestigt,  oder  das  verborgen  bleibende  Subjekt  jenes 
unendlich  sich  verendlichendcn  Anderswerdens;  und  den- 
noch  meint  Hegel  es  erst  aus  dem  Begriffe  des  sich  selbst 
aufbebenden  Endlichen  bewiesen  zu  haben. 

Nicht  minder  falsch  und  übereilt  ist  es,  von  jener 
„Selbstaufhebung  des  Endlichen'',  d.  h.  genauer  und  be- 
hutsamer ausgedrückt,  von  dem  steten  Wandel  der  Prädi- 
kate an  ihm,  sogleich  zum  „Unendlichen^  (Absoluten)  auf- 
zusteigen und  dies s  Z4i  dem  in  ihm  sich  setzend- 
Aufhebenden  zu  machen.  Dazu  liegt  in  jenem  Be- 
griffe nicht  die  geringste  gründliche  Berechtigung:  Nichts 
Anderes  ist  in  Wahrheit  gewonnen ,  als  der  Beweis  yon 
der  Nothwendigkeit  eines  Beharrenden  im 
Endlichen  selber.  Was  aus  diesem  die  weitere  me- 
taphysische Untersudiung  zu  machen  vermöge ,  ist  ihr  zu 
überlassen ;  nur  zeigt  sich ,  dass  wir  mit  allen  jenen  (He- 
gelschen)  Bestimmungen  l^r  den  Bereich  des  End- 
lichen noch  gar  nicht  hinaus  sind.-  Diese  Un- 
endlichkeit des  Endlichen  ist  nicht  das  Absolute.  Doch 
kann  diess  nur  ein  selbststandig  ausgeführter  metaphysi- 
scher Zusammenhang  entscheiden;  wir  verweisen  desshalb 
auf  die  Ontologio  ($.  89-^1000  in  ihrem  Uebergange 
aus  der  Kategorie  dei^  Negation  in  die  der  Limitation, 
worin  die  „Selbstaufhebung^  des  Endlichen  sich  vielmehr 
als  die  Selbstbehauptung  seiner  Urbestimmtheil  auf- 
weist; oder  auf  die  Abhandlung  „zur  spekulativen 
Theologie«  (Zeitschrift  V.  2.  S.  164.  ff.  171.  f.), 
in  welcher  zugleich  auf  eine  bestimmtere  Kritik  der  eben 
Meuohteten  Hegel  sehen  •Kategorieen   ^gegangen  wird. 

Und  zuletzt  noch   —    dieses  Sichanders werden 
des  Endlichen  im. Wandel  soll,  nach  Hegel,  der  ^Wider- 


das  Endliche  der  Widerspruch.  673 

sp  roch^  sein,  an  welchem  es  sich  aafhebL  ^5ides  end<* 
liehe  Sein  (und  Denken)  ist  Widerspruch,,  so  sehr, 
<la8S  es  Nichts  giebt,  in  dem  nicht  ein  Wider-* 
Spruch  existirt,  der  sich  aber  freilich  ebenso 
aufhebt«"  (Hegels  Werke  Bd.  XVIL  S.235.).  —  Was 
soll  hier  das  „ Widersprechende^  sein,  an  dem  sich  alles 
Endliche  aulliebt?  Das  eben,  dass  es  ein  Wandelndes 
ist ,  von  andern  zu  andern  Prädikaten  fortschreitet, 
überhaupt  die  Einheit  von  Gegensätzen.  Wie  Ein- 
heit von  Gegensätzen  zu  denken  sei ,  kann  jedoch  wohl 
metaphysisches  Problem  werden;  an  sich  selbst  schon 
Widerspruch  ist  es  nicht :  am  Allerwenigsten  für  H  e-» 
gel,  dessen  Absolutes  ja  eben  als  die  absolute  Einheit 
alter  Gegensatze  zu  denken  ist.  Woher  denn  also  .der 
sichselbstaufliebende  „Widerspruch^  im  Begriffe  des 
sich  anders  werdenden  Eiuiliohen? 

Hier  ist  Hegeln.einVenktoss  begegnet,  der  iur  einen 
gründiichen  Logiker  freilich  fast  unbegreiflich  erscheint: 
er  hat  Gegensatz  (Anderssein)  mit  Widerspruch, 
das  (logisch)  Contrare  mit  dem  Contradiktori- 
schon  verwechselt.  Das  Endliche  wandelt  sich,  läuft 
durch  Unterschiede  ab  ,  nicht  aber  durch  Entgegengesetz* 
tes,  (contradiktori^ch)  sich  Aufhebendes:  Widersprüche  ha« 
ben  keine  reale ,'  nur  ontologische  Geltung ,  um  im  D  e  n«- 
k  e  n  nämlich  i^ch  zu  ihrer  Ergänzung  „aufzuheben^.  Der 
Sinn  jenes  Hege  Ischen  Satzes  ist  einer  der  verworren- 
sten,  und  zugleich  im  Widerspruche  mit  den  andern  Kon- 
sequenzen des  Systemes.  (Yergl.  Ontotogie  $.  93.  mit 
Anm.  S.  163—1680. 

Wir  kehren  zurfick  in  den  Zusammenhang  der  Ho* 
g  e  I  sehen  Logik ,  um  den  Uebergang  aus  den  Kategorieen 
der  „Qualität«^  in  die  der  ^^Quantität«'  nachzu- 
weisen. 

Das  Werden  „diirimirt^  sich  in  Momente  des  Wer- 
dens: in  das  „Etwas^,  welches,  anderm  Etwas  gegenüber, 
„Anderes  gegen  Andere<<,  aber,  an  sich  selbst  werdend, 
ebenso  ^ Anderes  gegen  sich  selbst^  ist  ins  Unendliche. 


874  Hegels  Wisscnsehail  der  Logik: 

—  Diese  UnendiichkeH  sich  aadiebender  Anderer  ist  die 
schlechte  Unendlichkeit,  oder  dts  Solleii  des 
Aufhebens  des  Endlichen,  während  es  doch  nie  dun 
konunk 

Was  darin  jedoch  in  der  Tkat  vorhanden  ist,  ist,  dass 
das  Andere,  immer  nur  zu  Aiiderm  Werdende,  darin  nsr 
mit  sich  selbst  lusammengeht,  im  Anders-*  und  Anders- 
werden dtess  Eine  mit  sich  selbst  bleibt  (hier  wird 
eben  jener  Begriff  des  positiv  Unendlicben  im  Anders- 
werden  eingeschwftrzt),  und  so  darin  zum  FUrsiciiseia 
kommt.  „Diese  Beaiehnng  auf  sich  selbst«  (wessen?  — 
das  ,,sich  beziehende*  SiÄjekt,  dessen  Annahme  jenen  Ge- 
danken allein  doch  möglich  macht,  wird  verschwie- 
gen!) „in  Uebergehen  und  im  Andern  ist  die 
wahrhafte  Unendlichkeit^^  (S.  89—950- 

Das  Fürsichsein  Ist  das  Unmittelbare,  das  Eins, 
ausschliesseud  die  Andern.  Aber  dadurek  sein  es 
sick  in  Beziehung  auf  sie,  attrahirt  sie:  die  „Repulsion* 
ist  ebenso  wesentlich  „Attraktion*,,  und  das  die  Andern 
ausschliessende  Eins  oder  das  Ffirsiohsein  hebt  sich  auf: 
es  sind  viele  Eins ,  aber  mit  gleichgültiger  oder 
aufgehobener  qualitativer  Bestimmtheit,  was  den  Begriff 
der  Quantität  giebt  ($.  96—98.). 

Dass  der  wahrhafte  Begrifisöbergang  keinesweges  von 
Qualität  zu  Quantität,  sondern  umgokehrt  von  die- 
ser zu  jener,  fortzuadireiten  habe,  —  darüber  müssen  wir 
gleichfalls  auf  die  eigene  metaphysisctfe  Darstellung  (On- 
iologie,  $.  9,  S.Ö50  und  das  dort  nachgewiesene  Her- 
vortreten der  Qualität  aus  der  Quantitit  verweisen,  indem 
jene  nur  sein  könne  das  die  Qnantit&t  Setzende  und  Her\-or- 
bringonde  (g.  68.  S.  127.).  Aber  auch  hier  tritt  Heg-el  mit 
sich  selkst  in  Widerspruch  *)  und  auf  unsere  Seite,  indem 
er  in  seiner  Naturphilosophie  von  der  „reinen  Quantität* 


*)  Eine  Bemerkung,  welche  wir  zuerst  in  K*  Ph.  Fischers  Idee 
der  Gottheit  S.  24.  Note  herausgehoben  und  ausgeführt 
gefunden  haben. 


Uebergang  ims  Ooaiital  in  Quantäät  875 

des  Raumes  und  der  Zeit  anhebl,  und  erst  von  ihnen  $m 
zur  «MaterieS  dem  RaumfiUIenden  übergeht  (EncYkl. 
S.  254—61.);  —  ein  Uebergang,  den  wir  real-  oder 
naturphilosopbisch  fiir  ebenso  unzulässig  erUären 
müssen,  wie  wir  ihn  logisch  oder  metaphysisch  fiir 
den  einsig  richtigen  halten. 

In  der  Logik  ist  der  Fortschritt  nach  Hegels  eige^ 
nem  Grundsatee  von  dem  Abstraktem  in's  Goncretere, 
von  dem  zu  Begründenden  in's  Wesen ,  in's  Princip.  Das 
Quantitative  erweist  sich  —  auch  nach  Hegel  —  als  da^ 
an  sich  Unwahre,  als  nur  die  Form  des  nnmittelbar  sich 
qnanlitirenden  Qnale  (das  ^specifische  Quantum^'): 
die  specifische  QualHät  giebt  sich  eben  damit  ihr  ebenso 
specifisches  Quantum;  Quantität  hat  logisch  (metaphysisch) 
somit  in  die  Qualität,  als  ihren  Gnmd,  zurückzugehen,  nicht 
umgekehrt.  Desshalb  sind  die  quantitativen  Bestimmungen 
das  in  allen  Kalegorieen  der  Qualität  Aufgehobene; 
d.  h.  darin  gegenwärtig,  aber  näher  bestimmt.  Quantität 
ist  aber  dasselbe,  was,  realphilosophisch  ausgedrückt, 
Raum  und  Zeit  genannt  wird :  oder  Quantität,  als  verwirk- 
licht gedacht,  ist  nur  als  Raum-Zeitliches  zu  denken,  was 
zugleich  heisst:  alles  Qualitative  schlechthin,  verwirk- 
licht, ist  Zeit  und  Raum  setzend-^erföllend ,  oder  trägt  die 
raum-zeitlichen  Bestimmungen  in  sich.  So  hat  auch  Tren- 
delenburg in  seinen  „logischen  Untersuchun- 
gen (1840.  Tbl,  I.)  richtig  gezeigt,  wie  in  den  Ka- 
tegorieen  der  Heg  eischen  Logik  räumliche  und  zeitliche 
Bestimmungen  den  verschwiegenen  Hintergrund  bilden,  firei^ 
lieh  um  eine  andere  Folgerung  zu  «machen,  als  virir  nach 
dem  gegenwärtigen  Zusammenhange  aie  etwa  zulässig  fin^^ 
den  würden. 

In  der  Naturphilosophie  ist  dage|fen  nicht  mehr 
der  Rückgang  vom  Abstrakten  in*s  Wesen  zu  nehmen :  das 
absolute  Wesen,  der  Realgnind,  auch  der  Natur,  soll  ja  in 
der  Logik  gefunden  sein.  Es  ist  in  ihr  also  nur  von  der 
Nachweisung  anzufangen,  wie  sich  das  unendlich  Reale  als 
räumlich-zeitliches  setzt,  d.  h.  Raum  und  Zeit  zugleicb  als 


876  Hegels  Wissenschaft  der  Logik: 

• 
eifUlte.  Wir  kehren  den  Grund,  welchen  Hegel  (BncykL 

3ie  Aufl.  S.  235.)  fdr  seine  Anordnung  anRihrt ,  desdialb 
gerade  gegen  ihn:  ^Die  Natur^  (es  sollte  vielmehr  heis- 
sen,  die  Natorphitosophie,  oder  philosophische  Betrachtimg 
der  Natur)  »flingt  darum  nichl  mit  dem  Qualitativen  ,  son* 
dem  mit  dem  Quantitativen  an,  weil  ihre  Bestimmung'  nicht, 
wie  das  logische  Sein ,  das  abstrakt  Erste  und  Cnmittei- 
bare,  sondern  wesentlich  schon  das  in  sich  Ver  mit  leite, 
Aensserlich«.  oder  Anderssein  ist«.  —  Das  Aensserlicbsein 
zunächst  bat  mit  der  Vermittlung  Nichts  zu  thun  ;  der  Geist 
ist  nach  Hegel  das  AUervermitteltste,  weil  er  das  in  sich 
Gegangene,  das  Innerlichgewordene  jener  Aensserlidi- 
keit  ist 

Von  dieser  verwirrenden  Nebenbestimmung  Hegels 
also  abgesehen,  zeigt  sich ,  dass,  was  er  eigentlich  Recht- 
fertigendes anfuhrt ,  wider  ihn  spricht.  Die  Logik,  sagt 
er ,  hat  vom  abstrakt  Ersten  und  Allgemeinsten  (so  statt 
„Unmittelbarsten«  sollte  es  heissen;  denn  das  Unmittelbare 
ist  nie  das  Abstrakte)  anzufangen :  die  Quantität  ist 
aber  offenbar  abstrakter,  als  die  Qualität *).  Die  Natur- 
philosophie dagegen  hebt  schon  vom  „Vermittelten^  an : 
Sie  hat  die  BegriiTe  der  ^antität  und  des  Princips  ihrer 
Erfüllung  schon  hinter  sich ,  durch  das  Vorausgehen  der 
Logik ;  sie  kann  demnach  nicht  von  der  Quantität,  als  der 
leeren ,  anheben ,  um  ihr  Erfüllendes  jetzt  erst  noch  zu 
suchen.  •*-  Diess  ist  öbrigens  nicht  die  einzige  Stelle, 
wo  manHefifol,  sein  eigenes  besseres  Princip  gegen  seine 
falsdie  Ausfuhrmig  wendend,  aus  sich  verbessern  kann.  — 

Quantität  ist  das  reine  Sein  mit  aufgehobener 
oder  gl eichgüUiger Bestimmtheit:  diese  aber,  in  ihre 
Momente  zerlegt,  ist  theils,  als  unter  sich  befassend 
di^  durch  jene  aUgelmeine  Beziehung  (Attraktion)  verei- 
nigten Viele,  continuirliche  Quantität:  —  theils  eben 
so  sehr,  im  Einzehien  der>^elen,  discrete  Grösse.   Da- 


*)  Man  vergleiche  damit  besonders  den  „Zusatz*'  zu  der  ueuen 
Ausgabe  der  Encjklopädie  (Bd.  VI.  S.  199.  f.). 


Katcgorieen  der  OuantitSt  877 

her  16st  sich  die  Continuität  inncrliob  uomittelbar  in 
Discretion  auf,  so  wie  die  Discretheit  schlechthin  in  def 
Continuität  befasst  ist.  Beides  ist  Dasselbe^  derBe-* 
griiT  der  Quantität ,  einmal  nur  (als  Discretes)  in  sejAev 
Gesondertheit,  das  andere  Mal  (als  Continuität)  nur 
in  seiner  Totalität  betrachtet  ($.  99^100.). 

Diese  Unterscheidbarkeit  ina^halb  der  Quantität,  die 
Möglichkeit  der  Gränze  derselben ,  giebt  den  BegrifT 
des  Quantum.  Diess  aber  intensiv,  sich  verwirklichend, 
isi  der  Grad,  in  welchem  Begriffe  eben  desshalb  dii) 
Qualität  mit  der  Quantität  zuerst  sich  zu  durchdringen  be- 
ginnt —  Aber  der  Grad  tritt  in  seinem  einzelnen  Ffir«* 
s  i  c  h  s  e  i  n  wiederum  in  das  Verhältniss  der  unmittelbaren 
(theils  repellirenden ,  theils  aber  darum  wieder  attrahiren-^ 
4en)  Beziehung  zu  dem  andern  ihm  gleichen  Einzel- 
nen, und  so  entwickelt  sich  hier  wiederum,  wie  oben,  ein- 
unendlicher  Progress ,  nämlich  der  unendlich  quantita- 
tive, d.  h.  die  Möglichkeit  einer  immanenten  Vermehrong 
des  Quantum  in's  Unendliche ,  wie  z.  &  in  Raum  und  Zeit 
CS.  101—1060.  / 

Das  Quantum,  in  Rücksicht  der  in  ihm  gesetzten  Qua« 
lität  begriffen,  welcher  Moment  laut  obiger  Bestimmung 
sich  in  ihm  geltend  macht,  also  das  qualitative  Quan- 
tum, oder  die  Qualität  an  ein  Quantum  gebunden  und  das- 
selbe durchdringend ,  —  giebt  das  M  a  a  s  s  ^  die  endlich 
vollkommen  vermittelte  Einheit  der  beiden  Gegensätze  von 
Onalität  und  Quantität,  so  wie  gleich  Anfangs  das  Werden 
die  Vermittlung  des  Seins  und  des  Nidits  war.     , 

Aber  das  Maass  \  durch  sich  selbst  nicht  begränzt 
(weil  jede  wahrhafle  Begränzung  nur  entstehen  kann  durch 
dmi  zu  einem  neuen  Unterschiede  fortgehenden  Begriff), 
schreitet  über  sich  selbst  zu  seiner  unendlichen  Nega- 
tion im  Einzelnen,  in  das  Maasslose  hinaus,  und  es 
thut  sich  hier  wiederum,  was  wir  an  Qualität  und  Quan- 
tität schon  nachwiesen ,  auch  an  der  Einheit  derselben 
der  bcgrifflose  Progress  in's  Unendliche  hervor,  eigentlich 
nur  eine   leere  Gedankenbewegung  ohne  wahrhaftes  Den- 


878  Hegeb  Wissonscimn  tier  Logfik: 

ken,  indem  grftneenlos ,  also  nach  der  Seite  der  nnendli- 
chen  Mdgiiclilieit  iiin,  immer  nur  Dasselbe  wieder- 
holt, nicht  aber  elgenUicb  begrilbmässig  weiter  gekom- 

»eil  wird  CS-  107—1110. 

Die  wahrhaft  innere  Begransnng  jenes  Begriffes  ist 
das  Wesen.  Es  ist  das  auf  sich  selbst  zurückgehende, 
in  sich  selbst  sich  bejahende  Sein,  im  Gegen- 
sätze eines  Andern  an  ihm  selber,  weldies  eben 
negtrt  wird,  als  nicht  das  wahre  Sein:  nnd  insorem  triu 
es  als  Allgemeines  ,  Gleichbleibendes  (als  ,,  W  e  s  e  n  ■ 
eben),  der  unendlich  sich  aurhet>enden  Bestimmtheit  in 
ihm,  als  dem  Scheine  (dem  „Unwesentlichen^ 
gegenüber:  nnd  in  diesem  Gegensetzen  besteht  der  ganze 
"Begriff. 

Das  Wesen  ist  daher  Reflexion  in  sich,  das  in 
sich  Borückkehrende  und  die  scheinenden  Prädikate  Ton 
sich  ablösende  Sein,  nnd  somit  der  ganze  firühere  Be- 
griff des  Seins ,  nur  zi^leich  die  Negation  des  in  ihm 
gesetzten  Negativen  hervorhebend.  —  Aber  eben  dessbalb 
liegt  es  im  Begriffe  des  Wesens,  dass  es  über  sich  selbst 
hinausgetrieben  werde  zu  einem  Andern  an  ihm.  Das 
Negative,  den  Schein  in  sich,  negirend,  ist  er  nothwendqr 
ein  Reflexißns-,  eiii  Verhältnissbegriff,  und  diese 
Relation  an  ihm  ist  es ,  was  seinen  Unterschied  von  dan 
(darum  abstrakteren)  Begriffe  des  Seins  ausmacht  So 
wie  früher  das  Absolute  als  das  Sein  zu  definiren  war, 
wird  diese  neue,  entwickeltere  Bestimmung  jetzt  gleich- 
falls auf  jenes  übergetragen  werden  müssen ;  und  so  gäbe 
diess  die  adäquatere  (schon  um  einen  Schritt  aus  der  Ab- 
straktion heraustretende)  Bestimmung:  dass  das  Absolute  das 
Wesen  sei,  während  das  Endliche,  —  die  einselnea 
Bestimmungen  des  Andern  gegen  Anderes  in  Srai, 
nach  der  früheren  Bezeichnung ,  —  nach  der  gegenwir. 
tigen,  das  Scheinen,  aber  das  unendliche  Schei- 
nen ist,  welches  vom  Wesen  eben  so  unendlich   negirt 

wird  ($.  112—14.). 

Als  jener  Verhältnissbegriff  ist  aber  das  Wesen  zuerst 


die  Kaieforieen  des  Wesens.  879 

die  Identität,  die  reiae BeEiehviig  auf  sich  zurück:  das 
Wesen,  sich  reflektirend,  bejaht  sich,  als  identisch  mit  sich, 
als  das  Eine,  überall  sich  Gleichbleibende.  Inwiefern  aber 
diese  Beziehung  auf  sich,  diese  Identität,  rein  formell 
festgehalten  wird ,  ist  dtess  nur  die  Abstraktion  von  allem 
Besondern,  und  das  Festhalten  bloss  der  leeren  Identität 
CS-  1150- 

So  ist  das  A  b  s  t  r  a  h  i  r  e  n  wohl  das  Zurückgehen  in*s 
Wesen,  aber  in  das  Wesen,  als  rein  formelles,  vom  We- 
sentlichen leergemachtes,  also  an  sich  nur  Negatives; 
und  die  formalen  Denkgesetze  der  Identität  und  des  Wi~ 
derspruches  enthalten  nichts  Anderes,  als  die  äusserlichste, 
unwesentlichste  Wahrheit,  weil  dasWesenh^fte  in  ih- 
nen entleert ,  auf  das  Abstrakte  zurückgebracht  ist ;  was 
auch  die  gewöhnliche  Logik  durch  den  Ausdruck  bezeich-^ 
net,  dass  jene  Sätze  nur  als  negatives  Kriterium  der 
Wahrheit  angesehen  werden  können. 

Eben  so  seh|r  setzt  aber  jener  Verhältnissbegriff  der 
Identität,  als  das  Zweite,  den  Unterschied  (das  Anders- 
sein) entgegen,  aber  nicht  mehr  bloss  als  etwas  ihr  Aeus- 
s  e  r  1  i  c  h  e  s ,  wie  es  in  der  Sphäre  der  Qualität  noch  sich 
verhielt,  wo  d^m  Etwas  das  Andere  nur  gegenübertrat,  ohne 
innerliche  Einheit  und  Vermittelung  beider ;  sondern  hier 
ist  das  Wesen  diese  Vermittelung,  die  lebendige  Einheit 
der  Identität  und  des  Unterschiedes.  Das  Wesen,  als  Iden- 
tisches, tritt  in  den  Unterschied  hinein,  eben  darin  seine 
Identität,  als  lebändige,  durchführend  und  bestätigend 

($.  116—21.). 

Absolut  tsl  es  aber  Identität;  Unterschied  toird  es 
unendlich :  dieser  ist  das  unendlich  Verfliessende ,  das 
wechselnde  Scheinen  am  Wesen.  Daher  ist  es  schlecht- 
hin begründend,  d.  h.  unendliche  Unterschiede  in  sieh 
setzend  oder  in  sich  scheinen  lassend.  Die  Einheit  dieses 
Verhätnisses  daher ,  die  wahrhafte  Einheit  von  Identität 
und  Unterschied,  ist  der  Grund.  Er  ist  das  Wesen  in 
seiner  Totalität  (in  der  vollkommenen  Vermittelung 
seiner  Gegensätze).  Das  Wesen,  als  Grund,  ist  Reflexion 


880  Hegels  WissansseliiiR  der  Logik: 

in  sich,  die  unmittelbar  zugleich Reflezioii  ia  Anderes 
131  (S.  121.). 

Der  Grund,  sieh  eigiessend  in  den  einzelnen  Un- 
terschied (in  das  Etwas) ,  und  in  demselben  sich  dar- 
stellend, aber  innerlich  vom  Wesen  getragen,  welches  die 
innere  Einheit  des  Grandanden  wie  des  Begründeten  ist, 
—  ist  die  Existenz  ($•  123.)  —  die  unmittelbare 
Wirklichkeit  —  das  „Ding«  ($.  125—28.).  In  dieser 
Vorstellung  gefasst ,  wird  das  Wesien  oder  das  Absolute 
bezeichnet  werden  können  als  das  Ding  an  sich,  ei- 
gentlich nur  die  leere  Grundlage  der  unendlich  ein- 
zelnen, (in  die  Sphäre  des  Dinges  hinausgesetzten) 
Unterschiede.^  Das  „Ding  an  sich<^  ist  derGrund, 
aber  noch  nicht  als  unmittelbar  wirkender  gerassL, 
sondern  in  seiner  Abstraktion,  als  leerer,  un bestimmte: 
das  „Ding%  das  Etwas  (die  Reflexion  in  Anderes  am 
Wesen)  ist  ein  bestimmtes;  es  hat  Unterschiede ,  die 
im  Dinge ,  nicht  an  ihnen  selbst ,  die  Reflexion  in  sich 
haben,  d.  h.  sie  sind  Eigenschaften  des  Dinges,  oder 
dasselbe  hat  Eigenschaften.  Das  Ding,  als  Wesen, 
setzt  si-ch  wiederum  in  seinen  Eigenschaf- 
ten, in  dem  Etwas  an  ihm ,  Unwesentiichkei- 
ten  gegenüber;  ein  Gegensatz,  wie  der  von 
Materie  und  Form,  Ding  an  sich  und  Stoffen, 
welche  Vorstellungen  insgesammt  in  jenem  dialektischen 
Verhältnisse  ihre  Wahrheit  haben  (§.  129.  30.). 

Aber  die  Existenz,  das  Etwas  aus  dem  (vronde^ 
ist,  tiefer  erwogen,  die  Erscheinung  des  Grundes  oder 
des  Wesens  selber.  Das  Wesen ,  eben  als  lebendig- 
wirkliches, muss  erscheinen  ($.131.)«  Sein  Erschei- 
nen ist  das  Hervortreten  zur  Unmittelbarkeit  der  Existenz: 
aber  diese  Unmittelbarkeit  —  was  wir  vorher  auch  das 
Etwas  nannten  —  ist  nicht  an  sich,  sondern  nur  a  m  W  e« 
Sen.  Also  dadurdi,  dass  das  Wesen  es  ist,  welches  exi- 
stirt,  ist  die  Existenz,  .das  unmittelbare  Etwas,  auch  die 
volle  rückhaltlose  Erscheinung  des  Wesens.  Das  Wesen 
ist  daher  nicht  hinter  oder  jenseits  der  Erscheinmig 


die  Kalegorieen  des  Wesens.  Ööl 

KU  suchen,  was  gerade  Kant 's  Behauptung  war,  sondern 
diese  ist  ohne  Rückhalt  das  sich  verwirkli'* 
c  hende  Wesen  selber:  —  was  seit  Hegels  Logik 
mit  Recht  ein  Fundamentalsatz  der  ganzen  gegenwärtigen 
Philosophie  geworden  ist. 

Aber  eben  so  e  mv  eitert*  sich  das  Wesen ,  in- 
dem es  Existenz,  Selbsterscheinung  ist,  zum  Verhält- 
nisse ($.  13'5.)  Das  Wesen,  als  Ein  und  dasselbe,  zer- 
legt sich  in  entgegengesetzte  Beziehungen  an  ihm ;  es  er- 
scheint in  Entgegengesetztem,  dessen  identische  Einheit  es 
bleibt. 

So  ist  das  Grundverhältniss  das  des  Ganzen  und 
der  Th  e i  1  e :  das  6 an z e  ist  nichts  Anderes,  als  die Theile, 
nur  in  lebendiger  Zerlegung,  Besonderung,  erfasst,  und  die 
T heile  nichts  Anderes,  als  das  Ganze,  in'  ihre  identische 
Einheit  zusammengefugt ,  also  als  nur  in  Bezug  auf 
einander  möglich.  Von  jedem  Gliede  dieses  Gegensatzes 
wird  man  unaufhaltsam  zum  andern  getrieben;  denn  keines 
ist  ohne  das  andere^  —  und  so  ist  wahrhaft  nur  die  To- 
talität derselben. 

Aber  das  Eine  oder  das  Ganze  ist  eben  darum  sc t- 
eend  seine  Theile;  diese  gehen  aus  seinem  Innern  her- 
vor, als  der  vollendete  Ausdruck  desselben:  so  sind  sie 
nicht  nur  Theile,  sondern  Aeusserungen  jenes  Innern, 
als  der  Kraft.  Wesentlicher  ist  also  dasVerhältnissvom 
Ganzen  und  den  Th  eilen  zu  bestimmen,  als  das  der 
Kraft  und  ihrer  Aeusserung  (§.  136.)* 

Die  Kraft ,  als  das  Ganze ,  besteht  eben  nur  darin, 
sich  absolut  zu  äussern;  d.h.  die  Reflexion  in  sich 
ist  unmittelbar  und  identisch  zugleich  Reflexion  in  Ande- 
res: (und  hiermit  sind  wir  über  den  Begrifl^  des  Grun- 
des hinaus,  der  noch  als  Inneres,  gleichsam  Todtes, 
nicht  auch  als  unmittelbar  sich  Vollziehendes,  betrachtet 
wurde). 

Die  Wirklichkeit  der  Kraft  ist  also  die  lebendige  Iden- 
tität von  Reflexion  in-  sich  und  Reflexion  in  Anderes,  d.  h. 
der  unmittelbar  auseinander  tretende  Gcgen- 

66 


b^A  Hegels  Wissenschaft  der  Logik: 

gcseizl,  also  nnler  der  Form  der  Nothwcndigkeit  gefasst 
wird.  Beide  Gegensatze  sind  aber  wiederum  schlechlhjn 
Ei/is :  die  Wirkung  ist  nur  an  der  Ursache,  und  die  Ursa- 
che nur  in  der  Wirkung  wirklich.  —  Daher  ist  das 
SubstantialverhSItniss  vielmehr  näher  bIs  Causalitätsverhalt- 
niss  zu  bestimmen ,  indem  die  Substanz  sich  als  absofafe 
Ursache  gezeigt  hat,    also'  sein  Accidentelles  aus  sich 

,  selbst  als  Wirkung  setzend.  —  Diess  Verhältniss ,  auf  das 
Einzelne  und  Unmittelbare  angewendet,  leitet  auch  auf  ein 
Einzelnes,  als  dessen  Ursache  zurück  ,  welches  wie- 
derum in  einem  andern  Einzelnen  seine  Ursache  haben 
kann,  u.  s.  f.  in's  Unendliche ;  und  so  thut  sich  hier  wie- 
derum der  Progress  in's  schlechte  Unendliche  hen'or,  wie 
er  schon  an  den  bisherigen  Denkformen  nachgewiesen  wor- 
den, als  das  bloss  äusserlich  sich  Verflachende  ihres  Denk- 
processes. 

Diess  leitet  zunächst  in  das*  dritte  Verhaltniss  der 
Wechselwirkung,  als  die  eigentliche  Wahrheit 
der  beiden  vorhergehenden ,  über  (§.  155.).  Indem  die 
Substanz  nicht  aufgeht  in  einer  einzelnen  Ursache  und 
deren  Wirkung,  sondern  die  absolute  Macht  unendlich 

'  einzelner  ist:  so  sind  diese  an  ihr  in  absolute  Beziehung 
mit  einander  gesetzt.  Jedes  Einzelne  ist  nur ,  als  auf  die 
andern  sich  «beziehendes,  und  eben  so  diese  Beziehung  xu- 
rückempfangcndes,  d.  h.  sie  sind  in  absoluter  Wech- 
selwirkung. Und  diess  ist  die  lebendige  Dialektik  der 
Substanz,  jede  unmittelbare  Wirklichkeit  an  ihr  in  nega- 
tiv-positives Verhaltniss  zu  ihren  unendlich  andern 
Unmittelbarkeiten  zu  setzen :  jedes  dieser  Momente  bedingt 
das  andere,  und  wird  von  ihm  bedingt,  — Jedes  ist  nur 
in  Allem  un.d  Alles  nur  mit  Jedem,  —  so  däss 
eben  jener  begrifliose  Progress  in's  Unendliche  sich  in  die 
Totalität 'eines  absoluten  Zusammenhangs, 
und  zugleich  sich  wechselbedingender  Ursachen, 
verwandelt.  Die  Causalität'  ist  nur  als  Wechselwirkung, 
und  erst  in  diesem  VerhältnissbegriiTe  ist  die  Wahrheit  der 
beiden  frühem  erreicht.    Das  Wesen  ist,  «als  Substanz 


Uebergang  vom  Wesen  in  den  Begriff.  &85 

und  als  Ursache,  vielmehr  die  Tulalilat  ihrer  mimiUel- 
Laren  Wirklichkeiten ,  in  welche  es  sich  hinauswerfend, 
dennoch  ihre  unendliche  Wechselbeziehung,  organische  Ein- 
heit  ist.  —  Jenes  Werden  zu  unendlich  Einzelnem  hebt 
sich  auf  in  die  absolute  Ruhe  immanenter  Totalität  ,  wo 
Jedes  absolut  in  und  mit  dem  Andern  ist,  Keines  also  erst 
zu  werden  vormöchte.  — ,Die  Substanz  —  das  Absolute 
—  ist  organisclic  Einheit  unendlicher  Wechselbeziehung 
gen  (x6of.iog)  ,  und  in  diesem  Begriffe  sind  alle  bisherigen 
vereinigt. 

Dadurch  ist  aber  zugleich  das  Wesen  des  Begrif- 
fe s  ausgesprochen,  der  nun  als  die  Wahrheit  alles  Bishe- 
rigen ,  als  das  erscheint ,  in  den  das  Sein  und  das  W  o- 
8en  dialektisch  übergegangen  ist  ($.158.).  Der  Begriff  als 
Allgemeines  dirimirt  sich,  erschliesst  sich  innerlich  zu 
Besonderem,  und  sich  besondernd  setzt  er  sich  in  die 
Unmittelbarkeit  des  Einzelnen  über.  Damit  verliert  er 
aber  nicht  seine  innere  Einheit  und  Allgemeinheit,  sondern 
setzt  und  bestätigt  sie  gerade  in  diesem  Processe  unend« 
lieber  Vereinzelung.  Das  Einzelne  ist  das  Allgemeine,  in- 
dem dicss  ein  unendlich  sich  Besondemdes  ist,  und  alle 
drei  Momente  —  Allgeraeinheit,  Besonderheit,  und  Einzeln- 
heit —  schlechthin  Eins  sind,  und  in  dieser  Einheit  eben 
den  B  e  g  r  i  f f  ausmachen. 

Das  Absolute  —  wäre  demnach  nun  zu  sagen  mit  neuer 
wesentlicherer  Definition —  ist  der  Begriff,  das  ein  un- 
endlich Besonderes  in  sich  begreifende  und  in  seiner  To- 
talität vereinigende  Allgemeine.  —  Damit  ist  aber 
der  Begriff  zugleich  das  absolut  Freie,  weil  er  das  nur 
aus  sich  Nothwendige,  die  unendliche  Macht  der  Sub- 
stanz ist«  Der  Begriff  ist  für  sich  die  Macht  der 
Nothwendigkeit  und  der  substantiellen  Frei- 
heit (§.  159.  160.). 

Nach  dieser  freien  Rekapitulation  der  Abschnitte  vom 
Sein  und  Wesen  —  worin  wir  zugleich  den  Kern  des 
Walireu  daraus  hergestellt  zu  haben  glauben ,  —  müssen 
wir  hier  jedoch,  bei  dem  Uebergange  aus  derNothwen-  . 


886  Hegels  Wisscnschatl  der  Logik: 


digkeit  in  die  Freiheit  und  aus  dem  Wesen  in  den 
Csubjekt.iven)  Begriff  einen ^  Augenblick  innchaUen, 
um  uns  über  die  Art  dieses  -Ueberganges  und  sein  Resul- 
tat näher  zu  verständigen. 

„Der  Uebergang  von  der  Nolhwcndigkeit  zur  Freiheil, 
oder   vom  Wirklichen  in   den  Begriff,    ist   der  härtesle*, 
sagt  Hegel  (S.  312.) 9  ^^cil  die   selbstständige  Wirklich- 
keit^ (das  Einzelne,  scheinbar  Selbstständige  und  Für- 
sichsciende)  „gedacht  werden  soll,  als  seine  Substantiali- 
tat  dennoch  nur  im  Uebergehen  und  der  Identität  mit  der 
ihr  andern  selbstständigen  Wirklichkeit  zu  haben:  so  ist 
auch  der  Begriff  das  Härteste,  weil  er  eben  diese  Iden- 
tität selber  ist^.   —    Der  Begriff  n^imlich   ist  die  ab- 
solute Substanz,  welche,  in  jenem  unendlichen  Uebei^- 
hen  durch  einzelne   „selbstständige  Wirklichkeiten^    darin 
die  gegen  sie   freie, 'über  sie  hinausschreitende  Iden- 
tität mit  sich  bleibt    Jene  einzelnen  Wirklichkeiten 
oder  Momente  des  Uebergehens  aber  sind  zwar  selbstsstän- 
dig,   „undurchdringlich*    (S.  213.)    gegen    einander, 
aber  schlechthin  bestimmt  (determinirt)  aus  dem  durch  sie 
hindurchschreitcndcn   Absoluten.      Diess    ist   das    einzig 
Freie  in  ihnen,  und  die  Freiheit  jener  besteht  allein  darin, 
sich  mit  Bewusstsein  der  sie   befassenden  Nolhwcndigkeit 
zu  unterwerfen,  sich  in  die  Freiheit  des  Absoluten  hinein- 
zufluchten, und  die  eigene  im  Bewusstsein  der  Vereinigung 
mit   ihm,    d.  h.   mit   der  Totalität,   zu  finden.    „Das 
Denken    der   Nothwendigkeit    ist    die    Auflösung  jener 
Härte''  (des  Sichunterwerfcnmüssens  unter  das  „Schicksal«); 
„denn  es  ist  das  Zusammengehen  seiner  mit  sich  selbst  in 
dem  andern  Wirklichen,    mit   dem   es  durch   die  Macht 
der  Nothwendigkeit  zusammengebunden  ist**.  —  Ueberhaupt 
ist  es  die  höchste  Selbstständigkeit  des  Menschen,  sich  als 
schlechthin  bestimmt   durch    die  absolute  Idee  zu  wissen; 
es  ist  Spinosa's  amor  intcllectualis  DeL    Als  für 
sich  cxislircnd  hcisst  diese  Befreiung  Ich,   in  ihrer  To- 
talität freier  Geist,  als  Empfindung  Liebe,  alsGenuss 
Seeligkcit  (ß.  211.  213.). 


der  Begriff  als  das  Freie.  887 

Alan  hat  diese  Steile   gross    und   das  Erhabenste  ge- 
nannt,  was   die  neuere   Philosophie   auszusprechen    ver- 
mochte.   Hegel  selbst  würde  sich  bescheiden,  auf  keine 
andere  Grösse   und  Erhabenheit  des  Inhalts   Anspruch  zu 
machen,  als  wie  beide  wirklich  schon  in  Spinosa,   auf 
den   er  mit  Recht  sich  beruft ,  vorhanden  sind ,  bei   ihm 
nur  um  die  dialektische  Stufe  erhöht,   welche  Seinen 
Standpunkt  überhaupt  von  dem  Spinosistischen  unterschei- 
de!.    Auch  nach  Spinosa  ist  Gott  der  einzig  freie,  weil 
allein   nach    der  Nothwendigkeit   seines  Wesens  sich-  be- 
stimmende ;  nach  Hegel  ist  der  Begriff  (das  Absolute)  die 
AUes  bestimmende  Macht  der  Nothwendigkeit,  und  darum 
die  „wirk  liehe  Freiheit^:  das  Endliche  ist  nur  Moment 
dieser  allgemeinen  Selbstbestimmung  und  das  darin  schlecht- 
hin Determinirte. 

Mit  Einem  Worte:  Hegels  Lehre  ist  in  diesem  Be- 
treff ein  schlechthin  deterministisches  System,  hat  alle 
weitern  Folgen  eines  solchen  auf  sich  zu  nehmen  und  bat 
sie  in  den  weitem  Anwendungen,  z.  B.  in  der  Lehre  vom 
Ursprünge  und  Wesen  des  Bösen,  eigentlich  auch  nie  ver- 
leugnet.   Aber  es  ist  diess  nicht  ein  zufälliger  Fehler  jenes 
Systems  oder  die  Schuld  einer  Unterlassung,  sondern  die 
nothwendige  Folge  des  Princips,  das  Absolute  nur  als  das 
der  Welt  Immanente,  das  Endliche  nur  als  vorüberscbwin- 
dendes  Moment  in  diesem  Processe  anzusehen ,  kurz  den 
Begriff  der  Urposition  im  Endlichen  nicht  zu  kennen; 
und  in  diesem  Sinne,  wonach  die  Widerlegung  nur  in  ei- 
nem umfassenden  metaphysisehen  Zusammenhange  gegeben 
werden  kann,  haben  wir  in  der  Ontologie  ebenso  die  Kon- 
sequenz dieser  pantheistisch  -  deterministischen  Lehre  von 
der  Freiheit  in  Gott  dargestellt ,   als  aus  dem  Begriffe  der 
Urposition  im  Endlichen  widerlegt  (Ontologie  §.196— 
202.),  auf  welche  Ausführung  auch  in  Bezug  auf  diese  Stelle 
des  Hegeischen  Systemes  zu  verweisen  ist. 

Aber  mit  dieser  Kategorie  des  Begriffes,  als  des 
Freien,  das  in  jedem  seiner  Momente  für  sich  das 
Ganze,    die  Totalität   ist  ($.  1600,    das  hiermit  in 


833  Uegels  Wiflsenschail  der  Logik: 

seiner  Bewegung:  durch  diese  Momente  nicht  nur  ein  Ce- 
hergehen  oder  ein  Scheinen  in  Anderes,  sondern  EeU 
Wicklung  ist,  indem  die  Bestimmtheit  (das  Aa^ 
ressein  des  Begriffes)  das  freie  Sein  des  ganzen  BegrifiiES 
ist  (S.  löl.)?  hiermit  soll  auch  derUebergang  in   den  sub- 
jektiven Begriff  gefunden  sein  (§,  163.  ITOy  welcher  Ak 
in  seine  Momente,  das  Urtheil  und  den  Sohluss,  an^ 
einander  legt,  und  hiermit  den  Inhalt  desjenigen  ausmadit, 
was  die  gewöhnliche  „Verstandeslogik^  mit  sonstigrem  psy-< 
chologischen  und  empirischen  Materiale  verbunden  ($.  161), 
für  sieh  verarbeitet  hat. 

Der  Begriff  an  sich  selbst  ist  das  Absolute  (es  wird 
sich  im  weitern  Verlaufe  des  Systemes  zeigen,  dass  wir  in 
der  That  mit  ihm  die  höchste  Hege  Ische  Definition  des  Ab- 
soluten schon  haben,  dass  keine  wesentlich  neuen  BestioH 
mungen   im  Folgenden   hinzukommen;   vgl.  „Zusatz^  zu 
§.  160.  S.  316.);  er  ist  das  concret  Allgemeine  ($.164.): 
der  subjektive  Begriff  ist   dagegen   der   „formelle^ 
($.  162.).  ^  Wir  haben  an  sich  gegen  diese  Unterschei-i 
düng  Kichts ;  wir  fragen  vielmehr  nur ,   woher  sich  aber* 
haupt   hier  die  Rücksicht  auf  einen  ^subjektiven^  Begriff 
einstelle,  bestimmter,  wie  sie  deducirt  sei  im  bisherigen 
dialektischen  Zusammenhange.    In  diesem  hat  sich  nar  g^ 
fundcn  das  Princip  der  „Wirkli  chkeit^' ,  als  das  con- 
cret Allgemeine,/ sich  selbst  gebend  die  Momente  des  ^B^ 
sondern^'  und  „Einzelnen«,   und   in  ihnen  als  das  „Ganze 
sich  darstellend«.   Diess  Princip  vergleicht  Hegel  mit  dem- 
jenigen, was  sonst  der  „Begrifl^  in  subjektiver  Bedeutung 
genannt  werdc^  und  nennt  so  jenes  Allgemeine  selbst  den 
'Begriff,  den  „absoluten  Begriffe.     Dabei  wird  ausdrücklich 
in  den  erläuternden  Zusätzen  beigefügt:  dass  man  hier  den 
Begriff  „in  einem  andern  und  hohem«  (d.  b.  einem  allge- 
mein metaphysischen)   „Sinne  auizufassen  habe,  als 
solches  in  der  Verstandeslogik  geschieht,  weicher  zufolge 
der  Begriff  bloss    als  eine   an   sich   inhaltslose  (?)  Fonii 
unsers  subjektiven  Denkens  betrachtet  wird«  (S.  316.). 

Hiermit  wird  jedoch  jede  Beziehung  auf  die  subjektive 


der  absolute  und  der  subjektive  BegriiT.         889 

Bedeutung  desselben  vielmehr  abgewiesen,  als  darge- 
than:   und  vollends  ist   nicht  abzusehen,    wie  ein  Beweis 
von    dem   Vorhandensein   eines    begriffebildenden 
D  enkens  in  ünserm  Geiste  dadurch  nur  in  allerentfern«* 
testeib  Sinne  vermittelt    sein   könne.    Der  Zusammenhang 
alles  Bisherigen  ist  ein  bloss  metaphysisch  er,  durch«* 
aus  noch  ignorirend  alle  Unterschiede  der  natürlichen  und 
gfeistigen  Dinge,  oder,  wo  deren  Erwähnung  geschieht,  sio 
nur  als  einzelne  Beispiele   eines  allgemein  metaphysischen 
Verhältnisses,  als  erläuternde  empirische  Belege  desselben 
in  die  Darstellung  hineinziehend.  -^  Warum  wird  die  Lo- 
gik plötzlich  dieser  allein  hier  berechtigten  melaphysiscben 
Haltung  untreu ,  und  springt  mit  der  gewaltsamsten  fisTa^ 
ßaaig  eig  aXko  ysvoq  in   das  Gebiet   des  subjektiven  Gei- 
stes, und  zwar  des  in  logischen  Formen  denkenden,  über? 
Und  in  der  That  wird    sich   —   in  Hegels  Lehre   vom 
Geiste  «^  die  rechte  Stelle  finden,  welche  dem  Denken,  als 
logischer  Thätigkeit ,    zukommt.    Der  dialektische  Zusam- 
menhang der  Logik  rechtfertigt  diesen  Uebergriff  nicht  nur 
nicht,  sondern  schliesst  ihn  geradezu  aus,  und  ihre  ausser- 
dialektischen  Erläuterungen   bemühen    sich    ebenso    sehr, 
diesen  Gesichtspunkt^  oder  dergleichen  Einmischungen^  zu- 
rückzuweisen ,    nicht  sie  zu  fördern.    Der  eigene  Zusam- 
menhang der  Hege  Ischen  Darstellung  verräth  daher  ge- 
nugsam, was  es  mit  diesem  „Ue bergan ge^  in  die  sub*< 
jektive  Logik  auf  sich  hat;    es  ist  ein  völlig  heterogener 
Auswuchs,   dessen  Willkühr   sich   höchstens  nur  darin 
versteckt  hat,  dass  Hegel  die  allgemeine,  von  ihm  doch 
80  eben  gescholtene  und  widerlegte  Ueberlieferung  benutzte, 
bei  dem  „BegrifTe«',    an    ein  subjektives  Denken  desselben 
sich  zu  ei-innern,  und  so  nun,  auch  äusserlich  abspringend 
genug,  die  Lehre  vom  subjektiven  Begriffe,  ürtheile 
und  Schlüsse  anzufQgen.    Und  um   diese  Incohärenz  auch 
dem  blödesten  Auge  sichtbar  zu  machen,  bedarf  es  nur,  den 
*   ganzen  Abschnitt  vom  ,5subjek  ti  v  en  Begriffe«^  wirk- 
lich herauszuwerfen  und  nun  zuzusehen,  ob  der  dialektische 
Zusammenhang  der  Logik 'dadurch  Einbusse  erlitten  habe? 


890  Die  Lehro  vom  subjektiven  Bc^äTe 

Das  Ge gentheil  findet  sich:  so  gfcwaltsam  er 
f  eßhrl  wurde ,  ebenso  gewaltsam  ist  der  Uebei^gang^  voa 
seinem  Schlüsse  aus  —  („rremdartig^  ist  selbsl  Hegel 
genöthigt,  ihn  zu  nennen,  §.  193.  S.  360.)  —  in  die  Lehre 
von  der  Objektivität  des  Begriffes  ($.  19H.  &.),  die  in 
der  That  auch  so  nicht  begreiflich  tu  machen  ist,  segleidi 
aber  sich  von  selbst  einlebt,  wenn  man  den  Uebeigsng  ii 
die  Objektivität  des  Begriffes  unmittelbar  hervor- 
gehen Ifisst  aus  der  Lehre  von  der  Totalität  des  Begriffes,  ak 
des  concret  Allgemeinen,  oder,  mit  Ueberspringimg  der  da- 
zwischen fallenden  §$.  der  subjektiven  Logik,  den  $.  193.  un- 
mittelbar aufs.  161.  folgen  lässt.  Beide  bilden  einen  so  öli- 
gen, lückenlosen  Zusammenhang,  —  der  Begriff,  der  sidi  als 
die  Totalität^  erwiesen  hat,  in  der  jedes  der  Momente  das 
Ganze  ist  ($.  166.)  ,  ist  damit  auch  der  unendlich  sich 
^r  ealisirende^  (S-  193.))  worin  ^das  Allgemeine  diese 
Eine  in  sich  zurückgegangene  Totalität  ist,  deren  Un- 
terschiede ebenso  diese  Totalitat  sind%  während  diese 
Unterschiede  „durch  Aufheben  der  Vermittlnng^  als  ^un- 
mittelbare  Einheit,   als  Objekt^,  zu  bestimmen  sind, 

—  dass  der  letztgenannte  §.  nur  als  die  Wiederaufnahme 
und  Umschreibung  des  ersten  anzusehen  ist,  und  von  dea 
dazwischengeschobenen  „subjektiv  logischen^  Bestinrniongen 

—  als  von  einem  solchergestalt  von  selbst  sich  verralhen- 
den  hors  d'o euere  —  keine  Notiz  genommen  wird, 
ebenso  wenig,  wie  diess  im  folgenden  Zusammenhange  der 
Logik  geschieht. 

Diese  Entdeckung  ist  aber  entscheidend  für  das  Schick- 
sal der  Heg  eischen  Logik:  nicht  nur,  dass  dadurch*  das 
Ebenmaass  ihres  dialektischen  Rhythmus  aus  allen  Fugen 
getrieben  wird,  es  entsteht  aus  der  Nothwendigkeit,  diesra 
Theil  von  ihr  auszuscheiden,  noch  weit  mehr  eine  sadiUche 
Lücke  der  schwersten  Art  im  ganzen  Systeme.  Wie  ganz 
ungehörig  jener  Inhalt  der*  subjektiven  Logik  auch  in  den 
metaphysischen  Zusammenhang  eingeschoben  sei;  in  den 
spätem  Theiie,  der  Philosophie  des  subjektiven  Geistes  und 
in  dessen  psycbologiseber  Entwicklung,  kann  er  keine  SteUe 


ist  auszuscheiden.  891 

finden,  weil  er  in.derTbat  nur  der  formelle,  die  allgemci- 
vicn  Unterschiede  und  Stufen  des  Denkens  enthaltende, 
ist.  Wohin  nun  also  mit  ihm  ?  Dahin,  wozu  er  eigentlich 
2u  gehören,  durch  die  Sache  selbst  Zeugniss  giebt :  zu  der 
IfVissenschaft  vom  Erkennen,  deren  allerwesenllichslcr 
Gehalt  doch  die  Genesis  des  d  e  n  k  e  n  d  e  n,  und  zwar  des 
spekulativ  denkenden,  Erkennens  sein  wird. 

Soll  daher  die  Hegeische  Logik,  als  das,  was  sie  ist, 
als  Metaphysik,  Ansprüche  auf  Fortexistenz  machen, 
freilich  mit  vielfachen  Umschmelzungen  ihrer  gegenwärli- 
gen  Form;  so  ist  es  nach  ihrem  eigenen  Ergeb- 
nisse nur  möglich,  indem  sie  eine  spekulative  Wissenschaft 
für  sich  voraussetzt ,  welche  theils  die  bewusstlosen  Vor- 
aussetzungen, auf  denen  ihr  Anfang  und  Fortgang  beruht, 
ziim  Bewusstsein  bringe  und  begründe,  theils  den  ihr  selbst 
überschüiSsigen  und  widerstrebenden  Inhalt  in  sich  aufnehme 
und  ihm  die  rechte  Stätte  gebe.  Die  eigenen  Bestandtheile 
des  Hegel  sehen  Systemes  drangen  sich  auseinander  und 
fordern  an  sich  selbst  schon  eine  neue  Umgestaltung. 

Aber  Hegel  hat  ja  vielmehr  die  metaphysische 
Bedeutung  der  logischen  Formen  des  Begriffes ,  ürtheils 
und  Schlusses  dargethan :  wie  ist  daher  diesen ,  als  den 
Formen  ( Kategorieen )  der  absoluten  Vernunft,  das 
Recht  zu  bestreiten  ,  auch  in  der  Metaphysik  ihren  Platz 
zu  behaupten  ?  Absfrahiren  wir  nämlich  nur  von  der  Weise, 
in  welcher  wir  gewohnt  sind,  die  logischen  Formen  als  nur 
subjektive  zu  denken,  und  erinnern  wir  uns,  dass  derBe^ 
griir,  als  das  absolute Princip  derWirklichkeit,  von 
der  Logik  gerade  erwiesen  werden  soll:  so  werden  wir 
sogen  müssen,  dass  auch  der  Schluss  (die  entfaltete  Solbst- 
darstellung  des  Begriffes)  das  Allerobjektivste  und  Wirk- 
lichste sei,  weil  der  Grund  alles  Wahren  und  Wirklichen. 
Das  Absolute  ist  der  Schluss,  oder  in  anderm 
Ausdrucke:  Alles  (Wirkliche)  ist  der  Schluss.  Alles  näm- 
lich ist  der  Begriff,  welcher  sich  den  Unterschied  sei- 
ner Momente  giebt,  so  dass  seine  Allgemeinheit  durch 
die  Selbstboson derung  hindurch  sich  zum  äusserlich 


893  Die  Lehre  vom  subjektiven  Begriffe 

Realen,    Einzelnen    macht:     oder   umgekehrt    ist   da^ 
Wirkliche  ein  Einzelnes,  das  durch   die  Besondening 
dos  Allg-emeinen,  als  seines  Princips,  dessen  Gegenwart  ist, 
und  sich  mit  diesem  ^zusaromehscbliesst^.  Der  absolute  Fro^ 
cess  alles  Wirklichen  ist  daher  dieser  logische  Verlauf  eines 
Schlusses ,    in  dem  die  Momente  auseinandcrireten ,    darin 
aber  vermittelt  und  so  zum  Schlüsse,  zur  concreten  Einheit, 
aurgehoben  sind;  und  zwar  erweist  sich  näher  alles  Vemünr- 
tige  als  ein  dreifacher  Schluss ,   indem  jedes  der  drei 
Glieder  desselben    ebenso  wohl  die  Stelle  eines  Extremes, 
als  des  piecUus  ferminuSy  des  Vermittelnden,  muss  einn^* 
men  können  ,  so  dass  jedes  Glied,  indem  es  die  Schluss- 
Vermittlung  mit   den    andern  Extremen    zusammenschliesst, 
eben  darin  sich  nur  mit  sich  selbst  vermittelt,  sich 
producirt  und  erhalt.   Das  universalste  Beispiel  dieses  Schlus- 
ses ist  daher  der  Organismus   undf  das  organische  Leben; 
und  erst  durch    diese   dreifache  Vennittlung  derselben 
terminorum  kann  ein  Ganzes  in  seiner  Organisation  wahr- 
haft verstanden  werden.    Der  Begriff  und  der  Schluss,  bia 
auf  die  Scblussfiguren  herab ,   haben  daher   metaphysische 
Gellung  und  gehören  in  die  Metaphysik. 

Diese  (anscheinende)  RechtfertigungH  egel  s,  durchgreifend 
und  sachgemass,  gicbt  jedoch  vielleicht  Veranlassung,  einen 
noch  tiefem*  Blick  in  das  Wesen  seiner  Lehre  zu  thun.  Zu- 
wachst müssen  wir  erinnern,  dass  eine  so  reingehaltene  me- 
taphysische Behandlung  der  logischen  Formen  dann  auch  die 
unvollkommenen  und  sich  selbst  aufhebenden  Gestalten  der- 
selben, die  sie  im  subjektiven  denkenden  Bewusstsein  an- 
nehmen ,  ganz  hatte  ausscheiden  müssen :  die  sich  selbst 
widerlegenden,  unwahren  Urtheiis-  und  Schlussformen  ha- 
ben eben  desshalb  keine  objektive  Bedeutung, 
i$ind  nicht  Formen  des  objektiv  Wahren  und  der  Wirk- 
lichkeit; ~  so  das  „qualitativ  e  Urtheilc"  ($.  172.f.), 
so  der  „unmittelbare  Schluss«^  ($.182.7.),  der  sich 
durch  alle  seine  SchlussOguren  als  der  unwahre,  zufallige, 
in  einen  unendlichen  Process  auslaufende ,  mithin  begrifis- 
lose,  erweist. 


ist  auszoschcidcn.  893 

Wie  gelangen   daher  diese  unwirklichen ,   objektiver 
Wahrheit  entbehrenden  Formen  zn  einer  Stelle  in  derMe- 
t  a  p  h  y  s  i  k ,   zudem  noch ,  zu  einer  ausdrücklichen  Ab* 
leitung-,  d.  h.  zur  Aufweisung  ihrer  Nothwendig- 
keil?  — *  Darum ,  weil  sie  allerdings   auf  Nothwendigkeit, 
oder  besser   auf  Unvermeidlichkeit,    Anspruch  ha- 
ben ,    aber  nicht  unter  den   metaphysischen    Weltformen, 
sondern  in  der  Entwicklung  des  Erkennens,  wel- 
ches sich  bcgriffebildend ,  urtheilend  und  schliessend,  sei- 
nerseits erst  aus  dem  Unmittelbaren,  Zufälligen,  als  seinem 
Anfange,  herauszüläutern  hat.    Was  al;so  lur  die  metaphy- 
sische Dialektik  nicht  nur  ein  U^berflussiges ,   sondern  ein 
absolut  Ungehöriges   und  Ungereimtes  bleibt ,   hat  für  di6 
erkcnntnisätheoretische    die    sicherste    und    nothwendigste 
Bedeutung;  Hegel  hat  nur  diese  mit  jener  zu  einer  un- 
vertraglichen Mischung    zusammenfliessen   lassen ,   die  ihr 
Ineinanderbleiben  kaum   langer    wird  fortsetzen    können. 
Das  Unvermögen,  jene  logischen  Formen  rein  metaphysisch 
zu  halten ,  wie*  es  Hegel  gezeigt  hat ,  und  der  Selbstwi- 
derspnich,  in  welchen  er  sich  dadurch  verwickelt,  deuten 
daher  auf  eine  tiefere  Ungenüge   im  Principe   des  Syste- 
mes  selber  hin.    Und  diess  ist  nun  näher  zu  zeigen. 

Das  Absolute  ist  der  in  seine  Momente,  als  besondere 
Existenzen,  sich  auslegende,  diese  sodann  jedoch  vermit- 
telnde, d.  h.  in  ihnen  sich  nur  mit  sich  selbst  ver- 
mittelnde  BegriiT,  oder  der  ^chluss;  späterhin  wird 
es  aus  diesem  Grunde  heissen:  er  ist  die  „absolute 
IdeeS  der  „Geist^.  Und  es  sollen  diese  logischen  Be- 
stimmungen nicht  nur  vergleichungsweise  gelten ,  als  eine 
erläuternde  Analogie,  sondern  sie  sollen  durchaus  zutreffen 
und  die  allereigenflichste  Bedeutung  des  Standpunktes  cha- 
•  rakterisiren.  Alles  Einzelne ,  Endliche ,  wird  dadurch  als 
nur  „ideeller  Moment^  bezeichnet,  dem  das  Allgemeine  als 
Dilrchdringendes,  es  in'  die  eigene  Totalität  Einordnendes, 
gegenwärtig  ist,  und  es  in  sich  aufhebt.  So  ist  das  Allge- 
meine der  lebendige  Begriff,  in  diesem  Wechselbezie- 
hen seiner  Momente  ganz  nur   ideelles  Thun ,    welches 


894  Das  Ab.:olutc,  als  der  BogrilT: 

dennoch  einziger  Grund  des  Realen  ist  Der  Standpunkt 
ist  Idealismus  (vgl.  Encyklop.  Zusatz  zu  §,  160. 
Bd.  VI.  S.  315.),  oder- nach  einer  später  erfundenen,  noch 
treffendem  Bezeichnung,  Monismus  des  Gedankens. 

Aber  damit  kündigt  sich  schon  hier  das  Halbe ,    Un- 
ausgeführte, darum  Paradoxe  und  Unverstandliche,  des  gr^n* 
zen  Prin  Olpes  ah,  weiches  die  weitere  Ausführung  H  e  g  e  1  s 
im  Systeme    selbst ,    wie  in   den  Nebendarstellungen    der 
^Religionsphilosophie^  und   „der  Beweise  vom  Dasein  Got- 
tes^, zwar  umhüllt  und  unter  Verzierungen  versteckt,  doch 
keinesweges  gcdankenmössig  ausgeglichen  hat.    Die  Defi- 
nition  des   Absoluten ,    als    des   absoluten   Begriffes 
($.  IbO.  S.  316.),  leidet  an  einer  doppelten  Unverständlich- 
keit,  einer  grossem^  als  welche  durch  den  Uebergang  in 
die  folgende  Definition,  die  nun  selbst  die  „absolute^  oder 
^höchste^  sein  soU:   das  Absolute  sei   die  Idee,   als  die 
Einheit   des  Begriffes   und    der  Objektivität 
($.  2130i  —  ausgeglichen  zu  werden  vermag. 

Zuerst  ist  es  die  gewaltsamste  Abstraktion,  welche 
sich  durchaus  jeder  Vorstellung  oder  eigentlichen  Begreif- 
lichkeit entzieht,  den  Begriff,  d.  h.  einen  durchaus  be- 
stimmten Gedankeninhalt,  der  jedoch,  als  allgemeiner  (ge- 
ntM),  ebenso  Gedankenunterschiede  in  sich  zulässt,  und  auf 
diese  Weise  durch  Denken  in  seine  specifische  Unter- 
iK^biede  zerlegt  werden  kann ,  nun  solchergestalt  zu  hypo- 
slasiren,  dass  ihm  eine  selbstsländige  Existenz,  ebenso  das 
Vermögen,  sich  diese  Unterschiede,  als.  reale  Momente, 
selber  zu  geben,  beigelegt  wird.  Soll  ^BegrifT^  und  „spe- 
cifischer  Unterschied^  hier  mehr  sein,  als  ein  Wort  ohne 
allen  verständlichen  Sinn ;  so  kann  er  nur  im  Denken 
existiren,  und  nur  das  Denken  kann  ihn  zu  jenen  Un- 
terschieden fortbestiinmen.  Wir  haben  also  zuvörderst  dem 
^absoluten  Begriffe^  ein  Denken  vorauszusetzen,  in  wel- 
chem der  Begriff  existirt ,  nur,  indem  er  von  ihm  ge- 
dacht wird:  ein  Begriff  als  „Ding  an  sich<^,  vollends 
als  ein  sich  selbst  denkender  und  in  die  Momente 
seiner    selbst   sich    entäussernder,     darin   aber,    als   in 


Hegels  Idealismus  oder  Monismus.  89fi 

Schlüsse,  [sich  mit  sich  vennillelnder ,   —  alles  Diess 
sind  y  in  dieser  Ausdrücklichkeit  genommen  ,  bedeutungs- 
lose Worte ,  leere  Gespenster   eines   roh   phantasirenden 
Denkens ,    und  auch   darin   den   Phantasmen    gleichend , 
dass   man    am    Ende   nur   die  Wahrheit   derselben    ver- 
sichern, den    Glauben   an    sie   fordern,  kann.     £s  isü 
der  Aberglaube  an  das  Abstrakte,  den  wir  schon  mehr 
als  einmal  als  das  Grundgebrechen  heutiger  Philosophie  ge- 
schildert haben :  er  hält  seine  Gedankenspekulationen  nicht 
selten  gerade  darum  für  wahr  und  tief,  \^eil  man  mit  ih- 
nen im  Uny^ständlichen  und  Nebulosen  zu  bleiben  genö- 
thigt  ist. 

Diese  Unverständlichkeit  steigert  sich   sodann  noch, 
wenn  wir,  wie  hier  vorgeschrieben  wird,  diesen  ,jBegriir* 
als  das  Absolute,  und  das  Universum ,  in  seinen  gegensei- 
tig sich  setzenden  und  zur  harmonischen  Totalität  sich  er^ 
gänzenden  Unterschieden ,  als  den  .in  seine   ideellen  Mo- 
mente sich  auslegenden  und  in  ihnen  mit  sich  selbst  sich 
znsammenschliessenden  Begriff  zu  denken  versuchen.   Hier 
haben  wir  nicht  bloss,  wie  so  eben,  ein  Denken  vor- 
auszusetzen ,  welches  den  Begriff  in   seinen  Unterschieden 
iviederfindet  und  beide  Momente  subjektiv  in  sich  zusam- 
menfasst,  sondern  hier  wird  das  Denken  zugleich  viel- 
mehr als  eine  real  objekttvirende,  weltschöpferische  Macht 
vorausgesetzt.    Das  Universum  ist  der  durch  ein  weltschaf«^ 
fendes  Denken  realisirte  Begriff,  nicht  der  sich  sel- 
ber schaffende,  ^  was   eben  ein  Selbsimissverstandniss 
der  Abstraktion  bleibt. 

Hat  sich  hiermit  diese  eine  Voraussetzung  als  verschwie- 
gen oder  übersprungen  gezeigt,  so  tritt  dazu  noch  die  anr 
dere :  diess  weltschöpferische  Denken  nämlich,  —  wenn  wir 
auch  nur  im  ersten  Anlaufe  und  ohne  tiefere  Begründung  es 
alsErklärungsprincip  des  Wirklichen  zugeben  wollen,  um  dem 
Verstandnisse  der  H  e  g  e  1  sehen  Lehre  überhaupt  näher  tre- 
ten zu  können,  —  wäre  an  sich  selbst  ebenso  wenig  zur 
Verständlichkeit  zu  bringen ,  wie  der  ^absolute  Bognil^  es 
war,  ohne  abermals  höhersleigend  ihm  ein  denkendes  U  r- 


890  (las  Absolute 

Subjekt  vorauszusetzen,  welches^  indem  es  die  objektivn 
Weliuntcrschiede  aur  einander  bezieht ,  und  in  die  Einheit 
des  Weltganzen  zusammenfasst,  sie  damit  zuvor  in  der  Ein- 
heit seines  Solbstbewusstseins  tragen  ^  und  darin  msaoH 
menkalten  muss.  Ohne  selbstbewusstes ,  sich  in  der  Ein- 
heit der  Selbstanschauung  wissendes,  Ursobjdit  iä 
auch  keine  Einheit  des  Weltdenkens  möglich.  ^Abso- 
luter Begrifi^,  ^unendliche  Idee%  ^absoluter  C^ist*  u.  dgL 
werden  so  lange  völlig  sinnlose  Worte  bleiben ,  bis  nidit 
zu  jenem  abschliessenden ,  sie  verstandlich  macheodei 
Begriffe  vorgeschritten  worden  ist  Diess  ist  aber  von 
Hegel  nirgends  geschehen;  er  hat  sich  begnügt^  in  den 
nebelhaften  ZwischenregioneA  jener  Vorstellungen  stehen 
zu  bleiben,  und  ihnen  die  aus  jenem  hohem  Begnfle  flies- 
senden Bestimmungen  stillschweigend,  wo  es  nöthig  schien, 
unterzulegen.  Wir  werden  nämlich  sehen ,  dass  er,  — 
wahrend  die  Kategoriecn  seiner  Logik  nirgends  über  jene 
abstraklen  und  unpersönlichen  Begriffe  vom  Absoluten  hin- 
auskommen, —  wie  ihm  auch  sonst  die  Hauptübei^gänge  der 
Logik  fast  sämmtlich  mtsslungen  sind ,  so  nun  auch  bei 
dem  Punkte  der  grössten  Schwierigkeit,  -bei  dem  Ueber- 
gange  in  die  Naturphilosophie,  nicht  davon  freizusprechen 
ist ,  Bestimmungen  einzumischen  und  durch  diese  jenen 
Uebergang  herbeizufuhren,  welche  nur  zulässig  sind,  wenn 
tlfe  „absolute  Idee^'  auf  ganz  persönliche  Weise  gedacht 
wird.  Kurz,  Hegel  schafft  sich  Hülfe  durch  ein  Princip, 
welches  er  sonst  gerade  verschmäht  und  verleugnet« 

Diess  trifft  jedoch  einien  der  Cardinalpunkte  des  Sy-> 
Sternes ;  wir  müssen  desshalb  dem  Beweise  unserer  Be«- 
hauplung  näher  treten.  — 

Der  „Begrifft  hat- sich,  laut  dem  Bisherigen,  mit  der 
„Objektivität"  ausgeglichen:  daraus  ergiebt  sich  die  Idee, 
als  die  absolute  Einheit  des  Begriffes  und  der  Objektivität, 
das  Wahre  „an  und  für  sich^.  Die  Definition  des  Ab- 
soluten, dass  es  die  Idee  sei,  ist  selbst  nun  absolut, 
und  alle  bisherigen  Definitionen  gehen  in  diese  zurück. 

