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Full text of "Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie; zeitschrift für die gesamte Biochemie .."

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HARVARD UNIVERSITY. 


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MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. 


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BEITRAGE 
ZUR 


CHEMISCHEN PHYSIOLOGIE 


UND 


PATHOLOGIE 


VIERTER BAND 


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BEITRAGE 


ZUR 


CHEMISCHEN PHYSIOLOGIE 


UND 


PATHOLOGIE 


ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESAMTE BIOCHEMIE 


UNTER 


MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN HERAUSGEGEBEN 


VON 


FRANZ HOFMEISTER 


O0. PROFESSOR DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG 


VIERTER BAND 


BRAUNSCHWEIG 
VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 


1904 


Alle Rechte, namentlich dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen, 
vorbehalten 


M: 


II. 


IV. 


v1. 


Sl. 


v1l. 


INHALT, 


A. Abhandlungen. 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins und des 
Globins. Von Arthur Gamgee, M.D., F.R.S., emer. 
Prof. der Physiologie am „Owens College, Victoria Uni- 
ars aid Aacrart Hill, M. A. M.B. ... 7%. 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus und 
der Nebenniere, mit besonderer Berücksichtigung ihrer 
optischen Aktivität. Von Arthur Gamgee, M.D., emer. 
Professor der Physiologie am Owens College, Victoria 
Universität und Walter Jones, Ph. D., Associate 
Professor der Physiologischen Chemie an der John Hopkins 
Universität 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoff- 
wechsels. Erste Mitteilung: Der Hungerstoffwechsel der 
Insekten. Von Dr. med. B. Slowtzoff 


Über das Haarpigment. Von Dr. Eduard Spiegler 
(Wien), Dozent an der Wiener Universität. (Aus dem 
chem. Laboratorium von Hofrat A. Lieben, Wien.) 
Erste Mitteilung 
Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. Von Dr. Leonor 
Michaelis, Assistent an der I. medizin. Klinik der kgl. 
Charite in Berlin. (Aus dem tierphysiologischen Institut 
der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. Direktor: 
ER AR 


Über die antitryptische Wirkung des Blutes. Von Dr. Karl 


Glaessner. [Aus der medizin. Klinik zu Würzburg ' 


(Geh. Rat von Leube) und der inneren Abteilung des 
Augusta-Hospitals zu Berlin (Geh. Rat Ewald.)] . 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen 
Prozesse von physiologischen und pathologischen Verhält- 
nissen. Von Dr. Eugen Schlesinger, Kinderarzt. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 
Von Ivar Bang. (Aus dem physiologisch - chemischen 
Laboratorium zu Lund, Schweden.) Erste Mitteilung, Die 
Nucleoproteide der Thymus und deren Zusammensetzung 


Seite 


10 


23 


40 


59 


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IX. 


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XV. 


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XVII. 


XVIH. 


XIX. 


XX. 


XXI. 


Inhalt. 


, Seite 


Zur Kenntnis der Verdauungs- und Resorptionsvorgänge 


im Magen. Von Dr. Felix Reach (Karlsbad). (Aus 
dem physiologisch-chemischen Institut in Straßburg.) 


Zur Kenntnis der Ochronose. Von Dr. med. et phil. 
Leo Langstein. (Aus dem patholog. Institut des 
Krankenhauses Friedrichshain in Berlin. Vorsteher: 
Prof. v. Hansemann.) 


Der Brechungskoeffizient der Eiweißkörper des Blutserums. 
Von Dr. Emil Reiß. (Aus dem physiologisch- 
chemischen Institut zu Straßburg.) 


Uber die Wirkungsweise des Trypsins. Von Moritz 
Schwarzschild (Köln). (Aus dem ie 
chemischen Institut zu Straßburg.) 


Tryptophan, eine Vorstufe des Indols bei der Eiweiß- 
fäulnis. Vorläufige Mitteilung von Alexander 
Ellinger und cand. med. Max Gentzen. (Aus 
dem Universitäts- Laboratorium für medizinische Chemie 
und experimentelle Pharmakologie zu Königsberg i. Pr.) 


Über die Darstellung der Guanylsäure. Von Ivar Bang 
und C. A. Raaschou. (Aus dem physiolog.-chemischen 
Laboratorium zu Lund, Schweden.) 


Uber die Bestimmung des Fettgehaltes tierischer Flüssig- 
keiten nach Pflüger-Dormeyer. Von Professor Dr. 
Muneo Kumagawa und Privatdozent Kenzo 
Suto. (Aus dem medizinisch-chemischen Institut der 
Universität zu Tokio.) 

Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen 
Organismus. Von G. v. Bergmann. (Aus dem 
physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


Über Crotin-Immunität. Von Privatdozent Dr. Martin 
Jacoby, Assistenten am pharmakologischen Institut. 
(Aus dem pharmakologischen Institut zu Heidelberg.) 


Über die Wirkung des Rieins auf Fischblut. Ein Beitrag 
zur Frage der natürlichen Immunität. Von Dr. Albert 
Fraenkel-Badenweiler. (Aus dem pharmakologischen 
Institut zu Heidelberg.) 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. Von 
Dr. phil. et med. Anton Steyrer, klinischem Assi- 
stenten. (Aus der II. medizinischen Klinik in Berlin.) 


Zur Kenntnis der Eiweißbildung bei den Pilzen. Von 
Oskar Loew 


Über das biologische Verhalten von Nerol, Geraniol, 
Cyelogeraniol. Von Dr. med. Herm. Hildebrandt 


139 


145 


155 


171 


192 


224 


234 


247 


251 


XXI. 


XXI. 


XXIV. 


xXXV. 


XXVL 


XXVL. 


XXVIl. 


XXX. 


XXX. 


XXXI 


Inhalt. 


Über die Beurteilung des Fäulniszustandes von Fleisch 
nach dem Gehalt an Bernsteinsäure. Von Dr. H. Wolff, 
chem. Assistent an der I. med. Klinik in Berlin. [Aus 
der I. med. Klinik der Univ. Berlin (Abteilung für 
Krebsforschung). (Direktor: Geh. Rat Professor Dr. 
E. v. Leyden.)] 


Über die Einwirkung der Trypsinverdauung auf die Prä- 
zipitinreaktion. Von Dr. phil. et med. Karl Oppen- 
heimer, Assistenten des Instituts. (Aus dem tier- 
physiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hochschule Berlin, 
Dir.: Prof. Dr. N. Zuutz.) 


Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals 
eingeführten Eiweißstoffe im Tierkörper. Von Dr. phil. 
et med. CarlOÖppenheimer, Assistenten des Instituts. 
[Aus dem tierphysiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hoch- 
schule in Berlin. (Dir.: Prof. Dr. N. Zuntz.)] 


Über das Verhalten des genuinen Serums gegen die 
tryptische Verdauung. Von Dr. phil. et med. Carl 
Oppenheimer und Dr. phil. Hans Aron, Assistenten 
des Instituts. |Aus dem tierphysiol. Institut der Land- 
wirtschaftlichen Hochschule in Berlin. (Direktor: Prof. 
Dr. N. Zuntz.)] A a RR 

Die Fällung von Kolloiden. Von K. Spiro. (Aus dem 
physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 

Über einige Derivate des Taurins und die Synthese der 
Taurocholsäure.. Von Dr. Siegfried Tauber, Wien. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 


Von Ivar Bang. (Aus dem physiologisch - chemischen 
Laboratorium zu Lund, Schweden.) Zweite Mitteilung. 
Über die Konstitution des nativen Histonnucleinats 
Chemische Untersuchungen der lymphatischen Organe. 
Von Ivar Bang. (Aus dem physiologisch - chemischen 
Laboratorium zu Lund, Schweden.) Dritte Mitteilung. 
Über das Vorkommen von Nucleoproteiden in Lymph- 
drüsen, Milz, weißen Blutkörperchen und Sarkomen . 
Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. Von 
Dr. P. Morawitz. (Aus dem physiologisch-chemischen 
Institut der Universität Straßburg.) 


Über die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) im 
Organismus. Von Dr. Gustav Embden, Assistent am 
physiologischen Institut und Privatdozent Dr. Otto 
v. Fürth, Assistent am physiologisch-chemischen Institut 
zu Straßburg. (Aus dem physiologisch-chemischen Institut 
zu Straßburg.) ER REN 


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Seite 


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XXXV. 


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XXXIX. 


XL. 


XLI. 


XLI. 


XL. 


Inhalt. 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung ölhaltiger 
Samen. Von Dr. Otto von Fürth, Privatdozent und 
Assistent am physiologisch-chemischen Institut zu Straß- 
burg. (Aus dem nn OR Institut zu 
Straßburg.) 


Zur Physiologie des Warmblütermuskels, Von Dr.‘ Walther 
Freund, Assistenten der Klinik. (Aus dem Laboratorium 
der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.) 


Uber ein proteolytisches Ferment im Blute bei myelogener 
Leukämie. Von O. Schumm. (Aus dem chemischen 
Laboratorium des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg- 
Eppendorf.) 


Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. Von 
OÖ. Schumm. (Aus dem chemischen Laboratorium des 
Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.) 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoff- 
wechsels. Von Dr. med. B. Slowtzoff. Zweite Mit- 
teilung: Der Hungerstoffwechsel der Weinbergschnecke 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin und über 
das. Verhalten der Plasteinalbumosen zur Magen- und 
Dünndarmschleimhaut des Hundes. Von D. Kurajeff. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium der 
Universität Charkow.) 

Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen 
der schwefelhaltigen Eiweißabkömmlinge. Dritte Mit- 
teilung: Uber die Konstitution der Merkaptursäuren. Von 
E. Friedmann. (Aus dem physiologisch - ‚chemischen 
Institut zu Straßburg.) 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. Von 
Dr. J. Feinschmidt aus Charkow, Volontärarzt an der 
I. medizinischen Klinik in Berlin. (Aus dem Laboratorium 
der I. medizinischen Klinik zu Berlin.) 


Über die glykolytische Wirkung der Leber. Von Dr. Rahel 
Hirsch. (Aus dem er -chemischen Institut zu 
Straßburg.) a 


Über die koagulierende Wirken KERTEN EN re 
Extrakte auf Albumosenlösungen und Milch. Von 
Dr. A. Nürnberg. (Aus dem physiologisch-chemischen 
Laboratorium der Universität Charkow.) = 
Uber .die plasteinogene Substanz. Von .cand. med. 
H. Bayer. (Aus dem physiologisch-chemischen Institut 
zu Straßburg.) 

Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 
Von Dr. Leopold ‘Moll, Assistenten des Instituts. 


Seite 


430 


438 


453 


460 


476 


486 


511 


535 


555 


XLIV. 


Inhalt. 


(Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Uni- 
versität in Prog.) 

Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. Von 
Dr. Leopold Moll, Assistent des Instituts. (Aus 
dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität 
in Prag.) 

Berichtigungen 


B. Kürzere Mitteilungen. 


Wird der Muskelsaft durch Autolyse gebildet? Von 
Sigval Schmidt-Nielsen (Bergen, Norwegen). (Aus 
dem medizinisch - chemischen Institute der Universität 
Upsala.) 

Bemerkung zu der Arbeit von K. Glaeßner „Über die 
antitryptische Wirkung des Blutes“. Von K. Land- 
steiner 


Bemerkungen zu der Mitteilung von L. Langstein „Zur 
Kenntnis der Ochronose“. Von Dr. Emil Zdarek 


Über das Verhalten des Phenylglycins im_ tierischen 

Organismus. Von Fritz Rosenfeld. [Aus der 
I. medizin. Klinik der Universität Berlin. (Dir.: Geh. 
Rat E. v. Leyden.)] 


IX 


Seite 


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Beiträge 


zur 


Chemischen Physiologie 


und 


Pathologie 


Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben 
von 


Franz Hofmeister 


0. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 1. und 2. Heft 
(Ausgegeben Mai 1905) 


Braunschweig 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


1903 


Inhalt des 1. und 2. Heftes. 


Seite 
I. Arthur Gamgee und A. Croft Hille Über die optische Aktivität 
des Hämoglobins und des Gbms „4, .. 1. Ks mer 
II. Arthur @amgee und Walter Jones. Über die Nucleoproteide des 
Pankreas, des Thymus und der Nebenniere, mit besonderer Berück- 


sichtigung ihrer optischen Aktivität. . . » . U 
III. B. Slowtzoff. Beiträge zur vergleichenden Piysichogi ee Anger 

stoffwechsels. Erste Mitteilung . . . . 5 23 
IV. Eduard Spiegler. Über das Haarpigment. Erste Mitteilank. nes 

dem chem. Laboratorium von Hofrat A. Lieben, Wien). . . . . 40 


V. Leonor Michaelis. Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. [Aus 
dem tierphysiologischen Institut der ee Hochschule 
eu. Berlin. (Prof. Dr. Zina)] 2 er. 3% 59 
VI. Karl Glaessner. Über die antitryptische Wirkung des Blutes, 
[Aus der medizin. Klinik zu Würzburg (Geh. Rat v. Leube) und 


der inneren Abteilung des Augusta-Hospitals zu Berlin (Geh. Rat 
Bald) 2: ZT TE ne Se Dre 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie‘ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 36 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 


Die Ausgabe der Hefte erfolgt nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 


Manuskriptsendungen sind an den Herausgeber, Straßburg i. E,, 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 


Bei der Aufnahme von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und Übersichtlichkeit der Darstellung maßgebend sein. 
Polemische Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung” überschreiten, können nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solchen 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 


Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


I. 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins 
und des Globins. 


Von Arthur Gamgee, 


M. D., F. R. S., emer. Prof. der Physiologie am „Owens College, 
Victoria University“ 
und 


A. Croft Hill, m. A., M. B. 


Alle bisher veröffentlichten Beobachtungen über die optische 
Aktivität der Eiweiß-Substanzen haben ergeben, daß die letzteren, 
ob vegetabilischer oder animaler Herkunft, ausnahmslos die Polari- 
sations- Ebene nach links drehen. Ein Fall von Rechtsdrehung 
oder Inaktivität war bei ihnen bisher nicht bekannt.) 

Es gibt nun eine Gruppe von Eiweiß-Substanzen, welche, trotz- 
dem sie Körper von hohem physiologischem und chemischem 
Interesse umfaßt, hinsichtlich ihrer optischen Aktivität bisher 
vollkommen vernachlässigt worden ist. Das ist die Gruppe, welche _ 
von den deutschen Autoren als „Proteide“* bezeichnet worden ist. 
Diese Gruppe umfaßt jene hochzusammengesetzten Eiweiß-Sub- 
stanzen, welche mehr oder minder leicht gespalten werden können 
und dabei einerseits Eiweiß, andererseits Farbstoffe, Nucleine 
oder Nucleinsäuren und, als Zersetzungsprodukte der letzteren, 
Purinbasen liefern. Die hauptsächlichsten und charakteristischsten 
(lieder dieser Gruppe sind: 1) die Hämoglobine. und deren Verbin- 
dungen, 2) die Nucleoproteide und die Nucleine. 

Die Proteid - Verbindung „Hämoglobin“ zeichnet sich vor 
allen anderen Gliedern der Eiweißgruppe aus durch ihre Farbe, 
durch ihre merkwürdige Fähigkeit leicht spaltbare Verbindungen 
mit Sauerstoff und gewissen anderen Gasen zu bilden, ferner 
durch die ihr eigentümliche leichte Krystallisierbarkeit und Fähig- 
keit der Rekrystallisation, dadurch, daß sie sich frei von allen 
fremden Mineral - Substanzen darstellen läßt, endlich durch 


*) Vgl. die Anmerkung am Schlusse der folgenden Arbeit. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 1 


92 Arthur Gamgee u. A. Croft Hill, 


die staunenswerte Eigenschaft, daß ihre Lösungen keine der charak- 
teristischen Reaktionen gelöster Eiweiß - Substanzen geben, so- 
lange nämlich als sie noch keine fundamentale Zer- 
setzung durch ein Reagens erlitten haben, durch welche 
eine Trennung des Eiweißes und des Farbstoffes erfolgt. 

Zudem haben Untersuchungen des einen von uns kürzlich 
gezeigt, daß, während Hämoglobin ein diamagnetischer Körper 
ist, seine durch Säuren gewonnenen eisenhaltigen Zersetzungs- 
produkte nicht bloß paramagnetisch, sondern überhaupt — soviel 
bisher bekannt — die mächtigsten „ferromagnetischen“ organischen 
Körper sind.*) 

Diese, hinsichtlich ihrer physikalischen und chemischen 
Eigenschaften, so völlige Verschiedenheit des Hämoglobins von 
seinen unmittelbaren Zersetzungsprodukten ist so auffällig, daß 
es höchst interessant erschien zu prüfen, ob das Hämoglobin auch 
hinsichtlich seiner optischen Aktivität sich — wie ein echter Eiweiß- 
körper — als „linksdrehend“ erweist. War es möglich diese Frage 
zu entscheiden, so mußte der nächste Schritt der Forschung sein, 
die optische Aktivität der eiweißhaltigen Produkte und der Farb- 
stoff-Produkte des Hämoglobin-Moleküls zu bestimmen. 


1. Bestimmung der optischen Aktivität des Hämoglobins. 
Dasselbe ist rechtsdrehend. 


Soviel uns bekannt, ist das Verhalten von Lösungen farbiger 
organischer Körper in bezug auf ihre optische Aktivität bisher 
nicht zum Gegenstande ernster Untersuchung gemacht worden. 
Landolt**) erwähnt in der letzten Ausgabe seines maßgebenden 
Werkes, in welchem alle zuverlässigen Mitteilungen über die 
optische Wirksamkeit organischer Körper verzeichnet sind, nur 
_ einen rechtsdrehenden vegetabilischen Farbstoff, das Hämatoxylin. 
Seine alkoholische Lösung soll die Polarisationsebene nach rechts 
drehen. Daß das Studium der optischen Aktivität farbiger Lösungen 
darniederlag, kann uns nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, 
um wie viel größer die Schwierigkeiten sind, die sich ihrer Unter- 


*) A. Gamgee: „On the behaviour of Oxy-Hämoglobin, Carbonic- 
oxide-Hämoglobin, Methämoglobin, and certains of their derivatives in the 
Magnetic Field, with a Preliminary note on the Electrolysis of the Hämo- 
globin Compounds.“ (Proceed. of The Royal Society, Vol. 68, p. 503.) 

A. Gamgee: The Croonian Lecture for 1902. „On certain Chemical 
and Physical Properties of Hämoglobin.“ (Proceed. of The Royal Society, 
Vol. 70, p. 79.) Ara 

**) Dr. H. Landolt, Das optische Drehungsvermögen organischer 
Substanzen etc. Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage. Vieweg u. Sohn. 1898. 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins und des Globins. 3 


suchung entgegenstellen, im Vergleiche mit der Prüfung farbloser 
Flüssigkeiten. 


Untersuchungsmethode. 


Setzt man eine 1 cm dicke Schichte einer 0,9 Proz. Oxy- oder 
CO-Hämosglobin enthaltenden Lösung dem Durchtritte eines starken 
weißen Lichtstrahles aus, so bleibt von dem ganzen Spektrum 
einzig nur jener Teil unabsorbiert, welcher von der Linie B bis 
nahe an die rote Seite von D reicht. Daraus ging hervor, daß 
wir für unsere Versuche nur rotes Licht brauchen konnten und 
daß anstatt eines der gewöhnlichen in Laboratorien gebräuch- 
lichen Polarimeter, deren Einrichtung nur ihre Anwendung für 
Licht einer bestimmten Wellenlänge gestattet (die Halbschatten- 
Polarimeter vom Typus Laurent sind für monochromatisches 
Natriumlicht eingerichtet), ein Apparat angewendet werden .mußte, 
der die Untersuchung in Licht von beliebiger Wellenlänge zuließ. 

Anfangs bedienten wir uns versuchsweise der Lithiumflamme 
als Lichtquelle, allein es war unmöglich, damit ein genügend 
intensives oder konstantes Licht zu erzielen. Daher benutzten 
wir fürderhin das Licht einer Bogenlampe nach seinem Durchtritt 
durch Landolts Filter für rote Strahlen. 

Dieses Lichtfilter besteht aus einer Dovupelkammer von je 20 mm 
Tiefe. Die eine derselben enthält eine Lösung von Hexamethylpararos- 
anilin, das im Handel unter dem Namen „Krystallviolett“ 5 BO erhält- 
lich ist. Von dieser Verbindung wird 0.05 g in wenig Alkohol gelöst 
und dann mit Wasser bis zu einem Liter verdünnt. Läßt man Licht 
durch eine 20 mm dicke Schicht dieser Lösung treten, so erhält man als - 
Spektrum einen schmalen roten Streifen und einen breiten blauvioletten 
Teil. Enthält nun die zweite Abteilung der Doppelkammer eine Lösung 
von 10 g Kaliumchromat auf 100 ccm aq. dest., so wird auch das Blau- 
violett vollständig absorbiert, und vom Spektrum bleibt nur ein schmales 
Band, welches von 4 718 bis 4 639 uu reicht und hier scharf abgegrenzt 
endet. Der „optische Schwerpunkt“ entspricht / 665 uu, während die 
Wellenlänge von C = / 656,3 uu beträgt.*) 


Mit Hilfe des Lichtfilters erhielten wir einen annähernd homo- 
genen roten Lichtstrahl von der mittleren Wellenlänge der Linie © 
und von genügender Intensität, um Beobachtungen mit Lösungen 
von etwa 1 g Hämoglobin auf 100 cem Wasser zuzulassen. In den 
verschiedenen Beobachtungs - Serien benutzten wir Röhren von 
100 mm und 200 mm Länge. 

Als Polarimeter diente uns bei unseren Versuchen ein vorzügliches 
Lippichsches „Halbschattenpolarimeter“ mit dreiteiligem Gesichtsfeld, 


von Schmidt u. Haensch (Berlin) verfertigt, Eigentum des „Davy-Faraday 
Laboratory of the Royal Institution of Great Britain“. 


*) Landolt, op. cit. pp. 387—390. 
1* 


4 Arthur Gamgee u. A. Croft Hill, 


Das verwendete Hämoglobin. 


Die Hämoglobin-Lösungen, welche in diesen Bestimmungen 
angewandt wurden — die Resultate geben wir weiter unten — 
waren aus Oxy-Hämoglobin von bemerkenswerter Reinheit her- 
gestellt worden, welches aus Pferdeblut nach dem Verfahren von 
Zinoffsky*) und zwar nach seiner besten (der dritten) Methode 
gewonnen war. 

Es wurden zwei Präparate von Hämoglobin verwendet, die im 
Großen und in einem Zwischenraum von mehreren Monaten bereitet 
waren. Das Oxyhämoglobin war dreimal umkrystallisiert; das Produkt 
wurde jedesmal nach dem Krystallisieren viele Male mit eiskaltem, de- 
stilliertem Wasser gewaschen, dessen Reinheit durch Bestimmung seines 
elektrischen Widerstandes kontrolliert war. Die Lösung‘ enthielt 2,446 g 
Hämoglobin in 100 ccm. Behufs polarimetrischer Prüfung wurde diese 
Lösung mit dem gleichen Volumen destillierten Wassers verdünnt. Diese 
Lösung enthielt daher bei der Prüfung 1,223 g Oxyhämoglobin in 100 cem. 

Das zur Herstellung der CO-Hämoglobin-Lösung verwendete Prä- 
parat war viermal umkrystallisiert worden. Nach jeder einzelnen Krystalli- 
sation waren die Krystalle wie das Oxyhämoglobin mit reinem destil- 
liertem Wasser gewaschen worden, Die Lösung der gewaschenen Krystalle 
der vierten Krystallisation wurde mit CO gesättigt. Diese Lösung ent- 
hielt 1,84 g trockenen CO-Hämoglobins. Behufs polarimetrischer Messung 
wurde sie mit einem gleichen Volumen destillierten Wassers verdünnt. 
Die Lösung enthielt bei der polarimetrischen Untersuchung demgemäß 
0,92 g CO-Hämoglobin in 100 ccm. 


Versuche. 
A. Oxy-Hämoglobin. 

Die oben bezeichnete verdünnte Lösung von Oxyhämoglobin, 
welche 1,223 g Hämoglobin in 100 ccm enthielt, wurde gründlich mit O 
gesättigt, bevor sie der polarimetrischen Prüfung unterzogen wurde. 

In allen Beobachtungsreihen wurde das 1 Dezimeter-Rohr verwendet. 
Es wurden drei Versuchsreihen durchgeführt. 

Beobachteter Spezif. Drehung 


Winkel (@)e 
1. Mittel der ersten Beobachtungsreihe + 0°.12 A 
AR IPA „ zweiten N -+ 0°.125 +.10%2 
Bir, „ dritten 5 +:091935 7 20 


Aus obigen Beobachtungen schließen wir auf die spezifische 
Drehung des Oxy-Hämoglobins für Licht mittlerer Wellenlänge 
von C, (ac = + 10°.0 + 0°. 


B. CO-Hämoglobin. 


Mit der oben beschriebenen, verdünnten CO - Hämoglobin-Lösung, 
welche 0,92 g CO-Hämoglobin in 100 ccm enthielt, wurden zwei Beob- 


*) Zinoffsky, O., „Über die Größe des Hämoglobin-Moleküls“. Zeit- 
schrift f. physiol. Chemie, 10, 23 (1886). 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins und des Globins. 5 


achtungsreihen vorgenommen, die erste mit dem 1 Dezimeter - Rohr, die 
zweite mit dem 2 Dezimeter-Rohr. 


Länge Beobachteter Spezifische 
des Rohrs Winkel Drehung 


1. Mittel der ersten Beobachtungsreihe 1 Dezim. + 0°.098 + 10°.65 
Bsei, „ zweiten £ AT EN 103: 
Als Mittel beider Beobachtungsreihen erhalten wir für die 
spezifische Drehung einer Lösung von CO-Hämoglobin (Gehalt von 
0,92 g auf 100 ccm.) 


(en = 5 100,8. 


Berücksichtigt man das schwache Drehungsvermögen des 
Hämoglobins, so muß das Übereinstimmen des Drehungsver- 
mögens für Oxy- und CO -Hämoglobin befriedigend berühren und 
die Schlußfolgerung nahelegen, daß die Anlagerung des Sauerstoff- 
oder Kohlenoxyd-Moleküls an das Hämoglobin seine spezifische 
Drehung nicht beeinflußt. Den Beweis für die Richtigkeit dieser 
Schlußfolgerung lieferte das direkte Experiment. 


C. Dieselbe Hämoglobin-Lösung, das eine Mal mit O, das 
andere Mal mit CO gesättigt und verglichen. 


Um durch das direkte Experiment zu bestimmen, ob die 
lockere Verbindung des Hämoglobins mit OÖ und mit CO einen 
Einfluß auf die spezifische Drehung desselben ausübt, wurden 
Versuche mit derselben Oxyhämoglobinlösung ausgeführt, deren wir 
uns für die drei Beobachtungsreihen unter A bedient hatten und 
die 1,223 g in 100 cem Wasser enthielt. Eine Portion dieser | 
Lösung war mit OÖ gesättigt; eine andere Portion wurde mit CO 
bis zur vollständigen Verjagung des O aus seiner Verbindung mit 
Hämoglobin und dessen Ersatz durch CO geschüttelt. In dieser 
Weise erhielten wir zwei Lösungen, welche völlig identisch 
waren, bis auf den Umstand, daß in dem einen Falle das Hämo- 
globin mit O, in dem anderen mit CO verbunden war. Die 
Lösungen wurden in Röhren derselben Länge und unter den 
gleichen Beleuchtungsbedingungen geprüft. Es ergab sich in beiden 
Fällen gleiche Drehung; der mittlere Wert derselben entspricht 
der spezifischen Drehung (e)c = + 10°.0. 

Es muß bemerkt werden, daß die unter A und C mitgeteilten 
Beobachtungen später als die mit CO - Hämoglobin unter B vorgenommen 
wurden. Besonders in den Beobachtungen sub A war, infolge der vorher 
gewonnenen Frfahrung, die Intensität und Gieichmäßigkeit des ver- 
wendeten monochromatischen Lichtes befriedigender als in den Beobach- 


tungen sub B. Wir sind daher geneigt, die Zahlen, wie wir sie für die 
spezifische Drehung des Hämoglobins als Resultat der Beobachtungen 


6 Arthur Gamgee u. A. Croft Hill, 


sub A erhielten, als die zuverlässijgeren zu betrachten, ohne behaupten 
zu wollen, daß diese Zahlen durchaus endgültige sind, Sie kommen 
aber unseres Erachtens der Wahrheit sehr nahe. 


2. Bestimmung der optischen Aktivität des Globins. 
Dasselbe ist linksdrehend. 

Mit Globin bezeichnete Preyer das eiweißhaltige Produkt 
der spontanen Zersetzung des Hämoglobins, ohne jedoch im stande 
zu sein, dessen Eigenschaften, seine chemische Zusammensetzung, 
sein Verhältnis zu anderen Eiweiß - Substanzen näher feststellen 
zu können. Wir verdanken Fr. N. Schulz*) eine Untersuchung ver- 
hältnismäßig jüngeren Datums, deren Resultate bereits von Ivar 
Bang“*) im wesentlichen bestätigt worden sind, und welche wert- 
volle und vielversprechende Tatsachen betreffs der bei der Zer- 
setzung des Hämoglobins entstehenden hauptsächlichsten Produkte 
zu Tage gefördert hat. Schulz hat gezeigt, daß eine Lösung von 
Hämoglobin, durch Zufügung kleiner Mengen Salzsäure gespalten, 
als Hauptbestandteile liefert: 4,2 Proz. Hämatin und 86,5 Proz. 
einer charakteristischen Eiweiß-Substanz, für welche er den Namen 
Globin beibehält. Er hat ferner gezeigt, daß diese Substanz der 
Klasse der „Histone‘ angehört, und es hätte sich vielleicht em- 
pfohlen, den neuen Körper etwa „Hämato-Histon“ zu nennen, um 
sowohl seine Herkunft als seine Affinität zu bezeichnen. 

Die Methode der Globin-Bereitung wird von Schulzim wesentlichen 
geschildert wie folgt: 

Zu einer Lösung krystallinischen Hämoglobins, das man entweder 
nach dem Verfahren Hoppe-Seylers oder nach der Ammoniumsulfat- 
Methode gewonnen hat, wird verdünnte Salzsäure in minimaler Menge 
zugegossen, bis sich ein flockiger Niederschlag bildet, der bei dem ge- 
ringsten Säure-Überschuß sich sofort löst. Jetzt hat die Lösung nicht 
mehr die schöne rote Farbe des Hämoglobins, sondern ist braun ge- 
worden. Nicht nur — bemerkt Schulz — hat sich die Farbe geändert, 
sondern zwischen dem eiweißhaltigen Bestandteil des Hämoglobins und 
seinem Farbstoff ist eine vollständige Trennung eingetreten. Wird nun 
zu dieser Lösung, die jetzt schwach sauer reagiert, etwa !/, seines Vo- 
lumens an 80-proz. Alkohol zugegossen und die Mischung mit Ather aus- 
geschüttelt, so geht „der ganze Farbstoff in den Ather über“, während 
die untere wässerig - alkoholische, klare Lösung die entfärbte Eiweiß- 
Substanz enthält. Hinsichtlich der notwendigen Vorsichts - Maßregeln, 
um die vollständige Trennung der Eiweiß-Lösung von dem Farbstoff 
sicher zu stellen, gibt Schulz besondere Winke und betont dabei, daß 
Wasser, Alkohol und Ather in bestimmtem Verhältnisse stehen müssen, 


*) Schulz, Dr. Fr. N.: „Die Eiweißkörper des Hämoglobins.“ Zeitschr. 
f. physiol. Chemie. 24, 449 (1898). 

**) Bang, Ivar: „Studien über Histon.“ Zeitschr. f. physiol. Chemie. 
27, 463 (1899). 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins und des Globins. 7 


was für jeden einzelnen Fall erst experimentell festgestellt werden müsse. 
Durch obigen Vorgang erhält man eine mehr oder minder braun - gelbe 
Lösung, welche sowohl Alkohol als Wasser enthält und schwach sauer 
reagiert. Wenn man diese Lösung mit Ammoniak neutralisiert, so 
scheidet sich ein schwach gelber, grobflockiger Niederschlag aus. Dieser 
wird schnell abfiltriert und dann mit Wasser gewaschen. Wenn der 
Ammoniak-Überschuß entfernt ist, so beginnt der Niederschlag sich im 
Waschwasser zu lösen. In diesem Stadium wird er in Wasser, mit 
einigen Tropfen verdünnter Essigsäure, gelöst. Es geschieht dies schnell 
und vollständig. Der Säure-Überschuß wird mittels mehrtägiger Dialyse 
gegen destilliertes Wasser entfernt; auf diese Weise erhält man eine 
klare, geruchlose und geschmacklose Lösung von Globin, welche ganz 
neutral reagiert. 

Es kann nicht unsere Absicht sein, hier auf die Reaktionen ein- 
zugehen, welche Globin-Lösungen eigen sind und welche Schulz bewogen 
haben, es den „Histonen“ einzureihen. 

Bevor wir in Kürze die von uns angewandten Methoden 
der Darstellung von Globin-Lösungen, welche wir optisch unter- 
sucht haben, beschreiben, erscheint es wünschenswert, einigen 
Bemerkungen hinsichtlich einzelner Angaben von Schulz Raum 
zu geben. Bei der Besprechung der Salzsäure-Menge, welche man 
braucht, um Hämoglobin zu zersetzen, bemerkt Schulz lediglich, 
daß außerordentlich kleine Mengen genügen. („Die zu der 
Spaltung erforderliche Menge von Säure ist außerordentlich 
gering etc.“) Wir haben diese Menge genauer bestimmt. Das 
Ergebnis sehr sorgfältiger Versuche mit einer Lösung von 1,84 g 
auf 200 ccm Wasser war, daß 20 ccm "ıo Normal HCl nötig 
waren, um eine vollständige Trennung des Globins vom Farb- 
stoff zu erzielen. 

Wir fanden ferner, daß Äther, wenn das Schütteln nicht 
mehrmals wiederholt wird, nicht allen Farbstoff aufnimmt. Zeigt 
nach der Ätherausschüttelung die wässerig-alkoholische Globin- 
lösung auch nur die feinste Nüance von Strohgelb, so fällt das 
Globin bei der Neutralisation mit Ammon zwar anfänglich farblos 
aus, nimmt dann aber eine rötliche Färbung an und erscheint bei 
nachträglicher Lösung in leicht angesäuertem Wasser viel tiefer 
gefärbt, als die ursprüngliche wässerig-alkoholische Lösung. 

Für die polarimetrischen Untersuchungen stellten wir die 
Lösung auf folgende Weise her: 

Von einer Lösung viermal umkrystallisierten Hämoglobins wurden 
100 ccm, welche 1,84 g Substanz enthielten, mit 100 ccm Wasser verdünntund 
mit 20 ccm !/,, Normal-Salzsäure behandelt. Hierauf wurde die Flüssig- 
keit mit 44 ccm absoluten Alkohols versetzt, und in einem Scheidetrichter 
anhaltend mit dem gleichen Volumen Ather geschüttelt. Nachdem die 
wässerig-alkoholische Flüssigkeit von der darüber schwimmenden, äthe- 
rischen Lösung des Farbstoffs sich abgesetzt hatte, wurde noch zweimal 


8 Arthur Gamgee u. A. Croft Hill, 


mit frischen Äther-Mengen geschüttelt. Bei Einhaltung dieses Verfahrens 
gelang die Abtrennung der Globinlösung schon nach einmaligem Schütteln ; 
die Lösung hatte nach dreimaligem Schütteln nur eine Spur von Stroh- 
farbe. In gewissen Fällen wurde das Globin nach dem Verfahren von 
Schulz durch Ausfällen mit Ammon abgeschieden, der flockige Nieder- 
schlag darauf in sehr verdünnter Essigsäure gelöst. Auf diese Weise 
war die Globin - Lösung für die erste Reihe von Bestimmungen, über 
welche unten berichtet werden wird, hergestellt. Da es aber so nicht 
gelang, genügend farblose Lösungen zu erzielen, um die Bestimmung ihres 
Drehungsvermögens mit völliger Sicherheit für Licht von der Wellen- 
länge D vorzunehmen, so ermittelten wir wie beim Hämoglobin das 
Drehungsvermögen für Licht von der mittleren Wellenlänge C. 

In der zweiten Beobachtungs-Reihe wurde das Drehungsvermögen 
der wässerig-alkoholischen Lösung, die durch Zersetzung des Hämoglobins 
erhalten worden war, nach gründlichem Schütteln mit Ather bestimmt, 

Nachdem vorläufige Beobachtungen gezeigt hatten, daß Globin- 
Lösungen optisch aktiv sind und zwar linksdrehend, wurden die 
folgenden Versuchsreihen vorgenommen, in der Absicht, das spezi- 
fische Drehungsvermögen dieser Substanz zu bestimmen. 

Versuch 1. 

Eine Globin-Lösung in destilliertem Wasser, dem ein wenig Essig- 
säure zugesetzt war, wurde bei derselben Versuchsanordnung in rotem 
Lichte geprüft wie oben das Hämoglobin. Die Lösung enthielt 2,4 g 
Globin in 100 ccm. Sie gab in ganz charakteristischer Weise die Reaktionen 
des Globins. 

Die benutzte Röhre war 0,1 m lang. 

Der Drehungswinkel wurde im Mittel vieler Bestimmungen 
zu — 1°.30 gefunden. Nach obiger Berechnung folgt daraus für 
die schwach saure Globin-Lösung von 2,4 Proz. Gehalt 

das spezifische Drehungsvermögen 
lelce = — 54°.2. 
Versuch 2. 

Die ganz schwach strohgelbe Lösung, welche bei der Spaltung des 
Hämoglobins durch verdünnte Salzsäure entstanden, dann mit Alkohol 
und Ather behandelt worden war, wurde erst in einer flachen Schale 
durch mehrere Stunden dem Luftzug ausgesetzt und hiernach auf dem 
Wasserbade, bei 40°C, ganz von Ather und zum Teil von Alkohol befreit. 
Die vollkommen klare, strohfarbene Lösung hatte bei 16° C eine Dichte 
von 987,4 und enthielt 0,98 g fester Substanz in 100ccm. Diesmal wurde 
monochromatisches Natriumlicht für die polarimetrischen Beobachtungen 
benutzt. 

Die Röhre hatte 0,1 m Länge. 

Der Drehungswinkel betrug im Mittel vieler Bestimmungen 
— 00.64. Nach obiger Berechnung folgt für diese schwach saure, 
wässerig-alkoholische Globin-Lösung vom Gehalt 0,98 Proz. fester 
Bestandteile 

das spezifische Drehungsvermögen 
l@lp = — 65°. 


Über die optische Aktivität des Hämoglobins und des Globins. 9 


Es muß hervorgehoben werden, daß der Unterschied ın den 
Resultaten der beiden ausgeführten polarimetrischen Messungen 
sich zum größten Teile auf die Differenz der Wellenlängen des 
verwendeten Lichtes (C und D) zurückführen läßt. 


3. Schlußbemerkungen. 


Aus den hier geschilderten Versuchen ergeben sich folgende 
Schlußfolgerungen: 

1. Hämöglobin ist ein rechtsdrehender Körper. 

2. Globin, das hauptsächlichste oder, wie wir anzunehmen 
geneigt sind, das einzige Produkt eiweißartiger Natur der durch 
stark verdünnte Salzsäure erfolgenden Spaltung des Hämoglobins, 
erweist sich, hinsichtlich seines Verhaltens zum polarisierten Licht, 
als eine normale Eiweiß-Substanz, d.h. es ist ein linksdrehender 
Körper. 

Obwohl die Zahlen, welche wir für das spezifische Drehungs- 
vermögen der von uns geprüften Körper ermittelt haben, als recht 
nahe Wahrscheinlichkeitswerte angesehen werden müssen, so 
möchten wir doch ausdrücklich hervorheben, daß sie vielleicht 
einer Nachprüfung bedürfen. Betrefis des Hämoglobins müßten 
die Bestimmungen mit einer reineren monochromatischen und inten- 
siveren Lichtquelle als der von uns benutzten vorgenommen werden, 
und beim Globin müßte mit einem reineren Präparat gearbeitet 
werden als bei der gegenwärtigen, lückenhaften Kenntnis dieses 
Körpers möglich ist. 

Wir hoffen, diese Untersuchungen weiterführen zu können, 
und werden der optischen Aktivität der farbigen Zersetzungspro- 
dukte des Hämoglobin-Moleküls, namentlich dem Hämochromogen 
und Hämatin und dessen farbigen Abkömmlingen, unsere Auf- 
merksamkeit zuwenden. 

Schließlich danken wir den Leitern des Davy -Faraday - Labora- 
tory of the Royal Institution für ihr Entgegenkommen, welches 
uns die Durchführung des optischen Teils unserer Arbeit wesent- 
lich erleichtert hat. 


II. 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus 
und der Nebenniere, mit besonderer Berücksichtigung 
ihrer optischen Aktivität. 

Von Arthur Gamgee, 


M. D., emerit. Professor der Physiologie am Owens College, Victoria-Universität, 
und 
Walter Jones, 
Ph. D., Associate Professor der Physiologischen Chemie an der John Hopkins 
Universität. 


I. Bibliographischer und kritischer Teil. 


Bei Untersuchungen, welche der eine von uns gemeinsam 
mit Dr. A. Croft Hill ausgeführt hat*), war die Entdeckung ge- 
macht worden, dass das Hämoglobin die Polarisationsebene nach 
rechts dreht, während die daraus erhältliche histonartige Eiweiß- 
Substanz, das Globin, dessen Eigenschaften und Darstellungsweise 
erst seit den Forschungen von Fr. N. Schulz bekannt geworden 
sind, ein linksdrehender Eiweißkörper ist. 

De interessanten Beobachtungen machten es wahrscheinlich, 
daß auch die Nucleoproteide, ähnlich wie Hämoglobin, sich als 
rechtsdrehend erweisen dürften. Die ersten Resultate der hierauf 
gegründeten Untersuchungen sollen den Gegenstand dieser Mit- 
teilung bilden. Wie aus dem Folgenden zu ersehen ist, bestätigte 
sich unsere Vermutung, und es ist damit erwiesen, daß wenigstens 
einige Glieder der für die Lebensvorgänge im Organismus so 
wichtigen Gruppe der Eiweißkörper rechtsdrehende Substanzen 
sind. 

Als notwendige Vorbedingung für unsere speziellen Unter- 
suchungen erschien es, Nucleoproteide von solcher Reinheit und 
insvesondere so frei von jedwedem Farbstoff zu gewinnen, daß 
damit Lösungen hergestellt werden konnten, deren Durchsichtig- 
keit und Farblosigkeit die polarimetrische en gestattete. 


*) s die ee Arbeit, 


sl ee ee. 


Uber die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. s. w. 11 


Einleitende Bemerkungen über „Nucleoproteide“ und „Nucleine“ 
und über die Bedeutung dieser Bezeichnungen. 


Mit dem Ausdruck „Nucleoproteide“ bezeichnen wir Komplexe 
oder besser Verbindungen von Eiweißsubstanzen, welche im Kern- 
protoplasma aller Organe des tierischen Körpers, insbesondere 
aber der Drüsen mit oder ohne Ausführungsgang enthalten und 
dadurch charakterisiert sind, daß sie reichlich Phosphor und 
konstant etwas Eisen enthalten, daß sie unter dem Einfluß von 
Hitze, von Säuren, Alkalien und besonders von Pepsin und Salz- 
säure, bei günstiger Temperatur, sich in Eiweißstoffe und in soge- 
nannte echte Nucleine (nicht Pseudo-Nucleine) spalten. Diese 
„echten Nucleine* stellen sonach als Spaltungsprodukte nur einen 
Bruchteil des ursprünglichen Nucleoproteids dar. Sie sind sekun- 
däre, wir könnten sagen, degradierte Nucleoproteide, enthalten aber 
den gesamten Phosphor der Muttersubstanz. 

Unter der Einwirkung kaustischer Alkalien und höherer 
Temperatur liefern die Nucleine als Zersetzungsprodukte Eiweiß- 
substanzen und die sogenannten „Nucleinsäuren“, Körper, die 
zwar hinsichtlich ihrer Zusammensetzung bei den einzelnen Nu- 
cleoproteiden Verschiedenheiten aufweisen, für welche aber der 
Umstand charakteristisch bleibt, daß sie beim Erhitzen mit ge- 
wissen Mineralsäuren als Produkte der Hydrolyse neben Phosphor- 
säure einen oder mehrere Purin-Abkömmlinge, die bekannten 
„Aanthinbasen“, Adenin, Guanin, Hypoxanthin, Xanthin, häufig 
auch ein Pyrimidinderivat, das Thymin, C;H,;N,0,*) abspalten. 

Kossel, dessen vorzüglichen Forschungen wir zum größten 
Teil unsere Kenntnisse von den Nucleinsäuren verdanken, hat 
seiner Zeit im Hinblick auf die großen quantitativen Unterschiede 
im Gehalt der verschiedenen Nucleinsäuren an Xanthinbasen darauf 
hingewiesen, daß sich möglicherweise vier Nucleinsäuren unter- 
scheiden lassen, von denen jede nur eine einzige Purinbase liefert. 
Diese Vorstellung Kossels schien eine wichtige Stütze zu erhalten 
durch Ivar Bangs Entdeckung**) der Guanylsäure, einer Nuclein- 
säure, die man durch die Einwirkung von Alkalilauge auf die 
Nucleoproteide des Pankreas erhält und welche, wie der Name 


andeutet, bei der Hydrolyse nur eine Purinbase liefert, nämlich 
Guanin. 


*) Walter Jones, Zeitschr, f. physiol. Chemie. 29, 26 (1900), H. Steudel, 

„Die Konstitution des Thymins“. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 32, 285 (1901). 

**) Ivar Bang, „Die Guanylsäure der Pankreasdrüse und deren Spaltungs- 
produkte“. Zeitschr. f, physiol. Chemie. 36, 133 (1898). 


12 Arthur Gamgee und Walter Jones, 


Erweist sich diese Vorstellung, die nicht durchweg mit den 
bekannten Tatsachen (Schmiedeberg, Levene, Walter Jones 
und G. H. Whipple, T. B. Osborne*, im Einklang steht, als 
richtig, so muß angenommen werden, daß an dem Aufbau ver- 
schiedener Nucleoproteide mehrere Nucleinsäuren beteiligt sind; 
denn es besteht kein Zweifel, daß ein Teil der untersuchten 
Nucleoproteide bei der Hydrolyse mehr als eine Purinbase liefert. 

Hammarsten, dessen Untersuchungen der Nucleoproteide und 
ihres Verhältnisses zu den Nucleinen wir viel von unserer Kenntnis 
dieser Körper verdanken, möchte die Bezeichnung „Nucleine“ auf 
die Eiweißverbindungen der Nucleinsäuren beschränkt sehen, 
welche nach längerer Digestion mit Pepsin und Salzsäure ungelöst 
bleiben. Uns erscheint jedoch diese Beschränkung‘ unerwünscht 
und nicht ganz folgerichtig, und wir halten dafür, daß der Aus- 
druck Nuclein, den wir aus Gründen der Bequemlichkeit, der 
Geschichte und der Anschaulichkeit beizubehalten empfehlen, zur 
Bezeichnung aller primären Spaltungsprodukte dienen soll, welche 
durch einfache Hydrolyse hervorgehen aus der höher zusammen- 
gesetzten Muttersubstanz, dem nativen Nucleoproteid. In diesem 
Sinne wird der Ausdruck Nuclein in dieser Arbeit gebraucht 
werden, wobei es selbstverständlich erscheint, daß jedes „Nuclein“ 
zugleich als „Nucleoproteid“ zu betrachten ist, falls es die Ver- 
bindung eines Eiweißkörpers mit einer oder mehreren Nuclein- 
säuren darstellt. 


Über Hammarstens Untersuchungen der Nucleoproteide 
des Pankreas. 
In einer höchst interessanten und reichhaltigen Arbeit aus 
dem Jahre 1894 gab Hammarsten** einen Bericht über zwei 
Nucleoproteide, die er aus dem Pankreas dargestellt hatte. 


Den ersten dieser Körper nannte er „a-Proteid“. Er fand 


diesen Körper, der sich in Wasser löst, im kalten wässerigen 
Pankreas-Extrakte und beobachtete, daß er daraus durch Essig- 
säure gefällt wird und daß seine Lösungen beim Kochen gerinnen, 
wobei eine neue Substanz, das P-Nucleoproteid in Lösung bleibt. 


*) O. Schmiedeberg, Archiv f. experiment. Path. und Pharmak. 43, 57 
(1899). P. A. Levene, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 32, 541 (1901). Walter 
Jones & G. H. Whipple, American Journal of Physiology, 7, 423 (Sept. 1, 
1902). T. B. Osborne & Isaak E. Harıis, Zeitschr. f. physiol. Chemie. 36, 
85 (Sept. 1902). 

**) Qlaf Hammarsten, „Zur Kenntnis der Nucleoproteide“, Zeitschr. f. 
physiol. Chemie 19, 19 (1893). 


ee en N \ 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. s. w. 13 


ObschonHammarsten vollkommen erkannte, daß der ursprüngliche, 
der a-Körper, die Muttersubstanz darstellt, während das f-Proteid 
nur als Zersetzungsprodukt zu betrachten ist, widmete er letzterem 
vorwiegend seine Aufmerksamkeit. Einmal handelte es sich ihm 
damals um das Studium der nicht Eiweißnatur aufweisenden 
Abkömmlinge des Pankreas-Nucleoproteids, und so erschien es 
zweckmäßig als Ausgangsmaterial ein solches zu wählen, das 
weniger Eiweiß enthielt. Der Hauptgrund aber, weswegen er das 
interessante a-Nucleoproteid vorläufig nicht weiter verfolgte, lag 
in der großen Schwierigkeit, es in genügender Menge rein zu 
gewinnen, denn der Versuch der Reindarstellung führte zu einer 
allzu geringen Ausbeute. 

Hammarsten gibt an, daß eine der am schwersten zu be- 
seitigenden Verunreinigungen der Blutfarbstoff sei, daneben ein 
anderer Farbstoff, dessen Entstehung er dem Einfluß der Luft 
auf das Nucleoproteid selbst zuschreibt. Eine weitere dem Nucleo- 
proteid anhaftende Verunreinigung fand Hammarsten im Trypsin, 
dessen Abtrennung ihm nicht gelang. Er fand das proteolytische 
Vermögen der Substanz so kräftig, daß er auf keine andere Weise 
gleich wirksames 'TIrypsin gewinnen konnte. 

Den f-Körper gewann Hammarsten nicht durch Zersetzung 
der isolierten Muttersubstanz, sondern auf folgende Weise: Fein 
zerteiltes, vollkommen frisches Rinds-Pankreas wurde in Wasser 
gekocht und dem ganz klaren leicht gelblichen Filtrat nach der 
Abkühlung Salzsäure (1 bis 2 Teile) oder Essigsäure (5 bis 10 Teile 
auf 100 Teile Flüssigkeit) hinzugefügt. Den erhaltenen reich- 
lichen, weißen, flockigen Niederschlag löste er mit Hilfe von 
möglichst wenig Alkalı in Wasser und fällte nochmals durch Säure 
im Überschuß. Durch mehrmalige Wiederholung dieses Verfahrens 
wurde der ursprünglich gefällte Körper möglichst gereinigt. 

Es muß ausdrücklich betont werden — und Hammarsten 
selbst tut dies —, daß das sogenannte -Nucleoproteid nicht einen 
vorgebildeten Bestandteil des Pankreas darstellt, sondern ein 
„Nuclein“ ist, hervorgegangen unter dem Einfluß des siedenden 
Wassers aus dem nativen „Nucleoproteid (bezw. vielleicht aus 
mehreren Nucleoproteiden). 


Wir glauben nicht der Autorität des bedeutenden schwedischen 
Chemikers nahe zu treten, wenn wir der Bemerkung Raum geben, daß 
es uns zum erfolgreichen Studium eines Nucleins vorteilhafter schien, 
als Ausgangspunkt die reine Muttersubstanz zu wählen, als das in Form 
von tierischem Gewebe vorliegende Rohmaterial. Hammarstens 
8-Nucleoproteid läßt sich eben nur als ein „Nuclein“ oder als „Nuclein- 
gemisch“ auffassen, das durch die Wirkung kochenden Wassers auf die 
im Gewebe des Pankreas präformierten Nucleoproteide entsteht. 


14 Arthur Gamgee und Walter Jones, 


Ungeachtet dieses Einwands, müssen wir die bemerkenswerten, 
interessanten Tatsachen hervorheben, welche Hammarsten im Laufe 
der besprochenen Untersuchungen aufgefunden hat. Er hat eine Reihe 
Elementar-Analysen verschiedener Präparate dieses Nucleins ausgeführt 
und gezeigt, daß es beim Kochen mit Trommerscher Lösung direkt keine 
Reduktion gibt, wohl aber nach Erhitzen mit verdünnter Schwefelsäure. 
Obwohl es unmöglich war, die reducierende Substanz im reinen Zustand 
darzustellen, gelang es ihm, ein Osazon mit konstantem Schmelzpunkt 
zu gewinnen, dessen Merkmale mit denen des Osazons einer Pentose 
übereinstimmen, eine Beobachtung, welche völlig mit den Untersuchungen 
Kossels und Bangs und anderer über die Gegenwart eines Kohlehydrat- 
Kerns in den Nucleinsäuren im Einklang steht. Ferner hat Hammarsten 
gezeigt, daß sein Nuclein bei Erhitzen mit 2-proz. Schwefelsäure auf dem 
Wasserbade Guanin abspaltettee Auf Hammarstens Anregung hat 
später Ivar Bang die Untersuchung fortgesetzt, aus Hammarstens 
Nuclein die Nucleinsäure dargestellt und als Guanylsäure bezeichnet. 


II. Experimenteller Teil. 


1. Über das Pankreas-Nucleoproteid und über die von ihm 
sich ableitenden Nucleine. 


A. Das Nucleoproteid. 


Darstellungsweise. 

Gut zerkleinertes Schweinspankreas wurde succesive mit 50-proz. 
Alkohol, 75-proz. Alkohol und 95-proz. Alkohol und schließlich behufs 
Entwässerung mit Alkohol und Äther behandelt. Das so erhaltene Material 
wurde wiederholt mit einer 5-proz. Lösung von Ammoniumacetat extrahiert, 
die gesamte Extraktionsflüssigkeit klar filtriert und in das vierfache 
Volumen schwachen Alkohols gegossen. Der so gewonnene Niederschlag 
wurde durch Dekantierung mit einer grossen Menge verdünnten Alkohols 
gewaschen und schließlich mit absolutem Alkohol und Ather getrocknet. 
Der Zweck dieser Manipulationen war: die Entfernung des Farbstofis der 
Drüse, da sich dieser in verdünntem Alkohol etwas, mehr noch in alko- 
holischer Ammöoniumacetatlösung, aber auch, wenn auch nur in sehr 
geringem Grade, in einer wässerigen Solution von Ammoniumacetat löst. 
Durch diese Manipulationen werden zugleich große Mengen anorganischer 
Salze entfernt, und die gerinnbaren Eiweißsubstanzen werden unlöslich. 

Eine 2-proz. wässerige Lösung dieses Rohprodukts war nur blaßgelb 
gefärbt und konnte selbst in einer 220 mm langen Röhre und bei An- 
wendung von monochromatischem Natrium - Licht ohne Schwierigkeit 
polarimetrisch untersucht werden. Als Polarimeter diente ein „Halb- 
schatten-Polarimeter“ nach Laurentschem Modell, von Schmidt und 
Haenschin Berlin. Die Untersuchung ergab, daß die Lösung 
eine rechtsdrehende Substanz enthielt. Die Lösung ließ 
keine Spur einer Reduktion erkennen, selbst nicht nach längerem Kochen 
mit Fehlingscher Lösung. Sie enthielt reichlich eine Substanz, welche 
bei der Hydrolyse mit Schwefelsäure Xanthinbasen abspaltete. 

Die Hauptportion der Drüsensubstanz wurde, nach Reinigung in 
oben geschilderter Weise, mit 20 Teilen Wasser behandelt und die filtrierte 
Lösung tropfenweise mit Essigsäure versetzt. Als der Säuregehalt der 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. s. w. 15 


Flüssigkeit 1 Proz, betrug, fiel ein Niederschlag in scharf begrenzten 
weißen Flocken aus. Der Niederschlag wurde abcentrifugiert, in Wasser 
aufgenommen und, während die Reaktion der Flüssigkeit beständig mit 
Lackmus geprüft wurde, mit einer überaus verdünnten Ammoniaklösung 
tropfenweise versetzt. Eine sehr geringe Menge Alkali genügte, um die 
anhaftende Essigsäure zu neutralisieren: die Lösung wurde neutral und 
blieb es auch bis etwa doppelt so viel Ammoniak verwendet worden 
war, als zur vollständigen Lösung des Nucleoproteids genügt hätte. 
Augenscheinlich ist das Nucleoproteid mindestens eine zweibasische 
Säure, deren saures Ammonsalz wasserlöslich ist und sich gegen Lackmus 
neutral verhält. 

Das Nucleoproteid wurde durch abwechselndes Lösen in Ammoniak 
und Fällen mit sehr geringen Mengen Essigsäure gereinigt. Die zuletzt 
erhaltene Lösung wurde zur 5fachen Menge 95-proz. Alkohol gegossen, 
wiederbolt durch Dekantieren mit sehr großen Mengen 95-proz. Alkohol 
und Ather gewaschen und dann in einem Exsiccator über Schwefelsäure 
aufbewahrt. 


Optisches Verhalten. 
1. Eine gewogene Menge des Nucleoproteids wurde mit Wasser, 
nach Zufügung einer Spur Ammoniak, aufgenommen. Die Lösung 


wurde mit Wasser bis zu einem bestimmten Volumen aufgefüllt 
und polarimetrisch untersucht. 


Gewicht der Substanz (W) . . . ....1.006 g 
Volumen der Lösung (V) . . . . ....25 ccm 
Abgelesener Ablenkungswinkel (a) . . +3°4‘ 
Banse der Röhre (l) ==--..:.... ... . 200 mm 
are. FAE 
DE 


2. Dieses Ergebnis wurde bestätigt durch die Prüfung eines 
anderen Nucleoproteid-Präparates. 


Gewicht der Substanz . . . ... ... 0500 g 
Volum der Lösung . . ERENFERN: VE 
Abgelesener Ablenkungswinkel BE DEAL BE SO 
Länge der Röhre. . . . 22 an 
(a) x 
HB - my +tap 


Als die Lösung mit Essigsäure im Überschusse versetzt und 
der Niederschlag abfiltriert worden, erwies sich das Filtrat als 
inaktiv. 


B. Das neben dem Nucleoproteid vorhandene, vermutlich aus 
ihm hervorgegangene Nuclein und die „Restsubstanz“. 


Darstellung. Der wässerige Auszug der gereinigten Drüsen- 
substanz (siehe oben), aus welchem durch Zusatz von Essigsäure bis zu 
1 Proz. das Nucleoproteid abgeschieden worden war, wurde neuerdings 


16 Arthur Gamgee und Walter Jones, 


tropfenweise mit 20-proz. Essigsäure versetzt. Bis zu 2 Proz. Säure- 
gehalt war nicht der geringste Niederschlag zu bemerken. Bei weiterem 
Zusatz trat jedoch Trübung auf, und bei einem Säuregehalt von 5—6 Proz. 
schied sich ein wohlbegrenzter, flockiger Niederschlag aus. Dieser Nieder- 
schlag, den wir Nuclein nennen wollen, wurde abcentrifugiert und mit 
Hülfe der Centrifuge, unter großem Materialverluste, zweimal mit Wasser 
gewaschen. Das Produkt wurde in Wasser verteilt und durch sehr vor- 
sichtigen Zusatz von Ammoniak in Lösung gebracht. Als das Nuclein 
vollständig gelöst war, reagierte die Flüssigkeit auf Lackmus noch sauer. 
Diese Lösung wurde in das 4fache Volumen 95-proz. Alkohol gegossen; 
das ausgefallene Nuclein wurde gewaschen, und nach der oben für das 
Nucleoproteid beschriebenen Methode getrocknet. 

Die Flüssigkeit, aus der das „Nuclein“ ausgefällt worden war, 
wurde nun zur 4fachen Menge Alkohol gegossen, der dabei erhaltene 
Niederschlag gewaschen und durch Alkohol und Ather entwässert. Dieses 
Präparat, welches natürlich sehr unrein, besonders reich an anorganischen 
Salzen war, werden wir später als „Restsubstanz“ beschreiben. 

In der beschriebenen Weise haben wir durch fraktionierte 
Fällung mit Essigsäure, bei Gegenwart anorganischer Salze, drei 
Präparate erhalten: 

1. Das Nucleoproteid, welches zweifellos mit dem von 
Hammarsten als a-Proteid bezeichneten Körper identisch ist: 
nahezu unlöslich in reinem Wasser, aber löslich in der geringsten 
Menge von Ammoniak und Natronlauge. 

3. Der Körper, den wir Nuclein genannt haben, um unsere 
Ansicht über seine Verwandtschaft mit der ersten Substanz zu 
kennzeichnen; derselbe ist in Wasser sehr leicht löslich. 

3. Die „Restsubstanz“. 

Zusatz einer Spur Kupfersulfat färbt die Lösung des Nucleo- 
proteids in Natronlauge schön rosa; aber man gewahrt keinen 
Schimmer von Violett, ehe nicht eine verhältnismäßig große Menge 
Kupferlösung zugefügt worden ist, eine Reaktion, welche der 
„Biuret-Reaktion“ der Proteosen sehr ähnelt. Das „Nuclein“ gibt 
bei ähnlicher Behandlung nur eine ganz schwache Rosafarbe und 
das Violett erscheint schon bei ganz geringem Kupferzusatz, während 
die „Restsubstanz“ von Anfang an eine violette Färbung gibt. 

Der eine von uns hat kürzlich gezeigt, daß das Nucleoproteid 
des Pankreas, wie es im wesentlichen nach der für die oben be- 
schriebenen Präparate angewandten Methode erhalten wird, bei 
der Hydrolyse zwei Xanthinbasen liefert; nämlich Guanin und 
Adenin und zwar in einem Verhältnis, das nahe 4 Äquivalenten des 
ersteren zu einem Äquivalent des letzteren entspricht. Das „Nu- 
clein“ und die „Restsubstanz“ geben gleichfalls bei der Hydrolyse 
mit Schwefelsäure Xanthinbasen. Alle drei Präparate sind phoshor- 
haltig; alle werden aus wässerigen oder schwach alkalischen Lösungen 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. 8. w. 17 


durch Zusatz einer Spur Salzsäure vollständig gefällt und alle 
geben beim Kochen ihrer neutralen Lösungen Niederschläge. 


Optisches Verhalten des Nucleins. 


Bevor sich uns die Gelegenheit zu einer optischen Unter- 
suchung des Nucleoproteids bot, haben wir uns durch folgende 
Beobachtung davon überzeugt, daß das spezifische Drehungsver- 
mögen der Substanz, die wir als Nuclein bezeichnen, höher sein 
muß als das des Nucleoproteids. 

Eine vollkommen neutrale und klar filtrierte Lösung des 
Nucleoproteids, hergestellt durch Behandlung eines Teiles der 
Substanz mit Wasser und einer zur Erzielung vollständiger Lösung 
unzureichenden Menge Ammoniak, zeigte im 200 mm Rohr eine 
Drehung um 1°46‘. Die Lösung wurde zum Kochen erhitzt und 
das geronnene Eiweiß abfiltriert. Die Polarisation des Filtrats im 
200 mm langen Rohr ergab eine Drehung von 1°49. Wir wissen 
nun, daß das Kochen einen Teil des eiweißhaltigen Materials, 
welches vorher einen Bestandteil des Nucleoproteid-Komplexes 
bildete, in ein Nuclein umwandelt. Da der Drehungswinkel in 
unserem Experiment bei gleicher Rohrlänge konstant blieb, so 
kann aus der durch die Koagulation bedingten Abnahme an ge- 
löster Substanz nur auf eine Zunahme des spezifischen Drehungs- 
Vermögens geschlossen werden. 

Es wurde ferner die direkte Bestimmung des spezifischen 
Drehungs- Vermögens des Nucleins vorgenommen. Der Körper 
war in Wasser gelöst, und da die Flüssigkeit noch einen Stich 
Farbe hatte, wurde sie in einem kürzeren Rohre, als wir sonst 
benutzten, geprüft. 


Gewicht der Substanz . .,. 2 ...1009 g 
Volum der Lösung . . Re ER in 
Abgelesener A hlanknneewiakei RR UT N 
zanso des Rohres . . '.:. .. „7 .:..v.100 mm 
A ER 
ee SE. — + 64,4 


Die Lösung wurde mit Salzsäure behandelt, um das Nuclein 
auszufällen, und die filtrierte Flüssigkeit in enem 200 mm Rohr 
geprüft. Die Lösung war schwach linksdrehend (—0° 9%). Zur 
Erklärung dieser Beobachtung müssen wir bemerken, daß wir 
mehrmals sehr schwach linksdrehende Filtrate erhielten, wenn 
Salzsäure zum Fällen des Proteids verwendet, besonders wenn 
die saure Flüssigkeit in Kontakt mit dem Niederschlag gelassen 
worden war. Vermutlich ist die negative Drehung einem dabei 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 2 


18 Arthur Gamgee und Walter Jones, 


entstehenden in verdünnter Salzsäure löslichen linksdrehenden 
Eiweißkörper zuzuschreiben. Wie das Nucleoproteid, gibt auch 
das Nuclein beim Kochen der Lösung ein Gerinnsel, ohne daß sich 
die Drehung der Lösung merklich ändert. Dieser Umstand deutet 
auf die Gegenwart eines Nucleins hin, dessen spezifisches Drehungs- 
Vermögen größer ist als 64,4°. Es läßt sich leicht nachweisen, 
daß eine derartige Substanz im Präparat vorhanden jst. Wir haben 
sie oben als „Restsubstanz“ bezeichnet. 

Eine abgewogene Menge dieser Substanz wurde in einem 
abgemessenen Volum Wasser gelöst. Die Lösung wurde polari- 
metrisch untersucht, mit Salzsäure behandelt und die Menge der 
ins Filtrat übergehenden optisch inaktıven Substanz ermittelt. 

Es wurden folgende Zahlen erhalten: 


Gewicht der verwendeten Substanz . . . . . 05208 
(Gewicht der optisch inaktiven Substanz . . . 0,269 „ 
Gewicht der optisch aktiven Substanz . . . . 0,251 „ 
Volum der Lösung . . ER 
Abgelesener Ablenkungswinkel EEE EDEN. 
Länge des Rohres . . De I. en > 
(a) a. v 
nr mr —=-81,1° 


©. Hammarstens Präparat. 


Wie wir bereits ausgeführt haben, muß Hammarstens p-Nu- 
cleoproteid, welches aus dem Pankreas durch Kochen der fein 
zerteilten Drüse mit Wasser gewonnen wurde, ipso facto ein 
Nuclein sein. Die von uns erhaltenen Ergebnisse legten den 
Wunsch sehr nahe, auch diese Substanz einer optischen Prüfung 
zu unterziehen. Unter geringfügiger Abweichung“) von Ham- 
marstens Vorgang (die sich als absolut notwendig erwies, um 
den Farbstoff zu entfernen, aber unmöglich die chemische Natur 
des Produktes beeinflussen konnte) gelang es uns, ein Nuclein 
darzustellen, welches mit Hammarstens Präparat (-Nucleo- 
proteid) identisch sein mußte. Die Substanz, welche wir erhielten, 
war wasserlöslich und gab eine violette Biuret-Reaktion. Ihre 
Lösung war verhältnismäßig stark gefärbt, besaß aber ein so 
großes Drehungsvermögen, daß sich ziemlich befriedigende polari- 


*) Wir benutzten Ammoniak zur nochmaligen Lösung des Nucleins 
anstatt eines fixen Alkali, wie dies Hammarsten tat. Auch haben wir zuletzt 
eine wässerige Lösung von Nuclein in 95-proz. Alkohol gegossen und mittels 
Dekantierens gewaschen, anstatt zu filtrieren. 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. s. w. 19 


metrische Beobachtungen, auch mit stark verdünnten Lösungen, 
anstellen liessen. Die Substanz drehte rechts. 
: Folgende Zahlen wurden erhalten: 


Gewicht der Substanz . . . ...0.. 0.2008 
Volum der Lösung . . EAN GCHN 
Abgelesener sine (Mittel 
aus SıAblesungen) . .- ... u... 0947 
Eee des Rohres 0... 4... 4% 100 2m 
ek sahN: F 
re 


2. Über das Nucleohiston der Thymusdrüse, 

Auf den ersten Blick scheint es ein Leichtes, diese Substanz 
in beliebiger Menge nach dem sehr einfachen Verfahren herzu- 
stellen, das Lilienfeld in zwanzig Zeilen beschreibt*). 

Diese Methode führt jedoch zu einem Produkt, dessen Lösungen 
so stark opalescent sind, daß an eine optische Prüfung nicht 
gedacht werden kann. Die Trübung ist so beständig, daß wir 
eine Zeit lang zu der Ansicht neigten, sie sei eine der Substanz 
angehörige Eigenschaft. Schließlich erhielten wir jedoch Lösungen 
nahezu von der Farblosigkeit und Durchsichtigkeit destillierten 
Wassers. Es ist nur notwendig, Lilienfelds Präparat mit einer 
5-proz. Lösung von Ammonacetat auszuziehen und zu filtrieren. 
Die Flüssigkeit filtriert sehr langsam, aber ganz klar und ohne 
Unterbrechung. Die Lösung wurde in 95-proz. Alkohol gegossen, 
das ausgefallene Proteid gewaschen und mit Alkohol und Äther ge- 
trocknet, wie wir es bei den anderen Präparaten beschrieben haben. 
Die so erhaltene Substanz wurde polarimetrisch in einer Lösung 
untersucht, die mittels stark verdünnten Ammoniaks hergestellt war. 

Folgende Zahlen wurden erhalten: 


Gewicht der Substanz —. . 7 .„'. 2083 g 
Volumen der Lösung . . a en Rei 
Abgelesener Ablenkungs w inkel ER 
Länge des Rohres . . . er 7 2 TO 
Bea: 2 R 
777 W = +375 


3. Uber das Nucleoproteid der Nebenniere. 
In einer in Gemeinschaft mit G. H. Whipple vorgenommenen 
Untersuchung beschrieb vor kurzem der eine“) von uns das 


*) Leon Lilienteld, „Zur Chemie der Leukocyten“, Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 18, 473 (1894). 
#*) Walter Jones und G. H. Whipple, „The Nucleoproteid of the Supra- 
renal Gland“, American Journal of Physiology. 7, 423 (Sept. 1, 1902). 
9% 


20 Arthur Gamgee und Walter Jones, 


Nucleoproteid der Nebenniere und konnte konstatieren, daß dieser 
Körper ein Thymonucleoproteid ist. Spätere Analysen erwiesen 
die Identität der Nucleoproteide der Nebenniere vom Ochsen und 
vom Schaf. Sie weichen in ihrer chemischen Zusammensetzung 
kaum vom Nucleoproteid des Pankreas ab, wie es im wesentlichen 
nach oben beschriebener Methode erhalten wird. 

In nachstehender Tabelle sind die Ergebnisse der Analysen 
dieser Körper zusammengestellt. Vergleichshalber sind auch die 
von Hammarsten an seinem Präparate gewonnenen Analysen- 
werte eingereiht. 


Nucleoproteid 


Nucleoproteid 


Bee der Nebenniere des Pankreas ne 
vom Schaf vom Ochsen vom Schwein Präparat 
& 46,22 Proz. 46,81 Proz. 45,83 Proz. | 43,62 Proz. 
REF RFRT In. le 0.38 BOB 5A, 
r 410 Ra 309. 7% 448 „ 
N 1:92." ng 17.35.2 % 17,42 11:39 5% 


Soweit die verfügbaren Beobachtungen ein Urteil gestatten, 
liefern die Nucleoproteide des Pankreas und der Nebenniere 
Guanin und Adenin im gleichen relativen Verhältnis, so daß es 
scheint, daß ein Molekül einer Nucleinsäure oder eines Nucleo- 
proteids zwei verschiedene Xanthinbasen liefern kann. 

Bekanntlich bildet der charakteristische, physiologisch aktive 
Bestandteil der Nebennieren, wenn er in wässeriger Lösung der 
oxydierenden Wirkung der Luft ausgesetzt wird, ein dunkelbraunes 
Pigment. Daher sind wässerige Auszüge des Organs immer stark 
gefärbt und bieten bei der optischen Prüfung große Schwierig- 
keiten. Ist infolgedessen auch das Arbeiten mit dem Nucleo- 
proteid der Nebenniere weniger befriedigend, als man wünschen 
möchte, so kann doch ganz sicher festgestellt werden, daß auch 
dieses Nucleoproteid rechts dreht. 


Die Methode der Isolierung, welche wir benutzt haben, weicht nicht 
wesentlich von dem oben beschriebenen Verfahren ab; nur wurde das 
Organ mehrmals mit Essigsäure ausgezogen, bevor das Nucleoproteid ent- 
fernt worden war. Inbetreff der näheren Beschreibung verweisen wir auf die 
oben ceitierte Arbeit. Wir erhielten schließlich eine Substanz, die zwar für 
eine genaue, polarimetrische Bestimmung noch zu stark gefärvt war, aber 
doch in verdünnter Lösung leicht als rechtsdrehend erkannt werden konnte. 


Wir erhielten folgende Zahlen: 


(Gewicht der Substanz 0,199 & 
Volum der Lösung . 25 cem 
Abgelesener em net 00283 

Länge des Rohres . 100 mm 


er — +48 1! 


Über die Nucleoproteide des Pankreas, der Thymus u. s. w. 91 


Dieser Wert bedarf vielleicht einer Nachprüfung, kommt aber 
zweifellos der Wahrheit nahe. 


III. Zusammenfassung der Ergebnisse. 


Bevor wir die Schlußfolgerungen ziehen, zu welchen nach 
unserem Dafürhalten, die in dieser Arbeit vorgeführten Unter- 
suchungen berechtigen, möchten wir das Ergebnis derselben kurz 
zusammenfassen: 


Wir haben sechs Nuclein-Substanzen aus verschiedenen Drüsen 
dargestellt und haben Methoden angegeben, mit Hilfe deren mehrere 
derselben isoliert und genügend frei von Farbstoff erhalten werden 
können, um eine exakte polarimetrische Bestimmung zu gestatten. 
Alle diese sechs Substanzen liefern bei der Hydrolyse Eiweiß- 
körper, Phosphorsäure und Purin-Abkömmlinge, und alle enthalten 
Eisen in fester Verbindung; sie sind daher sämtlich Nucleoproteide, 
im weitesten Sinne des Wortes. 

Die Darstellungs-Methoden waren so gewählt, daß alle be- 
kannten rechtsdrehenden Substanzen, welche sonst im Organismus 
vorkommen, ausgeschlossen blieben. Bei allen Präparaten wurde 
ferner die Abwesenheit von Substanzen konstatiert, welche 
Fehlingsche Lösung rasch oder langsam reduzieren. Trotzdem 
erwiesen sich alle diese Substanzen als rechtsdrehend. Das ge- 
gefundene spezifische Drehungsvermögen variierte für Licht von 
der Wellenlänge D, von + 37,5° (Nucleohiston der Thymusdrüse) 
bis zu + 97,9° (Hammarstens 8-Nucleoproteid des Pankreas). 


Die beobachteten Tatsachen berechtigen zu nachstehenden 
Schlußfolgerungen: 


1. Die Nucleoproteide (im weiteren Sinne des Wortes, d. h. 
einschließlich der Verbindungen der Nucleinsäuren mit Eiweiß- 
Substanzen), welche im Pankreas, in der Thymus und in der Neben- 
niere enthalten sind, sind rechtsdrehende Eiweiß-Verbindungen. 


2. Wenn ein Nucleoproteid durch Abspaltung von Eiweiß- 
Molekülen in ein Nucleoproteid des „Nuclein“-Typus übergeführt 
wird, so nimmt sein spezifisches Drehungsvermögen zu. 


3. Folgerichtig läßt sich erwarten, dass nicht nur die wohl- 
charakterisierten und typischen Nucleoproteide, die den Gegen- 
stand unserer Untersuchungen gebildet haben, sondern überhaupt 
alle Nucleoproteide, einschließlich der sogenannten Nucleine, eine 
Gruppe rechtsdrehender Substanzen bilden. 


22 Arthur Gamgee und Walter Jones, Über die Nucleoproteide u. s. w. 


Nachträgliche Bemerkung. 

Erst kürzlich ist es dem einen von uns zur Kenntnis gelangt, 
daß weiland Prof. Alexander Schmidt”) in Dorpat in seinen 
Untersuchungen über die Gerinnung des Blutes die Tatsache 
hervorgeboben hat, es sei unter den löslichen Bestandteilen des 
Protoplasmas ein Körper vorhanden — er bezeichnet ihn als 
„Oytoglobin“ — der sich als rechtsdrehend erweist. Soviel wir 
wissen, ist diese Beobachtung A. Schmidts nie beachtet oder 
zitiert worden: weder in den Lehrbüchern der physiologischen 
Chemie, noch von den Forschern auf dem Gebiete der Chemie des 
Blutes. Es ist nach dem Mitgeteilten keine Frage, daß 
Schmidts Cytoglobin aus einem sehr unreinen\ Gemenge von 
Nucleoproteiden bestand; es geht dies schon daraus hervor, daß 
seine Substanz 12,52 Proz. Asche und 56,36 Proz. Kohlenstoff 
enthielt (gegenüber 45,33 Proz. im Pankreas-Nucleoproteid). Allein 
es bleibt die Tatsache bestehen, daß bereits dieser unermüdliche 
Forscher die Rechtsdrehung, wenn auch nicht eines bestimmten 
einheitlichen Nucleoproteids, so doch eines Gemenges von Nucleo- 
proteiden, seines „Cytoglobins“, richtig beobachtet hat. 

4. März 1903. A.G. 


*) Alexander Schmidt „Zur Blutlehre“, Leipzig, Verlag v. F. C. W. 
Vogel 1892. Siehe das Kapitel „Über den in Wasser löslichen Bestandteil 
des Protoplasmas u. s. w.“ (8. 127—142). Alexander Schmidt „Weitere Beiträge 
zur Blutlehre“* (nach des Verfassers Tode herausgegeben). Wiesbaden, 
J. F. Bergmann 1895, speziell das Kapitel „Zur Kenntnis des Protoplasmas 
und seiner Derivate“ (S. 201—249). | 


IIL. 
Beiträge zur vergleichenden Physiologie des 
Hungerstoffwechsels. 
Erste Mitteilung: Der Hungerstoffwechsel der Insekten. 
Von Dr. med. B. Slowtzoff. 


Im Laufe ihrer Entwickelung haben Tiere und Pflanzen mannig- 
fache Vorrichtungen erworben, die ihnen den Kampf ums Dasein 
erleichtern. Zum Schutz gegen das Eindringen von Fremdkörpern 
und Mikroorganismen und gegen die Einwirkung äußerer Reize 
“ besteht ein ausgebildetes Verteidigungs-System, wie wir es z. B. 
bei der Entzündung beobachten können. Die Untersuchungen 
Metschnikoffs*) und seiner Schüler haben gezeigt, daß dabei 
neben anderem die Wanderzellen mesodermalen Ursprungs eine 
große holle spielen. Gegen schädliche Temperaturschwankungen 
des Mediums sind die höheren Tiere durch Vorrichtungen geschützt, 
die imstande sind, die Temperatur des Körpers innerhalb gewisser - 
konstanter Grenzen zu erhalten. Andererseits haben gewisse 
niedrige einzellige Mikroorganismen eine Beschaffenheit des Zell- 
protoplasmas erworben, der zufolge die Eiweißkörper desselben 
selbst bei 50—60° ©. nicht koagulieren. 

Auch gegen den schädlichen Einfluß der Nahrungs-Entziehung 
haben sich verschiedene Schutzvorrichtungen ausgebildet. Die 
einzelligen, sowie auch bestimmte höhere Organismen können 
unter ungünstigen Verhältnissen in einen scheintodähnlichen Zu- 
stand verfallen, bei welchem der Stoffwechsel auf ein Minimum 
heruntersinkt. Die höheren Tiere können aber in den meisten 
Fällen dem Hunger ziemlich lange auf Kosten aufgespeicherter 
Reservestoffe, deren Menge bis auf 45 Proz. des Gesamtgewichtes 
steigen kann, widerstehen. 

Bei der Untersuchung des Hungerstoffwechsels ist bisher 
das vergleichend physiologische Studium sehr wenig benutzt worden. 
Die meisten Autoren hielten sich nur an die höheren Wirbeltiere. 
Eine vergleichend physiologische Bearbeitung dürfte aber hier 
wie auch sonst bei der Behandlung wichtiger biologischer Probleme 


*) Lecons sur la pathologie compar&e de l’inflammation. 1892. Paris. 


24 B. Slowtzoff, 
von großer Bedeutung sein, da sie den Gesichtskreis erweitert 
und vor Einseitigkeit schützt. 

Es schien mir deshalb von Wert, die Erscheinungen des 
Hungerstoffwechsels an niederen wirbellosen Tieren näher zu 
studieren. Meine ersten Versuche, deren Resultate ich hier mit- 
teilen möchte, habe ich an Maikäfern angestellt. Im allgemeinen 
bieten die Insekten manche Eigentümlichkeiten der chemischen 
Zusammensetzung, die näher zu untersuchen Interesse versprach. 

Wegen der Kleinheit der einzelnen Individuen mußten die Ver- 
suche stets an einer größeren Zahl von Tieren durchgeführt werden, 
was zugleicb die großen individuellen Schwankungen beseitigt. Die 
Hauptmasse der Maikäfer war Ende April 1902 in der Umgebung von 
Heidelberg gesammelt; durch 24 Stunden vor Anfang‘ des Versuches 
wurden die Tiere in einem großen mit Laub gefüllten Holzkasten auf- 
bewahrt, so daß die meisten ganz gut gefüttert waren. Am Morgen des 
ersten Versuchstages wurde ein Teil davon gewogen, durch Spiritus- 
dämpfe getötet, zermahlen und in 95-proz. Alkohol gebracht. Die zweite 
Hälfte wurde in drei Gruppen geteilt, deren Gewicht während der nun 
folgenden Hungerperiode täglich ermittelt wurde. Jeden Tag wurden die Mai- 
käfer in ein frisches Glas gebracht. Die Käfer, die während des Versuches 
zu grunde gingen, wurden herausgenommen und gewogen; ihr Gewicht 
wurde zu dem Gewicht der überlebenden der gleichen Gruppe hinzuaddiert. 


Die nachstehenden drei Tabellen (I—III) geben die Verhältnisse 
des Gesamtgewichts der einzelnen Gruppen wieder. Die Kurve 
der Gewichtsabnahme während des Hungerns entspricht daher 
Mittelwerten. In einem besonderen Versuche (Tab. IV) habe ich 
die Gewichte von vier einzelnen hungernden Käfern jeden Tag 
auf das mg genau bestimmt. Die Kurven stimmen im allge- 
meinen mit den Kurven der Mittelwerte in Tab. I—III überein. 

Tabelle IL 


Tag Dauer Ayee, | Absoluter | , .. Täglicher Mittlerer 
und Datum des | Gewicht | Gewichts- | Gewichts- Gewichts- | täglicher Ge- 
des Hungerns der (60) | verlust verlust verlust wichtsverlust 
Versuchs | in Tagen Maikäfer | ing In. Pro, in Proz. in Proz, 
24.1V. 0 66,20 — — Z— 
25. IV. 1 64,65 1,55 2,34 2,34 | 
26, IV. 2 63,65 2,55 BB CE 1 
27.1V. 3 62,65 3,55 5,26 Er ER Mile 
98. IV. 4 61,00 5,20 7,85 a9 |! 
29.1IV. D 59,00 7,20 10,87 3,02 | ) 
IM, 7 57,50 8,70 13,14 I IEs 3 Po 
3. V. 9 55,70 10,50 15,86 1,36 2 | ] 
B::W. 11 54,50 11,70 17,68 09 | UF 
TV. 13 52,90 13,30 20,09 1,20 J 
8: V. 15 51,60 14,60 22,05 0,98 | 
12. V 18 50,10 16,10 24,32 0,75 ) 
13. V. 19 48,80 17,40 26,28 1,96 | \ 0,88 
14. V. 20 48,40 17,80 26,89 9.6.1721 { 
15. V. 21 as10 |’ı810 04 | 08 |) 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 925 


Tabelle I. 


Tag Dauer EN | Absoluter | Gelichle: | Täglicher | „Mittlerer 
und ae | des | der <120) Gewichts- EEE Gewichts- | täglicher Ge- 
des Hungerns ö verlust A | verlust wiehtsverlust 
Versuchs | in Tagen | Maikäfer ing in Proz. in Proz. in Proz. 
24. IV. ) 1080 | — = Ve 
25: IV. 1 105,0 3,0 ara. 171710 | 
%6.IV. 2 102,0 6,0 5,56 2,78 
27.1IV. 3 101,0 7,0 6,48 092g 2 
28. IV. 4 100,0 8,0 7,41 0,93 | 
29. IV. 5 97,0 11,0 10,19 278 |) 
1; V. | 7 95,0 13,0 12,04 0,92 ] 
3. V. | 9 92,3 15,7 14,54 1,25 j 
6 5 | 91,8 16,2 15,00 0,23 ? 0,59 
EN. 13 91,2 16,8 15,55 0,27 l 
a A ee 90,6 | 17,4 1611 | 098 |) 
13. V. 18 87,5 20,5 18,98 0,98 } 
13. V. | 19 84,8 23,2 21,48 2,50 U 105 
14. V, | 20 84,1 23,9 2213 0,65 ( ! 
15. V. | 21 83,8 24,2 22,40 | 0,28 | 
Tabelle Ill. 
Tag Dauer | Gewicht | Absoluter | Gerichte Täglicher Mittlerer 
und Datum des | Gewichts- | Gewichts- | täglicher Ge- 
des | Hungerns | e er ' verlust u verlust wiehtsverlust 
Versuchs | in Tagen Maikäfer ing ar Brom; in Proz. in Proz. 
ek TI Ve 177 EEE EEE VE VEEEEEEEEEEEEEER EEE 
24.1IV. 0 106,5 = ne N — | ] 
35.1V. 1 | 104,0 2,5 2,35 2,35 | 
26. IV. 2 101.0 5,5 5,16 2,81 \ 
97.1IV. 3 100,0 6,5 6,10 0,9 |g 310 
28. IV. 4 93,0 13,5 12,68 6,58 | 
29. 1IV. 5 90,0 16,5 15,49 5.42 ) 
EV. 7 88,0 18,5 17,37 0,94 } 
3. V. 9 87,8 18,7 17,56 0,09 | 
5.V. 11 87,2 19,3 18.12 0,28 N 0,43 
eV. 13 86,9 19,6 18.40 0,14 
9.V, 15 85,5 21,0 19,72 036 |} 
12. V. 18 84,2 29,3 20,94 041 |‘ 
13. V. 19 84,0 22,5 21,13 0,19 | Be 
75 A u) 320 | 25 | 23,00 SEE Be 
15.V. | 21 81,9 24,6 . 23,10 0,10 | 


a an 


B. Slowtzoft, 


26 


Tabelle IV. 
; : Lowyi i : - on soli . | Mittlerer 
Datum Dauer Gewicht |gewichtg.)) Fewicht | Gewichts.) Gewicht | gewichts-) Fewicht | gewichts- Mittlerer Täglicher Heattehe; 
und Tag des des des des des Gewichts- | Gewichts- | (981 
Re verlust a verlust eh verlust ot verlust Gewichts- 
des Hungerns | Maikäfers | _ ® Maikäfers | | Pr Maikäfers | _ p Maikäfers | _ verlust verlust Ser nat 
Versuchs || in Tagen Nv.H IE Nr. 2 re Nr. 8 ns Nr. 4 in Proz. in Proz. in Proz. in Proz. 


jd 


DD 


SEN 
HHH 


V 
v 
V 


24.IV. 
25. IV. 
26.1IV. 
28. IV. 
29. IV. 
30.IV. 
IV. 


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oo 0Q0 


10 


) 
0,80 
1,96 
37 
(5,88) 
7,98 
(8,92) 
9,87 
11,17 
11,61 
12,35 
(12,59) 
12,84 
12,91 
12,99 
(13,23) 
13,47 
13,93 
(15,69) 
16,97 
17,21 
17,42 


0 
0,44 
4,78 
5,12 

(6,84) 
8,56 
(9,39) 
10,23 
11,20 
11,68 
14,13 
(14,69) 
15,24 
15,46 
15,83 
(15,87) 
15,91 
16,57 
(17,82) 
18,24 
(18,68) 
18,79 


0 
2,54 
7,45 

(8,60) 
10,75 
(12,85) 
12,96 
13,46 
13,97 


(14,63) 


(14,95) 
15,24 
15,33 
15,50 

(16,13) 
16,77 
17,07 
17,97 
17,44 

(17,75) 
17,86 

(18,18) 
21,51 


0,969 
0,930 
0,916 


0,872 
0,871 
0,856 
0,846 
0,836 
0,828 
0,826 
0,816 
0,815 
0,807 
0,806 
0,805 


0,789 


0,704 


) 
4,02 
5,47 

(7,74) 
10,01 
(10,06) 
10,11 
11,66 
12,69 
13,73 
(14,14) 
14,55 
14,76 
15,79 
(15,84) 
15,89 
16,72 
16,82 
16,93 
(18,17) 
18,58 
(19,83) 
(27,35) 


m en: 


1,98 


147 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 297 


Bei Vergleich der täglichen Gewichtsverluste bei absoluter 
Karenz bemerkt man folgendes: In den ersten 5—6 Tagen sind 
die täglichenGewichtsverluste ziemlich groß und betragen 3,10 Proz., 
2,17 Proz., 2,04 Proz., 1,98 Proz. (im Mittel 2,32 Proz.) des ursprüng- 
lichen Körpergewichtes. In der zweiten Hungerperiode gehen die 
täglichen Gewichtsverluste auf das Minimum herab, sie betragen 
0,59, 0,43, 0,46, 1,17 Proz. pro Tag (im Mittel 0,66 Proz.). Vor 
dem Tode werden die täglichen Gewichtsverluste wieder größer, 
1,17, 0,88, 0,56 und 1,10 Proz. (im Mittel 0,93 Proz.). Der Gewichts- 
verlust in den ersten Hungertagen kommt nicht allein auf 
Rechnung der Verbrennung von Körpersubstanz und der Wasser- 
verdunstung, sondern auch auf Rechnung der Ausscheidung von 
Kot. Die prämortale Steigerung des Zerfalls und der damit 
verbundene größere Gewichtsverlust ist bekanntlich auch beı 
höheren Tieren festgestellt und wird hier durch die Annahme er- 
klärt, daß in der letzten Lebenszeit an Stelle der sonst vorwiegen- 
den Fettverbrennung Eiweißzerfall tritt. 

Die Sterblichkeit der Maikäfer bei absoluter Karenz hängt von 
dem Ernährungszustande ab. In den meisten Fällen gingen die 
Insekten am 21. Tage des Hungerns zu Grunde. Von meinen 
Hunderten von Tieren starben nur vier besonders kräftige Indivi- 
duen erst nach 28 Tagen. 8 Proz. der gesamten Käferzahl starben 
am 6. Tag und 16,5 Proz. am 14. Tage. 

Während der zweiten Periode des Hungerns, wo die täg- 
lichen Gewichtsverluste zum Minimum niedersteigen, bemerkt man 
manchmal Unregelmäßigkeiten des Gewichtsverlustes. Das hängt, 
soweit wir die Frage näher untersucht haben, von der Feuchtig- 
keit und Temperatur der Luft ab*). 

Der maximale Gewichtsverlust jener, bei welchem die Maikäfer 
starben, betrug nach den Wägungen der Gruppen in toto 23,76 Proz. 
des ursprünglichen Gewichtes. 

Man kann aber den Unterschied des Gewichtes vor und nach 
dem Hungern auch aus dem mittleren Gewicht der Kontrolltiere 
und Karenztiere ableiten. 

Gewicht der Normaltiere: 


AR Bimek wiesen Mina Ta 
120.7, n ne A STR 
er 1 en a SR 
2, (besonders groß) wiegen 19,0 g 
12 ” ” ” ” 11 ‚91 s 
392 Stück wiegen . . : . ...8316,61g, 


1 Maikäfer (normal) wiegt also im Mittel 0,8997 g. 


*) Ich beabsichtige diese Verhältnisse noch näher zu studieren, sobald 
das mir vorliegende tatsächliche Material größer ist. 


28 B. Slowtzoff, 


Gewicht der Karenztiere: 


75 Stück (6—9. Tag des Hungerns) 58,2 g 
41 „ AO—LL. „ ” ” ) 26,9 = 
54 „ (12—13. „ „ „ ) 35,7 = 
4 „ (14—15. „ „ : „ ) 27,0 =) 
3 En u a WR R ) 282 8 
23 „ (18. ) 2) 1) ) IE = 
29 _49—21. Re i ) 12,48 g 
297 Stück wiegen . . Ser ne 


1 Maikäfer wiegt im Mittel 0,6841 g. 


Die mittlere Abnahme des Normalgewichts (0,5997 g) bis zum. 
Hungertod (0,6841 g) macht also 23,99 Proz. des \ursprünglichen 
Gewichtes aus. 


Die chemische Untersuchung des gesammelten Materials 
habe ich in Berlin im Institut für medizinische Diagnostik durch- 
geführt. 


Die in 95-proz. Spiritus konservierten Tiere wurden zermahlen und 
mit dem Spiritusextrakt auf dem Wasserbade getrocknet. Ein Teil dieser 
lufttrockenen Masse wurde dann bei 110° C. im Luftbad zu konstantem 
Gewicht getrocknet. Zur Analyse haben wir teils lufttrockene, teils absolut 
trockene Substanz benutzt. Das Zerreiben von Chitinstücken erwies sich 
aber als ziemlich schwierig und selbst nach mehrstündigem Zermahlen 
war das Pulver nicht ganz homogen, was die vereinzelten Abweichungen 
der Analysenzahlen erklärt. In den meisten Fällen erwiesen sich die 
Zahlen der Parallelversuche als gut übereinstimmend, so daß wir deren 
Richtigkeit annehmen können. 


Bei den ersten Vorversuchen haben wir die Menge der Kohle- 
hydrate, der Eiweißkörper, der Fette der Extraktivstoffe und des Chitins 
bestimmt. Unter Fett verstehe ich dabei das ätherische Extrakt des 
ganz trockenen Pulvers, das natürlich auch Lecithin und Cholesterin ent- 
hält. Nach Ätherextraktion wurde eine bestimmte Menge des Pulvers 
mit heißem und kaltem Alkohol sowie mit kochendem Wasser ausgezogen. 
Die Gesamtmenge aller dieser in Lösung übergegangenen Substanzen 
nenne ich Extraktivstoffe. Der Rest wurde mit 20-proz. Natronlauge 
behandelt, welche alle mit Alkohol koagulierten Eiweißkörper löst und 
der ungelöst gebliebene Rest als Chitin gewogen. Der Stickstofigehalt 
dieses Chitinrestes stimmte gut mit dem Stickstoffgehalt des Chitins 
überein, so daß man annehmen kann, daß er in der Tat aus fast reinem 
Chitin neben Spuren von Pigment bestand. Einigemal habe ich die 
Bestimmung der Kohlehydrate nach Invertieren des Pulvers mit Salz- 
säure durchgeführt, ebenso die Bestimmung des Glykogens. Die Zahlen 
ergaben sich aber als so klein, daß ich sie meinen analytischen Be- 
legen nicht einreihen mochte. 


Die Zusammensetzung der Trockensubstanz der Normal- und 
Karenztiere ergab sich wie folgt: 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 29 


Tabelle V. 


| Tu 1000 Teilen Trockensubstanz 
sind enthalten: 


Normaltiere | Karenztiere 


Organische Substanz . : : 2.2... 939,61 949,12 
Boreamsche Substanz : .  ! ... 60,39 50,88 
Chitin und Spuren von a Sr 142,84 169,00 
Eiweißkörper . . . ee 524,29 | 476,79 
Fett, Cholesterin und Edeithin: Be: 137,41 | 23,21 
Extraktivstoffe (wasser- u. alkohollöslich) 135,07 | 271,10 


Diese Zahlen können zur Berechnung der Zusammensetzung 
der frischen Maikäfer dienen. 340 Stück Kontrolltiere wogen frisch 
304,3 g, nach dem Trocknen 87,248 g (28,672 Proz. Trocken- 
substanz). Von den Karenztieren wogen 345 Stück frisch 216,5 g, 
nach dem Trocknen 75,153 g (34,713 Proz. Trockensubstanz). Hier- 
aus ergibt sich der mittlere Gehalt der frischen Maikäfer an den 
einzelnen Bestandteilen wie folgt: 


Tabelle VI. 

In 1000 Gewichts- | In 1000 Gewichts- 

| teilen teilen 

| frischer Normaltiere, frischer Karenztiere 
ee | 713,28 | 652,87 
Be anbetanz BE 286,72 | 347,13 
Mache. \. ‚ii. BR. 2 ee 17,31 17,66 
Organische Bilanz REN 210, 269,41 | 329,47 
a | 40,96 | 58,66 
ae ii. 150,32 169,60 
en |! 39,40 8,04 
ekele . . . .-. .'. 38,73 94,17 


Die Zusammensetzung der Maikäfer erleidet sonach beim 
Hungern beträchtliche Veränderungen. Es kommt zu einem 
sehr bedeutenden Wasserverlust, so daß die Trockensubstanz der 
Käfer bis 34,713 Proz. steigt. Der Gehalt an Asche und Eiweiß- 
körpern bleibt konstant; der Gehalt an Fett sinkt von 3,94 Proz. 
bis 0,804 Proz. 

Um aber eine zutreffende Vorstellung über den absoluten 
Verbrauch der verschiedenen Bestandteile der Leibessubstanz zu 
gewinnen, ist es nötig, diese Zahlen statt auf 1000 Gewichts- 
teile auf die Zahl der Individuen zurückzuführen, denn 1000 g 


30 B. Slowtzoff, 


Normaltiere entsprechen nicht 1000 g verhungerten Tieren. Das 
Ergebnis einer solchen Berechnung ist aus der Tabelle VII er- 
sichtlich. 

Tabelle VI. 


1000 Stück | 1000 Stück | Absoluter | Gewichtsverlust 

Normaltiere | Karenztiere | Gewichts- |in Proz. der ur- 

enthalten g | enthalten g | verlust in & | sprüngl. Menge 
Wasser... =. 638,39 . 409,70 — 228,69 — 85,82... 
Trockensubstanz 256,61 217,84 — 838,77 — 15,11 
Asche > ers 15,49 11,08 — . 4,41 —. 28,47 
Organ. Substanz | 241,12 206,76 — 34,36 — 14,25 
OHEtmEe).. ee 36,65 36,82 + 0,17 + 0,46 
Eiweißkörper . 135,55 105.89 | »— os — 21,98 
Bette n.a.., 00% 35,26 5,06 — 30,20 — 85,65 
Extraktivstofe . | 34,66 59,06 + 24,40 + 70,40 


Beim Hungern werden somit fast 85,65 Proz. des ursprünglichen 
Fettes verbraucht; der Eiweißzerfall beträgt bloß 21,93 Proz.; der 
Wasserverlust 35,82 Proz. Die Chitinmenge bleibt innerhalb der 
Fehlergrenzen unverändert. 

Der absolute Verlust an organischen Stoffen gestattet, die mitt- 
lere Menge der beim Hungern verbrauchten Energie zu berechnen. 
Wenn wir folgende kalorische Aquivalente zu Grunde legen, 1 g 
Eiweiß — 4,32 Kal., 1 g Fett = 9,46 Kal., 1 g Chitin als Kohlehydrat 
— 4,18 Kal. und 1 g Extraktivstoffe — 3,154 Kal.*), so würde das 
kalorische Äquivalent von 1000 normalen Maikäfern — 1181,6 Kal. 
betragen. Das kalorische Äquivalent von 1000 verhungerten Mai- 
käfern ergibt sich zu 845,2 Kal. Während des lungerns haben 
also die Maikäfer rund 336,4 Kal. verbraucht. Das macht 
28,47 Proz. der gesamten vor dem Hungern vorhandenen Energie 
aus. ° Im Mittel war der Energie-Verbrauch pro Tag 16,02 Kal., 
pro Kilo Gewieht und 24 Stunden betrug er 17,89 Kal., pro Stunde 
und Kilo 0,7454 Kal. 

Von einzelnen Bestandteilen, welche an dem Gewichtsverluste 
Anteil nehmen, habe ich dem Phosphor und Stickstoff größere 
Aufmerksamkeit zugewendet. Den Gesamtphosphor des Organismus 
habe ich in drei Fraktionen bestimmt, den in Alkohol und Äther- 
extrakt der getrockneten Käfer übergehenden Teil (Leeithin- 
phoshor), den in die wässerige Auskochung übergehenden Teil 
(anorganischer Phosphor) und den Rest, der bloß beim Erhitzen 


*) Frentzel und Schreuer, Du Bois, Arch. 1902, S. 282. 


sl 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 


mit Natronlauge zugleich mit Eiweißkörpern in Lösung geht 
(Phosphor des Phospho- und Nucleoproteide u. s. w. oder schlecht- 
weg Eiweißphosphor). 

Für jede Bestimmung wurden natürlich mindestens zwei Analysen 
gemacht; in einigen Fällen habe ich auch gesondert den Gesamtphosphor- 
gehalt der Maikäfer bestimmt. Die Summe der verschiedenen Arten des 
Phosphors stimmte mit dem Gesamtphosphorgehalt innerhalb der ana- 
lytischen Fehlergrenzen.. 


Die Resultate finden sich in den Tabellen VIII und IX zu- 


sammengestellt. 
Tabelle VII. 


Karenztiere 


Kontrolltiere 
Proz.-Ge- | Proz.-Ge- Proz.-Ge- | Proz.-Ge- : 
halt an haltanP,o,| In Proz. | Halt an |haltan P,O,| In Proz. 
P;0, in d. in der aus- P,0, in d. in der aus- 
Trocken- | frischen oedrückt || Trocken- | frischen | gedrückt 
substanz Substanz | ” substanz | Substanz 
Gesamt P;O,; 1,910 0,5476 100,00 1,630 0,5658 100,00 
P,0O, in Alkohol- 
äther-Extrakt 0,410 0,1175 21,47 | 0,087 0,0302 5,64 
P;0, in Wasser- 
Extrakt. k 0,815 0,2337 42,65 1,332 0,4623 81,88 
P,;0,;, der Nucleine 0,685 0,1964 35,88 0,210 0,0733 12,48 
Tabelle IX. 
PO, des 70; des Ps0; 
Gesamt- | Alkohol- | xx 
Po her Wasser- der 
I mtrakter | Extraktes| Nucleine 
In 1000 Stück Normaltieren 4,90 1.05. 1° „apa...N 1,78 
In 1000 Stück Karenztieren 3,5D 0,19 2,90 0,46 
Absoluter Verlust . er Lage 130 1,80 
Verlust in Proz. — 27,55 | — 81,91 | + 34,91 | — 73,86 


Aus beiden Tabellen ersieht man, 
großer Teil des Lecithinphosphors (81,91 


daß beim Hungern ein 
Proz.) und des Eiweiß- 


phosphors (73,86 Proz.) verbraucht wird, indem er in anorganische 
Verbindungen übergeht; ein Teil davon wird aber ausgeschieden, 
so daß die Gesamtmenge des Phosphors um 27,4 Proz. abnimmt. 

Was die verschiedenen Formen des Stickstoffes betrifft, so 
wird der Gehalt daran beim Hungern stark verändert. Ich habe 
direkte Bestimmungen von Gesamtstickstoff, Chitinstickstoff, wasser- 
löslichem und ätheralkohollöslichem Stickstoff ausgeführt. Der 


32 


B. Slowtzoff, 


Rest des Gesamtstickstoffs nach Abzug des in Äther, Alkohol und 
Wasser löslichen, sowie des Chitinstickstoffs ist als Eiweißstick- 
stoff in Rechnung gebracht. 


Tabelle X, 
Normaltiere Karenztiere 
Proz.-Ge- | Proz.-Ge- I Pins: -Proz.-Ge- | Proz.-Ge- In Pros 
halt der halt der halt der halt der 
Trocken- | frischen DES Trocken- | frischen a 
substanz Substanz gedrückt substanz Substanz gedrückt 
Gesamt-Stickstoff . 14,597 4,185 100,00 14,530 5,044 100,00 
Ather- u. alkohol- | 
löslicher Stickstoff 0,594 | 0,170 4,07 0,286 0,099 1,94 
Wasserlöslicher 
Stickstoff 1,884 0,540 12,90 3,198 1.20 22,01 
Chitinstickstoff . 0,944 0,270 6,47 1,144 0,397 7,87 
Eiweißstickstoff 11,175 3,205 76,56 9,902 3,438 68,15 
Ammoniakstickstoff 0,640 0,183 4,38 0,681 0,236 ‚4,69 
Tabelle XI 
Gesamt. ‚| Hera] Wasser TE nee 
kohollös- | löslicher 
licher N 


In 1000 Stück Nor- 
maltieren . 
In 1000 Stück Ka- 
renztieren . 
Absolute Ver- 
änderung . 3 
Veränderungi. Proz. 


30,93 


658 
17,48 


— 0,90 
— 59,08 


4,72 2,42 
6,97 2,49 
+ 2,25 | + 0,07 
+ 47,64 | + 2,80 


— 5,20 
— 19,42 


1,64 


1,18 ® 


2 Ol 
976 


Beim Hungern wird sonach das Verhältnis der verschiedenen 


Formen des Stickstoffs gegeneinander stark verschoben. 


Die 


Eiweißstoffe werden oxydiert und der Stickstoff geht in die 


Extraktivstoffe 


über. 


und Ammoniak-Salzen wird kleiner. 

Über 17,43 Proz. des Stickstoffes werden beim Hungern aus- 
geschieden; der Verlust an Eiweißstickstoff beträgt 19,42 Proz. 
der ursprünglichen Menge. Der Ammoniak- und der in Alkohol- 
Äther lösliche Stickstoff (zum größten Teil Harnstoff) werden um 
9,76 Proz. und 59,08 Proz. vermindert. Die Erhöhung des Chitin- 


Der Gehalt an alkohollöslichem Stickstoff 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels.. 33 


stickstoffs kann damit erklärt werden, daß sich im Chitin stick- 
stoffhaltige, in 20-proz. Natronlauge unlösliche Pigmente ablagern. 
In der Tat war das rohe Chitin bei den hungernden Tieren viel 
dunkler gefärbt. Die gereinigten Chitinpräparate erwiesen sich 
aber im Stickstoffgehalt als identisch. 

Die Tatsache, daß der an Eiweiß und Nuclein gebundene 
Phosphor beim Hungern in größerer Menge verbraucht wird, ver- 
anlaßte mich, einige Bestimmungen der Pentosen oder richtiger 
der furfurolgebenden Substanzen auszuführen. Die Menge des 
Furfurolphloroglucidniederschlages auf Pentosen berechnet ergab, 
daß 1000 Normaltiere 2,134 g Pentosen, 1000 Karenztiere 2,196 g 
enthielten. Die Differenz zwischen diesen zwei Werten fällt in 
die Fehlergrenzen, so daß man annehmen kann, daß sich die 
Menge der furfurolgebenden Substanzen beim Hungern nicht 
ändert. Das scheint mir eine beachtenswerte Tatsache, die ich 
näher zu untersuchen beabsichtige. Die bei dem Zerfall der 
Nucleoproteide freiwerdenden Pentosen bezw. deren Vorstufen 
scheinen sich nicht weiter zu oxydieren. In welcher Form sie 
zurückbleiben (an Eiweißkörper gebunden oder nicht), ist noch zu 
entscheiden. 

Die Menge des Materials gestattete uns auch eine ausführliche 
Analyse der Salze durchzuführen. Ich habe Kalium, Natrium, 
Calcium, Magnesium, Eisen, Chlor, Schwefel und Phosphor, sowie 
die Menge der unlöslichen und löslichen Salze bestimmt. 


Tabelle XL. 


Normaltiere Karenztiere 
Proz.-Ge- | Proz.-Ge- in Proz. || Proz.-Ge- | Proz.-Ge- | in Proz. 
halt der halt der der halt der halt der der 
Trocken- frischen Gesamt- || Trocken- frischen Gesamt- 
substanz | Substanz asche substanz | Substanz asche 
(resamt-Asche . . 6,039 1,729 100,00 5,088 1,766 100,00 
Lösliche Salze . . 3,666 1,049 60,71 2,416 0,839 47,48 
Unlösliche Salze ; 2,373 0,680 39,29 2,672 0,927 52,52 
Rn 1,910 0,548 31,63 1,630 0,569 | 32,03 
ein 0,989 0,283 16,36 0,844 0,293 | 16,59 
ii, 0,280 0,080 4,64 0,153 | 0,053 3.01 
Bee... 0,814 0,233 | 13,48 0,854 | 0,296 17,30 
Na,0 | 0,976 0,079 4,53 0,342 0,119 6,72 
CaO + 191,108 0,316 18,97 0,585 0,203 11,60 
Bruni.” | 0,119 0,034 1,97 0,132 0,046 2,59 
Fe.O; . | 0,334 0,095 5,53 0,368 0,197 7,23 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 3 


34 B. Slowtzoft, 


Tabelle XII. 


Absoluter Gehalt 


‘ 1ös- |unlös- 
SO, cl K,0 | Na,0 | CaO | MgO | Fe,0, | liche | liche 
Salze | Salze 


In 1000 Stück Normal- 


INErEN. 12. Er Lok Bone 4,90 6,09 
In 1000 Stück Hunger- 

tierBn u TE 3,55 0,74 1,28] 0,29 5,82 
Veränderung ing.. 
Veränderung in Proz. . ||-27,55| —27,56| —43,08|— 11,004 4,22] —54,77|— 3,33| 0 1|—45,16|— 4,43 


Die angeführten Zahlen zeigen, daß sich beim Hungern der 
Gesamtgehalt an Salzen auf 28,47 Proz. vermindert. Diese Ver- 
luste beziehen sich hauptsächlich auf lösliche Salze, deren Menge 
um 45,16 Proz. kleiner wird. Die unlöslichen Salze bleiben 
größtenteils in dem Organismus und werden bloß zu 4,43 Proz. 
ausgeschieden. Die größten Verluste fallen auf Chlor (— 43,03 Proz.) 
und Calcium (— 54,77 Proz.); die Menge der Phosphor- und Schwefel- 
säure vermindert sich um 27,55 Proz. und 27,56 Proz. Es scheint 
überhaupt, daß beim Hungern der Organismus mehr Säuren als 
Basen ausscheidet. Einige anorganische Bestandteile (Na, Mg 
und Fe) scheinen fast gar nicht verloren zu gehen. 

Bunge*) hat in einer Arbeit die Beziehungen der Aquivalente 
des Kaliums und Natriums bei Insekten zusammengestellt. Da 
die Maikäfer ausschließlich pflanzenfressende Insekten sind, so ist 
es vielleicht interessant, meine Werte mit den an anderen Tieren 
ermittelten zu vergleichen. 


Tabelle XIV. 
Verhältnis 
K,0 N3,0 von 
Bezold. Arion empiricorum. . . 2... 3,134 0,980 Be! 
Bunge. Pieris brassiae . : -: . . . .) 41085 | 0,2403 | 1:2,70 
Pygaera. Bucephala .". ı. 7. . 5,513 0,6716 | 1:50,69 
Siowtzoft. Maukaten) „ar 1.0 27 FE 2,330 0,79 151597 


Das Ergebnis meiner Arbeit möchte ich in den Hauptzügen 
zusammenfassen, wie folgt: 
1. Bei absoluter Karenz verlieren die Maikäfer 23,99 bis 


*) Bunge, Zeitschr. für Biol. 10, S. 297. 


E 
4 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 35 


23,76 Proz. des ursprünglichen Gewichtes und verbrauchen etwa 
28,47 Proz. ihres gesamten Energievorrates,. 

2. Dabei sind die täglichen Gewichtsverluste an den ersten 
Tagen am größten (2,39 Proz. des ursprünglichen Gewichtes), 
sinken dann auf ein Minimum (bis 0,66 Proz.) und zeigen eine 
prämortale Steigerung. 

3. Die Verluste betreffen vorzugsweise den Gehalt an 
Wasser, Fett und Eiweiß. Das Chitin scheint nicht angegriffen 
zu werden. 

4. Die Verluste zeigen folgende Reihenfolge: Fett (85,65 Proz.), 
Wasser (35,82 Proz.), Asche (28,47 Proz.), Eiweißkörper (21,93 Proz.). 

5. Während des Hungerns verbrauchen die Maikäfer pro 
24 Stunden und pro Kilo Gewicht 17,89 Kal.; pro Stunde und 
Kilo 0,745 Kal. 

6. Die phosphorhaltigen Eiweißkörper werden stark ange- 
griffen, so daß etwa 75 Proz.‘ des Eiweißphosphors abgespalten 
werden; die Menge der Pentosen im Organismus scheint sich nicht 
zu Bien: 

7. Der Gehalt an Ammoniak-Salzen und an in Alkohol und 
Ather löslichem Stickstoff (zum größten Teil Harnstoff) erfährt 
eine Verminderung. 

8. Die Hauptverluste an Salzen beziehen sich auf lösliche 
Salze. Natrium, Magnesium und Eisen werden anscheinend nicht 
ausgeschieden. Die Verluste sind am größten bei Calcium, Chlor, 
Schwefel- und Phosphorsäure. 


Analytische Belege. 
I. Normaltiere. 


Atherextrakt. 
4,3964 g Trockensubst. ergaben 0,6051 g Ätherextr. 13,764 Proz. 
7,3984 g h re ERDE Re PIETIBN ; 
Mittel 13,741 Proz. 
Wasserextrakt. 
Bar en. 1059285 Wasserextr. 13,484 Proz. 
a u ne E00 at 5 „ 


Mittel 13,507 Proz. 


Chitin (in 20-proz. Natronlauge unlöslich) j 
43648. . 2... 2 2. ..,086289 8 unlösl. Rest 14,304 Proz. 


ee EEE . 2 1E. , 
Mittel 14,284 Proz. 
Gesamt-Stickstoff, 


0,16298 . . . . Verbraucht 17,2 cc. Yo Säure 14,78 Proz. ‘N. 
LS Er U: 1212218 » 17 5 A 
EEE N 4.312888. n tn 


Mittel 14,597 Proz, N, 
3* 


36 B. Slowtzoft, 


Stickstoff des Ätheralkoholextraktes. 
200558 . - . . Verbraucht 8,2 cc. !o Säure 0,572 Proz. N. 
LER 7 2 Re ee 8,0 cc. „ 0619... 7 
Mittel 0,594 Proz. N. 


Stickstoff des Wasserextraktes. 


200558 . . . . Verbraucht 27,0 cc. !Jıo Säure 1,885 Proz. N. 
1 ee a ee 2 EBBEF SINE 
Mittel 1,884 Proz. N. 
Stickstoff des Chitins. i 
029368 . . . . Verbraucht 13,9 cc. !Jıo Säure 6,62 Proz. N. 
DSIBa.0: War 7er. 7a 719,050, z GRur‘, . 


Mittel 6,61 Proz. N. 


Stickstoff in Form von NH,. 
2,2734 g mit MgO destilliert; verbraucht Kg cc. 0,6404 Proz. N. 


Gesamt-Phosphor. 
LITD:8: 4 7a P,0,Mg 1 SEB9S PROB 
1,1390 BR a 2 Ei 5 


Mittel 1,910 Proz. P, 0, 
Phosphor des Ätheralkoholextraktes 


20308... .,=.0.0124 2’ P,0,Mg .-,%.. (2 2.0,891 Proz 
331208... 27 200 EI ER I “ 


a2  LADDDBB Er nt 0.410. es 
Mittel 0,410 Proz. P,O, 


Phosphor des Wasserextraktes. 


1.8272... OBBEERDO, ME 7,2 Fr 
1,1752 6 3. SUB EEE IR ER DH PR RE 5 
368, IE EN gear Rn $ 


Mittel 0,815 Proz. P;O, 
Phosphor der Eiweißkörper. 


1,8524 8: ..-."0,0107 8 Mg, PO, \:, 22:.95.19:52.0,685, Pro2 743% 
Pentosenbestimmung. 

2,9782:8 ..27,0,01038 are 6 0 

BE N le ARE m ER N N, 6 Pan 


Mittel 0,5524 Proz. 
Schwefel-Bestimmung. 
1,3344 8 "! SOSE BESO, Dr 2 20,958 Piz 
0,7494 8: 72 ORT ee U 7 TO BBar TE 
Mittel 0,989 Proz. SO, 
Chlor-Bestimmung. 
0,9253 8 2)...” WODOES BFBINa E02 Pros 
BB. 0: DOT A ER ALT 
Mittel 0,280 Proz. Cl. 


Eisen-Bestimmung. 
1,1347.:&:. 2: ....0,0058 &:Fe,0, 227202 22,22720335, Perg Her 
1,1218 8 \.. x: 800898 EB 0 a BE > 


Mittel 0,334 Proz. Fe, 0, 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 37 


K- und Na-Bestimmung. 
1,6900 . . 0,03812g CIK-+-CINa 1,8415 Proz. 
een: :0,07228 K,PL6l, 1,3148 „ CIK 0,8308 Proz. K,0 
0,5307 Proz. C1Na 0,2817 Proz.Na, O 
2,1540g . . 0,0382g CIK-+-CINa 1,7734 Proz. 
Br. 0,08868 K,PEUCI, 1,2630 Proz. CIK 0,7981 Proz.K, O 
0,5104 Proz. C1Na 0,2709 Proz. Na, O 
Mittel 0,814Proz. K, O 
0,276 Proz. Na, O 
Magnesium-Bestimmung. 
wre. REM: oe 0,2188 PO. MED: 
Be ODE ea. 0,8198 e. 
| Mittel 0,119 Proz. MgO. 
Calcium-Bestimmung. 
Bee cal 2. 9... 0%... 1,108: Proz. Ca0:! 
Re uU. 12: 02 8: Wr 9 117 © 
Mittel 1,035 Proz. CaO. 
Unlösliche Salze. 
RE re a eo, 2.0348 PLOZ, 
aa ee ne 239 „ 
Mittel 2,373 Proz. 


II. Die Karenztiere. 


Ätherextrakt, 
BER ne 3243 Proz. 
EHI IEN 2 et, 2,898, „ 
Mittel 2,3205 Proz. Fett 
Wasserextrakt. 
EEE ren. 27,20 Proz. 
TION are nr 27,02  „ 


Mittel 27,11 Proz. 
Chitin (in 20-proz. Natronlauge unlöslich). 


Be: 0,0090 Ahlkin „u... = 8 2%. 2216,88 Proz. 
ae Hurt IL: alles ME SEN A RER |: 1. Te 


Mittel 16,90 Proz. 
Gesamt-Stickstoff. 


0,2118g Verbraucht 22,3cc. "ıo Säure . . . . . 14,74 Proz. N 
0,2764 g a BRENNEN ..-. ’, 
0,2350 g = N er ai ee 


Mittel 14,53 Proz. N 


Stickstoff des Alkoholätherextraktes. 
ei ertrauent Scan a are 0287 Proz: N 
3.4416 g x DR ES DENSEER ı 72. > re 
Mittel 0,286 Proz. N 
Stickstoff des Wasserextraktes. 
Bess Nerbraucht 7566. ! .. 0... 2.20.20... .+3,185 Proz. N 
3,2930 8 a Be ei ee ne 


Mittel 3,1975 Proz. N 


38 B. Slowtzoft, 


Stickstoff des Chitins. 

0,2874g Verbraucht 13,9cc. Säure . 
Stickstoff in Form von NH,. 

2,1160g Verbr. 10,3 cc. 


Gesamt-Phosphor. 
1,1502 g 0,03008 MgP,0; . 
1,4290 g 0,0347 8 . 
0,6801 g VNISE N; 


Phosphor des Ätheralkoholextraktes. 
4,8650 g 0,0062 8 MgP, 0, 
2,4565 8 0,0068 . . . 


Phosphor des Wasserextraktes, 
4,8650 8 0,0100 g MgP, % 
3,2962 g 0, 00708 


Phosphor der Eiweißkörper. 


3,2962 g 0,0102g MgP,0, 

301188 0,0106 g 
Pentosenbestimmung. 

3,2442 g 0.0260 8 ee 

3,3658 g 0,02698 . 

3,0250 8 0,0245 8 . 


Schwefel-Bestimmung. 
1,2710 g 0,0316 g BaSO, 
14015 8 0,0464 8 


Chlor-Bestimmung. 
1,2682 g 
1,1955 g 


0,0032 g CINa 
0,0030 g 


Eisen-Bestimmung. 
0,6517 8 
1,3090 g 


0,0028 Fe, 0, 
0,0048 g 


K- und Na-Bestimmung. 
1,66408 . 
AK 0,07288 K,PtCl, 


0,0328g CINa--CIK 1,971 Proz. 
1,343 Proz. CIK 0,8489 Proz.K, O0 


Be 2 OR ae 
. 0,681 Proz. 


1,66 Proz. P,0, 

190. k: 

1,64 ” ” 
Mittel 1,63 Proz. P,O, 


0,0811 Proz. P,O, 
0,0934 „ a 


Mittel 0,0872 Proz. P,O, 


1,310 Proz. P, O, 
1,354 2 ” 


Mittel 1,332 Proz. P,O, 


0,197 Pröz. BP, 
0,224 ” BD) 


Mittel 0,210 Proz. P,O, 


0,801 Proz. 
08014 % 
0,810 „ 


Tanker 0,803 Proz. 


0,8539 Proz. SO, 
0,8332. 7,5 a 


Mittel 0,8440 Proz. SO, 


0,1531. Proz. © 
"0,1530... „erss 
Mittel 0,153 Proz. Ol. 


0,369 Proz. Fe, 0, 
DBI = 


Mittel 0,368 Proz. Fe, O, 


0,628 Proz. CINa 0,3333 Proz. Na, O 


1,6811 g ergab 0,0340 g CINa-- CIK 2,023 Proz. 
j 1 ‚361 Proz. CIK 0,8600 Proz.K,O 


0,0745g8 K,PtCl, 


0,662 Proz. CINa 0,3514 Proz. Na, O 


Mittel K,O 0,854 Proz. 
Na,0 0,342 


” 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 39 


Mg-Bestimmung. 


1,5272 g 
2,0590 


Ca-Bestimmung. 
1,2945 g 
1,1700 g 


Unlösliche Salze. 


1,6640 g 
1,6811 g 


0,0072 8 MgP,0,. . 


0,0100 g 


0,0075 g Ca 
0,0069 g 


0,0430 8 . 
0,0464 8 . 


0,1308 Proz. Mg O 
0,1340 2) ” 


Mittel 0,1324 Proz. Mg O 


0,5794 Proz. Ca 
0,5897 „ x 


Mittel 0,5846 Proz. Ca 


2,584 Proz. 
2,160, 
Mittel 2,672 Proz. 


19, 


Über das Haarpiement. 
Von Dr. Eduard Spiegler (Wien). 


Docent an der Wiener Universität. 
Aus dem chem. Laboratorium von Hofr. A. Lieben (Wien). 
Erste Mitteilung. 


Die Frage nach der Herkunft des tierischen Pigmentes be- 
schäftigt seit Dezennien die biologische Forschung. Trotz zahl- 
reicher zum Teil ausgezeichneter Untersuchungen hierüber, ist es 
bisher nicht möglich gewesen, die Gegensätze zu überbrücken. 

Während die einen behaupten, das Pigment sei ein Ab- 
kömmling des Blutfarbstoffes, leugnen die anderen, daß der Blut- 
farbstoff mit der Pigmentbildung in irgend einem Zusammenhange 
stehe, vielmehr sei die Pigmentbildung eine Funktion gewisser 
Zellen in demselben Sinne wie die Bildung anderer spezifischer 
Produkte. Wie etwa Pepsin oder Salzsäure das Produkt be- 
stimmter Zellen ist, so werde auch das Pigment des tierischen 
und menschlichen Organismus von solchen erzeugt, ohne daß da- 
mit über die Materialien, aus denen das Pigment gebildet wird, 
irgend etwas ausgesagt würde. Über die außerdem noch be- 
stehenden Meinungsdifferenzen, welchen Zellen speziell — ob 
Epidermis- oder Bindegewebszellen — diese Funktion zukomme, 
über dieses gleichfalls wichtige Problem wollen wir hier hinweg- 
gehen, weil uns dies von der Frage, die den Gegenstand unserer 
Untersuchungen bildet, zu weit abführen würde. 

Wir wollen zunächst diejenigen Argumente anführen, welche 
hauptsächlich für den hämatogenen Ursprung des a 
geltend gemacht worden sind. 

Bereits im Jahre 1821 trat Breschet*) auf Grund chemischer 
Untersuchungen, die Barruel und Lassaigne an melanotischen Tumoren 
von Pferden und Menschen angestellt hatten, für die Abstammung des 
Pigmentes aus dem Blute ein. 


*) Breschet, Considerations, Paris 1821. 


en A ee ee ee ee ee ee 


rn a 


Über das Haarpigment. 41 


John Bennet*) fand, daß der Farbstoff in kochender Salpetersäure 
löslich sei; er erklärte, derselbe enthalte Schwefeleisen und stamme 
daher aus dem Blute. 

Auch Gautier**) hielt den Ursprung für einen hämatogenen. 
Nach Hurtel d’Arboval***) sind die Melanosen zuerst weiß und werden 
nach und nach durch eine Umbildung des Blutfarbstoffes gefärbt. 

Dreßler+) scheint der erste gewesen zu sein, der es versuchte, den 
Farbstoff rein darzustellen. Bei beiden Untersuchungen, die er anstellte, 
fand er den Farbstoff schwefelfrei, hingegen Spuren von Eisen, in einem 
Falle außerdem noch etwas Kieselsäure. 

Nach Langhans-+r) werden Blutkörperchen von Iymphoiden Zellen 
aufgenommen und von diesen in körniges Pigment umgewandelt, was 
von Pouchet bei lebenden Fischen bestätigt wurde. 

Nach Gussenbauer++7) kommt es unter hierzu günstigen Verhält- 
nissen zu einer Abgabe von Blutfarbstoff an das Plasma. In dem letzteren 
gelöst wird derselbe von gewissen Zellen aufgenommen und bildet sich 
erst später zu körnigem Pigment um. 

Demi6ville*+)tritt wegen VorkommensdesPigmentes in der nächsten 
Nähe der Blutgefäße mit Entschiedenheit dafür ein, daß dieses aus dem 
Blute stammt. 

Nach Quincke*-+-+) werden die Blutkörperchen von Bindegewebszellen 
aufgenommen, welche sie zu Pigment verarbeiten. Es können aber auch 
die Blutkörperchen im Serum aufgelöst werden, das Hämoglobin diffundiere 
in das umgebende Gewebe, welche dasselbe in Hämatin und Pigment 
verwandle. 

Perls*}+++) gab zur Bestimmung des Eisengehaltes in melanotischen 
Tumoren eine Reaktion an, die bekanntlich darin besteht, daß die Schnitte 
zuerst in eine Ferrocyankaliumlösung gelegt, hierauf mit HCl oder 
HNO, behandelt werden. Eintretende Blaufärbung dient als Beweis für 
den Eisengehalt des Pigmentes. Doch spreche der negative Ausfall der 
Reaktion nicht gegen den hämatischen Ursprurg des Pigmentes. Vossius+*) 
und Hirschberg gelang jedoch mittelst der erwähnten Reaktion in 
mehreren Fällen der Nachweis von Eisen in pigmentierten Geschwülsten. 

Nach Nothnagel--**) wird beim Morbus Addisonii das Pigment nicht 
in den Retezellen erzeugt, sondern von der Cutis her diesen zugeführt. 
Die Cutiszellen bilden das Pigment aus Blutfarbstoff, wofür die Farbe 
des Pigmentes, sowie dessen Lage nächst den Blutgefäßen spricht. 


*) Edinb. Monthly Journal, August 1848, pag. 98. 
**) Gautier, Chimie appliquee a la Physiologie. Paris 1874. 
***) Citiert nach Decking: über Melanosarcom, Inaugural- Dissertation. 
Würzburg 1887. 
+) Vierteljahrschrift für prakt. Heilkunde. Prag 1865, 8. 
jr) Langhans, Beobachtungen über Resorption der Extravasate’ und 
Pigmentbildung in denselben. Virchows Archiv, 49. 
++) Gussenbauer: Über die Pigmentbildung in melanotischen Sarkomen 
und einfachen Melanomen der Haut. Virchows Archiv, 63. 
*7) Demieville: Uber Pigmentflecke der Haut. Virchows Archiv, 81. 
*7) Quincke: Beitrag zur Lehre vom Icterus. Virchows Archiv, 9. 
*7jr) Archiv f. experim. Pathologie und Pharmakologie 1886. 
7*) Arch. f. Ophtalmologie, 31. 
7”) Zur Pathologie des Morbus Addisonii, Zeitschr. f. klin. Med. 1885. 


42 Eduard Spiegler, 


Auch Riehl*) kam für den Morbus Addisonii zu ähnlichen Resultaten 
und spricht sich für das Entstehen des Pigmentes aus dem Blute aus. 


Er begründet dies mit dem Auftreten von freiem Blut extravaskulär im 


Gewebe und von pigmenthaltigen beweglichen Cutiszellen unmittelbar 
bei den Hämorrhagieen. Doch handelt es sich hier um pathologisches 
Pigment, Hingegen fand Riehl**), daß das Pigment menschlicher Haare 
diesen durch besondere eigenartige, unregelmäßig gestaltete Zellen zu- 
geführt wird. 

Nach Oppenheimer***) läßt sich hinsichtlich der Pigmentbildung 
in den Sarkomen leicht erkennen, daß die Pigmentbildung in denselben 
von örtlich beschränkten Bedingungen abhänge, welche auf die Blut- 
gefäße, zum Teil auf die roten Blutkörperchen hinweisen, und auch nach 
List+) weise die Tatsache, daß die Pigmentzellen den Blutgefäßen 
folgen, auf eine Beziehung des Pigmentes zum Blute hin. 

Außerdem konnte List (l. ce.) an der Crista des Schwanzes von 
Triton ceristatus innerhalb der Blutkörperchen in den Gefäßen des ober- 
flächlichen dicht unter der Epidermis liegenden Kapillarnetzes das Auf- 
treten von einzelnen Pigmentkörperchen und von Klümpchen beobachten 
und schloß daraus, daß das Pigment sich zuerst aus dem Zellkörper und 
dann aus dem Kerne bilde, sich innerhalb des Gefäßes zu größeren 
Klümpchen ansammle und dann durch die Wandung des Gefäßes nach 
außen befördert werde. 

Die Bilder Lists erregten bei Jarisch+7) Zweifel, ob nicht etwa 
Lists „Pigment in den roten Blutkörperchen“ durch eingedrungene 
Luft zustande gekommen sei, um so mehr, als List sich über die optischen 
Eigenschaften besagten Pigmentes nicht näher ausgesprochen habe. 
List+rr) beschrieb außerdem an Querschnitten durch Forellenembryonen 
von 2 cm Länge in den vorderen, oberen und seitlichen Partieen des 
Dotters ganz eigentümliche Zerfallserscheinungen. Man bemerke nämlich 
in diesen Dotterpartieen größere oder kleinere Lakunen, die nichts anderes 
als Zerfallserscheinungen des Dotters, und wie eine genaue Beobachtung 
ergebe, nichts anderes als Vorstadien der Pigmentkörperchen seien. 

Hinsichtlich der früher erwähnten von Jarisch bezweifelten 
Meinung Lists liegt zwar eine Beobachtung Meyersons--*) vor, wonach 
er im Froschblute stets pigmentierte Zellen gefunden habe, doch konnte 
Meyerson sich selbst überzeugen, daß es sich hierbei um farblose 
Blutkörperchen gehandelt habe. Übrigens ha®Saviotti-+**) gezeigt, daß 


"*) G. Riehl, Zur Pathologie des Morbus Addisoni, Zeitschr. f. klin. 
Medizin, 10, 521. 
®*) (&%, Riehl, Arch. f. Dermat. und Syphilis 1884, S. 33. 
**=*) Oppenheimer, Beiträge zur Lehre der Pigmentbildung in melanotı- 
schen Geschwülsten. Virchows Archiv, 96. 
+) List, Über die Herkunft des Bo in der Oberhaut. Biologisches 
Contralblatt, 10. Bd. 
++) Jarisch, Über die Anatomie und Entwickelung des Oberhautpig- 
ent beim Frosche. Arch. f. Derm. u. Syph. 1891, S. 559. 
++). List, 1..@ 8.229 Un 30: 
er) Meyerson, Zur Pigmentfrage. Virchows Archiv, S. 118. 
+**) Saviotti, Über die Einwanderung der Pigmentzellen in die Blut- 
gefäße an der Schwimmhaut des Feisches Zentralbl. f. mediz. Wissen- 
schalten. 1870. 


rn a 


Über das Haarpigment. 453 


Pigmentzellen ja auch durch die Gefäßwand in die Gefäße einzuwandern 
vermögen, so daß der Nachweis pigmentierter Zellen im Blute keineswegs 
die Entstehung des Pigmentes aus demselben bedingt. Unter den Ver- 
tretern der Ansicht vom hämatogenen Ursprung des Pigmentes finden 
wir auch Kölliker*), wenn er auch hinsichtlich des Pigmentes der 
Retina bei den Wirbeltieren eine selbständige Bildung des Pigmentes 
zuläßt, ein Standpunkt, der hinsichtlich der Iris und Chorioidea von 
Cornil und Ranvier**) geteilt wird. 

Nach Duirck***) stammt das Pigment aus dem Blutfarbstoffe und 
kommt dessen Bildung unter Mitwirkung von kontraktilen Zellen so zu- 
stande, daß einerseits aus den eingeschlossenen roten Blutkörperchen 
direkt Pigmentgranula hervorgehen, die zu gewissen Zeiten die Reaktion 
von Perls zeigen; andererseits findet in denselben eine Ansammlung von 
Blutfarbstoff des durch Exosmose aus einzelnen freien Blutkörperchen 
ausgetretenen Farbstoffes und Konsolidierung desselben zu Pigment- 
körnern statt. | 

Halpern-+), welcher das Pigment an der Skrotalhaut des Negers 
studierte, fand das Pigment in der Umgebung der Gefäße, jedoch auch 
an anderen Stellen, er konnte aber nirgends in der Cutis Thromben oder 
Blutaustritte sehen, die auf die Entwickelung des Pigmentes aus Blut- 
körperchen hingewiesen hätten. 

Langhans+7) suchte auf experimentellem Wege der Frage näher 
zu treten, indem er Tieren Blutgerinsel unter die Haut brachte. Die 
roten Blutkörperchen wurden von kontraktilen Zellen aufgenommen und 
in Pigment verwandelt, welches indes nach einiger Zeit vollkommen ver- 
schwand. Zu ähnlichen Resultaten kam Quincke nach Injektion von Blut 
in das Unterhautzellgewebe von Hunden und Ehrmann nach Quetschungen, 
die von Blutaustritten gefolgt waren. 

M. B. Schmidt++}r) tränkte Holundermarkplättchen mit Blut und 
brachte sie Fröschen und Kaninchen unter die Haut. Er fand nach 
einiger Zeit kleine Pigmentkörnchen von goldgelber Farbe, teils frei, 
teils in Zellen. 

Einer der eifrigsten Verfechter der Lehre vom hämatogenen Ur- 
sprung des Pigmentes ist Ehrmann+*), welcher auf Grund umfassender 
entwickelungsgeschichtlicher Untersuchungen über das Pigment sowohl 


*) Kölliker, Über die Entstehung des Pigmentes in den Oberhaut- 
gebilden. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, 1887, 46. 
**) Cornil et Ranvier, Manuel d’Histologie pathologique. 
*=#=*) Duirck, Beitrag zur Lehre von den Veränderungen und der Alters- 
bestimmung von Blutungen im Zentralnervensysteme. 
7) J. Halpern. Uber das Verhalten des Pigments in der Oberhaut des 
Menschen. Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1891. 3 
jr) Langhans, Beobachtungen über die Resorption der Extravasate u. s. w. 
Virchows Archiv, 49. h 
irr) M. B. Schmidt, Uber die Verwandtschaft der hämatogenen und 
autochtonen Pigmente u. s. w. Virchows Archiv, 115. 
7’) Ehrmann, Das melanotische Pigment und die pigmentbildenden 
Zellen des Menschen und der Wirbeltiere in ihrer Entstehung nebst Be- 
merkungen über Blutbildung und Haarwechsel. Bibliotheca medica. Abtl. 


D II, Heft VI, 1896. 


44 | Eduard Spiegler, 


originär pigmentierter als auch originär pigmentloser Tiere die hämatogene 
Lehre vom Ursprung zu stützen versucht, ohne jedoch, wie Rosenstadt*) 
darlegte, hierfür beweisende: Argumente anführen zu können. 

Schließlich hat noch mein verehrter verstorbener Lehrer Kapos ji) 
in einem geistvollen Vortrage die Tatsachen, die für und gegen die Ent- 
stehung des Pigmentes aus dem Blute sprechen, von klinischem Stand- 
punkte aus beleuchtet. Die von ihm angeführten klinischen Tatsachen 
führen ihn zu dem Ergebnis, daß der Ursprung des Pigmentes nicht im 
Blute gesucht werden könne; eine ganze Reihe klinischer Tatsachen seien 
bei dieser Annahme vollkommen unverständlich, 


Die große Zahl der angeführten Arbeiten, deren Aufzählung 
übrigens keineswegs auf Vollständigkeit Anspruch macht, bezieht 
sich fast ausschließlich auf die Frage, ob das Pigment aus dem 
Blutfarbstoffe stamme oder nicht. Die Theorie der Pigment- 
bildung wäre mit der Lösung dieser Frage noch keineswegs 
erschöpft, weil zwei weitere Fragen ausständig sind, welche 
lauten: 1. Kann Pigment von der Epidermis erzeugt werden, 
oder wird es lediglich in der Cutis durch gewisse Zellen erzeugt 
und erst in die Epidermis transportiert? 2. Kommt nur ganz be- 
stimmten Zellen die Fähigkeit zu, Pigment zu erzeugen oder be- 
sitzen auch andere Zellen, namentlich die Epidermiszellen, diese 
Eigenschaft? Auch diese Frage, außer den genannten, hat seit 
Dezennien zahlreiche andere Forscher beschäftigt. Wir wollen 
jedoch auf diese Fragen an dieser Stelle nicht weiter eingehen, 
weil sie uns von der Frage nach der Natur und Abstammung 
des Pigmentes allzu sehr abführen würden, mit welcher sie nur in 
einem entfernteren Zusammenhange stehen. 


Auch ich habe mich schon längere Zeit mit der Pigment- 
frage beschäftigt, allerdings nur mit Heranziehung histologischer 
Methoden, ohne daß es mir gelungen wäre, der Frage auf diesem 
Wege neue Gesichtspunkte abzugewinnen. Ich hoffte hingegen, 
daß dies auf dem Wege der chemischen Untersuchung möglich 
sein würde, wenn man das Pigment in entsprechend großen 
Quantitäten darstellte. 


Bevor ich jedoch über meine einschlägigen Untersuchungen 
berichte, möchte ich in kurzem über das, was in dieser Richtung 
hierüber bekannt ist, berichten. 

Einige ältere Arbeiten, die sich mit dieser Frage beschäftigten, 
habe ich bereits eingangs dieser Erörterungen erwähnt. 


*) B. Rosenstadt, Studien über die Abstammung und die Bildung 
des Hautpigmentes. Arch. f. mikr. Anatomie, 1897, 0. 

**) M. Kaposi, Über Pigmentierungen und Entfärbungen der Haut. 
Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1891. 


a 2 


a ee 2 ce ee cd ee = ia ms 


Über das Haarpigment. 45 


Ich schicke voraus, daß das hauptsächlichste Ausgangs- 
material meiner Untersuchungen das Pigment des schwarzen und 
des weißen Roßhaares, sowie der schwarzen und weißen Schaf- 
wolle war, und erwähne dies hier deshalb, weil die Verfasser 
gleich einer der ersten unter den neueren Arbeiten, Hodgkinson 
und Sorby*), das schwarze Pigment schwefelfrei fanden. Da 
ihr Ausgangsmaterial aber Rabenfedern waren, so ergibt sich, 
die Richtigkeit der Analysen vorausgesetzt, hieraus eine ganz 
wesentliche Verschiedenheit der chemischen Zusammensetzung 
vom Pigment der Roßhaare, welches ich sehr reich an Schwefel- 
und Kieselsäure fand. 

Floyd“*) fand in der Negerhaut nach Waschen mit Wasser, 
Alkohol und Äther 2,4 Proz. Asche, fast das Doppelte von dem 
Aschengehalte bei Weißen. Auch der Eisengehalt (2,28 Proz.) ist 
nach Floyd fast doppelt so groß als bei Weißen. Floyd schließt 
daraus, daß das Pigment eisenhaltig sei, und hält seine Ent- 
stehung aus Blutfarbstoff für wahrscheinlich. Die Untersuchungs- 
resultate Floyds sind aber aus dem Grunde belanglos, weil sein 
Ausgangsmaterial nicht Pigment, sondern die ganze Negerhaut war. 

R. Mays“**) stellte aus den Augen von Hühnern ein braunes 
Pigment dar, über welches er keine näheren Mitteilungen hin- 
sichtlich seiner chemischen Zusammensetzung machte, das 
zwar gegen chemische Agentien sehr resistent war, das sich 
jedoch leicht in verdünnten Alkalien löste, wenn es vorher dem 
Sonnenlicht oder verdünnter Salpetersäure ausgesetzt worden war. 
Das Licht bleichte allmählich den Farbstoff. Da der meine diese 
Eigenschaft nicht teilt, handelt es sich hier wohl um eine von 
den hier zu beschreibenden Körpern verschiedene Substanz. 

Krukenbergr) standen Federn von Masophaga violacea, 
Corythaix persa s. Buffoni und Corythaix Verreauxii und anderer 
bunter Vögel zur Verfügung, doch zeigen die von ihm gewonnenen 
Farbstoffe von dem unseren so ganz verschiedenes chemisches 
und physikalisches Verhalten, daß dieselben für uns nicht weiter 
in Betracht kommen. 


*) M. R. Hodgkinson and H. C. Sorby, Pigmentum nigrum, the 
black colouring matter conteined in hairs and feathers. Journal of the chem. 
society. London 1877, 1. 

**) F. P. Floyd, Chemical Character of the pigment of the negro 
skin. Journal of the chem. society, 1. 

***) R. Mays, Uber das braune Pigment des Auges. Untersuchungen 
aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg, 2. 

+) Krukenberg, Die Farbstoffe der Federn. Vergleichende physiolog. 

Studien, 5. Abteilung und 2. Reihe, I. Abteilung. 


46 | Eduard Spiegler, 


Wurster*) zeigte, daß der Blutfarbstoff in Gegenwart von 
Essigsäure und Milchsäure in einen braunschwarzen Körper um- 
gewandelt wird, der unter Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd 
alle Schattierungen durchmacht, die wir an blonden und braunen 
Haaren sehen, bis endlich eine weißliche Masse zurückbleibt. 

Auf Grund dieser Tatsache erklärt er die verschiedenen Farben- 
abstufungen der Haare durch Einwirkung von H,O, oder salpetriger 
Säure auf Eiweiß und Blutfarbstoff: Blond: viel H,0,, neutral und sauer; 
braunschwarz: wenig H,0,, sauer; tief schwarz: salpetrige Säure, sauer; 
rot: viel salpetrige Säure; grau: noch pigmenthaltiges Haar, durch Luft 
grau erscheinend; diese Luftentwickelung bedingt durch H,O,, welches 
im Haar freien Sauerstoff entwickelt. \ 

N. Sieber**) stellte aus der Chorioidea von Rinderaugen 
0,25 g Pigment dar, welches sie nicht nur eisen-, sondern auch 
schwefelfrei fand. Hieraus ergibt sich schon ein durchgreifender 
Unterschied gegenüber unserem Haarpigment, was Hirschfeld***) 
und Landoltr) bestätigt haben. Hingegen ergab das aus Menschen- 
haaren dargestellte Pigment, welches dieselbe Forscherin darge- 
stellt hatte, eine Zusammensetzung, die sich den von mir ge- 
fundenen Zahlen etwas nähert und denen zufolge auch das 
Pigment des Menschenhaares einen erheblichen Schwefelgehalt 
aufweist. Sie fand: C 56,14 Proz.,, H 7,57 Proz., N 8,5 Proz,, 
S 4,10 Proz. Das von ihr untersuchte Haar war ein Gemisch von 
braunem und schwarzem Haar: Bei einer anderen Analyse, bei 
welcher nur schwarzes Haar von einem einzigen Individuum ver- 
wendet worden war, fand sie bei ungefähr gleicher sonstiger Zu- 
sammensetzung den Schwefelgehalt viel niedriger und zwar mit 
nur 2,71 Proz. Die Frage, ob die Haarfarbe mit dem wechselnden 
Schwefelgehalte zusammenhängt, will sie hiermit nicht entschieden 
haben, sondern erst weiteren Untersuchungen vorbehalten. Hinsicht- 
lich des Farbstoffes der schwarzen Roßhaare wird nur die 
Analyse, C 57,6 Proz., H 4,2 Proz., N 11,6 Proz., S 2,1 Proz. und 
O 24,5 Proz., ohne nähere Erläuterung angeführt. 


Gewiß verschieden von unserem Pigment, wenn auch viel- 
leicht mit ihm verwandt, ist aber der zuerst von Berdez und 


*) ©. Wurster, Das Verhalten des salpetrigsauren Natrons zum Hühner- 
eiweiß und zum Farbstoffe des Blutes. Du Bois-Reymonds Archiv, 1887. 

**) N. Sieber, Über die Pigmente der Chorioidea und der Haare. 
Arch. f. exper. Pathol. und Pharmak., 20. 

***) Eugen Hirschfeld, Untersuchungen über die schwarzen Farbstoffe 
der Chorioidea und verwandte Pigmente. Zeitschrift. f. physiol. Chemie, 
13, 414. 

+) Landolt, Über das Melanin der Augenhäute, ibid. 28, 407. 


u u et a ee u 5. ee MD Zu DS De u u 


Über das Haarpigment. 47 


Nencki*), aus melanotischen Geschwülsten des Menschen dar- 
gestellte und von ihnen als Phymatorhusin bezeichnete Pigment- 
körper, da derselbe trotz hohen Schwefelgehaltes ganz abweichende 
chemische und physikalische Eigenschaften aufweist. 

Dasselbe gilt von dem von denselben Autoren**) darge- 
stellten „Hippomelanin“. Es ist dies ein Pigment, welches sie 
aus den bei Pferden so häufig beobachteten melanotischen Tumoren 
isoliert haben. Es unterscheidet sich nicht nur durch einen viel- 
fach geringeren Schwefelgehalt von dem Phymatorhusin, sondern 
weist auch wesentliche Unterschiede von unserem Pigment auf. 

Der Erste, welcher normales melanotisches Pigment vom 
Menschen chemisch zu gewinnen suchte, scheint, wie bereits 
erwähnt, F. P. Floyd***) gewesen zu sein, doch sind seine Resultate 
für uns nicht verwendbar, weil er das Pigment nicht von den 
zelligen Bestandteilen trennte. Wichtig ist hingegen die Arbeit 
von John J. Abel und Walter S. Davisr), welche das Pigment 
aus der Haut und den Haaren des Negers darstellten. Sie fanden: 

Für Pigment 


der Epidermis der Haare 
C 51,83 Proz. 52,74 Proz. 
1153.86... 3,98 „ 
NA“, Male‘, 
426.708)"; 23,88, 
Nach Behandlung des Pigments mit Kali fanden sie hingegen 

Hautpigment Haarpigment 
C 53,56 Proz. 57,06 Proz. 
2.311, BAur.., 

N 15,47 12,87 

Ss 2,53 aus 

0 23,33 22,85 


” 


Doch glauben die genannten Autoren selbst, on konstantes 
Präparat in Händen gehabt zu haben, sondern ein Gemenge von 
wechselnder Zusammensetzung. Meine Präparate hingegen gaben 
auch nach Behandlung mit eingreifenden Reagentien (konzentrierte 
H,SO,) Konstante Zahlen. Eisen fanden sie nur in Spuren, in der 
Asche vornehmlich Kieselsäure. Ferner sei noch die Arbeit von 


*) J. Berdez und M. Nencki, Über die Farbstoffe der melanotischen 
Sarkome. Arch. f. exp. Pharmakologie und Pathologie, 20, 346. 
IL: -8. 
»*#) F, P. Floyd, l. c., und Chemical News, 1876, 34, 179. 
7) John J. Abel and Walter S. Davis, on the pigment of the Negro’s 
Skin and Hair, Journal of experimental medicine, 1, 361. 


48 Eduard Spiegler, 


Walther Jones und John Auer“) erwähnt, welche das Pigment 
aus schwarzen Roßhaaren der Oxydation in alkalischer Lösung 
unterzogen und zu Oxalsäure gelangten, während sie aus dem 
Pigmentkörper selbst durch abwechselnde Behandlung mit Kalı 
und Salzsäure zu einem schwefelfreien Körper gelangten, der die 
Eigenschaften der Melaninsäuren zeigt. 

Leo v. Zumbusch**) untersuchte das Sarkomelanin (aus mela- 
notischen Tumoren) vom Menschen und fand es folgendermaßen 
zusammengesetzt: 

C 51,68 Proz., H 6,46 Proz., N 14,56 Proz., S 1,74 Proz., Fe 0,47 Proz. 
Die Asche betrug 18,726 Proz. und bestand aus Kieselsäure, 
Phosphorsäure, Schwefelsäure und bedeutenden Mengen Calcium. 


Experimentelles. 
1. Pigmentsäure aus schwarzem Roßhaar. 


Fünf Kilo schwarzes Roßhaar wurden zunächst mit '/s - proz, 
Na,CO, Lösung gewaschen, sodann mit 25 Liter einer 5-proz. Kali- 
lauge bis zur völligen Lösung gekocht, was etwa 4 Stunden beansprucht. 
Nach erfolgter Lösung, wobei reichlich H,S und NH, entweicht, wird die 
erkaltete schwarzbraune Flüssigkeit mit einem sehr großen Überschuß 
von konzentrierter Salzsäure versetzt. Hierbei scheidet sich unter heftiger 
Gasentwickelung eine teigige Masse aus, die rasch auf den Boden des 
Gefäßes sinkt. Dieselbe wird am besten mittels eines Koliertuches von 
der dunklen Flüssigkeit getrennt. Hierauf wird sie mit destilliertem 
Wasser und verdünnter Salzsäure gut ausgewaschen und mit 5 - proz. 
Salzsäure in einem Kolben am Sandbade unter dem Rückflußkühler 
8 Stunden gekocht, um so die letzten Reste etwa noch anhaftender 
Eiweißkörper zu entfernen. Dabei scheidet sich ein sehr feines braunes 
Pulver aus, welches heiß abfiltriert und dann in einer Schale am Wasser- 
bade getrocknet wird. Das Letztere ist zwar nicht unbedingt notwendig, 
es erleichtert aber wesentlich dienächsten Manipulationen. Die Substanz 
wird nunmehr mit konzentriertem, wässrigem Ammoniak in einer Reib- 
schale verrieben, abfiltriert, das Filtrat mit Salzsäure gefällt, der Pigment- 
körper abfiltriert, gut gewaschen und dieselbe Prozedur wiederholt. Die 
so dargestellte Substanz wird zuerst am Wasserbade, schließlich im 
Toluolbade getrocknet und im Achatmörser zu feinstem Pulver verrieben. 
Behufs weiterer Reinigung dieses Körpers wurde derselbe durch Verreiben 
mit konzentrierter H,SO,, wie dies bereits Nencki angegeben hat, gelöst, 
wobei sich etwas SO, entwickelt. Es wird über Glaswolle an der Pumpe 
filtriert; die Lösung wird sodann in viel kaltes destilliertes Wasser ge- 
gossen, worauf das Pigment sich wieder als feines Pulver abscheidet. 
Es wird filtriert und so lange gewaschen, bis das Waschwasser keine 
Schwefelsäurereaktion mehr gibt, Das Pulver wird getrocknet und diese 
Prozedur noch einmal wiederholt. Das Präparat eignet sich in diesem 
Zustande noch nicht zur Analyse. Es enthält nämlich infolge seiner 


*) The amer. Journal of Physiology, 5, 321. 
**) Zeitschrift f. physiol. Chemie, 36, 521. 


a 


Über das Haarpigment, 49 


Darstellungsweise elementaren Schwefel, worauf die bisherigen Unter- 
sucher nicht geachtet zu haben scheinen, und liefert viel zu hohe und 
naturgemäß inkonstante Schwefelzahlen. Das vorerst mit Alkohol ge- 
waschene Präparat wird deshalb mit reinem Schwefelkohlenstoff und 
rasch nach diesem mit Ather ausgewaschen. 


Eigenschaften und Zusammensetzung der Pigmentsäure 
aus schwarzem Roßhaar. 


Schwarzbraunes Pulver, unlöslich in Wasser und organischen 
Lösungsmitteln, leicht löslich in Ammoniak und den fixen Alkalien, 
löslich in konz. Schwefelsäure in der Kälte, unlöslich in verdünnten 
Säuren. Besitzt keinen Schmelzpunkt, versintert vielmehr all- 
mählich beim Erhitzen. Mit Zinkstaub erhitzt gibt es Pyrrol- 
reaktion und mit Chromsäure in Eisessig gelöst ein Oxydations- 
produkt, welches weiter besprochen wird. 

Elementaranalysen: 

Aschegehalt 9,380 Proz. 

0,1580 gaben 0,3143 CO, und 0,0762 H,O, entsprechend 54,26 Proz. C 
und 5,36 Proz. H. Auf aschefreie Substanz berechnet 
59,49 Proz. C und 5,87 Proz. H, 

0,1664 g gaben 0,3340 CO, und 0,0801 g H,O, entsprechend 54,748 C 
und 5,34 Proz. H. Auf aschefreie Substanz berechnet 
60,02 Proz. C. und 5,91 Proz. H. 

0,1824 g gaben nach Dumas bei 19° C und 760 mm 16,2 ccm, ent- 
sprechend 10,21 Proz. N, aschefrei 11,18 Proz. N, 

0,1730 g gaben nach Dumas bei 21° C und 758 mm 14,80 ccm N, 
entsprechend 9,70 Proz. N, aschefrei 10,64 Proz. N. 

0,5770 g gaben nach Liebig 0,1304 g BaSO,, entsprechend 3,10 
Proz. S, aschefrei 3,43 Proz. S. 
Die Asche bestand aus Kieselsäure und Spuren von Eisen. 


Analysentabelle C H N D- 


| 59,49 ae RC 1118 3.43 
ee). 0002 5,91 10,64 
Berechnet für f 
60,36 5.80 11,26 3,22 
C,oH;38NgSO]; | : : 


2. Pıgmentsäure des Schimmelhaares. 


Der Darstellungsprozeß ist im großen und ganzen derselbe, 
wie er beim schwarzen Roßhaare geschildert wurde; doch ergab 
sich hier die Notwendigkeit einiger Abänderungen. Als ich 
nämlich das Pigmentpulver aus Schimmelhaar nach dem 
Kochen mit 5-proz.. Salzsäure in Ammoniak löste, zeigte 
es sich zu meiner großen Überraschung, daß die Substanz 


hierbei ganz schwarz wurde. Das Ammoniak tritt offenbar 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 4 


50 Eduard Spiegler, 


hier als farbstoffbildende Komponente in den hellen Pigmentkörper 
ein. Ob der hierbei entstehende dunkle Körper identisch ist mit 
dem Pigmentkörper aus dem schwarzen Roßhaar, kann erst durch 
Untersuchungen, über die ich bald berichten zu können hoffe, 
festgestellt werden. Hingegen gelang die weitere Reinigung leicht 
durch Auflösung in konzentrierter Schwefelsäure in der Kälte 
und Fällung durch Eingießen in viel kaltes destilliertes Wasser, 
“ was zweimal wiederholt wurde in gleicher Weise, wie dies beim 
Pigment aus schwarzem Roßhaar angegeben worden ist. 


Es resultiert auf diese Weise schließlich ein helles grau- 
braunes Pulver, welches die Pigmentsäure aus Schimmelhaar dar- 
stellt. Daß dasselbe nicht vollkommen weiß ist, kann in Anbetracht 
dessen, daß ja auch das Schimmelhaar nie ganz weiß ist, sondern 
immer mehr oder minder eine graue, mitunter auch gelbliche 
Nuance zeigt, nicht wundernehmen. Die Farbe wird noch durch die 
Eingriffe der verschiedenen chemischen Agentien beeinflußt, denn 
wir konnten beobachten, daß die Substanz gelöst in konzentrierter 
Schwefelsäure unmittelbar nach dem Eingießen in das destillierte 
Wasser nahezu weiß erschien; nach längerem Stehen nahm die- 
selbe nach und nach eine dunklere Färbung an. Die chemische 
Zusammensetzung weicht um ein geringes im Kohlenstoff und 
Wasserstoff vom Pigmentkörper aus dem schwarzen Roßhaar ab. 
Auffallend ist jedoch der nahezu doppelt so große Aschegehalt 
dieses Körpers gegenüber dem erstbeschriebenen. 


Analysen der Pigmentsäure aus Schimmelhaaren. 


Aschegehalt 16,28 Proz. 

0,1814 g gaben 0,2742 g CO, und 0,0979 H,O, entspr. 40,63 Proz. C 
und 5,90 Proz. H, aschefrei 48,53 Proz. C und 7,04 Proz. H. 

0,1583 g gaben 0,2357 CO, und 0,0842 H,O, entspr. 40,60 Proz. C und 
5,91 Proz. H, aschefrei 48,51 Proz. C und 7,06 Proz. H. 

0,1964 g gaben nach Dumas bei 20° C und 758 mm 18,33 cem N, 
entspr. 10,63 Proz. N, aschefrei 12,69 Proz. N. 

0,1664 gaben nach Dumas bei 21° C und 750 mm 15,61 ccm N, 
entspr. 10,53 Proz. N, aschefrei 12,58 Proz. N. 

0,5690 gaben nach Liebig 0,0974 BaSO,, entspr. 2,35 Proz, S, asche- 
frei 2,380 Proz. S. 


Analysentabelle | BR H N Ss 
(| 48,53 7,04 12,69 2,80 
Gefunden ° | 48,51 7,06 12,58 
a | 7,02 12.61 2,88 
C.H7N 80 | ; ; 


Über das Haarpigment. 51 


Es erschien nun von großem Interesse, die Untersuchungen auf 
die Pigmente anderer Tiere auszudehnen und auch da das schwarze 
und weiße Pigment zu vergleichen. 


3. Pigmentsäure aus schwarzer Schafwolle. 


Behufs Darstellung und Reinigung befolgte ich die beim 
schwarzen Roßhaare verwendete und oben beschriebene Methode. 
Als Ausgangsmaterial diente naturschwarze Wolle. 
Tiefschwarzes Pulver. 
Aschegehalt 10,85 Proz. 
0,1630 g Substanz gaben 0,2718 g CO, und 0,0796 H,O, entspr. 
45,47 Proz. C und 5,47 Proz. H, aschefrei 51,00 Proz. C und 
6,13 Proz. H. 

0,1662 g gaben 0,2766 CO, und 0,0817 H,O, entspr. 45,39 Proz. © und 
5,46 Proz. H, aschefrei 50,91 Proz. GC und 6,15 Proz. H. 

0.1662 g gaben nach Dumas bei 21° C und 752 mm B 13,6 ccm N, 
entspr. 9,22 Proz. N, aschefrei 10,34 Proz. N. 

0,1842 g gaben nach Dumas bei 19° GC und 750 mm 14,8 ccm N, 
entspr. 9,11 Proz. N, aschefrei 10,21 Proz. N. 

0,5830 g gaben nach Liebig 0,1040 g BaSO,, entspr. 2,60 Proz. S, 
aschefrei 2,91 Proz. S. 


Analysentabelle C | H | N | S 
(| 5100 1613 10,34 2,91 
gesunden | 5091. | 615 10,21 
= a || a > a a 10.33 2,95 
C,eesNsS0, | ; ., 2 ’ 


Darstellung der Pigmentsäure aus weißer Schafwolle. 


Der Vorgang bei der Darstellung der Farbsäure aus weißer, 
ungebleichter und auch sonst nicht künstlich appretierter Schaf- 
wolle ist genau derselbe wie bei der schwarzen Wolle und beim 
schwarzen Roßhaare, nur hat hier das Behandeln mit NH; zu ent- 
fallen, weil analog wie beim Schimmelpigment eine dunkle Färbung 
eintritt. 

Die Pigmentsäure aus weißer Schafwolle ist ein hellgraues Pulver 
folgender Zusammensetzung: 

Aschegehalt 2,30 Proz. 

0,1620 g gaben 0,3218 CO, und 0,1052 H,O, entsprechend 54,18 Proz. © 

und 7,21 Proz. H, aschefrei 55,45 Proz. C und 7,38 Proz. H. 

0,1883 g gaben 0,3720 g CO, und 0,1225 H,O, entsprechend 53,93 

Proz. C und 7,22 Proz. H, aschefrei 55,20 Proz. C und 7,40 
Proz. H. 
0,1677 g gaben nach Dumas bei 21° C und 748 mm B 15,8 cem N, 
entsprechend 10,37 Proz. N, aschefrei 10,62 Proz. N. 
4* 


52 Eduard Spiegler, 


0,1448 g gaben nach Dumas bei 18° GC und 751 mm B 13,50 ccm N, 
entsprechend 10,62 Proz. N, aschefrei 10,87 Proz. N. 

0,6024 g gaben nach Liebig 0,0998 BaSO,, entsprechend 2,25 Proz. S, 
aschefrei 2,30 Proz. S. 


Analysentabelle | C H | N S 


Berechnet für 
CzıHgsN 10 SO 0 


Gefunden 
| 
J 


Die bisher von verschiedenen Forschern dargestellten Pig- 
ment-Präparate können auch nicht annähernd den Anspruch auf 
Analysenreinheit erheben, und es wären Schlüsse aus den Ver- 
hältniszahlen zwischen C:H:N:S als durchaus verfrüht zu be- 
trachten. Jedenfalls muß der Analyse eine Reinigung durch Auf- 
lösen in konzentrierter Schwefelsäure vorausgehen. Die bisher 
vorliegenden Schwefelwerte der natürlichen Pigmente aus Haaren 
oder Haut sind wohl alle unrichtig, da keiner von meinen Vor- 
gängern über das Vorkommen von elementarem Schwefel in den 
Präparaten berichtet, und da die Reinigung mittelst Schwefel- 
kohlenstoff unterlassen wurde. 

Die von mir dargestellten Präparate entsprechen den hier 
aufgestellten Bedingungen, es ist auch aus den Analysen ersichtlich, 
daß sie durchaus andere Verhältniszahlen ergeben, als sie von den 
früheren Autoren angegeben werden, und daß sie zu wesentlich 
niedrigeren und einfacheren Formeln führen. 

Der schwarze Pigmentkörper mit der einfachsten Formel 
C,H; NsSO,, und der helle Pigmentkörper C,H7sNSO,, unter- 
scheiden sich, wie die analytischen Belege zeigen, nur um ein 
geringes; es ist sehr wahrscheinlich, daß sie im Kerne identisch 
sind und daß die verschiedene Färbung lediglich durch Eintritt 
einer chromogenen Gruppe in denselben bedingt wird. Sehr ins 
Auge fallend ist der große Unterschied im Wasserstoffgehalt wie 
im Sauerstoffgehalt; der helle Pigmentkörper enthält viel mehr 
Wasserstoff, Sauerstoff und auch Stickstoff, während er kohlen- 
stoffärmer ist als die schwarze Farbsäure. Der helle Pigmentkörper 
ist gleichsam zugleich Oxydations- und Reduktionsprodukt des 
dunklen. Auf die Zulässigkeit einer solchen Annahme werden wir 
dadurch gebracht, daß ja das helle Pigment durch Hinzutritt von 
NH, schwarz wird. Bewiesen wird übrigens die genetische Identität 
durch eine beiden Substanzen gemeinsame Gruppierung, welche 
zu einem identischen Oxydationsprodukt führt. 


Über das Haarpigment. 53 


Mutmaßlicher Ursprung des Pigmentes. 


Für die Entstehung des Pigmentes innerhalb des Organismus 
bestehen, wie eingangs auseinandergesetzt, verschiedene Möglich- 
keiten. Die naheliegendste schien wegen der Färbung des dunklen 
Pigmentes, und dies hat unter anderen wohl die meisten Histologen 
bestochen, die, daß das Pigment aus der farbigen Komponente des 
Hämoglobins entstanden sei. Unterstützt wurde diese Meinung 
dadurch, daß das Pigment im Embryo erst mit dem Auftreten des 
Blutes sichtbar wird, ferner dadurch, daß man das Pigment so 
häufig in unmittelbarer Nähe der Blutgefäße findet — daher das 
emsige Suchen nach Eisen in den verschiedenen Pigmenten, wie- 
wohl man ja in dem Hämatoporphyrin einen eisenfreien Blut- 
farbstoff gefunden hatte. Dies beweist, daß der Eisengehalt oder 
Eisenmangel mit der Provenienz aus dem Blute nichts zu tun hat. 
Es ist ja bekannt, daß die Gallenfarbstoffe aus dem Blutfarbstoffe 
stammen und daß wir schließlich von dem Hämatin aus zu un- 
gefärbten Oxydationsprodukten und Reduktionsprodukten gelangen 
können. 


Es war daher festzustellen, ob man nicht aus dem Blutfarb- 
stoffe und dem Pigmente identische oder chemisch verwandte 
Derivate herstellen könne. 


Nach dieser Richtung war der Weg insofern vorgezeichnet, als 
in letzter Zeit einerseits durch Zaleski und Nencki*), andererseits 
durch Küster**) charakteristische Derivate des Blutfarbstoffes ge- 
funden worden waren. 


Zaleski und Nencki erhielten bei der Reduktion und 
Spaltung von Acethämin mit Jodwasserstoff von hoher Konzentration 
(2.0 Sp. G.) und Jodphosphonium ein destillierbares Produkt, das 
Hämopyrrol, welches wahrscheinlich ein Methylpropylpyrrol ist. 
Andererseits fand Küster bei der Oxydation von Hämatin mit 
Eisessig und Chromsäure ätherlösliche Säuren — die Hämatinsäuren, 
von denen eine C,H;0,N wahrscheinlich zu Fittigs Methyl-Äthyl- 
maleinsäure in Beziehung steht. 


Ist nun das dunkle Pigment ein Derivat des Blutfarbstoffes, 
oder beteiligt sich auch nur der Blutfarbstoff an der Bildung des- 
selben, so mußte man bei entsprechender Behandlung des Pig- 
mentes entweder Hämopyrrol oder eine Hämatinsäure erhalten. 


*) Ber. d. deutschen chem. Gesellschaft. Jahrgang 34, S. 997. 
**) Zeitschr. f. phys. Chemie. 28, 1, 29, 185, Liebigs Annalen. 
350, 186. 


54 Eduard Spiegler, 


Versuch der Darstellung von Hämopyrrol aus 
schwarzem Pigment. 

5 g Pigment werden in 250 g Eisessig suspendiert, 200 g Jodwasser- 
stoff vom Sp. G. 2,0 und 50 g Jodphosphonium, letzteres successive hinzu- 
gefügt; das Ganze wird am Steigrohr im Wasserbad !/, Stunde lang 
erhitzt. Anscheinend trat hierbei keine Reaktion ein, das Pigment blieb 
vielmehr fast ganz ungelöst. Es wurde die Hauptmasse der Säure mit 
Kali abgestumpft und bei noch schwach saurer Reaktion abdestilliert. 
‚ Zum Schluß wurde noch bei alkalischer Reaktion destilliert. Aber weder 
aus dem alkalischen noch aus dem sauren Anteil ging Hämopyrrol über, 
was durch den negativen Ausfall der Pyrrolreaktion festgestellt wurde. 
Das Destillat gab weder eine Pyrrolreaktion noch eine Fällung mit 
Sublimat, noch auch eine Fällung mit Pikrinsäure. 

Es erschien wohl nach diesem negativen Ergebnis ganz un- 
wahrscheinlich, daß im Pigment Hämopyrrol G;H,; N, welches das 
einfachste aus Hämatin darstellbare Ringsystem darstellt, vorhanden 
ist, und da die Küstersche Hämatinsäure (Methyl- Äthylmalein- 
säureimid) C;Hs0,N aus Hämopyrrol durch Oxydation mit Chrom- 
säure entsteht (Berl. Ber. 35, 2954), so war von vornherein 
nicht anzunehmen, daß man bei Oxydation mit Chromsäure 
zur Hämatinsäure gelangen würde. Tatsächlich hat sich diese 
Voraussetzung bestätigt, aber Oxydationsversuche mit Pigment 
führten zu einer neuen Substanz, welche gleichmäßig 
aus den Farbsäuren aus Schimmelhaar, schwarzem 
Roßhaar, weißer und schwarzer Schafwolle erhalten 
wurde und ein Licht auf den Aufbau des Pigmentes zu werfen 
geeignet ist, da alle bisher von mir untersuchten Pigmente die 
gleiche Verbindung in guter Ausbeute liefern. 


Oxydationsprodukt. 

Läßt man den schwarzen Pigmentkörper mit Schwefelsäure 
und chromsaurem Kalı in der Kälte stehen, so bemerkt man 
schon nach kurzer Zeit die Umwandlung desselben in einen weißen 
krystallinischen Körper. Diese Umwandlung nimmt bei längerem 
Stehen immer mehr zu. Dieser Vorgang ist verbunden mit ge- 
ringer Gasentwickelung. Um dieses Oxydationsprodukt in größerer 
Menge zu gewinnen, hat sich nach verschiedenen Versuchen fol- 
gende Vorschrift am besten bewährt. 

20 g des Pigmentkörpers werden allmählich in 250 ccm einer warmen 
18—20-proz. Chromsäurelösung (hergestellt aus K,Cr,0, und H,SO,) unter 
fortwährendem Umschütteln eingetragen. Die Reaktion ist eine ziemlich 
lebhafte und geht unter reichlicher Entwickelung von Gas vor sich. Dieses 
wurde nicht näher untersucht, schien aber aus Kohlensäure und Stickstoff 


zu bestehen. Es empfiehlt sich daher, das Ablaufen der Hauptreaktion 
jedesmal abzuwarten, ehe man neuerdings von der Substanz zusetzt. 


Über das Haarpigment. 55 


Ist alles eingetragen, so stellt man das Gemenge noch auf 2!/, Stunden 
auf das Wasserbad. Man verdünst sodann mit destilliertem Wasser und 
filtriert wegen des niedrigen Schmelzpunktes des Oxydationsproduktes 
erst nach dem Erkalten ab und wäscht, bis keine Spur Chrom mehr vor- 
handen ist. Der Niederschlag wird auf dem Tonteller getrocknet. Der- 
selbe enthält Schwefel, sehr viel Kieselsäure und das Oxydationsprodukt. 
Die Farbe dieses Gemenges ist gelblichweiß. Die Substanz wird mit 
etwas Eisessig gekocht und heiß filtriert. Hierbei geht das Oxydations- 
produkt sowie Spuren von Schwefel und Kieselsäure in Lösung, während 
der weitaus größte Teil von Kieselsäure und Schwefel sowie eventuelle 
Reste unoxydierter Substanz auf dem Filter zurückbleiben. 

Nach Erkalten der Lösung scheiden sich die gelöst gewesenen 
Spuren von Schwefel und Kieselsäure ab, während das Oxydations- 
produkt auch in der Kälte in Lösung bleibt. Letzteres wird aus derselben 
durch Zusatz von destilliertem Wasser gefällt und 5—6 Stunden ruhig 
stehen gelassen. Dies ist deshalb notwendig, weil der Niederschlag so 
fein verteilt ausfällt, daß er das Filter passieren würde. Nach dem Ab- 
setzen wird auf der Pumpe abgesaugt, was aus oben genanntem Grunde 
noch immer mit Schwierigkeiten verbunden ist. Der Niederschlag wird 
von der Essigsäure durch Auswaschen befreit, in der Kälte getrocknet, 
zweimal aus Aceton und schließlich aus absolutem Alkohol 
bis zum konstanten Schmelzpunkt von 68° umkrystallisiert. 


Die Untersuchung ergab die Abwesenheit von Schwefel und 
Stickstoff. Der Körper stellt schneeweiße kleine Nadeln dar, die 
in Wasser unlöslich, in allen übrigen Lösungsmitteln löslich sind. 
Die Analyse ergab folgende Zahlen: 


]. 0,1860 g Substanz gaben 0,4850 g CO, und 0,2000 g H,O. 
2. 0,1660 g ii i 0,4330 g CO, und 0,1800 g H,O. 
Diese Zahlen entsprechen der Formel: C,H2.O;. 
Berechnet Gefunden 
I I 
Proz. C 70,96 Proz. C 11,07 71,14 
ART. 11,94 12,04 


Der Schmelzpunkt ergab sich zu 68°C. Der Siedepunkt 
unkorr. zu 256°—258° C. 


Die Analyse der Substanz sowie ihre Löslichkeitsverhältnisse, 
Schmelz- und Siedepunkt stimmen ganz überein mit einer von 
Butlerow beschriebenen Methyldibutylessigsäure C,ıH»20,, welche 
ihrer Entstehung nach als 2.2.3.4.4. Pentamethylpentan-3- 
carbonsäure CH; .C[C (CHs).], COOH anzusehen ist. Butlerow 
beschreibt sie (Journal d. russ. chem. Gesellsch. 11, 203) als 
krystallinische Masse, mit Wasserdampf destillierbar. Die frisch 
erstarrte Säure schmilzt bei 66—70°, siedet unzersetzt bei 260° 
(korr.), ist unlöslich in Wasser, leicht löslich in Alkohol und Äther. 
Butlerow erhielt sie bei Oxydation von Isotributylen mit Chrom- 


56 Eduard Spiegler, 


säuregemisch in der Kälte. Isotributylen ist nun ein Duodekylen 
der Formel: 


CH, CH, 
N, 
CH; m H: 
CuHs«—=(CH.), . CC(CICH;].)» oder CH, CC € CH, 
CH“ NCH, 


Da ich die Methyldibutylessigsäure nach dem gleichen 
Oydationsverfahren aus Pigment erhalte, wie Butlerow aus Iso- 
tributylen, so wird man wohl annehmen können, daß bei dem 
Oxydationsvorgang aus einem hydroaromatischen Kohlenwasser- 
stoffkern durch Ringsprengung Isotributylen und weiterhin Methyl- 
dibutylessigsäure entstanden ist. 

Ich bin nun mit dem Studium der weiteren Oxydations- 
produkte, sowie des Reduktionsproduktes der Pigmente beschäftigt. 


* * 
* 


Durch die vorliegende Untersuchung ist wohl der sichere 
Nachweis erbracht, daß an dem hämatogenen Ursprung des Haar- 
pigmentes nicht weiter festgehalten werden kann. Während die 
histologischen Untersuchungen keine entscheidende Aufklärung 
bringen können, gelingt die Lösung des Problems auf chemischem 
Wege. Sie zeigt, daß aus dem Pigment der Haare nach sorg- 
fältiger Reinigung keines von den tiefen Abbauprodukten der 
färbenden Komponente des Hämoglobins erhalten werden kann. 
Es erscheint daher eine Entstehung aus dem Hämatin 
ausgeschlossen. Außerdem ist hier zum erstenmale die 
Existenz eines „weißen Ühromogens“ festgestellt, 
welches die Ursache der weißen Farbe der weißen 
Schafwolle und des Schimmelhaares ist, was, wie be- 
kannt, bisher anders gedeutet wurde, und es sind ferner die 
nahen chemischen Beziehungen des weißen CUhromogens zu den 
bunten Farbsäuren demonstriert worden. 

Wir müssen nun die anderen Möglichkeiten der Entstehung 
von Pigment erörtern. In den geistreichen Ausführungen in 
Samuelys Arbeit über künstliche Melanine aus Hofmeisters 
Laboratorium*) werden bei der Annahme einer etwaigen Ent- 
stehung von Pigment aus Eiweiß zur Erklärung 1. die skatol- 
bildenden Gruppen, 2. die tyrosingebenden Gruppen, 3. pyrrol- 
bildende Gruppen und 4. pyridingebende Gruppen des Eiweißmoleküls 


*) Hofmeisters Beiträge. Bd. 2. 


Über das Haarpigment. 57 


herangezogen. So interessant diese theoretischen Voraussetzungen 
sind, so können sie doch vorläufig nur wenig zur Aufklärung der 
Konstitution des natürlichen Pigmentes beitragen, solange nicht 
die Erforschung der Abbauprodukte des Pigmentes eine sichere 
Grundlage zu Spekulationen über die vom Organismus zum Auf- 
bau des Pigmentes verwendeten, im Eiweiß oder in anderen 
Körperbestandteilen vorgebildeten Gruppen gegeben hat. Die 
gewiß sehr merkwürdige Bildung von Melanoidinen bei der 
Hydrolyse von Eiweißsubstanzen durch Säure, die entschieden 
als Kondensationsvorgang aufzufassen ist, kann nicht direkt zur 
Erklärung der Bildung von Pigment im Organismus oder zur 
Aufklärung des Aufbaues natürlicher Pigmente herangezogen 
werden. Schmiedeberg*), der konstatieren konnte, daß von den 
vielen untersuchten pathologischen und normalen Melaninen nicht 
zwei die gleiche Zusammensetzung haben, zieht zur Erklärung 
dieser Befunde die Anschauung heran, daß das Material zur 
Bildung der Melanine nicht die genuinen Eiweißstoffe unmittelbar 
darstellen, sondern nur Spaltungsprodukte derselben und dies 
unter sehr variierenden Verhältnissen. Dies würde die bald 
äußerst reichliche, bald verschwindend geringe Pigmentbildung 
erklären, die unter generellen und individuellen, sowie unter 
physiologischen und pathologischen Verhältnissen so außer- 
ordentlich großen Schwankungen unterliegt. 

Erst eine vergleichende Untersuchung der künstlichen Melanine 
(Melanoidine nach Schmiedeberg) mit den natürlichen Pigmenten 
in Bezug auf ihre Abbauprodukte wird Klarheit in die Frage 
bringen, ob die Entstehungsbedingungen für beide eine Parallele 
zulassen oder ob es sich nur um gleichgefärbte Substanzen handelt. 
Die Natur des Pigmentes selbst aber kann nur durch das Studium 
der näheren Abbauprodukte erschlossen werden, für die uns 
vielleicht theoretische Betrachtungen, wie die von Samuely, 
Fingerzeige bieten. Auffällig ist nur, daß Samuely bei 
Oxydation von Melanoidin unter gleichen Bedingungen wie ich 
sie eingehalten, nicht auf die Methyldibutylessigsäure gestoßen 
ist. Er erhielt zwar im Ätherextrakt eine äußerst geringe Menge 
feiner Nadeln, die sauer reagierten, über deren Natur er jedoch 
nichts aussagt. Da über die Menge des verwendeten Ausgangs- 
materiales nichts berichtet wird, erscheint es notwendig, Melanoidin 
mit Melanin in bezug auf die Bildung des einzigen gegenwärtig 
bekannten charakteristischen Derivats des Haarpigments, die 
Methyldibutylessigsäure, zu vergleichen. 


*) Arch. f. exp. Path. und Pharm. 39, 1—84. 


58 Eduard Spiegler, Über das Haarpigment. 


Die Entstehung von Pyridin aus Melanoidin bei Reduktion 
mit Jodwasserstoffsäure und Phosphoniumjodid, wie sie Samuely 
beobachtet, findet beim natürlichen Melanin keine Parallele. 

Zum Schlusse sei noch die Bemerkung gemacht, daß die durch 
alkalische Aufspaltung gewonnenen Pigmente als Farbsäuren an- 
zusehen sind, die sich von dem natürlichen Pigment ableiten. 
Durch Säurehydrolyse der Keratinsubstanzen, welche das Pigment 
einschließen, erhält man anders und jedenfalls höher zusammen- 
gesetzte Pigmente; mit dem vergleichenden Studium dieser 
Substanzen, sowie mit der Überführung des Pigmentes in die 
Farbsäure bleibe ich beschäftigt. 


0 
Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 


Von Dr. Leonor Michaelis, 
Assistent an der 1. medizin. Klinik der kgl. Charit& in Berlin. 


Aus dem tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen Hochschule zu 
Berlin. (Direktor: Prof. Dr. Zuntz.) 


In einer früheren Mitteilung (10) hatte ich mich mit den Eigen- 
schaften des auf 68° erhitzten Präzipitins beschäftigt und ange- 
geben, daß dieses durch die Hitze „inaktivierte“ Präzipitin durch 
Hinzufügung einer relativ kleinen, an sich wenig wirksamen Dosis 
von unerhitztem Präzipitin in seiner Wirksamkeit auf die einge- 
stellte Eiweißart regeneriert wird. Was zunächst diese Tatsache 
anbetrifft, so konnte ich sie unter gleichen Bedingungen wieder 
bestätigen. Jedoch habe ich mich durch die weiter fortgesetzten 
Versuche überzeugt, daß die Deutung, welche ich vorläufig für 
diese Erscheinung zu geben versuchte, sich nicht mit fernerhin 
festgestellten Tatsachen vereinigen läßt. Ich hatte nämlich ver- 
sucht, den Präzipitinen eine ähnliche Doppelnatur zuzuschreiben, 
wie sie nach den bekannten Untersuchungen von Bordet und 
Ehrlich und Morgenroth den Hämolysinen zukommt, und ge- 
glaubt, auch die Präzipitine in zwei Substanzen auflösen zu können, 
welche dem Ambozeptor und dem Komplement der Hämolysine 
entsprechen, mit dem Unterschied, daß dieses Komplement nicht 
in jedem normalen Serum, sondern nur in dem Serum der vor- 
behandelten Tiere vorhanden sei. Diese Deutung also ist es, welche 
sich als unzutreffend erwiesen hat, indem ich bei der Fortsetzung 
der Versuche auf eine bisher nicht beachtete Fehlerquelle stieß. 


Die Tatsache an sich möge durch ein Beispiel (Tabelle I) er- 
läutert werden. 


60 | | Leonor Michaelis, 


Tabelle I. 
BR, 
Ziegenserum . ) 
15° auf 68° erhitztes Prä- 
Een 0,5 1,0 1,0 
zıpitin .. 
Nicht erhitztes Präzipitin 0,5 0,5 1,0 
a re re re ARE IEE S\ 
Isoton. Wasser . . . . 0,5 0,5 0,8 
Resultat nach 16 Stunden + ++ | -H+ [+++ 0 0 
etwas 
trübe, 
aber . 
nur 
opales- 
zent 
ohne 
Flok- 
ken 
(+ bedeutet sedimentierter oder 
Niederschlag). Sedi- 
| ment 
Resultat nach 86 Stunden 4 ++ | +44 I+4++| ++ 0 


Man beachte zunächst nur das Resultat, wie es 16 Stunden 
nach Ansetzung des Versuchs ausgefallen ist. Dann wird man in 
der Tat finden, daß eine an sich unwirksame, d. h. nicht zur Ab- 
setzung eines Niederschlages führende Menge von erhitztem Prä- 
zipitin (Tab. I, e) durch Hinzufügen einer an sich nur wenig 
wirkenden Menge von unerhitztem Präzipitin in seiner Wirkung 
derart regeneriert wird, daß die Menge des nunmehr entstehenden 
Niederschlages durch das unerhitzte Präzipitin allein nicht erklärt 
werden kann. (b, d.) 

Wenn man aber diesen Versuch in einem kühlen Raum stehen 
läßt und nach weiteren 24 Stunden wieder beobachtet, so hat sich 
das Resultat verändert. Während nämlich gleichzeitig angesetzte 
Kontrollröhrchen von einfachem Serum zeigen, daß bei dieser Auf- 
bewahrung spontan keine Niederschläge entstehen, sieht man im 
Gegenteil, daß jetzt das scheinbar durch das Erhitzen unwirksam 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 61 


gewordene Präzipitin schließlich doch einen Niederschlag erzeugt 
hat. Dieses Ergebnis ist ganz konstant, nur daß die Zeitdauer, 
innerhalb deren sich dieser Niederschlag absetzt, je nach dem 
Grade und der Dauer der vorangegangenen Erhitzung schwankt. 
So kann man auch durch abgestuftes Erhitzen erreichen, daß der 
Niederschlag beliebig früher oder später entsteht, und durch dieses 
abgestufte Erhitzen kann man eine vollständige Reihe von Präzi- 
pitinen mit verschiedenen Reaktionsgeschwindigkeiten 
bekommen. Diese erhitzten Präzipitine wirken auf den eingestellten 
Eiweißkörper derart, daß einige Zeit nach dem Vermischen eine 
völlig homogene Opazität entsteht, in welcher auch nicht an- 
deutungsweise ein Flöckchen zu sehen ist. Nach langem Stehen 
beginnt dann, ganz allmählich fortschreitend, die Absetzung eines 
flockigen Niederschlages. 


Tabelle I. 


10tach verdünnt 
— ren 
5 Min. 10 Min. 20 Min. 30 Min. 
auf 69—700 | auf 69% er- | auf 690 er- | auf 690 er- 
erhitztes hitztes hitztes hitztes 
Präz. Präz. Präz. Präz. 


! 
Zeesaelbumuan + 1,7%... % 0,1 0,1 0,1 0,1 
grobe leicht | minimale 
sn a Flocken trüb Trübung i 
gut grobe feinste 
Besaltatmach 3 Std... . äbuesefzt | Flocken | Flocken fast 0 
$ B gut gröbere | feinste 
Besultatinach 4 Std... 0. ebenso ahgesetzt | Flocken | Flocken 
gut 
Besultat nach 24 Std. . . . . ebenso ebenso abgesetzt 
abgesetzt 


Diese Tabelle zeigt eine solche Reihe, in der durch ver- 
schieden ausgedehntes Erhitzen die Reaktionsgeschwindigkeit ver- 
schieden stark vermindert worden ist. 

Man könnte nun fragen, ob diese langsam entstehenden Nieder- 
schläge ihrem Wesen nach identisch sind mit den rasch aus- 
fallenden, oder ob sie nachweisbare Unterschiede zeigen. Das 
Charakteristischste der Niederschläge scheint mir ihre Eigenschaft 
zu sein, sich in sehr verdünnten Säuren oder Alkalien zu lösen 


62 Leonor Michaelis, 


und beim Neutralisieren zum Teil wieder auszufallen. Diese Eigen- 
schaft zeigen die langsam entstehenden Niederschläge in gleicher 
Weise wie die rasch entstehenden. Der Vorsicht halber will ich 
noch hinzufügen, daß bakterielle Trübungen selbstverständlich aus- 
geschlossen wurden. 


Ich hatte nun früher das auf 68—70° erhitzte Serum als „in- 
aktiviert“ betrachtet, wenn es in der sonst bei der Präzipitin- 
reaktion völlig ausreichenden Zeit von 2 Stunden keinen Nieder- 
schlag erzeugt hatte. Nach dem soeben Auseinandergesetzten ist 
es klar, daß hier die Fehlerquelle lag. Wenn man beträchtlich 
länger zuwartet, so erweist sich eben jenes scheinbar unwirksam 
gewordene Präzipitin doch noch als wirksam, und zwar derart, daß 
der definitiv entstandene Niederschlag kaum hinter dem durch 
unerhitztes Präzipitin erzeugten Niederschlag an Volumen zurück- 
steht, wobei jedoch nicht zu vergessen ist, daß ein sich so lang- 
sam senkender Niederschlag sehr wenig dicht ist und eine unver- 
hältnismäßig große Masse vortäuscht. Der Sicherheit halber 
möchte ich noch einmal bemerken, daß selbstverständlich stets 
Kontrollversuche angestellt wurden, um zu zeigen, daß das erhitzte 
Serum allein, oder die präzipitable Substanz allein bei so protra- 
hierter Aufbewahrung in einem gut gekühlten Raum keine Spur 
von Niederschlag absetzen. 


Wir müssen also zunächst konstatieren: das Präzipitin wird 
durch Erhitzen auf 68—70° garnicht „inaktiviert“, sondern nur ge- 
schwächt, einerseits zeitlich, durch Verminderung der Reaktions- 
geschwindigkeit, andererseits auch etwas im quantitativer Be- 
ziehung. Es handelt sich also beim Zusatz von etwas unerhitztem 
Serum, wie in Tabelle I, nicht um eine „Reaktivierung“, sondern 
nur un eine Beschleunigung der an sich noch vorhandenen Prä- 
zipitinwirkung. Im weiteren haben mich Versuche, deren Proto- 
kolle im einzelnen einerseits wegen ihrer Ausdehnung, anderer- 
seits wegen der geringen Resultate, welche sie gezeitigt haben, 
hier nicht wiedergegeben werden sollen, davon überzeugt, daß man 
keineswegs an eine katalytisch beschleunigende Wirkung des 
unerhitzten Präzipitins auf das erhitzte Präzipitin denken darf, 
sondern es ist einfach so: Wenn das Gemisch n Präzipitin + m 
erhitztes Präzipitin enthält, so ist die Reaktionsgeschwindigkeit 
größer, als wenn es (n—+ m) erhitztes Präzipitin, ohne unerhitztes 
Präzipitin enthält, aber kleiner, als wenn es (n + m) unerhitztes 
Präzipitin, ohne erhitztes Präzipitin enthält. 

Ähnliche, wenn auch weniger intensive Veränderungen erleidet 
das Präzipitin oft auch bei sehr langer Aufbewahrung mit Chloroform. 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 63 


Dieses aufbewahrte Serum wirkt langsamer als frisches und auch 
quantitativ geringer. Außerdem geht die Empfindlichkeit zurück, 
d. h. die minimale Dosis präzipitabler Substanz, welche gerade 
noch einen Niederschlag mit einer gegebenen Menge Präzipitin er- 
zeugt, ist bei frischem Präzipitin etwas kleiner als bei altem. 


Aus alle dem ergibt sich, daß weder das Erhitzen auf 68—70° 
noch das Aufbewahren geeignete Methoden sind, um das Prä- 
zipitin völlig zu inaktivieren. Es bildet sich immer nur ein 
Zwischenstadium zwischen aktivem und inaktivem Präzipitin, und 
die Resultate werden verschleiert und der Deutung zunächst 
schwer zugänglich. Um das Präzipitin völlig zu inaktivieren, bedarf 
es höherer Temperaturen, wie die weiter unten zitierten Autoren sie 
in der Tat schon angewandt haben, und zwar vorzüglich zur Inaktı- 
vierung der Bakterien-Agglutinine. Die von Eisenberg und Volk, 
E. P. Pick, Wassermann, sowie von Kraus und von Pirquet 
zunächst an den Bakterienagglutininen gemachten Beobachtungen 
lassen sich dahin zusammenfassen, daß das Agglutinin durch Erhitzen 
seine Eigenschaften derart verändert, daß es die Agelutinations- 
kraft verliert und dafür die Eigenschaft gewinnt, in Berührung 
mit den Bakterien gebracht, diese vor der Wirkung nachträglich 
zugesetzten Agglutinins zu schützen. Dasselbe Verhalten wurde 
für die Eiweißpräzipitine von P. Th. Müller am Lactoserum, und 
von Eisenberg am Serumpräzipitin festgestellt. Ich muß nun- 
mehr die Richtigkeit dieser Angaben für die Serumpräzipitine be- 
stätigen und meine anfänglich abweichenden Resultate auf jene 
ungenügende Inaktivierung zurückführen. 


Der größte Teil meiner Versuche wurde mit dem Serum von 
Kaninchen angestellt, welche etwa 5 Wochen lang mit Pferdeserum- 
albumin und Ziegenserumalbumin vorbehandelt waren. Dieses 
wurde dadurch gewonnen, daß Pferdeserum (bezw. Ziegenserum) 
mit dem gleichen Volumen gesättigter Ammonsulfatlösung versetzt, 
filtriert, und das Filtrat 8 Tage lang gegen fließendes Wasser 
dialysiert wurde. Das Serum der so vorbehandelten Tiere ent- 
hielt ein sehr kräftig wirkendes Präzipitin, welches auf Pferde- 
serum, Pferdeserumalbumin und -globulin wirkte. Auf Ziegen- 
serumalbumin wirkte eins der Pferdepräzipitine unter den für 
den Ausfall der Reaktion günstigsten quantitativen Verhältnissen 
gerade eben spurenweis. Das Ziegenpräzipitin war gegen Pferde- 
eiweiß in jeder Form ganz wirkungslos. 


Dieses präzipitinhaltige Serum wurde, 5fach mit Leitungs- 
wasser verdünnt, 35—45 Minuten im Wasserbad auf 72° erhitzt. 


64 Leonor Michaelis, 


Es nimmt dabei eine ganz leichte Opaleszenz an, zeigt aber noch 
keine Koagulationserscheinungen. 


Tabelle III. 


Kontrolle über 
die Unwirk- 
samkeit von 
Pr % 


Pferdealbumin 10fach 


verdumnt : 73 "Mer 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0% 


Pr na Se 0 0,2 0,5 1,0 1,8 0,2 1,0 


Isotonisches Wasser . . 1,8 1,6 1,3 0,8 


10 Minuten später: 
Präzipitin 


Basullat IA ee sn 0 0 0 ) 0, 
leicht | leicht leicht 
opal. | opal. opal. 


Pr % = 5fach verdünntes, ?/a Std. auf 72° erhitztes Präzipitin. 


Tabelle III zeigt, daß in der Tat dieses erhitzte Präzipitin, 
zu dem präzipitablen Eiweißkörper hinzugefügt, diesen vor der 
fällenden Wirkung des nachträglich zugesetzten Präzipitins schützt. 
Zur näheren Erläuterung dieser Tabelle sei hinzugefügt, daß die in 
Kolumne d, e und g notierte „leichte Opaleszenz“ nicht zu einer 
Niederschlagsbildung führte und nicht durch Zusammenwirken 
der vermischten Substanzen entstanden ist, sondern nur derjenigen 
geringen Opaleszenz entspricht, welche das, wie gesagt, an sich 
leicht opaleszierende erhitzte Präzipitin in gleicher Verdünnung 
besitzt. Das wurde durch in der Tabelle nicht mit aufgeführte 
Kontrollröhrehen stets genau verglichen. Wie man sieht, haben 
in Tabelle IIL, ce 0,5 cem des erhitzten, 5fach verdünnten Präzi- 
pitins genügt, um 0,1 cem 10fach verdünntes Pferdeserumalbumin 
vor der fällenden Wirkung von 0,1 cem Präzipitin zu schützen, 
während dieser Schutz in der Kolumne b mit 0,2 cem nicht völlig 
ausgereicht hatte. 

Wenn ich nun früher gezögert habe, diese hemmende Wirkung 
des erhitzten Präzipitins als etwas Besonderes anzuerkennen, so 
geschah es deshalb, weil ich beobachtet hatte, daß überhaupt die 
Gegenwart eines beliebigen, wenn auch der Reaktion ganz fremden 


Zn 


Uber Hemmungen der Präzipitinreaktion. 65 


Eiweißkörpers hemmend auf die Entstehung des Niederschlags 
wirkt. Diese Beobachtung kann ich auch jetzt durchaus bestätigen, 
aber die Unterschiede zwischen der Hemmung durch einen be- 
liebigen Eiweißkörper und durch erhitztes Präzipitin sind doch 
ganz deutlich. Betrachten wir die Eigenschaften dieser beiden 
verschiedenartigen Hemmungsmittel gesondert. 


1. Die hemmende Wirkung eines beliebigen Eiweiß- 


körpers. 
Tabelle IV. 
0,85 %o C1Na-Wasser . EN ASt 1,8 1:3 0,8 
Normales Pferdeserum . . . .| 0 0,5 1,0 
Ziegenserumalbumin . . .. .- 0,2 0,2 08 
Präzipitin gegen Ziegenserum- 
albumin ri. :n", 0,2 0.2 0.2 
Resultat a) a N. trüb klar klar 
grobe feine 
ltat b ar 
Resultat b) nach 1 Std ee ae klar 
fast völlig eröbere feine 
Itat h 1!/2 Stdn. n 
er ar I» & abgesetzt Flocken Flocken 
el nach 5: Stdn. völlig fast völlig erobere 
abgesetzt abgesetzt Flocken 
nicht mehr völlige völlig j 
2 6 > I 
Resultat e) nach 24 Stdn. NN alvesniet dt 
gegen d) 
Menge des Niederschlags nach Ks TE SE 
24 Stdn. . alle drei gleich 


In dieser Tabelle ist gezeigt, in welcher Weise Pferdeserum 
auf die Reaktion von Ziegenserumalbumin mit seinem entsprechen- 
den, am Kaninchen gewonnenen Präzipitin wirkt*). 
den Verlauf der Reaktion nach einer Stunde beobachtet, so müßte 


Wenn man 


man sagen, daß 1,0 normales Pferdeserum völlig hemmend auf 


*) Dieses Präzipitin hatte auf Pferdeserum keine Spur präzipitierender 


Wirkung. 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 


6) 


66 Leonor Michaelis, 


das Ausfallen eines Niederschlages gewirkt hat. Wartet man aber 
länger ab, so sieht man, daß es sich doch nur um eine Ver- 
langsamung der Reaktion handelt. Außerdem sieht man, wie 
außerordentlich große Mengen Pferdeserum zu dieser Ver- 
langsamung notwendig waren. Das Endresultat ist aber selbst 
durch 1 ccm Pferdeserum nicht verändert. Außerdem ist diese 
Hemmungserscheinung absolut unspezifisch. Genau so wie hier 
‘ das Pferdeserum, wirkte in anderen Versuchen Kaninchenserum, 
Menschenserum. Und genau so, wie hier die Reaktion von 
Ziegenserum mit seinem Präzipitin verlangsamt wurde, wurde 
in anderen Versuchen auch Pferdeserumpräzipitin in seiner Reaktion 
gegen Pferdeserum durch Ziegenserum oder Kaninchenserum ge- 
hemmt. Immer waren dazu verhältnismäßig große Dosen not- 
wendig, und immer konnte diese Hemmung dadurch außer den 
Kreis der Betrachtung gezogen werden, daß man als definitives 
Resultat nicht das einstündige, sondern das 24stündige (im kalten 
Raum) ansah. Auch normales Kaninchenserum, auf 72° eine halbe 
Stunde erhitzt, wirkte nicht anders, wenn auch vielleicht eine Spur 
stärker, aber jedenfalls ganz unspezifisch und unbedeutend. Nur 
wenn der zu erwartende Niederschlag an Menge äußerst gering 
ist, kann gelegentlich das Ausfallen des Niederschlages durch diese 
Art der Hemmung ganz unterdrückt werden. Jedenfalls ist aber 
auch diese Wirkung unspezifisch, d. h. nicht auf ein bestimmtes 
Präzipitin gerichtet. 


2. Die hemmende Wirkung des erhitzten Präzipitins. 


Im Gegensatz hierzu ist die hemmende Wirkung des erhitzten 
Präzipitins einerseits bedeutend stärker, andererseits in dieser 
Intensität streng spezifisch nur auf die Reaktion desjenigen 
Präzipitins gerichtet, durch dessen Erhitzen es entstanden ist. 
Ich stelle der Tabelle II zwei andere Tabellen gegenüber, welche 
diese Spezifizität beweisen. 

In der Tabelle V ist gezeigt, daß erhitztes Pferdeserumpräzipitin 
(dasselbe, welches auf unerhitztes Pferdeserumpräzipitin energisch 
hemmend wirkte) nicht hemmend wirkt auf Ziegenpräzipitin + 
Ziegenalbumin und ın Tabelle VIauf Menschenserum- (bezw. Ascites-) 
Präzipitin + Ascites, Dabei sind die Mengen des Ziegen- und 
Menschenpräzipitins absichtlich sehr klein gewählt, so klein, daß 
eine geringe Verminderung nach Kontrollpräparaten überhaupt 
keine deutliche Fällung mehr gab. Trotzdem hat das erhitzte 
Pferdeserumpräzipitin in verhältnismäßig enormen Dosen nicht die 
Ausfällung dieses geringen Niederschlages verhindert. Es tritt zwar 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 67 


in geringem Grade jene oben beschriebene, unbedeutende, verlang- 
samende Wirkung hervor, wenn man die Resultate schon nach 
1 Stunde vergleichen wollte; dagegen ist in dem 24stündigen 
Resultat von einer Hemmung gar nichts mehr zu merken. Genau 
dasselbe Resultat ergab sich auch, wenn ich erhitztes Pferde- 
präzipitin auf Eierklarpräzipitin + Eierklar in derselben Anordnung 
und Reihenfolge, wie in Tabelle V und VI, wirken ließ. 


Tabelle V. 
Ziegenalbumin 20fach verdünnt . 0,27) 0,2 | 0,2 
Erhitztes Pferdepräzipitin . . . 0 0,5 1,0 
Bobo Wasser 2... 1,0 0,5 0 


Nach '/s Stde.: Ziegenalbumin- | 


Praspiein. 0. . Ba 0,2 0,2 0.2 
Besultat nach 20 Stdn. . . . .| + + - 
Tabelle VI. 
Menschl. Ascites, 4fach verdünnt 0.1 0,1 0,1 0,1 


Erhitztes Pferdeserumalbumin- 
a. a. |: 0 0,2 0,4 0 


Ehysiol- CINa-Lösung . .’. . || 0,6 0,4 0,2 0,9 


Nach '/, Stde.: 


Bsctes-Prazipitin . . ... . 03%) 0,3 0,3 0 
Resultat nach 16 Stdn. . . . = -- -- | 0 
völlig völlig völlig 


‚abgesetzt | abgesetzt | abgesetzt 


*) Durch einen Vorversuch wurde ermittelt, daß dies die minimale 
Dosis Ziegenserumalbumin war, mit dem die angewandte Menge des Ziegen- 
albuminpräzipitins, welches 5 Wochen aufbewahrt war, gerade einen guten 
Niederschlag gab. 

**) Durch einen Yorversuch wurde ermittelt, daß diese Dosis die mini- 
male war, um mit der angewandten Ascitesflüssigkeit einen geringen, aber 
einwandsfreien Niederschlag zu erzeugen. 

5* 


Leonor Michaelis, 


68 


Beschäftigen wir uns jetzt nur noch mit der spezifischen 
Hemmungswirkung des erhitzten Präzipitins und betrachten die 
quantitativen Verhältnisse dieser Hemmung genauer. 


Tabelle VII. 


Pferdealbumin 
10fach verdünnt 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 
Physiol. CINa 0,5 045 | 04 035 | 02 N) 
Erhitztes Pferdealbu- 
minpräzipitin, fach 
verdünnt . . . .| 0 0,05 0,1 0,15 0,3 0,5 
Nach 10 Minuten: 
Pferdealbuminpräzipi- 
tin, 5Sfach verdünnt 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0.3 
Resultat nach 
++ trüb, trüb, 
4 Stdn. abge- ohne Se- ohne Se- 0*) 0) 0*) 
setzt | diment | diment 
= ei trüb etwas | etwas etwas 
[5 mit ge- ’ .. un “ 
%# 124 Stdn. ebenso | ringem |ohne Se- un FR x 
5 J | \ | Be ohne Se- ohne Se- ohne Sc- 
= ) l rk diment | diment | diment 
Er VE = 
E | er art Er etwas etwas etwas 
| eut- | mit mi- r ie % 
48 Stdn. \ ebenso | lichen |nimalem ie van Pa 
| Sedi- Sedi- ohne Se-|ohne Se- ohne Se- 
\ | Tiont ment | diment | diment | diment 


In Tabelle VII ıst in allen Röhrchen das Gesamtvolumen, 
die Menge der präzipitablen Substanz und des Präzipitins konstant, 
und es variiert die Menge des erhitzten Präzipitins. Bei dieser 
Anordnung ist 0,1, sicher aber 0,15 ccm des 5fach verdünnten er- 
hitzten Präzipitins schon ausreichend, um totale Hemmung der 
Sedimentbildung zu bewirken. 

In Tabelle VIII ist dagegen, ‘bei konstantem Gesamtvolumen, 
Präzipitin und erhitztem Präzipitin, die Menge der präzipitablen 
Substanz variiert. Es ist schon im ersten Röhrchen eine Opaleszenz 
entstanden, aber selbst im letzten, welches einen ganz kelossalen 


*) Minimale Opaleszenz infolge Gehaltes an erhitztem Präzipitin. 
welches an sich, besonders wenn es verdünnt wird, ein wenig opalesziert. 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 69 


Überschuß an präzipitabler Substanz enthält, ist es nicht zu einer 
vollkommenen Sedimentierung gekommen. 


Tabelle VIII. 


I! 


Pferdealbumin 10f. | Pferdealbumin un- 
serauınt. . .| .01 0,3 0,5 verdünnt 424 ..077 0,1 0,3 
| | u 2 
Pissiol,.0lNe. . . | 0,4 0,2 0 0,4 0,2 


Erhitztes Pferde- 
albuminpräzipitin | | 
Sfach verdünnt . | 0,4 0,4 0,4 | 0,4 0,4 


5fach verdünntes — | | 


Pferdealbuminprä- 
Beier... 23.11 0,8 0,3 0,3 03 0,3 
Resultat nach [ ( ( 
| sehr 
| 1 ER | Er 
| FR x: & ir 
= = j- = 
| {eb} © Dd = 
= E = =) etwas 
= |24 Stan. a 3 | Sedi- 
: 4, = = e ment 
2 a ta 18 aa 
a ) 
3 ' } E 378 } © | e mehr 
= [48 Stdn. Ss = Ss = NE 
E = > u =. ment 
sg w 2 2 Else 
= = 3 a 
= = © 'Ö noch 
72 Stdn. uk: 
edi- 


\ E| RS et 


Die hemmende Wirkung des erhitzten Präzipitins 
wird also durch Steigerung der Dosis der präzipitablen 
Substanz äußerst schwer überwunden. Ein Gemisch von 
Präzipitin und präzipitabler Substanz, welches an sich eine sehr 
kräftige Reaktion gibt, wird durch sehr kleine Mengen von er- 
hitztem Präzipitin, welche zur völligen Hemmung nicht ausreichen, 
derart beeinflußt, daß zwar eine Trübung entsteht, diese aber 
nicht, bezw. langsam und sehr schwer flockig wird oder gar ein 
Sediment liefert. 

In Tabelle IX ist dagegen das Gesamtvolumen, die präzipitable 
Substanz (diese absichtlich in sehr geringer Menge) und das er- 
hitzte Präzipitin konstant, und es variiert das unerhitzte Präzipitin. 


70 Leonor Michaelis, 


Wie man sieht, überwindet eine Steigerung der Präzipitinmenge 
die hemmende Wirkung des erhitzten Präzipitins ebenfalls sehr 
schwer. Selbst bei der relativ kolossalen Präzipitinmenge der 
Kolumne d ist in 4 Stunden [nur eine Trübung entstanden, erst 
nach 24 Stunden beginnt diese sich gerade zu einem Niederschlag 
zusammenzuballen. Die hemmende Wirkung des erhitzten 
Präzipitins wird also auch durch Steigerung der Menge 
des unerhitzten Präzipitinsnur schwer überwunden, und 
eine scharfe Grenze in der Dosierung, unterhalb deren die Hemmung 
gerade eben noch vollkommen wäre, und oberhalb deren sie gerade 
überwunden würde, läßt sich durchaus nicht angeben, weil zwischen 


Tabelle RX. 
a | b c d 
Pferdealbumin 10fach verdünnt 0,1 0,1 0,1 6,1 


Erhitztes Pferdealbuminpräzipi- | 
tin; Sfaech, verdünnt ou. 0,1 0,1 0,1 0,1 


Physiol: EINay N. re 0,6 0,5 0,4 0,2 


Nach 10 Minuten: 
Unverdünntes Pferdealbumin- 


Drezipatıne ng Tee ae ee 0,2 0,4 
m: | BER 3 k stärker 

Resultat nach 3 Minuten. . . 0 leicht trüb trüb trüb 
di k T _ 

‚sehr trüb, sehr trüb, ee va 

2 Stv 0 kein Se kein Bee 
| , Kt keineSpur 

diment diment Bi 
Sediment 
dicke Trü- 

! Tdieke Ten Reue: 
sehr trüb, außerdem 

i bung, ä 

| 0 keineSpur|, . Beginn 
keine Spur 
| Sediment i der Sedi- 

Sediment i 

mentie- 

rung 
Sedimen- 

48 Stdn 0 wie wie 

DRS RE 24 Stdn |24 Stan. | , = 

ortge- 

schritten 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 7 
völliger Hemmung und gänzlicher Einflußlosigkeit Übergänge 
vorhanden sind, wo zunächst eine geringe Opaleszenz entsteht, 
die keinen Niederschlag liefert, und wo ferner eine stärkere 
Trübung entsteht, die aber erst nach 2 Tagen Neigung zum Zu- 
sammenballen zeigt. 


Das Verhalten des Röhrchens Tabelle IX, d entspricht 
genau dem Verhalten von Tabelle I, e. Hier finden wir 
daher die Deutung der Wirkung des nur auf 68° erhitzten 
Präzipitins. Dieses ist demnach nichts anderes als eine Mischung 
von noch unverändertem und schon verändertem Präzipitin. 


Bisher wurde das Präzipitin immer einige Zeit nach der 
Einwirkung des erhitzten Präzipitins auf die präzipitable Substanz 
hinzugefügt. Jetzt entsteht die Frage, wie sich die Wirkung des 
erhitzten Präzipitins gestaltet, wenn es nachträglich auf den schon 
entstandenen Niederschlag einwirkt. 


Tabelle X. 


| ' Kontrolle 
10fach verdünntes Pferde- | | | 
albumin . 0,1 1 a 2 Ba a 0,1 
Sfach verdünntes Pferde- | 
albuminpräzipitin . 0,3 0,3 Ba I. 1,5008 
Resultat nach 10 Min.: | Überall gut abgesetzter Niederschlag 
Der Niederschlag wird auf- | 
geschüttelt | | | 
a) in 5fach verd. erhitztem | 
Präzipitin ht I 08 | 06 1,2 2,0 -— 
Erin phyeiol CN . .. | — = = = 2,0 
Sedimentierung des aufge- | | | | 
schüttelten Niederschlags: | 
nach 4 Stdn. . | beginnt 0 0 0 | beginnt 
deutlich, deutlich, deutlich, 
nr Sir. fast voll- aber un- aber un- aber un-, voll- 
'kommen| voll- voll- voll- | kommen 
kommen |kommen kommen 
ER fast voll- fast voll-/fast voll- fast voll- voll- 
kommen kommen | kommen kommen) kommen 


12 ; Leonor Michaelis, 


Diese Tabelle zeigt, daß ein schon entstandener Niederschlag, 
der in einer recht großen Menge von erhitztem Präzipitin aufge- 
schüttelt wird, sich fast völlig wieder absetzt, also nicht gelöst 
wird, als ob er in physiologischer Kochsalz-Lösung wieder aufge- 
schüttelt worden wäre, nur daß die Repräzipitation in Kochsalz- 
Lösung sehr viel rascher erfolgt als unter der Einwirkung des 
erhitzten Präzipitins.- Auch wird in letzterem Fall die überstehende 
Flüssigkeit nicht ganz klar, sondern bleibt opaleszent. 


Wir kommen nun zu einer anderen Art der Reaktionshemmung, 
nämlich durch einen Überschuß der präzipitablen Substanz. 
Während nämlich bei konstantem Gesamtvolumen und konstanter 
Menge präzipitabler Substanz die Menge des Niederschlags mit 
der Steigerung des Präzipitins bald ein Maximum erreicht, so 
daß fernere Vermehrung des Präzipitins weder vermehrend noch 
vermindernd auf die Menge des Niederschlags wirkt, so erreicht 
man bei anderer Versuchsanordnung, nämlich bei Konstanz des 
Gesamtvolumens und der Präzipitinmenge durch gesteigerten Zu- 
satz von präzipitabler Substanz bald ein Optimum der Reaktion, 
welches durch weiteren Zusatz von präzipitabler Substanz wieder 
verschlechtert wird, ja schließlich bei weiterer Steigerung zum 
völligen Ausbleiben des Niederschlags führt. Also kurz: Über- 
schuß von Präzipitin ist ohne Einfluß, Überschuß an prä- 
zipitabler Substanz macht die Reaktion rückgängig. 
Dieser Befund ist eine Bestätigung der Angabe von Halban und 
Landsteiner, Eisenberg, sowie Rostoski, und ich möchte zu 
dieser Frage nur einige weitere Ausführungen machen. 

Diese Hemmung ist einer genauen Analyse viel besser zu- 
gänglich als die Hemmung durch erhitztes Präzipitin, weil sie 
sehr scharfe Grenzen der Dosierung hat. 


Tabelle XI. 
a b c d e f g 
Pferdeserum 4 . 0,7 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1.) 0,08 
Physiol. CINa . . . . 0:1.02 1.08 10,4 | 05.|-:0,6. | 08 
Pferdealbuminpräzipitin, 
Sfach verdünnt. . . || 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 
Reaktion 
a) nach 5 Min. 0 0 0 0 0 trüb | trüb 
b) nach 24 Stdn. | 0 0 0 0 0? + | ++ 


Uber Hemmungen der Präzipitinreaktion. 18 


Tabelle XI zeigt, wie die Niederschlagsbildung von Pferde- 
albuminpräzipitin mit Pferdealbumin durch einen Überschuß von 
‚Pferdeserum gehemmt wird. 

Aber nicht nur eine Hemmung tritt ein, sondern der schon 
entstandene Niederschlag ist sogar mit großer Leichtigkeit in 
einem nachträglich zugefügten Überschuß des Pferdeserums wieder 
glatt löslich: 


Tabelle XII. 


Pferdealbuminpräzipitin . . . 0,3 0,3 | 0,3 


| 


Pferdeserumalbumin . . . . . 0,05 0,05 0,05 


Nach 10 Minuten überall dicker Niederschlag, 
Dann aufgeschüttelt in: 


BEINE 2 ner... 0,6 0,4 0,2 

Pferdeserum. . . 2:2... NS 2 0,45 
\ Sediment 

Resultat in 24 Stdn. . at er Sediment + | Ganz klar 


Dagegen vermindert ein fremdes Serum (Kaninchen-, Ziegen- 
serum) die Stärke der Pferdepräzipitinreaktion nicht, gleichgültig, 
ob vor oder nach der Niederschlagsbildung hinzugefügt. Diese 
Hemmung ist also durchaus spezifisch. 

Da nun fermentwidrige Wirkungen des Blutserums bekannt 
sind (labhemmende, trypsinhemmende) und diese hemmenden Sub- 
stanzen erfahrungsgemäß sich mit den Globulinen aussalzen lassen, 
so lag auch hier die Annahme nahe, daß nicht der Überschuß der 
präzipitablen Substanz als solcher, sondern ein miteingeführtes 
Antipräzipitin die Hemmung bewirke. Es wurde deshalb Pferde- 
serum durch fraktionierte Ammonsulfatfällung nach Hofmeister 
in die geläufigen drei Fraktionen zerlegt: Euglobulin ('/s Sättigung), 
Pseudoglobulin (!/,—"!/, Sättigung) und Albumin. Diese Fraktionen 
wurden, zunächst nur nach einfacher Fällung ohne Umfällung 

auf ihre hemmende Wirkung unter Anwendung eines Über- 
_ schusses geprüft. Es zeigte sich kein Unterschied. Die hemmende 
Kraft nahm in dem Maße ab, als die einzelnen Fraktionen eben 
weniger Eiweiß enthielten als das Vollserum und war unter An- 
wendung annähernd gleicher Eiweißkonzentration bei allen 
Fraktionen gleich. Da sich hierbei keine Unterschiede ergaben, 


74 Leonor Michaelis. 


wurde von einer Umfällung abgesehen, zumal die wichtigste in 
Frage stehende Fraktion, das Albumin, dem man unter Zugrunde. 
legung aller Erfahrung am sichersten einen Antikörpergehalt ab- 
sprechen kann, ja gleich bei der ersten Fällung globulinfrei entsteht. 
Das hemmende Moment ist also in der Tat nichts anderes als eben 
der Überschuß der präzipitablen Substanz. Rostoski ist zu der- 
selben Anschauung gekommen, hält aber daneben einen besonderen 
Antipräzipitingehalt des Pseudoglobulins für wahrscheinlich. 


Es erhebt sich nun die Frage, ob diejenige Menge präzipitabler 
Substanz, welche bei Vermischung mit einer gegebenen Menge 
Präzipitin gerade keinen Niederschlag mehr erzeugt, gleich 
derjenigen Menge ist, welche einen schon entstandenen Nieder- 
schlag eben wieder löst (natürlich abzüglich der zur Er- 
zeugung dieses Niederschlags vorher zugefügten Menge). Mit 
anderen Worten: ob das Endresultat ein von der Reihenfolge der 
Vermischung der reagierenden Substanzen unabhängiger Gleich- 
gewichtszustand ist, kurz ob es sich um einen vollkommen rever- 
siblen Prozeß handelt. Bei den bezüglichen Versuchen zeigte 
es sich, daß man ein wenig größere Mengen präzipitabler Substanz 
braucht, um einen schon entstandenen Niederschlag wieder zu 
lösen, als um die Bildung des Niederschlags zu verhindern. Man 
vergleiche zu diesem Zweck Tabelle XI und XII. Diese beiden 
Tabellen sind vergleichbar, weil das Gesamtvolumen überall 1 ccm 
beträgt. In der Anordnung der Tabelle XI ist die völlig hemmende 
Menge 0,2 oder 0,3 ccm (Kolumne e und d); in Tabelle XII st 
aber bei 0,3 (d. i. 0,05 + 0,25) noch ein deutliches, geringes Se- 
diment. Jedoch möchte ich hierzu folgendes bemerken. Bei Ge- 
mischen, welche so große Mengen überschüssigen Eiweißes ent- 
halten, wie die Versuchsanordnung es hier erfordert, ist die Be- 


urteilung, wo gerade noch ein Niederschlag entsteht und wo nicht 


mehr, dadurch erschwert, daß jene oben erwähnte unspezifische 
Hemmungswirkung hinzukommt. Diese ist zwar nicht be- 
deutend, führt aber zu folgender Fehlerquelle. Bei der Versuchs- 
anordnung, wo von vornherein überschüssige präzipitable Sub- 
stanz zugegeben wird und der Niederschlag sich erst bilden soll, 
wird die unspezifische Hemmung sich zu der spezifischen addieren 
und, da der zu erwartende Niederschlag jedenfalls sehr gering ist, 
diesen vielleicht völlig in der Schwebe halten. Bei der anderen 
Versuchsanordnung aber, wo der Niederschlag schon zusammen- 
geballt ist, fällt die unspezifische Hemmung ganz fort. Daher 
muß an sich schon bei der ersten Versuchsanordnung die minimale 
Hemmungsdosis kleiner ausfallen als bei der zweiten. Wenn man das 


-_ 


Sen Bd a u IL I nl ZU <a 4 2. 


Über Hemmungen der Präzipitinreaktion. 75 


berücksichtigt, so muß man doch sagen, daß unter diesen Umständen 
eine auffällige Übereinstimmung der minimal hemmenden Dosen in 
beiden Versuchsanordnungen besteht. Es liegt daher der Schluß 
nahe, daß es in der Tat ein vollkommen reversibler Prozeß ist. 


Im Gegensatz hierzu steht die oben beschriebene Wirkung 
des erhitzten Präzipitins. Dieses führte zu einem ganz ver- 
schiedenen Endresultat je nach der Reihenfolge, in der es zu- 
gegeben wurde. Damit ist allerdings nicht bewiesen, daß dieser 
Prozeß nicht reversibel sei; es ist sehr wohl denkbar, daß die 
Reaktionsgeschwindigkeit im Sinne der Wiederlösung eines schon 
entstandenen Niederschlags so klein ist, daß der definitive Gleich- 
gewichtszustand innerhalb der 2—3 Tage, über welche sich die 
Beobachtungsdauer nicht gut ausdehnen läßt, noch nicht erreicht ist. 


Die Deutung dieser Tatsachen ist nur zum Teil möglich, und 
dieser Teil nur mit Hilfe der Ehrlichschen Theorie über den Bau der 
Haptine überhaupt. Wenn ich es unternehme, für diese komplizierten 
Verhältnisse eine Deutung zu versuchen, so geschieht das weniger 
deshalb, weil ich die hier gegebene Deutung für unumstößlich richtig 
hielte, sondern vielmehr um der historischen Gerechtigkeit willen. Die 
Darlegungen, welche zu dieser Deutung führen, beruhen nämlich auf 
der Ehrlichschen Auffassung vom Bau der Toxine und der Toxoide. 
Und schwerlich wäre jemand ohne diese Ehrlichsche Hypothese auf den 
Gedanken gekommen, die Eigenschaften eines erhitzten Präzipitins zu 
untersuchen. Die Ehrlichsche Seitenkettentheorie hat sich gerade hier 
als einheuristisch außerordentlich fruchtbares Prinzip erwiesen. 

Beginnen wir mit der Erklärung der Wirkung des erhitzten Präzi- 
pitins. Schon Eisenberg und Volk, Müller, A. Wassermann, 
Kraus und von Pirquet haben die Wirkung des erhitzten Agglutinins 
bezw. Präzipitins auf die Bildung von Agglutinoid bezw. Präzipitoid 
zurückgeführt. Nach Ehrlich muß man im Präzipitin mindestens 
zwei Atomkomplexe unterscheiden, die haptophore Gruppe, welche die 
Bindung der beiden reagierenden Substanzen bewirkt, und eine ergophore 
Gruppe, welche in diesem Fall die Ausfällung bewirkt. Durch das 
Erhitzen wird zunächst die ergophore Gruppe zerstört, und der Rest ist 
ein „Präzipitoid“, d. h. Präzipitin, welches noch das Eiweiß bindet, aber 
nicht mehr ausfällt. Da man mit Ehrlich wohl annehmen kann, daß 
die Avidität der haptophoren Gruppe durch Verschwinden der ergophoren 
etwas verändert wird, so werden wir uns auch hier die Frage vorlegen, 
ob die Avidität des Präzipitoids zur präzipitablen Substanz zum Eiweiß 
größer, gleich oder kleiner als die des Präzipitins ist, Die Tatsache, 
daß bei Ausführung der Reaktion in der Reihenfolge „Eiweiß, Präzipitoid, 
Präzipitin“ kein Niederschlag entsteht, spricht dafür, daß die Avidität 
des Präzipitoids größer geworden ist. Die Tatsache aber, daß bei der 
Reihenfolge: „Eiweiß, Präzipitin, Präzipitoid“ der einmal entstandene 
Niederschlag nicht merklich wieder gelöst wird, spricht nicht zu Gunsten 
der Annahme einer Vergrößerung der Avidität. Ja, die Inkongruenz 
dieser beiden Versuchsanordnungen beweist, daß man die Avidität nicht 
obne weiteres nach den Erfahrungen der physikalischen Chemie an 


76 | Leonor Michaelis, 


krystalloiden Körpern beurteilen darf. Eigentlich müßte der Prozeß noch 
ganz anders verlaufen, wenn es nach den Gesetzen der physikalischen 
Chemie für krystalloide Körper ginge. Unakhängig von der Avidität 
müßte stets der unlösliche Körper in maximaler Menge, bis zum Auf- 
brauch der einen Komponente entstehen, und selbst bei noch so ge- 
steigerter Avidität dürfte ein Präzipitoid die Wirkung des Präzipitins 
nicht hemmen. Daß das aber doch der Fall ist, rührt jedenfalls davon 
her, daß für kolloide Körper ganz andere Gesetze gelten und daß die 
„Avidität“ eines Haptins nicht ohne weiteres mit der „Stärke“ einer 
Saure oder Base vergleichbar ist. 

Solange es sich nur um die völlige Hemmung der Niederschlags- 
bildung handelt, so lange gibt die Annahme des Präzipitoids eine aus- 
reichende £Erklärung. Schwieriger wird es bei denjenigen Reaktionen, 
bei denen die Trübung zwar entsteht, die Bildung und Absetzung eines 
Niederschlages aber verlangsamt oder unterdrückt wird. Dies tritt immer 
dann ein, wenn, ganz allgemein gesagt, die Menge des Präzipitoids zur 
völligen Hemmung der Reaktion zu klein ist. Es sei mir gestattet, auch 
hierfür eine Erklärung zu versuchen, welche sich allerdings, wie ich ge- 
stehen muß, bisher nur auf eine Analogie stützt und noch nicht als 
strenger Beweis angesehen werden kann. Wie nämlich Ehrlich und 
Morgenroth mit Hilfe der Absorptionsmethode nachgewiesen haben, 
ist ein rotes Blutkörperchen imstande, sehr wechselnde Mengen von 
Ambozeptoren zu binden. Wenn a diejenige Ambozeptorenmenge ist, 
welche bei geeignetem Zusatz von Komplement ein Blutkörperchen gerade 
komplett löst, so ist dieses Blutkörperchen imstande, nicht nur a, sondern 
auch 2a, 3a u. s. w., bis zu einer gewissen Grenze vollkommen zu ab- 
sorbieren. Daraus folgt, daß die bindungsfähigen Moleküle des Blut- 
körperchens eine große Anzahl von Rezeptoren besitzen, welche sie je 
nach der Menge des vorhandenen Ambozeptors nur teilweise zur Bindung 
benutzen, und daß eine nur partielle Bindung zum Zustandekommen 
einer kompletten Hämolyse genügt. 

Für die Agglutinine der Bakterien wurde ein gleiches Verhalten von 
Eisenberg und Volk (5) nachgewiesen. Bei der großen Analogie, 
die sich bisher in allen Eigenschaften der Haptine gezeigt hat, dürfen 
wir auch annehmen, daß das Molekül der präzipitablen Substanz mehrere 
Rezeptoren für das Präzipitin besitzt und bei gleichzeitiger Gegenwart 


von Präzipitin und Präzipitoid die einen an Präzipitin, die anderen an 


Präzipitoid binden wird. Es ist sehr wohl denkbar, daß jener stark opales- 
zierende Zustand der Lösung, in der sich die Bildung eines Niederschlags 
erst spät oder gar nicht bemerkbar macht, einer gleichzeitigen Bindung 
verschiedener Rezeptoren teils an Präzipitin, teils an Präzipitoid entspricht. 

Es ist wahrscheinlich, daß die andere Hemmungserscheinung, die 
durch einen Überschuß der präzipitablen Substanz, auf ähnliche Weise 
zu erklären ist. Wir brauchen hierzu nur eine Hilfsannahme zu machen, 
daß nämlich zur Ausfällung des Eiweißes die Bindung mehrerer 
Rezeptoren an das Präzipitin notwendig ist. Ist dann die Menge der 
präzipitablen Substanz relativ so groß, daß etwa auf je ein Eiweib- 
molekül nur je ein Präzipitinmolekül kommt, so wird die Ausfällung 
unterbleiben. Auch die Tatsache, daß ein einmal entstandener Nieder- 
schlag durch nachträglich zugefügten Überschuß an präzipitabler Sub- 
stanz wieder in Lösung gebracht wird, ist damit gut zu vereinen. Ganz 
analog hat nämlich Morgenroth gefunden, daß, wenn rote Blut- 


* 
ee Be u 


Uber Hemmungen der Präzipitinreaktion. DR 


körperchen mit einem Multiplum der einfach lösenden Dosis von Ambo- 
zeptor beladen sind und man frische, unbeladene rote Blutkörperchen in 
die Mischung bringt, dann eine gleichmäßige Verteilung der gesamten 
Ambozeptormenge auf alle Blutkörperchen eintritt. Leider läßt sich die 
Absorptionsmethode bei den Präzipitinen nicht anwenden, weil diese eben 
nur mit korpuskulären Elementen, nicht aber mit Eiweißlösungen durch- 
tührbar ist, so daß, wie ich gestehen muß, ein exakter experimenteller 
Nachweis für die entwickelte Anschauung bisher nicht möglich ist. 


Eine wichtige Regel für die Ausführung von Präzipitinreaktionen 
folgt aus der Tatsache, daß der Niederschlag im Überschuß der 
präzipitablen Substanz löslich ist: bei der Prüfung eines Serums 
auf etwaigen Präzipitingehalt muß man stets relativ geringere 
Mengen der präzipitablen Substanz mit relativ größeren Mengen 
des fraglichen präzipitinhaltigen Serums mischen, weil sonst selbst 
bei vorhandenem Präzipitin die Niederschlagsbildung doch aus- 
bleiben kann. 

Zusammenfassung. 

Zum Schluß fasse ich die besprochenen Tatsachen kurz da- 
hin zusammen: 

Die Präzipitinreaktion kann durch verschiedene Einflüsse ge- 
hemmt bezw. rückgängig gemacht werden; diese Einflüsse sind 
teils allgemeiner, teils spezifischer Natur. 

Jede Eiweißlösung in etwas erheblicherer Konzentration 
hemmt in geringer Weise jede Präzipitinreaktion derart, daß das 
Ausfallen des Niederschlags etwas verlangsamt wird. Ist der zu 
erwartende Niederschlag sehr gering, so kann dieser unter Um- 
ständen sogar ganz in der Schwebe gehalten werden. 

Dies ist also eine unspezifische, allgemeine Hemmung. 

Ein auf 72° erhitztes Präzipitin hat keine präzipitierende Eigen- 
schaft mehr, hemmt aber, mit der präzipitablen Substanz in Berührung 
gebracht, deren Fällung durch nachträglich zugefügtes Präzipitin. 

Diese Hemmung ist streng spezifisch, indem das er- 
hitzte Präzipitin diese Wirkung nur auf die Reaktion desjenigen 
Präzipitins entfaltet, aus dem es durch Erhitzen hervorgegangen ist. 

Diese Art der Hemmung ist quantitativ sehr viel erheblicher 
als jene oben beschriebene unspezifische Hemmung. 

In einer zur völligen Hemmung ungenügenden Menge ange- 
wandt, verhindert das erhitzte Präzipitin zwar nicht völlig die 
Entstehung einer Trübung, bewirkt aber, daß diese sich lang- 
samer als sonst zu einem wirklichen Niederschlag zusammenballt. 

Auf den schon entstandenen Niederschlag hat das erhitzte 
Präzipitin nur eine zweifelhafte lösende Wirkung, bewirkt aber, 
daß der Niederschlag sich nach dem Aufschütteln viel langsamer 
wieder zusammenballt als sonst. 


78 Leonor Michaelis, Uber Hemmungen der Präzipitinreaktion. 


Ein Überschuß an präzipitabler Substanz verhindert die Aus- 
fällung der präzipitablen Substanz durch das Präzipitin. 

Ein schon entstandener Niederschlag wird durch einen nach- 
träglich zugefügten Überschuß an präzipitabler Substanz schnell 
und glatt wieder gelöst. 

Das endgiltige Resultat der Wirkung des erhitzten Präzipitins 
ist von der Reihenfolge, in welcher es dem Reaktionsgemisch zu- 
gegeben wird, stark abhängig. 

Das endgiltige Resultat der Wirkung des Überschusses von 
präzipitabler Substanz ist von der Reihenfolge, in welcher dieser 
dem Reaktionsgemisch zugegeben wird, fast unabhängig. 

Die eigenartige Wirkung eines ungenügend erhitzten’ Präzipi- 
tins ist nichts weiter als eine Kombination der Wirkung von ge- 
nügend erhitztem und von unerhitztem Präzipitin. 


Literatur betreffend Hemmung der Präzipitinreaktion. 


1. Bail, Untersuchungen über die Agglutination von Typhusbakterien. 
Prager med. W. 1902, S. 85, 137, 385, 399. 

2. Ehrlich und Morgenroth, Über Hüämolysine, 5. Mitteilung. 
Berl. klin. Wochenschr. 1901, S. 251. 

3. Eisenberg, Beiträge zur Kenntnis der spezifischen Präzipitations- 
vorgänge. Bull. de l’ac. d. sc. de Cracovie. Mai 1902. 

4. Eisenberg, Untersuchungen über spezifische Präzipitationsvorgänge. 
Centralbl. f. Bakt. 1902, 31, 773. 

5. Eisenberg und Volk, Untersuchungen über die Agglutinine, 
Wiener klin. Wochenschr. 1901, S. 1221. 

6. Halban und Landsteiner, Über Unterschiede des fötalen und 
mütterlichen Blutserums und über eine agglutinations- und fällungshemmende 
Wirkung des Normalserums. Münch. med. Wochenschr. 1902, Nr. 12, 8.473. 

7. Halban und Landsteiner, Zur Frage der Präzipitationsvorgänge. 
Centralbl. f. Bakt. 1902, 32, 457. 

8. Kraus und von Pirquet, Weitere Untersuchungen über spezifische 
Niederschläge. Centralbl. f. Bakt. 1902, 32, 60. 

9. Landsteiner und Calvo, Zur Kenntnis der Reaktionen des nor- 
malen Pferdeserums. Centralbl. f. Bakt. 1902, 31, 781. 

10. Michaelis, L., Uber Inaktivierungsversuche mit Präzipitinen. 
Centralbl. f. Bakt. 1902. 

ll. Müller, P. Th., Vergleichende Studien über die Gerinnung des 
Caseins durch Lab- und Lactoserum. Münch. med. Wochenschr. 1902, S. 272, 
und Archiv f. Hygiene, 1902, 44, 126. 

12. Müller, P. Th., Weitere Studien über die Fällung des Caseins 
durch Lab- und Lactoserum. Centralbl. f. Bakt. 1902, 32, 521. 

13. Pick, F. P., Zur Kenntnis der Immunkörper. Diese Beitr. I, 7/9 
und 10/12, 1901/1902. 

14. Wassermann, A. (Diskussion. Dtsch. med. Wochenschr. Ver- 
einsbeilage, Nr. 3, S. 1902. 

15. Wassermann, A., Über Agglutinine und Präzipitine. Zeitschr. f. 
Hyg. 1903, S. 267. 


TI. 


Über die antitryptische Wirkung des Blutes®). 
Von Dr. Karl Glaessner. 


Aus der medizin. Klinik zu Würzburg (Geh. Rat v. Leube) und der inneren 
Abteilung des Augusta-Hospitals zu Berlin (Geh. Rat Ewald). 


Die Bakteriologie hat uns gelehrt, gegen Toxine Antitoxine 
zu erzeugen, sie hat uns gezeigt, daß der normale Organismus 
für viele Gifte, die von den Bakterien produziert werden, über 
Gegengifte verfügt, die imstande sind, eine Menge des eingeführten 
Toxins zu binden. Es lag sicher nahe, zu untersuchen, ob nicht 
auch die Fermente, die den Bakteriengiften so nahe stehen, im 
Körper Antifermente erzeugen, beziehungsweise solche im Organis- 
mus schon vorgebildet vorfinden. Tatsächlich hat sich ergeben, 
daß beides der Fall isst. Hammarsten konnte zeigen, daß 
normales menschliches Blut die Wirkung des Labferments beein- 
trächtigt. Röden wies nach, daß als Ursache dafür ein im Blute 
vorhandenes Antilab anzusehen sei, das auch Ferment-Eigen- 
schaften besitzt. Morgenroth (ÜOentralblatt f. Bakt. 26, 11) ge- 
lang es später, durch Injektionen von Labferment eine gesteigerte 
antilabende Wirkung des Blutes zu erzielen. Fuld und Spiro 
(Z. £. physiol. Chemie 31, 1900) vermochten eine doppelte Ferment- 
funktion im Blute nachzuweisen, eine Komponente, die selbst labend 
wirkt und ein Ferment zu sein scheint, eine zweite, die das 
Antilab repräsentiert und aufein spezifisches Verhalten des Globulins 
zu Caleiumsalzen der Milch zurückgeführt wird. 

Auch für das Pepsin hat man Antikörper im Organismus ent- 
weder gefunden oder erzeugt. Sachs (Fortschr. d. Medizin 1902) 
hat Gänse künstlich gegen Pepsin immunisiert, Weinland (Z. f. 
Biologie 1902, 26, 1) hat in der Magenschleimhaut eine ferment- 
artige durch Alkohol fällbare Substanz gefunden, die die Schleim- 
haut durch ihre Pepsin zerstörende Wirkung vor der Meiberver 
dauung zu schützen vermag. 

Recht zahlreich sind die Versuche, die Antikörper des Trypsins 
zu finden, gewesen. Zuerst haben Fermi und Pernossi (Zeitschr. 


*) Die Resultate vorliegender Untersuchungen sind in der Sitzung vom 
7. Febr. 1903 in der physiolog. Gesellschaft zu Berlin kurz besprochen worden. 


80 Karl Glaessner, 


f. Hyg. 18) darauf aufmerksam gemacht, daß Organpreßsäfte die 
Wirkung des Trypsins herabsetzen. Hahn (Berl. klin. W. 1897) 
zeigte, daß diese Wirkung speziell dem Blute und zwar dem Blut- 
serum zukomme. Achalme (Annal. de Y’Inst. Pasteur 1901, 737) 
konnte Meerschweinchen gegen Trypsin durch wiederholte 
Injektionen immun machen, Weinland stellte aus der Darm- 
schleimhaut ein Antitrypsin dar, das ähnlich wie sein Anti- 
pepsin wirksam war, Landsteiner (Centralblatt f. Bakt. 1900) 
schrieb die antitryptische Fähigkeit des Blutes der mit dem 
Albumin fallenden Fraktion des Bluteiweißes zu. 

Von der Voraussetzung ausgehend, daß im normalen Blut 
Schutzstoffe gegen die körpereigenen Fermente vorhanden sein 
müssen — denn bekanntlich erscheinen ja die Fermente nur ın 
Spuren im Urin, müssen mithin auf dem Wege zwischen Ver- 
dauungskanal und Niere zum großen Teil zerstört werden — ging 
ich daran, das normale Blut bezüglich seiner Fähigkeit, das Trypsin 
zu schädigen, genauer zu untersuchen. 

Das Trypsin bietet bezüglich seiner Untersuchung keine solchen 
Schwierigkeiten wie das Pepsin, dessen Wirkung ja schon durch 
das Alkali des Blutes geschädigt wird, ein Umstand, der beim 
Trypsin in Wegfall kommt. Zuerst muß geprüft werden, welcher 
Anteil des Blutes das Vermögen besitzt, das Trypsin in seiner Ver- 
dauungskraft zu hemmen, ob es den körperlichen Elementen des 
Blutes zukomme, oder ob das Blutplasma daran beteiligt seı. 
Es wurden zu diesem Zwecke Blutserum und Blutkuchen ge- 
sondert untersucht, und es konnte festgestellt werden, daß die 
Wirkung des Serums eine weitaus größere und die Wirkung der 
Blutkörperchen wohl nur durch anhaftende Spuren des Serums 
bedingt war. Es wurde nun das Serum nach diesen Vorver- 
suchen einer genaueren Prüfung bezüglich seines antitryptischen 
Verhaltens unterzogen. 


I. Ist die antitryptische Wirkung des Blutes spezifisch? 


(Geprüft wurden die Blutsera vom Menschen, Rind, Pferd, 
Schaf, Ziege, Hund, Gans, Kaninchen, Schwein, Maus. 

Das Serum wurde teils durch Stehenlassen des frisch und unver- 
ändert entnommenen Blutes gewonnen, teils wurde es durch Zentrifugieren 
des defibrinierten Blutes erhalten. Menschliches Blut wurde in größeren 
Mengen aus der geburtshilflichen Klinik zu Würzburg beschafft (Pla- 
ventarblut). 

Trypsin wurde aus Trockenpankreas nach dem Verfahren 
von Kühne dargestellt. 

Es wurden die Drüsen der genannten Tiergattungen zerkleinert, 


Über die antitryptische Wirkung des Blutes. 81 


2 Tage in der Wärme (bei 40°) stehen gelassen und dann getrocknet und fein 
pulverisiert. Ein alkalischer Auszug lieferte dann eine recht wirksame 
Trypsinlösung, die allerdings den verschiedenen Tierarten entsprechend 
ungleich wirksam war. Doch gelang es bei völliger Gleichheit der 
Versuchsbedingungen (gleiche Mengen Trockenpankreas, entsprechende 
Mengen Wasser und Soda) annähernd vergleichbare Resultate zu erzielen. 


Zur Trypsinlösung wurden verschiedene Mengen Blutserums 
hinzugefügt und die Größe der Verdauung für gewöhnlich mittelst 
der Mettschen Röhrchen geprüft. Kontrollversuche wurden mit 
Gelatineröhrchen ausgeführt, derart, daß die Gelatine einfach mit 
der Trypsin-Blutserum-Mischung überschichtet und die Höhe der 
bei Zimmertemperatur in 24 Stunden verflüssigten Schichte ge- 
messen wurde. 

Mit der beschriebenen Methodik wurde das Einwirken der 
Blutsera verschiedener Tiere auf das Trypsin dieser Tiergattungen 
studiert und zwar derart, daß das Trypsin einer Tierart, z. B. 
des Hundes, auf die ganze Reihe der Sera der untersuchten Tiere, 
zur Einwirkung gelangte, andererseits das Serum einer Tiergattung 
bezüglich seiner hemmenden Wirkung auf Trypsine verschiedener 
Tierspezies geprüft wurde. Ich lasse eine Tabelle einiger Ver- 
suche in dieser Richtung folgen. 

I. Trypsin-Lösung vom Rind (1-proz. = 1 Tl. Pankreas auf 
100 Tle. Extrakt); Blutsera vom Menschen, Pferd, Rind, Schwein, 
Hund, Kaninchen, Verdauungsprobe nach Mett. 


Blutserum je 2 ccm l-proz. Trypsinlösg. | Länge der verdauten 

vom vom Rind Eiweißsäule in 24 h 
Be, . 10 ccm 6 mm 
EN RE re 10 ccm 5 mm 
2 I0 ccm 2 mm 
Be nv. ./% 10 ccm 4 mm 
FR Fre 10 ccm 4 mm 
Kaninchen . . . . 10 cem 4 mm 


II. Blutserum vom Schwein, Trypsinlösungen (1-proz.) vom 
Menschen, Pferd, Rind, Schwein, Hund, Kaninchen, Verdauung 
nach Mett. 


Blutserum vom 
Schwein 


1-proz. Trypsinlösung, 
je 10 ccm, vom 


Länge der in 24 h 
verdauten Eiweißsäule 


rin 2 ccm 5 mm 
Pferd . | 2 ccm 5 mm 
Rind . RE EN AR 2 ccm 6 mm 
2 a 2 ccm 3 mm 
Hund . 2 ccm 5 mm 
Kaninchen j | 2 ccm 5 mm 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 6 


89 Karl Glaessner, 


Es ist ohne weiteres klar, daß diese Versuche noch mannig- 
fach variiert, daß die Mengen des zugesetzten Blutserums, die 
Mengen bezw. Konzentrationen der Trypsinlösungen abgestuft, 
ferner auch die Trypsine aller angeführten Tierspezies im Ver- 
halten gegen die Blutsera derselben untersucht werden konnten. 
Aus den angeführten 2 Versuchen leuchtet aber schon ein, daß 
das Blutserum eine spezifisch antitryptische Wirkung entfaltet, daß 
es am stärksten hemmend wirkt auf das Trypsin derselben 
Tierart. 


II. Welche Fraktion des Blutserums enthält das Antitrypsin? 


Wir wissen, daß die Fermente mit den verschiedenen Eiweiß- 
körpern niedergeschlagen werden, daß sie gewissermaßen aussalz- 
bar sind. Mit Rücksicht auf die interessanten Befunde von Fuld 
und Spiro beim Labferment, machte ich mir es zur Aufgabe, mit 
Hilfe der von den genannten Autoren angegebenen Methodik zu 
prüfen, ob man vielleicht das Antitrypsin im Blutserum an eine 
bestimmte Fraktion des Eiweißes gebunden findet, oder ob diese 
Wirkung allen im Bluteiweiß vorhandenen Eiweißkörpern zukommt. 
Fuld und Spiro machen für das Antilab eine Fraktion des 
Globulins, das sogenannte Euglobulin im Sinne Hofmeisters, 
verantwortlich. Landsteiner führt die antitryptische Wirkung 
des Blutserums auf die Albuminfraktion zurück. 

Ich verfuhr folgendermaßen: Es wurden größere Mengen 
Pferdeblutserum mit dem gleichen Volumen gesättigter Ammon- 
sulfatlösung gefällt und sowohl das gefällte Globulin, als das im 
Filtrat befindliche Albumin untersucht. Das Filtrat wurde mit 
Ammonsulfat bis zur Sättigung versetzt, der Niederschlag gelöst, 
3 Tage dialysiert, wiederum gefällt und dialysiert und das dialy- 
sierte, salzfreie Albumin geprüft. Es ergab sich eine kaum .nennens- 
werte Beeinträchtigung der Trypsinverdauung, die Albuminfraktion 
scheint somit das Antitrypsin nicht zu enthalten. 

Es wurde nun zur Prüfung der Globulinfraktion geschritten. 
Der Niederschlag wurde gelöst, gefällt, dialysiert und das dialysierte _ 
Globulin untersucht. Es zeigte sich deutlich antitryptische Wirkung. 
Das Globulin des Blutserums läßt sich nach den in Hofmeisters 
Laboratorium gemachten Beobachtungen in mindestens 3 Fraktionen 
zerlegen: in das bei 25 Proz. Sättigung mit Ammonsulfat. aus- 
fällbare Fibrinoglobulin, in das Euglobulin, das bei einer 
Sättigung von 33 Proz. ausfällt und bei der Dialyse in Lösung 
bleibt, und endlich in das bei 38 Proz. Sättigung ausfällbare, "bei 
der Dialyse unlösliche Pseudoglobulin. Diese 3 Fraktionen 


Über die antitryptische Wirkung des Blutes. 83 


wurden gesondert untersucht, es zeigte sich, daß das Antı- 
trypsin mit der Euglobulin-Fraktion ausgesalzen wird”). 

Ein Versuch soll diese Verhältnisse illustrieren. 

Es wurden 500 ccm Pferdeblutserum mit dem gleichen Volumen 
Ammonsulfat-Lösung versetzt, nachdem vorher die antitryptische Wirkung 
des Serums auf eine 1-proz. Trypsinlösung, von Pferdepankreas herrührend, 
bestimmt worden war. 


I. 
l-proz. Trypsin- Blutserum vom H,O Länge der in 24 h ver- 
lösung vom Pferde Pferde n dauten Eiweißsäule 
10 ccm | 2 ccm l mm 
10 cem Din 2 ccm 5 mm 


II. Der Globulinniederschlag wird gelöst, dialysiert, noch zweimal 
gefällt und das ursprüngliche Flüssigkeitsvolumen hergestellt. 


Länge der in 24h ver- 


dauten Eiweißsäule 
innen, 


10 ccm 2 ccm I mm 


l-proz. Trypsinlösung Euglobulin 


Ill. Das bei der Dialyse ausfallende Pseudoglobulin wird gelöst und 
auf das ursprüngliche Volumen gebracht. 


l-proz. Trypsinlösung Pseudoglobulin Verdauung 


10 ccm 2 cem 4 mm 


IV. Das im Filtrat vorhandene Albumin wird in ähnlicher Weise 
ausgesalzen, dialysiert, dieser Vorgang noch zweimal wiederholt, dann das 
ursprüngliche Volumen hergestellt. 


l-proz. Trypsinlösung Albumin Verdauung 


10 ccm 2 ccm 


5 mm 


Es ist somit erwiesen, daß das Englobulin der Tıäger 
der antitryptischen Wirkung des Blutes ist, eine An- 


*) In jüngster Zeit haben Oppenheimer für das Albumin, Freund 
und Joachim (Zeitschrift f. physiol. Chemie 56, 407) sowie Spiro und 
Porges (diese Beiträge 3, 277) für das Globulin noch mehrere Fraktionen 
unterschieden. Diese Arbeiten waren zur Zeit meiner Versuche, die in das 
Wintersemester 1901—1902 fielen, noch nicht veröffentlicht und konnten daher 
nicht berücksichtigt werden. 


6* 


84 Karl Glaessner, 


sicht, die mit der von Landsteiner vorgebrachten im 
Widerspruch steht. 


III. Wie verhält sich das Antitrypsin während der Verdauung. 


Auf Grund der Annahme, daß dem Blut fermentzerstörende 
Substanzen zur Verfügung stehen, die bei der unzweifelhaft vor 
sich gehenden Resorption der Fermente eine Rolle spielen, war 
es naheliegend, nachzusehen, ob die antitryptische Wirkung des 
Blutes vielleicht zu der stärkeren Produktion und Resorption des 
Trypsins zur Zeit der Verdauung in Beziehung steht, und zwar 
ob die antitryptische Kraft des Blutes im verdauenden Zustande 
des Organismus eventuell größer ist als zu einer Zeit, wo kein 
Trypsin abgesondert wird, also im nüchternen Zustande. Es 
wurden zum Zwecke dieser Untersuchung das Blutserum von 
Mensch und Hund im nüchternen Zustand und zu verschiedenen 
Zeitpunkten nach Einnahme einer Mahlzeit geprüft. 

Ich teile die einschlägigen Versuche mit: 

I. Hund von mittlerer Größe. Dem Tier wird in nüchternem Zustand 


Blut (10 ccm) entnommen und dessen Wirkung auf Hundetrypsin fest- 
gestellt. 


Ben Verdaute Eiweißsäule 
l-proz. Trypsinlösung Blutserum | RER 
10 ccm | 2 ccm 3 mm ' 


Das Tier erhält |, Kilo Fleisch, es wird alle Stunden Blut aus der 
Schenkelvene entnommen. 


“ | 1 Länge der ver- 
2 Ben Blutserum an a ' dauten Eiweiß- 
ne | gern ı sälle in24h 

10 ccm | 2 ccm nach 1 Stunde 3 mm 

” | S »„ 2 Stunden 3 mm 

” 1) „ 8 I) | 3 mm 

” „ ” 4 ” | 2 mm 

” ” ” 5 ” 1 mm 

v7] ” ” 6 ” 1: mm 

II. Derselbe Versuch wird am Menschen ausgeführt: 
Nüchtern. 

l-proz. Trypsinlösung | Bildern Länge der verdauten 


vom Menschen Eiweißsäule 


10 ccm 


TE a 


Über die antitryptische Wirkung des Blutes. 85 


Nach Einnahme einer gemischten Mahlzeit: 


) 


Länge der verdauten Ei- 


10 cem | 2 ccm . Stunde nach der Mahlzeit | weißsäule 
.; | 2 2. Stunde | 2 mm 
5 7 4. Stunde [2 
u | SR 6. Stunde 2) 


II. Versuch am Menschen. Der Versuch wurde dahin abge- 
ändert, daß nicht Leichenpankreas, sondern menschlicher aktivierter Pan- 
kreassaft verwendet wurde, dessen Gewinnung ich einem glücklichen 
Zufall verdanke und worüber anderweitig berichtet worden ist *). 


Aktiver Pankreassaft 5 Länge der verdauten 
Blutserum nüchtern \ ne SR: 
vom Menschen Eiweißsäule 


) 
\ 


10 ccm | 2 ccm | 3 mm 


| 


Nach der Mahlzeit 


I 


Zeit nach der Mahlzeit Länge u. s. w. 
10 ccm | 2 com | 2 Stunden | 3 mm 
x | si | 4 £ | 2 mm 
en | 6 m | 12] 


Aus den angeführten Versuchen, denen sich noch eine Reihe 
anderer anreihte, ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Antitrypsin- 
wirkung während der Verdauung zunimmt, daß also ein Konnex 
zwischen Trypsinabsonderung und Antitrypsinbildung im Blut 
bestehen muß. Das Ferment wird eben zur Zeit der Verdauung 
nicht nur am stärksten sezerniert, sondern wohl auch am reich- 
lichsten resorbiert, und es muß deshalb die deletäre Wirkung der 
Antikörper dieses Ferments im Blute an Intensität zunehmen. 
So werfen diese Tatsachen ein interessantes Streiflicht auf die 
intermediären Vorgänge bei der Verdauung und lassen eine in- 
geniöse Gesetzmäßigkeit in dem Ineinandergreifen der verschiedenen 
Fermente und Antifermente erkennen. 

Fasse ich die Resultate der vorstehenden Untersuchungen 
in einige Schlußsätze zusammen, so würden diese lauten: 

1. Die antitryptische Kraft des Blutes ist für Blutsera und 
Trypsine verschiedener Tierarten verschieden. Sie ist am stärksten 
gegenüber dem Trypsin derselben Spezies, somit spezifisch. 

2. Die Wirkung des Antitrypsins ist an die Euglobulinfraktion 
des Blutserums gebunden. 


*) Deutsche med. Wochenschrift 1903, Nr. 15, Verein f. inn. Medizin, 
Berlin. 


36 Karl Glaessner, Über die antitryptische Wirkung des Blutes, 


3. Die Menge des Antitrypsins nimmt im Blute zur Zeit der 
Verdauung zu, was für die Annahme einer Zerstörung des resor- 
bierten Ferments im Blut zu sprechen scheint. 

In allerjüngster Zeit hat Delezenne (C.R.de la Soc. Biol. 
1903, 30. Januar) eine interessante Aufklärung der Antitrypsin- 
Wirkung des Blutes zu bringen gesucht. Er nimmt auf Grund 
einiger dahin zu deutender Experimente an, daß die antitryptische 
Wirkung des Blutes sich nicht gegen das Trypsin als solches, 
sondern gegen das aktivierende Prinzip, die Enterokinase, richtet, 
daß wir mithin nicht eine antitryptische, sondern eine Antikinasen- 
wirkung des Blutes anzunehmen haben. Ich bin damit beschäftigt, 
diese Anschauung nachzuprüfen, und behalte mir die Resultate der 
Untersuchung für eine spätere Mitteilung vor. 

Zum Schlusse erfülle ich eine angenehme Pflicht, indem ich 
den Herren Geheimrat Prof. Dr. W. von Leube und Geheimrat 
Prof. Dr. ©. A. Ewald für ihr gütiges Interesse, sowie Herrn Priv.- 
Doz. Dr. Rostoski zu Würzburg für seine liebenswürdige Unter- 
stützung bei der Ausführung dieser Arbeit meinen herzlichsten 
Dank zum Ausdruck bringe. 


Buchdruckerei A. W. Zickfeldt, Osterwieck/Harz. 


Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. 


Leitfaden für den 


praktisch-chemischen Unterricht 
der Medieiner 


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Dr. Franz Hofmeister, 


* 0. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg. 


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Beiträge 


zur 


Chemischen Physiologie 


und 


Pathologie 


Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben 
von 


Franz Hofmeister 


o. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 3. und 4. Heft 
(Ausgegeben Juni 1903) 


Braunschweig 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


1903 


Inhalt des 3. und 4. Meftes. 


Seite 
VII. Eugen Schlesinger. Untersuchungen über die Abhängigkeit 
der autolytischen Prozesse von physiologischen und pathologischen 
Verhältnissen. (Aus dem SET Institut zu 
Strassburg.) a 7. a1 0% ’ 87 


VIII. Ivar Bang. Chemische U TE EEEN EN Iyinphatischien Organe 
(Aus dem BER chemischen Laboratorium zu Lun d, 
Schweden.) . . mer}; 


IX. Felix Reach. Zur Kerle = Vera Er Reseiilinn 
vorgänge im Magen. (Aus dem a Insti- 
tut in Strassburg.) 2 139 


X. Leo Langstein. Zur Kenntnis ae Och ers Mr atkoleg 
Institut des Krankenhauses Friedrichshain in Berlin Vorsteher: 
Prof. v. Hansemann) . . 145 


XI. Emil Reiß. Der ie kungnko rent de Eiweißkörper ERS 
Blutserums. Sri dem EUER chemischen Institut zu Strass- 
RN 150 


XIH. Moritz Schw RN Über die Wake ö Ey 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Strassburg) . . 155 


XIII. Alexander Ellinger und Max Gentzen. Tryptophan, eine Vor- 
stufe des Indols bei der Eiweißfäulnis. (Aus dem Universitäts- 
Laboratorium für medizinische Chemie und escperimentelle Phar- 
makologie zu Kömwgsberg 3: Pr) »:» - » 2 0. 0 som 
XIV. Ivar Bang und C. A. Raaschou. Über die Darstellung der 
Guanylsäure. (Aus dem PRIMER. -chemischen Laboratorium zu 
Lund, Schweden.). . . . a en aa 
Kürzere Mitteilungen. 
1. Sigval Schmidt-Nielsen. Wird der Muskelsaft durch Autolyse 


gebildet? (Aus dem medizinisch-chemischen Institute der Univer- 
ital Upaddn) -— :. u Ra me a te ar Se Se 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie‘ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 36 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 

Die Ausgabe der Hefte erfolgt nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 

Manuskriptsendungen sind an den Herausgeber, Straßburg i. E,, 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 

Bei der Aufnahme von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und Übersichtlichkeit der Darstellung maßgebend sein. 
Polemische Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung überschreiten, können nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung” neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solcken 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 

Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


v1l. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der 
autolytischen Prozesse von physiologischen und 
pathologischen Verhältnissen. 


Von Dr. Eugen Schlesinger, Kinderarzt. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


Es ist das Verdienst Salkowskis*), 1880 durch seine grund- 
legenden Untersuchungen über die Autodigestion der Organe 
auf die Bedeutung dieses Vorganges für den Abbau der Organ- 
elemente hingewiesen zu haben. Der Prozeß selbst ist den 
Pathologen in seinen Hauptzügen schon lange bekannt gewesen, 
wenn auch nicht unter diesem Namen. Handelt es sich doch bei 
der experimentellen Autodigestion, bei welcher die dem Organismus 
entnommenen Organe durch Zusatz eines Antiseptikums, z. B. durch 
Chloroformwasser, geschützt vor Fäulnis, bei Bruttemperatur sich 
selbst überlassen bleiben, um dieselben oder doch um ganz ähn- 
liche regressive Metamorphosen, wie sie Gewebe innerhalb des 
lebenden Tierkörpers erleiden, wenn sie von der Zirkulation aus- 
geschlossen sind und dabei vor der Einwirkung von Bakterien be- 
wahrt bleiben, so der einfache Niereninfarkt oder der Erweichungs- 
herd im Gehirn infolge autochthoner Gefäßthrombose oder vor allem 
der intrauterin abgestorbene Embryo. 

Außer den Pathologen hatten sich auch die Physiologen schon 
vor Salkowski mit dem genanntenVorgang beschäftigt. So skizziert 
ihn in treffender Weise Hoppe-Seyler**) 1871 als eine Maceration, 
identisch mit dem anatomischen Begriff der Erweichung, als eine 
Verflüssigung, ähnlich wie bei der Fäulnis, doch ohne Auftreten 
übelriechender Stoffe, als einen Prozeß, der sich mit der Wirkung 
der Verdauungsfermente- vergleichen läßt, wobei aus Eiweißstoffen 
Leucin und Tyrosin, aus Fett freie Fettsäuren oder Seifen ent- 


*) Salkowski, Über Autodigestion der Organe. Zeitschrift für klinische 
Medizin. 1880. 17. Suppl. 

**) Hoppe-Seyler, Über Fäulnisprozesse und Desinfektion. Medizinisch- 
chemische Untersuchungen. 1871. Heft 4. 


6** 


88 Eugen Schlesinger, 


stehen. An dieser Stelle sind ferner auch die von Schützen- 
berger“) begonnenen und von vielen Forschern zum Ausgang 
ihrer Studien genommenen Untersuchungen an der bei höherer 
Temperatur sich selbst überlassenen Hefe zu erwähnen, die sich 
auf die als Selbstgärung und Selbstverdauung bezeichneten. Abbau- 
vorgänge derselben beziehen. 

Immerhin bleibt. es, wie gesagt, das Verdienst Salkowskis, 
zuerst in systematischer Weise den chemischen Abbau der Organ- 
bestandteile, vor allem der eiweißhaltigen in Leucin und Tyrosin, 
und des Glykogens in Zucker, durch die postmortale antiseptische 
Autodigestion studiert zu haben. Von Salkowskis Schülern 
Schwiening**) und Biondi***) wurden dessenVersuche fortgesetzt, 
so bezüglich des Auftretens der Milchsäure; vor allem aber wurde 
die Enzymnatur des Vorgangs, die Beteiligung eines ungeformten, 
gelösten, von der Zelle bereiteten, aber von deren Vitalität 
unabhängigen Ferments sichergestellt; es wurden die, später 
allerdings wieder fallengelassenen, qualitativen Verschiedenheiten 
und die quantitativen und zeitlichen Differenzen zwischen der 
Autodigestion und der tryptischen Verdauung hervorgehoben, der 
Ersatz des Chloroforms durch andere Antiseptica, der Einfluß 
anderer äußerer Bedingungen, so die hemmende Wirkung zuge- 
setzten Alkalis, studiert. 

Daneben wurde von den Schülern Hofmeisters das exper!- 
mentelle Studium der Autodigestion oder der Autolyse, wie 
dieser fermentative Abbau der Organe auf den Vorschlag Jacobys 
(s. u.), in Analogie mit Karyolyse, Hämolyse u. a., jetzt allge- 
mein bezeichnet wird, eifrig betrieben und gefördert. Schon 1886 
hatte Fr. Kraust), in Hofmeisters Laboratorium die chemischen 
und morphologischen Veränderungen in dem Tierkörper ent- 
nommenen, aseptisch aufbewahrten Organen untersucht; er wider- 
legte die von Hauser angenommene Neubildung von Fett in diesen 
und brachte die Fragmentierung und den schließlichen Schwund 
des Zellkerns, die Homogenität und diffuse Tinktion des Proto- 
plasmas in Vergleich mit der Nekrose der Pathologen. JacobyTr) 


*) Schützenberger, Die Gärungserscheinungen. 1876. 

**) Schwiening, Über fermentative Prozesse in den Organen. Virchows 
Archiv. 1894. 136. 

”*) Biondi, Beiträge zur Lehre der fermentativen Prozesse in den 
Organen. Virchows Archiv. 1896. 144. 

7) Kraus, Uber die in abgestorbenen Geweben spontan eintretenden 
Veränderungen. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 
1887. 22. g 

jr) Jacoby, Uber die fermentative Eiweißspaltung und Ammoniakbildung 
in der Leber. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1900. 30. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 89 


untersuchte die bei der Autolyse der Leber auftretenden stick- 
stoffhaltigen Produkte und wies auf die während des Vor- 
gangs erfolgende Überführung von fest gebundenem Stickstoff in 
locker gebundenen hin; auch unternahm er Versuche, das bei der 
Autolyse wirksame proteolytische Ferment zu isolieren. Siegert*) 
studierte, die Untersuchungen Kraus’ fortführend, das Verhalten 
des Fettes bei der Autolyse der Gewebe. Trotz der „fettigen“ 
Degeneration, als welche die Veränderung der Leber bei diesem 
Vorgange von den Morphologen bezeichnet werden müßte, war eine 
Vermehrung chemischen Fettes oder der Fettsäuren nicht nach- 
zuweisen, höchstens eine Spaltung des Jecorins. 

Hand in Hand mit diesen Untersuchungen wurde auch die 
Methodik der experimentellen Autolyse in einem wesentlichen 
Punkte vervollkommnet. An Stelle der ursprünglichen, anti- 
septischen Autolyse, wobei durch Zusatz von Chloroform oder 
Toluol zu dem Organbrei Fäulnis und Bakterien ferngehalten 
wurden, hatte Conradi**) eine einfache und zuverlässige Methode 
zur aseptischen Herausnahme der Organe in toto und deren 
aseptischer Autolyse ausgearbeitet, He den natürlichen Verhält- 
nissen näher kam und auch in ihren Resultaten diesen mehr ent- 
sprach. Mit Hilfe dieser und der älteren Methode untersuchte 
Magnus-Levy“**) das Verhalten der Kohlehydrate in der Leber; 
er fand, daß beim Abbau des Glykogens durch die Fermente des 
autolytischen Prozesses Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure, Bern- 
steinsäure, Kohlensäure, wahrscheinlich auch Wasserstoff entstehen, 
eine Reihe von Stoffen, die man bisher nur als Produkte des Stoff- 
wechsels und der Lebenstätigkeit der Bakterien angesehen hatte. 

Während zu den angeführten Untersuchungen fast immer nur 
Lebern (oder Muskeln) vom Rind, Kaninchen oder Hund benutzt 
worden waren, wiesen Hedin und Rowlandr) die Existenz 
autolytischer Vorgänge auch in der Milz, den Nieren, Lymphdrüsen, 
Jakoby’rf) in der Lunge, KutschertNi in der Eine: Müller 
im Gehirn nach, all dies in normalen Organen gesunder Säugetiere, 


*) Siegert, Das Verhalten des Fettes bei der Autolyse der Leber. 
Diese Beiträge. 1902. 1. 

7?) Consadi, Über die Beziehung der Autolyse zur Blutgewinnung. Ibidem. 
eb) Magnus-Levy, Über die Säurebildung bei der Autolyse der Leber. 
Ibidem 1902. 2. 

+) Hedin und Rowland, Über ein proteolytisches Enzym in der Milz und 
im Tierkörper. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1901. 32. 

fr) Jacoby, Über die Autolyse der Lunge. Ibidem 1901. 33. 

tr) Kutscher, Das proteolytische en der Thymus. Zeitschrift für 
physiologische Chemie. 1901. 34. 


90 | Eugen Schlesinger, 


und studierten, wie auch kürzlich noch Levene*), am Pankreas, 
Reh**) an den Lymphdrüsen, die bei der Autolyse auftretenden 
Spaltungsprodukte. 


Beiträge in gleicher Richtung, mehr oder weniger nach der 
praktischen Seite hin, haben Vogel“*”*) und Schmidt-Nielsenf) 
geliefert. Ersterer zeigte, daß die Bildung von Muskelsaft, der 
hauptsächlich den Wohlgeschmack des abgelagerten Fleisches be- 
dingt, auf einer unter Spaltung von Eiweiß einhergehenden Autolyse 
des Muskels, nicht auf postmortaler Fäulnis beruht; dasselbe wies 
Schmidt-Nielsen für den Reifungsprozeß der Pökelheringe 
nach, bei welchem Vorgang aus ungesättigten Fettsäuren Oxyfett- 
säuren gebildet und reichlich Xanthinbasen und Aminosäuren ab- 
gespalten werden. Vogel wies auch nach, daß, allerdings nur unter 
pathologischen Verhältnissen, die Bildung von auspreßbarem Muskel- 
saft, bereits im lebenden Individuum erfolgt; er faßt dies als einen 
autolytischen Vorgang auf. | 


Infolge fortschreitender Erkenntnis der biologischen Bedeutung 
der Autolyse haben dann auch die Pathologen und Kliniker diesem 
Vorgang erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt und ihn zur Er- 
klärung pathologischer Verhältnisse herangezogen. Die bedeut- 
samste Arbeit in dieser Richtung ist die von Friedrich Müller). 
Er konnte bei den Lösungsvorgängen und der Verflüssigung des 
pneumonischen Lungeninfiltrats dieselben Zerfalls- und 
Erdprodukte in großer Menge nachweisen, wie sie sonst bei der 
postmortalen Autolyse der Organe gefunden werden. Petryrrr) 
fand eine beträchtliche Steigerung der Autolyse im Carcinom, 
gegenüber dem umgebenden normalen Mammagewebe. Früher 
schon hatte Jacoby*r) gezeigt, daß die Phosphorleber bei 


*) Levene, Über das Vorkommen von Uracil bei der Pankreasautolyse. 
Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1903. 37. 
**) Reh, Über die Autolyse der Lymphdrüsen. Diese Beitr. 1903. 3. 
***) Vogel, Untersuchungen über Muskelsaft. Archiv für klinische Me- 
dizin. 1902. 132. 
+) Schmidt-Nielsen, Zur Kenntnis der Autolyse des Fischfleisches. 
Diese Beiträge. 1902. 8. 
++) Müller, Fr., Uber die chemischen Vorgänge bei der Lösung der 
Pneumonie. Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 
1902. 13. 
-++7) Petry, Ein Beitrag zur Chemie maligner Geschwülste. Diese Bei- 
träge. 1902. 2. _ 
*+) Jacoby, Uber die Beziehungen der Leber- und Blutveränderungen 
bei Phosphorvergiftung zur Autolyse. Zeitschrift für physiolog. Chemie. 
1900. 30. 


VE u Me 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s.w. 9] 


der Phosphorvergiftung viel rascher autolytisch zerfällt, als 
normales Lebergewebe, und daß sie schon in vivo Veränderungen 
erfährt, die dem autolytischen Prozeß entsprechen. Umber*) 
wies die Anhäufung autolytischer Abbauprodukte in der frisch 
gewonnenen Ascitesflüssigkeit, wo sie wie in einem sterilen 
Gefäß intra vitam aufgefangen und bei der verlangsamten 
Resorption aufgestapelt werden, nach, während Langstein und 
Neubauer“*)am puerperalen Uterus eine Steigerung der Auto- 
lyse gegenüber dem nichtpuerperalen nicht mit Sicherheit fest- 
stellen konnten. Schumm***) analysierte die Produkte der auto- 
lytischen Eiweißspaltung in der leukämischen Milz. 

Schließlich seien, um die Aufzählung der Beobachtungen über 
autolytische Vorgänge wenigstens einigermaßen zu vervoll- 
ständigen, die Untersuchungen Conradis (s. 0.) über die blutge- 
rinnungshemmende Wirkung autolysierter Organe, im Gegen- 
satz zu dem gerinnungsbeschleunigenden Einfluß frischer Preßsäfte 
undr) über die Bildung bakterizider Stoffe beim autolytischen 
Abbau der Organe angeführt. 

Eine Isolierung des autolytischen Ferments, derart, daß man 
direkt mit demselben arbeiten kann, Versuche, wie sie bezüglich 
der dem autolytischen Ferment nahestehenden oxydativen Fer- 
mente [siehe bei Rosellrr)] schon ziemlich weit vorgeschritten 
sind, blieben als naheliegende Aufgabe künftigen Forschungen 
vorbehalten. 

Überblickt man die angeführten Untersuchungen über die 
Autolyse, so wird man in der Annahme, die schon die ersten 
Forscher auf diesem Gebiete hegten, aufs nachdrücklichste bestärkt, 
nämlich daß hier eine grundlegende Einrichtung für den Abbau 
der Gewebselemente vorliegt, durch die aus geformtem Zellmaterial 
lösliche, aus nicht diffusiblen Organbestandteilen diffusible und 
daher leicht eliminierbare Produkte gebildet werden, ein bio- 
chemischer Prozeß, der mit Hilfe von Fermenten vor sich geht, 
wohl zu trennen von der Zersetzung durch Bakterien, unabhängig 


*) Umber, Über autolytische Vorgänge in Exsudaten. Münchener 
mediein. Wochenschrift. 1902. 49. x 
‘ **) Langstein und Neubauer, Uber die Autolyse des puerperalen 
Uterus. Ibidem. _ 
***) Schumm, Über die Autolyse der leukämischen Milz. Diese Beiträge. 
1903. 3. 
+) Conradi, Über die Bildung bakterizider Stoffe bei der Autolyse. 
Diese Beiträge. 1902. 1. . 
++) Rosell, Über Nachweis und Verbreitung intrazellulärer Fermente. 
Inaug.-Diss. Straßburg. 1901. 


99 Eugen Schlesinger, 


von der Vitalität der Zellen, das Aufhören der Zirkulation über- 
dauernd. 

Während wir bis jetzt, abgesehen etwa von Fällen von 
Nekrose am Lebenden, im allgemeinen nur die „postmortale* Auto- 
Iyse direkt beobachten können, weist alles oder doch vieles auf 
die Annahme hin, daß dieselben Umsetzungen sich auch schon 
innerhalb des lebenden Körpers, unter normalen wie pathologischen 
Zuständen abspielen, freilich unter wesentlich verschiedenen äußeren 
Bedingungen, und somit auch mit quantitativ ganz anderem Effekt. 
Bei der intravitalen Autolyse werden stets neue Moleküle zuge- 
führt, die leicht diffusiblen, verbrauchten Produkte weggespült; 
stets findet Zufuhr von Sauerstoff statt, vielleicht auch ein ge- 
regeltes Ineinandergreifen einer gewissermaßen abgestuften Fer- 
mentwirkung, indes bei postmortalen Versuchen diese räumliche 
und zeitliche Trennung fehlt, die Produkte stagnieren, der Vor- 
gang anaerob verläuft. Aber eben darum darf erwartet werden, 
daß der autolytische Prozeß unter den in vivo gegebenen Be- 
dingungen in ebenso großem Umfange, ja in noch größerem als bei 
den postmortalen Experimenten, stattfindet, wenn auch seine Be- 
deutung für den Lebensprozeß im einzelnen noch nicht abzu- 
schätzen ist. 


Der Beitrag, den ich in folgendem zum Studium der auto- 
Iytischen Vorgänge geben möchte, bezieht sich zum Teil auf 
physiologische Verhältnisse dieses Prozesses; vor allem 
aber suchte ich den Vorgang in Beziehung zu bringen mit 
klinischen Beobachtungen und morphologischen, patho- 
logisch-anatomischen Untersuchungen. Schon früheren 
Autoren war der erhebliche Unterschied in der Größe der auto- 
lytischen Kraft ein und desselben Organs bei den verschiedenen 
Tieren aufgefallen, nicht nur bei verschiedenen Spezies, sondern 
auch individuelle Unterschiede bei derselben Art, die in Ver- 
schiedenheiten der Rasse, des Alters, des Ernährungszustandes 
oder der Fütterung und anderem bedingt sein mußten. Zum 
Teil waren diese Unterschiede qualitativer Art. So wurden bei 
(aseptischer) Autolyse der Leber beim Hund vorwiegend flüchtige, 
beim Rind überwiegend nicht flüchtige Säuren gebildet; das 
Kaninchen verhielt sich wie der Hund, das Schwein und die 
Gans wie das Rind (Magnus-Levy. 1. e.). Vorwiegend aber waren 
die Differenzen quantitativer Art. 

Zunächst suchte ich nun den Einfluß des Alters auf die 
Intensität der Autolyse festzustellen. Diese Versuche 
konnten an verschieden alten Kaninchen vorgenommen werden. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 93 


Bald dehnte ich aber die Versuche auf menschliche Leichen, 
auf Embryonen, Frühgeborene, Säuglinge und Kinder der in 
Lebensjahre, aus. Dabei ergab sich augenfällig, daß nicht nur 
das Alter, sondern auch die zum Tode führende Krankheit des 
Kindes zu berücksichtigen war und in Beziehung mit der Intensität 
des autolytischen Vorganges stand. Indem ich weiterhin mein 
Augenmerk namentlich auf eine Säuglingskrankheit, die Päd- 
atrophie, richtete, konnte ich an dem klinisch, durch Wägungen, 
genau beobachteten Krankenmaterial auch einen wünschenswerten 
Aufschluß über den Einfluß des Ernährungszustandes auf 
die Autolyse gewinnen. Gerade bezüglich der Pädatrophie, dieser 
Crux der Kinderärzte, mußten Untersuchungen nach der genannten 
Richtung hin erwünscht sein; haben doch beim Suchen nach der 
Natur dieser Erkrankung weder die anatomisch - pathologischen 
Untersuchungen der Organe, noch die chemische Prüfung der 
Verdauungssäfte und der Exkrete, noch bakteriologische Studien 
zu durchweg befriedigenden und abschließenden Ergebnissen 
geführt. 

Es schien nicht aussichtslos, hier einen neuen Weg, das 
Studium der mit der Verdauung nicht in Zusammenhang stehenden 
intra vitam tätigen Fermente einzuschlagen. 


Untersuehungsmethode. 


Bevor ich die Methodik meiner Untersuchungen bespreche, habe ich 
einiges über das benutzte Leichenmaterial zu sagen. Erste Be- 
dingung bei allen Versuchen über autolytische Vorgänge ist, daß Fäul- 
nisvorgänge von vornherein und während des Versuches selbst mit 
Sicherheit ausgeschlossen werden. Da diese in gleicher Weise und 
noch viel stärker wie die Autolyse eine proteolytische oder sonstige 
hydrolytische Wirkung entfalten, können sie die Resultate der letzteren 
geradezu unkenntlich machen. Deshalb war ich auf die Fälle aus 
meiner eigenen Poliklinik angewiesen, wo mir die Sektionen schon bald 
nach dem Tode gestattet wurden, und ich die un nicht selten noch 
warm aus der Leiche entnehmen konnte. 


Selbstversändlich konnte für meine Versuche nur die anti: 
septische Methode der Autolyse, wo durch Toluolzusatz 
Bakterienentwickelung und Fäulnis ferngehalten wurden, in Be- 
tracht kommen. | 


Das aseptische Verfahren, bei dem die Organe, unter antiseptischen 
Kautelen aus dem eben getöteten Tierkörper entnommen, aseptisch auf- 
bewahrt werden, läßt schon, und gerade bei der Leber (Conradi, 1. c.), 
im vorzüglich eingerichteten Laboratorium zuweilen im Stich; in dem 
ärmlichen Milieu poliklinischer Patienten, wo ich die Sektionen vornehmen 
mußte, ist dieser Modus ganz und gar undurchführbar. 


94 Eugen Schlesinger, 


Es erschien wünschenswert, um die Beeinträchtigung der 
Autolyse durch das zugesetzte Antiseptikum so gering als mög- 
lich zu gestalten, durch eigene Versuche das Minimum der zur Fern- 
haltung von Fäulnis und zur Entwickelungshemmung bereits vor- 
handener Bakterien notwendigen Toluolmenge ausfindig zu 
machen). 

Bei 6—12 Stunden (bis 18 und 24 Stunden im Winter) nach 
dem Tode vorgenommenen, sauber, wenn auch nicht aseptisch 
ausgeführten Sektionen genügen für 3 Gramm Leberbrei, verteilt 
in 30 ccm sterilem Wasser und aufbewahrt in sterilen Reagens- 
gläschen, 0,3 cem Toluol, um mit Sicherheit die vorhandenen 
Bakterien nicht nur in ihrer Vermehrung aufzuhalten, sondern 
sie auch abzutöten. Insoweit decken sich meine Untersuchungen 
mit denen Salkowskis. Ob aber bei mehrere Tage langem 
Zwischenraum zwischen Tod und Sektion auch diese geringe Toluol- 
menge zur Abtötung der Bakterien genügt, dessen bin ich nach 


einem entsprechenden Fehlversuch**) nicht sicher. 
Man hätte als Antiseptikum auch statt Toluol das von Salkowski***) 
zu Fermentstudien empfohlene Chloroform anwenden können. Das im 


*) Bei den bakteriologischen Untersuchungen durfte ich die Hülfs- 
mittel des hiesigen Instituts für Hygiene und Bakteriologie benutzen, wofür 
ich Herrn Professor Forster auch an dieser Stelle meinen herzlichsten 
Dank ausspreche. 

**) Es seien folgende 2 Versuche — Fehlversuche — angeführt. Die 
Sektion der an Enteritis und Pneumonie verstorbenen Säuglinge fand 24 
bezw. 30 Stunden nach dem Tode statt; während dieser Zeit waren die 
Leichen in der Wohnstube aufgebahrt gewesen. Nach der Sektion wurden 
— aus äußeren Gründen — die Lebern im Eisschrank während 6 Stunden 
aufbewahrt, dann verarbeitet. Aus 2,5 mg des in 30 ccm 1-prozentigem 
Toluolwasser verteilten 3 g Leberbreies entwickeln sich auf Gelatine nach 
48 Stunden I 181 

aus dem frischen Präparat ohne Toluol 390 320 Kolonien 
nach 3tägiger antiseptischer Autolyse 440 10 2 
AR e A " zahllose 13 > 
Die Entwickelung der Kolonien im II. Versuch mag auf irgend einem 
technischen Fehler beruhen. Der erste Versuch ist ein ausgesprochener 
Fehlversuch, wenngleich er noch eine Hemmung der Bakterienentwickelung 
durch das Toluol erkennen läßt. Sitzen schon reichlich Bakterien im Innern 
der kleinsten Gewebsteile, so werden sie eben trotz häufigen Durch- 
schüttelns von dem Toluol kaum mehr erreicht. Ungeachtet des Fehlens 
von Fäulniserscheinungen habe ich der bakteriologischen Resultate wegen 
diese Fälle als hinsichtlich der Ergebnisse der Autolyse nicht einwands- 
frei aus meiner Zusammenstellung gestrichen. 
Bei den übrigen Versuchen blieben die angelegten 
Kulturen stets steril. 

++*) Salkowski, Über die antiseptische Wirkung des Chloroformwassers. 

Deutsche medicin. Wochenschrift 1888. 14. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 95 


hiesigen Institut an dessen Stelle benutzte Toiuol bietet bei gleicher 
chemischer Indifferenz vor dem Chloroform den Vorteil, daß sich sein 
Überschuß auf der Oberfläche der wässerigen Flüssigkeit ausbreitet und 
so einen willkommenen Abschluß gegen das Eindringen von Schimmel- 
pilzen und anderen Bakterien abgibt und überdies bei etwas geringerer 
antiseptischer Tiefenwirkung den autolytischen Prozeß vielleicht noch 
weniger stört als letzteres. 


Sämtliche Versuche wurden, wie schon angedeutet, ander Leber, 
diesem klassischen Objekt für autolytische Untersuchungen, vor- 
genommen. Als Maßstab für die Wirkungsintensität des 
autolytischen Ferments diente die Zunahme des „nicht 
koagulablen Stickstoffs“, d. h. des Stickstoffs, der nicht 
koagulablen N-haltigen Substanzen nach Vollendung der 
Autolyse, gegenüber der Menge desselben im frischen 
Präparat. Es wurde also bei jedem einzelnen Falle in einer be- 
stimmten Lebermenge zuerst im frischen Zustande, vor der Auto- 
lyse, dann nach Vollendung derselben der Stickstoffgehalt des 
bei Eiweißkoagulation resultierenden Filtrats nach 
Kjeldahl ermittelt. Außerdem wurde in jedem Falle die Menge 
des Gesamtstickstoffs bestimmt, die sich allerdings durch die 
Autolyse nicht verändert, aber den einzig sicheren Maßstab ab- 
gibt für die Menge des dem autolytischen Ferment zur Bearbeitung 
verfügbaren Materials. Dies ist hier besonders wichtig, wo das 
Material nicht, wie bei den Tierexperimenten, unmittelbar nach 
dem Tode verarbeitet werden kann, wo vielmehr in der zwischen 
Tod und Autolyse verstreichenden Zwischenzeit die Autolyse in 
nicht kontrollierbarem Umfange vor sich geht. — Außerdem machte 
ich immer Stickstoffbestimmungen am 3. oder 4. Versuchstage, um 
ein Urteil über die Intensität der Wirkung des autolytischen 
Ferments zu gewinnen. 


Man kann zu den Versuchen den durch ein Koliertuch gepreßten 
Lebersaft oder feingewiegten, zerhackten und zerriebenen Leber- 
brei verwenden. Manche Autoren zerreiben die Leber mit Quarzsand, 
um die Zertrümmerung der Zellen zu verstärken und dadurch den Aus- 
tritt des Ferments zu erleichtern. Pfaundler*) sucht außerdem durch 
einen Zusatz von Pepsin das Freiwerden des (nicht diffusiblen) Ferments 
aus den Zellen zu begünstigen; letzteres war bei den vorliegenden Ver- 
suchen unstatthaft, 


Die Verarbeitung von Leberbrei gibt etwas größere Werte für 
die Menge des in Lösung gegangenen Eiweißes als die von Leber- 


*) Pfaundler, Über Stoffwechselstörungen bei magendarmkranken Säug- 
lingen. Jahrbuch für Kinderheilkunde, 1901, 54. 


96 Eugen Schlesinger, 


saft, namentlich in dem „frischen“ Präparat. Die Unterschiede 
gehen aus der Gegenüberstellung folgender Versuchsreihen an 
Kaninchenlebern hervor. Der Stickstofigehalt der nicht koagulablen 
Substanzen ist — hier wie in den anderen Tabellen — immer 
auf 1 Gramm Leberbrei bezw. Lebersaft umgerechnet. 


Brei Saft Brei Saft 
vor der Autolyse . . . 0,00483  0,00264 0,00264  0,00210 
nach 48stündiger Autolyse 0,00546  0,00420 0,00525  0,00410 

„06 i 0,00546  0,00433 | 000516  0,00449 


Ich benutzte zu den späteren Versuchen immer nur zerhackten 
und fein zerriebenen Leberbrei. 


Über die Dauer des autolytischen Prozesses, besonders bei 
dem antiseptischen Verfahren, bestehen widersprechende An- 
gaben. Magnus-Levy (l. ec.) gibt an, daß er nicht nur Wochen, 
sondern Monate lang fortdauere, im Gegensatz zu dem aseptischen 
Verfahren, das stets schon nach Tagen zum Abschluß komme. 
Sehr viel kommt es hierbei wohl auf die Einzelheiten der Ver- 
suchsanordnung an. Während die meisten Autoren große Substanz- 
mengen, 100, ja 500 Gramm, vermischt mit dem doppelten Volumen 
Wasser, in einer Portion, diese reichlich mit Toluol überschichtet, 
der Autolyse überließen, teilte ich das Material, zum Teil schon 
aus äußeren Gründen, in kleine Portionen von je 3 Gramm, 
bei den neugeborenen Kaninchen in noch kleinere und verteilte 
diese im 10fachen Volumen 1-proz. Toluolwassers. Bei dieser 
Versuchsanordnung läuft der Prozeß auch der anti- 
septischen Autolyse in etwa einer Woche oder noch 
früher ab. 


Nach 12 oder 24stündigem Stehen der beschickten Röhrchen 
im Brutschrank ist die Autolyse schon so weit vorgeschritten, daß 
die ursprünglich roten, festen Leberpartikelchen nur mehr blaß- 
rot oder ganz entfärbt, halbweich sind; ursprünglich am Boden 
liegend, schwimmen sie bereits in der jetzt dick getrübten Flüssig- 
keit, während das überschüssige Toluol einen dicken weißen oder 
grauen Überzug. bildet. Am 2. oder 3. Tage sieht man im mikro- 
skopischen Präparat nur mehr gelbe Klumpen von zerfallenen Leber- 
zellen, dazwischen spärliche Tyrosinbüschel. _Die Flüssigkeit 
färbt sich rötlich und setzt unter Klärung einen geringen Boden- 
satz ab. Die Reaktion wird ganz schwach sauer. Ausstriche auf 
Nährböden zur bakteriologischen Untersuchung bleiben steril. 


Die Kurve der Stickstoffmengen, welche den durch die Auto- 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 97 


lyse in Lösung gegangenen, nicht mehr durch Kochen nach Essig- 
säurezusatz koagulablen Substanzen entsprechen, kommt, nach 
unserer Versuchsanordnung, am 3. oder 4. Tage dem Scheitel meist 
schon recht nahe, und hat ihn am 5. oder 6. Tage immer oder 
doch fast ausnahmslos erreicht, um weiterhin sogar nicht selten 


wieder etwas abzusinken. 


Eine Erklärung für diese schließliche Stickstoffab- 
nahme, die größer ist, als daß sie innerhalb der Fehlergrenzen läge, 
und häufiger, als daß sie unerwähnt bleiben könnte, muß ich schuldig 
bleiben. Die Annahme, daß schließlich Tripelphosphat ausfällt, wodurch 
ein Stickstoffverlust in der Lösung zustande käme, kann nicht zutreffend 
sein, da um diese Zeit die Flüssigkeit stets sauer reagiert. 


Folgende Versuchsreihen an Kaninchen mögen als Paradigmen 
der verschiedenen Kurven dienen. In 1 cem Leber waren ent- 
halten: 


Ausgewachsene Kaninchen. Neugebor. 


Kaninchen 

Gesamt-N 0,01386 0,02373 0,01120 

ä jr der Autolyse . . . 0,00264 0,00210 0,00483 0,00672 
„3 | Nach 24stündiger Autolyse 0,00421 0,00462 
EEE | ., 3 0,00420 0,00546 0,00546 
Bez 2 2, n 0,00756 

41 Er, i 0,00433 0,00546 0,00546 0,01134 

E 190 N 2 0,00966 

Ben , ; 0,00449 


Geht man noch mehr auf Einzelheiten ein, so kann man die 
Bemerkung machen, daß dort, wo durch die Autolyse viel Eiweiß 
in Lösung geht, dies langsamer erfolgt als da, wo der Prozeß 
keine große Wirkung entfaltet, so daß also die Kurven der Autolyse 
immer einen ziemlich parallelen Verlauf nehmen, bald früher, 
bald später ihren Höhepunkt erreichend. Diese Wahrnehmung 
stützt sich namentlich auf zahlreiche Beobachtungen an mensch- 
lichem Leichenmaterial. 

Was die mit der Zeit eintretende starke Verlangsamung 
und das endliche Aufhören der Lösung von Eiweiß resp. stick- 
stoffhaltigen Substanzen bewirkt, ist nicht so ganz leicht zu sagen. 
Ein Aufbrauchen der verfügbaren Substanz durch das Ferment 
findet nur in den allerseltensten Fällen statt, z. B. bei dem neu- 
geborenen Kaninchen. Am nächsten liegt die Annahme einer Er- 
schöpfung des Ferments durch den autolytischen Prozeß selbst 


oder eine Hemmung seiner Wirksamkeit durch die gebildeten 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV, 7 


98 Eugen Schlesinger, 


Produkte. Die Schädigung durch das Antiseptikum dürfte nicht 
ausschlaggebend sein. Keinesfalls hemmt die bei der Autolyse 
auftretende schwache Säuerung der Flüssigkeit den Prozeß, wie 
dies z. B. bei der bakteriellen Säurebildung der Fall ist; denn gerade 
bei schwach sauerer Lösung entfaltet das autolytische Ferment 
seine stärkste Wirkung, während die Alkaleszenz einen proportional 
ihrer Stärke hemmenden Einfluß ausübt (Schwiening |. c.). 

Im folgenden sei, der Übersichtlichkeit halber, die ganze Versuchs- 
anordnung in ihren wesentlichen Punkten zusammengefaßt: 

Nach Herauspräparieren der großen Gefäße wurde die Leber resp. 
Stücke derselben, fein zerhackt, im Mörser zerrieben und in zahlreichen 
Portionen & 3 Gramm abgewogen. In 2 Portionen wurde die Gesamt- 
stickstoffmenge nach Kjeldahl bestimmt. Alle übrigen wurden in weite, 
sterile Reagensröhrchen gebracht, mit dem 10fachen Volumen destillierten 
Wassers und 0,3 ccm Toluol versetzt und gut verkorkt im Brutschrank 
bei ca. 35° C aufgestellt, wo sie täglich mehrmals gut durchgeschüttelt 
wurden. 2 Portionen wurden frisch verarbeitet. Sie wurden nach Zusatz 
von einigen Tropfen Essigsäure bis zur deutlich sauren Reaktion und 
von 1 ccm einer 2-proz. Kaliummonophosphatlösung zum Sieden erhitzt 
und auf etwa 20 ccm eingedampft, dann filtriert. Infolge des Zusatzes 
von KH,PO, erfolgt das Filtrieren, das ohne dieses bei den frischen 
Lösungen sehr lange Zeit in Anspruch nimmt, überaus rasch. Das 
Filtrat der frischen oder halb autolysierten Breiproben ist opaleszent bis 
trübe, gelbgrau, das der späteren Lösungen klar, gelblich. In diesen 
Lösungen wurde nun gleichfalls der Stickstoff nach Kjeldahl bestimmt, 
und zwar wurden verarbeitet außer den frischen Präparaten solche, die 
3, 5, 7 Tage, manchmal noch längere Zeit im Brutschrank gestanden 
waren. Bei allen Versuchen wurden ausnahmslos Kontrollbestimmungen 
ausgeführt, und in den meisten Fällen wurde die Sterilität der Präparate 
durch bakteriologische kulturelle Untersuchungen sichergestellt. 


Einfluß des Alters auf die autolytischen Vorgänge. 
I. Versuche an Kaninchen. 


An diesem Material mußte sich dieser Einfluß am leichtesten 
studieren lassen, besonders wenn man, um Rasseneigentümlich- 
keiten zu vermeiden, Tiere desselben Stammes, ja, wie in der 
folgenden Tabelle, desselben Wurfes benutzte. Von vornherein 
war anzunehmen, daß sich der Vorgang bei jugendlichen Tieren 
sehr viel lebhafter gestalten würde als bei alten. Sind doch die 
ersteren in so vielen anderen Umsetzungsprozessen, eben bezüglich 
ihrer ganzen Vitalität, den letzteren überlegen; und selbst den 
Verdauungsfermenten, die ja nur mit einiger Reserve mit diesen 
inneren Organfermenten verglichen werden dürfen, scheint nach 
den neueren Untersuchungen [M oro*)] schon bei ganz jungen 


*) Moro, Diastat. Enzym in den Stühlen von Säuglingen. Jahrbuch f. 
Kinderheilkunde. 1898. 47. 


Inn Me _ U m in m u u 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 99 


Säuglingen eine größere Wirksamkeit zuzukommen, als man bıs- 
her allgemein anzunehmen geneigt war. — Indes stellte sich bald 
heraus, daß zwischen großen, ausgewachsenen Kaninchen und 
jungen, aber doch schon einige oder auch nur einen Monat alten 
Tieren kein oder kaum ein ausgesprochener oder gar 
konstanter Unterschied nach der erwarteten Richtung hin 
bestand. Dieser trat vielmehr erst dann zutage, als ich auf ganz 
junge Individuen, auf neugeborene oder wenige Tage alte Tiere 
zurückgriff. 

Alter des Kaninchens: alt Muttertier 18 Tage 8 Tage 1 Tag 1 Tag 


d. übrigen 
Gewicht d. Leberingr: 120 150 5,6 g 6,0 ru 4,5 
2 Lebern 
zusammen. 
Gesamt-N 0,02373 0,01386 0,01701 0,01232 0,01120 
vor der Autolyse 83 0,00265 0,00483 0,00210 0,00819 0,00739 0,00672 
nach 2täg. Autolyse 3” 0,00420 0,00546 0,00546 0,00882 
9 A == 0,00433 0,00756 0,00546 0,00966 0,01247 0,01134 
EN „33 0,00449 0,00546 0,01266 0,01062 0,00966 
za,» 


Stickstoffmenge der in Lösung gegangenen Stoffe, ausgedrückt in 
Prozent vom Gesamtstickstoff 


vor der Autolyse 20,4 15,2 48,2 60,1 60,0 
nach 2täg. Autolyse 23,0 39,5 51,9 
IE, ER 31,9 39,5 56,8 100,0 100,0 
Er y 23,0 74,4 86,3 86,2 


Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, wurde bei den Lebern von 
eintägigen Tieren die ganze verfügbare Menge stickstoffhaltiger 
Substanzen, die ja allerdings in derselben Gewebsmenge nur halb 
so groß war wie bei alten Tieren, im Laufe von 4 Tagen in nicht 
mehr durch Hitze koagulable Stoffe umgewandelt und bei einem 
Stägigen Tiere wurden noch drei Viertel des Gesamteiweißes ge- 
löst. Das 18 Tage alte Kaninchen nähert sich mit der Lösung 
von zwei Fünfteln des Gesamteiweiß schon sehr dem ausge- 
wachsenen Muttertier, wo nur ein schwaches Viertel der verfüg- 
baren Eiweißmenge in Lösung ging, wie denn auch dieses Tier 
sich hinsichtlich anderer fermentativer Prozesse, z. B. bezüglich 
der Blutgerinnung, bereits ganz wie ein erwachsenes verhielt. 

Es ist also bei den neugeborenen Kaninchen die 
Autolyse so intensiv, als sie nur sein kann, maximal, 
und auch beim Stägigen noch sehr viel stärker als 
später, während weiterhin die Intensität sehr rasch 
abnimmt, so daß schon bei 1 oder 2monatlichen Tieren 
kein konstanter Unterschied mehr besteht gegenüber 
ausgewachsenen und alten Individuen. 

er 


100 Eugen Schlesinger, 


Auch schon in den frisch, das heißt vor der Einwirkung 
der postmortalen Autolyse, untersuchten Lebern ist bei dem 
Stägigen und ltägigen Kaninchen die Ziffer des gelösten Ei- 
weißes eine sehr hohe, 60 Proz. gegenüber 15—20 Proz. bei den 
alten Kaninchen, was wohl auf die Lebhaftigkeit des entsprechenden 
intravitalen Prozesses zurückgeführt werden darf. (Bei dieser Ge- 
legenheit sieht man auch deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur 
die Menge des in Lösung gegangenen Eiweißes vor und nach der 
Autolyse mit einander zu vergleichen, sondern die Zahlen auch 
in Beziehung zu setzen mit der Gesamteiweißmenge.) | 


Schließlich steigt die Kurve der autolytischen Wirkung beim 
jungen Tiere nicht nur höher, sondern auch im allgemeinen rascher 
an und nähert sich ihrem Gipfel früher als beim alten. All dies 
ist, wie gesagt, wohl auf die energischeren Umsetzungsprozesse 
im jugendlichen und besonders im neugeborenen Organismus 
zurückzuführen. Den Einwand, daß beim älteren Kaninchen 
eine stärkere Bildung von Bindegewebe, das an der Autolyse 
nicht in dem Maße beteiligt ist wie die Parenchynzellen, das 
Minus der in Lösung gehenden stickstoffhaltigen Substanzen be- 
dinge, kann ich auf Grund mikroskopischer Untersuchungen zurück- 
weisen. Die Unterschiede in dieser Richtung sind sehr unbe- 
deutend. 


Ich darf übrigens bei der Wiedergabe der Resultate dieser Unter- 
suchungsreihen nicht die Bemerkung unterlassen, daß die Ergebnisse 
aller dieser Untersuchungen keineswegs ganz mit einander überein- 
stimmen, daß. es vielmehr auch nicht an einzelnen Beobachtungen fehlt, 
die sich mit den oben angeführten nicht in Einklang bringen lassen. 
So erwies sich bei der Leber eines Stägigen Kauinchens die autolytische 
Wirkung fast gleich Null, trotz mehrfacher Nachuntersuchungen. Es 
fehlt somit auch hier nicht an individuellen Abweichungen, 
ebenso wenig wie in den anderen Gruppen meiner Untersuchungsreihen ; 
aber es handelt sich dabei eben doch nur um Ausnahmen. 


II. Untersuchungen an menschlichen Föten und Früh- 
geborenen‘). 


Von hohem Interesse ist in dieser Gruppe vor allem die 
Menge der gelösten stickstoffhaltigen Substanzen im „frischen“ 
Präparat, vor der experimentellen Autolyse, wofür folgende 
3 Fälle als Paradigmen dienen mögen: 


*) Dieselben wurden mir gütigst von Herrn Professor Fehling, Direktor 
der Universitätsfrauenklinik, überlassen, wofür ich ihm auch an dieser Stelle 
meinen herzlichsten Dank aussprechen möchte. 


BE De ir 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 101 


Totgeboren Totgeboren Lebendgeboren 
im 4. Monat. im 6. Monat. im 6. Monat. 
Tod einige Zeit vor Lebte noch 6 Stunden Lebte 6 Stunden lang 
der Geburt, vor der Geburt. nach der Geburt. 
Leber 10 g schwer. Leber 56 g schwer. Leber 54 g schwer. 
Periarteriitis, auf Häufchen intra- Normaler Befund. 
Lues verdächtig. vaskulärer kern- 
Reichlich kern- haltiger Blut- 
haltige Blutkörper- körperchen. 


chen in den Capil- 
laren (Blutbildung). 


Gesamt-N | 0,02716 0,02870 0,02436 
= 

vor der Autolyse Er 0,00798 0,00420 0,00252 

285 o© 

nch„ „ #590 0,0172 0,00644 0,00902 

4 
Stickstoffmenge der in Lösung gegangenen Stoffe, ausgedrückt in Proz. 

vom Gesamtstickstoff 

vor der Autolyse | 29,3 14,6 10,3 

nach „ . 63,3 22,4 36,9 

Ende d. Autolyse in Stunden 72 96 144 


In dem ersten Falle, einem Fötus, der augenscheinlich schon 
einige Zeit vor der Geburt abgestorben war (bei dem Eintritt der 
Mutter in die Klinik waren die kindlichen Herztöne nicht mehr 
zu hören, die Geburt des frisch aussehenden Kindes erfolgte 
8 Stunden später, und unmittelbar darauf wurde die Leber ver- 
arbeitet,) war die Menge der in Lösung gegangenen stickstoff- 
haltigen Substanzen im „frischen“ Präparat eine außerordentlich 
hohe, höher als je sonst bei einer menschlichen Leiche. — Das 
2. totgeborene Kind war etwa 6 Stunden vor der Geburt gestorben. 
Seine Leber wies mittlere bis kleine Werte nicht koagulablen 
Eiweißes auf. Das 3. Kind, wie das 2. eine Frühgeburt im 6. Monat, 
lebte etwa 6 Stunden lang; hier war die entsprechende Eiweiß- 
menge außerordentlich gering, fast die geringste je beobachtete. 

Diese Verschiedenheiten erklären sich leicht aus folgender 
Erwägung: Im ersten Falle war die Autolyse bereits in utero 
in beträchtlichem Maße vor sich gegangen, daher die großen 
Werte im „frischen“, faktisch gar nicht mehr frischen Präparat. 
Um Fäulnis handelte es sich hier nicht; das Organ machte einen 
durchaus frischen Eindruck und wurde auch unmittelbar nach der 
Geburt verarbeitet. — Bei dem zweiten Falle konnte begreiflicher- 
weise in den wenigen Stunden vor der Geburt die Autolyse nicht 
‚diesen Effekt erzielen. — Bei der dritten Beobachtung handelte 
es sich um einen wirklich frischen Fall und überdies, wie bei den 
anderen, um eine unentwickelte Frucht; darum sind hier die Werte 
der bei der intravitalen Autolyse gelösten N-haltigen Substanzen 
besonders niedrig ausgefallen. 


102 | Eugen Schlesinger, 


Aus dem Vergleich dieser 3 Fälle untereinander gewinnen wir 
ein gutes Bild von dem intravital im Mutterleib an den 
‚abgestorbenen Föten sich abspielenden autolytischen 
Vorgängen, und indem man von der Leber auf die anderen Or- 
gane und die ganze Frucht Schlüsse ziehen darf, erhalten wir hier 
eine exakte Vorstellung von den Umwandlungsprozessen und 
natürlichen Abbauvorgängen in diesen toten Föten. 

Mit der obigen Erwägung steht auch in sehr gutem Einklang 
das Resultat der Dauer der experimentellen Autolyse in dem 
einzelnen Falle. Das Ende des autolytischen Prozesses, nach dem 
kein Eiweiß mehr ın Lösung ging, war im ersten Falle schon nach 
72 Stunden, im zweiten nach 96 Stunden, im dritten erst nach 144 
Stunden erreicht. Je kürzere Zeit also der autolytische 
Prozeß in vitro anhielt, um so länger hatte er vorher 
schon in utero bestanden, und die Verkürzung in der zeitlich 
zweiten Phase ist auf Kosten der vorangehenden zu setzen. Es 
dürfte sich verlohnen, all diese Befunde an einer größeren Ver- 
suchsreihe sicherzustellen. Vielleicht gibt uns das Studium der 
Autolyse bei totgeborenen Früchten Anhaltspunkte für die ge- 
nauere Beurteilung der Zeit des Absterbens vor der Geburt. 

Betrachten wir schließlich die absolute Menge der durch 
die Autolyse gelösten N-haltigen Stoffe selbst, so finden 
wir bei dem zweiten und dritten Falle sehr geringe Werte, die 
ganz erheblich sowohl unter dem Mittel der Lebern junger 
Kaninchen als auch unter dem der Lebern menschlicher Säug- 
linge liegen. Man könnte annehmen, daß bei diesen nicht aus- 
getragenen, nicht voll entwickelten Früchten das proteolytische 
Ferment der Autolyse nur in geringer Menge vorhanden ist oder 
weniger stark wirkt, eine Annahme, die manches für sich hat. 
Doch bei dem ersten Falle, gerade dem am wenigsten entwickelten 
Fötus, liegen die Verhältnisse ganz anders; hier ist die Menge 
des bei der Autolyse gelösten Eiweißes eine beträchtliche. Diese 
Verhältnisse bedürfen der Nachprüfung. Erinnert man sich der, 
schon makroskopisch leicht anzustellenden Beobachtung und all- 
bekannten Erfahrung betreffs der so rasch und leicht erfolgenden Er- 
weichung und Verflüssigung embryonaler Organe, so ist man ver- 
sucht, gerade den letzten Befund für normal und typisch zu halten. 

III. Untersuchungen an Kindern. 

Diese Untersuchungen sind, im Gegensatz zu der vorigen 
Gruppe, zahlreich genug angestellt, — systematisch an 14 Kindern 
(siehe die Krankengeschichten, Sektionsbefunde und Versuchs- 
protokolle am Schluß der Arbeit), dazu kommt noch eine größere 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u.s. w. 103 


Zahl Einzelbeobachtungen, — um nach verschiedenen Richtungen 
hin zu bestimmten Schlußfolgerungen zu gelangen. Doch fehlte es 
mir leider gerade an ausgetragenen Säuglingen des 1. Lebens- 
monats, an denen die bei den Kaninchen gefundene Beobachtung, 
die bedeutende Steigerung der Intensität des autolytischen Pro- 
zesses in der ersten Lebenswoche gegenüber dem späteren Alter 
hätte untersucht werden können. — Allerdings konnte man daran 
denken, daß bei dem sich in jeder Beziehung langsamer ent- 
wickelnden menschlichen Individuum diese Differenz auf einen 
längeren Zeitraum, auf Monate, ausgedehnt ist. 

Die 14 Kinder standen im Alter von 2 bis 28 Monaten, drei 
Fünftel von ihnen waren Säuglinge unter einem Jahr. Indes 
ein auch nur einigermaßen konstanter oder gesetzmäßiger 
Unterschied der einzelnen Fälle, diesenach dem Alter mit- 
einander verglichen, ließ sich in keiner Weise feststellen: 
Regellos begegnet man in den aufeinander folgenden Lebensmonaten 
den verschiedensten, die Intensität der Autolyse zum Ausdruck 
bringenden Zahlen, und man kommt sofort zur Überzeugung, daß 
entweder schon im frühesten Kindesalter, um nicht zu sagen im 
allerfrühesten, ein Unterschied nach dieser Richtung hin nicht mehr 
besteht, oder daß die Differenzen in dieser Hinsicht durch andere 
Einflüsse vollkommen verwischt werden. 


Diese Beobachtungen zeigen keine Analogie mit den Befunden 
Pfaundlers (l.c.) bezüglich des oxydativen Ferments der Leber. Sein 
Material umfaßte vorwiegend Säuglinge des ersten Halbjahres. 7 von 
den 45 Kindern waren aber über 6 Monate alt. Die Lebern der letzteren 
waren, soweit keine pathologischen Veränderungen vorlagen, durch eine 
beträchtlich höhere oxydative Energie ausgezeichnet, und Pfaundler 
schließt daraus, daß die oxydative Energie der Organe mit zunehmendem 
Alter steil ansteige. Eine ähnliche Beziehung konnte ich nach dem 
Gesagten bezüglich des proteolytischen Ferments der Autolyse nicht 
finden; eine solche würde auch mit meinen Befunden an Kaninchen in 
direktem Widerspruch gestanden haben. 


Einfluß pathologischer Zustände auf die Autolyse. 

Den größten Einfluß auf die Intensität des autolytischen Pro- 
zesses übt, nach dem fast ausnahmslosen Zutreffen dieses Moments 
zu schließen, das Verhalten des Körpergewichts des Individuums 
aus, und zwar dieses in Relation zu dem Alter des Individuums 
oder, bestimmter ausgedrückt, die Körpergewichtsabnahme 
kürzere oder längere Zeit vor dem Tode. Je stärker die 
Körpergewichtsabnahme war, um so geringer fiel die 
Wirkung des autolytischen Ferments aus. Dies illustriert 
die folgende Tabelle, in der die Fälle, nach dem Verhältnis ihres 
Körpergewichts zu dem für das betreffende Alter normalen Durch- 


104 Eugen Schlesinger, 


schnittsgewicht geordnet, in 4 Gruppen untergebracht sind. Da fast 
alle Kinder bis kurz vor ihrem Lebensende gewogen worden waren, 
ließ sich sowohl der Grad wie auch die Schnelligkeit der Körper- 
gewichtsabnahme, beziehungsweise das Ausbleiben der Zunahme, 
immer gut feststellen. 