Das  Absolute  ist  hiermit  die  Eine  und  allgemeine 


fils  die  absolute  Idee.  897 

1d<^c^  welehe  ur-lheilend  sich  zum  Sysleme  der  be- 
slimniten  Ideen  besonderl,  die  aber  nur  diess  sind,  in  die 
Eme  Idee,  als  in  Ihre  Wahrheit,  zurückzugeben :  (sie  sind 
die  ^ideellen  Momente^^  an  derselben).    Uiermil  ist  die  Idee 
zunächst  nur  die  Eine,  allgemeine  Substanz,  Grund« 
la^e  aller  Besonderungen :  aber  sie  giebt  sich,  da  sie  we- 
sentlich „Processi  ist,  selber  diese  Besonderungen  Inder 
„Form  dusserlichen  Daseins^,  und  nimmt  sie  ebenso 
in  sich  zurück ,   indem  sie  in   ihre  Idealität ,    als  in  ihre 
„Macht'',  eingeschlossen  sind,  und  so  in  ihr  erhalten 
werden.    Ihre    entwickelte,  wahrhafte  Wirklichkeit  ist 
daher,  dass  sie  zugleich  als  ^Subj  ek  t*'  und  so  als  „6ei$t<' 
ist.     Ihre  Subjektivität  ist  eben  die  unendliche Neg a- 
t  i  V  i  t  d  t ,  mit  welcher  die  Idee  über  jede  ihrer  Besonde- 
rungen 'hinüberschreitet,  sie  aufhebt  in  ihrer  ideellen  Macht, 
zugleich  aber  darin  aufbewahrt  und  In  die  neue,   höhere 
Gestalt  mitnimmt ,  um  sie  als  geistiges  Element  dersdben 
ihr  einzuverleiben.    Das  ist  der  Sinn  des  ^Processes^  der 
absoluten  Idee ,  welcher  eben  dadurch  ein  geistiger  wird, 
gleichwie  die  absolute  Idee  darin  die  ȟ  bergreif  ende 
Subjektivität^,  «ewige  Lebendigkeit  und  ewiger 
Geist  ist  ($.  213-216.  S.  385—91.).  . 

„Indem  diese  gedoppelte  Bewegung^  —  des  Eingehens 
in  den  unendlichen  Unterschied  und  des  Insichzurückneh- 
mcns  desselben  —  „nicht  zeitlich ,  noch  auf  ii^end  eine 
Weise  getrennt  und  unterschieden  ist,  ist  sie  das  ewige 
Anschauen  ihrer  selbst  im  Andern;  der  Begriff,  der  * 
in  sehfier  Objektivität  sich  selbst  ausgeführt  hat,  dag 
Objekt,  welches  innere  Zweckmässigkeit,  wesenU 

liehe  Subjektivität  ist«  (S.  389.)* 

Wir  heben  diese  aus  einer  Anmerkung  entnommene 
Stelle,  worin  zuerst  „der  ewigen  Selbstanschauung«  der 
Idee  beiläufige  Erwähnung  geschieht,  wörtlich  aus,  weil 
sie  in  mehr  als  einer  Beziehung  charakteristisch  ist.  Zu^ 
nächst  erscheint  schon  auffallend,  und  fremdartig  dem  Cour 
texte  alles  Bisherigen,  beigemischt,  jenes  „ewige  Anschauen 
ihrer  selbst  im  Andern«,  weiches  der  „gedoppelten  Bewe» 

57 


898  Das  Abftolotc , 

gtmg^  beigelegt  wird.  Sehen  wir  auch  ab  von  dem  Unbe^ 
Mfeaen  und  Unkorrekten  dos  schriDsleHerischen  Avsdmcfcs, 
itr  dag  Angehauen  auf  die  ^Bewcgnng^^  selber  bestebl, 
itatt  aur  die  in  ihr  sieh  bewegende  absolute  Idee:  so  ist 
^es  doch  nicht  minder  sinnlos  oder  dialektisch  iückenhafi, 
•der  absoluten  Idee ,  bloss  darum ,  weil  sie  »in  dieser  ge- 
doppelten Bewegwig^  ganz  in  ihr  Anderes,  den  Unterschied, 
eingeht)  aber,  über  diesen  hinausschreilend ,  ihn  in  einen 
andern  (desshalb  auch  hohem  oder  vermittelbaren)  Unter- 
schied mitfortnimmt ,  —  bloss  aus  diesem  Grunde  ihr  ein 
Anschauen  ihrer  selbst  im  Andern,  diese  intel- 
lektuelle That  selbstbewusster  Persdniichkeit, 
beizulegen.  Dass  diess  „Anschauen^  jedoch  keinesweges 
ausdrücklich,  sondern  in  symbolischem  Sinne  oder  als  ent- 
fernte Analogie  gedeutet  werden  müsse ,  —  daruBoi  aber 
in  diesem  streng  wissenschaftlichen  Zusammenhange  nur 
verwirren  oder  täuschen  könne  —  zeigt  der  wei- 
tere Zusatz,  wodurcli  jene  vorübergehende  Hinweisuiig  auf 
einen  persdnlichern  BegriiF  von  der  absoluten  Idee  sogleich 
wieder  zurfidcgenommen  und  in  die  ganz  abstrakte  Auffas- 
sung versenkt  wird :  dass  die  Idee  in  dieser  (selbstan- 
schauenden) Objektivität  „die  innere  Zweckmäs5ig>- 
keit^  gewinne,  was  eben  ihre  „wesentliche  Subjekti- 
vität^ sei.  Wäre  es  mit  jenem  Anschauen  seiner  seihst 
nur  irgend  Ernst,  oder  es  wörtlich  zu  nehmen;  so  würde  in 
Hegels  Sinne  daraus  mehr  folgen,  als  er  zu  behaupten 
gedenkt ,  dass  z.  B.  auch  kein  Lebendiges  (als  „die 
Unmittelbarkeit  der  Idee«  $.216.)  sich  ohne  S^st- 
anschauung,  mithin  Selbstbewnsstsein,  denken  lasse,  was  an 
sich  absurd,  und  das  direkte  Gegentheil  der  eigenen  He- 
gel sehen  Ausführungen  über  diesen  Begriff  sein  würde. 

Midiin  ist  jener  Begriff  des  ewigen  Selbstanschauens 
der  absoluten  Idee  nicht  nur  nicht  erwiesen  und  den  Ka- 
iegorieen  der  Logik  eingereiht  worden ,  sondern  das  Ge- 
gentheil hat  sich  ergeben :  die  gänzlidie  Unmöglichkeit,  aus 
so  abstrakten  Bestimmungen,  wie  die  Logik  allein  sie  kennt, 
'leinen  Uebergang  zu  finden  in  eine  ihr  so  gänzlich  fremd- 


als  die  absolute  Idee.  899 

leibende  Aulhssong.  Ganz  ebenso  verhält  ag  sich  pil 
IM1  Prädikaten:  „Subjekt««,  »ewiger  Geist«,  wc^lche  der 
bsohiten  Idee  im  weitem  Verlaufe  beigfclegft  werden;  es 
ind  nicht  Kategorieen,  dialektisch  erwiesene  Denkbestim- 
lungen,  sondern  fem  anklingende,  unverstandlich  bleibende 
Lnalogiecn'fur  höchst  abstrakte  Begriffe:  ja  Hegel  Ist 
lit  ihnen  der  Sache  nach  kaum  über  die  altern  Fichte- 
ehen Ldiren  hinausgekommen,  der  gleichfalls  behauptete: 
dass  der  Materie  nach  die  Gottheit  lauter  Bewusstsein, 
eine  Intelligenz,  geistiges. Leben  untfThfitigkeit  sei;  die- 
;es  Intelligente  aber  in  einen  Begriff  zu  fassen  und  m  be- 
;chreiben ,  wie  es  von  sich  selbst  und  Andern  wisse ,  sei 
schlechthin  unmö^ch«  *).  Für  Fichte  jedoch  blieb,  sei- 
lend damaligen  Standpunkte  gemdss,  noch  der  Ausweg  da- 
sei, ausdrucklich  an  die  Unbegreiflichkeit  dieser  Vorstd- 
ungen  appelHren  zu  dürfen ,  und  ihrer,  als  unvollkommner 
\nalogleen  ,  sich  völlig  bewusst  zu  sein,  was  Hege  TA 
licht  zu  Gute  kommt*:  iur  ihn  bleibt  das  Subjektive ,  Gei- 
stige, Gottes  ein  Unbegreifliches  weit  sdilimu^erer  Art,  ein 
Gedanke  y  den  er  in  der  That  nicht  zur  Ausdrücklichkeit 
des  logischen  (metaphysischen)  Begriffes  zu  erheben,  dia. 
lektisch  auszufahren  im  Stande  war  ,  sondern  sich  begnü- 
gen musste,  ihn  den  weit  hinter  ihm  zurückbleibenden  Ka- 
tcgorieen  nur  erlftuterungs-  und  sprungweise  einzupassen. 
Von  Geist  und  Subjekt  in  ausdrücklichem  Sinne  kann  bei 
Hegel  nur  da  die  Rede  sein ,  wo  sich  Gotl  in  mensch- 
lichen Subjekten  und  in  deren  Selbstbewusstsein  objektiv 
wird  •♦).  — * 

So  ist  nun  -—  uro  in  den  onierbrodienen  Zusammen- 


*}  Picht«'«  Leben  und  Briefwechsel  U.  S.  308.  Ge- 
richtliche Verantwortungsschriften,  S.  43.  4b6. 
Appellation  an  das  Publikum'S.  98.  ff. 

**}  Bei  diesem  ganzen  Abschnitte  ist  übrigens  zur  weitern  Ausfuh* 
rung  auf  die  Abhandlung:  „zur  spekulativen  Theo- 
logie« (Zeitschfift  etc.  3d.  V.  H.  2.  J.  5t.  S.  220  ff) 
zu  rerweisen. 


000  '  Das  Absolute^ 

• 

hang  surftckzukchrtn  ,  und  alle  bisherlgea  Bcsfiinniiii^gm 
der  Logik  zu^aroincozufaascn  —  die  Idee  der  unendlicho 
P  r  o  c  e  s  s ,  weM  ihre  Idenlital  nur  die  absolute  und  freie 
des  Begriffes  ist,  insofern  sie  die  absolute  Ne^livttat  und 
d  a  h  Q  r  dialektisch  ist  Sie  ist  dtgr  Verlauf,  da|S  der  Be- 
griff ,  als  die  Allgemeinheit ,  welche  Einzelnheit  ist ,  sich 
selbsl  zur  Objektivität  bestimmt,  und  diese  Aeusser- 
licfakeit,  welche  den  Begriff  zu  ihrer  SuiMstanz  hat,  durch 
ihre  immanente  Dialektik  in  die  Subjektivität  zurückf&hrt. 
—  Sie  ist  daher  mf  lebendiges  Schliessen  ,  •  indem  sie  die 
Homettte  des  Schlusses  zuerst  in  ihrer  Gesondertheit  set- 
zend, sie  wiederum  zusammenschliesst  und  vereinigt  Da- 
durch setzt  sie  sich^  als  das  Ideelle,  ganz  und  ohne  Rück- 
halt in  die  Realität  hinüber,  welche  die  vollkommene  C^dä- 
*  quate)  SelbstdarsteUung  der  Idee  ist  ($.  315.)- 

Alles  Wirkliche  ist  daher,  insofern  es  einWah- 
re  s  ist,  die  Idee ,  und  hat  seine  Wahrheit  allein  diurcli 
und  kraft  der  Idee.  Das  .einzelne  Sein  ist  irgend  eine 
Seite  der  Idee;  für  diese  bedarf  es  daher  noch  anderer 
Wirklichkeiten ,  die  eti^ra  gleichfalls  als  besonder^  fuc  sich 
bestehende  erscheinen;  in  ihnen  zusammen  und  in  ihrer 
Beziehung  ist  allein  der  Begriff  (die  ideale  Seite  der  Idee) 
realisirt  Das  Einzelne  für  sich  entspricht  sei- 
nem Begriffe  nicht;  diese  Beschränktheit 
seines  Daseins  macht  seine  Endlichkeit  und 
seinen  Untergang  aus.  —  Indem  die  Idee  in  das 
Dasein  tritt ,  wirft  sie  ihre  Momente  ans  einander ;  da  sie 
aber  deren  Grund  und  Wesen  bleibt,  so  ist  sie  in  ih. 
nen,  und  als  in  ihnen  ist  sie  bestimmte  Idee.  — Das 
Absolute  aber  ist  diese  allgemeine  und  Eine  Idee,  wel- 
che eben  so  sehr  das  System  der  bestimmten  Ideen  ist, 
und   in  welche  diese   als   in  ihre  Wahrheit  zurückgehen 

(S.  213.). 

.  Dadurch  wird  Eines  Theiis  das  Wirkliche  versöhnt 
mit  dem  Ideellen,  —  was  die  eigentliche  Aufgabe  aller  Spe* 
kulation,  ja  alles  wissenschaftlichen  Erkennens  ist,  ini  Wirk« 
liehen  die  Idee ,  das  Vernünftige  ,  nachzuweisen :   andern 


als  die  absoluta  Idee.  901 

Thcils   wird   daHn  der  Begriff  erkannt  und  gerechtFertigt 
iiaoh  seinen  beiden  Seiten,  der  subjelitiven ,    welche  sicli' 
Objt^lctivüSt  giebt^    Als   solcher  ist  er  die  Idee,  welche 
hicmaph  als  Subjekt-Objekt,  Einlieit  des  Ideellen  und  Rea- 
len ,    des  Bndlichen  und  Unendlichen ,  dea  Seele  und  des 
L.cibes ,   als  dasjenige  gefasst  werden  kapn ,  dessen  Natur 
nur  aU  existirend   begriffen  werden  muss,  weil  in 
ihr  alle  Verhältnisse  des  Verstandes,  aber  in  ihrer  unend- 
l  i  c  h  e  1^  Rückkehr  und  Identität  mit  sich  ,    enthalten   sind 
CS-*'214.).  — Die  Hervorbringutig  der  endlichen  Dinge  und 
Gog-ensätze  ist  selbst  diese  <bewusstIos  «r^ale)  Unterscheid 
tlung  des  Einzelnen  vom  Allgemeinen  ,   welche  der  i>Ver- 
6tnnd<<  in  uns  Intellektuell   vollzieht;    aber  ebenso  wie  die 
^VernunH^^  diesen  Gegensatz,  als  den  unwahren,  in  unserm 
Erkennen  wieder  aufhebt,  so   ist  sie  auch  real  (bewusst- 
los)  die  objektive  Dialektik ,    „welche   dieses  Verständige, 
-Verschiedene,  über  seine  endliche  Natur  und  den  falschen 
Schein   seiner  Selbstständigkeit  wieder  verständigt  und  in 
die  Einheit  zurückfuhrt^^  (S.  389.).     Jene  subjektiven  Er- 
kenntnisstbaten  unseres  (trennenden)  Verstandes ,  wie  un- 
scröt  (vermittelnden)  Vernunft,  sind  keincsweges  die  tin- 
sern,  und- zwar  in  dem  doppelten  Sinne  nicht,  Indem  so-- 
wohl  subjcktiv-bcwussl ,  als  objektiv-waltschdpferisch  oder 
bewossUos  ,   es  nur  dia  Eine  allgemeine  «Idee  ist^    die  in 
Bcidciu      ihren    absoluten   Process    voilzicht     Das    Ge*- 
'wicht  dieser  Sätze  für   die   ganze  H egoische  Grundan- 
sicht wird  erst  am  Schlüsse  des  ganzen  Systemcs  hervor^ 
treten. 

Die  Idee ,  als  Process ,  durchläaft  in  ihrer  Entwiche- 
lung  drei  Stufen:  das  Leben,  die  Idee  in  ihrer  Unmittel- 
barkeit, sodann  das  Erkennen,  welches  in  der  gcdop- 
Igelten  Gestalt  der  theoretischen  und  praktischen 
liice  erscrlieint.  Dieser  Process  des  Erkennens  hat  zu  sei- 
iinn  Resultate  die  Wiederh  erste ll^ing  der  durch  den 
Unterschied  bereicherton  Einheit:  diese  ist  die  dritte 
Sture,  die  der  absoluten  Idee,  „welche  sich  zugleich 
ais  das  wahrhaft   Erste   und  nur   durch  sich  selbst 


902  Die  Idee ,  als  Leben. 

Seiende  erweist«  (Zusats,  S.  391.)-  —  Wir  mftwen  diese 
wichtigen  Beslimnningen  naRer  erwägen. 

Das  Lebendige  kündigt  sich  rnsofem   an,    ab  dif 
Unmittelbarkeit  der  Idee  tf  .*  216—18.) ,   als  der   Lebest 
process  die  imiianente  Teleologie',  der  sidi  seihst  erfol- 
iende  nnd  in    sich  zuräckkebrende  Zweck  ist.     Und  dies 
iwar  auf  do|^lte  Weise:    das  lebeadige  Indi  vidaaB 
erhalt  sich  aus  dem  Negativen  einer  ihm  gegeodbefsldkai- 
iten  aaerganiscken  Natur  ($.  219.):   aber,  als  diesa  Un- 
mittelbare,  ist  es  selbst  zugleich  vielmehr   vermiltclL 
Bs  isl  Erzeugtes  durch  den  Process  der  Gattung,  der 
es  in  seine  allgemeine^  Macht  aufhebt  and  durch  aOe  Eia- 
zelnheiten  nur  die  Gattung,  als  das  wahre  IndiTidaum, 
erhalt.  —  Das  Leben  verlänfl  sich  hiermit  nur  zonächst  ta 
die  sehfechte  Unendlichkeit  des  Processes  in*«  Unendlidie. 
„Was  indess  dem  Begriffe  nach  durch  den  Process  des 
Lebens  zu  Stande  kommt ,   ist  die  Aufhebung  und  Ueba- 
Windung  der  Unmittelbarkeit ,  in  wdcher  die  Idee  ab  Le- 
ben noch  befangen  ist<^  ($.  220.  21.).  —  Die  Idee  in  die- 
ser Form  des  Lebens  zeigt  sich  darum  noch,    als  die  iiir 
selbst  nicht  angemassene  Unmittelbarkeit,  weil  sie  es 
immer  nur  au  einem  scUechten ,  unfreien  Einaelnen ,  zun 
Exemplare  einer  Gattung  in   unterschiedsloser  Dassel- 
bigkeit ,  nicht  zu  dem  c  o  n  c  r  e  t  Allgemeinen ,  widUaA 
Individuellen,  bringt. 

Hegel  hat  sein^  Darstellung  nicht  hinzugefugt,  dass 
„Leben^^  nicht  minder  eine  Definition  des  Abs<duten  sei, 
wie  die  frühem  Bestimmungen  der  Legik.  Doch  lässt  der 
Zusammenhang  darüber  keinen  Zweifel:  der  allgeveijie 
Lebensprocess,  der  sich  in  der  organischen  WeR  der  PBui- 
zen-  und  Tbtergeschlechter  vollzieht,  ist  der  Lebensprooess 
Gottes  selbst ,  worin  sich  jene  logisch  noch  abstiaki  all- 
gemeine Idee  des  Lebens  in  das  System  von  Gatlangeo 
und  Arten  gliedert,  dessen  Erkenntniss  von  der  heutigen 
Botanik  und  Zoologie  unter  dem  Begriffe  eineä  ,^atDrii- 
ehen  Systems^  der  Pflanzen*  und  Thicrbildungen  angestfelH 
wird. 


Die  idee,'  ate^L^ben.  903 

ff 

Aber  damit  scheinen   in  4er  Thal  diese  WHüensdmt- 

tcn  schon  hinausgoschrilten  zu  sein  über  die  Uer  voiiie-> 

sende  Hegel  sehe    Anffassting  des  Leben»,   al$  nur  der 

ungenügenden,  noch  nicht  zum  Geiste  geengten  Yorge* 

slalt  der  absoluten  Idee.     Sie  weisen  in  gans^  nur  empiri^r 

scher  Vcrgleichwig.  an   den  vecsehicdenen  Pflanzen-  und 

•  Thiergesthlechiem    eine  Gliederung    zusammenhangender 

Ge.danken  nach,  welche  sich  in  mannigraeheHi  Wecbset, 

aber  doch  in  stetigem  und  konsequent  feslgehaltenem  Zu»- 

saninienhango,  auf  Eine  Idee  der  Pflanze^  auf  Eine  des  Tkiers, 

beziehen,  und  man  hat  es  langst  ausgesprochen,  dass  die 

niJMiiitgfaitigen  Pflanzen  und  Tliiere  nur  die  in  ihre  Theile 

zerlegte  Urpflanze  und  Urthier   seien  ,    welche  i  n   allen, 

und  darum  nirgends  als  besondere,  «xistiren.    Eine  solche 

empirische  Auflhssung  des  Lebens  greift  aber  unttiittel*- 

bat  schon  in  die  spekulative  zurück:  derGrund  einer  sol-» 

eben  in  Pflanze  und  Thier'  unmittelbar   sich   realisirende« 

Gedankenweit  kann  nicht   mehr   die   „absolute  Idee^ 

in  Uind  beWosslloser  Unmittelbarkeit  sein;  das  Werk 

veriiündet  einen  Meister,   es  wird  Zeugniss  einer  de ««• 

fcenden,  mithin,  —  was  das  dafür  YorajDSsetzende  ist  — - 

einer  selbstbewussten  Persönlichkeit ,   und  es  können  nur 

die  in  ihrem  Geiste  enthaltenen  Vorbilder  (Ideen)  sein  in 

eigentlichstem  Sinne,  welche  sich   in  jenen  Gebilden  yer- 

wirkliehen ,  weil  sie  durchaus ,  in  der  Einzeinheit ,  wie  iit 

ihrer  Totalität,  diess  gedankenmässige  Gepräge  tragen. 

Damit  lallt  dann  auch  von  selbst  die  andere  falsche 
Konsequenz  der  He  gelschen  Lehre  hinweg,  dass  dasAb^ 
sohlte  sell>er  in  dem  allgemeinen  Welt-Lebensprocesse  noch 
mit  jener  ihm  ungenügsamen  Unmittelbarkeit  und  Bewuast* 
losigkeit  bekaßet  sei,  von  welcher  es  sich  durch  den  völlig 
amgewirkten  Process  eben  zu  befreien  hat>e^  um  zum 
Geiste  — zum  „Erkennen'^  zu  werden,  Geist,  Eiw 
kennen  i  s  t  es  schon  ,  um  auch  nur  als  der  Grund  einer 
solchen  (von  der  Empirie  nachgewiesenen)  Lebenswelt 
begreiflich  zu  werden  j  und  hier  schon  zeigt  es  sich„  wie  der  . 
Begriff  der  Immanenz  Gottes  in  der  Welt,  in  voUer  Grund- 


904  Me  Idee,  als  Leben. 

lichkcil  erwogen ,  zmn  Begriffe  seiner  Transscenclenz  fort* 
sugehen  nöthtgt.    Diess  ist  daher  auch  die  Wendung,  wel* 
che  wir  in  der  »0  Biologie«  ($.  278.  S.82.,  vgl.  §.  282. 
S.  490-93.),  HegeTn  gegenüber,  durchgeführt  haben :  weä 
ein  System  von  Lebendigkeiten,  und  weil  darin  Allorg-a- 
nismns  existirt,  so  ist  es  eben  darum  nicht  Gott,  der 
in  ihnen  steh  bewusstlos,  als  Weltseelc,   oder  als  Welt- 
geist ,  auswirkt :    er  ist  schlechthin  mehr ,  als  Beides.  — 
Von  Hegels  Seite  liegt  das  Yersiumniss   hier  besonders 
darin,  dasser  den  Begriff  des  Lebens  nur  formell  gefasst 
hatte :  er  spricht  von  dem  leeren  Processe  in*s  UnendUche, 
durch  welchen  das  Einzelne ,   Lebendige ,  unauilidrlich  in 
seiner  Gattung  untergeht.    DJess  ist  ganz  nur  die  abstrakte 
Fassung  der  Sache ;  nicht  darauf  kommt  es  an ,  sondern 
auf  den  Inhalt  und  das  ergänzende  Verhältniss  der  Gat- 
tungen unter  einander  y  so  wie  auf  dessen  spekulative  Be- 
grandung. 

Aber  die  Idee  erhebt  sich,  durch  den  Lebensprooess 
vermittelt,  zum  Erkennen:  sie  hat  sich  in  jenem  nicht 
war  von  irgend  einem  (besondem)  unmittelbaren  Diesen, 
sondern  von  dieser  Unmittelbarkeit  überhaupt 
befreit;  sie  kommt  damit  zu  sich^  zti  ihrer  Wahrheit, 
«nd  erst  hiermit  tritt  sie  als  freie  Gattung  für 
sieh  selbst  in  die  Existenz.  „Der  Tod  der  nur  unmit- 
telbaren einzetaien  Lebendigkeit  ist  das  Hervorgehen 
des  Geistes««  ($.,2220. 

Wir  werden  dieser  sefar  lakonisch  gehaltenen  und 
keinesweges  zur  vollständigen  Klarheit  geführten  Deduktion 
am  Besten  Hegel  selbst  zum  Ausleger  geben  an  de^ 
spatem ,  aus  der  Naturphilosophie  in  die  Philosophie  des 
Gdstes  überführenden  Stelle  seiner  Encyklopädie  ($.375.  f.). 
Denn  nicht  der  Sinn  jener  Behauptung  an  sich,  dass  nur 
im  Geiste  die  Gattung  als  das  Freie  und  Allgemeine  für 
sich  selbst  exi^ire ,  ist  das  Dunkle  oder  Zweideutige 
jener  Assertionen  des  Paragraphen,  —  es  ist  darin  wenige 
.  stens  die  abstrakteste  Wahrheit  des  Geistes  ausge- 
*  sprochen,  —  sondern  wie  die  Dialektik  den  „immanenten' 


Dio  Idee,  als  Erkennen*  005 

ITebergang  von  dem  vorhergehenden  Begrifle .  (des  Lebens, 
Organismus)  zfu  diesem  (dem  des  Geistes,'  und  zwar  als 
des  Erkennen s)  ohne  Sprung  bewerksteIHgen  könne? 
(Wir  glauben  nämlich  in  der  „Ontotogie^  nachgewie- 
sen za  haben,  dass  noch  ändere  Begriffe  dazwischen  falleiii 
dass  dann,  aber  auch  der  Geist  in  solcher  Specialikät,  wie 
hier,  am  Allerwenigsten  als  blosses  „Erkennen^  zu 
fassen  wäre. 

An  jener  spätem  SteHe  der  Encyklopädie  wird  nun 
ans  folgendem  allgeineinem  Zusammenhange  vom  BegriSs 
des  Lebens  zur  Idee  des  Geistes  fjortgegangen. 

Das  lebendige  Individuum  hat  seine  allgemeine 
Unangeroessenheit  darin,  dass  seine  Idee  noch  die 
unmittelbare  bleibt,  dass  es,  als  Thier,  innerhalb  der  Na  tut 
steht,  mithin  seine  Subjektivität  nur  die  an  sich  seiende, 
keinesweges  die  für  sich  selbst  gewordene  ist.  Diese 
innere  Allgemeinheit  bleibt  daher  gegen  die  natürliche  Ein- 
zelnheit des  Lebendigen  die  negative» Macht,  an  wel- 
cher es  untergeht,  weil  sein  Dasein,  als  solches,  nicht  selbst 
diese  Aligemeinheit  in  sich,  mithin  nicht  deren  entspre- 
chende Realität  besitzt.  Darin  liegt  seine  ursprüng- 
liche Krankheit  und  der  Keim  des  Todes,  der 
sich  inneriialb.  seines  Lebensprocesses  mit  ihm  zugleich 
entwickelt.  Das  individuelle  Leben  tödtet  sich  aus  sich 
selbst  (S.  374.  75.). 

Aber  die  dadurch  erreichte  Identität  des  Einzelnen  und 
Allgemeinen  durch  Vernichtung  des  Erstem  ist  selbst  nur 
die  Eine  und  zwar  die  abstrakte  Seite  ,  der  Tod 
de^  Natürlichen.  Der  Begriff,  weil  er  darin  nur  an 
sich  ist,  muss  nun  auch  die  Stätte  des  Fürsichseins, 
der  concreten,  sich  wissenden  Allgemeinheit,  des  Be- 
vmsstseins ,  finden  ($.  376. ,  vgl.  §.  381—83.) :  diess  ist 
die  allgemeine  Nothwendigkeit  des  Geistes,  wel- 
sche daraus  hervorgeht,  dass  die  absolute  Idee,  die  ihrem 
^esen  nach  der  Begriff,  das  Ideelle,  ist,  in  dem  Lebens- 
processe  und  der  Natur  über  das  Setzen  und  Aufheben  des 
ihr  Unangemessenen   in's  schlecht  Unendliche  ^hin  nienuüs 


906  Die  Idee^  ab  Erkennen. 

Mnads^langl.  Weil  daher  die  NtUir  vmr  diese  is!, 
CS  einen  Geist ^  als  die  Wahrheit  derselben  nnd  das  Da- 
sein  der  Idee,  geben.  So  weit  Hegel;  und  nnr  als  vk 
genau  dürfte  die  Aeusaerung  su  beaeichnen  sein ,  wekk* 
allerdings  nicht  wenig  verworrene  Deutungen  veranlasst 
hat,  dass  ,,der  Tod  der  nur  unmittelbaren  einaeinen  L&- 
bcndtgiceit  selber  das  Hervorgehen  des  Geistes 
sei''  ($.222.).  Sie  verfallt  nämlich  in  die  doppelte ScUri* 
heit  y  als  wenn  uberiiaupt  ans  der  Matur ,  als  das  daria 
schon  Enthaltene,  der  Geist  ,^ervorzngeheD<(  hahe, 
wovon  das  gerade  GegentheU  riditig  und  der  eigenliiche 
Sinn  Hegels  ist,  —  der  Geist  kommt  zur  Nator  nd 
über  sie;  — ebenso,  als  wenn  die  Erscheimnig  des  Todes, 
des  individuellen  Sterbens ,  ein  vermittelndes  Moment  s«a 
könne  iur  diess  Hervovgehmi  des  Geistes,  und  Hegel 
daraus  das  dem  Tode  Bntnommensein ,  die  Unsterb- 
lichkeit, des  Geistes  habe  erweisen  oder  wenigsteas 
andeuten  wollen.  *  Der  Ausdruck  Hegels*  kann  den  Za- 
aammenhange  nach  nur  das  früher  schon  Angegebene  be- 
aeichnen, dass,  weil  es  die  Natur  nicht  weiter  bringt,  ab 
bis  zum  einzelnen  bewusstlos  Lebendigen  (nebenbei  daher 
auch  Sterblichen) ,  in  Verneinung  desselben  ein  höheres^ 
bewusstes,  der  Idee,  als  dem  absoluten  Prineipe  der  Wdt 
imgemessenes,  Dasein  gesetzt  sein  müsse.  Die  Frage  nadi 
der  Sterblichkeit  oder  Unsterblichkeit  des  individnellen  Gei- 
stes ist  dabei  auch  nicht  auf  das  Entfernteste  berührt. 

So  mitosen  wir  Hege  Fn  zugestehen,  den  Uebeigaag  aus 
der  Natur  in  die  Allgemeinheit  des  Geistes  gefunden 
zu  haben,  den  er  jedoch  zunicbst  abermals  in  setner  Un- 
mittelbarkeit, alsSeele  und  zwar  als  natürliche  Seele 
auffiasst  ($.  388.  ff.  391.  f.)  ,  und  so  die  dialektischen  Ml- 
telstufen  nachweist,  welche  wir  zwischen  dem  ^Leben^  und 
4em  i^Geiste^,  als  solchem ,  in  der  zuerst  angefiihitey 
logischen  Deduktion  Hegels  vemissten.  Diese 
bietet  daher  wiederum  hier  eine  empfindliche  Lücke  dar:% 
der  unmittelbare  Uebergang  vom  Begrifie  des  Lebens 
zu  dem  des  Geistes  ist   falsch,    selbst  nach  Hegels 


Die  Idee ,  als  Erkennen.  907 


eigenem  Zeugnlvse;  und  yollends  wiliUibriMi  isl  es» 
der  allgeineinen  Naliir  des  Geistes  ausscbliessend  hier  mir 
die  Seite  seines  Erkonnens  (nachher  des  Wdlens)  ker^ 
vorzukehren«  Freilich  wird  sick  das  Bedürfniss  diei- 
$ea  Gedankenspninges  alsbald  ergeben,  um  dadurch  nacb^ 
her  Bestimmungen ,  die  der  subjektiven  Logik  ange^i 
hören ,  einflQhren  zu  können ;  aber  auch  dabei  wird  sich 
das  gewaltsarm  Eingefligte,  wie  an  dieser  Stelle,  von  selhil 
verralhen^  es  ist  immer  noch  die  Folge  des  Grundfehlers 
der  ganzen  Hegeischen  Logik ,  das  ErktMln isstheoreti- 
sche und  Metaphysische  gewaltsam  in  einander  arbeiten  ii 
woDen. 

Sei  es  indoss  zugegeben:  dat  Erkennen  istjlie  näob^ 
ste  adäquate  Existens  der  Idee  ($•  221.  M.).  Daraus 
folgt  sofort,  dass  der  Erkenntnissprocess  (in  uns)  abermalsi» 
wie  der  des  Lebens,  Bestimmung  des  Absoiuteii 
sei.  Es  selber  ist  das  verborgene  Subjekt,  wekhes  die. 
Erkenntttissstufen  der  allgemein  menschlichen  Vernunft 
durckl&uft ,  und  sich  darin  seiner ,  als  des  concret  AHgei- 
nieinen  ,  Freien ,  gewiss  wird.  Jener  Process ,  in  seiner 
liüchsteit  Allgemeinheit,  durchläuft  aber  die  drei  Momenten 
die  idee,Jn  ihrer  zur  Allgemeinheit  bestimmten  SubjAtivi«* 
lat,  ist  zuerst  reines  Unterscheiden  innerhalb  ihret 
selbst,  —  Aaschauen ,  das  sich  in  dieser  identischen  AiU 
gcmeinheit  hilt :  —  (wollen  wir  es  bestimmter  bezeichnen, 
als  es  von  Hegel  geschehen  ist:  die 'reine,  einfache 
Id^titat  des  Selbstbewusstseins ,  welche  alles  Eriuinnte, 
9UAterschiedene<<,  auf  jene  Einheit  bezieht  und  in  sie 
aufnimmt ,  die  fonnelle  Bedingung  alles  Brkennem ,  — 
Kant 's  synthetische  Einheit  dar  Apperception,  das:  ,4ch 
denke,  weiches  alle  meine  Vorstellungen  muss  begleiten 
können^'). 

Aber,  als  bestimmtes  Unterscheiden ,  ha*t  die  Mee 
zweitens  die  Totalitat  von  Unterschieden  sich  gogember; 
als  das  Erkennende,  setzt  sie  sich  selber  als  ittsserli«' 
ch es  Universum  voraus.  So  entsteht  der  Gegensatz 
des  Subjektiven   und  Objektiven,  eines  fiewvsst- 


M6  Die  Idee ,  ab  Uieorelisclie£i'  EHiciinen. 

aeing md eiwr  ron  Um  vorgermdencn  urfmillelbare« 
Weit  Inden  jedOeh  das  Ansi  ch  jener  beiden  nnailtei- 
bnren  HAlften  des  Subjektiven  und  Objektiven,  des  Erlen- 
nens  und  der  Welt,  die  Eine- Idee  Mbsl  ist,  Jiat  sie  nnck 
im  Erkennen  die  einiaehe  Gewissheit  der  an  sick 
•seienden  Identität  dieser  objektiven  Welt  mit  ihr.  J^k^ 
fVemunft  kommt  an  die  Welt,  mit  dem  absoluten  danben, 
die  Identität  seteen  imd  ihre  Gewisriieit  zur  Wahrheit  er- 
heben «tt  können ,  und  mit  dem  Triebe ,  den  Ar  sie  an 
#ich  nichtigen  Gegensalz  auch  als  nichtig  za  setzen^ 
(g.  224.). 

Aber  diess  Auflieben  geschieht  zunächst  nur  an  ^fcb; 
derProcess  ist  daher  noch  mit  der  Endlichkeit  die- 
ser Sphäre  behailet  (es  U^ hier  noch  nicht  der  Proeess 
der  ,^bsoluten<'  Idee,  den  wir  vor  uns  haben) :  er  zerlallt 
daher  in  die  doppelte  Bewegung  des  Triebes,  —  die  Ein- 
seitigkcH  der  SnbjOKtlvität  der  Idee  aufzuheben,  ver- 
niitteist  der  Aufnahme  der  seienden  Welt  in  das  subjektive 
Vorstellen  und  Denken :  der  Trieb  d$s  Wissens  nach  Wa  hr- 
beit,  der  theoretische  —  tmd  umgekehrt,  dieEinsei- 
iigkeit  der  objektiven  Welt  aufzuheben  und  ^e  durcli 
das  Innere  des  Subjektiven,  wel<shes . hier  als  das  wahr- 
haft seiende  Objektive  gilt,  zu  bestimmen  und  dieses  ihr 
ehizubilden :  der  T^ieb  zur  Volibringung  des  €  u  t  e  n  ,  das 
Wollen,  die  praktische  ThÜigkMt  der  Idee  ($.  225.> 
Wir  Jcönnen  die  didektisehe  Entwicklung  der  Idee  des 
Wahren  (§.  226 — 32.)  hier  lAcrgehen:  sie  handelt  von 
der  analytischen  undsynthetischenHethode,  uail 
von  der  Untai^liehkeit  einer  jeden  für  sich,  zum  Ausdrucke 
wahrhaft  dialektischer  Verhältnisse  zu  werden,  von  D  e  f  i  a  i- 
lion  und  Ein  the  i  In  ng,  von  Theorem  und  Beweise. 
Nur  ist  von  Neuem  zu  fragen,  wie  alles  Diess  in  ^ine  He- 
fa physlk,  noch  dazu  von  so' IheosophisöbeF  Bedeutung, 
hineinkomme?  Es  inöehteHegeTn  schwer  fallen,  zwiscbea 
'jenen  Denkformen ,  den  sogar  als  dürftig  und  mangelhaft 
nachgewiesenen  Hulfsmitteln  eines  subjektiven  Erkenneas» 
und   den  metapliysischon  Definitionen  GeUcs   nur    irgead 


Die  Idee,  als  pnfkttsche,  mMl  als  BhsöMe.       909 

einen  denkbaren  Zusammenhang  nachzuweisen«  Hier  Her^ 
g^cm,  si^t  Inan  wohl,  ganze  Weiten  der  Untersochung  da- 
zwischen I  Aber  diese  innere  Incongmenz  wird  uns  so-» 
gleich  noch  slarlier  zu  Gesichte  kommen« 

Darob  die  Idee  des  Guten,  den  Trieb  des  praicIU 
s  Q  h  e  a  Handelns  fg.  232--^5.)  ,  —  welcher  in  den  Wi« 
derspruch  der  sphlechten  Vnendlichlceit  verMuft,  durch  seine 
eigene  ^ii^fllhrung  eben  steh  aufzuheben,  also  entweder  »in 
einer  endiifhen  That  ta  erlöschen  oder  in  ein  endloses 
S  0 1 1  e  IT  hinausiulaufen  (was  an  seinem  Theile  von  Hege! 
scharfbezeichnend^auseinandergesetzt  wird ;  vgt.  Z  n  s  a  t  z, 
S.  406.  7.) 9  -^  nimmt  sich  die  Dialektilc^in  die  Einheit 
der  theoretischen  und  praktisclien  Ide»  zurdck ,  dass  er- 
kannt wird ,  W|ß  das  Gute  in  der  objektiven  WeH  schon 
an  ttnd  für  sich  ebenso  erreicht  i  s  t,  wie  es  zugleich  ewig 
als  den  Zweck  in  ihr  sich  setzt ,  und  so  nicht  aufhörf, 
unablässig  -in  ihr  erreicht  zu  werden.  Die  objek-« 
tive  Welt  ist  an  und  für  sich  schon  selber  die 
Idee.  —  ,,Dieses  aus  der  Differenz  und  Endlichkeit  des 
Erkennens  zu  sich  zurückgekommene,  und  durch  die  Thä-«> 
tigkeit  des  Begriffs  mit  ihm^  (dem  Begriffe)  „identisch  ge- 
wordene Leb^n  ist  dio  spekulative  oder  absoluta 
Idee«  (S.  235.). 

Diese  Einheit  des  Subjektiven  und  Objektiven,  beider, 
als  völlig  verwirklichter  und  ausgeführter  ,  ist  nun  „die 
Wahrheit  und  alle  Wahrheit,  die  sich  seltist  denkende 
Idee ,  und  zwar  hier  a  1  s  denkende ,  logische  Idee^  Die 
Unmittelbarkeit  des  sinnlichen  Universums  hat  sich  jetzt 
nicht  nur  als  die  Gegenwart  der  in  ihm  sich  realisi- 
renden  Idee  erwiesen,  wodurch  jene  Unmittelbarkeit  seihst 
zum  Vermittelten  geworden  ist;  sondern  diese  Einsieht 
und  Erkenntniss ,  welche  wir  so  eben  ausgesprochen  ha«* ' 
ben ,  und  die  unser  eigenes  Erwerbniss  tu '  sein  sehiene, 
ist  nicht  dieses:  die  Idee  selber  hat  in  uns  diese  Stufe 
des  Selbsterkennens  erreicht:  sie  weiss  sieh  (in  uns> 
als  alles  Wirkliche.  „Bisher  haben  wir  die  Mee' 
in  der  Eatwicklung   durch  ihre  verschiedenen  Stufen  zu 


910  Die  absolute )  die  speftubtire  Idee. 

uoflefm  CSegenstande  ifobabt;  nonmehr  aber  ist  die  Idee  sich 
selbst  gegenständlich.     Diess  ist  die  yoriatg  v^Jjns^^,  weU 
che  49chon  Aristoteles  als  die  höchste  Fofm  der  Idee  be- 
zeichnet hat«   (Zusata,  S.  408.>   —    Verwirklicht  whtl 
4Ueser  Standpunkt  aber  in  der  Philosophie ;  in  iht  wird  die 
Idee  sich   seihst    als  alles  Wirkliche  feg^nsiandlicii ;   «sd 
die  anfan^iche  Definition  der  Encyklopädie  (s.  oben  S.  844.) 
dass  die  Philosophie  dieWissenschaft  voll  derYer- 
nnnftsei,  insofern  sie  sich   ihrer  selbslals  alles 
Seins  darin   bewnsst  wird,  wäre  aehon  hier,    für 
den  Unkrefs  dieses  Standpunktes,  ^ereoltferttgt.    Die  Lo- 
gik anticipirt  nur  diesen  Inhalt  des  ^^ailes  Seins^  in  der 
Tüalitat  ihres  Begitfes.    Dieser  Universalität  des  iogisckea 
Begriffes   ist  Hegel  völlig  bewusst:   erdrückt   diess  so 
aus^    dass  die  absolute  Idee   an    dieser  Steile  die   reine 
Form  des  Begriffes  sei,  die  ihren  Inhalt   (jenes  ^aHes 
-Sein«')  als  sichselbst  anschaut    Sie  ist  stoh  (insofern 
aber  auch)  Inhalt,  als  sie  darin  das  ideelle  Unterschei- 
den ihrer  selbst  von  sich  ist,   worin  jedoch  die  TolalRit 
der  Form  ab  das  System  der  InhaltsbestimmuR« 
gen  enthalten  ist    Dieser  Inhalt   ist   das  System  des 
Logischen:  aber  als  Form  bleibt  der  Idee  hier  Nichts, 
als  die  Methode   dieses  Inhalts  ($.  237 .>    —    Hegel 
gebt  daher  von  hier  aus,  vollkommen  sachgemiss,  zum  Be- 
griffe der  wahren,  spekulativen  Methode  fort,  er- 
kenntnisstheoretiscl^beurtheilt,  zu  einem  der  wich- 
tigsten und  lehrreichsten  Abschnitte   seiner  Logik.    Darin 
wird  gezeigt,  dass  der  Anfang,  das  Unmittelbare,  ebea 
darum  zugleich  als  das  Aflg^neinste,  Abstrakteste,  nur  das 
Yermittelte  sein  kdnne :  wie  Alles,  auch  das  f3r  einen  g^ 
irisisen  Umkreis  als  Unmittelbares  Vor aus-gesetzte,  doch 
einem  Ganzen  angehört  und  Moment  der  Idee  i^ 

Der  dialektische  Fortgang  sodann  ist  ebensowohl 
analytisch,  als  synthetisch  in  völliger  £inheit:  es 
wifd  dadurch  ebenso  sehr  nur  g  e*s  e  t  z  t ,  was  im  ersten 
Begriffe  schon  enthalten  war  (analytisch) ,  als  doch  durch 
den  Widerspruch,  wenn  bei  der  ersten  UftiiitlenMuteit 


Die  fpokuhttive  Idee.  911 

stehen  geblieben  wftrde ,  die  Nolhwendigkeit  einer  neven 
Beslimmuog ^  eines  Unterschiedes,  sich  ergtebt,  und 
(synthetisch)  dictf^r  Unterschied  herausgesetzt  wird« 
So  ist  der  dialektische  Fortschritt  zugleich  das  Zuruc.k<>- 
g'.ehen  in's  Wesen,  in  die  Einheit  der  Unterscliiede.  .  ,,Nur 
durch  diese  gedoppelte  Bewegung  erhalt  der  Unter-* 
schied  sein  Recht ,  indem  jedes  der  beiden  Unterschiediv 
neu  sich  an  ihm  selbst  betrachtet  zxLt  Totalität  vollendet,  un4i 
darin  sich  zur  Einheit  mü  dem  andern  bethaUgt  Nur  das 
Siebaufheben  der  Einseitigkeit  beider  an  ihnen 
selbst  lässt  die  Einheit   nicht  einseitig  wer« 

d  en«  (S*  239--41.)* 

Hiermit  losen  die  Unterschiede  insgesnmmt  sich  in  das 
Ende,  in  ihre  Totalität  auf,  in  welcher  sie  als  auf- 
gehobene, bewahrte  sind.  Es  ist  der  realisirte  Begrii^ 
d.  L  der  Begriff,  welcher  das  Gesetztsein  seiner  Bei* 
Stimmungen  in  seinem  Fursichsein  enthält.  Diess  ist 
die  Idee,  als  an  und  fOr  sich  seiende  Einheit  ihrer  un- 
terschiedenen Uomente,  —  „für  welche  zugleich  als  absolut 
Erstes  (in  der  Methode)  diess  Ende  nur  das  Verschwinden 
des  Scheins  ist,  als  ob  der  Anfang  ein  Unmittelbares, 
und  sie^  (die  Idee)  „ein  Resultat  wäre;  —  das  Erkennen, 
dass  die  Idee  die  Eine  Totalität  ist<«^$.244.).  —  Die  Her 
thode  ist  daher  nicht  äusserliche  Form ,  sondern  die  Seele 
und  der  Begriff  des  Inhalts ;  „die  Wissenschafl''  (die  Logik) 
,)SchIiesst  auf  diese  Weise  damit,  den  Begriff  ihrer  selbst 
zu  fassen,  als  der  reinen  Idee,  für  welche  die  Idee  ist^ 
($.  243.). 

Hiermit  haben  wir  nun  erkenntnisstheoretisch 
einen  Abschluss  erreicht:  es  ist,  wenn  wir  die  Voraosset- 
zongen  zugeben ,  welche  der  ganzen  bisherigen  Dialektik 
zu  Grunde  liegen,  wirklich,  erklärt  und  dargethan ,  wie  es 
zu  einem  spekulativen  Erkennen  und ,  indem  sich  dieses 
realisirl ,  zu  einer  Philosophie ,  als  enöyklopädischem  Be^ 
griffe  des  All ,  kommen  könne.  Es  ist  die  Eine  Idee  (die 
Vernunft),  welche  sich  objektiv  im  Universum  verwiilE« 
licht ,  indem  sie  das  System ,  die  Totalität  ihrer  Momente 


918  Dio  spekitfative  Idee. 

auseinanderwirft ,  und  ob  scheinbar  imabhingige  BjcHsIc»- 
zen  rcaltsirt;  und  welche  dann,  subjektiv  erlcemieBd,  skk 
aus  diesen  Unterschieden  wieder  znsammenfasst ,  und  des 
innem  Zusamneuhang  jener  Momente ,  die  ihnen  eingebil- 
dete Einheit ,  als  das  dialektische  Band  derselben  ,  ihiv 
^inunanente  Melbode** ,  sich  zum  Bewusstsein  Mngt 

Mit  Einem  Worte :  nur  weil  das  Universum ,  von  sei- 
ner naturlichen,  wie.  geistigen  Seite,  ein  System  reali- 
sirter  Gedanken  ist,   lisst  sich  die  Möglichkeit  einer 
Wissenschaft  von  demselben,    zugleich  einer  höch- 
sten, allumfassenden,  der  Philosophie ,  begreifen.    Aber 
auch  umgekehrt  lässt  sich  —  und  Hegel  legt  verschie- 
dentlich auf  diese  Thatsache  Gewicht,  —  aus  der  fakti- 
schen Erkennbarkeit  der  Welt,  aus  dem  wirkUchen  Zo- 
sammenfallen   von  Denken  und  Sein  in  jedem  Aide  des 
Erkennens ,  zuröcksdiliessen  auf  die  absolute  RatioBafitit 
des  Wirklichen   und  die  Immanenz  der  Idee    in  ihm.    £s 
ist  derselbe  Satz,  welcher  sich  als  Resultat  unserer  Brkennt- 
nisslchre  ergeben  hat,   und   der  schon   früher   angeführt 
worden:  ,,nur  weil  die  IMnge  ur gedacht  sind  ,  könnea 
sie  auch   von  uns  nach-gedacht  (erkannt)  werden^. 
Das  Erkenntnissproblem    ist   wirklich    dadurch  in 
letzter  Instanz   gelöst,  die  Möglichkeit   einer  Metaphysik 
überhaupt  nachgewiesen :    aber  darum  gerade  gehört  je- 
ner Salz  nicht  in   den    metaphysischen  Zusammenhang. 
Noch  weniger   denken   wir-  aber  zuzugeben ,    dass  diess 
Resultat   für  ein   letztes  und  definitives  der  ganzen  Hii- 
losophie,    wie   von   Hegel,    gehalten  werde.    Es  wird 
uns  wiederum   Problem   und  zwar  Problem,    welches 
die  Metaphysik    —    die  der    Heg  eischen   Logik  ent- 
sprechende Wissensdiaft  —   zu  lösen   hat    Denn  j  wie 
schon  gezeigt  worden,  jene  (Hegeische)  absohite  Idee, 
die  sich  selbstschöpferisch   in    das  System  ihrer  Momente 
auseinanderwirft,  und  so  das  Universum ;  als  der  realisirte 
Gedanke,    wird    uns   ein   vollkommen   widersprechender, 
Nichts  erklärender  Begriff.    Bewahrt  sich  die  Wdt  als  das 
absolut  Gedankenmassige,  als  die  Verwiridichung  von  Ideea 


Die  spekulative  Idee.  913 

so  ist  ihr  Grund  auch  ein  anderer,  als  nur  eine  „gich  (len- 
kende absolute  Idee<^  *), 

Orienliren  wir  uns  jedoch  bestimmter,   an  welcher 
Sielle   der  HegeUchen  Lehre   wir  mit  diesem  Resiilt^ 
stehen :    so  ergiebt  sich  -*-  abgesehen  von  der  schon  g^ 
rüg-ten  Vermischung  des  Eri^enntnisstheoretischen  und  He- 
iaphysischen ^    wodurch   dieser   ganze  Abschnitt  für  eine 
Logik  in  Hegels  Sinne  völlig  unbrauchbar  wird, —  dei[ 
fernere  merkwürdige  Umstand ,  dass  jenes  Resultat  doch 
wiederum  kein  anderes  ist,  als  mit  welchem 
die  Phänomenologie  desGeistes  schloss.    Inletz- 
lerer  ergab  sich  aus  dem  Beweise ,  wie  in  allen  Erschei- 
nungen und  Hervorbriagungen  des  geistigen  Universums 
der    allgemeine  Geist   (der  Weltgeist)  nur  mit  sich  selbst 
Eusammengeht ,    der  BegrifiT  des  absoluten  Wissens 
in   seiner  Potentialitat.     Die  Logik  hat  hier  denselben 
BegriiT  erwiesen,  und  eben  auch  nur  als  einen  potentialen, 
indem  der  BegrifT  der  absoluten  Methode ,  aber  als  einer 
noch  unausgeführten,  als  der  ^absoluten  Form^,  sich  erge- 
ben hat.    Und  auch  darin    ist  in  beiden  Werken  völlige 
Uebereinstimmung  der  Beweise   und  ihrer  innern  Konse- 
quenz, indem  es  der  Weltgeist  ist  —  die  im  Univer- 
sum objektivirte ,  in  uns  zum  Bewusstsein  ihrer  selbst  ge- 
langende, allgemeine  Vernunft,  welche  in  der  Phänomeno- 
logie von  subjektiver  Seite,  in  der  Logik  von  ihrer  abstrakt 
allgemeinen  ,  erkannt  wird,    in  beiden  aber  zu  diesem 
einfiicben  Resultate   aus   ihren  Unterschieden  zusammen- 
geht. 

Aber  damit  ist  es  nicht  genug;  sondern  nochmals, 
zum  dritten  Male , '  kehrt  dasselbe  Resultat,  derselbe  Be- 
griff des  absoluten  Wissens,  in  dem  Hegeischen  Sy- 
steme zurück :  es  ist  am  Schlüsse  des  Ganzen ,  dort  aber 


*)  Man  vergleiche  damit:  ,)Zur  spekulativen  Theologie«' 
(Zeitschrift  etc.  Bd.  V.  H.  1.  S.95~-10a),  worin  die  liier 
ausgesprochene  Folgerung  auch  für  das  He  gel  sehe  System 
näher  ausgeführt  wird. 

58 


914  Versuchter  Uebcrgang  aus  der  Logik 

als  ein   an  den  Weltgegcnsätzen  durchgeführter  und    be- 
währter, als  concret  Allgemeines,  und  dort  wird  noch  ein* 
'mal,  in  einem  vergleichenden  Rückblicke  über  das  Ganze, 
davon    zu  reden  sein.      Gleichwohl    ergiebt   sich   schon 
vorläufig,  wie  die  Hege  Ische  Lehre,  trotz  ihrer  encykio- 
pädischen  Ausbreitung  über  einen  reichen  Gehalt,  dennoch 
nach  dem   aus  ihm  erworbenen   Gedankenresnltale 
nur  auf  einen  schmalen  Bereich  der  Geltung  wird  Anspruch 
machen  können.    Es  ist  immer  nur  das  sich  wiederholende 
Ergcbniss,  was  wir  schon  kennen,  ein  enger,  stets  in  sieh 
zurückkehrender  Umkreis  von  Begriffen. 

Aber  wie  sich  diess  nun  auch  verhalte,  ein  wirkliches 
Resultat  hat  dennoch  die  Logik  gehabt,  ein  wichtiges  und 
acht  spekulatives :  wir  stehen  damit  in  der  That  an  ihrem 
Abschlüsse,  dem  klarsten,  entschiedensten,  in  sich 
konsequentesten,  den  es  geben  kann.  Und  über  Nichts  in 
Wahrheit  könnte  man  gewiss  und  entschieden  sein  bei  phi- 
losophischen Darstellungen ,  wenn  nicht  über  den  wahren 
Sinn  dieses  Abschlusses:  ein  ,)Missverständni8s^  — 
die  gewöhnliche  uUma  rcUio  der  Apologeten  —  oder  die 
Besorgniss,  eine  geheime  Nebenbedeutung  im  Vorhelge- 
henden  unenthutlt  gelassen  zu  haben,  kann  hier  nicht  ein- 
treten. Entweder  weiss  überhaupt  die  Hege  Ische  Dar- 
stellung im  letzten  Abschnitte  der  Logik  nicht,  was  ihr 
Ziel  ist,  oder  sie  will  diess,  und  nur  diess,  was  wir  so 
eben  in*s  Licht  gestellt  und  gebührend  anerkannt  haben. 

Nun  aber  ereignet  sich  Etwas,  das,  schwer  zu  benen- 
nen, sich  selbst  bezeichnen  mag.  Die  Logik  ist  in  ihren 
Anfang,  ^ihn  rechtfertigend^,  zurückgelaufen ;  sie  hat  sich 
selbst  umkreist  und  abgeschlossen.  Auf  die  Logik  hat  je» 
doch  die  Naturphilosophie  zu  ftrigen;  es  muss  also 
ein  U  eher  gang  in  dieselbe  gefunden  werden;  und  es 
würde,  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Dialektik,  hiermit  ge- 
fragt werden  müssen,  welch  ein  BegrifTsmoment  auf  d^r 
gegenwärtigen  Stufe  der  Idee  dunkel ,  unenthüUt ,  wider- 
mchts  \f^^  bleibe,  dessen  Ergänzung  daher  den  Ue- 
absolut  Gtu..  jjs  Folgende  nolh wendig  mache. 


in  die  Naturphilosophie.  915 

Ein  solche  Momeni  findet  sich  nun  in  Wahrheit  n  i  e  h  I: 
die  Idee,  als  logische)  sich  in  Allem  denkende,  ist 
hiermit  vielmehr  vollendet;  denn  sie  ist  schon 
vresenllich  dieselbe,  als  weiche  sie  am  Schlosse  des  gan-» 
zen  Systemes  sich  zeigt  Zwar  kann  das  allgemeine  Be- 
durfniss  wach  werden ,  jenes  ^alles  Sein^,  welches  sie  ab 
die  selbstgegebcnen  Unterschiede  in  sich  zusammcnfasst, 
nun  auch  in  concreter  Aosföhrung  zu  besitzen,  <lie  Idee 
an  „Allem^  im  Einzelnen  zu  bewähren,  und  diess  „Alles^ 
in  sie  zurückzunehmen  —  kurz  den  Verlauf  der  spekula- 
tiven £rkenntniss  des  Realen,  welchen  die  Phänomeno- 
logie schon  einmal  begann,  nochmals  iind  umfas- 
sender durchj^uRihren. 

Da  mag  nun  das  spekulative  Erkennen  anderweitig 
sehen,  wie  es  den  Uebergang  in  das  Reale  sich  zusichere : 
vom  Schlüsse  der  Hege  Ischen  Logik  aus  ist  ein  soldu^r 
in  keinerlei  Weise  möglich;  denn  sie  hat  schon  in 
allgemeinen  Umrissen  das  Reale  und  die 
grossen  Gegensätze  der  Welt,  ebenso  ihre 
gedoppelte  Vermittlung,  in  sich  anticipirt: 
Natur  und  Geist,  und  ihr  unmittelbarer  Gegensatz ,  sind 
schon  nachgewiesen  in  der  logischen  Idee  (vgl.  $$.  223. 
225.  227.  u.  s.  w.) ;  denn  nur  beide  vermittelnd,  —  zu- 
nächst theils  theoretisch,  theils  praktisch,  — sodann  aber 
durch  unendliche  Selbstrealisation  in  ihnen,  welche 
durch  das  spekulative  Erkennen  zum  Selbstbewusstsein  ge<- 
langt,  wird  die  Idee  zur  absoluten  Idee.  Wir  haben 
das  höchste  Resultat  der  Philosophie  (^alle  Wahrheit«) 
durch  die  Logik  in  der  That  schon  erhalten;  wenn  auch 
im  summarischen  Extrakte,  so  ist  immerhin  doch 
von  ihr  kein  weiterer.  Fort-  oder  Uebergang  mög-* 
lieh  ;  denn  ,  wohtnein  sie  übergehen  könnte ,  das  besitzt 
sie  schon. 

So  kann  nur  durch  einen  völligen  Sprung,  ein  Hin- 
übergreifen in  ein  specifisch  a  n  d  e  r  e  s  BegrifTsgebiet  die- 
ser Uebergang  herbeigeführt  werden :  um  das  Reale,  con- 
cret  Wirkliche,  wirklich  zu  erklären,  bedarf  es  selber  eines 


9M  Versuchter  Uebci^ng  aus  der  Logik 

concreteren  Absoiiiten ,  als  der  boUen  Universalität  einer 
i,in  ihre  Begriffsmomente  sieb  auseinander  werfenden  Idee^, 


Und  wenig  fehlt ,  dass  Hegel  seibat  an  diaser  SieDe  der 
Ohnmacbt  seines  Princips  inne  geworden,  ja  sie  aongespio- 
cben  hätte.  Denn  hier  tritt  ihn  plötzlich ,  wie  anch  aa 
vielen  Steilen  seiner  „Religionsphilosophie^,  das  Bedörftiss 
an,  die  Allgemeinheit  jener  alksoluten  Idee  zu  verpeisüii- 
liehen  ,  in  die  Einheit  eines  ^^anschauenden«'  Ursobfehtes 
zusammenzuziehen;  mit  wie  gänzlichem  Mang<d  an  dinleh- 
tischer  Unterstützung  oder  Berechtigung ,  haben  wir  ge» 
sehen. 

Dennoch   wäre  es  ein  Unrecht   gegen    den    grossea 
Denker ,   hierin   nur   gemeine  Selbsttäuschung  ,    oder  gar 
Täuschung  lur  Andere  beargwöhnen   zu  wollen.     Nach  so 
vielen  tiefer  deutenden,  nur  freilich  selten  durch  den  wis- 
senschaftlichen Zusammenhang  gerechtfertigten  Aeasseron- 
gen   desselben,    namentlich    in   seiner    ^eligionsphilaso- 
phie^,  war  vielmehr  der  tiefere  Sinn ,  die  eigentliche ,  in 
Hintergrunde  liegende  Meinung  des  Philosophen ,   lur  wei- 
che er  nur  nicht  die  Kategorie  gefunden  oder  genauer  die 
allgemeine  Kategorie  des  Geistes  noch  nicht  bis  zum  trei« 
fenden  Punkte    ausgebildet  hatte ,  —   der  Gedanke  eines 
Ursubjektes,  freilich  nur,  als  des  im  Universum  sich 
unendlich  anschauenden  Weltgeistes.     Diesen  müssen 
wir  ihm  leihen  oder  zugeben ,    um  im  Schlusq^aragFaphea 
der  Logik  (§.  244»)   nicht  nur   überhaupt  irgend  einen 
Sinn,  sondern  Etwas  zu  finden,  was  nur  auf  das  £ntfenite- 
ste  einer  Deduktion  der  Natur  (eines  Realen)  gleich  käme. 

Es  ist  jedoch  interessant  und  bei  einem  der  wichtig- 
sten Punkte  des  Hege  Ischen  Systems  sogar  unerlassiidi, 
die  verschiedenen  Darstellungen  jenes  Ueberganges  von 
Logik  in  Naturphilosophie  mit  einander  zu  vergleichen  und 
darin  nachzuweisen,  wie  das  Bewusstsein  des  vöUigea 
Unvermögens,  aus  der  logischen  Idee,  als  solcher,  ei- 
nen solchen  Uebergang  zu  Stande  zu  bringen,  immer  deut- 
licher in  Hegel  hervortritt,  demungeachtet  aber  er  nie  zum 
entschiedenen  Geständnisse  desselben  kommen  kann ,  weil 


in  dio  Naturphilosophie.  017 

damit  die  Folge  verbunden  gewesen  wäre,  das  logi- 
sche Princip  selbst  in  das  specifisch  Andere  seiner  zu 
steigern. 

In  der  frühesten  Darstellung  der  Logik  {^Wissensch. 
der  Logik«  1816.  Bd.  U.  S.  399—406.)  wiU  Hegel  am 
Schlüsse  diesen  Uebergang  ^nur  noch  andenten^^.  Sehr 
möglich  hatte  er  einen  solchen  Uebergang  damals  selbst 
nur  nach  den  allgemeinsten  Grundbedingungen  »ich  vor- 
g-estellt ,  das  Bestimmtere  späterer  Erwägung  überlassend : 
die  ^Andeutungen*^  können  nämlich  kaum  lakonischer^  zu- 
rückhaltender sein.  Aber  es  ist  nöthig,  näher  auf  sie  ein- 
zugehen. 

Zuerst  wird  (S.  398.)  mit  dem  grissten  Nachdrucke 
herausgestellt,  wie  die  Logik  in  der  That  zu  ihrem  sich 
umkreisenden  Abschlüsse,  zur  Rechtfertigung  ihres  An- 
fangs, gelangt  und  darum  zu  Ende  sei.  Die  reine  Un- 
mittelbarkeit des  Seins ,  wovon  der  Anfang  gemacht  war, 
ist  die  durch  die  Vermittlung,  worin  die  Unterschiede  auf- 
g-choben  sind,  zu  ihrer  entsprechenden  Gleichheit  mit  sidi 
selbst  gelangte  Idee.  Die  Juiethode^'  ist  daher  eines- 
theils  der  reine  Begriff,  der  sich  nur  zu  sich  selbst  ver- 
hält, —  die  einfache  Beziehung  auf  sich,  das  reine 
Sein:  anderntheils  jedoch  nun  auch  das  erfüllte  Sein, 
das  Sein  als  die  concrete,  ebenso  schlechthin  intensive  To- 
talität, der  sich  in  allen  Unterschieden  begrei- 
fende Begriff.  —  Als  zum  „Schlusse^^  gehörig  wird  noch 
das  Doppelte  erwähnt:  zuerst,  dass  in  der  Idee  des  abso- 
luten Erkcnnens  der  sich  begreifende  Begriff  völlig  sich 
realisirt  hat,  indem  er  sich  darin  zum  „Ganzen  seiner  Rea- 
lität, zum  Systeme  der  Wissenschaft^^  ausbildet; 
^—sodann,  dass  diese  Idee  nur  logisch  sei,  in  den  rei- 
nen Gedanken,  in  die  „Subjektivität^  eingeschlossen^  „die 
Wissenschan  nur  des  göttlichen  B  e  g  r i  f  f s<<.  Daher 
ist  sie  zugleich  „der  Trieb ,  diese  Subjektivität  aufzuhe- 
ben, und  die  reine  Wahrheit  wird,  als  letztes  Resul- 
tat, auch  der  Anfang  einer  andern  Sphäre  und 
Wissenschaft^ 


.  918  Versuchter  Uebergatig  au$  der  Logik 

Hiermil  ist  zunächst  bloss  nachgewiesen,  wie  dk  ur 
logische  TolHlU&t  der  Idee  es  bedarf,  oder  —  wen 
man  sich  gestattet ,  sie  zu  hypostasiren  ,  —  dass  sie  det 
,,Trieb^  liat,  sich  mit  dem  cöncreten  Inhalte  eines  Realou 
der  N  a  t  u  r ,  zu  erfüllen.  Damit  aber  einen  Dedoktions- 
grund  für  die  objektive  Natur  nad  ein  Schöpfung^hnc^ 
derselben  finden  zu  wollen,  wurde  der  allerdings  seilsana 
Argumentation  gleich  sein,  dass,  weil  das  formelle  Erkea- 
nen  einen  sonstigen  Inhalt  voraussetze,  dadurch  die  Koik- 
wendigkeit  eines  Realnniversums  nachgewiesen  sei;  Ae 
ganze  Welt  sei  nur  da ,  um  dem  abstrakten  Begriffe  ar 
Aushülfe  zu  dienen.  So  zeigt  sich  aus  diesen  Prämissen 
der  Logik  zunächst  nicht  nur  kein  Deduktionsprincip  iSr 
ein  Reales ,  sondern  die  ganz  heterogene  Stellung,  in  wel- 
oher  sich  überhaupt  diese  Wissenschaft  zu  einer  soldieo 
Anforderung  befindet. 

Nun  vnrd  aber  sogleich  also  forlgefahren:  Indem  sick 
die  Idee  als  absolute  Einheit  des  reinen  Begriffes  uad 
seiner  Realität  ^etzt%  somit  in  die  Unmittelbarkeit  des 
Seins  zusammennimmt  —  (in  Wem  ^etzt<*  sie  sich  der- 
gestalt, laut  allem  Obigem  ?  Doch  nur  im  „Systeme  der 
Wissenschaft^,  in  der  sich  als  alles  Sein  wissenden  Idee, 
d.  h.  in  den  philosophirenden  Subjekten:)  —  „so  ist  sie 
als  die  Totalität  in  dieserForm —  Natur«'.  Sie  wird 
jedoch  nicht  erst  zu  derselben  oder  geht  in  sie  über; 
in  ihr  ist  überhaupt  keine  unmittelbare  Bestimmung  mehr, 
die  nicht  ebenso  gesetzt  und  der  Begriff  wäre.  „Das 
einfache  Sein,  zu  dem  die  Idee  sich  bestimmt,  bleibt  ihr 
vollkommen  durchsichtig,  und  ist  der  in  seiner  Bestim- 
mung nur  bei  sich  selbst  bleibende  Begriffe«. 