Durchschnittsergebnis der Autolyse, 
in Proz. desN der durch die Autolyse 
in Lösung gegangenen Stoffe vom 


Körpergewicht in Proz. des für das 
betr. Alter normalen Durchschnitts- 


gewichts. Gesamt-N ausgedrückt. 
1. 71-00 93 
I. 61-70 48 
IT. 51-60 40 
IV. 31-40 27 


Der Unterschied ist ein ebenso deutlicher wie regelmäßiger. 
Da es sich gerade bei den hochgradig und zum Skelett abgemagerten 
Kindern der III. und IV. Gruppe vorzüglich um atrophische, athrep- 
tische Säuglinge handelte, so kann man auch ohne weiteres den 
Satz aufstellen: Je hochgradiger die Atrophie, um So ge- 
ringer der Effekt der Autolyse. Dabei handelt es sich an- 
scheinend vor allem um einen Mangel an autolytischem Ferment; 
denn der andere hier in Betracht kommende Faktor, das dem 
Ferment zur Verfügung stehende Gesamteiweiß, weist gerade bei 
den höchsten Graden von Pädatrophie mit den geringsten Werten 
der Autolyse infolge Wasserverarmung der Gewebe die höchsten 
Zahlen auf. Aus letzterem Grunde werden die prozentualen 
Zahlen, die den Stickstoff der in Lösung gegangenen Stoffe in 
Beziehung zum Gesamtstickstoff bringen, noch eklatanter, als es 
schon die absoluten Werte sind. 

Nächst den Fällen von chronischer Pädatrophie mit monate- 
langem, beträchtlichem Körpergewichtsdefizit weisen mehr oder 
weniger weit unter dem Durchschnitt liegende Werte der Autolyse 
jene Fälle auf, bei denen erst kurze Zeit vor dem Tode, während 
einer akuten Krankheit eine beträchtliche Gewichtsabnahme statt- 
gefunden hatte. Dies gibt die Veranlassung zu einer Ordnung 
der Fälle nach der klinischen Diagnose, und da ergibt sich 
ohne weiteres, daß die Lebern bei akuter und chronischer Gastro- 
enteritis, bei Verdauungsstörungen, erheblich niedrigere 
Werte der Autolyse aufweisen, als bei Pneumönieen und 
anderen Respirationskrankheiten. 


Immerhin ist die Scheidung keine so scharfe, wie dies oben be- 
züglich der Körpergewichtsabnahme der Fall war. Es macht sich 


u ir > u. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 105 


vor allem der Einfluß des letzteren Moments in ausschlaggebender 
Weise geltend. Bei einigen Fällen stand die Pneumonie im Vordergrund 
des klinischen Krankheitsbildes, während sie bezüglich der Werte der 
Autolyse mehr den Verdauungskrankheiten entsprachen. Da war nun 
entweder die Bronchitis mit Enteritis kompliziert, oder neben der 
Pneumonie bestand eine schwere Atrophie oder eine solche hatte bis 
vor kurzem bestanden. Auch dieser letzte Umstand darf mit zur 
Erklärung für das Verhalten der Autolyse herangezogen werden; denn 
in Analogie mit anderen Vorgängen ist es nicht ohne weiteres von 
der Hand zu weisen, daß eine während vieler Monate bestehende 
schwere Atrophie auch noch über die Dauer der eigentlichen Krankheit 
hinaus einen hemmenden Einfluß auf die Bildung des autolytischen 
Ferments ausübt, wie es auch genug Fälle von Pädatrophie gibt, die 
ohne noch fortbestehende Infektion und Intoxikation, trotz einer wenigstens 
scheinbar, auf Grund der Fäcesuntersuchungen, bekömmlichen und aus- 
reichenden Nahrung zum tödlichen Ausgang kommen. Doch ist nicht 
anzunehmen, daß diese Erklärung für alle Fälle zutrifft. Dies zeigt die 
Beobachtung 1 (hohe Werte der Autolyse bei akuter Pneumonie und 
chronischer Atrophie). 


Es ist eine lange bekannte Tatsache, daß die Verdauungs- 
fermente bei Erkrankungszuständen des Verdauungsapparates erheb- 
lich an Leistungsfähigkeit einbüßen. Hier ist der Nachweis erbracht, 
daß auch ein mit der Verdauung nicht in Beziehung 
stehendes inneres ÖOrganferment bei Erkrankung des 
Gastrointestinaltraktus bedeutend an Wirksamkeit ver- 
liert. Möglicherweise wird letzteres dabei sogar noch mehr ge- 
schädigt als die Verdauungsfermente, die durch ihre Anpassungs- 
fähigkeit wieder leichter zu vollerer Leistungsfähigkeit angeregt 
werden können. Hierin, in dem trägeren, unvollkommeneren, ja 
vielleicht unmöglichen Ersatz der inneren Organfermente, wenn 
sie erst einmal zum großen Teil verloren gegangen sind, liegt ein 
bedeutsamer und für die Prognose des Falles schwer wiegender 
Unterschied, gegenüber dem Schwund der leichter und selbst auf 
künstlichem Wege ersetzbaren Verdauungsfermente. 

Ist diese Herabsetzung der Wirksamkeit des autolytischen 
Ferments eine primäre oder sekundäre Erscheinung? Bei dem 
gegenwärtigen Stand der Fermentlehre, wo die Fermente, die 
sekretorischen wie die intrazellularen, allenthalben in den Vorder- 
grund treten, wird man geneigt sein, eine primäre Beeinträchti- 
gung der Fermentwirkung anzunehmen, ganz besonders bei der 
Pädatrophie, die sich immer mehr als eine funktionelle Erkrankung 
herausstellt. 

Die höchsten Werte der Autolyse zeigten, von dem ange- 
führten Fall 1 abgesehen, ein Fall von tuberkulöser Meningitis 
und ein solcher von kongenitalem Herzfehler, also Krankheiten, 
bei denen der hemmende Einfluß auf die Fermentbildung und 


106 Eugen Schlesinger, 


Fermentwirkung wohl nur ein geringer war. — Ich schließe 
diese Betrachtung mit einer Zusammenstellung der Fälle nach der 
klinischen Diagnose, an der das eben Gesagte gut illustriert wird: 


N der durch die Autolyse gelösten 


Klinische Diagnose. Stoffe, in Proz. vom Gesamt-N. 


l. Meningitis. Vitium cordis . . 66. 60. 
II. Pneumonie, zum Teil bei Per- 
TUSEIB HR PER EEE 8, 18. 57.50. 43. 41. 
III. Pneumonie kombiniert mit 
Enteritis oder Atrophie. . . 33. 32. 23: 
IV. Reine Verdauungskrankheiten 39..33.-27. IN 


Gegenüber dem Einfluß der Körpergewichtsabnahme: auf die 
Intensität des autolytischen Prozesses treten die übrigen Momente 
in den Hintergrund. Wenn z. B. die Brustkinder fast durchweg 
(Ausnahme Fall 5) in dieser Beziehung viel höhere Werte auf- 
weisen als die Flaschenkinder, 66, 60, 57 Proz. gegenüber 
39 bis 19 Proz. (Ausnahme Fall 5 mit 50 Proz.), so ist dies sicher 
vielmehr mit dem besseren Ernährungszustand der ersten Kategorie 
in Zusammenhang zu bringen als etwa mit der Annahme einer 
Übertragung dieses Ferments zusammen mit anderen Fermenten 
durch die Muttermilch auf den Säugling. 

Es lag des weiteren der Gedanke nahe, die anatomisch- 
pathologischen Veränderungen in der Leber, wie sie die 
makroskopische und mehr noch die mikroskopische*) Untersuchung 
der Organe ergab, in Beziehung und Vergleich zu bringen mit 
der Intensität des autolytischen Prozesses. Da zeigte sich nun 
die bemerkenswerte Tatsache, daß in den meisten Fällen trotz — 
oder man möchte fast sagen, gerade bei ganz hochgradiger Fettleber 
die Intensität des autolytischen Ferments eine recht beträchtliche 
war, so bei starker Fettinfiltration 66, 57 Proz., bei mäßigen 
parenchymatösen Veränderungen 33 Proz. gelösten N vom Gesamt-N. 
Nur einmal (Fall 14) ging eine starke Fettinfiltration mit geringen 
Werten des autolytischen Prozesses einher. Von einem Paral- 
lelismus der morphologischen Veränderungen und der 
chemisch-biologischen Verhältnisse kann keine Rede 
sein. — Daß diese Verhältnisse nicht mit einander Hand in Hand 
gehen, dafür wurden übrigens schon von anderer Seite Hinweise 
erbracht. So wurde oben schon angeführt (Kraus 1.c.), daß die 


*) Von allen Lebern wurden Stückchen zur mikroskopischen Unter- 
suchung in Formol fixiert, in Alkohol gehärtet oder direkt in Alkohol gelegt, 
in Celloidin eingebettet und die Schnitte mit Alaun-Hämatoxylin gefärbt. 


Adi:uf 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s.w. 107 


fettige Degeneration der Organe nichts zu tun hat mit der Bildung 
von Fett im chemischen Sinne. Auch Münzer*), Weintraud*) u.a. 
konnten bei Parenchymerkrankungen der Leber (von Erwachsenen) 
in der Regel keinen, wenigstens keinen durch Stoffwechselunter- 
suchungen erkennbaren erheblichen Funktionsausfall konstatieren. 
Nur Pfaundler (l. c.) fand, um diesen Gegensatz auch hier zu be- 
tonen, eine beträchtliche Herabsetzung des Gehalts an seinem 
oxydativen Leberferment bei morphologischen Erkrankungen des 
Parenchyms. Zur Erklärung des Mißverhältnisses zwischen starken 
anatomischen, parenchymatösen Veränderungen und reichlichem Ge- 
halt an autolytischem Ferment kannvielleicht der Umstand mit heran- 
gezogen werden, daß es sich bei meinen Fettlebern in nur ganz 
unbedeutendem Maße um eigentliche fettige Degeneration handelte, 
vielmehr, auch bei atrophischen Säuglingen, fast ausschließlich um 
Fettinfiltration, mit großtropfigem Fett, wobei ja, nach der neueren 
Auffassung, das restierende Zellparenchym intakt ist. 

Zum Schluß noch eine Bemerkung bezüglich der im frischen 
Präparate, vor der experimentellen Autolyse, gefundenen Werte für 
die in Lösung gegangenen stickstoffhaltigen Stoffe. Sie entsprechen, 
mit3 Ausnahmen, der Dauer des zwischen Tod und Sektion 
verlaufenen zeitlichen Intervalls, wie aus folgender Tabelle 
hervorgeht: 

Anzahl der zwischen Tod und Nder vor der Autolyse in Lösung 
Sektion verstrichenen Stunden gegangenen Stoffe in Proz. zum 


Gesamt-N. 
9—6 6—10 
c—12 11-19 
19—27 13—21 
30 24 
Ausnahmen 
2.6.6. 18.16.22. 


Diese Beobachtung steht in gutem Einklang mit den ent- 
sprechenden Befunden an den intrauterin abgestorbenen Föten. 
Es läßt sich aus den Zahlen die Bestätigung der schon oben ge- 
äußerten Annahme ersehen, daß der Vorgang der Autolyse durch 
den Tod des Individuums keine Unterbrechung erleidet, vielmehr, 
wenn auch verlangsamt und abgeschwächt, weiter dauert, bis 
dann die durch die Versuchsanordnung bewirkten günstigen Be- 


*) Münzer, Die harnstoffbildende Funktion der Leber. Archiv f. 
experiment. Pathologie u. Pharmakologie. 1894. 33. 

**) Weintraud, Untersuchungen über den Stickstoffumsatz bei 
Lebercirrhose. Ibidem. 1892. 31. 


108 Eugen Schlesinger, 


dingungen (Erwärmung auf Körpertemperatur u. a.) den Prozeß 
neuerdings wieder in Gang bringen. Ein Parallelismus zwischen 
der Menge der gelösten stickstoffhaltigen Stoffe vor und nach der 
experimentellen Autolyse war übrigens nicht erkennbar. 


In dem autolytischen Leberferment haben wir ein Beispiel 
aus einer sicherlich großen Reihe verschiedenartiger, teils in den 
(sewebssäften, teils in den Zellen lokalisierter fermentativer 
Agenzien. Auf diese Organfermente, als deren weitere Repräsen- 
tanten in der Leber nur Schmiedebergs Histozym oder die 
verschiedenen Oxydasen genannt seien, legt die Physiologie neuer- 
dings besonderes Gewicht. Die Vorstellung, daß sie mit ihrem 
synthetisch und analytisch wirkenden Wechselspiel, durch Auf- 
und Abbau der Molekularkomplexe, durch Bereitung einer adä- 
quaten Zellnahrung einerseits, Überführung der Stoffwechselprodukte 
in ausscheidbare Formen andererseits, die Funktionen des Stoff- 
wechsels beherrschen, gewinnt zusehends an Boden. 

Aber auch die Pathologie greift bereits auf die Wirkung 
dieser fermentativen Prozesse zur Erklärung gewisser Krankheits- 
zustände zurück. Es leuchtet ein, daß Störungen im harmonischen 
Zusammenwirken dieser Fermente zu pathologischen Veränderungen 
im Organismus führen müssen, daß eine Abnahme ihrer Leistung 
unter Umständen verhängnisvoll werden kann, und daß auch der 
Bestand an den Trägern der intrazellulären fermentativen Prozesse 
für die pathologischen, wie für die physiologischen Zustände von 
grundlegender Bedeutung ist. 

In der vorliegenden Arbeit glaube ich einen Beitrag nach 
dieser Richtung hin gegeben zu haben, in dem Studium der Be- 
ziehungen eines dieser Fermente, des proteolytischen Enzyms der 
Leber, zu Ernährungsstörungen. Die Bedeutung der Abnahme 
des autolytischen Ferments resp. seiner Intensität bei der Päd- 
atrophie liegt nicht nur in dem momentanen Fehlen dieses Faktors 
im Stoffwechsel, sondern auch, und zwar vor allem, in der in manchen 
Fällen dauernden Unmöglichkeit, einen Ersatz für denselben zu 
schaffen. Sehen wir doch zuweilen diese fortgeschrittenen Fälle 
von Atrophie auch nach Überwindung der eigentlichen Intoxika- 
tion, auch bei ausreichender und zweckmäßiger Nahrung, schließ- 
lich trotz allem noch zum tödlichen Ausgang kommen. Dabei 
können die Zellen anatomisch normal befunden werden. Es ist, 
um ein Bild zu gebrauchen, die Werkstätte vorhanden; auch an 
Material fehlt es nicht; aber den Zellen sind die Werkzeuge zur 
Verarbeitung des Materials verloren gegangen. So wird der 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 109 


unabänderliche Verlauf, der unaufhaltsame Tod mancher Fälle von 
Atrophie verständlich. 

Da es zur Zeit nicht möglich ist, die Bedeutung des proteo- 
lytischen Fermentes der Leber für den Lebensprozeß in vollem 
Umfang zu beurteilen, so möchte ich das Hauptgewicht meiner 
Befunde vor allem darauf legen, daß uns jenes Verhalten einen 
Rückschluß auf jenes anderer, vielleicht lebenswichtiger Fermente 
ermöglicht. In diesem Sinne möge die vorliegende Arbeit als ein 
erster praktischer Versuch angesehen werden, die pathologischen 
Veränderungen des Fermentbestandes zur Aufklärung von 
Krankheitsprozessen heranzuziehen. 


Zusammenstellung der Resultate. 

1. Bei neugeborenen Kaninchen ist die Intensität der Autolyse, 
gemessen an der Zunahme der nicht koagulablen, stickstoffhaltigen 
Stoffe, maximal, und auch beim achttägigen Tiere ist sienoch erheblich 
größer als später, während sie weiterhin sehr rasch abnimmt, so daß 
schon bei ein- oder zweimonatlichen Tieren kein konstanter Unter- 
schied mehr gegenüber ausgewachsenen und alten Individuen besteht. 

2. Ebenso wenig besteht ein Unterschied zwischen Säuglingen 
vom zweiten Monate ab und älteren Kindern, oder es wird dieser 
Unterschied durch andere Einflüsse vollkommen verwischt. 

3. Am auffallendsten ist der Zusammenhang der Intensität der 
Autolyse mit dem Verhalten des Körpergewichts. Jehochgradiger 
die Atrophie, um so geringer die Wirkung der Autolyse. 

4. Die niedrigsten Werte der Autolyse finden sich bei Ver- 
dauungsstörungen; dann kommen — in aufsteigender Linie — die 
durch Gastroenteritis komplizierten Krankheiten; höhere Zahlen 
finden sich bei Respirationskrapkheiten, die höchsten bei Fällen 
wie Herzfehler, Gehirnhautentzündung. | 

5. Ein Parallelismus zwischen Intensität der Autolyse und 
morphologischen Veränderungen in der Leber, Fettinfiltration, läßt 
sich nicht feststellen. 

6. Bei intrauterin abgestorbenen menschlichen Früchten gibt 
die Menge der bereits vor der experimentellen Autolyse in Lösung 
gegangenen stickstoffhaltigen Stoffe ein gutes Bild der sich intra- 
uterin abspielenden autolytischen Vorgänge. 

7. Ebenso entspricht auch — ein Zeichen für die Fortdauer 
des autolytischen Vorganges über den Tod des Individuums 
hinaus — die Dauer des nach Stunden zählenden Intervalls 
zwischen Tod und Sektion des Kindes im allgemeinen der Menge 
der bereits vor der experimentellen Autolyse in Lösung gegangenen 
stickstoffhaltigen Substanzen. 


110 Eugen Schlesinger, 


Zusammenstellung der klinischen Beobachtungen, der Sektions- 
befunde und der Versuchsprotokolle bei den Säuglingen und 
älteren Kindern. 


NB. Die Ziffern in der ersten Rubrik der Versuchsergebnisse be- 
deuten stets die Menge des Gesamtstickstoffs, in den nächsten die Menge 
des Stickstoffs der nicht koagulablen Substanzen vor, bezw. nach der 
Autolyse, immer berechnet auf 1 g Leberbrei. 


Die Ordnung der Fälle ist nach der Intensität des autolytischen 
Prozesses vorgenommen. 


Fall 1. H., Lucie. 23 Monate alt. 1 Monat Brustnahrung. 
Körpergewicht im 3. Monat 3900 


oa. „4650 
„ 20. 5 
„23. , „ 7550 — 68 Proz. des normalen. 
Klin. Diagnose: Atrophie (oft Enteritis). — Pneumonia migrans 


(mit stets hohem Fieber). 
Tod am 12. Tage. 

Sektion, 20 Stunden post mortem: Ausgedehnte Hepatisation beider 
Lungen. Milztumor. Myodegeneratio cordis. 

Leber, mikroskopisch: Fettinfiltration bis zur Centralvene. 


Gesamt-N — 0,02254 

vor der Autolyse — 0,00476 — 21,1 Proz. vom Gesamt-N 

nach Alig.. . = 001302 = 578... % £ 
Be SABINE 


” ” ” 
Fall 2. B., Elise. 9 Monate alt. Brustkind. 


Körpergewicht: 6150 g, 1 Monat vor dem Tode 
„ » . u... 60, Proz As 


5600 „ !/, 
normalen. 
Klin. Diagnose: Meningitis tuberculosa, manifest 10 Tage vor 


dem Tode. 


Sektion, 6 Stunden post mortem: Meningitis tuberc., Miliartuber- 
kulose der Lungen, Bronchialdrüsen, Mesenterialdrüsen, Leber, 
Milz. 

Leber: Spärl. Miliartuberkel, Fettleber (hochgradige Fettinfiltration, 


geringe eigentliche fettige Degeneration; nur mehr spärliche 
Partieen normal). 


Gesamt-N —= 0,02142 

vorder Autolyse — 0,00462 — 21,6 Proz. vom Gesamt-N 

nach 3täg. „, == 0100ER n „ 
TE te u, — 0,01L42B>=B67,, =, ” 3 


Fall 5. K., Fritz. 3 Monate alt. Brustkind. 


Körpergewicht: Zunahme von 2850 g bis 3300 g in 2 Monaten, 
dann Stillstand bis zum Tode — 58 Proz. des normalen. 
Klin. Diagnose: Angeborener Herzfehler mit hochgradiger Cyanose. 

Stauungskatarrhe, namentlich des Darms. 
Sektion, 6 Stunden nach dem Tode: Transposition der Gefäße. 
Myodegeneratio cordis. Hypostatische Pneumonie. 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s. w. 111 


Leber: starke Stauung. Hochgradig ikterisch. 


Gesamt-N — 0,0217 

vorder Autolyse — 0,0014 —- 6,4 Proz. vom Gesamt-N 

Buch Alae. „ : — 0,0068 = 313. „ 2 2 
Ben. ea ea he r 


Fall 4. W., Georg. 4 Monate alt, Illegitim. Brust- u. Beinahrung. 


Körpergewicht: 3500 g — 64 Proz. des normalen. 

Klin. Diagnose: Chronische diffuse Bronchitis; akute Broncho- 
pneumonie. Milztumor. Decubitus. 

Sektion, 24 Stunden post mortem: Miliartuberkulose fast aller 
Organe. Käsige und Bronchopneumonie. 

Leber: Miliartuberkel. Starke Fettinfiltration. Leukocytose. 


Gesamt-N — 0,02632 

vor der Autolyse. — 0,00546 — 20,7 Proz. vom Gesamt-N 

nach 2täg. „ == 0,01260 — 47,9 „ > b 
Be 5 = 575 5, 0, R 


Fall 5. E., Margarete. 5 Monate alt. 2 Monate Brustnahrung. 


Körpergewicht: 4450 g — 65 Proz. des normalen. 

Klin. Diagnose: Pertussis in der 3. Woche. 2 Tage lang von 
dem Tode allgem. Konvulsionen. 

Sektion, 6 Stunden post mortem: axute Bronchopneumonie 
Emphysem. (Keine Gehirnsektion.) 

Leber: normal. 


Gesamt-N — 0,03080 

vorder Autolyse — 0,00490 — 15,9 Proz. vom Gesamt-N 

nach 3täg. „ — 0,01176 = 381 „ ', E 
we... - = 001686 — WA. „ = - 


Fall 6. D, Karoline. 23 Monate alt. 8 Monate Brustnahrung. 


Guter Ernährungszustand vor der Erkrankung, dann zieml. abge- 
magert — etwa 80 Proz. des normalen Körpergewichts. 

Klin. Diagnose: Croupöse Pneumonie. Tod nach 14 Tagen. 

Sektion, 25 Stunden post mortem: Hepatisation der ganzen linken 


Lunge und des rechten Unterlappens. 
Leber: normal, 


Gesamt-N — 0,02660 
vor der Autolyse — 0,00658 — 24,7 Proz. vom Gesamt-N 
nach 3täg. „ = 0,01078 — 405 „ = “ 
Bere — so, s 
Fall 7. B., Lucie. 23 Monate alt. Brustkind. 
Körpergewicht: 7550 im 14. Monat 
6980 „ 17. 
jetzt stark abgemagert: 65 Prozent des normalen 
Gewichts. 


Klin. Diagnose: Rachitis. Enteritis chron. Pertussis in d. 3, Woche. 
Diffuse Bronchitis. Seit 4 Tagen Bronchopneumonie mit sehr 
hohem Fieber. 

Sektion, 12Stunden post mortem: adhäsive und exsudative rechts- 
seitige Pleuritis und Pneumonie. 


112 


Eugen Schlesinger, 


Leber: hart und blutreich. Mikroskopisch sehr gut erhaltene 
Zellen, Leukocytose, 


Gesamt-N — 0,03108 
vor der Autolyse — 0,00392 — 12,6 Proz. vom Gesamt-N 
nach 3täg: „:.. = 001288 —=41,3:.4:5 H h 

N — 0,01134 — 36,4 2) » 2) 


Fall 8. F., Viktor. 2 Monate alt. Illegitim, Seit 14 Tagen künst- 


liche Ernährung. 

Körpergewicht: Nach Zunahme von 2360 g auf 3520, in 4 Tagen 
Abnahme auf 3000 = 81 Proz. des normalen Gewichts, 1 Tag 
vor dem Tode. 

Klin. Diagnose: Akute Gastroenteritis. (Pyocyaneus im Magen- 
saft). Tetanie. Tod nach 4 Tagen. 

Sektion, 9 Stunden post mortem. Hyperämie und follikuläre 
Schwellung, namentlich im Dickdarm. Starke Hyperämie des 
Mesenteriums. 

Leber: etwas ikterisch. Geringe interstitielle Kernvermehrung. 


Gesamt-N — 0,02968 
vor der Autolyse — 0,00336 — 11,3 Proz. vom Gesamt-N 
nach 3täg. Autolyse — 0,00966 = 32,5 „ 5 R 
De 5 = .(0,00896 = 30,2. 5, S “ 
ae 2 . — 0,01162 — 39,17 „ % a 
Fall 9. L., Hermine. 4 Monate alt, Seit 2 Monaten künstlich ge- 
nährt. | 
Körpergewicht: 3850 g 1 Woche vor dem Tode 
3700. 8 3. Tage ' 5 4.20. ==,!6b Proz. 068 
normalen, 


Klin. Diagnose: Rachitis gravis. Schwerer Pertussis in der 
5. Woche. Akute diffuse Bronchitis und Enteritis. Hohes Fieber 
und Konvulsionen in den letzten 3 Tagen. 

Sektion, 2 Stunden nach dem Tode: Totale Pneumonie beider 
Unterlappen. Anämie der übrigen Organe. (Keine Gehirnsektion.) 

Leber: etwas vergrößert. 


Gesamt-N = 0,0273 

vor der Autolyse — 0,0049 = 17,9 Proz. vom Gesamt-N 

nach 3täg. Autolyse = 0,0087 = 318 „ " = 
Wer a. — BIN BE “ E 


Fall 10. K., Emil. 5 Monate alt, illegitim. Flaschenkind. 


Körpergewicht: 3400 g im 2. Monat 


AU. 3 
ABU 
3500 „ „ 5 „ Kurz vordem Tode =55 Proz. 


des normalen. 

Klin. Diagnose: Pädatrophie (Temperaturen 33—34°), Absce- 
dierende Furunkel. Akute Gastroenteritis vor dem Tode. 
Sektion, 7 Stunden nach dem Tode: Myodegeneratio cordis, 

Schwellung der Peyerschen Placques und der Follikel im Darm. 
Leber: braune Atrophie mit Verschmälerung der Zellen, starke 
Leukocytose, 


Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Prozesse u. s.w. 113 


Gesamt-N — 0,02898 
vor der Autolyse — 0,00350 — 12,0 Proz. vom Gesamt-N 
nach Atäg. „ == 0,00390 = 13,4 , r = 

6 h) h) — 0,00952 -— 32,8 „ „ „ 


” 
Fall 11. L., Edmund. 18 Monate alt. Illegitim. Flaschenkind. 
Körpergewicht: 4000 g im 4. Monat 


58007: 5.30... 
6000 „ „ 16. '„. = 65 Proz @s normalen 
Gewichts. 
Klin. Diagnose: Rhachitis, Atrophie. Akute Bronchitis und Broncho- 
pneumonie. 
Sektion, 19 Stunden post mortem: Beiderseits ausgedehnte Pneu- 
monie. 
Leber: anämisch, im übrigen normal. 
Gesamt-N — 0,02940 
vor der Autolyse — 0,00406 — 13,8 Proz. vom Gesamt-N 
nach 4läg. „ == 0,0826 = 281 „ > 3 
ee 00U52 32,4, 2 = 


Fall 12, S., Marie. 7 Monate alt. Flaschenkind. 
Körpergewicht: 2750 g im I. Monat 
UN N. Be", 
2600 „ „ 4 „ , dann langsame Abnahme 


DB 200 re == 31: Proz. des normalen 
Gewichts. 
Klin. Diagnose: Pädatrophie (zu skelettartiger Abmagerung, nie 
Durchfälle). 


Sektion, 11 Stunden nach dem Tode: Kleine bronchopneumonische 
Herde. Hochgradige Atrophie aller Organe. 
Leber: Geringe Stauung, Zellen nicht atrophisch, 


Gesamt-N — 0,04536 
vor der Autolyse — 0,00504 — 11,1 Proz. vom Gesamt-N 
Mach St0e. „ - = 0,0910 "20,0 , R " 
2) 6 „ D) —/0,01232 = 27,1 2) 2) 2) 
I, 3 = 0148 = 337; e 5 


” 


Fall 15. E., Karoline. 20 Monate alt. ®/, Jahre Brustnabrung. 
Körpergewicht: 7000 g im 15. Monat 


ar We or 
A 

53005, ..20.: „.., 8: Tage vor dem Tode 
5600 8 im 20. ” ) 2 n „ ” „ 


50 Proz. des normalen. 
Klin. Diagnose: Atrophie, Rhachitis. Morbilli mit Pneumonie. 
Recidiv der Pneumonie 14 Tage vor dem Tode. | 
Sektion, 5 Stunden nach dem Tode: Ausgedehnte Pneumonie 


beiderseits. 
Leber: normal. 
Gesamt-N — 0,02856 
vor der Autolyse — 0,00280 — 9,7 Proz. vom Gesamt-N 
Bel Die... == 0,00553 = 19,3, 2 ” 
re 2 == 0,0058 == 233,0. „ " 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 8 


114 Eugen Schlesinger, Untersuchungen über die Abhängigkeit u. s. w. 


Fall 14. V., Emilie. 7 Monate alt. Flaschenkind, 
Körpergewicht: 4080 g im 2. Monat 
BOCO RE 775 
N 
2900.25, 5 38024 
2 1 en »  „ kurz vor dem Tode. 
Klin. Diagnose: Enteritis chronica, Hydrocephaloid. Konvulsionen 
u. Fieber in den letzten Tagen. 
Sektion, 6 Stunden nach dem Tode: frische bronchopneumonische 
Herde. Anämie der Organe. Darmschleimhaut sehr glatt. 
Leber: starke Fettinfiltration mit Stauung namentlich im Centrum 


der Acini. 
Gesamt-N — 0,02464 
vor der Autolyse — 0,00154 — 6,2 Proz. vom Gesamt-N 
näch 4täg. „ — 0,0029 — 119 „ n 
„ 7 „ „ === 0,00462 == 18,8 „ er) P) 


VIn. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen 
Organe”). 
Von Ivar Bang. 


(Aus dem physiol,-chemischen Laboratorium zu Lund, Schweden.) 


Erste Mitteilung. 


Als ich vor zwei Jahren in diesen Beiträgen eine vorläufige 
Mitteilung über das Nucleohiston veröffentlichte, geschah es in 
der Hoffnung, daß eine ausführliche Publikation nach kurzer Zeit 
folgen könnte. Zum Teil sind es äußere Gründe, die Schuld tragen 
an der eingetretenen Verzögerung, zum Teil aber war sie bedingt 
durch die Notwendigkeit, die Untersuchung weiter, als ursprünglich 
beabsichtigt, auszudehnen. 

So hat sich inbetreff der Nucleoproteide der Thymus eine ganze 
Reihe neuer Fragen ergeben. Weiter habe ich es für wünschens- 
wert erachtet, auch andere Iymphatische Organe in den Kreis der 
Untersuchungen einzubeziehen. 

Beinahe alle Arbeiten dieses Gebietes sind nämlich mit der 
Absicht unternommen, die Frage der Koagulation des Blutes auf- 
zuklären — ich verweise z. B. auf die Arbeiten von Lilienfeld 
und Huiskamp —, und die an der Thymus gewonnenen Resultate 
sind ohne weiteres oder doch ohne zureichende Begründung auf 
Lymphdrüsen und Leucocyten übertragen worden. 

Einer solchen Auffassung konnte ich mich nicht anschließen, 
und so blieb mir nichts übrig als auch diese Organe einer ein- 
gehenden Untersuchung zu unterziehen. 

Die vorliegende Arbeit zerfällt darnach in drei verschiedene 
Abschnitte, wovon der erste die Nucleoproteide der Thymus und 
deren nähere Spaltungsprodukte umfaßt, während der zweite und 


*) Eine unvollständige norwegische Publikation erschien in Archiv f. 
Mathematik og Naturvidenskab 1902. 


8* 


116 Ivar Bang, 


dritte sich auf die Nucleoproteide der Lymphdrüsen und Leuco- 
cyten nebst Knochenmark und Milz bezieht. 

Hieran soll sich als vierter Abschnitt eine chemische Unter- 
suchung der Rundzellen-Sarkome anschließen. 


Erster Abschnitt. 


Die Nucleoproteide der Thymus und deren Zusammensetzung. 


Bekanntlich haben die Untersuchungen von Huiskamp, 
Malengreau und mir erwiesen, daß Lilienfelds Nucleohiston 
kein einheitlicher Körper ist, sondern aus zwei verschiedenen Nucleo- 
proteiden besteht. Huiskamp bezeichnet das eine davon als das 
wahre Nucleohiston im Sirne Lilienfelds; das andere enthält 
ihm zufolge kein Histon, geht aber ın das nach Lilienfeld dar- 
gestellte Nucleohiston als Verunreinigung ein. Mit Huiskamp 
habe ich gefunden, daß das Nucleoproteid kein Histon enthält, 
dagegen habe ich für das Nucleohiston eine von Lilienfelds und 
Huiskamps Angaben abweichende Zusammensetzung gefunden. 
Nach Lilienfelds Schema besteht das Nucleohiston aus Histon 
und Leuconuclein, welches sich weiter in Eiweiß und Nucleinsäure 
zerlegen läßt. Die Existenz des Leuconucleins wurde von mir 
bestritten; diese Verbindung besteht meiner Meinung nach aus 
Nucleinsäure und Histon in salzartiger Bindung. Malengreau 
stimmt laut seiner letzten Arbeit in dieser Beziehung mit mir 
überein. Dagegen vertritt er betreffs des ersten Nucleoproteids 
eine andere Auffassung als Huiskamp und ich, indem er in 
diesem das eigentliche Nucleohiston gefunden zu haben meint. 

Nach Huiskamp enthält also die 'Thymus Nucleoproteid 
(frei von Histon) und Nucleohiston, nach Malengreau Nucleohiston 
und nucleinsaures Histon und nach meiner Ansicht Nucleoproteid 
und nucleinsaures Histon. 

Die von den verschiedenen Untersuchern dargestellten Sub- 
stanzen können nach dem Gesagten kaum identisch sein, jeden- 
falls nicht Malengreaus und Huiskamps Proteide. Dement- 
sprechend zeigen auch die betreffenden Elementaranalysen ganz 
erhebliche Differenzen. Huiskamps Nucleoproteide enthalten 
0,97 Proz. P und 3,7 Proz. P, während jene Malengreaus einen 
Phosphorgehalt von 0,5 Proz. und 4,5 Proz. aufweisen. 

Aus diesen Differenzen geht hervor, daß entweder die Thymus- 
drüse eine ganze Anzahl verschiedener Nuclein-Körper enthält, 
oder daß die Nucleoproteide bei den verschiedenen Darstellungs- 
verfahren wesentlich verändert werden, oder endlich daß man je 
nach der Darstellungsmethode mehr oder weniger reine bezw. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 117 


verunreinigte Körper erhält. — Nur durch die vergleichende 
Untersuchung der betreffenden Körper war hierüber zu einem be- 
gründeten Urteil zu gelangen. 

Eine solehe Untersuchung mußte sich beziehen: 1. auf das 
Nucleoproteid von Huiskamp und mır, sowie auf das Nucleo- 
histon (A-Nucleoalbumin) von Malengreau und 2. auf das Nucleo- 
histon von Huiskamp und das nucleinsaure Histon von mir und 
Malengreau (von M. auch B-Nucleoalbumin genannt). 


1. Untersuchung des Nucleoproteids. 


Nach Lilienfeld kann man durch Extraktion von Thymus 
mit 10-proz. Kochsalz-Lösung eine Flüssigkeit erhalten, aus der 
auf Zusatz von Wasser das wasserunlösliche Nucleoproteid aus- 
fällt. Bei Nachprüfung dieser Angabe Lilienfelds kam ich zu 
der Überzeugung, daß das Nucleoproteid ein Kunstprodukt ist und 
habe deswegen von dieser Methode Abstand genommen. 

Huiskamp stellte sein Nucleoproteid nach Ausfällung des 
Nucleohistons mit Chlorcaleium dar, indem er das Filtrat mit 
verdünnter Essigsäure fällte.e. Auch Malengreau ging von dem 
Wasserextrakte aus; er erhielt seine Nucleoproteide durch fraktio- 
nierte Fällung mit gesättigter Ammoniumsulfatlösung. 

Endlich habe ich mein Nucleoproteid in der Weise dargestellt, 
daß ich die Thymusdrüsen mit 0,9 Proz. Kochsalzlösung auszog 
und das Extrakt mit Essigsäure fällte. 

Den qualitativen Reaktionen nach konnte man a priori ver- 
muten, daß Huiskamps und mein Nueleoproteid jedenfalls ein- 
ander sehr nahe verwandt sind. Aber erst der Vergleich der 
elementaren Zusammensetzung konnte die Identitätsfrage ent- 
scheiden. 

Da ich früher keine Elementaranalyse von meinemNueleopro- 
teide ausgeführt habe, war dies meine nächste Aufgabe. 

Zur Darstellung der analysierten Präparate wurden ganz frische 
 Thymusdrüsen in der Fleischhackmaschine zerkleinert, mit 1!/,—2 1 
0,9-proz. Kochsalzlösung versetzt und damit 24-48 Stunden in der 
Kälte stehen gelassen. Wenn nötig, setzte ich einige Tropfen Chloro- 
form hinzu. 

Nach dieser Zeit hatte die Flüssigkeit ein milchähnliches Aussehen an- 
genommen, welchessich bei dem nachfolgenden Zentrifugieren und Filtrieren 
nicht änderte. Die Drüsenmasse blieb anscheinend die ganze Zeit un- 
verändert. Die Reaktion der Lösung war deutlich amphoter, und doch 
trat die alkalische Komponente stärker hervor. 

Wenn ich nun zu der zentrifugierien und filtrierten Flüssigkeit 
Chlorcalecium hinzufügte, kam es niemals zu einer Fällung, wie viel 


oder wenig ich auch zusetzen mochte, was insofern bemerkenswert ist 
als Huiskamp für sein Nucleoproteid das Entgegengesetzte gefunden 


118 Ivar Bang, 


hat, obwohl auch sein Proteid viel schwieriger und erst nach größerem 
Zusatze von Chlorcalecium niedergeschlagen wurde, als das Nucleohiston, 

Auch nach der Dialyse verhielt sich die Flüssigkeit gegen Chlor- 
calcium indifferent, und somit kann nicht die Gegenwart von Kochsalz 
diesen Unterschied erklären. Dagegen gab Kalkwasser eine ausgiebige 
Fällung, und ebenso verhielt sich Chlorcaleium, wenn man vorher Alkali bis 
zu schwach alkalischer Reaktion zugesetzt hatte. Vielleicht hat Huis- 
kamp erst sein Proteid mit Essigsäure niedergeschlagen und in Alkali 
wieder gelöst, als er es mit Chlorcaleium fällte. Übrigens vermochte ich 
auch im Wasserextrakte nach Ausfällung des Nucleohistons mit Chlor- 
calcium bei weiterem Zusatz von Chlorcaleium keinen Niederschlag zu 
erhalten. 

Hingegen gab Essigsäure eine ausgiebige Fällung. Das gefällte 
Nucleoproteid war aber sehr leicht im Überschuß von Säuren — auch 
Essigsäure — löslich, 1 Proz. Essigsäure und 0,2 Proz. HCl genügten 
zur vollständigen Lösung des Niederschlages. Dieselbe Beobachtung teilt 
auch Malengreau für sein A-Nucleoalbumin mit. 

Die Essigsäure-Fällung war gelblich-weiß. Nach mehrmaligem Aus- 
waschen mit Wasser und Behandlung mit Alkohol-Äther resultierte ein 
feines, gelbweißes Pulver, welches, bei 100° C getrocknet, folgende 
Werte gab: 

C 49,50 Proz., H 6,35 Proz., N 16,51 Proz., P 1,22—1,01 Proz. 

Die Substanz enthielt 2,36 Proz. Asche und Schwefel, auch blei- 
schwärzenden, dessen Menge nicht bestimmt wurde. 


Vergleicht man diese analytischen Ergebnisse mit den Zahlen, 
welche Huiskamp im Mittel für sein mit Essigsäure gefälltes 
Nucleoproteid erhielt, so findet man eine ziemlich gute Überein- 
stimmung, namentlich im Phosphorgehalt: 


Ö H N P Asche 


Huiskamp 50,09 Proz. 7,18 Proz. 16,11 Proz. 0,97 Proz. 3,11 Proz. 
Bang 4950 - 5.688. ,57 65ER ee 


Den ohnehin nicht großen Differenzen bei den übrigen Ele- 
menten ist wohl keine Bedeutung beizumessen, zumal man auf 
C- und H-Bestimmungen kein zu großes Gewicht legen darf, wenn 
es sich um Eiweißkörper handelt. 

Ich habe ferner ein Präparat nach Huiskamps Methode dar- 
gestellt. Die Analysen ergaben 0,91 Proz. P und 15,89 Proz. N. 
Der Aschegehalt war 2,18 Proz. 

Aus den Analysen geht hervor, daß Huiskamps und 
mein Proteid, abgesehen von unwesentlichen Verun- 
reinigungen identisch sind. Ich will auch gleich bemerken, 
daß ich bei der Untersuchung der Spaltungsprodukte eine voll- 
ständige Übereinstimmung unserer Nucleoproteide gefunden habe. 


Im Anschluß hieran sei erwähnt, daß ein Präparat, welches mehrere 
Male mit Alkohol ausgekocht worden war, 1,42 Proz. P enthielt. 
Es läßt sich somit der Phosphor nicht aus dem Nucleoproteid mit Alkohol 
ausziehen wie aus dem Proteide der Magenschleimhaut. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 119 


Malengreau schlägt seine beiden Nucleoproteide aus dem 
Wasserextrakte der Thymus mit Essigsäure nieder. Der Nieder- 
schlag wird mit sehr verdünntem Alkalı gelöst und die Lösung 
mit gesättigter Ammonsulfatlösung fraktioniert. Die Halb- 
sättigungs-Fraktion, welche das A-Nucleoalbumin enthält, wird in 
viel Wasser gelöst und mit Essigsäure gefällt. Malengreau be- 
merkt, daß das A-Nucleoalbumin in 0,9 Proz. Kochsalzlösung so- 
wie in 0,1 Proz. Chlorcalciumlösung löslich ist, was zu meinem 
Nucleoproteid stimmt. Mit Huiskamp finde ich, daß die durch 
Halbsättigung erhaltene Fällung sich nicht vollständig in Wasser 
löst; ein nicht geringer Rest bleibt ungelöst zurück. — 

Bei der Untersuchung des nach Malengreaus Methode dar- 
gestellten A-Nucleoalbumins erlaubte ich mir, in einer Beziehung 
von seiner Vorschrift abzuweichen: ich unterließ die vorhergehende 
Fällung mit Essigsäure und fraktionierte die Wasserextrakte direkt. 

Das Wasserextrakt aus 500g Thymus hatte dasselbe opaleszierende 
Aussehen wie das Kochsalzextrakt. Halbsättigung mit Ammonsulfat er- 
gab eine reichliche Fällung, welche sich nicht vollständig im Wasser 
löste. Die Lösung wurde noch einmal mit Ammonsulfat gefällt und der 
Niederschlag mit essigsäurehaltigem Wasser ausgewaschen. Weiter 
versetzte ich den Niederschlag mit 200 ccm 0,3-proz. Salzsäure, welche 
etwas löste. (Malengreau hat gezeigt, daß das Nucleoproteid, wenn 
einmal ausgefällt, sich nur teilweise in 0,3-proz. HCl löst.) Nach 
24 Stunden wurde filtriert. Das Filtrat gab mit Ammoniak im 
Uberschuß versetzt keinen Niederschlag. Wenn ich aber das 
Filtrat 24 Stunden dialysierte und jetzt eine Probe mit einem Tropfen 
Ammoniak versetzte, bildete sich ein voluminöser Niederschlag 
und man konnte weiter nach und nach sehr viel Ammoniak zusetzen, 
ohne daß der Niederschlag sich wieder löste. Wenn man aber auf ein- 
mal einen Überschuß von Ammoniak zufügte, fiel absolut kein 
Niederschlag aus; doch kopnte ich auch in diesem Falle einen solchen 
hervorrufen, wenn ich etwas Ammoniumsulfat zusetzte. 

Malengreaus Nucleoproteid wurde somit bei der Einwirkung 
von 0,3 Proz. Salzsäure in eine lösliche Komponente und einen 
unlöslichen Rest gespalten. 

So weit stimme ich mit Malengreau überein, dagegen ist 
noch zu beweisen, daß die in Salzsäure lösliche Komponente ein 
Histon ist. Gegen eine solche Annahme spricht entschieden die 
Beobachtung, daß der Niederschlag durch Ammoniak schon bei 
neutraler, ja auch äußerst schwach saurer Reaktion zustande 
kommt. Bei fortgesetzter Dialyse der sauren Lösung kommt auch 
in diesem Falle der Niederschlag zum Vorschein. So verhält sich 
aber kein Histon. — 

Ich untersuchte nun mein Nucleoproteid nach derselben 
Methode. 


120 Ivar Bang, 


Zuerst versuchte ich, die Fällungsgrenzen gegen Ammonsulfat im 
Kochsalzextrakte aus Thymus zu bestimmen. Doch war es hier unmöglich, 
die untere Fällungsgrenze scharf festzustellen, da die Lösung von Anfang 
an opaleszierte.e Wirkliche Fällung trat gewöhnlich ungefähr bei 30, in 
manchen Fällen schon bei 20, in anderen bei 25 Proz. Sättigung ein. 
Die obere Fällungsgrenze der ersten Fraktion lag etwa bei 35—40, die 
zweite Fraktion begann bei 46 zu fallen und war bei 60 Proz. ausgefällt. Eine 
dritte und letzte Fraktion lag zwischen 60 Proz. und gänzlicher Sättigung. 
Die erste Fraktion war in Wasser unvollständig löslich, die andere voll- 
ständiger. Die Lösungen sämtlicher Fraktionen gaben mit Essigsäure 
Niederschläge. Es zeigte sich aber bei mehrmaliger Reinigung, daß die 
zweite Fraktion aus einem Gemenge der Substanzen der ersten und 
dritten Fraktion bestand. 

Danach enthält somit das Kochsalzextrakt (abgesehen von 
Globulin) zwei durch Essigsäure fällbare Substanzen, die eine bildet 
die leichter fällbare Fraktion und ist in bei weitem überwiegender 
Menge vorhanden, die andere findet sich in der zweiten (ur- 
sprünglich dritten) nur ganz unbedeutenden Fraktion. In ganz 
derselben Weise verhielt sich das Wasserextrakt nach Ausfällung 
des Nucleohistons mit Chlorcalcium. 

Es hatte sich somit eine gute Übereinstimmung der 
Fällungsgrenzen der Nucleoproteide von Huiskamp, 
Malengreau und mir ergeben. Die nächste Aufgabe war die 
Untersuchung der Substanz, welche sich durch Salzsäure-Behand- 
lung extrahieren läßt. 

Da die 0,3-proz. Salzsäure direkt zur Kochsalzlösung gesetzt über- 
haupt keine Fällung erzeugt, mußte man sie auf die Essigsäure. 
Fällung des Nucleoproteids einwirken lassen. Hier ist es aber 
nötig, auf beide von Essigsäure fällbare Substanzen Rücksicht 
zu nehmen. Deswegen löste ich die Essigsäure-Fällung in sehr 
verdünntem Alkali. Diese Lösung war aber eine ziemlich unvoll- 
ständige, trotzdem die Fällung gründlich ausgewaschen und sehr 
fein verteilt war; ich mußte Alkalı bis zu 0,3 Proz. zusetzen, und 
doch erfolgte die Lösung sehr langsam. Nach erfolgter Lösung 
wurde dialysiert, wobei sich wieder eine milchähnliche Beschaffen- 
heit einstellte, und nun erst konnte ich zur Fraktionierung schreiten. 

Zu meiner Überraschung fand ich jetzt ganz abweichende 
Fällungsgrenzen. Die untere Grenze lag nämlich schon bei 12—15, 
und die Ausfällung der ersten Fraktion war bei 18—20 vollendet. 
Diese Fraktion enthielt eine reichliche Menge Substanz, und ım 
Filtrate brachte nach der Dialyse verdünnte Essigsäure nur eine 
ganz spärliche Fällung hervor. Dieser Niederschlag, in verdünntem 
Alkalı gelöst, wurde teilweise bei 20 Proz. Sättigung mit Ammon- 
sulfat gefällt. Der Rest wurde erst durch Sättigung mit Salz 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 131 


niedergeschlagen. (In einigen Fällen kam keine weitere Fällung 
bei Zusatz von 20 Proz. zu stande, sondern erst bei Sättigung mit 
Ammonsulfat.) 

Dieses eigentümliche Verhalten habe ich nun sehr eingehend 
studiert und gefunden, daß die obere Fällungsgrenze für die Haupt- 
menge der Substanz bei 17—18 liegt. Die Konzentration der 
Lösung übt hierauf nur einen sehr geringen Einfluß aus. — In 
mehreren Kochsalzextrakten bestimmte ich die Fällungsgrenzen vor 
und nach der Fällung mit Essigsäure. Ohne Ausnahme wurde 
dieselbe Verrückung der Fällungsgrenzen konstatiert: Im ur- 
sprünglichen Kochsalzextrakt lag gewöhnlich die untere Fraktions- 
grenze bei 30 oder schon bei 20; aber diese Fällung war nur 
äußerst gering und trat erst nach 24Stunden auf, während 
die Essigsäure-Fällung in Alkali gelöst augenblicklich 
eine quantitative Fällung beı 17—-18S ergab. Und dieser 
Niederschlag, mit einer Spur von Alkalı gelöst, wurde wieder 
vollständig bei 20 Proz. Sättigung ausgefällt. 

Noch beweisender scheint mir folgender Versuch: In einem 
Kochsalzextrakte wurde die untere Fraktionsgrenze zu 25 bestimmt. 
Dieser Flüssigkeit wurden 10 Teile der Essigsäure-Fällung, in 
Alkalı gelöst und darauf dialysiert, zugesetzt, und jetzt gab 20 
eine ausgiebige Fällung; im Filtrate waren die ursprünglichen 
Fraktionsgrenzen unverändert. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das Nucleoproteid bei 
der Behandlung mit Essigsäure oder Alkali eine Veränderung 
erleidet. 


Um zu erfahren, welches von den Reagentien — die Essig- 
säure oder das Alkali — die Veränderung bewirkt, setzte ich zu 


Proben des Kochsalzextraktes verschiedene Mengen Alkali und 
nachher Ammonsulfat bis zu 20 Proz. Sättigung. Es zeigte sich 
hierbei, daß ein Zusatz von 0,01 Proz. NaOH keine Ver- 
änderung bewirkte, 0,02 Proz. NaOH bewirkte eine unvoll- 
ständige Fällung durch Ammonsulfat und 0,03 Proz. einen 
reichlichen Niederschlag, welcher sich nicht bei einem weiteren 
Zusatz von Alkali vermehrte. In den Kontrollversuchen setzte ich 
zuerst zu den Proben Ammonsulfatlösung und nachher Alkali. 
In keinem von diesen entstand Fällung, selbst wenn man Alkali 
bis 1 Proz. zufügte. Dies Verhalten konnte selbstverständlich nur 
dadurch verursacht sein, daß sich die Natronlauge mit Ammon- 
sulfat umsetzt, und folglich durfte in diesem Falle ein Zusatz von 
Ammoniak und dann von Ammonsulfat keinen Niederschlag er- 
geben — was auch in der Tat der Fall war. Dadurch daß der 


1223 Ivar Bang, 


Natronzusatz eine solche Veränderung der Fällungsgrenzen be- 
wirken kann, ist nicht ausgeschlossen, daß auch die Essigsäure 
eine ähnliche Wirkung hat. In der Tat konnte ich dies leicht 
nachweisen, indem ich die Essigsäure-Fällung in sehr verdünntem 
Ammoniak auflöste und die Lösung mit Ammonsulfat fraktionierte. 
Nach den eben angeführten Versuchen hat nämlich ein Zusatz 
von Ammoniak nicht die Verrückung der Fällungsgrenzen zur Folge. 
Noch beweisender ist jedoch die folgende Beobachtung. Nach mehr- 
malıger Behandlung der Essigsäure-Fällung mit destilliertem Wasser 
geht nach und nach ein Teil wieder in Lösung, und dieser wird 
ebenfalls von 20 Proz. Ammonsulfat niedergeschlagen. 

Welche ist nun die Veränderung, die hier stattgefunden hat? 

Zur Beantwortung dieser Frage stellte ich aus der Fraktion 
mit den Fällungsgrenzen 12—18 ein Präparat zur Analyse dar. 
Dies enthielt 1,00 Proz. bezw. 1,03 Proz., im Mittel 1,02 Proz. P, 
besaß also denselben Phosphor-Gehalt wie die Essigsäure-Fällung 
selbst. Man könnte somit annehmen, daß keine wesentliche 
Veränderung eingetreten war. Und doch war dies der Fall. 

Ich habe schon bemerkt, daß der Essigsäure-Niederschlag 
ziemlich schwer in verdünntem Alkalı löslich war, und in Ammoniak 
erfolgte die Lösung noch viel langsamer. Eine genauere Unter- 
suchung der Löslichkeitsverhältnisse lehrte, daß ein Teil des 
Niederschlages anscheinend leichter löslich war als ein anderer. 
Deswegen extrahierte ich in einem Versuch den Niederschlag mit 
0,04 Proz. NaOH, welche nur einen Teil davon löste, und schlug 
im Filtrate das Proteid mit Essigsäure nieder. Der Phosphor- 
gehalt des so erhaltenen Präparates, das 16.57 Proz. N enthielt, 
war 2,10 und 2,38 Proz., im Mittel 2,24 Proz. P, also zweimal 
so hoch als jener des ursprünglichen Nucleoproteids. 

Dieses Verhältnis zeigt, daß das Nucleoproteid 
schon bei der Behandlung mit verdünnter Essigsäure 
in zwei Komponenten zerlegt wird, wovon die eine 
sehr leicht, die andere ziemlichschwerin verdünntem 
Alkalilöslich ist. Essigsäure ist somit kein indifferentes 
Reagens zur Ausfällung dieses Nucleoproteids, eine 
Beobachtung, welche überhaupt zur Vorsicht bei Be: 
nutzung dieses Reagens zur Darstellung der Nucleo- 
proteide mahnt. 

Kehren wir wieder zu der Untersuchung der Einwirkung von 
Salzsäure auf das Nucleoproteid zurück. Wie schon bemerkt, be- 
wirkt 0,3 Proz. HCl keinen Niederschlag im Kochsalzextrakt und, 
wie ich zufügen kann, auch nicht in einer Lösung des Essigsäure- 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 123 


Niederschlages. Läßt man aber 0,3 Proz. HCl auf den Essigsäure- 
Niederschlag selbst einwirken, so findet zwar keine vollständige 
Lösung statt, es gehen aber reichliche Mengen Substanz in die 
Salzsäure über. 

In meiner ersten Mitteilung über das Nucleoproteid habe ich 
ebenso wenig wie später Huiskamp eine Spaltung bei derartiger 
Salzsäurebehandlung gesehen. Ich nehme hier ausdrücklich von 
dieser Angabe Abstand. Ich habe auch bei der Untersuchung des 
nach Huiskamps Methode dargestellten Nucleoproteids dieselbe 
Spaltung eintreten sehen, und schließe mich in diesem Punkte 
vollständig Malengreau an. 

Eine Erklärung der abweichenden Befunde von Huiskamp und 
mir kann ich nicht geben. Zwar ist mir einmal bei diesen Unter- 
suchungen vorgekommen, daß die Salzsäureextraktion negativ ausfiel, 
aber mindestens 20 Mal habe ich ein positives Resultat erhalten. 
Malengreau bemerkt (La Cellule Tome XIX, pg. 293), daß ihm das- 
selbe vorkam, wenn er seine Substanzen mit Ammonsulfat ausfällte. Ich 
habe speziell untersucht, ob vielleicht das proteolytische Ferment der 


Thymus hier eine Rolle spielt, und habe deshalb die Kochsalzextraktion 
bei 0° vorgenommen, ohne jedoch einen Unterschied zu finden. 


Versetzt man das filtrierte Salzsäureextrakt vorsichtig mit 
Ammoniak, so entsteht ein reichlicher Niederschlag, welcher aus- 
bleibt, wenn man rasch einen Überschuß von Ammoniak hinzu- 
fügt. Es ist weiter nicht notwendig, Ammoniak bis zur alkalischen 
Reaktion zuzusetzen, schon bei neutraler, ja selbst schwach saurer 
Reaktion tritt der Niederschlag ein, und im Filtrate kann man 
keine Spur von Eiweiß nachweisen. 

Hiermit ist bewiesen, daß mein (und Huiskamps) Nucleo- 
proteid bei der Einwirkung von 0,3 Proz. HCl dasselbe Spaltungs- 
produkt wie Malengreaus liefert, und daß dies Spaltungsprodukt 
kein Histon ist. 

Die Histone verbinden sich nämlich ohne Ausnahme mit 
Säuren zu löslichen Salzen von neutraler Reaktion, und eine 
Substanz, die schon bei saurer Reaktion ausgefällt werden kann, 
ist überhaupt kein Histon. 

Dagegen stimmen die Reaktionen des Spaltungsproduktes 
vollkommen mit jenen eines Acidalbuminates überein, und ich 
möchte es auch ohne Bedenken als Acidalbuminat bezeichnen. 


Schon in meiner Histonarbeit habe ich nachgewiesen, daß Albuminate 
von Ammoniak niedergeschlagen werden können, wenn man es vor- 
sichtig zusetzt und dasselbe ist auch hier der Fall. Ich benutze die 
Gelegenheit, um hier nochmals hervorzuheben, daß man zum Nachweis 
des Histons sich nicht an der Ammoniakreaktion genügen lassen darf, 
‚ und ich werde noch in dieser Abhandlung Gelegenheit finden, zu zeigen, 
welche verhängnisvollen Mißverständnisse die unkritische Benutzung 
dieser Reaktion veranlassen kann. — 


124 Ivar Bang, 


Ich habe weiter das Verhalten des Albuminates zu Ammon- 
sulfatlösung untersucht. Sowohl in saurer als in ganz schwach 
alkalischer Lösung wird das Albuminat vollständig bei 20 Proz. 
Ammonsulfatsättigung niedergeschlagen*). Wenn ich oben erwähnt 
habe, daß ein Zusatz von Ammonsulfat zur ammoniakalischen 
Lösung des Albuminates dieses aufs neue niederschlägt, so ist 
das als eine Aussalzung zu betrachten. Das Albuminat enthält 
keinen Phosphor. Der Stickstoff-Gehalt betrug 16,59 Proz. 

Der nach der Salzsäureextraktion ungelöst gebliebene Rest 
war in verdünntem Alkalı leicht löslich und konnte hieraus wieder 
mit Essigsäure niedergeschlagen werden. In einem Minimum von 
Alkali gelöst wurde die Substanz bei 20 Proz. Ammonsulfat- 
sättigung gefällt. - 

Die Eiweißreaktionen waren positiv. Nach Digestion mit 
Magensaft resultierte ein Nuclein, welches sowohl Phosphor als 
Purinbasen enthielt. Dasselbe Nuclein entsteht, wenn man das 
Nucleoproteid selbst digeriert, d. h., wenn man den Magensaft 
auf die Essigsäurefällung des Nucleoproteids einwirken läßt. Da- 
gegen entsteht kein Nuclein, wenn das Nucleoproteid zuerst in 
der Salzsäure gelöst wird. — 

Die Natur der Purinbasen habe ich nicht untersucht. Auch 
gelang es nicht, die Nucleinsäure zu isolieren. Nach Schmiede- 
bergs Kupfer-Kaii-Methode läßt sich die Nucleinsäure nicht 
darstellen. — Eine Pentosengruppe existiert hier nicht. 

Behufs Analyse wurde der in Salzsäure unlösliche Rest des 
Nucleoproteids in Alkali gelöst, wieder mit Essigsäure ausgefällt, 
ausgewaschen und mit Alkoholäther behandelt. Die Analyse 
ergab einen P-Gehalt von 2,49 Proz. und 2,69 Proz. P. — durch- 
schnittlich 2,59 Proz. P. — und 16,55 Proz. N. Die Substanz ist 
folglich selbst als ein Nuclein anzusehen. 

Vergleicht man diese Werte mit jenen des 0,04-proz. Alkaliextraktes 
der Essigsäurefällung, so zeigt sich deutliche Übereinstimmung. Hier 
wurde 2,59 Proz. P gefunden, dort 2,24 Proz. Der Rest ist nämlich in ver- 
dünntem Alkali leicht löslich im Gegensatz zu dem Albuminat. Wenn 
man daher die Essigsäurefällung des Nucleoproteides mit sehr verdünntem 
Alkali extrahiert, geht wesentlich das Nuclein in Lösung, und das Albu- 
minat bleibt zurück. Doch gehen kleine Mengen davon ebenfalls in 
Lösung, — was auch die Phosphorbestimmungen zeigen. Dementsprechend 
kann man auch durch Extraktion mit Salzsäure die Existenz des Albu- 
minates nachweisen. — 

Die Untersuchung der Spaltungsprodukte gibt uns auch eine 
Erklärung der Veränderungen, welche die Einwirkung von Essig- 


*) Ebenso verhält sich aus Albumin dargestelltes Acidalbuminat. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 125 


säure und Alkali hervorruft. Das Nucleoproteid wird von diesen 
Reagentien ebenso wie von Salzsäure gespalten, und die Ver- 
rückung der Fällungsgrenzen zeigt dabei die Bildung von Nuclein 
und Albuminat an. 

Es kann nun auch nicht befremden, daß der Niederschlag 
mit 20-proz. Ammonsulfat dieselben Werte, wie die Essigsäure- 
Fällung selbst gibt, da dadurch sowohl das Nuclein als das Al- 
buminat niedergeschlagen wird. 


Aus den vorliegenden Versuchen über das Nucleoproteid ist 
zu entnehmen, daß wir es bei diesem Körper mit einer sehr labilen 
Substanz zu tun haben, welche äußerst leicht in Nuclein und 
Albuminat zerfällt. Es erinnert etwas an das Pankreas- Nucleo- 
proteid Hammarstens und das Nucleohiston Lilienfelds. Es 
scheint, daß die Neutralsalze, z. B. Kochsalz, das Nucleoproteid 
nicht in seine Komponenten zerlegen können (vgl. auch Ma- 
lengreau). 

Aus den Phosphorbestimmungen kann man ungefähr berechnen, 
wieviel Nuclein und Albuminat in das Molekül des Nucleoproteids 
eingehen. Wenn das Proteid etwa 1 Proz. Phosphor enthält, das 
Nuclem etwa 2,5 Proz. und das Albuminat keinen, so besteht das 
Nucleoproteid aus etwa 40 Proz. Nuclein und 60 Proz. Albuminat. 
Der Stickstoff verteilt sich ganz gleichmäßig auf die beiden Kom- 
ponenten. 


Es bleibt endlich noch eine Frage zu beantworten. Den 
Spaltungsversuchen nach darf man die Nucleoproteide der drei 
Untersucher für identisch erklären, nicht aber, wenn man die 
Phosphor- Bestimmungen betrachtet. Malengreau hat für sein 
Proteid nur 0,5 Proz. P gefunden — Huiskamp und ich 1 Proz. 
Diese Differenz erklärt sich aber daraus, daß das Wasserextrakt 
eine große Menge sehr fein suspendierter Verunreinigungen, Zell- 
detritus u. s. w. enthält, Verunreinigungen, die nicht durch Zentri- 
fugieren und nicht durch Filtration fortgeschafft werden können. 
Diese haften aber den Niederschlägen an. Deswegen ist das Fil- 
trat nach Halbsättigung mit Ammonsulfat ganz wasserklar im 
Gegensatz zu der ursprünglichen, opaken Lösung. Andererseits, 
wenn Huiskamp sein Nucleohiston mit Chlorcalcium fällt, gehen 
die Verunreinigungen in dieses über. Daher findet Huiskamp 
nur 3,7 Proz. P im Nucleohiston, während Malengreau 4,5 Proz. P 
gefunden hat. — Die Verunreinigungen werden eben vom ersten 
Niederschlage mitgerissen, gleichgültig, ob dieser Nucleoproteid 
oder Nucleohiston ist. 


126 Ivar Bang, 


2. Untersuchung des sogenannten Nucleohistons. 


Von den beiden Nucleoproteiden der Thymusdrüse hat unbe- 
dingt das „Nucleohiston“ die größere Wichtigkeit, sowohl in Anbe- 
tracht seiner chemischen Natur als seiner biologischen Bedeutung. 

Was das erstere Moment betrifft, so gehen die Ansichten der 
einzelnen Untersucher, wie eingangs bemerkt, sehr auseinander. 

Was die biologische Bedeutung anlangt, will ich nur daran 
erinnern, daß mehrere Beobachter, z. B. Huiskamp, im Nucleo- 
histon das Fibrinferment vor sich zu haben glaubten. Das Nucleo- 
histon verdient somit eine Bearbeitung. Huiskamp hat ihm 
auch eine eingehende Untersuchung gewidmet, von Lilienfelds 
ursprünglichen Arbeiten ganz abgesehen. 

Wenn ich in zwei Mitteilungen eine von der herrschenden 
Vorstellung ganz abweichende Auffassung der Natur des Nucleo- 
histons verfochten habe, so will ich gern zugeben, daß meine 
Angaben insofern weniger beweisend waren, als sie nur einen 
vorläufigen Charakter trugen. Das von mir dargestellte nuclein- 
saure Histon ist in der Tat noch sehr unvollständig studiert, so 
fehlt z. B. die Analyse, und wir haben keine Anhaltspunkte für 
seine rationelle Zusammensetzung. Zwar habe ich gezeigt, daß 
es sich um die Verbindung einer Nucleinsäure mit Histon handelt, 
dıese beiden aber nur qualitativ nachgewiesen. 


Darstellung. 


Nach meinem Verfahren werden die Thymusdrüsen zuerst mit 
0,9-proz. Kochsalzlösung extrahiert, dann folgt die Extraktion mit 
destilliertem Wasser. Übrigens ist die vorgängige Kochsalzextraktion 
für die Darstellung der Substanz ganz gleichgültig, und ich habe sie 
auch öfter unterlassen und die Drüsen mit destilliertem Wasser direkt be- 
handelt. In beiden Fällen beobachtet man unmittelbar nach dem Zusatz 
des Wassers eine starke Quellung der Drüsenmasse, die sich zu schleimigen 
balb durchsichtigen Klumpen zusammenballt. Nach 24 Stunden bemerkt 
man, daß die Stücke zerfallen, während die Flüssigkeit bläulich opalesziert; 
nach 48 Stunden ist die Lösung ganz undurchsichtig und von milch- 


ähnlichem Aussehen, und zur selben Zeit ist ein großer Teil der Thymus- 


drüse in Lösung gegangen. Auf dem Boden des Gefäßes liegen reich- 
lich grobflockige Reste, welche aus Bindegewebe, Zelldetritus, noch nicht 
gelösten und unlöslichen Gewebsresten bestehen. Weder Lösung noch 
Rückstand sind jetzt schleimig. Die Reaktion ist deutlich amphoter. 

Gewöhnlich nahm ich 500—1000 g Thymus in Arbeit und zog diese 
zwei- bis dreimal mit 1'/),—2 1 destilliertem Wasser aus. Weiteres 
Extrahieren ist nicht lohnend. — 

Behandelte ich die Thymus direkt mit Wasser ohne vorhergehende 
Kochsalzextraktion, so war das erste Extrakt reich sowohl an Nucleoproteid 
als an nucleinsaurem Histon, während das zweite nur wenig Nucleo- 
proteid enthielt. Das dritte und vierte Extrakt war weniger opaleszierend 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 127 


als die vorhergehenden, sie enthielten nur Spuren von Nucleoproteid und 
verhältnismäßig mehr nucleinsaures Histon. Das fünfte und das sechste 
Extrakt waren nur wenig opaleszierend und enthielten nur kleine Mengen 
von nucleinsaurem Histon, welchesaberziemlich rein war — 
ein Beweis dafür, daß die mitzuteilende Darstellungsmethode nicht auf 
der Spaltung einer präformierten komplizierteren Verbindung beruht. 

Nach 48 Stunden wurde die Lösung abgehebert und 1 Stunde 
zentrifugiert. Die nachfolgende Filtration ging ganz rasch von statten, 
das Filtrat hatte aber dasselbe opake Aussehen wie die ursprüngliche 
Lösung. Nun versetzte ich die Flüssigkeit mit Chlorcalcium bis zu einem 
Gehalt von 0,2 Proz., wobei ein voluminöser, weißer Niederschlag ausfiel. 
In sehr konzentrierten Extrakten genügt nicht 0,2 Proz. zur quantitativen 
Abscheidung. Ich erhöhte dann den Zusatz auf 0,3 Proz. CaCl,, was 
stets ausreichte, | 

Das Filtrat von diesem Niederschlag war gewöhnlich rötlich gefärbt 
und etwas opaleszent. Chlorcalcium gab keine Fällung mehr, während 
Essigsäure sofort eine solche hervorbrachte. Von dieser war oben schon 
ausführlich die Rede. 


Die Chlorcaleium-Fällung kann auf zweierlei Weise in Lösung ge- 
bracht werden, durch Zusatz von Ammoniak und von Neutralsalz- 
lösungen. Das erstere Verfahren hat Huiskamp benutzt. Ich will 
gern zugeben, daß man hierdurch eine weit vollständigere Lösung als 
nach meinem Verfahren, der Kochsalzmethode, erzielt. Dagegen muß 
ich meiner Methode insofern bei weitem den Vorzug geben, als sie eine 
ganz vollständige Extraktion der histonhaltigen Verbindung gestattet, 
während eine ganze Menge Verunreinigungen ungelöst zurückbleibt. 
Nach meinem Verfahren erhält man daher eine farblose oder schwach 
bläulich opaleszierende oder fluoreszierende Flüssigkeit, während Huis- 
kamps Methode ein Filtrat liefert, das ebenso opak isf wie die ursprüng- 
liche Lösung. 


Ist die Chlorcaleium-Fällung mit verdünnter Neutralsalzlösung er- 
schöpft, so bleibt ein reichlicher bräunlich-weißer, sehr klebriger Rück- 
stand, welcher kein Histon mehr enthält. Dieser Rest ist in verdünntem 
Alkali löslich und kann dann aufs neue durch Essigsäure (und Chlor- 
calcium) niedergeschlagen werden. Da sich das nucleinsaure Histon 
schon mit 2-proz. Kochsalzlösung extrahieren läßt, wird man wohl kaum 
annehmen wollen, daß hierdurch eine Spaltung einer mehr komplizierten 
Histonverbindung stattgefunden hat, was übrigens auch durch die 
Reaktionen, die später besprochen werden sollen, ausgeschlossen erscheint. 

Ich glaube deshalb aus guten Gründen meiner Methode den Vorzug 
geben zu müssen und habe mich ihrer bei der Untersuchung des nuclein- 
sauren Histons ausschließlich bedient. 


Versuchsweise habe ich auch die Darstellungsmethode Malengreaus 
angewendet. Das Filtrat von dem durch Halbsättigung mit Ammon- 
sulfat im Wasserextrakte der Thymus erzeugten Niederschlag ist, wie 
schon bemerkt, ganz wasserklar. Es wurde dialysiert, mit 15 Volumen 
Wasser verdünnt und mit Essigsäure gefällt und der Niederschlag in 
500 ccm 1°/,, NaOH zu einer neutral reagierenden Lösung gelöst. Eine 
Probe gab bei Halbsättigung mit Ammonsulfat einen spärlichen Nieder- 
schlag. — Bei Sättigung mit Kochsalz trat die Histon-Fällung ein, und 
im Filtrat ließ sich die Nucleinsäure auf gewöhnliche Weise nachweisen, 


128 Ivar Bang, 


In Übereinstimmung mit Malengreau finde ich somit, daß sein 
B-Nucleoalbumin wesentlich aus nucleinsaurem Histon besteht. Aber 
nach dieser Methode erhält man kein reines Präparat. Ich habe bei 
meinen Fraktionierversuchen im Kochsalzextrakte, wie man sich erinnert, 
eine durch Essigsäure fällbare Substanz vorgefunden, welche erst bei 
Sättigung mit Ammonsulfat abgeschieden wird. Diese Substanz, welche 
kein Histon enthält, muß natürlich dem nucleinsauren Histon bei 
Malengreaus Darstellung beigemengt bleiben. Weiter habe ich ge- 
funden, daß das nucleinsaure Histon sich gegenüber der Einwirkung von 
Essigsäure durchaus nicht indifferent verhält. Hierüber werde ich später 
berichten. Endlich laßt sich auch durch Phosphorbestimmungen direkt 
feststellen, daß Malengreaus B-Nucleoalbumin noch kein reines 
Präparat darstellt. 

Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß weder Huiskamps 
noch Malengreaus Methode sich völlig zur Darstellung reinen 
nucleinsauren Histons eignen. Es bleibt dann nur meine Methode: 
Extraktion mit verdünnten Neutralsalzlösungen. 

In meiner letzten Publikation habe ich angegeben, daß ich 
hierzu 5—10-proz. Kochsalzlösung benutzte. Das filtrierte Extrakt 
gab bei nachfolgender Dialyse einen reichlichen, weißen Niederschlag, 
während ein Rest in der Lösung zurückblieb, welcher nicht durch 
Chlorealecium, wohl aber durch Essigsäure gefällt werden konnte. 
Die bei der Dialyse ausgefällte Substanz wurde wieder in 5—10- 
proz. Kochsalzlösung gelöst, und hieraus konnte man das Histon 
entweder durch Sättigung mit Kochsalz oder durch Zusatz von 
Salzsäure darstellen. Im ersten Falle wurde das Histon abge- 
schieden, im letzteren die Nucleinsäure. 

Bei erneuter Prüfung habe ich die Richtigkeit dieser Angaben 
feststellen können und sie in einigen Richtungen vervollständigt. 
Der nach der Dialyse in Lösung gebliebene Rest besteht. aus 
nucleinsaurem Histon, welches nicht ausgefallen ist. Mit Essig- 
säure ausgefällt und in einer Spur von Alkali gelöst, wurde er 
von Chlorcalcium gefällt; der Niederschlag, in Kochsalzlösung ge- 
löst, konnte in Histon und Nucleinsäure zerlegt werden. Über- 
haupt konnte ich hier keine andere Eiweißverbindung nachweisen 
als nucleinsaures Histon. 


Weiter war es von Interesse, zu untersuchen, in welcher 
Verbindung das nucleinsaure Histon bei der Dialyse aus- 
geschieden wird. Bei der Behandlung mit destilliertem Wasser 
löste sich der Niederschlag rasch, und die Lösung gab mit 0,9-proz. 
Kochsalzlösung einen reichlichen Niederschlag, welcher sich 
augenblicklich in überschüssigem Kochsalz wieder löste. Zusatz von 
Chlorcalcium bewirkte eine reichliche Fällung. Aus diesen Re- 
aktionen geht hervor, daß das nucleinsaure Histon bei 


E 
u 
“ 
N 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 129 


der Dialyse als Natriumverbindung ausgeschieden wird. 
Wenn also die Ca-Verbindung des nucleinsauren Histons sich ın 
Kochsalzlösung löst, so heißt dies, daß die unlösliche Ca-Ver- 
bindung sich in das Na-Salz umsetzt, welches, wie ich schon früher 
erwiesen habe, in Überschuß von Kochsalz leicht löslich ist. Bei 
der Dialyse geht Kochsalz fort, und die Na-Verbindung fällt aus, 
sobald der Kochsalzgehalt auf 0,9 Proz. gesunken ist. Bei dieser 
Sachlage wird man auch verstehen, daß dabei eine quantitative 
Ausfällung nicht zu erwarten ist. 


Nach mehrmaliger Ausfällung mit Chlorcalcıum, Auflösung ın 
5-proz. Kochsalzlösung, Dialyse u. s. w. erhielt ich Lösungen des 
nucleinsauren Histons von unzweifelhafter Reinheit, die ich in 
verschiedenen Richtungen untersuchte. 


a) Die Einwirkung von Salzen auf das nucleinsaure 
Histon. 


1. Kochsalz. Wie schon erwähnt, kann man bei Zusatz von Koch- 
salz eine wässerige Lösung des nucleinsauren Histons als Alkalisalz teil- 
weise fällen. Untersucht man hierfür genauer die Versuchsbedingungen, so 
findet man, daß bei einem Gehalt von 0,25 Proz. NaCl eine schwache, aber 
deutliche Opaleszenz eintritt, welche bei 0,50 Proz. stärker wird. Nach 
einiger Zeit tritt schon hier ein Niederschlag ein, welcher sich bis 
0,75 Proz. bis 0,80 Proz. NaCl vermehrt, ohne jedoch quantitativ zu werden. 
Der Niederschlag tritt als flockige, weiße Fällung auf, geht aber bald in 
einen durchsichtigen, glasähnlichen Bodensatz von sirupöser Konsistenz 
über. Wenn dieser sich nach einigen Stunden als Gallerte auf dem 
Boden des Glases abgesetzt hat, kann man die überstehende Flüssigkeit 
vollständig abgießen. Setzt man den Zusatz von Kochsalz fort, so bleibt 
der Niederschlag bis 1,00 Proz. NaCl unverändert, beginnt sich bei 
1,25 Proz. NaCl wieder zu lösen und verschwindet bei weiterem Zusatz 
mehr und mehr. Bei 1,75 Proz. NaCl hat man nur eine schwach opales- 
zierende Lösung vor sich, und nach einem Zusatz von 2,00 Froz. NaCl 
ist die Lösung wieder vollständig wasserklar — wie die ursprüngliche 
Flüssigkeit. 

Geht man umgekehrt von einer Lösung des nucleinsauren Histon- 
Alkalis in 2 Proz. NaCl aus und vermindert den NaCl-Gehalt durch Zu- 
satz von Wasser, so kann man bis 1,50 Proz. NaCl gehen, ohne daß eine 
Veränderung eintritt. Bei 1,46 Proz. NaCl tritt schwache Opaleszenz ein, 
wird bei 1,43 Proz. stärker und steigert sich bei 1,40 Proz. NaCl zur 
Fällung. 

Setzt man zu der 2-proz. Lösung mehr Kochsalz, so bleibt sie 
vollständig unverändert, bis zu 15 Proz. NaCl. Hier beginnt aufs neue 
ein Niederschlag aufzutreten. Diese Ausfällung ist bei 18 Proz. NaCl 
beendet, Doch kann man bei vollständiger Sättigung mit Kochsalz 
eine weitere Fällung beobachten. Untersucht man den durch 15 bis 30 Proz, 
NaCl entstandenen Niederschlag, so erweist sich dieser als prinzipiell 
von der Fällung durch 0,7 bis 1,0 Proz. Na Cl verschieden. Im ersteren 
Falle hat eine Spaltung der ursprünglichen Verbindung und 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 9 


130 Ivar Bang, 


die Ausscheidung des einen Spaltungsproduktss statt- 
gefunden, im letzteren ist die ursprüngliche Verbindung 
unverändert ausgefallen. 


2, Ammonsulfat. Im Hinblick auf Malengreaus B-Nucleo- 
albumin, das zwischen Halb- und Ganzsättigung mit Ammonsulfat ausfällt, 
hatte es besonderes Interesse, das Verhalten zu Ammonsulfat zu unter- 
suchen. 


In meiner ersten Abhandlung habe ich schon bemerkt, daß man 
ebenso gut wie Kochsalz auch Ammonsulfat und andere Salze zur Aus- 
fällung des nucleinsauren Histons benutzen kann. Die betreffenden 
Verhältnisse sind genauer von Huiskamp untersucht worden, und ich 
brauche hier nur auf seine Angaben zu verweisen. Wie bei anderen 
Salzen ist auch hier der Niederschlag sehr leicht im Überschuß des 
Fällungsmittels löslich. Bei noch größerem Zusatz, z. B. Sättigung mit 
Ammonsulfat, tritt auch hier neuerdings ein Niederschlag auf, welcher 
aber im Gegensatze zu der NaCl-Fällung aus der unver- 
änderten Substanz besteht. 


Genauer bestimmt, erfolgt die Fällung zwischen 70 Sättigungspro- 
zenten (l ccm nucleinsaures Histon + 2 ccm Wasser — 7 ccm Ammon- 
sulfat-Lösung gibt schwache ÖOpaleszenz) und Sättigung. In sehr 
konzentrierten Lösungen habe ich eine Verrückung der unteren Fällungs- 
grenze bis 60 gesehen. Den Fällungsgrenzen nach stimmen somit Malen- 
greaus und mein Nucleoproteid ganz gut überein. Löst man nach 
Huiskamp den ursprünglichen Chlorcaleium-Niederschlag in verdünntem 
Ammoniak, so findet man die untere Fällungsgrenze bei etwa 35, — ein 
ganz verschiedenes Resultat! 


3. Magnesiumsulfat gibt, wie die übrigen Salze der Leichtmetalle, 
bei geringem Zusatz einen Niederschlag, welcher sich beim größeren 
Zusatz (2 Proz.) wieder löst. Bei Sättigung mit Bittersalz tritt aber 
überhaupt keine Fällung auf, die Lösung bleibt ganz wasserklar und 
wird nur dickflüssig, sirupös. 


Es ist schwer, zu erklären, warum sich die drei Neutralsalze Koch- 
salz, Ammonsulfat und Magnesiumsulfat so verschieden verhalten, 
warum Kochsalz die Verbindung zerlegt und das Histon fällt, während 
Ammonsulfat das nucleinsaure Histon mit unveränderten Eigen- 
schaften niederschlägt, trotzdem sowohl Kochsalz als Ammonsulfat 
(und Magnesiumsulfat) wohl das Histon, nicht aber die Nuclein- 
säure aus ihren Lösungen abscheiden. Die betreffenden Salz- 
wirkungen können somit nicht einfach aus einer Umsetzung der 
Salze (des nucleinsauren Histons und Kochsalzes) und Ausfällung 
der unlöslichen Verbindung erklärt werden. Zur genaueren Er- 
forschung dieser Verhältnisse habe ich eine Reihe verschiedener 
Salze und ihre Wirkungen auf das nucleinsaure Histon unter- 
sucht und habe die Resultate in der folgenden Tabelle zusammen- 
gestellt (+ bedeutet Spaltung, — keine Spaltung und n. u.: nicht 
untersucht). | 5 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 131 


1. Chloride zu _ — _ 1 1 

2. Bromide e - 4 -_ Ag n. u. n. u. 
ade. . . _ u. n.u. n.u. n.u. D. U. 
4. Rhodanide 4 -- 4 n n.u. DL. u. 
5, Nitrate . E= - — 12. U; n.u. n.Uu. 
e Bulfste -. . = = — — n. u. n.u. 
7. Phosphate .| n.u. = nn: DW n. u. n.u. 


Aus der Tabelle geht hervor, daß alle Salze der fixen Alkalien 
mit einbasischen Säuren das nucleinsaure Histon zerlegen. 
Ebenso verhalten sich wahrscheinlich Baryum- und Calciumsalze, 
wie die Chloride andeuten (doch ist hier die Spaltung sehr un- 
vollständig). Dagegen besitzen nur einige Ammoniaksalze der ein- 
basischen Säuren eine spaltende Wirkung (Bromid und Rhodanid), 
während eine solche bei anderen (Chlorid) vollständig fehlt. 


Es fragt sich weiter, ist die Spaltwirkung eine Funktion der 
Basen- oder der Säurekomponente oder beider, gibt es hier eine 
Gegenwirkung im Sinne von Paulis Untersuchungen über das 
Verhalten der Eiweißkörper gegen Elektrolyte, haben wir hier 
überhaupt eine Ionenwirkung oder eine Salzwirkung vor uns. 
Wenn Chlornatrium sich positiv und Natriumsulfat negativ ver- 
hält, spricht dies für Säurewirkung; daß aber Chlorammonium 
negativ ist, spricht entschieden gegen eine solche Auffassung und 
für eine Gegenwirkung der Salz-Komponenten. Auf alle Fälle 
dürfte man sich die Wirkung in erster Linie als eine Ionen- 
wirkung vorstellen. Zwar stößt diese Vorstellung auf Schwierig- 
keiten, läßt sich aber experimentell prüfen. Wenn es sich um 
eine Ionenwirkung handelt, dürfte eine Zurückdrängung der Disso- 
eiation, welche in der gesättigten Lösung relativ zwar geringer, 
absolut aber größer ist als in einer verdünnten, die betreffende 
Spaltwirkung vermindern. Wenn man weiter hierzu Salze mit 
gemeinsamen Anionen resp. Kationen benutzt, dürfte man eventuell 


Einblick in die Wirkung der Säure- bezw. der Basenkomponente 
erhalten. 


I. 3ccm Histonnucleinat-Lösg. +2ccm Wasser +3cem gesätt. NaCl-Lösg. : klar 
Bi. A +2 „ a 5 % : beg. Opaleszenz 
3 ” ” +2 ” ” +4,5 ” ” ” . beg. Fällung. 
IL. 3 ccm Histonnueleinat-Lösg. + 2 cem gesätt. MgCl,-Lösg. + 3, 4, 4,5 ccm gesätt. Na0l- 
Lösung: Ganz wie Versuch I. 
9* 


132 Ivar Bang, 


III. 3 cem Histonnucleinat-Lösg. + 2 cem gesätt. Na,S O,-Lösg. +1 cem gesätt. NaCl-Lösg.: 
klar 


1% A +2 „ % & +2 „ gesätt. “ 
beg. Opaleszenz 
Buy ee 42 „ " e + 2,5, gesätt. NaCl-Lösg.: 


beg. Fällung. 

Aus diesen drei Versuchen geht mit großer Wahrscheinlich- 
keit hervor, daß die Spaltwirkung der Neutralsalze eine Funktion 
der Basenkomponente nicht aber der Säurekomponente ist, 
da eine Vermehrung des Basenanteils in einem indifferenten Salz 
die Spaltwirkung vergrößert, während eine entsprechende Ver- 
mehrung des Säureanteils keinen Einfluß ausübt. Wenn weiter 
die einzelnen Alkalisalze eine so sehr verschiedene Spaltwirkung 
besitzen, wie z. B. Kochsalz und Natriumsulfat, so läßt sich dies 
in Übereinstimmung mit dem, was Pauli unter ganz anderen Be- 
dingungen gefunden hat (wenn man statt Kation Basenkomponente 
setzt), dadurch erklären, daß nur die Basenkomponenten eine 
Spaltwirkung besitzen, die Säurekomponenten dagegen eine 
hemmende Wirkung ausüben. Wenn also NH,Cl sich in- 
different, NH,CNS dagegen positiv verhält, ist dies so zu ver- 
stehen, daß der Spaltwirkung des NH, zwar von HCl, nicht aber 
von HCNS das Gleichgewicht gehalten wird. 

Daß aber diese Wirkungen Ionen wirkungen sind, geht, soviel ich 
sehe, nicht aus den Versuchen hervor, eher das Entgegengesetzte. Das 
Chlormagnesium sollte namlich die Dissociation ebenso stark zurückdrängen 
wie das Natriumsulfat und die Spaltwirkung vermindern. Doch halte 
ich mich nicht für kompetent, hierüber ein bestimmtes Urteil zu fällen. 

Ebenso wie die Salze der fixen Alkalien und die Ammoniaksalze 
fällen die Erdalkalisalze, in geringer Menge zugesetzt, das nucleinsaure 
Histon und zwar quantitativ. Auch dieser Niederschlag, welcher sich als 
ein durchsichtiger, sirupöser Bodensatz absetzt, ist im UÜberschusse des 
Fällungsmittels leicht löslich. Neutralsalze bewirken dasselbe. In der 


Lösung findet sich dann das nucleinsaure Histon als Metallsalz der Base 
des betreftienden Neutralsalzes vor. 


Die Salze der schweren Metalle fällen ebenfalls das nuclein- 
saure Histon als Metallverbindung. Der Niederschlag ist in Salz- 
lösungen unlöslich. 


b) Die Einwirkung von Säuren und Alkalien auf das 
nucleinsaure Histon. 

Das nucleinsaure Histon ist in Wasser ganz unlöslich, dagegen 
sind die Alkali- und Ammoniakverbindungen leicht löslich; sie sind 
meines Wissens die einzigen in Wasser löslichen Salze. Im 
Wasserextrakte aus Thymus kommt das Histonnucleinat höchst- 
wahrscheinlich als Ka-Verbindung vor. Dasselbe muß aber, wie 
ich später zeigen werde, seiner Konstitution nach als ein saures- 
Salz der Nucleinsäure und des basischen Histon aufgefaßt werden, 


Chemische Untersuchungen der lIymphatischen Organe. 133 


welches sich mit Alkali zu einem neutralen Salze verbindet. 
Übrigens ist es nicht unwahrscheinlich, daß mehrere Alkalisalze 
existieren. Ich habe gesehen, daß das frisch ausgefällte nuclein- 
saure Histon-Alkalı blaues Lackmuspapier deutlich rötet. 


Wirkung von Alkalien und alkalischen Erden. 


Setzt man zu einer Lösung des nucleinsauren Histons Alkali, z. B. 
Natronlauge, so sieht man zunächst keine Änderung. Erst bei 
15 bis 20 Proz. NaOH tritt eine Opaleszenz und später ein Niederschlag von 
Histon auf. 

Dagegen gibt Ammoniak, bis zu 5 bis 6 Proz. zugesetzt, schon einen 
Niederschlag von Histon. Man braucht somit eine weit geringere Menge 
Ammoniak als Natron, um den Histon- Niederschlag hervoızubringen. 
Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer. Das Histon wird 
auch von NaOH abgespalten, nicht aber bei dieser Alkaleszenz ausge- 
geschieden. Ich habe bereits in meiner Histonarbeit gezeigt, daß der 
Histon-Niederschlag sich schon in 0,1-proz. NaOH wieder löst, und bei 
diesem Na0OH-Gehalt wird das nucleinsaure Histon noch nicht zerlegt. 
Auch habe ich dort gefunden, daß 20 Proz. Natriumhydroxyd wieder das 
Histon zur Fällung bringen, was man auch hier sieht. Dagegen ist das 
Histon viel schwieriger in Ammoniak löslich und wird deswegen, wenn 
einmal abgespalten, bei derselben Alkaleszenz auch ausgeschieden. 


Versetzt man eine Lösung des nucleinsauren Histon-Alkalis mit einigen 
Tropfen Barytwasser, so bildet sich augenblicklich ein reichlicher, 
weißer Niederschlag, welcher sehr schwer sowohl in Alkalien und Säuren 
als Salzlösungen löslich ist. Ebenso verhält sich auch Kalkwasser. 
Hier ist somit eine ganz andere Reaktion als nach dem Zusatze der 
betreffenden Salze eingetreten. Untersucht man das Filtrat dieses Nieder- 
schlages, so kann man eine schöne Biuretreaktion bemerken. Weiter geben 
hier Essigsäure, Salzsäure und Ammoniak keine Fällung. Wenn man 
aber zuerst das Filtrat neutralisiert, gibt der nachfolgende Zusatz von 
Ammoniak einen reichlichen Niederschlag von Histon, welches somit 
nicht direkt aus dem barythaltigen Filtrate durch Ammoniak ausgefällt 
werden konnte. 


Es war dann weiter nicht ohne Interesse, zu untersuchen, ob der 
Niederschlag nach Barytwasserzusatz aus Nucleinsäure bestand. Das 
war nicht der Fall, da er eine deutliche Biuretreaktion gab. Wenn man 
aber die Versuchsanordnung in der Weise abänderte, daß man die Lösung 
des nucleinsauren Histon-Alkalis langsam in das Barytwasser goß, so er- 
hielt man eine vollständige Spaltung: alles Histon war in Lösung 
geblieben, und der Niederschlag bestand aus reiner Nu- 
cleinsäure. 


Baryt- und Kalkwasser zerlegen somit das nucleinsaure Histon in 
seine Komponenten. 


Diese Wirkung des Barytwassers ist schon von Kossel zur Dar- 
stellung der Nucleinsäure benutzt worden. Kossel hat auch gezeigt, 
daß die Nucleinsäure als basisches Salz ausgefällt wird, welches mit 
Essigsäure in das-leichtlösliche saure Baryumsalz umgesetzt wird. Ganz 
ebenso verhielt sich auch meine Nucleinsäure. 


134 Ivar Bang, 


Einwirkung von Säuren. 


Leitet man anhaltend Kohlensäure durch eine Lösung von nuclein- 
saurem Histon-Alkali, so kommt es langsam zu einer Fällung von nuclein- 
saurem Histon, welche jedoch immer ganz unvollständig ist. Einige 
Tropfen Essigsäure geben einen ähnlichen Niederschlag, welcher aber 
bei Abwesenheit von Kochsalz absolut quantitativ ist. Die Gegenwart 
von Kochsalz hindert somit die vollständige Ausfällung, eine Beobachtung, 
die man auch bei anderen Nucleoproteiden machen kann. Der Nieder- 
schlag löst sich sehr leicht auf Zusaiz einer Spur von Alkali und wird 
aus der Lösung bei Zusatz von Chlorcaleium oder von Essigsäure nieder- 
geschlagen. Setzt man aber Essigsäure unvorsichtig im Überschuß hinzu, 
oder wird das nucleinsaure Histon mehrere Male mit Essigsäure gefällt, 
so beobachtet man sehr merkliche Veränderungen. Der Körper bleibt 
zwar immer leicht in Alkali löslich und wird auch von Chlorcalecium 
niedergeschlagen, die Chlorcalcium-Fällung löst sich aber sehr unvoll- 
ständig in verdünnten Neutralsalzlösungen;,:quillt dagegen zu 
einer voluminösen, gelatinösen Masse auf, welche zwar von Kochsalz bei 
Sättigung gefällt, aber nur äußerst unvollständig gespalten wird. Man 
kann sich auch leicht überzeugen, daß die Essigsäure etwas Histon ab- 
spaltet, eine Spaltung, welche bei der Anwendung konzentrierter Essig- 
säure nicht unbedeutend ist. 

Mineralsäuren spalten die Verbindung unter Umständen voll- 
ständig. Setzt man vorsichtig ganz geringe Spuren hinzu, so wird das 
nucleinsaure Histon als solches ausgeschieden, aber schon 0,3-proz. HCl 
spaltet die Verbindung ziemlich vollständig unter Ausscheidung der 
Nucleinsäure in käseähnlichen weißen Klumpen. Gewöhnlich ist auch 
das Filtrat milchähnlich getrübt von sehr fein ausgeschiedenen Nuclein- 
säureresten, die sich nur langsam absetzen. In der Lösung kann man 
das Histon nachweisen. 

Der Nucleinsäure-Niederschlag enthält kleine Mengen Histor, die 
durch Auflösen und Fällen mit Salzsäure entfernt werden Können. 
Übrigens habe ich in allen Spaltungsversuchen gefunden, daß die Nuclein- 
säure den letzten Rest Histon besonders schwierig abgibt — eine Be- 
obachtung, die auch Schmiedeberg beim nucleinsauren Protamin aus 
Lachssperma gemacht hat. 


c) Sonstige Eigenschaften des nucleinsauren Histons. | 


Versetzt man das nucleinsaure Histon-Alkalı in wässeriger 
Lösung mit Alkohol, so erhält man keinen Niederschlag, die 
Lösung bleibt wasserklar. Fügt man einige Tropfen Kochsalz- 
lösung hinzu, so fällt das nucleinsaure Histon-Alkali nieder und 
zwar bei genügendem Zusatz quantitativ. Der Niederschlag 
bleibt leicht in Wasser löslich, und gibt die gewöhnlichen Reaktionen. 

Ganz anders verhält sich die Sache, wenn man von einer 
Lösung von nucleinsaurem Histon-Alkali ausgeht, die mindestens 
5 Proz. Kochsalz enthält. In diesem Falle bildet sich sofort 
auf Alkoholzusatz ein Niederschlag. Dieser besteht aber nicht 
aus dem unveränderten Körper, sondern aus Nucleinsäure 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 135 


(mit ein wenig Histon), während der Hauptanteil des Hıistons sich 
in dem Alkohol befindet und hieraus durch Ammoniak, am besten 
nach Verdampfung des Alkohols, niedergeschlagen werden kann. 
Der Nucleinsäure-Niederschlag hält den Histon-Rest sehr fest 
zurück, weshalb man ihn zur Entfernung desselben mehrere Male 
umfällen muß. 

Ebenso wie man ohne Gefahr das nucleinsaure Histon-Alkali 
aus einer kochsalzarmen Lösung mit Alkohol ausfällen kann, läßt 
sich auch der unlösliche nucleinsaure Histonkalk ohne Schaden mit 
Alkohol behandeln. Ich habe solche Präparate längere Zeit unter 
Alkohol verwahrt, ohne daß eine Veränderung eingetreten wäre: 
Der Körper war immer in 2-proz. Na Cl-Lösung löslich u. s. w. 

Wenn man dagegen nach der Alkoholeinwirkung den Körper 
mit Äther behandelt, resultiert ein schneeweißes, feines Pulver, 
welches ganz unlöslich ist. Ebenso verhält sich auch das 
Alkalisalz. 

Eine Lösung des nucleinsauren Histon-Alkalis koaguliert beim 
Kochen, wenn Kochsalz dabei ist. Sonst nicht. 

Das nucleinsaure Histon gibt eine schöne Biuretreaktion. 
Millons Reagens gibt in der Kälte einen weißen Niederschlag, 
beim Kochen eine rote Lösung. 

Auf Grund der Erfahrungen über das nucleinsaure Histon, 
die ich hier mitgeteilt habe, läßt sich die Darstellung desselben 
aus Thymus wesentlich vereinfachen. 


Vereinfachte Methoden zur Darstellung des 
nucleinsauren Histons. 


Zunächst habe ich den Chlorcaleium-Niederschlag in 2-proz. Koch- 
salzlösung gelöst und nicht in 5 bis 10-prozentiger. Weiter habe ich 
die Dialyse des Filtrates unterlassen und dafür das gleiche Volum 
Wasser zugesetzt. Das nucleinsaure Histon-Alkali schlägt sich 
nieder, wird in Wasser gelöst, mit Chlorcalecium wieder gefällt u. s. f. 
Diese einfache Methode ist aber mit einem Mangel behaftet: die 
Filtration des 2-proz. Kochsalz-Extraktes geht langsam von 
statten, das Filtrat ist anfangs undurchsichtig, und man muß 
immer wieder das Filtrat zurückgießen. Nach vielen Stunden 
ist endlich das Filtrat ganz klar geworden, aber nun geht auch 
die Filtration äußerst langsam vor sich und ist erst nach Tagen 
beendet. Das Kochsalz-Extrakt verfällt dabei ziemlich bald der 
Fäulnis, während das klare Filtrat sehr widerstandsfähig ist. Ver- 
mehrt man den Salzgehalt, so wird auch die Zersetzung gehindert, 
und die Filtration geht viel schneller vor sich. 


136 Ivar Bang, 


Diese Schwierigkeit kann man auf zweierlei Weise beseitigen: 
Entweder man benutzt ein anderes Salz, z. B. Ammonsulfat zur 
Lösung der Kalkfällung, oder auch man behandelt den Chlorcalcium- 
Niederschlag zuerst mit Alkohol und läßt nun die 2-proz. 
Na 0l-Extraktion folgen. 

Nach der ersten Methode verreibt man den Chlorcalcium-Nieder- 
schlag aus etwa 500 g Thymus innig mit 300 ccm halbgesättigter Ammon- 
sulfatlösung in der Reibschale. Die dickflüssige, grauweiße Mischung 
ist unbegrenzte Zeit haltbar. Die Filtration geht sehr rasch von statten, 
und aus dem wasserklaren Filtrat wird das nucleinsaure Histon-Ammoniak 
durch Sättigung mit Salz abgeschieden. Den Niederschlag löst man in 
viel Wasser — etwa 11 — fällt aufs neue mit Chlorcaleium und be- 
handelt den Niederschlag mit 2-proz. NaCl-Lösung, in welcher er sich 
schnell und vollständig löst. 

Viel bequemer ist die Alkohol-Methode. Der Chlorcaleium- 
Niederschlag wird zentrifugiert und das Filtrat abgegossen. Man 
fügt Alkohol (96 Proz.) hinzu, mischt gut und zentrifugiert aufs 
neue, ohne zu warten. Das Zentrifugieren ist nach 10 Minuten be- 
endet, der Alkohol wird abgegossen, und der Niederschlag wird 
mit destilliertem Wasser angerührt und nach einigen Stunden 
filtriert. Der Rückstand wird jetzt mit 50 bis 150 cem 2-proz. Koch- 
salzlösung in der Reibschale gut gemischt. Nach 24 Stunden 
kann man filtrieren. Die Filtration ist rasch beendet, das Filtrat 
ist ganz wasserklar, schwach bläulich fluoreszierend. (Gewöhnlich 
extrahiere ich den Rückstand noch einmal mit 2-proz. NaCl.) Nun 
kann man entweder das nucleinsaure Histon-Alkalı ausfällen, 
indem man den Kochsalzgehalt auf 1 Proz. herabmindert, den 
Niederschlag in Wasser lösen und aufs neue mit 0,2-proz. CaQl, 
ausfällen, oder man setzt auf einmal so viel Wasser (etwa 1 Liter) 
hinzu, daß das nucleinsaure Histon-Natrium gleich wieder in Lösung 
geht und fällt mit Chlorcalcium. Ich ziehe das erste Verfahren vor. 

Zur Darstellung der Analysenpräparate fällte ich zweimal 
(im ganzen also dreimal) mit Chlorcaleium. Nach Alkohol-Äther- 
Behandlung resultierte ein blendend weißes, feines Pulver, das 
nicht hygroskopisch war. 

Nach der ersten Methode stellte ich Präparat I dar, die übrigen 


nach der zweiten (und zwar nach beiden Modifikationen). Bei der Dar- 
stellung von Präparat III wurden die Extraktionen bei 0° vorgenommen. 


Das nucleinsaure Histon-Calcium enthält C, H, N, Ca, P, S, O und 
Asche. Da die Asche hauptsächlich aus phosphorsaurem Calcium*) be- 
steht, habe ich meine Resultate nicht auf aschefreie Substanz umge- 
rechnet. 


*) Die Asche enthält jedenfalls nicht NaCl. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 137 
Ö H N S R Ca Asche 
Präp. I |43,60°/, | 5,70°/, | 16,76°/, _ 5:49°,.1 129%, 1,.86%°/ 
43,92, | 5,36 „ 116,81 „| 0,53% | 9,9395 8,76 „ 
Be 143,54 „ | 5,76 17.034, _ 5,155,” 71709, 783, „ 
EV E _ — 330’ /, | DORELCPEOR u 
EV _ _ _ 933... | 5145. 187% — 
VI = _ | = 048 ....|-9,22: I.7E,; - 
Mittel ||43,69°/, | 5,60°/, | 16,87°/,| 0,47 °/, | 5,23 7. 14,71 7, Be 


Aus den Analysen geht hervor, daß das nucleinsaure Histon- 


Calcium eine konstante, 


hängige Zusammensetzung hat. 


Nucleoproteid sul generis, 


Phosphorgehalt besitzt. 

Vergleicht man das Resultat meiner Analysen mit jenen von 
Huiskamp und Malengreau, so findet man einen Unterschied 
ganz in Übereinstimmung mit dem, was man auf Grund der Kritik 
der Darstellungsmethoden erwarten konnte: 


von den Darstellungsmethoden unab- 
Das nucleinsaure Histon ist ein 
welches einen ungewöhnlich 


hohen 


a a 5 


Huiskamp 
Malengreau 


Bang 


N S pP Ca 
| 
. |45,01%/,| 6,49%/, | 16,96°/, , 0,50°/, | 8,7297, | 1,33%, 
Er he = ar ee 
. |as,69°/, | 5,600/, | 16,87°/,| 0,47%, | 5,28 „ | 1,71%, 


Malengreaus Körper weicht in seinem P-Gehalte nicht be- 
sonders von der reinen Substanz ab, während Huiskamps Nucleo- 
histon etwa 30 Proz. Verunreinigungen enthält — vorausgesetzt, 
daß sie phosphorfrei sind. 


Berechnet man aus den Analysen die empirische Formel, 


ergibt sich, wenn man vom Calcium ausgeht: 
Cs5 Hıso Nas S 0,34 Pı Ca Oss. 

Der Schwefel fordert, wie man sieht, die Verdreifachung dieser 
Formel: n (C255 H390 Nsı S Pız Cas O114) mit einem Molekularge- 
wicht von mindestens: 6974. 


so 


Berechnet 1 43,88 | 5,60 | 16,87 046 | 53 | 12 
Gefunden | 43,69 | 5,60 16,87 | 0,47 5,23 1,71 


Für das „Nucleohiston“ 


hat Huiskamp die empirische Formel 


N(Cyag Haag Nz5 SP, Ca, O,,) aufgestellt mit einem Molekulargewicht — 5974. 
Bei Vergleich mit meiner Formel sieht man den nicht unbedeutenden 


138 Ivar Bang, Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 


Unterschied zwischen unseren Resultaten. So findet man bei Huiskamp 
das Verhältnis 1 Ca:3,5P:0,5S und beimir 1Ca:4 P:0,33 S. Ich habe 
schon bei der Kritik der Darstellungsmethode Huiskamps mein Urteil 
über seinen Körper abgegeben. 


Ich glaube meine Substanz nach einer Methode, gegen welche 
kaum berechtigte Einwände erhoben werden können, dargestellt 
und mit Sicherheit ihre elementare Zusammensetzung festgestellt 
zu haben. Hiermit haben wir einen guten Ausgangspunkt zur 
Erforschung der rationellen Zusammensetzung unseres Körpers ge- 
wonnen, und darin liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. 

Ich habe schon mehrmals erwähnt, daß das nueleinsaure Histon 
sich in mehrere Komponenten zerlegen läßt. Man kann die Ver- 
bindung auf verschiedene Weise spalten, durch Einwirkung von 
Baryt, Salzsäure, Kochsalz haltenden Alkohol und: Sättigung mit 
bestimmten Neutralsalzen. | 

Bei den später mitzuteilenden Untersuchungen habe ich meine 
ursprüngliche Methode, Sättigung mit Kochsalz, benutzt. Die 
Resultate derselben bleiben der nächsten Mitteilung vorbehalten. 


IX. 
Zur Kenntnis der Verdauungs- und Resorptions- 
voreänge im Magen. 
Von Dr. Felix Reach (Karlsbad). 


Aus dem physiologisch -chemischen Institut in Straßburg. 


Die Frage, wie weit der Abbau der Eiweißkörper im Magen- 
darmkanale geht, und in welcher Form sie zur Resorption ge- 
langen, ist in den letzten Jahren Gegenstand lebhafter Diskussion 
gewesen. Früher nahm man ziemlich allgemein an, daß diese 
Form hauptsächlich die der Peptone wäre. Die nähere Kenntnis 
der Eiweißkörper, sowie der proteolytischen Fermente haben 
jedoch unsere Anschauungen wesentlich geändert. Hinsichtlich 
der Magenverdauung im besonderen war es bis vor kurzem strittig, 
ob die Peptone die letzten Spaltuugsprodukte seien, die die 
Magenfermente aus dem Eiweiß bilden können. Durch neuere 
Untersuchungen, namentlich von Lawrow*) und Langstein**), 
ist es jedoch außer Zweifel gesetzt, daß auch diese Fermente 
krystallinische Endprodukte bilden. Dies wird nun allerdings in 
vitro, namentlich bei Anwendung von Pepsinpräparaten erst nach 
sehr lange dauernder Verdauung nachweisbar. Aber auch aus 
anderen Gründen dürfen solche Resultate nicht ohne weiteres auf 
den lebenden Organismus übertragen werden; die Versuche mit 
künstlicher Verdauung können schon darum keinen erschöpfenden 
Aufschluß darüber geben, wie die Aufspaltung im Magen wirklich 
abläuft, weil der in vita gegebene, von nervösen Einflüssen sinn- 
voll geregelte Fortgang der Sekretion, Resorption und mechanischen 
Weiterbeförderung vorläufig keine befriedigende Nachahmung im 
Experiment gestattet. Ich erinnere überdies daran, daß die Art 
der Darstellung der Fermente auf ihre Wirksamkeit von nicht 
unwesentlichem Einflusse ist. So konnte Glaessner***) zeigen, 
daß die ganze Magenschleimhaut Pseudopepsin bildet, ein Ferment, 


*) Lawrow, Zeitschr. f. physiolog. Chemie 26. 
**) Langstein, Diese Beiträge 1. 
***) Glaessner, Diese Beiträge 1. 


140 Felix Reach, 


dessen Wirkung unter anderem durch das Auftreten der Trypto- 
phanreaktion kenntlich ist und das in den gebräuchlichsten Pepsin- 
präparaten zu fehlen pflegt. 

Bei jenen Versuchen‘ bei denen der Verdauungsvorgang im 
lebenden Magen mit Hülfe der Analyse des Mageninhalts unter- 
sucht wurde, waren stets nur wenig Peptone und entferntere 
Verdauungsprodukte nachweisbar. Ich verweise in dieser Richtung 
insbesondere auf die jüngsten Untersuchungen von Zunz*), denen 
sich die meinigen hinsichtlich der Versuchsanordnung anschließen. 

Zunz untersuchte den Inhalt des Magens (und Dünndarms) 
von Hunden bestimmte Zeit nach der Mahlzeit und war bemüht, 
durch sorgfältige Bestimmungen die im Magen auftretenden Ver- 
dauungsprodukte quantitativ zu ermitteln. Ein Teil der Versuche 
wurde an intakten Tieren ausgeführt, in einem anderen Teile 
unterband er den Pylorus so, daß die Fortschaffung der Ver- 
dauungsprodukte aus dem Magen in den Darm verhindert war. 
Mit überraschender Regelmäßigkeit fand er, wenn er Hunden ge- 
kochtes Fleisch verabreicht hatte, annähernd 90 Proz. des nicht 
koagulabeln Stickstoffs in Form von Albumosen wieder, ohne daß 
die Dauer der Verdauung darauf von merklichem Einflusse ge- 
wesen wäre. 

Dieses Verhalten läßt sich in doppelter Weise deuten: ent- 
weder es stellt die Bildung einer Verdauungslösung mit 90 Proz. 
Albumosenstickstoff einen Grenzwert für die im Magen überhaupt 
erreichbare Verdauungswirkung dar, oder die Zusammensetzung der 
im Magen befindlichen Verdauungslösung wird durch die Resorption 
der entfernteren Verdauungsprodukte derart geregelt, daß ihr Stick- 
stoffgehalt den Grenzwert von etwa 10 Proz. des Gesamt-N der Ver- 
dauungslösung nicht übersteigt. Durch Weiterbeförderung in den 
Dünndarm könnte diese Regelung nicht erfolgen — eine Sonderung 
der in Lösung befindlichen Albumosen und der anderen Produkte 
wäre so schlechterdings unverständlich — sondern sie könnte nur 
dadurch bewirkt sein, daß ein Teil der Verdauungsprodukte schon 
im Magen resorbiert wird. Es ist von vornherein mit Zunz an- 
zunehmen, daß dieser Resorption die krystallinischen Endprodukte 
in höherem Maße anheim fallen, als die nicht krystallinischen 
Peptoide und Peptone, und diese letzteren wieder in höherem 
als die noch weniger diffusibeln Albumosen. 


Welche von diesen zwei Möglichkeiten zutrifft, läßt sich durch 
einen einfachen Versuch prüfen. Bringt man den beiderseits 


*) Zunz, Diese Beiträge 93. 


Zur Kenntnis der Verdauungs- und Resorptionsvorgänge im Magen. 14] 


unterbundenen Magen eines verdauenden Hundes sofort nach Ent- 
nahme in eine feuchte, auf Körpertemperatur gehaltene Kammer, 
so wird die Resorption, soweit sie durch das kreisende Blut ver- 
mittelt wird, aufgehoben, während die Bedingungen der chemischen 
Spaltung zunächst die gleichen bleiben wie im Leben. Von 
Resorptionsvorgängen kann dann allenfalls für die erste Zeit eine 
Aufnahme von Verdauungsprodukten seitens der Magenmucosa in 
Frage kommen, die aber bei dem Umstande, daß die Beförderung 
der aufgenommenen Produkte ausgeschlossen ist, nur mit einem 
sehr niedrigen Wert veranschlagt werden kann. Daß bei einem 
derart isolierten Magen noch eine merkliche Sekretion fortbesteht, 
ist zu bezweifeln; jedenfalls ist eine Veränderung in der Zu- 
sammensetzung des Mageninhalts durch hineingelangtes Sekret 
nicht anzunehmen. Es muß sich daher bei dieser Anordnung 
zeigen, ob die während des Lebens in den Magen übertretenden 
Fermente in ihrer Wirkung bei dem beobachteten Grenzwert von 
etwa 90 Proz. Albumosen-N halt machen oder nicht. 


Dem Gesagten entsprechend prüfte ich diese Frage unter 
Anwendung folgender Versuchsanordnung: Mittelgroße Hunde, die 
zwei Tage gefastet hatten, wurden mit ausgekochtem Fleisch ge- 
füttert; zwei Stunden hernach wurde der Magen an beiden Enden 
abgebunden und herausgenommen. Die Verdauung wurde nun 
noch durch 4 Stunden bei Bluttemperatur in der feuchten Kammer 
fortgesetzt. Nach dieser Zeit wurde der Mageninhalt entleert, 
mit Wasser versetzt, neutralisiert und das Eiweiß durch Koagulation 
ausgefällt. Im Filtrat wurde die Stickstoffverteilung ermittelt. 


Es wurde nach Kjeldahl bestimmt: 


1. Der Gesamt-N. 

2. Der Stickstoff der durch Sättigung mit ZnSO, bei saurer 
Reaktion fällbaren Substanzen nach Zunz: „Albumosen-N.“ 

3. Der Stickstoff der aus saurer mit ZnSO, gesättigter Lösung 
durch Pikrinsäure fällbaren Stoffe: „Pepton-N.“ 


Im Hinblick auf den letzten Punkt bedarf es einer erläuternden 
Bemerkung. Zur Trennung der Peptone, Peptoide [noch komplexer 
aber keine Biuretreaktion mehr gebender Substanzen*)] und 
krystallinischen Endprodukte mangelt es zur Zeit noch an einer 
vollkommenen Methode. Die vielfach angewandte Phosphorwolf- 
ramsäurefällung scheidet mit den Peptonen mindestens auch 
gewisse Endprodukte wie das Histidin, Arginin und Lysin ab. — 


*) Hofmeister in „Ergebnisse der Physiologie“, herausgegeben von 
Asher und Spiro, I. Jahrgang, S. 786. 


142 Felix Reach, 


Salieyl-Sulfonsäure soll zwar nach Mac Williams die Peptone 
in mit Ammoniumsulfat gesättigter Lösung ausfällen, ich kann 
jedoch nicht bestätigen, daß diese Fällung eine quantitative ist, 
fand vielmehr bei Anstellung entsprechender Versuche im Filtrate 
stets eine, wenn auch schwache, Biuretreaktion. Außerdem wäre 
diese Art der Fällung für die Messung durch Stickstoffbestimmung 
wegen des verwendeten Ammonsulfats unbrauchbar. Aber auch 
bei Anwendung von Zinksulfat statt Ammonsulfat kann man die 
Biuretreaktion nicht vollständig zum Verschwinden bringen. Hin- 
gegen gelang mir dies durch Ausfällen der mit Zinksulfat ge- 
sättigten Lösung mit Pikrinsäure. 

Das durch Zinksulfatsättigung nach Zunz erhaltene albumosenfreie 
Filtrat wurde nochmals in stärkerem Maße angesäuert (auf 10 Teile 
Filtrat 1 Teil verdünnter Schwefelsäure), dann wurde Pikrinsäure in 
Substanz im UÜberschusse zugesetzt. Dieses Gemenge wurde zur Lösung 
der Pikrinsäure eine kurze Zeit bei 40° gehalten und nach dem Abkühlen 
filtriert. Um ein klares Filtrat zu erbalten, war es stets nötig, vor dem 
Filtrieren die Flüssigkeit mit etwas Talkum zu schütteln. Das Filtrat 
wurde zur Entfernung der Pikrinsäure wiederholt mit Ather kräftig aus- 
geschüttelt. Bereits nach dem zweiten Schütteln war die Farbe der 
Pikrinsäure in der Regel vollständig aus der wässerigen Lösung ver- 
schwunden, doch wurde dann stets noch zweimal geschüttelt. Auf diese 
Art konnte sowohl aus Witte-Pepton als auch aus dem Verdauungs- 
gemisch von Fleisch oder Fibrin ein vollkommen biuretfreies Filtrat er- 
halten werden. Ich überzeugte mich ferner, daß Arginin und Histidin 
in mit Zinksulfat gesättigter Pikrinsäurelösung löslich sind. Inwieweit etwa 
andere Körper, die nicht Peptone sind, bei diesem Verfahren aus Ver- 
dauungsgemischen gefällt werden — beim Lysin ist es von vornherein sehr 
wahrscheinlich -- muß noch Gegenstand der Untersuchung sein. 

Im folgenden sollen der Kürze halber alle Substanzen, welche 
aus zinksulfatgesättigter Lösung durch Pikrinsäure gefällt werden, 
schlechtweg als „Peptone“, der Rest als „Endprodukte“ bezeichnet 
werden. 


Über die Ergebnisse der Tierversuche gibt die folgende 
Tabelle Aufschluß: 


| Im verflüssigten Mageninhalt gefunden in Prozenten | 


Be | Vene | des nichtkoagulabeln Gesamt-Stickstoffs in Form von 
suchs- Fleisch- 
Nr. menge Peptonen und 
| Albumosen | Peptonen Endprodukten Endprodukten 
1 1008 | 564 = ar 43,6 
2, 2008 48,7 19,9 31,4 1,3 
3. 300 8 32,2 35,0 32,8 67,8 
4 4008 | 37,9 30,1 | 32,0 62,1 


Die Zahlen zeigen zunächst für jene drei Fälle, in denen die „End- 
produkte“ gesondert bestimmt wurden, übereinstimmend etwas 


Zur Kenntnis der Verdauungs- und Resorptionsvorgänge im Magen. 143 


mehr als 30 Proz. des Gesamtstickstoffes in dieser Form. Für 
die „Peptone“ schwanken die Werte zwischen 19 und 35 Proz., 
für die Albumosen zwischen 32 und 56 Proz. Im Vergleiche mit 
den oben erwähnten Ergebnissen von Zunz geht daraus hervor, 
daß der bei intravitaler Verdauung gefundene Wert von etwa % Proz. 
Albumosen-Stickstoff nicht in einer Beschränkung der Ferment- 
wirkung seinen Grund hat, sondern in einem gleichzeitig statt- 
findenden selektiven Resorptionsvorgang, durch welchen die neben 
den Albumosen entstehenden oder von ihnen abstammenden 
einfacheren Produkte — Peptone, Peptoide, vielleicht auch 
krystallinische Endprodukte — sobald ihre Menge eine gewisse 
Größe (etwa 10 Proz. des Gesamt-N) überschreitet, rasch ent- 
fernt werden. 


In obiger Tabelle zeigt sich weiter, daß bei größerer Fleischration 
die relative Menge der Albumosen kleiner, die der Peptone und End- 
produkte größer, also die Verdauung weiter fortgeschritten war, was 
sich vielleicht durch stärkere Anregung zur Sekretion erklären läßt. Die 
Versuchsreihe ist jedoch zu klein, um in dieser Hinsicht zu weitgehenden 
Schlüssen zu berechtigen. 


Im Anschlusse an diese Mitteilung möge eine Notiz über das 
Pseudopepsin Platz finden. Glaessner*) konnte dieses Ferment 
durch folgende Merkmale vom Pepsin unterscheiden: Seine 
Wirkung hat nicht nur bei saurer, sondern auch bei neutraler und 
schwach alkalischer Wirkung statt und führt zur Bildung von 
Proteinochromogen. Es ist minder widerstandsfähig als das Pepsin, 
so daß die von Glaessner geübte Darstellung der Fermente durch 
Uranylfällung nur zu Pepsinlösungen führt. Die pars pylorica 
produziert nur Pseudopepsin. — Klug**) hat neuerdings die 
Existenz des Pseudopepsins bestritten. 

Im Hinblick auf die Differenz zwischen der Wirkung des 
Magensekrets in vita und künstlicher Pepsinpräparate in vitro 
dürfte es nun von Interesse sein, daß auch andere Maßnahmen 
als die Uranylfällung einerseits bei der beide Fermente be- 
herbergenden Fundusschleimhaut zu wirksamen Fermentlösungen 
führen, die die Wirkung des Glaessnerschen Pseudopepsins hicht 
mehr haben, andererseits bei der nach Glaessner bloß Pseudo- 
pepsin bildenden Pylorusschleimhaut die Fermentwirkung über- 
haupt aufheben. Vollständig erreicht man dieses Verschwinden 
der Pseudopepsinwirkung, wenn man die Schleimhaut nach der 
Zerkleinerung auf Tonplatten lufttrocken werden läßt und dann 
mit Quarzsand zu einem feinen vollständig trockenen Pulver zer- 


*) Glaessner, |. c. 
**) Klug, Pflügers Archiv 9%. 


144 Felix Reach, Zur Kenntnis der Verdauungs- und Resorptionsvorgänge usw. 


reibt. Bei Behandlung mit Alkohol ist ein ähnlicher Erfolg zu 
verzeichnen, doch minder vollkommen insofern, als eine mit 
Alkohol geschüttelte und mehrere Wochen in demselben aufbe- 
wahrte Pvlorusschleimhaut durch Digestion bei schwach alkalischer 
Reaktion immer noch ein Extrakt gibt, das koaguliertes Blut- 
serum (in Mettschen Röhrchen) bei saurer Reaktion merklich 
verdaut. — Bei kürzer dauernder Behandlung mit Alkohol wird 
das Pseudopepsin noch weniger zerstört. 

Es ist zu vermuten, daß der quantitative Unterschied, der 
hinsichtlich der verschiedenen Verdauungsprodukte zwischen der 
Verdauung in vita und jener in vitro besteht, wenigstens zum Teil 
auf der Abwesenheit des Pseudopepsins in den künstlichen Pepsin- 
präparaten beruht. Jedenfalls ist das Pseudopepsin weiterer 
Untersuchungen wert. | 


; 
Zur Kenntnis der Ochronose. 
Von Dr. med. et phil. Leo Langstein. 


(Aus dem patholog. Institut des Krankenhauses Friedrichshain in Berlin. 


Vorsteher: Prof. v. Hanseman.n.) 


Im Jahre 1866 teilte Virchow ') mit, daß er bei einer von 
ihm obduzierten Leiche eine intensive Schwarzfärbung fast sämt- 
licher Knorpel gefunden habe. Er gab diesem bisher noch nicht 
bekannten pathologisch-anatomischen Bild den Namen „Ochronose“. 

Bis zum heutigen Tage sind außer diesem klassischen Fall 
Virchows noch fünf weitere bekannt geworden. Dieselben sind 
beschrieben von Boström ??), von v. Hansemann’°), von Heile *), 
von Hecker und Wolf°), der letzte aus Wien von Albrecht‘) 
und Zdarek'). | 

So genau wir durch die gründlichen Untersuchungen der ge- 
nannten Forscher über die bei der Ochronose gefundenen ana- 
tomischen Veränderungen orientiert sind, unsere Einsicht in das 
Wesen dieses seltenen pathologisch-anatomischen Bildes haben 
sie nicht gefördert; denn ein tieferes Verständnis desselben kann 
uns naturgemäß nur das Studium der chemischen Veränderungen 
gewähren, denen der Knorpel in diesen Fällen unterlag. Ein 
solches bietet jedoch erst Aussicht auf Erfolg, seit uns die bio- 
chemische Forschung die Zusammensetzung des normalen Knorpels 
gelehrt hat, was erst in den 90er Jahren, also lange, nachdem die 
ersten Fälle von Ochronose beschrieben waren, der Fall war; aller- 
dings konnten auch vorher gewisse Anhaltspunkte über die 
chemische Natur des Prozesses, der die Schwarzfärbung der 
Knorpel hervorrief, durch ein eigentümliches Verhalten des Harns 
gewonnen werden, das in der Mehrzahl der Fälle sicher vorhanden 
war und von den Autoren mit dem Namen „Melanurie“ be- 
zeichnet wurde. 

Der Harn zeigte nämlich — ich betone dies ausdrücklich — 


bei der Entleerung eine dunkelschwarze Farbe; nur in zwei 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 10 


146 Leo Langstein, 


Fällen wird angegeben, daß der Harn mit normaler Farbe gelassen 
und erst allmählich beim Stehen an der Luft tief dunkel wurde. 


Es muß wundernehmen, daß genauere Untersuchungen über 
die Natur des die Schwarzfärbung des Harnes bedingenden Körpers 
nicht vorliegen, wenn man bedenkt, daß einige der Autoren an- 
geben, das betreffende Individuum habe jahrelang vor seinem Tode 
dunkelgefärbten Urin entleert; allerdings gewann ja diese anam- 
nestische Angabe erst ihre Bedeutung durch das Ergebnis der 
Obduktion, also zu einer Zeit, da es zu einer systematischen Harn- 
untersuchung meist schon zu spät war. 


In Betreff der Erklärung des veränderten Chemismus glaubt 
Virchow an die Verwandtschaft des Farbstoffes mit Hämatin- 
derivaten; Boström, Heile, Hecker und Wolf reihen ihn in 
die Gruppe der Melanine. Zu einer anderen Auffassung kamen 
Albrecht und Zdarek, die den Wiener Fall eingehender unter- 
suchten. 

Dieser, während seiner letzten Lebenstage auf der Abteilung von 
Kovacs beobachtet, entleerte einen dunkel bis schokoladebraun gefärbten 
Harn, der auf Zusatz von Kupfersulfat dunkelrot wurde. Manchmal soll 
der Harn auch mit natürlicher Farbe gelassen worden sein und erst beim 
Stehen nachgedunkelt haben. 

Als die Obduktion den Befund der Ochronose ergab, wurde der 
Residualharn (20 cem) von Zdarek im Ludwigschen Laboratorium 
genauer untersucht. Das Ergebnis war folgendes. Der Harn reduzierte 
Fehlingscke Lösung und ammoniakalische Silberlösung. *Die wässerige 
Lösung der durch Ather extrahierten Substanzen gab mit verdünnter 
Eisenchloridlösung eine rasch verschwindende Grünfärbung. Homogentisin- 
säure oder Uroleucinsäure darzustellen gelang nicht. Der die Schwarz- 
färbung bedingende Körper, aus Knorpei und Harn dargestellt, war stick- 
stoffhaltig und nicht in krystallisiertem Zustand zu gewinnen. Die Unter- 
suchung der Knorpel auf Chondroitinschwefelsäure zeitigte kein irgendwie 
verwertbares Resultat. 

Albrecht und Zdarek nehmen auf Grund der chemischen 
Untersuchung an, daß bei der Bildung des schwarzen Farb- 
stoffes in den Knorpeln die Chondroitinschwefelsäure eine gewisse 
Rolle spielt, indem ein Abkömmling der Alkaptonsäuren (Homo- 
gentisinsäure und Uroleucinsäure) in einer bis jetzt nicht näher 
charakterisierten Art und Weise in Verbindung mit diesem 
charakteristischen Derivat des- Knorpels tritt; die Schwarzfärbung 
des Harnes leiten die genannten Forscher von der Ausscheidung 
einer Alkaptonsäure oder eines Derivates derselben ab. Die An- 
schauung jedoch, daß der schwarze Farbstoff im Knorpel und 
Harn ein Derivat des Blutfarbstoffs oder den Melaninen verwandt 
sei, weisen sie von der Hand. 


Zur Kenntnis der Ochronose. 147 


Nach dieser Auffassung ist die Ochronose das pathologisch 
anatomische Bild der von Baumann‘) entdeckten interessanten 
Stoffwechselanomalie, der Alkaptonurie. 

Nicht vereinbar mit dieser Auffassung ist das im folgenden 
mitzuteilende Resultat der Untersuchung eines Harnes, der einem 
Falle von Ochronose entstammt. Ich verdanke denselben der großen 
Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. v. Hansemann, auf dessen An- 
regung ich die Untersuchung ausführte. 

Der Harn entstammte dem von v. Hansemann beschriebenen 
Fall von Ochronose, bei dem auch während des Lebens Melanurie 
bestand. Der Harn, in einer zugeschmolzenen Glasröhre aufbewahrt, 
war tintenschwarz gefärbt. Er reduzierte weder Fehling- 
sche Lösung noch ammoniakalische Silberlösung; durch 
Äther ließ sich keine Substanz extrahieren, die mit 
Eisenchlorid in der für Alkaptonsäuren charakte- 
ristischen Weise reagierte Homogentisinsäure und 
Uroleueinsäure ließen sich aus dem Harne nicht dar- 
stellen. Es fehlten also sämtliche Merkmale, die der 
Harn eines Alkaptonurikers zeigt. 

Schon die Färbung des Harnes war eine andere als die eines 
noch so lange aufbewahrten Alkaptonharns, der mir zum Ver- 
gleich glücklicherweise zur Verfügung stand und die Reaktion 
mit Eisenchlorid wie die Reduktionsproben in ausgesprochenster 
Weise zeigte. Die Farbe des Harns, der in dem von Hanse- 
mannschen Falle zur Ausscheidung gelangte, ähnelte mehr der 
einer Flüssigkeit, die Eiweißmelanine enthält. Hier war die 
Melanurie also sicherlich nicht durch die Ausscheidung einer 
Alkaptonsäure bedingt, und wir werden uns auf Grund dieses Er- 
gebnisses zu fragen haben, in wieweit die Anschauung Albrechts 
und Zdareks von einem engen Zusammenhang zwischen Alkap- 
tonurie und Ochronose zu Recht besteht. 

Eigentlich sprach in dem Wiener Fall nur eine einzige Re- 
aktion dafür, daß eine der beiden für Alkaptonurie charakteristischen 
Dioxysäuren mit dem Harn entleert wurde: das ist die Grün- 
färbung, die der Harn bei der Mischung mit verdünnter Eisen- 
chloridlösung annahm. Hingegen mißlang die Darstellung der 
Alkaptonsäuren, die auch bei Anwesenheit geringer Mengen immer 
zu einem Resultat führt, und die die Schwarzfärbung bedingende 
Substanz erwies sich als stickstoffhaltig. Die Reduktion im Sinne 
der Anwesenheit der Dioxysäuren zu verwerten, geht nicht an, 
da dieselbe nicht dem in den Äther übergegangenen Anteil des 
Harnes zukam, sondern dem nicht ätherlöslichen Rückstand. 

10* 


148 Leo Langstein, 


Aus alledem, zusammengehalten mit den Ergebnissen meiner 
Harnuntersuchung, geht wohl hervor, daß die Annahme einer 
genetischen Beziehung zwischen Alkaptonurie und Ochronose in 
den beobachteten Tatsachen kaum Rückhalt findet. Die Frage 
nach dem Wesen der Ochronose bleibt nach wie vor eine offene. 


Sich durch Ineision auf den Knorpel bei Alkaptonurie un- 
mittelbar Anschauung von dem Zustand derselben zu verschaffen, 
dürfte selten möglich sein. Infolge eines günstigen Zufalls kann 
ich aus eigener Erfahrung an einem von mir an der medizinischen 
Klinik in Basel viele Wochen lang beobachteten Fall mitteilen, 
daß die Ohrknorpel nicht die geringste Veränderung, nicht die 
Spur einer Verfärbung, aufwiesen*). Gegen den engen Zusammen- 
hang zwischen Alkaptonurie und Ochronose spricht ferner der Um- 
stand, daß bisher kein einziger Fall von jener beschrieben wurde, 
indem der Harn bei der Entleerung eine dunkle Farbe zeigte, — 
eine Angabe, die sich bei den bisher bekannt gewordenen Fällen 
von Ochronose verhältnismäßig häufig findet. 


Der Annahme Albrechts, daß es sich bei der Ochronose um 
eine Stoffwechselanomalie handelt, wird man vollkommen bei- 
stimmen müssen; ob die Alkaptonurie dabei eine Rolle spielt, 
ist nicht ausgemacht. Ich neige mehr der Anschauung zu, daß 
wir es mit einer pathologischen Melaninbildung zu tun 
haben und zwar sowohl auf Grund der Beschaffenheit des von mir 
untersuchten Harnes, als auch wegen der nach anderer Richtung 
hin negativ verlaufenen Untersuchungen. 


Zur Stütze dieser Annahme können die neueren Forschungen her- 
angezogen werden, die sich mit der Melaninbildung aus Eiweiß befassen. 
In dieser Hinsicht besonders wichtig sind die Beobachtungen, die gezeigt 
haben, daß sich die Melanine im tierischen Organismus durch Ferment- 
wirkung bilden können. Ich erinnere nur an die interessanten Befunde 
von v. Fürth und Schneider®°), daß sich durch tierische Tyrosinase 
aus Tyrosin ein melaninähnliches Pigment bildet, sowie an das Experi- 
ment Pribrams!°), der durch frisch entnommenen Tintenbeutel von 
Sepia offieinalis Tyrosin in schwarzes Pigment überführte. Man könnte 
auch bei der Ochronose an eine fermentative Melaninbildung aus Tyrosin 
oder einer der anderen melaninbildenden Gruppen des Eiweißmoleküls, 
über die wir nun durch die Arbeiten Samuelys'!) genauer orientiert 
sind, denken. Die Färbung der Knorpel selbst beruht ja, wie v. Hanse- 
mann gezeigt hat, auf einer Imbibition mit dem gelösten Farbstoff, der 
wohl einem abnormen Verlauf des intermediären Stoffwechsels seine Ent- 


*) Ich glaube nicht, daß die Alkaptonurie eine so seltene Stoffwechsel- 
anomalie ist, daß bisher nur sechs Fälle zur Sektion gelangten. Bedenken 
wir doch, welch große Anzahl von Fällen mit Alkaptonurie allein von 
englischen Forschern gesehen wurde. 


Zur Kenntnis der Ochronose. 149 


stehung verdankt und sich durch Imbibition eben dort anhäuft, wo ein 
träger Stoffwechsel existiert, wie in Knorpeln, Sehnen, elastischen Mem- 
branen u. Ss. w. 


Literatur. 
1) Virchow, Virch. Arch. 1866, 37, 217. 
2) Boström, Festschrift für Virchow 2, 179. 
3) v. Hansemann, Berlin. klin. Wochenschr. 1892, S. 27. 
*) Heile, Virch. Arch. 160, 448, 4 u. 5. 
°5) Hecker u. Wolf, Festschr. zur Feier des 50jähr. Bestehens d. 
Stadt-Krankenh. zu Dresden. 
6) Albrecht, Zeitschr. f. Heilkunde. 1902, S. 366. 
?) Zdarek, Zeitschr. f. Heilkunde. 1902, S. 377. 
®) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 15, 228. 
®) v. Fürth u. Schneider, Diese Beiträge 1, 229 f. 
10) Pribram, H., Diese Beiträge 1, 241. 
!l) Samuely, Diese Beiträge 2, 355. 


xl, 


Der Brechungskoeffizient der Eiweißkörper des 
Blutserums. 
Von Dr. Emil Reiss. 


(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


Zur Differenzierung der Eiweißkörper des Blutserums wurde 
in letzter Zeit vorwiegend die Methode der fraktionierten Salz- 
fällung herangezogen. Man erhielt auf diese Weise drei Globulin- 
fraktionen, die — in vieler Beziehung einander gleich — sich 
immerhin durch einige Eigenschaften als chemisch verschieden 
erwiesen. In der Serumalbuminfraktion konnte ein krystallisieren- 
der Bestandteil von einem amorph ausfallenden unterschieden 
werden, Zur genaueren Oharakterisierung dieser einzelnen Körper 
erschien die Prüfung weiterer physikalischer Eigenschaften von 
Interesse. | 

Obwohl die starke Lichtbrechung der Eiweißkörper schon 
seit längerer Zeit bekannt ist, wurde sie doch unseres Wissens 
bisher nicht als Unterscheidungsmerkmal benutzt. Die Größe der 
Lichtbrechung wird bekanntlich ausgedrückt durch den Brechungs- 
koeffizienten. Sein Wert steht in enger Beziehung zum Atom- 
bezw. Molekulargewicht. Verschiedenartige Verkettung, Ionisierung 
und andere Momente haben auf ihn jedoch einen so bedeutenden 
Einfluß, daß nur in homologen Reihen eine wirkliche Regel- 
mäßigkeit zu erkennen ist. Körper von ganz verschiedenem Mole- 
kulargewicht können daher den gleichen Brechungsexponenten 
haben und umgekehrt. Verschiedene Brechungskoeffizienten zweier 
Körper zeigen jedoch stets deren Verschiedenheit an. 

Die Untersuchungen wurden mit dem Pulfrichschen . 
Eintauchrefraktometer ausgeführt, das eine genaue Temperatur- 
regulierung ermöglicht. 

Die Darstellung der verwendeten Eiweißkörper geschah durch 
Fällung mit Ammonsulfat. 


Der Brechungskoeffizient der Eiweißkörper des Blutserums. 151 


Um die möglichste Reinheit der einzelnen Fraktionen zu sichern, 
wurden diejenigen prozentualen Anteile, bei welchen zwei benachbarte 
Körper gemeinsam ausfallen, ausgeschaltet. Z. B.: Euglobulin ist erst bei 
36 Proz. Ammonsulfatsättigung ausgefällt, Pseudoglobulin I beginnt aber 
schon bei 32 Proz. sich abzuscheiden. Es wurde daher der Niederschlag 
von 32 bis 36 Proz. beseitigt. So erhielten wir als Euglobulin eine bis 
32 Proz., als Pseudoglobulin I eine von 36 bis 39 Proz., als Pseudo- 
globulin II eine von 42 bis 50 Proz. ausfallende Fraktion, Die so er- 
haltenen Substanzen wurden in destilliertem Wasser gelöst, noch zwei- 
mal umgefällt und dann 4 bis 6 Wochen gegen Leitungswasser dialysiert. 

Aus dem Filtrat des mit Ammonsulfat halbgesättigten Serums wurde 
das kristallisierte Albumin durch vorsichtigen Zusatz von !/s Normal- 
Schwefelsäure gewonnen und noch zweimal umkristallisiert. Die von 
Kristallen befreite Albuminlösung wurde als amorphes Albumin be- 
trachtet, obwohl anzunehmen war, daß sie noch geringe Mengen 
kristallisierten Albumins enthielt. Die beiden Albumine wurden gleich- 
falls 4 bis 6 Wochen der Dialyse unterworfen. 

Das Euglobulin mußte nach der Dialyse behufs der Unter- 
suchung durch Salzzusatz gelöst werden. 

Es geschah das bei einer Probe durch Zufügen einer gemessenen 
Menge konzentrierter Kochsalzlösung. Mit destilliertem Wasser wurde 
eine gleichprozentige Kochsalzlösung hergestellt und in beiden Lösungen 
die Lichtbrechung untersucht, Die Differenz mußte den Ausschlag des 
Brechungsexponenten für Eiweiß darstellen. 

Zu einer anderen Euglobulinprobe wurde Kochsalz in Substanz zu- 
gefügt, der Salzgehalt der Lösung quantitativ bestimmt, und dieser Wert, 
in den Brechungskoeffizienten umgerechnet, von der Gesamtbrechung der 
Lösung abgezogen. 

Bei den übrigen Eiweißkörpern konnte ohne weiteres die Be- 
stimmung des Brechungsexponenten vorgenommen werden. Um 
den Wert für reines Eiweiß zu erhalten, mußte hiervon der 
Brechungsanteil der Salze abgezogen werden. 

Es wurde daher, nachdem festgestellt war, daß die Lösungen 
kein Ammonsulfat mehr enthielten, ihr Salzgehalt bestimmt. Das 
geschah durch Erhitzen bis zur Verköhlung, dann Auslaugen und 
Veraschen nach bekannter Methode Es ergab sich, daß der 
Salzgehalt der Lösungen mit ihrem Eiweißgehalt abnahm, also 
bei der Dialyse von einer größeren Eiweißmenge auch eine größere 
Salzmenge zurückgehalten worden war. Die Lösungen, deren 
Eiweißgehalt ein geringer war, entsprachen in ihrem Salzgehalt 
dem Leitungswasser. Es wurde daher für diesen der Brechungs- 
exponent des Leitungswassers in Rechnung gesetzt. Auch hielten 
wir uns für berechtigt, dementsprechend den Brechungsexponenten 
des Salzgehalts höherprozentiger Lösungen zu berechnen. Wenn- 
gleich wir nicht sicher wissen konnten, ob die Zusammensetzung 
der Salze dieser Lösungen wirklich derjenigen im Leitungswasser 
entsprach, so waren doch, zumal es sich um sehr kleine Werte 


152 Emil Reiss, 


handelte, keine in Betracht kommenden Abweichungen zu be- 
fürchten. 

Sämtliche Eiweißbestimmungen wurden nach Fällung mit 
3 bis 4 Volumen Alkohol und einstündigem Erhitzen auf etwa 80° 
durch Trocknen und Wägung vorgenommen. Hiernach wurde unter 
Abzug der Asche der Brechungsindex für 1 Proz. Eiweiß berechnet. 

Wo die Menge der Lösung ausreichte, wurde auch die optische 
Aktivität untersucht. 

In allen Fällen wurden Doppelbestimmungen gemacht. 

Um ein Beispiel der außerordentlichen Exaktheit der Methode 
zu geben, lassen wir eine genauere Tabelle der Bestimmung des 
kristallisierten Serumalbumins folgen. Es wurden hier Verdünnungen 
im Verhältnis von ?/s und ”s der Stammlösung mit Leitungswasser 
hergestellt. Die Ungenauigkeiten der Verdünnung wurden vom 
Brechungskoeffizienten deutlich angegeben. Aus‘ der Differenz 
des Brechungskoeffizienten, sowie des Eiweiß- und Salzgehalts 
der drei Lösungen und des Brunnenwassers wurde der Ausschlag 
des Brechungskoeffizienten für 1 Proz. Eiweiß berechnet. 


nD der| Diffe- | Salz | MD der| Diffe- Br Eiweiß. EBENE iR Bi 
Lösung | renz | gehalt | Salze | renz ii gehalt | renz Br 
Fi 1,83551 0,04200/,, 1,83833 1,0730 %, 
0,00071 0,00004 | 0,00067 0,8240%/,| 0,00201 
ne 1,33480 0,0312%,, 1,83329 0,1490 9, 
RR use 0,00077 0,00002 | 0,00075 0,3745 %,, 0,00200 
en 1,33403 0,0232°/,, 1,33327 0,8745 9%, 
a S 0,00078 | 0,00002 | 0,00076 0,3745 %,,| 0,00203 
ee 1,33325 0,0162%,, 1,33325 0 


Die gute Übereinstimmung der Endresultate in den drei 
Bestimmungen beweist eine außerordentliche Genauigkeit der 
Methode. In gleicher oder ähnlicher Weise wurden sämtliche 
Eiweißfraktionen des Blutserums untersucht und folgende Resultat 
erhalten: 


Euglobu- | Pseudo- Pseudo- Te Amorphes | Gesamt- 
lin globulin I | globulin II ER Albumin eiweiß 


Anteil von 


un für 1°/, | 0,00230 | 0,00224 | 0,00230 | 0,00201 | 0,00183 | 0,00172 
Eiweiß 


Spezifische 


Ei 99 ar 0 re 0 
Dreh 5 61,5° | -——- 33,3 


Der Brechungskoeffizient der Eiweißkörper des Blutserums. 153 


Die Tabelle zeigt zunächst, daß die Globuline das Licht 
stärker brechen als die Albumine. Unter letzteren ist wieder das 
kristallisierte Albumin das stärker lichtbrechende. Da die Lösung 
von amorphem Albumin wahrscheinlich Beimengungen des kri- 
stallisierten enthielt, dürfte der Brechungsindex für das reine 
amorphe Albumin noch etwas niedriger zu setzen sein. Dagegen 
weisen die Globuline untereinander keine wesentlichen Unter- 
schiede auf. Bei der Bestimmung des Pseudoglobulin I mußte 
mit einer sehr stark verdünnten Lösung operiert werden und daher 
mag die Berechnung etwas ungenau ausgefallen sein. Indes ist 
die beobachtete Abweichung nicht groß genug, als daß darin 
ein Unterschied gegen die anderen Globuline gefunden werden 
könnte. Die Erwartung, die einzelnen Globulinfraktionen durch 
ihr Lichtbrechungsvermögen unterscheiden zu können, hat sich 
also nicht erfüllt. Würden bedeutendere Verschiedenheiten 
zwischen ihnen bestehen, so müßten sie bei den so nahe ver- 
wandten Körpern im Brechungskoeffizienten zum Ausdruck kommen. 
Es ist daher die Schlußfolgerung gegeben, daß die Unterschiede 
zwischen den einzelnen Globulinen derart sind, daß sie in der 
physikalischen Eigenschaft der Lichtbrechung nicht zu Tage 
treten. Das stimmt mit allem, was wir sonst über die Zusammen- 
setzung und das reaktionelle Verhalten der Globuline wissen, 
überein. Diese Momente würden an sich eine Unterscheidung 
derselben nicht ermöglichen*). Auf die anscheinend großen 
Differenzen, die bezüglich der optischen Aktivität gefunden wurden, 
möchten wir keinen Wert legen, weil hier die Methodik zu große 
Fehler in sich schließt. Die Tatsache, daß Lysine, Toxine, Prä- 
zipitine mit bestimmten Globulinfraktionen ausfallen, ist kein Be- 
weis für die Verschiedenheit dieser Fraktionen. Diese in so be- 
stimmter Weise wirksamen Substanzen haben mit den Globulinen 
nur die Eigenschaft gemein, sich bei einem bestimmten Salzgehalt, 
und zwar dem Eiweißniederschlag anhaftend, abzuscheiden. Daß 
sie an die Globuline nicht fest gebunden sind, beweist die in ver- 
schiedenen Fällen ganz ungleich große Ausbeute. Als Unter- 
scheidungsmerkmal der Globuline unter sich bleibt somit in der 
Hauptsache nur die Fällbarkeit durch verschieden hohe Salz- 
konzentrationen übrig. 

Die in der letzten Spalte der Tabelle aufgeführte Zahl gibt 
den Anteil des Brechungsexponenten für 1 Proz. Gesamteiweiß 
wieder. Sie ergab sich mit großer Konstanz aus der Untersuchung 
von Menschen- sowie von Pferdeblutserum. Merkwürdigerweise 


*) Vgl. Porges und Spiro, Diese Beiträge 3, 284 ff, 


154 Emil Reiss, Der Brechungskoeffizient der Eiweißkörper des Blutserums. 


liegt sie niedriger als alle anderen Werte; das Gesamteiweiß hat 
also eine geringere Lichtbrechung als die einzelnen durch die Salz- 
fällung gewonnenen Eiweißteille.e Zur Erklärung wäre zunächst 
daran zu denken, daß das Serum eine klare Lösung darstellt, 
während die isolierten Globuline im Wasser anscheinend nur feine 
Suspensionen bilden. Indessen hat nach allen Erfahrungen eine 
Substanz in Suspension eine geringere und nicht wie hier eine 
größere Lichtbrechung als in Lösung. Ferner ist der Brechungs- 
index des kristallisierten Serumalbumins, das eine schöne Lösung 
darstellt, immer noch höher als der des Gesamteiweiß. Die Er- 
klärung dieses scheinbaren Widerspruchs muß daher weiterer 
Untersuchung vorbehalten bleiben. 


XII. 
Über die Wirkungsweise des Trypsins. 
Von Moritz Schwarzschild (Köln). 
(Aus dem physiolog.-chemischen Institute zu Straßburg.) 


I. 


Um über den Mechanismus der tryptischen Eiweißverdauung 
Aufschluß zu erhalten, stellte Gulewitsch*) in Kossels 
Laboratorium eine Reihe von Versuchen an, in denen er Trypsin auf 
einfach gebaute, ihrer Konstitution nach wohlbekannte chemische 
Körper einwirken ließ. Die hierbei verwendeten 19 Verbindungen 
lieferten ein negatives Resultat, insofern es Gulewitsch nicht 
gelang, eine Spaltung der betreffenden Körper nachzuweisen. Nur 
in Versuchen mit p-Diacetylamidophenol war die abgespaltene 
Menge Essigsäure in den Trypsinversuchen größer als in den 
Kontrollversuchen. 

Diese interessanten Versuche wurden von Gulewitsch 
nicht fortgeführt. Daher habe ich auf Vorschlag Herrn Professor 
Hofmeisters es unternommen, eine Reihe anderer Körper nach 
dieser Richtung hin zu untersuchen**), Namentlich sind es zwei 
‘Gruppen von Verbindungen, die herangezogen wurden, einerseits 
Säureamide, andererseits Biuretreaktion gebende Substanzen, 
letztere besonders deshalb, weil die Vermutung gerechtfertigt 
erschien, daß dieselben in ihrem Bau Ähnlichkeit mit den Peptonen 
‚besitzen. Es kamen zur Untersuchung: Asparagin, Acetamid, Harn- 
stoff, Benzamid, Oxamid, Biuret, Oktaspartsäure, die Curtiussche 
Glycinbase, Malondiamid, Glycinamid, Äthyloxamid, Amido- 


*) Zeitschrift f. physiolog. Chemie 27, 540. 

**) Die Versuche sind inr Frühjahre 1901 begonnen worden und waren 
Juli 1902 im wesentlichen beendet. Sie wurden in Hofmeisters Vortrag 
„Über den Bau des Eiweißmoleküls“ auf der 74. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Arzte in Karlsbad 1902 sowie in dessen Arbeit „Uber 
Bau und Gruppierung der Eiweißkörper“ in den „Ergebnissen der Physiologie“, 
Wiesbaden 1902 kurz erwähnt. Auf eine im Herbste 1902 publizierte Arbeit 
von Dr. Gonnermann, in welcher dieser neben der Wirkung anderer Fer- 
mente auch jene des Trypsins auf Amide untersuchte, komme ich weiter 
unten mit einigen Worten zurück. 


156 Moritz Schwarzschild, 


oxalazid, Monophenyloxamid. Außerhalb dieser Reihe wurden 
noch untersucht: Hippursäure und Piperazin. 

Die Präparate wurden teils von Merck bezogen, teils von mir 
dargestellt. Die Reinheit der von Merck bezogenen Präparate 
wurde durch Feststellung des Schmelzpunktes geprüft. Proben 
der fünf letzten oben genannten Körper aus der Reihe der Biuret- 
reaktion gebenden Säureamide verdanke ich dem liebenswürdigen 
Entgegenkommen des Herrn Professor Schiff in Florenz, welcher 
sie dem hiesigen Laboratorium zur Verfügung stellte und dem 
ich hiermit meinen ergebensten Dank ausspreche. 


Gewinnung des Trypsins. 

Schwierig gestaltete sich zum Teil die Darstellung eines ge- 
eigneten Trypsinpräparates. Während nämlich das von Grübler 
bezogene Trypsin, das ich weiterhin als Trypsin A bezeichnen 
werde, sich bei den Amiden für die Versuchsanordnung als 
brauchbar erwies, konnte ich dasselbe nicht benutzen zur Ent- 
scheidung der Frage, ob die die Biuretreaktion gebenden Körper 
gespalten seien oder nicht. Denn die Trypsinpräparate, die ich 
in Händen hatte, gaben selbst mehr oder minder deutlich die 
Biuretreaktion. Ich ging deshalb darauf aus, selbst ein Trypsin- 
präparat darzustellen (Trypsin B), das einerseits keine Biuret- 
reaktion geben, andererseits frei sein sollte von anderen Fermenten. 
Zur Darstellung eines solchen erwies sich die Üranylacetatmethode, 
die von Jacoby“) zuerst angewandt, dann auch von Glaessner**) 
und Rosell***) mit Erfolg benutzt worden war, als geeignet. 
Es gelang mir zwar trotz vieler Versuche, die wiederholt und in 
den verschiedensten Modifikationen ausgeführt wurden, nicht, ein 
Präparat darzustellen, das völlig frei war von Kohlehydrat — 
die Reaktion nach Molisch war immer positiv —, erreichte aber 
doch, daß dasselbe absolut frei war von jeglicher Spur von Biuret- 
reaktion. Sehr wichtig war es ferner, das Trypsin von den übrigen 
Pankreasfermenten zu befreien. Bereits Rosell hatte gefunden, 
daß bei Anwendung der Uranylacetatmethode das diastatische 
Ferment zerstört wird, auch das lipolytische erhielt er nicht 
immer. Indem ich nun außerdem noch die Autolyse benutzte, 
erhielt ich eine Trypsinlösung, die stets frei war von diastatischem 
und lipolytischem Fermente. Die Darstellung gestaltete sich 


folgendermaßen: 
10 Rinderpankreas wurden zu feinem Brei zerhackt, mit wenig 
Natriumbikarbonat versetzt und mit Toluol überschichtet. Das Gemenge 


*) Zeitschr. für physiolog. Chemie 30, 135. 
**) Diese Beiträge 1, 1. 
***) Inaugural-Dissert. Straßburg 1901. 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 157 


wurde auf der Schüttelmaschine gut durchgeschüttelt und dann während 
5 bis 6 Tagen der Autodigestion überlassen. [Es stellte sich dabei heraus, 
daß, je länger die Autodigestion anhielt, um so unwirksamer die Trypsin- 
lösung wurde. Dauerte die Selbstverdauung länger als 10 Tage, so war 
das Trypsin zerstört.] Nach dieser Zeit wurde koliert und so lange 
filtriert, bis eine klare Flüssigkeit resultierte. Diese enthielt noch reichlich 
Eiweiß. Um letzteres zu entfernen, wurde die Flüssigkeit mit gesättigter 
Uranylacetatlösung und dann sofort, um die Reaktion alkalisch zu erhalten, 
mit Natriumphosphat versetzt. Es entstand ein voluminöser Niederschlag, 
der das Trypsin enthielt. Von diesem wurde abfiltriert, der Filterrückstand 
in der Reibschale mit 0,2-proz. Natriumkarbonatlösung ausgezogen. Dabei 
geht sämtliches Ferment in die Karbonatlösung über. Um eine möglichst 
gut wirkende Fermentlösung zu erhalten, ist es notwendig, den Nieder- 
schlag mindestens 12 Stunden mit der Karbonatlösung stehen zu lassen. 
Das Filtrat ist dann sehr wirksam. 

Die Verdauungskraft der so dargestellten, keine Biuretreaktion dar- 
bietenden l,ösungen wurde regelmäßig geprüft, indem ich 5 ccm derselben 
unter Toluol auf ein Mettsches Röhrchen, das koaguliertes Pferdeblut- 
serum *) enthielt, einwirken ließ. Meine Trypsinlösungen pflegten bei 40° 
in 24 Stunden 8 bis 10 mm der Eiweißsäule zu lösen. 


II. Versuche. 


Die Versuche betrefis Einwirkung des Trypsins auf die zu 
untersuchenden Stoffe wurden so angestellt, daß etwa 0,1 bis 0,3 g 
Substanz mit 5 bis 10 ccm Trypsinlösung versetzt und mit Toluol 
überschiehtet wurden. Um sicher zu sein, daß nur das Trypsin 
eine etwa eingetretene Spaltung bewirkt hatte, wurden regelmäßig 
Kontrollversuche derart angestellt, daß dieselbe Menge Substanz 
mit 5 bis 10 cem der gleichen Trypsinlösung, nachdem sie '/» Stunde 
lang am Rückflußkühler gekocht hatte, zusammengebracht wurde. 
Die Mischungen wurden im Brutofen in Reagenzgläsern oder 
kleinen Kölbehen digeriert. Über die Art und Weise, nach der 
auf eine etwa eingetretene Spaltung geprüft wurde, werde ich 
besonders bei den einzelnen Gruppen der Stoffe berichten. 


1. Hippursäure. 

Im Laboratorium von Nencki hatte Blank**) gefunden, daß 
Hippursäure durch Trypsin in Benzoesäure und Glykokoll sich 
zerlegen lasse. Dagegen gelang es Gulewitsch***) nicht, eine 
solche Spaltung zu beweisen. Gulewitsch vermutet, daß das 
Trypsinpräparat Blanks mit dem fettspaltenden Fermente ver- 
unreinigt gewesen sei. Auch mir gelang es nicht, die Spaltung 
der Hippursäure zu erreichen. 


*) Vergl. Glaessner, loc. eit. 
**) Archiv f. experim. Pathologie 20, 377. 
***) Zeitschr. f. physiolog. Chemie 27, 540. 


153 Moritz Schwarzschild, 


0,5 g hippursaures Natrium wurden mit 15 cem Trypsinlösung — die 
Versuche wurden sowohl mit Trypsin A als mit Trypsin B wiederholt 
angestellt, — unter Zusatz von Toluol während 48 Stunden digeriert. 
Dann wurde filtriert, das Filtrat mit Schwefelsäure angesäuert und mit 
Petroläther gut ausgeschüttelt. Nach Verdunstung des Petroläthers ver- 
blieb nur ein ganz geringer Rückstand, der keine Benzoesäurekristalle 
erkennen ließ. 

Es blieb nun noch die Möglichkeit, daß irgend ein anderes Ferment 
des Pankreas, das vielleicht von den Zellen selbst eingeschlossen wird, 
diese Zerlegung herbeiführt. Um dies zu erfahren, setzte ich zu 0,5 g 
hippursauren Natriums frisch erhaltenes, klein gehacktes Pankreas und 
überließ die Mischung während 2 bis 8 Tagen der Digestion. Mit dem 
Filtrate wurde, wie oben angegeben, verfahren. Benzoesäure erhielt ich 
in keinem der zablreich angestellten Versuche. 

2 bis 6. Asparagin, Acetamid, Harnstoff, Ba 
Piperazin. 

Bei der Untersuchung dieser Körper ging ich von der Er- 
wägung aus, daß, falls durch Einwirkung des Trypsins Ammoniak 
abgespalten wird, dieser sich durch Destillation mit Magnesia im 
Vakuum bestimmen läßt. Vorversuche zeigten, daß die betreffenden 
Körper für sich mit Magnesia im Vakuum destilliert, keinen Stick- 
stoff abspalten — eine Ausnahme bildet nur das Oxamid — wohl 
aber die angewandten Trypsinpräparate. 

Versuchsanordnung. Zur Bestimmung des locker ge- 
bundenen Stickstoffs erhitzte ich die zu untersuchende Mischung 
mit Magnesia und fing das ausgetriebene Ammoniak über !/ıo Norm.- 
Schwefelsäure auf. Bei Zusatz von Magnesia zu der zu destil- 
lierenden Flüssigkeit ist große Vorsicht geboten, da Trypsin A, 
wenn ihm Magnesia zugesetzt wird, bereits in der Kälte Ammoniak 
entwickelt. Ich benutzte hierbei einen Apparat, der ähnlich dem 
von Nencki*) angegebenen konstruiert war. Um die Destillation 
schnell und vollkommen vor sich gehen zu lassen, leitete ich durch 
den die Flüssigkeit aufnehmenden Kolben in langsamem Strome 
Luft, die ich noch in vorgelegter Schwefelsäure wusch. Die 
Temperatur bei der Destillation überstieg nie 45°, 

a) Versuche mit Trypsin A. 
a) Kontrollversuch. 


Gewichts- | Ausgetriebener 


Präparat Dauer der Dig. Be | N in Proz. Mittelwert 
Trypsin A _ 0,3828 18,54 
Trypsin A E= 0,4198 18,54 18,57 Proz. 
Trypsin A | 38 Stunden 0,4146 18,64 


*) Archiv f. experim. Pathol. 36, 385. 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 159 


P) Hauptversuch. 


| | Ausgetriebener N in Proz. 
Präparat Dauer der Dig. | Gewichtsmenge berechnet auf das ver- 
| wendete Trypsin 
1 0,3663 
Be Ze 38 Stunden 0.1457 19,09 | 
ın ’ e 
T : an AN 19,29 Proz. 
rypsin | ‚42 
. ut 19,49 
Asparagin J > 0,2827 
Trypsin A) | 0,3761 
4 18,91 
Acetamid [ 2 0,4889 
Trypsin A] 0,4445 
#7 18,53 
Harnstoff | | age 0,3112 
Trypin A 0,5291 18.60 
Benzamid | ge | 0,4149 : 
b) Versuche mit Trypsin B. 
a) Kontrollversuch. 
Gewichtsmenge Dauer der Dig. BEER: m. eg 
verwendeten Trypsins 
0,1255 6 Wochen 2,23 
0,1255 | 8 Wochen 1,90 
0,1255 | 3 Monate 0,78 \ 
0,1255 aaa en > From 


Bei den Versuchen mit Trypsin B wurde, um genaue Zahlen zu 
erhalten, das Trockengewicht von 5 ccm genau abgemessener Ferment- 
lösung bestimmt, das sich im Mittel auf 0,1255 g stellte. 

Es ergab sich, wie aus obiger Tabelle ersichtlich ist, daß die Menge 
des abspaltbaren Ammoniaks abnahm, je länger man die Lösung der 
Digestion überließ. 

8) Hauptversuch. 


| | Ausgetr. N in | 
Präparat Dauer der Dig. | Gewiehts- | Proz. des Be Mittelwert 
menge wendeten Tryp- 
sins 
Trypsin B | 0,1255 | 
| | 09 
Asparagin | Br Wachen. | 0,3321 2,23 Proz 
T B | 2,09 Proz. 
rypsin 8. aa RE 
Asparagin 6 Wochen 0,5670 | 1,95 Proz. | 
Trypsin B | 0,1255 | en je 
Piperazin ı 3 Monate 0,1218 | 0,78 Proz. 
T nB | | 0,83 Proz. 
rypsin | | 0,1255 
Piperazin | 3 Monate | 0.1317 | 0,89 Proz. 


160 Moritz Schwarzschild, 


7. Oxamid. 


Da es sich herausstellte, daß Oxamid selbst, mit Magnesia 
destilliert, bereits Ammoniak abspaltet, so stellte ich die Versuche 
derart an, daß ich zu gleicher Zeit Oxamid mit wirksamem 
und mit abgetötetem Trypsin B der Digestion unterwarf, beide 
Proben unter genau denselben Verhältnissen hielt und auf dieselbe 
Weise später destillierte. Ich teile nachstehend eine derartige 
Versuchsreihe mit. | 


SER Abge- Abge- Abge- 
Pränarat Gewichts- PETE spaltener N spaltener N |spaltenerN Dauer der 
l menge „SP. des Tryp- | des Oxa- | des Oxa- | Digestion 
Ning ER ne TOR 
2 sins ing | midsing | mids in %, 
: 9 ' 
Re RER ir re 0,02226 | 0,00084 | 0,02142 11,76 |3 Monate 
Oxamid + | 0,1536 
unwirksames 0.1055 0,01820 | 0,00084 | 0,01736 11,30 ‚3 Monate 
Trypsin B SE 


Aus der Betrachtung dieser Tabellen geht hervor, daß es nicht 
gelang, Ammoniak durch Trypsin aus den Amiden abzuspalten. 


8. Oktaspartsäureanhydrid. 

E. Schaal*, hat durch längeres Erhitzen von salzsaurem 
Asparagin im Kohlensäurestrom zwei Verbindungen erhalten, 
welche er als Anhydride der Asparaginsäure erkannte von der 
Zusammensetzung 

(ds Hu. u (07 =: 4 GENDER H,O 

Ca Hs N Or, =8C,H, NO, — 15 H,O 
H. Schiff**) gab dann eine bequemere Methode zur Darstellung 
dieser Anhydride, die er als Oktaspartid und Tetraspartid be- 
zeichnet. Man erhitzt trockene Asparaginsäure etwa 20 Stunden 
lang im Ölbad auf 190 bis 200°. Oberhalb 200° tritt schwache Gelb- 
färbung ein. Das Rohprodukt wird dann mit der zehnfachen 
Menge Wasser ausgekocht. Dann bleibt das Oktaspartid ungelöst. 
Aus der kochend abfiltrierten Flüssigkeit scheidet sich beim Er- 
kalten das Tetraspartid als sehr feines Pulver ab. Beim Ein- 
dampfen erhält man eine weitere kleinere Menge desselben. 
Weiter fand dann H. Schiff, daß die stark konzentrierte Flüssig- 
keit noch zwei weitere Verbindungen enthielt, die er als 

Oktaspartsäure Ca» H» Ns O0, = 8C.H; NO, — 7 H,O 
und Tetraspartsäure Cie Has N, O1: = 46, H; NO, — 3H, OÖ ansprach. 


*) Ann. d. Chemie 157, 26 (1872.) 
**) Ber. d deutsch. chem. Ges. 30, 3, 2449. 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 161 


E. Grimaux*) fand 1882, daß die Schaalschen Aspartide in 
Kali gelöst und mit wenig Kupfersulfat versetzt, die sog. Biuret- 
reaktion geben. Da nun nach Schiff die Polyaspartide mit Kali 
die Salze der entsprechenden Aspartsäuren bilden, so kommt die 
Biuretreaktion diesen letzteren zu. 

Nach Vorschrift Schiffs stellte ich mir ein Präparat des 
Oktaspartid durch Erhitzen im Autoklaven her. Die Biuretreaktion, 
die das Präparat zeigte, war aber zu gering, um, allein auf das 
Verschwinden derselben gestützt, die Frage zu beantworten, ob 
eine Spaltung eingetreten sei. (An einem von Prof. Schiff mir 
gütigst überlassenen Präparate wurde auch diese zum Maßstabe 
genommen.) Nun aber gibt das Oktaspartid, mit Kupferkarbonat 
gekocht, kein Kupfersalz, während Asparaginsäure, in die ja die 
Polyaspartsäuren gespalten werden mußten, ein charakteristisches 
Kupfersalz liefert. 

Versuch 1. 

0,5 g Oktaspartid wurden mit 15 cem einer Trypsinlösung B unter 
Toluol in den Brutschrank gebracht. Nach 4 Wochen wurde das Ge- 
löste vom Ungelösten abfiltriert, vom Toluol befreit und mit Kupfer- 


karbonat gekocht, filtriert, eingeengt und erkalten gelassen. Es scheiden 
sich keine Kristalle ab. 


Versuch 2. 
Dieselbe Anordnung wie bei 1, mit demselben negativen Resultate, 


Auch eine Versuchsreihe mit Pepsin-Salzsäure lieferte ein nega- 
tives Resultat. 


Bei Versuchen mit ausgesprochen die Biuretreaktion gebenden 
Körpern suchte ich eine eingetretene Spaltung der betreffenden 
Körper dadurch nachzuweisen, daß ich ermittelte, ob die Biuret- 
reaktion verschwunden sei oder nicht. Es wurden etwa 0,1 bis 0,3 g 
Substanz mit 5 ccm Trypsin B versetzt und zur Kontrolle dieselbe 
Substanzmenge mit 5 ccm abgetöteter Trypsinlösung der Digestion 
überlassen. Die Prüfung auf Vorhandensein der Biuretreaktion 
wurde möglichst quantitativ gemacht, um vergleichbare Versuchs- 
resultate zu erhalten: Es wurden zu genau 1 cem der Lösung in 
der Regel 3 Tropfen Natronlauge und 1 bis 2 Tropfen verdünnter 
Kupfersulfatlösung zugesetzt. 


9. Biuret. 
Gulewitsch**) hat bereits angegeben, daß die Biuretreaktion 
des mit Trypsin digerierten Biurets selbst bei dreimonatlicher 
Digestion nicht verschwindet. Bei meinen Versuchen, in denen 


*) Bull. soc. chim. 38, 69 (1882). 
**) Zeitschr. f. physiolog. Chemie 27, 551. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 11 


162 Moritz Schwarzschild, 


ich ebenfalls 3 Monate lang das Trypsin B auf Biuret einwirken 
ließ, kam ich zu demselben negativen Resultate. 


10 bis 11 (8). Malondiamid, salzsaures Glycinamid, Okta- 
spartsäureanhydrid. 

Das sauer reagierende Glycinamid wird durch Natriumkarbonat 
zuerst alkalisch gemacht. Nach 5 Wochen dauernder Trypsin- 
einwirkung zeigen Proben dieses Körpers noch deutliche Biuret- 
reaktion. In wenig sehr verdünnter Natronlauge gelöstes Okta- 
spartsäureanhydrid, sowie das in Wasser gelöste Malondiamid 
zeigten dasselbe Verhalten. 


12 bis 14. Äthyloxamid, Monophenyloxamid, 
Amidoxalazid. 

Diese drei Körper sind nur in heikem Wasser löslich, Mono- 
phenyloxamid selbst in diesem äußerst schlecht, sodaß die Biuret- 
reaktion bereits vor der Digestion eine schwache ist. Beim Er- 
kalten fallen die Körper aus, gehen aber bei Brutschranktemperatur 
wieder in Lösung. Die Digestion mit Trypsin wurde nach 
4 Wochen unterbrochen. Äthyloxamid zeigt noch sehr starke 
Biuretreaktion, Monophenyloxamid nur eine schwache, jedoch 
nicht schwächer als die der Kontrollprobe. Die Biuretreaktion 
des Amidoxalazids, die nach 14 Tagen noch sehr stark war, ist 
‚verschwunden. Doch auch die Kontrollprobe zeigt keine Biuret- 
reaktion mehr. Es war demnach bei keinem der genannten 
Körper eine durch Trypsin veranlaßte Spaltung nachweisbar. 


15. Curtiussche Base. 

Gelegentlich seiner Studien über das Glykokoll fand Curtius*), 
daß der Glykokolläthylester die Fähigkeit hat, in eine hoch- 
schmelzende Base überzugehen, die eine intensive Biuretreaktion 
gibt. Nach dem Verfahren von Curtius“*) stellte ich mir zu- 
nächst den salzsauren Glykokolläthylester dar, aus dem ich nach 
der Methode von E. Fischer““*) den freien Ester gewann. Das 
erforderliche Glykokoll wurde später durch Hydrolyse des Leims 
nach Angabe von E. Fischer?) gewonnen. Aus dem Glykokoll- 
äthylester gewann ich die Base, indem ich den Ester in den 
Exsikkator brachte, diesen evakuierte und das Präparat sich selbst 
überließ. Bevor ich nun daran ging, den Körper hinsichtlich seiner 


Spaltbarkeit zu untersuchen, versuchte ich zu einer Erkenntnis 


*) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 16, 1, 753. 
**) Journal f. prakt. Chemie 37, 159. 
***) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 34, 436. 
7) Zeitschr. f. physiol. Chemie 35, 70. 


N 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 163 


seiner Konstitution zu gelangen. Schon H. Schiff*) gab der 
Vermutung Ausdruck, daß die Biuretbase in der Weise aus dem 
Glykokoliäthylester entstehe, daß mehrere Moleküle des Esters 
unter Austritt von Alkohol sich verketten zu: 
NH; | NH; 
&Ee 0,CH 00% ET 

Nun hat E. Fischer**) gezeigt, daß man ausgehend vom Glycin- 

NH CH, 00 
anhydrid | | 

CO CH: NH 
kollmolekülen sich zusammensetzen. Er nennt das Radikal des 
Glykokolls CH, NH, CO Glyeyl und erhielt einen Körper, der sıch als 
Glyeylglyein herausstellte: NH, CH, CO NH CH, CO OH. Der Äthyl- 
ester dieses Körpers ist durch seine Neigung ausgezeichnet, sich 
durch Alkoholabspaltung in Glycinanhydrid zurückzuverwandeln. 
Diese Umwandlung tritt selbst beim Aufbewahren in trockenem 
Zustande ein. Gleichzeitig tritt aber auch ein anderer Körper auf, 
der die Biuretreaktion gibt und den Fischer für identisch mit 
der Curtiusschen Biuretbase hält. Es hatte also offenbar eine 
Kondensation unter Alkoholabspaltung stattgefunden. Es ist 
überdies von E. Fischer festgestellt, daß eine Verkettung von 
Aminosäuren zu größeren Komplexen, „Peptiden“, zum Teil unter 
Auftreten der Biuretreaktion unter verschiedenen Bedingungen 
erreichbar ist. 


Man mußte demnach daran denken, daß auch bei der Auf- 
bewahrung des Glykokolläthylesterss eine Kondensation unter 
Alkoholabspaltung stattfinde. Um eine Vorstellung zu gewinnen, 
wie viele Glycyle sich in der Curtiusschen Base etwa vereinigt 
finden, stellte ich zunächst in mehreren Versuchen die Basızität 
des Körpers durch Titration mit "Jo Normalschwefelsäure fest. 

a) 0,0448 g Substanz neutralisieren 1,0 ccm !/,, Norm.-H,SO, 

b) 0,0403 g > h 0,95 cem !/,, Norm.-H, SO, 

c) 0,1515 g s ; 3,4 ccm !/, Norm.-H,S0, 

Es würde sich danach für das Molekulargewicht ergeben: 

(Gemäß der 1. Bestimmung 448 


zu Körpern gelangt, die aus mehreren Glyko- 


” ” 2. „ 421 
” )) 3. ” 445 
im Mittel demnach 438 


Nach dieser Zahl müßten sich behufs Bildung der Curtiusschen 
Base mindestens 7 Glykokollmoleküle vereinigen. 


*) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 30, 3, 2457. 
%*) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 34, 2, 2868. 
11° 


164 Moritz Schwarzschild, 


Die Analyse ergibt in Übereinstimmung hiermit, daß in der 
Tat 7 Glykokollmoleküle in der Curtiusschen Verbindung ent- 
halten sind, lehrt aber weiter, daß in derselben ein Äthylrest er- 
halten bleibt. 

Behufs Entfernung der letzten Reste von unverändertem Ester wurde 
auf eine wiederholte Destillation des Produktes im Vakuum Gewicht ge- 
legt, wobei der unveränderte Ester völlig überging und die reine Base 


zurückblieb. 
Präparat l. 


a) 0,1874 g über Schwefelsäure getrockneter Substanz gaben 
0,2968 g CO, und 0,1056 g H,0. 
0,1544 g Substanz gaben 28,58 ccm N bei 13,1° und 757 mm. 
b) 0,1756 g h „ 0,2763 g CO, und 0,0994 g H,O. 


Präparat Il. 
a) 0,1970 g Substanz gaben 0,3127 g CO, und 0,1164 g H,O. 
by 02171 8. 2 „0,3438 g CO, „ 0,1234 g H,O. 
0,1424 g . „ 25,97 ccm N bei 17,1° und 761,5 mm. 
Präparat III. 
a) 0,1732 g Substanz banden nach Kjeldahl 27,15 ccm !/,,Norm.-H,SO,. 
b) 0,1558 g ” gaben 29,9 ccm N bei 21,7 und 757,5 mm. 
In folgender Tabelle stelle ich die Prozentzahlen zusammen 


und stelle zum Vergleiche die von Curtius ermittelten Zahlen 


I m 
WE EEE € 


daneben. \ 
l 

Berechnet auf ER Schwarzschild > 
CiHyN:0; | tius Mitte 
Präparat I | Präparat II | Präparat II # 

C=43,15 Proz. | 42,28 | 43,19 | 49,91 | 43,29 |a3ı19| — | — |as14 © 
H= 6,07 Proz. | 6,67 | 6,36 | 6,29] 6,56 | 6831| — | — | 6,0 
N = 22,02 Proz. | 20,64 | 2189| — | — | 21,35 | 21,77 | 21,94 || 21,72 
(Kjel 4 

dahl) 4 

Es stimmen demnach die erhaltenen Analysenzahlen gut 4 | 
mit der Formel Cs Hı: N: O.. E 


Die Zahlen weichen aber von den zuerst von Curtius gefundenen | 
wesentlich ab. Auch das Verhalten meines Präparates beim Erhitzen 4 
entsprach in wiederholten Versuchen nicht ganz den Angaben von 
Curtius. Meine Präparate begannen bei 187 bis 190° sich dunkler zu 
färben, nahmen bei 196° einen bräunlichen Ton an und waren bei 42 
240 bis 260° schwarz. Curtius findet, daß der Körper sich bereits bei 
150° dunkler färbte, bei 160° zu schmelzen begann und bei 178° völlig” 
mit gelber Farbe unter Zersetzung geschmolzen erschien. Die Ursache 
dieser Verschiedenheiten könnte in dem Umstande zu suchen sein, daß 
das Präparat von Curtius noch eine kleine Menge des nicht konden- 
sierten Esters beigemengt enthielt. N 

Da nach dem Ergebnis der Analyse in dem Körper eine 


Athylgruppe zu vermuten war, so versuchte ich durch vorsichtige 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 165 


Spaltung dieselbe nachzuweisen. Es gelang mir nur, wenn ich 
kurze Zeit verdünnte Schwefelsäure einwirken ließ. 

0,3g der Biuretbase wurden mit verdünnter Schwefelsäure '/s Stunde 
lang am Rückflußkühler gekocht, dann wurde sofort das erhaltene Produkt 
destilliert. Die ersten übergehenden Tropfen geben die Liebensche 
Jodoformprobe. Es setzten sich typische, rosettenartige Kristalle von 
Jodoform ab, ebenso sechsseitige Tafeln. Dabei trat deutlicher Geruch 
von Jodoform auf. 

Daß bei einer solchen Spaltung aus der Biuretbase wieder 
Glykokoll erhalten wurde, konnte ich in einem anderen Versuche, 
nach Entfernung der Schwefelsäure mit Baryumkarbonat, durch 
Darstellung der typischen blauen Glykokollkupferkristalle zeigen. 

Auf Grund der mitgeteilten Befunde muß die Curtiussche 
Base als ein Hexaglycylglycinäthylester 

NH; CH;,CO (NH CH, CO), NHCH,.CO.OC,H, 
aufgefaßt werden. Diese Formel erklärt auch die Fähigkeit der 
Substanz, die Biuretreaktion zu geben. Zum Zustandekommen 
derselben bedarf es nach Schiff“) mindestens zweier Gruppen 
folgender Art: 

CONH,, CNHNH,, CH;,NH,, CSNH,, 
welche an ein einziges Atom Kohlenstoff oder Stickstoff gebunden, 
oder direkt untereinander vereinigt sind. Betrachtet man nun 
die oben aufgestellte Formel, so enthält diese die Gruppe 
CH,—NH; 


Go_N H, 
dingen kann. 

Es wurde dann ferner das Verhalten der Curtiusschen Base 
gegenüber salpetriger Säure geprüft, da möglicherweise zu erwarten 
war, daß unter bestimmten Bedingungen bloß der Stickstoff der 
NH,-Gruppe abgespalten würde, nicht aber jener der NHCO- 
Gruppen. Eine quantitative Methode zur Bestimmung des auf 
diese Weise abspaltbaren Stickstoffs ist von H. Meyer**) ange- 
geben. Diese, die sich auf Grund von Kontrollversuchen für 
meine Zwecke als sehr brauchbar erwies, wurde in etwas abge- 
änderter Form in Anwendung gebracht***). Das Ergebnis war 
unerwarteterweise ein negatives. 

*) Berichte der deutsch. chem. Ges. 29, 298, ferner Annalen 299, 236. 
Vergl. hierzu Hofmeister |. c. 

**) Anleitung zur quantitativen Bestimmung der organischen Atom- 
gruppen. Berlin 1897, 

***) Für das von H. Meyer angegebene Verfahren gelingt es leicht, 
einen entsprechend zusammengestellten Apparat aufzubauen und dem speziellen 
Bedarf des Einzelversuches anzupassen. 


Für meine Zwecke erwies es sich als zweckmäßig, behufs Bindung der 
verdampfenden salpetrigen Säure noch eine kleine mit Kaliumpermanganat 


die nach dem Gesagten wohl die Biuretreaktion be- 


166 Moritz Schwarzschild, 


Zwei Bestimmungen mit 0,2399 g und 0,3663 g der Curtiusschen 
Base stellte ich an, ohne zu erwärmen. Dabei wurde kein Stickstoff 
abgespalten. Versuche, bei denen die Reaktion unter Erhitzen auf dem 
Wasserbade vorgenommen wurde, ergaben allen Stickstoff in Gasform., 
Des hohen Stickstoffgehaltes des Präparates wegen kamen relativ kleine 
Substanzmengen zur Verwendung. 

1. 0,0694 g Substanz liefern 25,8 ccm N bei 762 mm und 17° C. 

2. 0,0654 g Substanz liefern 24,7 ccm N bei 760 mm und 16° C. 


Berechnet: Gefunden: 
N = 22,02 Proz. 1. 21,93 Proz. 
2. 22,30 


n 


Die Curtiussche Base gestattet somit nicht eine getrennte 
Bestimmung der basischen NH,-Gruppe auf diesem Wege. Sie 
spaltet dabei wie die ähnlich gebaute Hippursäure auch den Stick- 
stoff der NHCO-Gruppen ab. 

Trypsinspaltung der Biuretbase. Da, die Biuretbase 
eine sehr intensive Reaktion mit Natronlauge und Kupfersulfat 
gibt, so war sie, wie keine der anderen ähnlichen Verbindungen, 
geeignet, vermittelst dieser Reaktion auf ihre Spaltbarkeit durch 
Trypsin untersucht zu werden. 


0,1 g des Körpers wurden mit 5 ccm einer Trypsinlösung B ver- 
setzt (Probe 1). Zur Kontrolle wurden gleichzeitig folgende Proben her- 
gestellt: a) 0,1 g Biuretbase + 5 ccm gekochten Trypsins (Probe 2), 
b) 0,1 g in Wasser gelöster Base + 0,2 proz. Na,C0,-Lösung (Probe 3), 
c) 0,1 g in Wasser gelöster Biuretbase (Probe 4). Die Biuretreaktion 
war nun 


in Probe 1 2 | 3 | + 
nach 2 Tagen noch vorhanden sehr stark | sehr stark | sehr stark 
4 überaus schwach, fast 
>) „ nicht bemerkbar LE) LE) 7 LE) 2} „” 
Be vollstdg. verschwunden | „, RR er € nen. 
,„ 10 , „9 be} 


„ ’»y 9,7 >) 


Aus dieser Versuchsreihe geht hervor, daß das Trypsin die 


Fähigkeit besitzt, die Curtiussche Base bis zum völligen Ver- 
schwinden der Biuretreaktion zu verändern. Bei gleichen Mengen- 
verhältnissen war regelmäßig in meinen zahlreich angestellten 
Versuchen genau am 4. bis 5. Tage die Reaktion verschwunden. 

Interessant war es, zu vergleichen, ob auch Pepsinsalzsäure‘ 
ein Verschwinden der Biuretreaktion zustande bringe. Indessen 
gelangte ich hier zu einem negativen Resultat. 


gefüllte Waschflasche einzuschalten. Die Durchströmung des Apparates mit 


Kohlensäure erzielte auch ich nach den Angaben von H. Meyer mit dem 


von F. Blau (Monatshefte für Chemie 13, 279) angegebenen Verfahren, 
das auf dem leicht zu beherrschenden Eintropfen einer in einem Tropftrichter 
befindlichen konzentrierten Pottaschelösung in vorgelegte 50 proz. Schwefel- 
säure beruht. 


Et a a Da a 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 167 


Versuch 1: Ein nach der Glaessnerschen Methode*) dargestelltes 
Pepsinpräparat wird mit Salzsäure und einer kleinen Menge der Base 
zusammengebracht. Nach 3 Wochen ist die Biuretreaktion noch sehr 
stark, nach 9 Wochen erhält man zwar nicht mehr die rote Farbe, die 
die Base gewöhnlich gibt, wohl aber eine stark blauviolette. Die Ab- 
nahme nach dieser langen Zeit kann ich nicht auf eine Spaltung durch 
das Ferment beziehen, da die gleiche Menge der Biuretbase, in Wasser 
gelöst und über 6 Wochen lang im Brutschrank aufbewahrt, ebenfalls 
an Intensität der Reaktion verlor, 


Versuch 2. Es wurde ein käufliches Pepsinpräparat benutzt, das 
die Biuretreaktion so schwach zeigte, daß diese jener der Glycinbase 
gegenüber vernachlässigt werden konnte. Die Fermentlösung zeigte 
starke Verdauungskraft. Die eine größere Menge der Biuretbase ent- 
haltende Probe zeigte noch nach 5 Monaten eine ebenso starke Biuret- 
reaktion wie vorher. 


Um nun weiter zu erfahren, in welcher Weise die Curtius- 
sche Base durch Trypsin abgebaut wird, wurden 2 g der Biuret- 
base mit 15 ccm der Trypsinlösung B unter Toluol der Digestion 
unterworfen. Nach Verschwinden der Biuretreaktion — eine 
Probe, die 2 g der Biuretbase in Wasser gelöst enthielt und 
gleich lang wie die Hauptprobe digeriert worden war, zeigte noch 
intensive Biuretreaktion — wurde filtriert, das Filtrat unter ver- 
mindertem Druck bis auf ein geringes Volumen eingedampft 
und dann Alkohol zugesetzt, bis die entstehende Trübung nicht 
mehr verschwand. Es trat reichliche Kristallisation auf. Das 
erhaltene Produkt wurde durch Lösen in heißem Wasser und 
nachheriges Ausfällen mit absolutem Alkohol unter Zuhilfenahme 
von Tierkohle zweimal umkristallisiert. Der Körper ist von süßem 
Geschmack, in kaltem Wasser ziemlich, in heißem gut öslich, in 
Alkohol unlöslich. Mit Eisenchlorid gibt er tiefrote Färbung, mit 
Kupferkarbonat blaue Lösung. Bei dem freiwilligen Verdunsten der 
durch Kochen mit Kupferkarbonat erhaltenen Lösung kristallisieren 
blaue Nadeln aus. Eine Schmelzpunktsbestimmung ergab, daß der 
Körper bei 218° sich dunkler färbte, bei 228° braun wurde und 
bei 233° unter Gasentwickelung zu schmelzen begann. Dieses 
Verhalten stimmt mit den von Curtius“*) für das Glykokoll ge- 
machten Angaben überein. 

0,1300 g über Schwefelsäure getrockneter Substanz neutrali- 
sierten bei Bestimmung nach Kjeldahl 17,95 cem 'Jıo Norm.-NaOH. 
Berechnet für CH,NH,COOH Gefunden 

N = 18,67 Proz. 19,33 Proz. 


*) Diese Beiträge 1, 1. 
**) Journal f. prakt. Chemie 26, 156. 


168 Moritz Schwarzschild, 


Aus diesen Daten ergibt sich, wenngleich das Ergebnis der 
Stickstoffbestimmung zu hoch ausfiel, doch ohne Zweifel, daß sich 
bei der Einwirkung des Trypsins auf die Sa il: Tase 
Glykokoll zurückbildet. 


III. Schlußbemerkungen. 

Stellen wir die Ergebnisse der Versuche, wie sie oben mit- 
geteilt wurder, zusammen, so fällt zunächst auf, daß die Amide 
— Asparagin, Acetamid, Harnstoff, Benzamid, Oxamid, Biuret, 
Malondiamid, Glycinamid, Äthyloxamid, Monophenyloxamid — durch 
Trypsin nicht zerlegt werden. Man hätte um so eher auf eine 
Aufspaltung dieser Körper rechnen können, als doch Mochizuki*) 
gezeigt hat, daß bei der Trypsinwirkung auf Eiweißstoffe fast 
genau jener Teil des Stickstofis, welcher sich als durch Säure 
angreifbar erweist, auch für das Trypsin abspaltbar ist. Ebenso 
kamen Dzierzgowski und Salaskin*) zu dem Resultate, daß 
„bei der Einwirkung des Pankreassaftes ein Teil des Eiweißstick- 
stoffes abgespalten wird, welcher offenbar in den Eiweißkörpern in 
der leicht abspaltbaren Form des ‚Amidstickstoffes‘ vorhanden ist“. 

Zu demselben negativen Resultate bezüglich der Wirkung 
des Trypsins auf Amide kam auch Gonnermann*““) in einer 
Juli 1902 nach Abschluß meiner einschlägigen Versuche er- 
schienenen Arbeit. Die Amide die er untersuchte, es sind zum 
Teil dieselben die auch ich prüfte: Formamid, Oxamıd, Suceinamid, 
Benzamid, Salicylamid, erwiesen sich als unangreifbar für das 
Trypsin. Nur bei der Einwirkung des letzteren auf Acetamid er- 
hielt er ein positives Resultat und hält in einer jüngst erschienenen 
Arbeity), in der er Bezug nimmt auf die von Hofmeisterfy) 
ee 1902) erwähnten Resultate der vorliegenden Unter- 
suchungen, an seinen Angaben fest. Ich kann im Hinblick auf 
die überaus einfache, von mir angewandte Methodik und die 
völlig gleichlautenden Resultate nur vermuten, daß Gonnermanns 
mehr indirektes Verfahren mit einer Fehlerquelle behaftet war. 

An dieser Stelle möchte ich auch auf die eingangs erwähnte 
Versuchsreihe von Gulewitsch*r) eingehen, welche es möglich 
erscheinen ließ, daß Trypsin Acetyl aus acetylierten Aminen ab- 
spaltet, was ja ein Seitenstück zu der eben beschriebenen Auf- 


*) Diese Beiträge 1, 44. 
**) Oentralblatt f. Physiologie 15, 249. 
*+*) Pflügers Archiv 89, 493. 
+) Pflügers Archiv 9, 278. 
+ loe. cit. 
*+) Zeitschr. f. physiol. Chemie 27, 540. 


Über die Wirkungsweise des Trypsins. 169 


spaltung der Curtiusschen Base darstellen würde. In 6 Versuchen 
mit p-Diacetylamidophenol (CH,CO) OG,H,NH(COCH;) erhielt er 
den mit Trypsin digerierten Proben konstant ein Plus an Essig- 
säure gegenüber den mit gekochter Trypsinlösung angestellten 
Versuchen. Er spricht sich jedoch über diese Versuche mit aller 
Reserve aus. 


Die von Gulewitsch bis ins kleinste Detail gegebene Anordnung 
erleichterte mir die Nachprüfung außerordentlich. Ich hielt mich streng 
an seine Angaben. Es ergab sich, daß, wenn die Kontrollproben unter 
genau gleichen Bedingungen (speziell mit Sodazusatz) angestellt wurden, 
ein Unterschied in der Größe der Essigsäureabspaltung nicht erweislich . 
war. In der beifolgenden Tabelle habe ich die von Gulewitsch be- 
nutzte Bezeichnung beibehalten und als D die Menge der !/,, Norm.-Na0OH 
in Zentimetern bezeichnet, die zur Neutralisation derjenigen Essigsäure- 
menge notwendig war, welche in einer nur mit Soda digerierten Probe 
abgespalten wurde. | 


. Menge der Menge des Trypsins A as # 8, ] | D 
Subst. und der Sodalösung reiche > ir | 
05 8 0,5 g in 100 ccm Soda|l 12 Tage 9,3 — — 
0,5 8 0,5 & gekocht in 100 cem „ 1a:3n 5 — 6,0 — 
0,5 € — 100:.6cm.‘.. IiB-',,, —_ — 10,75 


Wie man sieht, wirkt die zugesetzte Sodalösung stärker spaltend 
als die daneben Trypsin enthaltende, ungekochte, ganz besonders stärker 
aber als die gekochte Probe. Die Deutung dieses Verhaltens ist wohl 
darin zu suchen, daß das Alkali durch die dem Trypsinpräparat an- 
haftenden Stoffe langsam beim Stehen, rasch beim Kochen (vielleicht 
durch Bildung von Albuminat) an Wirksamkeit einbüßt. 

Wenn es mir somit wider Erwarten in den angeführten Fällen 
nicht gelang, die Spaltung einer säureamidartigen Verbindung zu 
erzielen, ist der mit der OGurtiusschen Base erhaltene positive 
Befund um so bemerkenswerter. Sein Hauptinteresse liegt darin, 
daß diese Base einen Bau besitzt, welcher, wie Hofmeister“) 
zuerst ausführlich begründet hat, den Eiweißkörpern und deren Ab- 
kömmlingen zukommt. Wenn einerseits daher gezeigt wurde, daß 
das Verhalten der Eiweißkörper und der Abkömmlinge derselben auf 
Grund der Beobachtungen von Curtius und namentlich E. Fischer 
auf eine säureamidartige Bindung hinweist, daß andererseits das 
verbreitete Vorkommen analoger Synthesen im Tier- und Pflanzen- 
reich diese Vermutung in höchstem Grade unterstützt, so ist nun 
durch meine Versuche weiter der Nachweis erbracht, daß die 
künstlich erhaltenen Produkte von solehem Bau, wie ihn die 
Curtiussche Base aufweist, einer Spaltung durch tryptisches, 
Eiweißkörper verdauendes Ferment unter Verhältnissen zugänglich 


*) loc. cit. 


170 Moritz Schwarzschild, Über die Wirkungsweise des Trypsins. 


sind, die durchaus den im Tierkörper gegebenen entsprechen. Es 
zeigt dies, daß die Bindungsweise NH.CH,.CO.NH, welche Hof- 
meister als besonders charakteristisch für die Proteinstoffe an- 
sieht, im gegebenen Fall zugleich den Angriffspunkt der Wirkung 
des tryptischen Fermentes darstellt. Dabei ist es bemerkenswert, 
daß der Curtiussche Körper der Fermentwirkung zugänglich ist, 
obgleich er kein asymmetrisches C-Atom enthält, und daß sein Ver- 
halten sich trotzdem als ein spezifisches darstellt, da einerseits 
andere Stoffe, welche die gleiche Gruppe enthalten, z. B. das 
Glyeinamid, der Trypsinwirkung widerstehen, andererseits die 
Curtiussche Base selbst der analogen Einwirkung von Pepsin- 
salzsäure unzugänglich ist. 

Es ist wohl zu hoffen, daß eine Weiterführung solcher Versuche 
sowohl an natürlichen Spaltungsprodukten als auch an ähnlich 
gebauten synthetisch erhaltenen Stoffen zur Klarstellung jener 
Struktureigentümlichkeiten führen wird, welche dem Trypsin seine 
spaltende Wirkung ermöglichen. 


I XI. 
Tryptophan, eine Vorstufe des Indols bei der 
Eiweißfäulnis. 


Vorläufige Mitteilung 
von Alexander Ellinger und cand. med. Max Gentzen. 


(Ausdem Universitäts-Laboratorium für medizinische Chemie und experimentelle 
Pharmakologie zu Königsberg in Pr.) 


Für nahezu alle wohl charakterisierten Produkte, welche bei 
der Fäulnis von Eiweißkörpern erhalten worden sind, ist teils durch 
die älteren Untersuchungen von Nencki, Brieger, E. und H. 
Salkowskı, Baumann und deren Schülern, teils durch Unter- 
suchungen der letzten Jahre der Weg gezeigt worden, auf welchem 
sie durch verschiedene Zwischenstufen hindurch aus der komplexen 
Eiweißmolekel entstehen. Nur für zwei der am längsten bekannten 
Fäulnisprodukte, das Indol und Skatol, sind wir hinsichtlich ihrer 
Entstehung fast ausschließlich auf Hypothesen angewiesen. So 
hat Nencki*), die Vermutung ausgesprochen, daß alle bei der 
Fäulnis beobachteten Körper der Indolgruppe, das Indol, Skatol, 
die Skatolkarbonsäure und Skatolessigsäure einer gemeinsamen 
Muttersubstanz, der damals unter den hydrolytischen Spaltungs- 
produkten der Proteine noch nicht aufgefundenen Skatolamino- 
essigsäure entstammten. 

Die Frage nach der Entstehung des Indols aus Eiweiß trat 
in ein neues Stadium, als Hopkins und Cole“) die Reindar 
stellung des Tryptophan gelang, welche bis dahin trotz aller 
Bemühungen vergeblich versucht war. Dieser Körper, der von 
seinem regelmäßigen Auftreten bei der tryptischen Verdauung 
seinen Namen erhalten hat, und dessen Entstehung bei der 
Eiweißfäulnis auf Grund seiner charakteristischen Reaktionen 
längst erkannt war, ergab bei der Analyse Zahlen, welche auf 


*) Monatshefte f. Chemie 10, 506 (1889). 
**) Journal of physiology 27, 418 (1901). 


172 \ Alexander Ellinger und Max Gentzen, 


eine Skatolaminoessigsäure oder Indolaminopropionsäure stimmten, 
und seine Reaktionen wiesen darauf hin, daß ein Indolkern in 
ihm enthalten sei. 


Diese in der Arbeit der beiden englischen Forscher sicher- 
gestellten Tatsachen luden zur Prüfung der Frage ein, ob in dem 
Tryptophan eine oder die Vorstufe des Indols bei der bakteriellen 
Eiweißzersetzung vorliege, und weiterhin ob der Organismus der 
höheren Tiere aus Tryptophan Indol bilden könne. 


Für uns war namentlich das letztere Problem mit Rücksicht auf 
den derzeitigen Stand der Indicanfrage von Interesse. In mehreren 
Arbeiten, welche aus dem hiesigen Institute im Laufe des letzten 
Jahres veröffentlicht worden sind [Scholz*), Ellinger**)], ist der 
von mehreren Autoren, am energischsten von Blumenthal und 
seinen Mitarbeitern Lewin**"*) und RosenfeldYr) verfochtenen Be- 
hauptung entgegengetreten worden, es lägen bisher irgend welche 
Beweise dafür vor, daß das Harnindican eine andere Quelle habe 
als das durch bakterielle Zersetzung innerhalb oder außerhalb des 
Darmkanals entstandene Indol. Die Möglichkeit, daß Indol auch 
im intermediären Stoffwechsel beim Abbau der Eiweißkörper ent- 
stehen könne, ließ sich natürlich nicht in Abrede stellen, und 
falls sie im Tierkörper verwirklicht war, so lag es am nächsten, 
anzunehmen, daß das Tryptophan, zu dessen Entstehung durch 
tryptische Fermente im Organismus ja reichlich Gelegenheit vor- 
handen ist, Quelle des Indols bezw. des Harnindicans seitT). 


Vier Versuche, die wir an Kaninchen, und einer, welchen wir an 
einem kleinen Hunde anstellten, ergaben, daß das nach Hopkins 
und Cole rein dargestellte Tryptophan weder bei subcutaner In- 
jektion noch nach Darreichung per 0s Ausscheidung von Indican 
veranlaßte. Die vorher indicanfreien Tiere blieben bei Aufnahme 
von je 0,2 g des Körpers indicanfrei. Damit erscheint uns die 
Annahme, daß Indol beim Abbau von Eiweißkörpern 
durch die Zwischenstufe des Tryptophans hindurch 


*) Beiträge zur Frage nach der Entstehung des Indicans im Tierkörper. 
Inaug.-Diss. Königsberg 1903. 
**) Die Indolbildung und Indicanausscheidung beim hungernden Ka- 
ninchen. Ztschr. f. physiol. Chemie, im Druck. 
*+**) Diese Beiträge 1, 472 (1902). 
+) Charitö-Annalen 1903. Jahrg. 27. 
++) Als unsere Untersuchungen bereits im Gange waren, ist auch von 
Blumenthal und Rosenfeld in einer im April erschienenen Abhandlung 
(Charit6-Annalen, Jahrgang 27) die Vermutung ausgesprochen worden, daß 
Tryptophan eine Vorstufe des Indicans sei. 


ee de 


10 VE Zu SE EEE nm Zu De Min an Dan A m ln rn a nn nn Un UELLULUU U _ 


Tryptophan, eine Vorstufe des Indols bei der Eiweißfäulnis. 173 


im Organismus des Kaninchens oder Hundes entstehe, 
widerlegt. 

Ob beim bakteriellen Abbau der Eiweißkörper Indol aus 
Tryptophan entsteht, darüber konnten uns diese Versuche nichts 
sagen. Denn selbst bei der Verabreichung per os ließ sich er- 
warten, daß das Tryptophan früher resorbiert würde, als esin den 
Dickdarm, die Stätte der normalen Darmfäulnis, gelangt. Aber 
auch diese Frage konnten wir entscheiden, indem wir den kleinen 
Kunstgriff benutzten, das Tryptophan in schwacher Sodalösung 
direkt mit einer Pravazschen Spritze in den Blinddarm des 
Kaninchens zu injizieren. Durch Kontrollversuche überzeugten 
wir uns, daß der operative Eingriff, unter aseptischen Kautelen 
obne Einfluß auf die Indicanausscheidung blieb, wenn die gleiche 
Menge Sodalösung ohne Tryptophan injiziert wurde. Ein Kaninchen 
schied unter diesen Umständen am Injektionstage 1 mg Indican 
(als Indigo berechnet) aus, ein anderes blieb dauernd indicanfrei. 

Dagegen verhielt sich bei zwei vorher indicanfreien Kaninchen 
die Ausscheidung nach Injektion von 0,2 g Tryptophan in das 
Coecum, wie folgt: 


Kaninchen I (Gewicht 2080 g) liefert am ersten Tage 21,2 mg, am 
zweiten Tage 16,35 mg Indigo, vom dritten Tage an ist es wieder 
indicanfrei. 

Kaninchen II (Gewicht 1700 g) schied am ersten Tage 20,1 mg 
Indigo aus, und war am 2. Tage schon indicanfrei. 


Das erste Kaninchen zeigte nach der Operation etwas ver- 
minderte Freßlust, doch liegt kein Grund vor, einen nennenswerten 
Anteil der Indicanausscheidung diesem Umstand zuzuschreiben, 
da bei den Kontrolltieren dasselbe beobachtet wurde, ohne daß die 
Indicanausscheidung höher als auf 1 mg stieg. Sonst blieb der 
Eingriff ohne erkennbare Folgen. 

Die Indigomenge, die im ersten Versuch erhalten wurde, be- 
trug also 37,55 mg, im zweiten 20,1 mg. Nach den Versuchen 
von Ellinger*) über die titrimetrische Indicanbestimmung im Harn 
muß zu diesen Werten '/s der gefundenen Menge als Korrektur 
addiert werden; danach entsprechen der ausgeschiedenen Indican- 
menge bei Kaninchen I 43,8 mg, bei Kaninchen II 23,5 mg Indigo. 
Aus 0,2 g Tryptophan können, vorausgesetzt, daß daraus Indol 
abgespalten und dieses zu Indigo oxydiert wird, 128,4 mg Indigo 
entstehen. Somit fanden sich 34,11 Proz. bezw. 18,3 Proz. der 
theoretischen Menge Indigo im Harn. 

Nun werden aber von eingegebenem Indol, beim Hunde 
wenigstens, nach Untersuchungen von Wang**) und eigenen Er- 


*) Ztschr. f. physiolog. Chemie 58, 178 (1903). 
**) Ztschr. f. physiolog. Chemie 27, 557 (1899). 


174 Alexander Ellinger u. Max Gentzen, Tryptophan, eine Vorstufe usw. 


fahrungen im besten Falle nur etwa 60 Proz. als Indican ausge- 
schieden bezw. als Indigo bestimmt. Wir müssen also die im Dick- 
darm des Kaninchens aus Tryptophan entstandene Menge Indol 
etwa doppelt so hoch schätzen als die gefundene Indigomenge, 
wobei die Annahme gemacht ist, daß die Ausscheidungsverhält- 
nisse für indol beim Hunde und Kineen ungefähr gleich sind, 
und daß das als Indican ausgeschiedene Material im Darm als Indol 
resorbiert wurde*). 

Die Feststellung einer so weitgehenden Indolbildung aus 
Tryptophan im Dickdarm berechtigt wohl zu dem Schlusse, daß 
das Tryptophan eine, wenn nicht gar die Vorstufe des 
Indols bei der bakteriellen Eiweißzersetzung ist. 

Eine Rötung des Harns bei der Indicanprobe, die auf Aus- 
scheidung von Skatolfarbstoff hingewiesen hätte, konnten wir in 
keinem unserer Versuche beobachten. Das Fehlen des Skatolfarb- 
stoffs im Harn bei der sehr reichlichen Ausscheidung von Indican 
scheint uns eher dafür zu sprechen, daß das Tryptophan sich vom 
Indol, als daß es sich vom Skatol ableitet. 

Doch lag die Frage nach der Konstitution des Tryptophans 
zunächst nicht in unserem Arbeitsprogramm, und wir haben Ver- 
suche über die Zersetzung von Tryptophanlösungen durch Rein- 
kulturen von Bakterien vorerst zurückgestellt, da, wie wir einer 
freundlichen schriftlichen Mitteilung des Herrn Hopkins ent- 
nehmen, dieser selbst mit Herrn Cole zusammen die bakterielle 
Zersetzung des Tryptophans studiert hat, um Aufschlüsse über 
die Konstitution dieses Körpers zu erhalten, und demnächst darüber 
berichten wird. 

Königsberg ıi. Pr., 1. Juni 1903. 


*) Wir haben uns davon überzeugt, daß nicht etwa Tryptophan selbst 
bei Behandlung mit Obermayers Reagens Indigo liefert. 


Zu re a 5 Dh he u u u . “. 


u A nn 


in EI 20 a A al Dr A Di u le a a rn te re ne A 


XIV. 


Uber die Darstellung der Guanylsäure. 
Von Ivar Bang und C. A. Raaschou. 


(Aus dem physiol.-chemischen Laboratorium zu Lund, Schweden.) 


Vor einigen Jahren hat der eine von uns gezeigt, daß man 
aus dem Pankreas eine Nucleinsäure, die Guanylsäure, dar- 
stellen kann, welche einen Bestandteil des Pankreas-Nucleoproteids 
von Hammarsten darstellt*). 

Die Guanylsäure hat in doppelter Beziehung ein Interesse, 
Einmnl enthält sie von Purinbasen nur eine, das Guanin, sodann 
enthält sie Pentose. In der letzten Zeit hat Neuberg**) nach- 
gewiesen, daß die Pentose der Pankreasdrüse 1-Xylose ist und 
schließt hieraus, daß jene der Guanylsäure wahrscheinlich die- 
selbe Pentose ist. Doch hat weder Neuberg noch ein anderer 
Forscher die Guanylsäure nach dieser Richtung untersucht. 

Mit gutem Grund wurde allerseits hervorgehoben, daß die 
Darstellung der Guanylsäure außerordentlich schwierig und nament- 
lich die Ausbeute äußerst gering ist. Eine verbesserte Darstellungs- 
methode wäre daher sehr wünschenswert. Eine Arbeit von 
Umber*“*) schien auch eine solche in Aussicht zu stellen. 
Umber digerierte das Nucleoproteid mit Pepsin-Salzsäure. Bei 
der Neutralisation der Verdauungslösung schied sich die Guanyl- 
säure aus. Der Phosphor-Gehalt betrug 8,45 Proz. Trypsindigestion 
des Nucleoproteides hatte dieselbe Wirkung. 

Diese Methode ist jedoch ganz unsicher. Nach längerer Di- 
gestion erwies sich die Lösung als direkt reduzierend, und es ist 
demnach nicht unwahrscheinlich, daß dann ein Teil der Guanyl- 
säure bereits gespalten war. Weiter konnte Umber die Guanyl- 
säure teilweise mit Ammonsulfat aussalzen, was unseren Er- 
fahrungen nicht entspricht. Zuletzt schlägt Umber den Guanyl- 


*) Zeitschr. f. physiol. Chemie 26 und 31. 


**) Berl. Berichte 35, 1467. 
***) Zeitschr. f. klin. Medizin 43. 


176 Ivar Bang und C. A. Raaschou, 


säurerest aus dem mit Ammonsulfat gesättigten Filtrate mittels 
Quecksilberacetat nieder. 

Nach unseren Erfahrungen geht man am besten von Pankreas 
selbst aus. Der eine von uns*) hat versucht, die Methode 
Umbers auf Pankreas bezw. alkalische Dekokte von Pankreas 
anzuwenden. Man neutralisiert, sättigt mit Ammonsulfat, filtriert 
und schlägt die Guanylsäure mit Quecksilberacetat nieder. (Der 
durch Ammonsulfat erhaltene Eiweißniederschlag gibt keine 
Pentosenreaktion.) Die Quecksilberverbindung der Guanylsäure 
wird weiter mit Schwefelwasserstoff zerlegt, das Filtrat ein- 
gedampft und die Nucleinsäure mit Alkohol niedergeschlagen. 
Es zeigte sich aber, daß die Guanylsäure sehr empfindlich 
gegen Schwefelwasserstoff ist. Beim Eindampfen wurde 
sie größtenteils zerstört. Weiter wurde das Quecksilber durch 
Schwefelwasserstoff nur unvollständig abgespalten. Wenn man 
Schwefelalkali benutzt, stellt sich die Sache nicht besser. Wir 
haben noch viele andere Metallsalze untersucht, haben jedoch zu- 
letzt von ihrer Anwendung ganz Abstand genommen. Dagegen 
stimmen wir mit Umber darin überein, daß frisch dargestelltes 
Quecksilberacetat die Guanylsäure vollständig niederschlägt. Das- 
selbe tun übrigens mehrere Acetate, z. B. Bleiessig, welcher 
dem Quecksilberacetat vorzuziehen ist. Die Chloride und Sulfate 
der Schwermetalle fällen die Guanylsäure dagegen nur unvoll- 
ständig. 

. Da die Ausfällung der Guanylsäure als Metallsalz nicht zum 
Ziele führte, haben wir die Versuche mit Erfolg in anderer 
Richtung weitergeführt. In einer in norwegischer Sprache er- 
schienenen Mitteilung hat der eine von uns gezeigt, daß man 
durch Aufnehmen der Guanylsäure mit heißem 60-proz. Alkohol, 
worin sie ziemlich löslich ist, und Abkühlen des Filtrats be- 
trächtliche Mengen derselben darstellen kann. Diese Methode 
haben wir in verschiedener Weise ausprobiert und sind zuletzt 
zu folgender Modifikation gelangt. 


1000 bis 1200 g Ochsen-Pankreas werden in der Fleischhackmaschine 
zerkleinert, dann mit 2 Liter 1-proz. Natronlauge angerührt. Nach 
24 Stunden erwärmt man die Mischung bis die Lösung dünnflüssig wird. Man 
neutralisiert mit Essigsäure und setzt davon zuletzt bis zur deutlich sauren 
Reaktion hinzu. Der entstandene zähe, schwarzbraune Niederschlag wird 
abkoliert und 1 bis 2 mal mit Wasser ausgekocht. Die gesamte kolierte 
Flüssigkeit (5 bis 6 Lit.) wird filtriert, mit Ammoniak zu schwach alkalischer 
Reaktion versetzt und auf etwa 300 ccm eingedampft. Jetzt versetzt man 


*) Bang, Mindre Middelelser om Guanylsyren. Archiv f. Mathem. og 
Naturvidenskab 24. (Norwegisch). 


Über die Darstellung der Guanylsäure. 1747 


die noch heiße Lösung mit 3 Vol. Alkohol. Es entsteht ein reichlicher 
Niederschlag, während sich der Alkohol stark braun färbt. Nach einigen 
Stunden filtriert man. (Man kann auch gleich nach dem Erkalten filtrieren, 
das alkoholische Filtrat gibt dann aber eine Nachfällung, die man zweck- 
mäßiger mitverarbeitet.) Der Niederschlag wird in 150 cem Wasser ge- 
löst und heiß filtriert. Den unlöslichen Rest kocht man einmal mit 
Wasser aus, vereinigt die Filtrate und setzt nach Abkühlung 3 Vol. 
Alkohol hinzu. Es entsteht sogleich ein voluminöser, reichlicher Nieder- 
schlag, welcher aus schon ziemlich reiner Guanylsäure besteht. Er wird 
abfiltriert und nochmals in 100 ccm heißem Wasser gelöst. Man filtriert 
heiß, läßt abkühlen, setzt 3 Vol. Alkohol ‚hinzu, filtriert, wäscht mit Alkohol 
aus und erhält zuletzt nach Alkohol- Ather-Behandlung die Guanylsäure 
als ein weißes, feines Pulver. 


Zu dieser Darstellungsmethode ist folgendes zu bemerken: 


1. Man benutzt nur 1-proz. Natronlauge (während man sonst 
zur Darstellung der Guanylsäure aus Pankreasproteid 2-proz. 
Kalilauge anwendet); ferner ist die Erhitzung der alkalischen 
Mischung so weit als möglich einzuschränken. Bei Verwendung 
stärkerer Lauge und bei längerer Erhitzung erhält man mit Alkohol 
schmierige, braune, sirupöse Massen, welche zwar eine intensive 
Pentosenreaktion geben, aber doch nur als Sirupe erhältlich sind. 


2. Die Alkoholfällung liefert sehr rasch Präparate, welche 
absolut eiweißfrei (und salzfrei) sind. Die Eiweißkörper, welche 
nach der Alkalibehandlung entstehen, sind: 1. Alkalialbuminate, 
welche bei der Neutralisation ausfallen; 2. melaninartige Körper, 
welche größtenteils mit den Alkalialbuminaten ausfallen; 3. der 
größte Teil der Eiweißkörper sind albumosenartige Sub- 
stanzen, welche in 70 bis S0-proz. Alkohol löslich sind. 
Die alkoholischen Extrakte geben deswegen auch eine intensive 
Biuretreaktion; 4. ein Teil der Eiweißkörper wird endlich durch 
den Alkohol koaguliert. 


3. Die Säure selbst ist sehr leicht in Wasser löslich und 
wird bei Zusatz von Säuren — Essigsäure und Mineralsäuren — 
nicht gefällt. Da die gewöhnliche Guanylsäure nicht besonders 
wasserlöslich ist und auch von Essigsäure gefällt wird, kann 
unsere Säure nicht mit der Guanylsäure identisch sein. 


Zur Sicherstellung des Unterschiedes haben wir uns bemüht, 
die elementare und rationelle Zusammensetzung unserer Präparate 
festzustellen. 

Wir haben uns mit Phosphor- und Stickstoffanalysen begnügt und 
teilen die Resultate hier mit. 


Präp. I. Phosphorbestimmung. 
1. 0,2350 g bis 0,0560 g Pyrophosphat = 6,65 Proz. P. 
2. 0,33583.:,.1..:0,0793: , 5 ip, 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 12 


178 | Ivar Bang und (©. A. Raaschou, 


Präp. II. a) Phosphorbestimmungen. 
1. 0,1946 g bis 0,0453 g Pyrophosphat = 6,50 Proz. P. 


2. 0,2340, (0/0528, ’ —658 „ P. 
3. 0,330 „7, 0,0802, g BR: > 
b) Stickstoffbestimmungen. 
1. 0,1789 g bis 19,3 = H,SO, = 15,10 Proz. N. 
2.823108... 799.5. Eh 
3. 0,028 a N. 
P, | N. 
Präp.' I. 6,65 Proz. _ 
6,54... —_ 
Präp. 11. 6530. .; 15,10 Proz. 
6.38% 1536.75 
Ei 19,38”, 
Mittel: 6,59 Proz. P. 15,28 Proz. N. 
Auf aschefreie Substanz berechnet: 6,65 Proz. P. 15,38 Proz. N. 


Diese Nucleinsäure enthielt also nur 6,65 Proz. Phosphor und 
15,35 Proz. Stickstoff, während die Guanylsäure 7,64 Proz. P und 
18,21 Proz. N aufweist. 

Dabei lieferte sie reichlich Pentose und reduzierte Feh- 
lingsche Lösung nach Inversion. Weiter konnten wir aus ihr 
beträchtliche Mengen Guanin darstellen und haben auch hier 
daneben keine andere Purinbase gefunden. Ebensowenig ver- 
mißten wir das Glycerin. 

Die Bestimmung der Spaltungsprodukte gab uns näheren Ein- 
blick in diesen Unterschied. 

Wir bestimmten den Pentosen- und den Guaningehalt, indem 
wir in der Methodik den früheren Spaltungsversuchen der Guanyl- 
säure folgten. Die Ergebnisse beziehen sich auf Präparat I. 


1. Reduktionsversuche. 
a) 0,2913 g mit 100 ccm 5-proz. H,SO, zerkocht — 33,98 Proz. 
Pentose, als Dextrose bestimmt. 
b) 0,3560 g mit 180 ccm 5-proz. H,SO, zerkocht — 34,15 Proz. 
Pentose. 
2. Guaninbestimmungen. 
a) 0,3074 g bis 0,2290 g Silberverbindung — 30,00 Proz. Guanin 
D),.0.2078° 02180, R 2035 Pe 
c) 02936., „ 0,2080... ” = 2019225 - 
Unsere Nucleinsäure enthält somit 34,07 Proz. (34,3 auf asche- 
freie Substanz umgerechnet) Pentose und 29,46 Proz. (29,7) Guanin, 
während die Guanylsäure nur 30 Proz. Pentose und 35,74 Proz. 
Guanin enthält. 
Die Bedeutung dieser Unterschiede läßt sich am besten ver- 
stehen, wenn man die früher entwickelte Formel der Guanyl- 
säure betrachtet. Danach ist die Guanylsäure: 


Über die Darstellung der Guanylsäure. 


OH OH 
nz 
Ö, H, N,;,—0—P—0—(6, H,; (O H) > C, H, OÖ, 
| 
0) 
| 
C, H, N,—0—P—0—6; H, (O H) ö C, Hs; OÖ; 
OR) | 
| x | 
Ö, H, N,„—0—P— O— G H, (OÖ H) s C, H3 (07 
| 
Ö 
| 
C, H, N,„—0—P—-0 H 


OH: OH 
während sich unsere neue Nucleinsäure durch die 
drücken läßt: 

OF OR 


>87 | 
9 H, N,—0— P—0-, H, (OÖ H) ; Cr; H, VO, 
| 
Ö 
| 
C, H, N,—0—P—0—0; H, (OÖ H) 2 C, H; Ö, 
ZEN 
OO 
3 
C, H, N,— 0— P—0—(, H, (Ö H) : Ö, H, O, 
| 
Ö 
| 
G, H, N,—-0—P—-0-—(; EI; (OÖ H) ä 6: EB: Ö, 
OH OH 


179 


Formel aus- 


Unsere Säure würde sich danach von der Guanyl- 
säure dadurch unterscheiden, daß sie eine Glycerin- 


Pentosegruppe mehr als diese enthält. 


Die Spaltung dieser Säure müßte nach folgendem Schema 


verlaufen: 


C„H.N»P:.0u + EP H,0O=4GH,NO+H,PO,+C,H,O: 


+ 6H,05). 


Diese Formel verlangt einen Gehalt von 7,09 Proz. P und 
15,88 Proz. N, während wir in der Tat 6,65 Proz. P und 15,38 Proz. N 
gefunden haben. Sie läßt weiter die Bildung von 34,5 Proz. 
Guanin und 34,32 Proz. Pentose erwarten; gefunden: 29,7 Proz. 


Guanin und 34,3 Proz. Pentose*). 


*) Bestimmt als Traubenzucker. Die Xylose reduziert etwas stärker 
als Dextrose, und deswegen sind unsere Werte etwas zu reduzieren. 


12* 


180 Ivar Bang und C. A. Raaschou, 


Daß wir etwa 4 Proz. zu wenig Guanin gefunden haben, darf 
nicht befremden. Aus der Guanylsäure hat der eine von uns 
auch immer etwa 4 Proz. weniger erhalten, als der theoretischen 
Menge entspricht. 

Es liegt ferner nahe, anzunehmen, daß die früher beschriebene 
Guanylsäure, welche wir mit $-Guanylsäure bezeichnen wollen, 
aus der jetzt gefundenen Nucleinsäure, der a-Guanylsäure, 
herstammt. Man kann vermuten, daß die Alkalieinwirkung 
hier eine wesentliche Rolle spielt. Bei der Darstellung der 
a-Guanylsäure kommt nur eine Lauge von 0,3 bis 0,5 Proz. in Ver- 
wendung, während die -Guanylsäure durch Kochen mit 2-proz. 
Kalilauge aus dem Nucleoproteide dargestellt ist. 

Um diese Vermutung experimentell zu prüfen, haben wir 
die a-Guanylsäure eine Viertelstunde mit 2-proz. Kalilauge im 
Wasserbade gekocht. Die Säure wurde hierdurch merklich ver- 
ändert: 1. Sie ‘wurde jetzt für Essigsäure fällbar, 2. war viel 
weniger leicht im Wasser löslich und 3. enthielt mehr Phosphor: 

1. 0,1845 g bis 0,0485 g Pyrophosphat = 7,32 Proz. P. 
2. 0,1825 „ „ 0,0490 „ 5 a 

Im Mittel also 7,40 Proz. P. Die $-Guanylsäure enthält 7,64 Proc. P, 

Durch Kochen mit Alkali läßt sich somit die 
a-Guanylsäure in $-Guanylsäure überführen. 

Selbstverständlich kann man auch annehmen, daß man bei 
fortgesetzter Alkalieinwirkung zu einer y- und d-Guanylsäure 
kommen kann, und dies ist auch in der Tat der Fall. Diese 
stellen aber schmierige Produkte dar, die sich nicht zur Analyse 
eignen. | | 

4. Die wesentliche Bedeutung der Methode liegt in der außer- 
ordentlich zufriedenstellenden Ausbeute. Während man nach der 
älteren Methode mit dem Nucleoproteid als Ausgangsmaterial etwa 
0,1 g ß-Guanylsäure aus einem Kilogramm Pankreas erhielt, 
haben wir daraus durchschnittlich 3 g ganz reine a-Guanylsäure 
erhalten. (Auf Trockensubstanz umgerechnet etwa 15 g pro kg.) 
Bei quantitativem Arbeiten erhält man wahrscheinlich noch etwas 
mehr. Übrigens scheint es, als ob das Pankreas recht verschiedene 
Mengen Guanylsäure enthalten könnte — von 2 bis 35 g 
pro kg Drüse. \ 

5. Endlich bleibt noch zu untersuchen, ob die Guanylsäure 
die gesamte Pentose der Pankreasdrüse enthält, oder ob hier 
noch andere pentosenhaltige Substanzen vorhanden sind. Nach 
Grund*) enthält Pankreas 0,45 Proz. Pentose — aus dem Furfurol- 


*) Zeitschr. f. physiol. Chemie 35, 130. 


Über die Darstellung der Guanylsäure. 181 


niederschlage berechnet — was etwa 1,4 Proz. Guanylsäure ent- 
spräche. Bei unserer Methode würde man also nur '/, der vor- 
gebildeten Guanylsäuremenge erhalten. 

Demgegenüber können wir mit Bestimmtheit behaupten, daß 
wir den bei weitem größten Teil der Guanylsäure gewonnen 
haben. Man muß somit entweder annehmen, daß ein Teil der 
Guanylsäure bei der Alkalibehandlung gespalten und zerstört wird, 
oder aber es muß die Pentose hauptsächlich in anderer Ver- 
bindung vorkommen. Da die Alkalibehandlung bei unserer Dar- 
stellungsweise so kurz dauert und der Alkaligehalt so gering ist, 
hat die erstere Annahme nicht besonders viel für sich. Auf der 
anderen Seite kann man leicht zeigen, daß die Pentose nicht 
als solche präformiert im Pankreas vorkommt. Beim 
Kochen mit Wasser kann man die Pentosenverbindungen ganz 
vollständig extrahieren. Versetzt man die Dekokte mit Bleiessig, 
so gibt das Filtrat absolut keine Pentosenreaktion mehr. Man 
kann somit schließen, daß präformierte Pentose nicht vorliegt. 

Entweder enthält daher das Pankreas neben Guanylsäure andere 
pentosenhaltige Verbindungen, oder es kommen hier noch andere 
Substanzen vor, welche Furfurolbildung veranlassen. Nach unserer 
Ansicht ist die letztere Möglichkeit die wahrscheinlichere. 

Nach Umber enthält Pankreas etwa 1,7 Proz. a-Nucleoproteid 
mit 1,76 Proz. P. Dies entspricht 0,43 Proz. a-Guanylsäure, 
während wir 0,3 Proz. gefunden haben. 

Nach unserer Methode lassen sich leicht große Mengen 
Guanylsäure gewinnen. Wir seibst haben über 100 g dargestellt. 
Man hat hier anscheinend ein bequemes Ausgangsmaterial zur 
Darstellung der Xylose. Bei Versuchen in dieser Richtung ge- 
langten wir in der Tat zu kristallisierten Produkten, welche sich 
aber beim Umkristallisieren größtenteils veränderten. Wir haben 
deswegen dieses Problem nicht weiter verfolgt. - 


Kürzere Mitteilungen. 


1. Wird der Muskelsaft durch Autolyse gebildet? 
von Sigval Schmidt-Nielsen (Bergen, Norwegen). 


(Aus dem medizinisch-chemischen Institute der Universität Upsala.) 


In einer im vorigen Jahre veröffentlichten Arbeit teilt Vogel*) eine 
Reihe von Versuchen mit, wonach es ihm normalerweise nie gelungen 
ist, aus frisch geschlachtetem, kontraktionsfähigem und lebendem Muskel- 
fleisch Muskelsaft durch Pressen zu gewinnen, trotzdem er sich einer 
hydraulischen Presse von 5 bis 10 Atmospbären (1770 kg) Druckkraft 
bediente. 

Dagegen konnte er aus aufbewahrtem Fleisch mit der Dauer der 
Aufbewahrung stetig zunehmende Saftvolumina auspressen, 

So erhielt er z. B. 

im Laufe von 2 Stunden nach dem Tode keinen Saft, 


„ „ „ 4 „ » „ . einige Tropfen, 
nach 10 = 2 En „... 10,7. Proz: Sa 
„ 26 „ er) „ ER) 25,8 „ 9» 


Br 5 Tagen # 7 3. a er 

Trotz der stetig steigenden Saftmengen blieb doch der Stick- 
stoff- bezw. Eiweißgehalt in den verschiedenen Portionen derselbe. Aus 
diesem Grunde erklärt Vogel die Saftbildung durch eine Verflüssigung 
des Muskeleiweißes, die ihrerseits das Resultat einer postmortalen 
Proteolyse sein soll. 

Diese Beobachtungen von Vogel stimmen indessen nicht mit den 
von mir am Fischfleisch gewonnenen Erfahrungen überein. Bei meinen 
Untersuchungen von völlig frischem Fischfleisch ist es mir nämlich 
niemals schwierig gewesen, binnen wenigen Stunden nach dem Tode 
reichliche Saftmengen auszupressen. 

Es könnte also vielleicht bezüglich des Muskelsaftes ein wesentlicher 
Unterschied zwischen Säugetieren und Fischen bestehen, und da dies nicht 
nur von dem größten theoretischen Interesse, sondern auch für die mich 
beschäftigende Autolyse des Fischfleisches sehr wichtig wäre, habe ich 
in Zusammenhang mit anderen Untersuchungen die Angabe Vogels 
etwas näher studiert. 

Verhält es sich in der Tat so, daß sich aus dem Säugetierfleisch 
unmittelbar nach dem Tode kein Saft auspressen läßt, wohl aber später, 


so würde hieraus noch nicht folgen, daß man es hier mitirgend welchen 


enzymatischen Prozessen zu tun hätte. 


- *) R. Vogel, Untersuchungen über Muskelsaft. Deutsches Archiv für klin. 
Medizin. 1902. 


y 


Wird der Muskelsaft durch Autolyse gebildet ? 183 


Kühne*) und Halliburton**) haben nämlich gezeigt, daß man 
durch Gefrieren von noch nicht totenstarren Frosch- und Kaninchen- 
muskeln, Verreiben zu Muskelschnee, Auftauen und Pressen, Plasma ge- 
winnen kann. Namentlich geht aus den Versuchen von Halliburton 
hervor, daß er aus Kaninchenfleisch sicher meßbare Quantitäten erhalten 
konnte, wenn er auch keine näheren Daten hierüber mitteilt. 

Da es außer Zweifel steht, daß der unter solchen Umständen ge- 
wonnene Saft kein Produkt einer Autolyse sein kann, habe ich in erster 
Linie Versuche mit gefrorenen Muskeln angestellt. 

Ich lasse hier als Beispiel zwei der hierher gehörenden Versuche folgen: 

Versuch I. 2 Stunden nach dem Tode wurde der dem Schlacht- 
ochsen entnommene, beim Berühren sich noch kontrahierende Halsmuskel 
zum steifen Gefrieren, dann nach 6 Stunden in eine Handpresse gebracht. 
Außer dem Saft, der im Preßtuch zurückblieb, ließen sich binnen 
45 Minuten auf je 100 g Fleisch 29 g Saft auspressen. 

In VersuchllI wurde ein Halsmuskel ?/ı Stunde nach dem Schlachten 
zum Gefrieren gebracht und nach 6 Stunden im starren Zustande in die 
Handpresse gebracht. In einer Stunde wurden 31 Proz., d.h. 31 g Saft 
auf je 100 g Fleisch erhalten. 

In diesen beiden Fällen wurden also binnen 8 bis 9 Stunden mehr als 
30 Proz. Saft, also viel größere Mengen als während derselben Zeit in 
Vogels Versuchen erhalten. 

Hierbei ist indessen noch zu beachten, daß von der obigen Zeit nur 
2 bis 3 Stunden vor dem Durchfrieren des Fleisches verflossen waren, und 
wenn der Muskelsaft durch enzymatische Prozesse gebildet sein sollte, 
müßte allem Anscheine nach die Proteolyse in dieser Zeit stattgefunden 
haben, es sei denn, daß man keine Proteolyse im gefrorenen Muskel an- 
nehmen wollte. 

Gegen die obigen Versuche konnte indessen eingewendet werden, 
daß der Muskelsaft ursprünglich in das colloidale Substrat imbibiert sein 
und sich so verhalten könnte, wie eine gefrorene Stärke- oder Leim- 
lösung, die, vor dem Gefrieren unfiltrierbar, nach dem Auftauen mit der 
größten Leichtigkeit reichliche Flüssigkeitsmengen abgibt. 

Es war sonach auch notwendig, Versuche direkt an dem nicht ge- 
frorenen Muskel vorzunehmen. Von diesen teile ich den folgenden mit: 

In Versuch I mit dem Halsmuskel vom Rind wurden erhalten: 


Nach 1 Stunde (davon 30 Min. in der Presse) 9 Proz. Saft 
= 2 stunden( „ 1 Std. 30 Min. in der Presse) ; 
im ganzen 21,5 Proz. Saft 
A ES Od A 2 „ 830 ,„  inder Presse) 


im ganzen 25,8 Proz. Saft. 
In Versuch II, auch am Halsmuskel vom Rind angestellt, wurden 
erhalten: 
Nach ®/ı Stunde (davon 10 Min. in der Presse) 7 Proz. Saft 
Ei) 1! ’ ( LE) 25 2) „ Eh „ ) 10 „ Ei) 
In Versuch III, angestellt an einem Halsmuskel vom Ochsen, sofort 
nach dem Schlachten entnommen: 


Nach ®/s Stunden (davon 10 Min. in der Presse) waren 8 Proz. Saft 
ausgepreßt. 


*) W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma. Leipzig 1864. 
”*) W. D. Halliburton,.On muscle-plasma. Journal of Physiology. Vol. 8. 1887. 


184 Sigval Schmidt-Nielsen, Wird der Muskelsaft durch Autolyse gebildet? 


In diesen und mehreren ähnlichen Versuchen habe ich gleich im 
Anfange keine Schwierigkeiten gehabt, aus den noch warmen, völlig 
kontraktionsfähigen Muskeln reichliche Saftmengen auszupressen — ein 
Resultat, das in vollstem Widerspruch zu den von Vogel gemachten 
Beobachtungen steht. Eine Erklärung kann ich kaum geben. Esist 
völlig ausgeschlossen, daß Vogel mit einem niedrigeren Drucke ge- 
arbeitet oder auch nicht lange genug gepreßt hat. Im Gegenteil. Während 
Vogel eine hydraulische Presse verwenden konnte, stand mir nur eine 
kleine Handpresse zur Verfügung. Der Widerspruch bleibt somit unauf- 
geklärt, da es wohl ausgeschlossen ist, daß Vogel die im Preßtuch 
zurückgehaltenen Flüssigkeitsmengen nicht mitgerechnet hat. Daß diese 
Mengen nicht zu vernachlässigen sind, geht aus einem mir vorliegenden 
Beispiele hervor, wo von 237 g Fleisch 16 g Saft in dem 39 g schweren 
Preßtuch zurückgehalten wurden, d. h. 6,7 Proz. Eine Vernachlässigung 
dieses Momentes müßte ja zu völlig falschen Werten führen. Deswegen 
habe ich auch bei den letzten Versuchen das Fleischstück einfach mit 
einer starken Schnur gebunden, 

Nachdem ich diese Versuche abgeschlossen Hatte, erschien eine 
Arbeit von O.v. Fürth*), woraus hervorgeht, daß es auch ihm unschwer 
gelungen ist, reichliche Saftmengen aus dem lebenden Säugetierfleisch 
auszupressen. 

Schließlich möchte ich erwähnen, daß der von mir gewonnene 
Muskelsaft in Übereinstimmung mit den Beobachtungen v. Fürths 
niemals eine spontane Koagulation gezeigt hat. 


*) O0. v. Fürth, Über die Gerinnung der Muskeleiweißkörper u. Ss. w. Diese 
Beiträge 3, Heft 12. 


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Na\ deutenden Werkes ist die grosse Helmholtz-Biographie von 
Leo Koenigsberger, welche als eine biographische Leistung ersten Ranges 
für die gesamte wissenschaftliche Welt und für weite Kreise des ge- 
bildeten Publikums von dem grössten Interesse ist, vollständig 
erschienen. 


Die Entwickelung, das Leben und Wirken und die Bedeutung 
einer Persönlichkeit zu schildern, die durch den Umfang und die Tiefe 
des Wissens und die Macht des Köunens die meisten ihrer Zeitgenossen 
überragt, alle Welt durch das Produkt ihrer Arbeit während mehr als 
eines halben Jahrhunderts in Staunen und Bewunderung versetzt und 
der Wissenschaft neue fundamentale Lehren geschenkt und neue Wege 
zu fruchtbarer Tätigkeit gewiesen hat, war eine ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe, deren Durchführung dem Verfasser, welchem nicht 
nur die Feder, sondern auch die auf eingehender Sachkenntnis ruhende |] 
Teilnahme für Person und Stoff zu Gebote stand, in vollendetem |# 
Masse gelungen ist. 


Dem grossen Naturforscher und Gelehrten ist mit 
dieser meisterhaften Darstellung seines in der Geschichte 
der Wissenschaft wohl einzig dastehenden Entwickelungs- 
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würdiges Denkmal errichtet worden, wie es der Mit- 
und Nachwelt nicht schöner überliefert werden konnte, 


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Beiträge 


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Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben 
von 


Franz Hofmeister 


0. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 5. und 6. Heft 
(Ausgegeben August 1908) 


Braunschweig 


Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


a 


Sm 
1903 


Inhalt des 5. und 6. Meftes. 


Seite 
XV. Muneo Kumagawa und Kenzo Suto. Über die Bestimmung 
des Fettgehaltes tierischer Flüssigkeiten nach Pflüger - Dor- 
meyer. (Aus dem medizinisch-chemischen Institut der Univer- 

iu au ok. a N a ee Pe ee 
XVI. 6. v. Bergmann. Die Überführung von Cystin in Taurin 
im tierischen Organismus: (Aus dem ET, chemischen 


Institut zu Strassburg.) . el 192 
XVII. Martin Jacoby. Über Crotin - ee ins N ER 
makologischen Institut zu Heidelberg) . . . 212 


XVIII. Albert Fraenkel. Über die Wirkung des Hioins auf Fisch! 
blut. (Aus dem pharmakologischen Institut zu Heidelberg.) . 224 

XIX. Anton Steyrer. Ein Beitrag zur Chemie des entarteten 
Muskels. (Aus der II. medizinischen Klinik in Berlin.) . . 234 
XX. Oskar Loew. Zur Kenntnis der Eiweißbildung bei den Pilzen 247 

XXI. Herm. Hildebrandt. Über das biologische Verhalten von 
Nerol, Geraniol, Cyclogeraniol ... . 251 

XXI. H. Wolff. Über die Beurteilung des Fäulniszustandes von 

Rindfleisch nach dem Gehalt an Bernsteinsäure. [Aus der 

I. med. Klinik der Univ. Berlin (Abteilung für FE 
(Direktor: Geh. Rat Prof. E.v. Leyden)] . . 254 

XXIII. Karl Oppenheimer. Über die Einwirkung der Tr. ypsinver- 

dauung auf die Präzipitinreaktion. (Aus dem tierphysiol. Inst. der 
Landwirtschaftl. Hochschule Berlin, Dir. Prof. Dr. N. Zuntz,) 259 

Kürzere Mitteilungen. 

2. K. Landsteiner. Bemerkung zu der Arbeit von K. Glaeßner 

„Über die antitryptische Wirkung des Blutes“ . . 2... 262 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie“ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 356 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 

Die Ausgabe der Hefte erfolgt nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 

Manuskriptsendungen sind an den Herausgeber, Straßburg i. E, 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 

Bei der Aufnahme von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und Übersicht der Darstellung maßgebend sein. 
Polemibe Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung überschreiten, Fauna nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solchen 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 

Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


AN, 
Uber die Bestimmung des Fettgehaltes tierischer 
Flüssigkeiten nach Pflüger-Dormeyer. 


Von Professor Dr. Muneo Kumagawa 
| und 
Privatdozent Kenzo Suto. 


(Aus dem medizinisch-chemischen Institut der Universität zu Tokio.) 


Seit Jahren mit Fettbestimmungen an tierischen Geweben 
beschäftigt, haben wir uns bemüht, das Verfahren von Dormeyer, 
welches auf der Aufschließung der Organe mit Pepsin-Salzsäure 
behufs nachheriger Extraktion des Fettes beruht, etwas zu ver- 
einfachen. Uber einen Teil dieser noch nicht zu Ende geführten 
Versuche erlauben wir uns nachstehend zu berichten. 

Zur Fettextraktion bedienten wir uns eines neuen, bequemen 
und rasch arbeitenden Extraktionsapparates, dessen Kon- 
struktion aus der umstehenden Zeichnung ersichtlich ist. 

Der Extraktionszylinder faßt etwa 150 cem. Er trägt ein weites 
Seitenrohr, welches zum Aufsteigen der Ätherdämpfe und zum Abfließen 
des kondensierten Äthers dient. Die konische Verlängerung des Zylinders 
ist in die Mündung des Siedekölbehens von ebenfalls etwa 150 cem Inhalt 
eingeschliffen. Innerhalb und etwas oberhalb des Konus befindet sich das 
untere Atherrückflußröhrchen mit seinem allmählich zugespitzten Ende. 
Dasselbe hat an seinem oberen und seitlichen Teil eine Öffnung, welche 
zum Aufsteigen des AÄtherdampfes dient. Die obere Mündung des 
Extraktionszylinders wird von einem eingeschliffenen Glasstöpsel ver- 
schlossen, welcher eine Fortsetzung des daraufsitzenden Rückflußkühlers 
bildet. Der Glasstöpsel trägt innen das obere Atherrückflußröhrehen mit 
einer Öffnung für den Durehtritt des Äthe rdampfes. Ein langes schmales 
Rohr (der „Atherinjektor“), welches bei der Extraktion in den Zylinder 
hineingebracht wird, bildet den wesentlichsten Teil des Apparates. Das 
untere Ende desselben ist zu einer unten abgeflachten Kugel aufgeblasen, 
die seitlich etwa in der Höhe des größten Kreises drei feine Öffnunge n 
trägt. Das obere zylinderförmig erweiterte Ende des Atherinjektors 
nimmt die untere Spitze des oberen Ätherrückflußröhrchens auf. 


186 Muneo Kumagawa und Kenzo Suto, 


Der obere Teil des Extraktionszylinders ist von erheblicher Länge, 
damit der mit Substanz beladene Äther nicht bis zur Mündung hinauf- 
steigt, vor allem aber, damit der im Injektor in hoher Schicht befindliche 
Äther einen genügenden Druck ausüben kann. Infolge dieses Druckes 
tritt der Äther aus den Öffnungen der kugelförmigen Erweiterung in 
feinen Strahlen heraus, welche, an die Wand des Extraktionszylinders 
stoßend, in feine Tröpfehen zerfallen und nun, indem sie gleichmäßig 
durch die ganze Flüssigkeit verteilt aufsteigen, die zu extrahierende 
Substanz aufnehmen. Die Öffnungen müssen im Mittel einen Durch- 
messer von etwa 0,4 mm besitzen. Sie dürfen nicht größer als 0,45 mm 
und nicht kleiner als 0,35 mm sein, sonst träte der Äther in großen 
Blasen heraus, was die Wirksamkeit des Apparates vermindern würde, 
Geringe Abweichungen in der Größe der Öffnungen können übrigens 
durch die Temperatur des Wasserbades ausgeglichen werden. Je größer 
die Öffnungen sind, desto höher muß das Wasserbad temperiert sein 
(zwischen 55° und 70° C.). \ 


Als Belege für die Brauchbarkeit des Apparates seien einige 
der von uns angestellten Versuche mitgeteilt. 

1. Salizylsäure. 

Bei Extraktion einer O,1-proz. wässerigen Lösung reiner Salizylsäure 
wurden A direkt, B nach Zusatz von 1 ccm Salzsäure (von 10 Proz.) 
nachstehende W er te erhalten ®): 


Tabelle 1 
A A633 Se B mit Säurezusatz 
Salizylsäurelösung 


: 70 70 120 120 70 10 | 120 120 
ın cem: 


Darin enthalten 
Salizylsäure in g: 


0,0687 | 0,0687 | 0,1178 | 0,1178 | 0,0687 | 0,0687 | 0,1178 | 0,1178 


Dauer der Extraktion 
“in Stunden: 


Wieder gefunden 
in g: 


0,0683 | 0,0673 | 0,1156 | 0,1157 || 0,0687 | 0,0686 | 0,1178 | 0,1179 


Differenz in g: ||—0,0004| — 0,0014 —0,0022) —0,0021| 0 |-—0,0001| 0 |-40,0001 


Die Versuche der Reihe B lehren, daß eine fünfstündige 
Extraktion zur quantitativen Gewinnung der Salızylsäure genügte. 
Der Umstand, daß in der Reihe A ohne vorgängigen Säurezusatz 
eine kleine Menge der Bestimmung entging, wie auch aus der 
positiv ausfallenden Reaktion des Rückstands mit Eisenchlörid zu 
entnehmen war, kann eventuell nur auf Bindung dieses Anteils durch 
aus dem Glas in Lösung gegangenes Alkali bezogen werden. Für 


*) Die Bestimmung der Salizylsäure geschah gewichtsanalytisch. Da 
sich dieselbe schon bei 50° etwas verflüchtigt — (5 g verloren in unseren 
Versuchen pro Stunde 0,2 mg), so wurde die Lösung nach Verjagen des 
Athers nur eine Stunde bei 50°, dann im Vakuum über Chlorkalzium ge- 
trocknet. 


Über die Bestimmung des Fettgehaltes tierischer Flüssigkeiten usw. 187 


die exakte Extraktion saurer Stoffe ist somit ein entsprechendes 
Ansäuern von Wichtigkeit, auch wenn anscheinend die 
betreffende Säure in freiem Zustande vorliegt. 

2. Koffein. 

Hier erwies sich zehnstündiges Extrahieren zur Er- 
schöpfung der 0,1-proz. Koffeinlösung als notwendig. 
Tabelle I. 
Koffeinlösung in cem: TO RAT: +70 70 
Enthaltend Koffein g: 0,0699 0,0699 0,0700 0,0700 


Dauer der Extraktion e P 10 10 
in Stunden: 
Wiedergefunden g: 0,0668 0,0650 0,0707 | 0,0695 
Be 0 le 000 | 
Differenz: —0,0031 —0,0049 | +0,0007 | —0,0005 


3. Von tierischen Flüssigkeiten haben wir Milch, Blut- 
serum und Asecitesflüssigkeit mit dem Apparate auf ihren 
Fettgehalt untersucht und dabei sehr befriedigende Re- 
sultate erhalten. Nur muß man bei allen Flüssigkeiten, 
welche Eiweiß gelöst enthalten und daher beim Schütteln 
mit Äther dicke Emulsionen bilden, eine kurzdauernde 
Verdauung mit Pepsinsalzsäure vorausgehen lassen. Die 
nachfolgende Extraktion verläuft dann ohne Emulsions- 
bildung stets sehr glatt. i 

Wir gehen hier nur auf die Milchfettbestimmungen 
etwas näher ein, da sich das dabei eingehaltene Verfahren 
mit wenigen Abänderungen auf fast alle tierischen Flüssig- 


keiten anwenden läßt. 

10 cem bzw. 10 g Milch werden mit 40 ccm Salzsäure von 
0,5 Proz. und 50 ccm frisch bereiteter Pepsinsalzsäure (siehe unten) 
versetzt, zwei bis fünf Stunden bei 40° C.-digeriert, dann in be- 
schriebener Weise mit Ather extrahiert. Nach etwa fünf Stunden 
ist die ursprünglich weiße Mischung fast vollkommen klar ge- 
worden. Nur an der Berührungsfläche der Flüssigkeit mit dem 
Ather findet sich eine zarte, flockige Ausscheidung, die jedoch 
die Extraktion durchaus nicht beeinträchtigt. Nach zehn Stunden 
andauernder Extraktion wird der Ather verdunstet, dann der 
Rückstand kurze Zeit bei 50° ©. getrocknet, nach dem Erkalten 
neuerlich mit absolutem Ather aufgenommen und die Lösung 
durch ein Asbestfilter*) in ein gewogenes Bechergläschen 
filtriert. Nach Verdunsten des Athers kurz dauerndes Trocknen 
‘erst bei 50° C., sodann im Vakuum über Chlorkalzium, bis 
zum konstanten Gewichte. 


”) Eine ätherische Lösung, welche trotz wiederholten Abfiltrierens durch 
Papier trüb bleibt, wird ‘bei Benutzung des Asbestfilters sofort klar. Wir 


188 Muneo Kumagawa und Kenzo Suto, 


Das Resultat unserer Fettanalysen in der Milch haben wir 
durch Vergleichsbestimmungen nach Ritthausen*, Schmid- 
Bondzyuski”) und Gerber”) an ein und derselben Kuh- 
milch kontrolliert. | 

Tabelle IH. 


Die Bestimmungen nach Ritthausen (A), Schmid-Bondzyaski (B) 
und nach unserem Verfahren (D) wurden an 10 cem Milch ausgeführt 
und auf 100 eem umgerechnet. Extraktionsdauer bei A und Dim ganzen 

zehn Stunden. 


B Ö D 
A ER RUE Gerber Kumagawa 
Ritthausen He” e bei 600 GC. und 
R Bondzynski E 
£g in 100 ccm £ abgelesen Suto 
g in 100 cem j a 
0/, & in 100 eem 
ee en. EEE 
Milch No. I 1 6,282 6.2814 n,30 6,477 
(spez. Gew. S Fe ; ST 
/ 2 6,272 6,2097. St 6,91: 
1,0298 bei i 7 8:90, 11.7) Ve 
17,5° C.) BE RER, 

Mittel 6,277 6 6,2905 6,283 6,495 
Milch No. II l 4,651 4,670. 4,60 4,794 
(spez, Gew. f 2 rg 2 2 

2 6 4 t 5 = $ N 
1.0312 bei x Fo ee 453 2) et 
18° ©.) | B) 4: 60 
Mittel 4,6425 4,6125 | 4 580 4,802 


Um die Menge der bei unserer Methode etwa mitextrahierten Milch- 
säure ae len, wurde das Extrakt 2 von Milch No. II mit etwa 50 cem 
warmer /ıo Normal-Natronlauge versetzt und behufs Entfernung des 
ee s neuerdings extrahiert. Nach 15stündiger Extraktion wurde 
der Ather gewechselt und nach Zusatz von 10 ccm Salzsäure (von 10 Proz.) 
die Behandlung mit Äther weitere 20 Stunden fortgesetzt. Das zweite 
Extrakt, welches anscheinend ein Gemisch von Fettsäuren und Milchsäure 
darstellte und 0,0052 g wog, wurde mit Zinkkarbonat aufgekocht. Das 
eingeengte Filtrat und Waschwasser hinterließ im Exsikkator einen 
amorphen Rückstand im Gewicht von 0,0014 g (Zinklaktat?). 


haben es bei Fettbestimmungen seit Jahren unentbehrlich gefunden. Wir 
benutzen einen gewöhnlichen Glastrichter mit einem langen, ganz enge 
Abflußrohr, das an der Verbindungsstelle mit dem Konus des Trichters etwas 
en erweitert ist. Diese Erweiterung dient zur Aufnahme eine 
Asbestpfropfens, welcher vorher durch Auskochen mit Säure, Lauge und 
Wasser gründlich gereinigt worden ist. Der so vorbereitete Trichter ist ohne 
Erneuerung von Asbest für 20 bis 30 Einzelbestimmungen brauchbar, e@ 
muß nur zwischen den einzelnen-Bestimmungen mittels Durchsaugenus heißer 
Luft getrocknet werden. 
*) Ritthausen, Journ. f. prakt. Chemie. Neue Folge 15, 329. 
==) W, Schmid und Bondzynski, Zeitsch. f. analyt. Chemie 30, 728, 
***) Gerber, Laktobutyrometer. Molkereiztg. 1889, pag. 137, 


Über die Bestimmung des Fettgehaltes tierischer Flüssigkeiten usw. 189 


Legt man die Zahlen der obigen Tabelle zugrunde und setzt 
"man die Fettmenge nach Ritthausen, Schmid-Bondzyhski 
und Gerber gleich 100, so beträgt die Ausbeute an Fett nach 
unserer Methode 103,45 bezw. 103,6 und 104 Proz., d. h. 3,45, 
3,6 und 4 Proz. mehr. Nach diesem Ergebnis halten wir uns 
für berechtigt, anzunehmen, daß unsere Methode für genaue Milch- 
fettbestimmungen den bisher gebräuchlichen Methoden vorzu- 
ziehen ist. 


Herstellung einer geeigneten Pepsinsalzsäure. 

Bei dieser Schlußfolgerung ist stillschweigend vorausgesetzt, 
daß die benutzte Pepsinsalzsäure kein Ätherextrakt enthielt. 
Eine solche fast ätherextraktfreie Pepsinsalzsäure von ausge- 
zeichneter Wirksamkeit ließ sich durch folgendes Verfahren 
erhalten: 

Die Magenschleimhaut eines eben geschlachteten Schweines wurde 
"mittelst Bürste möglichst von Schleim befreit, abgewaschen, und der 
rotgefärbte Fundusteil zu einem feinen Brei*) zerhackt, in 11 iter Salzsäure 
von 0,5 Proz. eingebracht und bei 40° C. 15 bis 20 Stunden digeriert. 
Dann wurde Blutkohle (Merck), etwa 20 8, (!/s» der Flüssigkeit), zuge- 
setzt, die Digestion noch einige Stunden fortgesetzt, schließlich die 
Flüssigkeit auf ein Faltenfilter gebracht. Das Filtrat ist anfangs in 
der Regel trüb, wird aber bei wiederholtem Zurückgießen klar und 
geruchlos. Die Filtration selbst geht sehr glatt vor sich. 

Die so erhaltene Pepsinsalzsäure ist bei Verwendung ge- 
reinigter Blutkohle fast vollkommen farblos und wasserklar, bei 
Benutzung roher Blutkohle (Merck) ebenfalls klar, jedoch infolge 
eines geringen Eisengehalts gelblich gefärbt. 100 cem dieser 
Pepsinsalzsäure gaben, in unserem Apparate 30 Stunden lang 
extrahiert, nur 0,0019 g Rückstand. Da wir von dieser Pepsin- 
Salzsäure zu einer Bestimmung höchstens 50 cem gebrauchen, so 
ann man dieselbe wohl als ätherextraktfrei betrachten. 

Eine Analyse der Pepsinsalzsäure, welche mit der gereinigten Blut- 
ke öhle Merck behandelt worden war, ergab folgende Zusammensetzung 
ro 100 cem: 

- Gesamtazidität (Indikator: Phenolphtalein): 117 ccm !/ıo Normal- 
a0H; freie Säure (Indikator: Tropaeolin 00): 83 ecm !/ıo Normal-NaOH; 
Prockensubstanz (einschließlich des durch Neutralisation gebildeten Salzes): 
1,737 g; dieselbe nach Abzug von Chlornatrium: 1,0495 g; Asche, (die 
Substanz ohne Neutralisation direkt eingedampft und verascht): 0, 0896 & B; 

jesamt-N (nach Kjeldahl): 0,1498 g; Eiweißstoffe (N X 6,25): 0,9363 @. 
Es ist bemerkenswert, daß die Behandlung mit Tierkohle 
> Verdauungskraft der Pepsinlösung kaum beeinträchtigt hatte. 


| 

| 

A 

« 

Me *) Von einer Magenschleimhaut bekommt man durchschnittlich etwa 
5 )0 g Schleimhautbrei. 


190 Muneo Kumagawa und Kenzo Suto, 
Tabelle IV. 
300 g Schleimhautbrei werden mit 2 Liter Salzsäure von 0,5 Proz. 
15 Stunden bei 40° C. verdaut. Von der überstehenden Flüssigkeit 
werden 250 eem zur Untersuchung entnommen. 
| R B 
e vorher mit 5,0 roher 
ohne Zusatz direkt m] utkohle Merek1 Stil. 
abfiltriert DATE 
digeriert 
sehr langsam 
Filtration nach 48 Stunden noch fast momentan 
nieht vollendet 
: " klar und gelblich 
Filtrat stark getrübt IT, E 25 
gefärbt 
a RL LAD | 
N-Gehalt in 100 cem \ 
ERNEN 0,210 & 0,192 g 
Gesamt-Azidität in 134 ccm 77 cem 


100 ecem 


!/,„ Normal-Na OH 


Zusammensetzung der 
Verdauungsproben 


Pepsinlösung A 10 cem, 
Salzsäure von 0,5 Proz. 
90 eem, Fleischpulver 
5,0 g (mit 0,6851 g N); 
Gesamtvolumen 
100 ccm 


Y/ö Normal-Na OH 


Pepsinlösung B 10 cem, 


Salzsäure von 10 Proz. 


0,22 cem, Salzsäure von 


0,5 Proz. 89,78 cem, 
Fleischpulver 5,0 & 
(mit 0,6851 g N); 
Gesamtvolumen 
100 cem 


Gesamtvolumen, 
Salzsäuregehalt 
und zugesetzte 
Fleischmenge 
genau gleich 

gehalten 


Digestionsdauer 


19/,, der Gesamt- 
Azidität neutralisiert 
mit 


3 Std. bei 400 C. 


3 Std. bei 400 © 


115 eem Normal-Na OH 


13 cem Normal-Na OH 


15° im Dampftopf 


erhitzt und aufgefüllt 200 eem 200 cem 
auf 
Gesamt-N in der 
0,5572 & 0,5348 & 


Lösung 


N in 10 ccm Pepsin- 
lösung 


N des aufgelösten 


Fleisches 


ab 0,0210 & 


o' 
oO 


ab 0,0192 


filtriert, von dem 


Kalt aufgefüllt 
und trocken ab- 


Filtrat je 10 cem 
nach Kjeldahl 
auf N-Gehalt 

untersucht 


0,5362 8 


0,5156 & 


Verdaut in Proz. 


Die behufs Vergleiches absichtlich für die Verdauung ungünsti 
gewählte Mischung — 100 cem mit 0,5 Proz. Salzsäure und 


(5,0 8 lufttrocknen Pulvers) — gestattet die verdauende Kraft beideı 
Die Wirkung 


85 Proz. 


81 Proz. 


Proben mit genügender Exaktheit zu beurteilen. 


Uber die Bestimmung des Fettgehaltes tierischer Flüssiekeiten usw. ]9] 


der mit Blutkohle behandelten Probe erscheint insofern beein- 
trächtigt, als dieselbe von dem zugesetzten Fleisch bei dreistündiger 
Digestion Si Proz. auflöste, während die in der Kontrollprobe in 
derselben Zeit, aufgelöste Fleischmenge 85 Proz. betrug. Doch ist 
dieser Unterschied im Vergleich zu der energischen Verdauungs- 
wirkung überhaupt so unbedeutend, daß uns die fermentbindende 
Eigenschaft der Kohle zweifelhaft erscheint. Wir neigen eher 
der Ansicht zu, daß die Kohle Ätherextrakt und jene Substanzen 
zurückhält, welche die aus der frischen Magenschleimhaut zube- 
reitete Pepsinsalzsäure schwer filtrierbar machen, während sie 
- Pepsinferment ungehindert durchläßt. 

Bei Verwendung dieser Pepsinsalzsäure entfallen die 
Schwierigkeiten, welche sich sonst aus dem Fettgehalt und der 
Schwerfiltrierbarkeit der Schleimhautinfuse zu ergeben pflegen. 

Wir behalten uns vor, auf die von uns ausgeführten Be- 
stimmungen des Fettgehalts von Blutserum und Aszitesflüssigkeit 

in einer weiteren Mitteilung einzugehen. 


16. Mai 1903. 


XVI 
Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen 
Organismus. 
Von @. v. Bergmann. 


(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg.) 


1. 

Die oft besprochene Frage, in welcher Form der Schwefel 
im Eiweiß enthalten ist, scheint jetzt nach langem Bemühen dahin 
beantwortet, daß manche Eiweißkörper den gesamten Schwefel, 
andere jedenfalls einen großen Teil in Form einer Cysteingruppe 
enthalten (Mörner)®. E. Friedmann? verdanken wir die definitive 
Feststellung der Konstitutionsformel des Eiweißeysteins als einer 
a-Amino-p-thiomilchsäure und den Nachweis, daß Cystin bezw. 
Oystein sich auf einfache Weise durch Oxydation in Taurin über- 
führen läßt. Damit ist eine ganze Anzahl physiologischer, früher 


ohne Erfolg oder mit halbem Gelingen bearbeiteter Probleme des - 


Schwefelstoffwechsels der Untersuchung zugänglich geworden. 
Unter ihnen drängt sich in erster Linie die Frage auf: stammt 
das Taurin, das im Organismus stetig entsteht und hauptsächlich 
in der Galle zu finden ist, aus dem Cystin des Eiweißes? Ferner, 
wenn der Organismus die Fähigkeit besitzt das Eiweißeystin in 
Taurin überzuführen, durch welchen chemischen Vorgang bringt 
er das zuwege, welche Zwischenprodukte entstehen dabei, voll- 
zieht sich dieser Prozeß in einer oder mehreren Phasen? E. Fried- 
mann hat am Schlusse seiner eben zitierten Arbeit? diese Fragen 
aufgeworfen, die sich ihm als Folge seiner Resultate unmittelbar 
aufdrängten. In der nachstehenden Untersuchung habe ich es 
versucht, von Herrn Professor Hofmeister darauf hingewiesen, 
die erste der hieraus erwachsenden Aufgaben einer Lösung zu- 
zuführen. 

Die Untersuchungen gingen zunächst dahin, festzustellen, 
ob nach Fütterung mit Cystin das Taurin der Galle sich ver- 
mehrt zeige 


2 De Au 2. u er Se Atere e aa 


Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 193 


Verwandte Fragestellungen sind auch früher schon aufge- 
worfen worden, als man noch keine bestimmten schwefelhaltigen 
Kerne des Eiweißmoleküls kannte. Die älteren Arbeiten konnten 
daher lediglich die Frage behandeln: In welcher Beziehung steht 
die Menge des mit dem Nahrungseiweiß zugeführten Schwefels 
zu der in Form von Taurin ausgeschiedenen Schwefelmenge ? 

Schon Bidder und C. Schmidt? haben die Frage angeregt, 
ohne sie zum Abschluß zu bringen. Aus den von ihnen mitge- 
teilten, nur orientierenden und methodisch nicht einwandsfreien 
Versuchen geht allenfalls hervor, daß die in der Galle ausge- 
schiedene Schwefelmenge innerhalb weiter Grenzen von dem 
Schwefelgehalt der Nahrung unabhängig ist: Sie fanden einmal in 
der Galle mehr Schwefel als in der zugeführten Nahrung. In 
anderen Versuchen jedoch sahen sie nur 56 bis 31 Proz. des 
Nahrungsschwefels in der Galle zur Ausscheidung kommen. 

Mit exakter Methodik und klarer Fragestellung nahm 
A. Kunkel®® auf Karl Ludwigs Veranlassung die Frage 
wieder auf. Kunkel faßt die Ergebnisse dieser ersten Arbeit 
später in folgender Weise zusammen: 

„Von dem ganzen im Nahrungseiweiß aufgenommenen Schwefel 
wird ein bestimmter aliquoter Teil täglich mit der Galle ausge- 
schieden. Diese Menge nimmt zu und ab mit der Größe der 
Zufuhr, indes so, daß bei großer Nahrungsaufnahme ein prozentisch 
geringerer Teil in der Galle zur Ausscheidung kommt als bei 
kleinerer Nahrungsaufnahme.“ — „S bis 30 Proz. des als Eiweiß 
eingeführten Schwefels erschienen in der Galle als Taurin wieder, 
die geringeren Prozentzahlen bei größter Aufnahme. Merk- 
würdig war noch, daß die auf Steigerung der Nahrung folgende 
Vermehrung der Galle nicht sofort, sondern erst am zweiten, selbst 
dritten Tage der vergrößerten Zufuhr erfolgte.“ Die Versuche 
der zweiten einschlägigen Untersuchung Kunkels5b haben diese 
Schlüsse im ganzen bestätigt, doch sind die beobachteten Unter- 
schiede in der Größe der Schwefelausscheidung durch die Galle 
keineswegs immer große. 

P. Spiro®, ebenfalls durch Karl Ludwig dazu angeregt, 
führte diese Versuche weiter. Er kommt zu Resultaten, die im 
ganzen mit denen von Kunkel übereinstimmen und sie in wesent- 
lichen Punkten ergänzen: 

„Der durch die Galle ausgeführte Schwefel stellt einen um 
so kleineren Bruchteil des mit dem Harne abgegangenen dar, je 
reicher die Nahrung an Eiweißstoffen war.“ — „Der chemische 
Prozeß, welchem die Taurocholsäure ihre Entstehung verdankt, 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 13 


194 G: v. Bergmann, 


bewahrt sich demnach einen hohen Grad von Unabhängigkeit, 
gegenüber denjenigen, welche zur Bildung von schwefelhaltigen 
Produkten führen, die ihren Ausweg durch die Nieren finden.“ 
Am augenfälligsten wird das durch die Tatsache bewiesen, daß 
bei etwa achtfacher Vermehrung des Schwefels in der Eiweiß- 
nahrung die Menge des Gällenschwefels nur um das Doppelte 
steigt. Endlich findet auch Spiro, gerade so wie Kunkel, daß 
die Schwankungen in der Schwefelausscheidung durch die Galle 
erst zwei bis drei Tage nach Änderung der Schwefelmenge des 
Eiweißfutters eintreten. 


Damit war eine Zunahme des Gallenschwefels und somit, 
nach allgemein festgehaltener Annahme, des Taurins nach reich- 
licher Eiweißzufuhr bewiesen, es schien also die Vorstellung, 
daß das Taurin aus dem Nahrungseiweiß stammt, wohl begründet; 
merkwürdig blieb, und das betonen Kunkel und Spiro ja auch 
ausdrücklich, die anscheinend doch recht große Unabhängigkeit 
der Gallenschwefelausscheidung vom allgemeinen Eiweißumsatz. 
Es geht schon daraus hervor, daß eine unmittelbar an die Eiweiß- 
resorption sich anschließende Umwandlung des Eiweiß-Schwefel- 
komplexes zu Taurin nicht notwendig gegeben ist, und daß die 
Leber, auch bei mängelnder Eiweißzufuhr, erhebliche Taurin- 
mengen bilden kann. Für diesen Fall ist die Annahme nicht zu 
umgehen, daß der Leber noch andere Bezugsquellen für den 
Taurinschwefel zu Gebote stehen als das resorbierte Nahrungs- 
eiweiß. Dadurch wird aber die Erwägung nahe gelegt, daß auch 
die nach Eiweißzufuhr beobachtete Vermehrung des Gallenschwefels 
möglicherweise nicht aus dieser selbst stammt, sondern nur da- 
durch zustande kommt, daß die erhöhte Eiweißzufuhr unbekannte 
Bezugsquellen vorübergehend ergiebiger macht. Da diese Bezugs- 
quellen in letzter Reihe den Schwefel auch aus dem der Nahrung 
beziehen müssen, so würde es sich bei diesem Bedenken vor 
allem darum handeln, ob nicht mit der Nahrungsaufnahme ver- 
knüpfte Vorgänge, z. B. die Änderung der Gallensekretion infolge 
anderer Quantität und Qualität der Nahrung, zunächst unabhängig 
von der Menge des Eiweißschwefels, einen Einfluß ausüben können. 


Mit den alten Mitteln hier zu einem befriedigenden Ver- 
ständnis zu gelangen, war wenig aussichtsvoll. Aus den oben 
erwähnten Resultaten Mörners und Friedmanns ergibt sich 
aber ein neuer Gedankengang: Genügt es nicht, statt des gesamten 
Eiweißmoleküls nur denjenigen Kern einzuführen, aus dem der 
Organismus das Taurin bereitet, damit es in vermehrter Menge 
in der Galle erscheine? 


Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 195 


Diesem Gedankengang folgend war die Versuchsanordnung 
folgendermaßen gegeben: Statt Eiweiß zu verfüttern, wie Kunkel 
und Spiro es taten, mußte einfach Cystin, bei sonst völlig sich 
gleichbleibender Kost, gereicht und die Zunahme des Taurins der 
Galle bestimmt werden. 


II. Zur Versuchsmethodik. 


a) Die Anlegung der Gallenfistel. Dem 46 Kilo 
schweren Hunde „A“ und dem 85 Kilo schweren Hunde „B* 
wurden komplette Gallenfisteln nach der Methode von Dastre” 
angelegt. 

Die Methode hat sich mir vorzüglich bewährt, beide Hunde hatten 
nach etwa fünf Tagen die Folgen der Operation völlig überwunden, die 
Fistel schloß absolut dicht um die Kanüle, so daß jeder Tropfen in den 
am Halsband aufgehängten Gummibeutel lief. Diese, ebenfalls von 
Dastre”) angegebene Befestigung bezweckt, einen direkten Zug des ge- 
füllten Beutels an der Kanüle zu vermeiden. Sie hat sich ebenfalls als 
recht zweckmäßig erwiesen, obwohl es ab und zu vorkam, daß der 
Gummischlauch sich von der Kanüle löste oder sich am Ende der Kanüle 
durchscheuerte. Künftig würde sich das leicht durch ein an der Kanüle 
aufzuschraubendes, geeignet gebogenes Ansatzstück vermeiden lassen. 
Die angedeuteten Zufälligkeiten sind der hauptsächlichste Grund dafür, 
daß die Gallenbestimmungen einiger, in die Versuchsperioden fallender 
Tage fehlen, dazu kamen noch zwei- oder dreimal andere Versehen, wie 
sie bei längerer Versuchsdauer kaum zu vermeiden sind. 


b) Ernährung der Tiere. Das Befinden der Hunde war 
während der Versuchsdauer stets gut, die Nahrung nahmen sie 
vollständig zu sich, die großen Schwankungen in der Appetenz 
der Gallenfisteltiere, von denen vielfach berichtet wird, habe ich 
nicht beobachten können. 

Der Hund A bekam während der ganzen Zeit (vom 11. Dez. 1902 bis 


- 22. März 1903) täglich um 1 Uhr mittags 50 g Fleisch und 150 g Reis; sein 


Gewicht blieb im wesentlichen konstant 4,6 Kilo, nur bei der letzten 
Wägung am 18. März war es auf 4,3 Kilo herabgegangen. 

Der Hund B bekam täglich um 1 Uhr mittags 200 g Fleisch, 150 g 
Reis und 30 g Kasein (als möglichst schwefelarmen Riweißkörper). Auch 


dieser hielt ch konstant auf dem Gewicht von 8,5 Kilo. 


c) Die Verarbeitung der Galle. Die im Gummibeutel 
sich sammelnde Galle wurde mehrmals am Tage entleert und die 
einzelnen Portionen stets von 24 Stunden, von 12 Uhr mittags 


bis 12 Uhr mittags, vereinigt. Das Datum der Tabellen bezeichnet 
immer den zweiten Tag. 


Während der ersten Versuchsperiode wurde jede 24stündige Gallen- 


' portion mit einem vielfachen Volumen 96 proz. Alkohols versetzt, vom Nieder- 


schlag (Gallenmuein u. a.) abfiltriert, der Niederschlag sechs bis achtmal 
mit Alkohol nachgewaschen und das mit der Waschflüssigkeit vereinigte 


Filtrat auf ein bestimmtes Volumen eingeengt (150 com). Von diesem 


13* 


- 


196 G. v. Bergmann, 


Volumen wurde ein bestimmter Teil, je '/s (30 ccm), zur Bestimmung des 


Gesamtschwefels (nach v. Asböth) verwandt. Es wurden für jede Schwefel- 
bestimmung zwei Analysen ausgeführt, deren Ergebnisse (das Gewicht 
des Baryumsulfats) aus den Tabellen zu ersehen sind. ’ 

Von der Versuchsperiode II an wurde die Methode vereinfacht. Die 
abgemessene Galle wurde gleich mit 96proz. Alkohol auf ein bestimmtes 
Volumen (bei Hund A 250 cem, bei Hund B 500 cem) aufgefüllt, ohne daß 
der entstehende Niederschlag entfernt wurde. Indem ich hinterher Sorge 
trug, daß sich die Konzentration nicht mehr änderte, filtrierte ich, ohne 
nachzuwaschen, vom Niederschlage in ein gut verschließbares Gefäß ab. 
Es ist richtig, daß dabei das Volumen, das der Niederschlag einnimmt, 
mitgerechnet wird, als wenn es von der umgebenden Flüssigkeit ein- 
genommen wäre. Aber das Volumen des trockenen Niederschlages macht 
nicht einmal einen Kubikcentimeter aus. Auf 250 bis 500 ccm Flüssig- 
keit also weniger als 0,4 bis 0,2 Proz. des Gesamtvolumens. Das geht 
schon aus dem Gesamtgewicht des Mueins und der anderen mit Alkohol 
fällbaren Bestandteile der Galle hervor. 

Von allen Untersuchern wird der Schwefel der Galle, bezw. 
des alkohollöslichen Teiles der Galle, stets ganz als Taurin- 
Schwefel aufgefaßt. Schon Kunkel hat gezeigt, daß die Menge 
des Sulfatschwefels nur einen zu vernachlässigenden Fehler ver- 
anlaßt. Ich habe fünf verschiedene, in meiner Art mit dem vier- bis 
fünffachen Volumen Alkohol versetzte Gallenproben vereinigt und 
auf Sulfat untersucht und dabei überhaupt kein Baryumsulfat be- 
kommen, obwohl ich 100 cem Galle zur Untersuchung verwandte. 
Es waren sonach die etwa vorhandenen Sulfate zusammen mit 
dem Mucin ausgefällt. Meine Schwefelzahlen sind also in dieser 


Richtung einwandsfrei. 


Eine andere Fehlerquelle könnte bedeutungsvoller werden: 
Hammarsten hat in der Galle verschiedener Wirbeltiere und auch 
des Menschen Ätherschwefelsäuren, beim Hai in beträchtlicher 
Menge, nachgewiesen®. Wir dürfen also nur dann die gesamte 
Schwefelmenge der Galle auf Taurin beziehen, wenn wir sicher sind, 
daß Hundegalle keine Ätherschwefelsäuren enthält. Freilich ist, 
so häufig auch Hundegalle analysiert worden ist, hier nie Schwefel 


in dieser Bindung nachgewiesen worden. Zur größeren Sicherheit 


habe ich einige beliebig ausgewählte Proben von verschiedenen 
Tagen vereinigt und zusammen auf Ätherschwefelsäuren unter- 
sucht. Ich benutzte dazu die fünf Gallenproben, mit denen ich die 
Sulfatbestimmung versucht hatte. Ich zersetzte die barythaltige 
Flüssigkeit mehrere Stunden mit Salzsäure, dampfte zur Trockene 
ein, nahm mit Alkohol und Wasser vollständig auf, sammelte 
das Ungelöste auf einem aschefreien Filter und wusch mit 
Wasser, verdünnter Salzsäure, Alkohol und Äther wiederholt 
nach. Es blieb kein wägbarer Rückstand zurück. Ätherschwefel- 


ee vn. 


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- 


Die Uberführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 197 


säuren waren also in unseren Proben nicht vorhanden. — Da 
irgend ein anderer alkohollöslicher schwefelhaltiger Körper in 
der Galle nicht bekannt ist, bin ich berechtigt, die Zahlen für den 
Gesamtschwefel der mit Alkohol versetzten Galle auf Taurin zu 
beziehen. 

Die beschriebene Behandlung der Gallen scheint für Schwefel- 
bestimmungen geeigneter als das Extrahieren des eingedampften Rück- 
standes mit Alkohol, denn Taurocholsäure kann beim Eindampfen leicht 
zerlegt werden und Taurin ungelöst im eingedampften Rückstand bleiben. 

Handelte es sich nur um Bestimmungen der physiologischen 
‚Schwefelausscheidung, so habe ich öfters, nachdem ich die 
Schwankungen einmal festgestellt hatte, mehrere Tagesportionen 
vereinigt und nachher die Ausscheidung für 24 Stunden im Mittel 
berechnet; die Tabellen deuten das stets an. Zu rascher Übersicht 
empfiehlt es sich besonders die letzte Spalte aller Tabellen zu 
berücksichtigen, auf der die 24stündige Schwefelmenge ver- 
zeichnet ist. 

d) Über die Darstellung des Cystins nach Mörner und 
Embden verweise ich auf die oben zitierte Friedmannsche 
Arbeit®. Es wurden stets reine Präparate verwendet. Das chol- 
saure Natron, von dem ich später Gebrauch machte, war aus 
Rindergalle erhalten und ebenfalls völlig rein. Alle Präparate 
wurden den Hunden in Gelatinekapseln verabfolst. 

Wir können nun zur Besprechung der Versuche übergehen. 


III. Hat die Zufuhr von Cystin eine vermehrte Taurinaus- 
scheidung zur Folge? 

Entsprechend den obigen Ausführungen verfütterten wir zu- 
nächst Oystin bei sonst völlig gleichbleibender Kost. (Siehe Ver- 
suchsreihe I.) 

Betrachtet man die umstehende Zusammenstellung, so könnte 
es scheinen, als wenn nach der Gabe von 2,5 g Cystin eine 
lang andauernde allmähliche Steigerung der Schwefelausscheidung 
in der Galle stattgefunden hätte. An dem Vortage erhielt ich 
0,034 g für die 24stündige Schwefelmenge, dann stiegen die Zahlen 
auf 0,042, 0,051, 0,054 und mit einer Remission weiter auf 0,062. 
Wie wenig jedoch auf diese Zunahme Gewicht zu legen ist, lehrt 
die Versuchsreihe II (S. 199), die ein Bild von der Größe der 
physiologischen Schwankungen überhaupt gibt. (Siehe Versuchs- 
reihe II Seite 199.) 

Es wurden erst 20 Tage lang die physiologischen Schwankungen 
des Gallenschwefels beobachtet und erst dann wurde, um eine 
deutliche Gallenschwefelvermehrung zu erhalten, eine größere 
Dosis Oystin, d. h. zweimal 2 g, eingeführt. 


198 u. v. Dbergmann, 


Versuchsreihe I. 


Hund „A“. Gewicht 4,6 Kilo. Erhält täglich 50 g Fleisch und 150 g Reis. 


En BaS0O, Ss 
= 3 | Gewogenes BaSO, | auf die in der S 
Verfüttert = = Gesamt- | Gesamt- in 24 Stdn. 
A & Kontroll- Mittel menge be- menge d. | im Mittel 
& | analysen u rechnet Galle 
X1l. 

02 
0,0480 

12. var 0,0500 | 0,2500 , 0,0343 0,034 
0,0520 
0,0600 

2,5 g Cystin || 13. 0,0607 | 0,3035 | 0,0417 0,042 

0,0613 
0,0753 

14. 0,0742 | 0,3710 | 0,0509 0,051 
0,0730 
0,0777 \ 

15. 0,0784 | 0,3920 ‘, 0,0538 0,054 
0,0790 
0,0691 

16. 0,0681 | 0,3405 | 0,3468 0,047 
0,0670 
0,0879 

17. 0,0897 | 0,4485 | 0,0616 0,062 
0,0914 
0,0859 

18. 0,0848 0,4240 | 0,0582 0,058 

| 0,0837 


Die Versuchsreihe II zeigt, daß die Schwankungen in der 
24stündigen Schwefelmenge 0,025 bis 0,055 betragen können, 
d.h. daß das Maximum den Minimalwert fast ums Doppelte über- 
treffen kann. Da hier während und nach der Cystinfütterung eine 
Steigerung nicht konstatiert werden Kann, dürfte auch die höchste 
Zahl der Reihe I (0,062) noch in die Breite der physiologischen 
Schwankungen zu rechnen sein. Stadelmann® schon betont 
wiederholt die großen Schwankungen in der täglichen Menge 
aller Gallenbestandteile. Jedenfalls gibt weder das Verhalten des 
Hundes, noch sonst irgend etwas Veranlassung, die Zuverlässigkeit 
der höchsten oder niedersten Werte anzuzweifeln, so daß mit 
einer so großen Breite der physiologischen Schwankungen not- 
wendig gerechnet werden muß. Angesichts solcher Tatsachen 
läßt sich unmöglich behaupten, daß die Zahlen an den Tagen 
der Cystinfütterung oder kurz darnach irgend eine Steigerung 
der Schwefelausfuhr bewiesen; es ist richtig, daß sie näher 


| Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 199 


Versuchsreihe 1. 


Hund „A“. Unter den gleichen Bedingungen wie in Reihe I. 


” 2 BaSO, Ss 
an | | . , 3 
Se: 'S GE &L Gewogenes BaSO, | auf die in der S 
Verfüttert 3 D 5 © Gesamt- | Gesamt- |in 24 Stdn. 
EB Anhe 
ar Kärtsan: menge be- menge d. |im Mittel 
ccm | cem | analysen Mittel |rechnet*) | Galle 
T. 
93 en ——- 
2 Tage a | 138 | Orlası | 0,1216 | 0,6080 | 0.0835 | 0,042 
[23.| fehlt | 
| 2 
2 Tage | | | 187 | oooe | 01004 | 0,5020 | 0,0689 | 0,034 
2 Tage | > 9 | 12 | Oggs | 01592 | 0,060 | 0,1098 | 0,055 
(II 28.| 71 . | 0,0813 
2 Tage || 99.| 75 | Ki aatı | 0,0814 9070 0.0559 | 0,028 
[30.]fehlt 
[31.] Fehlt 
Il. 
03 | x i 
2 Tage | 16 | 197 | Orıe | o1ıes | 0,5840 | 0,0802 | 0,040 
19.178.) ..,., 0,1533 i , 
2 Tage|| 475 | 153 | o1506 | 91530 0,7650 0,1050 | 0.053 
(| 5 3 
6.| 68 
7.165 
8. | 70 0,1116 
8 Tage‘| 9.| 66 | 321 0,1084 | 2,7100 | 0,3721 | 0,097 
[10.]|fehlt 0,1052 
| 11.| 63 
12.| 52 
| '18.| 64 B 
2,0 g Cystin [| 14. | 70 0,1479 
2 Tage 126 0,1446 | 0,7230 | 0,0993 | 0,050 
2,0 & Oystin 15. | 56 0,1413 
| (| 16. | 74 0,1587 r 
| 2 Tage 7 09 143 | g1sga | 1590 | 0,7950 | 0,1092 | 0,055 
ee. Tage | apa... Br 0,1865 | 0,6825 | 0,0937 | 0,047 
(| 20.| 56 | 
3 | 21.| 50 
22.| 52 0,0968 
7 Tage | 23.| 55 | 369 0,0970 | 2,4250 | 0,3330 | 0,048 
| 24.| 62 0,0972 
| 25.| 48 
26.| 46 


*, Für gewöhnlich wurde bei Hund „A“ je Y, der Galle zur Analyse verwendet, für die 
sieben und acht ver einigten Tage nur je Ha 


- 


200 . G. v. Bergmann, 


der oberen Grenze der Normalzahlen liegen, als der unteren. Aber 
es wäre bedenklich, daraus einen Schluß zu ziehen. 

Wir müssen also folgern: Cystinfütterung, bei sonst gleich- 
pleibender Nahrung, steigert den Tauringehalt der Galle nicht nach- 
weislich. 


Dieses negative Resultat war dem zunächst erwarteten ent- 
gegengesetzt. Damit konnte aber die chemisch so gut gestützte 
Überlegung, von der ich ausging, nicht als widerlegt angesehen 
werden. Es war daher nach einer anderen Erklärung zu suchen, 
die sich aus folgender Überlegung zu ergeben schien. 

Es wird fast allgemein angenommen, daß die Hundegalle aus- 
schließlich oder fast ausschließlich Taurocholat enthält, d. h. daß 
alle Cholsäure an Taurin gebunden ausgeschieden wird. Eine 
Zunahme des Taurins in der Galle wäre also nur denkbar, wenn 
auch mehr Cholsäure sezerniert würde. Unser negatives Resultat 
könnte demnach auf der Unfähigkeit des Hundeorganismus beruhen, 
für das vorhandene Taurin mehr Cholsäure verfügbar zu machen. 

Ist diese Annahme richtig, so mag noch soviel Cystin vom 
Organismus in Taurin umgewandelt werden, den Weg in die Galle 
kann es doch nicht finden, da ihm der geeignete, es vor Ver- 
brennung schützende Paarling fehlt. Hieraus ergibt sich die Auf- 
gabe, zunächst den Organismus in die Lage zu setzen, mehr 
Gallensäure zu liefern als in der Norm, und zwar eine für Taurin- 
bindung verfügbare Gallensäure. 

Daß Gallensäuren vom Darme leicht resorbiert und dann mit 
der Galle schnell ausgeschieden werden, ist eine vielfach fest- 
gestellte Tatsache; hat ja die Frage des Gallenkreislaufs zahl- 
reiche Forscher eingehend beschäftigt. Teils wurde denı Versuchs- 
tier Rindergalle, Hundegalle oder andere Galle beigebracht, teils 
reines glykocholsaures, oder taurocholsaures Natron eingeführt. Fast 
alle Forscher fanden danach sowohl die Gallenmenge verinehrt, als 
auch die Menge der gallensauren Salze. Die Ausscheidung der 
letzteren erreichte etwa nach sechs Stunden ihr Maximum und war 
‚nach zwölf Stunden so gut wie vollständig beendet. Wie namentlich 
Stadelmann® gezeigt hat, bei dem man wohl die gesamten bis 
dahin unternommenen Versuche verwertet findet#u®, können die 
gepaarten Gallensäuren, die in den Organismus eingeführt worden 
sind, fast ohne Verlust aus der Gallenfistel wiedergewonnen werden. 

Ob beim Hund eingeführte Glykocholsäure nur als solche, oder 
nicht wenigstens zum Teil zu Taurocholsäure umgewandelt in der 
Galle erscheint, ist nicht ganz sicher festgestellt. Während 
einige Forscher eine völlige Umformung der Glykocholsäure in 
Taurocholsäure annahmen, machten andere den direkten Über- 


' Die Überführung von Öystin in Taurin im tierischen Organismus. 201 


gang von Glykocholsäure in die Hundegalle sehr wahrscheinlich 
(Weiss)!), und Stadelmann?) bewies ihn einwandsfrei, indem er 
‚aus der Galle eines Hundes, den er mit glykocholsaurem Natron 
gefüttert hatte, Glykokoll darstellen konnte. Durch Fütterung 
eines Hundes mit Glykocholsäure ließe sich also eine Galle erzielen, 
die vielleicht unserem Zwecke entspräche, d. h. uns eine Gallen- 
säure in der Galle lieferte, die nicht mit Taurin gepaart ist. Die 
gleichen Verhältnisse böte uns auch ein Tier, das schon in der 
Norm reichlich Glykocholsäure in der Galle enthielte. Aber es 
würde sich da immer noch fragen, ob die bereits gepaarte Ver- 
bindung so ohne weiteres das Glykokoll gegen Taurin eintauschen 
kann. Auch müßte man daran denken, daß vielleicht die Ein- 
führung einer dem Hundeorganismus, wenigstens in größeren 
Mengen, offenbar fremden Verbindung die Leberfunktion in unbe- 
rechenbarer Weise stören könnte. Aus diesen Gründen schien es 
aussichtsvoller, dem Hunde einfach cholsaures Natron zuzuführen. 
Freilich ergab sich damit die Notwendigkeit, zuerst festzustellen, 
ob dadurch an und für sich eine veränderte Schwefelausscheidung 
in der Galle veranlaßt wird. 


IV. Die Zufuhr von Natriumceholat bedingt eine erhöhte 
Sehwefelausscheidung in der Galle. 


Fütterungen mit der nicht gepaarten Cholsäure bezw. ihrem 
‚Natronsalz sind zum Zwecke von Gallenanalysen meines Wissens 
nur von Weiss!” ausgeführt*). Weiss zeigte, daß nach Fütterung 
eines Hundes mit Cholsäure die Gallensäuren in der Galle ver- 
mehrt sind. Ein Teil der verfütterten Cholsäure soll mit Taurin 
gepaart zur Ausscheidung kommen. Von dem Rest nimmt Weiss 
an, daß er in Glykocholsäure übergeht. Er weist dann nach, 
daß dieser andere Teil, also nach ihm die Glykocholsäure, ab- 
nimmt, wenn man mit der Cholsäure zusammen noch Taurin ver- 
füttert. Daraus schließt er, daß die Glykocholsäure vielleicht erst 
dann auftritt, wenn der Taurinvorrat des Körpers erschöpft ist. 
Keines dieser Resultate ist an Gallenfisteltieren gewonnen. Weiss 
untersuchte nur die Galle der nach @iner Fütterung von mehreren 
Tagen getöteten Tiere. So fehlen uns quantitative Vorstellungen 
über diese Vorgänge, die man nur nach Ausschluß des Gallen- 
kreislaufs gewinnen kann, d. h. eben am Gallenfisteltiere. Auf 


*) Das Original der in Moskau in russischer Sprache erschienenen 
Dissertation war mir leider nicht zugänglich, wohl aber lagen mir ausführ- 
liche Referate vor, darunter ein Autoreferat in den Berichten der Moskauer 
Akademie der Naturforscher veröffentlicht. 


302 G. v. Bergmann, 


andere Mängel der Methodik weist Stadelmann® hin, so vor 
allem darauf, daß der Beweis für das Auftreten von Glykochol- 
säure nur indirekt geführt ist, insofern die Analysen mehr Chol- 
säure ergeben, als nach den Schwefelbestimmungen auf Taurochol- 
säure berechnet werden kann. Auch die absolute Zuverlässigkeit 
der Zahlen für den Gallenschwefel stellt Stadelmann mit Recht 
in Frage. 

Da man heutigentags eine exakte Methode zur quanti- 
tativen Glykokollbestimmung noch nicht besitzt, haben wir auf 
eine Beantwortung der Frage nach Auftreten und Menge der 
Glykocholsäure verzichtet, die sich eben nur durch indirekte Be- 
stimmungen hätte erreichen lassen. Nur qualitativ Glykokoll nach- 
zuweisen (Stadelmann)?® schien uns ebenfalls für unsere Zwecke 
unzureichend. 

Immerhin bleiben die Resultate von Weiss für uns sehr be- 
merkenswert, denn er findet, um es kurz zusammenzufassen, daß 
man die Schwefelmenge der Galle steigern kann, wenn man einem 
Hund nur cholsaures Natron gibt; gibt man ihm aber gleichzeitig 
noch Taurin, so steigt die Schwefelmenge noch mehr, vermutlich 
unter entsprechender Abnahme einer schwefelfreien gepaarten 
Gallensäure (Glykocholsäure?). 

Wir hatten also den Befund von Weiss am Gallenfistelhunde 
nachzuprüfen und zunächst festzustellen, ob sich nach Fütterung 
mit cholsaurem Natron mehr Taurin in der Galle finde als vorher. 

Die folgenden Versuchsreihen (III und IV) zeigen, daß die 
Schwefelmenge der Galle sich in der Tat nach Fütterung mit 
cholsaurem Natron vermehrt zeigt. 


Versuchsreihe Il. 


Hund „A“. Unter den gleichen Bedingungen wie in Reihe I und II. 


En BaS0, S 
= | 8 | Gewogenes BaS0O, | auf die | in der S 
Verfüttert 3 S Gesamt- | Gesamt- [in 24 Stdn. 
a = ee menge be-| menge d. im Mittel 
cem| analysen Mittel | rechnet Galle 
3 | 0,1407 £ 
” 27.870 0,1390 | 0,6950 | 0,0954 | 0,09 
atron 0,1373 
|_ | _ | 0,0655 
1.28: :6B: SR 0,0679 | 0,3395 | 0,0466 0,047 
0.0702 


Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 203 


Der Versuch reihte sich ohne Unterbrechung der Reihe Il an, 
so daß die dort gegebenen Normalzahlen auch hierher gehören. 
Bei Fütterung mit 1,0 g Natriumcholat sehen wir, außer Ver- 
mehrung der Gallenflüssigkeit, einen Anstieg von 0,048 auf 0,095, 
einen Wert, der auch die höchste Normalzahl beträchtlich über- 
steigt. Nun gaben wir die doppelte Menge Natriumcholat. Reihe IV 
zeigt den Erfolg. 


Versuchsreihe IV. 


Hund „A“. Unter den gleichen Bedingungen wie in Reihe I bis IH. 


= BaSO, S 
s = Gewogenes BaSO, | auf die in der S 
Verfüttert 2 5 (Gresamt- | Gesamt- |in 24 Stdn. 
AIG Kassreil. menge be-, menge d. im Mittel 
cem| analysen Mittel rechnet Galle 
IN. 
03° 
9 0,1500 | 
posanzen | ..\ {16 0,1508 | 0,7540 | 0,1035 | 0,104 
Natron 0,1515 
0,0564 
7. | 59 0,0575 | 0,2875 | 0,0395 | 0,040 
0,0586 
0,0808 
8. | 69 0,0790 | 0,3950 | 0,0542 0,054 
0,0772 
0,0754 k 
9. |. 71 0,0736 0,3680 0,0505 0,051 
0,0717 


Nach Darreichung von 2,1 g cholsaurem Natron folgt also eine 
Steigerung auf 0,104. Beim Vergleich mit der Steigerung nach 
1,0 8 Natriumcholat fällt auf, daß die Schwefelausscheidung offenbar 
nicht proportional der Cholsäurezufuhr ansteigt. Sollte nicht genug 
Taurin verfügbar sein, um eine proportionale Taurocholsäure- 
produktion zu bewirken ? 


Weiss deutet diesen Zusammenhang an einer Stelle an. Es 
wäre gerade das, was wir für unsere Fütterung mit Cystin 
wünschten, nämlich, daß dem Organismus Cholsäure zur Ver- 
fügung stände, für die ihm das nötige Taurin fehlt. Dabei kann 
vorläufig dahingestellt bleiben, ob diese vielleicht verfügbare Chol- 
säure als Glykocholsäure oder in anderer Bindung in der Galle 
erscheint, ebenso die weitere Frage, warum erscheinen nur 
etwa zwei Drittel der eingeführten Cholsäure als Taurocholsäure 
wieder, eine Frage, welche nur durch eine quantitative Unter- 


204 G. v. Bergmann, 


suchung der aufgenommenen und ausgeschiedenen Cholsäure hätte 
Beantwortung finden können. 

Soviel ist jedoch entschieden, daß, soweit Taurocholsäure 
aus der verfütterten Gallensäure entsteht, diese auch am selben 
Tag zur Ausscheidung gelangt, denn nach 1,0 g Natriumcholat 
finden wir einen Abfall von 0,095 auf 0,047 (Reihe III), nach 2,1 g 
Natriumcholat von 0,104 auf 0,040 (Reihe IV). 

Jedenfalls schließen wir aus unseren Reihen mit Bestimmtheit: 

Cholsaures Natron wird zu einem sehr beträchtlichen Teil als 
Taurocholsäure mit der Galle ausgeschieden. Diese Ausscheidung 
dauert längstens 24 Stunden an. Die Vermehrung steigt 
bis über das Doppelte der durchschnittlichen Taurin- 
menge. 

Dieses Resultat rückt die eingangs mitgeteilten Ergebnisse 
von Kunkel und P. Spiro in ein unerwartetes Licht: Diese 
Forscher hatten bei achtfach vermehrter Zufuhr von Eiweiß, bezw. 
Schwefel im Eiweiß eine Steigerung des Gallenschwefels auf nur 
das Doppelte des ursprünglichen Wertes erhalten. Hier haben 
wir, ohne eine Spur Schwefel mehr zuzuführen, ganz dasselbe 
erzielt, indem wir cholsaures Natron reichten. Könnte nicht die 
vermehrte Eiweißzufuhr als solche, unabhängig von ihrem Schwefel- 
gehalt, eine vermehrte Cholsäureproduktion bedingt haben? Daß 
eine vermehrte Eiweißzufuhr eine vermehrte Cholsäurebildung 
bedingt, sei es durch eine sekretorische Wirkung, sei es durch 
Zufuhr des zu ihrer Bildung nötigen chemischen Materials oder noch ° 
in anderer Weise, ist recht wohl denkbar. Jedenfalls wird durch 
diesen Zusammenhang zwischen Cholsäuresekretion und Eiweiß- 
zufuhr der Widerspruch verständlich, daß Kunkel und Spiro 
eine vermehrte Taurocholsäureausscheidung beobachteten, als sie 
das Eiweiß der Nahrung steigerten, während wir, die wir nur 
Cystin, das eine kleine, schwefelhaltige Bruchstück des Eiweiß- 
moleküls, verfütterten, keine Vermehrung der Taurocholsäure auf- 
treten sahen. Danach könnten die Arbeiten von Kunkel und 
Spiro vielleicht nur die Frage betreffen: Besteht ein Einfluß der 
Eiweißnahrung auf die Cholsäureproduktion in der Leber, speziell 
die Produktion der Taurocholsäure? Inwiefern sie eine Verwertung 
für die Frage der Taurinbildung gestatten, könnte erst nach 
weiteren einschlägigen Untersuchungen entschieden werden. 


Die vorbereitenden Versuche hatten uns nun genügend auf- 
geklärt, um auf die ursprünglich gestellte Frage, mit Hilfe einer 
zweckmäßigeren Versuchsanordnung, von neuem zurückgreifen 
zu können. Ä 


Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 205 


V. Fütterung von Cystin neben Natriumcholat erhöht die 
Schwefelausscheidung durch die Galle. 

Wir suchten nun die maximale Schwefelausscheidung nach 

Natriumcholatfütterung durch Darreichung von Cystin noch weiter 


zu steigern. 
Versuchsreihe V\V. 


Hund „A. _ Unter den gleichen Bedingungen wie in Reihe I bis Iv. x 


S 
an 2 
= |2,27| Gewogenes BaSO, | auf die | in der S 
Verfüttert i= = E Gesamt- | Gesamt- \in 24 Stdn. 
A Kontroll- menge be-, menge d. | im Mittel 


Mittel Galle 


analysen rechnet 


1,0 g Cystin + 0,2227 
2,0 & cholsaures | 11. | 130 j 0,2187 1,0935 | 0,1501 0,150 
Natron 0,2146 
0,0791 
12. | 65 0,0787 0,3935 0,0540 0,054 
0,0782 


Mit 2,1 cholsaurem Natron allein erhielten wir eine Schwefel- 
menge von 0,104 in 24 Stunden, mit 2,0 cholsaurem Natron plus 
1,0 Cystin eine Schwefelmenge von 0,150. Die Steigerung ist 
also ganz unverkennbar. 

Ein weiterer Versuch, unter den gleichen Bedingungen, gab 
ein ähnliches Resultat: 

Versuchsreihe VI. 


Hund „A“. Unter den gleichen Bedingungen wie in Reihe I bis V. 


ee Ba8s0, | 8 
= 8 05 0 en Gewogenes BaSO, | auf die | in der S 
Verfüttert = G- dB Gesamt- | Gesamt- |in 24 Stdn. 
a) > Kontroll- Mitte] „menge be-| menge d. | im Mittel 
ccm) cem | analysen rechnet Galle 
= an 0,0549 - eh 
13: | 59 0.0551 0,0550 0,2750 0,0378 0,038 
14. | 66 eh 0,0437 | 0,2185 | 0,0300 | 0,030 
9 Tage | ers | 1 | DS | 0,0994 | 0,4970 | 00682 | 0,084 
1,0 &Cystin—+ 0.1770 
2,0. g chol- || 17. | 116 as | 0,1786 | 0,8930 | 0,1926 | 0,123 
saures Natron ; 
9 Tage | 10 [0% | 143 | 00860 | 0,0881 | 0,4155 | 0,0571 | 0,029 
. 9 - By 


206 G. v. Bergmann, 


Hier beträgt also die Schwefelmenge am Cystintage 0,123 g. 
Auch hier eine deutliche Steigerung, wenn auch nicht so stark, 
wie in Versuch V. Vielleicht erklären die umgebenden Normal- 
tage diesen geringen Ausschlag, da die Normalwerte für die 
Schwefelausscheidung vom 13. bis 19. März überhaupt sehr niedere 
sind. Inbezug auf diese umgebenden Zahlen steht wenigstens 
die Reihe VI der Reihe V in keiner Weise an Beweiskraft nach. 

Auch bei diesen beiden Versuchen kehrt die Schwefelaus- 
scheidung am folgenden Tage wieder völlig zur Norm zurück. 
Das spricht aber zunächst nur dafür, daß nach Aussetzen der 
Cholsäurezufuhr der Paarling für das zugeführte Cystin bezw. 
Taurin nicht mehr in genügender Menge vorhanden ist. Jeden- 
falls berechtigt es nicht zu dem Schluß, daß aus dem einen Gramm 
Cystin nicht mehr Taurin gebildet worden ist, als dem geringen 
Überschuß an Schwefel von etwa 0,02 bis 0,05 g entspricht. Man 
kann mit Weiss!” daran denken, daß die Schwefeisteigerung bei 
der kombinierten Fütterung nur soweit geht, als \Taurocholat 
gewissermaßen auf Kosten von Glykocholat gebildet wird. Weiss 
zeigte ja, daß bei Natriumcholatfütterung ein kleinerer Teil der 
Cholsäure nicht an Taurin gebunden ist. Es mag sein, daß nur 
dieser verfügbar wird. Danach wäre es begreiflich, daß bei unserer 
Versuchsanordnung der Schwefelvermehrung, auch bei kombinierter 
Fütterung, bestimmte enge Grenzen gezogen sind. 

Ein abschließender Versuch sollte nun nach zwei Richtungen 
hin die Verhältnisse besser beleuchten. Einmal sollte, durch lang 
andauernde tägliche Fütterung mit cholsaurem Natron, wenn mög- 
lich, der Tauringehalt der Galle stark herabgesetzt werden, um 
dann nach Cystinfütterung einen möglichst großen Ausschlag zu 
erzielen. (Nach Weiss enthielte die Galle dann um ebensoviel 
mehr Glykokoll.) Zweitens sollte die Fütterung mit cholsaurem 
Natron auch hinterher noch eine Weile fortgeführt werden, um 
dem Cystin möglichst lange Gelegenheit zu geben, als Taurin in 
der Galle aufzutreten. 

In dieser Absicht wurde ein zweiter Hund (Hund B) vier Tage mit 
je 2,0 g cholsaurem Natron gefüttert, bei sonst völlig gleich bleibender 
Kost. Dann überdies am fünften Tage mit 1,0 g Cystin und dann wieder 
drei Tage lang mit je 2,0 g cholsaurem Natron ohne Cystin. (Siehe Ver- 
suchsreihe VII.) 


"Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 


Versuchsreihe VII. 


207 


Hund „B“. Gewicht 8,6 Kilo. Erhält täglich 200 g Fleisch, 150 g Reis, 308 Kaseih. 


&n |® BaSO, Ss 
2 l04 
=) gs ıas S0 Gewogenes BaSO, auf die in der Ss 
Verfüttert = S 558 Gesamt- | Gesamt- in 24 Stdn. 
Al&|> ware menge be-| menge d. |im Mittel 
ccm| cem | analysen Mittel |rechnet*)| Galle 
TI. 
\08. 
2 Tage | 0 [85 | ısa | 01365 | 0,1848 | 1348 | 0,1844 | 0,09 
[10.|fehlt 
11. | 80 
2 Tage [12.]|fehit! 195 | 01260 | 0,1558 | 1,553 | 0,2132 | 0,107 
13. |115 
ro Eehol- || 14. | 123 al | 0,1674 | 1,674 | 0,2999 | 0,280 
ne eol- | 15. | 185 Be | 0,1399 | 1,399 | 0,1921 | 0,192 
2,0 & chol- 0,1108 
saures Natron| 16° | 132 0,1184 > 1,146 0,1574 0,15% 
| 17. [114 OD | 0,0822 | 0,822 | 0,1129 | 0,118 
90 & chol- || 18. | 160 0,1723 | 1,723 | 09366 | 0,237 
saures Natron 0,1716 
2,0 g chol- x 
saures Natron 119.] fehlt 
en | 20. | 186 16 | 0,1568 | 1,568 | 0,9153 | 0215 
‚1550 
2,0 g& chol- 0,1000 
saures Natron | 21- | 112 0.1094 | 91012 1,012 0,1390 | 0,139 
22. | 126 00 | 0,1018 | 1013 | 0,1891 | 0,189 
[23.] fehlt 
24. 79 0020 | 0,0541 | 0541 | 0,0743 | 0,074 
95. | 114 org | 0,0723 | 0,783 \ 0,0993 | 0,099 


*) Zu den Analysen wurde je !/, der Galle verwendet. 


208 G. v. Bergmann, 


Die Zahlen geben hier eine so gute Einsicht in die bestehenden 
Verhältnisse, daß ich zu größerer Anschaulichkeit die Resultate 
graphisch darstelle. 


Kurve. 
8! 
Es 
I! 
1 0 ı 
N = 
‚Oo 
1.0 1 
> ek :> | BEER g g 
= z 2 AB EEE er 
os Ss Ss!iE!in s © 
N a NEUEN 
Br) PB O1... 
oo SO’ OO are 
& 2a or, im a SU, 


5 Patum Ill. 
= 0,240 
(= 
c 
7) 0,220 
x 
a 0,200 
e 
© 0,180 
ö 
= 0,160 
br 0,140 


Breite der 0,120 
physiologischen 
Schwankungen 


Eu BERBBEERM: 


Die Menge des Gallenschwefels steigt nach Zufuhr von 2,0 g 
Cholsäure wieder auf das Doppelte der Norm an, sinkt aber in 
den folgenden Tagen, trotz fortgesetzter Cholsäuredarreichung, 
etwa auf das vor der Cholsäurezufuhr gegebene Niveau ab. In 
diesem Moment setzt die Cystinfütterung ein, die Schwefelaus- 
scheidung steigt von neuem über das Doppelte an und erreicht 
am vierten Tage (21. III.) wieder einen Normalwert, ebenfalls trotz 
fortgesetzter Zufuhr von Cholsäure. Die Steigerung der Schwefel- 
ausscheidung entspricht am ersten Tage (14. III.) nahezu einer 
gänzlichen Überführung der Cholsäure in Taurocholsäure (gefundene 
Steigerung 0,13, berechnet 0,15 g Schwefel). Andererseits ergibt 
sich, unter der Annahme, daß die Schwefelausscheidung am 19. II., 
an dem die Bestimmung fehlt, ebenso groß war, wie an den 
Nachbartagen, eine Vermehrung der Schwefelausscheidung gegen- 
über der normalen Durchschnittszahl, wie sie ungefähr der ver- 
fütterten Cystinmenge (1,2 g) entspricht. Nach Aufhören der Chol- 


‘Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 209 


säurefütterung bleiben, im Einklang mit den Beobachtungen der 
anderen Reihen (III bis VI), nur die physiologischen Schwankungen 
bestehen, und zwar etwa in derselben Breite wie beim ersten Hunde. 

Die allmähliche Abnahme der Taurinmenge bei fortgesetzter 
Cholsäurefütterung, die wir auf Grund der Reihe IV vermuteten, ist 
durch diesen Versuch bewiesen. Der Organismus vermochte 
also nicht der Cholsäure dauernd die gleiche Menge 
Taurin zur Verfügung zu stellen, obwohl ihm mit der 
Nahrung stets etwa die gleiche Menge von Eiweißschwefel zuge- 
führt wurde. Eine sichere Erklärung dieser Erscheinung steht noch 
aus. Weiss spricht, wie erwähnt, von einem Taurinvorrat der 
Leber, der sich erschöpft. Man könnte in diesem Sinn den Vor- 
gang als Taurinerschöpfung bezeichnen, die selbstverständlich nur 
eine relative sein könnte, da der Eiweißzerfall erst mit dem Leben 
aufhört. Es ist aber auch denkbar, daß es sich nicht um Er- 
schöpfung eines Taurinvorrates handelt, sondern etwa um eine 
Fähigkeit der toxisch und hämolytisch wirkenden Cholsäure auf 
irgend einem Wege Vorstufen des Taurins doch nur in beschränkter 
Menge frei zu machen. 

Die eben besprochene letzte Reihe (VII) scheint mir deutlich 
alles Wichtige noch einmal vorzuführen, was sich aus unseren Ver- 
suchen ergibt. Sie zeigt in Übereinstimmung mit meinen früheren 
Versuchen: 

1. Nach Fütterung mit Natriumcholat nimmt die 
Taurinmenge der Galle bei gleicher Eiweißnahrung um 
das Doppelte zu, d. h.: Taurin steht dem Hundeorganismus reich- 
lich zur Verfügung, doppelt soviel, als er für gewöhnlich zur 
Gallensekretion braucht. Cholsäure steht ihm nicht im Überschuß 
zur Verfügung. 

2. Dieser Taurinvorrat kann aber rasch erschöpft 
werden, d. h. bei längerer Fütterung mit cholsaurem Natron 
nimmt die Taurinvermehrung der Galle stetig ab, ja sie hört 
wohl schließlich ganz auf. 

3. Durch Zufuhr von Cystin erhält der Organismus 
wieder den verloren gegangenen Taurinüberschuß. Das 
steht in Übereinstimmung mit den Versuchen von Weiss, der 
durch Zufuhr von Taurin dasselbe erreichte, was wir durch Cystin 
bewirkten. 

Wie man sieht, unterscheidet sich die Cystinzufuhr in der 
Beeinflussung der Taurinausscheidung wesentlich von der nach 
Kunkel und P. Spiro bestehenden Wirkung der Eiweißzufuhr. 


Sie löst eine sofort nachweisbare, am gleichen Tage das Maximum 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. ‚14 


210 G. v. Bergmann, 


erreichende Vermehrung aus, während nach Eiweiß das Maximum 
erst am zweiten bis dritten Tage erreicht werden soll. 

Besteht überhaupt die Vorstellung zu Recht, daß das Eiweiß 
diese Wirkung durch seinen Vorrat an Taurin bildenden Vor- 
stufen bedingt, so muß geschlossen werden, daß der Zerfall des 
Nahrungseiweißes bis zur Bildung des Oystins oder einer gleich 
einfachen Vorstufe des Taurins beim Hunde zwei bis drei Tage 
lang dauert — eine Vorstellung, die mit unseren Erfahrungen über 
die Harnstoffbildung aus Eiweiß, die ungleich rascher verläuft, 
scheinbar in Widerspruch steht. Immerhin ist denkbar, daß die 
schwefelhaltigen Derivate des Eiweißmoleküls in den Geweben 
festgehalten bezw. anders verwendet werden, ehe es zur 
Taurinbildung kommt — eine Vorstellung, welche in der nach 
Cystinfütterung beobachteten längeren Nachwirkung eine Stütze 
finden mag. 