Sollen  wir  diese  Begriffe  in  dem  rechtmässigen  Sinne 
irerstehen ,  den  sie  durch  den  bisherigen  Zusammenhang 
der  Logik  erhalten  haben ,  so  ist  diese  „Durchsichtigkeit^ 
des  unmittelbaren  Seins  die  Zugänglichkeit  desselben  fir 
unser,  bestimmter  für  unser  spekulatives  Erkennen, 
die  absolute  Intdligibilität  der  Welt;  und  da  rum  bleibt  io 
ihr  der  Begriff  schlechthin  bei  sich  selbst.    Hier  aber 


in  die  Natarphilosophkx  919 

wird  durch  einen  schwer  zu  rechtrertigenden  tpeluilativen 
Handstreich   der   anomale  Nebensinn  eingeschwärzt,  dass 
der  Idee  ein  reales  ^tzen^  der  Einheit  des  Begrifls  und 
der  Wirklichkeit,  ebenso  ein  reale^  ^Sichdarinzusammen- 
nchmen<^  zur  ^Unmittelbariceit^  des  Seins  —  welche  unniit- 
ielbare  Totalitat   dann  nothdürilig  als   sinnlich  unendliches 
Universum  imaginirt  werden  kann,  —  zugeschrieben  wird ; 
"wodurch   nun  auch   jene  ^Durchsichtigkeit^  unerwartet  in 
einem  ganz  objektiven  Sinne  wiederaufcrsteht :  sie  ist  nun 
das  Sichwissen ,   Sichanschauen   der   schöpferischen 
Idee  in  den  Dingen,  und  es  ist  Etwas  damit  gesetzt,  das  ganz 
füglich  als  der  „philosophische  Begriffe   für  die 
gewöhnliche  „Vorstellung«'  einer  göttlichen  Allwissen- 
heit ausgegeben  werden  kann.     Hätten  jedoch  jene  Aus-> 
dräcke:  „Setzen^  „Sichzusammennehmen^  u.  dgl.,  die  rea- 
listischen Nebenvorstellungen  Raum  geben ,   nicht  zufallig 
sich  hier  eingeschoben;  so  fiele  die  ganze  Deduktion  zu- 
ß^mwen;  denn  allein  auf  diesen  Worten  beruht  sie,  wie 
man  sieht«     Und  so  hat  auch  sonst  H  e  g  e  1  in  seiner  oft 
ungenauen,  oft  in  der  That  verworrenen  Darstellungsweise 
den  besondcm  Ucbelstand  nicht  vermieden ,  das  Allerab- 
sbrakteste,  wie  hier,  zu  einer  halballegorischen  OhjeHtivitftt 
hinaufzuschrauben  und  ihm  Bewegungskräfte  beizulegen,  die 
nur  am  Realen  Verstand  und  Sinn  erhalten.    Und  so  ent- 
steht eine  vollständige  Mythologie,  ein  ganzer  Olymp  sol- 
cher personificirten  Abstraktionen,  vyelche  eben  nach  seiner 
Meinung  die  schöpferischen  und  herrschenden  Weltmächte 
sind.    Hatten  wir  Unrecht ,   diess  einen  Abeiglauben  an*s 
Abstrakte  zu  nennen? 

Nachdem  nun  durch  das  aufgewiesene  HuIjEsmitfe!  die 
Schlusskategorieen  der  Logik  zu  einem  völlig  neuen  Sinne 
gelangt  smd  ,  geht  der  Rest  der  Deduktion  einer  Nator 
(Wissenschaft  der  Logik  a.  a.  0.  S.  400.)  auf  das 
Leichteste  von  Stalten.  Bei  diesem  SichselbstdurcAsichtig- 
sein  der  Idee  im'  Andern,  ist  nun  diese,  ganz  zur  (mytho- 
logischen) Person  gewordene,  „absolut  ihrer  sicher  und  in 
sich  ruhend^.    Sie  kann  sich  daher  „entschliessen^, 


920  Versuchter  üebergang  aus  der  Logik 

sich  „firel  aus  sich  selbst  tu  entlassen*^.  Aber  um  dieser 
Freiheil  willen  ist  die  Form  ihrer  Bestiminibeit 
ebenso  schlechthin  frei  — '  (als  diese  ^Freiheit«  \veisl  sich 
sogleich  jedoch  nur  die  Aeusserlichkcit  und  ^egw- 
T  i  V  i  t  ä  t  derselben  auf,  —  gleichfalls  ein  gewaltsamer  Giv 
dankensprung!)  —  jene  Freiheit  ist  nämlich  ^die  absofui 
Ü'ür^  (an)  ^ich  selbst  ohne  Subjektivität  scie&cfe 
Aeusserlichkeit  von  Raum  und  Zeit^. 

Dieser  ^nächste  Entschlüsse  der  reinen  Idee,  och 
als   uusscrliche  Idee    (als  räum -zeitliches  Universum)  m 
bestimmen  f  setzt  sich  damit  (in  der  Natur)  nur  die  Ver- 
mittlung, aus  welcher   sich  der  BegrifT,    als  freie  ans 
der  Aeusserlichkeit   in  sich  gegangene  Idee,    hervorkeU; 
diess  geschieht  im  Geiste   (nicht  wie   esHeg-el   oage- 
nauer   Weise   ausdrückt:   ,,in    der  Wissenschaft   des 
Geistes^).     Diese  Befreiung,   setzt  aber  Hegel    ia  dea 
Schliissworten  der  Logik  hinzu,  wird  in  der   „Wissea- 
schaft  dos  Geistes^   überhaupt,   näher    dann  in  der 
logischenWissenschaft  vollendet,  welche,  als  ^der 
sich  begreifende  reine  Begrifi^,  den  ^h ochsten  Begrifft 
desselben  von    sich    enthält.    So  schiene  die  Logik  na<A 
Hegels  damaliger  Ansicht,  als  die  höchste  and  völlig  ab- 
schliessende ,    dennoch  auch   über   die  Wissenschaft  des 
tJeistes  hinausreichen  zu  sollen,  was  hier,  wo  er  eben  ?« 
der  Phänomenologie  des  Geistes  herkam,  seinen  gnten  Sinn 
hat,  aber  in  Widerspruch   tritt   mit    der  Architektonik  der 
ganzen  Lehre,  wie  er  hier  sie  andeutet ,  später  sie  ausge- 
fährt  hat    Es  ist*  uns  nicht   gelungen,   den  Selbstwider- 
spruch,   der    in    diesen  Andeutungen   liegt,   befriedigend 
aufzulösen. 

Nun  sollte  man  jedoch  erachten ,  dass  so  gewattige 
Verstösse  und  so  offenbare  Begriffslücken  ,  wie  sie  hier 
nnablätigbar  sich  preisgeben  ,  vom  Urheber  selbst  in  sd- 
ner  weitem  Entwicklung  einer  gründlichen  Umbildung  hä^ 
ten  unterwerfen  werden  müssen.  Hegel  hat  es  zweimal 
versucht,  bei  Gelegenheiten^  wo  es  darauf  ankam,  den  hier 
besprochenen  Uebergang  in  die  Naturphilosophie  nicht  nr 


in  di^  Naiürpmibsöphie.  »21 

„aiiztidetilen*,  ßond^rn  auszuführen,  —  te  den  beiden 
Bearbeitungen  '  sißiner  Encyklopädie  der  pfailosoptiischen 
Wissdnschaflen  (erstä  und  zweite  Ausgabe,  1819  und 
1827;  die  dritte  folgt  darin  der  zweiten):  —  wie  es 
ihm  gelungert,  ist  nun  zu  sehen. 

'  „Die  spekulative  Idee^,  -^  heisst  es  in  der  ersten 
Ausgabe  der  E  n  c  y  k  1  o  p  ä  d  i  e  ($.191.))  nachdem  vorher 
aur  die  bekannte  Weise  die  absolute  Methode  als  die 
mit  der  Totalität  des  Weltinhalts  schlechthin  zusammenfhi- 
lende ,  ihn  „in  der  Einheit  der  sich  sdbst  darin  wissenden 
Idee*  zusammenfassende ,  erwiesen  worden  war ,  —  „die 
spefrulaüve  Idee,  welche  ^o  für  sich  di^  Idee  ist,  ist 
damit  die  unendliche  Wir  kl  ich  keiK  —  Nach  dem  Bis- 
herigen kann  diess  nur  bedeuten,  da  zudem  liuf  die  „spe« 
k  n  1  a  1 1 V  e*  Idee  der  Nachdruck  gelegt  wird :  iin  Spekulativen 
gewinnt  die  absolute  Idee  ihren  eignen  Begriff,  und  indem 
sie  nun,  im  Rückblicke  auf  das  dui'chmessene  Wirkliche, 
sich  darin  wiedergefunden ,  kann  sie  (im  Philosophen) 
diei^s  zu  dem  Satze  zusammenfassen:  ich  bin  alles  Wirk- 
liche. Im  Philosophen  ist  sie  Person,  „das  unendliche 
Freie*,  geworden,  „die  absolute  Wahrheit  ihrer  selbst*, — 
sonst  nirgends. 

Gar  nicht  abzusehen  ist  aber,  wie  Hegel  sogleich  nun 
folgendergestalt  fortfahren  könne :  „In  dieser  absoluten 
Freiheit  geht  sie*  (die  Idee)  „nicht  nur  in's  Leben  über, 
noch  lässt  sie  als  endliches  Erkennen,  diess  nur  in 
sibh  scheinen*  (wo  man  nicht  weiss,  ob  das  „endliche* 
Erkennen  das  spekulative  miteinschliessen  oder  voh  sich 
ausschliessen  soll;  wenn  Letzteres  jedoch  nur  die  aus- 
driickliche  Meinung  des  Philosophen  sein  kann ,  so  wider- 
spricht diess  indess  der  hier  durchblickenden  weitem  Vor- 
aussetzung, welche  durch  den  Gegensatz  eines  „endlichen* 
Erkenhens  eingeleitet  werden  zu  sollen  scheint,  dass  ein 
absolutes  Erkennen  ganz  besonderer  Art,  nicht  im 
Philosophen,  sondern  ausserdem  noch,  als  ein  weltschöpfe- 
rischcs  Vermögen,  in  der  Idee  zuslaluiren  sei):  -—  „son- 
dern in  der  absohiten  Wahrheit  ihrer  selbst  entschliesst 


922  Versuchler  Uebei^ng  aus  der  Logik 

sie  sich ,  d$s  Moment  ihrer  Besondeilieit  oder  des  erskn 
Bestimmcns  und  Andersseins,  die  unmittelbare  Idee^ 
als  ihren  \Viderschein,  sich,  als  Natur,  frei  aus 
sich  zu  entlassen^.  —  Mit  diesem Butzend  übel  ver- 
bundener Worte  ist  die  Deduktion  der  Natur  vollbrackf;  — 
f&rwahr  ein  so  beredter  Lakonismus ,  als  es  je  eiaen  ge- 
geben I 

Von  der  verborgenen  Grundvoraussetzung  dabei  ist  obea 
schon  die  Rede  gewesen  :  die  „spekulative,  sich^  (im  Phife- 
sophen)  „selbst  erkennende^  Idee  ist  unter  der  Hand,  darcfa 
iigend  eine  zwischen  den  Zeilen  zu  suchende  Zauber- 
gewalt,  zur  vorweit  liehen  Objektivität  und  zu  einen 
hypostasirten  Analogen  von  Persönlichkeit  gelangt :  sie 
„entschliesst^  sich,  ihren  Selbsterkenntnissakl  zu  reali- 
siren  und  sich,  als  ihr  Anderes,  „frei  aus  sich  zo 
entlassen^.  —  Aber  damit  ist  noch  keinesweges  ge»^ 
geschehen.  Warum  ist  es  zimächst  nämlich  die  Natur, 
diese  negative  Aeusserlichkeit ,  zu  der  die  absolute  Idee 
sich  enlschliesst ?  Auch,  wie  man  sich  mit  dieser  Frage 
abgerunden,  verdient  nähere  Beleuchtung. 

£s  hat  sich  früher  gezeigt,  wie  der  (logische)  BegrilT 
„sich  besondert^  und  so,  als  wirklicher,  nur  das  concret 
Allgemeine,  das  Emzelne,  ist,  dless  aber,  als  die  volle  Ge^ 
genwart  des  Allgemeinen ,  welches  darum  jedoch  über 
diese  und  jede  Einzelnheit  hinausgeht.  So  ist  mithia 
der  conpret  allgemeine  BegrifT,  die  Idee,  am  Unmittel- 
barsten, als  die  Voraussetzung  ihrer  weitem  Selbstver- 
mittluBg,  die  abstrakte  Aeusserlichkeit,  die  Form  rni- 
endlicher  Einzeinbeiten,  — ^  wo  man  wenigstens  im  A%e- 
meinstpn  zu  entdecken  vermag ,  wie  diese  Aeusserlichkeit 
als  Haum  U9|d  Zeit  „angeschaut^  zu  werden  vermcige. 

Auf  diese  „Anschauung<^,  als  den  ursprunglichsteA 
Erkenntnissakt  der  absoluten  Idee,  wird  daher  auch  in  den 
befrcfienden  Paragraphen  (g.  244.)  der  zweiten  mi 
dritten  Ausgabe  der  Encyklopädie  der  Hauptnachdnui 
gelegt.  Die  Assertion,  dass  die  Idee  in  derNator  ao- 
schauend  sei,  —  von  einem  Beweise  dafür  ist  nichl 


in  die  Natarphilosophie.  923 

die  Rede,  kann  nicht  die  Rede  sein,  aus  gleich  aiiKttfiihrGn- 
den  Gründen  —  ist  das  in  der  neuen  Auflage  Hinsage^ 
komniene.  „Die  Idee,  welche  für  sich  ist,  nach  dieser 
ihrer  Einheit  mit  sich  betrachtet,  ist  Anschauen,  iisd 
die  anschauende  Idee  Natur.  Als  Anschauen  ist  aber  die 
Idee  in  einseitiger  Bestimmung  der  Unmittelbarheit 
oder  Negation  durch  äusscrliche  Reflexion  gesetzt^.  •-* 
Natürlich;  denn,  laut  empirisch-psychologischer 
Selbsterfahrung,  ist  das  Anschauen  nur  noch  das 
Unmittelbare^  nicht  in  sich  Reflektirte  des  Bewusstseitis ; 
—  man  könnte  es  die  Selbstentäusserung  des  Bewusstseins 
nennen ,  welche  es  eben  desshalb,  als  Vorbedingung  (niickt 
zeitlich ,  sondern  begriflflich)  seiner  Reflexion  in  sich,  sei« 
ncr  hohem  Bewusstseinsakte ,  ^oransznsetzen  hat. 

Diese  Genesis  des  Selbstbewusstseins  in 
uns,  welche  die  Psychologie  weiter  darzulegen  batlc^ 
wird  nun  vonHeg e  1^  in  jenen  halb  wieder  verschluck- 
ten Andeutungen  von  einem  Anschauen  oder  Selbstan^ 
schauen  der  Idee,  auf  die  weltschöpferiscbe  Idee 
übertragen:  sie  muss  sich  unmittelbar  ihrer  selbst 
entäussem,  bloss  «anschauende  Idee  — Natur^  sein,  damit 
sie  zur  Reflexion  iii  sich  selbst,  —  zum  Geiste,  werden 
könne,  was  der  Inhalt  des  weitem  Weltproceases  ist.  Sie 
kann  sich  jedoch  frei  „entschliessen^  zu  dieser  Selbstent«- 
äusserung,  mit  der  Sicherheit,  sich  darin  nicht  völlig  eiil^ 
fremdet  zu  werden  —  sie  ist  auch  hierth ,  tvie  es  in  der 
Logik  hiess  (S.  400.)  „ihrer  absolut  sicher  und 
in  sich  ruhend^  weil  sie  doch  an  sich  schon  der 
Begriff,  „ewiger  Geist^  ist,  die  sogleich  schon  Aber  jene 
sich  entSuflsernde  Unmittelbarkeit  „hinübergreifende  Sub» 
fekfivität«. 

Diess  Alles  wäre  nun,  auch  als  blosse  ¥  ersiehe* 
rung,  als  ein  frommer  Wunsch,  es  etwa  eiiimai  pbiloso«^ 
phisch  begründet  zu  sehen,  gar  nicht  abzuweisen  oderrdiese 
Ansicht  der  Lehre  zu  verkümmem ;  hätte  sich  ihir  Urheber 
dabei  nur  die  Hauptbedingung  enlsphieden  zum  Bewnsst* 
sein  gebracht ,   den  Begriff,   ohne  welchen  ein  solches 


924  Allgemeines  Rerältai  und  Endarfheil 

seltetenUliisserndes  Sichanschaveii  der  Idee  im  Andern  (sei 
es  der  Welt  überhaupt,  oder  allein  der  Natur)  vöUigr  sidb- 
los  ist    Nur  dem   persönlichen  Subjekte,    nicht 
dem  Neutrum  einer  unendlich  übergreifenden  ^^ubjek- 
tivität^,  lässt  sich  Selbstanschauung  zugestehen  ;    ist  sie 
hber  vollends  Selbstanschauung  im  Andern  und  im  an- 
endlich  Andern,  welches  sie  in  Einheit  zusammenz»- 
fassen  hat,  so  kann  sie  nur  absolutes  Subjekt,  abso- 
lutes Selbstbewusstsein  sein.    Und  Wer  die  Früchte  dieses 
hohen  BegriiTes  firndten  will,  niuss  es  auch  wagen,  sidi  mit 
Klarheit  für  ihn  zu  entscheiden,  aber  auch  allen  Schwierig- 
kSeilen   und  Konsequenzen  desselben  in*s  Auge  zu   sehen. 
Diess  aber  ist   das  Doppelsinnige  und  Unentschiedene,  ja, 
gestehen  wir  es  offen,  das  uns  Widermulhende  der  H  egel- 
sehen Lehre ,  dass  sie  zwar  es  nirgends  verschmäkt ,  jene 
Ihr  fehlende  Idee,   als  die  Im  Hintergrunde  liegende  Prä- 
misse, aufs  Beste  zu  benutzen ,  um  die  auflallendsten  Lü- 
cken ihres  Princips  auszufüllen,    ohne  jedoch  sie  als  ein 
nur  Vorausgesetztes  anzuerkennen,  noch  überhaupt  des 
eigenen,  im  ganzen  Principe  Kegenden,  spedfischen  Mangels 
Je  bewusst  geworden  zu  sein.    Selbst  in  den  „Zusätzen-, 
welche  die  EncyklopSdie  aus  Hegels  mündlichen  Vorlrä- 
gen  neuerdings  erhalten  hat,  bringt  der  hierüber  gegebene 
fleitrag  (Werke,  Bd.  YL  $.  344.  S.  414.)  das  AUerdürfUg- 
ste  und  Ungenügendste.    „Das ,   womit  wir  die  Logik  an- 
fingen, war  das  Sein,   das  abstrakte  Sein,  and  nunmehr 
haben  wir  die  Idee  als  Sein;    diese   seiende  Idee 
ist  aber  die  Natur^. 

Lasitt  uns  Hegel  daher  rathlos ,  —  nicht  über  seine 
Meinung,  sondern  über  die  Beweise  iur  dieselbe,  — 
so  müssen  wir  selbst ,  was  er  wirklich  dafür  geleistet,  ans 
dem  weitern  Zusammenhange  seiner  Logik  aufsuchen.  Da 
sind  denn  die  beiden  Grundpramissen  eben  nur  die  alten, 
schon  nachgewiesenen. 

Das  Absolute  zuerst  ist  das  concrel  Allgemeine,  die 
unendliche  Negativität,  sich  selbst  nur  das  Andere  seiner 
selbst  zu  sein  ,    darin  also   in    unendlicher  Rückkehr  uid 


aber  Hegeis  Logik.  9^6 

Iclentillt  mit  rioh  selbst  m  bleiben:  i^or  insofern  isl 
OS  ewige  Schöpfung,  ewige  Lebendigkeit  und  ewiger  Geist^ 
CE  n  c  y  kl.  S.  214.).  Es  jedoch  darum  als  den  absoluten  B  e- 
grriff,  oder,  in  der  Einheit  desselben  mit  der  OlyektiYitftty 
als  Idee,  als  Denken,  überhaupt  als  ewigen  Geist,  zu 
bezeichnen  in  eigentlicher  Bedeutung,  ist  hi^  lediglich  noeb 
eine  Assertion,  die  sich  auf  Späteres  gründen  muss. 
Sonst  hätte  mit  ganz  demselben  Rechte  schon  Sjpinasa^ 
der  das  wesentlioh  gleiche,  nur  dialektisch  nicht  m 
ausgebildete  Princip  anerkannte,  die  ewige,  in  nnendliehe 
Modifikationen  der  Ausdehnung  und  des  Denkens  sich  enU 
öossernde  Substanz,  den  ewigen  Begriff  oder  den  Geist  nen«* 
ncn  können.  Er  hat  es  unterlassen ,  im  Bewusstaein  der 
radikalen  Unangemessenheit  dieser  Bezeichnung;  aber  der 
wirkliche  Fortschritt ,  welchen  Hegel  jenem  Principe  ge^ 
geben ,  die  immanente  Negativität  und  unendliche  Lebe»» 
digkeit  dieses  Processes  nachzuweisen,  reicht  nicht  aus 
bis  zu  Bestimmungen  der  Intellektualität  in  ihm. 

Was  ist  es  daher  eigentlich,  wodurch  Hegel  seinem 
Absoluten  schon  in  der  Logik  jene  ihm  fremde  Steigerung 
geben  konnte?  Historisch  nur  die  Ueberliefbning  aus 
der  Schellingschen  Naturphilosophie,  wdcbe  die  Idea-* 
litat  der  Natur  auf  ganz  anderm  Gebiete,  imConereten, 
nachgewiesen  hatte.  Was  spekulativ  seine  Logik  hin- 
zugebracht hat,  ist  bloss  das  Weitere  (hier  die  zweite 
Voraussetzung  für  den  Schluss  derselben  und  ihren  Ueber.» 
gang  in  die  Naturphilosophie):  dass  es  ein  spekulatives 
Erkennen  der  gesammten  Objektivität,  des  Universums  giobi, 
worin  sich  dasselbe  als  ein  schlechthin  Gedankenmassiges, 
Vernünftiges,  worin  sich  die  Immanenz  der  Idee  in  ihm 
faktisch  bewährt.  Das  Universum  ist  dem  Erkennen  schlecht^ 
hin  zugebildet;  denn  es  wird  erkannt  in  der  Wissen« 
Schaft ,  am  Universalsten  in  der  Philosophie. 

Hieraus  geht  nun  der  (in  seiner  Ausdröcklichkeit  übri- 
gens verschwiegene,  nur  als  dunkle  Prämisse  durchwal-« 
tende)  Rückschluss  hervor ,  ---  wir  selbst  haben  ihn  oben 
schon,  wiewohl  in  anderm  Zusammenhange  und  für  andere 


936  Allgemeines  Residtal  and  Endortheil 

Gellutig,  eum  Bewnsstsein  gehncdii :  —  weil  die  Objektiv 
▼itdl  siek  erkennen  lasst,  weil  sie  durchdrungen  ist 
von  absoluter  Inieliigibita  t,  so  ist  auck  ein  In- 
telligiren ,  Donken ,  der  „BegrilP'  oder  die  «Idee^  als  der 
wahrhartc  schöpferischeGrund  derselben  an^- 
nMiehen.  Auf  diesem  einfachen  Gedanken  Uegl  die  gimze 
Wucht  jener  durch  die  Logik  ausgespoanenen  Grundan- 
nakme,  dass  das  Absohite  nicht  bloss  das  concret  Allge- 
meine ,  die  unendliche  Negativitat  steten  Selbsterzeagens 
wd  Selbslaufliebens  (alles  Diess  würde  nämlich  noch  nicht 
zu  geistigen  Prädikaten  desselben  berechtigen),  sondern 
darin  als  der  intellektuelle  Process  eines  Selbstansckauens 
und  Solbsterkennens  vorauszusetzen  seL  Das  wahrhaft 
ungeschickt  zu  Nennende  aber  im  Plane  der  Logik 
bleibt  imnier  das  dabei,  dass  die  ^spekulative  Idee% 
aus  der  alle  diese  Konsequenzen  hervorgezogen  werden, 
erst  gimz  am  Ende  auilritt,  wodurch  die  vorausgehenden 
Prädikate  des  Absohiten ,  als  des  Begriffes,  als  der 
Idee,  als  der  ubergreiienden  Subjektivität  und  des  Gei- 
stes —  (wie  nämlich  die  vermeintliche  ^dialektische^  De- 
dnktion  derselben  im  Einzehien  beschaffeil  sei,  haben  wir 
schon  gezeigt)  —  zu  blossen  Anlicipationen  werden, 
indem  man  uns  damit  auf  diess  spätere  Ergebniss  vertrö- 
stet, ohne  es  jedoch  auch  darin  zur  Klarheit  und  Ausdruck- 
lichkeit  der  Beweisiuhrung  aus  ihm  zu  bringen;  selbst 
vorausgesetzt,  dass  ein  solcher  Beweis  aus  dem  Faktum 
zur  vollständigen  Begründung  eines  allgemein  qmkulativen 
Princips  irgend  hinreichen  könnte. 

Nach  allen  bisherigen  Nacbweisungen  geschieht  daher 
der  Hegel  sehen  Logik  lediglich  ihr  Recht ,  wenn  wir  sie 
in  allen  Gestalten,  unter  denen  sie  Hegel  vorgeführt  hat, 
ihrem  ganzen  Plane  und  Zusammenhange  nach,  wie  naher 
nach  Ausgang  und  Anfang,  für  verfehlt  erklären  mfis» 
sen ,  in  specieUerem  Sinne  aber  sie  iur  völlig  ungenügend 
erachten,  das  Princip  zu  begründen,  welches  Hegel  sei- 
ner Weltansicht  zu  Grunde  gelegt  hat.  Man  müsste  jedoch 
Bedenken   tragen ,   die    Beleuchtung    so  grosser    Gebre-* 


aber  Hegels  Logik.  927 

chen  ,  gerafde  an  den  Hauptponhten  des  ^temes ,  iit  den 
Annalen  der  Spekulation  niederzulegen ,  wären  sie  nicht 
völlig  erwiesene,  nicht  auszn  tilgen  de,  unwiedernifliche,  und 
fanden  sie  nicht  -^  was  ihre  spekulative  Wichtigkeit  aus-< 
macht ,  —  ebenso  nach  ihrem  Entstehen ,  wie  nach  deni 
Bestreben  ihres  Urhebers,  sie  sich  zu  verbergen,  ihre  voli'^ 
kommene  Erklärung  im  ganzen  Standpunkte, —  einem  Ue-* 
bergangs Standpunkte,  -—  welchen  Hegel  halb  gewalt- 
sam iur  sich  selbst  zu  befestigen  suchte. 

Der  Idealismus,   in   dessen  Besitz  Hegel   durch  das 
S  c  h  e  1 1  i  n  g  sehe  Vermächtniss   kam  ,    drängte  ihn  dahih^ 
wenn   er  sein   Princip  nicht  nur  realistisch   durchführen, 
sondern  es  allgemein  metaphysisch  begründen  wollte,  — 
was   er  sogleich   als   die  eigenthümliche  Aufgabe   seines 
Philosophirens  gefasst  hatte,  r—  denselben  üebergang,  wel- 
chen wir  Seh  ein  ng  in  der  letzten  Epoche  seiner  Werke 
gewinnen  sehen,  schon  in  der  Logik  klar  und  unzweideu- 
lig  herauszustellen.    Das  Pan-Ideelle,  die  allem  Wirk- 
lichen innewohnende  Vernunft ,   und  so  der  Begriff  dieser 
Immanenz,  ist  kein  Letztes,  sie  ist  nicht  das  Absolute, 
sondern   nur    (in  welchem    nähern  Sinne   auch  gedacht) 
Folge  des  Absoluten.    Diess  ergab  sich  uns  schon  bei 
S  c  h  e  1 1  i  n  g ;  wir  sahen  dort  zugleich ,  wie  dieser  in  den 
Werken  seiner  mittlem  Epoche ,  im  „Bruno^,  in  ^Philoso- 
phie und  Religion^'  und  sonst,  bedacht  war ,  diesen  reali- 
sirenden  Schöpftingsakt  des  Ideellen,  a  I  s  solchen ,  begreif- 
lich zu  machen:  überhaupt  als  Selbsterkenntnissakt  des  ab- 
soluten Subjekts,  näher  als  ein  realisirendes Hinschauen 
der  Ideen ,   im  Gegensatze  mit  der  bloss  ideellen  That 
eines  Denkens  derselben.     Und  reafisUscb  hatte  S  c  h  e  I- 
ling  dieser  ganzen  Auffassungsweise  schon  vorgearbeitet: 
er  hatte   das  Universum  das   unendliche  „Anschauen^^  der 
absoluten  Identität,  die  Schwere  das  äusserliche,  das  Licht 
das  innere  Anschauen ,  die  Existenz  des  Ideellen  in  der 
Natur,  genannt,  beide  jedoch  unter  dem  Uebergewichlc  des 
Realen  stehend. 

Darüber  hinaus  ist  nun  Hegel   in  seiner  Logik  kei- 


•928  Endurtheil  fiber  OegeU  Logik. 

nesw^es  gelangt,  ja,  metapbysiach  beurUieilt ,  ki«ai 
bis  dahin.  Auch  ihm  ist  das  ^unendlicbe  Sichandefswer- 
den'*  des  Absoluten  zur  Welt  (—  diess  ist  die  etgentlicbe 
logische  Kategorie,  die  er  für  den  Begriff  der  Sdiöpüng 
baO  dem  Principe  nach  ein  Selbsterkenntnissakt  der  absofaiteB 
^Idee^;  —  die  Natur  ist  „anschauende  Idee",  und  so  würde 
es  amletzt  auch  bei  ihm ,  mit  einer  etwas  nachsichtigen 
Interpretation ,  sich  zum  Zugestandnisse  eines  »absolateo 
Geistes^  und  einer  göttlichen  Persönlichkeit  bringen  bis- 
sen *y^  wenn  jene  Bestimmungen  insgesammt  nur  mehr 
wären,  als  blosse  Versicherungen,  Anticipationen,  ja  Ent- 
lehn u  n  g  e  n  aus  der  genialen  I^turanschauun^  seines  Vor* 
gingers:  den  Kategorieen  der  Logik  sind  sie  fremde  ond 
aufgenöthigte,  specifisch  ihnen  entgegengesetzt,  und  diese 
gewinnen  erst  ihre  volle  Klarheit  wieder,  wenn  man  diess 
fremde  Element  von  ihnen  ausstösst  **). 

Dem  ungeachtet  hat  es  nun  dennoch  im  Systeme  Hatz 
gefunden,  und  ist  —  leicht  erklärlich  —  manchem  Anhin- 
ger das  Wichtigste  geworden ,  weil  es  das  Räthseihaflo, 
Paradoxe ,  die  weitere  Forschung  Spornende  ist.  Daher 
nun  der  Doppelsinn  des  Systemes,  die  Möglichkeit,  dass  sich 
eine  rechte  und  linke  Seite  den  Deutenden  hal  bilden  kön- 
nen, von  denen  die  Letztem  ohne  Zweifel  allein  Recht  ha- 
ben^ wenn  es  auf  eigentliches  Verstandniss  und  auf  Durch- 
führung desPrincips  ankommt,  während  die  Ersten  doch 
unstreitig  die  tiefem  und  selbststandigern  Köpfe  sind.  Die 
Logik  ist  selbst  nämlich  in  die  Schwebe  gestellt :  sie  blickt 
hinüber  in  ein  Reich  concreter  Begriffe,  anttcipfrt  diese 
gelegentlich  zu  eigenen  Zwecken,  ist  aber  durch  ihre  Me- 
thode und  ihren  eigentlichen  Bereich  generisch  von  ihnen 
geschieden«  Dass  diess  auch  durch  die  beiden  folgenden 
Theiie  des  Systemes  nicht  anders  geworden,  ist  noch  kttn' 
lieh  zu  zeigen. 


*)  Dazu  die  Stelle  in  der  „Logik<f  (Bd.  IL  S.  296.  alte  Aug.)» 

welche  man'  darauf  gedeutet  hat» 
**)  Vgl.  „zur spek. Theologie"  Zei  t seh  rifl  Bd.  V.H.  1.  S.104-9. 


Hegels  Naturphilosophie.  929 

Der  Naturphilosophie  Hegels  so  in*s Einzelne 
zu  folgen,  wie  diess  mit  der  Logik  geschehen,  wäre  nicht 
bloss  überflüssig  für  den  Zweck  der  gegenwärtigen  Schrift, 
die  nur   eine  Kritik   der  Principien  enthält ,  sondern  auch 
unthunlich  für  uns.     Es  ist  unsere  Maxime ,  bei  Werken, 
deren  allgemeines  Princip  wir  für  wahr  und  berechtigt  Bai. 
len,  deren  relativen  Hangel  wir  jedoch  behaupten  müssen, 
wo  es  also  auf  die  positive  Ausführung  desselben  ankommt» 
uns  auf  eigene  Leistungen   zu  berufen  und  diese  zur  Un<- 
terlage  der  Kritik  zu  nehmen.    Diess  vermochten  wir,  im 
Allgemeinen  wenigstens,  bei  der  Phänomenologie  des  Gei- 
stes, und  speciell  bei  der  Logik  konnte  die  in  der  Ontolo« 
gie  gegebene  Ausführung  der  metaphysischen  Probleme  erst 
die  volle  Rechtfertigung  unserer  Kritik  derselben  überneh- 
men.   Ein    eigenes  System   der  Naturphilosophie  aulstellen 
zu  können,  ist  uns  bis  jetzt  noch  nicht  beschieden  wor- 
den ;    auch  hallen  wir ,  allgemein  gesagt ,  eine  glückliche 
Lösung  dieser  ganzen  Aufgabe  noch  iur  unzeitig ,    ebenso 
wie  ein  System  des  geistigen  Universums,  eine  Philosophie 
der  Geschichte,  mit  Anspnich  auf  erschöpfende  Durchfüh- 
rung.   Denn  ebenso,  wie  die  frühesten  Anßnge  der  Hen- 
schengcschichte  noch   in  Dunkel  gehüllt  liegen,  das  sich 
erst  allmählig  durch  sehr  umfassende  und  reich  combinirte 
spekulative  und  historische  Forschungen  erhellen  lässt,   in 
ganz  gleichem  Verhältnisse   sind  die   tiefsten  Gründe  der 
Natur,  spekulativ  und  für  die  Beobachtung,  das  Schwierig- 
ste und  Entlegenste ;   in  Beidem  liegt  aber  dii^  eigentliche 
Bedeutung ,   der   „BegriiF  der  Natur  und  der  Geschichte, 
wenn  auf  die  spekulative  Ergründung  von  Anfang  Alles 
ankommt    Ebenso  hat  sich  das  unendliche  Detail  derNa- 
lurbeobachtungen  noch  viel  zu  wenig  gesichtet  und  in  be- 
währte Grundbegriffe  zusammengefasst,  um  die  „immanente 
Dialektik«'  des  Natnrzusammenhanges,  die  objektive  Stufen- 
folge der  Naturdinge   ohne  Lücke  gedankenmässig  wieder 
aufzubauen. 

Abgesehen  von  den  früher    gemachten  Bemerkungen 
(S.  874—76.)    über  die  iur    eine   Naturphilosophie 

59 


930  Begriff  der  Natur. 

unsers  Erachtens  falsche  Stellung  von  Raum  und  Zeit,  ist 
der  Grundbegriff  der  Natur,  dass  sie  der  unaufgelöste 
Widerspruch  ($.  248.)  sei,  das  zuerst  zu  Beachtes- 
de  ^).  Widerspruch  könnte  hier  abermals  in  dem  laxe- 
ren Sinne  gebraucht  scheinen ,  dass  es  zugleich  aocii  Ge- 
gensatz,  Anderssein ,  Unterschied  fibcrhaupt  bedeute.  Die 
Natur  ist  die  absolute  Idee  in  der  Form  des  Ausser- 
Sichseins.  Diess  lässt  sich  voh  der  Logik  her  näher 
verstehen :  die  obsolute  Idee  ist  System,  geschlossen 
Einheit ,  von  Ideen ;  in  ihrer  Existenz  als  Natur ,  hat  sie 
diese  Ideen,  als  selbststandige  Dinge  neben  eiaander  aus- 
gebreitet,  „hingeschaut^.  Dieser  Schellingscke 
Begriff ,  wenn  auch  nicht  ausgesprochen ,  bleibt  im  Hin- 
tergründe. 

In  dieser  Aeusserlichkeit  haben  die  Begriffsbestimmini- 
gen  den  Schein  eines  gleichgültigen  Bestehens  und  der 
Vereinzelung  gegen  einander;  der  Begriff  ist  desswegen 
als  Innerliches.  Die  Natur  zeigt  keine  Freiheit^  nur  Not  b- 
wendigkeit  und  Zufälligkeit.  Wie  die  Idee  daher 
ist  in  der  Natur,  entspricht  ihr  Sein  ihrem  Begriffe  nicht; 
sie  ist  vielmehr  der  unaufgelöste  Widerspruch  ;  —  die 
Unangemessenheit  ihrer  selbst  gegen  sich.  —  Der 
Widerspruch  der  Idee  aber,  indem  sie  sich  selbst  in  der 
Natur  änsserlich  ist,  ist  naher  „der  Widerspruch  der  einer- 
seits durch  den  Begriff  erzeugten  Nothwendigkeit  ih- 
rer Gebilde  und  deren  in  der  organischen  Totalität^  (der 
ganzen  Natur)  „vernünftigen  Bestimmung,  —  und  anderer- 
seits deren  gleichgültigen  Zufälligkeit  und  un- 
bestimmbaren Regellosigkeit^.  Das  Zufallige  an 
den  Naturdingen  ist  nämlich  eine  ^Henge  von  Eigenschtt- 


*)  Diess  ist  auch  die  früheste  Schellingsehe  Bestlmoitmg  vm 
der  Natur:  es  ist  der  ,, Widerspruch*'  des  absoluiea  Subjekt- 
Objekts  in  seiner  Unmittelbarkeit,  als  Natur ,  noch  aicfat  dai 
Ideelle  zu  sein.  Später  hat  Schelling  diese  BestimaiaBi 
aufgegeben.     Vgl.  oben  S.  599—600. 


Begriff  der  Natan  931 

len^,  (]io  in  Bezug  auf  ihren  BegriiT,  ^die  fär  sich  seiende 
Subjektivität^^,  gleichgültig  «ind,  in  deii^  daher  ihr  Begriff 
g^ar  nicht  oder  nur  schwach  und  dämpieirnd  wiedererkannt 
zu  werden  vermag,   in  denen  sie  diese  daher  ^äusser- 
l  icher,    somit    zufälliger  Bestimmung   über- 
1  ä  s  s  t^.  —  Darin  besteht  die  „Ohnmacht^  der  Natur^  dilp 
Begriffsbestimmungen  nur  abstrakt  zu  erbaltqn  und  die 
Ausführung  desBesondem  äusserer  Bestimmbairkeit  aus- 
zusetzen ;  in  jener  liegt  zugleich  die  Schwiqrigkeit  und  in 
vielen  Kreisen  die  Unmöglichkeit,  aus  der  empirischen  Be- 
trachtung feste  Unterschiede  für  Klassen  und  Ordnungen  zu 
finden.   Die  Natur  vermischt  allenthalben  die  we- 
sentlichen Gränzen  durch  mittlere  und  schlechte  Ge- 
bilde ;  eben  dahin    sind   die  Missgeburten ,  Missibildungcn 
aller  Art   za  rechnen  u.  dgK    ($.  247—250.    S.  227.  28. 
230-33.). 

In  diesem  Begriffe  der  Natur,  von  allem  Weitern  ab^ 
gesehen ,  finden  wir  zunächst  sogleich  jenes  Zufällige  und 
Rege.Uose ,  das  Hegel  als  die  Eine  Seite  des  iu  ihr  „un- 
aufgelösten  Widerspruches^  bezeichnet,    weder  dialektisch 
abgeleitet,  noch  auch  nur  formell  mit  der  andern  Seite, 
der  Nothwcndigkeit  in  derselben,  in  Verbindung  gebracht. 
Die  Nothwendigkeit  der  Natur  hat  Hegel,  —  wenn  auch 
nicht  in  ausführlicher  Behandlung ,    doch    deutlich   genug, 
um  seiner  Meinung  gewiss  zu  sein,  —  auf  das  Tiefste  und 
Wesentlichste   gefasst      £s   ist   die  Nothwendigkeit 
des  Zweckes,   die  sich  in  ihr  realisirt.    Die  vereinzelt 
Buseinandertretenden,  den  „Schein  eines  gleichgültigen  Für* 
sichbestehens<<    tragenden  Naturdinge  haben  in  der  ausser 
ihnen  liegenden   und  doch    durch  sie   hindurchwirkenden 
Einheit  des  Zweckes  ihre  Nothwendigkeit,  Schranke,  Be- 
dingung.   Es  ist  mit  Einem  Worte  der  höchst  bedeutungs- 
volle Begriff  der  Endursache,   welche  sich  im  Univer- 
sum, in  einem  Systeme  sich  steigernder ,  aber  auf  die  in- 
nere Einheit  des  absoluten  Zwecks  bezogener  Zweck-  und 
Millelreihen,  realisirt,  und  deren  von  Hegel  verabsäumte 
Dialektik  unserer  Ontotogie  die  abweichende  Richtung  von 


932  Nothwendigkett  und  Zufälligkeit 

der  Heg  et  sehen  Logik  gtebt  und  einen  fiber  sie  hinaus- 
liegenden  Begriff  des  Absoluten  vorbereitet. 

Aber  Hegel  irrt,   wenn   er  diese  Notwendigkeit 
nur  auf  die  Natur   eingeschränkt  wissen,   oder    ftr    den 
^nicht   aurgeldsten  Widerspruch«^    in   derselben  ausgeben 
will.    Nicht  nur  die  bewusstlosen  Naturdinge,  sondern  das 
geistige  Universum  der  freien  Individualisten  ist   dieser 
Nothwendigkeit  des  absoluten  Zweckes  ebenso  unterwcMfen, 
wie  sich   in  Bezug   auf  letztere  an  das  bekannte ,    dahin 
einschlagende  Problem :  die   individuelle  Freiheit  mit  der 
Nothwendigkeit   des   Weltplanes  auszugleichen ,    erinnern 
lisst ;  —  und  wenn  der  Begriff  des  höchsten ,    absoluten 
Endzwecks   nur  innerhalb  ihrer  reaMsirt  werdeii  kann,  so 
leuchtet  daraus  ebenso    sehr  einerseits  die  Nöthigmig  her- 
vor, auch  in  ihnen  und  ihrer  relativen  Freiheit  die  Grund- 
lage eines  ihnen  immanenten  Nothwendigen  anzunehmen, 
wie  andrerseits  doch  auch  die  Aufgabe ,  ein  diesem  Ver- 
hältnisse gewachsenes  Absolutes  denken   zu  mässen 
sich  föhlbar  macht  (vgl.  Ontotogie,   §.  290—93.    be- 
sonders S.  509.  ff.).    Und   diess   eben  sind  die  Lücken, 
welche  das  Hegel  sehe  System  auch  von  dieser  Seite,  im 
Begriffe   der  Natur ,   übrig  gelassen   hat :    sie  hangen    auf 
das  Innigste,  wie  man  sieht ,  mit  den  früher  nachgewiese- 
nen zusammen. 

Aber  die  Zufälligkeit  und  unbestimmte  Regeltosigfceit 
in  der  Natur  ($.  250.)  ,  das  ungebundene  Spiel  der  For- 
men, die  Willkuhr  der  unbestimmten  Uefbergänge  und  Miss- 
bildungen, überhaupt  die  ^Ohnmacht^^  der  Natur,  wodurch 
ihren  Gebilden  ihr  Begriff  nur  abstrakt  erhalten  wird, 
d.  h.  ein  bloss  ihnen  äusscrilcher  bleibt,  —  existirt  sie  denn 
in  solcher  Weise  ?  Hierüber  kann  jedoch  angeführt  wer- 
den, dass  die  ganze  neuere  Naturforschung  und  nament- 
lich die  Biologie  zu  gerade  entgegengesetzten  Resultaten 
gekommen  ist.  Namentlich  die  letztere  legt  in  jenem  „un- 
gebundenen Spiele«  der  Gattungen  und  Arten  das  tiefste 
und  sinnvollste  System  von  Uebergängen  dar,  worin  kein 
organisches  Moment  übersprungen  wird,  und  wo  die  Em- 


in  der  Natur.  933 

phrie  selber  sich  durch  ihre  ausgeführten  Analogieen  211 
dem  Range  eines  apriorischen  Wissens  aufgeschwungen 
hat,  in  diesem  Systeme  gewisse  Thier-  und  Pflanzenformen 
als  noihwendige  zu  fordern,  bis  sich  etwa  in  den 
untergegangenen  Geschlechtem  der  Vorwelt  dieselben  wirk- 
liSh  finden,  und  jene  Lücken  ausgefüllt  werden. 

Welche  grosse  Bedeutung  ferner  die  Missbildungen  in 
der  organischen  Natur  filr  die  vergtoidbende  Physiologie 
erhalten  haben ,  darf  Keinem  unbekannt  sein ,  der  sie  als 
Instanzen  gegen  die  Begrifismissigkeit  der  Natur  anführen 
will.  Im  Gegentheil  dienen  sie  zu  zeigen ,  mit  welcher 
Kraft  und  Hartnäckigkeit  der  ^Begriil^,  die  plastische 
Seele,  welche  in  jedem  organischen  Gebilde  die  Gat- 
tungsallgemeinheit zugleich  auf  eine  individuelle,  ei- 
genthumliche  Weise  durchfuhrt  und  darstellt ,  auch  unter 
den  widerstrebendsten  Mitteln  und  ungünstigsten  Bedingun- 
gen das  ihr  möglichst  Homogene  mit  sinnreich  bewusstlo- 
ser  Weisheit  herauszubilden  vermöge :  das  Anomale  der 
Natur  zeigt  gerade,  wie  stark  und  mächtig  der  i^Begrifi^  in 
ABem  »gegenwärtig^  sei. 

Aber  ganz  unverkennbar  hängt  die  Bedeutung,  welche 
Hegel  überhaupt  dem  Zufalle  in  seinem  Systeme  ein- 
räumt, —  denn  auch  im  geistigen  Universum,  in  der  Weltge- 
schichte kehrt  ihm  derselbe  zurück,  und  diejenigen  Völker- 
geister und  Individuen,  welche  nicht  die  Träger  des  Welt- 
geistes zu  sein  vermögen ,  oder  an  denen  dieser  weitge- 
schichtliche Process  sich  schon  durchgesetzt  hat,  werden 
jener  AeusserUdikeit  des  Zufalls  überlassen:  ihr  Treiben 
und  Geschick  ist  ein  dem  WeKgeiste  fremdes ,  gleichgülti- 
ges ,  mithin  zufälliges ;  sie  sind  zu  der  Bedeutung  der  be- 
grifflosen Naturexistenzen  herabgesetzt  *> :  —  diese  Be- 
deutung des  Zufalls  im  Hegeischen  Systeme  hängt  mit 
cinent  tiefern  Gebrechen  im  Principe  zusammen ,  welches 
schon  früher  zur  Sprache  kam.  Der  Moment  des  Concre- 


*)  Hegels  Becbispbilosophie,  $.  340.  45.  47.  4a 


934  Nothwcndigkcil  und  Zufälligkeit 

ten :  das  InAviduelle  in  der  Natur ,  das  Persönliche  in 
Geistigen ,  hat  an  sich  selbst  keine  Dauer  und  keinen  Be- 
stand,  mithin  auch  keine  Wahrheit;  es  ist  nnr  Moraeel 
des  Allgemeinen,  dazu  da,  um  aufgehoben  zu  werden.  Sa 
kommen  ihm  auch  keine  selbstständigen,  individnalisi- 
renden  Geslaitongskräile  zu;  was  also  in  ihm  hinan^egt 
über  jenen  Allgemeinbegriff  und  die  ebenso  allgemetne 
Nothwendigkeit  seiner  Momente,  ist  gesetzlos,  nnberecheii- 
bar,  zufällig.  Nur  das  absoM  Begriffs-,  d.  h.  Regci- 
tnässige  sollte  sein,  oder  vielmehr  nur  diess  ist  wahrhaA; 
denn  das  ^Zußillige^' ,  gegen  den  Begriff  Gleichgültige ,  ist 
hiermit  auoh  als  das  Unvernünftige,  Nichtwirk. 
liehe  zu  setzen. 

Dadurch  Ueibl  indess  im  metaphysischen  Prii- 
cipe  der  ganzen  Weltansicht  eine  Lücke  zurück,    weicke 
allein  schon  zeigt,  dass  es  für  sich  unzureichend  sei  n  emer 
wahrhaft  objektiven  Welterklärung.    Sei  nämlich  jenes  In- 
dividuelle an  den  Dingen   immerhin  vemonfUos,  zufällig 
und  durchaus  ohne  Bedeutung;  so  halte  das  System  nickt 
minder  doch  zu  erklären ,   w  i  e  es  überhaupt  nur  zu  exi- 
stiren,  in*s  Dasein  zu  gelangen  vermöge.    Ist  alles  Schöpfe- 
rische, der  ganze  Grund  der  Objektivität,  nur  der  sick 
selbst    reaiisirende    absolute    Begriff;     so     bleibt    es 
schlechterdings  unerklärbar,  ja  widersprcs 
chend,  dass  ein  so  Zufälliges,  dem  Begriffe 
Entfremdetes,    überhaupt   zu   existiren   ver- 
möge: es  kann  nicht  sein,  weil  es  nicht  aus  dem  (vor- 
aussützlicfaen)  absoluten  Grunde  alles  Daseins  ist  —  Moss 
aber,  gleichwie  Hegel  es  thut,  zugegeben  werden,  dass, 
wie  er  es  liennt,   „"Zufälliges«  in  der  Natur ,  wie  in 
der  Geschidite,  zum  Dasein  komme,  d.  h.  solches,was 
er  aus  S0in€n  Weltprinoipien  nicht  erklären 
kann:   so  gilt  der  entg€^ngesetzte  Schluss;    HegftI  ist 
damit  faktisch,  durch  diese  negative  That  des  Ni<Aler- 
klärenkönnens ,  der  Hangelhafligkeit ,  der  „Ohnmacht'  sei- 
ner Principien  geständig  geworden.   —    Zufall  in  diesen 
(metaphysischen)  Sinne  nämlich  ist  völlig  gleich  der  Grund- 


in  der  Natur.  935 

I  osigkeit,  d.  h.  dem  Nichtwissen  des  Grundes;  und 
^vie  weit  ein  spekulatives  System  jenen  zugesteht,  was  viel- 
mehr ein  Einräumen  des  letztern,  des  Nichtwissens, 
grleichkommt ,  so  weit  hat  es  sich  als  unzulänglich  aufge- 
w^iesen  und  selbst  widerlegt  *}. 

Noch  einmal  also:  die  Natur  ist  die  absolute  Un- 
a  ngemessenheit  der  Idee  für  sich  selbst,  der  unauf- 
l^elöste  Widerspruch,  ihr  Abfall  von  sich;  —  und  den- 
noch ist  sie  das  Unmittelbare,  Yorausgegebene ,  ja,  trotz 
aller  jener  verneinenden  Bestimmungen,  das  nothwendig 
Yorausgegebene ,  damit  sich  die  eigentliche  Wahrheit  der 
Idee,  die  Seele  und  der  Geist,  daraus  entwickeln   könne« 
Hier  bleibt  jedoch  eine  Reihe  von  Fragen  zurück,  hinter 
denen  das  Spekulative  erst  beginnt    Hegel  ist,  mit  der- 
gleichen Erklärungen   über   das  Yerhältniss   der  Idee  zur 
Natur,  über  das  lediglichF aktische  nicht  hinausgekom- 
men, wobei  an  die  entsprechende  Lücke  und  das  dialek- 
tisch gänzlich  Ungenügende  der  Deduktion  der  Natur  am 
Schlüsse  der  Logik  wieder  erinnert  werden  muss. 

Jener  ganzen  Auffassung  liegen  nämlich  bewusstlos 


^  Auch  hierüber  muss  an  die  zusammenhaogende  metaphysische 
Dialektik  verwiesen  werden  (Ontologle  $.  176—181.)»  wo 
der  Begriff  der  Zufälligkeit  in  jeder  seiner  drei  Bedeutungen 
sich  widerlegt  und  in  den  BegrifF  der  Nothwendigkeit  auf- 
hebt. Aber  auch  das  Deterministische,  die  Nothwendigkeit^ 
ist  in  keinem  Sinne  das  Höchste  nnd  Absolute,  «-  was  in 
den  Kategorieen  der  Nothwendigkeit  nachzuweisen  ist 
(a.  a.  O.  $.  191 — 202.),  —  sondern  der  Begriff -der  Selbsthe- 
Stimmung  jeglichen  Wesens  —  jeder  Urposition  —  aus  sich 
selbst,  worin  diess  seine  Bestimmtheit  oder  innere  Noth» 
wendigkeit,  zugleich  daher  das  bewasste  Wesen  die  Wur- 
zel seiner  Freiheit  hat  (§.  199 — 201).  üeberhaupt  muss  da- 
her an  Hegels  System  ebensowohl  der  Begriff  des  Zufalls, 
als  der  der  Nothwendigkeit  widerlegt ,  oder  gesteigert  wer- 
den. Wie  beide  aber  in  seinem  Systeme  aufs  Innigste  zu« 
sainmenhangen ,  darOber  Tgl.  Ontotogie  J.  180.  Aomerk. 
S.  308.  ff. 


936      Die  Natur,  als  der  unaufgeloste  Widersqpruch 

folgende  Prämissen  zu  Grunde:  die  Natur,  das  raum--aseil- 
liche  Dasein  in  seiner  ausserlichen  Unendlichkeit,  ist  g^e- 
gebe  n ;  ebenso  faliUsch  ist  es  aber,  dass  der  Gpist,  das  indi- 
viduelle Bewusstsein,  nur  unter  sinnlichen  Naturbedingungen 
sich  verwirklichen  ,  in  organischer  Körperlichkeit  exislir^i 
kann.  Nun  ist  aber,  laut  obiger  logischer  Beweise,  der 
absolute  Begriff  der  alleinige  Grund  alles  Objektiven ;  ist  fer- 
ner in  der  Natur  so  vieles  Begriiflose,  ja  Begriffswidrige  an- 
zuerkennen, so  kann  diese  nur  als  die  dem  Begriffe  schiecht« 
hin  unangemessene  Existenz,  aber,  da  sich  faktisch  aus  ihr 
der  individuelle  Geist  erhebt ,  doch  nur  als  die  „n  o  t  h- 
wendige^  Bedingung  jenes  höhern ,  dem  Begriffe  ange- 
messenem Daseins  angesehen  werden. 

Wir  können  nicht  umbin ,  diese  ganze  Argumentation 
iür  seicht  und  nach  allen  Seiten  hin  ungenügend  zu  er- 
klären :  Nicht  so ,  durch  blosses  Einreihen  des  Faktischen 
in  die  Nothwendigkeit  des  Begriffes,  kann  ein  melaphysi- 
•  sches  Problem  ,  —  ein  „unaufgelöster  Widerspruch** ,  — 
seine  Erledigung  erhalten ;  es  ist  eben  die  hier  zu  lö- 
sende Frage:  warum  der  (mdividueile)  Geist  einer 
solchen  Vermittlung  bedürfe,  wie  sie  faktisch  vorliegt, 
warum  zu  seiner  Verwirklichung  ein  so  ungeheuerer  Ap- 
parat bewusstloser  Naturstufen  nothwendig  sei?  Hegel 
hat  das  Problem  gestellt ,  nicht  gelöst. 

Ebenso  behauptet  er  zufolge  derselben,  aus  dem  Fak- 
tischen sogleich  in   die  Begriffsnothwendigkeit  sich    eriie- 
benden  Begriffswendung:    die  Natur  ist   die   unmittelbare, 
jedoch  die  ihr  unangemessene,  ihr  selber  widersprechende 
Existenz  der  absoluten  Idee.    Aber  wie  seltsam,  hier  sich 
die  Frage  gar  nicht  beigehen  zu  lassen,  oder  kein  Beden- 
ken darin  zu  finden :  wie  die  absolute  Idee  zu  dieser  wi. 
derspruchsvoUen  Existenz  gekommen  sein  möge,  noch  dazu, 
wenn  sie  ihre  Unmittelbarkeit  sein  soll?    Was  wäre  auch 
sonst  diess  für  ein  räthselhalles  Dasein  der  Idee,  eine  Un- 
mittelbarkeit derselben,  die  dennoch  zugleich  mit  dem  Wi- 
derspruche gegen  sich  selbst,  gegen  die  Wahrheit  des  ei- 
genen Begriffes ,   zu  kämpfen  hat  ?    Ueberhaiqit  ist  es  die 


der  absoluten  Idee.  937 

liftrleslc^  paradoxeste  Auffassung  der  Natur,  sowohl  an  sieb, 
wie  im  VerhaUntsse  zum  ganzen  Systeme,  mit  welcher  sich 
je  weht  eine  Philosophie  hat  genflgen  lassen. 

£s  soll  nämlich  das  Absolute,  die  „absolute  Idee^ 
sein  9  die  in  der  Natur  mit  einem  ihm  fremden  Elemente^ 
mit  dem  Widerspruche  gegen  rieh,  behanet  ist.  Eine  sol- 
che Bestimmung  sohlicsst  jedoch  den  Begriff  des  Ab- 
soluten gerade  aus.  Ist  die  Natur  in  der  That  die  Un- 
mittelbarkeit eines  unaufgeldsten  Widerspruches ,  so  kann 
dieser  nicht,  am  Absoluten,  am  höchsten  Principe,  haften; 
denn,  abgesehmi  davon,  dass  ein  solcher  Selbstwiderspruch 
auf  einen  kaum  verhehlten  Dualismus  im  Absoluten  selbst  hin- 
auslaufen würde,  wäre  noch  bestimmter  dagegen  zu  sagen,  dass 
die  Nothwendigkeit,  welche  die  absolute  Idee  zwingt, 
in  unmittelbarer  Existenz  der  Widerspruch  mit  sich  zu  sein, 
offenbar  das  Höhere  gegen  dieselbe  ist:  sie  wfire  dann 
das  Absolute,  nicht  mehr  die  fälschlich  zum  Absoluten  er* 
hobene  Idee. 

Aber  wie  willkfihrlich ,  nebulos  und  doch  dürftig  sind 
alle  diese  Hegel  sahen  Bestimmungen ;  wie  lassen  sie 
durchaus  das  eigentiicbe  Wesen  des  Problemes,  den  Scho- 
pfungsakt  eines  Objektiven ,  einer  Natur ,  zu  erklären  ,  im 
Dunkel !  Ja  sie  schneidien  den  Antrieb  zu  jeder  weitem 
Erforschung  desselben  ab  durch  eine  Assertion ,  die  we- 
der hinreichend  erwiesen  scheint,  noch  einen  scharf  be- 
stimmten Sinn  darbietet.  In  der  That  lasst  sich 'der  ginz^ 
liehe  Mmigel  an  Klarheit  und  lichtvollem  Unterrichte  an  die- 
ser Stelle  des  Systems  nur  aus  der  abstrakten  Dürftigkeit 
des  ganzen  Princips  begreiflich  fmden :  die  Fakticitit  za 
erklären,  vermag  es  nicht;  so  muss  sich  Hegel  be» 
gnugen;  diese  Fakticitat  der  Natur^  gerade  so ,  wie  er  sie 
in  allgemeine  Begriffe  gefasst  hatte ,  als  ein  schlechthin 
nothwendiges  Moment  in  der  absoluten  Idee  eben  nur  zu 
behaupten.  Das  Lehrreiche  und  Brauchbare  für  die  Zu- 
kunft der  Spekulation  liegt  hier  wirklich  nur  in  dem  indi- 
rekten Geständnisse  Hegels,  dass  ein  solches,  im 
Widerspruche   mit   sich    selbst    begriffenes 


938      Die  Natur,  als  der  unaufgelösle  Widerspruch 

Dasein  nicht  das  Absolute  sein  könne,  und  in 
4&m  sich  daran  hervordrangenden  Bevnisstsein ,  wie  vide 
Zwischenfragen  hier  iUI>ergangen  seien. 

Sprechen  wir  nämlich  hier  nochmals  ans,  was  wir 
schon  an  einem  andern  Orte  in  Erinnerung  brachten :  ^ 
das  eigentliche  Grundproblem  des  Ideaiismas,  d.h. 
derjenigen  Weitansichten^  welche  den  Erklarangsgnuid  alles 
Daseins  im  Principe  der  Vernunft  und  einer  intellektuellen 
That  derselben  finden,  also  des  Heg  eischen,  wie  des 
Schein ngscben  und  Fichteschen  Systems,  ebenso  im 
Alterthume  der  Lehren  Piatons  und  des  Aristoteles, 
—  das  Grundproblem  und  zugleidi  die  Schwierigkeit  des- 
selben ist  nicht ,  die  Existenz  eines  ioeatörlichen  Geistes, 
sondern  die  des  Nichtgeistigen  zu  eridaren,  noch  dazu, 
wenn  die  massenhafte  Ueberwucht  des  Wiridichai  ädk  als 
das  Bewusstlose,  Unfreie ,  den  Geist  noch  Negirende  zeigt 
Es  mossle  —  sagten  wir  schon  einmal  *)  —  nach  d^ 
wahren  Schätzung  vielmehr  als  das  Erstaunenswertheste 
und  Rathscihafteste  erscheinen,  wie  der  Geist,  einmal 
als  der  Urgrund  und  das  Wirksame  in  Allem 
erkannt,  in  seiner  Unmittelbarkeit  doch  in  Noth- 
wendigkeit  nnd  Bewussüosigfceit  versenkt ,  somit  seinem 
wahren  Begriffe  durchaus  zuwider,  als  blindwirkende  Na- 
tur erfunden  zu  werden  vermöge. 

-  .  Es  ist  das  alte  Problem,  dessen  wir  uns  schon  voo 
Sehe  Hing  her  ans  seiner  Abhandlung  über  die  Freiheit 
erinnern;  aber  auch  der  Lösung,  wie  sie -dort  gegeben  ist: 

—  Hegel  hat  sich  begnügt ,  Beides  zu  ignoriren  und  zo 
Überspringen.  —  Es  ist  (ks  Schicksal  alles  Lebens  ,  wie 
alles  Geistes,  selbst  in  Gott,  vom  Zustande  der  Einwii&e- 
lang,  der  Negation  gegen  sich  selbst,  auszugehen,  iun  erst 
im  Gegensatze  damit,  sich  empfindlich,  seiner  bewusst  zo 
werden.     Warum   uns   metaphysisch,   im   absololen 


^)Zur    spekulativen    Theologie:     Zeitschrift    etc. 
.  Bd.  V.  H.  2.  S.  101-^103. 


der  iftsi^utta  Uco.  939 

IVinci^,  diöse  AuskanA  nickl  ansreiebirnd  scheine,  haben 
wir  dort  aoseiiiandergosctzi ;  es  iM  sogar  sweifeihan ,  ob 
wir  darin  noch  die  jetzige  Mehrang  Schellings  erke»* 
nen  dürren.  Aber  auch  von  dresen  historischen  Bezügen 
abgesehen,  leuchtet  ein,  dass  diess  ein  aUgemein  metaphysi- 
sches Problom  ist,  welches  in  die  von  Hegel  übrig  ge* 
lasiene  Lüclce  zwischen  Logik  und  Natniphilosophie  hmeii^* 
fallt,  deren  Weite  und. Tiefe  man  auch  daran  etwa  ermes* 
gen  mag :  eine  ganze  Wissenschall ,  die  speknIatiTe  Theo- 
logii^ und  darin  eine  (das Objektive  erkennende)  Scho« 
pfungslehre  hat  zwischen  beiden  Platz  zu  nehmen.  — 

Die  Dialektik  der  Hegeischen  Natnrjriulosophie  in 
ihren  allgmueinen  Umrissen  dürfte  als  gelungen  und  rich- 
tig angesprochen  werden :  aber  sie  war  nach  der  grossen 
£oheiIirtgschen  Vorarbeit,  nach  StefCens,  Okens 
Leistungen ,  überhanpt  nach  der  ganz«  universalen  Rieh^ 
tiing,  welche  die  Naturwissenschaft  durch  jenen  ersten  Im- 
puls .  erhalten  hatte ,  etwas  kaum  mehr  zu  Verfehlendes. 
Wir  bringien  Folgendes  daraus  zur  Sprache. 

Die  Natur  ist  an  sich  ein  lebendiges  Ganze ,  als  sol- 
ehes  aber  ein  System  von  Stufen,  deren  eine  ans 
der  andern  notbwendig  hervorgeht  und  die  nichsts 
Wahrheit  derjenigen  ist,  aus  welcher  sie  resultirt,  aber 
nicht  so,  dass  die  eine  aus  der  andern  natürlich  erzeug! 
würde,  sondern  in  der  innem ,  den  Grund  der  Naiiir  aus- 
machenden Idee.  Der  Natur  ist  gerade  diese  Aeusserlioh- 
keil  eigenthümlich ,  die  Unterschiede  aus  einander  fallen 
und  als  gleichgültige  Existenzen  auftreten  Zü  lassen.  „Der 
dialektische  Begriff,  der  die  Stufen  fortlei- 
let,  ist  das  Innere  derselben^^  ($.  249. 261.).  Hiemit  er- 
klärt sich  Hegel  durchaus  gegen  die  bekannte  (yw 
Qken  insbesondere  aufgebrachte  und  in's  Eincetaie  ans- 
gemaUe)  Vorstellung  desUervorgehens  der  Pflanzen 
und  Thiere  aus  dem  Meere,  oder  des  albnahUgen  Ueber- 
g  e  h  e  n  s  der  niedem  Thierorganisationen  in  die  hohem, 
wobei  man  einen  unbestimmbar  langen  Zeitraum  zu  Hülfe 
nin^nt    Die  Kategorie  d^her,  welche  Hegel  festhilt,  ist 


940  Dialeidik  dw  Natantafen. 

dio  unstreitig  lebr  bereohligte  und  mkre:  die  Nator  ia 
allen  ihren  Momenten  ist  seUechtlun  geschlMsene  TotadiüC, 
sie  ist  (der  Idee  nach)  dnrdiaiis  die  Eine ,  sogleich  giv 
aetzte ;  ein  waiurbafles  Vor  und  Nach  kann  in  ihr  nicht 
atattfinden.  (Und  so  erklirt  er  sich  auch  in  seiner  „Phi- 
losophie  der  Geschichte^'  SL  56.  58.  n.  s.w.  gVBi 
folgerichtig  gegen  alle  die  Fragen  nach  d^n  vorhistorischen 
Entstehen  des  Mraschengeschlechts ,  seinen  Paradiesessn- 
standen  u.  dgl. :  nur  mit  dem  Geiste  und  sein«*  Freiheil 
beginne  die  philosophische  Betrachtung  desselben  imd  so 
auch  eine  Phiioaophie  der  Geschichte.) 

Aber  hier  wird  der  Begriff  der  Natur,  ala  der  inner- 
lich (ideell)  Einen  und  geschlossenen,  bloss  entgegen- 
gestellt der  naturiiistoffsch  erwiesenen  Thatsache,  dass 
diese  an  sich  Bme  Natur  doch  nur  allmähKch ,  in  grossen 
Zeiträumen^  sich  stufenweise  entwickelt  und  später  erst,  nrit 
dem  Hervortreten  des  Menschen ,  geschlossen  hat.  Jene 
Einheit  des  Begriffes  der  Natur  kann  diese  zddiclie 
Genesis  derselben  nicht  erkläre,  aber  hat  auch  kein  Recht 
sie  zu  läugnen,  oder  au  --  ignoriren.  Das  Letztere  scheint 
hier  indess  stattgefunden  2u  haben,  und  dann  ist  Oken  in 
seinen  Rechte ,  d^  wenigstens  das  Vorbandensein  eines 
Problems  darin  anerkannt  und  den  Versuch  gemacht  hat, 
es  SU  lösen.  — 

Die  innere  Bewegung  der  Idee  dnreh  jenen  Stden- 
gang  d^  Natur  besteht  darin,  dass  sie  sidi  als  das  setze, 
was  sie  an  sich  ist,  dass  sie  aus  ihrer  Unmittelbarkeit 
und  AensserUcbkeit,  „welche  der  T  o  d  ist**  (todte,  unorga- 
nische Natur),  in  sich  gehe,  um  zunfichst  als  Lebendi- 
ges zu  sein  —  aus  dem  universalen  AIHeben  ,  der  Cen- 
trundosigkeit ,  zuerst  nur  ein  Individuelles  (Organis- 
mus) zu  selffen ;  aber  femer  auch  diese  Bestimmtheit ,  in 
der  sie  nur  Leben  ist,  zur  Existenz  des  Geistes  »f- 
hebe ,  der  die  Wahrheit  und  der  Bndzweck  der  Natur  and 
die  wahre  Wirklichkeit  der  Idee  ist. 

So  zerfillt  die  Naturphilosophie   in  die  Mechanik, 
die  Physik  und  iBe  Organik.    Die  eratere  betnieUel, 


Mechanik  nnd  Physik.  941 

* 

nach  den  abstrakten  Fonnen  der  AeoMeriichkeil ,  Raum 
und  Zeit,  das  vereinzelte,  aber  noch  nicht  als  ooncret 
(qualitativ)  gefasste,  Aossereinander, —  die  Körper,  als  nur 
vereinaelte  Materie  (Schwere),  und  ihr  VerhiUniss  xu  ein» 
ander  in  jenen  abstrakten  Formen  des  Raumes  und  der 
Zeit :  Triigheit  der  Körper,  Stoss,  Druck,  FaH  ($.  262-^.)* 
Aber  die  selbstlesen,  auf  ein  fremdes  Oentrum  sich  bezkw 
henden  Köiper  heben  sich  auf  in  ^  Tatalität  der  allgrc^ 
meinenGravitation  der  Weitkörper  gegen  einander,  in 
deren  absolut  freier  Beuregung  keiner  derselben  ab«- 
solutes  Centrum,  sondern  ebenso  einzelner  Moment,  ja^ 
als  sieh  bewegender,  Sulqektivitil  ist ,  wie  andem- 
theOs  weaentlicher  (Begrifib-) Moment  in  dem  Sy«^ 
Sterne  der  Weltkörper  wird ,  in  welchem  sich  die  Idee 
realisirt  zeigt,  in  der  Unmittelbarkeit  der  Materie  sich 
dargestellt  hat  (g.  269—71.). 

Die  Materie  hat  jedoch  dadurch  Individualitat, 
insofern  vlas  Färsichsein  (die  Subjektivität)  des  Körpers 
zugidck  nun  an  ihm  erscheinen ,  sein  Rinmliches  aus 
sich  selbst,  der  allgemeinen  Schwere  gegenüber,  be- 
stimmen muss;  das  allgemeine  Gebiet  der  physikali- 
schen Qualitäten,  —  als  Inhalt  der  „Physik« 
(S.  272.  £[.)• 

Hier  tritt  zuerst  ebenso ,  wie  vorher ,  Has  Allgemeine 
voran ,  die  universalen  Fonnen  der  Materie ,  die  „a  1 1  g  &- 
meinen  physikalischen  Individualitäten«  (f. 
272.  f.),  vor  allen  das  Licht,  als  erste  qualifictrte 
Materie,  aber  zugleich  als  die  reine  Identität  mit 
sich,  die  doch  den  Unterschied,  Trfibung  und  Farbe, 
als  Moment  in  sich  trägt:  ($.  275.  76.  vergl.  $.  317.  IK, 
was  mit  der  Sehe  Hin  gschen,  überhaupt  mit  der  Aut» 
fassung  der  rrähem  Naturphilosophie  ganz  übereinstimmt.) 
—  Aber  die  Körper  dieser  reinen  Identität  sind  die  Fix- 
sterne, die  Sonne  zugleich,  als  Moment  einer  Totalität 
von  Weltkörpem  (eines  Sonnensystemes) ,  zu  betrachten. 
Sie  repräsentirt  darin  die  Seite  der  abstrakten  Allgemein- 
heit oder  Ideiriität :    auf  die  andere  Seite  treten  ,  als 


94a  Pliygik. 

Körper  des  Gegensatzes»  der  Mond,  als  Körper  der 
Starrheiti  der,,  des  metereologisoken  Proet^sses  und 
darum  der  Atmosphäre  entbehrend,  der  Niederschlag-  vor« 
hergfehender  Revolutionen  ist;  —  und  der  Komet,  eine 
miruhige ,  kernlofie  Dunstmasse  ,  welche ,  be8tandfa>s ,  sich 
erseugt,  und  wieder  zerstäuben  mag  ($.  279.}.  Der  Welt* 
körper  der  wahren  Individaaiit&i,  des  c  o  n  c  r  e  t  A%eniefr» 
nen,  ist  aber  der  Planet,  in  welchem  die  physikalischen 
Qualitäten  als  seine  Momenle,  als  die  Unterschiede,  zb 
denen  er  sieh  aurscUiefist,  und  deren  gemeansamer  Grand 
er  bleibt ,  enthallen  sind  (S*  960.). 

So  werden  die  allgemeinen  pbysikalisdi^a  OwlUälea 
cn  Momenten  des  Weltkörpers,*  des  Planeten ,  berabge. 
seilt :  er  ist  selbA  das  allgemeine  Individuum  ,  welches 
eich  in  sie  dirimirt,  und  sie  als  die  Untersehiede  seines 
Processes  setzt:  die  Luft,  als  das  Element  der  unter, 
sdiiedtosen  Binfaohbeit ,  welches  das  bidividueUe  und  Or- 
ganische in  sich  aulzehrt  und  überhaupt  alle  speciiiscfaen 
Unterschiede  bewältigt^  —  die  negative  Allgemeinheit: 
—  die  Elemente  des  Gegensatzes,  Feuer  und  Wasser, 
jenes  die  stete  Unrahe  des  Verzehrens,  welches,  der  An- 
dern vernichtend,  damit  in  sich  selbst  erlischt  und  in .  den 
Gegensatz  seiner  selbst,  die  Neutralität,  übergeht ;  diess  das 
schlechthin  Nentrale  und  darum  vielgestaltig  Bestimm- 
bare und  sich  Umgestaltende.  Die  Erde  (die  zunächst 
noch  unbestimmte  Erdigkeit  überhaupt)  ist  die  concrete 
IMäHtät  und  der  feste  Träger,  an  wdchem  jene  Unter- 
schiede in  einander  übergeben  ($•  281— ^50. 

Diese  zugleich  in  einander  übergehenden  Unter- 
schiede der.  Elemente  bringt  nun  die  Erde,  der  Planet,  im 
elementarischen  Processe  ((•  286.  ff.),  stets  an- 
gefacht durch  die  Thätigkeit  des  LichU  (vgl.  S-  287.),  hn- 
mer  von  Neuem  aus  sich  hervor,  und  fuhrt  sie  in  einan- 
der über.  Hierin,  60  wie  im  Vorigen,  trotz  mancher  nur 
abstrakten  Parallelen  und  Schematismen,  enthalt  Hegels 
Naturphilosophie  einen  wesentlichen  FortsoiirLtt  gegen  die 
frühere  Sehe  Hing  sehe;    sie  hat  den  Begnil'  der  ludivi- 


Physik.  943 

duftUtäl  und  Lebendigkeit  des  Weil*(£rd)körpcr&' tiefer  und 

reicher  durchgerührt,  als  es  von  Schelling  (in  seinem 

Bruno)   geschehen.     Die   Doppelheit  jenes  Processes   ist 

«inestheils    die  Diremtion   der  Erde   in  den  Gegensals 

Ton  Starrheit  und  Flüssigkeit,  andemtheils  das  Zurdckneb»' 

man  dieser  Extreme  in  die  eigene  Negativitat ,    wodurch 

die  einzelnen  Elemente  in  einander  übergehen  oder  sich 

aus  einander  erzeugen  :  die  vollständigste  Erscheintnig  die«»- 

ses  Processes   ist   das  Gewitter,   wie  andererseits  die 

Bildung  von  Atmosphäriiseii,  in  welcher  der  Process  selbst 

bis  zur  Bildung  eines  innem  Kernes  fortgeht  (^.  288J)- 

Indem  wir  die  beiden  nächsten  Abschnitte  der  Natur»- 
philosophie:  die  Physik  der  „besondern^  und  der  „to^ 
talen  Individualität^^  hier  übergehen  müssen,  deren  sum«^ 
tnarische  Betrachtung  uns  zu  viele  Bedenken  und  Schwieri^^ 
keiten  machen  würde;  scheint  es  uns  im  Folgenden  ein 
ebenso  tiefer,  als  richtiger  Gesichtspunkt^  dass- Hegel  die 
geologische  Natur  als  den  ersten  Moment  der 
organischen  Physik  bezeichnet  hat  ($.338.01). 
Die  Erde  ist  lebendige  Totalität,  selbst  Individuum ;  so  aber 
das  allgemeine  System  der  individuellen  Körper  geworden, 
und  zugleidi  die  Grundlage  alier  Processe  derselben  unter 
einander,  ist  sie,  als  dieser  erste,  vorausgesetzte  Organismus, 
nun  nicht  mehr  die  lebendige ,  sich  wiederherstellende 
Thätigkeit:  ihr  Bildungsprocess  ist  ein  vergangener,  erlo- 
schener; und  so  zeigt  sie  unmittelbar  nur  noch  die  ans* 
serKche  „6  e  s  t  a  1 1*'  eines  Organismus  (?),  während  dadurch 
gerade,  dass  dieser  Process  erloschen  ist,  die  reale 
Möglichkeit  des  Lebens,  welche  überall  durch  sie  aus- 
gegossen ist,  hervortreten  muss,  an  den  Gebilden  der 
universalen  Generation,  welche  auf  jedem  Punkte  des  Lan- 
des und  des  Meeres  in  vorübergehende  Lebendigkeit  aus* 
sehlägt  ($.  341.).  ^ 

Durch  diesen  in  seinen  Folgerungen  tiefreichenden 
Blick  hätte  Hegel  die  eigene  frühere  Behauptung  von 
der  jeder  Zeitentwicklung  entbehrenden  Totalität  aller  Na- 
tmsbifen  m  i  t  und  neben  einander  widerlegt ;   zugteich 


944  Organik. 

wäre  darin  die  Ausführung  des  altera  Schellingsehen 
Gedankens  (Zeitschrift  ffir  spekul.  Physik  IL  2« 
S«  120.  21.)  eingeleitet ,  dass  die  Organisationen  nicht 
sowohl  aus  der  Erde  hervorgegangen  seien,  als  die  E  r  d  e 
selbst  sich  in  sie  verwandelt  habe,  weicher  dadurch 
auch  das  Schiefe  und  der  Missdeutung  Unterworfene,  wel- 
ches ihm  in  dieser  Unbestimmtheit  beiwohnt,  verHeren 
mOsste.  Wie  sehr  zugleich  die  neuesten  Erfahrungen  jenen 
Gedanken  bestätigen ,  welche  darauf  hinweisen  ,  dass  das 
erste  Auftreten  jenes  universellen  Lebensprocesses  wieder 
in  die  Erstarrung  des  Gesteins  zurückgesunken  sei ,  dass 
ganze  geologische  Ablagerungen  nur  Residuen  oigantscher 
Processe  sind,  dass  in  den  frühasten  Brdperioden  daher 
die  geologischen  upd  organischen  Processe  einander  ge- 
wirkt haben:  diess  bedarf  hier  gleichfalls  nur  der  Er* 
innerung. 

Die  Unmittelbarkeit  des  individuellen  Oi^nis- 
rous  wiederum  ist  nun  in  der  vegetabilischen  Na- 
tur dargestellL  Jeder  Theil  der  Pflanze  ist  die  ganze 
Pflanze;  das  Leben  kommt  in  ihr  stets  ausser  sich,  sie 
bringt  im  Keimen  und  Sprossen  immer  nur  gleichartige  In- 
dividuen hervor  (dasselbe  was  freilich  auch  in  der  Thier- 
welt  von  den  Protozoen  und  Pflanzenlhieren  zu  sagen  wäre). 
Die  getrennten  Geschlechter  bei  der  Pflanze  und  die  Saa- 
menbildung  sind  daher  im  Ganzen  als  ein  Ueberfluss 
anzusehen,  da  der  Gestaltungs-  und  Assimilationsprocess 
der  Pflanze  selbst  schon  zugleich  Produktion  neuer  Indi- 
viduen ist  (S.  243.  244.  248.). 

Hier  äussert  aber  gelegentlich  Hegel  einen  der  tief- 
sten Sätze  für  die  ganze  Biologie  und  namentlich  auch  für 
die  Auflassung  des  Begriflis  der  organischen  Chemie  ($.  345. 
mit  Anmerk.  S.  356.  vgl.  §.  365.  S.  373.):  Der  Lebens- 
pipccss  der  Pflanze  erscheint  nothwendig  dunkler ,  als  der 
des  Thieres ,  weil  er  einfacher  ist,  die  Assimilation 
weniger  Vermittlungen  durchgeht,  und  die  Veränderung 
als  unmittelbare  Infektion  geschieht.  Bei  allen 
(natürlichen  und  geistigen)   Lebensprocessen ,   wie  in  der 


Orgnnlk.  945 

Assimilation,  ist  es  die  Haupt saclie  zu  erkennen,  dass  die 
Vetandening  9  welche  die  Stofle  in  ihrer  specifischen  Bc- 
stimmliieit  erleiden  ,  nicht  in  der  Weise  ^clieuaischer  oder 
mechanischer  Alhnahlichkeit^,  sondern  einer  ^un- 
miltelbarenVerwandlung^'  des  einen  in  den  andern 
^dacbl  werden  muss.  Dieser  einfache  Bück  oder  viel-* 
mehr  die  trelTende  Anerkennung  der  Thatsachc,  wie 
sie  in  allen  Akten  der  natürlichen ,  wie  der  geistigen  As* 
similalion  (z.  B.  im  Erkennen  Oberhaupt,  in  der  Verwand- 
lung des  äusserlich  Angeschauten  in  eine  innere  Vory 
Stellung,  im  Versenken  jener  in  den  ideellen  Abgrund  des 
Gedächtnisses)  sich  allgegenwärtig  vollzieht,  ist  eine  der 
grössten  Entdeckungen  Hegels,  und  der  '  Faktische  Be- 
weis von  der  Wahrheit  des  Idealismus.  Es  Gndet  hier 
*  überall  thatsächlich  eine  Umwandlung  in  ein  schlechthin 
Neues  und  Anderes ,  d.  h.  nach  der  gewöhnlichen  Re* 
flexionsansicht,  ein  Werden  aus  dem  Nichts  Statt,  durch 
die  absolute  Uebermacht  unsichtbarer  (ideeller)  Kräfte  über 
die  erscheinende  Materie  *). 

Im  thierischen  Organismus  ist  endlich  der  wahre 
Ausdruck  des  Lebens,  die  sich  unmittelbar  verwirklichende 
Subjektivität,  erreicht:  seine  Theile  sind  Glieder, 
in  denen  der  Organismus  die  selbstische  Einheit  festhält. 
Erst  hier  findet  die  vollendete  und  zugleich  ununterbro- 
chene Assimilation  Statt;  der  thierischc  Organismus  also 
hat  freie  Bewegung  (er  bestimmt  sich  selbst  nach  .innerm 
Zufall  zum  Orte :  er  hebt  Raum  und  Zeit  zur  freien  Idea- 
li tat  auf):  er  hat  Empfindung',  durch  den  ganzen  Kör- 
per ausgegossenes  Gefühl,  und  in  den  hohem  Thieren 
Stimme  und  innere  Wärme  ($.350.51.).  —  Hier  sind 
nun  die  femern  Bestimmungen  Hegels  allgemein  bekannt: 
das  Tliier  bringt  es  am  Höchsten  nur  zum  Gaftungs-^ 
processe,  und  die  Gattung  ist  eigentlich  das  wahre  In- 
dividuum,  aus  welchem  das  einzelne  Thier  ebenso  wohl 


•)  Vergl.  Idee  der  Fersönlichkeit,    1834.    S.  138.  I4l— 
143.  i45.  .  ,  . 

60 


946  Das  Absoltttc 

kcrvoF-,  als  darin  unterg-ebt.  Es  ist  die  aBfcntctne  tlmn* 
geiRi^f^seiilieit  des  Eince'iK'n  ($.  374— Tö.)«  dass  selno  IdMt 
nar  auf  unmilielbare  Weise  an  ilim  reaiisirt,  dass  sie 
hl  ihm  nur  an  sich,  aber  niohi  TAr  sich  selbst  Ig^ 
slig,  bewnssl)  ist  Diess  ist  seine  ursprüngiicke  Krank- 
heit, der  Keim  seines  Todes,  und ,  indem  diis  einzekie 
Lebcnsthatiglceit  sich  abstainpft  und  verludcherl ,  der  Tod 
des  Natürlichen. 

Aber  hiermit  ist  im  Lebendigen  der  Idee  ,    den    an 
«nd  ffir  sich  seienden  Begriffe,   kein  Genüge   geUMn. 
3,Dic  Subjektivität  ist  in  der  Idee  des  Ld^ens  der  B  c  g r  i  f  I; 
—  durch  das  auljgfezeigte  Aufheben  der  Unmittelbar- 
keit Ihrer  Realität  ist  sie  mit  sich    selbst  zusam* 
mengegangen;    das    letzte  Aussersiebsein   der  Natmr» 
(im  lebendigen  Oiiganismus)    „ist  aufgehoben  ,  und  der  in 
ihr  nur  an  sich  seiende  Begriff  ist  damit  (?)  ffir  sich 
geworden:  —  der  Geist<^  (|.  376.)*    Wir  haben  uns  über 
die  Art  dieses  „dialektischen^  Ueberganges   sdion  aa  der 
parallelen  Stelle ,  in  der  Logik ,  erklärt ,  worauf  hier  ver- 
wiesen wird.    Wir   können  darin  kcinesweges  eine  posi- 
tive Deduktion  des  Geistes,  als  solchen^  erblicken ,   wie 
es  die  llcgelsche  Darstellung  behauptet,  sondern  nur  den 
negativen  Beweis ,    dass  in  der  Natur  die  adäquate  Wirk- 
lichkeit der  Idee  nach  der  einmal  gefundenen  Formel  dos 
Anund  fürs  ich  noch  nicht  angelrofferi  werde,  dass  mil- 
bin ein  höheres  Dasein   derselben  schlechthin  gesucht 
werden  müsse,  welchem  das  Faktum  6eM  endlichen  Gei- 
stes bestätigend  entgegenkommt    Auch  hier  ist  der  „dia- 
lektische Beweis^'  nur  das  Einreihen  der  Fakticität 
in  die   cvoraussctzliche)  Notbwendigkeit  des  Be- 
griffes. 

Wichtiger  ist  es  in^ess»  noch  einmal  zurückzublicken, 
wie  innerhalb  der  Naturphilosophie  die  absohite  Idee, 
Gott,  sich  gesteigert  habe,  welche  erweiterten  Bestimmun- 
gen seinem  Begriffe  zu  Thcil  geworden  seien  ?  —  Aber  er 
ist  nur  eingeschrumpft  %u  dem  kosmischen  und  tellurischea 
Processe ;    da  femer  jedoch  Fiiustem ,  Komet  und  Tn^ant 


9iß  Weltgcka  9  Errfg^ffsk  947 

lediglich  die  abstrakten  Momente,  der  Planel,  besttmiiiter 
die  Erde,  uliein  das  concret  Allgemeine,  dcf  individnali^ 
fiirte  Weltkörper  ist:  so  kann  nur  der  Erde  zugestanden 
werden,  gleichwie  der  concreto,  individualisirto  Mittelpunkt 
des  Universums,  Ebenso  die  einaige  oder  höchste  SelbsU 
verwlrklichung  Gottes  in  Weltkörperjfestalt  m  sein:  auf 
der  Brde  gewinnt  er  L  e  b  e  n ,  und  bereitet  sich  in  diesem 
die  Statte,  Geist  zu  werden,  zum  SelbstbewuSstsein  zu  kom^ 
iiien.  Als  Erdleben,  endlich  als  Erdgeist  in  dem  lelztbe-^ 
zeichneten ,  ausdrücklichen  Sinne  ^  wird  er  innerhalb  d«r 
Naturphilosophie  bestimmt 

*Uter  zeigt  sich  ^jedoch ,  zu  welcher  beschränkten  An« 
sieht  auch  vom  sinnlichen  Universum  der  Pantheismus  bb^ 
sammensinkt,  wenn  ^r  begriffsmässig  und  konsequent  sich 
durchßhrt,  —  eine  Seite  der  Sache,'  welche  'bisher  von 
Freunden  ,  wie  Gegnern  desselben  weniger  erwogen  zu 
feein  scheint.  Es  ist  auch  dless  die  Folge  seines  Grund-^ 
princips,  die  Weltentwicklung  als  die  eigene  Entwicklung 
Gottes  fassen  zu  müssen ,  indem  Gott  ^  an  sich  selbst 
oder  vor  der  Weit,  nur  die  abstrakte,  sub sta.nticll0 
Einheit  derselben  ist,  —  das  concreto  Centrum,  das  eigent-^ 
liehe,  an  und  für  sich  seien  de  Selbst  aber;  erstin«^ 
nerhalb  ihrer  zu  suchen  hat.  So  entsteht  dem  Pantiicismus 
nur  die  Wahl ,  auf  jede  Gefahr  hin ,  entweder  die  Macht 
der  Konsequenz  walten  zu  lassen^  dann  aber  Sich  der  engu 
sten  ,  maulwurfsartig  in  das  Unmittelbare  Dasein ,  in  did 
Erde ,  sich  einwühlenden  Weltansicht  preiszugeben ,  oder 
die  Rechte  des  BegriiTeS  in  diesem  Gebiete  ausdruckiieb 
zu  verleugnen,  und  sich  mit  unklaren,  bodenlosen  Phvnt««. 
siecn  hinzuhalten. 

Es  wäre  nach  diesen  Prämissen  reihe  BegrUHosigkeit^ 
anzunehmen,  dass  das  Absolute,  der  allgemeine  Haturgeisl^ 
der  aber  sich  zu  finden  trachtet,  völlig  ohne  Centrum  oder 
in  sporadischer  Vereinzelung  sich  auf  allen  Weltkörpem 
verlebendige  und  vergeistige;  es  wäre  ein  Pandämonium, 
welches  der  Idee  der  Einheit ,  die  in  dem  verwirklichten 
Gegenbilde,  ihrem  bewussten  Selbst,  ebenso  eine  letzte  Höhe 


948       Konsequenzen  darau5  iiir  den  Pantheismus. 

und  einen  absoluten  Miltclpunkt  der  Selbstanschaonng  sefzt, 
schlechthin  widerspräche.     Kommt  Gott  erst  im  creatürü* 
eben  Geiste  zum  Selbst^  die  an  und  für  sich  seiende  Idee, 
erst  durch  ihren  Weltprocess  vermittelt,  zum  ausdruckliehen 
Fürsich  sein:    so  kann  sie  sich  nur   in  Einem  Geiste, 
einem  höchsten  oder   absoluten  Menschen ,    verwiridi- 
chen,  und  auch  im  Menschengeistc  wäre  Zersplitterung  und 
Vereinzelung  der  alte  Widerspruch ,  —  eine  Instanz ,  wel- 
che   noch  einmal   später   geltend  gemacht  werden   wird. 
Aber  diese  letzte  Weltansicht ,  die  eigentlich   unvermeid- 
liche Konsequenz  des  Pantheismus,  wäre  an  ihrem  Theile 
so  abentheuerlich  und  so  bomirt  zugleich,  dass  sie,  bis  in 
ihre  einzelnen  Grundzüge  herab  verfolgt,  um  einen  Ernst 
und  eine  Wahrheit  aus  ihr  zu  machen ,  in  der  That  da- 
durch schon ,  als  eine  völlig  widersinnige ,  widerlegt  ist. 

So  sieht  sich  der  Pantheismus  von  beiden  Seiten  mit 
dem  Endpunkte  seiner  Naturphilosophie  zurückgewiesen: 
will  er  der  äusserlichen  Unendlichkeit  des  Universums  ihr 
Recht  thun  und  eine  Bedeutung  lassen,  so  vereinzelt  sidi 
ihm  dasselbe  in  ein  begrifiloses  Zerfallen  unendlicher  kos- 
mischer Individualitäten;  es  ist  eine  leere  Dasselbigkeit, 
keine  reale  Einheit  in  der  Welt.  Oder  wird  der  Wertb 
des  Universums  und  die  eigentlich  geistig  göttliche  Gegenwart 
einzig  auf  die  Erde  zysammengedrängt;  so  lässt  sich  die 
innere  Unwahrheit  und  das  Missverhältniss  einer  solchen 
Kosmologie  zu  den  andern  feststehenden  Erkenntnissen  der- 
selben kaum  verleugnen«  Auch  schon  von  dem  aligemein- 
sten natnrphilosophischen  Gesichtspunkte  ans  gesehen,  sind 
daher  bloss  pantheistische  Voraussetzungen  durchaus  un- 
fähig ,  das  Problem  der  Welt  zu  lösen ;  seine  Lösung  fallt 
durchaus  jenseits  dieses  Standpunktes  in  ein  specifisch 
dem  Pantheismus  unzugängliches  Princip. 


Uebcrgang  in  die  Philosophie  des  Geistes.        949 

Wir  sind  in  die  Philosophie  des  Geister  ein*, 
getreten,  und  müssen  Uegel'n  sogleich,  als  sein  Haupt- 
verdienst  in  diesem  Theile  der  Philosophie  zuerkennen, 
den  Begritr  des  Geistes  in  seinem  charakteristischen  Un- 
terschiede vom  niedern  Natnrdasein  sowohl,  wie  auch  von 
dem  Begriffe  des  Lebens  und  der  bloss  seelischen  Einheit, 
aur  das  Schärfste  bezeichnet  zu  haben.  Zwar  hatte  Kant 
durch  den  Begriff  der  synthetischen  Einheit  der  Appercep- 
tion  (das:  Ich  denke  müsse  alle  Vorstellungen  begleiten 
können),  Fichte  durch  den  Satz ,  dass  alle  Unterschiede 
im  Ich  nur  Selbstbestimmungen  desselben  seien,  in  denen 
es  mit  sich  identisch ,  Ich  «&  Ich ,  bleibt ,  jener  erschö- 
pfenden Auffassung  vorgearbeitet.  So  blieb  es  für  Hegel 
noch  das  Bi  des  Columbns,  seinen  rechten  Begriff  zu  treffen; 
dennoch  gehörte  der  Geist  eines  Columbus  dazu ,  es  mit 
solcher  Energie  zu  thun ,  und  die  Folgen  für  die  ganze 
Wissenschaft  sind  die  allerentscheidendsten :  jede  materia- 
listische oder  sensualistische  Ansicht  und  Erklärungsweise 
geistiger  Erscheinungen  ist  aus  dem  einfach  gedachten 
Wesen  des  Geistes  widerlegt ;  das  Princip  des  Idealismus, 
der  Beweis  von  der  Alleinwahrheit  des  Ideellen ,  hat  sich 
auch  hier  befestigt  und  durchgeführt ;  denn  jenes  absolute 
Ineinandersein  der  Unterschiede  und  entgegengesetzten  Zu- 
stände ,  die  ebenso  durch  sie  alle  hindurchgreifende  Ein- 
heit des  Geistes  ,  die  in  jedem  ganz ,  und  doch  zugleich 
schlechthin  frei  von  jedem,  und  nur  in  sich  ist,  kurz, 
Mras  Hegel  die  absolute  Negativität  nennt  ($.381.), 
und  was  die  Natur  des  bewussten  Geistes  ausmacht,  wi- 
derstreitet alleh  materialistischen  und  sensualistischen  Vor- 
aussetzungen. 

Die  Form  des  Aussereinanderseins  in  der  Natur ,  sagt 
Hegel  ($•  380.),  wonach  hier  die  besondem  Stufen  und 
Bestimmungen  ihrer  Entwicklung,  als  ausserlich  selbststän- 
dige Existenzen,  einander  gegenüber  treten  —  (im  leben- 
digen Organismus  jedoch  nicht  mehr  in  diesem  Sinne,  denn 
auch  hier  findet  schon  ein  ideelles  Incinanderwirken  der 
organischen  Theile  Statt) ,   —  wo   die  Bcstinunungen  der 


950  Begels  BcgrifT  des  Gefsics. 

S tippe.  zQgleich  ab  fcale  Eigfenschineii  der  Körper,  onii 
noch  ftusserlicher,  als  geschiedene  Elemente,  oxisümi: 
diese  Form  isl   in  der  Existent  des  Geisles    Hbcrwi«- 
den.    Die  SKufen  des  Geistes  sind  zagteick  in  Eins  g^z«- 
gen,  sie  sind  wesentlich  nur  »Is  Momente,  Zustände,  Be- 
slimmiiingen  an  den  höhern  Entwicklicngsstufen ,  so  vit*  es 
umgekehrt  gilt ,   dass  die  hohem  Geisteszustände  schon  n 
den  nicdem,  aber  als  unmiUelbare,  be\>iisstlose ,  —  (wir 
4urften  passend  bi^   den  von  Hegel  bei    anderer  Gck- 
geoJ>cit  verworrenen  Ausdruck  der  Physik  herelnzieheB,  al$ 
,platente<^)  —  gegenwärtig  sind.     So  ist  in  der  Enpfia- 
dung  ulles  höhere  Geistige ,  als  Inhalt  oder  BeslifflndieÜ, 
enthalten:   man  könnte  oberflächlicher  Weise    zogiekli  ia 
ihr  dessen  Quelle   und  Wurzel  suchen ;    aber   $ie  ist  nv 
dessen  aufzuhebende  Unmittelbarkeit.    Darum  ist  es  jedodi 
iLÖthig,  um  diese  niedem  Stufen  in  ihrer  empirischen  E»- 
stenz  und  Abgränzung  bemerklich  zu  machen,  an  die  bö- 
bcrn  zu  erinnern,   in  welchen  sie  zu  Momenten  h^afatf^ 
setzt  existiren,  und  auf  diese  Weise    auch  in  ihnen  eiaeo 
Inhalt  im  Voraus  anzuerkennen ,    der  sich  eigentlich  cr^ 
i^puler ,  nach  der  vollzogenen  Entwicklung ,  in  seiner  Ais- 
dräcbiichkeU  darbietet :    der  Schlaf  des  Geistes  ist  mr  tf 
seinem  Erwachen   zum  Bewusstsein  .    die  Verrücktheit  nur 
am  Begrifle  des  Verstandes  und  dergl.,   richtig  zu  kssco 
(§.  380.  389.  mit  Anm.  S.  400.    $.  399.  408.  mit  Anin, 
S.  427,  f.,  S.  412.  u.  s.  w.):  treffliche,  durchgreifende  Be- 
stimmungen ,   welche  nicht  nur   der  psychologischen  For- 
schung, sondern  auch  der  vergleichenden  Naturbetracfatvi^ 
zur  wesentlichsten  Richtschnur   werden  körinten.    An  i^ 
entwickelten,   zum   Unterschiede    herausge- 
stellt e  n  Erscheinung  mnss  auch  rückwärts  derselbe,  nur 
nocli  unentwickelte  Zustand  erkannt  werden ,  nicht  uozg^ 
kehrt,  wie  es  gewöhnlich  versucht  wird :  das  Hohen}  ton 
nur  der  Schlüssel   zum  Begreifen  des  Niedem ,  Dunklemi 
mitbin  Schwierigem  werden,  -r 

Das  Wesen  des  Geistes  i^t  es,  ak  für  sich  mef^ 
Allgemeinheit   sich  zu  besondern,   und  hierin  idenli^ 


Parallele  init  der  Ficblesdieii  Philosophie.         951 


Mdk  m  bleiben;  die  Bt'aUmfHlheil  des  Oeteles  ist  Am* 
lier,  sich  ^a  offenbaren,  d.  h.  nicht  so  ^  dass  er  Et« 
^w  a>s  oflcnbairt,  sondern  dass  seine  ganze  Natur  darin  be* 
»IcM,  offenbarend  zu  sein^  seine  lonerlichkeit  und 
SitbAlaaiialilät  vor  ,  sich  in's  Bewasstsein  hcnranszustellun, 
i  ^  äSi.  84.) ;  ^  derselbe  BegriiT ,  weivher  uns  schon  bei 
¥  i  c*  b  t  e,  ift  seiner  zweiten  Gestalt  'der  Wisseaschaftslehre, 
ItNsgegneie :  das  Wissen  ist  an  sich  selbst  absolutes  £  r« 
scheinen  in  der  Form  der  S i c h erscheinung ;  das 
Iniiero,  Substantielle  aber,  was  da  erscheint»  ist  das 
W  esen  Gottes«  Ebenso  ist  die  ^atur  die  absoluteFak- 
t  i  c  i  t  &  1 5  das  Vorausgesetzte  des  Wissens ,  seine  WeH^ 
on  welekeni  das  Ich^  als  dag  freie,  (vgl.  $•  3S2.h  sieh 
eiilwickeit«  Ganz  dieselben  Gmndbeslinimungen  von  der 
Nator  ßni^n  wir  sogleich  nun  auch  bei  HegeL,  nur  ohne 
die  bloss  abstrakte  und  subjektiv  idealistische  Auffassung 
von  der  Natur,  welche  wir  jedoch  auch  an  der  spätem 
Wisscnschanslekre  als  eine  Inkonsequenz  und  ein  Selbst» 
missvcrstandniss  derselben  nachwiesen  (vgl.  oben  S*  553.  L 
578.  ff.) ,  so  wie  in  ungleich  reicherer  Durchifihrung  und 
Uliederuiig  der  Lehre  vorn  Geiste,  als  es  durch  Fichte 
geschehen ;  dennoch  ist  es  dasselbe  Princip  bei  diesem,  wie 
bei  jenem.  Wenn  wir  jedoch  gegen  Hegel  den  Vor- 
wurf erheben  müssen ,  dass  er  Gott  hierbei  nur  auf  ein- 
seitige Weise  ,  nur  innerhalb  der  Welt  ,*  als  Geist  zu  be- 
stimmen vermochte,  —  dass  er  ihm  bloss  der  AVelt-  oder 
Erdgeist  ist ,  so  entgeht  Fichte  in  der  That  nur  dadurch 
diesem  Vor>vurfe  —  nicht  weil  er  ein  anderes,  höheres 
Friucip  gehabt  hatte ,  sondern  weil  er  mit  ilim  aus  der 
subjektiv  idealistischen  Haltung  nicht  herausgetreten  ist 
(vgL  S.  682.) :  die  Well,  als  Werdende ,  Wandelbare ,  ist 
Ulm  nur  Erscheinung ,  Phanomenon ;  das  allein  Reale  ist 
das  Sein,  das  Wandellose,  als  welches  er  Gott^  im 
Gegensalze  mit  der  Welt,  bezeichnet.  Seine  Philosophie 
ist  Akosmismus  und  darum  aliein,  um  dieses  abstrakten 
Uangels  willen,  frei  von  pantheistischen  Bestimmungen. 

An  dieser  principiellen  Identität  beider  Systeme  lassen 


952  Das  Absolute ,  als  der  Geist. 

die  nachfolgenden  ErkiänmgeA  H  egel  's  nan  ketnen  Zwei- 
fel ($.  284.): 

^Das  Offenbaren,  —  welches,  als  noch  abstrakte  Itlee^ 
in  der  Natur  W  e  r  d  e  n  ist,  —  ist,  als  Offenbaren  des  Gei- 
stes, der  frei  ist,  Setzen  der  Nator,  als  seiner  Weit, 
aber  zugleich  damit^   (da  der  Geist  nuri&u  werden,  an 
der  Negation  seiner  selbst,  die  er  doch  selber  ist» 
zu  erwachen  vermag),  „Voraussetzen  der  Welt,  aJs 
einer  selbststandigen  Natur«.    Der  absolute  Begriff, 
der  an  sich  selbst  freilich  auch  die  Natur  ist,  kann  den- 
noch nur  innerhalb  der  Natur  für  sich  selbst,  oder  zun 
Geiste,  werden,  weicher  mithin  jene,  als  ein  ihm  Voraiis- 
gesclztes,  sich  gegenüber  behalt,  und  sich  erst  ans  ihr  m 
gewinnen   ha^     „Das  Offenbaren  im  Begriffe  ist^  (daher) 
„Erschaffen  der  Natur,  als  seines  Seins,  in  welchein 
er^    (der  Begriff  und   der  Geist)    „die    Affirmation 
u'nd  Wahrheit  seiner  Freiheit  sich  giebt^;  und 
dieser  Process  ist  nun  der   des  Geistes  in  seiner  sub- 
jektiven   Innerlichkeit  und  in   seiner  weltgeschichlliclien 
Objektivirung.    . 

„Das  Absolute  ist  der  Geiste  diess  ist  die 
höchste  Definition  des  Absoluten;  diese  Definition  zu  fin- 
den,  und  ihren  Sinn  und  Inhalt  zu  begreifen,  war 
die  absolute  Tendenz  aller  Bildung  und  Philosophie;  auf 
diesen  Punkt  hat  sich  alle  Religion  und  Wissenschaft  ge- 
drangt, aus  diesem  Drange  allein  ist  die  Weltgeschichte 
zu  begreifen.  Als  Vorstellung  ist  sie  früh  gefunden 
worden ,  und  es  ist  Inhalt  der  christlichen  Religion ,  Gott 
als  Geist  zu  erkennen  zu  geben.  Aufgabe  der  Philoso- 
phie ist  es ,  ihn  im  Begriffe  zu  fassen ;  und  „diese  kann 
so  lange  nicht  wahrhad  und  immanent  gelöst  werden, 
als  der  Begriff  und  die  Freiheit  nicht  ihr  Gegenstand  und 
ihre  Seele  ist«  (S.  393.). 

Hier  kündigt  sich  nun  der  Sinn  und  das  Endresultat 
des  dritten  Theiles  dieser  Philosophie  schon  vorlfiufig  an: 
bei  einer  andern  Gelegenheit  sagt  Hegel,  der  Glaube  an 
eine  Vorsehung,  an  ein  göttliches  Wallen  in  der  Geschichte, 


Das  Abseiute ,  als  der  Geist.  953 

sei  diene  Zuvenricht,  dass  der  absolute  Begriff  der 
Natur  und  dem  menschUchen  Geiste  iminanent ,  dass  nur 
er  es  sö^  welcher  sich  in  ihnen  verwirkliche.  Diese  in- 
nere ,  objektive  Vemänftigkeit  desselben ,  die  ebenso  in 
den  Ereignissen  der  Weltgeschichte  das  Substantielle  ist, 
wie  sie  sich  in  den  universellen  Vorgangen  der  Natur  of» 
ienbart,  nur  hier  mit  Nothwendigkeit  und  zufalliger  Aeus« 
serlichkeit  behaftet ,  wie  dort  in  der  Gestalt  der  Willkuhr 
und  eines  subjektiven  Beliebens ,  —  diese  objektive  Ver« 
nunft  des  Weltgeistes  ist  der  eigentliche  Inhalt  je- 
ner Zuversicht,  der  Begriff  einer  Vorsehung;  und  diesea 
hat  die  Philosophie  nicht  sowohl  überhaupt  nur  zu  bestä- 
tigen, als  ihn  vielmehr  in  seiner  nahem  Bestimmtheit  nach- 
zuweisen, und  die  immanente  Begriflsmässigkeit  der  Natur, 
wie  der  Weltgeschichte  im  Concreten,  zu  begreifen.  Diess 
ist  die  achte  „Theodic&e  der  Wirfilichkeit«. 

Wir  haben  damit  wiederum  die  Elemente  der  vollsten 
Wahrheit  und  dos  Irrthums,  in  seiner  hartnäckigsten  Ein*^ 
settigkeit ,  ineinandergeflochten  vor  uns :  es  sind  ganz  nur 
die  Voraussetzungen ,  welche  sich  uns  am  Schlüsse  der 
Phänomenologie  des  Geistes  unerwiesen  ergaben.  Die 
absolute  Substanz,  welche  zu^eich  als  Subjekt  zu  fas-^ 
sen  ist,  der  absolute  Geist,  wird  hier  abermals  nur  als  der 
Weltgeist  bestimmt,  als  ob  in  keinerlei  Bedeutung  da- 
von die  Rede  sein  könne ,  ihm  eine  andere  Subjektivität 
zu  vindiciren!  Zwar,  dass  jener  substantielle *Geist  der 
Weltgeschichte  göttlicher  Natur  und  Abkunll  sei ,  wird 
keine  Philosophie  bezweifeln;  dass  das  Absolute  aber  nur 
in  solcher  Weise  Weltgeist  sei ,  das  ist  das  Unerwiesene^ 
Vorausgesetzte,  —  es  wird  sich  späterhin  zeigen :  —  auch 
das  Widersinnige  und  Widersprechende.  — 

Auch  in  der  Philosophie  des  Geistes,  wie  im  vorigen 
Theile  des  Systems ,  können  wir  von  den  einzelnen  Aus- 
führungen und  Resultaten  absehen,  um  den  Sinn  des  Gan- 
zen zu  würdigen ;  denn  ganz  unabhängig  von  dem  allge- 
mein metaphysischen  Gesichtspunkte  ,  in  welchem  Hegel 
die  psychologische  Entwicklung  des  Geistes  betrachtet,  kann 


954  Anthtopohiigle. 

muti  in  Uewet  Wuhrheic  und  Tiefe  finlefk  Und  m  fa 
TlMt  haCHogel  nach  anscrat  Urtketto  dio  inmaiMle 
Enlwicklttng  des  Geistes  zum  Bewnsstsem  und  Sdkibf* 
wussUein  mit  einer  Stetigkeit  und  eiaer  Umtassang  aii^ 
(ihrt^  welche  die  Psyclioiogie  weit  fiber  den  Rang  hm»- 
gehoben  hat,  in  «reicher  er  sie  fand  ^  trotz  der  reickhaki- 
gen  Vorarbeiten  des  altem  Ca  ras  und  der  für  die  aücc- 
ttieine  Theorie  wichtigen  und  treffenden  Untersndimgni 
von  Chr.  Weisse  über  das  Wesen  und  WirlieB 
der  menschlichen  Seele  (Leipzig  1811.,  ^  ^^ 
S.  406.).  Bei  allen  weitem  Fortschritten,  welche  die  Lekre 
vom  menschlichen  Geiste  ea  machen  hal  —  md  tot  alla 
Dingen  hat  sie  einen  fandaroeatalen  y  durehgreirendai  a 
thun,  den  individuellen  Geist  als  concreto  Substanz a 
erweiset» ,  oder  za  seigen ,  wie  jeder  in  wahrem  Siaa 
i0Original<<  sei,  —  wird  sie  dennoch  die  H  e  gel  sehe  Ui- 
lersuchnng  zum  Ausgangspunkte  und  zur  fealcn  Gnädige 
an  machen  haben.  ««— 

Der  Geist  ^  hier  als  die  substantielle  Tetalh 
I  d  t  des  Menschengeschlechts  m  fassen,  —  hal  sich  a*lM 
erst  aus  der  Natur,  aus  einer  ihm  objektiven,  iosserii- 
oben  Natur  sowohl ,  wie  aus  seiner  eigenen  Natflriichbef/y 
eniporzuentwickeln.  Diess  betrachtet  die  Anthropolo- 
gie,  als  die  Wissenschaft  von  der  Natnrbestimmtbeit  der 
Geistes  ($.  388.  ff.).  Der  Geist  ist  hier  nur  noch  Seeler 
theHs  durch  seine  Verwirklichung  mit  der  Erde  in  du 
kosmische,  siderische  und  tcllurische  Leben  derselben  ver- 
senkt,  gleich  dem  Thiere,  aber  vor  dem  erwachendefl  Ihv 
wusstsein  diese  dumpfen  Beziehungen  verschwinden  las- 
send; theils  in  die  eigenen  natürlichen  UniersAi^^ 
eingehend:  die  Raconverschiedenheit,  die  Verein- 
zelung in  Völker-  und  Localgeister ,  di«  Cc- 
schlechtsdifferenz,  und  die  völlig' individneUen  Un- 
terschiede des  Temperaments  ,  der  geistigen /ts- 
lagen,  der  Idiosynkrasicen  ($.  391 — 404.> 

Damit    hat  jedoch   der  Geist    die  Macht  gewOHiK«i 
dkscr  Innern  Naturbestimmtheit   gemäss,   und  dieselbe 


PlitaOHMNioiogie.  955 

4«viii  nbsptofeliMk^  sebitT  LeibUclik oil  »ie  eiazubil«. 

4len  ^    und  so  im  wirkliche«   in  Uircm  LoUic  gogen* 

warli^e  Seele  z«   werde».    Es   gesclueht  durch    die  Ge* 

wabnbeit,  darch  Geischioklichkeilen,  Abhärtung  u.  dgL» 

wodurch  der  Leib  nun  das  vollkommen  flussige  und  nach** 

l^ielngo  Ollgan  für  dieSeeic,  das  von  ihr  durchwohnle, 

wiriL    Diese  schon  gewohnte,  eingebildete  Wirklichkeil  dev 

Seele  m  Leibe  as^igt  der  paihognonische  und  phy-« 

siognomische  Ausdruck  desselben:   in  ihm  fühlt  sie 

sich  wd  gibi  sieb  zu  fühlen  ,    indem  der  Leib  dadurch 

zum  ^Kunstwerke  der  Seete^  geworden   ist  (S*  406-— 

411.).  -^    Dieser  ganze  Abschnitt   ist  einer  der  reichsteA 

und  wichtigsten,  und  ein  erst  durch  üegel  der  Wissen* 

sehafl  des  Geistes  erworbener  Besitz,  wiewohl  einzelne 

Pavtiecn,  z.  B,  die  Stellung,  welche  er  der  ^Yerr&ckt- 

hcit<^   (S.  408»  mit  Anmerk.)   im  dortigen  Zusammen- 

bange  giebt,  noch  Bedenken  übrig  hissen. 

Die  dergestalt  leiblich  verwirklichte  Seele  ist  dadurch 
Kuglüich  zum  Fürsichsein  geworden,  sie  erwacht  zum 
Ich,  „als  der  abstrakten  Allgemeinheit,  insofern  sie  für 
dito  abstrakte  AUgemeinbeit  isi^  ($.412*):  das  Bewusst- 
sein.  Diess  zu  betraehten  und  seine  Erhebung  im*» 
Selbstbewusstsein  und  zur  Vernunft  zu  vcrfol-^ 
gen,  lasst  Hegel  Gegenstand  der  „Phänomenologie 
des  G eistest'  werden  ($.  413.  £),  eingedenk  jenes  äU 
lern  Werkes,  dessen  sonstigen  Inhalt  er  überhaupt  in  dem 
dtiltcn  Theile  seines  Systemes  erweitert  wiedergiebt.  —  la 
der  Vernunft  wird  die  Unmittelbarkeit  des  Gegensatzes, 
in  welchem  das  Bewusstsein  und  Selbstbewusstsein  sicit 
einer  Objektivität  gegenüber  befinden,  abgestreift:  sie  ist 
ebenso  Identität  der  Subjektivität  des  Begriffes  and  seiner 
Objektivität,  wie  Allgemeinheit:  sie  hat  die  Gewiss- 
heil, dass  ihre  subjektiven  Bestimmungen  ebenso  gegen- 
standlich, Bestimmungen  des  Wesens  der  Dinge,  als. 
ihre  eigenen  Gedanken  sind«  Somit  ist  die  Vernunft, 
als  diese  Identität  —  „nicht  nur  die  absolute  Substanz, 
s^ondem,  als  Wissen,  die  Wahrheit:  denn  sie  hat  hier 


956  Psychologie. 

zur  eigenthAmlieben  Bestimmtheit  den  fAr  sich  selbst 
existirenden,  reinen  Begriff,  die  Gewissheit 
seiner  selbst,  als  unendlicher  Allgeniei  nheit^ 
i$.  438.  39.).  Die  Objektivität  und  innere  Verbofi^enheit 
des  Weltgeistes ,  mit  welcher  er  in  der  Natur  bloss  die 
,,absohfte  Substanz«'  ist ,  hat  sich  in  der  Vernunft  smn  sn 
und  f&r  sieh  seienden  Begriffe  ,  zu  seiner  freien  fixisteiiz 
für  sich,  zum  Ich,  gesteigert  —  ^Die  wissende  WalirMt 
ist  der  Geist^. 

Die  Lehre  vom  „Geiste«  ($.  446.  ff«)  bal  Hegel 
als  „Psychologie«  bezeichnet ,  mtl  ofenbarem  PeMgriffe  in 
der  Wahl  dieser  sogar  elymologisch  abweichenden  Benen- 
nung. Falls  die  ganze  Unterscheidung  und  Bintheilong^  auch 
künftig  beibehalten  werden  mflsste ,  —  was  wir  hier  wi- 
entschieden  lassen,  da  sich  unser  Gutachten  nicht  niher 
motiviren  liesse ;  —  so  würde  tat  diesen  Theii  der  Lehre 
vom  Geiste  wohl  am  Besten  zu  der  von  Rosenkranz 
vorgeschlagenen  Benennung:  Pneumatologie,  zurückzukeh- 
ren sein,  wo  fär  den  vorhei^henden  Theil  der  Name  <ter 
Psychologie  in  engerer  Bedeutung  übrig  bliebe. 

In  der  Lehre  vom  „Geiste«  tritt  nun  als  das  Wesent- 
lichste der  Unterschied  hervor,  dessen  wir  schon  aus  der 
Logik  in  der  Lehre  vom  Eritennen  uns  erinnern  ,  der  des 
theoretischen  und  praktischen  Geistes :  —  die 
Abweichungen  oder  Ueberelnstimmungen  zwischen  der 
doppelten  Ausführung,  nach  ihrem  Inhalte,  wie  nach  ihren 
Gründen,  naher  zu  verfolgen,  könnte  lehrreich  werden, 
auch  zur  nachträglichen  Kritik  der  Logik,  würde  aber  vom 
wahren  kritischen  Zwecke  des  Werkes  uns  abführen. 

Der  theoretische  Geist  tS*  445.  AT.)  verinneriicht 
sich  die  Objektivität,  indem  er  sie  in  ihr  An  sich,  in 
ihre  Wahrheit,  wiedeiherstellt.  In  der  Empfindung 
sind  beide  Gegensatze  des  Subjektiven  und  Objektiven  noch 
ungetrennt  Eins;  sie  sondern  sich  erst  in  der  Anschau- 
ung; und  durch  die  Wahrnehmung  tiitt  sodann  dem 
anschauenden  ,  in  sich  Eins  bleibenden  (subjektiven)  Ich 
ebenso  die  coUektive  Einheit  der  Empfindungen  im  (objek- 


Der  tbeoreliselie  GeisU  957 

< 

tiven)  Dinge  gegenfiber*     So  können  ferner  die  «Dinge« 

mil    ihren  Prädikaten   scuVörstellungen   vcrinneriich  t^ 

zu  elwjas  Bleibendem  und  Allgemeinem  aufgehoben  w^den : 

d  ie  SS  Allgemeine  bezeichnet  der  Name,  und  die  ebenso 

allgemeinen  (;Denk^)Verhiltm6se  und  Beziehungen  die  gram- 

malisclie  Veriuiöpfung  der  Sprache.    Den  ganz  innerlich 

(KU  einem  Ueetten)  gewordenen  Besitz  dieses  Aeusseriicben 

and  Ittnerlidieii  trigl  das  Gedftchtniss  in  sich,  die  ai^ 

gemeine  Idealität,  der  ,^hacht«  des  Geistes  ($.  461—640« 

Wir  mAssen  es  als  eines  der  grossten  Verdienste  U  egels 

um  die  Psychologie  bezeichnen,   die  tiefe  Bedeutung  des 

Gedächtnisses,  nicht  bloss  als  eines  dialektischen  I^wischen- 

gliedes  zwischen  Wahrnehmung  und  Denken ,  sondern  als 

der  aügememen  Macht  des  Ideellen  (vgl.  $.  463.  Anm.)t 

als  den  faktischen  Beweis   von  der  Idealitat  des  Gei-* 

stes,  nachgewiesen  zu  haben. 

Das  Gedaditniss  ist  daher  der  Uebergang  in  das  Den« 
ken  <$.  465.  ff.),  in  dessen  Thätigkeit  die  Objektivität  vom 
Subjektiven  wesentlich  gar  nicht  mehr  verschieden  ist: 
seine  Innerlidikett  ist  selbst  das  A  n  s  i  c  h ,  die  Wahrheit, 
des  Objektiven.  Es  bezieht,  als  Verstand,  das  Einzelne 
auf  seine  Allgemeinheiten ,  auf  allgemeine  Gesetze  ,  ver« 
wandelt  überhaupt  die  ungeordnete  Masse  der  einzelnen 
Sinnenerscheinungen  in  eine  Welt  von  Gesetzen,  Kräften, 
Allgemeinheiten:  im  Urtheilen  bezieht  es  jene  Einzeln- 
betten  auf  ihr  (wahres)  Allgemeine,  auf  ihren  Begriff,  e  r«- 
kürt  rie  „iur^  ein  A^gemeines  (Gattung  und  Art);  und 
im  Schlüsse  bestimmt  es  aus  sich  selbst  den  Inhalt, 
wird  absolut  gesetzgebend  för  das  Objektive  ($.  467.)» 
Das  Denken  zeigt  in  jedem  Schlussakt  die  naive  Zuversicht, 
dass  sich  das  Objektive  ganz  von  selbst  nach  ihm  rich- 
ten werde,  dass  es  dem  Vernünftigen  schlechthin  unter- 
worfen seL 

Diess  nun  ist  die  Stelle,  in  die  Hegel  die  ,)Subjek- 
tive  Logik«  hatte  einreihen  sollen,  deren  ganz  unhaltbare 
Stellung  imierhalb  des  objektiv  logischen  (metaphysischen) 
Bereiches  schon  oben  sich  gefiinden  hat  (S.  889*  ff.).    Und 


9A8  Uebergfaiif  in  don  prukrtschcn  GcisL 

dicss  gieM  er  mittelbfir  mgnr  sdbst  za  (An merk,  n 
S.  467.);  —  so  6chwttc4i  tiamlieh  Ist  der  Re€litr«rti(^iiiff^ 
grund,  mit  welchem  er  diese  Doppel|g*est«lt  der  Logfk,  oder, 
wie  er  Bngi ,  das  ^Immcrwiederher\*ortrefeR  des  lio^scken 
Denkens  in  verschiedenen  Theilen  der  Wissenschaft^  mehr 
enlsrhuldigt,  als  erklärt :  —  ^weil  diese  Theiic  nur  dvrck 
das  Elomeiit  nnd  die  Form  des  (Segensaties  Tcrsohieden 
sind,  das  Denken  aber  dieses  Bine  und  dasselbe  CcAtnn 
isl,  in  welches ,  als  in  ihre  Wahrheit ,  die  Gegensätso  is* 
ruckgehen«'.  —  Das  Denken ,  der  Begfriff  ^  die  Idee ,  ist 
Princip  schlechthin  von  Allem,  das  absolute  ^Centnim^,  — 
behauptet  Hegel;  desshaib  kommt  es  fiberall  vor. 
Aber  eben  desswegen,  —  müssen  wir  ihm  entgegnen  — 
kann  es  in  der  „bestimmten  Form^,  als  subjektives 
logisches  Denken,  auch  nur  an  einer  einzigen  bestimm- 
ten Stelle  seines  „Allvorkommens«'  den  rechten  Plats  finden. 
.Durch  diese  Ericidrung  ist  er  jenes  frohem ,  den  ganzen 
dritten  Theil  seiner  Logik  verunstaltenden  ^  Missgriflbs  nur 
geständig  worden.   — 

Die  Intelligenz  ist  mm ,  nach  der  vollständigen  Be- 
sitznahme der  erkannten  Objektivität,  darin  in  ihren 
Eigenthume;  durch  dio  letzte  Tiegation  der  Unmittel- 
barkeit (im  Denken)  ist  gesetzt  j  das»  für  sie  der  Inhalt 
durch  sie  bestimmt  sei.  Das  Denken,  ab  der  freie 
BegrlfT,  ist  nun  auch  dem  Inhalte  nach  frei.  Die  Intel- 
ligenz ,  als  das  Bestimmende  des  Inhalts  sich  wissend ,  ist 
Wille:  im  Willen  „tritt  der  Geist  in  WirMiehkeü«,  wird 
selbstsländlge  Quelle  von  Objektivität;  im  Wi^en  iai  er 
auf  dem  Boden  der  Allgemeinheit  des  Begriffes;  —  der 
Uebergang  in  den  praktischen  Geist  (f.  469.  ff»)« 

Diesen  Uebeiigrang  von  der  Höhe  der  Intelligens  im 
Denken  und  einer  durch  Wissenschaft  völlig  erkannten  Ob- 
jektivität ,  —  in  den  Willen,  und  zwar  zunfldist  in  die 
sinnliche  Unmittelbarkeit  desselben,  als  „praktisches  Ge- 
tm*^  fS.  471.  ff.),  als  Gcfähl  ffir  das  Angenehme 
nnd  Unangenehme  ($.  47S.)  ,  —  missen  wir  jedoch 
ftnr  dnrchaus  ungehörig  und  sachiicb  onwahr  erklären:  die 


Der  prnktl5chc  Crcist.  959 

„Ifnmflnenz'^  der  Dialektik,  als  der  Prüfsteiii  Bit  dfe  Wahr- 
heit der  Methode,  ist  hier  vielmehr  auf  das  Schwerste  ver-* 
letzl,  und  dadurch  auch  ein  schon  in's  Frühere  zurückgreif 
fendcs  wesentliches  Missvcrhalthiss  in  die  Architektonik  der 
He^cl  sehen  Psychologie  gekommen. 

Der  Wille  (die  concreto  Selbstbestimmung)   ist  ein 
ebenso  unirersales,  schon  in  seiner  sinnlichen  Unmit^ 
lelbarkeit  auftretendes  Vermögen  des  Geistes,  wie  das  Er^ 
kennen;  nicht  hier,  an  den  Gipfel  des  Erkennens,   war 
daher  der  dialektische  Moment  seines  Ucberganges  in  den 
Willen  anzuknüpfen,  sondern  an  die  ebenso  sinnliche  Un- 
mitlelbarkeit  des  Erkennons:  wie  diese,  das  Empfin-*' 
den,  in  die  sinnliche  Form  des  Willens,  den  Trieb,  uher-^ 
schlügt,  aufzuweisen,  das  ist  der  „immanente^^  Deduklions^ 
punkt  des  Willens ;  —  wobei  aber  endlich  nicht  zu  über- 
sehen ist,   dass  beide  Gegensätze  des  Geistes  nur  im 
Mittclpunkle   des  Gefühls,   —  des  Bewusstseins   seiner 
concreten  Zuständlichkeit  im  Ineinanderwirken  von  Erken- 
nen und  Wollen,  —  ihre  vermittelnde  Einheit  finden.   Diess 
Dritte  oder  Mittlere,  das  Gefühl,  hat  Hegel  vollends  auf 
eine  ungenügende  Weise  in  den  praktischen  Geist  milein-» 
gemischt. 

Um  jedoch  die  Form  des  Willens  zu  finden,  welche 
dem  denkenden ,  Vernunft  gewordenen  Erkennen  parallel 
ist ,  so  kann  diese  nur  der  eben  so  allgemeine ,  „d  e  n* 
k  e  n  d  e<<  Wille  sein ,  nicht  der  einzelne  ,  n  u  r  subjektive 
eines  eigennützigen  Triebes.  Und  so  wirklieh  bezeichnet 
auch  H  e  g  Q I  sogleich  den  Willensbegriff  (§.  469. ,  vergL 
$.471.  An  merk.),  und  setzt  hinzu:  „die  wahre  Freiheit, 
als  S  i  1 1 1  i  c  h  k  e  i  t ,  ist  diess ,  dass  der  Wille  nicht  sub« 
jektive,  d.  i.  eigensüchtige,  sondern  allgemeinen  (Gedan- 
ken-)Inhalt  zu  seinen  Zwecken  habe<<.  Und  das  goldene 
Wort :  „Es  ist  nichts  Geringeres ,  als  absurd,  aus  der 
Sittliebkeit,  Religiosität,  Rechtlichkeit  das  Denken  au s- 
sohliesscn  zu  wolien<^  (S. 485.),  —  welches  nach  rechts 
und  links  die  entgegengesetztesten  Parteien  triift,  die, 
welche  die  Religion  vor  dem  Denken   bewahren  wollen, 


060  Der  prnküscbp  Geist 

gleich  denen,  welche  das  Denken  Aber  die  Religion  sldlen, 
und  diese  iur  eine  bloss  subjektive  Selbstbefriedigung  des 
Geilihls  erklären  mochten,  —  diess  goldene  Wort  Hegels 
soll  uns  nicht  verioren  gehen.  ^  Aber  innerhalb  der  De- 
duktion betrachtet ,  und  in  der  Verbindung,  in  welcher  es 
steht,  indem  von  dieser  höchsten  sogleich  zur  allernie- 
drigsten  Form  des  Willens,  dem  durch  sinnliches  Gefühl 
angeregten  Bedürfnisse,  den  Trieben  und  derWill- 
küh  r  zurückgegangen  wird  ($.  472.  IT.),  welche  zuhöebst 
nur  in  der  Gluckseeligkeit(S.  479.  ff.),  — dem  Ver- 
suche, durch  Begranzung  und  Mdssigung  der  Triebe  sie 
alle,  oder  den  subjektiven  Haupttrieb,  zu  befriedigen,  — 
ihren  Ausdruck  finden,  kann  jener  Ausspruch  nur  als  ein 
falsch  gestellter,  wie  jener  ganze  Begriflszusammenhang 
als  ein  undialektischcr ,  das  wahre  VerlMiltniss  zu  einem 
ijßsteron-'proterou  verkehrender,  bezeichnet  werden. 

Erst  im  objektiven  Geiste  ($.483.0*.)  erhält  der 
freie  Wille,  oder  bestimmter  die  Freiheit,  (die  nicht 
mehr,  als  Willkühr,  an  die  einzelne  Subjektivität  ge- 
knüpfte >,  sondern  die  Subjekte  zu  Momenten  ihrer  selbst 
herabsetzende)^  die  Freiheit  des  Begriffs,  ihre  volle 
Verwirklichung.  Die  Zwecktbatigkeit  dieses  WiUens  ist, 
sdnen  Begriff,  die  Freiheit,  in  der  äusserlichen  Objektivi- 
tät zu  realisiren,  so  dass  sie  eine  durch  den  vernündigen 
Willen  bestimmte  Welt  sei.  Der  Geist  hat  sich  volle  Ob- 
jektivität zu  geben,  ein  Gedankenuniversum  aus  sich  selbst 
durch  Freiheit  aufzubauen.  Der  (absolute)  Begriff  ist  hier- 
mit in  dieser  Objektivität  schlechthin  „bei  sich  selbst,  mit 
sich  zusammengeschlossen;  er  ist  hiermit  zur  Idee 
vollendet"«  ($.  484.). 

Diese  Eii^heit  des  vemänitigen  (Universal-) Wfllens  mit 
den  einzelnen  Willen,  in  welchen  ersterer  seine  unmitleL 
bare  und  eigenthümliche  Verwirklichungsform  oder  Bethä- 
tigong  findet,  macht  „die  einfache  Wirklichkeit 
der  Freiheit^  au&  Auch  in  diesem  ganzen  Gebiete  ist 
daher  die  Allgemeinheit  das  wahrhaft  Substantielle; 
die   einzelnen  Geister  werden   von  ihr  durchwohnt   nnd 


Das  Recht  —  die  MoraQtat.  961 

durchwirkt,  aber,  a  I  s  Einzelne,  in  jene  geistige  Sabstantla« 
litat  au^ehoben.  Diess  geistige  Universnin ,  —  aufgebaut 
durch  jene  substantielle,  allgemeine  Freiheit  des  abso^ 
luten  BegriiTs ,  welche  an  den  Einzelwillen  nur  ihre  Mo« 
roente  hat,  —  (übrigens  eine  ganz  unverständliche  Abstrak- 
tion) —  ist  zuerst  die  Welt  des  Rechts,  der  Rechtsver- 
haltnisse von  sich  gegenseitig  bindenden,  zum  Vertrage 
unter  einander  eingehenden ,  oder  die  Rechte  der  Person, 
im  Betrüge  oder  Verbrechen,  verletzenden  freien  Per- 
sönlichkeiten. Diese  ausserliche^  selbst  nur  objektive  Existenz 
der  Freiheit  wird  sodann  in  der  H  o  r  a  11 1  ä  t  ($.  503«  vergl. 
Rechtsphih  $.105.  IT.)  in  den  innerlichen,  subjektiv 
sich  bestimmenden,  Willen  aufgehoben :  die  (nur  juri« 
dische)  Person  ist  hier  das  freie  S üb  j  ekt  geworden.  Der 
subjektive  Wille  ist  insofern  ein  moralisch  freier,  als  er 
in  seinen  Handlungen  nur  dasjenige  als  das  seinige  aner-* 
kennt,  und  sich  zurechnen  lässt ,  was  er  als  seinen  Vor- 
satz dabei  in  sich  gewusst  und  gewollt  hat  ($.  503.  ff. 
vgl.  Hegels  Rechtsphilosophie  $.  105.  107.  113.)« 
Die  Absicht,  der  Zweck  des  Guten,  und  die  Zurech- 
nungsfähigkeit, machen  hierbei  das  Charakteristische 
des  Willens  aus:  das  Gewissen,  die  rein  innerliche  Be«* 
deutung,  in  welcher  das  Subjekt  seine  That  genommen  bat, 
sollen  die  Entscheidung  über  dieselbe  und  ihren  Werth 
geben.  Das  Subjekt,  in  seiner  Ein z ein heit,  ist  und 
weiss  sich,  als  das  Entscheidende  darüber. 

Hiermit  ergiebt  sich  jedoch  zugleich  schon  in  dieser 
sich  selbstständig  setzenden  Einzelheit  des  Willens 
die  Möglichkeit  des  Bösen.  Es  ist  eben  dieses  Sichset- 
zen und  Wissen  in  seiner  Einzelheit ,  als  das  absolut 
Entscheidende,  über  Zweck,  Absicht  und  über  das 
Gute.  Im  Gewissen  selbst,  sofern  es  diese  subjektive  Will- 
kühr  wird ,  ist  der  Ursprung  des  Bösen  gesetzt:  ,,es  ist, 
als  formelle  Subjektivität ,  schlechthin  diess ,  auf  dem 
Sprunge  zu  sein,  in's  Böse  überzugehen:  an 
der  sich  für  sich  wissenden  und  beschliessenden  6e- 
.wissheit  seiner  selbst  haben    die  Moralität  und  das  Böse, 

61 


963  MdgüdikeU  des  Bösen. 

beide  ihre gemeins€bailUchcWancK  ($.511.12.  Rechls- 
pliil*  S«  139.  mit  An  merk.  —  Wie  die  subjekiire 
Meinung  von  dem  an  sich  Gutsein  einer  Absicht,  m^ 
sie  dadurch  auch  objektiv  gul  zu  machen,  unmiUdbmr  nia 
sich  in  Heuchelei  und  moralischen  Probabilismiis  unselir., 
hat  Hegel  dort  §.  140.  weiter  treffend  gezeigt.) 

Ittdess  ist  bei  dieser  Deduktion  des  Böseo  aus  dem 
Begriffe  des  Gewissens,  die  in  der  That  befremdlich  erschei- 
nen könnte,  der  wesentlichste  Umstand  übersehen  wordeo. 
Gewissen  wird  hier  ausschliesslich  }a  dem  modernen ,  ub- 
wahren  und  selber  subjektiven  Sinne  gefasst,  um  das  Fal- 
sche ,  den  Dünkel  und  die  Arroganz ,  zu  bezeichnen .  ais 
der  eigenen  subjektiven  Willkühr,  als  dem  Gewissen,  über  das 
objektiv  Gute  und  Böse  entscheiden  zu  wollen.  Die ss 
^Gewissen^  ist  selbst  der  Quell  alles  Bösen,  der  Ursprmig 
der  tiefsten  und  heillosesten  Selbstverstrickung ;  aber  es  ist 
gerade  sein  durch  die  praktische  Philosophie  zu  widerle- 
gender Begriff:  Gewissen  ist  vielmehr  der  ursprfinglichei, 
über  jede  blosse  Subjektivität  hinausreichende,  Bnisdheider 

—  nicht  sowohl  in  Betreff  des  allgememen  Gegensatzes 
von  Gutem  und  Bösem,  und  hierhinein,  in  diese  allgemei- 
nen Festsetzungen  darüber ,  fallen  die  Urtheilscollisionea 
der  Probabilitat,  die  unmittelbar  unsittlich  werden  könneo, 

—  als  über  das  Gute  und  Böse  jeder  persönlichen  Wtllens- 
entscheidung  *).  Hierüber  kann  Jeder ,  falls  er  nur  will, 
stets  mit  sich  auf  dem  Reinen  sein ,  und  ein  „irrendes* 
Gewissen,  wie  die  Kantische  Schule  diess  vortrefflich  ge- 
zeigt hat,  giebt  es  nicht;  denn  in  ihm  liegt  eine  eben- so 
absolut  entscheidende,  mit  ursprünglicher  Evidenz  beliehene 
Macht ,  wie  die  theoretischen  Axiome ,  die  aprioriscIieB 
Vernunftwahrheiten  es  sind;  und  keiner  der  neuem Fhilo- 

'  sophen  hat   darauf  starkem  Nachdruck  gelegt ,    als  eben 
der,  gegen  welchen  jene  Polemik  Hegels   gerichtet  ist, 


*)  In  dieier,  der  eincig  richtigen,  Bedeutung  nimmt  Hegel  jik 
dess  dies«  Wort  ftn  andern  Stelten  wirklich,  2.  B.  in  der  £o- 
qrUop.  S,  &56.  57.  u.  s.  w. 


Möglichkeit  des  Bösen.  963 

1.  Fr.  Fries  (vgL  oben  S.  343.).  —  So  Ist  aach  die  He«, 
^e Ische  Deduktion  vom  Ursprünge  des  Bösen  nicht  dar-* 
über  hinausgelangt ,  die  ganz  nur  empirische  Möglichkeit 
desselben  zu  erklären.  Der  subjektive  Einzelwille  kann  es 
sich  eben  faktisch  einfallen  lassen,  über  die  substan« 
tielle  Sittlichkeit,  wie  sie  im  Volksgeiste,  in  der 
Sitte,  in  der  positiven  Gesetzgebung-,  im  Staate  und  der  Bell- 
frton  ausgesprochen  ist  (diese  sind  eigentlich  nach  Hegels 
Konsequenz  das  sittliche  Gewissen  des  Einzelnen,  vgl^  Bncykl. 
S.  560.61.),.sichautonoiBisch  hinauszusetzen:  das  ist  dann 
die  sich  als  das  Absolute  behauptende  Subjek-» 
tivität,  das  Böse  (Rechtsphil.  §.  141.  146.). 