Bei all diesen Schlußfolgerungen ist angenommen, daß die 
beobachtete Schwefelvermehrung in der Galle wirklich auf Taurin 
zu beziehen ist. Daß man unter gewöhnlichen Verhältnissen so 
gut wie ohne Fehler den Gesamtschwefel der Galle als Taurin- 
schwefel ansehen darf, wurde oben gezeigt. Man könnte aber 
etwa auf den Gedanken kommen, Cystin werde als solches aus- 
geschieden oder aber eine der Vorstufen des Taurins in alkohol- 
löslicher Form. Letztere Vermutung entzieht sich, da wir die im 
Organismus bei der Taurinbildung entstehenden Zwischenstufen 
nicht kennen, jeder Prüfung, erscheint aber wenig wahrscheinlich: 
Gegen die Annahme, daß Cystin oder eine gepaarte, alkohollösliche 
Cystinverbindung in der Galle auftritt, spricht das gänzliche 
Ausbleiben der Reaktion auf leicht abspaltbaren Schwefel in meinen 
Gallenproben. 


Ein anderer Gedankengang könnte zu der Vermutung führen, 
daß das verfütterte Cystin nur durch einen erhöhten Eiweißzerfall 
zu vermehrter Taurinausscheidung Anlaß gebe, eine Vorstellung, 
die jedoch einmal durch die Tatsache hinfällig wird, daß sich der 
Einfluß des Oystin- und Eiweißzerfalls, wie erwähnt, zeitlich ganz 
verschieden gestaltet, aber auch schon darum zurückgewiesen 
werden muß, weil die durch Cystin erreichte Steigerung der Gallen- 
schwefelausscheidung in meinem Fall, verglichen mit den Zahlen 
von Kunkel und P. Spiro, einen so gewaltigen, plötzlichen Eiweiß- 
zerfall zur Folge haben müßte, daß derselbe nicht ohne ander- 
weitige toxische Symptome eintreten könnte. Daß eine solche 
Vorstellung überdies, bei einem auch normal als Verdauungs- 
produkt auftretenden Derivat des Eiweißes, kaum am Platze ist, 


‘Die Überführung von Cystin in Taurin im tierischen Organismus. 211 


auch mit unseren Erfahrungen über Cystinurie im Widerspruche 
steht, braucht kaum betont zu werden. 

Man darf somit als bewiesen ansehen, daß das Cystin in der 
Tat vom Organismus in Taurin übergeführt werden kann und daß 
speziell das Taurin der Galle aus dem Eiweiß der Nahrung stammt. 

Interessant wird es sein, die Versuche in ähnlicher Richtung an 
einem Tiere zu wiederholen, das vorwiegend glykocholsaures 
Salz in seiner Galle enthält, etwa einer Ziege. Möglich, daß .hier 
Cystinfütterung ohne weiteres zu dem Ergebnis führt, zu welchem 
wir beim Hunde erst auf einem Umweg gelangen konnten. 

Wenn die Physiologen in einer früheren Periode die Bildung 
des Taurins aus Eiweiß darin begründet glaubten, daß auch das 
Eiweißmolekül oxydierten Schwefel enthielte, so haben die neueren 
chemischen Erfahrungen diese Auffassung durchaus in Frage ge- 
stellt, da der Nachweis einer solchen Schwefelgruppe gänzlich 
fehlt. Die Annahme eines solchen oxydierten Schwefels im Eiweiß 
ist bei den nun nachgewiesenen einfachen chemischen und physio- 
logischen Beziehungen des nicht oxydierten Cystinschwefels im 
Eiweiß zum oxydierten Taurinschwefel der Galle vollends ent- 
behrlich geworden. 


Literatur. 

') Mörner, K. A. H., Zeitschr. f. physiol. Chemie 34, 207, s. a. die 
historische Übersicht von Friedmann, E., in: Ergebnisse der 
Physiologie 1902, 2: „Der Kreislauf des Schwefels in 5 organischen 
Natur“. n 

?) Friedmann, E., „Uber die Konstitution des Cystins“, Beiträge 
zur chem. Physiol. u. Path. 3, 1 u. ff. 

3) Bidder, F., und Schmidt, C., Die Verdauungssäfte und der 
Stoffwechsel. Mitau und Leipzig 1852. 

*) Stadelmann, E., Der Ieterus. Stuttgart 1891. 

5) Kunkel, A., a) „Uber das Verhältnis der mit dem Eiweiß ver- 
zehrten zu der mit der Galle ausgeschiedenen Schwefelmenge“. Ver- 
handlungen der königlich sächsischen Akademie der Wissenschaften, 
mathematisch-physikal. Klasse. Leipzig 1875, 27, 232. b) „Über den Stoff- 
wechsel des Schwefels im Säugetierkörper“ u. „Eisen- und Farbstoff- 
ausscheidung in der Galle“. Pflügers Archiv 1877, 14, 344. 

EDiro,P.,, „Über die Gallenbildung beim Hunde“. Du Bois, Archiv 
für Physiologie 1880, Supplem.-Band 50. 

"), Dastre, A., „Operation de la fistule biliaire“, Archive de Physio- 
logie 1890, 22, 714. E 

) Hammarsten, OÖ. „Uber eine neue Gruppe gepaarter Gallen- 
säuren“. Zeitschr. f. phy siolog. Chemie 24, 322. 

») Stadelmann,E,, „Über den Kreislauf der Galle im Organismus“. 
Zeitschr. f. Biologie. Jubelband f. W. Kühne 1896, 1 u. ff. 

10) Weiss, A., „Zur Physiologie der Galle“. Dissertation, Moskau 1883 
(russisch). Autoreferat: „Ce que devient la bile dans le canal digestif“. 
Bulletin de la societ&e imperiale des Naturalistes de Moscou 1884, 54, 22. 

14* 


XVII. 


Über Crotin-Immwität. 
Von Privatdozent Dr. Martin Jacoby, 


Assistenten am pharmakologischen Institut. 


(Aus dem pharmakologischen Institut zu Heidelberg.) 


Wie die Untersuchungen zahlreicher Forscher gezeigt haben, 
kann das Studium der Phytotoxine Stützen für die Immunitäts- 
forschung bieten. Deshalb schien mir die nähere Analyse der 
von Elfstrand zuerst studierten Lysinwirkung des Crotins von 
Interesse. Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: 

I. Die physiologische Konstitution des Orotinhämolysins und 
seine Beziehungen zum Antihämolysin. 

II. Über die zelluläre Immunität gegen Crotin. 

III. Über eine die Crotinwirkung hemmende Substanz in der 

Magenschleimhaut. 


1. 

Die Hämolyse der roten Blutkörperchen durch Crotin, wie 
sie durch die Untersuchungen Elfstrands*), Ehrlichs und 
Morgenroths®*) und Lau’s**) bekannt geworden ist, ist ein 
der Untersuchung sehr bequem zugängliches Phänomen, da das 
Gift schon in sehr kleinen Quantitäten bei niederer Temperatur 
rote Blutkörperchen des Kaninchens vollständig auflöst. Ferner 
handelt es sich um eine nicht zu labile und überdies leicht zu- 
gängliche Substanz, welche durch die Firma E. Merck in Darm- 
stadt zu erhalten ist). 


*) Elfstrand, Über giftige Eiweiße, welche Blutkörperchen verkleben 
— Upsala: 1897. Ri 
**) Ehrlich, Verhandl. d. Gesellsch. d. Charite-Arzte 3. II. 1898 v. 
Berl. Klin. Wochenschr. 
***) Lau, Uber vegetabilische Blutagglutinine — Dissert. Rostock, 1901. 
7) Die genannte Firma hat dem Institut in entgegenkommendster Weise 
eine größere Quantität des wertvollen Materials zur Verfügung gestellt, 
wofür wir auch an dieser Stelle unseren Dank aussprechen möchten. 


A A a nn De ie 


at A ne 


Über Crotir-Immunität. 213 


Das Crotinhämolysin gehört zu der großen Gruppe der Antı- 
körper bildenden Gifte oder Rezeptorengifte. Das hat Morgen- 
roth entdeckt, indem er durch Immunisierung einer Ziege ein im 
Reagensglas wirkendes Anticrotin darstellte. Zu ermitteln ist 
noch, ob das Crotin wie die Serumhämolysine aus zwei Sub- 
stanzen besteht oder ob es wie die Bakterienhämolysine, das 
Tetanolysin und das Staphylolysin eine Substanz ist, deren Kon- 
stitution in großen Umrissen der des Diphtherie-Toxins entspricht, 
oder ob es ganz abweichende Verhältnisse darbietet. 


Die Entscheidung der aufgeworfenen Frage ist keine ganz 
einfache. Jedoch sei gleich bemerkt, daß sich keine Anhalts- 
punkte für die Zusammensetzung des Crotinolysins aus zwei ein- 
zelnen Substanzen gefunden haben. Crotinlösungen sind nicht so 
labil wie die komplizierten Lysine. Haben sie durch längeres Er- 
hitzen auf 55° oder durch kurzes Erhitzen auf 60° ihr Lösungs- 
vermögen verloren, so gelingt es nicht, durch Serum von ver- 
schiedenen Säugerarten sie wieder wirksam zu machen. Selbst- 
verständlich läßtsich die Zahl der negativen Komplettierungsversuche 
beliebig vermehren; ich habe eine ganze Reihe solcher Versuche 
ausgeführt. Die noch folgenden Darlegungen machen es aber un- 
nötig, diese Versuche hier wiederzugeben. Die Herkunft des Crotins 
aus dem Pflanzenreiche macht die Existenz eines Komplementes, 
welches das Gift im tierischen Organismus vorfinden würde, nicht 
etwa a priori unwahrscheinlich; man könnte für dieses Pflanzen- 
gift ebenso an ganz unerwarteten Fundstätten ein Komplement 
antreffen, wie man es für das Kobragift im Lecithin gefunden hat. 
Warum aber die beim Kobragift planmäßig eingeschlagenen und 
erfolgreichen Wege hier nicht zum Ziel führen konnten, wird aus 
dem zweiten Abschnitt der Arbeit hervorgehen. 

Unsere Komplettierungsversuche entbehren schon darum jeder 
Beweiskraft, weil die für diese Versuche künstlich abgeschwächten 
Crotinpräparate auch erheblich an Bindungsvermögen für Anti- 
crotin und für Stromata von Zellen verloren hatten. Das hypo- 
thetische Komplement hätte also gar nicht in Funktion treten 
können, da der Immunkörper bei der Inaktivierung schon selbst 
geschädigt worden wäre. 

Beweise für die Zusammensetzung des Crotinolysins aus einem 
Immunkörper und einem Komplement sind also nicht erbracht, 
die Nichtexistenz eines Komplementes ist natürlich überhaupt 
nicht zwingend zu erweisen. Dagegen konnte ich Analogieen 
zwischen der Konstitution des Crotinolysins und dem Bau des 
Diphtherietoxins aufdecken. Damit wird zunächst eine neue Stütze 


214 Martin Jacoby, 


für die Toxinnatur der Phytotoxine erbracht, ferner wird zum ersten- 
mal für ein Lysin, das nicht ein Produkt des Bakterienstoffwechsels 
ist, eine Konstitution nach dem Typus des Diphtherietoxins dar- 
getan. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich be- 
tont, daß die vorläufige Annahme eines. einheitlichen Moleküls 
bei diesen Substanzen nicht ausschließt, daß man durch Spaltung 
eventuell zu zwei selbständigen Produkten kommen könnte, so wie 
man aus Eiweiß Albumosen darstellt. Wir müssen aber jedenfalls 
so lange von einer Substanz sprechen, bis die Annahme mehrerer 
Körper nötig wird. 

Wie oben schon angedeutet wurde, führten zahlreiche Ver- 
suche, durch Abschwächung des Ausgangsmaterials zu Präparaten 
zu gelangen, bei denen das Ilytische Vermögen eine erheblich 
andere Veränderung als das Bindungsvermögen erfahren hätte, 
zu keinen sicheren Ergebnissen. Wie sich später herausstellte, 
kann das darin seinen Grund haben, daß das zur Verfügung stehende 
Crotin ein Gemenge von verschiedenen, nicht lösenden Crotinoiden 
und dem wirksamen Crotin darstellt. Bei der Abschwächung gehen 
nun vielleicht auch Crotinoide mit deren Bindungsgruppen ver- 
loren, und so kann es kommen, daß ein Präparat, das z. B. durch 
Verweilen im Brütschrank sehr wesentlich an lösender Wirkung 
eingebüßt hat, ganz parallel an Bindungsvermögen verloren hat. 
Selbstverständlich kann das aber auch anders zusammenhängen, 
und wir wollen uns daher nicht bei diesem nichts erledigenden 
Punkte aufhalten, sondern gleich zu den aufklärenden Momenten 
übergehen. 

Diese Aufklärung wurde durch die Anwendung der Ehr- 
lichschen Methode der partiellen Absättigung erreicht. Weil 
diese Methode nebst ihren Resultaten anscheinend dem Verständnis 
vielfach größere Schwierigkeiten bereitet als die übrigen Kapitel 
der Immunitätsforschung, so ist vielleicht eine etwas breitere 
Darsteilung angebracht. 

Um die Fragestellung scharf zu kennzeichnen, machen wir 
zunächst einmal die nicht zutreffende Annahme, das Crotin sei 
ein einheitlicher Körper, der mit dem Anticrotin reagiert, und be- 
stimmen nach dem Vorgang von Ehrlich den Punkt der voll- 
kommenen Neutralisation. Dabei setzen wir weiter zunächst 
voraus, daß das Anticrotinserum keine Stoffe enthält, die Crotin 
zerstören und das Crotin nicht Substanzen, welche anders wie 
durch Bindung das Anticrotin beeinflussen. Stehen sich nun Toxin 
und Antikörper gegenüber ungefähr wie Base und Säure, und 
dürfen wir ausschließen, daß saure Salze entstehen oder ähnliche 


si 


Über Crotin-Immunität. 215 


Komplikationen durch verschiedene Sättigung des Toxins mit 
Antitoxin eintreten, so müßten wir erwarten, daß bei partieller 
Absättigung des Toxins durch das Antitoxin, indem man be- 
stimmte Bruchteile des zur Ganzsättigung notwendigen Serums zu- 
fügt, die Abnahme der Giftigkeit der zugefügten Serummenge 
proportional verläuft. 

Davon ist nun keineswegs die Rede, wie die folgenden Ver- 
suche zeigen. Dieselben lassen sich natürlich viel feiner aus- 
gestalten und würden dann wohl einen tieferen Einblick gestatten. 
Da jedoch ziemlich viel Kontrollversuche gleichzeitig durchgeführt 
werden müssen, so kann ein einzelner Arbeiter eine bestimmte 
Ausdehnung der Versuchsbreite nicht überschreiten. Für die 
Beleuchtung der prinzipiellen Punkte reichen aber unsere Ver- 
suche aus. 

Jede Versuchsreihe bestand aus einer größeren Zahl von 
Einzelversuchen, die alle am gleichen Tage nebeneinander glück- 
lich durchgeführt sein mußten, wenn der Versuch beweiskräftig 
sein sollte. 

Es wurden benutzt: 

1. als Indikator Blutkörperchen von Kaninchen; 

Das Blut wird morgens aus der Garotis entnommen, defibriniert, mit 
0,9proz. Kochsalzlösung auf eine Konzentration von 5 Proz. gebracht, 
das Serum durch Zentrifugieren entfernt, die Blutkörperchen werden 
zweimal mit Kochsalzlösung gewaschen, und dann wird wieder eine 5 proz. 
Blutkörperchenkonzentration hergestellt. 

2. als Lysin eine jedesmal frisch hergestellte Grotinlösung, 
von der eine für die ganze Versuchsreihe ausreichende Quantität 
hergestellt wurde; 

3. als Antılysin ein durch Immunisierung von Kaninchen 
erhaltenes Serum, das entweder direkt nach der Entnahme benutzt 
wurde oder auf Eis ohne Zusatz von Antisepticis aufbewahrt war. 

Es wurde bestimmt: | 

a) die geringste Quantität der Toxinlösung, welche voll- 
ständige Lösung von 1 cem der Blutmischung in 24 Stunden 
herbeiführt. — Alle Proben hatten gleichen Kochsalz- und Wasser- 
gehalt, sie wurden 15 Minuten bei Brütschranktemperatur ge- 
halten, dann in die Kälte gestellt. 

Sehr bemerkenswert ist, daß die lösende Quantität derselben 
Giftlösung gegenüber den Blutkörperchen verschiedener Kaninchen 
sehr variieren kann. Für unsere Versuche ist das belanglos, weil 
für jede Versuchsreihe nur dieselbe und von einem Tiere 
stammende Blutmischung benutzt wurde. Die Tatsache ist aber 
von Interesse, weil dieser verschiedenen Disposition der Blut- 


216 Martin Jacoby, 


körperchen für das Crotin eine von Ehrlich*) bemerkte sehr 
verschiedene Disposition der Individuen derselben Spezies für das 
Crotin parallel geht**). 

b) die Antilysinmenge, welche nötig ist, um ein vielfaches 
der einfach lösenden Dosis völlig unwirksam zu machen. — Dabei 
fällt schon auf, daß sehr viel mehr Serum nötig ist, um die 
Wirkung des Crotins gänzlich aufzuheben, als erforderlich ist, um 
die mehr oder weniger vollständige Lösung der Blutkörperchen 
zu verhindern. 

Ferner wurden gleichzeitig größere Quantitäten der Giftlösung 
mit verschiedenen Mengen Serum gemischt, indem zu jeder Portion 
nur ein Bruchteil der zur völligen Schutzwirkung nötigen Dosis 
des Antierotinserums zugesetzt wurde, und zwar in jeder Portion 
eine andere Menge. Die Gemische werden nach zwei Stunden 
untersucht. 

Die Tabellen geben die Resultate von drei Versuchsreihen 
wieder: | 


Versuch 1. 

Dosis completa für 1 cem Blutmischung 0,1 mg Crotin. 1 mg 
Crotin wird durch 0,04 ecem Serum neutralisiert. Mithin sind zur Neu- 
tralisation von 100 mg Crotin 4 cem Serum nötig. 

Alle Portionen enthalten 100 mg Urotin; dieselben werden nach Zu- 
fügung des Serums durch Kochsalzlösung auf gleiches Volumen gebracht. 


‘ | 
Antitoxingehalt in 3 Verhältnis der ge- 
= Im Gewicht zu 5 


Proz. der zur Neu- Gefundene fundenen zu den zu 
erwartende 


tralisation nötigen Dose Dos. complet. ee 

Dosis Werten 

0,25 Proz. 997,5 | 1020 Fa Bır 

1 Proz. 990 | 1350 136 Proz. 

9,5 Proz. 975 | 150 15 Proz. 

95 Proz. | 750 | 240 32 Proz. 

50 Proz. | 500 | 140 98 Proz. 

75 Proz. | 250 | 80 39 Proz. 


*) Therapie der Gegenwart 1901. 

**), Wie Herr Geheimrat Ehrlich mir schreibt, hat das bereits 
Morgenroth bei seinen Crotinversuchen beobachtet. Ehrlich hat das in 
seinem Pariser Kongreß-Referat 1900 mit den Worten erwähnt: „Die 
Rezeptoren des Organismus können in einzelnen Fällen (Crotin, Hämo- 
lysine) sehr erheblichen Schwankungen unterliegen.“ 


Über Crotin-Immunität. 27 


Versuch 2. 
Dos. compl. 0,075 mg Crotin. — 1 mg Crotin wird durch 0,075 cem 
Serum neutralisiert. Zur Neutralisation von 100 mg Crotin sind also 7,5 ccm 
Serum nötig. Verwandt in jeder Portion wie oben 100 mg Crotin. 


0,8 Proz. | 1322 | 1400 | 105,7 Proz. 
1,6 Proz. | 1311 | 1600 | 121 Proz. 
4 Proz. | 1278 | 1200 94 Proz. 
8 Proz. 1923 | 800 65 Proz. 
20 Proz. 1066 | 200 19 Proz. 
30 Proz. 933 | 170 18 Proz. 
53,3 Proz. 627 | 0 0 Proz. 
Versuch 3. 
Dos. compl. 1 mg Crotin. — 1 mg Crotin wird durch 0,05 cem Serum 


neutralisiert. Für 100 mg Crotin, die in jeder Portion verwandt wurden, 
also je 5 cem Serum nötig. 


en 99 | 125 | 196,3 Proz. 

2 Proz. | 98 | 125 | 197,5 Proz. 

10 Proz. | 90 | weniger als 63 | weniger als 70 Proz. 
20 Proz. | 80 | 62,5 | ABl Proz. 
40 Proz. | 60 | weniger als 11 wenig. als 18,3 Proz. 
80 Proz. | 20 | weniger als 4'/4 | wenig. als 21,2 Proz. 


Die ersten Portionen Antilysin verringern also nicht die 
Lösungskraft des Crotins, sondern bringen eine deutliche Ver- 
stärkung zuwege. Dann wird durch weitere Anteile des Antı- 
lysins sehr schnell der Hauptanteil des Giftes neutralisiert, 
während eine große Restpartie Giftanteile beseitigt, die gar nicht 
mehr zur vollständigen Lösung von Blutkörperchen befähigt sind. 

Soweit reichen die Resultate der Beobachtung. Ähnliches 
haben Ehrlich*), Madsen**), Neißer und Wechsberg***), sgwie 
Arrhenius und Madsenr) bei Untersuchung des Diphtherie- 
Toxins, des Tetano- und des Staphylolysins gefunden. 


*) Deutsche med. Wochenschr. 1898. 
**) Zeitschr. f. Hygiene 1899. 
***) Zeitschr. f. Hygiene 1901. 
7) Festschr. zur Eröffnung des Serum-Instituts in Kopenhagen 1902. 


218 "Martin J acoby, 


Bei den Crotinversuchen kommt nur als neue Beobachtung 
die Steigerung der Giftwirkung durch minimale Antitoxindosen 
hinzu. 


Wenn man sich die ganze Sachlage von allen Seiten überlegt, 
so scheint es mir, als ob auch die Erfahrungen am Crotin sich 
am ehesten auf der Grundlage der Annahme, die Ehrlich für 
das Diphtherietoxin gemacht hat, wonach man am Molekül hapto- 
phore und toxophore Gruppen unterscheiden müsse, einheitlich 
auffassen lassen. Besonderen Wert möchte ich auf die Beob- 
achtungen legen, die auf die Existenz von Prototoxoiden hin- 
weisen, also auf Toxoide mit größerer Affinität zum Antitoxin als 
das Toxin. Ohne die Annahme solcher Prototoxoide haben auch 
Arrhenius und Madsen nicht ihre so reichen Erfahrungen beim 
Tetanolysin erklären können. Fs sei darauf aufmerksam gemacht, daß 
die Anerkennung von Prototoxoiden die Annahme des springenden 
Punktes der Ehrlichschen Hypothese über den Bau der 
Toxine in sich schließt. Wer Toxoide zugibt, spricht sich damit 
dafür aus, daß das Toxin neben seiner Bindungsgruppe noch etwas 
anderes umfaßt, und rechnet auch mit der verschiedenen Affinität 
der ganzen und der gespaltenen Moleküle, acceptiert also alles 
Wesentliche der Auffassung von Ehrlich. 


Die Beobachtungen über die eigentümlichen quantitativen 
Verhältnisse bei der partiellen Absättigung von Toxinen durch 
Antitoxine hat neuerdings Bordet*) in anderem Sinne wie 
Ehrlich gedeutet. Bordet nimmt im allgemeinen ein einheitliches 
Toxin an. Er stellt sich nicht vor, daß zugesetztes Antitoxin etwa 
mit dem Toxin derartig reagiere, daß ein entsprechender Toxin- 
anteil abgesättigt wird, während der Rest, für den kein Antitoxin 
zur Verfügung steht, freibleibt; vielmehr stellt Bordet die 
chemisch durchaus berechtigte Vorstellung zur Diskussion, daß 
Antitoxin und Toxin verschiedene Verbindungen miteinander 
eingehen können. Steht nun wenig Antitoxin zur Verfügung, so 
bleibt nicht freies Toxin übrig, sondern es entsteht eine Toxin- 
Antitoxinverbindung, die giftig, wenn auch weniger giftig, als das 
freie Toxin ist. 

Das Schema von Bordet kann aber die Beobachtung, daß 
die ersten Antitoxinanteile das Toxin nicht abschwächen, kaum 
befriedigend erklären. Es scheint, daß Bordet deswegen auch 
Toxoide anerkennt — wie wir oben auseinandersetzten, wäre 
damit der Kernpunkt der Ehrlichschen Hypothese gebilligt. 


*) Ann. de l’Instit. Pasteur 1903. 


Über Crotin-Immunität. 219 


Jedenfalls läßt sielı die Giftsteigerung durch minimale Antı- 
crotindosen am ehesten mit Ehrlichs Ansichten in Einklang 
bringen, was der Wichtigkeit dieser Frage halber noch besonders 
erläutert werden mag. Vernachlässigen wir zunächst dıe beob- 
achtete Zunahme der Giftigkeit und diskutieren unsere Versuche 
unter der Annahme, daß die ersten Antitoxindosen keine Ver- 
änderungen des Giftwertes erzeugt hätten. Wenn wir dann mit 
Ehrlich annehmen, daß die ersten Antitoxinanteile mit Gift- 
derivaten von hoher Affinität zum Antitoxin reagieren, die nur 
haptophore Gruppen, also keine charakteristische Giftwirkung 
besitzen, so ist es völlig begreiflich, daß der Giftwert der 
Lösungen durchaus ungeschwächt bleibt. Aber auch die tatsäch- 
lich beobachtete Steigerung der Wirkung ist wohl erklärlich. Wenn 
nämlich ein Gemisch von Toxoiden und Toxinen um die Rezeptoren 
der Zellen konkurriert, so wird ja, namentlich wenn die Affinität 
der Toxoide wie in unserem Falle eine größere ist, immer ein 
Teil der Rezeptoren von Toxoiden besetzt werden, und es wird 
mehr von dem Gemisch erforderlich sein, um die für die voll- 
ständige Lösung der Zellen erforderliche Besetzung von Rezeptoren 
mit Voll-Toxin zu erreichen‘). 


Durch diese Beobachtungen am Orotin werden auch Befunde 
am Abrin, die Hausmann**) im hiesigen Laboratorium vor zwei 
Jahren erhoben hat, dem Verständnis näher gebracht. Bei ge- 
wissen Abrinpräparaten, die verhältnismäßig weniger giftig als 
andere waren, konnte durch unvollkommenen Antiabrinzusatz eine 
Steigerung der Wirkung erzielt werden, bei hochgiftigen Präparaten 
nicht. Es ist sehr möglich, daß bei den weniger giftigen, älteren 
Präparaten Agglutinin allmählich in Agglutinoid übergegangen war, 
wie ich das früher auch schon für das Riein auf Grund anderer 
Versuche angenommen habe. 


Eine Steigerung der Wirkung durch geringe Dosen zerstörender 
Agentien ist auch für Zellwirkungen und für Fermente bekannt. 
Sicherlich handelt es sich hier vielfach um durchaus abweichende 
Verhältnisse. Daher will ich hier auf diese Frage nicht näher 
eingehen und nur bemerken, daß nach den Untersuchungen von 


*) An dieser Stelle ist wohl von Interesse, eine Bemerkung von Ehrlich 
aus dem Jahre 1898 zu zitieren. (Deutsch. med. Wsch. 1898.) „Es ist auch 
möglich, daß die Prototoxoide unter gewissen Umständen imstande sind, 
direkt dadurch Heilung zu bewirken, daß sie vermöge ihrer stärkeren 
‘ Verwandtschaft das Gift aus der Verbindung mit den Gewebselementen 

verdrängen.“ 
**), Hausmann, Diese Beiträge 1902, 2, 134. 


220 Martin Jacoby, 


Morgenroth und Korschun*) die Existenz von Fermentoiden 
wahrscheinlich geworden ist. 

Von Interesse ist schließlich auch die Tatsache, daß in Toxin- 
Antitoxingemischen, in denen sich bei proportionaler Absättigung 
noch eine erhebliche Anzahl lösender Dosen finden müßte, tat- 
sächlich viel weniger vorhanden sind. Man kann Gemische her- 
stellen, von denen auch große Dosen überhaupt nicht mehr voll- 
ständig lösen, sondern nur noch die Blutkörperchen schädigen. 
(regen die hier von Ehrlich als wirksam angenommenen „Toxone“ 
wendet sich namentlich Bordets Kritik, und auch Arrhenius 
und Madsen versuchen, ohne sie auszukommen. Ein prinzipieller 
Punkt ist das, wie ich schon vorher ausführte, nicht. — Wirk- 
same haptophore Gruppen sind jedenfalls noch vorhanden, wovon 
ich mich auch noch dadurch überzeugte, daß ich Kaninchen mit 
solchen Lysin- Antilysingemischen, die nicht mehr Zellen lösten, 
immunisierte, und dabei stark wirksame Antilysine erhielt. 


17. 

Wir haben schon im ersten Teil dieser Arbeit erwähnt, daß 
die vom Serum sorgfältig befreiten Blutkörperchen verschiedener 
Kaninchen sehr verschieden empfindlich gegen Crotin sind, daß 
es also eine celluläre Disposition gegen Crotin gibt. Das 
Crotin bietet aber auch die erwünschte Gelegenheit, eine zellu- 
läre Immunität zu analysieren. 

Elfstrand und Lau haben gefunden, daß gewisse Blutarten 
crotinfest sind. Ich habe mich davon überzeugt, daß hier eine 
wahre zelluläre Immunität vorliegt, insofern als gut gewaschene 
Blutkörperchen von Meerschweinchen und Hund durch sehr große 
Dosen Crotin nicht gelöst werden. Es ist möglich, daß diese 
Immunität nur der Ausdruck einer äußerst geringen und in diesen 
niedrigen Graden schwankenden Disposition ist, da in ganz ver- 
einzelten Ausnahmsfällen riesige Dosen Crotin Hunde- und Meer- 
schweinchenblutkörperchen zwar nicht schnell lösten, wohl aber 
die Lösung früher eintrat als die spontane Lösung der Blut- 
körperchen. 

Es war nun wohl zuerst nötig, festzustellen, ob ein Unter- 
schied zwischen den giftempfindlichen und den unempfindlichen 
Zellen insofern besteht, daß sie ein verschiedenes Bindungsver- 
mögen für das Gift zeigen. Diese Untersuchung ist schon darum 
erforderlich, weil wenigstens für die komplizierter gebauten Lysine 
neben dem Rezeptorenmangel noch andere Möglichkeiten bestehen, 
die-zelluläre Immunität bedingen können. 


*) Korschun, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1903. 


Über Crotin-Immunität. 221 


Als Methode benutzte ich das von Sachs*) ausgearbeitete 
Stromaverfahren, mit dessen Hilfe dieser Autor festgestellt hatte, 
daß das Arachnolysin, das Blutkörperchen lösende Spinnengift, 
von den giftempfindlichen Zellen gebunden wird, von den un- 
empfindlichen nicht. Man stellt sich in geeigneter Weise gleich- 
zeitig Stromata aus empfindlichen und nicht empfindlichen Blut- 
körperchen dar und bringt sie für dieselbe Zeit und bei der 
gleichen Temperatur mit dem Gift zusammen. Dann wird die 
Flüssigkeit durch Zentrifugieren vom Rückstand abgetrennt und 
geprüft, inwieweit der Giftgehalt der Lösungen durch die Be- 
rührung mit den Stromata sich vermindert hat. 

Die Darstellung der Stromata geschah ganz nach den sehr 
zweckmäßigen Angaben von Sachs, auf die hier deswegen ver- 
wiesen sein mag. Es wurden Hunde- und Meerschweinchen- 
stromata mit Kaninchenstromata verglichen. Die Versuche fielen 
stets in gleichem Sinne aus. 

Ein Versuch mit Kaninchen- und Meerschweinchenblut- 
körperchen sei hier als Beispiel wiedergegeben. 


Versuch 4. 

Aus je 10 cem Kaninchen- und Meerschweinchenblutkörperchen 
werden die Stromata nach Sachs hergestellt, das Blut wird eine Stunde 
auf 54° erhitzt. — Die Kaninchenstromata werden mit 20 mg Crotin, 
die Stromata vom Meerschweinchen mit 10 mg Crotin zwei Stunden zu- 
sammengebracht. 

Im Kaninchenabguß finden sich 3 Dosen, welche 2 cem Kaninchen- 
blutkörperchenaufschwemmung (5 Proz.) vollständig lösen, im Meer- 
schweinchenabguß mindestens 60 Dosen, obwohl die Kaninchenstromata 
mit der doppelten Dosis Crotin behandelt waren. 


Der geringen Empfindlichkeit der Blutkörperchen von Meer- 
schweinchen und Hund entspricht also ein geringes Bindungs- 
vermögen der Stromata für das Gift oder ein geringer Rezeptoren- 
gehalt. Ähnlich liegt die Sache nach den Untersuchungen von 
Ehrlich und Morgenroth**) bei den Isolysinen, nach den Beob- 
achtungen von Sachs beim Arachnolysin. 

Es geht also in mehreren Fällen Rezeptorenmangel parallel 
der Unempfindlichkeit der Zellen. Jedoch ist Rezeptorenmangel 
nicht der einzige Weg, wie zelluläre Immunität zustande kommen 
kann. So kann das Schlangengift nach den Untersuchungen von 
Kyes und Sachs***) auch von unempfindlichen Blutzellen gebunden 
werden. Hier wird die Unempfindlichkeit nicht durch Rezeptoren-, 


*) Diese Beiträge 2, 1902. 
**) Berl. Klin. Wochenschr. 1900. 
*#**) Berl. Klin. Wochenschr. 1902 u. 1903. 


299 Martin Jacoby, 


sondern durch Komplementmangel bedingt, indem der Zelle dis- 
ponibles Leeithin nicht zu Gebote steht, welches bei den empfind- 
lichen Zellen das als Immunkörper wirksame Schlangengift als 
Komplement unterstützt. 


III. 

Auf eine die Grotinwirkung hemmende Substanz bin 
ich bei Versuchen gestoßen, die eigentlich bezweckten, mit Hilfe 
von Pepsin - Salzsäure aus Crotinlysin Lysinoide darzustellen. 
Elfstrand hatte ermitteit, daß Pepsin-Salzsäure Crotin sehr 
schnell unwirksam macht. Zunächst konnte ich bestätigen, daß 
Crotin, welches einige Zeit mit Pepsin-Salzsäure gehalten war, 
nach der Neutralisation Blutkörperchen vom Kaninchen nicht auf- 
löst, wobei natürlich Crotindosen, die etwa das Hundertfache der 
einfach lösenden Dosis betragen, nicht überschritten wurden. Man 
konnte nun daran denken, daß durch die Verdauung Crotinoide 
entstanden wären. Dann war zu vermuten, daß diese Giftderivate 
von den Zellrezeptoren gebunden würden. In diesem Falle war 
es möglich, daß die Blutkörperchen nach der Vorbehandlung mit 
dem Pepsin-Crotin auch auf Crotin nicht mehr reagierten. Die 
ersten Versuche in dieser Richtung schienen in dem angedeuteten 
Sinne zu sprechen. Fügte man nämlich zu dem Blutkörperchen- 
Pepsincrotingemisch wirksames Crotin, so lösten sich die Blut- 
körperchen auch nicht auf. Jedoch war der Grund ein anderer 
als der vermutete. Trennte man nämlich die mit Pepsinerotin 
behandelten Blutkörperchen durch Zentrifugieren von der über- 
stehenden Flüssigkeit, so waren die Blutkörperchen wieder durch 
Crotin zu beeinflussen, während die Flüssigkeit von neuem Crotin 
unwirksam machen konnte. Man brauchte auch nicht etwa an- 
nehmen, daß durch Pepsineinwirkung aus Crotin Antierotin ent- 
standen wäre. Denn weitere Versuche lehrten, daß das Grüb- 
lersche Pepsin bereits in der Kälte und bei neutraler Reaktion 
Crotin an der Wirkung hindert. 

Das Pepsinum purissimum Grübler ist zwar ein sehr reines 
Präparat; aber die Möglichkeit war doch vorhanden, daß eine 
Substanz, die ursprünglich sich nicht im Magen findet, erst bei 
der Darstellung des Präparates entstanden oder hereingekommen 
wäre. Deshalb habe ich Magenschleimhäute vom Schwein mit 
Hilfe der Buchnerschen Presse ausgepreßt. Es gingen in der 
Tat in die Extrakte Substanzen über, die das Crotin an der 
Wirkung hindern. Die fragliche Substanz ist kochbeständig, wirkt 
bei neutraler sowie bei schwach alkalischer oder schwach saurer 
Reaktion, sie ist weder mit dem Pepsin noch mit dem Antipepsin 


Über Crotin-Immunität. 2923 


[|Weinland*)] der Magenschleimhaut identisch. Ihre Beziehung 
zum Crotin ist insoweit der des Antierotins zum Crotin ver- 
gleichbar, als eine bestimmte Menge des Extrakts oder des Pep- 
sinum Grüblers immer nur eine bestimmte Menge Crotin un- 
wirksam macht, in einem Versuche z. B. 1 ccm Extrakt 10 mg 
Crotin. Die doppelte Dosis Crotin erfordert die doppelte Menge 
Extrakt. Es ist das nicht selbstverständlich, wie Bordet anzu- 
nehmen scheint, da ein solch einfaches Verhältnis weder für 
Fermentwirkungen Geltung hat, noch zutrifft, wenn es sich um 
den schädlichen Einfluß von Salzkonzentrationen auf Reaktionen 
handelt. Es könnte ja auch in der Magenschleimhaut eine Sub- 
stanz vorhanden sein, welche in bestimmten Konzentrationen die 
Reaktion zwischen Blutkörperchen und Crotin hemmt, ohne daß 
die Crotinkonzentration direkt von Bedeutung wäre. Insofern 
verhält sich unsere Magensubstanz wie ein Antikörper im weiteren 
Sinne, wir haben ein koktostabiles Anticrotin vor uns. Ähnliche 
Substanzen hat man neuerdings mehrfach gefunden, z. B. eine 
koktostabile Antiurease [Moll**], ein entsprechendes Antilab 
|Korschun*®**)l. Dieses Pseudo-Anticrotin hat nach verschiedenen 
Richtungen Interesse und bedarf noch weiterer Untersuchung. 
Ich erwähne nur die Beziehungen zum eigentlichen Antilysin. 
Ferner ist es von Interesse, inwiefern diese Hemmungssubstanz 
einen Schutz gegen die Resorption des Giftes vom Magen aus 
bietet. Zu untersuchen wäre auch die Verbreitung der Substanz 
im Tierkörper. Insbesondere eignet sich aber vielleicht eine 
solche kochbeständige Substanz zu Isolierungsversuchen. 


*) Weinland, Zeitschr. f. Biologie 1902. 
**) Diese Beiträge 1902, 2, 344. 
***) Zeitschr. f. physiol. Chemie 1902. 


XVII. 
Über die Wirkung des Rieins auf Fischblut. 


Ein Beitrag zur Frage der natürlichen Immunität. 
Von Dr. Albert Fraenkel-Badenweiler. 


(Aus dem pharmakologischen Institut zu Heidelberg.) 


Obgleich die Entdeckung der Serumantitoxine sowie jede 
weitere Erkenntnis über das Entstehen der erworbenen Immunität 
auch der Erforschung der natürlichen Giftfestigkeit stets neue 
Fragestellungen bietet, ist es bekanntlich bisher nur in wenigen 
Fällen gelungen, einen hinreichenden Einblick in den Mechanismus 
natürlicher Immunität zu gewinnen. Dabei hat sich vor allem 
herausgestellt, daß die Ursachen der natürlichen Giftfestigkeit in 
vielen Fällen von den Verhältnissen bei der künstlich erworbenen 
Immunität prinzipiell verschieden sind. Insbesondere für den Fall 
der natürlichen Immunität ist es a priori zu erwarten, daß das 
gleiche Ziel vom Organismus auch auf verschiedenen Wegen er- 
reicht werden kann. 

Jeder Einzelfall beansprucht deshalb Interesse. Ganz be- 
sonders geeignet zu einer Analyse der Giftfestigkeit erscheinen 
aber solche Fälle, in denen man das Problem mit Hilfe von 
Reagenzglasversuchen angreifen kann. 

In dieser Richtung diente uns eine Angabe von Lau*) als 
Ausgangspunkt einer Untersuchung der natürlichen Immunität des 
Fischbluts gegen die agglutinierende Wirkung des Ricins. Lau 
teilt in einer Untersuchung über vegetabilische Blutagglutinine 
auf Grund mehrerer Reagenzglasversuche mit, daß 

„Riein auf defibriniertes Fischblut keine agglutinierende 
Wirkung hat, daß das Fischblut eine recht auffallende 
Ausnahme inbezug auf die Wirkung des Ricins auf Blut- 
arten bildet.“ 


*) Über vegetab. Blutagglutinine. Inaug. Diss, Rostock 1901. 


Über die Wirkung des Ricins auf Fischblut. 995 


Unsere Versuche sind ausgeführt mit Riein von E. Merck 
an Barben (Barbus fluviatilis Ag.) aus dem Neckar. Das Blut 
wurde den lebenden Tieren direkt aus dem Herzen entnommen. 

In den Reagenzglasversuchen wurde der Gehalt der Röhrchen an 
Salz und Wasser streng gleichgehalten, bei Barbenblut berechnet auf 
eine Isotonie von 0,41 Proz., wie wir sie selbst ausgewertet haben, bei 
Säugerblut von 0,9 Proz. 

Wir konnten die Angabe Lau’s zunächst bestätigen, wenn wir, 
wie er, zu 10 ccm 4proz. Barbenblut 10 mg Ricin zusetzten. 

Steigerten wir aber die Dosis Ricin wie in dem nachfolgend 
mitgeteilten Versuche, so stellte sich heraus, daß die vom Säuger- 
blut her bekannte Agglutination der Blutkörperchen auch beim 
Barbenblut eintritt; nur ist mehr Ricin notwendig, um die Wirkung 
zu erzielen, als beim Säugerblut. Das Barbenblut besitzt also keine 
absolute Immunität gegenüber dem Agglutinin des Ricingiftes, 
sondern nur eine relative. 

Versuch vom 3. XII. 02. 
No. 1. 


Barbenblut 5 Proz. | Riein (1.proz. Lösg.) Wirkung am folgenden 


Tage 

| 
5 cem 1 mg | 
DE. DIN, 
ee 3.» \ keine Veränderung des 
a 7 2 [ Blutes 
Be.) Bes | 
58%, Bil, J 
ee | 19"; maximale Agglutination 
Bere; | 20+.% | do. do. 
bias; | 40:5 | do. und geringe 

| Hämolyse, 


Wir sehen, daß bei einem Zusatz von 8 mg Ricin zu 5 cem 
5proz. Blut (0,25 cem Originalblut) noch keine Veränderung ein- 
tritt, bei Steigerung der Ricinmenge auf 15 mg aber bereits maxi- 
male Agglutination. Im letzten Röhrchen der Reihe, in dem die 
größte Dosis, 40 mg Ricin, enthalten ist, schlägt die rasch ein- 
getretene Agglutination nach einigem Stehen von selbst in Hämo- 
lyse um. 

Auf die nahen Beziehungen von Hämolyse und Agglutination 
bei den Phytotoxinen hat Ehrlich in den „Schlußbetrachtungen“*) 
hingewiesen, und zwar in dem Sinne, daß nicht nur die eine der 
Phytalbumosen vorwiegend hämolytisch, die andere agglutinierend 


*) Nothnagel, Spez. Pathol. u. Therap., 8. 
Beitr. z. chem, Physiologie. IV. 15 


996 Albert Fraenkel, 


wirkt, sondern auch daß das rein agglutinierende Ricin eine die 
Hämolyse bedingende Schädigung ausübt, und der Austritt von 
Hämoglobin nur durch die starke Verklumpung der Blutkörperchen 
verhindert wird. Baumgarten“), berichtet, daß diese beim 
Schütteln zutage tretende hämolytische Wirkung des Ricins nur 
bei hyperisotonischen Lösungen vorkäme. Wır konnten uns in 
einer Reihe von Experimenten überzeugen, daß beim Barbenblut 
auch ohne Schütteln in vorher agglutinierten Proben Hämolyse 
auftritt, doch nur bei großen Rieindosen, und zwar um so rascher 
und vollständiger, je größer die Dosis ist. Versuche wie der 
folgende stützen die Vorstellung, daß die Rıcin-Hämolyse ein von 
der Agglutination nur graduell, nicht prinzipiell verschiedener 
Prozeß ist. 
Versuch vom 4. XU. 02. 


No. 2. 
5 Proz. Barbenblut Riein mg Wirkung 

- 5 ccm 2,5 keine Veränderung 
Dis 5,0 do. 
De 7,5 do. 
Be | 10 deutl. Agglutination 
5 20 ' max. Agglutination mit folg. 

in Substanz geringer Hämolyse. 

BuYss | 40 | zugesetzt. ' do. mit deutl. Hämolyse. 
5% s0 ı do. „ kompletter Hämolyse. 


Für die Analyse der Beobachtung, daß das Fischblut im Ver- 
gleich zum Säugerblut eine wesentlich höhere Resistenz dem Riein 
gegenüber aufweist, ergibt sich die Fragestellung von selbst: ist 
diese relative Immunität eine Besonderheit der Barbenblut- 
körperchen, ist sie eine celluläre, oder rührt sie von den übrigen 
Bestandteilen des Blutes her? 

Um zunächst zu untersuchen, ob das Serum bei dem Zustande- 
kommen dieser Immunität eine Rolle spielt, war zu prüfen, ob 
man durch Fischserum die Agglutinationswirkung des Rieins für 
Fischblut abschwächen kann. Es wurden zu gleichen Mengen 
3jarbenblut steigende Mengen eines möglichst klaren Barben- 
serums zugesetzt, das durch Defibrinieren und längeres Stehen 
des Blutes in der Kälte oder durch Zentrifugieren gewonnen war. 
Schließlich wurden alle Röhrchen mit gleichen Mengen wirksamer 
Ricindosen beschickt. 

-®) Baumgarten, Mikroskop. Untersuchungen über Hämolyse im 
heterogenen Serum. Berl. klin. Wochenschrift 1901. 


#i 


Über die Wirkung des Ricins auf Fischblut. 997 


Versuch vom 3. II. 0. 


No. 3. 
Riein, nachher 2 
Barbenblut 5 Proz. | Barbenserum Ans Wirkung 
zugesetzt 

5 cem 0 20 mg max. Agglutination 

I, 0,1 | z starke Agglut. 

Be 0,25 | . schwache Agglut. 

5 ”„ 0,5 „ | 

a 0,8 2 | 

5 10 keine Veränderung 

® „ , -, 

ER 2,0 e | 


Solche Versuche wie der obige zeigten uns, daß Serumzusatz 
in steigenden Dosen in der Tat die Rieinwirkung mehr und mehr 
abstumpfen und schließlich gänzlich aufheben kann. Die 
agglutinationshemmende Wirkung des Serums trat in einer Reihe 
von Versuchen mit völliger Regelmäßigkeit ein. Dabei beobachtete 
man, daß der Serumzusatz zu Barbenblat auch imstande ist, die 
durch größere Ricindosen im Anschluß an die Agglutination ein- 
tretende Hämolyse abzuschwächen, beziehungsweise aufzuheben. 
Es treten somit auch hier deutlich die nahen Beziehungen von 
Agglutination und Hämolyse hervor, indem kleine Mengen Serum 
nur die Hämolyse, nicht aber die Agglutination, und erst etwas 
größere Mengen beide Wirkungen aufheben können. Auch nach 
diesen Versuchen erscheint die Hämolyse als eine direkte 
Steigerung und Fortsetzung des Agglutinationsprozesses, ohne daß 
freilich die Frage ihrer Beziehungen hiermit endgültig erledigt wäre. 

Versuch vom 9. XII. 02. 


No. 4. 
5 Proz. Barben- °, Riein, später | BR 
Wirkung 

Barbenblut serum zugesetzt ; 

5 cem 0 _ cem 20 mg max. Agglut. folg. Hämol. 

ie &L-: ; r e 5 r R 

5.5 026‘, £ R & keine 

RE: IN; " keine ” > 2 

Bon DB, = £ r ” z 

Bi EIKE R a 2 £ 


Wie in den beiden zitierten Versuchen, No. 3 und 4, hat 
auch in einigen anderen der Zusatz von 0,5 ccm Serum 20 mg 
Ricin in ihrer agglutinierenden Wirkung auf 5 ccm 5-proz. Barben- 
blut (0,25 cem Vollblut) jedesmal verhindert. Nehmen wir auf 


Grund von Versuchen wie No. 1 und 2 an, daß der gleichen 
15* 


328 Albert Fraenkel, 


Barbenblutmenge bis zu 8 mg Riem ohne Reaktion zugesetzt 
werden können, und bringen wir diese 8 mg in Abzug von den 
sicher agglutinierenden 20 mg, so heben immerhin 0,5 ccm Serum 
die Wirkung von 12 mg Ricin auf. 1 ccm Barbenserum entspricht 
also nach seinem Antiagglutininwert 24 mg Ricin. Dieser Befund 
bei Barbenblut steht nicht ım prinzipiellen Gegensatz zu Er- 
fahrungen mit Säugerblut, da Kobert*) und seine Schüler nach- 
gewiesen haben, daß auch das Serum des normalen Säugetieres 
die Rieinwirkung hemmend beeinflußt. Nach eigenen Versuchen 
mit Katzenblut ist diese hemmende Kraft des Säugerserums aber 
viel schwächer als die des Fischserums. 
Versuch vom 2. UI 


No. 5. 
5 Proz. Katzenblut| Katzenserum es Wirkung 
nachher zugesetzt 

5 cem 0 10 \ max. Agglut. 
ER. 0,1 ‚10 4 % 
Br | 0,4 | 10 R % 
Dass 0,5 10 stark& 7 
BE 0,8 10 deutl. 4 
Bus 1,0 | 10 deutl. % 
Dre 5 10 Andeutung 
5 2,6 10 Andeutung. 


Die Feststellung des Antiagglutinin im Barbenserum genügt 
bereits für sich zur Erklärung eines größeren Grades von relativer 
Immunität. Daneben könnte aber auch den serumfreien Blutzellen 
eine höhere Resistenz gegenüber Ricin zukommen. Daß die Fisch- 
blutkörperchen durch das Gift überhaupt angegriffen werden, 
d. h. Rezeptoren im Ehrlichschen Sinne enthalten, geht schon 
aus den angeführten Versuchen hervor, welche die Agglutinier- 
barkeit erweisen. Dennoch wäre es möglich, daß ein relativer 
Mangel an Rezeptoren in den Fischblutkörperchen ihre höhere 
Resistenz mitbedingen könnte. 

Dies könnten nur quantitative Versuche entscheiden. Wir 
haben uns darauf beschränkt, wenigstens das Bindungsvermögen 
der Blutkörperchen durch eine Anzahl Stromaversuche nach 
Sachs“*) zu erweisen. Es ergab sich, daß Barbenstromata aus 
10 ccm Blut imstande waren, 50 mg Riein so fest zu binden, daß 
die aus dem Gemisch gewonnene abzentrifugierte Flüssigkeit 
weder Barbenblut noch Katzenblut agglutinierte. 


‘*) Kobert, Verhandl. d. naturforsch. Gesellschaft zu Rostock 1900. 
"*) Diese Beiträge 2 (1902). 


Über die Wirkung des Ricins auf Fischblut. 299 


Versuch vom 10. III. 
No. 6. 

10 ccm Blut von Barben 20 Minuten auf 50° erwärmt, werden mit 
aqu. dest. lackfarben gemacht. Dann werden durch Zentrifugieren und 
mehrmaliges Waschen mit 0,41 proz. Kochsalzlösung die Stromata der Blut- 
körperchen dargestellt. Es wird diesen Stromata 2,5 cem 2proz. Ricin- 
lösung (= 50 mg) zugesetzt und die Mischung über Nacht stehen ge- 
lassen. Die abzentrifugierte Flüssigkeit wird zur Untersuchung verwandt. 

Zur Kontrolle wird eine an Salz- und Rieingehalt genau gleiche 
Rieinlösung verwendet, auf die keine Stromata eingewirkt haben. 


5 Proz. Katzenblut 


Ricintestflüssigkeit Wirkung 


5 ccm 0,1 deutliche Agglutination 
Mög 0,2 starke r 
en 0,3 | maximale 
BE 0,5 | do. 
A, 0,8 | do. 
ae 1,0 | do. 
5 Proz. Katzenblut Stromarieingemisch Wirkung 
5 cem 1,0 | 
2 Et 
R £ ‚O keine Veränderung. 
sn 3,0 | 
Dr | 4,0 | 


5 Proz. Barbenblut 


Rieintestflüssigkeit 


Wirkung 


5 ccm 1 keine Veränderung 
Din 2 starke Agglutination 
a 3 maximale 
et 4 do. 

5 Proz. Barbenblut | Stromarieingemisch Wirkung 


5 cem 


3 


Be, | F keine Veränderung. 
Auch das Vielfache der mit Stroma behandelten Rieinlösung 
erreicht nicht mehr die agglutinierende Wirkung des Originalriein- 
gemisches. Das Stroma hat das Ricinagglutinin wahrscheinlich 
vollständig gebunden. Genaueres darüber müßten quantitative 
Versuche aussagen. Solche Versuche werden darüber aufklären, 
ob nur quantitative Unterschiede des Rezeptorengehaltes in den 
Blutkörpern von Fischen und Säugern bestehen, oder auch quali 


230 Albert Fraenkel, 


tative, etwa in der Art, daß neben gemeinsamen Rezeptoren je 
ein spezieller vorhanden wäre). 

Für die Gegenwart gemeinsamer Rezeptoren spricht auch eine 
Umkehrung dieses Versuches. Läßt man nämlich Riein auf die 
Stromata, die man aus Katzenblut gewonnen hat, einwirken, so 
kann man auch da nachweisen, daß durch diese Behandlung kleine 
Mengen Ricin gänzlich unwirksam werden, große Mengen aber in 
erheblicher Weise abgeschwächt sind, sowohl in ihrer Wirkung 
auf Katzen- als auf Barbenblut. 

Die Frage, ob Säuger- und Barbenantiagglutinin, also auch 
Säuger- und Barbenagglutinin, sich decken, schien auf den ersten 
Blick entschieden zu werden durch weitere Versuche, die mit 
einem von Herrn Dr. Jacoby überlassenen Ricinantitoxin ange- 
stellt wurden, welches, aus einer Ziege gewonnen, über ein Jahr 
alt, von seiner ursprünglichen Hochwertigkeit nichts eingebüßt 
hatte. Wir prüften zunächst das Antitoxin an, Katzenblut und 
stellten fest, daß 0,08 ccm Antitoxinserum die Agglutinations- 
wirkung von 5 mg Ricin verhinderte Mit diesem Titre des 
Säugerblutes prüften wir die Ricinwirkung auf Barbenblut in 
folgender Weise: 


Versuch vom 1. III. 


No. 7. 

5 Proz. Barbenblut‘ Antiriein Riein Wirkung 
En nn nn 
5 ecem | 0 20 mg max. Agglutination 

Dee: 11/7, Dos. d. Säugetitr), 20 „ fast mar. 2% 

Per Mass ia 5 20 deutliche 2 

h) en “A 65 6 6 20 Er | k & V . d 
= eine Veränderung. 
BI2E ['VGLlO2.=% e, 20/°, | 8 


Es braucht also nicht einmal den vollen Titrewert des Katzen- 
antirieins, um die Ricinagglutination bei Barbenblut aufzuheben. 
Das Antiagglutinin für Säuger ist demnach ein ebenso starkes 
Antiagglutinin für Barben. Aber auch damit ist nur erwiesen, 
daß bei dem Immunisierungsprozeß der Ziege gegen Ricin die 
verschiedenen Rezeptorengruppen, auch die gegen Fischagglutinin 
schützenden, in das Serum gelangen. Die Frage der Identität 
des Säuger- und Fischrieins ist auch durch solche Versuche nicht 
zu entscheiden. - Wie wenig es angezeigt wäre, aus den bisherigen 
Beobachtungen bindende Schlüsse zu ziehen, und wie kompliziert 


*) Über derartige Verhältnisse bei Hämolysinen s. Ehrlich u. Morgen- 
roth. — 6. Mitteilg. Berl. klin. Wochenschrift 1902. 


Po Se BE DZ 0 Da ud 2 Aa cn nn oe a Ka A a A an L&S ln a aa dam nn m Al 5 U LU nn. 


Pe 


Pen 


Über die Wirkung des Riecins auf Fischblut. 231 


diese Verhältnisse liegen, erhellt aus einer Reihe von Versuchen, 
in denen wir feststellen wollten, ob die Ricinwirkung auf Säuger- 
blut durch das Barben gegenüber als Antiagglutinin wirkende 
Barbenserum beeinflußt wird. 

Wir ließen gleiche Mengen Ricin und steigende Dosen Barben- 
serum, kurze Zeit im Reagenzglas gemischt, auf Hundeblut wirken. 
Auch Ochsen- und Katzenblut zogen wir in den Bereich dieser 
Untersuchungen. 

Von dem bequemer zugänglichen Kaninchenblut mußten wir absehen, 
es hat sich nämlich gezeigt, daß Barbenserum auf Kaninchenblut rasch 
und intensiv hämolytisch wirkt. 


Versuch vom 2. I. 


No. 8. 
Riein, nachher 1: 
5 Proz. Hundeblut | Barbenserum Wirkung 
zugesetzt 
5 ccm 0 8 mg } 
Se 0,1 | ; | 
2 

Be % N max. Agglut. 
5 br) | 0,5 bi) 

u Rat. | | 

5 „ | 2,0 p) 

Dr), 2,0 0 keine Agglut. 

ı keine Hämolyse. 


Ebensowenig wie die Wirkung größerer Ricindosen auf Hunde- 
vollblut konnte unser Barbenserum in Versuchen, wie der folgende, 
die agglutinierende Wirkung kleiner Rieindosen auf gewaschene 
Hundeblutkörperchen abschwächen oder gar aufheben. 


Versuch-vom 2. 1. 


No. 9. 

5 Proz. Hunde- Riein, nachher Y 

" Barbenserum Wirkung 
blutkörperchen zugesetzt 

5 ccm 0 3 mg max. Agglut. 

5 ”„ 0,1 „ „ 

5 b>) | 0,2 „” 3 

BT, | 0,5 h ı u. beg. Hämbol. 

Br; | 1,0 e ı max. Hämolyse. 


Das gleiche Verhalten höhe wir mit demselben Resultat 
bei Katzenvollblut und Katzenblutkörperchen festgestellt. Das 
Barbenserum hat also bei Säugerblutarten keine An- 
deutung der stark antiagglutinierenden Wirkung, die 
wir für Barbenblut kennen gelernt haben. 


232 Albert Fraenkel, 


Barbenserum erweist sich trotz seiner deutlichen Antiagglu- 
tininwirkung für Barben als nicht antitoxisch für Kaninchen. 
Es wurden zunächst Kaninchen mit Barbenserum allein gespritzt. 
Sie blieben ohne nennenswerte Gewichtsabnahme am Leben. 
Darauf haben wir die giftige Dosis unseres Ricins für Kaninchen 
ausgewertet und gefunden, daß schon 0,4 mg pro Kilo Kaninchen 
unter erheblicher Gewichtsabnahme in 1 bis 2 Tagen tötet. Nach 
diesen Vorversuchen haben wir die Dosis letalis minima des Ricins 
mit dem Vıelfachen derjenigen Menge von Barbenserum versetzt, 
die bei Fischblut die Rieinagglutination verhindert und das über 
Nacht stehen gelassene Gemisch den Tieren eingespritzt. Die 
Tiere starben ebenso rasch und unter den gleichen Erscheinungen 
wie die Kontrolltiere. 

Nach all dem durfte es für die Frage der natürlichen 
Immunität der Barben gegen Ricin und für die Frage der Zu- 
sammensetzung des Ricingiftes von Interesse sein, zu untersuchen, 
wie sich die Barben selbst dem Riein gegenüber \verhalten. Mit 
beginnendem Frühling waren diese Versuche möglich, da man in 
Heidelberg die Fische im strömenden Neckar unter Bedingungen 
halten konnte, wo das Eingehen eines Fisches zu den größten 
Seltenheiten gehört. 

Anfangs schien es, als ob die Barben gegenüber Ricin eine 
erhöhte Resistenz hätten, aber bald stellte sich heraus, daß es 
sich nur um eine bei Kaltblütern leicht verständliche längere 
Inkubationszeit des Giftes handelte und daß alle, selbst mit 
kleinen Dosen Ricin gespritzte Fische nach kürzerer oder längerer 
Zeit starben. 

Die toxische Wirkung des Ricins für Barben war weder durch 
natürliches Antiagglutinin (Barbenserum) noch durch künstliches 
(Rieinantitoxin der Ziege) abzustumpfen. Das ergaben Versuche, 
in denen Ricin mit Barbenserum und Ricinziegenantitoxin in 
solchem Verhältnis gemischt wurde, daß es Barbenblut nicht mehr 
agglutinierte; die Barben wurden aber ebenso sicher und nach 
der gleichen Zeit getötet wie durch reines Riein. Da wir bisher 
für das Allgemeinwirkungen bei Fischen hervorrufende Gift kein 
Antitoxin aufgefunden haben, so können wir über das Fischtoxin 
keine Aussagen machen. 

Das Barbenserum ist jedenfalls sowohl bei Säugern wie bei 
Fischen ohne antitoxische Wirkung, schützt nur Blutkörperchen 
von Barben und nicht die von Säugern. Ob diese Wirkung durch 
die. Gegenwart eines spezifischen Antikörpers zustande kommt 
oder in anderen Faktoren der chemischen und physikalischen Zu- 


Über die Wirkung des Ricins auf Fischblut. 233 


sammensetzung des Fischblutes bedingt ist, muß vorläufig unent- 
schieden bleiben. 


Schlußsätze. 


1. Das Barbenblut wird durch Ricin in erheblich geringerem 
Grade agglutiniert als Säugerblut (natürliche relative Immunität). 

2. Die größere Resistenz des Barbenblutes gegenüber Ricin 
beruht nicht auf Rezeptorenmangel der Blutkörperchen und ist 
jedenfalls zum Teil bedingt durch ein im Barbenserum enthaltenes 
starkes Ricinantiagglutinin. 

3. Die Hämolyse durch Ricin hat nahe Beziehungen zur 
Asglutination; sie kann als eine Steigerung der letzteren ange- 
sehen werden. 

4. Das Barbenserum, welches Blutkörperchen von Barben, 
aber nicht Säugetierblutkörperchen gegenüber stark antiagglu- 
tinierend wirkt, entbehrt der antitoxischen Wirkung. 


XIX. 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 
Von phil. et med. Dr. Anton Steyrer, klinischem Assistenten. 


(Aus der II. medizinischen Klinik in Berlin.) 


Obwohl bereits öfter die Frage aufgeworfen wurde, wie sich 
entartete Muskeln chemisch verhalten, ıst die Zahl der darüber 
vorliegenden Untersuchungen keine sehr große. Mac Donnel*) 
und Ogle**) haben den Glykogengehalt von Muskeln untersucht, 
welche von den sie versorgenden Nerven getrennt oder künstlich 
in verschiedener Weise inaktiviert worden waren, und konnten 
eine Zunahme desselben konstatieren. Später haben Chande- 
lon*), Mancher) und Vay'rr) ähnliche Untersuchungen an 
Muskeln von Kalt- und Warmblütlern angestellt, welche im ganzen 
die Ergebnisse der genannten Beobachter bestätigen. Insbesondere 
hat eine Reihe exakterer Versuche, welche der letztgenannte 
Autor durchgeführt hat, die Frage über diesen Körper im Stofl- 
wechsel des kranken Muskels zu einem gewissen Abschlusse 
gebracht. 

Ferner wären hier noch zu nennen die Untersuchungen von 
Bischofrfy), von Hoesslin*r), Krehl*fp), Lindemann”rry), 
Rosenfeldr*), Katzyff*),, Rumpf und Schummfr7f*) und 
R. VogelS). Sie haben die Bestimmungen von Wasser, Fett, 


F) nen nal of the medic. sc. 46, 1863. 
**) St. George Hospital reports 3, 1868. 
en) Pen Archiv 13, 1876. 
+) Zeitschr. f. Biologie 25, 1889. 
) Arch. f. ep. Path. u. Pharm. 34, 1894. 
) Bischof, Zeitschrift f. rationelle Medizin, 3 Reihe 20, 1863. 
*+) v. Hoesslin, Deutsches Arch. f, klin. Medizin 38, 1883. 
+) Krehl, Deutsches Arch. f. klin. Medizin 51, 1893. 
) Lindemann, Zeitschr. f. Biologie 38, 1899. 
1%) Rosenfeld, Centralblatt f. innere Medizin 22, 1901. 
1) Katz, Arch. f. d. ges. Physiologie 69. 
+rr*) Rumpfu. Schumm, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 22, 1901. 
$) R. Vogel, Deutsches Arch. f. klin. Medizin 1902. 


ı 
Er 
u) 
ur 
F 
BEE 
\ 
Arzt 
ı 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 235 


Trockensubstanz und Mineralbestandteilen an normalen und 
degenerierten Extremitäten- und Herzmuskeln zum Gegenstande. 
Auf ihre Details kann und braucht hier nicht näher eingegangen 
zu werden. 

Der Zweck meiner Arbeit war, festzustellen, wie sich das 
quantitative Verhältnis der Eiweißkörper des degenerierten bezw. 
des inaktivierten Muskels zu denen des gleichnamigen normalen 
stellt. 

Es ist das Verdienst v. Fürths*), die chemischen Eigen- 
schaften der gerinnbaren Eiweißkörper des Muskelplasmas näher 
aufgeklärt zu haben; die von ihm vorgeschlagene Nomenklatur 
derselben ist auch später in der Literatur allgemein angenommen 
worden. 

Während Halliburton“®), welcher als erster systematische Unter- 
suchungen über diesen Gegenstand anstellte, fünf verschiedene Eiweiß- 
körper im Plasma unterschied, hat v. Fürth gezeigt, daß im Muskel des 
Warmblüters deren nur zwei vorhanden sind: das Myosin und das 
Myogen. Das Myosin ist ein globulinartiger Körper, der beim raschen 
Erhitzen zwischen 45° und 50° © gerinnt. Auch schon nach längerem 
Stehen bei Zimmertemperatur tritt wenigstens teilweise Gerinnung ein, 
das Myosin verwandelt sich in Myosinfibrin. Löslich ist das 
Myosin in Neutralsalzlösungen; es ist durch Verdünnen mit Wasser und 
dureh Dialyse fällbar, durch verdünnte Säuren und Neutralsalze aus- 
salzbar. Aus seinen Lösungen wird es durch Halbsättigung mit Ammon- 
sulfat niedergeschlagen. 

Das Myogen koaguliert bei raschem Erhitzen zwischen 55° und 
65°, ist durch Dialyse nicht fällbar und wird erst jenseits der Halb- 
sättigung durch Ammonsulfat ausgesalzen. In destilliertem Wasser ist 
es löslich. Bei längerem Stehen verwandelt sich das Myogen zuerst in 
eine lösliche Modifikation, das lösliche Myogenfibrin, aus diesem 
in das unlösliche Myogenfibrin. Der Gerinnungsvorgang wäre 
nach v. Fürth in folgender Weise übersichtlich darzustellen: 


I. Myosin II. Myogen 
Myosinfibrin lösliches Myogenfibrin 


Y 


Myogenfibrin 
In dem Spontangerinnen dieser beiden Eiweißkörper scheint 
mir nun die größte Schwierigkeit für die quantitative Bestimmung 
derselben zu liegen, da, wie ich mich überzeugen konnte, dadurch 
unter Umständen große Fehler erwachsen können; hierin liegt 


*) v. Fürth, Über die Eiweißkörper des Muskelplasmas, Arch. f. exp. 
Path. u. Pharm. 36, 250—257. 

**) W. D. Halliburton. On muscle-plasma. Journ, of Physiol, 8°. 1888. 
133 bis 202. 


236 Anton Steyrer, 


wohl auch die Ursache gewisser Differenzen in den Untersuchungs- 
ergebnissen Stewards und Sollmanns*), welche im allgemeinen 
die Angaben v. Fürths bestätigen. Nach v. Fürth enthält das 
Plasma des normalen Kaninchenmuskels, nach Maßgabe von Be- 
stimmungen mittels fraktionierter Hitzefällung, ungefähr 80 Proz. 
Myogen und 20 Proz. Myosin. 

Ich habe zunächst die Versuche des genannten Autors in 
dem Umfange wiederholt, als es mir notwendig schien, ein eigenes 
Urteil zu gewinnen, ob die gegebenen Methoden für meine Zwecke 
ausreichend seien. 


Gewinnung des Muskelplasmas. 

Bei der Gewinnung des Muskelplasmas habe ich mich fast 
vollkommen an das von v. Fürth angegebene Verfahren gehalten. 
Als Versuchstiere dienten ausnahmslos Kaninchen. 

Dem Tiere wurde durch eine in die Vena jugularis communis 
eingebundene Glaskanüle ungefähr der dritte Teil seines Körpergewichtes 
an isotonischer Kochsalzlösung von 36° bis 40° € Temperatur zufließen 
gelassen, ohne daß der Ablauf des Blutes aus dem peripheren Teil der 
Vene gehindert wurde.. Geschieht dies nicht allzu rasch, so treten selten 
irgendw elche bedrohliche Erscheinungen auf: bei noch guter Herzaktion 
wird sodann die Carotis durchschnitten, die Salzlösung bei gleichzeitiger 
Thoraxmassage in starkem Strome unter höherem Druck weiter zufließen 
gelassen. Das Tier verendet nun rasch unter heftigen klonisch-tonischen 
Krämpfen. Die aus der Arterie austretende Flüssigkeit ist schließlich hell 
fleischwasserfarben und hat, nach Fleischl gemessen, einen Hämo- 
globingehalt von weniger als 10 Proz. Sofort nach eingetretenem Tode 
wird das Abdomen eröffnet und in die Aorta abdominalis, sowie Vena 
cava inferior unterhalb des Abganges der Nierenarterien werden Kanülen 
in der Richtung des Blutstromes eingebunden. In die Aorta wird unter 
gleichzeitigem Beugen und Strecken, sowie unter Massage der unteren 
Extremitäten so lange isotonische Kochsalzlösung zufließen gelassen, bis 
die aus der Vene abfließende Flüssigkeit vollständig wasserklar erscheint; 
dieselbe enthält höchstens Spuren von in der Hitze Ks 
Eiweißes. 

Die zu verarbeitenden Muskeln (es kamen die der unteren Extremitäten 
zur Verwendung) wurden, nachdem sie von Fett und Bindegewebe befreit 
waren, sofort mit dem wi iegemesser zu einem ganz feinen Brei zer- 
schnitten und nach Zusatz einer geringen Menge isotonischer Kochsalz- 
lösung mittels einer. hydraulischen Presse, die einen Druck von 350 
Atmosphären auszuüben gestattete, ausgepreßt. Das so gewonnene 
Plasma war opaleszent, von hellgelber bis rötlichgelber Farbe. Die 
Reaktion (Lackmus) war entweder ganz schwach alkalisch oder neutral 
und wurde nach längerem Stehen, besonders bei Zimmertemperatur, sauer. 
Die Zeit, welche vom Augenblicke des Todes der Tiere bis zur Ver- 
arbeitung des Plasmas verging, betrug meist nur ein weniges über eine 
halbe Stunde. 


*) Steward u. Sollmann, The Proteids of muscle. Journ. of 
Physiol. 24, 427 bis 459 (1899). 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 931 


Bestimmung der relativen Mengenverhältnisse vom 
Myosin und Myogen. 

Zur quantitativen Bestimmung von Myosin und Myogen be- 
diente ich mich der schon erwähnten fraktionierten Hitzefällung. 
Für die ersten Versuche wurden die Koagulationstemperaturen 
mit 40°, 50°, 70° und 100° C angesetzt. Je 10 ccm Plasma 
wurden in gleich großen Zentrifugiergläsern von gleicher Wand- 
stärke in ein genau auf die gewünschte Temperatur eingestelltes 
Wasserbad mit doppelten Wänden gebracht. Zur Kontrolle der 
Temperatur des Plasmas selbst wurde, da ein Eintauchen eines 
Thermometers in dasselbe nicht angängig ist, ein zweites, gleich 
großes Gefäß mit 10 ccm Wasser gleichzeitig eingesenkt; in diesem 
befand sich ein in halbe Grade geteiltes Thermometer, während 
ein zweites zur Ablesung der Badetemperatur außen eintauchte. 
Hatte die Temperatur im Kontrollgefäße die gewünschte Höhe 
erreicht, so wurde von diesem Augenblicke an das auszufällende 
Plasma unter. stetem Umrühren nach 7 Minuten bei derselben 
gehalten. Die Temperaturschwankungen betrugen selten mehr 
als einen halben, niemals über einen ganzen Grad. 

Die bei 40° und 50° ausfallenden Niederschläge setzen sich 
feinflockig, fast schleimig ab, während die Fraktionen von 70° 
und 100° gröber, kompakter ausfallen. Die Niederschläge wurden 
nun zur leichteren Reinigung mit Hilfe der Zentrifuge dekantiert 
und mit destilliertem Wasser chlorfrei gewaschen, die Waschwasser 
durch bei 110° getrocknete und gewogene Filter gegossen. Dieses 
Verfahren ist dem Waschen am Filter vorzuziehen, weil besonders 
das Myosin und der bei 40° ausfallende Niederschlag die Filter- 
poren sehr rasch verstopft, wodurch die Reinigungsprozedur sehr 
in die Länge gezogen wird. Schließlich wurden die Niederschläge 
selbst aufs Filter gebracht, mit Alkohol und Äther durchgespült 
und bei 110° bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. 

Bei meinen Untersuchungen am normalen Kaninchenmuskel 
(Ischiadicusmuskulatur), in dieser Weise ausgeführt, erhielt ich 
folgende Resultate: 

Tabelle I. 


Normaler Muskel | ne a ale A 
Bay Gesamteiweiß Myogen 
I. | AN 
Gesamt-Eiweiß 100° . . .! 083623 100,00 
Myosin + Myogen 70° . . | 0,3490 96,33 
an 500, ee 0,0637 18,25 18:78 
Bioemkbrın 40°; 2. 22.021 0,0061 1,68 


2 0, 3,67 


238 Anton Steyrer, 


Niederschlag in | Verhältnis des 


| Niederschlag in 


Normaler Muskel EIER Prozenten des Myosin zum 
Gesamteiweiß Myogen 
II. 
Gesamt-Eiweiß 100° . . .\ 0,5812 100,00 
Myosin +4 Myogen 70° . . 0,5675 97,65 
Myosin 50° 5 Ka I HGB 16,83 17:81 
Myosinfibrin 40°. .. . . 0,0092 1,58 
Albumin.. .32'2.Byelsis eg: 2,35 
117, 
Gesamt-Eiweiß 100° . . . 0,4172 100,00 
Myosin + Myogen 70° . . 0,4098 98,23 
Myosın BO 1 A Er az 0,0889 21,31 21277 
Myosinfbrin 40°. . .. . 0,0000 | 0,00 
Album ur EN A | LET. 


In diesen drei Versuchen gewann ich also Ergebnisse, welche 
mit denen von v. Fürth ziemlich gut übereinstimmen. Das Ver- 
hältnis von Myosin zum Myogen betrug im Durchschnitt: 19:79, 
bei v. Fürth 18:81. | 


Ich glaube jedoch an dieser Stelle noch einen Versuch an- 
führen zu müssen, welcher bedeutend von den früheren abweicht. 
Es lag offenbar ein Versuchsfehler vor, der mir aber gerade für 
die Beurteilung des Wertes der Methode von Wichtigkeit erscheint. 
Es ergab sich nämlich an: 


Niederschlag Niederschlag Verhältnis von 
in Gramm in Prozent Moysin:Myogen 
Gesamt-Eiweiß 100° . . .ı 0,5842 100,00 
Myosin + Myogen 70° . . 0,5588 95,66 
Myosin50r En eg 0,2090 35,78 36:60 
Myosinfibrin 40° 22.727; 0,0824 14,11 
Albuminel Kite WE Meat 4,34 


Die jedenfalls über der Fehlergrenze liegende Differenz des Verhält- 
nisses vom Myosin zum Myogen (36:60) gegenüber dem oben angeführten 
(19:79 und 18:81) dürfte sich durch die Umstände, unter denen der 
Versuch ausgeführt wurde, erklären lassen. Sämtliche bisher angeführten 
Versuche wurden nämlich im Hochsommer gemacht; die Temperatur 
des Arbeitsraumes betrug oft mehr als 25° ©. Während nun bei den in 
der Tabelle I angeführten Versuchen der Zylinder der Presse mittels 
einer Kühlschlange aus Bleirohr durch Eiswasser gekühlt und das Plasma 
sofort nach dem Abpressen verarbeitet worden war, mußte in den letzt- 
angeführten eine andere, weniger kräftig wirkende, nicht kühlbare Presse 
angewendet werden, was das ganze Verfahren verzögerte, so daß Preß- 
masse. sowie Plasma mehrere Stunden einer verhältnismäßig hohen 
Temperatur ausgesetzt blieben. Dabei scheint sich nun ein Teil des 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 239 


Myogens in Myogenfibrin, respektive in präformiertes Myogenfibrin um- 
gewandelt zu haben, worauf schon der hohe Wert des bei 40° koagulierten 
Niederschlages hinweist. Geht man von dieser Voraussetzung aus und 
bringt das Gewicht dieses Niederschlages von dem bei 50° ausgefallenen 
in Abzug, was nicht ganz berechtigt ist, da sich bei langem Stehen 
auch Myosin in Myosinfibrin umgewandelt haben kann, so ergibt sich 
ein Gehalt von Myosin von 21,7 Proz. und ein Verhältnis von 
Myosin : Myogen = 22:74, was ungefähr der Norm entspräche. 

Dieser Versuch bestätigt somit die Annahme v. Fürths, daß 
das Myogen sich nach einiger Zeit in präformiertes Myogenfibrin 
oder in Myogenfibrin umwandelt und ergänzt die von ihm zu diesem 
Zwecke ausgeführte Versuchsreihe insofern, als er zeigt, daß auch 
unter Umständen schon niedrigere Temperaturen als 40° C bei ge- 
nügend langer Zeitdauer diese Umwandlungen zu bewirken ım- 
stande sind. 


Angesichts dieser Tatsache tritt nun für die Beurteilung einer 
quantitativen Methode zur Bestimmung der Mengenverhältnisse 
von Myosin und Myogen die wichtige Frage heran: ist es möglich, 
diese Umwandlung zu verhindern, oder hat man wenigstens ein 
Mittel in der Hand, entscheiden zu können, ob Myogenfibrin ın 
löslicher Form vorhanden ist oder nicht. Würde dasselbe bei 
40° schon immer quantitativ ausfallen, so könnte man sich vor 
diesem Fehler schützen. Nach dem folgenden Versuche zu 
schließen, ist letzteres nicht der Fall. 


Ein Kaninchen wurde in der .gewöhnlichen Weise entblutet, 
das Plasma unter allen bezüglich der Temperatur nötigen Vor- 
sichtsmaßregeln abgepreßt und in eisgekühlten Gefäßen aufgefangen. 
Die Temperatur des Arbeitsraumes konnte übrigens auf 10° © 
(Winter) gehalten werden. Vom Tode des Tieres bis zum Schlusse 
des Abpressens waren ungefähr °s Stunden vergangen. Das 
Weitere ist aus der nun folgenden Tabelle ersichtlich. 


Tabelle LH. 


Niederschlag 
r: ) "OZE uf 
Niederschlag in Pı Zen) Bd 
et ı den bei 70° aus- 
| aramı ln : 
| ee \fallenden Teil als 
100 gerechnet 


Fort. L 
A) 10 cm? Plasma ergaben sofort nach | 
dem Abpressen 7 Minuten auf 50° | 


Behılat . „oe A «| 93,04 
B) Dasselbe Plasma an 7 Minuten | 
TON ee N... 04 0,5422 | 100,00 


Entfallen auf Myogen . ....| 03 | 766 


- 


940 Anton Steyrer, 


| Niederschlag 
Niederschlag | in Prozent, auf 
| 
| 
| 
I 


es den bei 70° aus- 
in Gramm 


fallenden Teil als 
100 gerechnet 


Port. IE: 
A) 10 cm? Plasma ergaben sofort nach 
dem Abpressen 7 Minuten auf 40° 


erhitzt .: . we er dene 0,0000 0,00 
B) Dasselbe Plasma dann 7 Minuten 
auf 50° erhal re 0,2085 | 37,10 
C) auf 70° erhitzt. . 2 2 2 2. 0,5513 100,00 
Entfallen auf Myogen . . . . . 0,3468 | 62,90 
Port. II: | 


A) 10 cm? Plasma 5 Stunden lang bei 
10° gehalten, bleiben klar. 

B) Dasselbe Plasma dann 7 Minuten 
auf 40° erhitzt, bleibt klar. 


©): a5808 ern 1 re 0,2207  \ 40,23 
(Bei 45° trat leichte Trübung ein, bei | | 
47° flockiger Niederschlag.) 
D) auf 70° erhitzt. ne || 0,5486 100,00 
Entfallen auf Myogen . . . . . | 0,3279 59,77 


Aus diesem Versuche geht hervor, daß bei genügend raschem 
Verarbeiten des Plasmas sich aie normalen Durchschnittswerte 
für Myosin und Myogen erzielen lassen. Portion I. 23:77. 
Portion II zeigt, daß verhältnismäßig kurzes Erwärmen auf 40° 
schon eine Umwandlung des Myogens hervorrufen kann, die jedoch ° 
unserer Beobachtung entgeht — die Flüssigkeit bleibt vollkommen 
klar — und sich erst durch den auffallend hohen Wert der 
Fraktion von 50° (37:63) verrät. Aus Portion III läßt sich nur 
schließen, daß auch längeres Stehen bei niedriger Temperatur 
ohne bedeutenden Einfluß auf die Gerinnung des Myogens be- 
ziehungsweise auf die Bildung von Myogenfibrin ist. Die Ergeb- 
nisse sind ungefähr dieselben wie in II. 

Wenn aus dem bisher Gesagten auch hervorgeht, daß auf diesem 
Wege eine Methode, welche den strengsten Anforderungen einer 
quantitativen Analyse im allgemeinen entspricht, nicht geschaffen 
werden kann, so muß man andererseits doch auch zugestehen, 
daß die Fehlerquellen sich sehr einschränken lassen und bei voll- 
ständig gleichartiger Behandlung des Muskels doch Werte ge- 
funden werden können, welche untereinander wenigstens ver- 
gleichbar sind. Nur von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich 
die Resultate der nun folgenden Versuche, welche sich mit den 
Eiweißkörpern des kranken Muskels beschäftigen, betrachtet wissen. 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 241 


Degeneration des Muskels, hervorgerufen durch Aus- 
schaltung (Sektion) des zugehörigen Nerven. 

Versuchsanordnung: Zu diesen Versuchen konnten nur 
große Kaninchen benutzt werden, da die Menge des aus dem 
degenerierten Muskel stammenden Plasmas sonst für die Be- 
stimmungen nicht ausreichte. Von den in Betracht kommenden 
Nerven schien der Ischiadicus der geeignetste zu sein. 

Ich ging unter aseptischen Kautelen mit einem Schnitte, der vom 
Tuber ischiadicum fast senkrecht gegen die Wirbelsäule gelegt war, durch 
die Haut ein. Am bloßgelegten Muskel findet sich in dieser Gegend meist 
mehr oder weniger deutlich sichtbar ein Sehnenstreifen, welcher in der 
gleichen Richtung verläuft. Diesem entsprechend durchtrennte ich den 
Muskel und hielt mich stumpf weiterpräparierend möglichst nahe am 
Trochanter. Es gelingt so, verhältnismäßig leicht und ohne nennenswerte 
Blutung auf den Nervus ischiadieus zu kommen. Gerät man jedoch etwas 

5 J 

weiter nach aufwärts, so ist die Gefahr, die Vena eruralis zu verletzen, 
welche dort knapp neben dem Nerven verläuft, ziemlich groß. Der 
Ischiadieus wurde mit einer Hakenpinzette hervorgezogen und ein unge- 
fähr 1 cm langes Stück desselben reseziert. Bei einiger Ubung läßt sich 
diese Operation so schnell ausführen, daß eine Narkose gar nicht nötig 
ist. Muskel und Haut wurden durch Naht sorgfältig geschlossen, und 
letztere durch eine häufig zu erneuernde Schicht von Jodoformkollodium 
geschützt. Niemals zeigte sich eine Wiedervereinigung des durchtrennten 
Nerven. Die Enden desselben waren im Bindegewebe eingewachsen. 

Im allgemeinen wurde die Operation, welche natürlich eine 
Lähmung des Beins zur Folge hat, sonst gut vertragen. Oft zeigten 
die Kaninchen kurz nach derselben schon Freßlust. Für die 
weitere Verarbeitung wurden nur Tiere benutzt, bei denen keine 
stärkere Blutung eingetreten war und der Wundverlauf sich als 
ganz glatt herausgestellt hatte. 


Nach der Durchspülung mit Kochsalzlösung, welche in der 
schon oben geschilderten Weise vorgenommen wurde, fand sich 
bei gut gelungener Operation an der Einschnittstelle nur eine ge- 
ringe Sugillation im Unterhautzellgewebe, auch manchmal noch 
an der Oberfläche des Muskels. Dieselbe ließ sich durch Spülen 
nicht mehr beseitigen; die betreffenden Muskelpartien wurden 
nicht mit in die Untersuchung einbezogen, ebensowenig wie der 
bei der Aufsuchung des Nerven verletzte Muskel. Zur Ver- 
arbeitung gelangten nur die vom Ischiadicus versorgten Muskeln 
der Beugeseite. Bei längerem Bestehen der Nervendurchtrennung 
ist gewöhnlich makroskopisch ein allerdings ziemlich geringer Unter- 
schied gegenüber der gesunden Seite wahrnehmbar: das Volumen 
der Muskeln erscheint kleiner, sie fühlen sich schlaffer an. In 
den Fällen, wo dies nicht deutlich erkennbar war, wurde die 


mikroskopische Untersuchung angeschlossen. Dieselbe ergab immer 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 16 


949 Anton Steyrer, 


noch gesunde Muskelfasern, aber stets auch solche, bei denen die 
(uerstreifung verwischt oder verschwunden, oder sogar scholliger 
Zerfall der Fasern eingetreten war. 

Die elektrische Untersuchung wurde bei einem Tiere 
vorgenommen, das am 20. Tage nach der Operation stand. Über 
beiden Oberschenkeln wurden die Muskeln bloßgelegt und bei 
lebendem Tiere mit dem galvanischen Strome geprüft. Es zeigte 
sich herabgesetzte galvanische Erregbarkeit, etwas trägere Zuckung 
und (nicht immer) Überwiegen der Anodenschließungszuckung. 

Die Gewinnung des Plasmas geschah, wie oben beim nor- 
malen Tiere bereits ausgeführt wurde. Es wurde so rasch als 
möglıch und bei möglichst niedriger Temperatur gearbeitet. Auf 
ein Zerreiben des Muskels mit Bimsstein, wie es von v. Fürth 
ausgeführt wurde, habe ich immer verzichtet; doch wurde der Muskel 
in einigen Fällen mit etwas Chornatriumlösung (A = — 0,58 ° C) 
befeuchtet, und zwar so, daß auf normaler und degenerierter Seite 
dem Gewichte der Muskeln proportionale Mengen verwendet wurden. 

Die Fällung der Eiweißkörper geschah in der Weise, daß 
gleiche Mengen Plasma von der gesunden und der operierten Seite 
in gleich starken Zentrifugiergefäßen gleichzeitig unter Beigabe des 
Temperaturkontrollgefäßes in das Wasserbad gesenkt wurden. Die 
weitere Behandlung geschah wie beim normalen Tiere. Es mag 
nur noch bemerkt werden, daß auch gleiche Mengen Waschwasser 
verwendet wurden. Auf die Fraktion bei 100° habe ich Verzicht 
geleistet, da es mir nur auf die Relation von Myosin und Myogen 
ankam. 

Aus den in der Tabelle III unter Nervendurchtrennung 
angeführten Zahlen ist folgendes zu entnehmen. Sehen wir von 
dem Versuche No. 7 ab, so finden wir die Werte vom Myosin 
zum Myogen für den normalen Muskel zwischen 15:85 bis 26:74 
schwankend. Dies geht über die Grenzen der bisher gefundenen 
Werte nach oben und unten hin etwas hinaus. Hält man die 
Zahlen der operierten Seite diesen entgegen, so findet man, daß 
hier in allen Fällen die relative Menge des Myosins die der ge- 
sunden Seite übertrifft, und zwar ist der niedrigste überhaupt 
gefundene Wert noch immer etwas höher als der höchste der 
gesunden Seite. Von Fall zu Fall verglichen ist der Prozentwert 
Myosin rund: 


auf der eesunden Seite: 20,5 
auf der operierten Seite: | 7) Ba ae 

Bei der vollständigen Gleichartigkeit der Bedingungen, unter 

denen das Plasma beider Seiten behandelt wurde, wird man also 


Zei dh 


243 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 


68: IT 
18: 61 


TL : 66 


GL:58 


9L:76 


08 : 08 


8:61 
88:21 


LL:8€ 


rL:9% 


&L: 16 


g'6L : g°08 


T9 : 68 


vL: 98 


OL : 08 


8: 67T 


19:88 


88:81 


89:88 


9L:78 


GL: 85 
64:18 


JAOLL 
-au9Sad 


usSoÄW :ursoÄM | TeuLtoN 
sTufey.Ia A 


u93oAM : ursoAM 


| 986F°0 | 


6r9g°0 
gg08‘0 


g98gT‘0 


1220 200 
gLTr‘0 
az 
LITF'O 
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setz | o8gg‘o | 2983 | rısr‘o || sıerto | 222 | LEr9o | 8a'sa | Fegr‘o || 00T %18 8 "T-$Er] ROT 
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gg'zn | ımıco | gez | sacı‘o || ggrr‘o | 08'6L | z19c‘o | os‘og | ogTr‘o || ort 8 F TEURER EL 
#209 | sege‘o | 9z'6e | 08880 || gerr‘o | 9er | Far9‘o | vE'9g | 869T'0 || 08T 1 * "I GEH IX TOR 
ıs'69 | gu8g‘o | sr/og | 9LL1°o || gecH‘o | 68'r8 | zoss‘o | Tr'eT. | 2280°%0 || oST 8 L ORTE DI 
sr'ıa | ogc9‘o | ae'ze | rerz‘o || grgc‘o | 82'Ts | 89890 | zg'sr | 08310 || 091 8 q ie 
vB'89 | Bro | re | Fecı'o || TsBrto | Tr | 11270 | 18'88 | 09810 || o#t 8 FA TE EL 08 
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16* 


244 Anton Steyrer, 


nicht fehlgehen, wenn man aus diesen Zahlen den Schluß zieht, 
daß bei dem Muskel, welcher durch Trennung von seinem Nerven 
zur Degeneration gebracht wird, eine chemische Veränderung in 
dem Sinne vor sich geht, daß darin der Gehalt an Myosin 
größer wird, und zwar tritt diese Veränderung bereits frühzeitig, 
schon nach dem 4. Tage auf. Ein Schluß auf eine gesetzmäßige 
Abhängigkeit ihres Auftretens von der nach der Resektion ver- 
flossenen Zeit läßt sich allerdings nicht ziehen. Jedenfalls ist 
nach 24 Stunden eine derartige Änderung noch nicht nachweislich 
erfolgt, wie dies Versuch No. 7 lehrt. Die hier bestehende 
Differenz liegt wohl noch innerhalb der Fehlergrenze. 


Durchtrennung der Sehne eines Muskels. 


An großen ausgewachsenen Kaninchen wurde unter aseptischen 
Kautelen an der Vorderfläche des Oberschenkels ein Schnitt durch die 
Haut von 3 cm Länge parallel zur Längsachse des Knochens geführt. 
Hierauf wurde knapp am Kniegelenke die gemeinsame Sehne der Streck- 
muskeln des Oberschenkels erst stumpf von ihrer Umgebung und dem 
Knochen abpräpariert und dann auf der Hohlsonde durehschnitten. Zu 
einer nennenswerten Blutung kam es dabei nicht. Die Haut wurde 
hierauf durch Naht geschlossen. Das Bein stand natürlich jetzt in Beuge- 
stellung. Die Tiere zeigten nach der Operation bis zum Zeitpunkt der 
Verarbeitung stets Wohlbefinden. Eiterung trat niemals ein. Nach 
7 bis 8 Tagen wurde die Entblutung und Durchspülung mit isotonischer 
Chlornatriumlösung in der bisher geübten Weise vorgenommen. 

Die auf diese Weise von ihrem Insertionspunkt getrennten. 
Muskeln — es sind dies der m. rectus femoris, vastus lateralis und 
medialis und musculus eruralis — befinden sich dann in einer 
Art von Kontraktionszustand, sie fühlen sich härter an als die 
der gesunden Seite. Die gemeinsame Sehne (das ligamentum 
patellare) ist in Bindegewebe eingebettet. Die mikroskopische 
Untersuchung zeigt in allen Fällen deutlich beginnende Degene- 
ration. (Verwischung oder vollständiges Fehlen der Querstreifung 
eines Teiles der Fasern.) 


Das Ergebnis der chemischen Untersuchung ist gleichfalls aus 
Tabelle III zu ersehen. 


Der in Tabelle No. III an letzter Stelle angeführte Versuch 
bezieht sich auf Muskeln, die durch Reizung mittelst faradischen 
Stromes vom Nerven aus eine Stunde lang in tetanische Kon- 
traktion gebracht worden waren. 

Zu diesem Zwecke wurde wieder der Ischiadieus einer Seite in der- 
selben Weise bloßgelegt, wie dies für die Resektion geschehen war. 
Durch einen unter dem Nerven durchgezogenen Streifen von Guttapercha 
wurde derselbe von der Umgebung isoliert. Als Elektroden dienten zwei 
voneinander isolierte hakenförmig gekrümmte 1 mm dicke Kupferdrähte. 


Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 245 


Dieselben wurden unter dem Nerven in einem Abstande von 1 cm 
hindurchgeführt, wobei nach Möglichkeit eine stärkere mechanische 
Dehnung des letzteren vermieden wurde. Nur die dem Nerven unmittelbar 
anliegende Stelle des Drahtes wurde blank gelassen. Um ein Austrocknen 
zu verhindern, wurde das Ganze mit einem Bausch Watte, der in 
physiologische Kochsalzlösung getränkt war, bedeckt. Eine direkte 
Wirkung des Stromes auf den Muskel ist bei dieser Versuchsanordnung 
wohl ausgeschlossen. Der Nerv wurde nun bei leichter Narkose des 
Tieres durch einen faradischen Strom bis zur tetanischen Kontraktion 
der Ischiadieusmuskulatur eine Stunde lang gereizt, das Tier dann 
. durch Entbluten getötet und mit isotonischer Kochsalzlösung durchgespült. 

im allgemeinen darf man wohl sagen: die Zellverbände leben 
als Ganzes, während die Zellen in der Regel einzeln absterben. 
Beim Muskel gibt es aber einen langsamen Tod, welcher scheinbar 
denselben Weg schreitet wie die physiologische Erregung und 
welcher alle Muskelprimitivbündel, die vom zugehörigen motorischen 
Nerven versorgt sind, unter Umständen gleichzeitig und in gleichem 
Maße trifft, das ist die Außerfunktionsetzung des Muskels nach 
Durchschneidung seines motorischen und trophischen Nerven. 
Diese Durchschneidung stellt bekanntlich ein Paradigma dar für 
die Folgen verschiedenartiger natürlicher Erkrankungen im Bereich 
des Nervensystems. Schwund der kontraktilen Substanz ist aber 
auch die typische Folge der Abtrennung des Muskels von seinen 
Ursprungs- oder Insertionspunkten, wodurch die Muskelfasern ihre 
normale Spannung und Dehnung einbüßen. Hier trifft im Gegen- 
satz zur neurotischen Atrophie die Ursache für den Einbruch der 
Gewebsstruktur vielmehr Zelleum Zelle. Unter diesen Bedingungen 
verläuft die Atrophie bekanntlich rascher und erreicht höhere 
Grade. 

Unter allen Umständen beruht die Atrophie der Muskelfasern 
bekanntlich nieht einfach auf Abnahme der kontraktilen Substanz, 
es bilden sich mehr oder weniger rasch mikroskopisch wahrnehm- 
bare Veränderungen der Textur aus. Die zerfallende kontraktile 
Substanz wird schließlich ganz resorbiert, von dem Muskelprimitiv- 
bündel bleibt am Ende nichts zurück als das Protoplasma mit 
den Kernen. Während das keiner Funktion mehr dienende Proto- 
plasmaprodukt seine Rolle im Organismus ausgespielt hat, 
bleibt das Protoplasma selbst mit den (eventuell gewucherten) 
Kernen, die „forming matter“, erhalten. 

Mit Rücksicht auf die obigen allgemeinen Bemerkungen über 
einschlägige Modifikationen der Zellen im vielzelligen Organismus 
(Atrophie, Nekrose) ergab sich nun speziell mit Bezug auf den 
Muskel die Frage: Erfahren die Eiweißkörper des Muskelsaftes 
den gleichen chemischen Abbau bei längerer Erregung (Tetani- 


946 Anton Steyrer, Ein Beitrag zur Chemie des entarteten Muskels. 


sierung durch den faradischen Strom) vom Nerven aus, beim 
Degenerieren infolge von Durchschneidung des zugehörigen Nerven 
und endlich nach Durchschneidung der Sehne des Muskels selbst? 

Die mitgeteilten Versuche geben, wie ich glaube, eindeutige 
Antwort, welche wohl von allgemein biologischem Interesse, 
speziell auch in Rücksicht der veränderten chemischen Eigenart 
unter pathologischen Bedingungen, ist. Bei der Tetanisierung des 
Nerven verliert der Muskelsaft das Myosin. Bei der Degeneration 
vom resezierten Nerven aus wird im Gegenteil Myosin im Muskel- 
saft aufgespeichert, bzw. es unterliegt wenigstens langsamer dem 
Schwunde. Beim Muskel, der von seinem Insertionspunkt ab- 
gelöst ist, bleibt das Verhältnis vom Myosin und Myogen an- 
nähernd das gleiche. 


XX. 


Zur Kenntnis der Eiweißbildung bei den Pilzen. 
Von Oskar Loew. 


In einer Arbeit über Stickstoffgewinnung bei den Pilzen hat 
F.Czapek*) kürzlich unter anderem mitgeteilt, daß Methylhydrazin 
als Stickstoffquelle für Aspergillus niger dienen könne, Diese 
Angabe schien mir angesichts der Giftwirkung der Hydrazine so 
auffällig, daß ich einige Versuche ausführte, welche das Resultat 
Czapeks in einem etwas anderen Lichte erscheinen lassen. 

Zunächst überzeugte ich mich, daß Methylhydrazin ebenso 


wie andere Hydrazine giftig wirkt. 

Schlammhaltiges Wasser, reich an niederen Tierformen, wurde mit 
1 Promille und 0,1 Promille salzsauren Methylhydrazins versetzt, welches 
mit Soda genau neutralisiert war. Nach 24 Stunden waren dort alle, 
und hier die meisten Organismen, Nematoden, Rotatorien, Ostracoden, 
Copepoden, Infusorien und Flagellaten (Euglena viridis) tot. Nur die so 
zählebigen Monaden und einige Diatomeen lebten in letzterer Lösung 
noch zwei Tage länger. Auch die in diesen Lösungen befindlichen Algen- 
fäden (Spirogyra und Mesocarpus) waren innerhalb zweier Tage 
abgestorben. Phanerogamen erschienen widerstandsfähiger; es dauerte 
zwei Wochen, ehe junge, 20 cm hohe Gerstenpflanzen in der neutrali- 
sierten 1 promilligen Lösung jenes Salzes abstarben. Indessen diese 
langsame Wirkung beruht jedenfalls darauf, daß in den Pflanzensäften 
Glykose vorhanden ist, welche sehr leicht mit Hydrazinen Glykosehydra- 
zone bildet ®*). 

Auch für Bakterien und Mycelpilze erwies sich Methylhydrazin als 
starkes Gift. Es wurden 10 ccm sterilisierte Bouillon mit 4 cem einer 
genau mit Soda neutralisierten 1proz. Lösung von salzsaurem Methyl- 
hydrazin versetzt und mit Bac. pyocyaneus infiziert. Selbst nach 
zwölf Tagen bei 28° blieb diese Lösung ohne jede Spur von Entwicklung, 
während im Kontrollfall mit der äquivalenten Menge Salmiak eine reich- 
liche Vegetation schon nach zwei Tagen zu bemerken war. 

Es wurden ferner 6 ccm Bouillon mit 1 cem jener Lösung gemischt 
und mit B. subtilis infiziert. Zugleich wurde die gleiche Mischung 

*) Diese Beiträge 3, 49. 

**) Auch andersartige Umwandlungen sind nicht ausgeschlossen, denn 
das Methylhydrazin wird katalytisch auch durch Platinmohr beim Erwärmen 
unter Stickstoffentwicklung leicht zersetzt. 


“ 


248 Oskar Loew, 


mit noch 0,6 g Rohrzucker versetzt und ebenfalls infiziert. Nach acht 
Tagen war in keinem Falle Entwicklung eingetreten. Als aber die 
Proben angesäuert und zwei Stunden im kochenden Wasserbade ge- 
halten und nach dem Abkühlen von neuem infiziert wurden, ergab die 
mit Rohrzucker versetzte Lösung innerhalb dreier Tage eine reichliche 
Entwicklung, die andere Probe aber nicht. Offenbar war Rohrzucker 
invertiert und das Methylhydrazin in Hydrazon und, wie die eingetretene 
kanariengelbe Färbung verriet, zum Teil auch in Osazon verwandelt 
worden. 

Da der im Staube der Luft weitverbreitete Bac. methyliecus 
die vom Methan sich ableitenden Verbindungen, wie Methylamin, 
oxymethylsulfonsaures und ameisensaures Natron als Kohlenstoffquellen 
verwenden kann, wurde sein Verhalten auch gegenüber dem Methyl- 
hydrazin geprüft, allein selbst nach vier Wochen war keine Spur von 
Entwicklung in der 0,1proz. Lösung zu beobachten, während in der 
Kontroll-Nährlösung mit Methylamin schon nach fünf Tagen eine Bakterien- 
trübung eingetreten war. 

Versuche mit Penieillium glaucum verliefen in gleichem Sinne. 
Eine Lösung, welche mit 0,4 Proz. Natriumazetat, 0,2 Proz. Monokalium- 
phosphat und 0,02 Proz. Magnesiumsulfat hergestellt worden war und das 
eine Mal als Stickstoffquelle 0,04 Proz. salzsaures Methylhydrazin, das 
andere Mal ebensoviel Salmiak erhielt und ohne vorheriges Erhitzen mit 
Penicillium-Sporen infiziert wurde, blieb dort steril, während hier bald 
reichliche Entwicklung eintrat. Dort blieb auch die Entwicklung aus, 
als noch 1 Promille Salmiak nachträglich zugesetzt und nochmals 
infiziert wurde ®). Selbst als das Natriumazetat durch Rohrzucker ersetzt 
wurde, unterblieb jede Entwicklung, wenn die Lösung sofort nach ihrer 
Herstellung und bei Vermeidung jeden Erwärmens direkt mit Penicillium- 
Sporen infiziert wurde. 


Wie ist es nun zu erklären, daß Czapek eine Pilzvegetation' 
erhielt mit einer Nährlösung, welche 1 Proz. schwefelsaures Methyl- 
hydrazin und 3 Proz. Rohrzucker enthielt? Die Antwort auf 
diese Frage ist nicht schwierig. Czapek erhitzte vor der In- 
fektion die Nährlösung 5 bis 7 Tage auf 28 °, um zu prüfen, ob die 
Flüssigkeit steril sei. Hierbei konnte aber infolge der sauren 
Reaktion der Nährlösung**) ein Teil des Rohrzuckers invertiert 
werden, was die sofortige Bildung von Glykosemethylhydrazon und 
Fruktosemethylhydrazon zur Folge haben mußte, von Körpern, 
welche, wenn überhaupt, doch sicherlich weit weniger schädlich 
auf die lebenden Zellen wirken, als das unveränderte Methyl- 
hydrazin. Bei einem sieben Tage dauernden Erwärmen auf 28° 
kann selbst bei nur schwach saurer Reaktion doch schon Inversion 


*) Es ist wohl kaum nötig darauf hinzuweisen, daß Gifte bei sehr weit 
getriebener Verdünnung als Nährstoffe dienen können. Sogar Phenol kann 
so eine Kohlenstoffquelle für manche Mikrokokkenarten abgeben. 

**) Die Salze des Methylhydrazins reagieren sauer. Czapek stumpfte 
zwar die Säure ab, ließ aber doch seine Lösungen schwach sauer. 


Zur Kenntnis der Eiweißbildung bei den Pilzen. 949 


von Rohrzucker stattfinden*). Ich habe den Versuch Czapeks, 
so genau als nach dessen Angaben möglich war, wiederholt und 
gefunden, daß in der Tat eine geringe Pilzmenge erzielt werden 
kann, wenn man die Lösung schwach sauer läßt. Ich erhielt in 
diesem Falle auf 50 cem Nährlösung 0,032 g trockne Pilzmasse 
gegenüber 0,714 g im Kontrollversuche mit Ammoniumsulfat. Aber 
es blieb jede Spur von Entwicklung aus, wenn ich die Lösung, ohne 
sie zu erwärmen, völlig neutralisierte und mit den Sporen des 
Aspergillus niger infizierte. Daß meine Erklärung die richtige 
ist, geht auch daraus hervor, daß jede Entwicklung ausbleibt, 
wenn in der Lösung Gzapeks der Rohrzucker durch Glycerin 
ersetzt wird. Hierbei ist eben der Übergang von Methylhydrazin 
in Hydrazone ausgeschlossen. 

Noch einige Punkte seien hier kurz berührt. Ozapek ver- 
sucht, mit der elektrolytischen Dissoziationstheorie bald ein 
günstiges, bald ein ungünstiges Resultat zu erklären. So wirkt 
z. B. (p. 560) salzsaures Methylamin günstiger als essigsaures, 
weil es sich dissoziiert, Salmiak wirkt aber als Stickstoffquelle 
ungünstig, weil die „Chlorionen schon in den Anfängen das Wachs- 
tum der Pilzvegetation hemmen“ (p. 581). Eine Aufklärung, warum 
in jenem Falle die Chlorionen (vielmehr die freiwerdende Salz- 
säure) nicht schädlich wirkten, wäre von Interesse. 


Wenn Uzapek weiter schließt, daß oxyfettsaure Ammoniak- 
salze bessere Stickstoffquellen sind als fettsaure, so muß ein- 
gewendet werden, daß in beiden Fällen die Stickstoffquelle ja 
die gleiche ist, nämlich Ammoniak, und daß der verschiedene 
Effekt lediglich auf die als Kohlenstoffquellen**) in Betracht 
kommenden Säuren zurückgeführt werden muß, selbst dann, wenn 
diese in Abwesenheit von Zucker nur schlechte Kohlenstoffquellen 
darstellen. Wenn durch Zucker die Respiration kräftig unterstützt 
wird, können manche Verbindungen leichter der partiellen oder 
totalen Verbrennung unterliegen als in Abwesenheit von Zucker. 
Bei Abwesenheit von Zucker werden ferner alle jene Körper eine 


*) Nach Degener kann sogar das so schwach saure Asparagin inver- 
tierend auf den Rohrzucker wirken. | 

**) Aus einer Stelle geht deutlich hervor, daß UÜzapek das auch selbst 
erkennt; dennoch führt er nachher wieder verschiedene Ammoniaksalze als 
ebensoviel verschiedene Stickstoffquellen an. Mellithsaures Ammoniak 
wird als eine gute, benzoesaures Ammoniak als eine schlechte Stickstoff- 
quelle bezeichnet. Bei letzterem Salz übt jedoch die durch die saure 
Reaktion in Freiheit gesetzte Säure eine Giftwirkung aus. Da Salizylsäure 
leichter oxydierbar ist als Benzoesäure, so erklärt es sich, daß „salizylsaures 
Ammoniak eine bessere Stickstoffquelle ist als benzoesaures“. 


“ 


950 Oskar Loew, Zur Kenntnis der Eiweißbildung bei den Pilzen. 


unvollständige Ausnützung ihres Stickstoffs ergeben, bei denen 
wie beim Glykokoll die Anzahl der Kohlenstoffatome zu gering 
im Verhältnis zu der der Stickstoffatome ist; dieses muß größer 
sein als 4:1, da die Eiweißbildung allein schon dieses Verhältnis 
fordert, die Respiration und Membranbildung aber relativ noch 
mehr Kohlenstoff erfordert. 

Wenn ferner in vielen Fällen — durchaus nicht in allen! —_ 
Aminosäuren besser verwertbar sind als Ammoniaksalze, so darf 
nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß „die Bildung von Amino- 
säuren die erste Phase bei der Eiweißbildung“ vorstelle. Jener 
Unterschied könnte ja auch dadurch bedingt sein, daß manche 
Aminosäuren nicht nur eine Stickstoffquelle, sondern zugleich eine 
sehr geeignete Kohlenstoffquelle abgeben, leicht der Oxydation 
unterliegen, usw. Eine Verallgemeinerung jener Schlußfolgerung 
geht wohl nicht an. Meine Beobachtungen stimmen mit denen 
O. Emmerlings*) überein, welcher sich folgendermaßen äußert: 
„Aus meinen Versuchen geht hervor, daß durchaus nicht alle 
Aminosäuren von gewissen Schimmelpilzen als Stickstoffquellen 
benutzt werden können, daß sich selbst sehr nahestehende Körper 
sehr verschieden verhalten, und daß die Pilze selbst auch unter- 
einander große Verschiedenheiten zeigen.“ In der Tat zeigen ja 
viele Pilze sogar bei optischen Antipoden derselben Körper einen 
beträchtlichen Unterschied. Will man erforschen, welches die 
einfachsten zur Eiweißbildung tauglichen Atomgruppierungen sind, 
so muß man sich meines Erachtens einerseits an einen möglichst - 
anspruchslosen Pilz, andererseits an die niedersten organischen 
Verbindungen halten. Ich habe vor Jahren diese Verhältnisse 
erörtert**), und diese Ausführungen werden nicht immer ignoriert 
werden können. 


=) } Berichte der deutschen chem. Ges. 35, 2289. 
**) Vergl. Kap. 6 bis 8 in meiner Schrift: Die chemische Energie der 


lebenden ER 


XXI. 
Über das biologische Verhalten von Nerol, Geraniol, 
Cyelogeraniol. 
Von Dr. med. Herm. Hildebrandt. 


Unlängst ist seitens verschiedener Chemiker auf das Vor- 
kommen eines neuen, Nerol*), genannten, aliphatischen Terpen- 
alkohols in ätherischen Ölen **) hingewiesen worden, der die gleiche 
Zusammensetzung hat wie Geraniol C.H:O und ihm außer- 
ordentlich ähnlich ist. Der Geruch des Nerol soll feiner und 
rosenartiger sein als der des Geraniol. Im übrigen unterscheidet 
sich das Nerol vom Geraniol durch den etwas niedriger liegenden 
Siedepunkt 225° bis 227° — gegen 229° bis 230° für Geraniol — 
und durch die Eigenschaft, mit Chlorkalzıum keine feste Verbindung 
einzugehen. Nerylazetat und Nerylformiat riechen den ent- 
sprechenden Estern des Geraniols ähnlich. 

Die Unterschiede bezüglich des spezifischen Gewichtes, des 
Drehungsvermögens, des Brechungsexponenten sind so gering, daß 
auf Grund der Bestimmung der Konstanten eine Unterscheidung 
der Verbindungen nicht möglich ist. 

Ich wollte ermitteln, ob in biologischer Hinsicht ein Unter- 
schied zwischen den beiden Alkoholen besteht. Durch das Ent- 
gegenkommen der Firma Schimmel & Co. gelangte ich in den 
Besitz einiger Gramm Nerol, welches allerdings nicht ganz frei 
von Geraniol war. Gleichzeitig lag mir das neuerdings von Haar- 
mann u. Reimer dargestellte Cyelogeraniol vor, das ring- 
förmige Isomere des Geraniols, das ich der genannten Firma ver- 
danke. Versuche, welche ich an weißen Mäusen mit subkutaner 
Injektion der mit oleum olivarum hergestellten Lösung der Stoffe 
anstellte, ergaben folgendes: Wenige Minuten nach Injektion von 
0,05 g Nerol und Geraniol zeigen sich Vergiftungserscheinungen, 
taumelnder Gang, Zurseiteliegen, einige Stunden anhaltende Be- 
*) A. Hesse u. Zeitschel, Journ. f. pr. Ch. 502 (1903), v. Soden 
u. Zeitschel, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 36, 265 (1903), Schimmel, 
Bericht. April 1903. 55 u. 59 ff. 4 

**) Dem Neroli-Öle und dem Petitgrain-OÜle. 


252 Herm. Hildebrandt, 


täubung, ev. Tod. Ein Unterschied in der Art und Intensität der 
Wirkung war auch bei Anwendung kleinerer Dosen nicht zu be- 
obachten. 

Beim Cyelogeraniol hatte die Dosis 0,05 g keinerlei Wirkung; 
erst die vierfache Dosis, nämlich 0,2 g, rief einen intensiven Be- 
täubungszustand hervor. Es erinnert diese Tatsache an das Ver- 
halten der entsprechenden Aldehyde, des Citral und seines 
cyklischen Isomeren.*) 

Ich habe gleichwohl entscheiden können, daß Nerol nicht 
identisch ist mit Geraniol. Nach Darreichung von Geraniol an 
Kaninchen habe ich bereits früher dieselbe zweibasische Säure 
C.H,.0, erhalten, welche ich zuerst als hauptsächlichstes Stoff- 
wechselprodukt des zugehörigen Aldehyds Citral”*) nachwies. 
Das isomere Cyclocitral liefert diese Säure nicht, ebensowenig 
das Cyclogeraniol; im Harn der Tiere konnte ich nur gepaarte 
Glykuronsäuren nachweisen. Das bisher gewonnene und mir vor- 
liegende Nerol enthält als Beimengung Geraniol; ich bin daher so 
verfahren, daß ich am gleichen Tiere die gleichen Mengen Nerol 
(2 g) und — eine Woche später — Geraniol innerlich verabfolgte. 
Die Verarbeitung der Harne fand ın der früher angegebenen 
Weise statt. Aus dem nach Darreichung von Nerol gewonnenen 
Harne konnte 0,05 g der zweibasischen Säure erhalten werden, 
während ich nach Darreichung von Geraniol 0,7 8 der Säure er- 
hielt. Namentlich im Falle des Nerol waren im Harne reichliche 


Mengen gepaarter Glykuronsäuren nachweisbar. Die nebenher, 


auftretende kleine Menge der zweibasischen Säure muß ich auf 
die Verunreinigung mit Geraniol zurückführen und halte es für 
sicher, daß im Nerol ein vom Geraniol abweichender Körper 
vorliegt. Betreffs der Konstitution der zweibasischen Säuren bin 
ich bereits auf Grund früherer Untersuchungen zu dem Ergebnis 
gelangt, daß nicht eine der beiden endständigen Methylgruppen, 
sondern die am Kohlenstoffatom „5“ sitzende Methylgruppe zu 
COOH im Organismus oxydiert worden ist; dagegen mußte ich 
die Frage nach der Lage der doppelten Bindungen offen lassen. 
Herr Prof. C. Harries zu Berlin, dem ich einige Gramme der neuen 
Säure seinerzeit zur Verfügung stellte, hat durch seine Unter- 
suchung meine Auffassung bestätigen können und mir folgendes 
mitgeteilt: „Das Präparat schmolz direkt abgelesen bei 175 bis 180° 
nach dem Umkristallisieren aus Methylalkohol — 1 g wird von 
etwa 12 ccm davon bei Siedetemperatur aufgenommen — wurde 


*) Arch. f. experim. Pharm. u, Path. 46, 266 (1901.) 
**) Das. 45, 121 (1901.) 


Über das biologische Verhalten von Nerol, Geraniol, Cyclogeraniol. 253 


der Schmelzpunkt bei 192 bis 194° konstant.“ Die Kristalle bilden 
kleine derbe reinweiße Prismen. Nach der Entstehung der Säure 
aus Citral, der Elementaranalyse und ihrem Verhalten gegen Brom 
kommt ihr die Formel einer Dikarbonsäure mit zwei Athylen- 
Bindungen zu: 


entweder Ta: 4 >C — CH. CH,.CH,.C= CH. COOH 
3 
COOH 
ab Tb: el CH CH, CH C CH,.C00H 
COOH 
& CH; n { EN an ei A a 
oder Ha: COOH >U = CH R GEL; e GER% - C _— CH ; COOH 
CH, 
er rel cı ch cH = 6. CH.COoH 
eZzW. ): COOH - == - Dre ir, IL 


Zugunsten der Formel la resp. Ib konnte sehr leicht ent- 
schieden werden durch folgenden Versuch: Die Säure wurde mit 
Ammoniak eingedampft; dabei entstand ein festes Ammoniumsalz. 
Dasselbe wurde mit viel Zinkstaub verrieben und im Rohr erhitzt. 
Ein hineingehaltener, mit verdünnter Salzsänre befeuchteter 
Fichtenspan nahm dabei eine intensive kirschrote Färbung an*). 
Hierdurch ist zur Evidenz bewiesen, daß die Säure der Bern- 
steinsäurereihe angehört; denn nur eine solche kann bei der 
Zinkstaubdestillation des Ammoniumsalzes ein Pyrrolderivat er- 
geben, welches die Fichtenspan-Reaktion so intensiv anzeigt. 

Dann wurde noch die Entscheidung der Frage über die Kon- 
stitution nach Ia oder Ib versucht. Zu dem Zwecke wurde die 
Säure in wässeriger Lösung mit 22 proz. Natriumamalgam energisch 
behandelt, hierbei blieb sie aber ganz unverändert; sie konnte 
quantitativ wieder gewonnen werden. Daraus geht nach meiner 
Meinung hervor, daß eine Säure der Formel Ib vorliegt; denn 
eine Säure der Formel Ia gehört der Malein- oder Fumarsäure- 
reihe an und müßte sich durch Natriumamalgam leicht zur zu- 
gehörigen Bernsteinsäure reduzieren lassen. Anhydrierungsversuche 
vermittelst Azetylchlorid blieben erfolglos. Es handelt sich sonach 
wahrscheinlich um: 


&:=6_ CH. eH,.cH—c— CH,.C00H 


COOH 
d. i. 7 Methyloktadien(.6)disäure (1.3). 
Greifswald Juni 1903, Pharmakol. Inst. 


*) Vgl. Neuberg, Zeitschr. f. physiol. Chemie 31, 574 (1901). 


XXI. 


Über die Beurteilune des Fäulniszustandes 
fep) 
von Fleisch nach dem Gehalt an Bernsteinsäure. 


Von Dr. H. Wolff, 
(chem. Assistent a. d. I. med. Klinik in Berlin.) 


Aus der I]. med. Klinik der Univ. Berlin (Abteilung für Krebsforschung). 
(Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. E. v. Leyden.) 


Die Frage nach dem Vorhandensein bzw. der Entstehung von 
Bernsteinsäure in frischen oder der Zersetzung unterworfenen 
Organen schien durch die Arbeiten von Salkowski, Blumen- 
thal und Magnus-Levy vollständig beantwortet zu sein. Nun 
erschien vor kurzem eine Arbeit von Kutscher und Steudel*), 
die eine Nachprüfung dieses Problems immerhin geboten er- 
scheinen ließ. 

In ihrer Mitteilung „Über Methoden zur Begutachtung des 
Fleischextraktes“ besprechen die genannten Verfasser die von 
ihnen gefundene auffallende Tatsache der Anwesenheit großer 
Mengen von Bernsteinsäure in Liebigs Fleischextrakt. 

Dieser Befund — aus je 50 g Fleischextrakt konnten 0,325 
bis 1,103 g der Säure isoliert werden — erregt deshalb einiges 
Befremden, da er darauf hinzudeuten scheint, daß bei der Be- 
reitung des Extraktes faulendes Fleisch zur Anwendung gelangt. 
Nach Salkowskis und Blumenthals Arbeiten findet sich Bern- 
steinsäure nämlich nicht in frischem Fleisch, sondern tritt erst bei 
der Fäulnis als Stoffwechselprodukt von Bakterien auf. Nach 
Magnus-Levy*) soll auch ohne bakterielle Wirkung bei der 
„Autolyse“ von Organen Bernsteinsäure entstehen. „Jedenfalls 
waren aber auch in diesem Fall — sobald sich Bernsteinsäure 
fand — die Organe völlig ungenießbar. Trotzdem scheuen sich 


*) Über Methoden zur Begutachtung des Fleischextraktes, Zeitschr. f. 
physiol. Ohemie 38, 101. 
**) Diese Beiträge 2, 261. 


| Über die Beurteilung des Fäulniszustandes von Fleisch usw. 955 


Kutscher und Steudel, das oben erwähnte ungünstige Urteil zu 
fällen, da ihnen „der ausgezeichnete Ruf von Liebigs Compagnie“ 
eine hinlängliche Garantie dafür bietet, daß zur Darstellung des 
Fleischextraktes nur tadelloses Ausgangsmaterial verwandt wird. 

Nun ließe sich sehr wohl eine Erklärung für die Anwesenheit 
von Berusteinsäure im Extrakt denken: Blumenthal hat in 
seiner Arbeit”) nur frisches und stark faulendes Fleisch unter- 
sucht; es erscheint aber keineswegs ausgeschlossen, daß in einem 
Zwischenstadium, in dem sich das Fleisch noch als genießbar be- 
zeichnen ließe, bereits so viel Bernsteinsäure gebildet ist, wie den 
von Kutscher und Steudel gefundenen Mengen entspricht. 

Durch die vorliegende Arbeit glaube ich indessen nachge- 
wiesen zu haben, daß diese Erklärungsmöglichkeit fortfällt. Nimmt 
man nämlich an, daß zur Herstellung von 50 g Fleischextrakt 
3 kg Fleisch erforderlich sind — ein Wert, der sicher nicht zu 
niedrig gewählt ist —, so müßten sich zur Deckung des kleinsten 
von Kutscher und Steudel gefundenen Gehaltes an Bernstein- 
säure (0,325 g in je 50 g Fleischextrakt) in I kg Fleisch über 
0,100 g Bernsteinsäure finden. Das Fleisch, in dem ich aber 
solche Quantitäten fand, war als ungenießbar zu bezeichnen. Gleich- 
zeitig konnte ich bestätigen, daß frisches Rindfleisch Bernstein- 
säure nicht oder nur in Spuren enthält”*). 

Zur quantitativen Bestimmung wählte ich die Fällung der 
Bernsteinsäure als Sılbersalz. Ich überzeugte mich davon, daß 
diese vor dem vielfach geübten Bleiverfahren*”) besonders bei 
kleinen Quantitäten den Vorzug verdient, wenn man bei der Fällung 
folgende kleine Modifikation anbringt. Statt das Säuregemisch 
schwach ammoniakalisch zu machen und dann Silbernitrat zuzu- 
setzen, fügte ich Silbernitrat zu der noch sauren Lösung, gab 
tropfenweise Ammoniak zu, bis gerade ein Niederschlag entstand, 
filtrierte, setzte zum Filtrat einen Tropfen Ammoniak, filtrierte 
durch dasselbe Filter und fuhr so fort, bis das Filtrat auf Zusatz 
von Ammoniak klar blieb: Man kann so leicht einen Überschuß 
von Ammoniak vermeiden, der einen Teil des Silbersalzes wieder 
auflösen würde. 

Aus 0,0500 g Bernsteinsäure erhielt ich auf diese Weise 
0,138 g Silbersalz — 0,049 Bernsteinsäure, bei einer anderen Probe sogar 
0,139 „ “ — 0,0495 3 also 98 bis 99 Proz. der ange- 
wandten Menge. Mit Salzsäure aus dem Silbersalz in Freiheit gesetzt, 
kristallisierten beim Einengen im ersten Falle 0,044, im zweiten 0,045 g, 


*) Virchows Archiv 137, 539 (1899). 
'*) Vergl. Salkowski, Zeitschr. f. klin. Med. Suppl. z. Bd. 17, 77 (1890). 
*#*) Virchows Archiv 137, 544. 


956 H. Wolif, 


also 88 und 90 Proz., aus. Nach der von Blumenthal angewandten 


Bleimethode konnten bei zwei Proben 0,040 und 0,043, also 80 und 86 Proz., 
wiedergewonnen werden. 


Zur Prüfung der Methoden bei der Isolierung aus Säure- 
gemischen, wie sie bei der Fleischfäulnis vorliegen, wurden je 
0,100 (a), 0,300 (b) und 0,500 (ce) g Bernsteinsäure mit ejnigen 
Kristallen Phenylessigsäure und Hydrozimtsäure und etwas Milch- 
säure versetzt. Die Mischung wurde sodann mit verdünnter Soda- 
lösung aufgenommen, mit Schwefelsäure gerade sauer gemacht und 
mit Äther extrahiert. Der ätherische Auszug enthielt — Blumen- 
thals Angaben entsprechend — neben der Phenylessig- und Hydro- 
zimtsäure nur Spuren Bernsteinsäure*). Letzterer wurde nach 
stärkerem Ansäuern mit dem Alkoholäther-Gemisch ausgeschüttelt 
und nach dem Verdampfen und Aufnehmen mit Wasser als Silber- 
salz gefällt. 

Resultat: 


der daraus berechneten | der freigemachten und 


Menge des Silbersalzes DB: | FR F 
= Bernsteinsäure-Menge |auskristallisierten Säure 


a) 0,217 0.0772. =97 Pr0a2. 002 TEE 
b) 0,625 0,2293. = 74 4 0,214 74 . 
6) 1,105 VIE TB . 0,367. = 78 b 


Dieselben Mengen Bernsteinsäure in derselben Weise behandelt, nur 
zuletzt nach der Blei-Methode von Blumenthal®*) isoliert, gaben 
folgende Resultate: 


2 - Differenz mit der aus dem Silbersalz 
Mit dem Bleiverfahren e Fe To, bersä 
e BAR direkt gewonnenen 
_kristallisierten: berechneten } “ 
Menge: 
a) 0,066 g = 66 Proz. 11 Proz. | 6 Proz. 
BD) ERDE # RE "Der > 
6). 0,359 .,: >= 98 4 Dur, Kir 


Nachdem ich so festgestellt hatte, daß wenigstens bei kleinen 
@Quantitäten Bernsteinsäure die Silbermethode empfehlenswerter 
ist, begann ich die Ausführung der eigentlichen Untersuchungen 
in drei Versuchsreihen. 

I. Versuchsreihe. 

2 kg Rindfleisch, frisch vom Schlächter geholt***), wurden in vier 
Teile zu je 500 g geteilt, einer sofort behandelt, die übrigen mit Pergament- 

*) Ich überzeugte mich jedesmal davon, daß tatsächlich nur Spuren in 
den Ather übergehen, bisweilen versagte sogar die Pyrrolprobe (Neuberg, 
Zeitschr. f. physiol. Chemie 31, 574). 

**) loc. cit, 

***) Nach dessen Angaben am vorhergehenden Tag geschlachtet, ebenso 
bei den beiden andern Versuchen. 


Über die Beurteilung des Fäulniszustandes von Fleisch usw. 957 


papier umwickelt in den Eisschrank gelegt. An jedem Tag wurde ein 
Teil folgendermaßen verarbeitet: 
fe) S . 
Das mit der Maschine zerkleinerte Fleisch wurde mit 1!/s Liter 
Wasser übergossen und zwei Stunden auf 100° erwärmt, dann koliert und 


scharf ausgepreßt. Das Filtrat wurde — nach dem Vorgange von 
Kutscher und Steudel — kalt mit Ammonsulfat gesättigt, von den 


abgeschiedenen Eiweißstoffen abfiltriert, mit etwas Soda versetzt und auf 
etwa 3/4 des Volumens verdampft. Nach dem Erkalten und Filtrieren 
wurde mit Schwefelsäure gerade angesäuert, dreimal mit Ather ausge- 
schüttelt (zur Entfernung etwa vorhandener Hydrozimt- und Phenyl- 
essigsäure), dann. stark sauer gemacht und sechsmal mit Alkoholäther 
ausgeschüttelt. Von den gesammelten alkoholisch-ätherischen Auszügen 
wurde !/;o gesondert abgedampft, um direkt zum qualitativen Nachweis 
der Bernsteinsäure mittelst der „Husten-* und „Pyrrolprobe* zu dienen. 
Der Rest, der °/ıo des Gesamtgehaltes enthielt, wurde zur quantitativen 
Bestimmung verwandt. Die Resultate waren folgende: 

1. Tag: Fleisch ganz frisch; Dampf- und Pyrrolprobe negativ. 

2. Tag: Fleisch frisch, deutlich positive Dampfprobe und Pyrrol- 
reaktion. 

3. Tag: Fleisch noch immer frisch; ziemlich intensive Reaktionen. 

4. Tag: Fleisch „angegangen“, d. h. äußerlich etwas faulend, im 
Inneren frisch. 

Das wässerige Extrakt zeigt nicht den geringsten fauligen Geruch: 
Dampf- und Pyrrolprobe intensiv. 

Aus ?/ıo des Extraktes isolierbar 0,080 g Silbersalz — 0,0284 Bern- 
steinsäure; auskristallisiert 0,025 (Schp. 179 °). 


II. Versuchsreihe. 


5 kg Fleisch wurden in fünf ‚Portionen & I kg zerlegt und jeden 
zweiten Tag untersucht. Die “Aufbewahrung geschah wie bei I in 
Pergamentpapier und im Eisschrank. 

Die Verarbeitung war der bei I beschriebenen analog, nur wurde 
nach dem Auftreten quantitativ bestimmbarer Bernsteinsäuremengen das 
gesamte Alkoholäther-Extrakt zur Bestimmung benutzt. 

1. Tag: Fleisch frisch; Dampf- und Pyrrolprobe negativ. 

3. Tag: Fleisch frisch; Dampfprobe positiv, Pyrrolreaktion fraglich. 

5. Tag: Fleisch „angegangen“; das Extrakt riecht gut. 

Das Fleisch kann (ebenso am 4. Tag von I) noch als genießbar be- 
zeichnet werden. 

Dampf- und Pyrrolprobe intensiv; isoliert (aus °/ıo): 0,133 g Silber- 
salz —= 0,047 Bernsteinsäure; kristallisiert 0,042 g (Schp. 179°). 

7. Tag: Fleisch faulig, Extrakt desgleichen ; ungenießbar! 

Aus der Gesamtmenge isoliert: 0,211 g Silbersalz = 0,075 Säure; 
auskristallisiert 0,069 g (Schp. 178°). 

9. Tag: Fleisch faul 0,618 g Silbersalz = 0,219 g. Säure; aus- 
kristallisiert 0,201 g (Schp. 180°). 


II. Versuchsreihe. 
4 kg Fleisch wurden in Portionen & 1 kg am 1., 3., 5. und 9. Tag 
untersucht. 
1. Tag: Fleisch frisch; Dampf- und Pyrrolprobe positiv! 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 17 


- 


958 H. Wolff, Über die Beurteilung des Fäulniszustandes usw. 


3. Tag: Fleisch frisch; Dampf- und Pyrrolprobe positiv, nichts 
isolierbar. 

5. Tag: Fleisch angegangen, Extrakt frisch; isolierbar (aus ?/ıo) 
0,118 g Silbersalz —= 0,042 g Säure; auskristallisiert 0,039 g (Schp. 181°). 

9. Tag: Fleisch mäßig faul, Extrakt ebenso, aber völlig ungenießbar; 
isoliert (aus dem Gesamtauszug) 0,488 g Silbersalz = 0,173 g Säure; 
auskristallisiert 0,168 g Säure (Schp. 179°). 

Wie aus diesen Versuchen hervorgeht, war bei den Verhält- 
nissen, unter denen ich arbeitete, vom 

1. bis 3. Tag gar keine oder eine nur qualitativ nachweisbare 
Menge Bernsteinsäure in dem noch frischen Fleisch vorhanden; 

vom 4. bis 5. Tag konnte man das Fleisch als nicht mehr 
frisch, aber noch genießbar ansehen. Die Menge der Säure betrug 
(auf 1 kg berechnet) 

Berechnet aus dem Silbersalz: 0,063 0,052 . 0,047 g 
Direkt gewogen: 0,056 0,047 0,043 8 

Am 7. Tag war sowohl Fleisch, wie wässeriger Auszug faul. 
Es berechneten sich Bernsteinsäure 0,075, während 0,069 aus- 
kristallisierten. \ 

Am 9. Tag endlich wurden durch Berechnung 0,219 und 0,1738, 
durch Wägung 0,201 und 0,168 g gefunden. 

Nach diesen Ergebnissen scheinen also die größten Mengen 
Bernsteinsäure in den letzten Stadien der Fäulnis gebildet zu 
werden: Zwischen den am 5. und 7. Tag (II. Versuchsreihe) ge- 
fundenen Bernsteinsäuremengen ist die Differenz nur 0,027 g, 
während der Unterschied am 7. und 9. Tag 0,132 g beträgt. Dafür 
spricht auch, daß Blumenthal in sehr stark faulendem Rind- » 
fleisch 1,3 bis 1,8 g Bernsteinsäure pro Kilo fand, also 1 bis 158g 
mehr als ich am 9. Tage und etwa 6 bis I9mal so viel. 

Die Frage aber nach dem Ursprung der erheblichen Quantı- 
täten Bernsteinsäure, die Kutscher und Steudel in Liebigs 
Fleischextrakt fanden, bleibt unbeantwortet. Eine Aufklärung 
wäre hier indessen sehr erwünscht, da es natürlich von lebhaftem, 
auch praktischem Interesse ist, ob die Darstellungsweise des 
Präparates oder die Verwendung schlechten Ausgangsmaterials das 
Vorhandensein der Bernsteinsäure veranlaßt. 


XXIII. 

Über die Einwirkung der Trypsinverdauung auf die 
Präzipitinreaktion. 

Von Dr. phil. et med. Karl Oppenheimer, Assistenten des Instituts. 


(Aus dem tierphysiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hochschule Berlin, 
Dir. Prof. Dr. N. Zuntz.) 


Eine der prinzipiell wichtigsten Fragen auf dem Gebiete der 
Präzipitinreaktion ist die, ob die beiden Komponenten, durch deren 
Zusammenwirken der spezifische Niederschlag entsteht, nämlich 
das Präzipitin einerseits, und der spezifische Anteil der zu 
fällenden Eiweißlösung andererseits, Eiweißstoffe sind, bzw. den 
Eiweißstoffen zugehören, oder ob es sich um selbständige Stoffe 
handelt, die den Eiweißkörpern der Lösungen nur mechanisch 
beigemengt sind. 

Zur Entscheidung dieser Frage hat man sich außer anderer 
Methoden auch der Einwirkung der Proteasen bedient, in der 
Annahme, daß eine Resistenz der spezifischen Agentien gegen 
die proteolytischen Fermente gegen ihre Eiweißnatur sprechen 
müßte. 

Wie zuerst L. Michaelis”) zeigte, und wie Michaelis 
und Oppenheimer“*) des näheren ausführten, ist sowohl das 
Präzipitin selbst, als auch die „bindende Gruppe“ der zu 
fällenden Substanz gegen Pepsinsalzsäure außerordentlich empfind- 
lich. Auf diese Tatsache, die seither von verschiedenen Seiten 
bestätigt wurde, sei also hier nur hingewiesen. 

Sie genügte an sich nicht, um die Zusammengehörigkeit der 
präzipitinbildenden Agentien mit den Eiweißstoffen zu erweisen, 
da die Wirkung dieses Agens auch andere spezifische Stoffe 
schädigt, die man ebenfalls nicht zu den Eiweißstoffen rechnet, 


*) L. Michaelis, Untersuchungen über Eiweißpräzipitine. Dtsch. Med. 
Woch. 1902. 
**) Michaclis und Oppenheimer, Über Immunität gegen Eiweiß- 
körper. Engelmanns Arch. f. Phys. 1902. Suppl.-H. 336. 
17% 


- 


260 Karl Oppenheimer, 


wie Diphtherieantitoxin und Rizin. Diese sind aber gegen 
Trypsin ziemlich resistent [Belfanti*), Pick**), Jacoby**”)], 
so daß mit Recht die Trypsinwirkung als die weitaus bedeutungs- 
vollere zur Entscheidung dieser Frage angesehen wird. 

Über diese Frage entstand nun zwischen Obermayer und 
Pickr) einerseits und Michaelis und mir (l. ce.) andererseits 
eine Differenz. Während nämlich die ersteren für das Eierklar 
eine Resistenz des Präzipitins gegen Trypsin angegeben haben, 
fanden wir, daß die bindende Gruppe des Blutserums sowohl, 
als auch das Präzipitin gegen Blutserum bei energischer Trypsin- 
verdauung mit dem KEıweiß vernichtet wird. Da es an sich 
durchaus möglich war, daß das Eiklar sich anders verhält als das 
Serum, so nahm ich Veranlassung, die entsprechenden Verhältnisse 
am Kiklar einer Nachprüfung zu unterziehen. 

Dazu mußten drei Fragen beantwortet werden: 1. Kann man 
durch Injektion von tryptisch verdautem Eiererweiß noch ein 
Präzipitin erzeugen? 2. Wirkt ein starkes Antieierserum noch 
auf tryptisch verdautes Eiklar? 3. Kann man die präzipitierende 
Wirkung dieses Serums durch die Trypsinverdauung aufheben? 


1. 

90 cem geschlagenes Eiweiß wurden mit 100 ccm Wasser, 1 g Soda und 
3 e Pankreatin-Rhenania mit etwas Chloroform verdaut. Nach fünf Tagen 
starker Bodensatz von Tyrosin, das durch seine Kristallform und die 
üblichen Identitätsreaktionen nachgewiesen wurde, Die Flüssigkeit filtriert 
klar; beim Aufkochen nach Ansäuern mit Essigsäure noch 
starke Trübung. Zusatz von 1 g Pankreatin. Beim weiteren Stehen 
scheiden sich immer wieder geringe Tyrosinmengen ab, von denen abfiltriert 
wird, Schließlich wird die Flüssigkeit inkoagulabel und gibt keine 
3iuretreaktion mehr. Eine zweite Portion Eierklar wurde bei fast identischer 
Behandlung in neun Wochen inkoagulabel, gab aber noch starke Trypto- 
phanreaktion. 

Mit diesen Präparaten (hintereinander) wurde nun ein großes 
Kaninchen von etwa 2500 & monatelang in Portionen von 2 cem aul- 
steigend bis 15 eem intraperitoneal behandelt. 

Die oft wiederholten Probeblutentnahmen zeigten niemals auch nur 
eine Spur von Präzipitinreaktion, weder mitnormalem filtriertem Eiklar, 
noch mit dem Verdauungsgemische selbst. 


*) Belfanti und Carbone, Contrib. alla conoscenza dell’ antitoss. Sift. 
Arch. per le scienze med. 22, No. 2. 
**) BE. P. Pick, Zur Kenntnis der Immunkörper. Diese Beiträge 1, 351 (1901). 
***) Jacoby, Über Rizinimmunität. Diese Beiträge 1, 51 (1901). 
+) Obermayer und Pick, Biol. Chem. Studien über das Eiklar. 
Wiener klin. Rdsch. 1902, No. 15. 


"Über die Einwirkung der Trypsinverdauung usw. 261 


IE 

Das Serum eines Kaninchens, das mit frischem Eiklar ein kräftiges 
Präzipitin gab, zeigte mit den beiden verdauten Präparaten in wieder- 
holten Versuchen niemals die geringste Präzipitinreaktion. 

Es wurde auch gegen eine durch Papain verdaute Eiklarlösung 
geprüft. 

100 g Eiklar wurden mit 280 ccm, 0,8-proz. NaCl und 10 g Papain- 
Merck bei natürlicher Reaktion etwa drei Wochen verdaut. Die filtrierte 
Flüssigkeit zeigt noch schwache Trübung beim Aufkochen in schwach 
saurer Lösung, die wohl auf Eiweißstoffe des Papains zurückzuführen ist, 
und noch starke Biuretreaktion. 

Trotzdem ist die Präzipitinreaktion nicht mehr hervorzurufen: 

0,3 Serum, 0,1 Ei 


Ei, 3fach verdünnt Ei, 10fach verdünnt 
++ ++ 
Papain-Ei (3fach verd.) — | Papain-Ei (3fach verd.) — 
(nach 2 h.) (nach 24 h.) 

IL, 


Dem Kaninchen, das das starke Bierpräzipitin zeigte, werden aus 
der lugularis etwa 10 cem Blut entnommen; das gewonnene Serum 
mit der gleichen Menge Wasser, 1 g Trypsin und einigen Tropfen 
Chloroform verdaut. 

Nach drei Tagen noch eine Messerspitze Pankreatin. Nach 14 Tagen 
ist das Serum inkoagulabel, gibt noch Biuretreaktion. 

Prüfung auf Präzipitin gegen filtriertes Eierklar ist 
absolut negativ; auch nach 24 h. nicht die geringste Trübung, die 
über die minimale Trübung der Kontrollflüssigkeiten (Serum und Ei 
jedes für sich) hinausgeht. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß alle drei Fragen in 
identischem Sinne beantwortet sind: Durch energische Trypsin- 
verdauung ist sowohl die bindende Gruppe, als auch das Präzipitin 
glattzu vernichten. DasEierklar verhältsich in keiner 
Weise anders als das Blutserum. Die entgegenstehenden 
Resultate von Obermeyer und Pick sind wohl daraus herzu- 
leiten, daß die beiden Forscher nicht so weit abgebaut haben, daß 
die Koagulation völlig verschwunden war, was, wie wir oben zeigten, 
auch beim Eierklar ziemlich lange dauert. Die Betrachtungen, die 
wir an die Tatsache der Verdaulichkeit durch Trypsin angeknüpft 
haben, bleiben also auch bezüglich des Eierklars zu Recht bestehen. 


Kürzere Mitteilungen. 


2. Bemerkung zu der Arbeit von K. G@laessner „Über die 
antitryptische Wirkung des Blutes“. 
(Diese Beiträge 4, Seite 83.) 


Von K. Landsteiner. 


In der angeführten Arbeit teilt Glaessner die Resultate von Ver- 
suchen über die Ausfällung antitryptischer Stoffe aus Blutserum mit und 
macht auf den Gegensatz zwischen seinem Ergebnis und einer Angabe 
von mir aufmerksam. Dazu möchte ich bemerken, daß ich bei einer 
Wiederholung dieser Versuche selbst zu einem abweichenden Resultat 
gekommen bin und darüber schon vor einiger Zeit berichtet habe*). Die 
Ursache des auch jetzt noch bestehenden Widerspruches in den Angaben 
werde ich mich aufzuklären bemühen. 


*) C'entrabl. f. Bakteriol. 31, 784. 


Verlag von Aug. Hirschwald in Berlin. 


Soeben erschien: 
Die chemische Pathologie der Tubereulose. 


Bearbeitet von Docent Dr. Clemens, Docent Dr. Jolles, Prof. Dr. R. 
May, Dr. von Moraczewski, Dr. Ott, Dr. H. von Schroetter. 
Docent Dr. A. von Weismayr. 

Herausgegeben von Dr. A. Ott. 

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Hermann von Helmholtz 


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Mit 9 Bildnissen in Heliogravure und einem Brieffacsimile. 
Gr. 80. In vornehmer Ausstattung. 
Preis des vollständigen Werkes geh. M. 20.—, 
geb. in Leinwd. M. 25.—, geb. in Halbfrz. M. 31.—. 


IM“ dem soeben zur Ausgabe gelangten dritten Bande des hochbe- 
deutenden Werkes ist die grosse Helmholtz-Biographie von 
Leo Koenigsberger, welche als eine biographische Leistung ersten Ranges 
für die gesamte wissenschaftliche Welt und für weite Kreise des ge- 
bildeten Publikums von dem grössten Interesse ist, vollständig 
erschienen. 

Die Entwickelung, das Leben und Wirken und die Bedeutung 
einer Persönlichkeit zu schildern, die durch den Umfang und die Tiefe 
des Wissens und die Macht des Könnens die meisten ihrer Zeitgenossen 
überragt, alle Welt durch das Produkt ihrer Arbeit während mehr als 
eines halben Jahrhunderts in Staunen und Bewunderung versetzt und 
der Wissenschaft neue fundamentale Lehren geschenkt und neue Wege 
zu fruchtbarer Tätigkeit gewiesen hat, war eine ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe, deren Durchführung dem Verfasser, welchem nicht 
nur die Feder, sondern auch die auf eingehender Sachkenntnis ruhende 
Teilnahme für Person und Stoff zu Gebote stand, in vollendetem 
Masse gelungen ist. 

Dem grossen Naturforscher und Gelehrten ist mit 
dieser meisterhaften Darstellung seines in der Geschichte 
der Wissenschaft wohl einzig dastehenden Entwickelungs- 
ganges und seiner unvergleichlichen Lebensarbeit ein 
würdiges Denkmal errichtet worden, wie es der Mit- 
und Nachwelt nicht schöner überliefert werden konnte, 

RE N. 


en} 


Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 


BSZZZLZZLZZLLZELLZ 


06T .3 1904 


Beiträge 


zur 


Chemischen Physiologie 


und 


Pathologie 


Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen. herausgegeben 
von 


Franz Hofmeister 


0. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 7. und 8. Heft 
(Ausgegeben September 1903) 


Braunschweig 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


Sm 
19203 


Inhalt des 7. und 8. Heftes. 


. Seite 
XXIV. Carl Oppenheimer. Über das Schicksal der mit Umgehung 


des Darmkanals eingeführten Eiweißstoffe im Tierkörper. 

[Aus dem tierphysiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hochschule 

in Berlin. (Dir. Prof. Dr. N. Zuntz J Le 263 
XXV. Carl Oppenheimer und Hans Aron. Über das Yalaıı 

des genuinen Serums gegen die tryptische Verdauung. [Aus 

dem tierphysiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hochschule in 


Berlin. (Din, Prof. Dr._N. Zunie) - . =. 279 
XXVI. K.Spiro. Die Fällung von Kolloiden. (Aus dem ie 
chemischen Institut zu Strassburg) . . . . 300 


XXVII. Siegfried Tauber. Über einige Derivate des Tanke ee 
die Synthese der Taurocholsäure. (Aus dem physiologisch- 
chemischen Institut zu Strassburg) -» . . . 323 
XXVII. fvar Bang. Chemische Untersuchungen der ee 
Organe. (Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium 
zu Lund, Schweden.) Zweite Mitteilung . . . . 331 
XXIX. Ivar Bang. Chemische Untersuchungen der ap 
Organe. (Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium zu 
Lund, Schweden.) Dritte’ Mittelung. . . » . 2. u zr2e8 
Kürzere Mitteilungen. 
3. Emil Zdarek. Bemerkungen zu der en von L. Lang- 
stein „Zur Kenntnis der Ochronose*. . 378 
4. Fritz Rosenfeld. Über das Noel de Fhönyielsails 
im tierischen Organismus. [Aus der I. medizin. Klinik d. 
Unwersit. Berlin. (Dir. Geh. Rat. E. v. Leyden)| . . . 379 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie“ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 36 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 

Die Ausgabe der Hefte erfolgt nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 

Manuskriptsendungen sind an den Herausgeber, Straßburg i. E,, 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 

Bei der Aufnahme von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und Übersichtlichkeit der Darstellung maßgebend sein. 
Die Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung überschreiten, können nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solchen 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 

Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


u ee ee En Pe 


XXIV. 


Über das Schieksal der mit Umgehung des Darm- 
kanals eingeführten Eiweißstoffe im Tierkörper. 
Von Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer, Assistenten des Instituts. 


(Aus dem tierphysiol. Inst. der Landwirtschaftl. Hochschule Berlin, 
Dir. Prof. Dr. N. Zuntz.) 


Die Frage nach der Aufnahme und Verwertung der dem 
tierischen Organismus zugeführten Eiweißsubstanzen ist durch 
grundlegende Untersuchungen der letzten Jahre in neue Bahnen 
gelenkt worden. 

War auch schon von älteren Autoren der Satz vertreten 
worden, daß die Eiweißstoffe nur in gelöstem Zustande der 
Assimilation entgegengeführt werden, so geht doch die moderne 
Anschauung sehr viel radikaler vor, indem sie den Satz aufstellt, 
daß der Aufnahme der Eiweißstoffe im Darm eine Spaltung 
vorhergehen muß, die recht weitgehend ist. 

Kutscher und Seemann‘) zeigten, daß sich im Darminhalt 
die Endprodukte der tryptischen Verdauung, Aminosäuren und 
Hexonbasen, direkt nachweisen lassen. Cohnheim**) gelang es, 
das Verschwinden der Peptone aus dem Darm auf die Wirksamkeit 
eines eigenen Enzyms, des Erepsins, zurückzuführen, das die 
peptischen Abbauprodukte (Albumosen, Peptone) in einfachere 
kristalloide Stoffe, wie Aminosäuren und Hexonbasen überführt. 

Aus diesen einfachen Körpern soll der Organismus dann in 
einer Synthese die ihm eigenen Eiweißkörper seines Protoplasmas 
aufbauen. Daß eine derartige Synthese anzunehmen gestattet ist, 
zeigten die zahlreichen Arbeiten früherer Autoren, nach welchen ge- 
wisse Bruchstücke des Eiweißmoleküls, namentlich die Aminosäuren, 


*) Kutscher und Seemann, Zur Kenntnis der Verdauungsvorgänge 
im Dünndarm I und II. Zeitschr. f. physiol. Chemie 34, 530; 35, 432 (1902). 

*) Cohnheim, Die Umwandlung des Eiweiß durch die Darmwand. 
Zeitschr. f. physiol. Chemie 33, 451 (1901). Weitere Mitteilungen über das 
Erepsin. Zeitschr. f. physiol. Chemie 35, 134 (1902). Trypsin u. Erepsin. 
Zeitschr. f. physiol. Chemie 36, 13 (1902). 


Kr 


964 Carl Oppenheimer, 


im Organismus als Eiweißsparer ausgenutzt werden*), sowie vor 
allem die Versuche von Loewi”*), denen zufolge tatsächlich jenes 
Gemisch von kristalloiden Spaltungsprodukten, das er in einer 
biureifrei gewordenen Lösung der Produkte der Pankreasselbst- 
verdauung vor sich hatte, hinreicht, um den Organismus des Ver- 
suchshundes auf Stickstoffgleichgewicht zu erhalten. 

Freilich erhoben andererseits Embden und Knoop““), sowie 
Langsteiny) den Befund, daß auch Albumosen in der Blutbahn 
vorkommen, eine RN die dahin gedeutet wird, daß jene 
Albumosen ungespalten die Darmwand passiert haben und als 
solche zur weiteren Verarbeitung zu Organeiweiß benutzt werden. 

Für die vorliegende Problemstellung ist dies prinzipiell gleich- 
giltig, denn auch durch diesen Befund wird die moderne An- 
schauung nicht erschüttert, daß es normalerweise jedenfalls‘ 
nicht genuine Eiweißstoffe sind, die in die Blutbahn 
gelangen, um hier direkt als solche oder unter nach unbekannten 
Gesetzen sich vollziehenden Modifikationen zu Organeiweiß um- 
gebildet zu werden. 

Von einer ganz anderen Seite her fanden diese Schlüsse eine 
Bestätigung. 

Wir haben in der „biologischen Reaktion“ des Tierkörpers 
auf genuine Eiweißstoffe, die in der Blutbahn kreisen, in der 
Präzipitinbildung, ein neues Mittel gewonnen, das uns die 
Anwesenheit von solchen unveränderten Eiweißstoffen in der 
Blutbahn anzeigt. Wenn also Nahrungseiweiß unverändert den 
Darm passierte, so müßte es durch diese Reaktion im Blute nach- 
weisbar sein; und daß dies normalerweise nicht der Fall ist, gibt 
auf anderem Wege jenen aus analytischen und synthetischen 
Befunden gezogenen Schlüssen neue Beweiskraft. 

Freilich ist diese Unpassierbarkeit der Darmwand für unver- 
änderte fremde Eiweißkörper keine absolute. | 

Unter gewissen Bedingungen treten auch sie unverändert 
durch die Darmwand hindurch und zeigen ihre Anwesenheit im 
Blute eben durch jene biologischen Reaktionen. 


*) Die ältere Literatur s. b. Bahlmann, Über die Bedeutung der 
Amidsubstanzen für die tierische Ernährung. Dissertation. Erlangen 1885. 
**) Loewi, Über Eiweißsynthese im Tierkörper. Archiv f. experim. 
Pathologie 48, 303 (1902). 
*=) Embden und Knoop, Über das Verhalten der Albumosen in der 
Darmwand. Diese Beiträge 3, 120 (1902). 


1) Langstein, Über das Vorkommen von Albumosen im Blut. Diese 
Beiträge 3, 373 (1903). 


Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 9265 


Diese Bedingungen können z. B. dadurch erfüllt sein, daß 
den natürlichen Kräften des Darmes, die sonst die Veränderung 
der zugeführten Eiweißstoffe besorgen, eine zu große Arbeit 
zugemutet wird, daß nämlich eine Überschwemmung des Magens 
mit fremden Eiweißstoffen stattfindet. Wie Uhlenhuth*) bei 
Fütterung mit großen Mengen Eiereiweiß, Michaelis und ich““) 
bei entsprechenden Versuchen mit Rinderserum am Kaninchen 
zeigen konnten, tritt bei einer Dosis von etwa 200 cem Serum 
per os bei einem 2 kg schweren Tier während 16 Tagen eine 
deutliche Präzipitinreaktion in dem Serum des Kaninchens auf. 
Daraus kann man folgern, daß bei dieser Überschwemmung der 
Verdauungswege mit großen Mengen eines noch dazu dem Tiere 
ungewohnten Nahrungseiweißes die Eiweißstoffe sich zum Teil den 
Einwirkungen entzogen haben, die sie sonst angreifen, und durch 
die Wand des Verdauungskanals hindurch in die Blutbahn 
gelangt sind. 