Wären  hier  auch  sonst  nicht  die  wichtigsten  Zwischen«^ 
bestimmungen  ausgelassen  zwischen  der  sittlich  ihrer 
selbst  gewissen  Subjektivität  und  der  sich  als  das  Absolute 
setzenden  Eigensucht,  dem  allein  Bösen;  so  bliebe  noch 
immer  die  tiefere  Frage  übersprungen,  woher  denn,  nicht 
faktisch,  sondern  metaphysisch,  der  subjektive  Ein-» 
zelwillc  also  sich  auszusondern  und  entgegenzusetzen  ver- 
möge der  allgemeinen  sittlichen  Substanz.,  als  der  einzigen 
Weltmacht,  welcher  gegenüber  nach  Hegels  Prämissen 
der  Einzelne  ,  als  flüssiges  Moment  derselben ,  gaf  keine 
Eigenmacht  und  Selbstständigkeit  haben  kann.  Denn  selbst 
die  sittlichen  Individuen,  die  Träger  des  Weltgeistes,  „sind 
in  Bucksicht  auf  den  substantiellen  Gehalt  ihrer  Arbeit 
Werkzeuge  desselben,  und  ihre  Subjektivität,  die  ihr 
Eigenthümliches  ist,  ist  die  leere  Form  der  Thätig-* 
k  c  i  t^'.  Auch  sie  sind  nur  flussige  Momente  jenes  allge-* 
meinen  Processes  ,  und  nichts  Eigenes ,  aus  einem  Selbst 
in  ihnen  Stammendes,  ist  an  ihnen  ($.  551.  Bechtsphi-« 
1  o  s  0  p  hi  e  §.  343.,  vergl.  mit  §.  348.). 

So  bleibt  hier  dieselbe,  tief  in  diePrincipien.des  gan- 
zen Systemes  hineinreichende  Lücke,  deren  parallele  Stelle 
sich  auch  in  der  Naturphilosophie  ergab.  Dort  heisst  es: 
das  Einzelne  der  Natur ,  des  Lebendigen,  ist  der  Zufällig- 
keit begriffloser  Unterschiede  preisgegeben ,  durch  die  es 
in  endlose  Verschiedenheiten  gegen  sein  Anderes  verläuft. 


964  Die  ShUlclikeit 

Mag  es  sein ,  dasd  bis  in  diese  hinein  sein  Begriff  nlcU 
mehr  verfolgt  werden  kann ,  die  Frage  ist  dort  nur ,  wie 
hier,  woher  denn  überbaopt,  da  Nichts  sein  soll ,  als  der 
absolute  Begriff ,  der  absolute  Geist ,  ein  Begriffloses ,  ein 
von  der  allgemeinen  geistigen  Substanz  Losgerissenes,  Exi* 
stenz  gewinnen  könne,  in  dem  natürlichen  Dasein ,  vne  in 
der  Sphäre  des  Willens?  Auch  hieran  widerlegt  die  Ue- 
g  e  1  sehe  Ph'dosophie  sich  selbst,  indem  sie  der  Unfahigiceit 
ihres  Princips,  diess  Begriffslose,  diesen  Rest  des  Daseins, 
anch  nur  nach  seiner  Existenz  zu  erklären ,  offen  gestai>- 
dig  wird.  ^ 

In  der  Sittlichkeit  endlich  ($.  513.  ff.)  wird  die 
Vollendung  des  objektiven  Geistes,  die  Wahrheit  des  sub- 
jektiven und  des  objektiven,  erreicht.  Die  subjektive  Frei- 
heit einer-  und  die  objektiv  sittliche  Substanz  andererseits, 
die  in  der  Moralität  aus  einander  fielen,  wenigstens  fallen 
konnten ,  sind  hier  zur  Einheit  gelangt.  Die  subjektive 
Freiheit  weiss  sich  als  der  allgemeine  vernünftige 
Wille,  und  ist  einverstanden,  versöhnt  mit  ihm :  die  objek- 
tive sittliche  Substanz  lungekehrt  gewinnt  in  der  allge- 
meinen Gesinnung  der  Subjektivitäten,  der  Sitte,  dem 
Volksgeiste,  dem  Staate,  ihr  reales,  fesigegründetes, 
durchwirkendes  Bewusstsein.  Die  sittliche  Substanz  ist  so 
theils,  als  unmittelbarer  oder  natürlicher  Geist,  der 
Process  und  Geist  der  Familie,  theils,  indem  diese  nur 
in  bewusster  Beziehung  und  in  befassender  Totalität  mit 
den  andern  geistig  sittlichen  Individualitäten  sein  kann,  die 
bürgerliche  Gesellschaft,  deren  vollkommener^ 
ans  sich  selbst  sich  erhaltender ,  ergänzender  und  erneu- 
ernder Organismus  der  Staat  ist,  als  „die  selbsibe- 
wusste  sittliche  Substanz^:  > — und  diesen,  als  das  völlig 
realisirte  System  aller  Rechte  und  Pflichten ,  der  in  allen 
Individuen  herausgebildeten  sittlichen  Gesinnung,  welche  in 
der  Religion  ihre  wahre  Garantie  und  innerliche  Sub« 
stanz  hat  ($.  5ö2.  mit  Anmerk.>,  diesen  vollkommenen 
Vernunft  Staat  herauszubilden,  ist  das  Ziel  und  die  ab- 
solute Bestimmung   der  Weltgeschichte,   durch   die 


Tergleichimg  mit  Flchte*s  praktischer  Philosophie.    965 

mmcr  tiefere  Euibildong  des  göttlichen  Geistes  (des  Weit- 
rcisles)  in  die  allgemeine  Wirklichkeit  des  Selbstbewusst* 
»eins:  durch  Versöhnung  des  menschlichen  Gei- 
»Ics  mit  dem  göttlichen(§. 648. 49.  vgl  mitRechts^ 
[)  h  i  !•  $.  359.  60.)- 

In  diesem  ganzen  Abschnitte  der  praktischen  Philoso- 
phie Hegels  kehrt  zunächst  eine  unverkennbare  Analogie 
mit    den  Principien   des  späteren  Fic ht eschen  Systemes 
zurück ;    dennoch  sind  auch  die  prinoipielien  Unterschiede 
zwischen    beiden   nicht   weniger  wesentlich  '  und  wichtig, 
gelbst  wenn  wir  vom  Einzelnen  absehen,  wie  z.B.  Fichte 
die  oben  beleuchtete  Auffassung  des  Gewissens,  als  eines 
nur  Subjektiven  im  Willen ,  weit  von  sich  hinweggewor«- 
fen  haben  würde.  —  Beide  Systeme  setzen  das  natürliche 
Dasein  als  das  der  Idee,  dem  Göttlichen,  sddechlhin  un-» 
angemessene :  für  beide  bereitet  sich  erst  im  Geiste ,  be* 
ßlimmter  dann  im  freien  Geiste,  die  Stätte  wt  Verwirkli«- 
chung  der  Idee;  im  Rechte  jedoch  nur  auf  negative  Weise : 
der  allgemeine  Rechtszustand  ,   und    der  Staat ,  sofern  er 
nur  diesen  garantirt,  ist  bloss  der  Schutz  der  formellen 
Freiheit  der  Individuen,   Bedingung  zur  allgemeinen  Sitt^ 
lichkeit,  welche  nicht  fehlen  darf,  die  aber  noch  nicht  p  o^ 
8  i  t  i  V  e  r  Inhalt  des  Sittlichen  und  sein  Voltbringen  ist.    So 
hat  namentlich  Fichte    den  Boden  des  Rechts  von  dem 
der  Sittlichkeit  auf  das  Bestimmteste  abgeschieden  und  nach 
diesem   Gesichtspunkte  Rechtsphilosophie,    wie  Ethik    in 
scharfer  Abgränzung  von  einander  behandelt  *).    Hegel 
stimmt  im  Allgemeinen   über  die  Bedeutung  dessen ,   was 
er  „abstraktes  oder  formelles  Recht«  (Rechts- 
phil.  S.  33.  34—46.)  nennt,  mit  Fichte  überein;  es  ist 
auch  ihm  die  Bedingung,  Voraussetzung,  zur  Verwirklichung 
der  beiden  Gebiete ,   welche  er   als  Moralität  und  Sittlich- 
keit bezeichnet ;  und  schon  diese  Unterscheidung ,   welche* 
Fichte  nicht  kennt ,   noch  einer  der  frühem  Uoralphilo- 


*)  Vgl.  Fichte's  nachgelassene  V^erke  Bd.II.  S.  496.  ff. 
Bd.  III.  S.  8. 


066  Vcrgicichung 

sophon,  zoigt  eino  umfassendere  und  tiefere  Glicdeiting  drr 
letztern  Sphäre,  als  wie  sie  bei  Fichte  sich  findet.  Aber 
hiermit  scheint  uns  die  scharfbegränzte  wissensehafUiriif 
Haltung  zwischen  Rechtsphilosophie  und  Ethik  wieder  tct- 
wischt,  welche  von  der  Kan tischen  BUdungsepocbe  ans 
für  beide  gefunden  war.  Wie  jedoch  anch  Fichte  dif 
höhere,  sittliche  Seite  des  Staats,  sein  Verhiltntss  zu  Re- 
ligion und  Kirche  in  ihrer  gemeinsamen  wellgrschichllichrs 
Entwicklung  anerkannt,  diess  hat  er  in  seinen  Vorlesongcfl 
aber  das  Verhältniss  des  Urstaatcs  zum  Vcr- 
nunTtrelchc  (Berlin  1820.)  dargelegt  ♦). 

So  zieht  Hegel  irrig,  wie  uns  dünkt,  Recbtspfli'gp, 
Gericht  und  Bestrafung ,  die  Poücel  mit  ihrer  äusseriichei 
Sicherheitsmaassregeln,  in  das  Gebiet  der  Sittlichkeit,  wäh- 
rend diese  nur  zu  den  negativen  Bedingungen  derselbm, 
zum  rechtlichen  Schutze  der  persönlichen  Freiheit,  gebörra 
Und  so  ereignet  es  sich ,  dass  im  Systeme  seiner  Rechts- 
philosophie Verbrechen  und  Strafe,  Rechtszwan^ 
und  Rechtspflege  doppelt  vorkommen,  theils  im 
„abstrakten  Rechte«,  wohin  sie  gehören  ($.99 — 103.),  Ihcifa 
wiederum  in  der  Sphäre  der  Sittlichkeit  ($.  219.  20.> 
in  einem  Zusammenhange,  wo  von  den  sittlichen  Pflicii- 
t  e  n  des  Staates  die  Rede  ist,  dass  die  Rechtspflege  öfientlich 


*)  Auch  wäre  iiicht  unangeraessen ,  hierbei  lu  weiterer  Vergtei- 
diuiig  zwischen  Hegel  und  Fichte  auf  die  Aiiafuhning  zo 
verweisen  ,  durch  welche  der  Letztere  Staat  und  Kirciie  im 
Begriffe  einer  Theo  lir  atie  vereinigt  a.  a.  O.  S.  270.  IT.: 
Hegel  lüsst  die  Kirche  in  den  Staat  eingehen;  in  der  Voll' 
kommenheit  der  staatlichen  Einrichtungen  ist  jene  befasst 
und  nur  ein  Moment  desselben:  nach  Fachte  geiien  Staat 
und  Kirche,  wie  sie  jetzt  einander  relativ  gegenüberstehen, 
in  die  dritte,  höhere  Einheit  der  Theokralie  über :  er  hat  io 
seiner  Philosophie  ein  Princip  der  Zukunft,  während  Heget, 
von  allem  Andern  seiner  Auffassung  abgesehen ,  auch  hier 
den  Gedanken  einer  neuen,  speciOsch  alle  Lehensverhalloi»«« 
umgestaltenden  und  tiefer  versöhnenden  Wettgestaltung  kaum 
übrig  lä»st. 


mii  Fichte*8  praktischer  Philosophie.  967 

sei,  dass  in  dem  Urtheflssprache  auch  der  Moment  der  sub« 
jektiven   Ueberzeugung  von  der  allgemeinen  Ge- 
rechtigkeit desselben,  als  einer  That  der  allgemeinen  sitt- 
lichen Substanz,  beachtet  werde  u.  dgl.    Diess  müssen  wir 
für  eine  Vermischung  zweier  völlig  zu  sondernden  und  in 
der  firübem  Ausbildung  der  Wissenschaft   wirklich  schon 
getrennten  Sphären  erachten;  ebenso,  wenn  an  einer  an- 
dern Stelle  (Bncykl.  $.486.  Anmerk.)«  nach  Entwick- 
lung der  Begriffe  des  R  e  c  h  t  s  und  der  P  f  1  i  c  h  t,  als  zweier 
Correlaten ,  indem  einem  Rechte  von  der  Einen  Seite  eine 
Pflicht  (Bindung  der  formellen  Freiheit,  Verpflicblung ,  de- 
biium)  von  der  andern  S'nte  entspricht,   der  weitere  ganz 
ungehörige  Begriff  hinzugebracht  wird,   dass,    indem  die 
Rechte  der  Person  am  Unmittelbarsten  'm  Eigenthume, 
seinem  rechtlichen  Besitze,  verwirklicht  sind,  es  um  dess- 
willen  „Pflicht  der  Person  sei,  Sachen  alsEigenthum 
zu  besitzen,  d.i.  als  Person  zu  sein^  (S.499.):  — 
eine  widersinnige,  ja  abgeschmacktb  Konsequenz,  indem 
etwa  auch  daraus  folgen  musste,  dass  die  freiwillige  Armuth 
(Eigenthumlosigkeit),  welcher  sich  die  Mönchsorden  unter- 
ziehen, unsittlich  sei  ^),  und  dass  ihre  Individuen,  als 
jedes  Eigen  th  um  es  baar,   auch  keine  rcchllichen  und 
sittlichen  Personen  sein  können :  —  Folgerungen ,  die  wir 
Hegel'n   ersparen  wollen,  denen  seine  Theorie  jedoch 
ausgesetzt  ist  durch  Verwirrung  jener  beiden  Gebiete  des 
Rechts  und  der  Sittlichkeit. 

Aber  eine  wesentlichere  Ungenäge  bleibt  hier  noch 
zuräck,  gleichfalls  im  Gegensatze  mit  der  tiefer  dringenden 
Fichte  sehen  Sittenlehre.  Hegel  zeigt  in  diesem  gan- 
zen Gebiete,  dass  ihm   der  eigentliche  Begriff*  der  Per- 


«)  £in  ähnliches  Urtheil  blickt,  als  die  wirkliche  Meinung,  hin- 
durch,  wenn  Hegel  späterhin  (S.  560.)  ,,<lie  Heiligkeit  der 
Armuth  und  ihres  Mussiggang»«<  (?)  gegen  „die  Sittlich- 
keit der  Vermögens-  und  Erwerhstliätigkeil*«  tief  herabsetzt 
—  eine  zelotisclieMisskenunng,  welche  er  besser  den  Gemein- 
plätzen älterer  Aufklärung  gegen  den  Katboilcismus  überlas- 
sen halte. 


968    Vergleicfaung  mil  F1clite*s  praktischer  Philosophie. 

sönlichkeit,  selbst  in  den  höchsten  Formen  desGcfisIrs, 
völlig   ficemd  geblieben   ist.     Auch    das   sittiiche  Subjekt, 
auch  die  Genien,  in  welchen  der  Geist  der  Weltgeschichte 
sich  verwirklicht,  sind  an  sich  eben  so  nichtig,  „ihreSub- 
jeklivilal^'  eben  so  nur  «die  leere  Form  der Thäiigkeit<^, 
die  vergänglichen  Gestalten  jenes  «tnnem  Gescharies^    des 
Weltgeistcs  an  ihnen   (Encykl.  $.  551.  RechtsphiL 
(.  344.) 9   als  es  die  bloss  sinnlichen  Subjektivitäten  sind: 
nicht  einmal  im  G  o  n  i  u  s  hat  Hegel  die  innerlich  unergründ- 
iiche,  in  ihrem  seitlichen  Erscheinen  nicht  auszuschöpfende 
Macht  des  kreatörlichen  Geistes  zu  erkennen  vermocht,  und 
dass  es  im  Gebiete  des  Geistes  überhaupt  keine  Mens  eb- 
be i  t  giebt ,  als   ein  GoUektivindividuum  von   gleichgültig 
sich   substltuirendep  Exemplaren,  wie   im  Pflanzen-   und 
Thierlebcn  allein  die  Gattung  das  Individuelle  und  Unsterb- 
liche ist,  —  sondern  nur  ursprüngliche  Persönlichkeiten, 
deren  jede  eine  concreto  Idee  in  Gott  verwirklicht.    Kurs 
Hegel  ist  auch  in  der  Sphäre  des  Geistes  nicht  über  den 
Begriff  des  blossen  Gattungs lebe ns  hinausgelangt.  Ah« 
ders  bei  Fichte,  welcher  -^  der  Erste,  so  weit  uns  be- 
kannt, seit  Leibnitz,  welchem  Gedanken  Schelling 
nachher   die    naturphilosophische  Ausiulirung   gab 
(s.  oben  S.  643.  u.  s.  w.),  —  wenigstens  im  sittlichen 
Ich  diese  innere  Substantialität  und  Ewigkeit  des  kreatür- 
liehen  Geistes  mit  Entschiedenheit  erkannt  hat.  Den  Grund 
derselben  findet  er  darin ,  dass  Gott  nur   in   einem  g  e- 
schlossenen  Systeme  von  Geistern,  von  eigenthüm- 
lichen  und  innerlich   sich  ergänzenden  Individuen  erschei- 
nen könne,  welche  eben  darum,  jedes  in  seiner  goUbestätig- 
ten  Eigenthümlichkeit,  gleich  ewig  sind  mit  Gott*). 
Hiermit  ist  wenigstens  die  Grundlage  gegeben,  um  auch  in 
anderer  Beziehung  über  den  gewohnten  Begriff*  eines  end- 
losen Erscheinens  und  Wiederverschwindens    von   Indivi- 
duen hinauszukommen,   der  selber  leer  und  voll  von  Wi- 


*)  Fichte's  Sitte  n  I  eh  r  e^  nachgelassene  Werke,  Bd.  III. 
S.  51.  55.  f.,  Thatsdchen  Bd.  II.  S.  548.  ff. 


•  Die  Lehre  vom  absoluten  Geiste.  069 

dersprüchen  ist:  ieih  Begriße  der  Scb^fung,  als  eines 
vollendeten  (vollkomninen)  Vernanftsystemes  widerstreitet 
durchaus  die  Vorstellung  jener  schlechten  End.  und  Zaht«> 
losigkeit,  welche  Hegel  in  der  Naturauffassung  zwar  be* 
kämpft  hat,  sofern  sie  wenigstens  nichts  Erhabenes  in  sich 
45chliesse,  in  der  Sphäre  des  Geistes  aber  hat  belassen  mdSi** 
«en  ,  weil  ihm  der  Begriff  der.  wahren  (in  ihrer  Einzeb- 
heit  selber  unendlichen)  Individualitat  fremd  gebUe^ 
bca    ist. 


Im  ^absoluten  Geiste«  endlich  (§.  553.  ff.)   ge- 
langen der  subjcktivo,  wie  der  objektive  Geist,  gleicher  Weise 
zu  ihrer  Versöhnung  und  Vollendung  in  einander.    Er 
ist  die  Eine  und  allgemeine  Substanz,  als  ,,geistige%  näm- 
lich das  Urthcil  in  sich  und  in  das  Wissen,  für  wel- 
ches er  der  Eine  und  allgemeine  Geist  ist.     Hegel  be- 
zeichnet das  Eigenthümliche  dieser  Sphäre  dahin,  dass  jene 
Einigung  ebenso  vom  Subjekte  auszugehen  habe ,  welches 
sich  als   „im  Allgemeinen  sich  befindend  weiss^,  wie  vom 
absoluten  Geiste  selbst,  welcher,  als  solcher,  in  das  Sub- 
jekt eingeht.    Als  Beispiel  führt  er  die  Religion,  den  ^Glau- 
ben^  an,  der  jedoch,  so  gefasst,  nicht  als  dem  Wissen  ent^ 
gegengestellt  zu  denken  sei,  sondern  als  ein  unmittel- 
bares Wissen,   die  unvermittelte  Zuversicht,  dass  „Gott, 
als  Geist,  in  seiner  Gemeine  gegenwärtig  ist«.  —    Allge- 
meiner und  bezeichnender  vielleicht  hätte  Hegel  an  das 
Wesen  der  Begeisterung  überhaupt  erinnern  können, 
sei  es  die  künstlerisch  bildende ,  die  praktische  ,  die  wis- 
senschaftliche,  oder  die  höchste  der  eigentlichen  Andacht 
und  GotteserRüllung.    In  ihr  weiss  sich  das  Individuum  im 
Dienste,  als  das  offenbarende  Werkzeug,  einer  Idee,  und 
diese  in  sich  gegenwärtig;  zugleich  jedoch  fühlt   es  sich 
selbst  mit  ihr  versöhnt  und  in  diesem  Zustande  vollendet. 
In  dem  religiösen  Bewusstsein  dagegen,  namentlich  in 


970  Die  Kunst. 

dem  ^der  Gemeine,  welche  den  Geist  Gottes  ii 
sicli  f^egenwärtig  weiss<*,  treten,  wenn  diess  Wert 
nieht  zu  einem  sehr  nniversellen  Abstraiitnm  kerabgiestinnt 
werden  soll,  noch  so  tiergreirende  und  eigenthümliclie  Be- 
^tinunangen  hinzu,  dsss  es,  als  Beispiel  l&r  eine  so  nllge- 
meine  und  vielumrassende  Zustindlichkeit  gewählt , 
dezu  sinnverkehrend  wird  ,  nach  der  Einen ,  oder  der 
dem  Seite,  iur  des  Beispiel  selbst. 

In  diesen  Gebieten,  dem  der  Kunst  und  der  BeligiOB, 
welche  Hegel  zudem  noch  in  besondem  Werken  reick 
und  eigcnihflmlich  behandelt  hat,  treten  sehr  etgenthumficbe 
Interessen  hinzu,  welche  jedoch  unsere  Kritik  für  jetzt  gnx 
ausschliessen  muss,  um  die  allgemeine  Idee  des  Systemes 
and  die  Charakteristik  seines  Standpunkts  aach  in  diesei 
speciellem  Ausführungen  nicht  aus  dem  Auge  zu  verikrea. 
So  muss  namentlich  die  Entwicklung  Hegeis  über  das 
allgemeine  Verhältniss  der  Kunst  zur  Religion ,  bestimmter 
über  das  Verhältniss  der  Kunstformen  der  einzelnen  Reli- 
gionen zu  der  wahriiaften  oder  absoluten  Religion  C^ncykl- 
S.  3Ö2.  63.  Aesthetik,  Werke  Bd.  X.  1.  S.  418.  ff. 
478— 86.)9  hier  übergangen  werden.  Was  vrir  wahr  darin, 
oder  in  anderer  Beziehung  principiell  mangelhaft,  and  dannn 
auch  nicht  selten  mit  einer  tiefen  Mi sskennung  des 
Faktischen  behaftet ,  erklären  mussten  (z.  B.  über  die 
christliche Myslik,  über  die  romantische  Kunstromi,  Aesthe- 
tik I.  S.  477.  78.  u.  s.  w.) ,  das  wird  aus  unserer  Kritik 
des  Principes  Jeder  sich  selbst  zu  entwickeln  vermögen. 
Jetzt  nur  so  viel  darüber,  um  auch  hier  die  Granze  zu  zei- 
gen, welche  jenem  Principe  überall  eine  absolute  und  un- 
übersteigliche  zu  sein  scheint. 

Die  schöne  Kunst  (und  deren  eigenthümliche  Religion, 
die  griechische)  bat  ihre  Zukunft  in  der  Religion  über* 
haupt  (S.  063.) ,  bestimmter  in  der  absoluten  Religion, 
als  der  Religion  des  sich  offenbarenden  Geistes. 
Nach  der  formellen  Konsequenz  dieser  Feststellung 
wurde  daraus  folgen,  dass,  mit  dem  Hervortreten  der  ,ab- 
soluien^  Religion,  der  christlichen,  auf  die  Stufe  des  well- 


y 


Die  Kunst.  971 

g-escbichtficben  Bewusstoeins,  auch  det  Unlergang  der  Kunst 
eingetreten  sein  iiifisste,  wenigstens  die  Bedürftiisslosigkeit 
der  absoluten  Religion  klar  geworden  sei,  ein  eigen- 
th  ü  in  liebes  Kunslprincip  aus  sich  hervorzurufen,  glekh-i* 
wie  die  Trübem  Religionen,  zum  Zeichen  des  „beschrank- 
ten G  e  b  a  1 1  s  ihrer  Idee^' ,   sich  in  besondem  und  ihnen 
entsprechenden  Kunslgestaltungen  verkörpern  inusslen ,  um 
wenigstens  in  so  sinnlicher  Weise  den  festen  Ausdruck  zu 
gewinnen,  welcher  ihnen  in  der  „Innerlichkeit  des  Geistes^ 
noch  nicht  vergönnt  war.    Diess   wäre  nach  der   „Ency- 
klopädie^  die  unverläugnete  Konsequenz  des  Syslemes ;  wie 
sehr  nur  das  Gegentheil  wahr  ist,    wie  durchgreifend  das 
Christcnthum   auch  eine   neue  und  ebenso  ihm  gemasse 
Künsten t Wicklung  erzeugt  hat  j   diess  bedarf  keiner  beson- 
dem Erwähnung:  selbst  Hegel  hat  in  seiner  Aesth et ik 
es  keineswegs  bei  so  ungenügenden  Bestimmungen  gelas- 
sen;  die  romantische  Kunstform   ist  es  vielmehr, 
welche  dem  modernen,  christlichen  Bewusstscin  entspricht: 
dieses  Axiom  der  ganzen  neuern  Aesthetik  bat  er,  trotz 
des  formellen  Widerspruches  seiner  allgemeinen  Principien, 
aufgenommen. 

Hier  aber  ist  es  von  Neuem  charakteristisch  und  hfingt 
abermals  mit  dem  Hangel  des  ganzen  Princips  aufs  In- 
nigste zusammen  ,  wie  er  das  Wesen  der  Romantik  gc- 
fasst  hat.  Während  die  Kunst  der  Erhabenheit  wc-' 
scntlich  dem  weltgeschichtlichen  Standpunkte  des  jüdischen 
Bewusstseins  und  Cultus ,  so  wie  seiner  Poesie ,  beigelegt 
wird  (Aesthetik  I.  S.  480.  ff.),  —  wir  wollen  nur  er- 
wähnen, dass  vielmehr  im  christlich  Romantischen  erst 
das  Geiuhl  und  der  Kunstausdnick  des  Erhabenen  seine 
höchste  Form  erreichen  kann ;  —  so  soll  die  Wurzel  der 
Romantik  in  der  geistigen  Freiheit  und  Unend- 
lichkeit dosSubjekts  bestehen,  welche  abermals  nur 
in  die  «I  d  e  n  t  i  f  i  k  a  t  i  o  n^  des  Subjektes  mit  Gott ,  in 
^in  Zurücknehmen  in*s  Absolute^',  gesetzt  wird. 
Diess  Süll  aber  am  Höchsten  in  dem  Gegenstande  der  spe- 
cicllcrn  christlichen  Kunst,  in  Christo  und  seiner  Erlösungs- 


972  Die  Kunst. 

geschlchte,  dargestellt  werden.  Hier  ist  es  nicht  mehr 
der  Mensch ,  der  in  bloss  menschlichem  Charakter  und  in 
endlichen  Zwecken  oder  Ausführungen ,  auch  nicht  in  ei- 
nem blossen  Bewusstsein  von  Gott  erscheint,  sondern  ^ 
„als  der  sich  wissende  einzige  und  allgemeine  Gott  selber, 
in  dessen  Leben  und  Leiden,  Geburt,  Sterben  und  Anfor- 
stehen,  sich  nun  auch  för  das  endliche  Bewussiseio 
klar  macht,  was  das  Ewige  und  Unendliche  sei- 
ner Wahrheit  nach  sei^. 

,,Die  Ausbreitung  dieses  Selbstanschanens,  wo- 
durch sich  der  Geist  Gottes  in  der  ganzen 
Menschheit  gegenwartig  macht,  und  in  dieser 
Wirklichkeit  mit  sich  selbst  in  Einheit  bleibt^,  —  (hier 
eulminirt  Romantik,  wie  Christenthum,  demnach  in  formellem 
Pantheismus)  —  ,yist  der  Friede ,  das  Versöhntsein 
des  Geistes  mit  sich  in  seiner  Objektivität  —  eine  göttliche 
Welt,  das  Reich  Gottes«  (A e  s  th  e  ti  k  Bd.  IL  S.  124-30. 
144.  47.  tt.  s.  w.).  Wie  sehr  Hegel  daher  auch  übri- 
gens ,  selbst  in  diesem  Abschnitte ,  die  Virtuosität  seines 
Geistes  bewährt,  den  Allgemeincharakter  der  reichsten  und 
vcrschlungen^ten  Erscheinungen,  aus  ihrer  Gesammtverwick- 
lung  mit  Nebensächlichem  oder  Zufälligem,  auf's  ScbärTsle 
herauszuläutem ,  und  ihr  Grund wesen  zu  treffen;  —  hier 
geht  ihm  das  Erklämngsprincip  unter  den  Händen  aas :  er 
hal  die  Romantik  sammt  dem  Christenthume  nur  in  unbe- 
stimmtester Allgemeinheit ,  gleichmässig  verwandt  den  he- 
terogensten Zuständen  und  darum  sich  selbst  nicht  mehr 
ähnlich ,  fassen  können  ,  weil  beide ,  wie  sich  zeigt ,  über 
die  Macht  seines  Princips  hinausliegen.  Das  Bedürfniss 
einer  Versöhnung  mit  Gott,  das  Bewusstsein  von  dem  Bru- 
che alles  irdischen  Daseins ,  in  welchen  der  tiefste  und 
alleinige  Ursprung  aller  Romantik  gefunden  wird ,  welche 
jedoch  nur  aus  der  durch  das  Christenthum  geweckten 
Grundanschauung  des  Menschisn  von  sich  selbst  in  die 
Welt  gekommen  sind,  meinte  und  suchte  wohl  zugeständ- 
lich  etwas  specifisch  Anderes,  denn  nur  jenen  dialektischen 
Vcrsöhnungsprocess  des  allgemeinen  Geistes  mit  dem  ein- 


Die  absolute  Religion.  973 

eelhcn,  in  welchem  jener  ein. „Fürsiciifolber  wird^t 

Eine  solche  Auslegangsweisc  aber  kann  sich  im  Einzelnen 

kaum  vor  Gewaltsamkeit,  ja  vor  Entstellung  bewahren. 

Zwar  mag  sich,  wie  persönlich  bei  Hegel  gewiss,  die 

tiefste  Intensität  des  Geistes    und  Gemfiths   auch  in  jene 

Allgemcinformeln   Ton    dem  ,^inswerden  des  Unendlichen 

und  Endlichen^  versenken  oder  in  ihnen  sich  wiederfinden, 

wenn  sie  nur  auf  das  Allgemeine,  nicht  auf's  Specifischoi 

achtet;  aber  zugegeben  muss  doch  werden,  dass  die  spe* 

cifische  Bestimmtheit,  auf  welche  es  wissenschaftlich  ge^ 

rade  ankommt,   durch  solche  willige  Ilineintragungen  wo« 

der  gerettet,  noch  weniger  durch  solchen  Begriff  begründe! 

worden  ist.  -^ 

Wir  haben  im  Vorigen  zugleich  schon  den  wesentli- 
chen Inhalt  der  absoluten^  ,^eoffenbarten>  Reli- 
gion CS«  564.  ff.)  vorausgenommen.  Ihr  specifischer  Mo« 
menl  ist  gerade  diess  Offenbaren,  Hanifestiren  des  nncnd« 
liehen  Geistes  im  endlichen ,  diess  Personwerden  einer*, 
diess  sich  im  nnendlichen  Geiste  Wissen  andererseits.  Das 
Wissen,  „das  Princip,  wodurch  die  absolute  Substanz 
Geist  ist^ ,  ist ,  als  die  unendliche  Form  des  Ffirsichseins, 
das  selbstbestimmende,  unendliche  Manife- 
st! ren  ihrer  selbst  fdor  Substanz)  im  endlichen  iSeiste. 
Was  in  deren  Tiefe,  FQlle,  verborgen  ist,  —  die  noch  un«^ 
offenbare  Substanz  Gottes  —  muss  zu  diesem  Lichte  der 
Selbstanschäuung:  gelangen  im  endlich  -  nnendlichen 
Geiste.  „Wenn  das  Wort  Geist  einen  Sinn  haben  soll, 
so  enthält  derselbe  das  Offenbaren  seiner^  (S.  675.).  So 
bat  Christus  die  Tiefen  des  Vatärs  aufgeschlossen ;  so  ist 
femer  in  seiner  Gemeine  der  Geist  Gottes  gegenwärKg. 
Diess  ist,  als  allgemeiner  Zustand ,  ftberhaupt  Religion, 
in  der  nfthem  Bedeutung ,  dass  das  endliche  Bewusstsein 
fiott  als  Geist  (in  diesem  Sinne)  weiss,  absolute, 
offenbarte  Religion;  denn  nur  Gott  selber  kann  es 
sein ,  der  im  endlichen  Bewusstsein  sich  als  Geist  za 
erkennen  giebt.  So  entsteht  richtig  die  Stufenfolge  von 
Standpunkten,  welche  Hegel  (5.576.)  nach  Göschelf 


974  Die  absolute  Religmii. 

Vorganf  e  *) ,    and   auf    Ibn    sich    berarend ,    mbo    be* 
aeicbnei :  - 

^Gott  ist  nur  Gott,  insofern  er  sich  sei- 
bor weiss^.  Hiermit  ist  dem  Anfangsbegriffe  des  Sf- 
Siemes  Genüge  geleistet ,  dass  die  Substanz  nur  als  Sub- 
jekt zu  denken  sei. —  ^Sein  Sichwissen  isl  ferner 
sein  Selbstbewusstsein  im  Menschen^  (dass 
zunächst  überhaupt  die  allgemeine  Substanz  in  ein  wis- 
sendes, selbstbewusstcs  Wesen  eingeht),  »nnd 
das  Wissen  des  Menschen  ron  Gott^  (so  dass  je- 
nes selbstbewusste  Wesen  —  der  Mensch  —  nicht  nur 
von  sich,  sondern  auch  von  Gott  weiss).  Diess  geht 
endlich  fort  zwn  Höchsten,  zur  VoUendung:  ^dass  sich 
der  Mensch  in  Golt  weiss^'. 

Ob'  in  der  Bedeutung  dieser  Sätze  Hegel  und  Ga- 
se hei  bis  in*s  Tiefste  einverstanden  gewesen,  ob  der  Letz- 
tere nicht  stillschweigend  Etwas  in  sie  mithineinverslaft- 
den  habe ,  welches  jener  nicht  hinzudachte  (wovon  nach- 
her), während  Beide  in  dem  wirklich  herausgestell- 
len  Sinne  der  Sätze,  unbeschadet  jener  ruckwärtsliegen- 
den  verschwiegenen  Differenz ,  Eines  Sinnes  waren  und  es 
sein  konnten ;  diess  soll  nicht  weiter  untersucht  werdet 
Wie  Hegel  sie  verstand,  verstehen  musste  (oder  sollte), 
kann  nicht  zweifelhaft  bleiben ,  wenn  wir  sie  einreihen  in 
den  auch  hier  von  uns  erwiesenen  Sinn  und  Zusammen- 
hang seines  Systems. 

Die  absolute  Substanz  ist  unendliche  Negativität  oder 
Sid>jektivitat ,  Geist  an  und  für  sich.  Das  im  Universuai 
sich  allvenvirklichende  Princip  (der  Weltgeist)  ist  darin 
eben  Geist ,  weil  er  diess  „Manifestiren*  ist,  weil  er  sich, 
über  all  sein  Objektivgewordensein  hinaus,  in  das  Licht 
des  Wissens,  in  den  Genuss  seiner  selbst,  ausgebierL  Alle 
Abgründe  und  Tiefen  desselben  müssen  sich  entfalten  und 


*)  Aphorismen  über  Nichtwissen  und  absolutes 
Wissen  u.  s.  w.  Berlin  1829.  S.  73_7L  Dazu  noch  S.89. 
95.  9a  ff.  104. 


Die  absolute  Religfio».  975* 

in  das  Bewusstsein.  treten,  weil  sie  die  Tiefe  des  absoluten 
Geistes  sind,  dessen  Natur  und  Wahrheit,  ,,seine  unend- 
liche Form^,   das  Wissen  ist.     Die  tausend  Augen,   in 
ivelchea  der  Weltgeist  sich  aufthut,  um  die  eigene  Schön-* 
heit  2U  empGnden ,  im  Menschen  dann  seine  Natur ,   sein 
Wesen  zum  Bewusstscin  zu  bringen ,   ^  der  wahre  und 
höchste  Grund  der  Uebereinstimmung  zwischen  Subjektivem 
und  Objektivem  (Denken  und  Sein) ,    —  der  Drang ,  der 
die  Weltwesen,  so  auch  die  Geister,  zu  einander  zieht,  wo- 
durch die  Liebe,  und  nur  sie,  das  wahrhaft  Schöpferische  und 
Bindenjle  ist  in  allem  Dasein,  von  den  Akten  der  organi- 
schen Erzeugung  an ,    bis  herauf  zu    der  schaffenden  Be- 
geisterung in  Kunst,  Wissenschall,  in  praktischem  Gestalten, 
welche  auch  nur  Liebe  zur  Idee  ist ,    —    der  tief  durch- 
dringende,  geheimnissvotte  Einklang,  den  wir  in  der  Welt- 
geschichte  plötzlich  ein  Volk  oder  die   ganze  Menschheit 
ergreifen  und  mit  tiefer  Nothwendigkeit,  welche  doch  ge- 
rade ihre  Lust  und  Freiheit  ist,  einer  völligen  Umgestaltung 
zufuhren  sehen ,   die    i  n  allen  Individualitäten ,   und  doch 
über  ihnen  waltende  Macht,  welche  die  geistige  Signatur 
jedem  Zeitalter ,  jedem  Volke ,  ja  jeder,  Einzelne  verknü- 
pfenden Geistesgemeinschaft  aufdrückt;  diess  unendlich  ge- 
staltende  und  individualisirende  Weltprincip ,   der  Welt- 
geist, die  göttliche  Gegenwart,   als  die  geistige  und 
begeistende  in  Allem,  —  nennt  Hegel  den  a  b  s  o  1  u  t  e  ir 
Geist ,  Gott ;  und  sein  ewiges  Selbstanschaucn  und  Wissen 
von  sich  selbst  ist  dieser  unendlich  geistschaffende  Process  im 
Menschen,  die  schlechtbin  durchdringende  und  damit  „über- 
greifende^ Subjektivität,  welche  sich,  weil  es  ihre  Natur 
ist,  so  vor  sich  selber  in  das  Licht  des  Bewusstseins  heraus- 
lebt (EncykL  $.  214.  15.  S.  216.  17.;  vgl.  was  Hegel 
Bestätigendes  und  Erläuterndes  zu  Gösch  eis  Schrift  hin- 
zufügt: Werke  Bd.  XVIL  S.  126—32.). 

Darin  allein  hat  nun  zugleich  der  endliche  Geist 
seine  Gewissheit,  (wahrhafte)  Freiheit,  Vollendung  und  Se- 
ligkeit, sich  also  „in  Gott^  zu  wissen,  als  Glied  und 
Moment  dieses  göttlichen  Selbstgenusses.  Indem 


976  Die  absolute  ReHgion. 

er  Jedecfa  also  in  Gott  sich  weiss,  indem  er  darin  di^Ge- 
wisslieit  seiner  Vollendung    (Erlösung)    gewinnt   — 
das  Böse    ist  nur    die  Verhärtung  des  SiebnichlanBösen- 
Wolfens  in  diese  göttliche  Concinuilät  *)  —   wird  dadnrrk 
dem  endlichen  Subjekte  die  Persönlichkeit  erworben. 
^Es  ist  das  Wahre  der  Persönlichkeit,  sie  durch  diess  Ver- 
senken in  das  Andere  zu  gewinnen,  —  seine  Isoli* 
rung,  Abgesondertheit  aufzuheben.    —    bi  der 
Freundschaft,  Liebe,  gebe  ich  meine  abstrakte  Persooficb- 
keit   auf,    und    gewinne  sie    dadurch,    die    con- 
creto   In  der  göttlichen  Einheit  ist  die  Persönlich- 
keit als  aufgelöst  gesetzt;  nur  in  der  Erscheinung 
ist  die  Negativitat  der  Persönlichkeit   unter- 
schieden von  dem,   wodurch   sie  aufgehoben 
wird^  **).  —    In  diesen  Geistern  allein  hat  nun  der  ab- 
solute Geist  seine  bewusste  Wirklichkeit:   in  ihnen 
ist  das  Witoen  von  Gott  „fortgegangen^*   zum  ,pSichwissen 
in  Gott^.      Sie  sind    die  „Wahrheit  und  Selbstgewissheit 
seines  Thrones^  (Phänomen,  am  Schlüsse);  diess  ist  der 
wahrhaft   göttliche  Inhalt  der  Weltgeschichte ,    worin  sich 
der  Weltgeist  aus  allen  semen  Gegensätzen  zusammenfasse, 
und  —  zuhöohst  dann  in  der  Wissenschaft,    der  Philoso- 
phie, „als  absoluter  Geiste   sich  ewig  „bethätigt,  er- 
zeugt und  geniesst^  (Encykl.  $.  577.  Schluss). 

Hier  legt  nun  Hegel  jedoch  femer  mit  Recht  den 
grössten  Nachdruck  darauf,  dass  dieses  Sichwissen  in  Gott, 
überhaupt  das  Erkennen  Gottes ,  so  wie  die  daraus  ver- 
mittelte Erlösung  und  Versöhnung  mit  GoU,  —  (falls  wir 
einen  solchen  bloss  theoretischen  Akt  überhaupt  so 
nennen  dürften)  —  nicht  als  eigene  That  des  Subjektes, 
sondern  als  That  Gottes  in  ihm ,  gefasst  und  betrachtet 
werden  müsse.    Auch  die  Liehe,    welche   wir   zu  Gott 


*)  Kncyklop.  J.  512.  Rechtsphil.  J.  139.  140.  A  omerk. 
Relig.  Philo«.  H.  S.  239.  zweite  Ausg.  Vermischte 
Schriften  Bd.  II.  S.  132.  f. 

**)  Rei.  Philosophie  Bd.  li.  S.  237—39. 


Ailgeincines  Resultat  der  RcUgionspbilosophie.      977 

empfinden;  das  höchste  einigende  fjand  seiner  Gemeine  in 
ihm  ,  ist  nur  die  Liebe ,  mit  welcher  Gott  zn  sich  zurück^ 
kehrend   oder  vielmehr  darin  auf's  Innigste  bei  sich  blei- 
bend, sich  selber  liebt*);  und  auch  Hegel  hätte  je- 
nen tiersten  BegrifTSpinosa's  von  der  intellektualen 
Liebe  Gottes,  in  welchem  dieser  Denker  sein  Princip 
wesentlich  durchbrochen  und   bis    zum  He  gel  sehen  Be- 
grriffe,   dem  der  unendlichen  Subjektivität,  gesteigert  hatte, 
auf    das  Ausdrücklichste   in    den    eigenen  Zusammenhang 
verwenden  können. 

Diess ,   vom  Standpunkte  der  Religion  aus  und  in  de- 
ren Ausdrucke ,   der  summarische  Inhalt  der  Hegel  sehen 
Weltansicht ;    und  wir  wenigstens  sind  nicht  gemeint ,  die 
gi*osse,  liefe  Wahrheit  derselben ,  auch  die  volle  Wahr- 
heit dessen,  was  darin  positiv  enthalten  und  in  den  aus«- 
drücklichen  Begriff  herausgestellt  worden  ist ,    in  Zweifel 
oder  Fragp  zu  ziehen :  wir  umfassen  es  vielmehr  in  e\ge^ 
ner  üeberzeugung ,  und  preisen  Hegel  darum  ,    dass  er, 
den  Schranken   der  Zeil   und   einer  allem  Philosophie  ge- 
genüber,    nicht  allein  der  in  ein  blosses  Jenseits  leer 
hinüber  Hoffenden,  sondern  auch  der  christlich  Ausschliess^ 
liehen  und  die  Grösse  des  Princips  Beengenden,  die  volle 
Gegenwart  des   götilichen  Geistes  im  endlichen,    und  die 
befreiende,  wiederherstellende  und  vollendende  Macht  des- 
selben für  die  endliche  Persönlichkeit ,   wo  sie  nur  irgend 
sich  völlig  dahingiebt  in  diesen  Dienst  der  Idee ,   mit  der 
ganzen  Schärfe  des  Begriffes  gefasst  und ,   —  wir  dürfen 
wohl  sagen,  als  der  Erste  unter  den  Philosophen  nach  allen 
Weilen  und  Tiefen,   welche  dieser  Standpunkt,  —  das 
Princip  des  Weltgeistes,  als  des  göttlichen,  — r 
zulässt,  vollständig  durchgeführt  zu  haben.   Von  h  i  e  r  a  u  s^ 
wenn  von  irgendwo  her,  ist  der  Weg  zur  Erkenntniss  des 
innem  Wesens  Gottes  zu  finden;  es   ist  die   wichtigste, 
reichste   und    höchste  Weltkategorie.     Auch   freuen 
wir  uns  mit  voller  Anerkennung  des  Ernstes  und  der  Tiefe, 


»)  Rel.  Philoaophie  H.  S,  227.  240. 

62 
% 


978      Allgemeines  Resultat  der  ReligionspkUosopliie. 

durch  welche  Hegel  aus  diesen  Prämissen  die  w 
liebsten  chrisilichea  Dogmen  in  ihrer,  der  gewohnten.  Auf» 
Tossung  unzugänglichen  ,  Paradoxic  und  Eigentlichkeit  zn 
begreifen  gesucht  hat,  Und  wir  müssen  ihn  specifisch  hin- 
ausrücken, ja  weit  erhaben  erkennen,  über  die  panUieistisck 
aufklärerische  Verflaöhung,  welche  sein  Princip  in  der  neuem, 
jot£t  tonangebenden  Fraktion  seiner  Schule  erlitten  hat 
Dennoch,  dass  diess  Princip  sogleich  diesem  Verfalle  ans- 
gesetzt  war,  —  es  ist  nichi  als  ein  Zufälliges  anzusehen; 
Hegel  selbst  ist  keinesweges  ohne  Schuld  daran  ,  nicht 
sowohl  durch  sein  Leisten,  als  durch  sein  Unterlassen.. 

Denn  hier  tritt  uns  gerade  darum  ,  weil  wir  bis  so 
weit  vollen  Ernstes  mit  Hegel  fortschreiten  konnten,  der 
weitere  Wendepunkt  ein:  Hegels  Princip  ist  nur  die 
Hälile,  eigentlicher  noch  die  hintere  Hälfte  der  Wahrheit, 
di6  freilich  darum,  soleni  sie  für  die  ganze  und  ausschlies- 
sende  Wahrheit  gehalten  sein  und  zur  umfassenden  Welt- 
ansiclit  sich  ausbreiten  will,  nicht  umhinkann^  darum  f als  ch 
zu  werden. 

Gott  vermöchte  nicht,  der  Weltgeist  zu  sein  in  sol- 
cher Tiefe  geistiger  Immanenz,  •—  nicht  als  sitt- 
liche Macht  im  Gewissen  des  Menschen ,  nicht  im  rdigiös 
Begeisterten  als  Welt  und  Tod  überwindende  Kraft  auf- 
zutreten, —  wenn  er  nicht  wäre  —  keinesweges  „Geist 
von  Anfangt'  und  nach  der  Ursubstanz,  diess  ist  eben  die 
zweideutige  Halbheit,  in  welche  Hegel  sich  verstrickt  hat, 
—  sondern  selbstbewusster  Geist,  transscendente^  überwelt- 
iiche  Persönlichkeit;  Und  wie  hiermit  der  BegriiT  des 
Weltgeistes  von  der  einen  Seite  zuerst  seinen  innein  Halt, 
seine  Gewissheit  und  Begreiflichkeit  findet,  so  ist  dieser 
von  der  andern  doch  nun  nieht  mehr  «Gott^',  der  „ab- 
solute Geist^,  dessen  „absolute  Form^  das  Wissen, 
d.  h.  die  Selbstmanifestation  im  kreatürlichen  Bewusstsein, 
ist,  —  alle  diese  Halb-  und  Unklarheiten,  diess  j^ystisdie<^ 
ist  abgeschnitten:  sondern  es  ist  der  göttliche  Aushauch 
in  die  kreatürlichen  Geister,  sich  ihnen  einsenkend,  sie  „in- 
spirirend<* ,  die  damit  nioht  aufgehoben ,  zurückgenommen 


Goscheis  VerhäUniss  tn  Hegel.  979 

in  die  allgoimMnc  geistige  Substanz,  — welche  al$ 
W  eltgeist  nun  gar  nicht  existirt,  noch  exisliren 
kann  für  ein  gründliches  Denken ,  —  sondern  die  ihre 
(wahrhafte)  Eigenheit  darin  nur  bestätigt  erhalten. 

Diese  Wendung  aus  der  tief  und  voUslandig  gefassteh 
immanenz  in  die  Transscendenz  Gottes ,  musste ,   wie  ge- 
sagfl,  auch  hier  wie  bei  S  c  h  e  1 1  i  n  g  (vgj.  oben  S.  763.  IT.), 
-eintreten,   was    die   fortgesetzte  Kritik   des  Hegel  sehen 
Syslemes  noch  Imstimmter  zu  zeigen  hat;  und  diess  ohne 
Zweifol  schwebte  schon  damals ,  wie  eine  stiOschweigt^nde 
Nebenfolge ,  6  p  s  c  h  e  1  n  vor ,   als  er  jene  apologetischen 
Aphorismen  tbor  das  System  bekannt  ntachte.    Spater ,  in 
seinem  „Monismus  des  Ge d ankens^  und  sonst,  am 
Ausdrdckiichsten  und  Ausgefuhrtesten  aber  in  seiner  letz^ 
ten  Schrift:  den  „Beiträgen  zur  spekulativen  Phi-i- 
losophie  von  Gott  und  dem  Menschen  und  dem 
Gott-Menschen^    (1838),   besonders   im  wichtigsten 
Abschnitte  über  den  Kampf  des  Nominalismus  und  Realis«^ 
mus  (S.  102.  IT.),    wird   dieser  Gedanke  als  die   all  ge- 
meine Voraussetzung  auch  des  llegolschen  Prin- 
cipes  gezeigt,    indem  „Subjektivität   ohne  Persön- 
lichkeit^ selbst  nur  ein  unwahres,  nominalistisches  Ah* 
stmktum  wäre,  da  „in  derSphäre  des  GeistesRea- 
lität   ohnc<^    (diese)    „Subjektivität    gar  nicht 
denkbar  sei^.  —  Allerdings;  nur  findet  sich  die  Kategorie 
der  absoluten  Person  in  der  HegeUchen  Logik  nicht  nur 
nirgends,  sondern  sie  ist,  wie  wir  erschöpfend. nachgewie- 
isen,  auch  ihrerii   ganzen  BegriOsbeceiche   ein  schleiihtbia 
Unzugängliches ,   und  das  Gleiche    wird  noch    der  Schluss 
des  Syslemes  im  Begriffe  des  (realisirten ,  nicht  mehr  Po- 
tentialen)  absoluten   Wissens  und  Geistes  ergeben.    Und 
wie  fem  vollends  das  System  ist,  dieweiteni  Konsequen- 
zen jenes  mächtigen  Gedankens  auch  nur  ahnnngsweise  zu 
erkennen,  darüber  lassen  die  allgemeinen  Resultate  unserer 
Kritik  keinen  Zweifel.     Dass  endlich  G  ö  s  c  h  e  1  s  wohlge^ 
raeinler  Wunsch  und  Versuch,  jenen  Begriff  dem  He  gel- 
schen Systeme  in  der  Gestalt ,  wie  es  vorliegt ,  nur  ohne 


»80  Hegels  Begriff 

Weiteres  einzaverieiben ,  uod  nach  dieser  Vorausset- 
zung es  zo  interpretiren,  ein  vergeblicher  bleibe,  ist  ihn 
TOD  'uns  an  allen  Stadien  dieses  Versuches,  mit  weichen  er 
hervorgetreten ,  nachgewiesen  virorden  *).  *— 

Aus  jenen  allgemeinen  Prämissen  seiner  Grundansidt 
entwickelt  Hegel   in  der  Religionsphilosophie  seinen  Be- 
griff der  Dreieinigkeit ,  in  den  drei  Abschnitten  von  dem 
Reiche  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  Geistes. 
Auch  f3r  das  System  ist  es  nicht  ohne  Wichtigk^t,  diese 
Austührung  kennen  zu  lernen.    In  *  der  bisher  beuHhetUen 
strengwissenschatUichen  Darstellung  des  Sy^emes  trat  be- 
sonders die  Lücke  hervor  bei   dem  Uebergange   aus  der 
Logik  in  die  Naturphilosophie:  das  Sichanderswerden,  der 
Abfall  der  absoluten  Idee  von  sich,  blieb  dort  das  Unver- 
mittelte ,    das  bloss  Postulirte ,  der  Sprung  und  Uiatos  im 
Systeme  selbst.    Hier,  im  Gebiete  der  Religionsphilosophic, 
wo  Hegel  mit  der  ganzen  Entfaltung  des  Gedankens  und 
zugleich  mit  Rücksicht   auf  die  ihm  vorangegangenen  Be- 
stimmungen des  religiösen  Denkens  und  der  dogmatischen 
Ausbildung  in  der  Kirche,  auf  diese  Urverhältnisse  eingefal, 
muss  es  zur  Entscheidung  kommen ,  ob  jene  Lücke  durtk 
einen  zufSIligen  Hangel  der  frühem  Ausführungen  Hegels, 
oder  durch  die   innere  Schwäche  des  Princips  selber  be- 
dingt sei. 

Gott  in  seinem  ersten  Momente,  „in  seiner  ewi- 
gen Idee  an  und  für  sich''  (Rel.  Phil.  2te  Ausg.  IL  Bd. 
S.  223 — 247.)  ist  hier  nur  die  abstrakte  Idee,  ist  noch 
im  abstrakten  Elemente   des  Denkens,  nicht    des  Bc- 


.'*')  Vgl.  Idee  der  Persönlichkeit,  S.  10.  ff.  32—37.,  Zeit- 
gchrift  für  Philosophie  Bd.  IL  S.  241.  ff.  Wie  jedoch 
der  G  Öse  hei  sehe  Standpunkt,  im  Ganzen  gefasst,  zwar  uhr r 
das  Hege  Ische  System  hinausgehe,  aber  nur  als  ein  Ueber- 
gangsmoment  in  einen  höhern,  das  Princip  ToUständig  zur  GeU 
tnng  bringenden  Standpunkt  sich  ergebe,  haben  wir  im  alt. 
gemeinen  metaphysischen  Zusammenhange  zu  zeigen  gesucht 
(Zeitschrift  Bd.  V.  S.  221.). 


der  Dreieinigkeit  98f 

r  e  i  f  cns,   weil  sie  nach  nicht  mit  dem  Anderssein 
ehaflcl  ist.    Es  ist  diess   das  „Reich  des    Vaters^ 

S.    224^2320. 

In  dieser  Idee  sind  nun  zwei  Seiten  zn  unterscheiden: 
Lio    des  subjelstiven  Denkens,  welches  diese  Idee  be- 
sitzt, und  die  der  selbstständigen  Objektivität  ihres  In- 
tiuUs.     Aber  beide  fallen  vielmehr  in  der  Wahrheit  der  Idee 
selbst  zusammen :  das  Denken  ist  Bewegung ,  Process ,  es 
erhebt  sich  über  die  Endlichkeit;   da  denkt  es  Gett ,    alle 
Bcsondemng   ist  ihm  verschwunden  ,    und   „so  fängt  die 
Religion,  das  Denken  Gottes  an<^ :  es  ist  in  der  Reli- 
gion    ,,reines,    bewegungsloses,    abstraktes 
Denken«^  (S.  225.  26.).  —  Andererseits  aber  ist  auch  das 
Allgemeine  wieder  in  sich  Bewegung  und  Process;  es 
unterscheidet  sich  von  sich  selbst :  hier  aber  nur  so,  „dass 
der    Unterschied     die    Allgemeinheit    nicht 
lrübe<<.    Es  ist  so  noch  unendlicher,  aber  „abstrakter 
Unterschied^;   —   die  Möglichkeit   eines  unendlichen 
Selbstunterscheidens   ist   überhaupt  in  ihm   gesetzt«     Der 
wirkliche  Unterschied  ist  aber  schon  der  concreto, 
die  Welt,  das  ausgewirkte  Sichandersseiti  Gottes. 

Daher  ist  Gott  in  diesem  abstrakten  Unterschiede^ 
—  müssen  vrir  hinzusetzen,  als  die  unentweicbbare  Folge« 
rang  dieser  Deduktion,  —  nur  im  Denken,  oder  auch 
in  der  R  e  1  i  g  i  0  n  existent,  indem  allein  diese  die  Unend-i 
lichkeit  der  c  on  er  et  en  Unterschiede,  deren  Identität  der 
wirkliche  Gott  ist,  in   ihre  Abstraktion   und  Allgemeinheit 
zurücknehmen ,   sie   darin   zusammenfassen   können.    Der 
wirkliche  Gott  dagegen  ist  immer   schon   der  in  der 
Welt  gegenwärtige,  mit  dem  concreten  Anderssein  be- 
haftete ;  seine  „reine  Einheit^,  sein  (überweltliches)  Ansich- 
selbstsein  ist  selbst  nur  seine  „abstrakte^,    unwahre  Idee, 
„der  abstrakte  Inhalt  des  Denkens«'  (S.  226.  28. 
231.  ff.)*    Diess  das  Erste,  wobei  sich,  alles  Frühere  be- 
släligcnd,  ergiebt ,  dass  auch  hier   zu  einer  Ableitung  der 
Momente  des  Unterschiedes  (des  Endlichen)  aus  Gott,  — 
d.  h.  zum  BegriiTe  einer  eigentlichen  Schöpfung,    die  die 


982  Uegeb  Begriff 

Welt  zur  ThaU  nichl  sur Wirklichkeit,  Gottes  mtM, 
—  überliaupl  keia  Raum  übrig  Ueibl.  Dieser  Howent  ist 
völlig  übersprungen ;  wir  sind  mit  dem  Begriffe  Gottes, 
s^baki  wir  nur  nicht  bei  seiner  Abstraktioa 
stehen  bleiben  wollen,  sogleich  schon  miHea  im 
Begriffe  der  Welt ,  desconcreten  unendüchea  Unlcr- 
schiedes  ,  als  eines  in  ihm  aufgehobenen.  Diess  ist 
jedoch  ganz  nur. die  älteste  Schelli  ngscbe  Bestim- 
mung: y^6ie  absolute  Identität  ist  nicht  Grund  des  Ini- 
vcrsums ,  sondern  das  Universum  selbst^,  und  ^die  wahre 
Fhilosophio  besieht  in  dem  Beweise,  dass  die  ai>soliile 
Identität^  (auch  ia  ihrem  Anderssein)  ,^cht  ans  sich  her-- 
ausgetreten ,  wahrhaft  sich  ein  Anderes  geworden  sei*. 
(S.  oben  S.  620.  26.) 

Nun  erinnert  Hegel  jedoch  weiter,   dass  jene  ab- 
strakte Idee  Gottes,   in  seiner  ,^einen  Einheit  snd  Allge- 
meinheit^  dennoch  nicht  Werk    eines   einzelnen  Denkens 
«nd  imserer  Subjektivität  sei.    Dem  Processe  des  (subjek- 
tiven) Denkens,  die  Endlichkeit  in  Gottes  Idee  znrvckneli- 
men,  entspricht,  und  es  fallt  mit  ihm  zusammen  der  Pro- 
cess  der  Idee ,  sich  zu  besondern ,  d.  h.    in  eui  einzelnes 
Bewufistsein  und  sein  Denken  einzutreten.     Unser  Denken 
Gottes  in    seiner  reinen  Idee   ist  sein  Denken  von  sich 
aelbst  in  uns;  ^  was   abermals  der  altem  Schelling- 
schen  Bestimmung  entspricht,  dass  es  einen  Punkt  der  Kin- 
sicbt  giebt,   für  weldien   die  Idee   des   Absolulea 
ttnd  das  Absolute   zusammenfallen  (vgl.  S,684. 
685.).    Diess  Denken,  Wissen  seinef  selbst  in  der  Religion, 
wie  im  spekulativen  Begriffe,   ist  aber  zugleich  die  ein-« 
zigeForm  seiner  idealen»  reinen  (wenn  man  will,  .vor- 
weltlichen^)  Existenz ;  ebenso  die  e  i  n  z  i  g  e  F  o  r m  seines 
Selbstbewusstseins.    Als  der  reale  Gott  hat  er  sich  immer 
schon  ausgewirkt  in  die  Weltgegensatzä  (der  Weltgeist  ist 
diess  nur,  als  der  verwirklichte);  und  aus  ihnen  fisst 
er  sich  nur  durch  jenen  Begriff  seiner  selbst 
in  die  ideale  Einheit  zusammen   (S.  225.  231. f. 
270.  f.  u.  s.  w.). 


der  Dreieinigkett.  863 

Dies8  das  eigenflich  spekulative  flesnltat  in  Beireff  des 
^ersten  Momentes^  in  Gott:   das  Uebrige  sind  erklärende 
oder  berichtigende  Anwendungen   dieses  Princips  auf  frü* 
here  spekulative  oder  dogmatische  Bestinimongen.     Diess, 
das  ewige  Sichunterscheiden  Gottes   von  sich  selbst ,   da^ 
dach  in  sich  zurückkehrt,  ^diess  Anschauen,  Fühlen,  Wis- 
sen  der  Einheit«  —  ist  die  Liebe  ,  —  „ein  Spiel  dieses 
Utiterscheidens,  mit  dem  es  kein  Ernst  ist,  dass  eben  sd 
als   anfgehoben  gesetzt  ist^    d.  h.  die  ewige,   einfa- 
che Idee«  (S.  227.). 

Damit  ist  Gott  zugleich  der  Dreieinige:  er  unter- 
scheidet sich  unendlich  von  sich  ,  das  absolute  Urtheil  — 
erzeugt  sich  ewig  als  den  Sohn  —  (es  ist  die  Welt) :    — 
der  zweite  Moment.     Was  er  aber   so  von  sich  unter^ 
scheidet,  hat  nicht  die  Gestalt  eines  Andersseins,  sondern 
das  Unterschiedene  ist  anmittelbar   nur    das,    von 
dem  es  geschieden  worden.    So  ist  Gott  der  Geist;  diesf 
Sichzurücknehmen  des  unendlichen  Unterschiedes,  das  Bei- 
sichselbstbleiben  darin :   —  der  dritte  Moment. 
Wo  diess Beisicbselbstbleiben  sich  vollzieht,  haben  wir  ge- 
sehen :  „im  Geiste  des  Mensehen  ,    der  eben  nur  dadurch 
Geist  ist,  weil  er  diese  Wahrheit  empfangen  kann«  (S.  228.  f. 
245.  247—52.  309.  315.).     Diess   sind   die  wesentlichen 
spekulativen  Bestimmungen  des  BegriiTs  der  Dreieinig- 
keit,  aufweiche,  als  auf  seine  „Wahrheit«,   Hegel   dia 
nahem  kirchlichen  und  dogmatischen  Unterschiede  zurflck^p 
zuführen  sucht. 

Hierin  jedoch  müssen  wir  die  wesentlichsten  Unterscheid 
düngen  vermischt  und  zusammengewachsen  erachten,  auf 
deren  scharfer  Auseinanderhaltung  eine  zur  Vollständigkeit 
ihrer  Momente  entwickelte.  Idee  Gottes  nicht  nur,  sondern 
ebenso  das  vollgenugende  4*eligiöse  Bewusstsein,  den  stärk- 
sten Nachdruck  zu  legen  bat:  in  ihre  Vermischung  bei 
Hegel  jedoch  laufen,  noch  einmnl  wie  unter  Einen  Ge- 
sichtspunkt gebracht ,  alle  die  Mängel  und  Bedenken  zu- 
sauimcn,  die  wir  schon  vorher  im  Einzelnen  bei  seinem 
Systeme  nachgewiesen.    Es  ist  hier  ein  Doppeltes  wohl  zu 


964  Begriff 

«nterschoideh ,  von  weichem  wir  freilich  nkKl  b^adplen 
wollen,  dass  es  überhaupt  bisher  bestimmt  geni^  geson- 
dert worden  sei ,  oder  dass  die  Schuld  jener  VermisdiaBf 
mit  ihren  unabweislichen  Folgen  Hegel  allein  oder  Tor- 
zogsweise  treffe  ♦). 

Im  Begriffe  der  Dreieinheit  liegt  ganz  ang-emeiB  zu- 
nächst der  Gedanke  einer  Sdbstverdoppelung,  Selbstobjek- 
livirung  des  Wesens ,  dem  wir  sie  beilegen ;    eines  Slch- 
ergreifens  desselben  in  der  Fülle  und  Mannigfaltiglieit  des 
eigenen  Seins,  um  diess  „Andere  seiner^  in  ihm  als  das 
seinige  zu  fassen ,  sich  selb  st  darin  zo  iühlen  ,  oder  zu 
wissen.    So  ist  diese  Dreieinheit  die  Grandbedfaigung'  aDes 
Lebens,  bestimmter  alles  bewussten  Lebens,  und  der  QaeU 
aller  Eintracht,  Freude  und  Seligkeit  eines  Wesens  an  sirh 
selbst.    Umgekehrt ,  wenn  der  Begriff  lebendigen  Selhst- 
seins  und  Selbstbewusstseins  (eines  Subjekt-Objekts,  wie 
die  Kunstsprache  es  ausdruckt,)   auf  nicht  nur    abstrakte 
Weise  gedacht  werden  soll,  kann  er  es  nur  unter  VoraiK- 
setzung  einer  „Natur^,   einer  Mannigfaltigkeit  realer  Ge- 
gensätze in  ihm ,   welche  jene  Sclbstheit  ebenso  real  ver- 
eint und  beherrscht,  als  sie  ideell  durchdringt  oder  weiss: 
die  Einheit  desselben  ist  zugleich  nur  die  sich  am  eigenen 
Gegensätze  wissende  und  geniessende. 

Und  so  ist,  seitdem  die  spekulirende  Theologie,  schon 
im  Philo  und  in  den  Neuplatonikem ,  nicht  nur  den  Bc^ 
griff  der  Einheit  Gottes ,  sondern  einer  Einheit  durch  und 
im  Geiste,  zum  Mittelpunkte  der  Gotteserkenntnlss  gemacht 
hat ,  auch  ein  der  kirchlichen  Trinitat  weniger  oder  mehr 
analoger  Begriff  des  Wesens  Gotles  gefunden,  und  zum 
entscheidenden  Kriterium  der  rechten  Gotteserkenntniss, 
so  wie  des  Glaubens  an  ihn  —  der  lebendige  (Sott  ist 
nur  der  Dreicine,  —  gemacht  worden.    Es  ist  diess  jedoch 


*}  Das  Nachfolgemle  ist  zum  Theii  schon  in  der  „Zeitschrift 
für  Philosophie«  etc.  (Bd.  VII.  H,  2.)  in  einer  andern 
Verbindung  erschienen,  >vei!  man  dafür  ein  allgemeineres  la- 
ieresse  voraussetzen  durfte. 


einer  doppelten  Dreieinheit  Gottes.  965 

Kimftchst  nur  eine  Bestimmung  des  inner n  (zor  Welt  noch 
in  keiner  Beziehung  gedachten)  Wesens  Gottes:  seine  im-- 
tnanente  Wesenstrinitat.  Man  könnte  sie  des»« 
halb,  fär  den  allgemein  spekulativen  Standpunkt  unstreitig 
bezeichnend,  die  ontologische  oder  metaphysi- 
sche Trinitöt  nennen.  Aber  diese  ist  auf  das  Bestimm- 
teste zu  unterscheiden  von  demjenigen  Begriflfe  der  Drei- 
einigkeit, welcher  der  christlichen  Theologie  aus  dem  ei«« 
gentlichen  und  unmittelbaren  Gegenstände  ihrer  Betracb« 
long,  der  innerwoltlichen  OffenbarungsUifttigkeit Got«^ 
tes,  erwachsen  ist,  als  der  Vater ,  welcher  sich  im  Sohne 
(in  Christo)  und  im  heiligen  (heiligenden)  Geiste  (in  der 
Gemeine)  der  Welt  gegenwärtigt  und  die  umschaffende, 
wiedercmenemde  Kraß  derselben  wird.  Als  Vater,  als 
selbstbüwusster  und  persönlicher  Gott,  mithin  auch  als  Drei- 
^nigerin  sich  selbst,  wird  er  jedoch  dabei  schon  vor- 
ausgesetzt ;  und  der,  wenn  auch  nicht  überall  mit  völligster 
Klarheit  ausgesprochene  RAckschluss  der  christlichen  Lehre 
war,  wie  schon  gesagt,  allezeit  der  ganz  richtige:  weil 
Gott  sich  also  in  Christus,  also  in  jeder  Tbat  der  Brlösung 
«d  Heiligung,  offenbart  hat  und  offenbart ,  moss  er  auch 
Hranfänglich  sich  selbst  offenbar,  selbstanschauendes, 
dreieines  Wesen  sein« 

So  bezog  die  Glaubensldire'  die  Offenbaningstrinitat, 
welche  sich  innerhalb  der  Welt  vollzieht,  in's  innere  We- 
sen Gottes  zurück ,  mit  mehr  oder  minder  entwickeltem 
Bewusstsein  jedoch  beide  von  einander  unterscheidend, 
oder,  ^  da  eine  eigentlich  spekulative  und  völlig  selbststän-. 
dige  Gedankenentwicklung  dieses  Dogma,  welches  sie  mit 
Becht  stets  als  ihr  tiefstes  und  fundamentales  betrachtet 
bat ,  nicht  in  ihren  Bereich  fallen  konnte ,  —  eine  solche 
Unterscheidung  viehnehr,  als  das  Vorauszusetzende,  im 
Hintergrunde  behaltend :  erst  die  neuere  Dogmatik  schied 
bestimmter  die  ontologische  oder  Wesensdrei- 
einigkeit von  der  ökonomischen  oder  Aus- 
gangstrinität  (C.  J.  Nitzsch  System  der  christ- 
lichen Lehre,  3te  Aufl.  S.  163.  165.  und:  über  die 


986  BegriiT 

wesentlioiio  DreietnigkeUGoltes  in  deaTbeol. 
Studien  und  Kritiken  1841.  II.  S.  304.).  Da  indefs 
der  Kirchenlehre  Tür  jene  ontologiscbe  Drdeinheit  des  ur- 
persönitchen  Gottes  keine  andere  Beslimmungen  übr^  bfie- 
ben ,  als  die  neutestamentUcfa  bekundeten ,  und  Chrlalns 
ohnehin  als  der  menschgewordene  kiyoc  bezeichnet  fvnr; 
so  geschah  das  UnvermeidKche,  wiewohl  desshalb  um  nickb 
weniger  Unangemessene,  dftss  die Unterscheidiiiig'  der 
drei  gesonderten  Hypostasen  oder  Personen  des  inner- 
weltlidi  sich  offenbarenden  Gottes  ^  als  Vater,  Sohn,  Geist, 
die  ursprünglich  nur  Bedeutung  und  Wahrheit  balleR  in 
Bezug  auf  diesen,  übertragen  wurden  auf  das  innere, 
urpersonliehe  Wesen  ^iottes ,  und  auch  von  diesem ,  der 
an  sich ,  oder  der  Substanz  nach ,  einigen  Persöidicfakeit, 
eine  Dreiheit  von  Substanziirungen ,  ein  Vater-*  Sohn- 
und  Geistsein,  uiid  in  jedem  dieser  dennoch  das  Ganze 
sein,  gelten  soUte. 

Diese  Bezeti^nung  mussm  wir  nun,  sofern  sie  wai  die 
OBlologische  Dreieidieit  übergetragm  wird ,  aus  m  c  ( a* 
physischen  Gründen  für  falsch  erklären.  Dass  sie  aach 
die  kirchliche  Fassung  des  Dogma  gleich  von  Anfang  an 
irregeleitet  habe ,  könnte  vielleicht  auch  dogmengeschicht-» 
lieh  naher  gezeigt  werden ;  wenigstens  ist  sie  es ,  welche 
den  Begriff  der  Trtnitat,  auf  das  innere  Wesen  Gottes 
bezogen,  mit  dem  in  keiner  dogmatischen  Fassung  über- 
wundenen Widerspruche,  oder  — *  wie  der  Glaube  beschei- 
dener sich  ausdrückt,  — mit  ^dem  undurchdringlichen  Ge- 
heimnisse^ belegt  hat,  welches  völlig  verschwindet,  wenn 
man  die  Bezeichnungen:  Vater,  Sohn,  Geist,  nur  im  Sinne 
der  innerwelliicfaen  Offenbarung  Gottes ,  mit  nächster  Be- 
ziehung auf  den  christlichen  Ueilsbcgriff,  verstanden  wisset 
will ,  in  dem  sie  allein  doch  ursprünglich ,  d.  h.  neutesta- 
mentlich,  aufgebracht  worden  sind. 

Von  der  Einen  Seite  kann  es  nämlich  nicht  anders, 
als  ungeeignet  erscheinen ,  die  Momente  in  der  Urpersön- 
iicbkcit  Gottes,  nach  welchen  er  seine  reale,  objektive 
Unendlichkeit,  seine  innere  Wesemu&cfat  und  Fülle,  sub- 


einer  doppelten  Dreieinheit  Gottes.  967 

iekiiv  ,    selbstanscbauend  durchdringt,  und  ^  aus  seincaa 
Uaendlicbseiu  ewig  ki  seine  Einheit  vor  sich  selbst  zurück- 
kehrt ,  *---  die  Weise  ,   in  welclier^  von  Augustinus  an 
l>is    auf  Leibnitz,  Poiret,   Lessing,  Scheiling^ 
berab  ,   alle  tieferen  Denker   diesen  Begriff  gefasst  babeti, 
—  kurz  die  Momente  des  immanenten,  Einen  Selbslbewusst^ 
seins  Gottes ,  sich  überflüssiger  Weise  noch  in  die  Unter«* 
schiede  des  Vaters ,    Sohnes  und  Geistes  umzudeuten ;  ~ 
und  doch  ist  es  vieirach  geschehen  von  der  Spekulation: 
—  den  Vater,    als  die   ursprüngliche ,    aber  wie  noch 
unenifaltcte  göttliche  Einheit,  welcher  den  Unterschied,  das^ 
unendliche  Anderssein  sich  giebt,  „den  Sohn  aus  sich 
erzeug  t^',   aber  diess  Anderssein  in  die  eigene  Subjek- 
livilat  zurücknimmt,   ^der  Geist,  welcher  ausgehet 
vom  Vater  und  vom  Sohne^.    Je  weniger  hier  eine 
wahrhafte,  eine  Wesensaiiaiogie  einleuchten  will  ftwischen 
jenem  und  diesem,   desto  erkünstelter  oder   verwieketter 
mussten    die  Vergleichungspunkte  ^  wie  ,  die  Unterschiede, 
zwischen  beiden  bestimmt  werden:    das  endlichie  Resultat 
davon  sehen  wir  in  der  neueren  spekulativen  Entwicklung 
v4>r  uns,  '--die  inilere,  ursprünghche  Wahrheit  jenes  gros« 
sen  Begriffes  ist  nach  beiden  Seiten  hin  verloren  gegan- 
gen; und  dem  Rationalismus,  wie  dem  intensiv  gISubigea 
Bewussisein,  konnte  er  nur  als  etwas  Fromdos,  darum  für 
den  Glauben  Ueberflüssiges ,  erscheinen. 

Ebenso  von  der  andern  Seite  ist  es  in  jedem  Sinne 
nur  als  irreleitend  zu  betrachten,  —  (es  wird  sieh  namUch. 
zeigen ,  dass ,  wie  jene  von  uns  gemachte  Unterscheidung 
den  Pantheismus  im  Prifici(>e  vernichtet  ,  und  spekulativ 
allein  über  ihn  zu  erheben  vermag,  so  der  Mangel  dersel-» 
ben  und  die  Vermischung  beider  Sphären  eine  konsequente 
Entwicklung  des  Trinitatsbegrifles  unwiederbringlich  in  den. 
Pantheismus  hinabfuhrt) ,  —  die  Menschwerdung  Gottes  in 
Christo  als  den  Selbstobjektivirungs-*  oder  Selbstanschau- 
ungsakt Gottes  zu  setzen:  — die  bekannte  Konsequenz  ist 
davon  unabtrennlich ,  gleichviel  ob  man  sie  für  die  aus- 
dräckliche   Meinung   der  neuem  Spckubition ,   namentlich 


988  Begriff 

Hebels,  oder  nur  fOr  dne  wettere  Folgerang  aus 
nen  Prämissen  zu  halten  geneigt  ist,  dass  Gott  in 
xaerst  persönlicher  Geist,  Selbstbewosstsein  geworden, 
welcher  psychologische  Process  sich  nachher  im  Bewosst- 
soin  der  sich  Eins  mit  Gott  wissenden  Gemeine  foii- 
setEt,  worin  der  dritte  Moment,  der  des  Geistes,  ge- 
geben wäre ,  oder  der  Röckkehr  Gottes  in  sich  aelbst, 
und  so  endlich  seine  Vollendung,  sein  Anündfürsich- 
sein. 

Aber  in  welchem  Verhaltnisse  steht  doch  dieser  Be- 
griff »1   dem  ursprünglichen  Dogma    von  der  Millbeihng 
des  göttlichen  Geistes  durch  die  H  e  i  I  i  g  n  n  g  und  christ- 
liche Wiedergeburt,  worin  sich  dem  also  Wiedergeborenen 
die  Kraft  Gottes  thats  achlich  und  Gott  zugleich  als  der 
persönliche   bewährt?     Diese   durchaus     specifische    und 
scharfbestimmte  Tliatsächlichkeit  der  objektiven  Bewihrung 
Gottes  einerseits,  wie  des  subjektiven  Ergriffen-  und  Ueb^- 
zeugtwerdens  von  Gott  andererseits  —  was  hat  diess  ni 
thun  mit  dem  metaphysisch  unstreitig  wahren ,  aber  durch 
ganze  Welten    der  Wissenschaft  und  der  Begriffsvermitt- 
hing  davon  geschiedenen  Satze :    dass  Gott ,   wie  er ,  als 
der  persönliche,  der  Unterschied  von  sich  sei,  so  doch  in 
der 'Selbstanschauung  dieses  Unterschiedes  ewig  wieder  zo 
sich   zurückkehre?    Das   noch  nicht   durch    dogmatische 
Voraussetzungen  eingeschränkte,  natürliche,  wie  spekulative 
Denken  kann  sich  unmöglich  verbergen ,    dass  öberlianpt 
hier  zwei  generisch  verschiedene  Begriffsgebiete  ohne  Fug 
und  Recht  in  einander  geschoben  werden :  jenes  des  rein 
metaphysischen  Denkens  über  die  innere  Wesenheit  Gottes, 
—  wobei  freilich  nach  dem  allgemeinen  Gange ,   welchen 
die  metaphysische  Betrachtung  zu  nehmen  hat  (vgl.  oben 
S.  765.  66.))   von  der  Weltbeschaffenheit  zurückzuschlies- 
sen  ist  auf  das  Wesen  Gottes ,  was  aber  nur  berechtigen 
würde,  in  gleichem  Verfahren   die  Offenbarung  Gottes  im 
Christenthumc  zur  Prämisse   solcher  Folgerungen    zu  ma- 
chen ,  nicht  sein  Inneres  und   seine  Offenbarungsthätlgkcit 
sofort  zusamineidalien  zu  lassen,  —  und  das  Gebiet  einer 


einer  doppelten  Dreieinheit  Gottes.  989 

nur  Im    sdiarfbegränzten   historisehen  Zusammenhange  zA 

begreifenden,  ebenso  geschichtlichen  ThatsäehlichkeU:  des 

Brsclieinens  Christi  und  der  von  ihm  ausgehenden  geisti« 

g-cn   Umgestaltnng  der  Weltgeschichte.    Ehe  beide  Gebiete 

nicht  YÖnig  auseinandergehalten  werden ,  besonders   ehe 

man  nicht  davon  absteht ,    durch   spekulative  Behandlung 

die  Offenbarungsthatsachen  in  blosse  Metaphysik  a^n  ver- 

^wandeln,  wahrend  ihr  Verstandniss  in  eine  Philosophie  der 

Geschichte  gehört ,  ist  jener  Grundverwirrung  nicht  abzur 

helfen,  mit  welcher  wir  seit  geraumer  Zeit  Spekulation  und 

Dogmatik  sich  gegenseitig  verderben  sehen.    Die  BegrifliH 

bestimmungen  lur  die  innere  Wesenstrinität  Gottes  würden 

nämlich  unseres  Erachtens,  da  sie  durchaus  metaphysische 

sind,  und  die  biblische  Gotteslehre  schon  auf  der  allgemein 

ncn  Voraussetzung   der   Persönlichkeit  Gottes  zu  bestehen 

hat,  nur  der  selbst^tändigen  spekulativen  Entwicklung  zn 

überlassen  sein. 

Und  jene  Grunde  waren  es  wohl  auch,  —  wenn  vor-» 
erst  auch  noch  nicht  zur  Ansdröcklichkeit   herausgestellt^ 
—  welche  die  rationalistische  Theologie  der  neuem  Zeit 
veranlassten ,    das  ganze  Dogma  von  der  Wesenstrinität 
Gottes,  also  gefasst,  entweder,  als  entstanden  aus  dichte- 
rischer Personifikation   oder  Prosopopöie  göttlicher  Eigen- 
schaften, ganz  zu  beseitigen ,  oder  seuie  Erklärung  nur  in 
den  subjektiven  Formen  unsers  Erkennens  zu  finden,  wel- 
che uns  nöthigen,  das  an  sich  Eine  Wesen  Gottes  in  einer 
dreifachen  Relation,  zu  sich  selbst,  als  Vater,  zur  Welt, 
als  der  allgemeine  Grund  derselben  ,  im  Sohne,  und  als 
das  sie  in  allen  Theilcn  mit  Kraft  und  Geist  Erfüllende,  im 
Geiste,  zu  denken.    Den  klarsten  Ausdruck  dafür,  und 
eine  Hinweisung  auf  das  tiefere ,  richtige  Verhältniss  der 
beiden  noch  nicht  deutlich  unterschiedenen  Trinitäts-BegrifTe, 
glauben  wir  bei  S  c  h  1  e  i  e  r  m  a  c  h  e  r  zu  finden.    Nach  sei- 
nen allgemeinen   spekulativen  Grundsätzen   giebt  es  gar 
kein  Denken  Gottes  seinem  Ans  ich  nach,  sondern  ledig- 
lich durch   den  WeltbcgriDT  und   mit   demselben.    Die 
Anschauung  Gottes  wird  nie  wirklich  vollzogen ,  sondern 


990  Kritik 

bleibt  mnr  ein  indirekter  Scliematismns  *}.    Daher  9  woR- 
len  wir  von  der  Dreieinigkeit,  als  einer  inwohnenden  We- 
aensbestimmung  GoUes,  sprechen  (a.  a.  0.    S.   159.);   ^ 
müsste  bedacht  werden,  dass  wir  hierbei  nur  mit  i  n  a  d  ä- 
«lUBton,   bildlichen  Vorstellungen   zu  fhnn  ha- 
ben, deren  beschrankter,  subjektiver  Geltang  bloss  lor  uns 
wir  wohl  eingedenk  bleiben  sollen.     Von  einer  objeldiveii 
Bedcntnng  der  Begriffe :  Vater,  Sohn  und  Geist^  kann  nach 
Schleiermacher    daher   fSr    Gottes   Aosiehseltetseni 
gleichfalls  nicht  die  Rede  sein.    Aber  in  seiner  GIaiilK*ns- 
lehrc  fasst  er  jenen  Begriff  durchaus  in  der  andern ,  nicht 
metaphysischen  Bedeutung:  er  bezieht  ihn  auf  die  Momente 
dos  religidsen  Bowusstseins,  also  auf  das  Verhältniss  Go^ 
les ,  als  des  sich  offenbarenden ,  zur  Welt  nnd  sun  Men- 
schen. — 

Nach  diesen  Prämissen  können  wir  nun  erst  Tollstän- 
dig   den  Hege  Ischen  Trinilätsbegriff   in  seinem  wahren, 
allerdings  entscheidenden  Sinne  und  in  seinen  Beziehungen 
fassen.    Hegel  unterscheidet  nämlich  nicht  nur  nicht  zwi- 
schen der  Vi^esens**  und  Offenbarungstrinität,  —  worin  an 
sich  noch  kein  Irrlhum,  nur  eine  unentschiedene,  unent- 
wickelte Fassung  jenes  ganzen  Verhältnisses  enthalten  wäre, 
-^  sondern  weit  mehr  noch  hebt  er  die  Möglichkeit  eines 
solchen  Unterschiedes  vöUig  auf.    Die  immanente 
Weaenslriaität  Gottes  findet  er  nur  in  der  Welt  verwirk- 
licht:  das   geschaffene  Universum   ist  das  Andere,  an 
dessen  Objektivität  das  Bewusstsein  Gottes,  seine  Selbst- 
anschauung,  sich  entzündet;  die  Schöpfung   ist 
derSelbstobjektivirungsprocess  des  ohne  diese 
dunkeln,  unaufgeschlossen  bleibenden  (in  „abstrakter ,  un- 
wahrer idee<^  gefassten)  Gottes.     Aber  nicht  anders  nahm 
auch  Schclling  in  der  Epoche  seines  Bruno  (vgl.  oben 
S.  6S8.)  den  Begriff  der  Trinität.    Und  diess  ist  überhaupt 
bis  jetBt  die  herrschende  spdiukitive  Auffassung  derscl^ 


«>  SciiUiermacher's  Diftlektik  S.  lh%  53. 


der  Hegeischen  Dreieinigkeitslehre.  991 

gewesen.  Daher  bei  Hegel  der  Satz:  Oboe  Welt  wäre 
Bott  nicht  Gott ;  daher  ist  das  Endliche«*  (Geschaffene)  nur 
dussig'Bs,  wieder  zurückgenommenes  Moment  inGrOtt;  daher 
die  früher  (S.  981—83.)  angeführten  nahem  Bestimmungen 
der  He  gel  scheu  Trinitatslehre :  wir  könnten  aus  ituien 
das  stanze  System  wieder  zurückentwickein  I 

So  stände  zuerst  Test:  die  ältere  Dogma tik  setzt  die 
Oirenbarungstrinilät,  welche  sich  in  der  Welt  vollzieht,  in 
GoU  zurück ,  unterscheidet  jedoch  mehr  oder  minder  aus- 
drücklich von  ihr  die  Urpersönlichkeit  Gottes  von  Anl'nng. 
Für    Hegel,   und  den    ganzen  (darum)   pantfaeistiscben 
Standpunkt,,  fallen  dagegen  beide  zusammen.    Nach  uns  -^ 
und  wir  dürfen  hinzysetzen,  nach  einer  Gruppe  Iheoiogi» 
scher  Denker  der  neuesten  Zeit    —   sind  beide  Trinitäten 
zu  scheiden,  und  die  erste  wird  mit  den  Distinklionen  des 
Vaters ,  Sohnes  und  Geistes  nicht  treffend  und  charakteri- 
stisch bezeichnet. 

Das  Zweite  bestände  jedoch   in  der  genauem  Er* 

wägung,  dass  auch  die  panlhetstisch  Hege I sehe Triniläts«' 

auffassung  noch  eine  Unbestimmtheit,  die  Möglichkeit  dop^* 

peller  Auslegung,  in  sich  übrig  lasse.    Gott,  sich  zur  Welt 

realisirend ,    schaut    zugleich  darin   sich   ewig  an  ,    sein 

Schaffen  ist  im  unendlichen  Scibslrealisalionsprocesse  zu« 

gleich  der  Akt  des  ewigen  Bewusstwerdens,  und 

da  er,  —  könnte  man  sagen, -^ was  er  als  Resultat,  auch 

als  Anfang  ist;   so  wäre  eben  damit  (abermals  in  lieber* 

einstimmang  mit  dem  Schellingschen  Philosophirea  aus 

der  mittlem  Epoche)  ein  Selbstbewusstsein,  Selbst* 

erkennen  Gottes  von  Anfang  dargethan.     Und  ki  der 

That  hat  Hegel  selbst  bei  vielen  Wendungen  und  (min* 

der  genauen)  Bestimmungen    diese   Auslegungsweise  ISr 

sich  übrig  gebssen ,  —  die  Stellen  sind  von  seinen  Aus* 

legem ,  die  dieser  Erklärung  beipflichten ,  längst  zusam* 

mcngestellt,  -*  und  so  behielten  diese  Männer  der  laxeren 

Interpretation    (Gabler,   Göschel,  Schaller  U.A.) 

vielleicht  Recht  mit  ihrer  Auslegung? 

Aber  vor  allen  Stellen  von  schärferer  BegriiEsfassung, 


992  Krilik 

mehr  noch  vor  der  Konsequeni  des  ganzen  Systems,  nickt 
nur,  wie  es  am  Schlüsse  der  Logik,  etenso  am  Schlüsse 
der  Encyldopfidie,  wo  U  e  g  e  1  eben  d  o  s  s  h  a  i  b  den  Stand- 
punkt der  Religion  in  den  der  Wissenschaft  aufhebt,  son- 
dern auch  in  seiner  Religionsphilosophie  (gerade  nach  den 
authentischen  Zusätzen  der  zweiten  Ausgabe)  sich  zq 
erkennen  giebt,  verschwindet  völlig  die  Möglichkeit  jener 
Auslegung. 

Wir  haben  schon  oben  (S.  980--83.)  gezeigt :  Gott 
„in  seiner  ewigen  Idee  an  und  fftr  sidi%  der  „Vater^ist 
nach  Hegel  selbst  nur  die  „abstrakte^  (für  sich  un- 
wahre ,  nur  im  abstrakten  Denken  existirende)  Idee :  er 
bedarf  der  Schöpfung  des  Sohnes,  um  real,  aus  jener 
Abstraktion  herausgestellt  zu  sein.  Er  ,,erzeugt  sich  ewig, 
als  den  Sohn^,  und  giebt  sich  erst  in  diesem  „unendlichen 
Anderssein^  seine  Wirklichkeit.  Aber  damit  ist  er  ,  in 
diesem  zweiten  Momente,  noch  nicht  Geist,  Setbstbewusst- 
sein,  Persönlichkeit :  er  ist  im  Anderssein,  —  was  an  sich 
freilich  ein  ebenso  nur  abstrakter  Moment  ist.  Um  aus 
diesem  „zu  sich  selbst  zuruckzidcehren%  dazu  bedarf  es 
des  Dritten,  des  Geistes.  Das  Selbstbcwusstsein  Gottes 
kommt  durchaus  erst  im  dritten  Momente ,  dem  des  Gei- 
stes, zu  Stande:  nicht  im  ersten,  des  Vaters,  wie  der 
christliche  Theismus  behauptet,  nicht  im  zweiten,  des  Soh- 
nes, wie  Schelling  in  einer  frühem  Epoche,  und  die 
Gruppe  jener  Heg  eischen  Ausleger,  wenigstens  halbpan- 
theistiscby  es  lehren.  „Gott  ist  der  Anfang ;  aber  er  ist  so' 
(d.  h.  als  Gott)  „auch  nur  das  Ende ,  die  Totalitat :  so, 
als  Totalität,  ist  Gott  der  Geist.  GoU,  als  bloss 
der  Vater,  ist  noch  nicht  das  Wahre:  so,  ohne  den 
Sohn,  ist  er  in  der  jüdischen  Religion  gewusst^ :  —  (diese 
letztem  Worte,  abermals  eine  von  den  nachlässiger  gehal- 
tenen Bestimmungen,  wie  sie  der  mündlichen,  wie  schrift- 
stellerischen Darstellung  Hegels  nicht  selten  entschlüpften, 
werden  das  Verständniss  des  wahren  Zusammenhangs  nicht 
aufhalten;  nach  Hegels  eigener  Entwicklung  der  jüdi- 
schen Religion  ist   der  Begriff  der  Schöpfung,   also  des 


dnr  Hegeischen  Drelciniglceitslchrc.  993 

zweiten  Moments  Gottes,  der  wesentliche  fn  ihr;  aber  fref- 
licli   vräre  citescr  Moment,  der  des  Sohnes,  im  Jadenthimie 
noch  nicht  bis  zu  dem  Punkte  entwickelt,  um  zur  Einheit 
Gottei?  mit  dem  menschlichen  Geiste,  d.  h.  bis  zum  Uebor- 
l^ng-e  aus  dem  zweiten  in    den  dritten  Moment ,    äberzu^ 
ß-ehen.)    „Goll   ist  vielmehr  Anfang   und  Ende;   er 
ina  cht  sich' selbst  zur  Voraussetzung;   diess  ist 
nur  eine   andere  Form  des  Unterscheidens'':  ^-^ 
diese  „VV>rausselzung<*    ist   aber   der  zweite  Moment  oder 
die  Schöpfung,  also  noch  nicht  „das  Ende<^,  das  erst  „im 
Geiste«  gefunden  wird  (Rel.  Phil.  2le  Ausg.  II.  S.  228.  29.y 
Ebenso  entscheidend  für  die  eigene  Philosophie  ist  die  Auf- 
legung, die  Hegel  (S.  24H--47.)  den  Alexandrinern  und 
Gnostikern  zu  Theil  werden  lasst,  welche  gerade  den  Ver- 
such machten,  einen  immanenten,  vorweltlichen 
Selbstanschauungsprocess  Gottes  zum  Begriffe  zu  bringen ; 
als  Xoyfit;^  als  ooq>ia,  als  Adam  Kadmon,  als  die  ewige  gdtt** 
liehe  Sclbslbetrachtung. 

Anerkennend,  dass  in  solchen  Vorstellungen  die  Idee 
wenigstens  „gegdhrl^^  habe  —  aber  es  komme  darauf  an, 
zu  verstehen,  wie  sie  in  der  Vernunft  ihren  Grund  haben, 
und  welche  Vernunft  darin  sei  —  setzt  er  abschliessend 
hinzu  (S.  246.) :  „Diese  Idee  ist  jenseits  de»Men- 
sehen  gcslcHl  worden,  so  ihr  gegenüber,  dass  diese  Be- 
stimmmig,  welche  alle  Wahrheit  ist,  betrachtet  worden  ist 
als  etwas  nur  Gott  Eigen  thu  ml  ich  es,  jenseits 
Stehenbleibendes,  das  tticht  sich  reflektirt  im  An- 
dern ,  das  als  Welt,  Natur ,  Mensch  erscheint^'.  Und  J  a-* 
kob  Böhme  preist  er  besonders  desshalb ,  weil  er  ge« 
lehrt,  „die  Dreieinigkeit  müsse  im  Herzen  des  Men-* 
sehen  geboren  werden*. 

Jene  metaphysischen  Begriffe  fuhrt  er  nun  an  den 
christlichen  Bestimmungen  weiter  aus  <S.  306.  ff.).  Der 
Tod  Christi,  diess  ausserlichc  Negative,  schlagt  in  das  In- 
nere, Ewige ,  Allgemeine  um ,  in  die  Wahrheit :  dass  das 
Andersseins  ,  das  Menschliche  ,  Endliche ,  Gebrechliche, 
göttliches  Moment  selbst  ist,  dass  es  die  Einheit 

63 


994  Kritik 

mit  Galt  nicht  hindert.  Der  Tod  hat  einerseits 
Sinn,  dass  das  Menachiiche  abgestreift  wird,  und  die  göü- 
liohe  Herrlichkeit  wieder  hervortritt;  andrerseits  ist  er 
aber  auch  die  böehste  Spitze  des  Negativen,  denn  der 
Mensch,  als  natürliches  Dasein,  und  eben  damit  Gott 
selbst,  auagesetzt  ist  —  ^Diese  Geschichte  ist  göttlich 
Geschichte,  worin  klar  wird,  dass  Gott  der  Dreieinige  ist' 
CS.  30&). 

„In  ihr  ist  den  Menschen  zum  Bewusstsein  gekom- 
men, dass  die  Idee  Gottes  für  sie  Gewissheit  hat,  dass 
das  Menschliche  unmittelbarer,  präsenter 
Gott  ist,  und  zwar  so  ,  dass  in  dieser  Geschichte  ,  wie 
sie  der  Geist^  (das  spekulative  Denken)  ^auflasst ,  die 
Darstellung  des  Processes  ist,  was  der  Mensch 
ist  An  sich  Gott  und  todt  —  diese  VerraitUung^  (ist  es 
einerseits) ,  ^wodurch  das  Menschliche  abgestreift  wird, 
andererseits  das  Änsichseiende'^  (Gott,  als  der  Vater)  ,^ 
sich  zurflckkommt,  und  so  erstGeist  wird«  (8.^07.). 

Dieser  Process  breitet  sich  nun  von  der  „nnniit teil- 
baren Gegenwart^  —  (]»des  einzelnen ,  sinnlichen  In- 
dividuums ,  welches  als  Gott  zu  verehren  unendlich  hart 
ist,  wogegen  die  Freiheit  des  Subjekts  sich  empört^, 
S.  310.,  vgl.  317.  Ib.)  —  die  er  in  Christi  Erscheinen 
hatte,  in  die  Allgemeinheit  der  Gemeine  aus.  Die  Bildnag 
der  Gemeine  hat  den  Inhalt ,  dass  die  sinnliche  Form  i  a 
ein  geistiges  Bloment  übergeht  (S.  311.).  Dessfaalb 
sagte  auch  Christus  seinen  Jungem,  heisst  es  an  einer  an- 
dern Stelle,  dass  es  ihnen  gut  sei,  von  ihnen,  hinwegge- 
nommen zu  werden,  sie  von  seiner  sinnlich-göttlichen  Prä- 
senz zu  befreien ,  damit  der  Tröster,  der  Geist  (das  Be- 
wusstsein der  göttlichen  Gegenwart  in  Allen ,  in  der  Ge- 
meine) über  sie  kommen  könne  (S.  318.)» 

Ebenso  spater,  als  nach  der  Beglaubigung  gefragt 
wird,  welche  Christus,  als  der  rechte  Gottmensch,  für  sidk 
anfuhren  könne,  während  doch  auch  Andere  als  Götter 
verehrt  worden  seien  (S.320.  ff.),  wird  als  das  Entschei- 
dende dafür  herausgehoben,   dass  sßine  Geschichte  allein 


der  Rogelschen  Dreieinigkeitslclirc.  995 

^or  Idee  sc  Klo  cht  hin  gemäss  seL    Als  spekulatt- 
AT  er  Inhalt  aber  der,   von  der  sinnlichen  Gegenwart  des 
einzelnen  Subjektes  (in  Christo)  ebenso  (S.  327.)9  wie  von 
der  Vorstellnng  in   der  Gemeine  (S.  328.)   beßreiten  Idee 
^wirü  nachmals  abschliessend  angegeben:    „dass   das  Be- 
stehen der  Geroeine    ihr  fortdauerndes»  ewiges  Wer- 
den ist,  welches  sich  darauf  grändet,  dass  der  Geist^  — 
<doch  offenbar  kein  anderer,  als  der  Geist  Gottes)  —  ^diess 
ist,  sich  ewig  zu  erkennen,  sich  aufzuschliessen  zu 
endlichen  Lichtfunken  des   einzelneu  Bewusst- 
seins,  und  sich  aus  dieser  Endlichkeit  wieder  zu  sam- 
mein  und  zu  erfassen,   indem  in  dem  endlichen  Be- 
^wusstsein    das  Wissen  von  seinem  Wesen,  und  so 
das     göttliche   Selbstbewusstsein    hervorgeht 
Aus  der  Gährung  der  Endlichkeit,  indem   sie  sich   in 
Schaum    verwandelt,    duftet    der    Geist    hervor^ 
(S.  330.)  ♦). 

Diess  nun  müssten  wir  allerdings,  dem  Principe  nach,  für 
den  vollständig  herausgebildeten  pantheisti- 
sehen  Irrthum  erklären,  wie  er  beiStrauss  (in  seiner 
ehristiichen  Glaubenslehre)  zu  vollem  Selbstbewusstsein  und 
ausdrücklichem  Bekenntnisse  gediehen  ist.  Nicht  das  Glei- 
che lasst  sich  von  Hegel  sagen,  dessen  spekulativ  gründ-« 
Itcher  Sinn  und  tiefe  Gemüthsinnigkeit  ihn  weit  davon  ab- 
hielten, in  solchen  Sätzen  ausschliesslich  nur  die  pantheisti- 
sche  Auslegung  ,  als  das  allein  Philosophische  ,  hervorzu- 
ziehen und  diess  überhaupt,  auch  nur  vor  sich  selber,  als 


^  Zum  Ueberflusse  bemerken  wir  noch ,  dast  diese  entfcheiden«» 
den,  besonders  in  ihrem  weitern  Zusammenhange  die  früher 
erwähnte  Auslegung  abweisenden  Worte,  als  neuer  Zusats 
sur  zweiten  Auflage  der  Rel.  Philosophie,  hinzu- 
gekommen sind,  also  laut  den  Erö/ßiungen  der  Heraus- 
geber derselben  in  der  Vorrede  (Bd.  I.  S.  VII 1.)  allem  Ver- 
muthen  nach  dem  eigenen  Collegienbefte  Hegels  entnom* 
men  sind.  Die  ersle  Ausgabe  (Bd.  II.  S.  268.)  entliielt  die- 
sen und  ähnliche  näher  bestimmende  Zusätze  noch  nicht. 


996  Kritik 

die  letzte  Konsequens  seines  Princips  mit  AusdrückliebiDeä 
und  abschliessend  auszusprechen.  Er  hätte  eben  dsak 
vor  sich  selbst  diess  Princip  zur  AusdruckHchkeit  der 
Seichtheit,  zur  leeren,  zukunflslosen  Verflachung  herabge- 
drückt ;  denn  es  hat  sich  auch  hier  schon  gezeigt,  wie  der 
ernst  und  konsequent  ^efasstc  Pantheismus  sich  seihst 
überschreiten,  aus  der  Weltimmanenz  Goitcs  ear  Traas- 
scendenz  sich  erheben  muss.  Dicss  hat  Hegel,  freilich 
nicht  in  deutlichem  Bewusstsein,  wohl  aber  als  dunkle  Prä- 
misse, immer  vorausgesetzt ,  und  diess  macht  das  Doppel- 
deutige seiner  Lehre  in  ihren  tiefsten  Principien.  Jetzt 
wirft  man  ihm  vor,  nur  aus  Inkonsequenz,  vielleicht  aus 
Anhänglichkeit  an  alte  Vorstellungen,  die  letzte  Wahrheit 
seines  Denkens,  die  pantheistische ,  nicht  selber  gezogen 
zu  haben ;  —  aber  hierin  der  Halbe ,  Inkonseqacnte  ge- 
blieben zu  sein,  zeigt  Hegel  vielmehr  als  den  grossen 
Denker,  dessen  Geistes-  und  Gemüthsmacht  die  unmittelba- 
ren Resultate  seines  Principes  weit  überschwcllte ;  denn 
diese  wären  gerade  hier  nur  die  halben  Resultate ,  die 
halbe  Konsequenz :  er  hätte  zum  Stillstand  und  Rückzug 
das  Zeichen  gegeben,  während  er  so  wenigstens  die  Mög- 
lichkeit offen  gelassen  hat,  von  ihm  selbst  aus  weiter ^  vor- 
«urücken,  und  eine  neue  Gestalt  der  Philosophie  zu  er- 
zeugen. 

Und  so  legt  nun  Hegel  in  der  folgenden  Darstellung 
seiner  Religionsphilosophie  mit  ergreifendem  Ernste  in  den 
Sinn  seiner  an  sich  freilich  kaum  vieldeutigea  Formel  von 
der  Identität  und  dem  Einswerden  des  göttlichen  und  des 
menschlichen  Geistes,  die  ganze  Intensität  der  christlichen 
Wahrheit  hinein,  als  eine  von  ihm  selbst  gewusstc  und  er- 
lebte. Er  verschmäht  es  ausdrücklich ,  die  Begriflb  der 
christlichen  Heilslehre  von  der  Versöhnung,  der  Wiederge- 
burt u.  s.  w.,  wie  es  seinem  Principe  freilich  genügt  hätte, 
und  wie  es  nach  ihm  geschehen  ist,  in  die  schon  beleuch- 
tete psychologische  Allegorie  zu  verwandeln,  überhaupt 
als  einen  bloss  theoretischen  Vorgang,  gleich  einer  sonsti- 
gen Evidenz,  zu   betrachten.      Die  Wiedergeburt  ist  ihm 


der  Hcgclschen  Dreieinigkeitdchre.  997 

alles  Ernstes  die  reale,  wo  der  lebendige  Geist  Gottes  den 
menschlich  endlichen  Geist  „der  FarfikuJarität ,  das  natur- 
liehe  Herz,  die  besondem  Interessen,  Leidenschaft,  Eigen- 
sucht^, überwindet.    Und  Wer  möchte  glauben,  wenn 
der  Philosoph   von   „solchen  durchdringenden  Tönen ,   die 
die  Seele  durchbeben  und  sie,  wie  Hermes  der  Psycha- 
goge,  aus  dem  Leibe  herausziehen  und  in  die  ewige  Hei- 
malh   hinüberfuhren«  (U.  S.  291.)»    von  solcher  Wahrheit 
sich  ergriffen  bezeugt ,    dass  hier  nicht  der  vollste  Ernst, 
auch  auf  die  Gefahr  hin ,  der  Armseligkeit  einer  formellen 
Inkonsequenz  im  Principe  sich  schuldig  zu  finden,  in  ihm 
zugegen  sei? 

Aber  diese   Inkonsequenz,   diess   Durchbrechen  sei- 
nes  Princips,   ist  für  Hegel   hier  wirklich   schon    ein- 
getreten :    wenn    wir    vorher  einige   Male   finden    muss- 
tcn  ,    dass  sein  Princip  zu  ohnmächtig    sei ,    um    manche 
Geisteserscheinung   in  ihrer  Wahrheit  und  aus  ihrer  Tiefe 
zu   begreifen ;    so    hat  hier   umgekehrt    die   Gewalt   ei- 
nes ihn    ergreifenden  Gedankens    sein   Princip   ihm   sei- 
bor zu  Nichte  gemacht.     Denn   es  ist    unabweislich :    — 
Wer  die  christliche  Lebensthatsache  anerkennt,  und  damit 
einen  göttlichen  Geist,   aus   dem  Grunde   erneuernd   und 
umgestaltend  den  menschlichen ,  der  kann ,  ohne  theoreti- 
sche Inkonsequenz   handgreiflichster  Art ,   keinen  bloss 
pantheistischen  Gott  mehr  haben.     Dieser  Geist  Gottes 
kann  ihm  nicht   mehr  nur  sein  die  aus  dem  Processe  der 
Welt  aufgährende  „höchste  Potenz«  des  Weltgeistes  (nach 
Schell  in  gs   älterer  Lehre) ,   oder    (nach  Hegel)   ein 
„Bevvusstwerrfen^    desselben   im  Menschen :    —  das  wäre 
rcelit  eigentlich   der  Geist  des  Menschen  mit  seinen  „na- 
türlichen Partikularitäten ,  Leidenschaften    und  Eigensüch- 
ten^; denn  in  diesen  gerade  kommen  die  Abgründe  des 
VVcllgcistes  in's  Bewusstsein.    Darum ,  der  Geist ,  welcher 
diesen  (den  Wcltgeisl  im  Menschen)  überwindet,  und  sein 
Panier  einer   neuen  ,    höhern  Ordnung   in   der  Seele  des 
Menschen  aufpflanzt,  kann  nicht  mehr  Einer  Art  und  Einer 
ficihc  gedacht  werden  mit  jenen  weltgeistigen  Bethätigvn- 


998  Kritik 

gen  im  Menschen ;  wie  vermöchte  er  sonst  sie  zu  anler* 
werfen,  zum  Knechte  zu  machen  eines  specifisch  neaea 
Antriebes,  welcher  die  Wiedergeburt  ankündigt?  Die- 
ser Gott  kann  dem  Weltgeiste  selbst  nur  der  jensei- 
tige  sein. 

Diese  unwillkührliche  Inkonsequenz  Hegels,  —  an 
sich  die  lehrreichste  und  berechtigtste,  welche  es  giebt,  weil 
sie  aus  der  Anerkennung  des  Wirklichen  hervorgehl,  — 
lasst  sich  mit  einer  andern  früher  schon  bemcrklen, 
lange  ebenso  verborgen  gebliebenen,  bei  Spinosa  ver- 
gleichen, durch  die  er,  ohne  es  deutlich  zu  wollen,  ebenso 
sein  Princip  überschritten  hat.  „Die  intcllektuale  Liebe, 
mit  der  wir  Gott  lieben ,  ist  nur  die  Liebe  Gottes  zu  sich 
selbst ,  nur  ein  Thcil  der  unendlichen  Liebe,  mit  der  Gott 
(in  uns)  sich  selber  liebt«^  (E/«c.  P.  IV.  Prep.  33.  36.). 
Hiermit  ist  anerkannt,  dass  Gott  nicht  bloss  die  allgemeine 
Substanz  unendlicher,  noth wendig  verketteter  Modifikatio- 
nen, sondern  (in  uns)  persönliches  Bewusstsein  seiner  selbst 
sei.  Spinosa  hat  dadurch  sein  Princip  des  Substantia- 
litatsbegrifibs  durchbrochen,  und  Hegels  Begriff  der  un- 
endlichen Subjektivität  oder  Negativitat  des  Absoluten  vor- 
übergehend anticipirt. 

Ebenso  jetzt  Hegel:  er  erkennt  die  christliche That- 
sache  an ,  dass  der  Geist  Gottes  den  Geist  des  Henscbea 
in  seiner  Natürlichkeit  überwinde,  umschaffe,  wiedei^'- 
bare;  er  reiht  diess  Faktum  in  sein  Denken  ein.  Aber 
darin  ist  jener  Begriff  der  unendlichen  Subjektivität  des 
Absoluten  im  Geiste '  des  Menschen  ,  selber  überschritten 
und  ausser  Kraft  gesetzt:  das  natürliche  Aufsprossen  des 
Menschengeistes  aus  seinem  Grunde,  mit  welchem  er  eben 
darum  Eins  bleibt ,  und  der  allerdings  in  ihm  zum  Be- 
wusstsein seiner  selbst  erwacht,  kann  als  unendliches  Sub- 
jektiv* oder  Persönlichwerdcn  —  nicht  des  Absoluten, 
wie  wir  schon  zeigten,  aber  dos  Well geistes,  be- 
zeichnet werden,  und  diess  ist  die  (untergeordnete)  Wahr- 
heit des  He  gel  sehen  Princips,  allgemeiner  des  Pantheis- 
mus.   Wie  dieser  jedoch   (in  der  Wirkung  einer  Wie- 


der  Hegeischen  Dreieinigkeitslehre.  999 

Acrgeburt)  mit  sich  in  Widerstreit  treten  ,   sich  selber  zn- 
grieich    setzen  und  besiegen ,    bestätigen  und  überwinden 
soUe,   ist  nicht*  einzusehen,  sondern  ein  Sinnloses,  ein  Wi- 
derspruch.   Und  so  glauben  wir,  nach  solchem  Zugesland- 
msse  Hegels,  nur  in  seinem  Geiste,  wenn  auch  nicht  im 
Geiste  des  Systemes,  uns  zu  erklären,  wenn  wir,  —  wo- 
durch freilich  sein  System  auch  von  dieser  Seite  aurgeho- 
ben  wird,  —  zur  Behauptung  einer  ursprünglichen  Trans- 
scendenz  des  Geistes  Gottes,  aber  damit,  wenn  diese  nicht 
wieder  nur  flach    oder  abstrakt  gefasst  werden  soll,   zum 
BegprilTe  jener  immanenten  oder  Wcsenstrinität ,  ohne  Be- 
ziehung zum  Weltbegriffe  und  in  Unterscheidung  derselben 
Ton  der  Oflenbaningstrinität ,  zurückkehren. 

Dasselbe  Schwanken,  dieselbe  nicht  ganz  verhehlte  Un- 
einigkeit mit  sieh  selbst  und  das  durch  die  Tiefe  des  Ge- 
genstandes gebotene  unwillkührliche  Hinausgreifen  über  das 
eigene  Princip,  zeigt  nun  Hegel  nicht  selten  auch  in  der 
Abhandlung  vom   „Reiche  des  Sohnes^'   (Rel.  Phil. 
H.  S.  247—308.).    Mit  welchem  Ernst  er  auf  das  christ- 
lich Historische  dringe ,   darauf  ist  schon  aufmerksam  ge- 
macht worden.    So  unentschieden  auch  die  Ausdrücke  sind, 
mit  weichem  er  sich  in  der  frühem  Ausgabe  des  Werkes 
über  das  Faktische  von  Christi  Auferstehung  und  Himmel- 
fahrt erklärte ,  —  diess  sei  Faktum  ausdrücklich  nur  f ü  r 
den  Glauben,    Christus  sei  nur  seinen  Freunden 
erschienen  u.  dgl.  (erste  Aufl.  H.  S.  249.  50.) :  —  so  ist 
doch  in  der  neuem  Ausgabe   eine  Stelle  dazugekommen, 
welche   an  Hegels  Ueberzeugung   von  einer   histori- 
sehenObjektivität  jener  Ueberlieferungen  kaum  einen 
Zweifel  lässt.     „Gott  ist  gestorben,  Gott  ist  todt: 
—  diess  ist  der  fürchterlichste  Gedanke,  dass  allös  Ewige, 
alles  Wahre  nicht  ist,  dass  die  Negation  selbst  in 
Gott  ist;  das  Gefühl  der  vollkommenen  Rettungslosig- 
keit  ist  damit  verbunden^.     So   lautete   es  schon    in   der 
ersten  Ausgabe:  aber  jenes  „Todisein  Gottes^  mit  allem 
Dazugefugten ,  würde  selbst  als  die  höchste  Ungereimtheit 
erscheinen,   wenn  es  für  ein  Wirkliches  oder  Faktisches 


iOOO  Kritik 

gehalten  werden  sulUc ;  es  konnte  kaum  eine  andere  Be- 
deutung haben,  als  dass  Hegel  nur  aus  der  Mexaung  des 
Gläubigen  heraus  gesprochen  habe,  der  in  Christi  Tode 
den  Tod  Gottes  selber  vor  sich  zu  haben  meint.  Denn 
^nun  tritt  die  U  m  k  e  h  r  u  n  g  ein ;  Gott  erhält  sich  in  die- 
sem Processe  (der  Negation},  und  dieser  ist  nun  der 
Tod  des  Todes.  Gott  stehet  wieder  auf  zum  Leben; 
es  wendet  sich  somit  zum  Gegentheile*'. 

Der  Sinn  davon  in  diesem  Zusammenhange  konnte 
kaum  zwcifelhaR  sein:  diess  (dieser  metaphysische  Salz) 
ist  die  „Bedeutung^  des  Todes,  wie  der  Auferstehung 
Christi;  d.  h.  an  der  Vorstellung  eines  darin  enthal- 
tenen Sterbens  und  Auferstehcns  Gottes  wird  dem  Gläubi- 
gen die  allgemeine  Idee  eines  unablässigen  Sterbens 
und  Wiederaufcrstehens  des  gölUiclien  Geistes,  einer  ste- 
ten Selbsterncuerung  aus  der  unendlichen  Negation  dessel- 
ben, zum  Bewusslsein  gebracht.  Darauf  allein  kommt  es 
an ;  das  etwa  Faktische  dabei  ist  gleichgültig  oder  unent- 
schieden gelassen;  denn  doch  eigentlich  nur  in  der  Vor- 
stellung des  Gläubigen  ereignet  sich  Jenes  Sterben 
und  Wiederaurcrstehen  Gottes  durch  Christi  Tod  und 
Auferstehung.  „Die  Bedeutung  der  Geschichte  ist,  dass  es 
die  Geschichte  Gottes  selbst  ist.  Gott  ist  die 
absolute  Bewegung  in  sich  selbst ,  die  der  Geist  ist ,  nnd 
diese  Bewegung  ist  hier  an  dem  Individno  vorge- 
stellt. In  dieser  Geschichte  ist  für  die  Gemeine  die 
Natur  Gottes,  der  Geist,  durchgeiulirt,  ausgelegt,  explicirt. 
Diess  ist  die  Hauptsache^  (Hrsle  Ausg.  II.  S.  255.). 
In  diesem  Sinne  glaubten  wir  in  einer  frühem  Beurthei- 
lung  von  Hegels  Reiigionsphilosophie  *)  die  Bedeutung 
des  Ganzen  nach  Hegels  Geiste  mythisch  fassen  zu 
müssen,  wie  es  späterhin  Strauss  gelhan  hat  Aber,  — * 
bemerkten  wir  dabei ,  und  wir  vermögen  es  auch  jetzt, 
dieser  Auffassungsweise  gegenüber ,   noch  nicht  zurückzu- 


*)  Religion  und  Philosophie    in   ihfem  gegeowärli- 
gen  Verhältnisse^  Ucidea>.  1834.  S.  22. 


der  Hogelschen  Drcieinigkcilslehrc.  1001 

ncbmen,  —  ist  jenes  Sterben  und  Auferstehen  Gottes  etwas 
durchaus  Immanentes^  Ewiges,  unendlich  Erneuertes ;  warum 
bedarf  Gott  noch,  „im  Individuo^  diess  Schicksal  zu  erici»- 
dcn,  oder  in  diesem  Einzelnen  (Christo)  das  symbolische 
Spiel  mit  sich  zu  treiben ;  ja  wie  vermag  er  es  hier  mit 
eiuer  ausschliessendern  Symbolik,  als  anderswo,  wenn  sich 
in  jeder  That  der  Menschwerdung,  und  noch  mehr  in  je« 
dem  Fortschritte  weltgeschichtlichen  Bewusstseins,  dasselbe 
Symbol  erneuert?  Dagegen  gehalten  verdiene  Tast  ein  heid^^ 
nischer,  der  Osirismy thus  den  Vorzug ;  denn  er  sei  wenig- 
stens klar  und  von  zutreffender  Bezeichnung ,   wenn  auch 
nur  im  Naturgebiete.     Jedes  Jahr  stirbt  Osiris;  aber  bei 
wiederkehrender  Fruchtbarkeit  der  Natur  steht  er  zugleich 
zum  Loben  auf.    Hier  ist  die  ewig  sich   erneuernde  That 
der  Naturbelebung  wirklich  das  Symbol  zugleich  und  die 
faktische  Bewahrung  der  Macht  des  Gottes. 

So  damals;  das  innere  Missverhältniss  des  concreten 
historischen  Gehaltes  zu  einer  si)ckulativcn  Begriffsallge- 
meinhcit ,  in  welche  er  übergedeutet  werden  sollte ,  und 
die  Willkühr  der  ganzen  Deutung  konnte  kaum  auf  andere 
Weise  bezeichnet  werden.  Aber  der  Widerspruch  reichte 
doch  nicht  bis  in's  Princip  hinein ;  denn  jener  ganze  Her- 
gang schien  von  Hegel  nur  in  die  Vorstellung  des 
Gläubigen  hineinverlegt  zu  werden,  und  die  Konsequenz 
des  Ganzen  wenigstens  scjiien  gerettet. 

Anders  ist  es  jetzo :  nach  dem  angeführten  Zusätze 
der  zweiten  Auflage  lässt  sich  eine  bloss  mythische 
Auffassung  jener  historischen  Züge  in  Hegels  Sinne  kaum 
uoch  rechtfertigen.  Nach  den  oben  angeführten  Worten 
aus  der  Religionsphilosophie  wird  nämlich  aus  einem  ,)ei«> 
genbändig  geschriebenen  Hefte  Hegel  s<^  (S.  300.)  hinzu« 
gefügt :  ^Es  ist  diess  die  Auferstehung  und  die  Himmelfahrt 
Christi.  Wie  alles  Bisherige,  in  der  Weise  der 
Wirklichkeit  für  das  unmittelbare  Bewusst« 
sein'«  (also  als  empirische,  erlcbbarc  Thatsachc),  „so  (gilt) 
auch  diese  Erhebung.  Für  die  Anschauung  ist  eben 
so  vorhanden  dieser  Tod  des  Todes,  die  lieber- 


1002  Kritik 

Windung  des  Grabes,  der  Triumph  ftber  das  Negative.  Die 
Ueberwiadong  des  Negativen  f^i  aber  nicht  ein  AvszielieB 
der  mensclilichen  Natur^  (so  dass  nun  Alles  bloss  im  Be- 
griffe vorginge,  und  nor  begriffsmässig  —  s3fn]bolIsch,  ny- 
Ihisch  —  zu  verstehen  wäre),  »sondern  ihre  höchste  Be- 
wahrung, selbst  im  Tode  und  in  der  höchsten  Liebe* 
o.  s.  w. 

Hier  zeigt  sidi  Hegeis  energisches  Festhaltet  und 
Behaupten  der  Wiriciichkeit  iür  jene  zugleich  symbo- 
lischen Vorgänge ;  aber  sogleich  damit  werden  sie  auch  io 
ein  metaphysisch  Allgemeines  hinübergespielL  Christi 
Tod,  Auferstehung,  Himmelfahrt,  sind  dem  Denker  That- 
Sachen,  aber  Thatsachen  der  inhaltsschwersten  Art;  ^e 
haben  schlechthin  ewige  Bedeutung:  sie  sind  zugieicli 
allgemeine  Begriff e;  dio  absolute  Idee  symboli- 
sirt  sich  zum  ersten  Haie  nicht  nur  ISr  die  Vorstel- 
lung an  ihnen ,  sondern  sie  vollzieht  sich  wirklich  zu- 
erst durch  sie.  Nur  so  könnte  diess  Verhällniss  naher  ge- 
fesst  werden. 

In  gleichem  Sinne   besteht  Hegel  an  einer   andern 
neu  hinzugekommenen  Stelle  (U.  S.  282 — 85.  vergl.  erste 
Ausg.  IL  S.  233.)  9   —   nachdem  auseinandergesetzt  wor- 
den ,   wie  iur   die  HauptbegrifTe  des   Christenthuins  ADes 
darauf  ankomme,    „dass   gewusst  werde  die   an    sieb 
seiende  Einheit  der  göttlichen  und  mensch- 
lichen Natur^(S.  281.)»  —  auf  das  Nachdrucklichsie 
darauf,  dass   hier  nicht   das  Allgemeine   der  Vorstellung 
oder  des  Begriffs  genüge,  sondern  dass  jene  Wahrheit  nur 
Gewissheit  haben  könne,    wenn  die  Idee  die  Form 
sinnlicher    Anschauung,    ausserlichen    Da- 
seins erhalte.    Die  Einheit  Gottes  und  des  Menschen  moss 
„als  einzelner,  ausschliessender  Mensch  erscheinen  für  die 
Andern ,  nicht  alle  Einzelne ,  sondern  Einer ,  von  dem  sie 
ausgeschlossen  sind ;  aber  nicht  mehr,  als  das  Ansicht  das 
drüben  ist,    sondern   als   die  Einzeln  hei  t  auf  dem 
Boden    der   Gewissheit.     Um  diese  Gewis^eit  and 
Anschauung  ist  es  zu  thun ,   nicht  bloss   um   einen  gott- 


der  Hegelscheti  Drcieinigkeitslehre.  1003 

lictien  Lehrer^'  u.  s.  w.  (S.  282.  83.).    So  ist  Christus  der 

p  V-  ä  s  c  h  t  e  Gott,  er  ist  der  erste  Einschlag  der  göttlichen 

!Ncitur  in  die  menschliche ;  aber  in  seinem  Faktom  liegt  die 

lotzte  Spitze  der  Gewissheit  dieser  Einheit,  weil  sie,  über 

alle  Vermittlung  durch  Vorstellung ,  Gefühle   und  Gründe 

Iiinaus,  darin  gegenwärtig  ist.  —  „Gottliche und  mensch- 

liehe  Natur   in  Einem  ist  freilich    ein  harter ,   schwerer 

Ausdruck,  aber  die  Vorstellung,  die  man  damit  ver-* 

bindet,  ist  eben  zu  vergessen;  was  zmr  äussern  Par« 

tikularitat  des  Menschen  gehört,  sein  Endliches ,  ist  darin 

verschwunden«. 

Wie  nun?  Wollen  wir  diese  Christologie ,  die  aller« 
dings  die  orthodoxeste  ist,  welche  der  alte  Glaube  sich 
^wünschen  kann^  von  Hegel  annehmen  innerhalb  der  all- 
gemein pantheistischen  Voraussetzungen,  über  die  uns  sein 
System  principiell  nicht  hinausgebracht  hat?  Soll  der  Gott 
^wirklich«  in  Christo  gestorben ,  in  ihm  auferstanden  sein, 
um  dadurch  die  Gewissheit  seiner  „Diessseitigkeit« 
zu  bewähren  ?  Wer  sieht  hier  nicht  den  Widerspruch^  ja 
das  Absurde,  wenn  Fakticitäten,  seien  sie  weltgeschichtlich 
von  noch  so  durchgreifender  Wirkung,  zi^leich  „ewige 
Bedeutung^'  erhalten,  kurz  als  metaphysische  Be- 
griffe behandelt  werden  sollen,  —  der  vielbesprochene 
Grundfehler  Hegels,  der  ihn  auch  hier,  fasse  er  jene 
Bezöge  zwischen  Gott  und  Christo  mythisch  oder  als  'lliat- 
sächliches ,  in  unentwirrbare  Schwierigkeiten  stürzt  1 

Und  femer:  müssen  wir  sie,  nach  Hegels  Versiche- 
rungen ,  in  seinem  Namen  als  ein  Thatsächliches  fassen, 
kann  dabei  die  pantheist  isch  c  Grundlage  seines 
Systemes  bestehen  ,  ohne  dasselbe  dadurch  entweder  der 
wesentlichsten  Lücken,  oder  der  offenbarsten  Ungereimtheit 
iür  überwiesen  zu  halten  ?  Was  der  „Processi  der  Mensch- 
werdung, des  Persönlichwerdens  Gottes  bedeutet,  wissen 
wir  nach  den  bisherigen  quellcnmässigen  Angaben.  Wie 
wir  aber  so  eben  vernommen  ,  ist  es  nun  wirklich  die 
Einzelnh-eit,  auf  die  es  ankommt.  In  Christus  allein 
oder   doch  zuerst   (indem  dieser  Process  sich  nachher 


1004  Kritik 

Bvr  Ton  ihm   aus  in  die  Gemeine  fortzusetzen  bat)   wird 
Gott  Person;  so  wäre  es  doch  Hegeis  ausdrüddiche  Mei- 
nung, welche  wir  vorher  nur  als  eino  aus  seinen  Prämis- 
sen gezogene  Konsequenz  aufzustellen  wagten ,  dass  Coli, 
als  Allgemeines,  zuerst  in  Christo  persönlich  sich  ei^g^rifien, 
im  einzelnen  Geiste  sich  als  hier  und  gegenwärtig  gewnsst, 
in  ihm    ,,(ch   zu   sich  gesagt  habe^?    Bei   diesem,  im 
Binzefaien  sich  absorbirenden  Selbstbewusstsein  Gotles,  wäre 
aber  die  Erinnerung  vollkommen  richtig,  dass  das  zeitiidu; 
und  Eine  Individuum  in    diesem ,  dem   hier  gemeiBteo, 
Sinne  das  Ewige  nie  erschöpfen,  ihm  adäquat  werden  kann, 
und  wir  mussten  bei  dem  Satze :  dass  der  unendliche  Gott 
im  Individuum  Christus  zu  völligem  Selbstbewusstsein  ge- 
langt (zur  Allwissenheit  seiner  selbst  geworden)  sei,  ge- 
gen die  gemeine  Auslegung  der  Straussischen  Erklärung 
völlig  beitreten :  es  ist  eine  offenbare,  durch  Nichts  zu  ver- 
schleiernde Ungereimtheit.    Ist  jenes  aber  nicht  die  Hei- 
ifung  Hegels^   kennt  er   ein   anderes  Selbstbewusstsein 
Gottes;  wie  stimmen  damit  seine  metaphysischen  Prämis- 
sen ,  seine  Lehre  vom   absoluten  Geiste  am  Schhisse  der 
Encyklopädie,  wie  die  oben  vernommenen  Erklärungen  vom 
„Vater^ ,  als  dem  abstrakten ,  an  sich  unwahren  Momente, 
und  das Verhällniss  des  „Geistes^  zum  „Yaler^?  Hierbleibt 
eine  offenbare  Lücke,  ein  Widerstreit  im  Heg  eischen  Sy- 
steme,  zwischen  seinem  Principe,    Gott  als  den  Geist  zu 
fassen,  und  der  metaphysischen,  wie  religionsphilosophischen 
Ausfuhrung  desselben. 

Aber  was  S  t  r  a  u  s  s  an  die  Stelle  setzt,  ist  es  irgend 
gründlicher ,  und  wären  wir  damit  zu  einem  wahrhaften 
Abschlüsse  gelangt?  Nicht  im  Einzelnen,  in  Christo,  son- 
dern in  der  ganzen  Henscliheit ,  ununterbrochen  und  nn- 
mer  anders ,  wirkt  sich  Gott  zum  Bewusstsein  seiner  selbst 
aus:  er  ist  ewiger  Geist,  weil  er  es  unablässig  wird: 
Christus  bleibt  nur  für  uns  das  erste  Beispiel  und 
darum  vornehmste  Symbol  dieser  allgemeinen  Wahr- 
heit: —  und  dicss,  wird  hinzugesetzt,  sei  auch  die 
eigentliche    Meinung  Hegels,     —     wenigstens ,    die 


der  Hegebchen  Dreieinigkeitslehfe.  1005 

hfttle  haben  sollen,  am  mit  sich  konseqfuent  zu 
Ijiciben. 

Hier  ist  jedoch  der  Widerspruch ,  die  Ungereimtheit 
nur  um  einen  Schritt  weiter  hinausgeschoben;  dem  Begriffe 
nach  sind  beide  noch  dieselben.  Gott  ist  an  sich  selbst 
unendKche  Subjektivität,  er  ist  der  ewige  Geist:  Alles 
kommt  darauf  an ,  Gottes  Wesen,  nicht  als  Substanz, 
sondern  als  Subjekt  zu  fassen.  So  lautet  es  beiStrauss, 
wie  bei  H e  ge  I.  Wird  jedoch  weiter  gefragt,  woher  denn, 
auch  nach  Hegels  Verbesserern,  für  Gott  diese  Ewigkeit 
des  Geistes  komme,  so  ist  es  nur  das  Menschengeschlecht, 
^orin  er  zum  Geiste  wird.  Bekanntlich  ist  diess  jedoch 
von  sehr  jungem  Datum  auf  dem  Planeten ,  wahrend  hier 
<Iagegen  mit  der  Ewigkeit  des  göttlichen  Geistes  eine 
Ewigkeit  des  Menschen  (ebenso  wie  die  Ewigkeit 
der  Schöpfung),  nicht  dem  „Begriffe«,  sondern  der  Rea- 
lität nach,  stattfinden  müsste.  In  welchen  Subjekten  hat 
sich  nun  vorher  der  ewige  Geist  Gottes,  als  Geist,  ver« 
wirklicht?  Hegel  lehnt  in  der  Einleitung  zu  seiner  Phi-J 
losophie  der  Geschichte  alle  entscheidende  Ant- 
wort auf  die  Frage  nach  dem  Entstehen  des  Menschenge- 
schlechts ab :  die  Philosophie  habe  sich  ,  mit  Beseitigung 
aller  Hypothesen ,  nur  an's  Wirkliche  zu  halten.  Er  ahnt 
hier  scharfsichtig  die  Lücke  seines  Systems,  die  in  seine 
metaphysischen  Principien  zurückgreift,  er  lässt 
desshalb  den  Widerspruch  unausgesprochen.  Strauss 
nimmt  keinen  Anstand ,  es  auch  hierin  bis  zum  ausdrucke 
Kchen  Widerspruche ,  zum  ausgeprägten  Bewusstsein  des- 
selben zu  treiben :  ewiger  Geist  ist  nach  ihm  Gott  nur  int 
Mcnschengeschlechte,  in  dem  geistigen  Processe  der  Welt- 
geschichte ;  a6ef,  wenn  er  (Strcitschtiflen  H.  S.  73.  ff.  Glau- 
benslehre I.  S.  681-86.),  übrigens  nach  einer  längst  von  allen 
kundigen  Naturforschern  für  unzureichend  erkannten  Ana- 
logie ,  lehrt ,  das  Menschengeschlecht  sei  durch  generatio 
aequicoca  entstanden,  hat  er  damit  einen  zeitlichen 
Anfang  desselben  zugestanden ,  wie  auch  sonst  gar  nicht 
zu  umgehen    war;   und  ihn  trilR  daher  jene  Frage  mit 


1006      Kritik  der  Hi*pelsdien  Dreieinigkeitsidire. 

voller  Ntchl,  wie  dabei  die  Ewigkeil  des  Geistes  Got- 
tes y  —  kurz  der  ganze  Fortschritt  ^  den  der  spiritimllsti- 
sehe  Pantheismus  über  den  iltem  spinosislischen  und  den 
naturphiiosophischen ,  —  die  weit  konsequenteren, 
—  gelhan  zu  haben  vermeint,  überiiaupt  sich  noch  retten 
lasse?  Und  diess  soll  das  ,,höhere  Resulial^  sein, 
weiches  Hegel  aus  seiner  Philosopiiie  entweder  nicht  zn 
ziehen  vermochte,  oder  es  auszusprechen  nicht  gewngt 
habe?  Diess  rohe  Erzeogniss  eines  kurzsichtigen,  aiil 
unwisscnschafUichcn  VorurUieilen  angefUiten  Halt^denkens? 

Doch  ist  es  überflässig,  die  Incoharenz  solcher  Phn» 
losopheme,  zu  denen  man  den  alten  Denker,  —  man  weiss 
nicht ,  ob  zurückbekehren  ,    oder  vorwartstreiben   viriil  — 
weiter  in's  Licht  zu  setzen :  sie  zerbröckela  vor  der  festen 
Berührung.    Hegel  hat  dergleichen  nie  gelehrt  und  mdd 
lehren  können ;  er  wäre  nicht  der  tiefe  Geist  gewesen^  als 
den  wir  ihn  erkennen.    Seine  „wahre  Konsequenz^,   die 
verborgene  Grundvoraussetzung ,  die  alle  jene  Widersprü- 
che und  Mangel  wenigstens  ihm  selber  einstweilen  schlich- 
tete ,  muss  daher  gerade  nach  der  entgegengesetz- 
te n  Seite  fallen ,   als  jene  Verbesserer  es  meineil.    Und 
welche  andere  könnte  es  sein,  auch  nur  um  seine  Christo- 
logie  begreiflich  zu  finden ,  als  die  wir  aus  jener  Verbor- 
genheit, aus  dem  unentschiedenen  Insicliverschlungenseia, 
welche  sie   bei  ihm  noch  hatte ,  zur  ausdrücklichen  Ent- 
wicklung und  damit  zum  Beweise  gebracht  haben?    Aach 
in  seinem  Geiste  daher,  wenn  auch  über  sein  Wort  hin- 
aus, können  wir  es  aussprechen :  vor  jenen  Ungereimth^ 
ten  rettet   nur  der  Begriff  einer  Transscendenz  des  gött- 
lichen Geistes ,  ein  gründlicher  Theismus  ,  der  femer  je- 
doch ,  wenn  er  nicht  abermals  abstrakt  bleiben ,  sondeni 
für  Gottes  Wesen  selbst,  wie  für  seine  Offenbarung  in  der 
Welt,  bis  zum  Concreten,  damit  zum  Begreiflichen,  gelan- 
gen soll,  sich  in  dem  Begriffe  jener  doppelseitigen  Trinitit 
wird  fixircn  müssen« 

Der  Pantheismus  aber,  — wie  er  sich  auch  hier  über- 
haiq>t  als  Moment,  als  die  Eine  Seite  zeigt,  welche  erst  in 


Hegels  Begriff  des  Wunders.  1007 

^ie  Totalitfit   der  Wahrhdt    anfsuheben  ist   (vergl.   obeii 
S.   773.)  9  ^-  als  seine  ausschliessenden  Bekenner  in  ge-» 
^«^Tiwärtigor  Zeit  zeigen  sich  daher  auch   nur   die  ober» 
flachlichem,  unspekulativen  Kopfe,  oder  denen  es  überhaupt 
nur  darauf  ankommt ,  dilettantisch  eine  philosophische  An- 
sicht zu  Grunde  zu  legen,—  der  Pantheismus  hört  gerade  in 
dem  Maasse ,    als  er  sich  in  sich  steigert  und  ausbildet, 
vom  naturalistischen  zum  spiritualistischen  wird ,  wiewohl 
auch  jene  frühere  Stufe  des  Pantheismus,  wie  wir  im  Vorigen 
gezeigt  haben,   den  immanenten  Zweck  in  der  Natur  kti- 
uesweges  zu  erklären  vermochte ,    —  in  gleichem  Maasse 
auf,  begreiflich,  klar,  objektiv  erklärend  zu  sein.    Er  ver- 
wickelt sich  immer  mehr  in  Macht-  oder  in  Widersprüche. 
Dasselbe  Schwanken  zwischen  Pantheistik  und  theisti- 
sehen  Voraussetzungen  (aber  letztere  Form  kommt  es  freilich 
nirgends  hinaus),   welches  Hegels   Religionsphilosophie 
uns  im  Bisherigen  zeigte ,  so  dass  man  behaupten  konnte, 
beide  Gnindansichtcn  in  ihr  neben  einander  zu  ha<* 
ben ,    wobei  den  Auslegern    die  Auswahl  bleibt ,  auf  die 
eine  oder  die  andere  das  stärkere  Gewicht  zu  legen,  — 
dasselbe  Schwanken   zeigt  sich  bei  Hegel  auch  in  Ne* 
benbegriffen,  z.  B.  im  Begriffe  des  W  u  n  d  e  r  s.    Als  seine 
durchgi'eifende  „spekulative^'  Ansicht  vom  Wunder  ist  wohl 
die  zu  bezeichnen  ,  dass  die  Existenz  des  freien  Geistes 
überhaupt  and  seine  vernünftige  Herrschaft  über  die  Natur 
diess    Grundwunder ,    die   sich    bewahrende  Macht   eines 
schlechthin  Höheren  gegen  jene,  sei :    dass  keine  Beglau- 
bigung aus  ihnen  für  die  Wahrheit  der  Lehre  Christi  ge- 
schöpft werden  könne ,   setzt  er  ausdrücklich  fest.    Diese 
beglaubigenden  Wunder  müssten  nämlich  selbst  erst  beglau- 
bigt werden ;  aber  wie  die  Idee  einer  solchen  Beglaubigung 
durch   sie  nicht  nöthig  hat,  so  bedarf  sie  es  auch  nichts 
jene  zu  beglaubigen  (Rel.  Phil.  II.  S.  326.).    Daran  schliesst 
sich  an,  dass  er  bei  anc/erer  Gelegenheit  (Gesch.  der  Phil. 
I.  S.  220.  21. )9  die  Erzählung  vom  Leben  Christi  ganz  mit 
den  spätem  mythischen  Lebensbeschreibungen  des  Pylha- 
goras  auf  £ine  Stufe  stellend,  darin  ,,ein  Gemisch  von  wun- 


1008  Hegels  ßogrifT  dos  Wunders. 

derbaren ,  abenteuerlichen  Fabeln  findet ,  wS  dem  Boden 
gemeiner  Wirklichkeit,  nicht  einer  poetischen  Well^.  Und 
80  schiene  es  nur  in  seinem  Geiste ,  wenn  die  Neuhegd- 
sehen,  auch  darin  ganz  mit  dem  theologischen  RattonalisniQS 
Hand  in  Hand,  keine  andere  Wunder  erkennen  wollen,  »Is 
welche  der  Geist  durch  Kultur  und,  Industrio  (durdi 
„Dampfkrall  und  Eisenbahnen^)  der  Natur  abgewinnt. 
Demungeachtet  wird  doch  nun  wieder  an  einer  einzelnen 
neu  hinzugekommenen  Stelle  der  Religtonsphilosophie  f2ie 
Ausg.  II.  S.326.)  eine  Macht  des  Glaubens,  der  Zuversicht 
auf  Gott  angenommen ,  welche  eigentliche  Wunder ,  einen 
Erfolg  über  den  natürlichen  Zusammenhang,  zu  bewirken 
vermöge.  Das  allgemeine  Princip,  in  welches  er  diess  Zu- 
geständniss  einreiht,  müssen  wir  das  rechte  und  tiefe  nen- 
nen. „Ueberhaupt  ist  der  Geist  dieses  Wunder,  diess 
absolute  Eingreifen  in  die^  (vermeintlich  absoluten)  „Ge- 
setze der  Natur.  Schon  das  Leben  greift  in  diese  söge- 
nannten  ewigen  Gesetze  der  Natur  ein,  es  vernichtet 
z.  B.  die  ewigen  Gesetze  des  Mechanismus  und  der  Che- 
mie. Noch  mehr  wirkt  auf  das  I^ben  die  Macht  des 
Geistes,  und  seine  Schwäche,  Schrecken  kann  Tod, 
Kummer,  Krankheit  herbeiführen,  und  ebenso  hat  zu  all  en 
Zeiten  der  unendliche  Glaube  und  das  Zutrauen  den 
Krüppel  gehend,  die  Tauben  hörend  gemacht  u.  s.  w.  Dem 
neuern  Unglauben  an  solche  Erfolge  liegt 
der  Aberglaube  an  die  sogenannte  Natur- 
macht und  deren  Selbstständigkeit  gegen  den 
Geist  zu  Grunde". 