Daß dies aber auch unter weniger gewaltsam hergestellten 
Bedingungen der Fall zu sein scheint, dafür sprechen die Befunde 
von M. Ascoli**), der bei Hunden nach Fütterung mit rohen 
Eiern, ja sogar mit gebratenem Hühnerfleisch Präzipitine gesehen 
haben will. Freilich bedürfen diese Versuche einer Nachprüfung, 
da einerseits bisher alle Versuche, beim Hunde Präzipitine zu 
erzeugen, fehlgeschlagen sind, andererseits die Resistenz der 
präzipitablen Substanz gegen Hitze nach unseren Versuchen nicht 
sehr bedeutend ist. 


Jedoch ist diese Frage von sekundärer Bedeutung. Es ist 
sehr wohl möglich, daß auch unter ganz normalen Bedingungen 
ein geringerer Anteil des eingeführten Eiweißanteils die Barriere 
durchbricht und in der Blutbahn erscheint. Sieht man von einem 
bisher sich der Kontrolle entziehenden dritten, wichtigen Faktor 
zunächst ab, nämlich der Rolle, die hierbei die Permeabilität 
des Darmepithels für genuine Eiweißstoffe selbst spielt, so 
hängt die Menge des unverändert die Darmwand passierenden 
genuinen Eiweißes von der relativen Stärke zweier Faktoren ab, 
der zugeführten Menge genuinen Eiweiß einerseits, und der 
Aktivität der verdauenden Faktoren andererseits. Wie Michaelis 


*) Uhlenhuth, Neuer Beitrag zum spezifischen Nachweis von Eier- 
eiweiß. Deutsche med. Wochenschrift 1901, 734. 

**) Michaelis und Oppenheimer, Über Immunität gegen Eiweiß- 
körper. Engelmanns Arch. 1902. Suppl. II. 336. 

***) M. Ascoli, Neue Tatsachen und neue Ausblicke in der Lehre der 
Ernährung. Münch. med. Wochenschrift Nr. 5, 1902. 


266 Carl Oppenheimer, 


und ich (loc. cit.) gezeigt haben, ist es das Pepsin des Magens, 
das die Eiweißkörper sehr schnell angreift und ihnen die Fähigkeit 
nimmt, Präzipitine zu erzeugen. Wenn also ein genuiner Eiweiß- 
stoff im Blute erscheint, so ist er der Wirkung des Pepsins ent- 
gangen. Dies kann entweder daher rühren, daß es eine zu 
große Gabe Eiweiß war, die den Magen überflutete, besonders 
wenn es in flüssiger Form dargereicht wurde, so daß es zunächst 
unverändert in das Darmlumen gelangen konnte, oder aber daß 
die peptische Funktion zu gering war. 


Das Trypsin scheint dabei eine viel geringere Rolle zu 
spielen, da es zum mindesten gerade bei den Eiweißstoffen, mit 
denen bei diesen Versuchen experimentiert wurde, nämlich Eier- 
eiweiß und Serum, die bindende Gruppe sehr viel langsamer 
angreift als das Pepsin (Öbermayer und Pick*), Michaelis 
und Oppenheimer). 


Es hat demnach den Anschein, als ob die Eiweißkörper, wenn 
sie einmal den Magen passiert haben, auch der tryptischen Ver- 
dauung leichter entgehen, also unverändert die Darmwand passieren 
können; dies steht wiederum mit den Resultaten von Embden 
und Knoop und Langstein, daß die durch Pepsinwirkung 
entstandenen Albumosen hindurchpassieren können, in bestem 
Einklange. 

Mit der Annahme, daß unter Umständen genuine Eiweiß- 
stoffe ins Blut gelangen, stimmen auch die zahlreichen Erfahrungen 
überein, daß bei einer gewissen Durchlässigkeit des Nierenfilters 
Eiweißstoffe der Nahrung in den Harn gelangen können. Dieses 
Problem der „alimentären Albuminurie“ muß auch von dieser 
Seite her beleuchtet werden. 


So fanden z. B. Ascoli (loc. eit.) und Inouye**), daß sich 
per os eingeführtes Eiereiweiß beim Kaninchen im Harn durch die 
biologische Reaktion wiederfinden läßt. Es ist gar keine Frage, 
daß das fremde Eiweiß, wenn es erst einmal in der Blutbahn 
kreist, die Nieren passieren kann, das Nierenfilter also für fremde 
Eiweißstoffe durchlässig ist, ohne daß eine wirkliche Erkrankung 
der Niere eintritt. Dies folgt noch viel präziser aus den Versuchen 
mit direkter Injektion, auf die wir unten zurückkommen 
werden. 


*) Obermayer und Pick, Biolog. Studien über Eierklar. Wiener 
klin. Rundschau Nr. 15, 1902. 

**) Inouye, Über alimentäre Albuminurie. Archiv f. klin. Medizin 75, 
378 (1903). 


= 25. 2 ee Fee, Me Be 


Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 267 


Wenn aber die Eiweißstoffe als solche ausgeschieden 
werden, so müssen sie zuvor in der Blutbahn vorhanden ge- 
wesen sein, und es fragt sich, ob dieser Zustand der alimentären 
Albuminurie nicht viel wichtiger ist in bezug auf die Frage einer 
etwaigen Insuffizienz der Verdauungsorgane, die das Eiweiß 
passieren lassen, also eines alimentären Vorhandenseins fremder 
Eiweißstoffe im Blut, als in bezug auf die Undichtigkeit des Nieren- 
filters, die bei Einführung von Eiweißstoffen mit Umgehung des 
Darmkanals in jedem Falle besteht. 

Es ist aber auch andererseits denkbar, daß der Übertritt von 
gewissen Mengen genuinen Nahrungs-Eiweißes in die Blutbahn 
eine regelmäßige, normale Erscheinung ist, worauf wir 
bereits oben hingedeutet haben, und daß es allerdings noch be- 
sonderer, abnormer Bedingungen bedarf, um diese Anteile im 
Harn wiedererscheinen zu sehen; mit anderen Worten, daß 
der normale Organismus über Mittel verfügt, um geringe Mengen 
solchen fremden Eiweißes, das in seiner Blutbahn- kreist, 
zu zerstören, vielleicht zu assimilieren, ohne daß es im 
Harn erscheint. 

Es entsteht dabei also, ganz allgemein gesprochen, die Frage 
nach einer etwaigen Verdauung und Ausnützung von fremd- 
artigem Eiweiß, das in die Blutbahn eingetreten ist, sei 
es auf dem Wege der unveränderten Resorption vom Darmkanal 
aus, sei es durch Einführung unter Vermeidung des 
Darmkanals, subkutan, intravenös oder intraperitoneal, eine 
Einführung, die ich der Bequemlichkeit halber parenteral nennen 
möchte. 

Nun unterliegt es keinem Zweifel, daß der Organismus tat- 
sächlich im stande ist, Eiweiß, das ihm auf einem derartigen 
Wege zugeführt wird, teilweise für sich auszunutzen. 

Die ersten Versuche in dieser Hinsicht machten Menzel und 
Perco*), die Milch und Eidotter subkutan, auch bei Menschen, 
injizierten. Krueg**) und R. Pick ***) hatten ebenfalls praktische 
Erfolge mit Milch und Eidotter, ähnlich Whittacker mit 
Milch und Fleischsaft. 


*) Menzel und Perco, Über die Resorption von Nahrungsmitteln 
vom Unterhautzellgewebe aus. Wiener med. Wochenschrift Nr. 31, 517, 1869. 
**) Krueg, Künstliche Ernährung durch subkutane Injektionen. Wiener 
med. Wochenschrift No. 34 S. 753, 1875. 
*==*) Pick, Über Ernährung mittelst subkutaner Injektion. Deutsche 
med. Wochenschrift 1879, S. 31. 


268 Carl Oppenheimer, 


Systematisch wurden diese Versuche aber erst von v. Leube*) 
durchgeführt, der subkutane Ernährung mit Alkalialbuminaten 
und Syptonin vorschlug. Dagegen gibt er an, daß die genuinen 
Eiweißstoffe, Kasein und Eiereiweiß nicht direkt assimilierbar sind, 
Peptone und Albumosen aber geradezu giftig wirken und im Harn 
wieder ausgeschieden werden. 

Die ersten exakten physiologischen Beobachtungen über den 
Wert intravenös eingeführter Eiweißstoffe verdanken wir Zuntz 
und v. Mering“”), die auf eine ziemlich restlose Verbrennung der 
von ihnen injizierten Eiweißstoffe schließen konnten. Sie benutzten 
Serum, Eiereiweiß und „Pepton“, d.h. die Produkte kurzer Pepsin- 
verdauung von Fibrin. Auch Neumeister”*) konnte eine Ver- 
wertung von intravenös injizierten Eiweißstoffen nachweisen. Er 
benutzte zwar vorwiegend leicht denaturierte, wie Syntonin und 
Albuminate, erzielte aber ähnliche Erfolge auch mit genuinem 
Phytovitellin und Serumalbumin. 

LilienfeldY), dessen Arbeit sich an die Versuche von 
v. Mering und Zuntz anschließt, erzielte mit Konglutin gute 
Resultate, während er nach Syntonininjektion eine schwere 
Albuminurie' beobachtete. 

Es ist danach als erwiesen anzusehen, daß ein ge- 
wisser Teil des parenteral dem Organismus zugeführten Ei- 
weißes zur Retention und damit wohl auch zur Ver- 
wertung gelangt. 

Als Maß für die Größe dieser Verwertung kann man, mangels ° 
exakter Bilanzversuche, die anzustellen ich mir als weitere Auf- 
gabe gestellt habe, vorläufig nur die Retention annehmen, d.h. die 
Differenz zwischen der eingeführten und der im Harn wieder aus- 
geschiedenen Menge des zugeführten Eiweißes; doch sind bisher 
zahlenmäßige quantitative Beziehungen zwischen diesen Größen 
noch niemals, soweit ich ersehen konnte, festgestellt worden, eine 
Lücke, zu deren Ausfüllung die unten beschriebenen Versuche 
beitragen sollen. 

Wie schon die älteren Untersucher feststellten (Zuntz und 
v. Mering, Neumeister loc. cit.), ist die Eiweißausscheidung 
im Harn nicht stets vorhanden. Es liegt das vorwiegend an der 


*) v. Leube, Über subkutane Ernährung. Kongr. f. inn. Medizin 1895, 418, 
**) Zuntz und v. Mering, Inwiefern beeinflußt Nahrungszufuhr die 
tierischen Oxydationsprozesse? Pflügers Archiv 32, 173 (1883). 
***) Neumeister, Zur Frage nach dem Schicksal der Eiweißnahrung 
im Organismus. Sitzungsber. Phys. Med. Soz. Würzburg 1889. 
+) Lilienfeld, Versuche über intravenöse Ernährung. Zeitschrift 
f. phys. diät. Therapie 2, 3 (1899), S.-A. 


Uber das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 269 


Art des zugeführten Proteids. Namentlich vom Serumeiweiß ist 
verschiedentlich angegeben worden, daß es so gut wie gar nicht 
in den Harn übergeht. 

Stokvis* fand Eiweiß nach Injektion von Eiereiweiß, 
nicht aber von Blutserum bei Kaninchen und Hunden. Ponfick**) 
gab Hunden Lammblutserum intravenös und fand kein Eiweiß, 
ebensowenig Ott***) nach Infusion großer Mengen Pferdeserum 
beim Hunde. FriedenthalundLewandowski’f) fanden bei intra- 
venöser Einführung ziemlich geringer Mengen Serum schwere Ver- 
giftungserscheinungen und Todesfälle sehr plötzlicher Art. Da- 
gegen konnten sie Kaninchen sogar 70 ccm Kalbsserum injizıeren, 
ohne daß etwas ım Harn auftrat, wenn sie es vorher auf 58° bis 
60° erwärmten. Ob bei dieser Temperatur, die das giftige Prinzip 
des Serums zerstört, auch schon leichte Degenerationen des Eiweiß- 
moleküls selbst eintreten, die das genuine Eiweiß leichter resor- 
bierbar machen, muß dahingestellt bleiben. 

Auch das Plasmaeiweiß der Maja, einer Krustacee, wird von 
Kaninchen nicht ausgeschieden. (v. Dungern.Tff) 

Nach meinen eigenen Erfahrungen wird Pferde- und Rinder- 
serum beim Kaninchen, Milcheiweiß beim Hunde nicht oder nur 
in sehr geringen Mengen ausgeschieden, während Eiereiweiß stets 
.zum Teil wieder erscheint. 

Ich habe deshalb meine Hauptversuche mit Hühnereiweiß 
angestellt und nur einige Parallelversuche mit Serumeiweiß 
gemacht, weil beim Hühnereiweiß aus dem Verhältnis von Ein- 
führung zu Ausscheidung ein Schluß auf die Ausnutzung gezogen 
werden kann. 

Dabei fragt sich allerdings noch, ob man berechtigt ist, die 
im Harn wieder ausgeschiedene Eiweißmenge tatsächlich ganz 
auf das Verlustkonto zu setzen. Wie nämlich Ascolirrf) zuerst 
zeigte und Hamburger*r) bestätigte, ist ein Teil des im Harn 


*) Stokvis, Hühnereiweiß und Serumeiweiß und ihr Verhalten zum 
tierischen Organismus. Cntbl. d. med. Wiss. 1864, 596. 
**) Ponfick, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Transfusion. 
Virchows Archiv 62, 273 (1875). 
*#**) Ott, Über den Einfluß der Transfusion. Virchows Archiv 9, 
114 (1883). K 
7) Friedenthal und Lewandowski, Über das Verhalten des 
tierisehen Organismus gegen fremdes Blutserum. Engelmanns Archiv 1899, 531. 
ir) v. Dungern, Die Antikörper. Jena 1903, S. 90. 
{rr) Ascoli, Uber den Mechanismus der Albuminurie.. Münch. med. 
Wochenschrift 1902, 398. 
*7) Hamburger, Zur Frage der Immunisierung gegen Eiweiß. Wiener 
klin. Wochenschrift, Nr. 45, 1902. 


TV Carl Oppenheimer, 


ausgeschiedenen Eiweißes Körpereiweiß des Tieres selbst: Serum- 
eiweiß, das sich durch die biologische Reaktion nachweisen läßt. 
Es scheint also die Injektion von körperfremdem Eiweiß eine 
Schwächung des Nierenfilters zu bedingen, die zu einer leichten, 
schnell vorübergehenden Albuminurie führt. 


Einen irgendwie erheblichen Grad scheint aber diese Schwächung 
nicht zu erreichen, denn wie andere, so fand auch ich den Harn 
meiner Tiere nach 48 h. wieder völlig eiweißfrei. 


Die Angabe von Linossier und Lemoine*), daß schon 
geringe Seruminjektionen (!/ cem!) bei Kaninchen schwere, lang- 
dauernde Albuminurien mit tiefen Schädigungen des Nieren- 
gewebes hervorrufen sollen, widerspricht so völlig allen bisher 
zahlreich gemachten Beobachtungen, daß man ihr mit größter 
‚Skepsis entgegentreten muß. Ich habe selbst nach ausgiebigen 
Injektionen von Pferdeserum bei Kaninchen niemals langdauernde 
Albuminurie oder irgendwelche Störungen auftreten sehen, wie 
die Versuchsresultate zeigen werden. 


Wenn die Tiere nicht, wie es bisweilen vorkommt, ganz akut 
unter der Wirkung zu großer Serumdosen zugrunde gehen, ohne 
daß derSektionsbefund irgend etwas Entscheidendes ergibt, so zeigen 
sie außer geringen Temperatursteigerungen nichts Abnormes; und 
der Harn ist nach höchstens 72 h. wieder eiweißfrei. Auch die 
Angaben, die Arthus**) soeben publiziert hat, beziehen sich auf 
plötzliche Todesfälle oder aber auf Nekrosen nach subkutanen 
Injektionen, die allerdings häufig beobachtet werden. 


Obwohl also immerhin der Einwand, daß man den Anteil an 
mitausgeschiedenem Körpereiweiß im Harne mitbestimmt, durchaus 
berechtigt ist, und einen, wenn auch sicherlich nur sehr kleinen, 
absoluten Fehler der Bestimmung bedingt, der mit unseren Methoden 
nicht zu beseitigen ist, darf man doch wohl der Bestimmung 
dieser Ausscheidungsgröße und ihrem Verhältnis zur Einfuhr einen 
relativen Wert beimessen. Wir besitzen eben zur Zeit keine 
andere Methode, als diese mit einem wohl ziemlich konstanten 
Fehler behaftete, um die ersten Schritte zur Lösung der inter- 
essanten Frage nach der „Verdauung in der Blutbahn“ zu tun. 


Ich glaube deshalb, auch meinen unten zu besprechenden 
quantitativen Versuchen einen relativen Wert beimessen zu dürfen. 


*) Linossier und Lemoine, Note sur l’action nöphrotoxique des 
injections de sörums normaux, Soc. Biol. 55, 515 (1903). 

**) Arthus, Injections repetees de serum de cheval chez le lapin. Soc. 
Biol. 26. VI. 03. 


- Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 271 


Mit der Frage nach der Ausnutzung parenteral zugeführter 
Eiweißsubstanzen verbindet sich noch eine zweite, nicht minder 
wichtige. 

Die große Ähnlichkeit, die der Mechanismus der Präzipitin- 
bildung mit den Vorgängen bei der Erlangung der Immunität, 
z. B. gegen Bakteriengifte, zeigt, hat mehrfach der Vermutung 
Worte geliehen, daß vielleicht auch der Zweck der Präzipitin- 
bildung eine gewisse Verwandtschaft mit den Zwecken der 
Immunisierung besitzen möge, und Michaelis und ich 
(l. ec.) haben diese Vermutung zuerst schärfer präzisiert. 

Nachdem wir den Mechanismus der Antikörperbildung gegen 
Eiweißstoffe als entsprechend der Ehrlichschen Seitenketten- 
theorie hingestellt hatten, haben wir das Problem ventiliert, ob 
die ergophoren Gruppen der Präzipitine, die dıese Theorie voraus- 
setzt, eine wichtige Rolle bei der Assimilation parenteral zuge- 
führten körperfremden Eiweißes besitzen könnten; ob die Präzi- 
pitine tatsächlich als Immunkörper fungieren, die den einge- 
führten Fremdkörper seiner Fremdartigkeit berauben, ihn unschäd- 
lich machen, und ob diese „Denaturierung“, die der Aufnahme 
vorhergehen muß, und die sonst durch die Verdauungsenzyme 
bewirkt wird, vielleicht der Endzweck dieser Immunitätsreaktion ist. 

Auf diese Möglichkeit weisen einige Ergebnisse hin, besonders 
die von uns beobachtete Mobilmachung der Leukocyten bei 
intraperitonealer Injektion, während andererseits die auch von 
Rostoski angegebene Tatsache, daß die sichtbare Reaktion, 
die Ausfällung der Eiweißsubstanzen in vitro, im Organismus 
nicht eintritt, dagegen zu sprechen scheint. Doch ist ein absolut 
bindender Beweis, daß eine solche Präzipitierung im Tierkörper 
nicht eintritt, wohl schwerlich zu erbringen. 

Ein anderer Weg zur Entscheidung dieser Frage bietet sich 
dar, wenn man das Problem nach einer anderen Seite der Immuni- 
tätserscheinungen hin präzisiert. Wie bei zunehmender Immunität 
gegen Tetanustoxin das Versuchstier immer größere Dosen des 
Toxins neutralisiert, so könnte auch bei fortschreitender „Immuni- 
sierung“ gegen fremdes Eiweiß die Aufnahmefähigkeit sich steigern. 
Als Maßstab für die fortschreitende Immunität hätte man die 
Präzipitinreaktion, als Maßstab für die Aufnahmefähigkeit die 
Ausscheidungsgröße im Harn mit dem oben erwähnten Vor- 
behalt anzusehen. 

Derartige Versuche, Tieren stets dieselben Eiweißarten zu 
injizieren und den Quotienten der Einführung zu der Ausscheidung 
quantitativ zu bestimmen, habe ich nun seit einiger Zeit angestellt. 


212 Carl Oppenheimer, 


Inzwischen ist dieselbe Frage von Hamburger (loc. eit.) in 
Angriff genommen worden, der sich allerdings mit dem qualitativen 
Nachweis begnügte. 

Er fand an Kaninchen, daß die nach der ersten Injektion 
von Eierklar auftretende Eiweißausscheidung sich bei den folgen- 
den, in Zwischenräumen von 8 bis 10 Tagen wiederholten Injek- 
tionen allmählich verminderte (qualitativ) und nach der dritten 
bis sechsten Injektion verschwunden war. Injektionen geringer 
Mengen schützten auch gegen größere Dosen, die dann völlig 
zurückbehalten wurden. 

Hamburger neigt also tatsächlich dazu, in diesem Sinne 
eine wirkliche Immunisierung gegen körperfremdes Eiweiß anzu- 
nehmen, deren Mechanismus allerdings dadurch noch dunkler 
wird, daß es ihm nicht gelang, in dem Gehalt des Blutes an dem 
injizierten Eiweißkörper, der durch die biologische Reaktion 
gemessen wurde, irgend welche Unterschiede aufzufinden; ein 
Versuch, der allerdings ziemlich hoffnungslos war,\ da an eine 
wirklich quantitative Verwertung der Präzipitinreaktion wohl noch 
nicht gedacht werden kann, solange wir völlig im unklaren sind, 
was denn eigentlich bei dieser Reaktion ausfällt. 

Ich habe deshalb auf diese Frage wenig Wert gelegt und 
mich vorwiegend mit der Ausscheidung im Harn beschäftigt. 

Ich kann die Resultate von Hamburger nicht vollinhaltlich 
bestätigen, da ich eine „Immunität“ als konstante Erscheinung 
nicht beobachten konnte. Ich lasse zunächst meine Versuche folgen: 

Ich experimentierte an Kaninchen, denen die benutzten Eiweiß- 
stoffe (Eierklar, Pferdeserum, Rinderserum) in einigen Versuchen 
intravenös, meist intraperitoneal injiziert wurden. 

Die letztere Art der Einführung ist bei Kaninchen außerordentlich 
bequem, da sie ohne jede Vorbereitung ausgeführt werden kann. Selbst 
eine noch so oberflächliche Desinfektion der Kanüle hat sich schließlich 
als überflüssig erwiesen; ebenso habe ich Darmverletzungen mit letalen 
Folgen nie zu verzeichnen gehabt. 

Der Harn wurde entweder aus der Blase ausgedrückt oder im Stoff- 
wechselkäfig aufgefangen, mit etwas alkoholischer Thymollösung versetzt 
und filtriert. Dadurch erhielt ich ihn meist genügend klar, einige Harne 
mußte ich allerdings verwerfen, da sie selbst nach mehrfacher Filtration 
zu stark getrübt waren, als daß man auf eine exakte Bestimmung des 
Eiweißgehaltes hätte rechnen können. | 

Der Harn wurde dann auf ein bekanntes Volum aufgefüllt und zu 
zwei Bestimmungen verwendet. Die Eiweißfällung geschah in der Weise, 
daß ich den Harn (meist etwas verdünnt) mit etwa 2 Proz. Kochsalz 
(einigemal auch mit sehr wenig Zinksulfat, was sich nicht so bewährte), 
versetzte, mit sehr verdünnter Essigsäure ganz schwach ansäuerte, auf dem 
Wasserbade koagulierte und das Koagulum durch ein quantitatives Filter 


| Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 973 


abfiltrierte. Nach sehr gründlichem Auswaschen wurde das ganze Filter 
nach Kjeldahl unter Anwendung von Quecksilber verbrannt. Selbst- 
verständlich überzeugte ich mich jedesmal von der Abwesenheit von 
Eiweiß im Filtrat (Zusatz von Ferrocyankalium). Das Eiweiß war 
stets völlig gefällt, und die Doppelbestimmungen genügend überein- 
stimmend. 

In dem eingeführten Eierklar wurde der Stickstoffgehalt jedesmal 
bestimmt, vom Serum in einer größeren Portion, die mit etwas Chloroform 
konserviert wurde. 

Natürlich haften dieser Methodik einige Fehlerquellen an. Im ein- 
geführten Eiweiß entspricht der Gesamtstickstoff nicht dem wahren Eiweiß- 
gehalt; und im Harn fällt man den beim Kaninchen häufig vorhandenen, 
durch Essigsäure schon in der Kälte fällbaren Stoff mit als Eiweiß. 

Indessen spielen diese Fehler hier, wo es sich ausschließlich um 
Vergleichswerte und ziemlich grobe Grenzen handelt, keine das Resultat 
nennenswert beeinträchtigende Rolle. Der Nicht- Eiweißstickstoff des 
Pferdeserums wurde übrigens bestimmt; er beträgt rund !/ıo des Wertes. 


Versuche. 
Kaninchen]. 

10. X. Kaninchen von 3420 g. Binnen 40° werden aus einer Kanüle 
10 ccm genuines, klar filtriertes Hühnereiweiß, mit der gleichen Menge 
0,8proz. NaUl-Lsg. verdünnt, in eine Halsvene infundiert. 

Harn vorher exprimiert. Minimale Trübung mit Essigsäure-Ferro- 
eyankalium. HNO,- und Biuretprobe negativ. Kein Zucker. 

Direkt nach der Injektion: 

Harn desgl.; etwas Blut (Hellersche Probe). Temp. abends 40,4, 
morgens 39,2°. Wohlbefinden. 

Nach 24 h. Harn trübe, filtriert. 

Analyse: Eiweißinjektiin = 77 mgN. 
Harneiweiß 31,2 mg. N. 
=40,9. PrO2. 

Nach weiteren 24 h. Harn eiweißfrei. 

17.X. Demselben Tier 20 ccm unverdünntes Hühnereiweiß während 
1 h. auf dieselbe Weise beigebracht. 

Temp. nach 5 h. 40,3°; am andern Morgen 39,8%. Wohlbefinden. 
Einige Stunden nach der Injektion schleimiger Harn, am Morgen Harn 
exprimiert, nach Filtrieren klar. Beide vereinigt. 

Analyse: Eiweißinjektion 212 mgN. 
Harn 54 megN. 
— 9,5 Proz. 


| 


Nach weiteren 24 h. Harn eiweißfrei. 

28. X. Dasselbe Tier 30 cem Eiweiß (N-Gehalt 269 mg) in eine Ohr- 
vene binnen 20‘. Temp. abends 39,5%. Etwas Freßunlust. Gewicht 
3320 g. Am nächsten Tage munter. 

Harn vor der Injektion eiweißfrei, 24 h. nach der Injektion: 

Analyse: Eiweiß-N = 133,90 mg. 

. Der Harn des nächsten Tages enthielt eine eiweißähnliche Substanz, 
die nicht beim Kochen, aber mit Essigsäurezusatz koaguliert, HNO, positiv, 
Essigsäure + Ferrocyankalium negativ. Millon pos., Biuret angedeutet. 
Der Harn wird durch Kochen mit schwacher Essigsäure koaguliert. Die 
über dem Niederschlag stehende Flüssigkeit wird nicht klar, Nach 48 h. 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 18 


= 


274 Carl Oppenheimer, 


durch gewogenes Filter filtriert. Menge des Niederschlages 0,2618 g. 
Wenn man diese auf ausgeschiedenes Eiweiß umrechnet, durch 6,5 divi- 


diert — 40,3 mg 
Total demnach 174,2 mg 

= 64,3 Proz. 

Ohne den zweifelhaften Stoff — 49,3 Proz, 


Am nächsten Tage Harn völlig frei. Nun wurde ohne weitere Prüfung 
das Tier mit Eiweißinjektionen intraperitoneal weiter behandelt, indem 
es binnen fünf Wochen 150 ccm in Dosen von 30 bis 40 ccm bekam. Es 
trat jedesmal Temperatursteigerung und Eiweißausscheidung ein, sowie 
verminderte Freßlust, die bald vorüber gingen. 


Am 2. L Starke Präzipitinreaktion gegen Hühnereiweiß. 
Gegen durch Trypsin biuretfrei gewordenes Eiweiß = 0. 

8. I. Dasselbe Tier, das also nach der Präzipitinreaktion „immun“ 
geworden sein sollte, erhielt jetzt 5 ccm Eiweiß intravenös. 


N 140,5 mg 
Harn nach 24 h. ausgeschieden 37,5 mg 
==, 46,6 Proz. 


Nach 24 h. Harn eiweißfrei. 
22. I. Präzipitinreaktion: 
Serum, isotonisch aufs Doppelte verdünnt: x 
0,6 + 0,1 Eiweiß 10fach verdünnt pos. 
0,6 4 0,1 Eiweiß 50fach verdünnt pos. 
Geg. verdautes Eiweiß (s. oben) negativ. 
27. I. 10 ccm intraperitoneal — 168 mg. 
Harn war leider so trübe, daß Eiweißbestimmung unmöglich. Nach 
nochmaligen zwei Injektionen zu je 10 ccm wird das Tier am Morgen tot 
gefunden, sehr wahrscheinlich infolge eines Unfalls. Befund negativ. 


Kaninchen I. 1540 g. 
Erhält intraperitoneal zunächst binnen 14 Tagen zweimal Hühner- 
eiweiß, 18 und 27 cem. Dann nach zehn Tagen 50 ccm auf einmal. Das 
Tier fiebert hoch, ist sehr matt, erholt sich wieder. 


Eingeführt 915,7 mg 
In 24 h. ausgeschieden 111,2 mg 
— 18 Proz. 


Nach 14 Tagen: starke Präzipitinreaktion. Das Tier ist sehr elend, 
erhielt noch einmal 20 ccm. Nach 48 h. Harn eiweißfrei. Das Tier wird 
in der Agonie entblutet. Präzipitinreaktion schwach. 

Kaninchen IU 
stirbt unmittelbar nach der zweiten Injektion von 15 ccm. 

Kaninchen IV 
erhält während vier Wochen 37 cem Eiweiß in drei Rationen, nach einer 
Woche noch keine Präzipitinreaktion. 


5. III. 10 ccm intraperitoneal 164,5 mg 
Nach 24 h. ausgeschieden 70,15 mg 
| — 47,7 Proz. 


Bald darauf starke Präzipitinreaktion. 

2. IV. 10 ccm Ei. 

27. V. 30 ccm Ei=433,5 mg N. 

Im Harn etwa 7 mg wieder ausgeschieden (Fehlergrenze). 


Über das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 275 


BYE 20:.ccm Ei== 312 mg; 

Ausgeschieden: nichts. 

13. VI. Präzipitinreaktion, 

Ei 0,1 Serum und isotonische NaCl-Lsg. aa 0,35; nach 1 h. gute, nach 
24 h. starke Präzipitinreaktion. 

Kaninchen \V. 
17. II. 10 ccm Eiweiß intraperitoneal 
@8- 7. 10 cem ” » 185,5 mg N 
ausgeschieden AR. an N 
— Pro. 

16. II. 15 ccm Ei, 

20. III. Präzipitin noch fast negativ. 

BE TV..10 ccm. 

EV... 8 cem. 

14. V. Das Tier erhält 50 ccm Rinderserum intraperitoneal und 
geht daran binnen 2 h. zugrunde. Obduktionsbefund bis auf eine etwas 
weiche, hyperämische Niere negativ. In der Bauchhöhle weiche, durch- 
sichtige Gerinnsel als Reste der injizierten Flüssigkeit. 

Kaninchen X, 

20. V. Intraperitoneal 20 ccm reines Eiweiß, N = 282 mg. 

21/23. Harn enthält 133,5 mg N = 47,34 Proz. 

3. VI. Desgl. 20 cem = 289 mg N. 

Ausgeschieden 51 mg —= 17,6 Proz. 

12. VI. Desgl. 20 ccm = 329 mg 

Ausgeschieden: nichts (quantitativ). 

Präzipitinreaktion 12. VI. (vor der Injektion entnommen) 

Ei 0,1, Serum und 0,6proz. NaCl-Lsg. je 0,3; nach 2 h. Hauch 
von Trübung; nach 24 h. angedeuteter Niederschlag. 

20. VI. 80 ccm = 540 mg N. Harn nach 48 h. eiweißfrei. 

Ausgeschieden 104,5 mg N= 19,1 Proz. 

Man beobachtet also ein Nachlassen der Ausscheidung, ein- 
mal eine völlige Retention, wiederum aber ohne sichtlichen 
Zusammenhang mit Präzipitinbildung. Eine wirkliche Immunität 
ist auch jetzt nicht erzielt; denn die nächste Injektion bringt 
wieder eine erhebliche Ausscheidung hervor. 

Kaninchen XI. 
20. V.: 20 ccm Ei = 282 mg N. 
Der Harn gibt mit Essigsäure eine geringe Trübung. 
Ausgeschieden 112,5 mg N = 39,5 Proz. 

8. VI: 20 ecm Ei — 287 mg N. 

Harn enthält kein koagulables Eiweiß. 

12. VI. Präzipitinreaktion absolut negativ. 

eV 720 Cem = 329 mg N. 

Ausgeschieden 65 mg N = 20 Proz. 

20, VL 30.cem = 540 me.N. 

Eu Ausgeschieden 129 mg —= 24 Proz. 

Fast dasselbe Bild wie bei Kaninchen X. Ebenfalls enorme 
Schwankungen des Ausscheidungsquotienten ohne ersichtlichen Zu- 
sammenhang mit der Präzipitinbildung, die bei Kaninchen XI bis- 


her sicher nicht eingetreten ist. 
18* 


n- 


276 Carl Oppenheimer, 


Kaninchen VIII (s. unten). 

Das Tier ist schonmonatelang mit Pferdeserum vorbehandelt. 

20. V. 30 ccm Hühnereiweiß, 

27. V.: 30: ccm EirlN 248m). 

Harn enthält nur 4 mg koagulablen Stickstoff (Fehlergrenze). 

9. VI. 30 ccm Ei (N = 468 mg). 

Harn enthält kein Eiweiß. 

12. VI. Präzipitinreaktion absolut negativ. 

Aus diesen Befunden geht hervor, daß die mit Eiereiweiß 
behandelten Kaninchen meist einen beträchtlichen Teil des zu- 
geführten Eiweißes wieder ausscheiden. Die Verhältniszahlen 
schwanken aber sehr erheblich. Weder die Art der Zuführung, 
noch das Auftreten der Präzipitinreaktion lassen irgendwelche Be- 
ziehungen zwischen der zugeführten und der ausgeschiedenen 
Eiweißmenge erkennen. Bisweilen scheiden relativ frische Tiere 
mit sehr schwacher oder gar keiner Präzipitinreaktion mehr in 
relativer Menge aus als solche, die länger vorbehandelt sind. Auch 
die absolute Menge des ausgeschiedenen Eiereiweißes schwankt er- 
heblich, doch scheint um so weniger in relativer\Menge aus- 
geschieden zu werden, je mehr Eiweiß zugeführt wird. Im all- 
gemeinen sind aber alle Zahlen viel zu schwankend, um irgend- 
welche sicheren Schlüsse auf einen Zusammenhang zwischen 
Präzipitinreaktion und Eiweißretention ziehen zu lassen. 

Außerdem scheint sich nach langer Vorbehandlung, aber 
gleichgültig mit welchem Eiweißkörper eine erhöhte Resistenz 
gegen Eiereiweiß einzustellen, die aber auch mit einer spezifischen 
„Immunisierung“ nichts zu tun hat. Kaninchen IV und VIII hielten 
schließlich beide eine sehr große Eiereiweißmenge restlos zurück, 
obwohl das eine, monatelang mit Eiereiweiß vorbehandelt, ein sehr 
kräftiges Präzipitin dagegen zeigte, während das andere, das vor- 
her lange Pferdeserum und nur drei Eiereiweißinjektionen erhalten 
hatte, gar kein Präzipitin gegen Eiereiweiß zeigte. Für diese beiden 
Fälle kann ich also Hamburger recht geben: es scheint tat- 
sächlich nach langer Vorbehandlung eine Art Resistenzerhöhung 
einzutreten, die aber unspezifisch, also keine Immunisierung 
ist und mit der Präzipitinbildung zweifellos nichts zu tun hat. 

Versuche mit Serum. 
(Pferdeserum, 10 ccm —= 133 mg N.) 
Kaninchen VIII. 
Das Tier ist schon monatelang mit Pferdeserum vorbehandelt. 
21. II. 10 ccm intraperitoneal. 
22/23. Harn minimale Spuren Eiweiß. 
14. IV. Präzipitinreaktion positiv. 
10 ccm intraperitoneal 133 mg N 
15/16. Harn 7,5 mg N 
a7 Pros 


Uber das Schicksal der mit Umgehung des Darmkanals usw. 277 


Kaninchen IX. Desgl. vorbehandelt. 


2er... :10 &cm 133 mg 
22/23. Harn 15 mg 
=.113 Proz. 
14. IV. Präzipitinreaktion negativ. 
10 ccm. 
Harn 3,5 mg 
3 Pro 
Kaninchen X. 
Ganz frisches Tier. 
27. III. 10 ccm desselben Serums 133 mg N 
28. II. Harn 11,7 mg N 
— u 
24V. . 10.eem. 


39. IV. 10: cem. 

Harn-Spuren von Eiweiß, quantitativ nicht nachzuweisen. 

2.V. 50cem auf einmal intraperitoneal. Tier fiebert abends bis 40,2°; 
erholt sich schnell. Harn enthält noch am vierten Tag Spuren Eiweiß. 

Bam 36. N. = 48 mg 

SEI PFOR| 

10. 5. Präzipitinreaktion positiv. 

Schließlich wurde dem Kaninchen IV, das gegen Eiereiweiß „immun“ 
war, 30 cam Rinderserum intraperitoneal gegeben. Der Harn enthielt 
nach 24 h. nur Spuren Eiweiß, die nicht quantitativ zu bestimmen 
waren. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das Serum der fremden 
Tierart beim Kaninchen, obwohl es erst später Präzipitinreaktion 
hervorruft, doch von Anfang an fast restlos zurückbehalten 
wird. Ich möchte auf die minimalen Eiweißzahlen nicht sehr viel 
Gewicht legen, da bei diesen ungemein geringen Werten (wenige 
Milligramme) der natürlich vorkommende, eiweißähnliche Körper 
des Kaninchenharnes sehr wohl eine erhebliche Rolle spielen kann, 
und in anderen Fällen ja tatsächlich ein quantitativ bestimmbarer 
Eiweißkörper auch bei durchgeführter Analyse nicht gefunden 
wurde. Man kann also wohl ohne erheblichen Fehler annehmen, 
daß das Pferde- und Rinderserum restlos im Organismus auch 
des frischen Kaninchens retiniert, also wohl verbraucht wird; und 
daß auch hier, und das ist der Berührungspunkt mit den Eiweiß- 
versuchen, ein Einfluß der „Immunisierung*, die sich in der 
Präzipitinreaktion ausdrückt, in keiner Weise erkannt werden kann. 

In Übereinstimmung mit früheren Untersuchern wird also das 
Serum fast restlos aufgenommen; aber auch in dem ungünstigeren 
Falle, beim Eiereiweiß, verfügt der Organismus über Mittel, um 
in seiner Blutbahn kreisendes fremdes Eiweiß zum größten Teil 
festzuhalten, also auch wohl zu verwerten. Es zeigt dies, daß 


978 Carl Oppenheimer, Über das Schicksal der mit Umgehung usw. 


also auch ein normalerweise eintretendes Übertreten von 
genuinem Nahrungseiweiß in die Blutbahn nicht ausgeschlossen 
ist und daß damit noch kein größerer Stickstoffverlust bedingt ist, 
da vielleicht diesen allmählich übertretenden geringen Mengen 
gegenüber die Niere ganz dicht schließt. 

Andere, auch pflanzliche genuine Eiweißkörper, soweit sie 
löslich sind, darauf zu prüfen, sei einer späteren Versuchsreihe 
vorbehalten. | 

Jedenfalls zeigen ferner die Serumversuche, daß auch die Aus- 
scheidung eigenen Körpereiweißes nach Injektion fremden 
Eiweißes sich hier wenigstens in minimalen Grenzen halten muß, 
wenn sie überhaupt auftritt, so daß man die Präzipitinreaktion 
auch nicht als eine Schutzmaßregel etwa gegen diesen Reiz 
auffassen könnte. Damit ist deren Funktion wieder in völliges 
Dunkel gehüllt. Von einer schweren Nierenreizung, wie sie 
Linossier und Lemoine (loc. cit.) gesehen haben wollen, kann 
hier nun schon gar keine Rede sein. \ 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle meinem 
hochverehrten Chef, Herrn Prof. Dr. N. Zuntz, für sein stets reges 
Interesse an dieser Arbeit meinen ergebensten Dank auszusprechen. 


XXV. 


Über das Verhalten des genuinen Serums gegen die 
tryptische Verdauung. 
Von Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer und Dr. phil. Hans Aron, 


Assistenten des Instituts. 


(Aus dem tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule 
in Berlin, Dir. Prof. Dr. N. Zuntz.) 


Der eine von uns hat vor kurzem in Gemeinschaft mit 
L. Michaelis*) die Aufmerksamkeit auf die schon früher 'ge- 
legentlich mitgeteilte Tatsache gerichtet; daß das genuine Serum 
zwar von Pepsin-Salzsäure leicht angegriffen wird, und somit 
seine Eiweißkörper peptonisiert werden, daß es dagegen eine 
erstaunlich hohe Resistenz gegen die Verdauung durch Pankreas- 
infuse und künstlich daraus hergestellte Trypsinpräparate besitzt. 

Diese Resistenz gegen Trypsin im Gegensatz zur Pepsinver- 
dauung ist besonders charakteristisch für lebendes Proto- 
plasma. Zuerst hatte Fermi**) darauf hingewiesen, daß lebende 
Mikroorganismen gegen Trypsin resistent sind. Später fand 
Matthes***) dasselbe für rote Blutkörperchen. 

Michaelis und Oppenheimer nahmen Veranlassung, auf 
Grund der von ihnen beobachteten Schwerangreifbarkeit des 
genuinen Serums die Vermutung auszusprechen, daß diese unver- 
änderten Eiweißstoffe der tierischen Gewebe möglicherweise noch 
in ihrer Konstitution eine gewisse Verwandtschaft mit der Struktur 
des Protoplasmas aufweisen möchten, und daß sie demzufolge in 
dieser Hinsicht eine gewisse Mittelstellung zwischen den leicht 
vom Trypsin spaltbaren Eiweißstoffen und dem völlig unangreif- 
baren lebenden Protoplasma einnehmen möchten. 


. *) Michaelis und Oppenheimer, Über Immunität gegen Eiweiß- 
körper. Engelmanns Archiv 1902. Suppl.-H. 2. 
**) Fermi, L’action des zymases prot£olytiques sur la cellule vivante. 
Archiv, Ital. d. Biol. 1895, 433. 
***) Matthes, Experimentelle Beiträge zur Frage der Hämolyse. 
Münch. med. Wochenschrift 1902, 8. 8. 


380 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Inzwischen war aber die Frage nach der Ursache der Nicht- 
angreifbarkeit lebender Gewebe durch Trypsin in ein anderes Licht 
gerückt durch die hochwichtige Feststellung von Weinland*), 
daß es sich unter Umständen gar nicht um eine wirkliche Resistenz, 
sondern um ein Ablenken des Enzyms durch ein präformiertes 
Antiferment handelt. 


Weinland stellte fest, daß die Resistenz der parasitischen 
Eingeweidewürmer gegen die Enzyme des Darmes durch ein der- 
artiges Antiferment bedingt ist, dessen Isolierung ihm aus Askaris- 
extrakten gelang. 

Derartige Antitrypsine finden sich aber auch im Blutserum, 
wo sie u.a. von Camus und Gley“*), Charrin und Levaditi*”), 
Landsteinery), GlaessnerfTr) gefunden worden sind. Sie 
kommen in jedem normalen Serum vor, lassen sich aber auch 
durch künstliche Immunisierung von Meerschweinchen mit Trypsin 


gewinnen, wie AchalmerTrr) gezeigt hat. 


Diese Antikörper schützen vor allem andere Eiweißkörper vor 
der verdauenden Kraft des Trypsins, wenn man den Verdauungs- 
gemischen Blutserum zusetzt, und zwar sind deutliche quantitative 
Beziehungen zwischen der Menge zugesetzten frischen Serums 
und der Menge aktiven Trypsins zu demonstrieren. Durch Erhitzen 
auf 70°, wobei das Serum noch nicht koaguliert, kann man ihm 
die antifermentative Eigenschaft nehmen. Es drängt sich damit 


die Frage auf, ob diese Antifermente nicht auch bei der Resistenz . 


gegen Trypsin, die das Serum selbst aufweist, eine entscheidende 
Rolle spielen, ob also nicht die oben angedeuteten Vermutungen 
über eine aus der Konstitution des Serumeiweißes folgende 
Resistenz der Begründung entbehrten. 

Wir haben zur Entscheidung dieser und einiger anderer 
damit zusammenhängender Fragen dıe Resistenz des Serums und 
seiner Eiweißstoffe quantitativ untersucht und geben in folgendem 


*) Weinland, Über Antifermente I und II. Zeitschrift für Biologie 
44 (1902). 
*) Camus und Gley, Action du sörum sanguin sur quelques ferments 
digestifs. Soc. Biol. 49, 825 (1897). 
**) Öharrin und Levaditi, Defense de l’organisme contre les pro- 
prietös des säeretions glandulaires. Soc. Biol. 52, 83 (1900). 
+) Landsteiner, Zur Kenntnis der antifermentativen Wirkung des 
Blutserums. C. f. Bakter. 27, 357 (1900). 
+7) Glaessner, Über die antitryptische Wirkung des Blutes. Diese 
Beiträge 4, 79 (1903). 
+++) Achalme, Propr. pathogöne de la trypsine. Ann. Pasteur 15, 
737 (1901). 


Uber das Verhalten des genuinen Serums usw. 981 


die bisher erzielten Ergebnisse. Leider konnte die Arbeit nicht 
ohne Störung schon jetzt so weit ausgedehnt werden, wie wir es 
für wünschenswert halten, da unsere gemeinsame Arbeit aus 
äußeren Gründen eine Unterbrechung erlitt. Wir hoffen indessen, 
später diese erste Mitteilung ergänzen zu können. 

Über die eingeschlagene Methode ist folgendes zu bemerken: 

Eine wirklich einwandsfreie Methode, um die Intensität einer 
Trypsinverdauung vergleichend zu messen, existiert bisher nicht. 
Bei der ungemeinen Kompliziertheit des Vorganges, bei dem 
zweifellos die verschiedensten chemischen Prozesse nebeneinander 
herlaufen, kann es nicht gelingen, ein Merkmal auszuwählen, das 
eine tatsächliche vergleichende Messung des Ablaufes der Ver- 
dauung gestattete. 

Das wäre nur möglich, wenn es uns gelänge, eine Phase des 
Prozesses isoliert zu untersuchen, die von einem chemisch be- 
kannten Stoffe zu einem oder mehreren andern bekannten Stoffen 
führte, wie das z. B. bei der Spaltung des Rohrzuckers oder des 
Amygdalins möglich ist. An diesen einfachen Vorgängen konnte 
Henri*) seine Messungen vornehmen, die ihn zu seinen 
theoretischen Vorstellungen über das Wesen der Fermentreaktion 
geführt haben. Aber schon bei der Stärkespaltung mußte er 
willkürlich ein Moment, nämlich die gebildete Maltose, heraus- 
greifen, da der ganze Prozeß sich als völlig undurchsichtig erwies. 

Noch viel mehr ist dies beim Abbau der Eiweißstoffe der 
Fall. Die verschiedenen Untersucher haben demzufolge die ver- 
schiedensten äußerlich erkennbaren Momente herausgegriffen, um 
den Abbau vergleichend zu verfolgen. Es sei nur erwähnt, daß 
man z. B. die spektrophotometrische Messung der Zunahme der 
Biuretreaktion [Klug**)], die Messung der optischen Drehung 
[Sehütz“*)], die Abnahme des spezifischen Gewichts 
[Sehiffy)] und der Viskosität [Spriggsry)] als Maßstab be- 
nutzt hat. 

Alle diese Methoden messen aber die Resultante der ver- 
schiedenartigsten Einwirkungen, deren Zusammenspiel man absolut 
nicht entwirren kann. Dasselbe gilt aber auch von der modernsten 


*) Henri, Lois genörales de l’action de quelques diastases. Paris 1903. 
**) Klug, Untersuchungen über Pepsinverdauung. Pflügers Archiv 60, 
43 (1885), 65, 330. 
”**) Schütz, Methode zum Bestimmen der relativen Pepsinmengen. 
Zeitschrift f. physiol. Chemie 9, 577 (1887). 
j) Schiff, Lec. d. phys. d. l. digestion. Berlin 1876. 
ir) Spriggs, On a new method of observing peptie activity. Journ. 
of physiol. 28. V,. (1902). 


282 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Methode, die nach dem Vorgange von Oker-Blom*) und Henri 
und Larguier des Bancels“) die Zunahme der elektrischen 
Leitfähigkeit als Maßstab nimmt. Obwohl diese Methode in der- 
selben Lösung zu jeder gewünschten Zeit Messungen vorzu- 
nehmen gestattet und dadurch vielleicht für derartige Unter- 
suchungen geeignet erscheint, konnten wir uns ihrer nicht be- 
dienen. Denn wenn wir die Zunahme der Leitfähigkeit in einer 
Verdauungslösung messen, in der die verschiedensten, einander 
beeinflussenden, uns vollständig unbekannten Reaktionen vor sich 
gehen, mit andern Worten, wenn wir in diesem Falle eine 
kolligative***) Eigenschaft messen, so bekommen wir kein klares 
Bild von der Wirkungsweise und der Art des Angriffs des 
Fermentes. Deshalb müssen wir eine genau mit chemisch- 
analytischen Methoden meßbare Phase der Verdauung und eine 
uns bekannte Reaktion als Maßstab herausgreifen. 

Schon andere Forscher benutzten rein chemisch-ana- 
lytische Methoden. | 

Huppert und Schütz’) z. B. haben bei ihren ausgedehnten 
Untersuchungen über das Zeitgesetz des Pepsins die gebildete 
Menge der sekundären Albumosen als Maßstab gewählt. 

Noch einfacher ist das Verfahren, das an festen Eiweißstoffen 
vielfach geübt wird, nämlich den Umfang der Auflösung zu 
messen, entweder durch Zurückwägen des Ungelösten, oder 
durch Messung an künstlich präparierten Eiweißzylindern, wie 
es die viel verwendete Mettscheffr) Methode tut. 

Ein ähnliches Verfahren schien auch für unsere Zwecke das 
(Greeignetste. Uns kam es nicht darauf an, den weiteren Verlauf 
der Spaltung zu verfolgen, sondern ausschließlich darauf, die 
erste Phase, die Vernichtung der Genuinität des Serumeiweißes 
vergleichend zu beobachten. Eine der Eigenschaften, die in erster 
Linie dabei verschwinden, ist die Koagulationsfähigkeit, und diese 
haben wir gemessen. 

Wir nahmen als Maßstab die Stickstoffmenge, die bei der 
Koagulation in sehr schwach saurer Lösung im Niederschlag ent- 
halten war, verglichen mit demselben Wert, der an dem genuinen 


*) Oker-Blom, Die elektrische Leitfähigkeit als Indikatoren der 
Eiweißspaltung. Skand. Archiv f. Physiol. 13, 359 (1902). 
**) Henri und Larguier des Bancels, Loi de l’action de la 
trypsine sur la gelatine. Soc. Biol. 55, 563 (15. V. 03). 
*#*) Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie. S. 73. 
+) Huppert und Schütz, Über einige quantitative Verhältnisse bei 
der Pepsinverdauung. Pflügers Archiv 80, 470 (1900). 
7r) Mett, Du Bois’ Archiv 1894, S. 68. 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 283 


Eiweiß erhalten wurde, und benutzten die Bestimmung des Stick- 
stoffgehaltes im Filtrat als Kontrolle. 

Daß auch dieses Verfahren nicht allen Anforderungen genügt, 
liegt auf der Hand; immerhin schien es uns für diesen Zweck 
am geeignetsten, zumal die Genauigkeit der Kjeldahlschen 
Stickstoffbestimmung die Auffindung sehr geringer Unterschiede 
gestattet. 

Im Detail wurden die Bestimmungen in folgender Weise 
durchgeführt: 


Zu den Versuchen wurde durchweg Pferdeserum benutzt, das aus 
frischem, defibriniertem Pferdeblut dargestellt war und mit einigen Tropfen 
Chloroform in fest verschlossener Flasche aufgehoben wurde. Das zur 
Verwendung gelangende Serum war nie älter als vier Wochen, auch stets 
nur schwach hämoglobinhaltig. Bei den ersten Versuchen wurden die 
Serummengen mit der Pipette direkt abgemessen, später wurde zur Er- 
zielung genauerer Resultate das Serum vorher mit der vier- bis fünffachen 
Menge physiologischer Kochsalzlösung verdünnt. Es wurde von jeder 
neuen Serumportion Gesamtstickstoff, Koagulabler und Filtratstickstoff be- 
stimmt, letzterer entsprechend bei der Berechnung in Abzug gebracht, 
da es sich nur um die Abnahme des genuinen, also koagulablen Eiweißes 
handelte. — Die Fermentmengen wurden so abgemessen, daß kurz vor 
dem Ansetzen einer Versuchsreihe etwa 10 bis 15 g Trypsin*) in un- 
gefähr 500 ccm physiologischer Kochsalzlösung zu einer feinen Emulsion 
gelöst und mit wenig Toluol versetzt, alsdann mit der Pipette, nachdem 
die Lösung jedesmal gut durchgeschüttelt war, die gewünschten Mengen 
entnommen wurden. Als Einheit (Trypsinmenge I) galten meist 10 ccm, 
manchmal 5 ccm dieser Lösung. Es wurde hier ebenfalls der Gesamt- 
stickstoffgehalt dieser Trypsinlösung, ferner der Anteil an koagulablem 
und nicht koagulablem Stickstoff ermittelt und bei der Berechnung der 
Analysen in Abzug gebracht. Großes Gewicht wurde darauf gelegt, die 
Konzentration an Eiweiß und an Elektrolyten in den einzelnen Proben 
jeder Versuchsreihe genau gleich zu machen. Es wurden stets erst 
100 ccm einer 10proz. Na, CO,-Lösung zugegeben und schließlich die 
Lösung mit aq.isot. auf 100 ccm, bei einigen Versuchsreihen auf 150 ccm, 
aufgefüllt. Doch fand, um die Lösungen zu gleicher Zeit ansetzen zu 
können, der Zusatz des Ferments zu allerletzt statt, nachdem vorher in 
entsprechender Weise bei jeder Probe Sodalösung und physiologische 
Kochsalzlösung dem Serum zugesetzt war. Die gut durchgeschüttelten 
Proben wurden mit wenig Chloroform und Toluol — möglichst gleichen 
Mengen bei allen Proben — konserviert. Als Anfangszeit galt !/, Stunde 
nach dem Einsetzen in den Brutschrank, um die Lösungen vorzuwärmen. 
Das Unterbrechen der Verdauung fand durch tropfenweises Ansäuern mit 
einer ganz schwachen (2proz.) Essigsäure und sofortiges Erhitzen im 
Wasserbade bis zur flockigen Koagulation statt. Der möglichst gut aus- 
gewaschene Niederschlag und das Filtrat nach dem Ansäuern mit Schwefel- 
säure und Eindampfen wurden nach Kjeldahl verbrannt. Die Angaben 
der verdauten Mengen sind entweder in Prozenten des genuin vorhanden 
gewesenen, also anfangs koagulablen Serums oder in mg Stickstoff ge- 


*) „Pankreatin“ der Rhenania, ein recht wirksames Präparat. 


984 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


macht. In beiden Fällen sind die vorher angedeuteten Korrektionen für 
Trypsinstickstoff und unkoagulablen Stickstoff angebracht. 

Einige Versuchsreihen (III—VII) wurden so angestellt, daß 
man bei ihnen eventuell die Gültigkeit des Schütz-Borissow- 
schen Gesetzes (cfr. Huppert und Schütz loc. cit.), das nach 
Vernon*) ja auch für die Trypsinverdauung des Fibrins gelten 
soll, auch bei der Verdauung der Serumeiweißkörper zu erkennen 
im stande war. 

Das Gesetz besagt bekanntlich, daß die Mengen der Ver- 
dauungsprodukte — in diesem Fall der sekundären Albumosen — 
den @Quadratwurzeln aus den Fermentmengen einerseits, den 
Quadratwurzeln aus den Zeiten andererseits proportional sind. 
So haben wir Versuche mit steigenden Zeiten bei gleichen 
Fermentmengen und mit steigenden Fermentmengen bei gleichen 
Zeiten angesetzt. Vor allem aber haben wir die Reihen so ge- 
wählt, daß die Menge der entstehenden Verdauungsprodukte 
immer die gleiche werden mußte**), indem wir Zeit und Ferment- 
‘ menge so varlierten, daß ihr Produkt konstant blieb, also z. B. 


Zeit Ferment 
1 4 
2 2 
4 1 USW. 


Die angestellten Versuche waren folgende: Zunächst bedurfte 


die Grundtatsache, daß genuines Serum schwerer angreifbar ist 


als normalerweise die Eiweißstoffe, der quantitativen Feststellung. 
Wir wählen als Vergleichsobjekt Kasein, in Form des Plasmons, 
seiner Natriumverbindung. 


Versuch 1. 
Serum: 40 cem mit 338 mg N; Plasmon: 3,5 g mit 396,55 mg. N; 
Trypsin: 2,5 g mit 370,5 mg N. 110 cem Gesamtvolum. Na,C0, 1 Proz., 
NaCl 0,85 Proz. 


Serum Plasmon 
Verdaut | Unverdaut| Verdaut |Unverdaut Zeit 
14,78 Proz. | 27,76 Proz. 1 Tag 
80,96'.. 2: vl BER 2 Tage 
97,40 Re 7 Tage 
98,04 4,00  . 15 Tage 


*) Vernon, Journ. of phys. 26, 405 (1901). 
**) cf. Bredig, „Elemente der chemischen Kinetik“; Ergebnisse der 
Physiol. 1, 1, S. 159. 


ee en EEE Meere. de ee ee ei u SEE TE En 


is ui u eu Ze Mh Seh Kl ee nn. Ti 


Be m 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw, 255 


Obwohl zu diesem Versuch so ungeheure Mengen Ferment 
angewandt wurden, daß der Stickstoffgehalt des angewandten 
Trypsins dem des Eiweißes fast gleichkam, ist doch noch eine bei- 
nahe eine Woche andauernde Resistenz des Serums zu konstatieren. 
Zu zeigen, daß Plasmon schon von viel geringeren Trypsinmengen 
ebenfalls ganz glatt seiner Fällbarkeit durch Säuren beraubt wird, 
schien überflüssig, da dies wohl als hinreichend oft bewiesen 
angesehen werden darf. 


Der zweite Versuch mußte prüfen, ob tatsächlich die Genui- 
nität des Serums es ist, die die so gefundene Resistenz bedingt. 
Zu dem Zwecke wurde ein vergleichender Versuch mit koagu- 
liertem Serum angestellt. Es erübrigt, darauf hinzuweisen, daß 
dieser Versuch nichts für oder gegen die Bedeutung des Anti- 
trypsins beweist, da dieses bei der Koagulation zerstört wird. 


Von vier gleichen Serumportionen wurden zwei durch Ansäuern mit 
Essigsäure im Wasserbad koaguliert, das gut ausgewaschene Koagulum 
zur Verdauung benutzt. Die Trypsinmengen waren schon erheblich ge- 
ringer als beim ersten Versuch, aber noch immer reichlich, wie ja die 
rasche Verdauung des koagulierten Eiweißes zeigt. 


Versuch I. 


Serum: 40 ccm mit 597,9 mg N; Trypsin: etwa 0,1g mit 14,05 mg N 
Gesamtvolumen 400 cem; Na,C0; 1 Proz. 


Genuin | Koaguliert 
Zeit | Verdaut Unv Be Verdaut Unverdaut 
1 Tag | 47,7 Proz. | 43,4 Proz. | 93,7 Proz. | 6,2 Proz. 
5 Tage 77,6 Proz. | 21,1 Proz. | 97,1 Proz. | 2,7 Proz. 


Es zeigt sich hier deutlich, wie das genuine Serumeiweiß dem 
Angriff des Trypsins einen viel größeren Widerstand entgegen- 
setzt als das Eiweiß derselben Körperflüssigkeit im denaturierten 
Zustande. 


Zu Ungunsten der koagulierten Proben kommt noch hinzu, 
daß bekanntermaßen rein mechanisch Eiweiß in koagulierter Form 
viel schwerer durch Fermente angreifbar ist als in kolloidaler 
Lösung. Es trägt dazu wohl hauptsächlich die Verkleinerung 
der Oberflächenwirkung bei, die bei der fermentativen Katalyse 
eine große, nach Hoeber*) vielleicht ausschlaggebende Rolle spielt. 


*) Hoeber, Physik. Chemie der Zelle und der Gewebe. Leipzig 1902. 


286 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Zuerst sollte nun festgestellt werden, welche Bedeutung für 
die Resistenz des genuinen Serums das von mehreren Forschern 
darin gefundene Antitrypsin besitzt. Es wurde ein vergleichen- 
der Versuch angestellt, bei dem unter den genau gleichen Be- 
dingungen die Einwirkung des Trypsins auf genuines, also 
Antitrypsin enthaltendes Serum und auf „inaktiviertes* Serum 
gemessen wurde, d. h. Serum, in dem das Antitrypsin durch zwei- 
stündiges Erhitzen auf 68° bis 70° zerstört war. (Achalme, 
loc. eit.) 


Versuch IIL 


Serum: 5 ccm mit 732 mg N. 
Trypsin: 5 ccm mit 1,55 mg N. 
1 Proz. Sodalösung. Gesamtvolumen 100 ccm. 


Genuines Serum " Inaktiviertes Serum 
Zeit Verdaut Unverdaut Verdaut |Unverdaut 
20 Std. 11,71 Pros 88,38 Proz. 25,56 Proz. |, 74,18 Proz. 
495 25,68. „ 7501 , — -- 
195 v7 98501 , 74.08. „ 26,43% ", TabNE 5 


Bevor wir diesen Versuch einer Diskussion unterziehen, wollen 
wir anschließend einen zweiten beschreiben, der nach diesem 
ersten rohen Vorversuch als Kontrollversuch angesetzt wurde, und 
der die obwaltenden Verhältnisse deutlicher erkennen läßt. 


Versuch IV. 
Serumlösung: 50 cem mit 189,9 mg N. 
Trypsinlösung: 10 cem (Trypsinmenge I) — 23,01 mg N. 
Sodalösung: 0,85 Proz.; Gesamtvolumen: 100 cem. 


ee Genuines Serum |lInaktiviertes Serum 
Zeit menge | Verdaut |Unverdaut|) Verdaut [Unverdaut 
1 Tag II 31,00 Proz. | 68,25 Proz. || 70,60 Proz. | 29,83 Proz. 
2 Tage II 57,45... 1748,86"). 170,797 „0 an 
3 Tage I | 6861 5, | 3708 | 71,58. „sagen 
4 Tage 1...) 70,69. 6...1.80,59, 0. 7 ut2 2 see 
“Tage Tr ja ztloosa .. Tee 
1 TaE, hy SUN 94,17. |. aBBa 52,31 „ 
ma 31,00 17 .,88,35 2 oa 
ı Tag IV 53,934. TA 5 I 76,70 Fe 
4 Tage 1 1114, 5 moss, seele, Ze 
4 Tage I. 1,7069 30179697 LEN Eee 


a u An A m nn - = 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 987 


Versuch IV B. 
Serum: wie vorher. 
Trypsinlösung (neu), jedesmal 20 cem mit 6,27 mg N. 
Volumen usw. wie oben. 


Genuines Serum | Inaktiviertes Serum 


|| 
Zeit Bem. Verdaut Unverdaut Verdaut |Unverdaut 
3 Tge. | 28,25 Proz. | 77,09 Proz. | 75,12 Proz. | 28,03 Proz. 
| | | 
se 39,54  , 64,41 Ran 22 
2; (etwa | (etwa | 
40,00 Fra) 762,94. 77, 79,00. Proz.) | 23,72 , 
b) am 6. Tage - | Je | mo, 
12°, a em > RU | a: 9 en - 
neuer 1 
Trypsin- | 
lösung ver- | 
setzt. 


Aus diesen sämtlichen Versuchen geht übereinstimmend her- 
vor, daß „inaktiviertes“ Serum von Trypsin glatt seiner Koagulıer- 
barkeit bis zu einem gewissen Punkte beraubt wird, also ein Teil 
des genuinen Serums nach dem Inaktivieren der tryptischen Ver- 
dauung keinen nennenswerten Widerstand mehr entgegensetzt, ver- 
glichen mit dem vollständig nativen Serum. Von jenem „End- 
punkte“ ab schreitet die Verdauung nur langsam fort, ebenso lang- 
sam fast wie beim genuinen Serum. Auch dieses erreicht jenen 
Endpunkt mit den gleichen Fermentmengen wie das inaktivierte, 
allerdings in viel längerer Zeit. Viel besser und charakteristischer 
als die Zahlen zeigt umstehende graphische Darstellung obiger 
Versuche die obwaltenden Verhältnisse. Der erst steile, dann 
immer mehr horizontale Verlauf gibt ein gutes Bild für die erst 
rasch fortschreitende, dann langsamer werdende und schließlich 
ganz versiegende Aufspaltung des nativen Eiweißes. 

Es zeigt sich ferner, daß jener „Endpunkt“ in einem gewissen 
Grade von der Fermentmenge abhängig ist, mit jhrem Wachsen 
sich immer mehr nach oben verschiebt, bis es schließlich gelingt, 
(s. Versuch I) durch genügend große Fermentmengen die Resistenz 
des restierenden Teils des Eiweißes ebenfalls fast gänzlich zu 
brechen. Hinzuzufügen wäre noch, daß (s. Versuch IV B) es mit 
ungenügenden Fermentmengen nicht gelingt, sämtliches Eiweiß 
zu verdauen, daß selbst eine neue Zugabe von Ferment in 
zwölf Tagen den „Endpunkt“ nicht überwindet. 

Es lassen sich folgende Tatsachen aus diesen letzten Ver- 
suchen feststellen: 

Inaktiviertes Serum wird in kürzester Zeit auch mit kleinen 
Fermentmengen bis zu einem Endpunkte verdaut; von hier ab 


288 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Verdaut % Versuch II. 
30 


4: 


—— (senuines Serum 


u 
ar Inaktiviertes Serum 


0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 
Stunden 


Verdaut 0% Versuch IV. 
100 


Genuines Serum 


Tage 1 2 3 4 


Verdaut % Versuch IVB. 


Zusatz neuen Fermentes 


Genuines Serum 
0=0—0—-0- 0-0 nach Zusatz neuen Fermentes 
Inaktiviertes Serum 
.—. nach Zusatz neuen Fermentes 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 289 


steigt die Verdauung nur noch minimal an; ıst die Fermentmenge 
zu klein, so erreicht die Verdauung nicht sofort den Endpunkt, 
strebt ihm aber sehr schnell zu, viel schneller als beim genuinen 
Serum. Diese Tatsache berechtigt uns wohl im Anfang ein all- 
mähliches, kein plötzliches Ansteigen der Verdauung anzunehmen, 
wie wir es in den Kurven angedeutet haben. 

Genuines Serum wird langsam angegriffen, in der Schnellig- 
keit hauptsächlich, in dem Maße, wie weit der Angriff erfolgt, 
allein von der Fermentmenge abhängig. Auch hier ist jener 
„Endpunkt“ zu konstatieren, doch tritt er nicht so deutlich hervor. 
Da das Ansteigen der Verdauung überhaupt ein langsames ist, 
fällt es nicht so stark ins Auge, daß auch hier, wie beim „in- 
aktivierten“ Serum, eine erst stärkere, dann immer geringer 
werdende Abnahme der Koagulationsfähigkeit stattfindet. 

Bei einer weiteren Versuchsreihe wurde ein Serum benutzt, 
das durch eine sehr geringe Einwirkung von Pepsin-HCl vor- 
behandelt war. 


Versuch V. 

300 ccm Serum, mit 0,2 g Pepsin in 0,3proz. HCI-Lösung drei Tage 
lang bei etwa 10° C. verdaut, bis die biologische Präzipitierbarkeit 
durch Immunserum von einem Kaninchen fast Null geworden, dann 
schwach alkalisch gemacht, mit dem gleichen Volumen 0,8proz. NaCl 
verdünnt. 

Zu jedem Versuch 10 ccm Serumlösung mit 52,74 mg noch koagu- 
lablem und 22,74 mg schon verdautem Stickstoff. Als Vergleich diente 
der Verdauungsversuch III mit genuinem Serum. Trypsinlösung wie III, 
desgl. Volumen. Angaben in Proz. des noch koagulablen Stickstoffs! 


Genuin Peptisch vorverdaut 
Zeit (Std) | Verdaut Unverdaut Verdaut Unverdaut 
e 20 14.41 Proz. |: 88,38: Proz. | 47,44 Proz, |: 47,56: Proz. 
45 —_ _ 60,77 Proz. |; 43,91. Proz. 
48 25,68 Proz. 75,01 Ph — — 
125 28,04 Proz. | 74,05 Proz. || 61,38 Proz. | 40,55 Proz. 


Dieser Versuch zeigt, daß schon nach einer schwachen Pepsin- 
verdauung auch das noch koagulierbar gebliebene Eiweiß durch 
Trypsin in kurzem erheblich leichter seiner Koagulierbarkeit 
beraubt wird als natives Eiweiß. 


Da die Menge des auch nach dem Inaktivieren noch resistent 


gebliebenen Teils des Serums eine annähernd konstante war, 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 19 


390 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


prüften wir bei dem besonders gut gelungenen Versuch IV, ob 
vielleicht jener Anteil mit einer der verschiedenen Serumfraktionen 
identisch war. Ein Versuch ergab: 


Versuch VI. 
Serumlösung: 50 ccm. Nach dem Inaktivieren leicht verdaulicher 
N: etwa 135 bis 140 mg. | 
In 50 ccm derselben Serumlösung Albumin-N: 
Gefunden: I: 140,22 mg. 
2 Il: 153,00 mg. 
Der Albuminstickstoff wurde bestimmt, indem das Globulin mit 
Natriumsulfat*) ausgefällt und ein aliquoter Teil des Filtrats nach 
Kjeldahl verbrannt wurde; der Versuch wurde wiederholt. 


An diesen so gewonnenen Serumeiweißfraktionen wurde nun 
ein vergleichender Verdauungsversuch angestellt, wobei gleichzeitig 
auch hier der Einfluß des Erhitzens auf 68 bis 70° geprüft wurde. 


Versuch VL. 
Globulin: Durch 19 Proz. wasserfreies**) Natriumsulfat zweimal 
umgefällt, schwefelsäurefrei dialysiert. 
Probe: 50 Proz. Ammonsulfat, im Filtrat Eiweiß fast = 0. 
Albumin: Filtrate dieser Fällungen noch einmal mit 20proz. Na,SO, 
gefällt, schwefelsäurefrei dialysiert. (12 Tage.) 
Probe: Bis 52 Proz. Ammonsulfat keine Trübung. Beide Lösungen 
mit 10 g NaCl auf 1000 ccm aufgefüllt. Zu jedem Versuch: 75 ccm. 
Albumin: 56,4 mg koagulabler N 
Globulin: 79,97 „ 
Trypsinlösung: 
Menge I (5 cem: = 6,12 mg N). 
Angaben in mg N, (bei dem Beginn des Versuchs noch koagu- 
lablen N, abzüglich Trypsinfiltrat-N). 


” ” 


3 Albumin Globulin 
© 
a a 
zu Verdaut Unverdaut) Verdaut |Unverdautie 

I |4 |Genuin. 8,04 43,62 95,77 43.3 24 
II | 2 |Genuin. 16,08 95,08 17,37 #620 je 
IV | ı |6enuin. 16,86 92,62 14,64 37,86 13 
I 4 | Imakt. 18,84 35,64 34,34 23,64 |1a 
I | 2 | Inakt. m “e 21,75 42,06 19a 
IV |ı | ‚makt. BE 15,42 & 34,62 |3a 
I 1 |Genuin. 8,04 43,44 6,36 67,56 a 


*) Hopkins und Pinkus, Journ. of physiol. 27 (1901). 
**) Hopkins und Pinkus loc. eit. 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 291 


Es zeigt sich kein nennenswerter Unterschied in der Ver- 
daulichkeit. 

Will man diesen Versuch nicht für ganz wertlos halten, so ist 
vielleicht höchstens daraus zu ersehen, daß Albumin die Eigen- 
schaften des nicht zerlegten Serums wiederspiegelt. Diese Eigen- 
tümlichkeit des Albumins ist in anderen Fällen von anderen 
Forschern ebenfalls öfter beobachtet. Auf das Globulin dagegen 
scheint das Inaktivieren ohne nennenswerten Einfluß zu sein, eine 
Eigenschaft, die sich allerdings mit den vorher beim Gesamtserum 
erhaltenen Resultat gut in Einklang bringen ließe. Indessen lassen 
sich irgendwelche wichtigen Schlüsse aus dem Verhalten der 
präparativ hergestellten Eiweißstoffe des Serums nicht ziehen. 
Wir werden darauf am Schlusse der Arbeit nochmals zurück- 
kommen. 


Zusammenfassung und Diskussion der Resultate. 

Aus diesen Versuchen geht folgendes hervor: 

Das genuine Serum zeigt eine erhebliche Resistenz 
gegen die Einwirkung des Trypsins, ausgedrückt in der Er- 
haltung der Koagulationsfähigkeit eines Teiles des Eiweißes. 

Diese Resistenz geht zum größten Teile verloren, 
wenn man das Serumeiweiß durch Koagulation seiner 
Genuinität beraubt. 

In geringerem Maße bewirkt dasselbe eine sehr kurze Vor- 
behandlung mit Pepsinsalzsäure, die an sich die Koagulation nur 
wenig beeinträchtigt. 

Im genuinen Serum widersteht ein annährend kon- 
stanter, erheblicher Teil des koagulablen Eiweißes der 
Trypsinverdauung und wird auch bei längerer Ein- 
wirkung des Fermentes und bei Zusatz neuer Ferment- 
mengen nicht weiter beeinflußt. 

Jedoch ist dabei der Vorbehalt zu machen, daß es sich bei 
diesen Versuchen um relativ kurze Zeiten (in maximo zwölf Tage) 
und nicht sehr große Enzymmengen handelt. Wie wir aus 
früheren Versuchen (Michaelis und Oppenheimer loc. cit.) 
wissen, gelingt es meist, durch Anwendung ungeheurer Enzym- 
mengen und sehr langer Zeiten (bisweilen vieler Monate) auch 
genuines Serum restlos (bis zum Verschwinden der Biuretreaktion) 
aufzuspalten. Es handelt sich also auch hier nur um eine sehr 
weitgehende, aber nicht um eine absolute Resistenz. Vermutlich 
spielt bei den langen Zeiten die Wirkung des Alkalis eine unter- 
stützende Rolle, worauf wir unten zurückkommen werden. 

19* 


292 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Die Menge des in diesem Sinne als resistent anzusehenden 
Eiweißes entspricht fast genau der Menge der Globuline des 
Serums, wie sie die Fraktionierung mit Hilfe von Natriumsulfat 
anzeigt. Man könnte deshalb auf die Vermutung kommen, daß 
es ausschließlich die Globuline sind, die vom Trypsin nicht an- 
gegriffen werden, wie denn Rostoski*) die Globuline als schwer 
angreifbar bezeichnet. So wahrscheinlich diese Annahme ist, so 
ist es doch nicht möglich, sie einwandsfrei zu begründen. Wenn 
man nämlich die Eiweißstoffe darstellt, die man gemeinhin als 
Serumalbumin und Serumglobulin bezeichnet, so ist ein so auf- 
 fallender Unterschied in der Resistenz dieser Präparate gegen 
Trypsin nicht zu konstatieren, daß man daraus jene Annahme 
bekräftigen könnte (s. Versuche). 

Aber ebensowenig kann man aus dem unbefriedigenden Aus- 
. Tall dieser Analysen darauf schließen, daß die Vermutung falsch ist, 
daß das genuine Serumglobulin doch der Träger der Resistenz ist. 

Man kann sich eben der Annahme nicht verschließen, daß 
die Manipulationen, die man zur Gewinnung dieser Präparate 
vornehmen muß, die Einwirkung gesättigter Salzlösungen, die 
Dialyse usw., doch einen leicht verändernden Einfluß auf die nativen 
Eiweißstoffe haben, und daß man aus diesen künstlich hergestellten 
Stoffen nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Verhältnisse im 
frischen Serum machen kann. Wenn man bedenkt, daß Koagu- 
lation des Serumeiweißes die Resistenz sofort aufhebt, und anderer- 
seits, wie schnell jene künstlichen Präparate ihre Löslichkeit 
verlieren, in einen dem koagulierten ähnlichen Zustand über- 
gehen, so wird man auf diese Vergleichung wenig Gewicht legen. 
Für Veränderungen in der Struktur bei den Aussalzungen sprechen 
auch die Beobachtungen über Sulfatbildung beim Ausfällen 
von Serumeiweiß mit Ammonsulfat (Moerner)**) und die Fixierung 
neuer Fällungsgrenzen beim Serumalbumin (OÖppenheimer).*“*) 

Kurzum, es ist nicht unwahrscheinlich, daß tatsächlich das 
genuine Serumglobulin der Träger der Resistenz ist, ein Beweis 
dafür oder dagegen hat sich bisher aber nicht erbringen lassen. 
Es harmoniert diese Vermutung mit der vielfach vertretenen An- 
sicht, daß die Globuline in erster Linie die biologische Funktion, 
die Albumine mehr die des Nahrungseiweißes erfüllen sollen, wofür 

*) Rostoski, Vorl. Mittlg. in der Münch. med. Wochenschrift 1903. 
(Sitzungsber. d. Würzb. Phys. Med. Soz.) 

**) Moerner, Zur Kenntnis der Bindung des Schwefels in den Protein- 
stoffen. Zeitschrift f. physiol. Chemie 36, 247 (1902). 


*#*) Oppenheimer, Über Fraktionierung des Serumalbumins, Verhandl. 
d. physiol. Gesellsch. Berlin. Novbr, 1902. 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 293 


der Zusammenhang aller möglichen aktiven Zellstoffe, Toxine, 
Fermente, Antikörper mit den Globulinen herangezogen wird, so- 
wie die Beobachtung, daß bei hungernden Schlangen das Albumin 
aus dem Blute verschwindet, während das Globulin zurückbleibt*). 

Ein in dieser Hinsicht von uns am Kaninchen angestellter 
Versuch ergab nicht das erhoffte Resultat. 

Auch nach sechstägigem Hunger, bei dem das Tier 17 Proz. 
seines Körpergewichts verlor, betrug der Albumingehalt noch etwa 
70 Proz. des Blutes, wie bei einem Kontrolltier in gutem Er- 
nährungszustande. Bei längerem Hungernlassen starb ein Tier am 
zehnten Tage. Weitere Versuche sind in Aussicht genommen, 
um diese Frage zu untersuchen. 

Sehen wir also von der bislang nicht zu entscheidenden 
Frage ab, ob es die Globuline des unveränderten Serums sind, 
die der Trypsinverdauung Widerstand entgegensetzen, so mußte 
durch weitere Versuche die Beziehung zwischen der Genuinität 
als solcher und der Resistenz, und andererseits die Beziehung 
zwischen dem Antitrypsin und der Resistenz der Aufklärung näher 
gebracht werden. 

Ein Mittel, das die Genuinität des nativen Serumeiweißes 
wenigstens in einer Richtung aufhebt, ist eine leichte Andauung 
mittelst sehr geringer Pepsinmengen. Wie L. Michaelis**) 
zeiste und andere Untersucher (OÖbermayer und Pick***), 
Rostoskir) bestätigen konnten, geht die Präzipitierbarkeit nor- 
maler Sera durch ihr reziprokes Präzipitin bald verloren, noch be- 
vor die Koagulationsfähigkeit merklich beeinträchtigt ist. Der Ver- 
lust dieser für genuine Eiweißstoffe charakteristischen Funktion 
zeigt also leichte Veränderungen des chemischen Zustandes an, 
wenigstens darf man dies in dem Falle annehmen, wenn man die 
präzipitinverbindende Gruppe als zum Eiweißkmolekül selbst ge 
hörig ansieht (cfr. Michaelis und Oppenheimer loc. cit.). 

Der oben angeführte Versuch mit pepsinangedautem Serum 
ergibt nun in der Tat eine beträchtliche Verminderung der Resi- 
stenz. Durch eine sehr geringe Einwirkung von Pepsin 
wird also der Angriff des Trypsins wesentlich ver- 
stärkt. 


*) Bunge, Lehrbuch der physiol. Chemie 2, 255f. 
**), L. Michaelis, Untersuchungen über Eiweißpräzipitine. Deutsche 
med. Wochenschrift 1902. 
***) Obermayer und Pick, Biolog. Studien über das Eierklar. Wiener 
klin. Rundschau 1902, 15. 
7) Rostoski, Habil. Schrift. Würzburg 1902. 


994 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Dieses Ergebnis ist nach anderen Richtungen ebenfalls nicht 
ohne Interesse. Die Tatsache, daß das Pepsin das Eiweiß gegen 
Trypsin empfindlicher macht, stützt auch andererseits unsere An- 
nahme, daß die bindende Gruppe für das Präzipitin, die dabei zu- 
erst verloren geht, tatsächlich dem Eiweißmolekül selbst angehört. 
Fernerhin ist die Leichtverdaulichkeit peptisch angedauten Serums 
für die physiologische Frage der doch zweifellos völligen Aus- 
nutzung des Serumeiweißes im Organısmus interessant, da diese 
Reihenfolge der Einwirkung den physiologischen Eingriffen des 
Organismus im Magen und Darm entspricht. 

Für die Frage nach der Bedeutung des Antitrypsins ist auch 
dieser Befund nicht entscheidend. Obwohl es nahe liegt, anzu- 
nehmen, daß die Leichterverdaulichkeit des mit Pepsin vor- 
behandelten Serums die Annahme eines Antitrypsins als über- 
flüssig erscheinen lassen könnte, so ist doch andererseits’ nicht 
von der Hand zu weisen, daß diese Vorbehandlung das Antitrypsin 
gerade so zerstören könnte, wie die Erhitzung bis zur Koagulation. 

Kommen wir nun zu der schwierigsten Frage, der nach der 
wirklichen Anteilnahme des Antitrypsins, so ist dabei folgen- 
des zu bemerken: 

Unsere Versuche geben uns keinen Grund, an der Annahme 
eines Antitrypsins im Blutserum zu zweifeln, dessen Existenz von 
mehreren Forschern als erwiesen angesehen wird. Wir können 
sogar mit einiger Sicherheit annehmen, daß auch gegen die Ver- 
dauung des Serums selbst das Antitrypsin wirksam ist. 

Etwas anderes ist aber, ob das Antitrypsin allein die Resi- 
stenz des genuinen Serums verschuldet. Zur Prüfung dieser Frage 
kann man zwei Wege einschlagen: Da das Antiferment stöchio- 
metrisch wirken soll, so kann es nur eine bestimmte Ferment- 
menge neutralisieren; sobald diese Grenze überschritten ist, muß 
das überschüssige Ferment keinen Widerstand mehr vorfinden. 
Wie Ehrlich*) für die Beziehungen zwischen Antitoxin und Toxin 
den Grenzwert der völligen Neutralisation (L,) eingeführt hat, so 
muß ein limes Null auch für die gegenseitige Bindung zwischen 
Ferment und Antiferment existieren. Die Kurven müßten dem- 
zufolge einen Sprung aufweisen: sie müßten oberhalb des Fer- 
mentwertes L, rapide ansteigen; infolgedessen dürfte außerdem 
das Schütz-Borissowsche Zeitgesetz der tryptischen Wirkung für 
antitrypsinhaltige Eiweißlösungen nicht stimmen. 


*) Ehrlich, Die Wertbemessung des Diphtherieheilserums. Klinisches 
Jahrb. 6 (1897), cfr. auch Oppenheimer, „Die Bakteriengifte“ in Wasser- 
mann-Rolle, „Handb. d. pathogenen Mikroorganismen“. Jena 1902, 1. 


Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 295 


Das zweite Mittel ist die Vernichtung des Antitrypsins durch 
Mittel, die die Genuinität des Eiweißes nicht antasten; als solches 
haben wir das Erwärmen auf 68° gewählt. Ein solches „in- 
aktiviertes“ Serum mußte, wenn nur das Antitrypsin die 
Wirkung des Fermentes hemmte, ohne Schwierigkeit der Trypsin- 
verdauung unterliegen. 

Die Versuche in bezug auf den ersten Punkt haben nichts Ent- 
scheidendes ergeben. Die Verdauung des genuinen Serums zeigt 
keinen deutlichen Sprung in der Kurve, und auch die Abweichungen 
vom Zeitgesetz sind nicht ausgesprochen genug, um die Existenz 
eines hier wirksamen Antifermentes zu erweisen oder auszu- 
schließen. Das Zeitgesetz hat nach unseren Versuchen beim 
genuinen Serum für größere Fermentmengen annähernde Giltig- 
keit, für kleinere nicht. Das spricht wohl für die Existenz eines 
Antitrypsins, das kleinere Fermentmengen neutralisiert, beı 
größeren aber in den Hintergrund tritt. Wenn aber das Anti- 
trypsin nur wenig Trypsin abzulenken im stande ist, so kann diese 
Wirkung in den Anfangsteilen unserer Kurven unerkannt bleiben. 
Aber dann ist eben die Menge des wirksamen Antitrypsins 
zu gering, um die Resistenz des genuinen Serums zu 
erklären, und wir müssen nach weiteren Ursachen für diese 
Resistenz forschen. Und darauf allein kommt es bei diesen Ver- 
suchen an, die ja, wie gesagt, die Existenz eines Antitrypsins 
gar nicht in Zweifel ziehen sollen. 

Das seines Antitrypsins beraubte, bei 63° „inaktivierte“ Serum 
zeigte nicht eine quantitativ erhebliche Resistenzverminderung. 
(Versuch III und IV.) 

Ceteris paribus wurde bei Anwendung gleicher 
Trypsinmengen nach einer gewissen Zeit ein gleicher 
Anteil des Serumeiweißes unangegriffen gefunden. 
Eine ausschlaggebende Wirkung des Antitrypsins ist also 
hier nicht anzunehmen. 

Wohl aber zeigt sich ein bemerkenswerter Unterschied, wenn 
man die ersten Stadien betrachtet. Es zeigt sich eine deutliche 
Verzögerung in der Angreifbarkeit. Das genuine Serum erreicht 
langsam, erst nach mehreren Tagen, einen Punkt, den das inak- 
tivierte schon nach 24 Stunden erreicht hat. Wie diese Tatsache 
zu erklären ist, wagen wir nicht zu entscheiden; es ist durchaus 
plausibel, für diese ersten Stadien der Verdauung die Hemmung 
durch das Antitrypsin des genuinen Serums in den Vordergrund 
zu stellen und etwa anzunehmen, daß das ursprünglich wirksame 
Antiferment binnen vier Tagen bei Bruttemperatur zerstört wird. 


996 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


Doch im Falle dieser Annahme tritt dann um so mehr die Frage 
hervor, worauf denn die dann bestehende Resistenz beruht. Nicht 
auf einer Vernichtung des Trypsins. Abgesehen davon, daß 
vier Tage für die Wirksamkeit eines guten Präparates, wie die 
Kontrollen an leicht verdaulichen Eiweißstoffen zeigen, eine aus- 
reichende Frist sind: unsere Versuche zeigen ja, daß auch neuer 
Fermentzusatz in mäßigen Grenzen während kurzer Zeiten nichts 
mehr am Resultate ändert. Es sei hier, um Mißverständnissen 
vorzubeugen, nochmals daran erinnert, daß übergroße Ferment- 
mengen und sehr lange Zeiten schließlich allerdings zumeist auch 
diesen Widerstand besiegen. 

Wir dürfen also aus unseren Versuchen den Schluß ziehen, 
daß die Existenz eines Antitrypsins allein nicht die 
Resistenz des genuinen Serums gegen Trypsin zu 
erklären vermag. 

Es muß also in der chemischen Eigenart des genuinen 
Serumeiweißes der Hauptgrund für seine Schwerangreifbarkeit 
liegen. 

Wenn wir uns auf den Boden stellen dürfen, daß die Fermente 
in ihrer spezifischen Wirkungsart gewisse thecretisch wichtige 
Analogien mit den Toxinen aufweisen, so dürfen wir es wagen, 
über die Ursache dieser Erscheinung einige Vermutungen zu äußern. 

Wie für die Toxine nach den Annahmen der Ehrlichschen 
Seitenkettentheorie bestimmte Angrifispunkte notwendig sind, 
ohne die eine Wirkung nicht eintritt, so könnte man auch für 
die spezifische Wirkung der Fermente ähnlich beschaffene Angriffs- 
punkte voraussetzen. Der eine von uns hat an anderer Stelle“) 


das Für und Wider einer solchen Hypothese ausführlich ausein- 


andergesetzt und gezeigt, daß sie zwar manche sehr große Schwierig- 
keiten darbietet, aber andererseits, wenn man sie rein heuristisch 
auffaßt, einen gewissen Wert haben kann. 

Man könnte sich dementsprechend vorstellen, daß ein Teil der 
Eiweißstoffe des genuinen Serums — nach den oben gegebenen 
Daten vielleicht die nativen Globuline —, sehr arm an solchen 
sterisch bestimmten Angriffispunkten für das Trypsin ist, während 
durch die leicht eingreifenden Manipulationen, die ihn seiner 
Genuinität berauben, diese Angriffspunkte in größerer Zahl frei 
werden. Solche Eingriffe sind die Koagulation, die Andauung 
durch Pepsinsalzsäure, das Umfällen mit konzentrierten Neutral- 
salzen. Bei allen diesen Vorgängen wirken Elektrolyte auf die 


*) Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen. II. Aufl. 


Leipzig 1903. 


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Über das Verhalten des genuinen Serums usw. 297 


kolloidale Eiweißsubstanz ein; und man darf wohl annehmen, daß 
es schon hier zum Eintritt von Wasser, zu Hydratisierungen, kommt, 
die Atomgruppierungen, die vorher ineinander gekettet waren, frei 
macht. Es ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß 
gerade im genuinen Serumeiweiß dıe spezifischen Gruppen an ein- 
ander gekettet sind, sodaß das Ferment nicht eingreifen kann, 
während sie nach der Hydratisierung frei und bindungsfähig werden. 


In ähnlicher Weise müssen in langen Zeiträumen die Elektro- 
iyte der schwachen Sodalösungen, mit denen man die Verdauungs- 
gemische stehen läßt, verändernd einwirken, wie ja auch ohne 
jedes Ferment Eiweißkörper bei langem Stehen mit Wasser 
schließlich zerfallen (Salkowski). So wäre zu erklären, daß 
schließlich das Ferment auch das genuine Eiweiß völlig aufspaltet. 
Daß diese „spezifische Bindung“ für die Wirkung der Fer- 
mente und auch besonders des Trypsins eine absolut ausschlag- 
gebende Rolle spielt, hat Henri*) neuerdings energisch verfochten, 
der auf Grund physikalisch-chemischer Messungen auch speziell bei 
der Trypsinspaltung**) zu dem Ergebnis gelangte, daß die Hydro- 
lyse eine mittelbare Katalyse (catalyse mediate) ist, die sich 
durch Bindung des Enzymes an das Substrat und Zerfall der ent- 
standenen lockeren Verbindung vollzieht. Er nimmt also auch in 
den verdaulichen Eiweißkörpern eine solche spezifische Bindung 
des Ferments an passende Atoingruppierungen an. 


Ob diese spezifisch bindenden Gruppen in Zusammenhang 
stehen mit den im Eiweißmolekül supponierten Aminogruppen, 
die in den intakten Molekülen fest gebunden sind, sei es durch 
. Aldehyd- oder Carbonylgruppen (Loew““”), En eisterf), sei 
dahingestellt. Jedenfalls sei im Hinblick darauf die Take 
erwähnt, daß die Verbindungen der Eiweißkörper mit Alde- 
hyden, die also eventuell sich an die Aminogruppen kuppeln, nach 
rn} r) gegen die Trypsinverdauung absolut resistent sind. 


Auch Schwarzschildfrr), der bei Hofmeister fand, daß 
die Curtiussche Base durch Trypsin spaltbar ist, nimmt die spezi- 


*) Henri, Lois genörales de l’action de quelques diastases. Paris 1903. 
*) Henri, Soc. Biol. 55 (12. VII. 1903.) 
*=**) J,oew, Eine Hypothese über die Bildung des Albumins. Pflügers 
Archiv 22, 503 (1880). 
7) Hofmeister, Über Bau und Gruppierung der Eiweißkörper. 
Asher-Spiro, Ergebnisse I, 1 (1902). 
+}) Schwarz, Über Verbindung der Eiweißkörper mit Aldehyden. 
Zeitschrift f. physiol. Chemie 31, 460 (1901). 
+r}) Schwarzschild, Über die Wirkungsweise des Trypsins. Diese 
Beiträge 4, 155 (1903). 


298 Carl Oppenheimer und Hans Aron, 


fische Konfiguration der gekuppelten Aminosäuren als ausschlag. 
gebend für die Angriffsfähigkeit des Try psins an. 

Andererseits findet sich nach E. Fischer und Abder- 
halden*) in jedem Eiweißkörper, der nicht zuvor ander- 
weitig verändert ist, eine noch ziemlich komplexe Gruppe, ein 
Polypeptid, das noch sämtliche Aminosäuren gebunden enthält, 
und gegen Trypsin absolut resistent ist. Damit erhält die 
alte, fast gestürzte Kühnesche Lehre vom Antipepton, das 
gegen Trypsin resistent ist, eine neue exakte Begründung. 

Daraus geht jedenfalls hervor, daß es Konstellationen im 
Eiweißmolekül gibt, die zwar an sich, z. B. durch Säuren, leicht 
hydrolytisch spaltbar sind, aber dem Trypsin keine Angriffspunkte 
darbieten. Und so darf man denn wohl ohne theoretische Be- 
denken sich der Ansicht zuneigen, daß unter Umständen auch 
größere Komplexe innerhalb des Eiweißmoleküles, die noch die 
Eigenschaft der Koagulation besitzen, derartiger Angriffspunkte 
entbehren, daß diese Komplexe aber schon durch leichte Eingriffe, 
ja selbst durch die langsame Wirkung der schwachen Alkalien 
so verändert werden, daß nunmehr die nötigen Angriffspunkte 
für das Trypsin frei werden. 

Derartige Konfigurationen sind auch schon für einfachere 
Stoffe angegeben worden. Nach Bourquelot**) ist die Gentianose, 
ein Trisaccharid, durch Emulsin unangreifbar; wenn es aber durch 
Invertase in Glykose und Gentiobiose gespalten ist, wird letztere 
leicht von Emulsin weiter gespalten. Noch ähnlicher unseren 
Verhältnissen ist die Resistenz der Mannane gewisser Palmen 
gegen die Wirkung der Seminase, die zahlreiche andere Mannane 
ähnlicher Natur aufspaltet. Bourquelot***) gelang es aber, durch 
vorsichtiges Behandeln mit kalter Schwefelsäure das Mannan 
ohne sichtliche Aufspaltung so zu verändern, daß es nunmehr 
durch Seminase glatt aufgespalten wurde. Es gelang ihm dann 
späterf) in den Samen von Phytelephas auch ein Enzym 
aufzufinden, das direkt auf das Mannan der Palmen wirkt, also 
eine Verwandtschaft zu den bindenden Gruppen besitzt, die den 


*) E. Fischer und Abderhalden, Über die Verdauung einiger Eiweiß- 
körper durch Pankreasfermente. Zeitschrift f. physiol. Chemie 39, 81 (1903). 
**) Bourquelot, Sur !’hydrolyse des polysaccharides etc. Journ. Pharm. 
Chim. (6) 16, 578 (1903). 
***) Bourquelot und Herissey, De l’action successive des acides et 
des ferments solubles sur les polysaccharides. Soc. Biol. 59, 567 (15. V. 03). 


7) Bourquelot und Herissey, Sur l& mecanisme de la saccharific. 
des mannanes etc. Soc. Biol. 55, 629 (12. VI. 03). 


| 


Uber das Verhalten des genuinen Serums usw. 299 


gewöhnlichen Seminasepräparaten fehlt. Das Enzym von Phytele- 
phas ersetzt also die Behandlung mit Schwefelsäure. 

Fassen wir das Ergebnis kurz zusammen: 

Das genuine Serum zeigt insofern eine Resistenz 
gegen die Trypsinverdauung, als ein beträchtlicher Teil 
seiner Eiweißstoffe lange Zeit hindurch seine Koa- 
gulationsfähigkeit behält. 

Diese Eigenschaft geht durch vorherige Koagulation 
verloren, wird durch geringfügige Einwirkung von Pep- 
sinsalzsäure erheblich geschwächt. 

Erhitzen auf 68° verändert nur die Form der Kurve 
nicht die quantitativen Verhältnisse. 

Die Wirkung eines Antitrypsins an sich ist nicht 
ausreichend, um diese Resistenz zu erklären; man muß 
eine spezifische Konfiguration des genuinen Serums, 
selbst annehmen. 

Diese Konfiguration beruht wahrscheinlich auf dem 
Mangel an Angriffspunkten für das Ferment, die zur 
Ausbildung der intermediären Verbindung zwischen 
Ferment und Substrat nötig sind. 

Das Zeitgesetz von Schütz-Borissow läßt sich beim 
genuinen Serum nicht mit Sicherheit auffinden. Es gilt 
annähernd nur für etwas größere Fermentmengen. 


Unserem hochverehrten Chef, Herrn Prof. Zuntz, für sein 
lebhaftes Interesse an dieser Arbeit unseren ergebensten Dank 
auszusprechen, ist uns eine angenehme Pflicht. 


XXV1. 


Die Fällung von Kolloiden. 
Von K. Spiro. 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


\ 


1. 


Die Giltigkeit des Verteilungssatzes für die Aussalzung. 


Die Fähigkeit der Eiweißkörper wie anderer Kolloide bei einer 
bestimmten Temperatur oder durch Zusatz gewisser Stoffe, z. B. 
Alkohole verschiedener Art, in eine unlösliche Modifikation über- 
zugehen, zu „gerinnen“, ist wohl das älteste Verfahren, das zu 
ihrer Abscheidung benutzt wurde; ein zweites Verfahren zur Ab- 
scheidung der Kolloide ist die Überführung in unlösliche Ver- 
bindungen durch chemische Eingriffe, indem man mit Hilfe von 
Jonenreaktionen unlösliche Salze darstellt. Diese Methoden haben 
wohl für analytische Zwecke eine besondere Bedeutung, können 
aber natürlich nicht zur Aufklärung über das physikalische Ver- 
halten der Kolloidlösungen dienen. 

Vergleichsweise spät hat man nach dem Vorgange von Denys, 
Heynsius, Hoppe-Seyler, Hammarsten, Kühne u. a. auch 
die Abscheidung durch Zufügung von Neutralsalzlösungen benutzt. 
Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, daß dabei eine Koagu- 
lation der Eiweißstoffe vermieden wird; weiter entwickelt ist es 
dann in der von Hofmeister eingeführten Methode der fraktio- 
nierten Salzfällung. Eınpirisch ist dieses Verfahren so viel- 
fältig und mit so unzweideutigem Erfolg angewandt (man denke 
nur an die Fraktionierung der Bluteiweißkörper und der Albu- 
mosen), daß Zweifel an seiner Brauchbarkeit für eine große Anzahl 
von Fällen nicht bestehen; über das Wesen des Aussalzungs- 
vorgangs liegen jedoch nur ganz wenige Untersuchungen vor.*) 


*) Schulze, Journ. f. prakt. Chemie 25, 431; 27, 320. — Prost, 
Bull. de l’Acad. Roy. de Belg. 1887, 312. — Linder und Picton, 
Journ. Chem. Soc. 67, 63. — Hardy, Zeitschrift f. physik. Chemie 33, 385. 


Die Fällung von Kolloiden. 301 


Wenn wir die bei der Aussalzung der Eiweißkörper resp. der 
Kolloide bisher gefundenen Tatsachen zusammenstellen, so fällt in 
erster Linie auf, daß das Phänomen ohne störende Nebenreaktion 
zumeist nur durch Neutralsalze, d. h. elektrolytisch dissoziable 
Verbindungen hervorgerufen werden kann. Das habe ich zuerst 
beim kolloidalen Eisenoxyd (Zuckerlösungen, Harnstofflösungen 
fällen nicht), Pauli dann in umfassenderer Weise bei den Eiweiß- 
körpern festgestellt). 

Dabei rufen die Salzlösungen keine chemische Veränderung 
der Kolloide hervor, denn im Gegensatz zur Wirkung der Hitze- 
koagulation bleiben bei der Aussalzung die Kolloide zunächst un- 
verändert und können durch Verdünnung wieder in Lösung ge- 
bracht werden. Wie wichtig dies für das Studium der Eiweißkörper 
geworden ist, braucht kaum hervorgehoben zu werden. 

Da bei der Fällung mit Alkohol, Phenol, Aceton oder ähnlichen 
Stoffen („Alkoholfällung“) Eiweiß leicht in eine nicht mehr lösliche 
Modifikation übergeht, so hat man die Salzfällung als etwas von 
der Alkoholfällung prinzipiell Verschiedenes angesehen und ist 
dazu gelangt, das Fällungsvermögen der Salzlösungen mit ihrer 
Ionisation, ihrer elektrischen Ladung, in Zusammenhang zu bringen. 
Man hat jedoch keinen ausreichenden Grund, die Alkohol- 
fällung von der Salzfällung in der angegebenen Art zu 
unterscheiden: fällt man eine Lösung von kristallisiertem Serum- 
albumin mit Alkohol oder Aceton, so ist der entstandene Nieder- 
schlag zunächst noch vollkommen wasserlöslich, er geht nur ganz 
allmählich durch eine sekundäre Reaktion in eine unlösliche Modi- 
fikation über; die Geschwindigkeit, mit der diese sekundäre Re- 
aktion eintritt, ist für die einzelnen Eiweißstoffe verschieden, z. B. 
für das kristallisierte Ovalbumin größer als für das kristallisierte 
Serumalbumin; für alle aber läßt sich zeigen, daß es sich um eine 
sekundäre Reaktion handelt. 

Eine solche sekundäre Nebenreaktion tritt aber auch bei der 
Salzfällung sehr häufig ein. Kristallisiertes Ovalbumin, das längere 


— Spring, Bull. de l’Acad. Roy. de Belg. 1900, 483. — Bredig, An- 
organische Fermente S. 15. — Whitsey und Ober, Zeitschrift f, physik. 
Chemie 39, 630. — Barus, Americ. Journ. of Science 37, 122. — Bod- 
länder, Nachr. d. Kgl. Ges. d. Wiss. Göttingen 1893, 267. — H. Freund- 
lich, Zeitschrift f. physik. Chemie 44, 129. — R. Höber, Physik. Chemie 
der Zellen und der Gewebe. Leipzig 1902. — Rothmund, V., Zeitschrift 
f. physik. Chemie 35, 401. 

*) Spiro, Über physikalische und physiologische Selektion. Straß- 
burg, Verlag der Schmidtschen Univ.-Buchhdlg. — Pauli, W., Pflügers 
Archiv 78, 8315. — Diese Beiträge 2, 1; 3, 225 (zum Teil mit P. Rona). 


302 K. Spiro, 


Zeit mit neutraler oder schwach saurer Ammonsulfatlösung in Be- 
rührung war, wird zum Teil in Wasser unlöslich und ändert sich 
auch sonst in seinem Verhalten, z. B. Verdauungsfermenten gegen- 
über. Ebenso geht kolloidales Eisenoxyd bei der Fällung mit 
Salzen sehr schnell in das nicht mehr lösliche Oxyd über, schneller 
als z. B. Serumalbumin bei der Fällung mit Alkohol unlöslich wird. 

Da die Löslichkeit des Fällungsproduktes, die Reversibilität des 
Fällungsprozesses, bisher allein zur Unterscheidung von Alkohol- und 
Salzfällung diente, so ist nach dem Gesagten diese Trennung prin- 
zipiell nicht mehr zu rechtfertigen*); und wenn wir die beiden Me- 
thoden nicht als wesentlich verschieden anzusehen berechtigt sind, so 
dürfen wir auch nicht für die Erklärung der Salzfällung nur solche 
Momente heranziehen (Ionisation, Dielektrizitätskonstante), die für 
die Alkoholfällung nicht in Betracht kommen und daher auch für 
die Salzfällung nur als begleitende Momente aufzufassen sind. 

Daß für die Wirkung der Salze nicht einfach molekulare Ver- 
hältnisse in Betracht kommen, ergaben bereits die ersten Versuche, 
ebenso daß die einzelnen Salze in ihrem Wirkungsgrad sehr er- 
heblich differieren, Bittersalzlösung stärker wirkt als Kochsalz- 
lösung, Ammonsulfat stärker als Bittersalz. Systematisch hat zu- 
erst Hofmeister“) mit seinen Schülern diese Verhältnisse 
studiert und gewisse Gesetzmäßigkeiten gefunden, z. B. für ähnlich 
konstituierte Salze eine Beziehung zum Molekulargewicht festgestellt 
und damit den Vorgang als einen molekular-physikalischen 
erwiesen. Hofmeister konnte ferner zeigen, daß das Fällungs- 
vermögen der Salze sich im allgemeinen additiv aus dem Fällungs- 
vermögen der beiden Ionen zusammensetzt. 

Einen neuerlichen sehr wesentlichen Fortschritt in dieser 
Frage verdanken wir W. Pauli. Durch die Untersuchung der 
fällenden Wirkung kombinierter Salzpaare konnte er feststellen, 
daß einzelne Salze auch die Fällung verhindern können, was ihn 
dazu führte, die Effekte der Ionen eines Salzes nicht als gleich- 
sinnig, sondern als antagonistisch wirkende Größen zu betrachten; 
da die positiven H-Ionen Fällungsmittel sind, nimmt Paulian, daß 
die Kationen der Salze fällen, die Anionen Fällung hindern, und 
daß sie sich dabei in folgende Reihen bringen lassen: Fällend: 
Mg <NH, <K<Na<Li; Hindernd: CNS > J > Br> CIO, > 
NO, > C1> CH, COO > Tartr. > Citr. > PO, > SO, > Fl. 


*) Beide Fällungsmethoden zeigen auch in anderen Punkten Überein- 
stimmung, so wird sowohl die Alkoholfällung, als aucb die Salzfällung von 
Eiweißkörpern durch Harnstoff gehemmt (Spiro, Pauli). 

**) Archiv f. experim. Path. u. Pharm. 25, 1; 27, 295; 28, 210. 


Die Fällung von Kolloiden. 303 


Eine ganz ähnliche Reihenfolge und dieselbe spezielle Differenz 
zwischen den beiden Ionenarten hatte schon vorher Posternak‘*) 
festgestelli. An dem Eiweiß des Samens von Picea excelsa konnte 
er feststellen, daß dessen schwach alkalische Lösungen leichter 
durch Chloride als durch Bromide, als durch Nitrate, als durch 
Jodide gefällt werden, während für die Kationen die Reihe lautet 
NH, >K >Na; umgekehrt war in der sauren Lösung J > NO, 
> Br >Clund Na > K > NH. Wie man sieht, findet in der 
alkalischen Lösung eine Umkehrung der Paulischen Reihenfolge 
der Kationen, in der sauren eine solche der Anionen statt. 

Ebenso wie die Salze sich in ihrem Fällungsvermögen unter- 
scheiden, tun dies auch die verschiedenen Eiweißstoffe in ihrer 
Fällbarkeit: die Fällungsgrenzen sind verschieden für die ein- 


- zelnen Stoffe. Gesetzmäß:gkeiten haben sich hierfür noch keine 


ergeben, da wir ja über die wichtigsten physikalischen Eigenschaften 
der Eiwei&stoffe noch nicht unterrichtet sind; hervorgehoben mag 
nur das eine werden, daß diejenigen Stoffe, welche zu ihrer Lösung 
der Anwesenheit von Salzen bedürfen (Globuline, Heteroalbumose), 
auch am leichtesten durch Salze ausgefällt werden. 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist endlich, daß die Fällungs- 
grenzen für einen und denselben Eiweißkörper nicht unerheblich 
von der Konzentration der Lösung abhängen. Darauf hat Hof- 
meister schon in seinen ersten Mitteilungen hingewiesen; es ist 
dieser Punkt nicht nur von hervorragend praktischer Bedeutung, 
sondern er zeigt uns auch, daß hier nicht einfache chemische 
resp. stöchiometrische Verhältnisse vorliegen. Konzentrierte 
Lösungen beginnen früher auszufallen als verdünnte; 
doch läßt sich bei allen Eiweißkörpern ziemlich bald ein Punkt 
erreichen, von Jem an eine mehr oder weniger große Verdünnung 
auf die untere Fällungsgrenze ohne merklichen Einfluß ist. 

Wie ist nun die Aussalzung zu erklären? Man spricht zu- 
nächst meist von „Entziehung des Lösungsmittels“ oder von 
„Löslichkeitsverminderung“. Daß eine solehe Löslichkeitsvermin- 
derung eines Stoffes durch Gegenwart eines zweiten hervorgerufen 
werden kann, ist nicht nur eine Erfahrungstatsache, sondern ist 
eine einfache Folgerung, wenn wir den osmotischen Druck mit dem 
Dampfdruck nach van’t Hoff in Analogie setzen. Nernst**) kam 

ı 
— =, wol die Löslichkeit eines Kör- 
pers N in A, !’ die nach Zufügung eines anderen Körpers, und 

*) Annal. de I’Institut Pasteur 15, 85. 

**) Zeitschrift f. physik. Chemie 4, 150; 6, 16. 


so zu der Formel 


304 K. Spiro, 


n resp. N die Zahl der Molekel des gelösten Stoffes bzw. des 
Lösungsmittels ist; man kann also unter bestimmten Verhält- 
nissen auf diesem Wege auch zu einer Molekulargewichtsbe- 
stimmung gelangen. So einfach liegen die Verhältnisse aber nicht 
immer. Fassen wir als Beispiel der Löslichkeitsverminderung 
die Ausfällung der Salze aus wässeriger Lösung mit Alkohol ins 
Auge: Bei steigenden Mengen Alkohol finden sich in 100 Teilen 
der Lösung 
0 Proz. 10- Proz. 20 Proz. 30 Proz. Alkohol 


NaCl 26,4 293,2 18,4 14,9 

Na,SO, 25,6 14,35 5,6 — 
40 Proz. 50 Proz. 60 Proz. 80 Proz. Alkohol 

Nat. Ar 8,9 5,6 12 

Na,SO, 1,3 — — — 


Man erkennt keine Beziehung der Löslichkeitsverminderung 
zum Weingeistzusatz, und wenn man annehmen wollte, der Alkohol 
entziehe dem Salz Wasser als Lösungsmittel, so kommt man zu 
folgenden Zahlen: Es sind an H,O entzogen bei einem Gehalt von 

10 Proz. 20 Proz. 30 Proz. 40 Proz. Alkohol 
aus NaCl-Lösung 5,9 10,31 13,56 15,68 Teile 
aus Na,SO,-Lösung 33,06 58,12 — 54,92 Teile 

50 Proz. 60 Proz. 80 Proz. Alkohol 
aus NaÜQl-Lösung 16,29 18,79 16,38 Teile 
aus Na,SO,-Lösung — — — Teile. 

Ich habe diese Berechnung nur für diese beiden Salze angestellt, 
weil sie schon zur Genüge zeigt, daß die Ausfällung nicht nur auf 
einer :der Alkoholmenge proportionalen Entziehung des Lösungs- 
mittels beruhen kann. Ferner zeigt ein Vergleich der beiden Reihen, 
wie außerordentlich verschieden in beiden Fällen die Löslichkeits- 
verminderung ist, wie sehr die Form der Kurve von der Art des 
angewandten Salzes abhängt. Andere Salzlösungen werden 
durch Alkohol in zwei Schichten getrennt, von denen die eine eine 
‚ konzentrierte Salzlösung mit wenig Alkohol, die andere konzentrierter 
Alkohol mit wenig Salz ist. Bekannt ist ja, daß man K,CO, und Öall, 
dementsprechend zur Reinigung der Alkohole anwendet. Wenn man 
sich von dem Vorgang ein Bild machen will, so muß man alle 
drei vorhandenen Stoffe betrachten. — Dazu führt uns auch 
folgende Überlegung: Brauche ich zur Lösung von a g Eiweiß 
bg Wasser, sind aber in einem bestimmten Volumen Ammonsulfat- 


R b 5 
lösung C nur — Wasser noch so vorhanden, daß sie zur Lösung des 
x 


Eiweiß dienen könnten, so müßten sich doch die a g Eiweiß ın 


Die Fällung von Kolloiden. 305 
x. C Lösung lösen, z. B. ein zwischen 50 und 60 Vol.-Proz. Ammon- 
sulfatlösung ausfallender Eiweißkörper sich auch in einer etwas 
größeren Quantität 60 Vol.-Proz. Ammonsulfatlösung auflösen 
lassen, usf. Gerade für die Aussalzung der Eiweißkörper hat sich 
aber ergeben, daß die absoluten Mengen der Lösungsmittel inner- 
halb gewisser Grenzen einflußlos sind. 


Ein ganz ähnliches Verhalten finden wir nun bei der gleich- 
zeitigen Wirkung zweier miteinander nicht mischbarer Lösungs- 
mittel: Wenn wir Bernsteinsäurelösung mit Äther schütteln, so 
geht in den letzteren sechsmal soviel von der Säure über, gleichgiltig 
wie immer wir das Verhältnis von Äther und Wasser variieren, 
wie die folgende Tabelle Berthelots*) zeigt. 


Gehalt in 
- . Wasser Ather Teilungskoeffizient 
Was Ather = 
ser theı C, C, 0,76, 
70 30 42,4 Teil 6,0 
49 49 43,8 7,4 6,0 
28 55,5 47,4 7,9 6,0 


Nernst hat dem Verteilungssatz folgende Fassung gegeben: 
„Verteilt sich ein gelöster Stoff zwischen zwei einander nur 
wenig lösenden Flüssigkeiten, so ist im Gleichgewichtszustand bei 
gegebener Temperatur das Konzentrationsverhältnis des gelösten 
Stoffes ein von der Menge des letzteren unabhängiges, mit 
anderen Worten: der gelöste Stoff besitzt einen konstanten 
Teilungskoeffizienten, wenn ihm in beiden Lösungsmitteln gleiche 
Molekulargröße zukommt.“ 


Nach den Versuchen Berthelots ist der Verteilungs- 
koeffizient von der Temperatur und der Verdünnung abhängig, 
bei Bernsteinsäure z. B. wird er mit abnehmender Temperatur 
und steigender Verdünnung kleiner. 


Daß es sich bei der Eiweißfällung um die Bildung zweier 
zunächst flüssiger Schichten handelt, davon kann man sich an 
geeignetem Material leicht überzeugen, der entstandene Nieder- 
schlag besteht aus feinen Tröpfchen (Globuliten), die je nach der 
Art des Eiweißkörpers; des umgebenden Mediums, der äußeren 
Bedingungen mehr oder weniger schnell in festen Zustand über- 
gehen. Dies läßt sich nicht nur am Leim, sondern auch an 
anderen Eiweißkörpern, speziell den Albumosen, ganz besonders 
schön am Leimpepton zeigen. 


*) Berthelot und Jungfleisch. (4) 26, 396. 1872. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 20 


306 K. Spiro, 


Um nun die Geltung des Verteilungssatzes für die Proteid- 
aussalzung zu prüfen, habe ich die Zusammensetzung der beiden 


Schichten untersucht. 

Nach mannigfachen Vorversuchen habe ich als Eiweißkörper reinstes 
(nach Hammarstens Vorschrift von mir dargestelltes) Kasein, als Fällungs- 
mittel Natriumsulfat (oberhalb 33°) benutzt. Das Kasein wurde mit wenigen 
Tropfen Soda in Lösung gebracht, der Gehalt der Lösung entsprach 9,72 Ge- 
wichtsprozent Kasein. Die durch 40 proz. Sättigung hervorgerufene Fällung 
wurde abzentrifugiert, schnell über Fließpapier getrocknet und analysiert. 
Das vorhandene Natriumsulfat wurde als Baryumsulfat zur Wägung ge- 
bracht, das Wasser durch Trocknen bei 105° bis zur Gewichtskonstanz 
bestimmt, das Kasein aus der Differenz berechnet; in einzelnen Fällen wurde 
der Eiweißgehalt durch Kjeldahl-Bestimmungen kontrolliert; bei der ge- 
fundenen hinreichenden Ubereinstimmung wurde in allen Fällen der aus 
der Differenz der Gewichtsanalysen berechnete Wert angeführt. Jede Be- 
stimmung wurde doppelt ausgeführt und das Mittel aus\zwei gut über- 
einstimmenden Analysen angegeben. Da dem Verfahren naturgemäß eine 
Reihe von Fehlern anhaftet, wurden mehrere Reihen von Doppelversuchen 
angestellt. 


Tabelle ]. 

Es ergab sich 
| | 3,0 Natriumsulfat | Kasein 

H - 

TEE | | Proz. Proz. | Proz. 
9,72 Proz. Kasein | Wasserschicht 77,40 21.42 | 1,18 
+ 40 Proz. Na,SO, | Kaseinschicht | 63,11 13,22 23,67 
ı Wasserschicht 77,21 | 19,21 | 3,58 
g x Kaseinschicht | 61,17 11,55 27,28 
Wasserschicht 77,86 21,66 | 0,48 
' Kaseinschicht | 63,19 13,31 | 23,50 
Wasserschicht | 77,68 18,04 4,98 
6; ' Kaseinschicht 60,87 10,24 | 28,89 


| | 
Als Mittel ergibt sich aus diesen Versuchen: 
Tabelle I. 


Wasser Proz. | Natriumsulfat Proz. Kasein Proz. 


Wasserschicht 77,54 | 20,08 2,38 
Kaseinschicht 62,08 | 12,08 25,34 


Die Versuche zeigen, daß bei der typischen Salzfällung 
eines Eiweißkörpers sich zwei Schichten bilden, die 
beide aber alle drei in Betracht kommenden Stoffe 
(Wasser, Salz, Eiweiß), in verschiedener Kouzentration 
enthalten. Die obere Schicht enthält viel Wasser, viel Salz 


Die Fällung von Kolloiden. 307 


und wenig Eiweiß, die untere weniger Wasser, weniger Salz 
und viel Eiweiß: ähnlich wie wir bei der Ausätherung einer 
ätherlöslichen Säure aus ihrer wässerigen Lösung zwei Schichten 
sich bilden sehen, von denen die obere viel Äther, viel Säure, 
wenig Wasser, die untere wenig Äther, wenig Säure, viel Wasser 
enthält. 

Wir sehen ferner, daß die in der Kaseinschicht enthaltene 
Salzlösung nicht einfach dem Niederschlag adhäriert, da der 
Gehalt an Salz in der Kaseinschicht kleiner ist als in der, 
wässerigen Schicht. Es erinnert dies an die Befunde Hof-/ 
meisters, der bei der Quellung von Leimplatten in Salzlösungen 
die Konzentration an Salz in den Leimplatten immer etwas 
niedriger fand als in der Außenflüssigkeit. 

Da die Salzkonzentration in der Kaseinschicht sehr erheblich 
niedriger ist als in der Außenflüssigkeit, so kann endlich die 
Ansfällung nicht auf der Bildung einer Eiweißsalz- 
verbindung beruhen. 

Einige Versuche habe ich weiter in der Art angestellt, daß 
ich Kasein mit Salz bis zu 40 Proz. sättigte und die Mischung 
dann auf dem Wasserbad erhitzte, dabei schmolz die Kasein- 
schicht, wurde bei niederer Temperatur wieder fest, ohne daß 
aber das Kasein seine Löslichkeit in Wasser eingebüßt hätte. 
Das Resultat von zwei Versuchsreihen gibt folgende Tabelle: 


Tabelle III. 


| Wasser Proz. , Natriumsulfat Proz. Kasein Proz. 
Wasserschicht | 76,80 ı 76,53 21,87 21,12 1,33 2,35 
Kaseinschicht 44,06 | 45,89 8,63 9,06 47,31 | 45,05 

Im Mittel: 
Tabelle IV. 
Wasser Proz. | Natriumsulfat Proz. Kasein Proz. 

Wasserschicht | 76,66 21,50 | 1,84 
Kaseinschicht 44,97 8,84 | 46,18 


Auch hier sehen wir wiederum: Verteilung aller drei Stoffe 
in beiden Schichten, Konzentration an Salz in der Kaseinschicht 
bedeutend geringer als in der Wasserschicht (8,84 g gegen 21,50 g 
- in 100 g). 

Untereinander unterscheiden sich die beiden Reihen dadurch, 
daß die geschmolzene und wieder erstarrte Kaseinschicht (Tab. IV) 
bedeutend eiweißreicher ist als die bei 35° C. hergestellte ent- 


20” 


308 K. Spiro, 


sprechende Schicht der Tabelle II. Betrachtet man die untere 
Schicht als (feste) Lösung, so kann man sagen, die Löslichkeit 
des Kaseins hat zugenommen, ähnlich wie nach Alexejeff die 
Löslichkeit der unter Wasser geschmolzenen Salizylsäure größer 
ist als die der kristallisierten. | 

Dabei haben Wasser- und Salzgehalt ziemlich in gleicher 
Weise in der Kaseinschicht abgenommen, das Verhältnis von 
Wasser zu Salz ist in Tabelle II = 5,139:1, in Tabelle IV = 
5,084:1. Diese Übereinstimmung, die wohl nur zufällig einen so 
hohen Grad erreicht hat, ist als ein neuerlicher Beweis für die 
Konstanz der Fällungsgrenzen anzusehen. Jedenfalls ist bei 
den verschiedenen Temperaturen das Verhältnis Wasser 
zu Salz in der ausgefällten Schicht gleich, das Ver- 
hältnis Eiweiß zu Salz aber nicht; das, wäs ausfällt, 
kannalso nicht eine VerbindungvonEiweißund Salzsein. 

Ähnlich wie beim Kasein läßt sich der Vorgang des Schmelzens 
auch bei der Gelatine verwenden, und ich habe daher mit dieser 
einige Versuche angestellt, um die Zusammensetzung beider 
Schichten bei verschiedenen Sättigungsgraden vergleichen zu 
können. 

Die nach den Angaben der Kolumne I (Tabelle V) hergestellten 


Mischungen wurden einige Zeit im Wasserbade gehalten bei einer . 


Temperatur, bei der die Gelatineschicht flüssig war. Dann wurden die 
Gläser noch 24 Stunden im Brutschrank gehalten und jede der Schichten 
analysiert. (Siehe nebenstehende Tabelle V.) 

Wieder sieht man, daß die Konzentration an Salz in der 
Leimschicht bedeutend geringer ist, als dem Gehalt an Wasser 
entspricht (Spalte V), und zwar wird mit steigender Salzsättigung 
der relative Salzgehalt der Leimschicht, verglichen mit dem der 
zugehörigen Wasserschicht (Spalte VI), geringer, umgekehrt ver- 
hält sich der Leimgehalt der beiden Schichten, wie aus den 
Spalten VII und VIII hervorgeht. 

Eine besondere Besprechung verdient noch der Salzgehalt 
(Spalte II. Um auch bei den niedrigeren Sättigungsgraden eine 
gute Entmischung zu erzielen, habe ich in den drei Reihen nicht 
ein gleiches Volumen hergestellt, sondern entsprechend der Ab- 
nahme der Salzkonzentration die Leimkonzentration erhöht, d. h. 
“ die 25proz. und 33'/sproz. Sättigung in konzentrierteren Leim- 
lösungen hervorgerufen. Da aber der Wassergehalt der Leim- 
lösung (18 ccm enthielten 10 ccm H,O) und der Salzlösung (100 cem 
enthielten 77 ccm Wasser) bekannt ist, läßt sich der Einfluß der 
Konzentrationsänderung ungefähr berechnen. Da bei 14,62 cem 
Wasser die Leimschicht 64,4 Proz. Wasser enthielt, müßte sie bei 


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309 


Die Fällung von Kolloiden. 


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310 K. Spiro, 


16,93 resp. 19,24 cem Wasser: 74,58 resp. 84,75 Proz. Wasser ent- 
halten, während nur 51,4 resp. 53,47 Proz. gefunden wurden, d.h. 
mit steigender Salzkonzentration wird die Leimschicht 
wasserärmer, während umgekehrt, wie Spalte VIII zeigt, die 
Wasserschicht leimärmer wird. Wir sehen also, wie die Ver- 
teilung der drei Stoffe mit der Variation der Konzentration sich 
ändert und eine wie geeignete und wirkungsvolle, daher 
auch zur Trennung brauchbare Prozedur die Salz- 
fällung ist. 


In dieser quantitativen Wirksamkeit unterscheidet sich 
scheinbar die Aussalzung von der Ausätherung: bei der letzteren, 
im Laboratorium so häufig ausgeübten Prozedur ist es eine immer 
wieder beobachtete Erscheinung, daß die Ausätherung niemals 
vollständig, niemals eine quantitative Trennung ist, auch wenn 
die Unterschiede der Löslichkeit in den beiden Lösungsmitteln 
sehr groß sind; für die Aussalzung nehmen wir aber, und, wie 
Spalte VIII der Tabelle V zeigt, mit Recht an, daß sie für 
praktische Zwecke nahezu quantitativ sein kann. — Das macht 
eine nähere Betrachtung des Verteilungssatzes nötig. 

Bei der Ausschüttelung von Bernsteinsäure aus wässeriger 
Lösung mit Äther haben wir zwei unvollständige Lösungen vor 
uns, da sich natürlich ein Gemenge der drei Substanzen herstellen 
läßt, das eine vollständige Lösung darstellt. Wir dürfen nun schon 
bei der unvollständigen Lösung nur eines Stoffes in einem 
Lösungsmittel nicht bloß Lösung und ungelöst gebliebenen Stoff 
unterscheiden, sondern müssen berücksichtigen, daß auch der un- 
gelöst gebliebene Stoff etwas von dem Lösungsmittel auflösen kann. 
Schütteln wir Phenol mit Wasser, so erhalten wir zwei Schichten, 
wenn wir mehr als 7 g Phenol pro 100 cem Wasser nehmen, 
nämlich eine obere, wässerige Phenollösung, und eine untere, die 
entgegen der allgemeinen Ausdrucksweise nicht nur ungelöst ge- 
bliebenes Phenol, sondern eine Lösung von Wasser in Phenol ist. 
Wasser löst sich in Phenol so erheblich, daß Alexejeff die Kurven 
dafür geben konnte. Ebenso ergeben sich bei der Ausätherung 
der Bernsteinsäure aus wässeriger Lösung zwei Schichten, von 
denen die obere eine Lösung von Bernsteinsäure und Wasser in 
Äther, die untere eine von Äther und Bernsteinsäure in Wasser 
darstellt. 

Am genauesten sind diese Verhältnisse von E. Duclaux*) 
untersucht worden, der Amylalkohol und Wasser durch Zusatz eben 


*) Ann. chim.-phys. (5) 7, 267 (1876). 


Die Fällung von Kolloiden. 31] 


hinreichender Mengen von Äthylalkohol oder Essigsäure in Lösung 
brachte und dann durch Temperaturherabsetzung (sogenannte 
kritische Temperatur) wieder eine Entmischung hervorrief. Es 
ergab sich (mit Hilfe einer ingeniösen Anordnung der Analyse), daß 
das Lösungsmittel (Äthylalkohol oder Essigsäure) sich in beiden 
Schichten in gleicher Menge vorfand, und daß auch das Verhältnis 
zwischen Amylalkohol und Wasser bei allen Gemengen nahezu 
das gleiche war. 

Verwickelter liegen die Verhältnisse, wenn der eine Stoff gegen 
den andern erheblich überwiegt: Setzen wir z. B. zu einer Lösung 
von Chloroform in Alkohol soviel Wasser, als sich eben löst, so er- 
halten wir eine Mischung, die, gleichgiltig, ob wir nun Wasser oder 
Chloroform zusetzen, die Abscheidung einer Schicht zeigt, die reicher 
an Wasser ist und als spezifisch leichter sich oben abscheidet. 
Das Verhältnis ist auch umkehrbar, denn wenn wir eine Lösung 
anwenden, die aus viel Wasser und wenig Chloroform besteht, so 
wird, gleichgiltig, ob wir Chloroform oder Wasser zufügen, eine 
spezifisch schwerere, d. h. chloroformreiche, Flüssigkeit zur Ab- 
scheidung kommen. 

Übertragen wir diese Erfahrungen auf die Aussalzung der 
Kolloide, so müssen wir bedenken, daß die von uns angewandten 
gesättigten Salzlösungen immer sehr viel mehr Moleküle enthalten 
als die Kolloidlösungen, daher schon aus diesem Grunde das 
Wasser zum größeren Teil bei dem Salz zurückbleibt, d. h. die 
Eiweißschicht ıst kleiner und wasserärmer. 

Dazu kommt aber noch ein anderer Punkt: mischen wir zwei 
Flüssigkeiten miteinander, die sich teilweise lösen, so ist der 
Dampfdruck ihres Gemenges kleiner als die Summe der Dampf- 
drucke ihrer Bestandteile bei derselben Temperatur; setzen wir 
mit van’t Hoff-Nernst statt Dampfdruck: „Lösungsdruck“, so 
wird uns eine Änderung der Löslichkeit in einem gemeinsamen 
Lösungsmittel eines Gemenges verständlich. 

Können wir uns nun vorstellen, daß die Löslichkeit nur des 
einen Körpers herabgedrückt wird? Sind solche Verhältnisse bei 
der Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln bekannt? 

Ich möchte hierfür zwei Fälle anführen: 1. Benzol und Wasser 
lösen einander sehr wenig, beide aber lösen sich in Essigsäure. 
Setzt man nun zu 100 cem Benzol 50 cem Essigsäure und nur 
15 ccm Wasser, so erhält man (nach Duclaux) eine obere 
Schicht, die 42mal so groß ist als die untere, während der Ge- 
halt der oberen Schieht an Essigsäure nur 31,2 gegen 68,6 der 
unteren ist. 


312 K. Spiro, 


Dem reiht sich ein Versuch von Hantzsch*) an. Die Löslich- 
keit des Dimethylaminchlorhydrats in 100 Chloroform (c,) ist 26,9, in 
100 Wasser (c,) 208, das Verhältnis c,:c, also gleich 7,75; bei der 
Ausschüttelung aber einer wässerigen Lösung des Salzes mit 
Chloroform geht es nicht in dieses hinein, das Verhältnis e,:c; 
wird also gleich &. Setzen wir also zu einer Chloroformlösung 
des Salzes Wasser hinzu, so wird reines Chloroform abgeschieden. 

Es ist danach verständlich, daß es Proteide gibt, die durch Aus- 
salzen ganz abgeschieden werden. Aber es ist andererseits danach zu 
erwarten, daß dieses Verhalten nicht notwendig für alle Proteide 
gilt. In der Tat läßt sich bei den Albumosen beobachten, daß die 
einzelnen Fraktionen bei der zu ihrer Fällung nötigen Konzen- 
tration etwas, wenn auch nur wenig, löslich sind, was die 
Schwierigkeiten der Trennung derselben merklich erhöht. 

Für die Verteilung ist also nicht allein die Löslichkeit maß- 
gebend, sondern noch ein anderer Faktor, den wirals Lösungsintensität 
bezeichnen können. Wie bei den Elektrolyten nicht in der Größe 
der Ladung sich der Grad der Positivität oder Negativität zeigt, 
sondern in der Festigkeit, mit der diese Ladung gebunden wird, 
wie zur Spaltung von KF ein viel größerer elektrischer Zug not- 
wendig ist als zu der von AgJ, obgleich beide die gleiche Menge 
Ladung (Elektronen) enthalten, so ist auch die Intensität, mit der 
sich der gelöste Stoff im Lösungsmittel verteilt, nicht der Löslich- 
keit gleich zu setzen. Die Intensität, mit der Wasser und Salz 
sich bindet, wird größer sein als die, mit der Wasser und Eiweiß 
sich bindet, und ebenso wird die Löslichkeit von Salz in Eiweiß 
je nach der Art des Eiweißes und des Salzes variieren. 

Es ergibt sich daraus also, daß der Lösungsdruck nicht nur durch 
einen quantitativen Faktor ausgedrückt wird, wonach er stets einfach 
der Zahl der Moleküle und Ionen (dem osmotischen Druck) ent- 
spräche, sondern auch noch von einem qualitativen, spezifischen 
Faktor abhängt, der Lösungsintensität. Die verschiedenen Salze 
werden daher ein verschiedenes Fällungsvermögen haben, wie dies 
Hofmeister und Pauli ja schon festgestellt haben**). Die Dif- 
ferenzen zwischen den verschiedenen Salzen bezüglich ihrer wässe- 
rigen Lösungen sind qualitativer und quantitativer Natur. Daß die 
gut aussalzenden Stoffe (Na,SO,, MgSO,) besser und größer kristalli- 
‚sieren als die anderen (NH,Cl, KNO;) und auch hervorragend ge- 


*) Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte. 
73 (Hamburg), II. 1. 150. 

**) Auf die Fällung hemmende Wirkung der Anionen gehe ich nicht 
besonders ein, da es sich ja nur um ein anderes Vorzeichen handelt. 


Die Fällung von Kolloiden. 313 


eignet sind, übersättigte Lösungen zu bilden, d.h. in Verbindung mit 
dem Lösungsmittel zu verbleiben (Ostwalds Lehrbuch I. 1039), ist 
ein der quantitativen Messung nicht zugänglicher Unterschied'‘*). 

Hierzu eignet sich besser die Löslichkeitszunahme der Salz- 
lösungen mit steigender Temperatur. Nordenskjöld hat gezeigt, 
daß die Zunahme stets der schon vorhandenen Salzmenge umgekehrt 
proportional ist, d. h. je mehr gelöst ist, um so weniger löst sich 
noch, das Gelöste setzt weiterer Lösung um so stärkeren Wider- 
stand entgegen. Die von Nordenskjöld** gefundenen Zahlen 
entsprechen der Gleichung: | 


NH: Cl: log S = — 0,5272 + 0,5483 1, + 0,1732 ()’ 
Kl: „ = — 05345 + 0,379 i + 0,0900 (5) 


NaCl: „ = — 0,4484 a 0,0105 5, + 0,0319 (5,)’ 


Der Faktor für t und t? ıstalso bei NH«>K>Na, d.h. der Wider- 
stand, den die vorhandene Salzmenge der Lösung neuer Mengen ent- 
gegensetzt, ist bei NN >K>NH,, ersteres also ein besseres Fällungs- 
mittel als K, dieses als NH,. Schon eine Salzlösung verhält sich 
also gegen das Salz selbst nicht wie ein ideales Gas. 

Betrachtet man die Reihenfolge der Salze, wie sie Hof- 
meister und Pauli festgestellt haben, so erkennt man zwei Gre- 
setzmäßigkeiten. Zunächst daß mit der Zunahme der Valenz der 
Ionen das Aussalzungsvermögen zunimmt. Das hat Schulze schon 
vor Jahren festgestellt, während umgekehrt die hemmende Wirkung 
der mehrwertigen Anionen (nur das Fluor macht eine Ausnahme) 
kleiner ist. Bei der Esterspaltung“***) durch Säuren wirken von 
zugefügten homologen Neutralsalzen die mit Br>NO;>Ul>SO,, bei 
der durch Alkalien wirken SO,>CI>NO;>Br; im ersteren Falle 
wirkt Sulfatzusatz hemmend, im zweiten beschleunigend, während 
die einwertigen Anionen umgekehrt wirken. 

Übersichtlicher ist die andere Gesetzmäßigkeit, daß die 
Fällungstendenz der Ionen mit abnehmendem Atomgewicht zu- 
nimmt: Li>K>Na, und bezüglich der Hemmung: J>Br>Ül. 

Vielleicht ergibt sich eine gemeinsame Auffassung dieser Ver- 
hältnisse aus der Betrachtung der inneren Reibungr). Die 
Reihenfolge ist da SO>Cl>NO;>C10; >Br>J und Na>K>NH.. 


*) Erstere zeigen bei niederer Temperatur eine höhere Ausflußge- 
schwindigkeit als Wasser, letztere immer eine höhere. (Innere Reibung.) 
**) Poggendorffs Annalen 136, 309. 
***) Arrhenius, Zeitschrift f. physik. Chemie 4, 226; 28, 327. 
7) A. Sprung, Poggendorffs Annalen 159, 1. — Slosse, Wiedemanns 
Annalen 14, 13. — J. Wagner, ebenda 18, 259, Zeitschrift f. physik. 
Chemie 5, 31. 


314 K. Spiro, 


Dieselbe ist für drei homologe Salzpaare 
K Na Li 
SO, 1.090 1,221 1,291 
Cl 0,967 1,099 1,130 
NO: 0,956 1,052 u 
Gerade die innere Reibung der Flüssigkeiten bedingt ja ihre 
Abweichung von den Gasgesetzen, und daher ist es auch ver- 
ständlich, daß hier entsprechend der inneren Reibung die Giltig- 
keit der Lösungs- und Dissoziationsgesetze eine genau entsprechende 
Einschränkung bei homologen Salzlösungen erfährt. 
Ebenso fanden W. GC. Röntgen und Schneider*) für die 
Kompressibilität eine ähnliche Reihenfolge: J, NOs, Br, Cl, SO,, 
auch für die Molekularvolumen: 


NH; K77945 Na \ 
J 1,048 1.041 1,025 | 1,023 


NO; 1.043 1,032 1,016 1,017 
WE Eee 
Br 1.038 1,025 | 101 


1,010 


Cl 1,028 1,016 1,001 | 1,001 
und ebenso für die Oberflächenspannung. Wir haben also 
in der Hofmeister-Paulischen Reihenfolge dieselbe, die sich 
bei allen solchen Eigenschaften der Salzlösungen wiederfindet, die 
von den additiven Eigenschaften der Ionen abhängig sind. 

Eine weitere Begrenzung des Verteilungssatzes hat in jüngster 
Zeit Hantzsch kennen gelehrt. 

In Gemeinschaft mit A. Vagt zeigte er**), daß der Verteilungs- 
koeffizient abhängig ist von der Temperatur, wenn sich Amin, 
Brom, Jod oder CO: zwischen Wasser oder einer Verbindung vom 
Wassertypus (Glyzerin oder Äther) einerseits (c,) und einem Kohlen- 
wasserstoff, etwa Toluol oder Chloroform andererseits (c,) verteilt. 
Der Faktor K (%/.,) wird in einer hyperbelähnlichen Kurve von 
0° bis 100° kleiner ***), die genannten Stoffe haben also zu Wasser 
bei niederer Temperatur eine erhöhte „Lösungstendenz“, Bildung 
von „Hydraten nach unbestimmten Verhältnissen“. Umgekehrt 
zeigen bei der Verteilung zwischen Wasser und Äther eine Zu- 
nahme von K mit steigender Temperatur die Rhodanide, die ja 
‚auch in Paulis Reihe die stärkste Hemmungswirkung zeigen. 


*) Wiedemanns Annalen 29, 105, 
**) Zeitschrift f. physik. Chemie 38, 705. 
***) Sehr charakteristisch für diese Abhängigkeit der Verteilung von der 
Temperatur ist das Verhalten der Jodstärke. 


A DE 0 a Bl an 


Die Fällung von Kolloiden. 315 


Für sie nimmt Hantzsch eine Verbindung mit Äther an; vielleicht 
kann man eine ähnliche Annahme für die Hemmungswirkung der 
Anionen machen; Spring und Lucion* fanden, daß das 
Hydrogel von CuO mehr KBr als KCl und mehr KJ als KBr zer- 
legt und die entsprechenden Säuren (Anionen) absorbiert. 


Auch die Salzfällung der Eiweißkörper ist nach meinen 
Erfahrungen von der Temperatur abhängig. Kfristallisiertes 
Serumalbumin beginnt bei Zimmertemperatur bei 57 Proz. Ammon- 
sulfat-Sättigung zu fallen, bei 40° C. aber schon bei 49 Proz. 

Hantzsch hat aber auch eine Abhängigkeit des Verteilungs- 
koeffizienten von der Konzentration gefunden: bei zunehmender 
Verdünnung wächst der im Wasser {oder einem Lösungsmittel vom 
Wassertypus) bleibende Anteil von Jod oder Aminen. So steigt 
im System Glyzerin =-— Jod «-— Chloroform der Faktor K 
von 0,362 bis auf 0,562, was also ganz dem Verhalten des Systems 
Wasser -— Salz -—> Kolloid entspricht. 

Daß die Fällungsgrenzen eines Eiweißkörpers von der Kon- 
zentration seiner Lösung abhängen, darauf ist schon oben hinge- 
wiesen worden. 

Wir kommen somit zu einem zusammenfassenden Überblick 
über alle bisher bei der Aussalzung der Eiweißkörper gefundenen 
Tatsachen, wenn wir uns vor Augen halten, daß die Aussalzung 
nicht einfach proportional der „Entziehung des Lösungsmittels“ 
ist, sondern (innerhalb gewisser Grenzen) unabhängig von der 
Konzentration verläuft. Die „Wasserentziehung“ erscheint 
als eine Teilerscheinung der Entmischung. Neue Belege 
hierfür habe ich am kolloidalen Eisenoxyd in einigen neuen Versuchs- 
reihen gefunden, welche am Schlusse folgen. Wenn wir an- 
nehmen, daß zwischen Eiweiß und Salzen eine gewisse Ver- 
bindung bestehen kann (gegenseitige Lösung), so sprechen hierfür 
folgende Erfahrungen: 

Wie die Aminosäuren ist das Eiweiß ein Zwitterion**), das 
nicht nur mit Säuren und Basen Salze bildet***), sondern auch mit 
Salzen sich verbindet; ja für die Aminosäuren haben Bredig und 
Winkelblech}r) wahrscheinlich gemacht, daß sie auch mit Wasser 


*), Nach Bemmelen. 

*) Hardy nimmt an, daß die Fällung der Kolloide auf dem Ver- 
schwinden einer Potentialdifferenz, Entstehen von Isoelektrizität beruht. 
Vgl. dagegen J. Friedländer, Zeitschrift f. physik. Chemie 38, 385 und 
H. Freundlich, ebenda 44, 129. 

*=) Spiro und Pemsel, Zeitschrift f. physiol. Chemie 26, 233. 

+) Zeitschrift f. physik. Chemie 36, Heft 5. 


816 K. Spiro, 


nicht dissoziierte Salze bilden, so daß wir gewissermaßen das 
Hydrat des Eiweißes (siehe Hantzsch) in Lösung hätten. Daß 
die Lösungen von Kolloiden Salze aus wässeriger Lösung auf- 
nehmen, hat in neuester Zeit hauptsächlich Bemmelen‘*), für die 
Eiweißstoffe speziell Pauli nachgewiesen. Da also das Eiweiß 
als Lösungsmittel für Salze fungieren kann, so haben wir, da Ei- 
weiß als fester Körper und Wasser nicht unter allen Verhältnissen 
mischbar sind, ein Verteilungssystem Wasser — Salz — 
Eiweiß, aus dem sich alle bisher beobachteten Tatsachen ein- 
wandsfrei erklären. 

Leider haben sich, wenn wir von einigen Anwendungen 
des periodischen Systems absehen, für Art und Grad der Löslich- 
keit der meisten Stoffe noch gar keine Gesetzmäßigkeiten zeigen 
lassen, wir vermissen sie daher auch auf dem Gebiete der Aus- 
salzung. Nur der negative Schluß läßt sich daraus ziehen, daß — 
wenn auch die Aussalzbarkeit im allgemeinen nur großen Molekülen 
zukommt — die mehr oder weniger leichte Aussalzbarkeit nichts 
über die Molekulargröße aussagt, daß die Globuline z. B. nicht 
ein größeres Molekül zu haben brauchen als die Albumine; das 
wird ja schon bewiesen durch die Abspaltung leichter fällbarer 
Albumosen aus den schwer fällbaren Albuminen bei der pep- 
tischen Verdauung. 


II. 
Über die Einwirkung der Alkohole auf die 
Eiweißkoagulation. 


Wenn auch der Alkohol teils für sich allein, teils als Hilfs- 
mittel bei der Wärmekoagulation allgemein zur Ausfällung der 
Eiweißkörper benutzt wird, so liegen hierüber doch nur spärliche 
methodische Untersuchungen vor. Pohl**) erwähnt, „daß man 
die Konzentration von Methyl- und Äthylalkohol auf etwa 20 Proz. 
steigern muß, um Eiweißfällung zu erzielen“. Im Anschluß an 
frühere Untersuchungen*“*) und mit der damals mitgeteilten 
Methodik habe ich hierüber einige Versuche angestellt, über die 
ich in aller Kürze berichten will: 


1. Die einwertigen Alkohole der Fettreihe. 

a) Sie setzen entsprechend der zugefügten Menge den Koagu- 
lationspunkt der Eiweißkörper herab. So sank der Koagulations- 
"punkt des Serumeiweiß von 62,8° bei stets wiederholtem Zusatz 


*) Zeitschrift f. anorgan. Chemie 23, 321 bis 372. 
**) Archiv f. experim. Path. u. Pharm. 21, 284. 
***) Spiro, Zeitschrift f. physiol. Chemie 30, 182. 


Die Fällung von Kolloiden. 317 


von 2 Vol.-Proz. Methylalkohol auf 62,5° — 61,5° — 58,25° — 
54,0° — 51,9° — 50,9° — 46,8° — 455°. Wie die Alkohole der 
Fettreihe verhält sich auch das Aceton. | 

b) Zur Erzielung einer Eiweißfällung bedarf es bei den 
niedrigen Alkoholen einer größeren "Konzentration als bei den 
höheren; bei Methylalkohol 17 bis 20 Proz., Äthylalkohol 16 bis 
18 Proz., Propylalkohol 11 bis 13 Proz., Butylalkohol 4 bis 6 Proz., 
Amylalkohol 2 bis 4 Proz. Der Isopropylalkohol ist viel weniger 
wirksam als der normale, da er erst bei 20 bis 24 Proz. Sättigung 
fällt, ebenso ist der Isobutylalkohol weniger wirksam als sein 
normaler Isomerer. 

2. Die mehrwertigen Alkohole der Fettreihe, z. B. 
Glyzerin, Mannit, Traubenzucker, Milchzucker (auch Dextrin, selbst 
Wittepepton), wirken koagulationshemmend. 

a) Bei zunehmendem Gehalt an dem Alkohol steigt der Koagu- 
lationspunkt, z. B. bei steigendem Gehalt an Mannit (1 ccm, 2 cem 
bis 9 ccm einer 15proz. Mannitlösung mit 1 cem Eiweißlösung, 
aufgefüllt mit Wasser auf 10 ccm), von 60,5 auf 61,6 — 62,0 — 
62,4 — 62,7 — 63,2 — 63,7 — 64,4 — 65,0, ebenso bei steigendem 
Glykosegehalt (75proz. Lösung) von 58,9’ auf 61,4 — 65,3 — 69,1 
— 74,8 — 78,9 — 81,2 — 83,1— 84,4 — 85,6. Noch stärker wirken 
Milchzucker und Galaktose. 

b) Mit steigendem Gehalt an den mehrwertigen 
Alkoholen wird die Hitzekoagulation der Eiweisß- 
lösungen unvollständiger. Davon kann man sich nicht nur 
an der zunehmenden Stärke der Biuretreaktion im Koagulations- 
filtrat überzeugen, man kann auch durch Sättigung einer nativen 
Eiweißlösung mit Milchzucker ihre Koagulationsfähigkeit ganz 
aufheben. 

Ähnlich wie die Alkohole wirken auch Ester und Ketone. 
Die Koagulationshemmung tritt nur ein bei neutraler bzw. schwach 
alkalischer oder schwach saurer Reaktion, starke Säuren hindern sie. 
Für die Aldehyde liegen schon ähnliche ausführliche Beobachtungen 
von F. Blum*) undLeo Schwarz**) vor. Doch mag es dahingestellt 
bleiben, inwieweit die Wirkung der Aldehyde auf einer chemischen 
Reaktion beruht. Eine Milchzucker-Eiweißlösung, die 100 Stunden 
gegen fließendes Wasser diffundiert hatte, koagulierte nicht voll- 
ständig beim Erhitzen. 

3. Von den aromatischen Alkoholen ist es für das 
Phenol längst bekannt, daß es Eiweiß fällt. Bei einem Gehalt 


*) Zeitschrift f. plıysiol. Chemie 22, 197. 
**) Zeitschrift f. physiol. Chemie 31, 460. 


318 K. Spiro, 


an Phenol von 0,6 Proz. tritt schon Trübung, bei 1,0 bis 1,2 Proz. 
Fällung und bei 1,8 Proz. dicker Niederschlag auf, doch ist die 
Fällung auch bei einem Überschuß an Phenol immer unvollständig. 
Bei den höheren aromatischen Alkoholen tritt die Fällung viel 
langsamer und später ein: bei Brenzkatechin tritt z. B. eine 
deutliche Trübung erst bei einem Gehalt von 2 Proz., beim Resorzin 
erst bei 3 Proz., bei Pyrogallol erst bei 5 Proz. ein. — Wird der 
(Gehalt an diesen Alkoholen gesteigert, so zeigt sich eine sehr 
eigentümliche Erscheinung. Setzt man zu einer Eiweißlösung 
Resorzin bis zu einem Gehalt von 5 Proz., so erhält man eine 
starke Fällung. Die Fällung ist unvollständig, nimmt aber bei 
einem höheren Gehalt an Resorzin nicht erheblich zu, ja bei 30, 
35 ıınd 40 Proz. wird sie geringer, und bei 45 Proz. tritt über- 
haupt kein Niederschlag mehr auf. Solche Mischungen, die bei 
einem Gehalt von 20 bis 40 Proz. Resorzin getrübt sind, lösen 
sich nun klarin derHitze auf, beim Abkühlen fällt 
aber wieder einNiederschlag aus. Wir haben also hier 
Löslichkeitsverhältnisse, die denen des Bence-Jonesschen 
Eiweißkörpers ganz ähnlich sind. Am nächsten liegt es hier, das 
Entstehen einer Resorzin- (resp. Hydrochinon-, Pyrogallol-) Eiweiß- 
verbindung anzunehmen; hierfür spricht, daß sich aus den Resorzin- 
Eiweißlösungen durch Aethylalkohol ein Niederschlag gewinnen 
läßt, der auch nach gutem Auswaschen noch bei ganz gelindem 
Erwärmen mit konzentrierter Schwefelsäure schöne Reaktion nach 
Molisch gibt. Beim Kochen mit Wasser wird aber aus der Ver- 
bindung Resorzin wieder abgespalten, ähnlich wie dies auch von 
den Formaldehyd- Eiweißverbindungen bekannt ist. 


II. 


Die Einwirkung alkoholischer Salzlösungen auf die 
Eiweißkoagulation. 

Gelegentlich einer Versuchsreihe über die Fraktionierung mit 
Kaliumazetat*) habe ich die Beobachtung gemacht, daß eine 
Lösung von Serumeiweißstoffen, die 50 Proz. Kaliumazetat ent- 
hielt, nach dem Versetzen mit dem doppelten Volumen 95proz. 
Alkohols auf dem Wasserbade gekocht werden konnte, ohne 
.Fällung, ja ohne eine Trübung zu zeigen. Das Eiweiß erleidet 
dabei keine tiefgreifende Veränderung, denn die erhaltene (event. 
filtrierte) Lösung zeigt nach starkem Verdünnen wieder die Eigen- 
schaften des ursprünglichen Eiweißes. Auch um Albuminatbildung 


*) Zeitschrift f. physiol. Chemie 31, 132. Vgl. auch diese Beiträge 3. 


Die Fällung von Kolloiden, 319 


kann es sich nicht handeln, da die Albuminate in Alkohol schwer 
löslich sind. 


Ähnlich wie das Kaliumazetat wirken vielfach Salze, die in 
Alkohol löslich sind, z. B. Chlorkalzium, Chlormagnesium, Chlor- 
zink, Sublimat, Quecksilberazetat und Rhodankalıum. — An Stelle 
des Äthylalkohols, kann man auch andere Alkohole anwenden, 
z. B. Methylalkohol oder Isopropylalkohol; höhere Alkohole, z. B. 
Amylalkohol, eignen sich schlecht, aromatische Alkohole noch 
schlechter. 


Endlich können statt der echten Eiweißkörper auch andere 
Körper angewandt werden, so wird z. B. auch die Fällbarkeit der 
Heteroalbumose durch Alkohol infolge anwesenden Kaliumazetats 
verzögert oder aufgehoben. 


Für die Deutung dieser Befunde, die einstweilen nur‘ für 
analytische Zwecke von einer bestimmten Wichtigkeit sind, kann 
man natürlich ebenso gut eine Anlagerung des Salzes wie eine 
solche des Alkohols an die Eiweißstoffe vermuten: für beide 
Vorstellungen lassen sich leicht Analogieen anführen, zumal das 
Eiweiß wie andere Kolloide eine ganz besondere Fähigkeit hat, 
die verschiedensten Moleküle an sich anzulagern. 

Daß Kaliumazetat die Anlagerung von Alkohol begünstigt, zeigt 


folgender Versuch: Das bei der Kondensation von Hippursäure und Benzal- 
dehyd entstehende Lakton *) 


GH.C=N 


| | 
OIE=NH.C5H, 
BL 
CO 
geht schon beim Stehen mit alkoholischem Kaliumazetat oder alkoholischem 
Kali unter Alkoholaufnahme in den Athylester der Benzoylamidozimtsäure 


06 Hs.CO.NH.C=C.H.CeH5 
| 
COOG,.H; 


über, obgleich das Lakton gegen Alkohol selbst ganz beständig ist, die 
Esterbildung aus der Säure auch nur schwierig vor sich geht. In diesem 
Fall begünstigt also das zugesetzte alkalische Salz die Esterbildung, 
die wir sonst in saurer Lösung vorzunehmen pflegen. — Natürlich kann 
dieser Versuch nicht zur „Erklärung“ der am Eiweiß beobachteten Er- 
scheinungen dienen, da es sich bei diesem, wie oben gezeigt, nur um eine 
durch Wasserzusatz aufhebbare Löslichkeitsänderung, nicht um chemische 
Umsetzungen handelt. 