Diess  ist  der  einzig  rechte  Standpunkt ,  auf  welchem 
die  Spekulation,  jenen  sporadisch  hervortretenden  Erschei- 
nungen gegenüber ,  die  unmittelbar  ein  Anomales ,  Natur- 
widriges darbieten,  zu  stehen  hat :  sie  muss  die  Macht  des 
Lebens  über  die  todte  Natur,  des  Geistes  über  das  natür- 
lich Lebendige  und  über  seine  gewöhnlichen  Schranken, 
dem  Principe  nach,  behaupten.  Wie  wejt  aber  das 
letztere  gehe ,  was  die  absolute  Schranke  jener  lieber- 
macht  des  Geistigen  über  das  Leben  und  die  niedere  Natur 


Der  Begriff  der  Philosophie.  1009 

si^i.,  daröber  liegt  im  Principe  selbst  keine  spekulative 
Maassbestimmmig;  hierüber  künn  eben  nur  ^ybeglaubigtc^^ 
Erfahrung  entscheiden ,  fiir  wHche  die  recht  sich  verste- 
hende Spekulation  mit  ebenso  viel  Liberalität  sich  offen 
cfhalten  wird,  als  sie  doch  eben  darum  die  strengste  ob- 
jektive Beglaubigung  solcher  scheinbar  thaumatischen  Vor- 
gänge wird  fordern  müssen. 


Es  bleibt  jetzt  noch  übrig ,  im  ganzen  Systeme  H  e- 
gcls  seine  letzte  Erhebung,  von  der  Stufe  der  Religion  in 
die  Stufe  der  Philosophie,  der  Wissenschaft,  zu 
YCrrolgen.  —  Auf  dem  vorhergehenden  Standpunkte  hat 
sich  die  absolute  Idee  gezeigt,  als  der  ewige,  aber  Ie<» 
bendige,  in  der  Welt  gegenwärtige,  und  im  reli- 
giösen Bcwusstscin  des  Einzelnen  zu  sich  selbst  kom- 
mende Geist. 

Diese  objektive  Totalitat  ist  so  nur  noch  die 
Voraussetzung  für  die  endlich  e.Unmitteibarkcit  des  e  i  n- 
zelnon  Subjektes;  sie  steht  ihm  daher  noch  als  „ein  An- 
deres und  Angeschautes^  gegenüber,  gegen  welches  jenes 
sich  zu  isoliren ,  für  sich  bestehen  zu  können  meint ,  •— 
„das  Nichtige  und  Böse  an  ihm%  —  bis  es  sich  ^in  dem 
Schmerze  der  Negativital<^  mit  ihm  zusammenschliesst,  und 
80  sich  mit  dem  absoluten  Wesen  vereint  erkennt,  welches 
ebenso  sehr  darin  (nach  der  oben  nachgewiesenen  Dop- 
pelbcwegung  der  Substanz  zum  Subjekte,  wie  dieses  in 
jene  zurück,  was  Eins  und  Dasselbe  ist;  vgl.  S. 969.) 
sich  als  inwohnend  im  Sdbstbewusstsein  bewirkt,  und  die 
wirkliche  Gegenwärtigkeit  des  an  und  für  sich  seienden 
Geistes,  als  des  allgemeinen,  ist  (Encykl.  $.  569 — 71.)* 

Diese  drei  Schlüsse  ,  die  Ein  Schluss  sind ,  die  sich 
mit  sich  selbst  vermittelnde  Totalität  des  allgemeinen 
und  zugleich  für  sich  seienden  Geistes,  machen  die 
Wahrheit  aus :  in  dieser  Form  der  Wahrheit  ist  sie  Gegen- 

64 


1010  Der  absololc  Geist, 

stand  der  Philosophie.  —Diese  ist  Einheit  der  KubsI 
und  Religrion  insofern,   als  das  subjektive   Prodocirva 
und  ZerspUltern  des  substantiellen  Inhalts   des  GoltUckcii 
in  viele  selbststandige  Gestalten,   wie  es   die  Kunst  übt, 
zuerst  in  die  Totalität  der  zweiten ,   der  Religion ,  zu- 
sammengerasst  wird.     In  dieser  ist  aber  jener  Inhalt  mit 
der  Form  des  historischen  Geschehens  und  eines  objekfi- 
vcn  Verausserlichens  der  Offenbarung  behaftet  (in  wetchem 
Sinne  diess  Alles,  haben  wir  im  vorigen  Abschnitte  gese- 
hen):    diese  zeitliche  Form  und  die  damit  zusammenhan- 
gende Verausserlichung   hebt  die  Philosophie    auf;   diese 
gicbt   ^den   denkend  erkannten  Begriff  der  Kunst  und 
Religion,  in  welchem  das  in  dem  Inhalte  Verschic- 
deue    als   nothwendig,    diess   Noth  wendige 
als  frei   erkannt  wird^   (§.  572.  mit  An  merk,  zo 
$.  573.  S,  582.)«  —  Dieser  doppelte  Fortschritt,  dass  das 
„Verschiedene^,  scheiabar  Mannigfaltige   und  Zulallige, 
vielmehr  in  der  Idee    sich    als.  ein  Nothwendiges  erweise, 
dadurch  aber,  wie  es  Hegel  in  der  Reltgionsphilosophie 
ausgeführt  hat,   die    freie  Entfaltung  der  Idee   aas  sich 
selber  ist,  greift  genau  in  die  aUgemein  logischen  Bestim- 
mungen Hegels  zuiück,  und  entspricht  charakteristisch 
und  konsequent  dorn   zuerst  dort  von    ihm  genouunenen 
Standpunkte. 

Dieser  Begriff  der  Philosophie  ist  daher  die  sich 
denkende  Idee,  das  Logische,  aber  nicht  mehr  in  sei- 
nem reinen  Gedanken,  sondern  als  die  im  concreten  Welt- 
inhalte, als  in  seiner  Wirklichkeit,  bewahrte  Allgemein- 
heit: das  Logische  ist  in  sein  Resultat,  das  Geistige, 
übergegangen,  indem  es  sich  aus  dem  Erscheinen,  als 
seinem  Unmittelbaren ,  in  sein  reines  Princip  und  zugleich 
in  sein  wahres  Element  erhoben  hat.  Dieser  Procuss  be- 
gründet nun  die  weitere  (der  Philosophie  als  Bigenthfim- 
liohes  zufallende)  Entwicklung,  welche  abermals  in  einem 
Systeme  von  drei  Schlüssen  abläuft. 

Der  erste  Schluss   ($.  575.)    hat  das  Logische  zum 
Grunde  und  Aasgangspunkte ,  die  Natur  zur  Hitte  (medha 


als  Systrm  von  drei  Schlössen.    Erster  Schluss.      1011 

terminus)^  den  Geist  zum  andern  Extreme,  welcher  durch 
«lio  Natur  mit  dem  Logischen  zusammengeschlossen  wird. 
A}as  Logische  wird^  (^^^^y  >vas  eben  Inhalt  des  absoluten 
Trocesses  ist)  ^zur  Natur ,  die  Natur  ebenso  zum  Geiste^'. 
Hier  ist  aber  „nur  in  dem  einen  Extreme^  —  nämlich  im 
Geiste  —  ^die  Freiheit  des  Begrifles  als  sein  Zusammen« 
schliessen  mit  sich  gesetzt^. 

Es  ist  diess  offenbar  dcrSchluss,  in  welchem  Hegel 
lißfi  Process  der  Weitschöplung  vorbildet ;  aber  auch  hier- 
mit bleibt  dieser  Begriff  ebenso  abstrakt  unausgeführt  ^  als 
JuckenhaH.    Auch  an  dieser  Stelle ,    so  wenig  wie  früher, 
wird  nicht  erkannt,   u>ie  und  traruffi   ^das   Logi- 
sche   zur  Natur   werde^';    d.  h.    die  Nothwendigkeil 
davon  ist  nur   die  alijstrakle  ,    unvermittelte.    Hegel   hat 
daher  nicht ,   wie  er  behauptete ,    die  Nothwendigkeit  in's 
Freie  ,  d.  h.  in    das  Vernüullige  und  dessen  Begründung, 
erhoben.     Das  wesentlich  Vernünftige  dieses  weltschöpfe- 
rischen Schlusses  käme  eigentlich  erst  daran  zum  Bevvusst* 
sein ,    dass  die  Natur  nur   „der  Durchgangspunkt  und  der 
negative    Moment^    zur  Hervorbringung    des  Geistes  sein 
soll;  sie  ist  nicht  „Zweck  an  sich^,  sondern  nur  der  me- 
dhis  terminus  (das  Mittel) ,   um   den  Zweck  an  sich ,   das 
Logische,  die  an  sich  seiende  Vernunn,  mit  dem  endli- 
chen Geiste,   der  an   und   für  sich  seienden  Vernunil, 
zusammenzuschliessen.     Aber  warum  —   so  fragten  wir 
schon  das  ganze  System  hindurch    —    bedarf  es  dieses 
Umweges    durch    die  Negativität   der  Natur    in  so  langen 
und   viel  verschlungenen  Windungen,    um   dann   erst    das 
All  sich  zum  Anundfürsich  hervorbringen  zulassen? 
Die  Philosophie  hat  das  Welt<lasein  zu  erklären ,    die  un- 
mittelbar erscheinende  „Nothwendigkeil^  desselben  in  „Frei- 
heil^,  BegreiOichkeit  aufzulösen :   .—  hier ,   auf  dem  Gipfel 
des  Hegeischen  Systemes,    ist   diess   ebenso  wenig  ge- 
schehen, als  am  Schlüsse  der  Logik,  wo  wir  die  Entschei- 
dunnr    über  jenes  Bedenken   im  Systeme    bis  hierher  uns 
vorbehielten;   nicht  einmal  die  Frage,  als  Problem,  ab 
des  Denkens  werthe  ,   ist  rein  vor  die  Forschung  gestellt. 


1012  Erster  Schluss. 

Und  überhaupt  nur  zu  sagen ,   dass   der  Schluss    —    die 
Form  des  Schlusses  in  dem  Verhältnisse   der  sich    ver- 
mittelnden drei  Glieder,  —  der  absolute  Grund  jener  Be- 
schaiTenheit  des  Weltdaseins  sei,   würde  das  Princip  der 
Hegeischen  Philosophie ^  den  Monismus  des  Denkens, 
seihst    zum  ganz   formellen   und  inhaltsleeren  zusammen- 
schwinden  lassen.    ,,AlIes   ist   der  Schluss ,  ist  vemünnig 
und  vermittelt^',  —  dieser  allgemeine  BegrifF  der  He- 
ge Ischen    (wie    eigentlich   aller   nicht   fatalistischen  oder 
atomistischen)  Philosophie  wurde  selbst  trivial  und  leer  an 
Erkenntniss  werden ,    wenn  es  nach  ihm  genügen  könnte^ 
überluiupt   bloss   eine   vernünftige  Vermittlung   unter   den 
Weüdingen  zu  behaupten,  nicht  die  specieüe  Vemänf> 
tigkcit   in  jedem  nachzuweisen.    Darin  liegt  ja  auch 
der  eigentliche  Sinn  von  Hegels  wiederholten  Einscbär- 
fungen  ,    dass  der  BegriiT  nicht  abstrakt  bleiben ,    sondern 
concret  werden  müsse;  das  ist  die  grosse  Bedeutung  sei- 
ner objektiven  Methode,    durch  sie   nur   die    „innere^, 
d.  h.    ganz  concreto   oder   specielle ,    „Vemünfligkei^  der 
Sache^  erkennend  an  den  Tag  zu  bringen.    Diess  richtige 
Axiom,  welchem  Hegel  in  den  einzelnen  philosophischen 
Disciplinen  nach  Kräften  genug  zu  thun  bemüht  war,   ist 
hier  jedoch ,    in    dem   metaphysischen  Grundpro* 
bleme  aller  Spekulation,  völlig  von  ihm  vernach- 
lässigt  worden.     Die  VermitUung    des  Welt-  oder  Schö- 
pfungsprocesses    ist  auch  hier  nur  die  logische  geblie- 
ben ;  es  ist  ihm  nicht  gelungen ,  wie  er  es  wollte, 
das  „Nothwendige^    als  das  „Freie%  Vernünf- 
tige«   concret   darin    nachzuweisen.      Wie  wir 
damit  den  durch   das  ganze  System   hindurch  aufgewiese- 
nen Grundmangel    hier   nur  bestätigend  wiedererkennen, 
so  wird  sich  für  ihn  selber  alsbald  ein  concreterer  Aus- 
druck finden  lassen.  — 

Der  zweite  Schluss  (S*  576.)  hat  den  Geist  zu  sei- 
nem medius  termmus^  welcher  die  Natur,  als  das  eine  Ex- 
trem, voraussetzt  und  sie  mit  dem  Logischen  zn- 
sammenschliesst  —  Diese  zunächst  nur  formelle  Konsequenz 


Der  zweite  und  dritte  Schlass.  1013 

Iiat  bei  Hegel  eine  sinnreiche,  wenn  auch  zur  Haifte 
vrillköhrlichc  Deutung  erhalten ;  denn  der  ^Geist%  welcher 
doch  ebenso  praktisch ,  als  erkennend  ist ,  wird  vorzugs- 
weise als  der  letztere  bezeichnet,  indem  er  Natur  und  Lo^ 
^isches  vermitteln  soll.  Indess  kann  diess  Bedenken  gegen 
Hegel  doch  zum  grossen  Theil  in  dem  frühem  Satze  seine 
Erledigung  finden,  wonach  das  Praktische  eben  auch  eine 
That  des  Erkennens ,  Theoretisches  und  Praktisches  aber 
nur  Momente  der  spekulativen  oder  absoluten  Idee  sind 
Cvgl.  oben  S.  909.)<  —  Jene  Vermittlung  vollzieht  nämlich 
der  Geist,  indem  er  die  Natur  erkennt,  das  Vemänflige 
in  ihr  mit  dem  absolut  Vernflnftlgcn  (Logischen)  zusam« 
inenschliesst,  diess  in  jener  wiedererkennt.  Das  Resultat 
ist  die  Wissenschaft,  „der  Schluss  der  geistigen 
Reflexion  in  der  ldee«(§.  576.). 

Aber  diö  Wissenschaft  „erscheint^  hierbei  noch 
,,als  ein  subjektives  Erkennen^;  der  subjektive  Geist 
(des  Menschen)  scheint  es  selber  zu  sein ,  der  jene  wis- 
senschaftliche That  durch  sich  vollbringt.  Diess,  als  die 
letzte  Hülle  der  Unwahrheit ,  hat  der  d  r  i  1 1  e  Schluss ,  in 
der  Erhebung  zur  „Idee  der  Philosophie^,  noch  abzustrei- 
fen :  jener  Erkennlnissakt  ist  die  eigene  That  der  absolu- 
ten Idee,  als  der  nun  „sich  wissenden  Vernunft^; 
in  der  Wissenschaft,  bestimmter  in  der  Philosophie,  gelangt 
dieselbe  zur  vollkommenen  Selbstgewissheit  und  Selbster- 
kenntniss  in *der  Natur,  in  der  Allheit  des  Objektiven;  sie 
findet  darin  nur  sich  selbst  wieder. 

Daher  hat  der  dritte  Schluss  (§.  hll.')^  als  „die  Ideo 
der  Philosophie^^,  das  absolute  Allgemeine,  Logische  selbst 
zu  seiner  Mitte,  welches  „sich  in  Geist  und  Natur 
entzweit^.  Diese  Entzweiung  daher  setzt  zunächst  den 
(erscheinenden)  Gegensatz  eines  Subjektiven  und  Objekti- 
ven. Das  Subjektive ,  der  Geist ,  ist  dabei  „die  Voraus- 
setzung, als  der Proccss  der  subjektiven Thaligkeit  der 
Idüc^,  iü)crhaupt  zu  sich  selbst  zu  kommen,  Selbstbewusst- 
sein  zu  werden :  das  Objektive,  die  Natur,  ist  „das  alJge- 
incinc  Extrem,  als  der  Process  der  an  sich,  objektiv  seien- 


Idl4  I>^r  driUe  Schluss, 

* 

den  Idee^.  Die  Natur  nämlich  ist  die  allgemeine  GnnMi— 
läge  der  beidan  Proceaso ,  sowohl  dass  es  überhaupt  »i 
(subjditiveo)  Geiste  komme,  als  dass  in  diestwo  der 
jekt-objeklive)  Geist,  das  Selbsterkennen  der  absolulen  Idet:^ 
erstehe. 

So  ist  die  Natur  dem  Heroischen  Systeme  auch  noch 
in  seinen  allerletzten  Bestimmunifen  ein  Unmittelbares,  eine 
unerklärte  Fakticitat ,  in  die  sich  das  Logische ,  als  das 
absolute  prtiis,  mit  unentfliehbarer  Nothwendigkeit  ^er* 
flochten  findet.  Warum  bedarf  es  dieser  „allgemei- 
nen Grundlage^  für  jene  „Processen?  Das  Syslen  hat 
keine  Antwort  auf  diese  Frage;  ja  es  kennt  nicht  einmal 
die  Frage  selber ;  denn  es  ahnet  nicht ,  dass  hier  ein 
Problem  liegt,  —  das  (F i c h  t osche)  Nichtich,  als  die 
„unbegreifliche Schranke^  des  Ich,-—  hier  des  LogischeA, 
der  absoluten  Vernunft,  ist  noch  keinesweges  wahrhaft 
überwunden,  und  die  in  seinem  Uebergange  zwischen  ,Lo- 
gik^  und  ,^alurpliilo5ophie^  im  Hege  Ischen.  Systeme 
nachgewiesene  ungeheuere  Lücke,  von  der  sich  zeigt,  dass 
sie  wohl  nur  durch  eine  neue  Wissenschaft  (eine  speku- 
lative Theologie)  auszufüllen  wäre,  tritt  um  so  chiU 
scheidender  für  die  Bedeutung  des  ganzen  Systemcs 
hervor.  Sie  verräth  es  in  seinem  auf  jeden  Fall  noch  un- 
tergeordneten Standpunkte,  über  dessen  eigentlichen  Werth 
und  Sinn  unsere  Kritik,  nach  allen  bisherigen  Vorbereitun- 
gen, jetzt  noch  das  letzte  Wort  zu  sagen  hat.  Zuvor  jedoch 
über  den  höchsten  Begrifl*  des  absoluten  Geistes  nach 
Uegel. 

Das  ^icb-Urtheilea<^  der  absoluten  Idee  in  jene 
beiden  „Erscheinungen^,  der  Natur  und  des  subjektiven 
Geistes  und  Erkenncns,  „bestimmt  dieselbe,  als  ihre  — 
der  sich  wii^sendon  Vernunft  —  Manifestationen'.  Jene 
,^ntzweiung^  geht  im  dritloii  Schlüsse  eben  zum  höchsten, 
absoluten  Zusammenschliessen  fort:  es  „vereini^t^  sich 
in  der  absoluten  Idee ,  der  sich  wissenden  Vernunft,  das 
Doppelte,  „dass  die  Natur  der  Sache''  (der  Objektivilat) 
„der  Begriff' ,  es  ist ,  die  sich  fortbewegt    und  entwirkell. 


und  AtoeUiiss  des  Syistemes.  1015 

und  diese  Bewegung  ebenso  sehr  die^'  (subjektive,  in 
uns  rieb  voUziebende)  ,,Tbatigkeit  des  Erkennens  ist«, 
Cduss)  ^die  ewige,  an  Md  für  sieh  seiende  Idee  sich 
ewig  als  absoluter  Geist^  (in  jenem  Zusaromenschlies- 
sen  der  beiden  Extreme)  ,,bethatigt,  ereeugt  und  geniesst« 
CS.  577.  S.  599.). 

Ebenso  bestimmt ,  nur  klarer  vielleicht ,  und  mit  kür^ 
zerem,  treffendehn  Ausdrucke  spricht  der  Schluss  der  En- 
cyklopadie  in  der  ersten  Ausgabe  (§.  471—77.)  ober 
diess  höchste  Resultat  sich  aus  *).  Die  OlTenbarung  des 
Absoluten  nimmt  sich  in  der  Philosophie  ,  aus  dem  Kreis- 
läufe concreter  Gestalten  in  der  Vorstellung,  und  einer 
(erscheinenden)  zeitlichen  und  ausserllchen  Aureinander- 
folge,  in  den  allgemeinen,  ewigen  und  einfa- 
chen Geist  zusammen.  —  Dieser  Begriff  der  Philo-^ 
Sophie  ist  das  Logis  che  mit  der  Bedeutung,  dass  es  die 
im  concreten  Inhalte  (der  Natur  und  des  subjektiven  Gei- 
stes) bewährte  Allgemeinheit  ist:  die  Philosophie  er- 
fasse am  Schlüsse  ihren  eigenen  Begriff,  indem  sie  nur  auf 
ihr  Wissen  zurücksieht.-—  Diess  zerlegt  sich  (wie  iif 
den  letzten  Ausgaben)  in  die  schon  erwähnte  Dreifachheit 
von  Schlüssen.  Vom  letzten  derselben  heisst  es  nun  ($.  277. 
S.  287.  88.): 

„Diese  Erscheinungen^  (emestheils  einer  Natur,  an- 
demtheils  eines  Geistes  und  subjektiven  Erkennens)  „sind 
in  der  Idee  der  Philosophie  aufgehoben  ,  welche  die  sich 
wissende  Vernunft,  das  absolut  AUgemeine,  zu  ihrer  Mitte 
hat,  die  sich  in  Geist  und  Natur  entzweit,  jenen  zur  Vor- 
aussetzung,  diese  zum  aUgemeinen  Extreme  macht.    Als 


*)  Wir  treten  gans  dem  Urtheil«  von  Rotenkmns  bei  Aber 
die  eigenUiümlicheii  Vorzüge  der  ersten  Ausgabe  der  Encj« 
klopädie  vor  den  folgenden,  wi'lche  die  Idee  und  Gliederung 
des  ganzen  Syslenies  im  frischesten  Entwürfe ,  ohne  manche 
später  eingetretene  Rücksicht  oder  Polemik,  zeigt,  iiud  wir 
^"tiiMchen  mit  ihm,  dass  sie  in  iinveräiideKem  Abdriiike  den 
Werken  H  e  g  e  1 6  einverleibt  werde. 


1016  Der  Abscbiiiss  des  Syslenes. 

■ 

solches  isl  die  Natur  uAmiltelbar  „Dar  ei 
Gesetz les<^  —  (eben  jene  abs.oiate  Uniniltelbarkeii 
Facticität,  eine  in  Wahrheit  unbegriffene  ^chran* 
ke^  y  wie  wir  nachwiesen)  —  y^  wie  der  Geist  eben 
diess,  nicht  die  Voraussetzong,  sondern  die  in  sieh  so-* 
ruckgekehrte  Totalität  zu  sein.  Auf  diese  Weise 
bat  die  Mitte,  der  wissende  (absolute)  „BegriiT,  schlecht- 
hin solche,  weiche  als  Begriilsinomente  siild^  (die  zd  sei- 
nem Wesen  gehören)  ,  ,,zu  seiner  Realitaf^  (Natiir  imd 
subjektiver  Geist  sind  aber  diese  Momeitfe);  —  ^und  ist 
als  das  allgemeine,  in  seiner  Bestimmtheit^  (m  den 
concreten  Unterschieden  der  Natur  nnd  des  Geistes)  ^mi- 
mittelbar  bei  sich  bleibende  Wissen^. 

Jener  Akt  des  Absoluten ,  ,,sich  in  den  aUgemelaen^ 
ewigen  und  einrachen  Geist  zusammenzunehmen^,  hat 
sich  vollzogen.  Aber  wo  und  wodurch?  Nur  in  md 
durch  die  Philosophie,  ak  der  Wissenschaft  vom  All, 
und  zwar  vom  All,  als  der  begriffenen  Wirklich- 
keit des  Geistes  oder  der  absoluten  Vernunft.  Eine  an- 
dere Auslegung  lässt  der  ganze  Zusammenhang  des  Sy- 
stemes,  und  der  specielle  gegenwärtiger  Paragraphen, 
welche  den  absoluten  Geist  als  das  ,,absolute  Wissen' 
(Philosophie)  aufweisen ,  Si^hlechlhin  nicht  übrig.  Wenn 
Hegel  Anfangs  (Encykl.  erste  Ausg.  $•  ^-  veigl.  oben 
S.  794.)  die  Philosophie  ankündigte,  als  die  Wissenschaft 
von  d  er  Ver  nun  f  t  und  zwar  von  der  „Vernunft,  iosofeni 
sie  ihrer  selb  st,  als  alles  Seins,  bewusst  wird"^: 
so  hat  sich  diese  Ankündigung  jetzt  durch  seine  Ausfüh- 
rung bestätigt«  In  dem  encykiopadisch  durciuncssenen  Sy- 
steme der  Philosophie,  welche  hier,  am  Ende^  ^auf  ihr 
Wissen  nur  zurücksieht^  (§.  473.),  ist  die  absolute 
Vernunft  ihrer  selbst,  als  alles  Seins,  bewusst  ge- 
worden ,  sie ,  das  „Absolute^  hat  sich  hiermit  aus  jenen 
seinen  unendlichen  Unterschieden  durch  Philosophie 
in  den  ewigen  und  einfachen  Geist  zusammcngefasst ,  nä- 
her damit  hat  auch  das  Logische  als  alles  Scan  sich 
-bewährt". 


Endurlhcil  Aber  Hegels  Standpunkt.  1017 

Nach  so  ausfiihrlicheii  Forschungen  über  dio  einzelnen 
Theile  des  Hege  Ischen  Systems,  muss  das  Endnrtheil  über 
das  Ganze  seines  Standpunktes  und  über  den  eigentlichen 
Umrang  seines  Resultats  .sich  von  selbst  ergeben :  wir  ha- 
ben  das  allmählich  Aufsummirte  nur,  in  Eins  gefasst,  aus- 
zusprechen.   Falls  diess  WidersprucH  erfahren  sollte ,    so 
geben  wir  den  rHchteinverstandenen ,   welche  ein  anderes 
Resultat  Hegel  scher  Philosophie  theils  wünschen,   theils 
wirklich  zu  finden  glauben,   nur  das  zu  bedenken,   dass 
hier  nicht  das  Urtheil  ist  über  den   sogenannten  innem 
Geist,  über  dio  spekulativen  Gesinnungen  Hegels,   von 
welchen  wir  zugeben  und  nachgewiesen  haben,  dass  sie 
liefer  waren ,   als  sein  System ,  sondern  über  das  System 
in  seiner  erreichten  Ausbildung ,   über  seinen   objektiven 
Erwerb  in  der  Reihe  des  Philosophtrens. 

„Die  absolute   Substanz   ist  nur   als  Sub- 
jekt zu  fassen«;  —  diess  war  der  erste  Ausdruck,  in 
welchem  Hegel  das  Ziel  seiner  Bestrebungen  aussprach. 
Wir  haben  nachgewiesen  (vergl.  oben  S.  724.  788 — 93.), 
dass  diess  nur  ein  von  Schelling  überkommenes  Prin- 
cip,  der  in  einen  prägnanten  Ausdruck  zusammengezogene 
Gehalt   der  Schellingschen  Lehre  aus  ihrer   mitllcrn 
Epoche  ist.    Desshalb  muss  das  H  e  g  c  1  sehe  System  in  der 
Reihe  der  spekulativen  Entwicklungen   hier  seine  Stelle 
erhalten:    es   ist  nichts  mehr ,    als  dio   vollständige 
Ausführung  jenes  mittlem  Priiicips  bei  Schelling; 
was  wir  dort,  bei  Schellings  Philosophie,  noch  vermu- 
thungs-  oder  behauptungsweise  aussprachen,  hat  sich  an  der 
vollständigen  Kritik  des  Hegel  sehen  Systemes  bestätigt. 
„Das  Absolute  ist  der  Geist,  der  absolute 
Geist^; —  so  sprach  Hegel  zuletzt,  auf  dem  Gipfel  und 
am  Absclilusse  seines  Systemes,  stehend,  jenen  Anfangsge- 
danken aus ,  gezeitigt  und   zur  Reife  gebracht  durch  alle 
vermittelten  Stufen  des  Weltdaseins,  und  metaphysisch  be- 
festigt am    logischen  Begriffe    der  Vernunil.     Es  ist  noch 
bestimmter  zu  sehen ,   als  es  bei  den  vereinzelten  Bespre- 
cbuDgen  dieses  Hauptpunktes  im  Vorhergehcndeu  möglieb 


lOlR  EndurUieil 

war,  bte  zu  welchem  Gesammtremltatc  He^cl  jenen  Be- 
griir  entwickelt  hat.  Wir  mOasen  dabei  Mf  die  im  Vori- 
gen enthaltenen  einzelnen  Resultate  unserer  kritischen  AIk 
handlnng  surückverweiscn* 

Hegel  hat,  gieiohwie  SchellinglS.  738.  f.),  im 
aller  schöpferischen  Hervorbringung  des  Wiriciichen ,  so 
gewiss  überall  darin  ein  «eoncret  Allgemeines^,  ein  stets 
anders  sich  individualisirender  Begriff  sich  verwirklicht, 
nur  eine  intellektuelle  That,  einen  Erkenntnisse 
a  k  t  des  schöpferischen  Grundes  erblicken  können.  Scbaf- 
fen  ist  (Tcalisirendes)  Denken ;  diess  ist  die  eigentlich  tra- 
gende Grundevidenz  seines  ganzen  spekulativen  Lebens  md 
seiner  Lehre.  Hiermit  konnte  ihm  jener  Urgrund  nur  als 
substantielle  Vernunft,  als  das  »Logische^  ^scheinen^  aber 
mit  dem  unabtrennlichen  Charakter  „concreter  Porm- 
thätigkeit%  des  unendlichen I^bens  und  der  unaMassi- 
gen  Selbstverwiriilichung  jener  Denk-  und  Intuitionsmacht : 
es  ist  der  Begriff  der  „unendlichen  Subjektivität^ 
der  absoluten  Idee,  in  welchem  Hegel  zugktch  nun  den 
allgemeinen  Begriff  des  Geistes  findet  (S.  893.  94«  97.}. 

yfieisi^  (Geistigkeit)  ist ;  das  ,)Offenbaren<':  sm 
Wesen  besteht  nur  darin ,  diess  Offenbaren  zu  sein,  seine 
verschlossene  Substantialitat  und  deren  Gebalt  vor  sich  in*s 
Bewusstsein  herauszustellen  (S.  951.):  darin  hat  auch  die 
höchste,  abschliessende  Definiti(on  des  Absoluten,  als  des 
,i6 eistest,  ihren  Beweis  und  ihre  Wahrheit  (S.  953. 53.)' 

Hegels  System  ist  darum  objektiver  Ideatismos  und 
Monismus,  weil  in  diesem  weltschöpferischen  Denken  ebenso 
der  reale ,  objektive  Ursprung  aller  Dinge ,  wie  der 
Grund  ihrer  Rationalität  und  Erkennbarkeit,  die 
Möglichkeit  alier  Wissenschaft,  enthalten  ist (8.91^.) * 
es  ist  die  Einheit  aller  objektiven  Weltmächte  und  aller 
Erscheinungen  der  subjektiven  Wirklichkeit,  welche 
darum  nicht  nur  theoretisch  in  ursprünglicher  Ueber- 
einstimmnng  mit  der  Objektivität,  sondern  auch  praktisch 
in  absoluter  Uebcrmacht  gegen  dieselbe  sich  befindet 
(S.  909.  960.  f.).      Es    ist    der  Weltgcist    in   seiner 


über  d«$  System.  1019 

objekliren,  wie  subjektiven  BeUialifnng,  worin  jime  beidon 
Haiipfgegfensätse  aller  Dinge  zasamnieng-efasst  und  be» 
schlosaen  Hi^n. 

Hierbei  ofTenbart  sich  nun  nicht  aeiten  ein  Schwaidcen 
in  Hegeis  Darstdiung  (vg^.  daa.  S.  896.  910.  18.  2S-^4« 
928.  u.  s.  w.  Nachgewiesene),  indem  er  in  erläuternden 
Steilen  seiner  wissenschaMichen  Werke,  später  noch 
mehr  in  der  populären  Passung  seiner  ReligionsplHlesophie, 
sich  wohl  so  aussprach,  als  sei  jener  Weltgeist  noch  be- 
sonders zu  hypostasiren  ,  die  unendliche  Subjektivität  der 
absoluten  Vernunft  ganz  eigentlich  als  Ursubjekt,  ab 
selbstbewusste  Persönlichkeit  zu  denken ,  vriewohl  unserer 
Nachweisung  zufolge  weder  seine  Metaphysik  (Logik)  da^ 
für  eine  Kategorie  kennt ,  noch  in  dem  ScMusse  Aes  Sy- 
stems mit  dem  absoluten  Geiste  (und  hier  gerade  am  We- 
nigsten) eine  Möglichkeit  f&r  solche  Hypostase  gefunden 
wird. 

Hieraus  konnte  indess  voriibergehend  eine  *  doppelte 
Auslegungsweise  in  der  Schule  entstehen,  und  es  ist  man- 
cherlei Kampf  darüber  entbrannt.  Jetzt  scheint  jene  6äh- 
mng  sich  abgelaulert  zu  haben ;  von  beiden  Seiten  scheint 
man  mit  mehr  oder  minderer  Entschiedenheit  zu  erkennen, 
dass  die  theistisch  hypostasirende  Auslegungswdse  den 
Hege  Ischen  Standpunkt  eigentlich  in  einen  andern  hin*» 
überintbrpretiren  wurde.  Die  Neuhegcischen,  wie  sie  selbst 
sich  nennen,  sind  zum  strengern  Sinne  des  Systems,  zur 
Bedeutung  seiner  Kategorieen ,  zurückgekehrt ,  und  haben 
ihm  auch  äusserlich  ^  wie  es  scheint ,  fär  die  Geltung  der 
Schule  den  Sieg  verschafft,  *-  über  diesen  Punkt  mit 
uns  In  ausdrücklichem  Einverstandnisse ,  indem  wir  Ton 
Anfang  an  nur  diess  rechtlich  und  grundlich  vom  He  gel- 
schen Systeme  vertreten  finden  konnten.  Wenn  diese  ne- 
bendem  noch  behaupten,  jede  andere  Auffassung,  nicht  nur 
Hegels,  sondeni  der  Philosophie,  die  Fassung  des  gan- 
zen Weitproblems  anders ,  denn  von  diesem  Standpunkte, 
sei  unphilosophisch,  zeuge  von  Ohnmacht  des  Denkens  und 
spekulativem  Unvermögen :  so  ist  es  ganz  nur  ihre  Sache, 


1030  EBdnrtheU 

di60S  bisher  ongehörie  Paradoxon  m  voriretcD,  wobei  ikneii 
übrigens  nicht  zu  sonderlicher  fimpfeUung  gereichl,  d«ss 
sie  selbst  bisher  nur  als  Ausleger  fremder  Gedanken,  oder 
in  kritischeni  Thun  sich  bethatigt,  am  Wen^sten  aber  tob 
der  Prodiditivilat  eigenen  spekulativen  Denkens  Proben 
abgelegt  haben.  — 

Es  ist  nun  zu  sehen ,  wie  der  Begriff  des  Absdnteo, 
als  des  Geistes,  von  Hegels  höchstem  StandpnnlLte ,  der 
Philosophie  des  ^absoluten  Geistes^  ans,  gefasst  werde,  wie 
überhaupt  von  hier  summarisch  und  abschliessend  das  ganze 
System  zu  bezeichnen  sei. 

Das  Absolute  ist  „ein  Schluss  von  drei  Schlvssen^ 
dreifach  sich  mit  sich  selbst  aus  seinem  Gegensatze  ver- 
mittelnd ,  worin  es  die  ewige  Insichumkreisung  seines 
weit  schöpferischen,  damit  aber  zugleich  selbst  schöpfe- 
rischen Lebens  hat  Es  ist  zuerst  das  Logische,  die  all- 
gemeine Vernunft  (in  der  Potenz  bewussUoser  Weisheit 
und  Wiritens),  der  ewige  Gmnd  der  Natur,  vrie  dos  Gei- 
stes, and  das  beide  unter  einander  und  so  mil  sich  selbst 
Vermittelnde« 

Das  Logische  „wird  aber  ewig  znrNatur^;  sie  ist 
seine  Unmittelbarkeit,  damit  jedoch  das  noch  Ungenügende, 
nur  „der  Durchgangspunkt  und  das  negative  Moment^,  um 
den  Geist,  die  Wahrheit  des  Logischen ,  hervorzubrin- 
gen. So  ist,  im  ersten  Schlüsse,  „die  Natur  die  Mitte 
zwischen  dem  Logischen  und  dem  Geiste.  Das  Logische, 
nach  Hegels  früherer  Bestimmung  des  Trinitätsbegriffes 
(S.  980 — 83.)  gleichzusetzen  dem  Momente  des  »Vaters^, 
der  abstrakten,  unverwirklichten  Idee,  wird  nur  durch  ewige 
Naturvermittlung ,  aus  dieser  auferstehend  ,  der  Geist.  So 
ist  das  Absolute  auch  zuletzt  noch,  aus  Mangel  an  mela. 
physischer  Durchfuhrung ,  wie  sich  zeigte,  ledigiicb  in  der 
Gestalt  des  Weltgeistes  aufgcfasst  worden. 

Es  ist  aber  der  Process  des  Geistes,  aus  seiner  näch- 
sten Existenz,  der  sinnlichen  Unmittelbarkeit  und  für 
sich  seienden  Vereinzelung,  in  dei*  er  sich  findet,  eh 
seinem  A  n  s  i  c  h  sich  zu  erheben.    Diess  geschieht  in  den 


über  Hegels  45(andpunkt.  1031 

höchsten  und  allgemeinen  Mächten  desGetgtcs:  Kunst,  Re* 
ligrion  and  Wissenschaft     In  ihnen  ist  der  einzelne  Geis! 
ebenso  der  allgemeine:    er  hat,   besitzt  das  Allgemeine;. 
aber  eben  so  umgekehrt ,  das  Allgemeine ,  ewig  Substan- 
tielle des  Wel^istes  besitzt  ihn ,   macht   ihn  zn   seinem 
Orgtin  und  Auge;  denn  es  ist  zu  bedenken  ^dass  die  Bewe- 
gung der  Substanz  zum  Subjekte,  wie  iles  Subjekts  in  seine 
Substanz,  nur  Eine  und  dieselbe  ist«  (S.969.  99:i.)* 
Und  zwar  ist  jenes  näher  der  Inhalt  des  zweiten 
Schlusses,  durch  welchen  der  Geist,    als  die  Mitte,  die 
Natur  mit  dem  Logischen  zusammenschliesst :  denn  er  e  r- 
kennt  in  jener  die  Gegenwart  des  Logischen ,  Vemunr- 
tigen,  indem  er  sie  überhaupt  erkennt.    Hegel  hat  am 
Tiefsten  unter  den  neuem  Philosophen  den  Begriff  des  Er- 
kennens  ,   der  Wissenschaft  ,  bis  in  seine  metaphysischen 
Prämissen  zuruckverfolgt  (vgl.  S.  911.  12.):  Erkennen  ei* 
nes  Gegenstandes  heisst   nur  seine  immanente  Vernunft, 
die  concret  gewordene  Selbstgestaltung  des  WeRgeistes  in 
ihm,  seinen  „Begrifft,  a  n  erkennen,  zum  Bewusstsein  brin-» 
gen.    Diess  ist  der  höchste  (metaphysische)   Grund  der 
Uebereinstimmung  des  Subjektiven  mit  dem  Objektiven  und 
der  Möglichkeit  einer  Wissenschaft. 

Insofern  aber  der  endliche  Geist  vermeinen  sollte ,  in 
dieser  erkennenden  That  der  selbstthatige,  ihr  Urheber,  zu 
sein;  so  reinigt  auch  noch  von  dieser  Unwahrheit  der 
dritte  Schluss  das  Bewusstsein,  welcher  das  Logische  zu 
seiner  Mitte  hat,  das  nun  beides,  Natur  und  Geist,  durch 
sich  vermittelt:  diess  ist  die  Idee  und  die  Verwirk- 
lichung der  Philosophie.  In  ihr  erkennt  sidi  zmn 
ersten  Male  das  Logische  (Absolute)  als  alles  Sein,  so 
der  Natur,  wie  des  Geistes:  sefai  Selbsterkennen  ist 
hier  zuerst  seinem  Sein  adäquat  geworden.  Die  Philo- 
sophie ist  das  höchste  und  wahre  Bewusstsein  des  Ab- 
soluten (Weltgeistcs)  von  sich  selbst ;  lediglich  in  i  h  r  ist 
es,  wo  zur  Klarheit  kommt,  dass  die  selbstschöpferisch  zur 
Welt  sich  realisirende  That  des  „Be griffest  die  „Natur 
der  Sache<^,  „ebenso  sehr  die  Thätigkeit  des  Erken- 


1083  Bndnrtheil 

neits  isi^  —  in  der  Pkitosophic  zum  Bewosstsein  seiner 
selbfA  die  Aagen  aubcbli^  Allein  in  ihr,  der  Philoso- 
phie, ^belhUigt,  erzeugt  und  g  e  n  i  e  s  s  I  sich«  der  abso- 
lute Geist  (&  976.  1009—1016.). 

Diess  ist  der  allein  folgerichtige  und  auch  von  Hegel 
dialektisch  aurs  SorgfllUifste  herausgestellte  Sinn  dtss  Sy- 
stemes:  einen  andern  aus-^  oder  hineinzulegen,  wäre  die 
selbstsüchtige  Willkühr,  nur  seine  Vorstellungen  in  ihm 
wiederfinden  zu  wollen.  So  allein  isl  das  System  fiber- 
cinstimmend  mit  sich  selbst  vom  ersten  bis  zum  letzten 
Zuge,  ebenso  mit  dem  historischen  Zusammenhange  des  von 
Seh  eil in^  ihm  überlieferten  Prindps:  jene  theistischen 
Einmischimgen  verunstalten  das  reine  Ebenmaass,  welches 
die  Hauptideen  desselben  wenigstens,  einig  und  eng  ver- 
bunden, an  einander  schliesst.  Sollte  hier  noch  ein  CSot-. 
müthiger  oder  Starkgldubiger  ein  ^yllrsubjekt^'  des  Well- 
geistes wähnen  können  hinter  der  Welt,  oder  glau- 
ben ,  dass  für  dergleichen  Nichtgedanken  ein  Platz  übrig 
bleibe  in  jener  so  klaren  und  in  sich  gerundeten  Evidenz? 

Denn  —  was  noch  mehr  bedeutet ,  als  die  bloss-  hi- 
Morischen  Bezüge  und  Zeugnisse,  —  hat  das  System  in- 
nerhalb seiner  Begränzung  nicht  völlig  Recht,  mit 
dem,  was  es  behauptet,  wie  mit  dem,  was  es  läugnet? 
Das  Auge,  in  dem  der  Weit gei st  sich  am  Höchsten  und 
Reinsten  spiegelt ,  das  Subjekt ,  in  welchem  er  sein  höch- 
stes Bewusstsein  gewinnt,  —  kann  es  in  derThat  ein  an- 
deres sein,  als  das  des  Menschen  in  der  Wissenschaft,  der 
Philosophie ,  als  die  „Gemeine  der  Idee^'  ?  Ebenso ,  wie 
schon  im  Auge  des  Künstlers,  in  dem  Gemüthe  des  Dich- 
ters ,  die  Welt  in  den  Geist  erhoben  wird ,  zum  Genüsse* 
ihrer  Schönheit  gelangt  auf  mannigfachste  Weise.  Ist  nicht 
der  Dichter,  der  Kfinsder,  der  Denker  das  einzige  Sub- 
jekt, in  welchem  die  der  Welt  eingeschlossene  Vemünf- 
tigkeit,  die  „Seeie^  der  Dinge,  zum  Bewusstsein  kommt,  so 
dass  sie  dargestellt ,  oder  als  Erkenntniss  ausgesprochen 
würde?  In  der  That  sind  im  Geiste  des  Menschen  alle 
Dinge ;  der  Weltgeist  scheint  in  ihn  hinein ,  er  muss  sich 


aber  H^ek  Standpunkt.  li»S3 

ihm   offen  legen :  diess  ist  die  geistige  Magie,  die  uns  mit 
tillem  DfMein    verbindet,  und   sein  Bigenthümiicbirtes  uns 
aufschliesst'    Wie  anders,  als  so,  wolieiTwir  den  Ursprünge 
liehen  Pamlielismus  zwischen  Natur  und  Geist  uns  erklären, 
bestiininter   noch ,   die   absolute  Uebermacht  des  letztem 
über  jene,  mit  der  sie  ihr  verschlossene^  Wesen  uns  preisr 
g^ebea  mnss  su  künstlerischer  oder  theoretischer  Reproduk- 
tion ?     Pur  solches  Wellgeistige  jedoch,  über  diese  wirk* 
tichen  oder  begreiflichen  Subjekte  hinaus,  noch  ein  trans« 
seendentes  Subjekt  und  besonderes  Bewussisein  erspähen 
zo  wollen,   wie  seltsam   und  widersinnig  wäre    esl    Wo 
wäre  dazu  der  wissenschaftliche  Anknäpfiingspunkt  und 
die  Berechtigung? 

Nur  das  ist  di^  Frage,    die   freäich  an  einem  ganz 

andern  Punkte  einsetzt ,  ob  jener  Weltgeist    das  Absolute, 

Gott  sein  könne?  —  Oder  vielmehr,  es  ist  keine  Frage, 

so  gewiss  wir  in   der  t'ortschreitenden  Kritik  des  Sehet* 

lingschen  und  He  gel  sehen  Sysl^mes  nachgewiesen  ha«r 

ben,  dass  die  der  Natur,  wie  den  endlichen  Geistern  iai- 

manente  Vernunft,  wiewohl  göttlich,  doch  eben  darum  nicht 

der  Geist  Gottes  sei ,  dass  der  Begriff  des  Weltgeistes, 

der  in  Bewussllosigkeit  als  Welt  gesetzten  Vernunft ,  dem 

Begriffe  der  höchsten^ Ursache,  des  Absoluten,  schlechthin 

widerspricht.    Es   hat  sich  gezeigt:    der  Weltgeist,   weU 

ursprüngliche  bewusstlose,  zum  Subjekte  nui'  durch  die  Na* 

tur  sich  vermittelnde  Vernunft,  ist  eben  darum  die  gesetzte, 

hervorgebrachte;   fiingeschaffenes ,   nicht  Schöpferin 

sches.  (Vgl.    S.  435—36,   478,  79.   763:    7/8-81.   978. 

u.  s.  w.) 

Um  so  mehr  müssen  wir  uns  nun  mit  jenem  He  gel- 
schen Resultate  in  seiner  relativen  Wahrheit  und  in  sei- 
nem engem  Bereiche  einverstanden  erklaren.  Es  ist  wahr 
in  dem ,  was  in  ihm  positiv  erkannt  wird ,  i'alsch  wird  es 
nur  dadurdi ,  indem  es  diess  für  das  Ganze ,  überhaupt 
tür  das  Princip  einer  ausreichenden  Welt» 
erklär  ung  hält.  Hier  ist  schon  Sc  he  Hing,  wie  wir 
bewiesen,  weit  darüber  hinaus  und  in  das  Eigentliche  des 


1024  Endurtfaeil 

Wcitproblemes  tiefer  oingegangen ,  indem  er  de»  Gnnde 
jener  bewussUosen  Weisheit  in  den  uiiniittelfoarefi  Weit- 
anfangen  beharrlich  nachfontchte ,  also  die  vermeinlllcbe 
Absolutheit  und  Ursprüngflichkeit  des  Weitgeistes  anfliob, 
und  ihn  selbst  aus  einem  höiiem  Principe  zu  eridären  natklg 
fand  (vgl.  S.  748—50.  55,  58—60.  u.  s.  w.). 

Hiermit  bestätigt  sich  nun  auch  vom  höchsten  End- 
punkte des  He  gel  sehen  Systems  das  Urtfaeil,  welches  dbs 
vorläufig  der  Schhiss  der  Phänomenologie,  das  Ergebniss  der 
Logik  (S.  853.)  ,  selbst  der  spekulative  Ertrag  seiner  Ae- 
sthctik  und  Religionsphtlosophie  fassen  liess.  Es  bleibt  audi 
am  Schlüsse  dabei :  das  Absolute  ist  von  ihm  überall  nur 
unter  der  einseitigen  Bestimmung  des  Weltgeistes  gedacht; 
er  hat  sein  Princip:  «^die  Substanz,  als  Subjekt^, 
den  ,,absoluten  Geist^,  nicht  anders,  als  in  dea 
Schranken  und  Formen  der  Weltimmanenz,  seine  selbst- 
bewusste  Verwirklichung  demnach  nur  im  Henschengeisfe 
8U  erkennen  vermocht ,  ohne  je  sich  zu  fragen ,  wie  sich 
Schelling  gefragt  *-  und  zugleich  geantwortet  hat,  ob 
nicht  jene  Grundthatsache  von  der  Weltimmanenz  der  Ver- 
nunft zu  ihrer  eigenen  Erklärung  gerade  nölhige ,  eine 
ewige,  vorweltliche  Selbstanschauung  de]:selben  zudenken? 

Diess  bedingt  —  halbirt  gleichsam,  die  Wahrheit  sei- 
nes Standpunktes,  dem  die  andere,  ergänzende  Hälfte  fehlt, 
durch  welche  auch  jene  allein  wahren  Bestand ,  Klarheit 
und  Begreiflichkeit  erhalten  kann.  Weil  das  Univ<»snm 
als  objektiv  ausgewirktes  Gedankensystem  gefunden  wird 
in  der  Aeusserlichkeit  seiner  Baumunterschiede  und  in  dem 
Werden  seines  Zeitablaufes,  daher  doch ,  als  ewig  Eins  in 
jener,  als  ewig  vollendet  in  dieser  Beziehung  gedacht 
werden  muss :  kann  diess  Gedaokensystem  nur  ewig  voll* 
endet  und  mit  ideeller  Vorexistenz  im  Geiste  eines  selbst- 
bewussten  Urwesens  ruhen.  Nicht  ebi  anonymes,  sich  zur 
Welt  entaussemdes ,  und  mit  bewusstlosen  Syllogismen  in 
ihr  operirendes  Denken  reicht  hin  zur  vollen  Begriia- 
düng  und  Erklärung  eines  solchen  Wcitdaseins;  hier  kann 
nur  ein  Wesen  genügen,  mit  allen  Attribnten  ausgestattet, 


über  Hegds  SlamlpunU.  1095 

in  denen  wir  die  VoUkommenhetteii  und  Vorzüge  dcrTer«-  I 

sönlichkoit  erblicken.    Und  hier  wäre  es  Zeit^   den  hart*  • 

nackig*  Abstrakten  gegenüber,  an  ein  späteres  Wort  S  c  k  e  1- 
i  i  n  g^  s  zu  erinnern :  wenn  Gott  nun  persönlich,  menschen- 
ähnlich sein  wolle ,  •—  vielmehr ,  weqn  er  nur  also  sich 
kund  gebe  durch  das  Weltdasein,  —  „was  können  wir 
dagegen  einwenden?  -^  Darin  liegt  der  Wende-  und  An-  ' 

knöpfungspunkt  t'ur  eine  neue  Wissenschaft,  die  speku- 
lative Theologie,  deren  ungewisse ,  in  Keimgestalt 
vorhandene  Grundlage  zwar  wir  bei  H  e  g  e  1  finden,  —  darin  , 

finden,  dass  er  den  zunächst  ganz  allgemeinen  Begriff  des  Gei- 
stes in  seiner  Tiefe  und  Eigentlichkeit  erfasst  hatte,  als  die 
auch  in  ihrem  Unterschiede  bei  sich  bleibende  Substanz,  — 
während  in  Seh e Hing s  Lehre,  schon  wie  er  sie  in  sei-  j 

ner  Abhandlung  über  die  Freiheit  vorgetragen,  alle  innem 
Bestandtheile  einer  solchen  Wissenschaft   vorhanden  sind,  < 

welche  nur  metaphys  ich,  nach  der  bekannten  Denk- 
weise desselben,  keine  Ausführung  erhalten  haben.  Eine 
Bemerkung  über  die  Stelle  jener  neuen  spekulativen  Wis- 
senschaft in  der  systematischen  Folge  der  einzelnen  phi- 
losophischen Disciplinen  wird  sich  nachher  machen  lassen. 
In  seinem  historischen  Zusammenhange  nach  Rück- 
wärts ergiebt  sich  daher  das  Hegeische  System,  mit  Be- 
stätigung dessen,  was  sich  bei  seinem  ersten  Hervortreten 
zeigte,  auch  am  Ende  nur  noch,  als  die  AusfiUirung  des 
ersten  Sehe  Hing  sehen  Standpunktes  der  Identität  des 
Subjektiven  und  des  Objektiven,  welchem  Hegel  das  Lo- 
gische, aber  nur  als  Abstraktes,  lediglich  in  der  Weltlich- 
keit der  Natur  und  des  Geistes  Wirkliches,  unterbaute.  In 
seiner  künftigen  Geltung  nach  Vorwärts  hin  wird  daher 
das  Resultat  der  Hegel  sehen  Lehre ,  weit  entfernt  das 
ganze  oder  letztentscheidende  zu  sein,  sich  begnügen  müs-  * 

sen,  ein  relatives,  einem  grössern  Ganzen  einzuverleibendes 
zu  werden.  Was  es  völlig  erreicht  habe,  und  was  es  ver- 
missen lasse,  lässt  sich  endlich  daher  nach  beiden  Seiten 
hinauf  das  Einfachste  aussprechen:  der  Weltbegriff 
ist  von  Hegel  vollständig  erschöpft  und  ausgeführt  wor- 

65 


1086  EadurtheU 

den/die  Phnosophie  hat  sich  m  ihm  zurWeltweisheit 
auflgesponneti ,    indem  er  die  Weisheit  i  b  der  Welt ,  die 
Vernunft ,  den  ^BegriiF ,  als  das  Princip  und  den  wahren 
Brkldrungsgrund  derselben  durchgeführt  hat    In  der  Cfrä- 
hem)  Philosophie   Schellings   und   in  Hegels  S3fsie- 
me  erkennt  sich  die  iminanenle  Weltvemunft  selber  oder 
erhebt  sich  xum  BegritFe   ihrer  selbst:    diess   ist  der  ge> 
melnschaftliche  Charakter  der  ganzen  philosophischen  BÜ- 
dungsepoche.  Aber  in  Uegel  ist  ihre  Vollendung :  er  hal 
daraus  dio  Möglichkeit  eines  objektiven  Erkennens  erklärt 
(obwohl  er  die  wirkliche  Ausführung  einer  Erkenniiiissk^ur 
achuMig  geblieben  ist);  er  hat  jenen  Begriff  konsequent  als 
den  der  immanenten  Methode  bezeichneL    Zogleieh 
ist   aber  durch  ihn   die  ^Weltweisheit^  aach  ^ncyklopä- 
die  der   philosophischen  Wissenschaften^  gewordeq:   die 
Weltvernunft  wird  von  seinem  Systeme,  aus  ihrer  objektiven 
Vollexistens,  auch  subjektiv  zum  Voilbegriffe  erhoben,  und 
die  grosse  Dreitheilung  der  Philosophie,  als  Wissenschaft  des 
Absoluten    und   der  Welt,  als  der  Natur  und  des  Gei- 
stes, mit  dem  Begriffe  eines  in  ihnen  gemeinschaftlich  sich 
steigernden  absoluten  Weltzweckes  —  (sei  der  Begriff  des 
letztern  selber  auch  nicht  recht  —  nur  pantheistisch  —  von 
ihm  bestimmt  worden),  —  ist  das  bleibende  Resultat  seiner 
Lehre,  von  welchem  die  künftigen  Philosophen  nicht  ohne 
ihren  Schaden,  und  ohne  in  WillkührUchkeit  zu  gerathen, 
sich  werdoi  entfernen  können. 

Hiermit  ist  aber  die  Grönze  Hegels  und  der  in  ihm 
sich  abschliessenden  spekulativen  Biidung  scharf  bezeich- 
net. Wenn  sich  nämlich  die  Frage  erhdit  nach  dem 
Grunde  und  der  Möglichkeit  eines  solchen  Wel^i- 
stes  selberi,  die  gar  nicht  zu  umgehen  ist  von  einer  gründ- 
lichen Metaphysik,  indem,  nach  den  viellach  im  gegenwär- 
tigen Werke  gegebenen  Nachweisungen,  der  Wel^fdst  eben 
darum  das  Absolute  nicht  ist:  so  zeigt  sich,  dass  Alles, 
was  mit  dieser  Frage  in  Verbindung  steht,  auf  sie  hiniei- 
tet  und  «US  ihr  folgt,  jenan  Systeme  durchaus  jenseitig 
ulftd unzagängiich  bleibt;  und  selbst  dieLudcen,  wekhe  es 


über  Hegpeb  Standpunkt.  1027 

dvrbielet ,  von  den  fehlenden  Mchslen  logischen  Kdtego- 

rteen  an ,  bis  zu  dem  ,  selUamer  Weiae  doch  nitr  .wieder 

in  daa  z  w  e  i  ro  a  1  schon  Dn^weaene,  in  4lie  Idee  der  Phii- 

losi^hie»  zufttcidaurendea  ScMosae  de»  Syatemes:  -r  Alles 

entspricht  genau  dem  Grundbegriffe  desselben,  welches  zwar 

die  Wechselbeziehung  von  Natur  und  Geist,  und  so  auch 

daa  firkeantnissprobleoi ,   aus  der  Idee  einer  (relativ  aof 

beide)  absoluten  Identität   von  Natur  und  Gei^  ,  eines  an 

aich  seienden^  d.h.  als  absolutes  Faktum  anzunehaaenden 

Weltgeiisies,  seiners^ts  voIlgulUg  erklirt,  nirgendi^  aber  sich 

beigeben  Hisst,  weiter  za  fragen,  wie  jenes  »abisolute  Fak<r 

tiMn%  die  bewnssttos  in  den  Weiktingen  wirkende  Vemunl^ 

selber  möglich  werde. 

Darin  ist  indess  zugleich  weh  der  Grand  aller  je^er 
llftngel  g^eben,  welcher  wir  sonst  die  Lehre  schuldig  faadan; 
sie  sind  nicht  ein  zufällig  Unt^rhisaenea ,  nur  entstanden 
was  der  Schwäche  einer  nicht  durchgeführten  ü^nueqittmi^ 
die  BUS  dem  frischen  Nachwirken  des  PriqcQNS  getilgt  jeh 
werden  vcrniöchte:  des  Princip  hat  vielmebr  mh  auageH- 
wirkt,  und  kann  nur,  eittew  umihssendem  einviei^^ti  wie- 
der aaferstehen ,  in  welchem  jene  LAckeri  tnichi  nur  ans«, 
gelullt  werden  können,  iN>adern  woriw  sich  H^  Lösipg 
im  begrifisgemassen  Gange  und  von  setbat  i^ügiebt  %' 

So  hat  Hegel  in  der  Phanomenpli>giß  des  Geistes 
das  erkennende  endliche  ^^uhjekt  dadurch  Aber  dia  ver-i- 
meintlichen  Schranken  seiner  Endlichkeit  und  Subjektivität 
hinubergehoben,  dass  er  es  als  Moment  des  sifbsianiMien, 
als  Welt  sich  auswirkenden «  z^gletoh  darin  aber  sich  er- 
kennenden Geistes  nachweist.  Der  Weltgeist  und  sein  un- 
endliches Selbsterkennen  (d^s  absaiute  Wissen  der  Möglich- 
keit nach)  ist  Resultat  des  Weckes»  zugleich  aber  doch 
nur  Grund  voransse'ttnng  desselben  (S.  832. 35-42.). 


*)  Auch  hier  ist  zur  ErgünctiDg  zu  vergleichen,  was  im  metapby- 
sischen  Zusammenhange  über  da«  YerhikaM»  jener  bei4ca 
Stamlpuukte  zu  «man^r  nusgefiiiift  ist  „z^ir^pek«  Theo- 
logie^' (Zeitschrift  Bd..  V.  H.  1.  S.  95-^  109.}. 


fOS8  ERdurlhea 

Dertelbe  Kreisiaiif  von  VorauMeiziiHg  miid    den  Be- 
weisen daraus,  erneuert  sich  in  der  Logik :  was  es  nanich 
mit  dem  anf  eblich   „roraussetzongslosen^  Anfange  ders^ 
feen  för  eine  Bowandniss  kabe,  ist  ausführlich  gezeigt  wor- 
den (S.  846.  IT.).     Hier  wird  der  WeRgeist,  flreltich  ohne 
es  ausdrdcklich  su  sagen,  woher  und  mit  welchem  Reckte 
dieser  Begriff  vorausgesetzt  werde,  in  die  abstmklesle  Po* 
tenz  der   einrachsten  Kategorieen  zuräckgcnommen ,   ond 
Ton  da  aus  dialektisch   weitet*  bestUnmt:   er  ist  dns  ver- 
borgene Substrat  dieses  Objekt  *  subjclttiven  Denkens,  und 
es  waltet  hief  abermals  die  doppelte  Voraussetsungr ,  dass 
der  Wdtgeist  es  sei ,   der  ebenso  in  AUem  existirt ,    wie 
darin  das  Erkennende  ist,  —  und  dass  er  das  Absolute 
sei.    So  kommt  es  mit  ihm  am  Schlüsse  der  Logik  wieder 
bloss  zu  Bestimmungen,  die  dem  Ende  der  Phänomenolo- 
gie parallel  gehen :    das  Absolute   (der  Weltgeist)    ist  die 
nbsl^lute,  an  und  für  sich  seiende  Idee,  unendliche  Ne- 
gativitit  und  Subjektivität ,   sich  unendlich  selbst  bestim- 
mend zu  allem  Sein ,  darin  zugleich  aber  einen  ursprüng- 
llchen  Brkenntnissakt  übend ,   womit  dann  der  eigentliche 
Grund  gegeben  ist,  warum  es  auch  (in  uns)  zu  einem  sob- 
jektiven  Wissen  von  den  Dingen  kommen  kann :  das  Metaphy- 
sische, Erkenntnfsstheoretische  und  Realphilosophische  wird 
stets  in  einander  gezogen  ,  oder  vielmehr  mit  dnander  ia 
ungeordneter  Mischung  gehalten.     Damit  ist  jedoch ,  wie 
wir  nachgewiesen  (S.  913.  ff.),  der  Schluss  der  Logik  ein 
definitiver  und  ganzer;  was  sollte^  in  dem  Zusammen- 
hange dieses  Standpunktes  und   seiner  Welt- 
ansicht, in  der  That  noch  folgen  auf  ein  Resultat,  wei- 
ches alles  Objektive  md  Subjektive ,    alles  Sein  und  ylles 
Erkennen,  in  Einem  Principe   zusammenfasst  und  in  dem 
Begriffe  desselben,  als  des  darin  Identischen,  urspräng- 
Hch   beschlossen   aufweist    Mit   der  Logik  hätte  Hegel 
sein  System  abschliessen  können  i  ja  er  hat  es  dem  Prin- 
cipe nach  wirklich  gethan. 

Denn  von  der  Naturphilosophie  an  beginnt  doch  ei- 
gentlich nur  derselbe  Umlauf  zum  dritten  Male,  aber  mit 


fiber  HegOg  Standpunkt.  102» 

umrangreicherem  Inhalte:  ^aUes^  Objektive  und Ssbiektive, 

welches  die  Logik  summarisch  umfassle,  wird  hier  in  oon-- 

crelerer    Gtiederung   dialektisch    vorubergefuhrt   bis   zum 

^absoluten  Geiste^   biRaar  (S.  914.) :    at»er  der  ^absohte 

Gelsl'^  ist  auch  hier  abermals  nur  jener  von  dem  Sddosse 

der  Phänomenologie  und  der  Logik  her.  bekannte  Begriff: 

es  ist  der  Weltgeist,  der  die  beiden  Enden  — ^  das  Reale 

in  seiner  entlegensten  Uhmtltelbarkeit ,  und  das  Erkea** 

n  c  n  in  seiner  höchsten  Reife,  als  Philosophie ,  —  in  sieb 

zusammenrasst  und  darin  nur  ^^bei  sich  selber  bleibt^« 

Eine  wahre  Steigerung  jedoch,  zugieicb  auch  eine  c%tttl^ 

liehe  Begrfindung  dieses  überall  nur  voraussetzuags* 

weise  eingefofarten  Begriffes,*  ist  auch  hier  nirgends  erreiehl 

(S.  1014-16.>  Dass  vollends  der  Anfang  dieser  spekuktliven 

Denkreihe,  —  der  von  der  Natur,  als  der  „Unmittelbar- 

keit<*  der  absoluten  Idee,  —  keinen  innem,  „dialektischen^ 

Zusammenhang  mit  der  Logik  habe ,  dass  er  ein  wahrhaft 

neuer  Anlauf  des  Denkens  sei,  und  dass  die  beiden  Versuche 

Hegels,  die  Natur  abzuleiten,  der  in  der  Logik  (S.  919 

— 23.),  wie  der  in  der  Lehre  vom  absoluten  Geiste  (S.  1011 

>-14.),  gleichmassig  verunglflckl,  und  nur  im  Postulale 

einer  absoluten  Pakticität  stecken  geblieben  sind« 

ist  so  hinreichend  gezeigt  worden,  dass  kaum  ein  Wider« 

Spruch  dagegen  übrig  bleiben  möchte. 

So  haben  wir  ein  System  von  drei  Stücken ,  die ,  an 
einandergereiht,  nicht  aus  einander  hervorgehend,  nur  ei- 
nen Parallelismus  derselbigen  Begriffe ,  aus  verschiedenen 
Gesichtspunkten,  darbieten.  Sehen  wir  aber  auf  den  ge» 
mcinschafUichen  Grund  dieses  dreifachen  Ganzen ;  so  be- 
ruht es  ebenso  auf  drei  Voraussetzungen:  die  erste  ist 
die  aus  der  Sehe llingschen  Lehre  überlieferte  Idee  der 
Identität  des  Subjektiven  und  Objektiven  —  des  Welt- 
geistes; die  zweite,  dass  dieser,  der  Weltgeist,  das 
Atisohiie  oder  Gott  sei;  die  dritte  hegt  in  der  Unfähig- 
keit des  Systemes ,  die  Natur  abzuleiten«  Desshalb  muss 
auch  die  Frage,  wie  „der  absolute  Getst<«  in  seiner 
„Unmittelbarkeit^  z«  einer  so  seltsamen  Verflechtung  mit 


1030  Bndurtlleil 

eher  flb96iitttit  Negulion  seiner  selbst,  der  Natur,  komme, 
warum  er  stck  erst  kerauasuringeii  habe  aus  den  eigenen 
bewusaUosen  Anßngen ,  —  Alles  Bestimmungen ,  die  den 
Begriff  des  Absoluten  geradezu  aufliebcn ,  —  in  diesem 
Systeme  völlig  unerledigt,  ja  unberührt  Metben.  Die  Natur, 
nvfe  der  Webgeist,  ist  iär  das  System  ein  absolnles, 
nicht  weiter  erklärbares  Faktum,  wtewoU durch 
diess  Faktum  ein  Widerspruch  zurückbleibt  in  seinem 
Begriffe  des  Absoluten  (vgl.  S.  838^49.).  Ueber  die  bei- 
den letztern  Voraussetzungen  ist  Sehe  Hing,  wenigstens 
d^  Prineipe  nach ,  binausgeschritten  in  der  spatem  Ent* 
Wicklung  seiner  Lehre ,-  und  dadurch  mittelbar  auch  über 
die  erste  (S.  768—81.):  Hegel  nirgends  und  niemals. 

So  wird  mm  sein  System  widerlegt,  oder,  was  die 
einzig  rechte ,  das  Wahre  darin  zugleich  bestätigende  und 
tiefer  begründende  Weise  der  Widerlegung  ist,  es  wird 
Aufgelöst  in  den  umfassendem  Zusammenhang  einer  Welt- 
ansieht  Der  Standpunkt  der  Vernunft,  als  der  Weltimmanenz, 
Ist  selbst  ein  zu  begründender:  der  Weltgeisl  ist  in 
keinem  Sinn»*  das  Absokito,  er  ist  Problem ,  mid  von  ihm 
ist  'erat  aufiiusteigen  to  dem  jetzt  höher  gefaasten  Begriffe 
des  Absoluten«  Hiendit  werden  die  erste  und  die  zweüe 
YoniuA6oUung*Mch  ihrem  InbaHo  und  nuck  dem  formeiien 
Mangel,  nicht  begründete  zu  sein,  gleicher  Weise  erledigt : 
Uk  ihro  Stelle  tritt  ^ine  ausgebildete  Wissenschaft  vom  We- 
sen des  Absohlten  (die  spekulative  Theologie).  Aber  damit 
findet  die  üiatur,  vorh«*  die  bnmittdbare,  erste  oder  letzte, 
Existenk,  objektiv  ihren  Grund  und  spekulativ  ihre  Ablei- 
tung. Die  kundbar  gewordene  Kluft  zwischen  der  He«- 
g  e  1  sehen  Logik  und  scMior  Naturphiiosoplne  füllt  sich  hier 
gutaz  von  selbst  mit  einer  Wissenschnft  aus  ,  welche  den 
Begriff  des  Weltgeistes  in  dein  köfaem  Begriflfe  Gottes  seine 
Begründung  finden  Itisst.  Vnd  bicnrfit  möchte  zugletch  die 
frtthiere  Frage  beantwortet  sein  nach  der  Stelle,  welche  die 
spekulative  Theologie  im  Umkreise  der  phlh^sophiscbcn 
Wissenschaften  begrifkgemass  «inzunehmen  hat.  Wie  der 
Begriff  von  der  Weltinmatienz  der¥eniunfty  von  der  Idee, 


über  Hegeb  Stondpiinkl.  1031 

als  der  unendUchen  Sobjeklivilat  in  der  Welt,  zumBe- 
IprilTe    einer  uranfangiichen  Transscendenz  derselben  nö^ 
Ihigle,  somit  das  Resultat  derHegelfchen  Logik  selbst 
ziüH  Probleme,  mid  so  zogleich  zur  Prämisse  dieses 
hohem  Begriffes  gemacht  wurde :  eben  ato  mAsiste,  wenn 
wir  in  der  stetigen  und  wülkurlosen  Entwicklung  der  Pbi-* 
losophie  nach  ihrer  historischen  Stufenfolge  bleiben  wollen, 
die  spekulalive  Theologie  an  die  Stelle  eines  letzten,  volU 
endenden  Tbeiles  der  Hege  Ischen  Logik  treten,  als  die 
völlig  ausgebildete  und  zum  Abschlüsse  gebrachte  Meta- 
physik,   —    die  überhaupt  mit  Recht  von  jeher  als  die 
Wissenschaft  von  den  „übersinnlichen^  (transseendentalen) 
Gründen  der  Welt  gegolten ,  und   hiermit,    durch  den 
grundlich    durchgeführten    Weltbegriff  sel- 
ber, ihren  ursprunglichen  Umfang  wiedererhaltim  hat. 

Kant   läugnete   die  Möglichkeit  einer  Metaphysik  in 
jenem  Sinne,  während  J  a  c  o  b  i ,  dem  Grundprincipe  nach 
mit  ihm  einverstanden,  in  den  Glauben  an  einen  ftbersinn- 
Kchen,  geistigen  Grund  aller  Dinge  zuröckflüchtete.   S  ch  el- 
lin g  gab  diesem  „meiaphysisäien^  Gnmde  jedoch  in  den 
Unmittelbaren  und  Wirklichen   eine  neue  Bewährung  und 
Grundlage;  er  wies  im  „Sinnlichen^  selber  die  Gegenwart 
des  „Uebersinnliohen^,  Vernünftigen  auf:  der  Begriff  einer 
blossen  und  ausschliesslichen  Transsoendenz  desselben  war 
dadurch  für  immer  abgewiesen;  und  so  erwuchs  die  Mög- 
lichkeit einer  Metaphysik  der  innerweltlieben  Vernunft ,  in 
deren  AusfiUirung  wir  den  Standpunkt  und  das  Resultat 
von  Hegels  Logik    gefunden   haben.     Jetzt   bleibt  der 
nächste,    durch  das  gegenwärtige  Resultat  der  Immanenz 
selbst  gebotene  Schritt  zu  thun ,   die  durch  die  Immanenz 
ermittelte  Transscendenz  in  gleicher  Weise  zu  ihrer  meta- 
physischen Entwicklung  zu  bringen,  und  so  den  Real-Idea- 
lismus  der  Welt  und  des  Weltgeistes  in  der  S  e  h  e  1 1  i  n  g^ 
Hegel  sehen  Epoche  theils   zu  vollenden ,   theils  in  sich 
erst  zu  erklären. 

Hiermit  nun  ist  die  Bildungsperiode  der  Systeme  der 
Immanenz  vonSpinosa  bis  auf  Hegel  geschlosscii,  weil 


1033  Eadartheil 

sie  BU   ihrar   vollen  Ausführung  uitd  Gdtuog  getangt  ist : 
die    zuletzt   von   uns  angeregten  Aufgaben   falicu    daher 
in  ein  ihnen  allen  zukunfUges,  innerhalb  ihres  Umkreises 
ihnen  unerreichbares  Gebiet     Aber  wir  selbst  braacfaeu 
hierbei  nicht  mit  leeren  Verheissungen  uns  zu  befugen, 
oder    auf  ein   uns  selber  erst  Zukünftiges  zu  verweisen; 
wir  sind   über  den  blossen  Pantheismus ,   ebenso  ober 
seine  blosse  Widerlegung ,   schon  hinaus :    das  ihn  über- 
schreitende Princip  ist  ge  funden  und  wissenschaftlich  fest- 
gestellt,   und  seine  Entwicklung  bildet  die  Gegenwart 
der  Philosophie,  während  jener  für  sich  selbst,  nach 
der  wahren  wissenschaftlichen  Schätzung,  jetzt  nur  noch  ein 
historischer,  vergangener  ist.    Aber  man  hat  sich  im  ge- 
flissentlichsten   Ignoriren   dieses   Wendepunktes    gefallen, 
während  man  die  weiter  dringende  Spdiulation  durch  Droh- 
worte zur  nüchternsten ,    vulgärsten  Pantheistik  znrückzo- 
scheuchen  sucht. 

Obgleich  nun  diese  Schrift  nadi  ihrem  UTq>rünglichen 
Plane  den  Kreis  der  philosophischen  Gegenwart  zu  be- 
rühren sich  enthalten  muss;  so  dient  es  doch  selbst  zur 
scharfem  Bestimmung  der  spekulativen  Vei^gangenheit,  die 
unterscheidenden  Begriffe,  welche  nach  mis  die  gegen- 
wärtige Epoche  vor  der  unmittelbar  vorhergehenden  aus- 
zeichnen, bestimmt  auszusprechen.  Hiermit  wird  uns  zu- 
gleich eine  Uabersicht  gegeben  von  dem  historischen  und 
kritischen  Gesammtbefunde  unserer  Schrift. 

Neu  jedoch  sind  jene  Begriffe  nicht  in  dem  gewohn- 
lichen Sinne ,  dass  sie  ein  noch  nie  Dagewesenes ,  eine 
frische  firflndong  der  etwa  jetzt  Philosophirenden  zu  ver- 
künden hätten:  eine  solche  Neuheit  würde  deii  Stempel 
des  Unächten  an  sich  tragen ;  denn  erfunden  —  gefun- 
d  c  n  -^  sind  alle  acht  spekulativen  Ideen  und  Principe 
schon  längst.  Das  Neue  und  Fördernde  ist  nur  darin  zu 
suchen ,  dass  sie  sich  immer  vollständiger  und  von  enlle- 
geuern  Standpunkten  her  zu  einem  umfassenden  Systeme 
der  Wahrheit  vereinigen:  und  für  den  gegenwärtigett  Zeil- 
punkl ,  welchen  wir  desshalb  gerade  als  einen  neuen  and 


über  Begeh  Standpunkt.  1033 

entscheidenden  bezeichnen ,  liegt  das  Denkwürdige  darin; 
dass  von  ganz  entgegengesetzten  Enden  her  sich  fernlte^ 
gendc  Principien  die  Hand  reichen  zu  mässen  scheinen, 
weil  sie ,  zunächst  freilich  nur  in  grösster  Schroflhoit  ae^ 
bcn  einander  hintretend ,  dennoch  so  weil  für  sich  selbst 
sich  ausgebildel  haben ,  dass  in  jedem  das  Bedürfniss  des 
andern  sich  verräth.  So  Hegt  die  neue  und  entsehei-* 
dende  Thal  iur  die  philosophische  Gegenwart  nicht  in  ih«* 
rem  Nebeneinanderstebcnlassen  oder  allseitigen  Anerken. 
nen ,  sondern  in  dem  Beweise  ihrer  nothwendigen  Yer* 
Irindnng  zu  einem  hohem,  sie  umfassenden  Ganzen.  Diesa 
ist  das  neue,  allein  der  Gegenwart  gewachsene  System^ 
^dches  wir  ihr  anzubieten  uns  im  Stande  glauben.  Wir 
selbst  haben  immer  bekannt,  dass  wir  darein  die  Auf- 
gabe und  Bedeutung  unserer  Philosophie  setzen.  Die 
ganze  bisherige  Kritik  dieses  Werkes  hat  den  Beweis  für 
dieselbe  zu  führen,  und  wenn  eine  unbefangene  und  voil-^ 
standige  Charakteristik  der  bisherigen  Hanptsystcme ,  yon 
dem  Anfange  der  neuem  Philosophie  an ,  ganz  wie  von 
selbst  die  Idee  eines  solchen  Systemes  erweckt ,  wie  un«* 
sere  Philosophie  es  ausführen  soll:  so  muss  ihm  wenig- 
stens zugestanden  werden ,  dass  es  volles  Recht  hat 
dazusein.  Wir  geben  zum  Schlüsse  noch  in  den  Haupt- 
zügen an,  wie  03  aus  dem  Gesammtergebnisse  der  bishe>* 
rigen  Spekulation  begriifsgemäss  sich  entwickelt  hat. 


Seit  Des  Cartes  und  Locke  sind  drei  grosse 
Hauptstandpunkte  der  philosophischen  Bildung,  wenn  auch 
nicht  gleichmassig  neben  einander,  und  jeder  in  cbenmas- 
siger  Starke  und  Entwicklung  mit  dem  andern ,  dennoch 
deutlich  unterscheidbar,  entwickelt  worden.  Den  einen  kön- 
nen wir  kürzlich,  wie  sonst  schon,  den  anthropocenirischen, 
vom  Menschen  und  seinem  Selbstcrkcnnen  ausgehenden, 
nennen:  den  zweiten  dahin  bezeichnen ,  dass  er,  theocen- 
trisch  kühn,   aus  der  Idee   des  Absoluten   das  Endliche, 


1034  Die  Piiik»ophi0  der  Gegenwart, 

t)ie  Well,   zu  begreifeft  imtemiiiMiL    Beide  SUmdpmklc« 
wtewoU   langte  genug  ohne  bestinmte  Besidrang  auf  ein- 
ander aich  ausbUdend,    haben   doch   in  der   neueren  Zeit 
enlachieden  und  woU  für  imner  einander  sich  genähert: 
durch  erkenataisatheoretisdie  Begrfindong  das  Princip  imd 
den  Kingnng  in  die  Metaphysik  zu  finden ,   scheint   in  <ler 
neuem* Philosophie  nach  Hegel  i&r  alle  diejenigen,  welche 
nborhaupl  die  Möglichkeit  einer  Metaphysik  in  dem  bezeich- 
neten Sinne  zulassen,  ein  gemeinsames  Resnltat  geworden  »i 
sein*    In  Hegels  Betreff  ist  wenigstens  suzageben,  4»ss, 
mm  Unterschiede  von  Sc ke Hing,   das  Bedürihtss  ihm 
immer  vorgeschwebt  habe ,  die  Idee  und  BeaUtil  des  Ah- 
soltAen  vom  subjektiven  Geiste   und  SelbstbewiissC5ei&  mos 
zu  biegrunden ,  wenn  ihm  auch ,   wie  unsere  Kritik  zeigen 
mussle,  die  wirkliche  Ausffihrung  nie  richtig  oder  vollstin- 
dig ,  weder  in  seiner  Phänomenologie  des  Geistes  ,   noch 
in  den  Vorlesungen  über  die  Beweise  vom  Dnsein  Got-* 
les  (hier  jedoch  am  Entwickeltsten)  gelungen  ist.    Denn 
noch  bestimmter  kommt  es  darauf  an ,  wie  in  dieser  Be- 
gründung das  metaphysische  Princip  aus  einer  Erkenntnisse 
theorle  resnltirt ,   als  welches   dasselbe  gleich  Anfangs 
gefttsst  werde:  wovon  nachher  noch  ein  Wort 

Der  •dritte  Standpunkt ,  welcher  bis  auf  die  neueste 
Zeü  Un  nur  sporadisch  und  wie  in  halben  Lauten  sidi 
vernehmlich  machte,  geht  weder  ans  vom  Subjektiven,  noch 
ist  er  metaphysisch  zu  nennen  in  der  herkömmlichen  Be- 
deutung. Er  beginnt  von  einer  Analyse  des  Gegebenen 
in  seinem  gesammten  Umfange,  um  aus  dem  Scheine  des- 
sdben  zu  seinem  Wesen  vorznMngen,  dem  Zusammenge- 
setzten und  Wechselnd«fi  seinEinfaches  undBleiben- 
d e s Hibzugewinnen.  Vora^us gesetzt  werden  dabei,  als 
gültig  und  überall  anwendbar,  die  Denkgesetze  der  Logik,  und 
der  philosophische  Forscher  |[laubt  hier  mit  dein  ihm  ange- 
borenen Denkdpparatc  eben  so  unmittelbar  und  zuversicht- 
lich an  die  Sache  gehen  zu  können,  wie  der  nichlphilosopiu- 
sehe  es  zu  thun  gewohnt  ist,  und  ihm  es  zugestanden  wird. 
Die  metaphysische  Forschung  ist'  nur  dadurch  venschiedcn 


lufch  ihren  dreü  llaoptaleaiettteii.  1035 

^on  der  empirisdien ,  dMs  jeao   die  allgemeinsten  TMt-» 
Sachen   ihrer  Analyse  unterwirft ,    und  weiter ,   ab  dieae^ 
^Bxtm    schlechthin  Einfachsten,   gedankenmässig   Unzersets- 
baren,  gelangen  wilL    Ehio  so   erzeugle  Metaphysik ,  so 
sehr  sie  innerhalb  des  Entdeckten  auf  exakten  Beweis  An«« 
Spruch  macht,  darf  daher,  ebenso,  wie  die  andern,  an  der 
Hand  der  Empirie  sich  entwidcelnden  Wissensdiaften,  etae 
Granae  ihres  IV)rschens,  ebenso  Ntchtvoilcndnng  und  Ldk- 
ken   in  ihrem  Resaltaie  sich  zugestehen.   —    Jedermann 
sieht,  dass  wir  die  durch  Herbari  unter  uns  vertretene 
nichtung  des  Philosophirens  meinen.     Sie  hat  sieb  gegen 
die  beiden  andern  Standpunkte   völlig  beziehungslos   und 
iusseflicfa  verhalten,  und  darin  ist  wohl  besonders  die  Ur** 
Sache  zu  suchen,  warum  sie  bisher  nicht  zu  allgemeinerer 
Einwirkung  und  zu  einem  dauernder  erregten  Interesse  in 
der  Gegenwart  gelangt  ist  Ab^  nach  den  wahren  wissen« 
schäftlichen  Antriebeii   und  den   stichhallenden  Resultaten, 
welche  dennoch  auch  in  ihr  liegen ,   mnss  diese  Isolirung 
äuAoren ;  wir  glauben  ihre  bleibende  Stelle  zu  kennen,  in 
einer  umfassenden  Metaphysik.     Wenn  jedoch  bei  unsem 
eigenen  philosophischen  Bestrebungen   die  Beziebui^,   in 
weiche  wir  Erkenntnissichre  und  Metaphysik  setzen,  Aner- 
kennung und  Einwirkung  gefunden  hat ;  so  ist  doch  die  Seile 
unserer  Metapliysik,  nach  welcher  wir  ein  Monadisches,  Sob- 
staiNielles  im  Endliehen  nachweisen  und  so  die  Her  hart* 
sehen  Principien  in  den  ganzen  Plan  einer  Metaphysik  or- 
ganisch aufnehmen,  bisher  nur  sehr  geringer  Aufmerksam- 
keit gewürdigt  worden.    Wir  haben  mit  Absicht  daher  die 
Erwähnung  Herbarts   und  unseres  Verhältnisses  zu  ihm 
bis  an  das  Ende  aufgespart.  — 

Der  erste  Bildungsstandpunkt,  weicher  vom  Menschen, 
näher  von  dem  Wesen  seines  Brkenneps  und  der  Mdglioh« 
keil  der  Wissenschaft,  der  Philosophie,  ausgeht,  hat  sich 
von  Locke,  dorch  Berkolei  und  Hume  hindurch,  bis 
auf  den  Idealismus  Kants  und  auf  Jacobi's  Unmittel-* 
barheiiatheorie ,  stetig  und  in  den  einzelnen  Pbilosophieen 
0lreng  in  einimder  greifend ,  entwickelt.    Das  BiM  dieser 


lOaS  Die  PlMtoiO|ilrie  der  Gegmwtrl, 

BniwicUmg  b^ben  die  beideii  ersten  Büeher  dieses  Vfctksi 
vorsttfiyiffen  gewoht. 

Des  vollständigste  System  vom  Standpunkte  desSubiektiven 
hat  Fries  gegeben,  indem  er  dabei  die  durcfagef&farle  Be- 
flejdon  und  Abscheiduag  des  Subjektiven  vom  ObjekUvett  durch 
Kant  mit  Jacobi'sGhiuben  an  die Unmittettmifceil des Be> 
wusstseins  verband.  Sein  Verdienst  und  sein  Becht,  die  Ka  o. 
tischen  Resultate  einmal  voraussetzend,  in  Jacobi's 
Unmittelbarkeitslehre  einen  ergiinsenden  AbseUnas  wenig- 
atens  au  suchen,  mnsste  ihm  zugestanden  werden;  aber  es 
ergab  sich  bei  näherer  Kritik ,  dass  die  Kant  ische  Konse- 
qoenz  nicht  widerleg!  werden  könne  durch  jenen  Begriff 
der  Unmittelbarkeit  und  des  reinen  VemnnRglanbens,  es  sei 
I40SS  ein  äusserltches  Nebeneinanderstellen  beider,  an  sich 
unverirüglicher  Standpunkte.    Aber  ebenso  sei  von  ihm  ver- 
kannt worden  das  von  Kant  schon  gefundene  Grandfcrite- 
rium  der  absoluten  VemunflaUgemeinheit,  in  ihrem  specifischen 
Gegensatze  von  dem  nur  empirisch  Ursprungliehen«    Hierin 
liege  Kants  oigentiicbe  erkenntnisslheoretische  Entdeckung 
und  der  weili^e  Uebergang  in  die  folgende  Philosophie. 

So  konnten  wir .  die  eigentliche  Lösmig  des  Erkennt- 
nissproUemes   und  die  wahre  Erklärung  von  der  Einheit 
des  Sutyektiven  und  Objektiven  nur  indem  Idealrealis- 
nius  finden,  wio  derselbe,  dem  allgemeinen  Begriffe  nach 
in  Fichte's  spiterm  Systeme,  realphilosophisch  durchge- 
führt, in  Schellings  Lehre   begrfindet  ist    Das  Sub- 
jektive unsers  Erkennens  reicht  nur  dadurch  in  die  Weh- 
Objektivität  hmein  ,  vennag  das  Wesen  derselben  zu  sich 
hinüberzuziehen,  in  den  Begriff  zu  erheben  ,   indem  es 
das  Eine  Vernunflprincip  ist,  welches,  dort  objektiv  sdio- 
pferisch ,  hier  subjektiv  eriiennend ,  in  beiden  aber  ohne 
allen  ursprünglichen  Gegensatz  vemuni^mäss  wallet.  Die 
Welt  muss  alle  ihre  Hefen  unserm  Erkennen  aufscUiesseit, 
weil  sich  ihr  bewusstlos  Tiefes  im  Erkenntnissakte  nur  sdlNit 
erkennt :  denn  Alles  (Weltwirfcliche)  ist  nur  Vemunft,  eis 
ursprünglich  Subjektives,  dem  (kommendmi)Bewiis8twefdea 
Zugebildetes.    So  weit  d<^  Standpunkt  Schellings  «ad 


ntch  ihren  droi  Uauptelementen.  1037 

H  e  g  e  i  8 ,  bis  wie  weit  eine  ToHsländige  Brkeantnisdehre 

ihn  zu  begleiten  hat;  denn  darin  erst  ist  das  Problem  des 

Brkennens   vollständig  gelöst.     Aber    diese  Weltvemunft 

(der  Wellgeist)   bedarf  an  seinem  Theile  einer  objektiven 

Erklärung:  in  ihr  liegt  selbst  ein  neues  Problem^  das  Pro* 

bleno  der  Metaphysik ;  und  so  erzeugt  die  Erkenntnisslehre« 

indem   sie   sich   volieadet ,  die  Aufgabe   der  Metaphysik, 

fordert  dieselbe.    Aber  wie  hier  dieser  Uebeigang  in 

die  Metaphysik  begründet  wird,  ist  das  Absolute  i^selben 

gleich  Anfangs  um  eine  Stofe  höber  gerückt ,  als  in  dem 

ültern  Systeme  Scfaellings  und  in  Hegels  Philosophie: 

es  ist  nicht  mehr  die  blosse  Identität  des  (Welt-)Objckli- 

▼e«  und  Subjektiven,  sondern  das  Wesen,   welches. jene 

Identität  selbst  aus  sich  verwirklicht ,  in  dmn  unendlichen 

Objektiven  und  Subjektiven  der  Natur  und  des  Geistes  die 

Vetnunft,  als  das  darin  Identische,  setzt ;  ebenso  daher  ihrö 

Ursache  ist,  wie  das  eigene  Wesen  ihnen  einbildet;  d.fa. 

ihnen  immanent  ist,  nur  vermöge  sein^  Transscendenz. 

Und  diess,  diesen  Uebergang  von  Erkenntnisslehre  in 
Metaphysik,  wie  den  daraus  sich  ergebenden  Standpunkt 
und  Um  rang  unserer  Metaphyrik ,  dürfen  wir  von  dieser 
Seite  als  das  Neue  unseres  Systemes  ansprechen.  Aber 
es  ist  ein  Neues  ,  gebieterisch  durch  das  Alte  bedingt  und 
gefordert. 

Ebenso  sind  dabei,  an  einer  weit  sich  durchziehenden 
Kritik  des  Kantischen  Raum-«  und  Zeitbegriffes,  die  ent- 
sohmdenden  Polgen  seines  Missgriffs  nachgewiesen  wor«* 
den,  die  von  ihm  streng  erwiesene  Ursprüngiichkeit  und 
Unabtrennbarkeit  derselben  von  der  Anschauung  des 
Wirklichen  (ihre  Apriorität)  im  bloss  subjektivem  Sinne  zu 
nehmen ;  überhaupt  das  Apriorische  als  ein  bloss  subjektiv 
Aligemeingültiges  zu  fassen.  Dieser  Missgriff  in  Betreff  von 
Raum  und  Zeit  zeigte  sich ,  wie  ein  Voriirtheil ,  fast  der 
ganzen  folgenden  Spekulation  aufgeprägt  Das  Räumlich- 
Zeilltehe  wurde  für  zu  gering  gehalten ,  und  unfähig ,  die 
Wahrheit,  das  Ewige,  Göttliche,  rein  darzustellen ;  diess  worde 
in  ein  abstrakt  unverständliches  Jenseits  über  Raum  und  Zeit 


1038  Die  Philosophie  der  Gegenwart, 

Terwiesen  wid  demGlaabeii  md  der  Ahirang,iineriiennlnir,  mr 
Verehnmg  hingesteHL    Z\?ar  wurde  diesen  Gmndirrtbiiine 
dem  Princtpe  nach  schon  durch  die  Sohellingsche  Pht- 
iosophie  ein  Ende  gemacht;  abor  weil  er  nicht  historisch 
an  seuier  Wunel ,   der   falschen  Raum*  und  Zcittlieorie 
Kants,  angegriflfen  wurde,    blieb   ihm  gewiflsennaassien 
das  Recht,  sich  noch  in  seinen  Nachwirkungen  auf  die  aH- 
gemeine  BUdung,  selbst  bis  in  Hegel  hinein,  tu  behaup- 
ten.   Dessen  Voniehmheit  gegen   die  Natur ,   die  Spuren 
jenes  unverständlichen  und  unerklärten  Dualismus  in  seinem 
Systeme,  sie  Ar  das  nur  Aeussere ,  Negative ,  AbgeraUese 
des  absoluten  Bogriib  zu  eiUiren ,  sind  die  letzten  Beste 
jenes  Vonirtheils.     Und  auch  aonst  muss  man   gestehen, 
daas  die  Unklarheit  unter  den  Philosophirenden  über  jene 
beiden  Fundamentaibegriflb  noch  die  grösste  seL    Diesm 
hofft  nun  unaere  Kritik,  der  Metaphysik  vorarbeitend,  durch 
Nachweis«^   der  historischen  Genesis  des  Irrthams  ein 
Ende  gemaohl  au  haben :    Zeit  und  Raum  sind  Nichts  a  n 
sich  selbst,  sind  keine  (besondera)  Formen,  in  welche 
die  Bealitit  entrite ,  und  die  so ,  ans  sich  selbst  das  an 
sich  unzeitliche  und  unräumliche  Reale  formirend,  pder  es 
in  die  eigene  Kxistenz-  (oder  Erscheinungs-)  Weise  her- 
Attemehroend ,   dadurch  zur  blossen  Erscheinung  degra- 
dirten.    Das  Reale  selbst ,    als  sich  Verwirklichendes ,  ist 
dadurch  raum^eltlieh,  wirkt  sich  dazu  aus;  alles  Wirk- 
liche isl  eben  darum  auch  ein  Riumliehes,  und  das  Ewige 
ist  nur    als  die  unendhche  Zeit.     Der   ,^inneoschein% 
durch  welchen  sich  der  reflektirendd  Idealismus  so  sehr 
beunruhigen  lasst ,   lillt  in  ein  wtiit  engeres  Gebiet ;   der 
Reaüsmus  ist  dadurcli  auf  eine  aene  Basis  gegründet  — 
Das  zweite  Hauptelement  der  gegenwartigen  philoso- 
phischen  Bildung  ist  die   durch  Hegel  nea  begmndete 
Metaphysik  (Logik).    Sie  ist   ihm  ebenso  die  Lehre  vom 
Absoluten  (dem  höchsten  Realprincipe),  ab  von  den  all- 
gemeinen Wettformen,  den  Kalegorieen  (Formalprinci- 
piea  der  Dinge).    Dass  es  ihm  hierbei  keinesweges  ge- 
lungen sei,  weder  Beides  bestimmt  genug  zu  untersdieideB, 


nach  ihren  (h-ci  Hauptelcmentcii.  1039 

noch  das  Eine  aus  dem  Andern  herzuleiten,  hat  eine  ausk 
iuhrliche  Kritik  seiner  Logik  gezeigt«    Dennoch  bleibt  dess^ 
halb  der  ganze  Gesichtspunkt  und   das  Uauptresultat  der-^ 
selben  um  nichts  weniger   ein  entscheidendes :    es  isl  die 
Nachweisung  des  dialektischen  Verhältnisses,  der  innerlich 
^schlossencn   Einheit  der  Kategorieen.     Sie  stellen  eine 
gegliederte  Stufcnrolge  von  Welttbrmen  dar,  zu  einem  höch- 
sten Ziele  sich  vollendend,  sie  sind  ein  absolutes  YernuiiiW 
System.    Dieser  einfache  ,  grosse  und  kühne  Gedanke  is^ 
das  eigentliche  Erwerbniss  Hegels,  wodurch  das  Axiom 
Leibnitzens,  dass  das  Dasein  ewiger,  schlechthin  all- 
gemeiner Wahrheiten    auf   ein   Verstandespriflcip  in  Gott 
deute,  seine  objektive,  sachliche  Begründung  erhalten,  we-^ 
nigstens  diese  vorbereitet  hat  Die  Aufweisung  eines  solchen 
Vernuntlsystemes  nämlich,  wie  es  sich  in  der  Weltunend* 
lichkeit  verwirklicht  zeigt  und  das  Fundamentale  aller  Welt- 
erscheiuungen  ist,  kann  aber  nicht,  wie  bei  Hegel,  ein 
Letztes,  die  spekulative  Erkenntniss  Abschliessendes,  selbi^t 
das  Absolute  sein :  hier  zeigt  sich  die  schon  oft  von  uns 
beleuchtete  Nöthigung ,  aus   Immanenz    in  Transscendew 
überzugehen  ,    von  einer  neuen  Seite.     Jenes  Yernunftsy^ 
Stern  der  Welt  kann  seinen  vollgenügenden  ErkKtrungsgrund 
nur  finden  in  einer  es  denkenden  absoluten  Vernunll, 
aber  nicht  also,  dass  diese  allein  schaffend  es  dächte, 
dass  ihr  Schaffen    und  Denken  zusamnienfielen  und  das 
Identische  waren,  bei  welcher  Meinung  Hcgei  verblieben, 
—  sondern  dass  im  Denken  jenes  System  der  Weit^  eben 
weil  es  ein  solches  ist ,  ewig ,  vollendet ,  jeder  Genesis 
entnommen,  existiren  musste :  das  ewige  Welturbild  in  dem 
ewigen  Verstände  Gottes.    Nur  so  endlich  wird  die  Gni»d- 
thatsache  einer  Weltvernunft,  und  das  metaphysisch  alige^ 
meine  Denken  derselben  (in  uns)  erklärbar,  dass  Gott  der 
Urmolaphysiker  ist,  somit  es  in  ihm  eine  unserm  Verstände 
anakge  Maeht  geben  muss.    Aber  d>eiiso  folgt  daraus,  dass 
nicht  diese  die  weltschöpferische  Potenz  sein  kann:    ans 
ihr  allein  vermöchten  wir   das  Welldasein  nicht  zu  erkla- 
ren; denn  in  ihr  ist  es  nur  das  «rbildliche^  Eine,  unaus- 


IMO  Die  Philosophie 'dnr  Gegenwart, 

dritckliche,  mit  in  oiniisder  gesogenen,  ungesdiiedenefi  Ge- 
^nsaUen:    das   Gcgentheil  seiner  WirkJichkeU.     So- 
nach ist  noch  eine  andere,  verwirklichende  Macht  in  Golf 
Ztt  denken,  welche  nur  in  Analogie  mit  dem,  was  wir  am 
I endlichen)  Geiste  den  Willen   nennen,  sich    begreifen 
Idsst.    Diese  Kategorieen,  Verstand  und  Wille  in  Gott ,  in 
dieser  Folge  und  gegenseitigen  Bedingung  von  einander 
(vgl.  S.  750.  779.  f.),  —  erklären  allein  erst,   schliessen 
daher  ab,  die  Weltkalegorieen ,. obgleich  diese  nicht  min- 
der, wie  jene,  ebenso  Grundbestinimungen  des  Weltdaseins, 
wie  Gottes,  sind.    Das  Ende  der  eigentlichen  Logik  (On- 
toiogio),  der  Lehre  von  den  Weltkategorieen   im  Absolo- 
ien,  geht  daher  über  in  die  Möglichkeit  und  die  AuTgab«" 
•eines  metaphysischen  Erkcnncns  Gottes  —  der  spekulativen 
Theologie ,  welche  zugleich  durch  eine  neue  Schöpfungs- 
und  Weltzwecklehre  der  siiekulativen  Betrachtung  der  Na- 
tur und  des  Geistes   (Natur-  und  Geistc^hilosophie>^  eine 
festere  UnterInge  geben  zu  können  hoOt     Unvollendet  für 
sich  selbst  ist  aber  auch  jene  (die  Metaphysik)  bei  Uegel 
in  der  doppelten  Beziehung  geblieben ,  indem  er  jene  Ka- 
tegorieen oder  Grundrormen  alles  Wirklichen  nicht  bts'zii 
ihren  Gipfel  und  zugleich  zu  dem  Begriffe  hindurchgeiuhrt 
hat,  welcher  ihre  eigene  Möglichkeit  zu  eridaren  vermag, 
zum  Begriffe  einer  absoluten,  denkend- wollenden  Persön- 
lichkeit, dadurch  zudem  auch  mit  dem  Begriffe  des  Abso- 
luten bei  einer  untergeordneten   und  zugleich  unverständ- 
lichen Abstraktion  stehen  geblieben  ist :    jenes  System  der 
Kategorieen  selber  ,   die   in  ihnen  durchwaltende  Einheit, 
welche  verständlicher  Weise  doch  nur  in  unsenn  Denken 
oder  in  einem  Urdenken  existiren  kann ,  wird,  durch  eine 
seltsam  sich  selber  uiissyerstehende  Hypothese,  zum  Abso- 
luten erhoben  ,    als  die  ,ySich  denkende  Idee^ ,   der  «sich 
wissende  Begriffe,  —  was  iur  das  Absolute  eben  nur  aus- 
gegeben, nimmer  aber  begreiflich  gemacht  oder  wirklich 
verstanden  werden  kann. 

Daher  nun  auch,  wie  wir  nachwiesen,  die  Dunkelheit 
und  Resultatlosigkeit   von  Hegels  Logik  im  Ganzen,  bei 


nach  thren  drei  Hauplclctncnten.  1041 

der  unslreiligen  Wahrheit  und  dem  Erfolge  ihrer  dialekti- 
schen Nachweisungen  im  Einzelnen:  daher  insbesondere 
ihre  stetö  Vermischung  des  Metaphysischen  und  Erkennt- 
nisstheoretischen ,  welche  sich  am  Schlüsse  des  ganzen 
Systemes  nur  wiederholt  und  sich  steigernd  vollendet.  Hire 
Fortexistenz  kann  sie  daher  allein  durch  Wiederauflösung  und 
bestimmtere  Sonderung  der  in  ihr  verwachsenen  Elemente 
finden ,  und  in  der  Verarbeitung  derselben  zu  einer  um- 
fassendem Metaphysik.  Der  Entwurf  der  unsrigen  hat  sich 
daraus  ergeben,  und  zugleich  darin  wohl  auch  der  Beweia, 
wie  sie  die  einzig  rechtmässige  Fottsetzerinn  sein  möchte 
der  durch  Scheiling  und  Hegel  gegründeten  spekula- 
tiven Bildungsepochc. 

Der  erste  Wendepunkt  ihrer  neuen  Weltansicht  lasst 
Sich  füglich  in  den  Begriff  jener  doppelten  und  doch  iin 
Verhaltnisse  gegenseitiger  Bedingung  stehenden  Trinität  Got- 
tes zusammenfassen  ,  -«  der  ersten  ,  als  seiner  sqlbstan- 
schauenden,  bewussten  Persönlichkeit,  der  andern,  als  der 
höchsten  Gestalt  seiner  Weltimmanenz  (S. 984 — 89.)v 
In.  diesem  Doppelbegriffe  werden  die  beiden  fernsten  En- 
den der  Spekulation  ,  der  Gipfel  der  Metaphysik  und  das 
höchste  Ziel  realphilosophischer  Weltbctrachtung ,  ebenso 
auf  einander  bezogen,  wi6  doch  durchgreifend  unterschie- 
den. Auf  dem  Zusammenfallenlassen  beider  beruht 
aller  Pantheismus :  durch  die  Sonderung  derselben,  zu- 
gleich aber  die  nothwendige  Wechselbeziehung  und  Be- 
gründung beider  in  einander  (und  zwar  theils  metaphy- 
sisch ,  theils  innerhalb  der  Weltrealität) ,  ist  der  concreto, 
das  grosse  Recht  des  pantheistlschen  Princips  erkennende 
und  zur  vollen  Wahrheit  bringende  Theismus  gerettet. 
Gott  ist  der  dreieine ,  selbstbewusste ,  vor  der  Welt ;  aber 
die  Kunde  und  Gewissheit  davon  giebt  uns  die  Thatsache 
euier  solchen  Welt,  nicht  allein,  als  des  allgemeinen 
Vemunftsysteroes ,  auch  nicht  allein  die  Thatsache  eines 
(kreatürlichen)  Geistes  in  ihr,  —  obwohl  auch  diese  ge- 
nügten zum  Beweise  eines  Geistes  Gottes  von  Anfang  — 
sondern  in  der  Well  des  Geistes  abermals  die  höchste 

66 


1043  Die  Philosophie  der  Gegenwart, 

ThalMirlic  einer  Hciligiingf  desselben,  eines  neuen  Cäsles, 
der  über  den  Menschen  kommt,  macht  jene  ferne  göttUche 
PersönUchkeit  zur  nahen,  unmittelbar  gewissen ,  und  sieill 
das  Metaphysische  in  den  Kreis  des  Begreiflichea  ,  erieb- 
bar  Thatsäcblichen  hinein.    Die  grosse  Lehre,  welche  sich 
durch  alle  Religionen  hindurchzieht,  aber  erst  in  derRdi- 
gion  der  neuen  Weit  gewiss ,  ein  Faktisches  geworden  isl 
in  jenem  Sinne,  dass  der  göttliche  Geist  menscUicber  Katar 
sich  einverleibt ,  diess  höchste ,   tröstlichste  Resultat  aDes 
metaphysischen,  wie  empirischen  Erkennens,  erhält  in  un- 
serer Weltansicht  daher  eine  Bedeutung  —  einestheils  für 
den  metaphysischen  Begriff  des  götUicfaen  Wesens:    der 
Golt  nur  solcher  Thaten  und  Entschlüsse  ist  ihr  der  wahre; 
—  aber  andemtheils  muss  doch  dieser  volle  Beweis  des 
Geistes  Gottes  durch  die  ganze  Natur  bis  in  die  Weltge- 
schichte hinein,  eine  metaphysisch  also  verstandigte  Philo- 
sophie zum  Anerkennen   und  Begreifen  jenes  Faktums 
der  OIFenbarung  fortieiten :  diese  schliesst  ihr  erst  den  Kreis 
der  durch  die  Natur  und  den  Menschen  hindurch  sich  stei- 
gernden göttlichen  Thatsachen ;   eine   so   weit  gedideue 
Philosophie,  wenn  sie  den  Sinn  ihrer  Metaphysik  nicht  ver- 
laugnen  will,  kann  ihren  Umfang  nur  (ur  vollendet  achten 
in  dem  Begreifen  jener  götUichmenschlichen  Thatsachoi  der 
Weltgeschichte  ans  ihnen  selbst.  — 


Es  bleibt  noch  übrig,  des  dritten  Bildungselementes  zu 
gedenken  ,  lur  welches ,  um  seiner  bisherigen  Isolirang 
wiHen,  die  allgemeinsten  Vorfoegriffe  in  Leibnitz  abge- 
rechnet, sich  bei  den  vorigen  Systemen,  kein  Anknäpfimgs- 
punkt  ergeben  wollte.  Es  ist  dasjenige,  welches  von  Unten 
auf,  von  einer  genauen  Analyse  des  Gegebenen  her,  die 
Metaphysik  erbauen  will.  Schon  in  einer  altem  Kritik  der 
Herbartschen  Lehre  nach  ihren  Prineipien*)  haben  wir 


*)  Ueber  Gegensatz^  WendepQokt    und  Ziel  «.f.  w« 
Heid eibers  1932.  Bd.  f.  S.  230-293.  VgL  &  Q9U  f. 


nach  fliren  drei  Hauptelementen.  1043 

auf  den  Ponkl  hingewiesen,  durch  welchen  sie  nnserer  An- 
sicht nach  specifisch  neu  und  wesentlich  ergfinsend  in 
die  ganze  bisherige  Bildung  eingreift,  und  so  ein  Element 
der  eigentlichen  Gegenwart  und  einer  neu  daraus  zu  bil- 
denden Zukunft  enthält:  —  aber  auch  das  theils  Falsche, 
theils  Eingeschränkte  ihrer  Methode,  die  mangelhaften 
Grundvoraussetzungen ,  über  welche  sie  nirgends  hinaus- 
kommt ,  und  die  ihre  spätem  Bearbeiter  mehr  durch  mil- 
dernde Darstellung  aus  den  Augen  gerückt,  als  innerlich 
beseitigt  haben,  mussten  dabei  zur  Sprache  kommen.  Un- 
sere Kritik  war,  historisch  beurtheilt,  die  erste  principielle 
jenes  merkwürdigen  Systemes.  Aber  von  Beiden,  der  An-  * 
erkennung,  wie  dem  Tadel,  vermöchten  wir  kaum  Etwas 
zurückzunehmen;  andere  Stimmen  haben  im  Wesentlichen 
nach  beiden  Seiten  hin  diess  Urtheil  genehmigt ,  und  so- 
gar aus  dem  Kreise  seiner  eigenen  Schule  wird  ihm  ein 
ähnliches  Gutachten  entgegengebracht,  so  dass  diese 
Lehre  auch  aus  sich  selbst  früher  oder  später  zu  einer  Er- 
weiterung ihrer  Methode  und  ihrer  Principien  genöthigt 
werden  wird  *). 


*}  Wir  meinen  fatermit  4ie  ausf&brliche  und  «eh« rfs innige  Kritik , 
mit  weicher  nevllch  Strümpell  („tl  ie  Hauptpunkte 
'<ler  II  erbartschen  Metaphystk»  kritisch  be-^ 
I  e  u  c  h  t  e  t*<  1840.)  die  sämmtliciieii  metaphysischen  Princi- 
pien  und  Resultate  seines  Lehrers  geprüft  hat.  Der  Verfasser 
ist  derselbe y  welcher,  als  unsere  Kritik  erschien,  diese  in 
einer  apologetischen  Schrift  ffir  Her  hart  sehr  unsanft  und 
ziemlich  summarisch  als  eine  gana  Yerfehlte  abfertigte.  Jettt, 
im  Verlaufe  seiner  eigenen  ForthHdung,  ist  er  auf  anderm 
Wege  Bu  demaelben  wesentlichen  Crtheile  ul^r  die  He  r bar  t- 
•che  Metaphysik  gekommen,  welches  wir  damals  behaupteten. 
Er  zeigt  (8  125.)  das  „Unsnreicbende''  in  den  metaphysischen 
Grundbegriflen  Herbarts,  um  das  Gegebene  tu  erklaren, 
gans  so  wie  wir  die  Wahrheit  der  ersten  ßeg;>iffe  Herbarts 
anerkannten,  aber  sie  nnTollständig  und  weiterer  (dialekti- 
scher) Krgänsnng  bedürftig  fanden  ,  um  die  rolle  und  auch 
der  £>kläniug  des  Wlfklich^n  näiier  kommende  Wahrheil  zu 


1014  Die  Pbilosopliic  der  Gegenwart, 

Das  Vordienst  von  llerkarts  qualilativem 
ist,  den  bloss  uiechanischcn  Atomistikern  and  der  l'ormeUen 
Philosophie  gegenüber,  gegen  beide  bewiesen,  überhaupt 
bis  zar  unwiderstehlichen  Evidenz  festgestellt  za  haben, 
dass  das  Qualitative,  das  spccifisch  Unterschiedene  in  den 
Wclterscheinungen,  sich  nicht  erklären  lasse  aus  bloss  quan- 
titativen Formen  (aus  Atomen  oder  Molecülen  von  verschie- 
dengefonnter  kleinster  Gestalt,  wie  Epikuros  und  die  spa- 
tem mechanischen  Physiker  behaupteten),  noch  auch  sonst 
aus  bloss  formellen  Principien,  —  wie,  wehr  durch  die 


erhalten.     ladem  nun  aber  Herbart  iUe$e  innere  Ergänzoog 
von  diesen  einfachsten  Begriffen  ausdruckliih   abhält,    sei   er 
genüthigt,  ein  bloss  Hypothetisches  dazuziimischen  und  so  dem 
Realen  untersuschieben.     Sein    Fundamentalbegriff    von    den 
Y,Sturungen  und  Selfosterfialtungen  einfacher  Wesen*'  sei  nidils 
als  eine  solche  Hypothese^  eine  Fiktion,  an  deren  Stelle  auch 
ebenso  gut  ander«  treten  konnten ,   weil  die  ausftchUcMlicbe 
PJothweudigkeit ,    nur  auf  sie  zuriickztikoninien  ,    keinesweges 
dargethan  sei^  und  so  werde  ein  bloss  Denkbares  ,    ein  will- 
kuhrlich  Angenommenes  für  ein  Reales  gehalten  und  in  eine 
Reihe  mit  dem  Gegeli^nen  gestellt  (a.  a.  O.  S.  267-72.)-  Gerade 
dasselbe  weist  Strümpell  in  der  ausführlichen  Einzelkn'Uk 
nach  f    indem  er    in  Bezug  auf  jene  Grundannahme  ron  den 
Störungen    und    Selbsterbaitungen    einfacher  Snbstanten   es 
ausdrücklich  nachweist  (S.  127  ] ,    wie  dieser  Begriff  nur  aaf 
einer    Erschleichung    beruhe,    welrhe    das  Formelle   der 
Denkoperation  mit  dem  Realen  Terwechselt  und 
auf    dieses     überträgU      So    wird    auch    besonders   in 
den    folgenden  Abschnitten    seines  Werkes    mehrfach    nach- 
gewiesen ,   wie  die  blosse  Denkbarkeit ,    das  Nichtwfderspre- 
chende,  von  Herbart  in's   Reale  erhoben  werde,  im 
Widerspruche  gegen   den  eigenen  Geist  seines  uethodischeo 
Verfahrens,    das  Gegebene  rein  «und  unentstellt  sn  erhalten. 
—  Wir  können  mit  dieser  späten  und  unbewussten  Anerken- 
nung unserer  Kritik  nur  zufrieden    sein ,   indem    es   uns    ein 
unwidersprechliches    Zeugoiss    scheint    über    den    objektiven 
Charakter  jenes  Systems,  welches  gerade,  wenn  es  seine  bis- 
herige Form    nud  deren  Ansprüche  aufgiebt ,    au   einer  gaai 
neuen  Wirkung  und  Anerkennung  berufen  sein  möchte. 


mich  ihr^ii  <rei  HttiiplefemeiiteQ.  1045 

LAcke,  welche  da»  He  gel  sehe  System  hier  läbrig  lissl, 
als  durch  ausdrückliche  Behauptung  und  Lehre ,  diess  das 
Resultat  desselben  ist:  —  vielmehr  sei  es  in  seiner  6 rnn d- 
Bpecifikation  ein  durchaus  Ursprüngliches,  selt^ 
lieh  Unentstandenes,  darum  auch  wahrhaft  Unvergängliches, 
Indestniktibles ,  keiner  wahren  Veränderung  und  keinem 
Uebergehen  in  ein  Anderes  unterworfen ,  das  schlechthin 
Beharrliche  im  Wandel  des  Gegebenen,  und  in  den  wech- 
selnden qualitativen  Erscheinungen  desselben  das  unver- 
tilgbar  Einfache. 

Aus  dieser  Analyse  des  Gegebenen  ist  das  wick- 
tige  Resultat  hervorgegangen,  dass  im  Endlichen  ein  qua- 
litativ Substantielles,  Urunterschiedenes ,  zugleich  aber  in 
unbestimmbarer  Mannigraltigkeit  desselben,  eine  qualita* 
live  M^nadenwelt  gesetzt  werden  mAsse.  Herbari 
hat  dadurch,  freilich  ohne  es  ausdrücklich  zu  beabsichti- 
gen, den  Pantheismus  von  Unten  her,  faktisch,  so  zu  sagen, 
—  ans  einem  Grundfaktum  der  Welt ,  widerlegt.  Jener, 
weicher  die  einzige  Substantialität  des  Endlichen  nur  im 
Absoluten  erkennt,  hat  durch  die  Nachweisung,  dass  die- 
ser Begriff  schon  an  der  nächsten  Erklärung  des  Gegebenen 
scheitere,  den  Todesstoss  erhalten.  Diess  ist  eine  entschei- 
dende metaphysische  Entdeckung :  ans  ihr  ergiebt  sich  erst 
der  voUsUndige  Begriff  des  Endlichen ,  damit  aber  auch 
von  dieser  Seite  her  die  Nöthigung,  jenem  Begrilfe  ge- 
mäss das  Terhältniss  des  Endlichen  zum  Absoluten  neu 
herzustellen.  Diess  sind  jedoch  für  Herbart,  wie  fltar 
Hegel,  jenseitige  Fragen,  zu  denen  doch  beide  Systeme 
den  bestimmtesten  Antrieb  in  sich  enthalten.  An  welche 
Stelle  un  Systeme  der  >Kategorieen  jener  Beweis  filr  das 
Monadische  im  Endlichen  und  der  neue  Begriff  des  Bnd- 
lichen zu  fallen  habe,  darüber  müssen  wir  auf  unsere  me- 
taphysischen Darstellungen  verweisen,  welche  zugleich  die 
kritische  Beziehung  auf  ihre  beiden  Vorgänger  nicht  aus 
dem  Auge  gelassen  haben  ^). 


•)  Ontologid,  1836.  J.  108.  ff.  J.  lU.  5.225-254.  Zur  »p«. 


10^  m^  Pliiiosophte  der  GegeaMrl, 


Aa  j«ne  Binsidil  reilil  sich  ergäiUBettd  der  wichtige^ 
noch  direkter  gegen  Hegel  gewendete  SaUs ,  dass  die 
Vortlelhing  eines  «reinen  Werdens^,  als  eine  vöHtg 
widersprechende ,  undenkbare  ,  ganz  abgewiesen  werden 
müssen.  Das  Phänomen  des  Werdens ,  der  Verindeiiich- 
keil  überhaupt,  weil  entfernt,  Ar  einen  der  einfachsten  Be- 
griife ,  bloss  für  die  Einheit  von  Sein  und  Michls  gehalten 
werden  zu  können ,  sekliesst  selbst  ein  sehr  oompUeiites 
Problem  in  sich,  welches  erst  an  einer  weit  spilem  SleUe 
der  Melaphysik,  nachdem  viel  concretere  Begnttb  festge- 
slelll  sind,  gelöst  werden  kann.  (Vergl.  oben  S*  870.  flU 
und  des  Verfassers  Ontologie  $•  12*  Anm.  IL   S.  65.  ff.) 

Herbart  bat  auch  dadurch  den  gegenwärtigen  meta- 
physischen Uniersttchungen  einen  umfassendem  Spidraom 
«nd  neuen  Aufschwung  verliehen.  Wekbe  Sditze  auf 
dieser  Bahn  der  Untersuchnng  ifir  die  Metaphysik  im  „Ge- 
geben  en^  noch  liegen  mögen,  —  ein  Begriff,  auf  des* 
sea  Beachtung  Her  hart  gerade  hingewiesen,  -^  möchte 
noch  lange  nicht  erschöpft  sein.  Man  musste  selbsl  nnr 
nicht  mit  Her  hart  so  unverruckt  stehen  bleibett  bei  dem 
«nfugsamcn,  jeden  tiefem  Unlerschied  und  jede  innere 
Wesensabstufong  abschnetdenden  Begrifib  einbcher  quali- 
•tattver  Wesen. 

Ob  daher  ausser  jenen  beiden  Bntdeckmigeii  der  wei- 
tere Fortgtmg  der  Wissenschaft  von  Herbarts  metafriiy- 
istschen  Principien  noch  mdur  wird  mit  sich  Tortnehmea 
•können,  «-  wir  zwcifdn  vorerst  «biran ,  —  diess  m^g  die 
Zeit  lehren.  Doch  isl  auch  jenes  hinrdebend ,  um  der 
Spekulation  eine  ganas  neue  Seite  m  öffnen;  denn  olen- 
bar  «wird  es  nach  diesen  Prämissen  nicht  aus  metaphysi- 
jKhom  Denken  der  Formalprincipien,  —  eine  sogcnamilc 
AbleUttng  apriori  oder  eine  immanente  Begriffsdialektik 
ecigt  sich  für  diese  Untersuchungen  vielmehr  als  gnus 
unzureichend ,   *-  sondern  aüein  aus  der  Bearbeitung  des 


kulativeu  Theologie    ia    iler  Zeilsclirift    für  Pbt- 
losophie  1830,  Bd.  V.  H.  2.  §,  23.  S.  179-65. 


naeh  Hireit  drei  HmqitdemeiitM.  i047. 

begebenen  ztt  beantworten  sein  ^  welches  die  wdtem  Na- 
tur und  innere  Abstufimgr  jener  im  Wechsel  der  Eraehei« 
Hangen  briiarrlichen  Weltsnbatanaen  sei.  Diesa  wird  Ar 
die  Rea  Iphil  osoph  i  o  die  eigendidi  grundlegende  Präge 
-werden;  es  sind  die  Kategorieen  der  Natur  imd 
des  Geistes,  —  das  ausgeführte  Bild  des  Weltsyw 
Siemes,  dessen  allgemeinen  Begriff,  —  als  der  objekfireii 
Vernunft,  die  ebenso  wohl  den  Weltzweck,  als  den  imma-* 
nenten ,  allgegenwärtigen ,  setzt ,  wie  innerhalb  dessetben 
eine  Reihe  von  Zwecksteigeningen  und  darin  den  schlecht« 
hin  höchsten  Zweck  enthält,  —  die  Metaphysik  ebenso  nur 
im  Allgemeinen  aufzuweisen  vermochte»  Erst  wenn  jene 
Zweckrethe  auf  erfahningsmassige  Weise  ohne  Locke  dar- 
gelegt ist ,  wird  sich  der  immanente ,  wie  der  kMiste 
Zweek  der  Dinge  begrifflich  und  empirisch  zugleich  er- 
kennen lassen :  es  ist,  von  Seiten  der  N  a  t  u  r,  die  Stnfe»» 
folge  der  Weltwesen  ,  das  natiörliche  System  der  Dinge, 
welchem  die  eine  Hälfte  aller  empirischen  Erkenntnisse  di0. 
Nffturforschung ,  als  ihrer  höchsten  Aufgabe  nuehzugekea 
hat;  es  ist,  von  Seiten  des  Geistes,  die  durch  alle  Frei« 
liett  des  geschichtlichen  Geisleslebens  sieh  hindurchzidieiMb 
Nothwendigkeit,  der  absolute  Zweck  der  Geschichte,  wet- 
chem  die  andere  Hälfte  der  Forschung,  die  Historie,  dvcb 
alle  Erscheinungen  und  Umwege  derselben  nachzugehen 
hat  Wenn  beide  ihre  Au%aben  gelöst,  das  concreto  WelU 
System  erbaut  haben,  wäre  das  Zid  auch  aller  netapiiysi^ 
sehen  Wissenschaft  erreicht.  Es  würde  dann  mchl  mekr 
der  Metaphysft,  als  einer  besondem,  „reinen^  Wissenschaft 
bedürfen;  sie  hätte  sich  äberflOssig  gemaebl,  indem  die 
Vernunft  der  Welt  und  ihr  höchster  Zweck  «n  dem  Sy- 
steme der  Thatsachen  empirisch  erhärtet  zu  werden  ver» 
möchte.  Erst  dann  würde  aber  die  Spekulation  ihre  e»« 
gentliche  Evidenz  errungen  haben,  die  nur  in  dem  vöBigen 
Eingehen  des  Begriffs  in  die  Anschauung  gefunden  wer- 
den kann.  Denn  nach  dem  wahren  Verhältnisse  der  Sache, 
hat  der  Begriff  sich  der  Anschauung  immer  adäquater  zu 
machen ,  nicht  die  Anschauung  sich  in  jenem  zu  abserbi« 


lOIB  Ofe  PyioMfUe  der  GagemmHt 

ren^  um  die  wahilidleii  wa  rmrim,  —  Em  wiie  diess  «He 
Epoehei  welche  wir  als  d«s  eifeiiUicIie  Ziel  vui  die  Voll- 
endinig  d^  Spekulation«  ale  das  apekulativ  anscliaii- 
ende  Erkennen  beseicbnelen «   wo  der  bidier  unver- 
meidliche Gegensatz  von  Begriff  md  Anachauung ,  Meta- 
physik nnd  Erfahrung ,  als  ein  fiberflitesiger  verschwinden 
wArde ,  — <*  in  einem  andern  Sinne  jedoch  ,  als  wohl  nnch 
vom  Heg  eischen  Principe  aus  dieser  Gegensatz  f&r  ntf- 
gehoben  gelten  könnte.    Hier  ist  es  die  Immanenz  des  Be- 
grüfes  und  seiner  ans  sich  selbst  spinn^den  Dialektik, 
der  sich  selbst  denkende  absolute  Begriff,  welcber  kei- 
ne Wahrheit  ausser  sich  übrig  lasst:   nach  Uegel  wire 
das  Ziel  aller  Wissenschafi ,  die  Empirie  in  Metaphysik  za 
verwandeln ;  nach  .unserm  Standpunkte  eriLonnt  die  Meta- 
physik an,  dass  sie  selber  die  Abbreviatur  des  Univ^wnns, 
dan  AllgemeinbUd  der  grossen  Verhältnisse  des  Wirklichen 
sei,  das  sich  immer  weiter  in's  £in:^ehie  auszuführen  hat 
Je  mehr  daher  die  Erfahrung  eine  stetige  wird ,  dmi  in- 
nem,  nothwendigen  Zusammenhang  ihrer  Theile  und  Ue- 
befginge  begreift,  desto  eigentlicher  wird  sie  spekulativ, 
duie  abbrevirend ,  metaphysisch ,  sein  zu  müssen.    Es  ist, 
diese  Einsicht  sich  klar  zu  erhalten,  jetzt  doppelt  nothig  — 
nach  entgegengesetzten  Seiten  hin  ,   nach  der  eines  Alles 
veischlingenden  Metaphysicirens,  wie  nach  der  andern  einer 
in*s  Endlose  sich  vereinzelnden»  hartnäckig  den  Ideen  sich 
versdiliessenden  Empirie ,  welche ,  um  jener  halbwahrea, 
noch  mehr  von  ihr  unverstandenen  Allgemeinheiten  willea, 
rieh  herausnimmt,  feindlich  oder  veraditend  gegen  die 
Spekulation  sich  zu  äussern« 

So  sehen  vrir  einer  reichen  philps^hischen  Zukunft 
entgegen,  und  Systemen ,  nach  weit  grösserem  Maassstabe 
und  mit  mächtigerer  Kombination  der  Ideen  entworfea, 
als  sie  bis  jetzt  möglich  waren,  wo  die  universalen  W^t- 
ihatsachen  selbst  noch  dunkel  und  empirisch  undurchdraa« 
gen  vor  uns  lagen.  Je  mehr  aber  jetzo  die  andern  Wn^ 
senschaften ,  besonders  die  der  Naturforschung,  in  diirek<» 
greüenden  Entdeckungen  mit  einander  wetteifern,  was  sie 


Jiaek  tbroB  dr«i  ÜMpteien^ntoii.  t«49 

nur  üitem  flldigim  Foitioiiveiteii  Hd  der  femeMMuneti 
Förderung  verdanken  9  de«lo  mehr  kötmle  iie  PkÜOMpWe 
Gelegenheit  haben ,  auch  ihreiseila  sie  nachmahmen ,  und 
den  Segen  dietos  sIeUfen  Gangies  nnd  «dieaes  innai€hligen 
ZnanminenwirlBens  an  jenen  m  erkennen. 

Hnch  manchen  Anaeiehen  der  letstan  Zeit  nfimUeh  n 
urlkeilen,  kann  die  FkOoserkie  näduldeni  in  Gefahr  eebai- 
nen,  alatt  dieaea  gevBdnaokten  Fertaehrettens  in  einem  aler 
Ugen  Büdnngfigange  sich  iviedisr   in*a  willkuhBKeh  Unf^ 
wisse  nn  verlieren ,  über  ihren  wahren  Brwerb   nnd  Ge- 
saniniMandpnnkt  deaarientirt  au  werden,  iind  nur  neu  aem 
zu  wollen  in    halb-  aafiHiger  Kembinaiion  alter  Princjpien 
oder  in  anbjdttiven  SehatfsinBiigketten.    Die  Geachtohie  der 
Phileaepfaie,  dar  kritia<Ae  FeaiMeilen  «Iterer  Standpunkte, 
welehes  jetsi  wieder  das  ToUe  und  gerechte  Int^resae  er- 
regt, ist  dennoch  nicht  dazu  beistimmt,  um  einen  denselben 
als  den  vorzugaweis  berecbligten  hervorattzieben ,  sondern 
durch  die  Erkenntnias  aller  und  ihres  gegenseitigen  Veiv 
haitniases  sieh  von  solcher  Ausschliesslichkeit  fitei  zu  ma« 
chen,    und   doch    von   aUen  ihr  Resultat  erworben  au 
haben. 

DemnngMKfttel  ist  diess  unsichere  Fortschreiten  der  Phi« 
losophie,  Und  Ihr  ^vielfaehes  Unbertasten  und  Versuchen, 
selbst  ihre  Wiederkdungen ,  weit  weniger  subjektir  und 
ztiMKg,  als  es  scheinen  kßnnte.  Es  ist  diess  nnabtrenn- 
lieh  ven  Jeder  ffire  Prineipien  erst  suchenden  ^  ober  ihren 
allgemoinen  Umfiing  und  die  Ordnung  ihrer  Tbeilo  sich  orien-* 
tirendea  Wissenschaft.  Die  Philosophie  ist  lediglich  noch 
in  ihrea  Anflingen  begriffen ;  und  mag  sie  historisch,  nach 
ihren  frfihesten  Versuchen  und  Ansätzen,  eine  der  öltesten 
sein,  so  ist  sie  nach  flirem  erarbeiteten  Resultate  die 
jüngste^  ja  sie  >kat  eigentlich  erst  jetift  zu  beginnen ,  weil 
sie  liber  ihre  allgemeinsten  Begriife^  und  den  einstweiligen 
Entwarf  ihres  eUcyklopadischen  Zusanunenhanges  noch  nicht 
hiaaisgekomnien  ist.  Wie  wenig  nodi  Dauerhaftes,  Ge- 
sundes, definitiv  Abgeschlossenes  an  den  grdssten  Syste- 
[     men  der  Gegenwiurt  gefunden  werde,   hat  unsere. Kritik 

67 


1050  Die  Plitlodopliie  der  Gegenwart, 

dersetben  gezeigt,  und  idockKiari  «ia  muMBitig  die 
fasseAdslen  an  InlMK,  die  ausgebUdeiUlen  an  Pnm»  wekbe 
irgend'eine  Zeü  lierrorgebraohIL' 

Dennoch  kann  dieas  VeiMllniw  der  Philosophie  nicht 
verwundern.    Ueberhanpt  ist:  aie  nur  der  Creoammtertag 
des  g^fialigen  Inhalts,  den  das  Menacheiigeschlecht  vat.  dem 
jedesmatigen  Standpunkte  '  seiner  weUgescbichttichao  Be- 
dang errungen  hat,  lind  die  fiesionderheilen  des  fflniihews, 
der  festgewordenen  Sitle,'^  des  empirischen  Erkennena,  niis» 
sen  erst  vorangegangen  sein  ,  che  die  PhiiMopfaie  sie  in 
ihre  AUgemeiMeit  msammenrassen  ud   in  ihr  begieifea 
kann.    Aber  das  MensehengesoUeciil-: -^  oder,  seine  Idee, 
das,  was  es  sein  sollte  und  könnte^  mftsste  trugen,  ?—  steht 
selber  noch  am  Anfange  seiner  Entwicklang,  jdie  Wettge- 
sehidite  ist ,  wie  ihre  Begleitferinn ,  die  Philosophie ,  auch 
noch  in  ihrer  Kindheit  Und  ausserddia  noch  «^  die  letzlere 
bedarf  überall  eines  festgestellten,  gepruflen ,  wohl  geord- 
neten empirischen  Materials  zu  ihrer  Unterlage.    Aber  wie 
jung  alle  ErfahrungswisscnschallbeB' ,.  wie  wenig  gesichtet 
und  genau  erprobt  ihre  empirisohen  Resultate  sind»  liegt  am 
Tage,  und  es  enthüllt  sich  immer  mehr,  wie  oft  ihr  Schein* 
reiobthum  nur  A^muth  oder  VonntheU  in  sieh  sehliesst. 

So  kann  auch  dio  Philosophie  nur  noch  mit  mangd- 
hafien,  partikularen  Prineipien.gebahiten;  aber  eben,  indem 
sie  diese  eu  unfvcrsaiisiren  sucht,  kommt  deren  Partiknlari- 
tät  -dabei  zur  Erkenntniss.  Daher  für  jeixt  noch  4ie  ein- 
seitigen Systeme,  denen  wir  doch  ftre  Berechtigung  sage- 
stehen  müssen ;  denn  für  bestimmte  .Sphären  ,  für  gewisse 
Thejflc  des  Gegebenen,  haben  sie  wirÜioh  Recht  und  ihr 
Werk  ist  ihnen  gelungen.  Wenn  nun  jeder  spekufaitive 
Forscher  *-*  jeder  selbststandigie  Forscheir  überhaupt  — 
ebenso  gut  die  Neigung  hat,  wie  den  Beruf  ^  seinem  Pria- 
cipe  Alles  sni  tmterwerfen  und  seine  Erklirungsweise  so 
weit  als  möglich  auszudehnen ;  so  ist  fast  unvermeidlich 
ausgeschlossen  Von  diesem  Thun  der  voUe  Sinn  lur  die 
Eigenthümlichkeit  des  Thatsächlichen  und .  für  die  Seiien 
dessdben,  welche  der  einmal   gewählten  AuUbssmg  sieb 


nach  ihren  drei  Hauptelementen«  1051 

^widersetzen.  Sie  zu  beseitigen  oder  ihnen  Gewalt  anzu« 
thun,  ist  daher  beinahe  allen  Theoretikern  begegnet.  Denn 
überhaupt  ist  Konsequenz  des  Durchführens  und  Vielseitig- 
keit des  Blicks  ein  schwer  zu  vereinigendes,  ja  kaum  je- 
mals Terbnndenes  Talent.  Und  so  geziemt  sich  Nachsicht 
mit  der  Konsequenz,  wie  mit  den  Inkonsequenzen  derPhi- 
losophirenden ;  denn  beide  gehören  eigentlich  zusammen : 
über  nicht  die  Nachsicht  einer  nnthäligen  Gleichgültigkeit  oder 
schlafTen  Verzweiflung,  sondern  einer  anerkennenden,  scharf 
abwagenden  Benutzung.  Auch  gegenwärtige  Schrift  hoill, 
wie  die  frühem  kritischen  des  Verfassers,  zu  dieser  Art 
der  Verständigung  einen  Beitrag  gegeben  zu  haben. 


Druckfehler. 

S.  561.  Z.  2.  von  Oben  statt  er  lies  es. 

S.  563.  Z.   13.  von  Uulen  statt  iirth  eilb  ar  I.  iint  heil  bar. 


.» 


Bonn»  gedruckt  bei  Carl  Georgi. 


4^ 


1 


BL-T  3  1  1931, 

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