*), Erlenmeyer, Ann. d. Chemie 271, 37. — Berliner Berichte 33, 
2, 2036. — Vgl. Spiro, Zeitschrift f. physiol. Chemie 28, 174. 


320 K. Spiro, 


EN. 


Über die Einwirkung von Alkohol und alkoholischen 
Salzlösungen auf kolloidales Eisenoxyd. 


Da, wie oben schon hervorgehoben, einige Autoren die Salz- 
fällung der Kolloide prinzipiell von der Alkoholfällung abtrennen, 
seien noch einige Versuche über die Einwirkung von Alkoholen 
auf kolloidales Eisenoxyd mitgeteilt, zumal im allgemeinen be- 
hauptet wird, daß es nur durch Salze, nicht durch Alkohol gefällt 
wird. Methyl- und Äthylalkohol fällen in der Tat nicht, wohl 
aber Propylalkohol. Von der käuflichen Lösung des Oxyds wurde 
1 ccm durch 2 cem Propylalkohel gefällt; verdünntere Lösungen 
brauchen erheblich mehr, z. B. eine Mischung von 0,5 cem des 
Oxyds und 0,5 ccm Wasser schon 4,2 cem Propylalkohol. 


Amylalkohol fällt das kolloidale Eisenoxyd aus seiner Lösung 
nicht aus; der Grund dafür ist offenbar, daß die Löslichkeit des 
Amylalkohols in Wasser zu gering ist, so daß die zur Fällung 
nötige Konzentration nicht erreicht wird. Davon kann man sich 
leicht durch den Kunstgriff überzeugen, daß man Methylalkohol 
zusetzt: Fügt man z. B. zu 1 ccm der Oxydlösung 2 ccm Methyl- 
alkohol, so entsteht durch 3,5 cem Amylalkohol eine Fällung, die 
im Überschuß von Methylalkohol löslich ist. 

Um die Fällungsgrenze bei verschiedenen Konzentrationen vergleichen 
zu können, wurde als „Endpunkt“ derjenige Gehalt bezeichnet, wo die 
Flüssigkeit, von unten gesehen, im durchfallenden Licht undurchsichtig 
wird. Bei einiger Ubung erkennt man den Punkt scharf genug, um ver- 
gleichende Bestimmungen ausführen zu können. 


Tabelle VI. 


5 | N Wird gefällt durch 
Oxydlösung | Methylalkohol Wasser Amylalkohol 
cem cem cem a. 
1. 1 +1 — 17 
9, 1 48 a 1,85—1,90 
3. | 1 + 2,0 — 2,9— 3,0 
4. 1 + 9,5 —_ 4,1—4,2 
5. 1 + 3,0 = 17 
6. 1 +1 + 15 Entmischung 
7 1 4-15 + 1,0 1,5 
8. 1 + 9,0 + 0,5 2,65 
g, 2 +2 — 2,2 
10. 2 475 me 18 


Die Fällung von Kolloiden. 321 


Die Versuche zeigen von neuem (Versuch 10 gegen Versuch 7), 
daß die (untere) Fällungsgrenze um so tiefer liegt, je konzentrierter 
die Kolloidlösung ist. Sie zeigen ferner, daß die Ausfällung der 
Kolloide nicht einfach als Lösungsmittel-Entziehung, etwa nach 
Art der Verdampfung, zu deuten ist. Lösungsmittel für kolloidales 
Eisenoxyd ist nur Wasser, nicht Methylalkohol, der ausgefälltes 
oder im Vakuum eingetrocknetes kolloidales Eisenoxyd nicht löst, 
(siehe später); ein noch so großer Überschuß von Amylalkohol 
bringt aber kolloidales Eisenoxyd aus wässeriger Lösung nicht 
zur Fällung, weil seine Löslichkeit in Wasser nicht die Herstellung 
der wirksamen Konzentration gestattet. Eine solche wird aber 
bei Gegenwart von Methylalkohol erreicht. In den Proben aber, 
wo der Oxyd- und der Alkoholgehalt gleichbleibt, die Wasser- 
mengen aber wechseln (Versuche 7 und 9, ferner 8 und 3), wird 
dort weniger Amylalkohol zur Fällung gebraucht, wo die größeren 
@Quantitäten Wasser vorhanden sind. 


Alle diese Erscheinungen lassen sich aber leicht erklären 
resp. direkt ableiten aus der Annahme, daß zwei Lösungsmittel 
vorhanden sind, Kolloid und Wasser (bzw. methylalkoholisches 
Wasser), zwischen denen sich der Amylalkohol verteiüt. 


Als Fällungsmittel für kolloidales Eisenoxyd können auch 
Salze dienen. Da es daraufankam, event. die Salzwirkung mit der 
Alkoholwirkung zu kombinieren, wurde als Salz Chlorkalzium in 
wässeriger Lösung angewandt. Als untere Fällungsgrenze wurde, 
wie oben, beginnende Undurchsichtigkeit im durchfallenden Licht 
angesehen. 


Tabelle VII. 


Eisenoxyd- a Methyl- Untere Fällungsgrenze _ 
lösung PR, alkohol Call, auf 10 cem 
ec ccm cem berechnet 

1; 1 1 — 1,6 4,4 
2. 1 — 1 1,15 3,65 
3. 1 2 — 2,8 4,8 
4. 1 — 2 1,65 3,55 
5. 2 — — 1,2 3,74 
6. 1 3 —_ 4,45 5,28 
T- 1 == 3 2,25 3,6 
8. 1 4 —_ 5,6 5,3 
9. 1 — 4 2,8 3,59 
10. 3 — = 1,65 3,99 
11. 4 — — 2,2 3,55 
12. 1 — —_ 0,6 3,75 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 21 


3232 K. Spiro, Die Fällung von Kolloiden. 


Andere Reihe (etwas konzentriertere CaC],-Lösung): 
Tabelle VII. 


ı Eisenoxyd- Wilson Methyl- Untere Fällungsgrenze 

lösung N ‚alkohol CaCl, auf 10 eem 

cem cem ccm berechnet 
7 2 — — 0,90—0,95 5,1 
2.| 1 — 1 0,90—0,95 3,1 
g| 3 —_ _ 1,25 3,0 
4. 1 — 2 1,25 3,0 
; 4 wer 35% 1,75 3,0 
6. 1 — 3 1,75 3,0 
7.| 2 — 2 1,70 3,0 
8. | 3 — 1 1,65 4 ‚80 3,0 
9. | 1 3 — 3,20 4,4 
10. | 2 2 Fr 2,55—2,6 \ 5,9 
14, | 3 1 202,1 3,4 


Aus diesen Versuchen geht hervor: 

DieuntereFällungsgrenzefür wässerigeChlor- 
kalziumlösungen ist eine konstante Größe bei 
gleichbleibender Konzentration. Verdünnt man 
dieKolloidlösung mitWasser, so steigt die untere 
Fällungsgrenze, wie wir dies ja auch von den Eiweiß- 
lösungen wissen und mit dem Verteilungssatz erklären können. 

Verdünnen wir aber die Eisenoxydlösung mit 
Methylalkohol, so steigt zwar die zur Fällung 
nötige absolute Salzmenge, die Fällungsgrenze 
bleibt aber genau dieselbe Das Chlorkalzium 
verteilt sich also in Methylalkohol wie 7a 
Wasser, das kolloidale Eisenoxyd aber nicht; wir 
haben ja en oben schon gesehen, daß Methylalkohol kein Lösungs- 
mittel für kolloidales Eisenoxyd ist. 

Jedenfalls sind die Versuche nur durch die Annahme von 
Lösungsvorgängen zu erklären. Eine Versuchsreihe mit käuflichem 
Glyzerin sei zum Vergleich angeführt. 


Eisenoxyd- Ca0l,-Zu- Fällungs- 
= Zusatz 
lösung satz ccm grenze 
2 ccm — 0,7 bis 0,75 2,6 
: DAR 1 cem Glyzerin 1.8 3,5 
2 1 ,„ Wasser 1,1 3,5 
a 1 ,„ Methylalkohol 0,7 bis 0,75 2,6 


Verdünnung mit Glyzerin wirkt also wie solche mit Wasser. 
Dem entspricht auch, daß das abzentrifugierte Oxyd sich in 
Glyzerin wie in Wasser löst. 


XXVL. 
Über einige Derivate des Taurins und die Synthese 
der Taurocholsäure. 
Von Dr. Siegfried Tauber (Wien). 
Aus dem physiologisch-chemischen Institute zu Straßburg. 


Von den im Tierkörper als Endprodukt der Eiweißspaltung 
auftretenden Substanzen gelangen Glykokoll und Taurin in der 
Galle in Form von Glyko- und Taurocholsäure zur Ausscheidung. 
Soweit darüber Äußerungen in der Literatur vorliegen, stellt man 
sich vor, daß diese „gepaarten Gallensäuren“ eine säureamidähn- 
liche, der Hippursäure analoge Konstitution besitzen. Diese An- 
nahme liegt, soweit es sich um die Glykocholsäure handelt, äußerst 
nahe. In der Tat kann man sich selır gut vorstellen, daß in der 
Leber in ähnlicher Weise Glykokoll mit Cholsäure unter Wasser- 
austritt zusammentritt, wie dies für die Niere in betreff der Hippur- 
säure seit den Richtung gebenden Versuchen von Bunge und 
Schmiedeberg bekannt ist. Die Spaltbarkeit der Glykochol- 
säure in ihre Komponenten bietet mit jener der Hippursäure 
völlige Analogie, ebenso die Überführbarkeit in eine der Benzoyl- 
glykolsäure entsprechende Cholylglykolsäure. 

Die Vorstellung, daß die Bildung der Glykocholsäure einer 
Acylierung, der Anlagerung des Cholsäurerestes an den Stickstoff 
des Glykokolls entspricht, hat um so weniger Befremdendes, als das 
Glykokoll auch sonst der Anlagerung saurer Gruppen, z. B. der 
Acetyl- und Benzoylgruppe, leicht zugänglich ist *). 

Nicht so einfach liegen die Verhältnisse für die Bildung der 
Taurocholsäure. Dem Taurin geht die säurebindende Valenz, 
welche den Aminofettsäuren ihren amphoteren Charakter verleiht, 
ganz oder nahezu ganz ab. Es bildet keine Salze mit Säuren, und 
von Azylderivaten ist nur die noch zu erwähnende Phtalimidis- 

*) Es darf nicht verschwiegen werden, daß diese Analogie noch keinen 
endgültigen Beweis für die Richtigkeit der entwickelten Vorstellung abgibt. 
Der Vorgang könnte sich im Tierkörper auch verwickelter gestalten, z. B. 
wenn die Cholsäure sich ebenso mit anderen «@-Aminofettsäuren verbände 
(z. B. Leucin) und erst aus dem Produkt durch Abbau Glykocholsäure entstände. 

21* 


324 Siegfried Tauber, 


äthionsäure *) bekannt. Es hat demnach die Vorstellung, daß im 
Tierkörper Cholsäure und Taurin nach Art eines Säureamids zu 
Taurocholsäure zusammentreten, von chemischen Gesichtspunkten 
aus manches gegen sich, zumal da auf Grund der Beobachtungen 
von E. Friedmann an die Möglichkeit zu denken ist, daß die 
Cholsäure sich im Tierkörper zunächst mit dem Oystein, welches 
noch ganz den Charakter der Monaminosäuren darbietet, verbinden 
und daß erst aus einer so entstandenen Cysteinocholsäure durch 
Oxydation Taurocholsäure hervorgehen könnte. 

Demgegenüber ist allerdings zu beachten, daß das Taurin im 
Tierkörper unter Umständen eine der Amidbildung nahestehende 
Synthese durchmacht — die Überführung in Taurokarbaminsäure **), 
welche bei einer anderen Aminofettsäure, die im\ Organismus 
schwierig verbrannt wird, in der Umwandlung von Tyrosin zu 
Tyrosinhydantoin***) ihr Seitenstück findet. 

Ich habe mich in den nun zu schildernden Versuchen zunächst 
bemüht, Anhaltspunkte darüber zu gewinnen, inwiefern die bei 
den Monaminosäuren erfolgreichen Anlagerungsmethoden. auch 
beim Taurin brauchbar sind. Über das Ergebnis kann ich um so 
kürzer berichten, als es vielfach negativ war. 


Darstellung des Ausgangsmaterials. 


Zur Gewinnung von einem Gramm reinen Taurins muß man 
ungefähr 1'/. Liter Rindergalle verarbeiten. Die Darstellung des 
Taurins wurde nach bekannten Methoden vorgenommen. Am 
raschesten führte folgendes Verfahren zum Ziele. 

Fünf Teile Rindergalle werden mit einem Teil konzentrierter Salz- 
säure vom spezifischen Gewicht 1,19 mehrere Stunden lang gekocht, bis 
die sich als schwarze, harzige Massen ausscheidenden Dyslysine beim 
Ausziehen in Fäden spröde werden und die klar gewordene Flüssigkeit 
nicht mehr die Pettenkofersche Reaktion gibt. Man läßt erkalten, gießt 
von den Dyslysinen ab, engt stark ein, filtriert die noch warme Flüssig- 
keit von dem auskristallisierten Kochsalz ab, dampft das dunkelbraune 
Filtrat mit Tierkohle auf ein kleines Volumen ein und befreit mittelst 
Durchleiten von Wasserdampf möglichst von Salzsäure. Das Filtrat wird 
— eventuell nach Behandlung mit Bleikarbonat und Entfernung des 
Chlorbleis — zur Trockene eingedampft, das salzsaure Glykokoll mit 
5 Proz. Salzsäure haltendem Alkohol (nicht mit Alkohol allein!) extrahiert, 
aus der Lösung des Rückstandes in 5proz. Salzsäure das Taurin mit der 
zehnfachen Menge absoluten Alkohols in weißen Kristallen gefällt und 
durch Umkristallisieren aus heißem Wasser, eventuell unter Zusatz von 
etwas absolutem Alkohol, gereinigt. 


*) Pellizzari und Matteucci, Liebigs Annalen, 248, 152 (1888). 
**) Salkowski, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 6 (1873). 
***) Blendermann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 6, 253 (1882). 


ar -Ir 


Über einige Derivate des Taurins usw. 325 


Taurin und Benzoesäureanhydrid. 


Fein gepulvertes Taurin wurde, in überschüssiges erhitztes Benzoe- 
säureanhydrid eingetragen und im Olbade auf 250° durch eine Stunde 
erhitzt, wobei die Flüssigkeit sich stark bräunte. Ein geringer Teil des 
Taurins blieb hierbei ungelöst. Aus der beim Erkalten erstarrenden 
Masse wurde das überschüssige Benzoesäureanhydrid mit Petroläther 
extrahiert, der Rückstand mit absolutem Alkohol aufgenommen, filtriert, 
mit Tierkohle gereinigt und verdunsten'‘ gelassen. Der kristallinische, 
gelblich braune Rückstand wurde mit ammoniakalischem Wasser aufge- 
nommen, wobei eine geringe Menge einer braunen, Öligen Flüssigkeit 
zurückblieb. Beim Verdunsten der Lösung blieb ein kristallinischer 
Rückstand, der in absoluten Alkohol überging und aus der alkoholischen 
Lösung mit Aceton leicht gefällt werden konnte. Die Kristalle wurden 
durch wiederholtes Umfällen und Waschen mit Aceton gereinigt. 

Kleine, glänzende, leicht gelblich gefärbte, schüppchen förmige 
Kristalle, in Alkohol, Ather und heißem Petroläther löslich, in 
Wasser und in heikem Aceton schlecht löslich, sauer reagierend 
und bei 175° schmelzend. Sie gaben, bei 110° durch drei Stunden 
getrocknet, kein Kristallwasser ab. 

0,1774 Substanz: 0,3812 CO, und 0,1029 H,O = 58,59 Proz. C und 
6,49 Proz. H. 

0,1460 Substanz: bei 17,5° und 767 mm B 11,58 ccm N = 9,29 Proz. 

0,1879 Substanz: 0,2841 BaSO, = 20,77 Proz. S. 

Das entspricht einer Zusammensetzung CO ,,HsN,S550: 


Berechnet Gefunden 
C 58,38 58,59 
H 6,53 6,49 
N 9,10 9,29 
S 20,80 20,77 
16) 5,19 —_ 


Wie aus der Zusammensetzung hervorgeht, war es nicht zu 
der nach Analogie der Bildung von Hippursäure unter gleichen 
Umständen*) erwarteten Bildung des Benzoyltaurins gekommen, 
sondern es hatte eine Abspaltung von Kohlenstoff, anscheinend 
in Form von Kohlendioxyd, stattgefunden. 

Der gefundenen Zusammensetzung nach könnte sich die ver- 
wickelte Reaktion in folgendem Sinne abspielen: C .„H»0:s + 
20, H: NSO; = C,H» N S:0-+3C0: +2H:0. 


Taurin und Phtalsäureanhydrid. 


Ebenso verwickelt gestaltete sich die Einwirkung von Phtal- 
säureanhydrid. 


Fein gepulvertes Taurin wurde im Ölbade bei 250° mit über- 
schüssigem Phtalsäureanhydrid durch zwei Stunden geschmolzen. Ent- 


*) Curtius, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 17, 1663 (1884). 


326 Siegfried Tauber, 


gegen der Angabe von Drechsel*), Taurin löse sich nicht in siedendem 
Phtalsäureanhydrid, erhielt ich hierbei unter starkem Schäumen eine klare, 
leicht gelbliche Flüssigkeit, die beim Erkalten kristallinisch erstarrte. 
Die Substanz wurde durch mehrstündiges Ausziehen mit Ather im 
Soxhletschen Extraktionsapparate von dem Uberschuß an Phtalsäure- 
anhydrid befreit. . 

Das erhaltene Produkt ist in Wasser sehr leicht, schlecht in 
Aceton löslich, fällt aus der konzentrierten, wässerigen Lösung beim 
Versetzen mit Aceton sofort aus, löst sich aber wieder im Über- 
schuß von Aceton. Aus kaltem und heißem Wasser, viel schöner 
aber aus Aceton, kristallisiert es beim Verdunsten in zentimeter- 
großen, wasserhellen, regulär-hexagonalen, sehr dünnen, biegsamen, 
glimmerähnlichen Tafeln, die nur bei verlangsamter Verdunstung 
des Acetons eine Tiemlrhe Dicke erreichen. 

Beim Übergießen mit Aceton zerfallen die trockenen Kristalle 
zunächst in Nadeln, was sich unter dem Mikroskope schön ver- 
folgen läßt. 

Der Schmelzpunkt liegt scharf bei 50°. Die lufttrockenen 
Kristalle geben im Vakuum über Schwefelsäure Kristallwasser ab. 
Präparatl. 

0,4454 Substanz verloren im Vakuum über Schwefelsäure nach 22 h 
0,0682 H,O = 15,31 Proz. 

0,2002 Substanz: 0,3199 CO, und 0,0779 H,O =483,58 Proz. C und 
4,35 Proz. H. 

0,1521 Substanz: bei 19,5° und 763 mm B 792 ccm N = 6,01 Proz. N. 

Präparat Il. 

0,6311 Substanz verloren im Vakuum über Schwefelsäure nach 22 
Stunden 0,0935 =14,81 Proz H,09.° - 

0,1836 Substanz: 0,2903 CO, und 0,0714 H,0—=43,11 Proz. C und 
4,35 Proz. H. 

0,2418 Substanz: 0,1601 BaSO, = 9,09 Proz. S. 


Diese Zahlen stimmen am besten zu der Formel 


O3 Has NS, O1 +7 H,O 
Berechnet: Gefunden: 
ik TE 
7H,0 15,43 15,31 1481 
Für die wasserfreie Substanz: 
Berechnet Gefunden Mittel 
I II 
C 43,39 43,58 | 43,11 43,35 
H 4,23 4,35 4,35 4,35 
N 6,09 6,01 — 6,01 
S 9,28 — 9,09 9,09 
16) 37,01 37,20 


*) Drechsel, Journ. f. prakt. Chemie 27, 418 (1883). 


ae 


Über einige Derivate des Taurins usw. 397 


Wie die Formel lehrt, hat hier im Gegensatz zum Benzoyl- 
produkt keine Sauerstoffabgabe stattgefunden. Der ungleiche Ge- 
halt an Schwefel und Stickstoff weist darauf hin, daß bei der 
offenbar sehr verwickelten Reaktion zum Teil eine Zersetzung des 
Taurins Platz gegriffen hat. 

Die große Kristallisierbarkeit des Produktes, die charakte- 
ristische Beschaffenheit der Kristalle und der scharfe Schmelz- 
punkt machen eine weitere Untersuchung des Produktes, auch im 
Hinblick auf seine Verwendung zum Nachweise des sonst schlecht 
charakterisierten Taurins wünschenswert. 

G. Pellizzari und V. Matteucci*) haben durch Erhitzen von 
Taurinkalium und Phtalsäureanhydrid auf 160° das Kaliumphtalimi- 
disaethionat C,H, :(CO),:N.C,H,. SO, Kin monoklinen Kristallen erhalten. 
Sie gingen hiebei von dem Gedankengange Schiffs aus, daß, wenn in 
den Aminosulfosäuren der Säurecharakter der Sulfongruppe durch Alkali 
neutralisiert werde, die Amingruppe wieder zu ihrer ganzen Wirkung 
gelange. 


Taurin und Formaldehyd. 


Nach H. Schiff“*) nimmt Taurin ein Molekül Formaldehyd auf. 
Ich versuchte, das entstandene Methylentaurin zur Analyse zu bringen; 
dies scheiterte jedoch an seiner großen Zersetzlichkeit. Der beim Zu- 
sammenbringen von äquivalenten Mengen Formaldehyd und Taurin ent- 
standene, stark sauer reagierende Körper, welcher aus Karbonaten Kohlen- 
säure austreibt, ist so wenig haltbar, daß er schon beim Versetzen der 
wässerigen Lösung mit Alkohol Taurin ausfallen läßt und auch im trockenen 
Zustande über Schwefelsäure anhaltend Formaldehyd verliert. Demgemäß 
ergab sich bei der Analyse des trockenen Produktes, daß sich zum großen 
Teil wieder Taurin zurückgebildet hatte. 


Die im Hinblicke auf die leichte Veresterbarkeit anderer Aminofett- 
säuren versuchte Darstellung des salzsauren Methyl-, Athyl- und 
Amylesters nach Curtius gelang weder in der Kälte, noch bei ge- 
steigerter Temperatur. 

Während Salkowski”“") durch Anlagerung von Kaliumcyanat 
leicht zur Taurokarbaminsäure gelangte, glückte es mir nicht, bei An- 
wendung des Phenylisocyanates nach Paalyr) die homologe Phenylureido- 
säure zu erhalten. 


Taurin und Cyanamid. 
Durch Erhitzen von Taurin mit COyanamid haben R. Engelrr) 
und Dittrichfrr) aus Taurin das dem Kreatin entsprechende Tauro- 


*) Pellizzari und Matteucci, Liebigs Annalen 248, 152 (1888). 
##) Hugo Schiff, Liebigs Annalen 310, 25 (1899) und 319, 59 (1901). 
*##) Salkowski, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 6, 1190 (1873). 
7) €. Paal, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 27, 974 (1894). 
ir) R. Engel, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 8, 1597 (1875). 
tr) Eugen Dittrich, Journal f. prakt. Chemie, Neue Folge 18, 
63 (1878). | 


328 Siegfried Tauber, 


cyamin (Tauroglykocyamin) erhalten, dessen Schmelzpunkt zu 224 
bis 226° und 260° angegeben wird. Wie ich mich überzeugte, 
reagiert Taurin auch beim Schmelzen mit der äquivalenten Menge 
Guanidinkarbonat. Die Masse verflüssigt sich bei 180°, wobei 
unter lebhaftem Schäumen Ammoniak entweicht. Nach einer 
Stunde erhält man eine homogene, farblose Schmelze, die beim 
Erkalten gelatinös erstarrt. Das Produkt ist aber kein einheitliches. 
Beim Behandeln mit Methylalkohol fällt aus der Lösung der 
Schmelze ein weißes, feines Pulver aus; der Methylalkohol hinter- 
läßt beim Verdunsten eine weiße, intensiv bittere, gelatinöse Masse. 
Das pulverförmige Produkt enthält zum mindesten zwei ver- 
schiedene Substanzen, eine in kaltem Wasser leicht und eine in 
demselben nur schwer lösliche; die erstere kristallisiert aus 
wässeriger Lösung beim Verdunsten in alkoholunlöslichen, porzellan- 
artigen, rhombischen Tafeln vom Schmelzpunkt 255°, die zweite 
in seidenglänzenden, fächerförmig angeordneten Nadeln. 

Wie die Einführung von Alkylgruppen, stößt auch jene von 
Säureradikalen beim Taurin auf größere Schwierigkeiten als bei 
den Monaminofettsäuren. Weder die Acetylierung nach €. Lieber- 
mann und OÖ. Hörmann, noch die Benzoylierung nach Schotten- 
Baumann, sei es bei Anwendung von Lauge, sei es von Pyridin, 


gab ein greifbares Resultat. Ebensowenig die Behandlung mit 


Benzolsulfochlorid nach Hedin‘*). 


Taurin und Cholsäure. 


Die Schwierigkeit, an das nicht an Alkali gebundene Taurin 
Säureradikale anzulagern, läßt es von vornherein wenig wahr- 
scheinlich erscheinen, daß die Taurocholsäure im Tierkörper durch 
Anlagerung von Cholsäure an Taurin unter Wasseraustritt entsteht. 
Sehr bemerkenswerterweise verhält sich aber, wie die folgenden 
Versuche zeigen, die Cholsäure dem Taurin gegenüber anders als 
die bisher zur Acylierung benutzten Säuren. 

Fein gepulvertes Taurin wird mit der berechneten Menge von 
Natriumcholat (am besten darstellbar durch Kochen einer Cholsäureauf- 
schwemmung in Wasser mit einer zur Auflösung nicht vollkommen ge- 
nügenden Menge von Natriumkarbonat) innig gemengt und im Olbade 
geschmolzen. Bei 245° beginnt die Masse sich gelblich zu färben und 
Wasser abzugeben. 

Nach einstündigem Schmelzen bei 265° resultiert unter nur geringem 
Schäumen eine grünlich-gelbe, homogene, zähflüssige, in glänzende, glas- 
artige Fäden ausziehbare, beim Erkalten sofort erstarrende Masse, die 
sehr an Dyslysin erinnert. Sie läßt sich leicht zu einem feinen, leichten 
Pulver zerreiben. 


*) S, G. Hedin, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 23, 3197 (1890). 


Über einige Derivate des Taurins usw. 399 


Das Produkt ist in Wasser und 95proz. Alkohol leicht löslich; 
in absolutem Alkohol bleibt ein geringer Anteil ungelöst, auch in 
der Wärme. Die alkoholische Lösung fluoresziert. 

Aus der schwach alkalisch reagierenden wässerigen Lösung 
läßt sich durch vorsichtigen Säurezusatz Cholsäure nicht ausfällen. 
Hingegen läßt sich dieselbe aus der erhaltenen Verbindung durch 
Kochen mit konzentrierter Salzsäure als harziger, in Alkohol 
löslicher Niederschlag von der Beschaffenheit des Dyslysins ab- 
spalten. 

Auf Zusatz von Kupfersulfat, Silbernitrat, Bleiacetat, Queck- 
silberacetat und Quecksilberchlorid zur wässerigen Lösung fällt kein 
Niederschlag aus. Bleiessig mit etwas Ammoniak läßt einen 
dichten, weißen Niederschlag ausfallen. 

Die absolut-alkoholische Lösung der Schmelze gibt mit Äther 
einen weißen, dichten, flockigen Niederschlag, der, ebenso wie die 
„Pattnersche Galle“, wenn noch ätherhaltig, an der Luft zerfließt. 
Aus der über dem Niederschlag stehenden klaren Lösung läßt 
sich durch weiteren Ätherzusatz ein gleicher Niederschlag in 
beträchtlicher Menge ausfällen. Da es nicht gelingen wollte, die 
Substanz zur Krystallisation*) zu bringen, wurde der mit Äther 
gewaschene, rasch abgepreßte Niederschlag 24 Stunden im Vakuum- 
exsikkator — unter bedeutender Gewichtsabnahme — getrocknet. 

Derselbe stellte dann ein weißes, amorphes, lockeres, an der 
Luft nicht mehr zerfließliches Pulver dar, das zur weiteren 
Reinigung nochmals in absolutem Alkohol gelöst, mit Äther ge- 
fällt und auf dieselbe Weise getrocknet wurde. 

Die mit Essigsäure versetzte wässerige Lösung des so ge- 
reinigten Pulvers fällt Eiweiß in weißen, groben Flocken, wie dies 
Maly und Emich*) für die Taurocholsäure angegeben haben. 
Der Niederschlag war wie bei den genannten Autoren —- nach 
denselben bildet sich eine Verbindung von Eiweiß und Taurochol- 
säure — alkoholunlöslich, hingegen löslich in Alkalien. In fernerer 
Übereinstimmung mit den Angaben von Maly und Emich wird 
aus der angesäuerten wässerigen Lösung durch eine Albumose- 
lösung ein milchiger Niederschlag gefällt, der in Alkohol zum 
größten Teil löslich ist. 

Die Analyse ergab Zahlen, die sich mit zunehmender Reinigung 
jenen des taurocholsauren Natrons näherten. 


*) Inzwischen ist es, wie mir Herr Prof. Hofmeister mitteilt, Herrn 
Dr. G. Embden gelungen, die synthetische Taurocholsäure in kristallisierter 
Form zu gewinnen. 

**) Rich. Malyund Friedr. Emich, Malys Jahresber. 13, 289 (1884) 
und Monatshefte für Chemie 4, 89 (1883). 


330 Sieefried Tauber, Über einige Derivate des Taurins usw. 


Ein dreimal mit Alkohol und Ather behandeltes Präparat lieferte 
folgende Zahlen: 

0,1529 der im Vakuum über Schwefelsäure zur Gewichtskonstanz 
gebrachten Substanz gaben 0,3251 CO, = 57,99 Proz. C und 0,1204 
10 = BP 

0,1238 Substanz gaben bei 15,92 und 753,5 mm B 3,80 ccm N — 
3,58 Proz. N. 

0,2047 Substanz gaben 0,0941 Ba SO,. 

0,5126 Substanz gaben 0,0434 Na,SO,. 


Berechnet für taurochol- 
saures Natrium Gefunden: 
GH, N80,.Na 


G 58,05 Proz. 57,99 Proz. 
H BD ı, 8,81 “ 
N 261 „ 8,58 \,„ 
Ss 5,97 “ 6,31 e 
O 20,84  „ ut 

Na 4,08, 4,00. 5 


Trotz der Unvollkommenheit der Übereinstimmung, wie sie 
sich aus der nicht kristallinischen Natur des Produktes erklärt, 
kann auf Grund der oben angeführten Reaktionen nicht wohl ein 
Zweifel bestehen, daß eine Anlagerung von Cholsäure an Taurin 
stattgefunden hatte und dabei die Bildung einer mit Taurochol- 
säure identischen oder isomeren Substanz zustande gekommen war. 

Daß hier eine Acylierung erfolgt ist, kann daran liegen, daß 
nicht Cholsäure als solche, sondern das Salz derselben zur Ver- 
wendung kam, ähnlich wie umgekehrt bei dem Versuche von 
Pellizarı und Matteucci Taurinkalium statt des freien Taurins. 


XXVII. 
Chemische Untersuchungen der Iymphatischen 
Organe. ; 
Von Ivar Bang. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium zu Lund, Schweden.) 


Zweite Mitteilung. 


Über die Konstitution des nativen Histonnueleinats. 

Sättigt man eine Lösung des Histonnucleinats mit pulver- 
förmigem Kochsalz, so wird sie schon vor Eintritt der Sättigung 
dickflüssig, bald darauf undurchsichtig und weiß, etwa wie eine 
Aufschwemmung eines sehr feinen Pulvers in Pflanzenschleim. 
Nach einiger Zeit wird die Flüssigkeit dünnflüssiger und setzt 
einen reichlichen, weißen Bodensatz ab, welchen man durch 
Filtration sammeln kann. Da die Sättigung mit Kochsalz sehr 
langsam von statten geht, gibt das Filtrat, wenn man es neuer- 
dings längere Zeit mit Salz schüttelt, gewöhnlich noch eine Fällung. 
Es zeigt auch, wenn es vollständig mit Kochsalz gesättigt ist, stets 
noch eine schöne, rote Biuretreaktion. Ich habe wiederholt 
die Filtrate bis zum Auskristallisieren des Kochsalzes verdunsten 
lassen und niemals die Biuretreaktion vermißt. 

Diese Beobachtung steht zu einer früheren inzwischen von 
Malengreau bestätigten Angabe von mir im Widerspruch, der- 
zufolge es gelingen sollte, das Eiweiß mit Kochsalz so vollständig 
abzuscheiden, daß das Filtrat keine Biuretreaktion mehr zeigt. 
Ich habe keine Mühe gespart, diesen Widerspruch aufzuklären, 
und habe zu diesem Zweck meine Versuche in der verschiedensten 
W.eise abgeändert, jedoch ohne Erfolg. 

Das nucleinsaure Histon enthält sonach einen Ei- 
weißkörper, welcher nicht mit Kochsalz abgeschieden 
werden kann. Dagegen hat es sich bestätigt, daß der durch 
Kochsalzsättigung erhältliche Niederschlag aus Histon besteht 
und daß man aus dem Filtrate die Nucleinsäure mit Alkohol 
niederschlagen kann. 


332 Ivar Bang, 


Die Untersuchung der Spaltungsprodukte des nucleinsauren 
Histons zerfällt somit in drei Abschnitte: die Untersuchung 1. des 
Histons, 2. der biuretgebenden Substanz und 3. der 
Nucleinsäure. 


1. Das Histon. 

Bei seinen Untersuchungen über die Thymusproteide glaubte 
Malengreau gefunden zu haben, daß die Thymus zwei Histone 
enthält, welche sich hauptsächlich durch ihre Fällungsgrenzen 
gegenüber Ammoniumsulfat unterscheiden. Das A-Histon, welches 
nach Malengreau aus dem A-Nucleoalbumin herstammt, hat die- 
selben Fällungsgrenzen wie das Proteid, und das gleiche ist der 
Fall mit dem B-Histon, welches dem B-Nucleoalbumin entspricht. 


In meiner ersten Mitteilung habe ich gezeigt, daß Malengreaus 
A-Nucleoalbumin mit Huiskamps und meinem Nucleoproteid, 
welches nicht Histon, wohl aber ein Albuminat enthält, über- 
einstimmt, und weiter, daß das B-Nucleoalbumin dem Histon- 
nucleinat (in unreinem Zustande) entspricht. Weiter habe ich 
nachgewiesen, daß sich in der Thymus alles Histon in dem 
Nucleinat vorfindet. 


Wenn also Malengreaus Befunde richtig sind, müssen sich 
beide Histone aus dem Nucleinat darstellen lassen. 


Indessen habe ich vorgezogen, zuerst Malengreaus Beob- 
achtung nachzuprüfen, und habe versucht, nach seinen Vorschriften 
die Histone aus Thymus direkt darzustellen. In der Tat ließen 
sich auch durch fraktionierte Ausfällung zwei Histone mit 
konstanten Fällungsgrenzen darstellen. Außerdem enthält auch 
das Salzsäureextrakt der Thymusdrüse das schon vorher be- 
sprochene Albuminat, welches bei der Ausfällung der Histene 
mit Ammoniak teilweise mit niedergerissen wird und denselben 
auch nach mehrmaligem Umfällen noch anhaften kann. Es bildet 
somit eine noch nicht berücksichtigte Verunreinigung des 
Thymusbistons. 

Beide Histone wurden von Ammoniak niedergeschlagen und 
gaben die Kochprobe und Eiweißreaktion in der für Histone 
charakteristischen Art. Das A-Histon gab auch die Salpetersäureprobe 
und die Alkaloidreagenzprobe, während das B-Histon sich diesen 
gegenüber indifferent verhielt. Weiter wurde das A-Histon von 
33 bis 43 Proz. Ammonsulfatsättigung und 15 bis 25 Proz. Kochsalz- 
sättigung niedergeschlagen, während die Fällungsgrenzen des 
B-Histons zwischen 65 bis 85 (90) Proz. Ammonsulfatsättigung und 
50 bis 75 Proz. Kochsalzsättigung lagen. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 333 


Damit waren weitere Beweise für die Existenz der beiden 
Histone beigebracht. 

Zur Analyse wurden drei Präparate aus 3 kg Thymus dar- 
gestellt. Es wurden nur Stickstoffanalysen ausgeführt. 


A-Histon B-Histon 
No. 1 17,86 Proz. N | Der 
Be 1786 „ „ | 181% Proz N 
N, IIBEN 4 | 52 
Durchschnitt | 17,79 Proz. N | 1803 Proz. N =" 


i 


Es ergab sich somit, daß beide Histone ungefähr denselben 
Stickstoffgehalt besitzen. 

Bei der Darstellung meiner Präparate fiel es auf, wie ver- 
schieden die Ausbeute an den beiden Histonen war. In dem 
ersten Versuch bekam ich so wenig B-Histon, daß es nicht zu 
einer Analyse genügte, trotzdem 1 kg Thymus verarbeitet worden 
war. Im dritten Versuch überwog dagegen die Menge des 
B-Histons bei weitem. Man mußte hiernach die Existenz zweier 
Histone bezweifeln. Eine Entscheidung gab der folgende Versuch. 

Aus dem Wasserextrakte der Thymus schlug ich alles Histon als 
Kalknucleinat mit Chlorkalzium nieder. Der Niederschlag wurde in zwei 
Portionen a und b geteilt, Portion a wurde mit 2proz. Kochsalzlösung 
erschöpft, aus der Lösung alles Histon mit Kochsalz gefällt. (2proz. 
Kochsalzlösung extrahiert die ganze Histonverbindung aus dem Chlor- 
kalziumniederschlag, das B-Histon wird bei ?/, Sättigung mit NaCl voll- 
ständig gefällt.) Das Histon wurde im Wasser gelöst und mit Ammonsulfat 
fraktioniert: nur A-Histon wurde gefunden. (Ein Teil wurde mit 
0,8proz. Salzsäure gespalten, das Histon mit Ammoniak niedergeschlagen, 
der Niederschlag in Salzsäure gelöst und die Lösung neutralisiert: nur 
A-Histon war vorhanden.) 

Portion b wurde direkt mit 0,8proz. Salzsäure extrahiert, filtriert 
und das Histon durch Sättigung mit Kochsalz gefällt, der Niederschlag 
wurde im Wasser gelöst und mit Ammonsulfat fraktioniert: es wurde 
B-Histon neben geringen Spuren von A-Histon erhalten. 

Wenn danach A- und B-Histon identische Körper sind, so bleibt 
zu untersuchen, warum sie Unterschiede 1. in den Fällungs- 
grenzen, 2. der Salpetersäureprobe und 3. der Alkaloid- 
reagenzprobe darbieten. 

1. In betreff der Fällungsgrenzen war daran zu denken, daß 
sie vielleicht durch alkohollösliche Substanzen, z. B. das Leeithin, 
verschoben werden. Doch ist dies nicht der Fall. Bei mit 
Alkohol und Ather erschöpftem Thymus kommt man zu denselben 
Resultaten wie oben. Dagegen ist, wie ich später zeigen will, 
per analogiam wahrscheinlich, daß die Histonkomponente als eine 


334 Ivar Bang, 


polyvalente Base mit Säuren verschiedene Salze bildet, und es 
erscheint denkbar, daß diese sich gegenüber Ammonsulfat ver- 
schieden verhalten. Doch kann man auch an andere Mösglich- 
keiten denken. 

2. Der Salpetersäureprobe darf man”keinen zu großen Wert 
beilegen. Ich habe auch mit „B-Histon“ einige Male Nieder- 
schläge erhalten, und mitunter sind sie bei „A-Histon“ wenig 
prägnant. Der Niederschlag löst sich beim Erwärmen auf und 
kehrt beim Erkalten wieder. Es kommt jedoch öfter vor, daß 
er sich nicht löst. 

Obne bestimmtere Angaben machen zu können, stehe ich 
unter dem Eindruck, daß hier die Konzentration der Histonlösung, 
der Salzgehalt, die Menge der zugefügten Salpetersäure von Ein- 
fluß ist. 

3. Die Alkaloidprobe ist eine der zuverlässigsten Histon- 
reaktionen, und es fiel mir sehr auf, daß sie bei „B-Histon“ ver- 
sagte. Nach vielen Bemühungen fand sich eine einfache Er- 
klärung: Kleine Beimengungen von Ammonsulfat (und das „B- 
Histon“ war durch Sättigung damit dargestellt) verhinderten völlig 
die Reaktion. Setzt man zu einem Niederschlage von Histon und 
Alkaloidreagens einige Tropfen Ammonsulfatlösung, so ver’ 
schwindet der Niederschlag augenblicklich *). 

Im Gegensatz zu Malengreau finde ich somit, daß Thymus 
nur ein Histon enthält, das sich ausschließlich im Histonnucleinat 
findet. 

Obwohl ich einige Analysen des Thymushistons schon mit- 
geteilt habe und diese auch für das aus dem Histonnucleinat er- 
haltene Histon zutreffen dürften, habe ich noch verschiedene 
Histonpräparate aus Nucleinat dargestellt und analysiert. 

Der Stickstoffgehalt wurde zu 18,18 Proz. gefunden, was mit den 
oben mitgeteilten Analysen übereinstimmt. In meinen „Bemerkungen 
über das Nucleohiston“ habe ich für das Histon einen Stickstoffwert 
von 18,05 Proz. angegeben. Huiskamp gibt durchschnittlich 18,09 Proz. 
an, während meine ursprünglichen Analysen (Studien über Histon) 
18,35 Proz. ergaben. Denselben Wert hat auch Fleroff gefunden. 

Meine ersten Schwefelanalysen gaben kein übereinstimmendes 
Resultat, da. das Histon leicht mit einem schwefelreichen Körper ver- 


unreinigt erhalten wird. Nach mehrmaligem Umfällen bekam ich schließ- 
lich Präparate von konstanter Zusammensetzung. Der Schwefelgehalt 


*) In meiner norwegischen Publikation habe ich mitgeteilt, daß man 
auch aus dem Histonnucleinat bzw. der Kochsalzfällung sowohl A-, als 
B-Histon darstellen kann. Dies trifft für die Kochsalzfällung nicht zu. 
Was ich hier als B-Histon bezeichnete, waren nur Reste des „A-Histons“, 
wie später nach Fällung und Auflösung erkannt wurde. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 335 


war 0,64 Proz., 0,60 Proz. und 0,60 Proz., im Durchschnitt 0,61 Proz. S. 
Fleroff hat bei einer Analyse des Thymushistons 0,62 Proz. S gefunden. 

C- und H-Analysen habe ich nicht ausgeführt. Es liegen jedoch 
gut übereinstimmende Analysen von anderer Seite vor. Lilienfeld 
enasi Proz.’C und 7,31. Proz. .H, Fleroff 52,37: Proz. C und 
7,70 Proz. H gefunden. 


Die elementare Zusammensetzung des Thymushistons ist also 
ım Mittel: 52,35 Proz. U, 7,50 Proz. H, 18,10 Proz. N, 0,62 Proz. S. 


Ehe ich die Histone verlasse, möchte ich mit einigen Worten 
meine Auffassung des Histonbegriffs präzisieren. In meiner ein- 
schlägigen Abhandlung habe ich die Histone als Körper definiert, 
welche die fünf von mir aufgestellten Histonreaktionen aufweisen. 
Diese Auffassung trifft jetzt nicht mehr zu, da man seitdem Histone 
beschrieben hat, welche nicht alle diese Reaktionen geben, wie 
Ehrströms Lotahiston, welchem die Salpetersäureprobe ab- 
geht, Mathews Arbacin, das höchstens eine unvollständige 
Ammoniakreaktion gibt, Fleroffs Parahiston — nach meiner An- 
sicht ein veritables Histon — das weder die Histonreaktionen beim 
Kochen und mit Salpetersäure, noch die Ammoniakreaktion auf- 
weist. Von den fünf Reaktionen bleiben somit nur zwei, die 
Alkaloidreagenzprobe und die Eiweißreaktion übrig. Diese sind 
zwar stets vorhanden, aber nicht spezifisch, da sie auch den Prot- 
aminen zukommen. (Übrigens habe ich schon in meiner ersten 
Arbeit den geringeren Wert der anderen drei Reaktionen an- 
gedeutet.) 

Nach meiner Ansicht kann man denn auch die Histone 
und Protamine zu einer gemeinsamen Eiweißgruppe 
vereinigen. 

Ich werde in aller Kürze diesen Vorschlag begründen: 

1. Sowohl die Histone wie die Protamine sind basische 
Körper, welche sich mit Säuren zu Salzen verbinden. 

2. Beide geben mit genuinen Eiweißkörpern Niederschläge, 
welche aus Eiweiß und Histon bzw. Protamin bestehen. 

3. Beide werden von den Alkaloidreagentien bei neutraler 
Reaktion niedergeschlagen. 

4. Die Histone und Protamine besitzen einen hohen Gehalt 
an basischen Gruppen (Hexonbasen). Die Protamine enthalten da- 
von 88 Proz. bis 68 Proz., die Histone von 40 Proz ab. Millons 
Reaktion fällt gewöhnlich bei den Protaminen negativ aus (jedoch 
bei Cyclopterin positiv) und ist bei den Histonen immer nur schwach. 

5. Die Histone und Protamine vertreten einander oft. Das 
unreife Fıschsperma enthält nucleinsaures Histon, welches bei der 


336 Ivar Bang, 


Reifung in nucleinsaures Protamin übergeht. Übrigens persistiert 
bisweilen das nucleinsaure Histon auch im reifen Sperma. 

Gegen diese Gruppierung könnte man den Einwand erheben, 
daß die absolute Menge der Diaminosäuren in den Protaminen 
viel größer ist als im Histon. Vergleicht man aber die verschie- 
denen Protamine miteinander, so findet man unter ihnen ebenso 
große Differenzen, wie zwischen Histon und Protamin. So enthält 
Salmin 20 Proz. mehr basische Spaltungsprodukte als Cyclopterin 
und dieses nur 29 Proz. mehr als Gadushiston. Das Cyelopterin 
steht also dem Gehalt an Basen nach ebenso weit vom Salmin 
ab als vom Histon. 

Dem Gehalt an basischen Spaltungsprodukten nach ist es 
kaum möglich, die Histone als eine besondere Eiweißgruppe zu 
charakterisieren. Die Heteroalbumose enthält ebensoviel Diami- 
nosäuren als jedes Histon. Wollte man auch die Heteroalbumose 
deswegen als Histon bezeichnen, so scheitert man am kristallisierten 
Serumalbumin mit 33 Proz. Diaminostickstoff, das doch sicher kein 
Histon ist; auch sind mehrere Histone nicht auf ihre basischen 
Kerne untersucht. Einige davon enthalten weniger Stickstoff und 
werden vermutlich auch weniger Basen liefern. Ich finde daher 
keinen Anlaß, mit Kossel das Parahiston aus der Histongruppe 
auszuscheiden, weil es nur 13 Proz. Hexonbasen enthält. Das Para- 
histon besitzt doch alle wesentlichen Eigenschaften eines Histons. 


Früher hat man auch den Protaminen ein viel kleineres 
Molekül als den Histonen zugeschrieben. Seit aber Kossel ge- 
zeigt hat, daß die Protamine ein großes Molekulargewicht besitzen, 
ist auch dieser Unterschied unhaltbar. 

Daß die Histone Verbindungen von Eiweiß und Protamin 
sind, wird jetzt wohl niemand mehr annehmen. 


2. Die biuretgebende Substanz (Parahiston). 

Wie schon bemerkt, gibt das mit Kochsalz gesättigte Filtrat 
eine deutliche Biuretreaktion und enthält somit einen Eiweißkörper, 
welcher nicht Thymushiston ist. Man könnte diese Tatsache als 
eine Bestätigung der Existenz des Nucleohistons deuten und. an- 
nehmen, daß die Kochsalzsättigung das Nucleohiston in Histon und 
Leukonuclein spaltet. Eine solche Auffassung wäre jedoch un- 
haltbar, denn erstens geht die Substanz in Alkohol über, und 
zweitens wird sie auch durch Salzsäure und Baryt ganz ebenso 
wie das Histon von der Nucleinsäure abgespalten. Sie ist somit 
wahrscheinlich mit der Nucleinsäure in derselben Weise ver- 
bunden, eine Auffassung, die ich später näher begründen werde. 


Chemische Untersuchungen der lymphatischen Organe. 337 


Um die Substanz darzustellen, schlug ich zuerst im Filtrate 
des Histonniederschlages die Nucleinsäure mit Alkohol nieder und 
versetzte das jetzt erhaltene Filtrat mit einem Überschuß von 
Äther. Auf diese Weise erhielt ich aber den Körper mit allzu- 
viel Salz verunreinigt. Auch war die Abscheidung nur unvoll- 
ständig. In 96proz. Alkohol erwies er sich sogar als ziemlich 
leicht löslich. | 

Zu einem besseren Resultat kam ich, als ich das native nuclein- 
saure Histon mit 0,5proz. Salzsäure zerlegte. Das Histon wurde mit 
Ammoniak ausgefällt und das Filtrat mit Alkohol und Äther ver- 
setzt. Der Niederschlag wurde im Wasser gelöst, aufs neue mit 
Ammoniak behandelt, das Filtrat wieder mit Alkoholäther ver- 
setzt, bis man nach drei bis vier Umfällungen zu einer Lösung kam, 
welche keinen Niederschlag mehr mit Ammoniak, Salpetersäure 
und Kochsalzsättigung gab und somit kein Histon mehr enthielt. 
Dagegen waren nun alle Reaktionen des Parahistons von 
Fleroff und mir, welche ich hier nicht neuerdings anzuführen 
brauche, positiv. 

Die Identifizierung mit Parakiston gelang durch die Analyse. 
Nach Fleroff enthält das Parahiston 51,84 Proz. C, 7,93 Proz. H, 
17,84 Proz. N und 1,99 Proz. S. Meine Analysen ergaben 
Er Proz. S und 17,72 Proz. N: 

Die biuretgebende Substanz im Filtrate des Histon- 
niederschlages ist somit Parahiston. Andere Eiweiß- 
körperließensichnichtnachweisen. Das native nuclein- 
saure Histon enthält somit von Eiweißkörpern nur 
Histon und Parahiston, und zwar letzteres den Niederschlägen 
nach in viel geringerer Menge. 

3. Die Nucleinsäure. 

Diese ist der dritte Bestandteil des Histonnucleinats. Sie 
wurde in Übereinstimmung mit meinen früheren Angaben auf 
folgende Weise dargestellt: 

Man versetzt das mit Kochsalz gesättigte Filtrat mit 2 Vol. Alkohol. 
Die Nucleinsäure scheidet sich in großen zähen Klumpen aus, welche wie 
ein Fibringerinnsel an dem Glasstabe haften. Der Niederschlag ist ganz 
weiß und einer Mucinfällung durch Essigsäure sehr ähnlich. Die Nuclein- 
säure wird so als Alkalisalz gefällt. Dieses ist in Wasser leicht löslich 
und wird daraus nochmals mit Alkohol ausgefällt. Der Niederschlag ist 
dann schon von Salzen, besonders Kochsalz ziemlich frei. Seine Lösung 
wird dem entsprechend jetzt von Alkohol nur nach Zusatz von einigen 
Tropfen Kochsalzlösung, und zwar in Form weißer Flocken gefällt. Diese 
werden mit Alkohol ausgewaschen. 

Bei fortgesetzter Alkoholätherbehandlung erhält man das 
nucleinsaure Alkali als ein feines, weißes Pulver, welches sich in 

Beitr. z. chem, Physiologie. IV. 22 


338 Ivar Bang, 


Wasser sehr leicht mit neutraler Reaktion löst. Eine solche Lösung 
gibt nicht die geringste Andeutung einer Biuretreaktion und ist 


absolut chlorfrei. Mit den Salzen der Schwermetalle, besonders mit - 


Blei- und Kupfersalzen bekommt man Niederschläge der betreffenden 
Metallverbindungen der Nucleinsäure. Silber- und Quecksilber- 
salze geben jedoch mit der Nucleinsäure keine oder nur eine sehr 
unvollständige Fällung. Alkohol schlägt dann die Silber- und 
@uecksilberverbindung ziemlich vollständig nieder. Die Nuclein- 
säure wird von verdünnter Essigsäure absolut nicht gefällt, wohl 
aber von einer 25proz., ebenso auch von ganz verdünnten Mineral- 
säuren. Von diesen wird aber die Nucleinsäure rasch zerstört. 
Schon nach kurzer Zeit lassen sich Purinbasen und Phosphorsäure 
im Filtrate nachweisen. 


Hält man eine Lösung des nucleinsauren Alkalıs einige Zeit 
bei 60°, so bewirkt ein Zusatz von Salzsäure keinen Niederschlag 
mehr. Silbernitrat und Ammoniak bewirken aber noch keine 
Fällung. Kocht man dagegen die Nucleinsäure kurze Zeit mit ver- 
dünnten Mineralsäuren, so lassen sich die Purinbasen leicht nach- 
weisen, wie dies den Angaben aller früheren Untersucher der 
Thymusnucleinsäure entspricht. Ebenso reduziert eine Nuclein- 
säurelösung nach Inversion mit einer Mineralsäure die Fehlingsche 


Lösung nicht. Die Nucleinsäure gibt weiter eine schöne Pen- 


tosenreaktion mit Phlorogluein und Salzsäure. Eine Lösung des 
nucleinsauren Alkalis kann mit Neutralsalzen gesättigt werden, 
ohne daß Nucleinsäure ausgefällt wird — im Gegensatz zu meiner 
Angabe in der vorläufigen Mitteilung, derzufolge man mit Ammon- 
sulfat die Säure teilweise niederschlagen kann. Sättigt man da- 
gegen eine Lösung des nucleinsauren Alkalis mit Ammonsulfat, 
so kann man durch einige Tropfen Essigsäure die ganze Säure 
ausfällen. Diese Fällung ist auch im Wasser leicht löslich und 
wird durch Sättigung mit Ammonsulfat neuerdings ausgefällt. Die 
Nucleinsäurefällung und Lösung reagiert aber auch nach oft 
wiederholtem Umfällen deutlich sauer. Bei Zusatz verdünnter 
Essigsäure wird also dem nucleinsauren Alkali ein Teil 
desAlkalisentrissen, und es entsteht ein saures nuclein- 
saures Alkali, welcheszwar auch im Wasser löslich ist, 
aber mit Ammonsulfat ausgesalzen werden kann. 


Um die Zusammensetzung der Nucleinsäure zu ermitteln, 
analysierte ich das Alkalisalz, nicht die freie Säure. Diese wird 
nämlich durch Umsetzung mit Salzsäure dargestellt, und bei 
Anwendung von Mineralsäure läuft man selbst bei vorsichtiger 
Arbeit Gefahr, die Nucleinsäure zu zersetzen. Beim Trocknen 


N . 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 339 


des nucleinsauren Alkalis (Natron) bei 100° zeigte es sich in- 
dessen, daß auch diese Präparate sich unter Bräunung zersetzten. 
Ich mußte deswegen meine Präparate bei 50° im Exsikkator 
troeknen — ganz wie Schmiedeberg für die Salmonucleinsäure 
vorgegangen ist. Erst nach einigen Monaten erreichte ich Gewichts- 
konstanz. Die Präparate waren dann noch ganz weiß und in 
Wasser vollkommen löslich. Doch waren sie etwas hygroskopisch 
geworden. Sie hatten im ganzen 6 Proz. Wasser abgegeben. 
Die Analysen wurden an vier Präparaten ausgeführt. 


C H N 1% Na 

Präparat I | 35,75 Proz. 14,18 Proz.| 15,45 Proz. 9,34 Proz. — 

„ I | E32 ga = 9,30 ” 7 

& aan Ra ENTE AB AT", > 
£ III | = En 15,06  ., 9,33 „ 6,46 Proz. 

eV 1 2 ee fen »e 1007. -\6,08 7, 
Mittel: 35,85 Proz. |4,23 Proz.| 15,26 Proz. 9,30 Proz.|6,25 Proz. 
Man darf, wie für die übrigen Nucleinsäuren auch für die 
vorliegende annehmen — wie übrigens schon für die Thymus- 
nucleinsäure geschehen ist — daß sie vier Phosphoratome ent- 


hält. In der Tat stimmen meine Analysenresultate — besonders 
die P- und Na-Werte annähernd mit der Formel der Thymus- 
nucleinsäure nach Herlant überein, übrigens derselben Formel, 
welche Schmiedeberg für die Salmonucleinsäure aufgestellt hat: 
C,.HseNu4P: Os. 


Berechnet für | a 
CH3, Na, NP, 03 
C 35,30 Proz. 35,85 Proz. 
H 380.7, #298 -., 
Na Giger, 6,25 „ 
N ISAL. -, 26%, 
P 9,12 , 930° - ; 


Ob hier eine Verwandtschaft bzw. Identität mit der Salmo- 
nucleinsäure besteht, war nur durch Untersuchung der Spaltungs- 
produkte zu entscheiden. 

Zu diesem Zwecke wurde die Nucleinsäure in einem Versuche 
mit 5proz. Schwefelsäure drei Stunden im Wasserbade gekocht, 
in einem anderen zwei Stunden im Autoklaven mit 30proz. 
Schwefelsäure bis 150° erhitzt. 

Nach der Inversion mit 5proz. Schwefelsäure ließ sich keine 


reduzierende Substanz nachweisen. Dagegen waren die Purin- 
22* 


340 Ivar Bang, 


basen vollständig abgespalten. Nach Ausfällung derselben konnte 
man mit Quecksilbernitrat einen Niederschlag gewinnen, welcher 
Thymin, Phosphorsäure und die „Pentose“ enthielt, welche Stoffe 
dementsprechend fester untereinander verbunden sind als mit den 
Purinbasen. Diese Verbindung kann nicht der Thyminsäure ent- 
sprechen, da eine Ausfällung der Purinbasen durch Silbernitrat 
stattfinden kann. Auch läßt sich die Thyminsäure aus dieser 
Nucleinsäure nach Kossels Methode isolieren. 


Was die Natur der Purinbasen betrifft, so ließen sich Hypo- 
xanthin und Xanthin bald ausschließen. Dagegen fand sich 
Adenin in reichlicher Menge. In meiner ersten Untersuchung, 
wo ich nur mit unvollständig gereinigter Nucleinsäure arbeitete, 
hatte ich kein Guanin gefunden. Genauere Untersuchungen mit 
reinem Materiale, das übrigens auch eine schöne \Murexidprobe 
gab, ergaben jedoch seine Anwesenheit. Auch bei der Bestimmung 
der Purinbasen bin ich zuerst zu einem unrichtigen Resultate ge- 
kommen. Erst als ich die Silberfällung mehrmals aus 20proz. 
Salpetersäure unter Zusatz von Harnstoff umkristallisierte, ließen 
sich sowohl reines Adenin als Guanin nachweisen. Die Silber- 
salze wurden mit Salzsäure zerlegt und das Adenin vom Guanin 
mit Ammoniak getrennt. Die Adeninmenge war zweimal 
so groß wie die Guaninmenge (etwa 0,5:0,25 g), ganz in- 
Übereinstimmung mit Kossels Befund, welcher aus 10 g Thymus- 
nucleinsäure 1,2 g Adenin und 0,6 g Guanin darstellen konnte. 


Nach ihren qualitativen Reaktionen ist also meine Nuclein- 
säure mit jener Kossels ganz identisch, und da Kossel seine 
Nucleinsäure nach einem Verfahren dargestellt hat, wonach man, 
wie gezeigt, die Nucleinsäure aus dem Histonnucleinat darstellen 
kann, so ist die Identität beider sichergestellt. 


Bei der Bestimmung der absoluten Basenmenge erhielt ich 
als Resultat etwa 22 Proz. Basen, Kossel approximativ 18 Proz. 


Aus dem ungefähr bekannten Molekulargewicht der Nuclein- 
säure (= 1272) läßt sich berechnen, daß sie zwei Moleküle Purin- 
basen (1 Molekül Adenin + 1 Molekül Guanin = 22,4 Proz.) 
enthält. Diese Beobachtung stimmt vollständig mit Schmiede- 
bergs Befund an der Salmonucleinsäure überein, läßt sich aber 
nicht mit dem gefundenen Verhältnis der beiden Basen, zwei 
Teile Adenin auf einen Teil Guanin vereinigen. 


Was sonstige stickstoffhaltige Spaltungsprodukte betrifft, so 
gibt die Nucleinsäure kein Ammoniak ab. Bei Destillation mit 
Maenesia ging nichts davon über. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 341 


Dagegen habe ich sowohl Thymin als Cytosin gefunden. 
Thymin kommt in viel größerer Menge als Cytosin vor. Das 
Cytosin ließ sich nach einer Kombination der Methoden von 
Kossel und Steudel und Kutscher nachweisen. Allerdings 
habe ich nur verhältnismäßig geringere Mengen Nucleinsäure 
darauf verarbeitet. Kossel schätzt die relativen Mengen des 
Thymins und Cytosins in der Thymusnucleinsäure auf 8:2. 


Andere stickstoffhaltige Substanzen habe ich aus der Nuclein- 
säure nicht darstellen können. 


Von sonstigen Spaltungsprodukten habe ich Lävulinsäure 
(nebst Ameisensäure) nachweisen können. Dagegen enthält die 
Nucleinsäure keine Pentose, der schönen Pentosenreaktion 
mit Phloroglucin und Salzsäure ungeachtet. Bei einem Ver- 
such zur Bestimmung der vermutlichen Pentose nach Tollens ging 
keine Spur von Furfurol in die Vorlage über. Grund lat bei Unter- 
suchung des „Nucleohistons“ dasselbe gefunden, trotzdem Thymus 
selbst nicht unerhebliche Mengen Pentose enthält. Auch die 
Örcinprobe fällt ganz negativ aus. Hieraus geht hervor, daß 
Glykuronsäure nicht vorliegen kann. Die Orcinprobe ist darnach 
der Phloroglucinprobe bei weitem überlegen. 


Die Nucleinsäure enthält somit, wie ich in Übereinstimmung 
mit Kossel finde, eine Kohlehydratgruppe, welche nicht als redu- 
zierende Substanz abgespalten werden kann. Ob diese Gruppe 
die „Pentosenreaktion“ bedingt, weiß ich nicht. Nach Erhitzen 
im Autoklaven fällt die „Pentosenreaktion“ negativ aus. 


Den Spaltungsprodukten nach besitzt entweder die Nuclein- 
säure ein außerordentlich großes Molekül, was nicht wahrscheinlich 
ist, oder es liegen mehrere, mindestens zwei, Nuclein- 
säuren vor. 

Wenn wir uns hierüber näher orientieren wollen, müssen wir 
zwei Momente im Auge behalten: 1. Die absolute und relative 
Menge der Spaltungsprodukte und 2. die elementare Zusammen- 
setzung der Nucleinsäure. 


Von den Spaltungsprodukten kennen wir alle, oder jeden- 
falls mehrere stickstoffhaltige. Dagegen sind die stickstofffreien 
kohlenstoffhaltigen Spaltungsprodukte der Hauptmasse nach un- 
bekannt. Da unsere Nucleinsäure sich den Reaktionen nach wie 
die Salmonucleinsäure verhält, ungefähr dieselbe prozentische Zu- 
sammensetzung und aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine ana- 
loge Konstitution besitzt, so dürfen wir annehmen, daß in ihr als 
Kern eine Thymin- bzw. Cytosinsäure vorliegen. Liegen mehrere 


342 Ivar Bang, 


Nucleinsäuren vor, so müssen sie sämtlich eine ähnliche Kon- 
stitution besitzen. Man darf somit annehmen, daß wir entweder 
eine Guanin- und eine Adeninnucleinsäure, oder eine Adenin- und 
eine Adenin-Guaninnucleinsäure vor uns haben. Ich glaube später 
beweisen zu können, daß letzteres der Fall ist. 


In diesen können weiter als Komponenten eine Thyminsäure 
und eine Cytosinsäure oder eine Kombination von beiden vor- 
liegen, und zwar in der einen oder der anderen oder in beiden 
Nucleinsäuren. 


Wenn wir es aber mit einer Adenylsäure und einer Adenin- 
Guaninsäure zu tun haben, so erfordert die relative Basenmnenge, 
vorausgesetzt, daß beide Nucleinsäuren je zwei Purinbasen ent- 
halten, daß zwei Gewichtsteile Guanin-Adeninsäure auf einen Teil 
Adenylsäure kommen. Da nun das Thymin in weit reichlicherer 
Menge vorhanden ist als Cytosin, so ist es nicht unmöglich, daß 
die Adenin-Guaninsäure (ich nenne diese schlechtweg die Normal- 
säure) Thymin, und die Adenylsäure das Oytosin allein oder auch 
überdies Thymin enthält. Nehmen wir nach Analogie mit der 
Salmonucleinsäure, Triticonucleinsäure usw. an, daß zwei Mole- 
küle Pyrimidinbasen vorliegen, so sollten im ersten Falle (Adenyl- 
säure = Cytosinsäure und Normalsäure = Thyminsäure) 13 Proz. 
Thymin und 6 Proz. Cytosin erhalten werden. Ist aber die 
Adenylsäure eine Cytosin-Ihyminsäure und die Normalsäure eine 
Thyminsäure, so haben wir in der „Nucleinsäure* (=°/; Normal- 
säure + '/; Adenylsäure) 16,5 Proz. Thymin und 3 Proz. Cytosin 
zu erwarten. Kossel hat, wie erwähnt, nach seiner ursprünglichen, 
unvollkommenen Methode 8 Proz. Thymin und 2 Proz. Cytosin 
gefunden, was wohl besser mit der ersten Auffassung überein- 
stimmt. Haben doch Osborne und Harris in der Triticonuelein- 
säure bei quantitativem Arbeiten nur 11 Proz. Uracil anstatt der 
theoretischen Menge (16 Proz.) gefunden. Auch stimmt diese Auf- 
fassung am besten zu den analytischen Werten. Während nämlich 
die erste Alternative (16,5 Proz. Thymin und 3 Proz. Cytosin) 
einem Stickstoffgehalt der „Nucleinsäure* (als Na-Salz) von 
14,87 Proz. entspricht, stellt sich die Sache der anderen Auffassung 
nach in folgender Weise dar“). 


*) Ich bemerke dazu, daß ich die Differenz des Kohlenstoffes zwischen 
Thymin und Cytosin nicht berücksichtige. Kennen wir doch die stickstoff- 
freien Bestandteile der Nucleinsäuren nicht und wissen auch nicht, wie sich 
diese verteilen. Dagegen enthalten die Nucleinsäuren etwa 10 C auf 1 P, 
was mit meinen Analysen übereinstimmt. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 343 


Berechnet | 
2/, Normalsäure [(C,, Hz Na, Nj4 Ps Og)2] Gefunden 
—+ 1, Adenylsäure=[C, H„N&4 NP, O2] | 
C | 35,49 Proz. I". 85,85 Proz: 
H l 3,30 , Br, m 
Na | 5.80. 65 „ 
N | 1,19, 2 tea, 
P NAT, 9,30 „ 


Über die absolute Richtigkeit der C- und H-Werte können 
wir vorläufig kein bestimmtes Urteil abgeben, dagegen stimmen 
die Na-, N- und P-Werte gut zu der ausgeführten Auffassung. 
Da aber nicht sämtliche Komponenten der Nucleinsäuren bekannt 
sind, so verzichte ich auf die Entwickelung einer Konstitutions- 
formel.*) Nur möchte ich hervorheben, daß sich sämtlicher Stick- 
stoff in den Spaltungsprodukten findet, wenn man in der Normal- 
säure je ein Mol. Guanin und Adenin und zwei Mol. Thymin 
(= 14 Atome N) und in der Adenylsäure zwei Mol. Adenin und 
zwei Mol. Cytosin (= 16 Atome N) annimmt. 


4. Ist das native Histonnucleinat eine einheitliche 
Substanz? 

Bei der Untersuchung des nativen Histonnucleinats haben wir 
als Bestandteile kennen gelernt: Histon, Parahiston und zwei 
Nucleinsäuren. Es ergibt sich nun die Frage: Besteht das 
beschriebene Histonnucleinat in der Tat aus zwei Verbindungen, 
einem nucleinsauren Histon und einem nucleinsauren Parahiston, 
und, falls dies der Fall ist, wie verteilen sich die Nucleinsäuren 
an die Eiweißbasen ? 

Zur Lösung dieser Frage habe ich auf eine schon in der 
ersten Mitteilung angeführte Beobachtung zurückgegriffen. 

Versetzt man eine Lösung des Histonnucleinats nach und 
nach mit gesättigter Kochsalzlösung, so erhält man bei Halb- 
sättigung einen Niederschlag von Histon, welcher sich bei 
weiterem Zusatz vermehrt. Dabei ist bereits ein Teil des 


. *) An dieser Stelle möchte ich mit Bezug auf eine Bemerkung Kossels, 
ich hätte über seine Untersuchungen der Thymusnucleinsäure ein absprechendes 
Urteil gefällt, hervorheben, daß ich gerade auf Grund meiner Bearbeitung 
dieses schwierigen Gebietes die einschlägigen vorzüglichen Arbeiten Kossels 
sehr hoch schätze und aus ihnen den größten Nutzen gezogen habe. Die 
„beträchtlichen Irrtümer“, welche mir Kossel zuschreibt, beruhen zum- 
wesentlichen auf Mißverständnissen. Kossel hat mir seinerzeit eine Auf- 
klärung derselben unmöglich gemacht. Es dürfte jetzt nicht mehr lohnen, 
auf diese sachlich weniger wichtigen Punkte zurückzukommen. 


344 Ivar Bang, 


Histons abgespalten; der Rest kann dann entweder aus einem 
phosphorreicheren Proteid bestehen, was für eine einheitliche Ver- 
bindung spräche, oder das Proteid hat den ursprünglichen P-Gehalt, 
d. h. ein Teil der Nucleinsäure ist zugleich mit dem Histon aus- 
getreten, was auf eine spezielle Histonverbindung zu beziehen 
wäre. Aus dem Schwefelgehalte des Restes wären vielleicht auch 
Aufschlüsse über das Parahiston zu gewinnen. Versuche in dieser 
Richtung wurden in folgender Art ausgeführt: 

Die Lösung des nucleinsauren Histons wurde mit Kochsalz halb- 
gesättigt, filtriert und das Filtrat dialysiert. Nach Entfernung des Koch- 
salzes bildete sich ein Niederschlag, welcher sich größtenteils in Wasser 
löste. Diese Lösung fällte ich mit Chlorkalzium und löste den Nieder- 
schlag in 2proz. Kochsalzlösung. Weder bei Verdünnung mit Wasser, 
noch bei Dialyse bildete sich jetzt ein Niederschlag. Auch Zusatz 
von Chlorkalzium bewirkte jetzt keinen Nieder: 
schlag mehr. Dagegen gab Essigsäure eine Fällung, welche 6,27 
Proz. P enthielt. Da ich befürchtete, daß die Essigsäure Eiweiß ab- 
gespalten hätte, analysierte ich direkt die durch Chlorkalzium erhaltenen 
Niederschläge ohne weitere Reinigung. Ich erhielt folgende Werte: 
P 548 Proz., Ca 185 Proz. und S 0% Prez. Die P wndrEez 
werte blieben unyerändert, dagegen ergab sichwinz 
die Hälfte des ursprünglichen 5-Gehalts da 
nutcleinsaure Histion 532 Proz-:P, "EA Fraz Dızıen 
047 Proz S enthätt 

Die Analysen können nur in der Weise gedeutet werden, 
daß alles Parahiston und die mit diesem verbundene 
Nucleinsäure abgespalten, daneben auch ein Teil des 
eigentlichen nucleinsauren Histons zerlegt worden war, 
derRest aber aus eigentlichem nucleinsaurem Histon 
bestand. Folglich sind sowohl das Parahiston als das Histon 
jedes für sich mit Nucleinsäure verbunden. Weiter ist hiermit der 
Beweis geliefert, daß das Parahiston in derselben salzartigen 
Weise wie das Histon gebunden und die Annahme eines Leuko- 


nucleins abzuweisen ist. 


Wenn aber die analysierte Verbindung nur Histon und Nuclein- 
säure enthielt, dann mußte es gelingen, durch Kochsalzsättigung 
ihrer Lösung alles, was Eiweißreaktionen gibt, auszufällen. Dies 
war auch der Fall. Im Filtrate fiel die Biuretreaktion 
vollständig negativ aus. 

Wir haben hiermit die erste Frage beantwortet und werden 
jetzt untersuchen, wie sich die Nucleinsäuren unter den Eiweiß- 
basen verteilen. 

Aus dem eigentlichen nucleinsauren Histon stellte ich mir 
nach der Salzsäuremethode die Nucleinsäure dar. Sie enthielt 
sowohl Guanin als Adenin. Weiter müßte man die Menge 


1 A Sn ee 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 345 


der Basen bestimmen. Nur wenn man 1 Teil Adenin auf 1 Teil 
Guanin fände, wäre der Beweis für die oben ausgesprochene Auf- 
fassung der Normalsäure endgültig geliefert. Ich habe solche 
Untersuchungen noch nicht ausgeführt). 

Doch ist nach meinen Beobachtungen über die relativen Mengen 
des Histons und Parahistons zu erwarten, daß das Histon, welches 
in größerer Menge als das Parahiston vorkommt, mit jener Nuclein- 
säure in Verbindung steht, welche in größerer Menge vorkommt. 
In der Tat kommt die Normalsäure in doppelt so großer Menge 
vor als die Adenylsäure. - 

Da wir festgestellt haben, daß sowohl Histon als auch 
Parahiston mit Nucleinsäure verbunden ist, so ist hiermit auch 
bewiesen, daß das native nucleinsaure Histon aus zwei Ver- 
bindungen besteht. Daraus folgt nicht, daß diese beiden als 
voneinander unabhängige Verbindungen vorkommen. Eher 
dürfte das native Histonnucleinat als eine einheitliche Verbindung 
anzusehen sein, welche den Charakter einer Doppelverbindung, 
eines Doppelsalzes, besitzt. Denn erstens ist die elementare 
Zusammensetzung und besonders der Schwefelgehalt in allen 
Präparaten konstant, folglich in allen dasselbe Mengenverhältnis 
zwischen Histon und Parahiston gegeben. Weiter haben wir ge- 
sehen, daß das eigentliche nucleinsaure Histon eine sehr unbe- 
ständige Verbindung ist, welche schon von verdünnten Neutral- 
salzlösungen erheblich verändert wird, während die ursprüngliche 
Doppelverbindung sehr beständig ist. Die Gegenwart der Para- 
histonverbindung ist also von wesentlicher Bedeutung für die Histon- 
verbindung und gibt der ursprünglichen Verbindung ihre Beständig- 
keit. Zugleich wird sie so selbst vor Zerfall geschützt. 

Wir besitzen nunmehr ausreichende Anhaltspunkte zu einer 
vorläufigen Beurteilung der Konstitution des nucleinsauren Histons, 
zumal die Spaltungspredukte sich durch einige spezifische Ele- 
mente auszeichnen, die Nucleinsäuren durch ihren P-, die Eiweiß- 
körper durch ihren S-Gehalt, überdies der S-Gehalt der beiden 
Eiweißkörper untereinander sehr verschieden ist. 


5. Die Konstitution des nativen Histonnucleinats. 

- Aus den schon mitgeteilten Analysen wissen wir, daß dasnative 
nucleinsaure Histonkalzium 43,69 Proz. C, 5,60 Proz. H, 
Beeren, 0,47 Proz. S, 5,23 Proz. P und 1,71 Proz. Ca 
enthält. Das Histon besteht aus 52,35 Proz. C, 7,50 Proz. H, 
18,10 Proz. N, 0,62 Proz. S und das Parahiston aus 51,84 Proz. C, 
7,93 Proz. H, 17,73 Proz. N und 2,11 Proz. S. Weiter hat eine 


*) Im hiesigen Laboratorium ist die Frage schon in Angriff genommen. 


346 Ivar Bang, 


Nucleinsäure, welche aus *% Normalsäure und !/s Adenylsäure 
besteht, eine durchschnittliche Zusammensetzung von 35,49 Proz. C, 
3,80 Proz. H, 6,80 Proz. Na, 15,18 Proz. N, 9,17 Proz. P als Na-Salz 
berechnet, und die freie Säure 38,08 Proz. C, 4,08 Proz. H, 
16,18 Proz. N und 9,84 Proz. P. | 

Da aller Phosphor den Nucleinsäuren angehört, besteht das 
native nucleinsaure Histon mit 0,47 Proz. S aus 54 Proz. Nuclein- 
säure und 46 Proz. Eiweißkörper. Diese enthalten daher zu- 
sammen 1,02 Proz. S. Wenn weiter das Histon 0,62 Proz. S und 
das Parahiston 2,11 Proz. S enthalten, bestehen die Eiweißkörper 
entweder aus 2 Teilen Histon und 1 Teil Parahiston (% Histon + 
!; Parahiston = 0,41 Proz. S + 0,70 Proz. S = 1,11 Proz. S), oder 
aus 3 Teilen Histon auf einen Teil Parahiston (?/s Histon + '/«ı Para- 
histon = 0,47 Proz. S + 0,53 Proz. S = 1,00 Proz. S). 

Aus den Analysen des eigentlichen nucleinsauren Histons 
wissen wir, daß diese Verbindung 5,48 Proz. P und 0,26 Proz. S 
enthält. Folglich besteht diese aus 56 Proz. Nucleinsäure 
und 44 Proz. Histon, wenn man vom Phosphor ausgeht und 
42 Proz. Histon mit 58 Proz. Nucleinsäure, wenn man den 
Schwefel zum Ausgangspunkt nimmt. Beide Berechnungen geben 
somit ein übereinstimmendes Resultat und daraus geht weiter 
hervor, daß das eigentliche nucleinsaure Histon dieselbe prozen- 
tische Zusammensetzung besitzt wie die ursprüngliche Verbindung. 
(Die kleinen Differenzen liegen innerhalb der Versuchsfehler.) 
Hieraus läßt sich schließen, daß auch das nucleinsaure 
Parahiston eine BRE Een u Zusarınie nersesnE 
aufweisen muß. 

Weitere Aufschlüsse über die Zusammensetzung des nuclein- 
sauren Histons lassen sich hieraus nicht ziehen. Es ist jedoch der 
proportionalen Menge der Nucleinsäuren nach wahrscheinlich, daß 
zwei Teile Histon (und nicht drei) aufeinen Teil Parahiston kommen, 
eine Auffassung, deren Richtigkeit ich später noch begründen will. 

Das nucleinsaure Histon besteht darnach aus 54 Proz. 
Nucleinsäure, 30,7 Proz. Histon und 15,3 Proz. Parahiston. 

Hiermit ist die Frage nach dem Aufbau des nativen Histon- 
nucleinats in den Hauptzügen gelöst. Wenn ich aber nicht irre, 
erlauben meine Untersuchungen weitere Schlüsse, und zwar über 
empirische Formel und Molekulargewicht des Histons und Para- 
histons, und damit der Eiweißkörper überhaupt. Allerdings hat 
man schon mehrfach versucht, das Molekulargewicht verschiedener 
Eiweißkörper zu berechnen, doch muntern die Resultate nicht be- 
sonders zur Fortsetzung auf. Im vorliegenden Falle liegen aber 
die Verhältnisse bedeutend günstiger. 


Chemische Untersuchungen der lymphatischen Organe. 347 


Für das Histon haben wir einen wertvollen Ausgangspunkt 
im Schwefel. 

1. Der Schwefelgehalt des Histons ist 0,62 Proz. Rechnet man 
ihn wegen der unvermeidlichen Versuchsfehler zu 0,70 bis 0,50 
Proz., so können wir das Molekulargewicht auf 4600 (S = 0,70 
Proz.) bis 6400 (S = 0,50 Proz.) schätzen. 

2. Fürs zweite läßt sich das Molekulargewicht des Histons 
indirekt aus dem Schwefelgehalt des Parahistons be- 
rechnen. Bei einem Gehalt von 2,10 Proz. S hat das Parahiston 
ein Molekulargewicht von mindestens 1530 [von 1460 — (S = 2,2) 
bis 1600 — (S = 2,00)]. Ist aber die prozentische Menge des 
Histons doppelt so groß als jene des Parahistons, so muß man 
annehmen, daß das Molekulargewicht des Parahistons — 3060, 
jenes des Histons also 6100 ist, was ganz gut mit der direkten 
Bestimmung übereinstimmt. Das Parahiston enthält dement- 
sprechend mindestens zwei Atome S. (Es ist ausgeschlossen, daß 
zwei Moleküle Parahiston vorliegen.) 

3. Fürs dritte läßt sich das Molekulargewicht des Histons aus 
dem eigentlichen nucleinsauren Histon berechnen, da wir jenes 
der Nucleinsäure kennen. Dieses ist 1272, und folglich ist das 
des Histons = n. 1010. Dieser Berechnung nach ist das Molekular- 
gewicht des Histons mindestens 5050 bis 6060, woraus folgt, daß 
das Histon mit mindestens fünf bis sechs Molekülen 
Nucleinsäure verbunden ist. 

4. Weiter habe ich, — worüber später ausführlicher berichtet 
wird — das Histonchlorid dargestellt und analysiert. Der Chlor- 
gehalt war in drei Analysen 3,64 Proz., 3,33 Proz. und 3,26 Proz. Cl. 
Hieraus berechnet sich das Molekulargewicht des Histons zu 
n. 1045 oder mindestens- 5225 bis 6270. Die Resultate stimmen 
also mit der Berechnung aus der Nucleinsäure gut überein. 

5. Beim nucleinsauren Histon haben wir folgendes zu be- 
rücksichtigen: 1. Das Molekulargewicht des nucleinsauren Histon- 
Kalziums läßt sich aus dem Kalzium berechnen; 2. enthält diese 
Verbindung alle drei (vier) Komponenten, was die indirekte Be- 
stimmung der einzelnen und besonders der kompliziertesten er- 
laubt. Endlich kann man hier den Gehalt an den übrigen Ele- 
menten, besonders an Stickstoff, Schwefel und Phosphor mit- 
einander vergleichen und die Verteilung derselben auf die Spaltungs- 
‚produkte verfolgen. 

Schon in der ersten Mitteilung habe ich eine Formel des 
nucleinsauren Histons aufgestellt: (C3s5s Has N SP: Ca; O1.) n. Es 
kommen darnach drei Moleküle Nucleinsäure auf ein 


348 Ivar Bang, 


Atom Schwefel. Da nun sowohl das Histon als das Parahiston 
Schwefel enthält und das Histon mindestens ein Atom und das 
Parahiston zwei Atome Schwefel enthalten muß, im nucleinsauren 
Histon somit mehrere, mindestens drei, Atome S vorhanden sein 
müssen, so muß die empirische Formel mindestens heißen: 
Gros H, 1m Na52 Ss PP. Ca, Oz 

mit einem Molekulargewicht von 20922, einer außerordentlich hohen 
Zahl, der größten, die man überhaupt aufgestellt hat. 

Das nucleinsaure Histon enthält weiter neun Moleküle 
Nucleinsäure, mit einem Molekulargewicht von 11398. Folglich 
besteht die Verbindung aus 54,5 Proz. Nucleinsäure und 45,5 Proz. 
Eiweiß. Die Berechnung aus den empirischen Formeln 
stimmt also vollständig mit der prozentischen Be- 
rechnung überein. Das Histon und Parahiston‘\ besitzen dem- 
entsprechend zusammen ein Molekulargewicht von 9182 [20922 — 
(11398 + 360 Ca) + 18 H = 9182], das Histon somit ein Mole- 
kulargewicht von. etwa 6122 und das Parahiston ein 
solches von 3060, eine vollständige Bestätigung der 
früheren Berechnung. Daraus geht auch hervor, daß meine 
Auffassung der relativen Menge des Histons und Parahistons die 
richtige ist. Es würde zu weit führen, wenn ich auseinander- 


setzen wollte, daß die Annahme eines Verhältnisses von 3 Teilen. 


Histon : 1 Teil Parahiston nicht zutrifft. 
6. Nach obigem ist die empirische Formel des 
nativen nucleinsauren Histons = (,,,H 188 Nasa Da Pas Oz1., Jene der 
Nuelemsäwren —:@, HN. BU 
Die Differenz = C,H so N iso Ss — Om 
muss die Zusammensetzung des Histons + Parahistons weniger dem 
bei der Vereinigung aller Komponenten freigewordenen Wasser 
ergeben. In der Tat, berechnen wir für das Parahiston (Molekular- 
gewicht — 3060) die empirische Formel, so erhalten wir: 


cz 1:87 NE S, Di: 
Berechnet Gefunden 
G 51,74 Proz. 51,84 Proz. 
H 71,93 = 7,93 Y 
N 17,84 en 17.30, 
S 2,09 : 2,11 » 


Es bleibt dann für Histon Q,,;H,.: Nsı Sı O,s eine Formel, die 
aber für den Kohlenstoff und Stickstoff zu hohe, für den Sauer- 
stoff und Wasserstoff zu kleine Werte ergibt, (etwa 1 Proz. Diffe- 


u er Di ee Dec 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 349 


renz bei allen Elementen), was sich daraus erklärt, daß die Spaltung 
des nucleinsauren Histons ein hydrolytischer Prozeß ist. 
Da wir wissen, daß das Histon mit sechs Molekülen Nuclein- 
säure verbunden ist, kann man annehmen, daß sechs Moleküle 
Wasser in das Histon eingetreten sind. 
Unter dieser Voraussetzung kommt man zu der empirischen 
Formel des Histons: 


GH: N; 
Berechnet (Gefunden - 
C 52,46 Proz. 52,35 Proz. 
H 30 5 MB, 
N 19405 1220 
S Dar: "u W62407 ;, 


Nach Analogie der Spaltung des eigentlichen nucleinsauren 
Histons darf man annehmen, daß auch das nucleinsaure Parahiston 
in derselben Weise zerfällt. Nun enthält, wie schon bemerkt, das 
nucleinsaure Histon neun Moleküle Nucleinsäure und das eigent- 
liche nucleinsaure Histon sechs, also bleiben drei Moleküle 
Nucleinsäure für die Parahistonverbindung übrig. Das Parahiston 
nimmt also bei der Spaltung wahrscheinlich drei Moleküle 
Wasser auf. 

Da aber die für das Parahiston oben aufgestellte Formel mit 
den analytischen Werten viel besser übereinstimmt als eine Formel 
mit drei Molekülen Wasser mehr, so darf man wohl annehmen, 
daß die ursprüngliche Verbindung drei Moleküle H,O weniger 
enthält, als wir berechnet haben. Dies macht kaum einen Unter- 
schied in der prozentischen Zusammensetzung aus, wie die nach- 
stehende Berechnung (für die Kalziumverbindung) zeigt: 


Be LEN S P Ca 
Berechnet | 43,51 5,58 16,91 0,47 5,35 1,73 
Gefunden 43,69 5,60 16,87 0,47 5,23 1,17 


Sämtliche aus der Atom-, wie aus der Prozentberechnung 
sich ergebenden Werte stimmen somit sehr gut überein. Davon 
haben selbstverständlich die Werte des N, S, P und Ca die größte 
Bedeutung. Daß auch C und H ganz und gar übereinstimmen, 
ist mehr als ein Zufall anzusehen. 

7. Daß sich aus der Differenz der Nucleinsäuren drei Moleküle 
Nucleinsäure für die Parahistonverbindung ergeben haben, ver- 
dient hervorgehoben zu werden. In Übereinstimmung mit den 


350 Ivar Bang, 


früheren Angaben, betreffend die zwei Nucleinsäuren, haben wir 
hier zwei Teile Normalsäure und einen Teil Adenylsäure, die erstere 
mit dem Histon, die letztere mit dem Parahiston verbunden. Weiter 
ergeben drei Moleküle Adenylsäure zu 1250 zusammen ein Molekular- 
gewicht von 3750, während das Molekulargewicht des Parahistons 
— 3060 ist. Das nucleinsaure Parahiston besteht danach aus 
44,9 Proz. Parahiston und 55,1 Proz. Adenylsäure. 

8. Aus den Arbeiten Kossels und Kutschers haben wir 
die approximativen Werte der Spaltungsprodukte des Thymus- 
histons kennen gelernt. Von den Diaminosäuren sind drei be- 
stimmt, von den Monaminosäuren nur Tyrosin und Glutaminsäure. 
Es hat einiges Interesse, zu untersuchen, wie sich die Sache ver- 
hält, wenn man diese prozentischen Werte in Moleküle umrechnet. 


Mol.-Gew. — 6245 N= 81 

Berechnet Gefunden Berechnet | Gefunden 
6 Mol. Arginin . . || 16,71 Proz. | 14,36 Proz. | 29,96 Proz. | 25,17 Proz. 
4.15 Main ei, Se ae 985... 8 
t : „ Histidin Nr Baar Sraee 370075 1/79. 3 
6 „ Ammoniak . 633 lu A RR TAB 
34-5... Tyrosin a. SB Balınr. 3,70, „| "AB 
2 „ Glutaminsäure | 4,70 „ Buß DAN 20 1,0% 


Die Resultate stimmen genügend überein, wenn man sich er- 
innert, daß die gefundenen prozentischen Werte nur einen an- 
nähernden Wert besitzen. Kossel und Steudel bemerken z.B. 
in der letzten Publikation über Hexonbasen, daß die angewandte 
Methode zur Bestimmung des Histidins einer Verbesserung 
bedürftig sei, und haben nach einer solchen bei Edestin auch 
2,20 Proz. Histidin gegen 1,16 Proz. von Schulze und Winter- 
stein und 1,1 Proz. von Abderhalden gefunden. Dasselbe ist 
auch mit den übrigen Basen, z. B. dem Lysin der Fall. (Deswegen 
habe ich auch einen Gehalt von vier Molekülen und nicht drei, 
welche 7,02 Proz. entsprächen, angenommen.) Daß die Werte für 
Tyrosin zu klein erhalten werden, ist nach der Art der Bestimmung 
zu erwarten. ; 

Von den 81 Stickstoffatomen des Histons haben wir also 
etwa die Hälfte (46 Atome) in diesen Spaltungsprodukten 
wiedergefunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach finden sich die 
übrigen als Monaminosäuren, und in erster Reihe dürften wir an 
Leucin denken, dessen Menge noch nicht bestimmt ist. 

Das Parahiston enthält 39 Atome N. Etwa 12 Proz. davon 
oder fünf bis sechs Atome finden sich in den Diaminosäuren. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 351 


Das Parahiston kann somit nicht alle drei Hexonbasen enthalten. 
(1 Molekül Arginin + 1 Molekül Lysin = 6 Atome N, 1 Molekül 
Histidin + 1 Molekül Lysin =5 Atome N.) Wir haben somit hier 
anscheinend einen Eiweißkörper, der nicht alle drei Hexonbasen 
enthält. 

Die Spaltung des nucleinsauren Histons läßt sich nach dem 
Gesagten vorläufig in folgender Weise ausdrücken: C,,, H,ıss Nasa 
Ss Pe Ogs9 + I H,O En FF H,,; N;s S: O, + U, H,ss N;, S Os ir 
6(C, H; Nu P; O;6) = 30, H,, Nie P,; O5). 

Auf Grund der angeführten acht Beweisgründe kann das Molekular- 
gewicht des Histons nicht gut kleiner gedacht werden, aber es bleibt 
noch zu erörtern, ob es nicht in der Tat ein viel größeres ist. 

Dabei müssen wir zunächst an die Bindung des Schwefels denken. 
Enthält das nucleinsaure Histon bleischwärzenden Schwefel, so muß 
man eine Cystingruppe mit zwei Atomen S im Molekül annehmen, und 
das Molekulargewicht ist zu verdoppeln. 

Die Untersuchung des nucleinsauren Histons auf bleischwärzenden 
Schwefel gab aber ein sehr zweifelhaftes Resultat. Beim Kochen mit 
Na0OH-+-Pb (C,H,0O,), konnte ich keine Schwärzung beobachten, doch 
wurde die Lösung etwas dunkler und setzte nach Stunden einen schwach 
bräunlichen Bodensatz ab. Wenn ich aber mit Alkali allein kochte, 
konnte ich auch eine Farbenveränderung beobachten und ebenso einen 
schwach gefärbten Bodensatz. In ganz derselben Weise verhielt sich 
das Histon selbst. Ich bin deswegen betreffs der Existenz des COystins 
in Zweifel. Da aber der Nachweis kleiner Cystinmengen sehr schwierig 
sein kann und man in anderen Histonen Cystin in geringer Menge ge- 
funden hat, so ist damit das Vorkommen des Cystins nicht ausgeschlossen. 
Malengreau sagt allerdings, daß sein B-Histon (also aus dem nuclein- 
sauren Histon dargestellt) keinen "bleischwärzenden Schwefel enthält, 
und dasselbe habe ich in meiner in norwegischer Sprache erschienenen 
Arbeit mitgeteilt, bevor ich noch den Schwefel bestimmt hatte. Dagegen 
kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß das Parahiston nicht bleischwärzen- 
den Schwefel enthält, trotzdem es zwei Atome S besitzt. 

Erst eine genauere Untersuchung dieses Problems kann uns über 
die absolute Größe des Histonmoleküls genaueren Aufschluß geben. 
Auch die Untersuchung der Diaminosäuren des Parahistons wird hierzu 
wichtige Beiträge liefern. Enthält das Parahiston drei Basen, dann muß 
sein Molekül verdoppelt werden, vorausgesetzt, daß etwa 12 Proz. davon 
vorliegen. — 


6. Kommt das nucleinsaure Histon als solches in der 
Thymuszelle vor, oder wird es erst bei der Darstellung 
gebildet? 

Unsere Vorstellungen über die Art, in der die Nucleoproteide 
in der Zelle und besonders in dem Zellenkerne gebunden sind, 
müssen derzeit als recht unbestimmt bezeichnet werden. Was die 
Thymus betrifft, hat man die Auffassung verfochten, daß die saure 
und basische Komponente überhaupt erst bei der Auflösung der 


352 Ivar Bang, 


Zelle zu einer Verbindung, dem Nucleohiston, zusammentreten, 
Ich finde diese Auffassung nicht genügend begründet, selbst wenn 
man anstatt Nucleohiston nucleinsaures Histon sagte. Zwar haben 
wir hier Säure und Base, welche beide als getrennte Bestandteile 
der Zelle gedacht werden können, doch bin ich der Meinung, daß 
das native nucleinsaure Histon als solches in der Zelle vorgebildet 
ist und nicht erst bei der Extraktion entsteht, und zwar aus 
folgenden Gründen: 

1. Bei einer anderen Art Zellen, jenen des Pankreas, ist höchst 
wahrscheinlich das wichtigste Nucleoproteid, Hammarstens 
a-Proteid, in der Zelle vorgebildet. Denn die Guanylsäure dieses 
Proteides verbindet sich nicht spontan mit Eiweiß. 

2. Das native nucleinsaure Histon hat eine konstante Zu- 
sammensetzung, die einem Hexa-Normalsäure-Histon + Tri-Adenyl- 
säure-Parahiston entspricht. Wenn einmal diese vier Körper ge- 
trennt aus der Thymus hervorgegangen sind, so ist es höchst un- 
wahrscheinlich, daß sie sich genau auf dieselbe Weise wieder 
verbinden. 

3. Die Eigenschaften dieser Verbindung sprechen entschieden 
gegen eine solche Auffassung. Einmal gespalten, lassen sich die 
Komponenten nicht ohne weiteres zu nucleinsaurem Histon regene- 
rieren. Es wäre auch sehr auffällig, wenn die Thymus alle Kompo- 
nenten in ganz proportionaler Menge enthielte, falls diese in der 
Zelle nichts miteinander zu tun hätten. 

Ich glaube also, daß das nucleinsaure Histon als solches in 
der Thymuszelle vorkommt. Es fragt sich dann weiter, ist das 
native, nucleinsaure Histon eine primäre Verbindung oder kommt 
es darin in einer noch komplizierteren Verbindung vor. (Daß es 
eine denaturierte Verbindung nicht ist, d. h., daß es keine Um- 
lagerung der Moleküle oder Atome erfahren hat, darüber kann 
man wohl nicht im Zweifel sein.) 

Nun spricht manches dafür, daß das nucleinsaure Histon 
als eine komplizierte Verbindung in der Zelle vorkommt und 
daß wir in ihm trotz seines hohen Molekulargewichtes nur einen 
Bruchteil der primären Verbindung vor uns haben. 

Ich habe bereits in der ersten Mitteilung erwähnt, daß das 
native nucleinsaure Histon nur nach längerer Einwirkung von 
Wasser und nach vollständiger Auflösung der Zellen als Alkalısalz 
in Lösung geht. Das Wasser zerlegt allmählich die kompliziertere 
Verbindung und macht das nucleinsaure Histon-Alkali frei. Physio- 
logische Kochsalzlösung tut dies nicht, trotzdem das nucleinsaure 
Histon darin jedenfalls zum Teil löslich ist; man findet aber keine 
Spur der Verbindung im Kochsalzextrakte. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 353 


Man kann diese Tatsache kaum anders deuten, als daß das 
Histon-Parahistonnucleinat noch mit anderen Bestandteilen der 
Zelle verbunden ist, und daß das Wasser diese Verbindungen 
zerlegt, weil das native nucleinsaure Histon-Alkali zum Wasser 
die größere Affinität besitzt. Dagegen bleibt die Zelle unverändert 
von dem Nucleoproteide abgesehen), wenn man sie mit 0,9 proz. 
NaCl-Lösung zusammenbringt, da das native nucleinsaure Histon- 
Alkali zu Kochsalz viel geringere Affinität besitzt als zu anderen 
Zellbestandteilen. Daß das nucleinsaure Histon-Alkali eine solche 
Bedeutung besitzt, läßt sich auch anderweitig zeigen. In den 
Lymphdrüsen konımt ein nucleinsaures Histon-Alkali vor, welches 
in 0,9proz. Kochsalzlösung leicht löslich ist. Behandelt man da- 
mit isolierte Lymphdrüsenzellen einige Zeit, so kann man beob- 
achten, daß sich dabei viele — nicht alle — auflösen*). 

Die Vorstellung, daß das Nucleinat der Thymusdrüse andere 
Komplexe bindet, gewissermaßen zusammenhält, wird dadurch 
gestützt, daß es hier in sehr reichlicher Menge vorkommt. 
Mindestens 20 Proz. des Eiweißgehaltes entfallen auf diese Ver- 
bindung. Und wir wissen weiter, daß das nucleinsaure Protamin 
(und das nucleinsaure Histon) im Fischsperma beinahe die einzige 
Eiweißverbindung darstellt, woraus hervorgeht, daß das Nucleinat 
eine dominierende Rolle in der Zelle spielen kann. 

Es verdient auch erwähnt zu werden, daß ein Zusatz von 
Nucleinat zum Wasser seine auflösende Wirkung auf Thymus- 
zellen herabsetzt. " 

Im Hinblick auf dieses Verhalten ist es von Interesse, zu 
wissen, auf welche Weise sich etwa andere Zellbestandteile, 
besonders die Eiweißkörper an das Nucleinat anlagern, „ver- 
ankern“ können. 

In meiner ersten Mitteilung habe ich erwähnt, daß das 
nucleinsaure Histon-Alkalı deutlich sauer reagiert. Diese saure 
Reaktion ist selbstverständlich von den Nucleinsäuren und nicht 
von den Basen bedingt. Weiter wissen wir, daß eine neutrale 
Lösung des nucleinsauren Alkalis mit Eiweiß einen Niederschlag 
gibt, wenn man Essigsäure hinzufügt. Endlich habe ich gezeigt, 
daß sich neutrales nucleinsaures Alkali mit Essigsäure zu einem 
sauren Salz umsetzt (welches mit Ammonsulfat ausgesalzen werden 
kann). 

Die Nucleinsäure schlägt also Eiweißkörper als 
Nucleinsäureverbindungen nieder, wenn einige ihrer 


*) Auf der andern Seite kennt man auch Zellen, welche gegen destil- 
liertes Wasser resistent sind. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 23 


354 Ivar Bang, 


sauren Valenzen freigemacht werden, und dies ist eben 
beim nucleinsauren Histon-Alkalı der Fall. Wie ich 
zeigen will, ist von den vier Valenzen der Nucleinsäure dann 
nur eine frei, während man beim Zusatz von Essigsäure mehrere, 
ja alle Valenzen freimachen kann. Dabei kann das Vorhanden- 
sein des Histons usw. eine Rolle spielen. — 

Auf der anderen Seite ist es bekannt, daß auch das Histon 
(und teilweise das Parahiston) mit Eiweiß unlösliche Verbindungen 
eingehen kann. Es fragt sich daher, ob auch diese Wirkung des 
Histons im Nucleinate zur Geltung kommt. 

Um dies genauer festzustellen, war es notwendig, andere 
Histonsalze darzustellen und zu untersuchen. Das unlösliche freie 
Histon brauchte nicht berücksichtigt zu werden, 

Von Salzen des Histons stellte ich das Chlorid dar. 

Das Nucleinat wurde mit Salzsäure gespalten, das Chlorid mit 
Alkohol und Ather niedergeschlagen, in Wasser gelöst, dialysiert und 
aufs neue mit Alkoholäther gefällt (das Parahiston läßt sich so nicht 
fällen) und getrocknet. Das Chlorid war aschefrei, im Wasser leicht 
löslich und reagierte deutlich sauer. Die Präparate wurden bei 100° C 
getrocknet und waren auch nachher vollkommen und leicht in Wasser 
löslich, und die Lösung reagierte immer sauer. Nachdem konstantes 
Gewicht erreicht worden war, standen die Präparate noch drei Tage im 
Trockenschrank. Es trat keine Anderung der Löslichkeit, Reaktion und 
Zusammensetzung ein. i 

Das Histon bildet also mit der Salzsäure ein 
sauer reagierendes Salz. Die Salzsäure ist hier höchst 
wahrscheinlich auf zweierlei Weise gebunden: Sie bildet 

l. ein neutrales Chlorid. Dafür spricht die Tatsache, 
daß, wenn man die saure Lösung neutralisiert, das neutrale 
Histonchlorid gelöst bleibt. 

2. Dieses neutrale Salz addiert freie Salzsäure und 
hält diese Salzsäure so fest, daß sie sich beim Trocknen nicht 
verflüchtigt. 

Das Histon besitzt dementsprechend zwei verschiedene 
Valenzen. Die eine Valenz will ich als Hauptvalenz, die 
zweite als Nebenvalenz bezeichnen. Ähnliche Verhältnisse 
sind bei den organischen Basen nicht unbekannt. 

Es fragt sich weiter, wieviele Haupt- und Nebenvalenzen 
das Histon besitzt. Wie schon früher bemerkt, enthält das Histon- 
chlorid sechs Atome Cl, und ich kann hinzufügen: Sämtliche 
sechs Atome Olsind in der neutralen Histonverbindung 
gebunden. Bei der Untersuchung des sauren Salzes habe ich 
weiter gefunden, daß dieses dreizehn Atome Cl enthält. 
(Gefunden: 7,1 Proz., 7,4 Proz., 7,1 Proz. Cl.) Das Histon be- 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 355 


sitzt daher sechs Hauptvalenzen und sieben Neben- 
valenzen. 

Welche von diesen Valenzen bedingen die Reaktionen des 
Histons? Wenn sich z. B. das Histon mit Eiweiß verbindet und 
als unlösliche Histon-Eiweißverbindung ausfällt, sind dann die 
Haupt- oder Nebenvalenzen mit dem Eiweiß verankert? Die Frage 
läßt sich experimentell untersuchen. 

Von Präparaten des sauren Histonchlorids wurden Proben in Wasser 
gelöst. Als Eiweißlösung diente eine konzentrierte Lösung von zweimal 
umkristallisiertem Ovalbumin. Es zeigte sich dann, daß das saure 
Chlorid absolut keine eiweißfällende Wirkung besitzt. 
Wenn man aber zuerst die Histonchloridlösung neu- 
Beieort, bildet sich sofort ein Niederschlag. 
Daß nicht die saure Reaktion als solche die Fällung hindert, läßt sich 
so zeigen, daß man erst die Lösungen von Histonchlorid und Eiweiß 
mischt und dann neutralisiert: Schon bei der Abstumpfung der sauren 
Reaktion wird die Lösung undurchsichtig opaleszent. | 

Es geht aus diesen Versuchen bestimmt hervor, daß die 
Nebenvalenzen des Histons die eiweißfällende Wirkung 
desselben bedingen. Werden die Nebenvalenzen von 
einer Säure in Anspruch genommen, so ist die eiweiß- 
fällende Wirkung aufgehoben: die betreffenden Affini- 
täten sind schon gesättigt. Daß man bei der Neutralisation 
diese Affinitäten wieder freimachen kann, ist dahin zu verstehen, 
daß das Alkali den Nebenvalenzen die Salzsäure wieder entreißt. 

Wir haben nun alle Daten zur Aufstellung einer vorläufigen 
rationellen Formel: 

Die Nucleinsäuren besitzen vier Valenzen. Das Histon be- 
sitzt sechs Haupt- und sieben Nebenvalenzen, sechs Moleküle 
Nucleinsäure kommen auf ein Molekül Histon. Wir können ferner 
mit aller Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Parahiston so 
gebunden ist wie das Histon, und daß drei Moleküle Nucleinsäure 
auf ein Molekül Parahiston kommen. 

Endlich wissen wir, daß im Histon-Alkalinucleinate zwei 
Atome Alkali (ein Atom Kalzium) auf eine Nucleinsäure entfallen. 
Somit sind von den vier Valenzen der Nucleinsäure zwei Valenzen 
vom Alkali, eine Valenz vom Histon mit Beschlag belegt, nur eine 
Valenz ist dann noch verfügbar. Diese entspricht den Neben- 
valenzen des Histons und bedingt zugleich die saure Reaktion des 
nucleinsauren Histons. Vonallen sauren und basischen Affi- 
nitäten bleibtalso nur eine Nebenvalenz des Histons, die 
siebente, übrig; diese istfrei; sie kann sich folglich mit 
Eiweiß verbinden. Dies ist auch in der Tat der Fall. Durch 
diese letzte Valenz des Histons wird das eigentliche 


23* 


356 Ivar Bang, 


nucleinsaure Histon mit dem Parahistonnucleinate ver- 
bunden. 

Der Übersichtlichkeit wegen habe ich diese Tatsachen graphisch 
dargestellt. Bekanntlich enthalten die Zellen viel Kali, und wenn 
das Nucleinat bei der Wasserextraktion als Alkaliverbindung in 
Lösung geht, geschieht dies höchst wahrscheinlich als Kalisalz. 


EEK H 
ns 
= | se 
nd — 4 ————— Parahiston 2 Mr 
” | Be 


Histon 


ns — Nucleinsäure, die punktierten Linien deuten die Nebenvalenzen des Histons an. 


Für das Parahiston habe ich keine Nebenvalenzen angeführt, obwohl 
das neutrale Parahistonsulfat auch Eiweiß fällen kann. Doch tritt diese 
Wirkung viel weniger hervor als beim Histon. 

Diese graphische Darstellung soll eine vorläufige Vorstellung 
von der vermutlichen Konstitution des nativen nucleinsauren 
Histons vermitteln. Sie zeigt, daß die ungesättigten Affinitäten 
ausschließlich der vierten Valenz der Nucleinsäuren entsprechen. 
Wenn nun auch diese Affinitäten teilweise durch Histon gesättigt 
werden können, so kann die Verankerung anderer Eiweißkörper 
begreiflicherweise doch nur eine labile sein. 

Es ließe sich aber noch denken, daß auch die Histonwirkung 
zur Geltung kommen kann. Wird nämlich die vierte Valenz der Nuclein- 
säure von den Eiweißkörpern besetzt, so werden die Nebenvalenzen des 
Histons wieder frei und können sich ihrerseits mit Eiweiß verbinden. 
Wird aber die Nucleinsäurebindung wieder aufgehoben, so kann auch die 
Histonwirkung nicht mehr bestehen. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 357 


Die Verankerung durch die Nucleinsäuren wird nun selbst- 
verständlich aufgehoben, sobald Körper vorhanden sind, zu 
welchen entweder die Nucleinsäure oder das Eiweiß größere 
Affinität haben als zueinander. Ein solcher Körper ist Wasser. 
Behandelt man Thymuszellen mit Wasser, so geht, wie bereits er- 
wähnt, das Nucleinat erst in Lösung, wenn die Zelle aufgelöst 
worden ist, und diese Auflösung geht langsam von statten, und 
zwar in dem Verhältnis, als die Affinitäten sich umsetzen. Ist diese 
Umsetzung erfolgt, so haben wir in der Lösung das nucleinsaure 
HBiston mit der freigemachten vierten Affinität. 
Diese Auflösung läßt sich verhindern, wenn man dem Wasser 
eine Substanz zusetzt, welche die Affinität des Nucleinates zum 
Wasser herabsetzt. Solche Substanzen sind Kochsalz und das 
Nucleinat selbst. In 0,9proz. Kochsalzlösung ist das Nucleinat 
wenig löslich, und die Anwesenheit des nucleinsauren Histon- 
Alkalis wird selbstverständlich die Dissoziation der Nucleinatver- 
bindung zurückdrängen. 

Die Auffassung, die ich hier entwickelt habe, scheint mir die 
bekannten Tatsachen am besten zu erklären. Ich habe aber 
außerdem noch zwei Tatsachen mitzuteilen, welche nicht ohne 
Interesse sind. 

Wie schon früher gezeigt worden ist, ist das eigentliche 
nucleinsaure Histon im Wasser schwer löslich. Auch geben 
Lösungen von Histonchlorid und nucleinsaurem Alkali einen Nieder- 
schlag von nucleinsaurem Histow. Vergleicht man hiermit die 
anderen Histonsalze, so erhält man der Löslichkeit nach folgende 
Reihe: 

l. Saures Histonchlorid, in Wasser und 70proz. Alkohol 
leicht löslich. Wird nur von Alkoholäther ausgefällt. 

2. Histonsulfat, in Wasser leicht löslich, in 7Oproz. Alkohol 
unlöslich. 

3. Histonphosphat, in Wasser weniger leicht löslich. 
Saures Histonchlorid in konzentrierter Lösung gibt mit einer 
neutralisierten Orthophosphorsäurelösung eine deutliche Trübung 
und später Fällung. 

4. Histonnuecleinat, in Wasser schwer löslich. 

Die Histonsalze der einwertigen Säuren sind also leicht lös- 
lich. (Das Nitrat verhält sich wie das Chlorid.) Die der zwei- 
basischen Säuren sind weniger leicht als die der einbasischen und 
leichter als die der dreibasischen löslich. Diese sind aber immer 
noch leichter löslich als die Salze der vierbasischen Nucleinsäure. 


358 Ivar Bang, 


Wenn das nucleinsaure Histon- Alkali von 0,9proz. NaCl- 
Lösung gefällt wird und sich in konzentrierterer Na Cl-Lösung 
wieder löst, so läßt sich dieses Verhalten nicht gut aus physi- 
kalisch-chemischen Gesetzen verstehen. Wenn das Histon-Alkal- 
nucleinat von 0,9proz. NaCl-Lösung ausgefällt wird, kann man 
zwar annehmen, daß das Nucleinat in der Lösung dissoziiert ist. 
Ein Zusatz von Kochsalz drängt die Dissoziation zurück, und die 
nicht dissoziierte Verbindung wird ausgefällt. Wenn man aber mehr 
Kochsalz zusetzt, dann dürfte die Dissoziation nicht größer, eher 
geringer werden, und doch geht das Nucleinat wieder in Lösung! 

Wir stehen hier vor einer neuen und doch schon bekannten 
Tatsache. Ich habe nämlich schon früher bezüglich der Histon- 
Eiweißverbindung bzw. Parahiston- Eiweißverbindung mitgeteilt, 
daß diese Niederschläge in konzentrierterer Kochsalz- 
lösung löslich sind, und wir wissen nun, daß das Histon 
hier in ganz derselben Weise an Eiweiß gebunden ist, 
wie in dem nativen Histon-Parahistonnucleinat an das 
Parahiston. 

Wir stehen hier vor Tatsachen, die einen weiteren Einblick 
in die Konstitution, die Reaktionen und Spaltungen des Nucleinats 
erlauben. Ich verzichte hier auf eine weitere Diskussion, da eine 
solche zweckmäßig mit einer experimentellen Prüfung Hand in 
Hand gehen müßte, die zurzeit noch fehlt. 

Der komplizierte Bau und die eigentümlichen Affinitäts- 
verhältnisse des Histon-Parahistonnucleinates gestatten es sonach, 
anzunehmen, daß es bereits in der Zelle mit Eiweiß und vielleicht 
auch anderen Zellbestandteilen mehr oder weniger fest verbunden 
und so an dem Aufbau der lebenden Substanz in hervorragender 
Weise beteiligt ist. 

Faßt man das Zellprotoplasma als ein einziges gewaltiges 
Molekül auf, so liegt es nahe, dem Nucleinat gewissermaßen eine 
zentrale Stellung darin zuzuschreiben. 


7. Über die Zusammensetzung der Thymuszellen. 


Es war weiter von Interesse, zu untersuchen, in welcher Be- 
ziehung der Menge nach die beschriebenen beiden Nucleoproteide 
zu den übrigen Bestandteilen der Zelle stehen. 

Quantitative Bestimmungen an der Thymuszelle sind schon 
von Lilienfeld ausgeführt worden, und ein Vergleich mit seinen 
Zahlen hat schon darum ein gewisses Interesse, da man so er- 
fahren kann, wieviel von seinem Nucleohiston eigentlich aus 
nucleinsaurem Histon bestand. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 359 


Bekanntlich hat Lilienfeld 98 Proz. alles Eiweißes in Form 
von Nucleohiston gefunden. Ich selbst habe nicht Thymus direkt 
untersucht, sondern einen Brei von Thymuszellen dargestellt und 
analysiert. Zum Vergleich habe ich Lilienfelds Werte auf 
feuchte Substanz umgerechnet. 


| Lilienfeld Bang 

|| 
a er. | 88,51 Proz. 80,41 Proz. 
Feste Stoffe davon. . . || 11,49 ,„ 19:59 5 
Eiweißkörper usw. davon | 9,10 „ 15,927 

| Nucleinsaures ? 
Nucleohiston | 8.90 Histon-Parahiston . 3,15 » 
MR Aa ee | i = Nucleoproteid. . . 198: °5 

Alkohollösliche Stoffe. . | 183 „ 2,481: ,, 
ee —_ 1,597 


Es zeigt sich somit, daß 20 Proz. der Eiweißkörper (Minimal- 
wert!) aus nucleinsaurem Histon-Parahiston und 7 Proz. aus Nucleo- 
proteid bestehen. 73 Proz. entfallen auf unbekannte Substanzen, 
und von diesen sind nur geringe Spuren genuine Eiweißkörper, 
Albumin und Globulin. Weiter sieht man, daß höchstens 30 Proz. 
des Nucleohistons aus nucleinsaurem Histon besteht. Beinahe 
60 bis 70 Proz. dieser Verbindung bestehen aus Substanzen, 
welche nichts damit zu tun haben. (Es kann daher nicht be- 
fremden, daß der größte Teil des Chlorkalziumniederschlages nach 
der Extraktion mit 2proz. Kochsalzlösung ungelöst auf dem Filter 
geblieben ist.) 

Noch größeres Interesse als die prozentische Verteilung der 
festen Stoffe hat nach meiner Ansicht die Verteilung des Phos- 
phors. Ich habe deswegen bestimmt: 1. den totalen Phosphor- 
gehalt der getrockneten Thymauszellen, 2. den Phosphorgehalt der 
Eiweißkörper usw. (Der P-Gehalt des nucleinsauren Histon- 
Parahistons und Nucleoproteides ist bereits oben bestimmt.) 


Beste Stoffe . . . . | 19,59 Proz. 277 Proz.»P. | 0,543 Proz. P 
Eiweißkörper usw. . . 1552-5 EB el, DARG: 
Nucleinsaures Histon- 

Beranısion . . . . Bin -„ Bad m 13, (1 ee 
Nucleoproteid . . . | 1.08: 22% BON ei = a BAHN Zu .ro 


Von dem gesamten Phosphor finden sich somit 17 Proz. in den 
alkohollöslichen Substanzen, 31 Proz. im nucleinsauren Histon- 
Parahiston, 2 Proz. im Nucleoproteid, der Rest von 49 Proz., die 
Hälfte der Gesamtmenge, gehört noch unbekannten Substanzen 


360 | Ivar Bang, 


an. Nur ein Teil davon dürfte in anorganischer Form vorliegen. 
Vielleicht sind somit noch unbekannte wichtige Nucleoproteide 
oder phosphorhaltige Eiweißverbindungen vorhanden. 


8. Physiologische Untersuchung der Nucleo- 
proteide der Thymus. 


Bekanntlich schreiben Lilienfeld, Huiskamp u. a. dem 
Nucleohiston wichtige physiologische Funktionen zu. Besonders 
soll es eine wichtige Rolle bei der Koagulation des Blutes spielen. 
Ich habe deswegen meine zwei Nucleoproteide auf deren physio- 
logische Wirkungen in verschiedener Richtung untersucht. 

Nach Lilienfeld hat das Nucleohiston in vitro und in vivo 
ausgesprochene koagulierende Wirkung auf Plasma, Blut- und 
Fibrinogenlösungen. 

Versetzt man aber Plasma oder eine nach Hammarsten 
dargestellte Fibrinogenlösung mit einer Lösung des Nucleo- 
proteides, so tritt keine Koagulation ein. Dagegen bewirkt 
in Fibrinogenlösungen ein nachfolgender Zusatz von Kalzium- 
chlorid Gerinnung. Daß aber diese Gerinnung nichts mit der 
normalen Koagulation des Blutes zu tun hat, beweist die Tat- 
sache, daß die Nucleoproteidlösung keine Gerinnung bewirkt, 
wenn man sie mit Chlorkalzium aktiviert und nachher das Chlor- 
kalzium wieder entfernt. Einspritzung des Nucleoproteides beim 
Kaninchen hat keine intravaskuläre Gerinnung zur Folge. Auch 
bewirkt eine Nucleoproteideinspritzung keine Änderung der 
normalen Koagulationszeit. 

Das Nucleoproteid hat also nichts mit dem Fibrinfermente 
zu tun. 

Dagegen werden 0,9proz. Kochsalzextrakte durch Digestion 
bei 38° autolysiert, wie es Kutscher beschrieben hat. 

Das nucleinsaure Histon-Parahiston hat überhaupt keine 
Koagulationswirkung, sei es in vitro oder in vivo. Man kann 
auch beliebige Mengen davon Kaninchen einspritzen, ohne 
Giftwirkung wahrzunehmen. In dieser Beziehung ist also das 
Nucleinat von dem Chloride verschieden, insofern dieses eine 
ausgesprochen antikoagulierende Wirkung besitzt. Das 
Vorkommen freier Nebenvalenzen ist hier also entscheidend. 

Versuch I. In die Vena jugularis eines mittelschweren Kaninchens 
wurden 15 ccm einer 1,5proz. Lösung eingespritzt. Die normale Ko- 
agulationszeit war 5,30 Minuten. Drei Minuten nach der Einspritzung Ko- 
agulierte eine entnommene Blutprobe momentan. Das Tier verblieb ganz 
gesund. Keine Albuminurie oder Glykosurie. 

Versuch Il. Kaninchen 2700 g schwer; das Blut aus der Jugularis 
koagulierte nach vier Minuten. Drei Proben zuje 3 ccm wurden versetzt: 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 361 


1. mit 1 cem 2 proz. Kochsalzlösung, 2. mit 1 cem einer 4,66 proz. Histon- 
nucleinatlösung und 3. mit 1 cem einer Nucleinsäurelösung. Die Ko- 
agulationszeiten waren für: 1. 31/, Min., 2. 31/, Min. und 3. 3'/, Min. Da- 
nach wurden 10 ccm einer Histonnucleinatlösung von 4,66 Proz. = 0,18 8 
pro kg injiziert. Keine Anderung des Zustandes. ZweiMin. nach der Injektion 
wurde eine Blutprobe ausgenommen, welche nach 3!/, Min. koagulierte., 
Das Tier blieb gesund. 

Das eis sanre Histon-Alkali ist gegen Fäulnis sehr widerstands- 
fähig. Eine solche Lösung zeigte nach acht Tagen im Digestionsapparat 
keine Spur von Fäulnis. Dagegen war eine Ver ander ung eingetreten, der- 
art, daß Chlorkalzium keinen Niederschlag mehr bewirkte, wohl aber 
Essigsäure. Es handelte sich vielleicht um Autolyse. 

Endlich habe ich bemerkt, daß das nucleinsaure Histon- ak 
einigermaßen die Auflösung der Thymuszellen durch Wasser ver- 
hindert oder verzögert, was mit meiner Auffassung von der Be- 
deutung desselben für die Zelle im Einklang steht. 

Versuch: Thymuszellenbrei wurde durch Schütteln mit Wasser 
emulgiert und die Flüssigkeit in zwei Portionen geteilt. Die eine ver- 
setzte ich mit !/,, Vol. Wasser, die andere mit demselben Volum Histon- 
nucleinatlösung. Nach fünf Stunden waren in der ersten Probe die 
Zellen zu einem schleimigen Klumpen zusammengeflossen, in der zweiten 


waren die Zellen unverändert. Der Kochsalzgehalt war in beiden Proben 
derselbe (0,08 Proz.). 


XXIX. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen 
Organe. 
Von Ivar Bang. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium zu Lund, Schweden.) 


Dritte Mitteilung. 


Über das Vorkommen von Nucleoproteiden in Lymphdrüsen, 
Knochenmark, Milz, weißen Blutkörperchen und Sarkomen. 


1. Die Lymphdrüsen. 

Die Vorstellungen, die man sich über die Nucleoproteide 
der Lymphdrüsen gemacht hat, beruhen hauptsächlich auf den 
Arbeiten A. Schmidts und Lilienfelds. 

Nach A. Schmidt kann man aus den mit Alkohol erschöpften - 
Drüsen durch Wasser eine Proteinsubstanz, das Cytoglobin, extra- 
hieren, welches 4,5 Proz. P enthält. Diese Substanz könnte 
darnach als ein nucleinsaures Histon aufgefaßt werden, wenn 
nicht ein hoher Schwefelgehalt dies unwahrscheinlich machte. 
Noch mehr tun dies die Spaltungsprodukte des Cytoglobins. Bei 
der Behandlung mit Essigsäure wurde nämlich aus dem Cytoglobin 
ein Präglobulin mit nur 3,7 Proz. P abgespalten, während man 
bei der Einwirkung von Essigsäure auf Nucleinate immer phos- 
phorreichere Substanzen erhält. Merkwürdigerweise soll von diesem 
Präglobulin das Serumglobulin herstammen. 

Nach Lilienfeld enthalten die Lympdrüsenzellen dasselbe 
Nucleohiston wie die Thymus. 

Bei meinen Untersuchungen der Lymphdrüsen war die 
Methodik schon gegeben. 

Wie bei der Thymus benutzte ich eine kombinierte Extraktion mit 
0,9proz. Kochsalzlösung und destilliertem Wasser. Das Kochsalzextrakt 
ist nach Zentrifugierung und Filtration eine undurchsichtige, braun- 
gefärbte, amphoter reagierende Lösung, welche nicht von Chlorkalzium 
gefällt wird. Dagegen gibt Essigsäure einen reichlichen Niederschlag. 

Bei der Extraktion mit Wasser bemerkt man im Gegensatz zur 
Thymus, daß hier keine Schleimbildung vorkommt. Schon nach einigen 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 363 


Minuten geben sowohl Essigsäure als Chlorkalzium Niederschläge, während 
man im Thymusextrakte erst nach 24 Stunden mit Chlorkalzium Fällung 
bekommt. Im Filtrate des Chlorkalziumniederschlages gibt auch hier 
Essigsäure eine Nachfällung. Andererseits kann man nach der Extraktion 
mittels 0,9proz. Kochsalzlösung mit Wasser eine Substanz ausziehen, welche 
von Chlorkalzium niedergeschlagen wird. Dieser Niederschlag wurde 
auf nucleinsaures Histon nach der Alkoholmethode verarbeitet, und zwar 
mit positivem Resultate. Ich konnte zuletzt mit 2proz. Kochsalzlösung 
eine Substanz extrahieren, welche bei Sättigung mit Kochsalz usw. in 
Histon, Parahiston und Nucleinsäure zerlegt werden konnte. Die 
Existenz des nucleinsauren Histons war hierdurch sehr wahrscheinlich 
gemacht; als ich aber zur Darstellung des Nucleinats überging, zeigte 
sich sogleich ein nicht unerheblicher Unterschied: 

Nach Verdünnung mit Wasser bis zu 0,8 bis 1 Proz. Kochsalz blieb 
die Lösung vollständig klar. Nach der Dialyse vermißte ich jeden 
Niederschlag. Auch nach der Verdünnung des 2proz. NaCl-Extraktes 
mit Wasser bewirkte Chlorkalzium keine Fällung, doch wurde die Lösung 
opaleszent, undurchsichtig weiß. Dagegen kam es, wenn ich nach der 
vollständigen Entfernung des Kochsalzes durch Dialyse Chlorkalzium 
hinzufügte, zur Bildung eines Niederschlags. Schon eine geringe Menge 
Kochsalz genügte, um die Bildung eines Niederschlags durch Chlorkalzium 
zu verhindern. Umgekehrt war auch die Chlorkalziumfällung schon in 
lproz. Kochsalzlösung leicht löslich. 

In dieser Beziehung ist das nucleinsaure Histon-Alkali der Lymph- 
drüsen von jenem der Thymus verschieden. 

Eine genauere Untersuchung lehrte, daß auch bei Abwesenheit von 
Kochsalz die Fällung durch Chlorkalzium nicht ganz vollständig ist. Etwas 
Nucleinat blieb in der Lösung zurück und konnte daraus durch Essig- 
säure niedergeschlagen werden. 

Da nun der Chlorkalziumniederschlag schon in 1proz. Kochsalz- 
lösung löslich ist, konnte man vermuten, daß auch bei der Extraktion 
mit 0,9proz. Kochsalzlösung das Nucleinat zwar extrahiert würde, nicht aber 
durch Chlorkalzium nachgewiesen werden könnte. So istes auch. Wenn 
ich nämlich das Kochsalzextrakt dialysierte, bewirkte ein nachträg- 
licher Zusatz von Chlorkalzium einen reichlichen Niederschlag, aus 
welchem man auch das Nucleinat darstellen konnte. Auch wurden, wie 
schon vorher bemerkt, die Zellen schon bei Kochsalzextraktion teilweise 
aufgelöst. 

Auch wenn man mit Kochsalz und Chlorkalzium (0,9 Proz. NaCl-+ 
0,01 Proz. CaCl,) extrahiert, kann man das Nucleinat nicht in den Zellen 
zurückhalten. Die Verwendung von Ca (OH), macht da keinen Unterschied. 


Dieser reaktionellen Unterschiede ungeachtet ist jedoch das 
Nucleinat ein veritables nucleinsaures Histon. Soweit sich nach 
den Reaktionen der Spaltungsprodukte urteilen läßt, kommen 
hier dasselbe Histon, Parahiston und dieselben Nucleinsäuren vor, 
und zwar in Form desselben Salzes wie in der Thymus. Da ich 
aber die Substanz noch nicht analysiert habe, möchte ich keine 
bestimmte Meinung hierüber aussprechen. Einer vorläufigen 
Phosphorbestimmung nach ist die Nucleinsäuremenge viel kleiner 
als in der Substanz aus Thymus. Dagegen sind die Fällungs- 


364 Ivar Bang, 


grenzen des Nucleinats dieselben 
sulfatlösung. 

Das Nucleoproteid verhält sich ganz wie das der Thymus: 
Es wird von 0,3proz. Salzsäure in ein Albuminat und ein Nuclein 
gespalten. Die Fällungsgrenzen derselben liegen wie bei dem der 
Thymus: beide werden von 20proz. Ammonsulfatlösung ausge- 
salzen. | 

Der Phosphorgehalt spricht entschieden für die Identität beider 
Nucleoproteide, indem das der Lymphdrüsen 0,83 Proz. P enthält. 

Zum Vergleich mit den Thymuszellen hat es ein Interesse, zu 
untersuchen, wie sich die Eiweißkörper in den Lymphdrüsen ver- 
teilen. Ich habe deswegen die Zellen isoliert und wie die der 
Thymus untersucht. 


von 70 bis 90 Proz. Ammon- 


Thymus Lymphdrüsen 
Wasser, er/as-r: dere 80,41 Proz. 80,41 Proz. 
Feste Blole. ©... 19,89. ", 1959 
Biweißkörper |. 1.07: 1939-23 13:79:75 
Nueleinät: „- war? 3,18: 75 069.25 
Nucleoproteid . . . | 108 106 , 
Alkohollösliche Stoffe . 2 4,16: 75 
Nache: =. 00 mn 1; 1:08.90, 


Wir sehen hieraus, daß das Nucleoproteid in Thymus und 
Lymphdrüsen in ganz derselben Menge vorkommt. Beim Nucler 
nate ıst das nicht der Fall. Die Menge desselben ist in den 
Lymphdrüsen sehr viel geringer, es kommt hier nur zu 5 Proz. 
gegen 20 Proz. in der Thymus vor. 

Es geht hieraus mit Bestimmtheit hervor, daß die Lymph- 
drüsenzellen nicht mit den Thymuszellen identisch sind. 
Dagegen kann man nicht eine Verwandtschaft leugnen, die in 
dem Vorkommen des Nucleinates zum Ausdruck kommt. 

Es fragt sich dann weiter: sind die Lymphdrüsenzellen mit 
den Leucocyten, Knochenmarkzellen und Milzzellen identisch? Was 
die Leucocyten betrifft, so ist die Identität schon darum nicht 
anzunehmen, weil die Lymphdrüsenzellen kein Fibrinferment 
enthalten. 


2. Das rote Knochenmark 
wird auch zu den Iymphatischen Organen gerechnet. Ich habe es 
daher in die Untersuchung einbezogen. 
Als Ausgangsmaterial dienten Rippen vom Ochsen , welche 
besonders reich an Knochenmark sind. 
1200 g Rippen wurden reinpräpariert, zerkleinert und mit destilliertem 
Wasser extrahiert. Das Extrakt war rot gefärbt und ganz klar. Ein 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 365 


Zusatz von Chlorkalzium bewirkte keinen Niederschlag, dagegen gab 
Essigsäure eine sparsame Fällung, welche jedoch kein Histon enthielt. 
Ein Albuminat ließ sich nachweisen. Das Knochenmark enthält somit 
höchst wahrscheinlich kein nucleinsaures Histon, und seine Elemente 
sind von denen der Lymphdrüsen verschieden. 


8. D18-M ılz. 


Als ich zu der Untersuchung dieser überging, erwartete ich, 
hier dieselbe Zusammensetzung wie bei den Lymphdrüsen zu 
finden, doch bestätigte sich diese Vermutung nicht ganz. 

Einmal gab Chlorkalzium im Wasserextrakte der Milz einen 
weit geringeren Niederschlag als bei den Lymphdrüsen. Als ich 
ferner den Niederschlag nach Alkoholbehandlung mit 2proz. Koch- 
salzlösung extrahierte, konnte ich im Filtrate überhaupt nicht — 
auch nicht nach der Dialyse — Fällung mit Chlorkalzium erzielen. 
Nur eine geringe Opaleszenz trat ein. Auch Essigsäure be- 
wirkte nur eine minimale Fällung, während Salzsäure einen nicht 
unbedeutenden Niederschlag gab. Nach Spaltung mit Salzsäure 
ließen sich geringe Spuren von Histon (Ammoniak- und Alkaloid- 
reagensproben) nachweisen. 

Bei Sättigung mit Kochsalz konnte ich auch aus dem Filtrate 
eine geringe Menge Histon darstellen. Im neuen Filtrate bewirkte 
ein Zusatz von 2 Volumen Alkohol zuerst nur eine Ausfällung 
des Kochsalzes. Nach 24 Stunden hatte sich aber auch etwas 
Nucleinsäure niedergeschlagen. Es steht somit fest, daß die Milz 
auch nucleinsaures Histon enthält, aber in noch geringerer Menge 
als die Lymphdrüsen. Den Reaktionen nach dürfte dieses Nucleinat 
mit dem der Lymphdrüsen identisch sein. — 


4. Die Leucocyten des Blutes. 


Zur Untersuchung der Leucocyten eignet sich am besten 
Pferdeblut. Da aber seine Beschaffung mit großen Schwierig- 
keiten verbunden war, habe ich nur etwa 6 Liter verarbeiten 
können. Davon waren 4 Liter mit 0,3proz. Ammoniumoxalat 
versetzt und 2 Liter defibriniert. Ich habe hauptsächlich Ochsen- 
blut zur Verfügung gehabt. Da sich aber dieses nicht gut zu 
solchen Untersuchungen eignet, ist die Untersuchung leider 
nicht zu Ende geführt worden — es wurden nur 10 Liter Ochsen- 
blut verarbeitet —; doch werde ich über die Resultate hier kurz 
berichten. 

Meine Arbeitsmethode war folgende: 

Das Blut wurde zentrifugiert, das Plasma bzw. Serum gesammelt, 


aufs neue zentrifugiert und filtriert. Danach ließ ich es 48 Stunden im 
Eisschrank stehen. Ohne Ausnahme hatte sich dann ein Niederschlag 


366 Ivar Bang, 


gebildet, welcher durch Zentrifugieren gesammelt wurde. Dieser Nieder- 
schlag soll bekanntlich das Prothrombin, bzw. Thrombin enthalten. 

Die Leucocyten hatten sich als eine Art Speckhaut über den 
Erythrocyten abgesetzt. Sie wurden mit einem Platinspatel abgeschabt, 
in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschlemmt und sofort wieder 
zentrifugiert. — Der Leucocytenniederschlag wurde dann gesammelt 
und entweder mit 0,9proz. Kochsalzlösung und dann mit Wasser, oder 
auch mit Wasser allein extrahiert. In einigen Fällen wurde er zuerst 
mit essigsäurehaltigem Wasser behandelt und nach Entfernung des 
Hämoglobins mit Salzsäure gespalten. 

Der Plasma- (und Serum-)Niederschlag war teilweise 
im Wasser löslich, und die Lösung gab mit Chlorkalzium oder 
Essigsäure eine reichliche Fällung. Da das Filtrat der Chlor- 
kalziumfällung mit Essigsäure keinen weiteren Niederschlag gab, 
darf man annehmen, daß von Chlorkalzium und Essigsäure die- 
selbe Substanz niedergeschlagen wird. Der Essigsäurenieder- 
schlag wurde mit 0,01proz. Natronlauge versetzt, wobei eine 
schleimige Lösung resultierte. Nach einiger Zeit war die Lösung 
ganz klar und dünnflüssig geworden. Darin schwamm der Essig- 
säureniederschlag als durchsichtiger Schleimklumpen, der mit dem 
Glasstabe entfernt werden konnte. Der Essigsäureniederschlag war 
in 0,5proz. HCl teilweise löslich. Das salzsaure Extrakt enthielt 
verhältnismäßig viel Eiweiß, das schon bei Neutralisation, 
bzw. bei Abstumpfung der sauren Reaktion ausfiel. In 
einigen Fällen gab das Filtrat hiervon überhaupt keine Biuret- 
reaktion, in allen Fällen aber waren im Filtrate sowohl 
die Ammoniakprobe als die Alkaloidreagensreaktion 
ganz und gar negativ. Es liegt also hier ein Albuminat 
vor, welches übrigens dieselben Fällungsgrenzen wie das des 
Thymusproteides besaß. 

Der Plasmaniederschlag enthält also kein Histon (vgl. auch 
später). 

Der Chlorkalziumniederschlag war in verdünnten 
Neutralsalzlösungen, sowie in. verdünntem Alkalı nicht löslich. 
Versetzte man den durch Essigsäurefällung dargestellten Schleim- 
klumpen mit Chorkalziumlösung, so schrumpfte er unter Weiß- 
werden zusammen. Übrigens enthielt der Plasmaniederschlag 
Prothrombin, welches sich mit Chlorkalzium zu Thrombin um- 
setzte. Soviel ich nach meinen wenigen Versuchen sagen kann, 
stellt der Chlorkalziumniederschlag nicht selbst das Fibrinferment 
dar, sondern enthält es nur mechanisch beigemengt. 

Aus den Leucocyten ließ sich durch Wasser eine Substanz 
extrahieren, welche sich ganz wie die aus dem Plasmaniederschlage 
verhielt. Sowohl Clorkalzium als Essigsäure bewirkten eine 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 367 


Fällung, welche sich, wie oben beschrieben, verhielt. Die Leuco- 
cyten enthalten sonach anscheinend kein Histon und folglich auch 
kein nucleinsaures Histon. 

Doch kann man dies nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Ich 
habe in meiner Histonarbeit gezeigt, daß das Histon mit über- 
schüssigem Eiweiß vermischt nicht von Ammoniak nieder- 
geschlagen wird und ferner, daß die Histon-Eiweißverbindung in 
Ammoniak leicht löslich ist. Und in der Tat sind unsere Sub- 
 stanzen mit viel Eiweiß verunreinigt oder enthalten viel Eiweiß. 
Eine geringe Histonmenge konnte daher leicht übersehen werden 
und dies um so mehr, als ich verhältnismäßig geringe Mengen 
Substanz verarbeitete. Aus diesem Grunde habe ich auch nicht 
die Leucocyten nach meiner Thymusmethode auf nucleinsaures 
Histon verarbeitet. 

Ich versuchte aber die Leucocyten durch Auswaschen mit 
essigsäurehaltigem Wasser zu reinigen; das Resultat blieb das- 
selbe wie vorher: Es ließ sich reichlich Albuminat, aber kein 
Histon nachweisen. j 

Ich bestimmte den Albuminatgehalt der Leucocyten in einem 
Versuch und konnte nicht weniger als 80 Proz. der festen Stoffe 
als Albuminat wiederfinden. Daneben dürfte es aber sehr schwer 
sein, Spuren von Histon nachzuweisen. 

Zum Vergleich nahm ich Lymphdrüsen und extrahierte sie 
direkt mit 0,5proz. Salzsäure. Nach Neutralisation und Abfiltrieren 
des Albuminats konnte ich im Filtrate das Histon leicht und 
sicher nachweisen. 

Endlich habe ich auch eine Anzahl Exsudate und Trans- 
sudate auf Histon untersucht. Es handelte sich um frische 
tuberkulöse Pleuraexsudate, Ascitesflüssigkeit bei Unterleibs- 
karzinom u. a., im ganzen um sechs Untersuchungen. Die meisten 
Flüssigkeiten waren klar und gelb gefärbt und enthielten verhält- 
nismäßig viele Leucocyten. Überschuß von Essigsäure (etwa 1 Proz.) 
bewirkte einen mehr oder weniger reichlichen Niederschlag, der 
jedoch niemals Histon enthielt. Man darf aber diesen Befunden 
nicht allzu großen Wert beimessen, da Autolyse nicht aus- 
geschlossen war. Doch möchte ich hier daran erinnern, daß ich 
früher Eiterzellen mit völlig negativem Resultate auf Histon 
untersucht habe. 

Durch die Resultate meiner Untersuchung der Leucocyten 
erscheint es somit nicht ausgeschlossen, daß auch sie nuclein- 
saures Histon enthalten. Aber es muß hervorgehoben werden, 
daß sein Vorkommen auch-nicht bewiesen ist. Und dies ist 


368 Ivar Bang, 


wichtig. Lilienfeld hat bekanntlich angegeben, daß die Leuco- 
cyten Histon, durch Ammoniakreaktion nachweisbar, enthalten. 
Es kann kein Zweifel sein, daß Lilienfeld auf das Albuminat 
gestoßen, und ebenso wie Malengreau beim Thymusnucleo- 
proteid, durch die Aınmoniakreaktion getäuscht worden ist. Das 
Albuminat der Leucocyten verhält sich nämlich ganz wie das 
des Thymusproteids und kann sehr wohl eine solche Täuschung 
veranlassen. 

Wenn ich aber die Frage nach der Existenz eines Nucleinates 
in den Leucocyten hier unentschieden lasse, so erlauben doch meine 
Untersuchungen den Schluß zu ziehen, daß die Leucocyten des 
Blutes in chemischer Beziehung von den Zellen der 
Thymus, der Lymphdrüsen und des Knochenmarks 
verschieden sind. Und dies ist nicht ohne Bedeutung. Auf 
Grund des mikroskopischen Bildes hat man bekanntlich an- 
genommen, daß diese Zellenarten, jedenfalls die Lymphocyten 
und Leucocyten, identisch sind. Die gewöhnliche Auffassung ist 
auch, daß die Leucocyten von den Lymphdrüsen herstammen. 

Nach meinen Untersuchungen zu schließen, scheint dies nicht 
der Fall zu sein, ist jedenfalls nicht bewiesen. 

Im Blute kommen mehrere Arten Leucocyten vor: Makro- 
und Mikrocyten u. a. Vielleicht entsprechen bestimmte davon 
den Lymphocyten. 

Eine chemische Differenzierung im Blute selbst ist undenkbar, 
und auf diesem Wege kann man wohl der Frage nach der 
chemischen Zusammensetzung der verschiedenen Leucocytenformen 
nicht näher treten. 

Ich muß deswegen Lilienfeld vollkommen beistimmen, 
wenn er sein Material zur Untersuchung der Leucocyten außer- 
halb des Blutes suchte. Nach der eben begründeten Auffassung 
kann man dazu allerdings weder Lymphdrüsen noch Thymus 
benutzen. Will man eine eingehende Untersuchung der Leuco- 
cyten mit Berücksichtigung der verschiedenen Formen vornehmen, 
dann muß man nach meiner Ansicht den französischen Forschern, 
vor allem Metschnikoff, folgen und bestimmte, experimentell 
dargestellte Exsudate mit spezifischen Leucocyten verarbeiten. 


5. Chemische Untersuchung der Rundzellen-Sarkome. 


In den vorhergehenden Abschnitten habe ich die chemische 
Zusammensetzung der lymphatischen Organe mitgeteilt. Abge- 
sehen von den Leucocyten, enthalten sie (Lymphdrüsen, Milz und 
Thymus) als spezifischen Bestandteil nucleinsaures Histon. 


Chemische Untersuchungen der lymphatischen Organe. 369 


Da ich für alle übrigen Organe des Säugetierkörpers die Ab. 
wesenheit des Histons nachgewiesen habe, ist bei ihnen auch 
das Vorkommen des Nucleinates ausgeschlossen. 

Da wir in dem vorigen Abschnitte gesehen haben, daß die 
mikroskopische Untersuchung der chemischen insofern nachsteht, 
als die letztere beträchtliche Differenzen anzeigt, wo die erstere 
geradezu Identität vermuten läßt, so muß man die chemische 
Untersuchung als eine wertvolle Reaktion sowohl zur Erkennung 
lymphatischen Gewebes überhaupt, als auch zur Differential- 
diagnose zwischen den einzelnen Iymphatischen Organen ansehen. 

Dies ist um so wichtiger, als der Nachweis außerordentlich 
einfach ist. Man extrahiert den Organteil mit Wasser und ver- 
setzt das Extrakt mit einigen Tropfen Olorkalziumlösung. Tritt 
ein Niederschlag auf, so hat man aller Wahrscheinlichkeit nach 
ein Iymphatisches Gewebe vor sich. Ist dieser Niederschlag in 
iproz. Kochsalzlösung löslich, so liegt ein Nucleinat vor, das dem 
Typus der Lymphdrüsen und der Milz entspricht: Das Organ 
hat den Charakter dieser Gewebe. Ist er darin nicht löslich, 
so hat das Organ den Typus der Thymus oder der Leucocyten. 
Die Differentialdiagnose beruht dann auf dem Nachweis von 
Histon. Dieser wird am besten so geführt, daß man das Salz- 
säureextrakt neutralisiert und im Filtrate die Ammoniak- 
reaktion und Alkaloidreagenzprobe anstellt. 

Wie man sieht, ist der Nachweis sehr einfach. Bei der 
Untersuchung verschiedener Organe habe ich übrigens gefunden, 
daß keines davon ein Wasserextrakt gibt, welches mit Chlor- 
kalzium einen Niederschlag gibt, ein Verhalten, das die Unter- 
suchung wesentlich erleichtert. 

Bekommt man mit Chlorkalzium keinen Nieder- 
schlag, so ist der negative Ausschlag für die Abwesen- 
heit eines Iymphatischen Organs beweisend. 

Die praktische Bedeutung der chemischen Unter- 
suchung liegt nun darin, daß man damit die Natur und 
Verwandtschaft der Heteroplasien erkennen kann. 

Nach Cohnheims Theorie sollen die Geschwülste bekanntlich 
von einer im Fötalleben abgesprengten, normalen Zellengruppe ab- 
stammen, die auf einer fremden Stelle proliferiert. Anderen 
Theorien zufolge ist bekanntlich die Geschwulstbildung als eine 
irritative Zellenproliferation des normalen Gewebes anzusehen. 

Nach der einen Theorie sind in der Geschwulst Zellen mit 
einer von dem normalen Gewebe verschiedenen Struktur zu er- 


warten, nach der anderen sollten die Geschwulstzellen von den 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 24 


370 Ivar Bang, 


normalen Zellen desselben Gewebes herstammen und dieselbe 
Struktur haben. Die mikroskopische Untersuchung versagt hier. 
Denn die Form kann selbstverständlich bei Geschwulstzellen von 
den Mutterzellen sehr abweichen, bei rasch wachsenden Ge- 
schwülsten muß dies sogar der Fall sein. 

Es ist zu erwarten, daß hier die chemische Untersuchung 
maßgebende Aufschlüsse geben wird, natürlich vorausgesetzt, daß 
die chemische Zusammensetzung des normalen Gewebes be- 
kannt ist, wovon wir leider vielfach noch weit entfernt sind. 

Auf Grund der von mir mitgeteilten Befunde kann man jetzt, 
soweit es sich um lymphatische Organe handelt, dieses Problem in 
Angriff nehmen. Als Untersuchungsmaterial habe ich selbstver- 
ständlich Sarkome benutzt. 

Leider standen mir zwar mehrere Fibrosarkome, von eigentlichen 
lymphatischen Rundzellensarkomen aber nur eins zur Verfügung. 
Die Fibrosarkome waren sämtlich sehr zellenreich, in einem 
Fall konnte man beinahe an ein Rundzellensarkom denken. Sie 
starnmten von Mamma, Pharynx und Haut her. Es handelte sich 
um fünf Fälle. 

Die Untersuchung ergab bei ihnen dasselbe Resultat: Das 
Wasserextrakt gab mit Chlorkalzium keinen Niederschlag. 
Dagegen bewirkte Essigsäure eine mehr oder weniger reichliche 
Fällung und aus dieser Fällung ließ sich mit Salzsäure Albuminat 
abspalten. Das Albuminat wurde bei der Neutralisation schon bei 
schwach saurer Reaktion ausgefällt, und im Filtrate war die Biuret- 
reaktion negativ. 

Das Rundzellensarkom verdient eine genauere Be- 
schreibung. 

Bei einem Manne war vor einem Jahre ein Sarcoma testis exstirpiert 
worden. Eine Metastase in der Inguinalgegend wurde im Winter 1903 
exstirpiert und mir zur Untersuchung übergeben. Die Geschwulst war 
faustgroß und wog etwa 300 g@. 

Sie wurde von dem anhaftenden Gewebe gereinigt und mit Sand 
zerstoßen. Das Wasserextrakt gab schon nach einigen Minuten 
mit Chlorkalzium einen Niederschlag. Nach 48 Stunden wurde 
koliert, zentrifugiert und filtriert. (Die Geschwulstreste wurden mit 
Wasser erschöpft und weiter verarbeitet.) Das Filtrat wurde mit Chlor- 
kalzium niedergeschlagen und der Niederschlag wie gewöhnlich auf 
nucleinsaures Histon verarbeitet. (Im Filtrate des Chlorkalziumnieder- 
schlages konnte ich mit Essigsäure ein Nucleoproteid ausfällen.) Nach 
der Extraktion mit 2proz. NaCl-Lösung bekam ich eine Flüssigkeit, 
welche nach Verdünnung mit 1 Vol. Wasser keinen Niederschlag gab. 
Nach der Dialyse bewirkte dagegen ein Zusatz von Chlorkalzium einen 


nicht unbedeutenden Niederschlag. Dieser wurde im Wasser gelöst und 
ein aliquoter Teil qualitativ untersucht. 


ee 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 3t1 


1. Bei Sättigung mit Kochsalz fiel ein Niederschlag aus, welcher die 
Reaktionen des Histons gab. 

2, Im Filtrate war die Biuretreaktion positiv: Parahiston. 

3, Zusatz von 2 Vol. Alkohol fällte im Filtrate Nucleinsäuren, 
welche in ihren Reaktionen mit jenen der Thymusdrüse übereinstimmten., 

Es lag somit ein nucleinsaures Histon vor, welches 
seinen Reaktionen nach mit dem der Lymphdrüsen 
übereinstimmte. 

Weiter wurde die Existenz des nucleinsauren Histons durch 
die Phosphorbestimmung gesichert. Der Phosphorgehalt betrug 
5,18 Proz. s 

Wenn man aus dieser Untersuchung Schlüsse auf die Natur 
der Geschwulst ziehen will, begegnet man der Schwierigkeit, daß 
es sich um eine Metastase in die Inguinallymphdrüsen handelt. Es 
könnte darnach ebensowohl eine Proliferation der normalen Lymph- 
drüsenzellen, als eine Weiterentwicklung des 'Testissarkomes vor-. 
liegen. 

Ich glaube annehmen zu können, daß es sich um ein direktes 
Übersiedeln der Geschwulst gehandelt hat. Erstens war die Ge- 
schwulst in Lymphbahnen (diese waren infiltriert) direkt zur Leiste 
vorgeschritten, und zweitens konnte ich auch einige Unterschiede 
des Geschwulstgewebes von der Zusammensetzung der Lymph- 
drüsen feststellen. 

a) Die absolute Menge des Nucleinates war viel grösser als 
in den Lymphdrüsen. Die Geschwulst enthielt etwa 3,4 Proz. 
Nucleinat gegen 0,7 Proz. in den Lymphdrüsen; b) der Phosphor- 
gehalt des Nucleoproteids betrug nur 0,48 Proz. P. Dagegen 
war die relative Menge der Nucleoproteide ungefähr dieselbe 
wie in den Lymphdrüsen. Sie betrug nämlich approximativ 2,78 g 
Nucleinat und 2,65 g Nucleoproteid. 

Die metastatische Geschwulst besaß somit eine sowohl von 
der Thymusdrüse, als den Lymphdrüsen abweichende Zusammen- 
setzung. Da sie aber nucleinsaures Histon enthielt, muß man 
dem Sarkom eine Iymphatische Struktur zuschreiben. 

Nimmt man an, daß das ursprüngliche Hodensarkom dieselbe 
Zusammensetzung besaß, so muß man, da wir weiter wissen, daß 
Histon in der Norm im Hoden nicht vorkommt, als das wahr- 
scheinlichste ansehen, daß im vorliegenden Fall eine embryonale, 
im Hoden zurückgebliebene, Iymphatische Zellengruppe Ausgangs- 
punkt der Geschwulstbildung war. Unter dieser Annahme spricht 
dieses Resultat für die Richtigkeit der Cohnheimschen Theorie. 

Auf einem so wichtigen und schwierigen Gebiet erlaubt natür- 
lich eine einzige Untersuchung keine weitgehenden Schlüsse. 


24* 


372 Ivar Bang, 


Auch soll die mitgeteilte Beobachtung nur Anregung zu weiterer 
Forschung bilden. Obwohl ich mir vorbehalte, bei Gelegenheit 
diese Untersuchungen fortzusetzen, möchte ich doch ausdrücklich 
betonen, daß mir eine Bearbeitung dieses Gebietes von anderer 
Seite nur erwünscht sein kann. 

6. Juni 1903. 


Analytische Belege. 

Die Kohlenstoff-Wassersitoffanalysen wurden auf gewöhn- 
liche Weise ausgeführt. 

Der Stickstoff wurde nach Kjeldjafhl-Wilfarth bestimmt. 

Der Phosphor wurde als Pyrophosphat bestimmt. Die Substanz 
wurde nach Neumann mit Schwefelsäure-Salpetersäure oxydiert und 
als Molybdat ausgefällt. 

Den Schwefel bestimmte ich nach der vorzüglichen und be- 
quemen Methode von Clason. | 

Das Kjalzium wurde in Ubereinstimmung mit Huiskamp mit 
Essigsäure aus dem nucleinsauren Histon-Kalzium ausgezogen und nach 
Veraschung wieder gelöst und als Oxalat bestimmt. 

Das Chlor bestimmte ich einfach durch Titrierung mit n/ıo AgNO;- 
Lösung in neutraler Lösung und mit Kaliumchromat als Indikator. Das 
Histon wird nämlich nicht von Silbernitrat gefällt, 

Das Natrium wurde nach Osborne und Harris indirekt 
bestimmt. 


I. Thymus. 


Das Nucleoproteid. 
Präparat No. I. 


0,1484 g Substanz 17,50 ccm r/ıo H,SO, 16,51 Proz. N 


I 


0,2794 „ > — 0,0066 g Asche. N — 16,91: ', 
0,5617 „ a — 0,0250 „ Pyrophosphat = 1,2 „ 
0,2093 „ a —= 0,1195 „ H,O: und'0,3800. 8 CO, = 6,355 Proz. H 


und 49,50 C. 


Präparat No. Il. 
0,2652 g Substanz = 0,0096 g Pyrophosphat = 1,01 Proz. P. 


Präparat No. III (nach Huiskamp dargestellt). 
0,3199 g Substanz = 36,30 ccm "/ıo H,SO, = 15,89 Proz. N 
0,2343 „ = — 0,0051 g Asche = 2,18 Proz., N = 16,24 Proz. 
0,2956 „ % — 0,0096 „ Pyrophosphat = 0,91 Proz. P., 


Präparat No. IV (mit Alkohol ausgekocht). 
0,5156 g Substanz = 0,0263 g Pyrophosphat —= 1,42 Proz. P. 


Präparat No. V (mit 20 Proz. Am,SO,-Lösung ausgefällt). 
0,2013 g Substanz —= 0,0072 g Pyrophosphat — 1,00 Proz. P 
11710... > —= 0,0063 „ > = ee 


Präparat No. VI 
0,2268 g Substanz — 0,0193 g Pyrophosphat — 2,38 Proz. P 
0,2314 8 n 0,0174 „ 5 = a an 
0,1005 „ B> — 12,90 cem n/io H,S0, = 16,57 Proz. N. 


| 


ei Sie ee Ne ne a Ace re a ee ee 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 373 


Präparat No. VII (das Albuminat). 
0,3429 g Substanz. Nur Spur von Molybdat. 
0,1401 „ > — 16,60 cem "/ıo H,SO, —= 16,59 Proz. N. 


Präparat No, VII (der Rest nach 0,3proz. HCI-Extraktion). 
0,2052 g Substanz — 0,0183 g Pyrophosphat — 2,49 Proz. P 
0,2543 „ > —= W024 „ = — a 
0,1445 „ 3 = 4708 Cem 3/10 H,SO, = 1658 Proz: N; 


Das native nucleinsaure Histon-Kalzium. 


Präparat No. I 


0,4066 g Substanz — 0,0800 Pyrophosphat — 5,49 Proz. P m 
0,1040 „ » = 1245 cem %/ı0 H,SO, —= 16,76 Proz. N 
0,1500 „ „= 0,0768 g H,O und 0,2398 g CO, — 
5,68 Proz. H und 43,60 Proz, C 
0,2610 „ ® ergab eine Kalziumoxalatmenge, welche 1,2 ccm 


einer Permanganatlösung (1 ccm — 0,0097 g Fe) 
entsprach — Ca — 1,59 Proz. 
0,0590 8 : — 0,0051 g Asche — 8,64 Proz, 


Präparat No. II, 
0,3122 g Substanz — 0,0599 g Pyrophosphat = 5,35 Proz. P 
0,1716 „ „ — 20,60 cem n/10 1,90, == 16,81 „ N 
0,2698 „ * = 041277 g H,0 und 0,4844 8 C0, = 
5,35 Proz. H und 43,92 Proz. C. 
0,7990 „ E - 700508 5 BaSO, = 0,55. Proz. 5 
0,1940 „ 4 — 0,0170 „ Asche = 8,176 £ 


Präparat No. II. 


0,3122 g Substanz 0,0472 g Pyrophosphat = 5,15 Proz. P 


0,1178 „ “ — 14,35 ccm n/ıo H,SO, = 17,05 Proz. N 

0,1540 „ y — 0,0798 g H,O und 0,2458 g CO, = 
5,76 Proz. H und 43,54 Proz. C 

0,2439 „ 5 — 1,2 cem Permanganat = 1,70 Proz. Ca 

0,2188 „ 3 — 0,0182 g Asche = 8,31 Proz. 


Präparat No. IV. 


0,3391 g Substanz — 0,0610 g Pyrophosphat = 5,08 Proz. P 


0,2943 „ h 0,0108 „ BaSO, = 0,50 Proz. S 
0,4045 „ A — 9,5 ccm Permanganat (1 ccm = 0,00071 g Ca) 
= 1,69 Proz. Ca. 


Präparat No, V. 

0,2877 g Substanz — 0,0531 g Pyrophosphat = 5,14 Proz. P 

0,5810 „ 3 — 0.017: „:BaSO, = 0,45 Proz. S 

0,4544 „ x — 11,10 ccm Permanganat = 1,81 Proz. Ca*). 
Präparat No. VI. 

0,3069 g Substanz — 0,0574 g Pyrophosphat = 5,22 P 

0,6796 „ e 0,0214 „ BaSO, = 0,43 Proz. S 

0,5841 „ 5 13,90 ccm Permanganat = 1,71 Proz. Ca. 


II Il 


*) Im Texte steht fehlerhaft 1,87 Proz. Ca. 


374 


A-Histon. 
1. 0,1735 
0,1228 
2. 0,0906 
0,0874 


3. 0,1007 
0,0559 

B-Histon., 
1. 0,1019 
0,0892 


2. 0,1470 
0,1040 


0,1310 


1. 0,2820 g —= 32,00 ccm n/1oH, SO,.N in der aschefreien Substanz — 


0,8276 
. 0,8148 


DD 


3. 0,6146 


4. 0,2071 


” 


5, 0,2017 


” 


6. 0,3332 


0,0773 „ Substanz — 9,10 ccm "/jo H,SO, . N in der aschefreien Sub- 


Präparat No. 


0,1667 
0,1787 „ 
0,1962 „ 
0,1930 „ 


g er 
” —— 
8 


” 


gs = 


„ () = 0,0003 g Asche = etwa 0,5 Proz. 


” 


g Substanz mit 0,0036 


Ivar Bang, 


Das Histo: 


22,15 ccm. 20 H,50, = AL, Bro N 


Keine Asche. 


11,40 ccm n/ıo H,SO, —= 17,61. Proz. N 


0,0012 Asche = 231 Proz. 
Substanz — 17,86 Proz. 


12,65 ccm "/ıo H,SO, —= 17,59 Proz. N 


12,90 ccm n/ıo H,SO, = 17,72 Proz. N 


0,0020 g Asche = 2,23 Proz.. N in der aschefreien Sub- 


stanz —= 18,12 Proz. 
18,45 ccm "/ıo H,SO, = 17,57 Proz, 


0,0025 g Asche = 2,40 Proz.. 


stanz — 18,00 Proz. 


16,30 ccm "/ıo H,SO, = 17,42 Pro&. N in der asche- 


freien Substanz — 17,89 Proz. N. 
Histon aus dem Nucleinate. 


18,18 Proz. 
= W035 

0,60 Bin 
-— 9,1062 


0,64 Proz. S 


0,60 Proz. S 


g Histonchlorid —= 


” 


g Histonchlorid 


g Histonchlorid 


T; 


er) 
” 


Pr] 


3,59 Proz, 


3,86 Proz. 


el 


4.00 Proz.sQl. 


"Basar, 


g Asche 
g Substanz mit 0,0110 g 


0,0149 g 


001488. g Cl. = 7,13 Proz. Ü 
2,20 ccm n/ıo NaOH — 0,00781 g Cl — 


0,02467 g 


g Asche — 


: Asche — 0,0380 g 


Ol = 749 Proz 
3,80 ccm n/ıo NaOH —= 0,01850 g Cl — 


Das Parahiston. 


; Substanz mit 0,0209 g 


2.23 Proz.’ 8 


stanz = 17,22 Proz. 
Die Nucleinsäure. 


g Substanz — 0,0557 g 


0,0595 


.N in der aschefreien 


.Nin der asche- 


N in der aschefreien Sub- 


S in der aschefreien Substanz — 


g BaS0, 


& Cl’ = 7,19 Proz 2 
2,10 com n/jo NaOH = 0,0074 g CL = 


0,0287 g BaS0, = 


; Asche —= 0,0450 g BaS0, = 


; Pyrophosphat — 9,34 Proz. P 


” 


— ei 


E: 21,65 ccm n/jo H, SO, = 15,45 


0,0726 g H,O und 0,2530 & 00, — 4,18 Proz. H 


und 35,75 Prön. C. 


” 


” 


” 


N 


ee 


m. ee I. WR en. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 375 


Präparat No. II. 
0,2535 g Substanz — 0,0860 g Pyrophosphat — 9,47 Proz. P 
0,1393 „ ex — 15,40 ecm!2/ın H,S0O, = 5,48 Proz N 
0,1692 „ P — 0,0650 g H,O und 0,2230 g CO, — 4,27 Proz. H 
und 35,95 Proz. C. 


Präparat No. II. 
0,3654 g Substanz — 0,1042 g NaPO, —= 0,1136 g Pyrophosphat — 


6,46 Proz. Na 
0,1198 „ = — 0,0400 g Pyrophosphat — 9,33 Proz. P 
0,1346 „ > — 14,30 cem "/io H,SO, — 15,08 Proz. N 


Präparat No. IV. = 
0,3147 g Substanz —= 0,924 g NaPO, = 0,969 g Pyrophosphat — 
0,0221 g P = 6,03 Proz. Na 


0,2647 „ 3 — 0,0860 „ Pyrophosphat — 9,0% Proz. P 

0,3506 „ „ — 37,70 ccm n/ıo H,SO, = 15,09 Proz. N 

0,2222 „ ” — do mit MgO destilliert —= 0,25 ccm n/ıo H,SO, 
= 0,4 Proz, N 

0,4953 „ . mit 12proz. HCl destilliert. — Kein Phloroglueid 

0,4385 „ 4 „5 „ H,SO, gespalten — 0,2550 g Silber- 


basenverbindung — 22,70 Proz. 


Das eigentliche nucleinsaure Histon. 


1. Essigsäure-Präparat. 
0,2049 g Substanz — 0,0460 g Pyrophosphat — 6,27 Proz. P. 


2. CaCl,-Präparat. 
0,3570 g Substanz 
0,5689 „ 
0,5540 „ 


0,0701 g Pyrophosphat — 5,48 Proz. P 
5 15 ccm Permanganat — 1,85 Proz. Ca 
= 0.0104. 2: BaS0, = 0,26 Proz, Ss, 


Thymus getrocknet. 
0,5962 g Substanz — 0,0592 g Pyrophosphat — 2,77 Proz. P. 


Thymus mit Alkohol extrahiert und getrocknet. 
0,5590 g Substanz — 0,0580 g Pyrophosphat — 2,88 Proz. P. 


I 


Bestimmung der Bestandteile der Thymus. 


5,6000 g feuchte Zellen — 1,0968 g Trockensubstanz — 19,59 Proz. 

1,0968 „ mit Alkohol ausgekocht — 0,9585 g — 2,47 Proz. alkohol- 
lösliche Stoffe. 

0,9585 „ Substanz — 0,0890 g Asche — 1,59 Proz. 

16,1402 „ mit Wasser quantitativ extrahiert und mit CaÜl, niederge- 
schlagen. Im Filtrate mit Essigsäure gefällt. Essigsäure- 
fällung — 0,1750 g — 1,08 Proz. Nucleoproteid, Ca-Fällung 
wie gewöhnlich behandelt. 2proz. NaCl-Extrakt nach Ver- 
dünnung mit Essigsäure gefällt. Niederschlag — 0,5000 g 
— 3,08 Proz. Nucleinat. 


Lymphdrüsen. 
Nucleoproteid. 


0,3452 g Substanz — 0,0102 g Pyrophosphat —= 0,83 Proz. P. 


376 Ivar Bang, 


Bestimmung der Bestandteile. Mesenteriallymphdrüsen vom Ochsen. 


1,8856 g feuchte Zellen — 0,3694 g Trockensubstanz — 19,59 Proz. 

0,3694 „ mit Alkohol ausgekocht — 0,2797 g — 4,16 Proz. alkohol- 
lösliche Stoffe. 

0,2797 „ Substanz — 0,0198 g Asche — 1,08 Proz. 

4,4647 „ mit Wasser quantitativ extrahiert, mit CaCl, niederge- 
schlagen und im Filtrate mit Essigsäure gefällt. Essig- 
säurefällung — 0,0475 g — 1,07 Proz. Nucleoproteid. CaCl],;- 
Niederschlag nach Alkoholbehandlung mit 2 proz. ClNalsg. 
extrahiert, mit Wasser verdünnt und mit Essigsäure gefällt. 
Essigsäurefällung 0,0310 g — 0,69 Proz. Nucleinat. 


Sarcoma.testis, 


Nucleoproteid, 
0,3475 g Substanz — 0,0060 g Pyrophosphat — 0,48 Proz. P. 


Nucleinat. 
0,2594 g Substanz — 0,0482 g Pyrophosphat — 5,18 Proz. P. 


Autorenregister. 


Bang, Studier over Nucleoproteider. Archiv f. Mathematik og natur- 
videnskab. 25, No. 1. 

Bang, Zur Frage des Nucleohistons. Diese Beiträge 1, 189. 

Bang, Bemerkungen über das Nucleohiston. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 30, 508. 

Bang, Erwiderung gegen Kossel. Ebenda 31, 407. 

Bang, Studien über Histon. Ebenda 27, 463. | 

Fleroff, Ueber einen histonähnlichen Körper aus Thymus. Ebenda 
28, 307. 

Grund, Über den Gehalt des Organismus an gebundenen Pentosen. 
Ebenda 35, 11. B 

Gümbel, Zit. nach Hofmeister. Uber den Bau usw. der Eiweiß- 
körper. Ergebnisse d. Physiologie I, 777. 

Huiskamp, Über die Hirablörber d. Thymusdrüse. Zeitschr. f. 
physiol. Chemie 32, 145. 

Huiskamp, Über die Elektrolyse usw. des Nucleohistons. Ebenda. 34, 32. 

Hammarsten, Über die Eiweißstoffe des Blutserums. Ergebnisse d. 
Physiologie I. S. 330. 

Herlant, Untersuchungen über die Nucleinsäuren aus reifer Lachs- 
milch, Thymus und Hefe. Archiv f. experim. Path. u. Pharm. 44, 148. 

Kossel, Über die Nucleinsäuren. Archiv f. Anat. u. Physiol. Physiol. 
Abt. 1893, S. 157 u. 380. 

Kössel und Neumann, Weitere Beiträge zur Kenntnis d. Nuclein- 
säure. Ebenda 1894, S. 194. 

Kossel, Beitrag zur Physiologie d. Kohlehydrate, Ebenda 1894. S. 536. 

Kossel und Neumann, Über Nucleinsäure und Thyminsäure. 
Zeitschr. f. physiol. Chemie 22, 74 

Kosselund Neumann, Darstellung u. Spaltungsprodukte d. Nuclein- 
säure. Berl. Berichte 27, 2215. 

Kossel, Über den gegenwärtigen Stand d. Eiweißchemie. Ebenda 
34, 3214. 


Chemische Untersuchungen der Iymphatischen Organe. 377 


Kossel, Über die Eiweißstoffe. Zeitschr. f. physiol. Chemie 25, 165. 
Kossel und Kutscher, Beiträge zur Kenntnis d. Eiweißkörper. 


31, 165. 
Kossel und Steudel, Weitere Untersuchungen über das Cytosin. 


Ebenda 38, 49. 

Kossel und Patten, Zur Analyse der Hexonbasen. Ebenda 38, 39. 

Kossel, Bemerkungen zu der Nucleohistonarbeit des Herrn Ivar 
Bang. Ebenda 30, 520. 

Kutscher, Beiträge zur Kenntnis d. Eiweißkörper. Ebenda 38, 111. 

Kutscher, Eine Methode zur Darstellung des Cytosins. Ebenda 
38, 170. 

Lilienfeld, Zur Chemie der Leucocyten. Ebenda 18, 473. 

Lilienfeld, Über Blutgerinnung. Ebenda 20, 89. 

Malengreau, Deux Nucl&oalbumines et deux Histons dans le 
Thymus. La Cellule, 17, 339. 

Malengreau, Sur les Nucläines du Thymus. Ebenda 19, 285. 

OÖsborneund Harris, Die Nucleinsäure des Weizenembryos. Zeitschr. 
f. physiol. Chemie 34, 85. 

Pauli, Untersuchungen über physikalische Zustandsänderungen der 
Kolloide. 2. Mitt. Diese Beiträge 3, 225. 

Schmiedeberg, Über die Nucleinsäure aus der Lachsmileh. Archiv 
f. experim. Path. u. Pharm. 45, 57. 

Schmidt, Zur Blutlehre usw. Zit, nach Hammarsten, s. oben. 


Kürzere Mitteilungen. 


3. Bemerkungen zu der Mitteilung von L. Langstein „Zur 
Kenntnis der Ochronose““. 
Von Dr. Emil Zdarek. 


In diesem Bande der „Beiträge zur chemischen Physiologie und 
Pathologie“ (3. u. 4. Heft, Seite 145—149) findet sich eine Abhandlung 
von Leo Langstein: „Zur Kenntnis der Ochronose“, die einige Be- 
merkungen über meine in der Zeitschrift für Heilkunde (XXIII. Bd., 
Jahrg. 1902 Heft X) erschienene Abhandlung „Uber den chemischen Be- 
fund bei der Ochronose der Knorpel“ enthält, welche anscheinend durch ein 
Mißverständnis hervorgerufen sind und daher der Richtigstellung bedürfen. 

Bei der von mir versuchten Darstellung der Uroleucinsäure aus dem 
weingelben Blasenharn zeigte der Anteil, der in den Ather über- 
gegangen war, starkes Reduktionsvermögen und Grünfärbung mit ver- 
dünnter Eisenchloridlösung. In meiner Abhandlung heißt es, „der Rück- 
stand, der bei der versuchten Darstellung der Uroleucinsäure gewonnen 
wurde, zeigte starkes Reduktionsvermögen, seine wässerige Lösung gab 
mit einer sehr verdünnten Eisenchloridlösung eine grüne Grenzschicht, 
die jedoch beim Mischen der Flüssigkeiten wieder verschwand“. 

Mit diesem Rückstand ist selbstverständlich derjenige gemeint, der 
nach dem Verdunsten des Athers vom ätherischen Auszuge zurückbleibt, 
und als solchen hat ihn auch Langstein aufgefaßt, indem er*) 
schreibt: „Die wässerige Lösung der durch Ather extrahierten Substanzen 
gab mit verdünnter Eisenchloridlösung eine rasch verschwindende Grün- 
färbung.“ Es ist daher nicht verständlich, wie er im weiteren Verlaufe 
seiner Abhandlung **) zu folgender Bemerkung kommt: ; 

„Eigentlich sprach in dem Wiener Fall nur eine einzige Reaktion 
dafür, daß eine der beiden für Alkaptonurie charakteristischen Dioxy- 
säuren mit dem Harn entleert wurde: das ist die Grünfärbung, die der 
Harn bei der Mischung mit verdünnter Eisenchloridlösung annahm. 
Hingegen mißlang die Darstellung der Alkaptonsäuren, die auch bei An- 
wesenheit geringer Mengen immer zu einem Resultate führt, und die die 
Schwarzfärbung bedingende Substanz erwies sich als stickstoffhaltig. 
Die Reduktion im Sinne der Anwesenheit der Dioxysäuren zu verwerten, 
geht nicht an, da dieselbe nicht dem in den Ather übergegangenen 
Anteil des Harnes zukam, sondern dem nicht ätherlöslichen Rückstand.“ 

Ich habe schon oben aus meiner Abhandlung die Angabe zitiert, 
daß der in den Ather übergegangene Anteil des Harnes stark reduzierte 
und mit Eisenchlorid die Grünfärbung gab, es lag also keine Berechtigung 
vor, diese beiden Reaktionen auf verschiedene Harnbestandteile zu beziehen. 

Der weingelb gefärbte Harn aus der Blase reduzierte viel stärker 
als der Harn, der bereits eine schwarze Farbe angenommen hatte. Ob 
das Reduktionsvermögen nach langem Stehen des Harnes ganz schwindet, 
darüber habe ich keine Versuche angestellt. 

Langstein führt noch folgendes aus meiner Arbeit im Auszuge an: 
„Der die Schwarzfärbung bedingende Körper, aus Knorpel und Harn dar- 
gestellt, war stickstoffhaltig und nicht in kristallisiertem Zustand zu 


*) loc. eit. S. 146. — **) loc. eit. S. 147. 


Fritz Rosenfeld, Über das Verhalten des Phenylglycins usw. 379 


gewinnen.“ Eine so präzise Fassung, daß ich nämlich die Körper dar- 
gestellt hätte, welche die Schwarzfärbung bedingen findet sich in 
meiner Arbeit nicht. Ubrigens gewinnt man bei dieser Stilisierung leicht 
den Eindruck, als ob die beiden Körper, die aus Harn und Knorpel dar- 
gestellt wurden, identisch seien, was ja nach den vorliegenden Elementar- 
analysen nicht möglich ist. 

Der nächste Satz: „Die Untersuchung der Knorpel auf Chondroitin- 
schwefelsäure zeitigte kein irgendwie verwertbares Resultat“ ist mir 
übrigens unverständlich. Die Knorpel wurden auf Chondroitinschwefel- 
säure nicht untersucht, sondern es wurde nur der Versuch gemacht, die 
Chondroitinschwefelsäure, sowie auch die übrigen aus dem Knorpel dar- 
gestellten Verbindungen aus dem Knorpel systematisch auszuziehen, 
wobei die Wahrnehmung gemacht wurde, daß die Menge der Chondroitin- 
schwefelsäure, die so erhalten wurde, eine sehr geringe war. 

Ferner ist auch der nächste Abschnitt*) nicht richtig zitiert, denn 
ich äußere mich auf Grund der chemischen Untersuchung in meiner 
Arbeit nirgends über die chemische Natur der Schwarzfärbung in den 
Knorpeln; ich spreche auch nirgends von einem engen Zusammenhange 
zwischen Alkaptonurie und Ochronose. 


4. Über das Verhalten des Phenylglyeins im tierischen 
Organismus. 
Von Fritz Rosenfeld. 
(Aus der I. medizin. Klinik d. Universit. Berlin. Dir, Geh. Rat E. v. Leyden.) 


Bei meinen Untersuchungen über die Bedeutung der Indoxylreaktion 
für den Organismus prüfte ich gelegentlich auch die Wirkung des Phenyl- 
glykokolls auf den Pflanzenfresser. Die Anilinoessigsäure C,H,.NH.CH, 
COOH läßt sich bekanntlich leicht in Indol überführen **), und es steht zu- 
dem fest, daß bei der Indigosynthese aus Anilinoessigsäure Indoxyl sich 
als Zwischenprodukt bildet, das als o-Acetindoxyl leich&. nachweisbar ist.***) 
Wenn auch diese meist pyrogenen Reaktionen keinen Rückschluß auf 
analoge Vorgänge im Tierkörper zulassen, so bietet andererseits die 
Verbindung als substituiertes Glykokoll Interesse genug für die Verfolgung 
ihrer physiologischen Wirkung. Besondere Rücksicht mußte zudem auf 
die Reinheit der zersetzlichen Substanz genommen werden. 

Ich habe nun gefunden, daß auch reinstes Phenylglycin in Dezi- 
grammdosen für Kaninchen giftig ist, indem es eine akute parenchyma- 
töse Entzündung aller Organe des Unterleibs, bes. der Leber und der 
Nieren, hervorruft. Zudem erzeugt es stets Glykosurie. Die Verbindung 
verhält sich demnach im Organismus wie andere Anilinderivate-+), welche 
gleichfalls Glykosurie hervorrufen. Eine vermehrte Indikanausscheidung 
konnte in keinem Falle beobachtet werden. Uber das Schicksal des 
Phenylglyeins selbst im Organismus kann ich vorläufig keine bestimmten 


*) loc. eit. S. 146, 

**) J. Mauthner und W. Suida, Monatshefte für Chemie 10, 250, 254. 

***) Vorländer, Indoxylbildung aus Phenylglyein-o-carbonsäure. Berichted. deutsch. 
chem. Ges. 835, 1689 (1902). Vgl. Vorländer und Drescher, Berichte d. deutsch. 
chem. Ges. 34, 1857 (1901). 

») H. Brat, Deutsche med, Wochenschrift 1901. 


380 Fritz Rosenfeld, Über das Verhalten des Phenylglyeins usw. 


Angaben machen. OÖ. Schultzen und M. Nencki*) haben bereits 
vor 34 Jahren einen Versuch unternommen, die Umwandlung von Phenyl- 
glykokoll im Tierkörper zu verfolgen. Sie gingen von der Vermutung 
aus, daß ähnlich wie der Stickstoff des Glyeins als Harnstoff wieder- 
erscheint, so nach der Einführung des substituierten Glykokolls ein 
Diphenylharnstoff würde ausgeschieden werden. Die Experimente 
scheiterten an der Giftigkeit der Verbindung, bezüglich der die Autoren 
nur bemerken, daß die Tiere nach kleinen Dosen sehr bald starben. Die 
Glykosurie wurde anscheinend übersehen. 

Das Phenylglyein wurde für meine Versuche aus Anilin und Monochlor- 
essigsäure nach der Methode von J. Mai **) dargestellt. Umkristallisiert wurde 
die Substanz aus der sechsfachen Menge heißen Wassers unter Verwendung 
von Tierkohle. Das reine Präparat schmolz bei 125 bis 125,5° (126,5 bis 
127° korr.). Die über Schwefelsäure getrocknete Verbindung ergab in der 
Analyse folgende Zahlen: 

0,1839 g Substanz gaben 0,4293 & COe; 0,0977 g Hz O, 
Cs Hs NO, Berechnet C = 63,57 Proz., H = 5,96 Proz. 
Gefunden C=63,6 „ H=5%0 „ 

Die käuflichen, sowie ältere Präparate sind weniger rein. Sie sintern schon 
von 100° an und schmelzen, unscharf von 110 bis 116°. Aus denselben ist 
die reine Anilinoessigsäure nur unter beträchtlichen Verlusten zu erhalten ***). 
Die derben übereinander gelagerten Kristalle zeigen keine deutliche Form, 
sind frisch umkristallisiert fast farblos, beim längeren Stehen leicht gelblich. 

Da die freie Säure in kaltem Wasser ziemlich schwer löslich ist, diente das 
Natronsalz zu den Injektionen. Verabreicht wurde die Lösung in einer größeren 
Zahl von Versuchen an Kaninchen subkutan und durch die Schlundsonde. 

Für mittelschwere Kaninchen liegt die Dosis minima letalis gegen 
0,3 g des analysenreinen Präparates vom Schmelzpunkt 126,5 bis 127° 
(korr.). Ich hebe dies hervor, da 0. Schultzen und M. Nencki (loc. 
cit.) keine Angabe über Schmelzpunkt oder Reinheitihres sehr giftigen Prä- 
parates machen. Das Sektionsresultat stimmte in allen Fällen in er- 
wähntem Sinne überein. In drei Fällen war der noch kurz vor dem Tode 
spontan gelassene bzw. in der Blase befindliche Harn bluthaltig. Stets 
reduzierte der Harn stark, drehte das polarisierte Licht nach rechts ent- 
sprechend 0,5 bis 0,8 Proz. Saccharose (Spez. Drehung —+ 34,68°). Die 
Gärungsproben waren stark positiv, das erhaltene Osazon war in kaltem 
Wasser schwer löslich, schmolz bei 204 bis 206° (unkorr.) und zeigte die 
Formen des Glukosazons. Die Proben auf Anwesenheit gepaarter Glukuron- 
säuren waren negativ. Ebenso wie erwähnt die Indoxylreaktionen, welche 
nach Jaffe und Obermeyer angestellt wurden. Die Glukosurie mag 
mit der starken Giftigkeit in einem gewissen Zusammenhang stehen und 
als sogenannte toxische Glukosurie aufgefaßt werden. 

Bei der Verwendung unreiner Präparate wurde der Harn zuweilen 
beim längern Stehen dunkel bis schwarz, schneller nach Versetzen mit 
Alkali und ähnelte hierin den Harnen nach Anilineinführung. Bei An- 
wendung reiner Präparate habe ich diese Erscheinung nicht beobachtet. 


*) O.Schultzen und M.Nencki, Über die Vorstufen des Harnstoffs im Organis- 
mus. Berichte d. deutsch. chem. Ges. 2, 580 (1869). 
**), Berichte d. deutsch. chem. Ges. 35, 580 (1902). 
***) Bezgl. der Schmelzpunkte vgl, Paul J. Meyer, Berichte d. deutsch. chem. 
Ges. 8, 1152. Schwebel, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 10, 2046. Michaelson 
und Lippmann, Compt. rend. 61, 739. 


Verlag von Aug. Hirschwald in Berlin. 


Soeben erschien: 


Die chemische Pathologie der Tubereulose. 


Bearbeitet von Docent Dr. Clemens, Docent Dr. Jolles, Prof. Dr. R. 
May, Dr. von Moraczewski, Dr. Ott, Dr. H. von Schroetter. 
Docent Dr. A. von Weismayr. 


Herausgegeben von Dr. A. Ott. 
1903. gr. 8. 14 M. 


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Hermann von Helmholtz | 
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von | 


Leo Koenigsberger. 


In drei Bänden. 


\ 


Mit 9 Bildnissen in Heliogravure und einem Brieffacsimile. | 


u 
4 
F 


Gr. 80, In vornehmer Ausstattung. 
Preis des vollständigen Werkes geh. M. 20.—, 
geb. in Leinwd. M. 25.—, geb. in Halbfrz. M. 31—. 


M“ dem soeben zur Ausgabe gelangten dritten Bande des hochbe- 
deutenden Werkes ist die grosse Helmholtz-Biographie von 
Leo Koenigsberger, welche als eine biographische Leistung ersten Ranges 
für die gesamte wissenschaftliche Welt und für weite Kreise des ge- 
bildeten Publikums von dem grössten Interesse ist, vollständig 
erschienen. 

Die Entwickelung, das Leben und Wirken und die Bedeutung 
einer Persönlichkeit zu schildern, die durch den Umfang und die Tiefe 
des Wissens und die Macht des Könnens die meisten ihrer Zeitgenossen 
überragt, alle Welt durch das Produkt ihrer Arbeit während mehr als 
eines halben Jahrhunderts in Staunen und Bewunderung versetzt und 
der Wissenschaft neue fundamentale Lehren geschenkt und neue Wege 
zu fruchtbarer Tätigkeit gewiesen hat, war eine ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe, deren Durchführung dem Verfasser, welchem nicht 
nur die Feder, sondern auch die auf eingehender Sachkenntnis ruhende 
Teilnahme für Person und Stoff zu Gebote stand, in vollendetem 
Masse gelungen ist. 

Dem grossen Naturforscher und Gelehrten ist mit 
dieser meisterhaiten Darstellung seines in der Geschichte 
der Wissenschaft wohl einzig dastehenden Entwickelungs- 
ganges und seiner unvergleichlichen Lebensarbeit ein 
würdiges Denkmal errichtet worden, wie es der Mit- 
und Nachwelt nicht schöner überliefert werden konnte, 


a a) 


Zu bezieben durch alle Buchhandlungen. 


SEZSZZLLZLLLLZBD 


A. W. Zickfeldt, Osterwieck /Harz. 


Beiträge 


Chemischen Physiologie 


Pathologie 


Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben 
von 


Franz Hofmeister 


0, Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 9.—11. Heft 
(Ausgegeben November 1908) 


Braunschweig 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


"1903 


Inhalt des 9, 


Seite 
XXX. P. Morawitz. Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 


(Aus dem physiologisch- chemischen Institut der Universität 
Strassburg). -. - .- 381 
XXXI. Gustav Embden und Otto v von ‚Fürth. Über die Genius ER 
Suprarenins (Adrenalins) im Organismus. (Aus dem physio- 
logisch-chemischen Institut zu Strassburg. Bi ER 421 
XXXII Otto vonFürth. Über das Verhalten des Fettes bei der Keinah 
ölhaltiger Samen. (Aus dem physiologisch-chemischen Institut 
zu Strassburg) . . 430 
XXXIIH. Walther Freund. Zur ealez de Warnahlüteemunett 
(Aus dem Laboratorium der Universitäts - Kinderklinik zu 
Brellau) . . . 438 
XXXIV. 0. Schumm. Über ein te Feackän im Blute bei 
myelogener Leukämie. (Aus dem chemischen Laboratorium 
des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf) . . 442 
XXXV. 0. Schumm. Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. 
(Aus dem chemischen Laboratorium des Allgemeinen Kranken- 
hauses Hamburg-Eppendorf) . . . . 453 
XXXVI B. Slowtzoff. Beiträge zur BE RENEN Phrgcee er 
Hungerstoffwechsels. Zweite Mitteilung: Der 
wechsel der Weinbergschnecke. Are 460 
XXXVII. D. Kurajeff. Über das Plastein aus een Oral 
bumin und über das Verhalten der Plasteinalbumosen zur 
Magen- und Dünndarmschleimhaut des Hundes. (Aus dem 
physiolog.-chemischen Laboratorium der Universität Charkow.) 476 
XXXVIL. E, Friedmann. Beiträge zur Kenntnis der physiologischen 
Beziehungen der schwefelhaltigen Eiweißabkömmlinge. Dritte 
Mitteilune:: Über die Konstitution der Merkaptursäuren. 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Strassburg.) 486 
XXXIX. J. Feinschmidt. Über das zuckerzerstörende Ferment in den 
Organen. (Aus dem Laboratorium der I. medizinischen 
Klinik zu Berlin.) er 511 
XL. Rahel Hirsch. Über die ekorrache Wirkunr 3 Daher 
(Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Strassburg.) . 535 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie“ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 36 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 

Die Ausgabe der Hefte erfolgt nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 

re dr sind an den Herausgeber, Straßburg i. E. 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 

Bei der ER von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und Übersichtlichkeit der Darstellung maßgebend sein. 
Polemische Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung überschreiten, Können nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solchen 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 

Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


XXX. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 
Von Dr. P. Morawitz. E 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut der Universität Straßburg. 


T: 

Seitdem vor mehreren Dezennien Alexander Schmidt*) die 
fermentative Natur des Blutgerinnungsvorganges erkannt und 
durch diese fundamentale Entdeckung der experimentellen Er- 
forschung aller die Gerinnung betreffenden Fragen eine sichere 
Grundlage gegeben hat, richtete sich das Interesse der Forscher, 
die sich mit dem Vorgang der Blutgerinnung beschäftigten, fast 
ausschließlich auf die Untersuchung der Bedingungen, die mit 
der Erzeugung und Wirkung des Fibrinfermentes ‘im Zusammen- 
hange stehen; denn man durfte mit Recht hoffen, durch Klar- 
legung dieser Fragen eine Erklärung nicht allein für die Gerinnungs- 
vorgänge an sich, sondern auch für den flüssigen Zustand des 
Blutes in den Gefäßen finden zu können. 

Leider ist diese Hoffnung nur zum geringsten Teil in Erfüllung 
gegangen; zwar zweifelt heute niemand mehr an der Bedeutung 
des Fibrinfermentes für die Blutgerinnung, da die besonders von 
Wooldridge**) und Lilienfeld***) gegen die fermentative Natur 
dieses Prozesses vorgebrachten Einwände als widerlegt ange- 
sehen werden können. Dazu kommt, daß in neuester Zeit die 
Schmidtsche Lehre durch Fuldf) eine neue Bestätigung erfahren 
hat: er konnte nämlich zeigen, daß das Zeitgesetz des Fibrin- 
fermentes in gewissen, besonders günstigen Fällen im wesent- 
lichen der für hydrolytische Fermente gültigen Schützschen 
Regel entspricht. 


*) Pflügers Archiv 6, 442. 
**) Wooldridge, Die Gerinnung des Blutes. Deutsch von M. v. Frey. 
Leipzig 1891. 
***) Zeitschr. f. physiol. Chemie 20, 89. 
7) Diese Beiträge 2, 514. 


Krk 


382 P. Morawitz, 


Während also über diesen Punkt Klarheit herrscht, ist es 
dagegen nicht gelungen, eine Blutgerinnungstheorie aufzustellen, 
die geeignet wäre, alle bisher beobachteten Tatsachen in be- 
friedigender Weise zu erklären. Trotzdem sind wir aber seit 
Schmidt in die Erkenntnis des Gerinnungsvorganges durch ‘die 
Arbeiten der Dorpater Schule*), durch die Untersuchungen von 
Arthus, Pekelharing und besonders von Hammarsten, 
sowie zahlreicher anderer Forscher tiefer eingedrungen. 

Einen großen Fortschritt bezeichnet die Entdeckung der Rolle, 
welche die Ca-Ionen**) bei der Entstehung des Fibrinfermentes 
spielen. Das Verdienst, zuerst nachdrücklich auf die Wirkung der 
löslichen, durch Oxalat fällbaren Kalksalze hingewiesen zu haben, 
gebührt Arthus und Pages“), nachdem schon vor ihnen 
Hammarstenf), Greenfy), Ringer und Sainsbury7rff) 
und Freund*r) die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Kalk- 
salze gelenkt hatten. 

Die sehr zahlreichen Hypothesen, mit Hilfe deren verschiedene 
Forscher die Wirkung der Kalksalze zu erklären versuchten, sind 
durch die grundlegende Arbeit Hammarstens*ry) hinfällig ge- 
worden, da er einwandsfrei nachwies, daß die durch Oxalat fäll- 
baren Kalksalze einzig und allein notwendig sind, um das Fibrin- 
ferment aus einer unwirksamen Vorstufe, dem Zymogen oder Pro- 
ferment, in den wirksamen Zustand überzuführen, und hierbei 
durch keine anderen Substanzen (von den Ba- und Sr-Salzen ab- 
gesehen) ersetzt werden können. Dagegen vermag fertiges Ferment 
auch ohne Anwesenheit der durch Oxalat fällbaren Kalksalze die 
Umwandlung des Fibrinogens in Fibrin zu: bewirken. 

Die Ansicht Hammarstens ist heute allgemein anerkannt, 
nachdem sich auch Arthus von deren Richtigkeit überzeugt 
hat*rfy). Um so auffallender erscheint es, daß gerade der be- 
deutendste Forscher auf dem Gebiete der Blutgerinnung, 
Alexander Schmidt, sich der Entdeckung von Arthus gegen- 
über durchaus ablehnend verhielt. Noch in seiner letzten Arbeit*) 


*) Zusammenf. Referat bei Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig 1892. 
*) Sabbatani, Ref. Centralbl. f. Physiol. 16, 665. 
*#*) Arch. de Physiol. 5, 2 und Compt. rend. 112. 
7) Nova acta reg. Soc. Scient. Upsal. 3, 10, 1876. 
++) Journ. of physiol. 8. 
+++) Daselbst 11 und 12. 
*r) Wiener med. Jahrb. 1888. 259. 
*77) Zeitschrift £. physiol. Chemie 22, 333. 
*7r) La coagulation du sang. Scientia No. 5. 
7*) Weitere Beiträge zur Blutlehre. Wiesbaden 1895. 


‘ 
ee Be ee N A ie 


ds Ze u ee 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 383 


leugnet Schmidt überhaupt die spezifische Wirkung der Kalk- 
salze, indem er nur zugibt, daß die Kalksalze „unter Brüdern“ 
im wesentlichen das gleiche leisten, wie auch die übrigen Neutral- 
salze, da die Anwesenheit von Salzen schlechthin für die Ge- 
rinnung notwendig sei. 

Schmidt entwickelt etwa folgende Anschauung über die 
Entstehung des Fibrinfermentes*): Im Plasma des zirkulierenden 
Blutes sowohl, als auch des Salzblutes ist unwirksames Pro- 
thrombin enthalten, das nicht durch Kalzium, sondern durch 
zymoplastische Substanzen aktiviert werden kann. Die zymo- 
plastischen Substanzen entstammen den Leukocyten und treten 
bei dem der Gerinnung vorhergehenden Leukocytenzerfall in das 
Plasma über, wo sie das Proferment aktivieren. Jedoch wird bei 
der Blutgerinnung nur ein verschwindend kleiner Teil des Pro- 
thrombins durch die zymoplastischen Substanzen in den wirk- 
samen Zustand übergeführt. Bei weitem die größte Menge ver- 
harrt in der inaktiven Form, da die in dem Plasma vorhandenen 
oder bei der Gerinnung in dasselbe übertretenden gerinnungs- 
hemmenden Substanzen der weiteren „Spaltung“ des Profermentes 
hindernd im Wege stehen, und die Menge der zymoplastischen 
Substanzen im Plasma schon an sich zu einer völligen Spaltung . 
des Prothrombins nicht hinreicht. 

Die beiden antagonistisch wirkenden Faktoren befinden sich 
im Serum in einem Gleichgewiehtszustande. Stört man dieses 
Gleichgewicht, z. B. durch Hinzufügung zymoplastischer Substanzen, 
so wird aus dem Proferment eine neue Menge Ferment abge- 
spalten. Auch durch vorübergehende Erhöhung der Alkaleszenz 
des Serums kann man ohne Zusatz zymoplastischer Substanzen 
eine weitergehende Spaltung des Profermentes bewirken, da 
Alkalien die Einwirkung der aktivierenden Elemente auf das 
Proferment begünstigen. Zymoplastische Substanzen werden durch 
mehrtägige Extraktion der verschiedensten Zellen, besonders der 
Lymphocyten, mit Alkohol gewonnen; doch können sie, wenn 
auch in geringerer Menge, direkt aus dem Serum hergestellt 
werden. Sie sind hitzebeständig, in Alkohol, zum Teil auch in 
Wasser und Äther löslich und nicht diffusibel. Der in Alkohol 
unlösliche Rückstand der Zellen liefert ein Wasserextrakt, das 
ausgesprochen gerinnungshemmende Eigenschaften hat, die an 
einen Eiweißkörper, das Cytoglobin, gebunden sind, während 
über die chemische Natur der zymoplastischen Substanzen nichts 
Sicheres gesagt werden kann. Nach v. Samson-Himmel- 


*) Centralbl. f. Physiol. 4, 257 und Zur Blutlehre 1892. 


384 P. Morawitz, 


'stjerna*) und Nauck“*) zeigen Lezithin, Taurin und die meisten 
Purinbasen zymoplastische Wirkungen. Im zirkulierenden Blute 
ist kein Oytoglobin nachzuweisen, doch kann man annehmen, daß 
der gerinnungshemmende Atomkomplex desselben auch im Plasma 
des zirkulierenden Blutes existiert und die geringen Ferment- 
mengen neutralisiert, die durch Spaltung des Prothrombins auch 
in der Blutbahn entstehen, wie Birk***) gezeigt hat. Der ge- 
rinnungshemmende Atomkomplex des Cytoglobins wird durch 
Kochen zerstört und ist diffusibel. 

Diese kurz skizzierten Anschauungen über die Bildung des 
Thrombins, die Schmidt in einer Reihe von Arbeiten nieder- 
gelegt hat, weichen so vollständig von der herrschenden Ansicht“ 
von der Aktivierung des Profermentes durch Ca ab, daß es merk- 
würdig erscheint, wie sie nicht mehr Widerspruch oder zahlreiche 
Nachuntersuchungen herausgefordert haben. Zwar hat Arthusf) 
einige von den Einwänden Schmidts gegen die Bedeutung der 
Kalksalze zu entkräften versucht. Schmidt hatte nämlich die 
Ungerinnbarkeit des nach den Angaben von Arthus hergestellten 
Oxalatplasmas auf den Oxalatgehalt desselben bezogen, indem er 
nach Entfernung des Oxalates durch Dialyse auf Zusatz von Koch- 
salz und zymoplastischen Substanzen Gerinnung eintreten sah. 
Arthus wies nach, daß das Oxalatplasma Schmidts offenbar 
von Anfang an fermenthaltig gewesen war, daß aber die geringe 
Fermentmenge sich erst nach Entfernung des gerinnungshemmenden 
Oxalatüberschusses hatte geltend machen können. Doch läßt sich 
Arthus auf eine weitergehende Nachuntersuchung der Schmidt: 
schen Befunde nicht ein, speziell nicht auf die Wirkung der 
zymoplastischen Substanzen. Über diese liegen überhaupt nur sehr 
spärliche Angaben in der Literatur vor. So will Lilienfeld 
a. a. OÖ. die Wirkung der Schmidtschen zymoplastischen Sub- 
stanzen auf ihren Gehalt an saurem Kaliumphosphat beziehen, 
scheint aber keine sehr deutlichen Erfolge gesehen zu haben. 
Ferner gelang es Spiro und Ellingerrf), Hundeblut, das durch 
vorhergehende Peptoninjektionen oder durch Hinzufügung von 
Blutegelextrakt ungerinnbar geworden war, durch Zusatz zymo- 
plastischer Substanzen in alkalischer Emulsion zum Gerinnen zu 


*) Über leukämisches Blut nebst Beobachtung, btr. die Entstehung des 
Fibrinfermentes. I1-D. Dorpat 1885. | 
**) Über eine neue Eigenschaft der Produkte der regressiven Meta- 
morphose der Eiweißkörper. 1.-D. Dorpat 1886. 
***) Das Fibrinferment im lebenden Organismus. 1.-D. Dorpat 1881. 
7) Archive de physiol. 1896, 47. 
++) Zeitschr. f. physiol. Chemie 23, 121. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 385 


bringen. Weitere Angaben über Schmidts alkohollösliche 
Kinasen liegen nicht vor. Auch hat bisher niemand gesucht, die 
Schmidtsche Gerinnungstheorie auf ihre Richtigkeit zu prüfen 
oder mit den Beobachtungen der anderen Forscher, besonders 
Hammarstens und Arthus’, in Einklang zu bringen. Es 
mag dieses wohl zum großen Teil daran liegen, daß durch die 
fortgesetzte und meist wenig glückliche Polemik Schmidts 
gegen Hammarsten und Arthus das Vertrauen auf die 
Richtigkeit der Schmidtschen Beobachtungen erschüttert war. 
Der einzige Autor, der nachdrücklich auf die Unvereinbarkeit der 
Schmidtschen Lehre von den zymoplastischen Substanzen*mit 
der Kalziumtheorie hinweist und nicht einfach über dieselbe zur 
Tagesordnung übergeht, ist Hammarsten (a. a. O.), der eine 
genaue Nachuntersuchung der Schmidtschen Befunde als 
durchaus notwendig bezeichnet, indem er sagt: „Die Lehre (von 
der Ca-Wirkung) scheint mir auch fortgesetzter Untersuchungen 
sehr bedürftig zu sein, namentlich weil sie die von Schmidt 
behauptete Wirkung der zymoplastischen Substanzen ganz außer 
acht läßt.“ 

Da sich Hammarsten jedoch diesen Problemen nicht 
mehr zugewandt hat und auch von anderer Seite in den letzten 
Jahren keine Untersuchungen über diese Fragen angestellt worden 
sind, schien es wünschenswert, zunächst die Frage zu entscheiden: 
Wieerklärtsich der Widerspruchin deh Angaben 
über die Aktivierung des Prothrombins? 


IE 
Technische Vorbemerkungen. 

Bevor auf die Versuche selbst eingegangen werden soll, seien 
einige Bemerkungen über die Technik vorausgeschickt. 

Die Versuche wurden fast ausschließlich mit Pferdeblut an- 
gestellt; wo im folgenden keine Angaben über die Herkunft des 
Blutes gemacht werden, beziehen sich die Beobachtungen auf 
diese Blutart. Nur zu wenigen Versuchen wurde auch Rinder- 
und Hundeblut verwendet. Pferdeblut wurde bevorzugt, weil es 
bekanntlich sehr schnell die geformten Elemente zu Boden sinken 
läßt und man leicht auch ohne Zentrifugieren größere Mengen 
körperchenfreien Plasmas erhält. 


1. Die Fibrinogenlösung. 
Als Indikator für die Wirkungen des Fermentes wurde eine 
Fibrinogenlösung benutzt, die nach der Methode Hammarstens*) 


*) Zeitschr. f. physiol. Chemie 22, 333. 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 25 


386 P. Morawitz, 


aus Pferdeplasma gewonnen wurde. Als sehr zweckmäßig erwies 
sich dabei die von Heubner*) angegebene Modifikation: Fällung 
des Fibrinogens bei neutraler, Lösung bei leicht alkalischer 
Reaktion. Dabei wird der bei dreimaligem Umfällen sonst sehr 
bedeutende Verlust, der durch Unlöslichwerden des Fibrinogens 
bedingt ist, ganz wesentlich reduziert und die ganze Prozedur 
abgekürzt. Auch die Methode von Reye**), die Fällung des 
Fibrinogens mit Ammonsulfat, kam gelegentlich zur Anwendung, 
bot aber keine Vorteile gegenüber der Fällung mit Kochsalz. 


Das Verfahren war kurz folgendes: Pferdeplasma, das 0,2 bis 0,3 Proz. 
Ammonoxalat enthielt, wurde 24 bis 48 Stunden im Eiskasten stehen ge- 
lassen. Dabei fällt, wie schon Hammarsten (a. a. OÖ.) erwähnt, ein 
schleimiger rötlich gefärbter Niederschlag aus, der in zusammenhängender 
Schicht den Boden bedeckt und sehr reich an Proferment ist, d. h. in 
einer Fibrinogenlösung auf Ca-Zusatz schnell Gerinnung bewirkt. Dieser 
mit Wooldridges (a. a. 0.) A-Fibrinogen identische Niederschlag, den 
auch Wright“**) erwähnt, besteht, zum Teil wenigstens, aus Trümmern 
geformter Elemente. Wartet man das Absitzen des Niederschlages nicht 
ab, sondern verarbeitet das Oxalatplasma sofort nach dem Niedersinken 
der geformten Elemente, so kann man nie mit Sicherheit darauf rechnen, 
eine vollständig profermentfreie Fibrinogenlösung zu gewinnen, d.h. eine 
Lösung, die mit Ca nicht gerinnt. Ebenso verhindert höhere Außen- 
temperatur das Absetzen des Niederschlages. (Das ist ein Grund mehr, 
die Untersuchungen von Blut möglichst in den Wintermonaten vorzu- 
nehmen.) Dementsprechend gerinnt auch das frische, profermenthaltige 
Oxalatplasma auf Ca-Zusatz sehr prompt, während Plasma, das drei bis 
vier Tage gestanden hat, durch Ca nur sehr langsam, zuweilen auch 
gar nicht, zur Koagulation gebracht werden kann, wie schon Ham- 
marsten beobachtet hat. 

Das abgehobene Oxalatplasma wird dann mit Kochsalz in Substanz 
gesättigt. Der aus Globulinen und Fibrinogen bestehende Niederschlag 
steigt an die Oberfläche, so daß er durch Abhebern leicht vom Plasma 
getrennt werden kann. Er löst sich mit Hilfe des anhaftenden Salzes in 
schwach alkalischem Wasser meist schnell und vollständig. Vom unge- 
lösten wird abfiltriert. Der Salzgehalt dieser Fibrinogen - Globulinlösung 
wird dann aräometrisch (Heubnera.a. 0.) bestimmt, und das Fibrinogen 
bei neutraler Reaktion durch Halbsättigung mit Kochsalzlösung, die 
0,1 Proz. Ammonoxalat enthält, also kalkfrei ist, ausgefällt. Durch zwei- 
bis dreimalige Wiederholung dieses Verfahrens erhält man vollständig 
ferment- und profermentfreie Fibrinogenlösungen, die tagelang mit oder 
ohne Ca flüssig bleiben. 

Mehrfach habe ich gesehen, daß die Fibrinogenlösungen, die 
drei bis vier Tage teils bei etwa 5°, teils bei Eisschranktemperatur 
aufbewahrt worden waren, nicht allein eine allmählich fort- 
schreitende Ausscheidung von umgewandeltem Fibrinogen in Form 


*) Archiv f. experim. Pathol. u. Pharm. 49, 229. 
**) ].-D. Straßburg 1898. 
***) T'he Lancet 1892, 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 387 


zarter Flocken zeigten, sondern unter Umständen auch in typischer 
Weise gallertig gerannen. Der Vorgang der Gerinnung zeigte 
hierbei Eigentümlichkeiten, auf die es sich verlohnt mit einigen 
Worten einzugehen. Eine vier Tage alte Fibrinogenlösung, die 
als klare, nur leicht opalisierende Flüssigkeit aus dem Eiskasten 
in das Laboratorium gebracht worden war, war nach einer halben 
Stunde durch und durch geronnen, ohne daß weitere Einwirkungen 
stattgefunden hätten. Diese Erscheinung, die ich nur drei bis 
viermal an meinen Fibrinogenlösungen beobachtet habe, trat 
niemals im Oxalatplasma selbst ein. Sie erklärt sich wohl-da- 
durch, daß das Oxalatplasma von vorneherein fertiges Ferment 
enthalten hatte, was keineswegs wunderbar ist, da bei der üblichen 
Entnahme des Blutes im Schlachthause dasselbe, wie ich mich 
überzeugt habe, stets in ausgedehnte Berührung mit den Wund- 
rändern kommt. Diese geringen Fermentmengen haben im Oxalat- 
plasma selbst keine Wirkung, ob wegen des Oxalatgehaltes oder 
aus anderen Gründen mag vorerst dahingestellt bleiben, vermögen 
aber, falls sie beim Umfällen des Fibrinogens nicht vollständig 
entfernt worden sind, allmählich die Koagulation herbeizuführen, 
Dabei scheint das Fibrinogen zunächst in eine lösliche Modi- 
fikation des Fibrins übergeführt zu werden, da die Flüssigkeit 
bei der Entnahme aus dem Eiskasten noch gar keine Gerinnungs- 
erscheinungen zeigt. Erhöhung der Temperatur, mechanische Er- 
schütterungen usw. führen dann eine rasch, ja schußweise er- 
folgende Ausscheidung des Fibrins herbei, die an das Verhalten 
unterkühlter Flüssigkeiten erinnert. Versucht man das ausge- 
schiedene Gerinnsel in Kochsalzlösung zu lösen, so zeigt sich, daß 
ein geringer Teil noch löslich ist. Es handelt sich bei diesem 
Teil offenbar um mitgerissenes Fibrinogen. Dementsprechend 
enthält die von dem Gerinnsel befreite Flüssigkeit noch unver- 
ändertes Fibrinogen, wie durch den Gerinnungsversuch nachge- 
wiesen werden kann. Dadurch wird der Gedanke nahegelesgt, 
daß durch das noch unveränderte Fibrinogen eine gewisse Menge 
Fibrin in Lösung gehalten werden kann. 

Einer genaueren Charakterisierung des gelösten Fibrins stellen sich 
viele Schwierigkeiten entgegen; vor allem ist man beim Versuch, das- 
selbe’zu erhalten, zu sehr vom Zufall abhängig, auch geht die Modi- 
fikation zu leicht in den unlöslichen Zustand über. Deshalb ist eine Be- 
stimmung der Salzfällungsgrenzen nur mit sehr großer Vorsicht zu ver- 
werten. Es zeigte sich, daß der Körper in unlöslicher Form zum Teil 
schon bei 10 Proz. Ammonsulfatsättigung in Form zusammenhängender 
Gerinnsel ausfiel. Doch ist es natürlich zweifelhaft, ob diese Ausscheidung 
als Aussalzen im engeren Sinne aufgefaßt werden darf, oder ob der Zusatz 
von Ammonsulfat einfach als mechanisches Moment gewirkt hat. 


25* 


388 P. Morawitz, 


Erfahrungen und Beobachtungen über ein lösliches Fibrin, 
das bei der fermentativen Umwandlung des Fibrinogens als 
Zwischenprodukt auftritt, sind schon sehr alt. Eichwald*) hat 
zuerst einige Tatsachen mitgeteilt. die von Alexander Schmidt**) 
in diesem Sinne gedeutet wurden. Besonders eingehend hat 
Hammarsten**“*) den Satz begründet, daß das Fibrinogen schon 
lange, bevor sich ein sichtbares Gerinnsei ausscheidet, unter Ein- 
wirkung geringer Fermentmengen in eine Modifikation übergeht, 
die im Gegensatze zum unveränderten Körper durch Kohlensäure 
gefällt wird, beim Gefrieren und Auftauen Gerinnsel ausscheidet 
und eine niedrigere Koagulationstemperatur aufweist. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir es auch in unserm 
Falle mit einem löslichen Fibrin in dem oben definierten Sinne 
zu tun haben. 

Um Verluste und Ungenauigkeiten der Resultate, die diese ge- 
legentlichen Veränderungen der Fibrinogenlösung mit sich bringen, 
zu vermeiden, wurden stets nur etwa 500 bis 700 ccm Plasma 
verarbeitet, woraus ein für zwei Tage reichender Vorrat an 
‚Fibrinogenlösung gewonnen werden kann, der Rest des Oxalat- 
plasmas aber nach Zusatz von Toluol im Eiskasten aufbewahrt. 
Auf diese Weise ist man, da das Oxalatplasma selbst nie gerinnt 
und noch nach sechs Tagen zur Herstellung einer Fibrinogen- 
lösung brauchbar ist, vom Material relativ unabhängig und vermißt 
nicht zu sehr die nordische Kälte, die Hammarsten bei seinen 
Untersuchungen so wertvolle Dienste geleistet hat. 


Dagegen ist es ganz unzweckmäßig, das Fibrinogen im ge- 


fällten Zustande aufzubewahren, da es unter halbgesättigter Koch- 
salzlösung schon nach ein bis zwei Tagen fast ganz unlöslich wird. 


2. Andere Indikatoren für Thrombin. 

Man könnte daran denken, neben Fibrinogenlösung der Be- 
quemlichkeit halber Oxalatplasma als Indikator für Fibrinferment 
zu verwenden. Jedoch gerinnt Oxalatplasma sehr schwer und nur 
auf starken Fermentzusatz. Hat doch z. B. Artbus (a. a. O.) 
anfänglich geglaubt, Oxalatplasma könne überhaupt mit Ferment 
nicht gerinnen und darauf seine Theorie der Ca-Wirkung aufgebaut. 

Brauchbarer als Oxalat- ist nach Arthusf) das Fluoridplasma, 
das 0,3 Proz. Fluornatrium enthält und sogar ein quantitatives 
Reagens auf Fibrinferment darstellen soll, da auf Zusatz geringer 


*) Beiträge zur Chemie der gewebebildenden Substanzen etc. Berlin 1873. 
**) Pflügers Archiv 11, 340. 
***) Pflügers Archiv 19, 603 und 22, 443. 

7) Journal de Physiol, et Pathol. gen. 1901, 887. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 389 


Serummengen nur partielle Gerinnungen auftreten. Diese Angabe, 
die mit dem fermentativen Charakter des Gerinnungsvorganges 
nicht recht in Einklang zu bringen ist, scheint wenig für die 
Methode zu sprechen. Deswegen wurde zunächst das Fluorid- 
plasma als Indikator nicht angewendet. 


Das Vogelblutplasma*), das bekanntlich spontan nicht ge- 
rinnt, bietet vielleicht einen gewissen Vorteil vor einer Fibrinogen- 
lösung. Es ist zwar schwerer zu erhalten und muß sehr sorg- 
fältıg entnommen werden; aber man darf wohl glauben, daß die 
Verhältnisse bei der Gerinnung des Vogelblutplasmas denen einer 
normalen Blutgerinnung mehr entsprechen, als sie in einer dreimal 
umgefällten Fibrinogenlösung gegeben sind. Da man jedoch nicht 
alle beı der normalen Gerinnung beteiligten Momente hinreichend 
kennt, so kann man andererseits nicht ausschließen, daß der Ge- 
rinnungsversuch in: Vogelblutplasma kompliziertere Bedingungen 
schafft als der an einer reinen Fibrinogenlösung vorgenommene. 
Da ich außerdem größere Mengen Material nötig hatte, mußte 
vom Vogeiblutplasma abgesehen werden. 


3. Die Fibrinolyse. 


| Auch die weder auf Ca-Zusatz noch spontan gerinnenden 

Fibrinogenlösungen können nicht als gänzlich sichere Indikatoren 
angesehen werden. Sehr häufig beobachtete ich nämlich das 
nachträgliche schnelle Verflüssigen eines bereits gebildeten Fibrin- 
gerinnsels. Es handelte sich dabei um Fibrinolyse, die bisher 
nur wenig studierte Verdauung des ausgeschiedenen Fibrins durch 
ein sonst kaum bekanntes Ferment. 


Die Ansichten über die Ursache der Fibrinolyse sind auch 
jetzt noch keineswegs vollkommen geklärt. Die meisten Unter- 
suchungen weisen aber mit Sicherheit darauf hin, daß die Auf- 
lösung des Fibrins durch ein aus dem Blute stammendes 
fibrinolytisches Ferment ohne Mitwirkung von Mikroorganismen 
erfolgt. Schon vor vielen Jahren hat Plösz**) diese Ansicht aus- 
gesprochen, die in neuerer Zeit besonders von Dastre***) fester 
begründet worden ist, der bei Ausschluß bakterieller Einwirkungen 
Fibrinolyse beobachten konnte. HammarstenTr), der die An- 


*) Delezenne, Archiv de Physiol. 9 (2), 333 und C. R. de la Soc. 
de Biol. 1896, 782, 
**) Pflügers Archiv 7, 371. 
=) 0, R. de la Soc. de Biol. 9. Dezbr. 1893, 995. Archiv de Physiol. 
(5) VII. 2, 408. 
7) Pflügers Archiv 30, 441. 


390 P. Morawitz, 


gaben von Denis*), über sogen. lösliches Fibrin (nicht zu ver- 
wechseln mit dem löslichen Fibrin Eichwalds) nachprüfte, 
konnte bestätigen, daß sich Fibrin besonders bei Verunreinigung 
mit Leukocyten oder Globulin in Neutralsalzlösungen bei leicht 
alkalischer Reaktion auflöst. Ob diese Löslichkeit des Fibrins 
in konzentrierten Salzlösungen *) wirklich als fermentative 
Fibrinolyse aufgefaßt werden darf, muß zweifelhaft erscheinen. 
Salkowski***) führt die Verdauung des Fibrins auf die Wirkung 
von Bakterienfermenten zurück. Endlich haben noch Denys und 
de Marbaixr) gefunden, daß die Verdauung des Fibrins von 
dem Zusatz von Chloroform, Alkohol, Äther, sowie verschiedener 
anderer Substanzen abhängig ist; sie sprechen dem Chloroform usw. 
direkt eine fermentative Wirkung auf das Fibrin zu. 

Trotzdem die Erscheinung der Fibrinolyse dem Zweck dieser 
Arbeit ferner liegt, sei es mir doch gestattet, mit\ einigen Worten 
darauf einzugehen. Denn ich konnte bei meinen Versuchen eine 
so rapid verlaufende Fibrinolyse beobachten, wie sie bisher in der 
Literatur noch nicht beschrieben worden ist. Die vollständige Auf- 
lösung eines dicken Gerinnsels, das das ganze Reagenzglas als 
feste Gallerte ausfüllte, erfolgte in solchen Fällen in einer Stunde 
bei Bruttemperatur, oft sogar noch schneller. Zarte Gerinnsel 
waren öfter schon in einer Viertelstunde vollständig verschwunden. 

Diese Erscheinungen traten keineswegs konstant auf. Zumeist 
arbeitete ich mil Fibrinogenlösungen, in denen absolut keine Auf- 
lösung des gebildeten Fibrins zu erkennen war, ja sogar die 
Retraktion des entstandenen Fibrinkuchens fehlte. 

In geringerem Maße als das ausgeschiedene Fibrin ist auch 
das gelöste Fibrinogen einer Umwandlung unterworfen, die zur 
Folge hat, daß konzentrierte Fibrinogenlösungen von Tag zu Tag 
bei der Gerinnung immer weniger Fibrin liefern und endlich 
ganz ungerinnbar werden. Diese schon von Hammarstenr) be- 
obachtete Erscheinung habe ich auch in einem Falle zusammen 
mit einer außerordentlich rapid verlaufenden Fibrinolyse gesehen, 
so daß der Gedanke an eine gemeinsame, d. h. bakterielle, Ursache 
beider Erscheinungen naheliegt. Jedoch tritt das Verschwinden 
des Fibrinogens auch unabhängig von der Fibrinolyse auf. Daher 


*) Nouvelles ötudes usw. sur les substances albuminoides. Paris 1856 
und M&moire sur le sang. Paris 1859, 
*) Limbourg, Zeitschr. f. physiol. Chemie 18, 450, 1889, 
**#*) Zeitschr. f. Biologie 7, 92, 1889. 
+) Sur les peptonisations usw. Extrait de la Revue „La Cellule“, 
1. V. 2. fasc. 15 Dec. 1889. Louvain. 
+r) Päügers Archiv 17. 


E 


a Zu 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 391 


möchte ich nach allen meinen Erfahrungen diesen Erklärungsver- 
such ganz entschieden zurückweisen. Die große Inkonstanz des 
Eintretens der Fibrinolyse bliebe dabei ebenso unverständlich, wie 
der außerordentlich rapide Verlauf derselben. Auch ist das 
Fibrin gegen Auflösung durch Fäulniserreger sehr resistent. 
Auch die von anderer Seite (Dastre a. a. OÖ.) beschriebene 
Fibrinolyse in steril aufgefangenem Blute ließe sich gegen die 
Annahme von Bakterieneinflüssen anführen. 

Mithin bliebe nur die Annahme eines fibrinolytisch wirkenden 
Fermentes übrig, und es fragt sich nun, ob man irgend welche 
Anhaltspunkte für die Erklärung des Umstandes hat, daß dieses 
Ferment nur in gewissen Fällen so außerordentlich wirksam ist, 
während es sich meist überhaupt nicht nachweisen läßt. 

In der Tat glaube ich, allerdings rein zufällig, wenigstens eine 
der hier beteiligten Bedingungen gefunden zu haben. Ich benutzte 
nämlich mehreremal zum Auffangen des Blutes eine Ammon- 
oxalatlösung, die, wie sich nachträglich herausstellte, gegen Lack- 
mus leicht sauer reagierte. Von diesem Blute konnte nur durch 
Zentrifugieren, und zwar ein stark blutig gefärbtes Plasma ge- 
wonnen werden; die Blutkörperchen setzten sich darin nur sehr 
mangelhaft ab. Gerade in diesen und, wie die Protokolle ergaben, 
ausschließlieh in diesen Fällen habe ich Fibrinolyse gesehen, wie 
sie oben beschrieben worden ist. Je stärker blutiggefärbt das 
Plasma war, je mehr geformte Elemente also durch den Oxalat- 
zusatz zerstört worden waren, je schlechter sich die Blutkörperchen 
absetzten, um so intensiver verlief die Fibrinolyse in der durch 
dreimaliges Umfällen hergestellten Fibrinogenlösung. Dabei sei 
noch bemerkt, daß es auch nie gelang, gänzlich profermentfreie 
Fibrinogenlösungen aus diesem Plasma herzustellen. Andererseits 
gelingt es auch, in zentrifugiertem Oxalatplasma durch nach- 
trägliche Neutralisation sehr starke Fibrinolyse hervorzurufen. 

Diese Beobachtung macht es nun sehr wahrscheinlich, daß 
das fibrinolytische Ferment, das vielleicht durch Zerstörung der 
geformten Elemente frei gemacht worden ist, durch Neutralisation 
aktiviert wird. Es scheint dann bei der fraktionierten Salzfällung 
noch leichter mit dem Fibrinogen niedergerissen zu werden als 
das Fibrinferment selbst. 

Daß das fibrinolytische Ferment in der Tat sich in der 
Fibrinogenlösung und nicht allein im zugesetzten Serum findet, 
ist leicht zu entscheiden, wenn man sich eine mit Ca gerinnende 
Fibrinogenlösung herstellt. Auch in solchen Fällen tritt Fibrino- 
lyse ein. 


399 P. Morawitz, 


Auffallend ist es, daß die Fibrinolyse in einer Fibrinogenlösung viel 
schneller zu verlaufen scheint als im Plasma, selbst wenn dieses sehr 
stark verdünnt ist. Welche Momente hierbei ausschlaggebend sind, muß 
vorerst dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegt es nahe, an einen mit den 
Globulinen ausfallenden Antikörper zu denken, um so mehr als Gläßner*) 
und Delezenne**) erst kürzlich antitryptische Wirkungen des Blutserums 
festgestellt haben. Weitere Untersuchungen werden über diese Fragen 
sicher bald Aufschluß geben, nachdem in dem Vorhergehenden ein Weg 
gezeigt worden ist, fibrinolytisch wirksame Lösungen zu erhalten. 

Dabei soll nun keineswegs behauptet werden, daß die Auflösung ge- 
formter Elemente durch Zusatz differenter Mittel unbedingtes Erfordernis 
für das Auftreten der Fibrinolyse ist. Dagegen spricht schon der Um- 
stand, daß man im spontan gerinnenden Blute ohne Zusatz irgend welcher 
Mittel zuweilen auch Fibrinolyse auftreten sieht. 

Ob man alle in der Literatur beschriebenen fibrinolytischen Vor- 
gänge als Prozesse auffassen darf, die durch ein in dem Blute vor- 
handenes Ferment bewirkt werden, erscheint zweifelhaft} eine methodische 
Durcharbeitung des ganzen Gebietes ist daher sehr wünschenswert. 

Für die vorliegenden Untersuchungen ist die Fibrinolyse nur 
insofern von Bedeutung, als sie eine Quelle zahlreicher Be- 
obachtungsfehler sein kann. Es ist natürlich unmöglich, während 
der langen Dauer mancher Gerinnungsversuche fortwährend zu 
untersuchen, wie weit der Prozeß vorgeschritten ist, zumal sich 
die Versuche oft über 24 Stunden ausdehnen. Findet man z. B. 
am Morgen nach einem über Nacht ausgedehnten Versuch eine 
Reihe von Proben ungeronnen, so ist nicht ohne weiteres der 
Schluß gestattet, daß hier wirklich Gerinnung gefehlt hat. 

Ein Beispiel mag das illustrieren: 

Von zwei Eprouvetten wird die erste mit 5 Tropfen fermentativ stark 
wirksamen Serums, 5 cem 0,4 proz. Ammonoxalatlösung und 15 ccm 
Fibrinogenlösung beschickt, die zweite in gleicher Weise, nur daß die 
Ammonoxalatlösung durch 5 cem 0,3 proz. Oxalatplasma ersetzt wird. 

Beginn des Versuches um 5 Uhr nachmittags bei 35°. 

Um 6 Uhr ist die erste Probe total geronnen, so daß man das Glas um- 
kehren kann, ohne einen Tropfen zu verlieren, die zweite ist ungeronnen. 

Um 7 Uhr 15 Min. sind beide Eprouvetten vollständig flüssig, in der 
ersten ist auch keine Spur eines Gerinnsels zu sehen. 

Am nächsten Morgen sind beide noch flüssig. 

Nun werden beide Proben mit 2 cem stark wirksamen Fermentes 
versetzt. . Das zweite Röhrchen gerinnt nach 1!/, Stunden, das erste 
Röhrchen bleibt flüssig. 

Falls in diesem Versuch, dem ich noch einige andere, freilich 
weniger prägnante, beifügen könnte, eine Beobachtung um 6 Uhr ver- 
säumt worden wäre, hätte man sehr leicht den Schluß ziehen können, 
daß auch Probe 1 ungeronnen geblieben sei. In solchen Fällen entscheidet 
der nachträgliche Zusatz größerer Mengen von Ferment. 


*) Diese Beiträge #, 79. 
**) C©. R. de la Soc. de Biol. 55, 132 (30. 1.). 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 393 


4. Die Fermentlösungen. 

Als Fermentlösung kam fast ausschließlich Pferdeserum zur 
Verwendung, doch stand mir durch das freundliche Entgegen- 
kommen von Herrn Dr. Heubner, Assistenten am pharmakolo- 
gischen Institut, auch Schmidtsches Ferment aus Rinderserum 
zur Verfügung, das durch zweimonatliche Aufbewahrung unter 
Alkohol und nachfolgendes Trocknen gewonnen worden war. 
Der wässerige Auszug des trockenen Koagulums war fermentativ 
außerordentlich wirksam. 


Die quantitativen Gerinnungsversuche wurden nach der 
Tropfenmethode angestellt, die bei Verwendung gleicher Pipetten 
nach den Ermittelungen Ostwalds als sehr exakt angesehen 
werden kann. Natürlich muß man die zu den Versuchen benutzten 
Reagenzgläser nach jedesmaligem Gebrauch auskochen, um mit 
Sicherheit alle anhaftenden Spuren von Ferment zu zerstören. 


Daß stets Kontrollversuche neben dem eigentlichen Versuch 
angestellt wurden, braucht kaum erwähnt zu werden. 


Als Zeitpunkt der erfolgten Gerinnung wurde, um eine ein- 
heitliche Beurteilung der Versuche zu ermöglichen, stets der 
Moment aufgefaßt, in dem der Spiegel der Fibrinogenlösung bei 
leichtem Neigen die Glaswände nicht mehr benetzte. 


Bei der Verwertung der Resultate quantitativer Gerinnungs- 
versuche muß es als Regel gelten, kleinere Differenzen der Ge- 
rinnungszeit, die natürlich die einzige Handhabe für die Beur- 
teilung von Wirksamkeit und Menge des Fermentes bietet, um so 
eher zu vernachlässigen, je weniger scharf die Differenzen sich 
in einer langen Reihe von Versuchen und unter verschiedenen 
Bedingungen, wie z. B. bei verschiedenen Temperaturen erkennen 
lassen. 


Je mehr man sich vor Augen hält, von wie zahlreichen Faktoren 
der Gerinnungsvorgang abhängig ist, um so vorsichtiger wird man in der 
Beurteilung der Resultate sein. Der Begriff „kleinere Differenzen“ kann 
natürlich nicht mit einem Wort präzisiert werden; vielleicht wird man 
am besten fahren, wenn man sich an das Verhältnis 1:3 oder 1:4 als 
Grenzwert hält. Gerinnt z. B. von zwei Proben die eine in 10 Minuten, 
die andere unter gleichen äußeren Bedingungen in einer Stunde, so kann 
das als eine größere Differenz angesehen werden, während ein Unterschied 
der Gerinnungszeit, der sich zwischen 3 und 8 Stunden bewegt, mit viel 
größerer Vorsicht aufgenommen werden muß, besonders wenn man sich 
erinnert, daß bei geringen Enzymmengen eine strenge Gesetzmäßigkeit 
im Sinne der Fuldschen Regel nicht nachzuweisen ist, und die Er- 
Scheinungen, wie schon Alexander Schmidt gezeigt hat, ziemlich 
regellos werden, da der Einfluß der Fermentmenge dann deutlicher 
hervortritt. 


394 P. Morawitz, 


Deswegen gelingt es auch nur unter sehr günstigen Bedingungen, 
das Zeitgesetz des Fibrinfermentes festzustellen. Fuld, der mit spontan 
nicht gerinnendem Vogelplasma und ungemein stark fermentativ wirk- 
samem Muskelextrakt arbeitete, konnte durch Zusatz sehr geringer 
Fermentmengen, z. B. 0,2 bis 0,025 cem eines Extraktes, Gerinnung her- 
vorrufen, die in einer bis fünf Minuten vollendet war und eine ganz be- 
stimmte Gesetzmäßigkeit zeigte. 

Einige Versuche, die ich nach dieser Richtung hin mit Fibrinogen- 
lösung und dem sehr wirksamen Schmidtschen Ferment anzustellen 
Gelegenheit hatte, ergaben Werte, die sich mit steigender Fermentmenge 
der Schützschen Regel immer mehr näherten, während geringe Ferment- 
mengen eine deutlichere Abhängigkeit von der Menge des Fermentes 
zeigten und Zahlen ergaben, die in der Mitte zwischen der Schütz- 
Fuldschen Regel und einer einfachen direkten Proportionalität zur 
Fermentmenge standen. 

Ein genaueres Eingehen auf diese Versuche ist nicht am Platz, da 
nur gezeigt werden soll, daß sich aus der Gerinnungszeit nur mit ge- 
wissen Einschränkungen Schlüsse auf die Menge des‘ Fermentes ziehen 
lassen. 

Die etwas ausführliche Besprechung der an sich einfachen 
Versuchstechnik rechtfertigt sich, wie ich glaube, dadurch, daß 
sich bei Kenntnis dieser Einzelheiten manche Schwierigkeit ver- 
meiden läßt, die mit dem Arbeiten mit Fibrinogenlösungen ver- 


knüpft ist. 


II. 

Über das Prothrombin Alexander Schmidts und das Prothrombin 
im Sinne von Arthus, Hammarsten und Pekelharing. 
Der Gegensatz, der zwischen der Schmidtschen Schule und 

der heute allgemein herrschenden Auffassung über die Aktivierung 

des Prothrombins durch Ca-Ionen herrscht, ist bereits oben kurz 
dargelegt worden. 

Nach Arthus, Hammarsten und Pekelharing wird das 
Prothrombin lediglich durch Ca-Ionen in Thrombin übergeführt, 
nach Schmidt allein durch bestimmte Kinasen (zymoplastische 
Substanzen), während das Ca auf das Prothrombin ganz ohne Ein- 
fluß ist und nur die Einwirkung des Thrombins auf das Fibrinogen 
in seiner Eigenschaft als Neutralsalz begünstigt. 

Nun ist aber die Aktivierbarkeit des Prothrombins durch 
die Ca-Salze durch die Arbeiten von Pekelharing*) und Ham- 
marsten einwandsfrei sichergestellt und kann jederzeit mit 
Leichtigkeit durch Versuche am Oxalatplasma nachgeprüft werden, 
auch sind die Einwände, die Schmidt gegen die spezifische 
Wirkung der Ca-Salze an sich ins Feld führte, durch Arthus 


*) Die Bedeutung der Kalksalze für die Blutgerinnung. Festschrift 
f. Virchow I. 1891. | 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 395 


(a. a. O.) beseitigt worden, so daß man die uns hier interessierende 
Frage dahin präzisieren kann: Inwiefern hat neben der 
Aktivierbarkeit des Prothrombins durch Ca-Ionen die 
Schmidtsche Lehre von den zymoplastischen Substanzen 
Geltung? 

Als ich diese Untersuchungen aufnahm, war ich mit den 
Resultaten Schmidts noch nicht vollständig bekannt; um so wich- 
tiger ist es, daß, wie ich nachträglich ersah, die Befunde an sich 
mit den Angaben Schmidts vielfach durchaus übereinstimmen; 
dagegen ergab sich bald, daß die von Schmidt gegebene Deutung 
Veranlassung zu Mißverständnissen geben mußte. Wie wenig 
geklärt die ganze Sachlage ist, geht am besten daraus hervor, 
daß Hammarsten*) in der vorzüglichen Darlegung des Gerinnungs- 
vorganges, die er in seinem Lehrbuche gibt, sich darauf beschränkt, 
ganz objektiv die Anschauung Schmidts über die Fermentbildung 
der landläufigen, namentlich von Arthus und Pekelharing ver- 
tretenen, gegenüberzustellen und den Mangel der Einheitlichkeit 
und die noch herrschende Unklarheit hervorzuheben. Arthus 
(a. a. 0.) begnügt sich in der sonst sehr guten zusammenfassenden 
Darstellung über eine Anzahl wichtiger, den Gerinnungsvorgang 
betreffenden Arbeiten nur mit der Erwähnung der direkten Ein- 
wände Schmidts gegen die Ca-Wirkung, ohne auf dessen Theorie 
weiter einzugehen. 


l. Abnahme des Fermentgehaltes im Serum. 


Den Ausgangspunkt für die folgenden Untersuchungen gab 
die schon Alexander Schmidt bekannte Erscheinung, daß der 
Fermentgehalt des Serums beim Stehen an der Luft abnimmt. 
Auch in anderen Fermentlösungen wurde dieselbe Beobachtung 
von Tammann**) und Effront***) gemacht. Tammann äußert 
sich darüber in dem Sinne, daß er einen allmählich fortschreitenden 
Zerfall des Katalysators in unwirksame Elemente auch ohne An- 
wesenheit einer zu katalysierenden Substanz annimmt. Analoge Be- 
obachtungen liegen auch über anorganische Katalysatoren vor’f). 

Im Pferdeserum findet dieses Unwirksamwerden bei Zimmer- 
temperatur meist im Verlauf von 5 bis 6 Tagen statt, und zwar 
in der Art, daß die gerinnungserregende Wirkung des Serums 
unmittelbar nach der Blutentnahme am schnellsten, dann aber 


*) Lehrbuch d. physiol. Chemie. 4. Aufl. 1899. 
**) Zeitschr. f. physikal. Chemie 18, 26 (1895). 
***) Diastasen 1, 140. 
7) Ernst, Zeitschr. f. physikal. Chemie 837, 1901. Me. Intosh, 
Journ. of physic. Chem. 15, 1902. Bredig, Anorgan. Fermente 1901, 45. 


396 P. Morawitz, 


immer langsamer sinkt und sich endlich nach der angegebenen 
Zeit im praktischen Sinne dem Werte Null nähert, d. h. 1 ccm 
Serum vermag dann in 24 Stunden bei 35° 10 cem Fibrinogen- 
lösung nicht mehr zum Gerinnen zu bringen. 

Die Geschwindigkeit der Abnahme des Fermentgehaltes ist 
in ausgesprochener Weise von der Temperatur abhängig: Serum, 
das im Eiskasten gehalten wurde, zeigte nach 12 Tagen noch 
sehr ausgesprochene fermentative Wirkungen, während eine 
andere Probe, die im Brutschrank einer Temperatur von etwa 
39° ausgesetzt war, sich schon nach 2'/,;, Tagen vollkommen un- 
wirksam erwies. Außer der Temperatur scheint auch die Re- 
aktion des Serums für die Geschwindigkeit der Fermentabnahme 
insofern von Bedeutung zu sein, als Neutralisation gegen Lack- 
mus den Ablauf des Vorganges verlangsamt, Vermehrung der 
Alkaleszenz einen deutlich beschleunigenden Einfluß ausübt. 

Auch findet die Abnahme im Fermentgehalt zweier Sera, die 
von verschiedenen Tieren stammen, unter gleichen äußeren Be- 
dingungen nicht ganz gleichmäßig statt, so daß ich 5 bis 6 Tage 
in Übereinstimmung mit Schmidt nur als Durchschnittswert be- 
zeichnen kann. Vielleicht hängt das teilweise damit zusammen, 
daß der Fermentgehalt frischer Sera von vornherein schon recht 
große Differenzen aufweist. Auch der ungehinderte Zutritt von 
Luft wirkt, wie Schmidt gefunden hat, begünstigend auf den 
Fermentzerfall. | 


2. Gehalt des Serums an Proferment. 

Von der Annahme ausgehend, daß das Proferment gegen die 
schädigenden Einflüsse, die den Fermentgehalt des Serums ver- 
nichten, größere Widerstandsfähigkeit zeigt, wurde der Versuch 
gemacht, die gerinnungserregende Wirkung durch Stehen abge- 
schwächter Sera durch Zusatz von Chlorkalzium in einer Kon- 
zentration von 0,1 Proz. zu erhöhen. Dabei mußte ein allzu 
eroßer Ca-Überschuß vermieden werden, da Horne*) dargetan 
hat, daß ein Gehalt von 2 bis 3 Proz. Chlorkalzium die Gerinnung 
verhindern kann, und nach Huiskamp“**) schon 0,6 Proz. Chlor- 
kalzium einen stark hemmenden Einfluß hat. 

Der Zusatz von Chlorkalzium hat nun in der Tat in diesen 
schwach wirkenden Sera einen ausgesprochen gerinnungsbeschleuni- 


ee ee ee ee ee ee En nn re 


genden Einfluß, wie ja kaum anders zu erwarten war, da z. B. 


Hammarsten“**) gezeigt hat, daß sich auch die gerinnungs- 
*) Journ. of physiolog. Chem. 19. 

»*) Zeitschr. f. physiol. Chemie 32. 
***) Zeitschr. f. physiol. Chemie 28. 


Fe 


Wert 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 397 


erregende Wirkung frischer Sera durch Chlorkalziumzusatz deutlich 
erhöhen läßt, eine Beobachtung, die auch ich bestätigen kann. 


Versuch: 
Serum, 4 Tage bei Zimmer- | Fibrino- Cacl Tempe- | Geronnen 
temperatur gehalten gen En ratur nach 
10 Tropfen 5b ecm. „0,1. Proz: 33° 1!/, Std. 
10 Tropfen 5 cem — 35 ° 3!/, Std. 


Es entsteht nun die Frage, ob diese mäßige, aber konstante 
Beschleunigung der Gerinnung, die durch Zusatz von Kalzium- 
chlorid sowohl bei Verwendung von Serum, als von Schmidtschem 
Ferment bemerkt wird, wirklich auf einer Aktivierung einer ge- 
ringen Menge von Proferment beruht, die bei der Gerinnung der 
Überführung in Ferment entgangen ist, entweder aus Mangel an 
Ca-Ionen oder aus anderen, noch unbekannten Gründen. Ham- 
marsten neigt sich der Ansicht zu, daß diese Ca-Wirkung wohl 
mehr auf andere Ursachen zurückzuführen sei als auf eine Ak- 
tivierung von Proferment, will aber die Frage nicht endgültig 
entscheiden. 

In der Tat läßt sich zeigen, daß Ca auch noch in anderer 
Weise die Gerinnung einer Fibrinogenlösung befördert als allein 
durch Aktivierung von Proferment. 

Schon a priori erscheint die Annahme, daß im Serum noch 
nachweisbare Mengen von Proferment enthalten sind, sehr wenig 
wahrscheinlich, wenn man daran denkt, daß jedenfalls im Blute 
Ca-Ionen stets in einer Menge vorhanden sind, die zur Aktivierung 
des gesamten Prothrombins hinreicht*). Ferner ist die durch 
Ca-Zusatz bewirkte Gerinnungsbeschleunigung nicht sehr bedeutend, 
und endlich ist es mir nie gelungen, ganz unwirksames Serum 
durch Ca-Zusatz zu aktivieren. Die letzte Beobachtung ist mit 
der Annahme eines Profermentgehaltes im Serum nicht recht ver- 
einbar, da wir aus dem Verhalten des im Oxalatplasma aus- 
fallenden Niederschlages wissen, daß das Proferment äußeren 
Einflüssen gegenüber resistenter ist als das Ferment. 

Zur sicheren Entscheidung dieser Frage wurde Serum mit 
0,1 Proz. CaC], versetzt und zwei Stunden sich selbst überlassen. 
Man kann wohl als sicher annehmen, daß durch dieses Verfahren 
alles Proferment, falls noch solches vorhanden ist, aktiviert wird. 


*) Sabbatania..a. O. 


398 P. Morawitz, 


Von diesem Serum wurden 5 Tropfen mit 5 cem Fibrinogenlösung 
vermischt. Der Ca-Gehalt der Mischung betrug dann also etwa 
0,005 Proz. Diese Mischung gerann nun regelmäßig langsamer 
als eine entsprechende Serum - Fibrinogenmischung, die 0,1 bis 
0,2 Proz. CaÜCl, enthielt, und annähernd ebenso schnell wie eine 
Mischung, die überhaupt nicht mit Ca behandelt worden war. 


Versuch 
E Nachtr. 
Serum, 3 Tage alt Menge ee C1,- | Temp: Ver 
gen nach 
Zusatz 
mit 0,1 Proz CaQl], | | ur E | 
versetzt u. 2 Stdn. | 5 Tropfen | 5 cem m Be 15'/, Stdn. 
stehen gelassen 
el) 
ohne Ca(l, 5 Tropfen | 5 ccm ee do. 3 Stdn. 
Proz. 
ohne Call, 5 Tropfen | 5 cem Ka do. 6 Stdn. 


Aus diesem Versuche läßt sich mit aller Sicherheit schließen, 
daß Ca die Gerinnungsgeschwindigkeit noch in einer anderen 
Weise beeinflußt, als lediglich durch Aktivierung von Proferment, 
und daß der Gehalt des Serums an Proferment entweder nur 
äußerst geringfügig, oder, was viel wahrscheinlicher, gleich null ist. 
Durchaus analoge Resultate erhält man, wenn man das zum Serum 
gesetzte Ca nach zweistündiger Einwirkung quantitativ durch 
Oxalatzusatz ausfällt, auch dann beobachtet man keine Ge- 
rinnungsbeschleunigung. 

Und doch behauptete Schmidt, in dem unwirksamen Serum 
Ferment aktivieren zu können. 

Falls es daher wirklich gelingt, aus unwirk- 
samem Serum Thrombin durch irgend welche 
Maßnahmen zu entwickeln, muß man annehmen, 
daß es sich in einer unwirksamen Form im Serum 
findet, die nicht identisch ist mit dem durch Ca 
Zusatz aktivierbaren Prothrombin. 


3. Nachweis eines Profermentes im unwirksamen 
Serum. 

Auf Vorschlag von Herrn Professor Hofmeister prüfte ich 
den Einfluß der allgemeinsten Katalysatoren, der Säuren, auf das 
unwirksame Serum. 

Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß Serum 
mit dem gleichen Volumen "/ıo-Säure versetzt, gemischt und 


re ee 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 399 


nach "/, bis /, Stunde zurücktitriert wurde, wobei sich eine durch 
die Säurewirkung entstandene leichte Eiweißfällung wieder löste. 

Es stellte sich dabei heraus, daß vorher ganz unwirksames 
Serum sich nach dieser Behandlung außerordentlich wirksam 
erwies und eine Fibrinogenlösung in der kürzesten Zeit zum Ge- 
rinnen brachte. 


Versuch: 
Serum, 5 Tage bei Zimmer- | mit Säure FE  Geronnen 
temperatur gehalten vorbehandelt = nach 
20 Tropfen + 10 cem 11/, SC“ 
20 Tropfen | — | 10 ccm ca. 13 St. 


Da bei der Behandlung mit dem gleichen Volumen "/,o Säure 
und nachfolgender Neutralisation das Serum auf das Dreifache ver- 
dünnt wird, muß diese Verdünnung bei Berechnung der Steigerung 
der fermentativen Wirksamkeit mit berücksichtigt werden. 

Neben ”/,o Schwefelsäure, mit der die ersten Versuche an- 
gestellt wurden, prüfte ich noch den Einfluß von Milchsäure, Essig- 
säure, Zitronen- und Oxalsäure, sowie einiger saurer Salze, 
des Monokaliumphosphats und des Kaliumhydrosulfats, weil mir 
diese Reagentien gerade zur Verfügung standen. 

Qualitativ war die Wirkung ın allen Fällen die gleiche; 
quantitativ zeigten sich dagegen Unterschiede, die, soweit aus der 
Gerinnungszeit Schlüsse gezogen werden dürfen, dafür zu sprechen 
schienen, daß die fermentaktivierende Kraft der zugesetzten 
Säuren mit der Dissoziation derselben ungefähr parallel geht. 
Genauere Angaben darüber zu machen, erscheint überflüssig, weil 
die einzige Reaktion auf den Fermentgehalt, die Gerinnung, wie 
schon oft hervorgehoben, keinen genügenden quantitativen Maß- 
stab abgibt. 

Gegen die Annahme, daß es in der Tat die Wirkung des 
H-Ions ist, die dem Serum wieder eine so bedeutende fermentative 
Wirkung verleiht, lassen sich zunächst mancherlei Einwände 
machen. Doch ergibt die Prüfung, daß keiner derselben stich- 
haltig ist. Man überzeugt sich leicht, daß die Verdünnung des 
Serums mit dem doppelten Volumen Wasser oder einem neu- 
tralisierten Gemisch von Schwefelsäure und Natron durchaus 
keinen Erfolg hat. Etwas mehr Berechtigung hat scheinbar der 
Einwand, daß die Gerinnungsbeschleunigung auf der Neutralisierung 
des Serums beruht; denn es ist in der Tat nicht zu leugnen, daß 
durch Zusatz geringer Säuremengen, die eben zur Neutralisierung 
gegen Lackmus ausreichen, auch eine, wenn auch nur geringe 


400 P. Morawitz, 


gerinnungsbeschleunigende, Wirkung zu erzielen ist. Aber erstens 
ist diese Wirkung klein im Vergleich zu der, die man bei einem 
großen Überschuß von H-Ionen erhält, zweitens ist aber auch die 
ehedem verbreitete Anschauung von der alkalischen Reaktion des. 
Serums oder Blutes durch neuere Untersuchungen*) dahin modi- 
fiziert worden, daß wir in dem Blut eine Lösung vor uns haben, 
die zwar gegen Lackmus alkalisch, gegen Phenolphthalein aber 
sauer reagiert. Wir können also nicht mehr von einer Neutra- 
lisation des Blutes, sondern nur noch von einer Vermehrung oder 
Verminderung der Konzentration der H-Ionen sprechen. Daß 
dann aber eine, wenn auch nur mäßige, Vermehrung die Ent- 
stehung des Fermentes im Serum begünstigt, ist ebenso klar, als 
die Tatsache, daß stärkerer Säurezusatz viel größere Effekte erzielt. 

In einigen Fällen wurde dem angesäuerten Serum ein Tropfen 
Phenolphthalein als Indikator bei der nachfolgenden Neutra- 
lisation zugesetzt. Die aktivierende Wirkung der Säure war 
sowohl bei einer eben noch sauren, als bei eben alkalischer 
Reaktion in gleicher Weise nachweisbar. 

Man ist also zu dem Schlusse berechtigt, daß die Bedeutung 
des oben beschriebenen Vorganges, den ich der Kürze halber als 
Aktivieren des Serums bezeichnen will, darin zu suchen ist, 
daß die H-Ionen in dem Serum eine Veränderung be- 
wirken, welche die Bildung des Fermentes aus einer 
unwirksamen Vorstufe, einem Prothrombin, ermöglicht. 

Einen ähnlichen Einfluß wie die Säuren üben auch Alkalien 
aus: Versetzt man unwirksames oder schwach wirksames Serum 
mit dem gleichen Volumen ?"/;o NaOH und neutralisiert nach !/a- 
bis '/,stündiger Einwirkung, so hat die fermentative Kraft des 
Serums in noch weit höherem Maße zugenommen als 
bei einer Aktivierung durch die gleiche Menge "/ıo H, SO.. 

Versuch: 


Serum Be IE Geronnen 
j Aktiviert Fibrinogen Temperatur 
5 Tage alt nach 


10 Tropfen mit Alkali 5 cem | 85° 10 Min. 


— I - — 


10 Tropfen mit Säure 5 cem 35° 1 Std. 20 Mim 


Die Aktivierung durch Alkali ist vom OH-Ion abhängig. 
Daher wirkt natürlich nicht nur NaOH, sondern auch NH;, Na, CO, 
etc. qualitativ gleich, quantitativ verschieden. | 


*) Vgl. z. B. Friedenthal, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1, 1. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 401 


Zwar sind die Wirkungen, die man durch das gleiche Volumen 
ao NaOH erhält, schon sehr bedeutend, jedoch nicht maximal. 
Der gesamte Vorrat an Prothrombin, soweit er durch diese Be- 
handlungsmethode überhaupt wirksam gemacht werden kann, wird 
erst erschöpft, wenn man '", Stunde lang auf je 10 ccm Serum 
2 bis 4 ccm Normalnatronlauge einwirken läßt. In solchen Fällen 
verläuft die Gerinnung selbst bei Zusatz ganz geringer Serum- 
mengen im Brutschrank in wenigen Minuten. Es gelingt auf 
diese Weise, den Wirkungswert abgeschwächter Sera auf das 
20- bis 30fache oder noch mehr zu erhöhen. . 


Schon aus den oben aufgeführten Versuchsanordnungen, speziell 
der Wirkung der Oxal- und Zitronensäure, ergibt sich, daß zur 
Aktivierung unseres Prothrombins Ga-Ionen nicht erforderlich 
sind. Dabei ist zugleich erwiesen, daß es mit dem Prothrombin 
im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht identisch sein kann. 
Außerdem läßt sich natürlich auch zeigen, daß Serum, welches 
mit 0,5 Proz. Ammonoxalat versetzt ist, sich durch NaOH. ebenso 
leicht aktivieren läßt, wie ohne Oxalatzusatz. Auch die vorher- 
gehende Entfernung der Kalziumoxalatfällung durch Zentrifugieren 
ändert an diesem Verhalten nichts. 


Es unterliegt keinem Zweifel, daß unser 
Prothrombin mit dem Proferment Alexander 
ee midis identisch ist, nicht aber mit dem 
durch Ca aktivierbaren Zymogen. Letzteres hat 
Schmidt überhaupt nicht gekannt. Daher stammen 
sein ablehnender Standpunkt gegen die Theorie der Ca-Wirkung 
und die Verwirrung, die durch das Zusammenwerfen dieser beiden 
ganz verschiedenen Begriffe in der Literatur entstanden ist. 


Da die Verschiedenheit der beiden unwirksamen Ferment- 
vorstufen schon durch diese Versuche sichergestellt ist, will ich, 
um weitere Mißverständnisse zu vermeiden, vorläufig nach dem 
Vorschlage Herrn Prof. Hofmeisters das durch Ca aktivierbare 
a-Proferment, das durch Säurealkali aktivierbare $-Pro- 
ferment nennen, womit zunächst nichts über die Natur, 
namentlich über eine etwaige genetische Verwandtschaft, derart 
etwa, daß das ß-Proferment vom a-Proferment abstammte, ausge- 
sagt sein soll. 


4. Eigenschaften und Vorkommen des 
ß-Profermentes. 
Schmidt kannte bereits die Möglichkeit, durch Alkali 


unwirksames Serum zu aktivieren, und stellte sich vor, daß sein 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 26 


402 P. Morawitz, 


Proferment, das f-Proferment also, schon im zirkulierenden Plasma 
vorhanden sei. Nicht bekannt war ihm dagegen die Säure- 
aktivierung, über die sich jedoch auch Andeutungen a.a.O. in der 
Literatur vorfinden. So glaubt Lilienfeld*, das wirksame 
Prinzip der sogen. zymoplastischen Substanzen im sauren Kalium- 
phosphat gefunden zu haben, ferner gibt Schmidt selbst an, 
daß sehr kleine Mengen Essigsäure die Gerinnung beschleunigen, 
ebenso Durchleiten von CO,. Endlich fand ich nach Abschluß 
meiner Versuche eine Notiz von Fuld“*), aus der hervor- 
geht, daß auch ihm bereits die beiden Arten der Aktivierung 
bekannt waren. Auf die theoretische Deutung, die Fuld dem 
Prozeß des Aktivierens gibt, will ich unten mit einigen Worten 
eingehen. 


u Sei euere ee ie Me De ei De ee er 


Zunächst sei bemerkt, daß die Ansicht Schmidts von der 
Präexistenz des ß-Prothrombins im zirkulierenden Blut insofern 
unzutreffend ist, als es nicht gelingt, Oxalat- und Fluoridplasma 
durch die Alkali-Säurewirkung zum Gerinnen zu bringen, selbst 
wenn es vorher durch Dialyse von seinem Salzgehalt nahezu be- 
freit oder nach dem Aktivieren mit Fibrinogenlösung stark ver- 
dünnt wird. 


Demnach ist im Oxalatplasma nur a-, aber kein ß-Proferment 
enthalten. 


Dagegen findet sich f-Proferment in jedem Serum, mag es 
nun ganz frisch oder schon alt und wirkungslos sein. Man muß 
daher annehmen, daß seine Entstehung mit dem Vorgang der 
Gerinnung oder der Bildung des Thrombins aus dem a-Proferment 
in irgend einer Weise zusammenhängt. 


Bevor die Möglichkeiten der Abstammung und Bildung des 
P-Profermentes weiter erörtert werden, seien noch einige An- 
gaben über das f-Proferment selbst gemacht. 


Besonders charakteristisch ist seine große Resistenz gegen 
die schädigenden Einflüsse, die das Verschwinden des fertigen 
Thrombins im Serum veranlassen. Anscheinend nimmt der Ge- 
halt des Serums an ß-Proferment beim Stehen überhaupt nicht 
ab, wenigstens bevor sehr intensive Fäulnis eintritt; denn ganz 
frisches Serum läßt sich durch die gleiche Menge Alkalı unter 
genau denselben Bedingungen nicht stärker aktivieren als fünf Tage 
altes Serum. 


n.rar.0, 
**) Biochem. Centralbl. 1, 4. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 403 
Versuch: 
I. Versuch | IH. Versuch 
Serum Fibrinogen | Temperatur | Geronnen Geronnen 
nach nach 
frisch, nicht h 
; i | Stdn. —. 
aktiviert 5 Tr. is ” alas 
eh, emer do. do 8 Min. 15 Min. 
5 Tr. 
5 Tage alt, nicht er do nach 7 Stdn. j 
aktiviert 5 Tr. ungeronnen 
5 Tage alt, nn ar 
tert & Tr. do. do 10 Min. 12 Min. 


Dabei muß man allerdings bedenken, daß man durch ein- 
malige Einwirkung eines gleichen Volumens ?/;o-Normallauge das 
ß-Proferment nicht vollständig aktiviert. Man kann das auf 
folgende Weise zeigen: Die durch das Aktivieren frei gewordene 
gewaltige Fermentmenge verschwindet schon innerhalb sehr kurzer 
Zeit aus dem Serum. Bereits nach wenigen Stunden ist eine 
Abnahme zu bemerken, nach 24 Stunden bei Zimmertemperatur 
ist das Serum ganz oder nahezu ganz wirkungslos. Versucht man 
solches Serum von neuem zu aktivieren, so gelingt es, falls man 
das Aktivieren mit dem gleichen Volumen "/;o- NaOH vorge- 
nommen hat, noch einmal, nicht aber zum dritten Male. 


Dieser Versuch ist nach zwei Richtungen hin von Bedeutung: 
einmal zeigt er uns, daß das Ferment, welches aus ß-Prothrombin 
gewonnen wurde und das wir als $#-Ferment bezeichnen wollen, 
ungleich viel schneller aus dem Serum verschwindet, als das 
a-Ferment, das bei der normalerı Gerinnung entsteht und, wie 
oben erwähnt, erst in 5 bis 6 Tagen verschwindet, obwohl es, 
der Wirksamkeit nach zu schließen, an Menge sehr hinter dem 
P-Ferment zurücksteht. Dies legt den Gedanken nahe, daß 
a- und ß-Ferment überhaupt nicht miteinander identisch sind. 
Ferner aber lehrt dieser Versuch, daß das Verschwinden des 
P-Fermentes aus aktiviertem Serum nicht als eine Rückbildung 
zu ß-Proferment aufgefaßt werden kann. 


Fuld (a. a. O.) scheint der Ansicht zu sein, daß das ß-Pro- 
ferment eine stabilere Phase des Thrombins sei, in die dasselbe 
bei längerem Stehen des Serums übergeht. Ebenso soll nach ihm 
auch aktiviertes $-Proferment wieder in den stabilen, unwirk- 

26* 


404 P. Morawitz, 


samen Zustand übergehen. Gegen diese recht bestechende An- 
sicht sprechen jedoch einige der oben angeführten Tatsachen: 
I. Läßt sich frisches Serum ebenso gut aktivieren wie altes. 
2, Läßt sich Serum nıcht beliebig oft reaktivieren. 
3, Läßt sich Schmidts Thrombin, wenn einmal unwirksam 
geworden, nicht reaktivieren. 
Immerhin muß zugegeben werden, daß die angeführten Ver- 
suche nieht genügen um Fulds Anschauung ganz zu entkräften, 
Trotz seiner großen Resistenz gegen verschiedene Einflüsse 
ist das A-Proferment thermolabil und wird in gleicher Weise wie 
a-Proferment und 'Thrombin selbst durch "/, stündiges Erwärmen 
auf 60 bis 62° zerstört. Durch Dialyse läßt es sich nicht ent- 
fernen und fällt beim Aussalzen des Serums mit Ammonsulfat 
mit den Globulinen zwischen 30 und 50 Proz. Ammonsulfatsättigung 
aus. Eine genauere "Trennung des T'hrombins und A-Profermentes 
durch Aussalzen mit Ammonsulfat wurde vergebens angestrebt, 
dla das Ferment bei dieser Methode scheinbar stark geschädigt 
wird, und selbst ein geringer Gehalt an Ammonsulfat in der 
Kibrinogenlösung die Gerinnung zu beeinflussen scheint, jedenfalls 
die Sicherheit der Resultate vermindert. Während Alkalizusatz 
die Entstehung von 'T'hrombin aus dem -Proferment ermöglicht, 
zerstört längere Einwirkung des Alkalis das gebildete A-Ferment 
vollständig, falls nicht rechtzeitig neutralisiert wird. Schon drei- 
stündige Einwirkung von "/so NaOH bei 35° genügen, um das 
gebildete Thrombin zu zerstören, so daß das Serum nach Neutra- 
lisierung unwirksam ist. In diesem Falle gelingt es auch nicht, 
das Serum nochmals zu aktivieren. 
In einer Lösung von Schmidtschem 'Thrombin war kein 
ß-Proferment nachweisbar. Diese Erscheinung, die schon Schmidt 
bekannt war, ist um so auffallender, als Schmidts T'hrombin be- 
kanntlich aus durch Alkohol koaguliertem und getrocknetem Seru 
hergestellt wird. Schmidt nahm an, daß bei der Alkohol- 
behandlung das Proferment (= -Proferment) zerstört würde 
Kr mußte diese Annahme machen, weil er glaubte, daß p-Pro- 
(erment im Blute präformiert enthalten sei. Ließ er nun Blut 
direkt aus dem Gefäß in Alkohol laufen, so konnte er nach- 
träglich im Koagulum weder Ferment noch Proferment nach- 
weisen. Da letzteres nach seiner Ansicht vorhanden gewesen 
war, mußte es zerstört worden sein. 
Auch diesen Ausführungen kann ich mich nicht anschließen. 
Denn einmal ist es schon a priori wenig wahrscheinlich, daß 
das Thrombin durch die Alkoholbehandlung weniger angegriffen 


ur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 
Zur |] { ler Vorstuf les Fil f t 


wird als das sonst viel widerstandsfähigere 9-Proferment. Dann 
aber zeigt auch der quantitative Versuch, daß man nicht von einer 
Zerstörung, sondern, wenigstens in dem von mir untersuchten 
Fall, von einer Aktivierung des A-Profermentes durch die Alkohol- 
behandlung reden muß. 

Versuch: 

0,75 8 des trockenen, durch Koagulation von Rinderserum mit Alkohol 
gewonnenen Pulvers werden in 20 cem Kochsalzlösung suspendiert und 
ı, Stunde bei 30° extrahiert. 

0,75 g Eiweiß sind etwa in 10 cem Serum enthalten. Da ich mit 
80 cem Kochsalzlösung extrahiert habe, sollte man erwarten, daß, falls 
die Extraktion vollständig war, die fermentative Wirkung dieses Extraktes 
nur halb so groß sein wird, als die der gleichen Menge [rischen Rinder- 
serums. 

1. 20 Tropfen frischen Rinderserums —- 10 cem Fibrinogen in 
einer Stunde geronnen. 

2. 20 Tropfen des Extraktes -- 10 ecem Fibrinogen in zehn Minuten 
geronnen. 

Man sieht, daß ganz wider Erwarten die Wirkung des Extraktes 
sechsmal (eigentlich zwölfmal) stärker ist als die des frischen Rinder- 
serums. Selbst wenn man große individuelle Abweichungen im 
Fermentgehalt des frischen Serums mit Recht annehmen darf, so 
weisen doch so enorme Differenzen darauf hin, daß durch die 
Alkoholbehandlung -Proferment aktiviert worden ist, also neben 
a- auch 8-Ferment vorhanden ist, falls nicht andere, noch unbe- 
kannte Faktoren mitspielen. In diesem Sinne würde auch der 
Umstand sprechen, daß der Fermentgehalt einer Schmidtschen 
Fermentlösung ungefähr ebenso schnell absinkt, als der des 
aktivierten Serums, also viel schneller als der Gehalt an a«-Ferment 
in gewöhnlichem Serum. 


5. Die Abstammung des $-Profermentes. 

Da sich, wie oben hervorgehoben, im Oxalat- und Fluoridblut 
kein 5-Proferment nachweisen läßt, da es ferner sofort nach der 
Gerinnung im Serum in reichlicher Menge vorhanden ist, kann 
man seine Entstehung wohl mit Sicherheit mit dem Vorgang der 
Gerinnung in Zusammenhang bringen. Bei der normalen Ge- 
rinnung entsteht neben «-Ferment eine große Menge ß-Proferment. 

Es fragt sich, ob dieses A-Proferment 1. durch Ca-Einfluß 
entsteht, ebenso wie das a-lerment, und 2. ob sich dann Anhalts- 
punkte dafür finden lassen, daß es mit dem «a-Proferment in 
irgend einem genetischen Zusammenhange steht, etwa als Ab- 
kömmling des a-Profermentes betrachtet werden kann. 

Die erste Frage ist leicht in bejahendem Sinne zu beant- 
worten: fügt man zu verdünntem Oxalatblut eine hinreichende 


406 P. Morawitz, 


Menge von Schmidtschem Ferment, das 0,1 Proz. Ammon- 
oxalat enthält, so erfolgt natürlich Gerinnung ohne Mitwirkung 
von Ca-Ionen. Das auf diese Weise gewonnene Serum erweist 
sich als unwirksam, worüber man sich nicht wundern darf, da 
einmal bei dieser Art der Koagulation aus dem im Oxalatplasma 
vorhandenen a-Proferment wegen der Abwesenheit der Kalksalze 
sich kein Ferment bilden kann, und weiterhin das zugesetzte 
Schmidtsche Ferment sehr stark verdünnt ist, ferner aber auch, 
namentlich bei Brutschranktemperatur, sehr schnell an Wirkungs- 
wert einbüßt, endlich zum Teil dem entfernten Fibrin anhaftet. 
Das so gewonnene unwirksame Serum “enthält nun kein 
aktivierbares ß-Proferment, womit gezeigt ist, daß die Bildung 
des ß-Profermentes nicht unbedingt mit dem Vorgang der Ge- 
rinnung zusammenhängt, sondern vielleicht auch von der Gegen- 
wart der Kalksalze har ist. 

Auf Grund dieses Versuches können wir uns die Forstelhud bilden, 
daß bei der Gerinnung normalerweise unter dem Einfluß der Ca- Ionen 
ebenso wie aus a-Proferment das a-Ferment, so aus irgend einer unbe- 
kannten Vorstufe x 8-Proferment abgespalten wird. 

Cal 
a-Proferment Test 


Alkalien oder Säuren 
a-Ferment B-Froferment <— | (Alkohol, zymoplastische Sub- 
| stanzen ?) - 


-B-Ferment. 

Diese Vorstellung greift den Tatsachen nicht vor, befriedigt aber 
insofern weniger, als man eine doppelte Wirkung des Ca, ferner zwei 
verschiedene Fermentvorstufen annehmen muß. 

Viel einfacher würde sich das Schema gestalten, wenn es gelänge, 
einen genetischen Zusammenhang zwischen «a- und B-Proferment zu finden. 
Ein sicherer Beweis läßt sich vorerst dafür nicht geben, wohl aber ist 
die Wahrscheinlichkeit sehr groß. Denn beides sind Thrombine, die in 
gleicher Weise wirken, beide sind thermolabil. Am sichersten würde 
für die Identität die Übereinstimmung des Zeit- und Verdünnungsge- 
setzes sprechen; doch scheitert ein derartiger Versuch leider an den in 
der Einleitung berührten Schwierigkeiten. Dagegen gelingt es, auf 
anderem Wege eine weitere Stütze für die Identität des a- und B-Fermentes 
beizubringen, da sich nämlich zeigen läßt, daß beide durch gerinnungs- 
hemmende Körper, die man als Antithrombine bezeichnen kann, in der 
gleichen Weise in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden. 

IV 
Nachweis eines Antithrombins. 

Bisher war nicht versucht worden, eine nähere Vorstellung 
über das Wesen der Alkali-Säureaktivierung zu entwickeln. Wenn 
man auch über den zugrunde liegenden Vorgang die ver 
schiedensten Anschauungen haben kann, so lag doch die Vor- 
stellung, daß dabei die Wirkung eines die Fermentwirkung 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 407 


hemmenden Antikörpers aufgehoben werde, besonders nahe, eine 
Vorstellung, für die übrigens die weitere Untersuchung keine An- 
haltspunkte beibringen konnte. 

Für eine solche Vorstellung sprachen die Angaben über Anti- 
thrombine verschiedener Art, die sich in letzter Zeit häufen. 
Daß in der Tat der tierische Organismus spezifische gerinnungs- 
hemmende Substanzen erzeugen kann, darf als sichergestellt an- 
gesehen werden. Dafür sprechen die sehr zahlreichen Be- 
obachtungen einer verminderten Gerinnbarkeit nach Injektionen 
von Thrombin oder Gewebsfibrinogen, wobei der positiven Phase 
stets eine negative folgt“). Noch greifbarer und sicherer treten 
uns Antithrombine, welche die Eigentümlichkeit zeigen, hitze- 
beständig zu sein, im Pepton- und Blutegelextraktplasma ent- 
gegen**). Endlich ist es in neuester Zeit Bordet und Gengou*®“*) 
sowie Camus?7) gelungen, durch Vorbehandlung von Meer- 
schweinchen mit Kaninchenserum spezifische Antithrombine gegen 
Kaninchenferment zu erzeugen. 

Jedoch lagen noch keine Beobachtungen vor, die auch im 
normalen Blut oder Serum die Anwesenheit eines Antithrombins 
bewiesen hätten. Zwar hatte schon Alexander Schmidt die 
Notwendigkeit eines gerinnungshemmenden Körpers für die Eır- 
haltung des flüssigen Zustands des Blutes erkannt, eines Körpers, 
der imstande wäre, geringe Mengen von 'Thrombin zu neutra’ 
lisieren. Doch hat weder Schmidts Cytoglobin nach Lilien- 
feldsrr) Histon in dieser Richtung Anerkennung gefunden. Was 
endlich das neuerdings von ConradiTry) bei der Autolyse der 
Leber gefundene Antithrombin anlangt, so gibt dieser Autor selbst 
zu, dasselbe im Blute nicht gefunden zu haben. 

Dagegen finden sich andere Angaben, die für eine gerinnungs- 
Be nende Wirkung des Blutes zu De scheinen. Schmidt*yr) 


*) Jakowicky, Zur physiologischen Wirkung der Bluttransfusion. 
I.-D. Dorpat 1875. — Köhler, Über Thrombose und Transfusion etc. I. nr 
Dorpat 1877. — Edelbe rg, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 12, 28 
— v. Rennenkampf, Über die in Folge intravasc. Injektion von A 
globin auftretenden Blutveränderungen. I.-D. Dorpat 1891. — Groth, 
Über die Schicksale der farblosen "Elemente im kreisenden Blute. 1.-D. 
Dorpat 1884. — Wooldridge,a.a. O. 

*) Delezenne, Travaux du Laboratoire de physiol. Montpellier. 
1898. 213 u. 284. 

***) Ann. de l’Inst. Pasteur 15, 129 (1901). 

7) ©. R. de l’Acad. des Sciences 1901. 

Tr) a. a. O. 
irr) Diese Beiträge 1, 136. 
*7) Pflügers Arch. 6, 451. 


408 P. Morawitz, 


fand, daß manche Transsudate, trotzdem sie Fibrinogen enthalten, 
auf Zusatz von Ferment nur sehr unvollkommen oder gar nicht 
gerinnen, eine Beobachtung, die Schmidt auf das Fehlen der 
fibrinoplastischen Substanz zurückführt. Ähnliche Erfahrungen 
machte Hammarsten*) an Hydrokeleflüssigkeiten, die auf Zu- 
satz von Ferment nicht gerannen, während das aus solcher 
Flüssigkeit hergestellte Fibrinogen sehr schnell zum Gerinnen 
gebracht wird. Wichtiger noch sind einige Bemerkungen 
Hammarstens“*) über die Gerinnung des Oxalatplasmas auf 
Fermentzusatz. Er fand nämlich, daß 0,3proz. Oxalatplasma auf 
Zusatz geringer Fermentmengen tagelang flüssig bleiben kann, 
während stärker wirksames Thrombin es in kurzer Zeit zur 
Koagulation bringt. Hammarsten bezieht dieses Verhalten auf 
den Oxalatgehalt des Plasmas. Jedoch scheint eine derartige 
Auffassung nicht ganz einwandsfrei, da man sich schlecht vor- 
stellen kann, warum der ÖOxalatgehalt geringe Fermentmengen 
gar nicht zur Wirkung gelangen läßt, während größere trotz des 
hindernden Salzgehaltes sehr prompte Koagulation hervorrufen, 
wovon man sich leicht überzeugen kann. Endlich sei hier noch 
eine Bemerkung desselben Autors angeführt. Hammarsten 
(a. a. OÖ.) sagt nämlich, daß er bei Gerinnungsversuchen mit 
O,1proz. Oxalatplasma bald eine Verzögerung gegenüber einer 
Fibrinogenlösung gesehen habe, bald aber gar keine hemmende 
Wirkung des Oxalatgehaltes. 

Diese Bemerkungen wiesen darauf hin, den gerinnungs- 
hemmenden Körper zunächst im Oxalatplasma zu suchen. 


1. Nachweis eines gerfinnungshemmenden Körpers im 
Oxalatplasma. 

Die Schwergerinnbarkeit des Oxalatblutes wurde bisher immer 
auf dessen Oxalatgehalt bezogen, und es kann in der Tat keinem 
Zweifel unterliegen, daß ein Oxalatgehalt von 0,4 bis 0,5 Proz. die 
Gerinnung ganz wesentlich verzögern kann. 

Auch in verdünntem Oxalatplasma, das nur 0,1 Proz. Ammon- 
oxalat enthält, beobachtet man fast regelmäßig eine Hemmung 
des Gerinnungsvorganges. Es fragt sich, ob diese Erscheinung 
ebenfalls ausschließlich oder doch wenigstens vorwiegend vom 
Salzgehalt abhängig ist. 

Zur Entscheidung der Frage wurden sehr zahlreiche Versuche 
angestellt, die stets das gleiche Resultat ergaben. Es mag daher, 
genügen, ein Experiment mitzuteilen. 


*) Pflüg. Arch. 19, 603. 
**) Zeitschr. f. physiol. Chemie 22, 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 409 


Versuch: 
Serum, Frisches Ammon- BINr Oxalatkon- Zeitpunkt der 
niert Oxalat- oxalat- Fibrinogen ERBEN: Temp. kn 
BRBVIeL plasma lösung N = 
BER nach 9 Stdn. 
1 >LWa e 
10 Tropf.| 5 ccm _ 15 ccm arm 20° | nicht ge- 
sta a | ronnen 
5 cem etwa 
do. u do. do. 1'/, Stdn. 
0,5 Proz. 0,125 Proz. la 
5 cem etwa 
do. _ do. do. 1!/, Stän. 
2.13 Proz: 0,19 Proz. Ih 
5 cem etwa 
do. — do. do. 1!/, Stdn. 
1 Proz. | 0,25 Proz. E 


Es zeigt dieser Versuch, daß die gerinnungshemmende Wirkung 
frischen Oxalatplasmas weder ausschließlich, noch auch zum 
größten Teil auf dessen Oxalatgehalt zurückgeführt werden kann. 
Es fragt sich, ob man es mit einer spezifischen Hemmungswirkung 
im Sinne eines Antikörpers oder mit irgend welchen auf physi- 
kalische Weise gerinnungshemmend wirkenden Faktoren zu tun 
hat. Dabei wäre z. B. an eine Kolloidwirkung zu denken, da 
man schon seit Johannes Müller weiß, daß Kolloide die 
Gerinnung verzögern können. Nun ist es schon von vornherein 
sehr unwahrscheinlich, daß Blutplasma, eine Flüssigkeit, die 
normalerweise gerinnt, bei einer Verdünnung auf das Vierfache 
durch seinen Kolloidgehalt die Gerinnung verzögern oder auf- 
heben sollte. Durch weitere Versuche kann auch dieser Einwand 
ausgeschlossen werden. 

Die geriunungshemmende Wirkung des Oxalatplasmas scheint 
nämlich im frischen Plasma am stärksten zu sein und beim Stehen 
allmählich abzunehmen. Alle die Faktoren, die, wie oben ausge- 
führt, das Unwirksamwerden des Fermentes im Serum veran- 
lassen, wirken auch hier in dem gleichen Sinne. Je länger 
Öxalatplasma, namentlich bei etwas höherer Temperatur aufbe- 
walhrt wird, durch um so kleinere Fermentmengen läßt es sich 
zur Gerinnung bringen. 


Serum, frisch PRBlaC: Fibrinogen Temperatur Geronnen 
plasma nach 
10 Tropfen 5 cem | i EN 
nicht aktiv | 5 Tage alt BR, FOR 35 3 St. 40 Min. 
do. 5 cem frisch 15 ccm do. nach 24 Std. 
ungeronnen 
Be er 20 ccm do. ı St. 15 Min. 


410 P. Morawitz, 


Da nicht anzunehmen ist, daß die physikalischen Bedingungen 
im Plasma, die imstande sind, die Gerinnung zu verzögern, sich 
in einer so kurzen Zeit in dieser Weise verändern, muß man in 
erster Linie an eine spezifische Hemmungswirkung denken. 

Daneben habe ich noch einige Versuche mit Kolloiden an- 
gestellt, um zu sehen, ob dieselben in einer Konzentration, wie 
sie im Plasma vorhanden ist, die Gerinnung wesentlich verzögern 
können. Geprüft wurden Eierklar, Milch*, Dextrin und käuf- 
liches Eialbumin. In keinem Falle war eine bemerkbare Ver- 
zögerung der Gerinnung nachweisbar. 

Um entscheiden zu können, ob diese Hemmungswirkung als 
Wirkung eines Antıthrombins aufzufassen ist, mußte untersucht 
werden, ob gleiche Mengen des Antikörpers stets gleiche Mengen 
Ferment neutralisieren können, ob also hier einfache Pro- 
portionalität besteht. Das ist in der Tat der Fall, soweit sich bei 
der unvollkommenen Methodik Schlüsse ziehen lassen. 

Versuch!: 


| Serum, m ‚A : A 
Oxalatplasma, uch Sich. Kochsalzlösung steh. len Zeitpunkt der 
3 Tage alt ls iort 0,9 Proz. | Gerinnung 
r etwa nach 36 Stdn. 
5 cem 1 Tropfen 5 cem 35° 
0,15 Proz. ungeronnen 
do. 2 ; do. do. do. do. 
do. 5 I do. do. do. 15 Stdn. 
do. 10 do. do. 1. U0. 15 Stdn. 
” 
Versuch 2: 
Oxalatplasma, , 4 a ne Oxalat- Zeitpunkt der 
3 Tage alt ka a Make ae > konzentration zur Gerinnung 
etwa ungeronnen 
5 cem Tropfen 10 ccm 35 1% 
Ne. 0,1 Proz. n. 60 Stdn. 
etwa ungeronnen 
0. 2 e do. do. 5 
e 0:1 Proz, n. 60 Stdn. 
n. 12 Stdn. 
do. 5 r = | Ehen do. | partielle Ge- 
; rinnung 
u n. 12 Stdn. z. 
do. 10 _ do. |größten Teil 
e 0,3 Proz = 
“ geronnen **) 


*) Qamus, Ü. R. Soc. de Biol. 53, 843. 

**) Diese partiellen, nur langsam fortschreitenden Gerinnungen haben 
eine schleimige Beschaffenheit, was schon von Hammarsten auf die 
(egenwart von Oxalaten bezogen worden ist. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 411 


Während diese mit älterem Oxalatplasma ausgeführten Ver- 
suche nur eine relativ schwache Antiwirkung erkennen lassen, 
ändert sich das Verhältnis sofort bei Verwendung frischen Oxalat- 
plasmas. 


| Zeitpunkt der | Dauer des 


Oxalatplasma, ® NE OR = | 
frisch Serum, frisch Fibrinogen Temp. ee En 
Dr ERBE BL NE EEE NENSEDSEEHRE BIEREVEI RG UNER-SESEAEISEN HE WELAEL VERBBREERL ORG, 
nach 40 Stdn. 
5 cem 5 Tropfen 10 cem 35° nicht 
| geronnen 
do. 10 5 | do. do. do. 
do. 15 4 do. do. | do. 40 Stdn. 
A nach 40 Stdn. 
do. 20 = do. do. 
geronnen 
| nach 20 Stdn. 
do. 30 N do. do. 
| | geronnen 


Aus zahlreichen Versuchen, die mit frischem Oxalatplasma 
und frischem oder aktiviertem Serum angestellt wurden, ergab 
sich, daß Oxalatplasma im günstigsten Falle etwa '/, bis °/, seines 
Volumens an frischem, inaktivem, kalkfreiem Serum zu neutrali- 
sieren vermag, d. h. die Gerinnung innerhalb zwölf Stunden bei 35° 
verhindern kann. 


Daraus darf mit gewissen Einschränkungen der Schluß ge- 
zogen werden, daß der Antikörper einen relativ großen Prozent- 
satz des bei der Gerinnung entstehenden Thrombins zu neutrali- 
sieren vermag. 


Da der Antikörper allmählich unwirksam wird, könnte man 
erwarten, daß dabei diese gebundene Fermentmenge wieder frei 
und im Serum nachweisbar wird. Auch dafür haben wir Anhalts- 
punkte in dem verschiedenen Verhalten, das a- und f-Ferment 
schädigenden äußeren Einflüssen gegenüber zeigen. a-Ferment 
wird, wie oben gezeigt wurde, viel langsamer unwirksam als 
ß-Ferment oder Schmidts Thrombin, woraus auf eine Ver- 
schiedenheit der Fermente geschlossen werden könnte. 


Nun läßt sich aber mit Hilfe der Antikörperversuche recht 
wahrscheinlich machen, daß a- und f-Ferment identisch sind. 
Denn der Antikörper wirkt in gleicher Weise auf a- und p-Fer- 
ment ein. (Siehe Versuch auf folgender Seite.) 

Bei diesem Versuch war die Fermentmenge im frischen 
Serum größer als im 20fach verdünnten aktivierten Serum. Dem- 
entsprechend gerann sowohl die mit Oxalatplasma, als auch die 


412 P. Morawitz, 


mit einer Fibrinogenlösung beschickte Probe früher als die ent- 
sprechenden Proben mit aktiviertem Serum. 

Daraus darf geschlossen werden, daß der Antikörper in der 
gleichen Weise auf a- und f-Ferment wirkt. Die Spezifizität der 
Antikörperwirkung legt dann die Möglichkeit nahe, daß «a- und 
P-Ferment, die sich ja auch in ihrem Verhalten und ihrer Wirkung 
nicht unterscheiden, identisch sein können. 


Versuch: 


Menge des 
Serums 


Geronnen 
nach 


Oxalatplasma | Serum, frisch Fibrinogen Temp. 


ktiv, 20 fac 
5 cem B RL lie 10 Tropfen 10 ccm 35° etwa 91/, St. 
verdünnt 


e- do. do. 15 cem do. 1 St. 55 M. 

5 cem mer BERN, do. 10 cem do. 5 St. 20 M. 
unverdünnt | 

au do. | do. 15 cem do. 1 St. 10M. 


| 

Wenn nun B-Ferment unter den gleichen Bedingungen schneller aus 
dem Serum verschwindet als a-Ferment, so könnte man sich darüber 
etwa die Vorstellung bilden, daß a-Ferment im Serum zum Teil in Form 
eines widerstandsfähigen, unwirksamen Thrombin-Antithrombinkomplexes 
vorhanden sei und durch Zerfall des Antikörpers langsam aus dieser 
Form in Freiheit gesetzt werde. -Die freien a-Fermentmoleküle gingen 
dann ebenso schnell zugrunde wie das ß-Ferment. Die freien Fer- 
mentmoleküle wären dann also sehr kurzlebig. In diesem Sinne wäre 
auch z. B. vielleicht der Umstand zu deuten, daß der Gehalt des Serums 
an a-Ferment zunächst rapid, dann nur langsam absinkt. Ist der 
Antikörper ganz zugrunde gegangen, so wird das Serum bald völlig 
unwirksam werden, da das freigewordene Ferment sich nur kurze Zeit 
wirksam hält. Dieses unwirksame Serum enthält aber noch große Mengen 
3-Proferment. Daher darf man nicht annehmen, daß 3-Proferment eben- 
falls nur aus dem Komplex Antikörper und Ferment besteht, wogegen 
auch schon die relativ geringe Menge des Antikörpers im frischen Oxalat- 
plasma spricht. Im andern Falle müßte dasselbe annähernd die gleiche 
Menge maximal aktivierten Oxalatplasmas neutralisieren können, was 
auch nicht im entferntesten zutrifft. 

Über die Natur des 8-Profermentes gibt der Nachweis des Anti- 
körpers keinen Aufschluß. Vielleicht sind Thrombin und $-Proferment 
nicht chemisch, sondern nur physikalisch-chemisch different, wie Fuld 
bereits vermutet. Nur insofern kann ich der Fuldschen Auffassung 
nicht beistimmen, als sich aus meinen Versuchen kein Anhaltspunkt 
dafür ergab, daß ö-Ferment oder a-Ferment wieder in -Proferment über- 
gehen kann. Mir scheint vielmehr das freie Ferment definitiv unwirk- 
sam zu werden. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 413 

Die Identität des a- und ß-Ferments und der genetische Zusammen- 
hang zwischen a- und P-Proferment können zwar durch die vorher- 
gehenden Versuche keineswegs als erwiesen angesehen werden, gewinnen 
aber doch an Wahrscheinlichkeit. 

Graphisch würde man die bei der Gerinnung auftretenden Ver- 
änderungen in diesem Sinne etwa folgendermaßen ausdrücken können, 
indem man durch Hinzufügung der Prozentzahlen ungefähr das Mengen- 
verhältnis ausdrückt, in dem die einzelnen Bestandteile zueinander stehen. 

a-Proferment 100 Proz. <— (Ca 
Antithrombin 


| 
| 
| 
| 


I 


[ Alkalien, Säuren, 


Perment 5 Proz. 
| Alkohol 


ß-Proferment <— 
etwa 95 Proz. 
‚u S 

(Antithrombin + Ferment) 
etwa 2,5 Proz. 


n N 
Freies FR 


Ferment 2,5 Proz. Ferment. 


2, Charakterisierung des Antithrombins und Nachweis 
desselben im Fluoridblut und im Serum. 

Das im Oxalatplasma gefundene Antithrombin zeigt im wesent- 
lichen die Eigenschaften des von Bordet hergestellten Antı- 
körpers, nicht aber die der Antikörper im Pepton- und Blut- 
egelplasma. 

a) Dialyse. Nach 24stündiger Dialyse im Pergamentschlauch 
ist die Antiwirkung deutlich erkennbar, wenn man das ausge- 
fallene Globulin wieder durch Salzzusatz auflöst. Das Fibrinogen 
ist dabei zum großen Teil unlöslich geworden. Der Versuch 
zeigt, daß der Antikörper nicht mit dem Fibrinogen ausfällt. 

b) Hitzebeständigkeit. Der Antikörper wird durch viertel- 
stündiges Erwärmen auf 60° in seiner Wirkung geschädigt. Dieser 
Versuch ist an Plasma zu machen, das durch Dialyse von seinem 
Fibrinogengehalt möglichst befreit ist, da das Fibrinogen schon 
bei 56° koaguliert. 

c) Verhalten gegen Alkalien und Säuren. Alkalien 
und Säuren, die genau in der gleichen Weise wie beim Aktivieren 
des Serums angewandt wurden, schädigen ebenfalls den Antikörper. 


Versuch: 
Oxalatplasma, Zu mit 0,9 NaCl. Serum, Geronnen 
frisch or Lös. verdünnt aktiviertes nach 
5 cem mit Na0OH — 10 Tropfen 2 St. 
do. mit H,SO, _- do. 2 St. 
auf das nach 7 S 
do. — do. ei \e 
3fache noch flüssig 


414 P. Morawitz, 


In den aktivierten Proben trat anfangs eine flockige Aus- 
scheidung des Fibrinogens und dann erst typische Gerinnung auf. 
Offenbar wird auch das Fibrinogen durch diese Behandlungs- 
methode verändert. Ohne Fermentzusatz erhält man keine flockige 
Ausscheidung im aktivierten Plasma. 


Bisher wurde das Antithrombin nur im Oxalatplasma ge- 
funden. Da das Oxalatplasma «a-Proferment enthält, wäre die 
Annahme möglich, daß der Antikörper zugleich mit dem Pro- 
ferment gebildet wird, bzw. in das Plasma übertritt und für die 
Erhaltung des flüssigen Zustandes des Blutes in vivo ohne Bedeutung 
ist. Man wird daher suchen müssen, den Antikörper in einem 
Plasma nachzuweisen, das von a-Proferment frei ist. Ein solches 
Plasma bietet sich uns in dem Fluoridplasma nach Arthus*), 
das im Gegensatz zum Oxalatplasma auf Ca-Zusatz nicht gerinnt. 
In der Tat zeigte das Fluoridplasma vom Hunde ‘regelmäßig ge- 
rinnungshemmende Eigenschaften: Setzt man Hundeserum zum 
Fluoridplasma, so tritt meist sehr bald eine flockige Fällung auf, 
die je nach der Menge des zugesetzten Serums verschieden 
reichlich ist. Diese Gerinnungen bleiben vollkommen stationär, 
selbst wenn man die Proben 24 Stunden bei 35° hält. Erst Zu- 
satz stark wirksamen Ferments führt dann in kurzer Zeit die Ge- 
rinnung herbei. Daß auch bei diesen Versuchen natürlich Kontroll- 
proben mit fluorhaltiger Fibrinogenlösung ausgeführt wurden, die 
sämtlich prompt gerannen, braucht kaum erwähnt zu werden. 
Möglicherweise ist die Beobachtung von Arthus, daß geringe 
Serummengen im Fluoridplasma umschriebene, stationäre Ge- 
rinnungen erzeugen, mit dem eben erwähnten Befund in Zusammen- 
hang zu bringen. Auch das Peptonplasma, das bekanntlich ein 
Antithrombin enthält, neigt außerordentlich zu partiellen Ge- 
rinnungen. 


Man kann sich vorstellen, daß das Ferment, solange es durch 
den Antikörper noch nicht unwirksam gemacht worden ist, eine par- 
tielle Gerinnung hervorrufen kann. Warum diese Erscheinung im 
Oxalatplasma nicht zu bemerken ist, kann man nicht sicher sagen. 
Vielleicht spielt hierbei der Oxalatgehalt eine Rolle, da ich das un- 
verdünnte 0,3 bis 0,4 proz. Oxalatplasma stets eine halbe Stunde der 
Einwirkung des Serums aussetzte, bevor dasselbe durch Zusatz von 
Fibrinogen verdünnt wurde. Das Natriumfluorid verzögert in einer Kon- 
zentration von 0,3 Proz. die Gerinnung überhaupt nicht merklich. 


Diese Versucheam Fluoridplasma weisen mit Wahr- 
scheinlichkeit auf die Präexistenz eines gerinnungs- 


- 


ae Re Te © 7 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 415 


hemmenden Körpers im zirkulierenden Blute hin und 
damit zugleich auf seine Bedeutung für den flüssıgen 
Zustand desselben. 


Daneben boten mir Versuche am Fluorplasma des Pferdes 
Gelegenheit, eine andre Eigenschaft des Antikörpers festzustellen, 
nämlich seine Fällbarkeit mit den Globulinen. Bei einem Ver- 
such aus Fluoridplasma, das auf Ca-Zusatz nicht gerann, mit Hilfe 
der Salzfällungsmethode Fibrinogen herzustellen, zeigte es sich, 
daß zwar die durch Ganzsättigung mit Kochsalz erhaltene Fällung 
mit Ca keine Koagulation gab, wohl aber die durch Halbsättigung 
erhaltene Fällung, die außer dem Fibrinogen keine Globuline 
mehr enthielt. Es scheint, daß hier die Anwesenheit der Globu- 
line hemmend gewirkt hat, wodurch sich diese Beobachtung den 
im technischen Teil erwähnten gelegentlichen Gerinnungen in 
Fibrinogenlösungen anreiht. 

Auffallenderweise kommt nun auch dem Serum eine ge- 
rinnungshemmende Kraft zu. Versetzt man aktiviertes Serum 
mit nicht aktiviertem, frischem und gut wirksamem Serum, so 
wird die Gerinnungszeit gegenüber aktiviertem Serum allein ganz 
wesentlich verlängert. 


Wersiwch: 
Serum, AR Serum, |o,8 Proz. Einwirkungs- | Dann Geronnen | 
aktiv. (frisch, inakt| NaCl dauer Fibrinogen nach 
10 Tropfen 1 ccm —_ ı/, Std. 10 cem. 3—4 Std. 
10 Tropfen _ | 1 ccm do. do. 15 Min. 


Diese Verzögerung ist zwar, soweit ich gesehen habe, nie so 
stark wie die durch Zusatz von Plasma hervorgerufene, sie ist 
aber in allen Fällen deutlich vorhanden. 

Eine Erklärung dieser scheinbar so paradoxen Erscheinung ist nicht 
leicht zu geben. Wir setzen zu einer geringen Menge starker Ferment- 
lösung (aktiviertes Serum) eine gewisse Menge Ferment (nichtaktiviertes 
Serum) hinzu. Statt der erwarteten Gerinnungsbeschleunigung beobachten 
wir regelmäßig eine ganz wesentliche Verzögerung des Gerinnungs- 
vorganges. 

Man konnte zunächst versucht sein, diese Erscheinung auf physi- 
kalische Momente, wie Kolloid- oder Alkaliwirkung des zugesetzten Serums, 
zu beziehen, doch finden sich dafür absolut keine Anhaltspunkte. Eben- 
sowenig kann man annehmen, daß der im Serum angenommene Komplex 
Thrombin-Antithrombin hierbei der wirksame Faktor sei. Denn da im 
unaktivierten Serum das Antithrombin vollständig gesättigt sein müßte, 
da ja freies Ferment vorhanden ist, kann man, sofern man die Vor- 
stellungen Ehrlichs über das Verhältnis von Antitoxin und Toxin auf 


416 P. Morawitz, 


unseren Fall übertragen will, keinen Grund für eine Abschwächung der 
Wirksamkeit des aktivierten Serums finden. 

Eine gewisse Analogie in der oben beschriebenen Erscheinung bieten 
einige Tatsachen, die ganz kürzlich von Gruber*) sehr energisch her- 
vorgehoben und zu einem Angriff gegen Ehrlichs Auffassung benutzt 
worden sind: fügt man nämlich zu einem neutralisierten Gemisch von 
Toxin-Antitoxin neues Toxin hinzu, so wird dessen Wirkung abgeschwächt. 
Diese Erscheinung kann für den vorliegenden Fall und seine theoretische 
Deutung wichtig sein, besonders da oben versucht worden ist, zu zeigen, 
daß man inaktives Serum bis zu einem gewissen Grade als Ferment- 
Antifermentgemisch auffassen kann, da die Menge des freien Fermentes 
sehr geringfügig ist. 

Mag es nun auch verfrüht sein, die Erklärung Grubers auf diesen 
Fall zu übertragen, so ist jedenfalls soviel sicher, daß durch Hinzufügen 
von Serum zu aktiviertem Serum sich ein neuer Gleichgewichtszustand 
herstellt, der zu einer Verminderung der freien Fermentmoleküle führt. 

Daß in der Tat dem Antikörper eine gewisse Rolle bei diesen Vor- 
gängen zuzufallen scheint, macht die Abschwächung der gerinnungs- 
hemmenden Kraft des Serums durch Erhitzen oder längeres Stehen 
wahrscheinlich. 

Altes und erhitztes Serum wirken, trotzdem sie wenig oder 
kein «a-Ferment enthalten, schwächer hemmend auf aktiviertes 
Serum als frisches Serum. Zweiin diesem Sinne angestellte Ver- 


suchsreihen ergaben durchaus gleiche Resultate. 
Versuch: 


(seronnen 
nach 


Serum, aktiv. Fibrinogen 


5 cem Kochsalz- 


10 Tropfen * 15 ccm 85° 20 Min. 
lösung 
EN 5 cem Serum, Kr Me 91, St 
[risch, nicht aktiv. 2a gr 
5 ccm Serum, Y/, St. 

: lo. lo. 4 
en auf 60° erhitzt i ; WR Fe 
do. vn he mg; ; do. do. etwa 1 St. 

dann erhitzt 
3G erum 
do.. DON HBOFUEN do. do. etwa 1 St. 


5 Tage alt 


T, 
Vergleich der gefundenen Resultate mit Schmidts Gerinnungstheorie. 
Die mitgeteilten Tatsachen reichen allerdings nicht hin, eine 
neue Gerinnungstheorie aufzustellen, sie scheinen aber doch ge- 


*) Gruber und von Pirquet, Münch. med. Wochenschr. 1903. 
No. 28 und 29. : 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 417 


eignet zu sein, auf einzelne Punkte ein klareres Licht zu werfen 
und manche Mißverständnisse zu beseitigen. 


Die Beobachtungen Alexander Schmidts konnten so 
häufig bestätigt werden, daß sich der Gedanke aufdrängt, ob nicht 
Schmidts Gerinnungstheorie, besonders die Lehre von den zymo- 
plastischen Substanzen, wie sie in der Einleitung kurz skizziert 
wurde, doch mehr Berechtigung hat, als man bisher anzunehmen 
geneigt war, und nur deswegen verlassen wurde, weil Schmidt 
dem Ca gar keine Rolle bei der Bildung des Fermentes zuer- 
kennen wollte. . 


Falls man annimmt, daß dem Organismus gar kein Mittel 
zu Gebote steht, 5-Proferment ın /-Ferment überzuführen, so ist 
eine Bedeutung des in so großen Mengen vorhandenen P-Profer- 
mentes für die Gerinnung nicht zu ersehen, f-Proferment wäre 
dann ein Reservestoff für Thrombin, der nie in Aktion treten 
könnte. 


Das war schon Alexander Schmidt, der ja bereits die 
Aktivierung durch Alkalı kannte, aufgefallen, und teilweise mag 
er diesem Gedanken gefolgt sein, als er annahm, daß die 
Alkalien nur dadurch wirksam sind, daß sie die Einwirkung der 
zymoplastischen Substanzen auf das f-Proferment begünstigen. 
Fehlen zymoplastische Substanzen, so ist auch Alkalieinwirkung 
ohne Einfluß. 


Wenn man die Gerinnung von der Einwirkung zweier ver- 
schiedener Faktoren, des 5-Prothrombins und der zymoplastischen 
Substanzen aufeinander oder der gleichzeitigen Einwirkung der- 
selben auf das Fibrinogen abhängig macht, werden die Ver- 
hältnisse im einzelnen Falle sehr undurchsichtig und verwickelt. 
Deswegen habe ich vorerst die von Schmidt angenommene 
Bildung von Thrombin aus f-Proferment unter Einwirkung 
zymoplastischer Substanzen außer acht gelassen. 


Nun ist aber nicht zu leugnen, daß neben den Beobachtungen 
Schmidts auch die zahlreicher neuerer Autoren mit großer 
Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von Substanzen sprechen, 
die die Blutgerinnung auslösen oder beschleunigen (W ooldridges*) 
Gewebsfibrinogene). 


Dabei muß freilich bemerkt werden, daß die Resultate ver- 
schiedener Untersucher sich bisher miteinander nicht völlig ın 
Einklang bringen lassen: nach Foä und Pellacani*), 

2.2.0. 

**) Archiv. p. le Scienze med. 7, 113. 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 27 


418 P. Morawitz, 


Rauschenbach* und Huiskamp“*) kann man aus den 
verschiedensten Geweben, besonders aus nukleinreichen, Fibrin- 
ferment bzw. a-Proferment durch Wasserextraktion gewinnen. 
Nach Schmidt enthalten die Gewebe, wenn ich recht ver- 
standen habe, kein Fibrinferment, sondern alkohollösliche, ge- 
rinnungsbefördernde und alkoholunlösliche, gerinnungshemmende 
Substanzen. Conradi (a. a. O.) konnte aus Lymphdrüsenpreß- 
säften gerinnungsbeschleunigende, durch Wasserextraktion er- 
hältliche Substanzen, deren Wirkung durch Zusatz von Ammon- 
oxalat aufgehoben wurde, gewinnen. Endlich hat in neuester Zeit 
Hewlett“**) durch Extraktion von Leberbrei mit Wasser eine 
ferment- und profermentfreie Flüssigkeit erhalten, die Peptonblut 
in ausgezeichneter Weise zur Gerinnung brachte und die Ge- 
rinnung des Gesamtblutes beförderte. 


Die Existenz des -Profermentes würde in diesen Fällen die 
beschleunigende Wirkung der Extrakte zu erklären vermögen, 
falls es gelänge, eine Aktivierung desselben durch diese Sub- 
. stanzen festzustellen. 


Die bisher von mir in dieser Richtung angestellten Versuche 
haben zweifellos ergeben, daß es Substanzen gibt, die, ohne 
Ferment oder Proferment zu enthalten, die Gerinnung ganz 
wesentlich. beschleunigen oder direkt auslösen können. 


Jedoch sprechen die bisher gefundenen Tatsachen unbedingt 
in dem Sinne, daß die zymoplastischen Substanzen auf das «-, 
nicht auf das -Proferment wirken. In diesem Punkt konnten 
also die Angaben Schmidts über die alkohollöslichen Kinasen 
nicht bestätigt werden. 


Während also über die Bedeutung des f-Profermentes völlige 
Klarheit noch nicht erzielt werden konnte, haben weitere Unter- 
suchungen schon jetzt mit Sicherheit ergeben, daß die Bildung 
des Fibrinfermentes von der Einwirkung mehrerer 
Substanzen aufeinander abhängig ist, daß also die 
Schmidtsche Lehre im Prinzip das Richtige getroffen hat. Auch 
Hewlett (a. a. O.) hat erst kürzlich vermutungsweise dieselbe 
Ansicht ausgesprochen. 


Diese Versuche, die auch geeignet sind, auf die Wirkung der 
Ca-Ionen etwas mehr Licht zu werfen, sind noch nicht völlig ab- 


*) Über die Wechselwirkung zwischen Protoplasma und Blutplasma. 
I.-D. Dorpat 1883. 
**) Zeitschr. f. physiol. Chemie 32. 
***) Archiv f. exp. Pathol. und Pharmakol. 49, 319. 


Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 419 


geschlossen, so daß ich es mir versagen muß, an dieser Stelle ge- 
nauer darauf einzugehen. Immerhin möchte ich darauf hinweisen, 
daß sich hier eine weitgehende Parallele zum Verhalten des 
Protrypsins und der Enterokinase bietet. | 


Jedenfalls zeigen uns schon diese kurzen Darlegungen, daß 
der Blutgerinnungsvorgang ein von viel zahlreicheren Bedingungen 
abhängiger Prozeß ist, als man bisher anzunehmen geneigt war, 
ein Vorgang, in dessen Verständnis man nur Schritt für Schritt 
eindringen kann. Vorzeitige Hypothesen, wie z. B. das Analogi- 
sieren der zymoplastischen Substanzen mit den hämolytischen 
Zwischenkörpern, können nur geeignet sein, noch größere Unklar- 
heit zu schaffen, als sie bisher schon besteht. 


Schlußergebnisse. 


1. Blutserum enthält eın Zymogen (von mir ß-Prothrombin 
genannt), das nicht durch Kalksalze, wohl aber durch Säuren, 
Alkalien, Alkohol (zymoplastische Substanzen?) in Fibrinferment 
übergeführt werden kann. Es ist von dem durch Ca-Ionen akti- 
vierbaren Zymogen, das z. B. im Oxalatplasma vorhanden ist und 
dem Prothrombin von Arthus und Pekelharing entspricht (von 
mir a-Prothrombin genannt), durchaus verschieden; das ß-Pro- 
thrombin entspricht dem Prothrombin A. Schmidts. Aus der 
Identifizierung beider Prothrombine erklären sich zum großen 
Teil die Widersprüche in den Angaben A. Schmidts und der 
späteren Untersucher. 


2. Das P-Prothrombin entsteht erst während der Gerinnung. 
Bei einer Gerinnung ohne Oa-Salze bildet sich kein -Prothrombin. 


3. Bezeichnet man vorläufig das aus «a-Prothrombin durch 
Ca-Einwirkung erhaltene Fibrinferment als a-Ihrombin, das aus 
ß-Proferment erhaltene als /-Thrombin, so ergibt sich betreffs 
ihres Vorkommens: 


'a-Thrombin | 3-Thrombin | a-Prothrombin! 3-Prothrombin 
Serum, frisch . = =: au a 
Serum, alt . . —_ we I j 2 
SchmidtsThrom- | 
2 Me | 2 | I Fo 
Oxalatplasma . + ee | et Fe 
Fluoridplasma . | _ e, | = an 


4920 P. Morawitz, Zur Kenntnis der Vorstufen des Fibrinferments. 


4. Sowohl a- als #-Thrombin unterliegen beim Stehen einer 
Veränderung, durch die sie unwirksam werden, und zwar ß-Throm- 
bin viel rascher als a-Thrombin. 

5. Oxalat- und Fluoridplasma enthalten einen Körper, der 
proportional seiner Menge die Wirkung von zugesetztem Ferment 
verhindert. Das Vorkommen dieses Antithrombins im strömenden 
Blut ist wahrscheinlich. Es besitzt nicht die Eigenschaften von 
A. Schmidts Cytoglobin. 


XXXI. 


Uber die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) 
im Organismus. 
Von Dr. Gustav Embden, 
Assistent am physiologischen Institut, 


und 


Privatdozent Dr. Otto v. Fürth, 


Assistent am physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Bekanntlich ist die durch intravenöse Injektion des wirk- 
samen Bestandteiles der Nebennierenmarksubstanz hervorgerufene 
Blutdrucksteigerung von nur kurzer Dauer; dieselbe übersteigt, 
selbst nach Anwendung großer Gaben, nicht den Zeitraum von 
wenigen Minuten. Während Oliver und Schäfer*) glaubten, 
das rasche Vorübergehen der Wirkung durch ein schnelles 
Hinausdiffundieren der wirksamen Substanz aus 
dem Blute erklären zu können, waren andere Forscher geneigt, 
diese Erscheinung auf eine rapide Zerstörung der blutdruck- 
steigernden Substanz im Organismus zu beziehen. Trotzdem 
Cybulski**) nach Beibringung großer Mengen von Nebennieren- 
extrakt die wirksame Substanz im Harn von Hunden nachweisen 
konnte, glaubte er aus dem Umstande, daß eine Ausschaltung der 
Nieren die Dauer der Blutdrucksteigerung nicht erhöht, auf eine 
schnelle oxydative Zerstörung der gefäßverengernden Verbindung 
im Organismus schließen zu müssen. „Die Tatsache“, schreibt 
ferner Szymonowicz**), „daß die Wirkung des eingeführten 


*) Oliver und Schäfer, On the physiological action of extracts of 
the suprarenal capsules. Proc, of the physiol. Society March 10, 1894. Journ. 
of physiol. 16. & 

*) N. Cybulski, Über die Funktionen der Nebennieren. Gazeta 
Lekarska 1895, No. 12 (polnisch). 

***) L. Szymonowicz, Die Funktion der Nebenniere. Pflügers Archiv 64, 
143 (1896). 


422 Gustav Embden und Otto v. Fürth, 


Extraktes in kurzer Zeit verschwindet und erst bedeutende Mengen 
das längere Andauern der Erscheinungen durch mehrere Minuten 
bewirken können, beweist, daß die Substanz, welche diese 
Erscheinungen hervorruft, schnell neutralisiert oder im Organismus 
zerlegt oder aus demselben teilweise ausgeschieden wird.“ 

Eingehendere Untersuchungen über diesen Gegenstand rühren 
von Langlois*) und Athanasiu‘*) her. Es ergab sich, daß 
die blutdrucksteigernde Substanz durch ozonisierte Luft und durch 
die Oxydase des Krebsblutes leicht zerstört wird, und daß man 
die Blutgefäßwirkung der Nebennierenextrakte bei Kaltblütern 
durch Erwärmen der Tiere abkürzen, bei Warmblütern durch 
Abkühlen verlängern kann, was Langlois aus der Abhängigkeit 
der Oxydationsvorgänge von der Temperatur erklärte. Organbrei- 
versuche (wobei frischer Leberbrei u. dgl. in Nebennierenextrakte 
eingebracht wurde), vergleichende Injektionen des Extraktes in 
eine Jugular- und eine Mesenterialvene, physiologische Prüfung 
des nach einer Injektion aus der Leber abströmenden Blutes und 
endlich Versuche der Ausschaltung der Leber aus dem Kreislaufe 
führten die genannten Autoren zu der Vorstellung, das schnelle 
Abklingen des Gefäßkrampfes wäre auf eine rasche oxydative 
Zerstörung der wirksamen Substanz zu beziehen, bei der die 
Leber vorwiegend beteiligt sei. 

Da die wirksame Substanz der Nebenniere gegenwärtig nach 
dem Verfahren von Takamine und Aldrich in reinem 
kristallisiertem Zustande unschwer dargestellt werden kann, und 
da ferner der Blutdruckversuch eine annähernde Schätzung selbst 
minimaler Suprareninmengen mit ausreichender Genauigkeit ge- 
stattet, schien uns die Möglichkeit gegeben zu sein, der Frage 
nach der Zerstörung des Suprarenins durch die Leber und andere 
Organe auf dem Wege von ÖOrganbrei- bzw. von Durch- 
blutungsversuchen näher zu treten. 

Wir gingen bei unseren Versuchen folgendermaßen vor: Eine 
abgemessene Menge frischen Blutes wurde mit einer Lösung von 
kristallisiertem Suprarenin versetzt und der Durchblutungs- (bzw. 
Lüftungs-) versuch damit ausgeführt. Zu Beginn und in ver- 
schiedenen Stadien des Versuches wurden Proben des suprarenin- 


*) P. Langlois, L’action des agents oxydants sur l’extrait des 
capsules surrönales.. Du foie comme organe destructeur de la substance 
active des capsules surrönales.. Compt. rend. soc. biol. 49, 524 und 571. 
Vergl. auch Arch. de physiol. 30, 124. 

**) Athanasiu et Langlois, Du röle du foie dans la destruction 


de la substance active des capsules surr@nales. Compt. rend. soc. biol. 49, 
575 (1897). ° 


Über die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) usw. 493 


haltigen Blutes entnommen und in einer Kältemischung ım ge- 
frorenen Zustande aufbewahrt. Noch am selben Tage wurden 
dann die einzelnen Blutproben nach entsprechender Verdünnung 
mit physiologischer Kochsalzlösung durch den Kymographionver- 
such in bezug auf ihren Suprareningehalt verglichen; die intra- 
venös injizierte Flüssigkeitsmenge betrug immer I cem. 


A. Verhalten des Suprareninsim Blute. 
14 Wer swch:: 
200 ecem defibrinierten und kolierten Rinderblutes wurden mit 
0,1 g salzsauren Suprarenins (neutrale Lösung, 0,8 Proz. Kochsalz-«ent- 
haltend) versetzt. Das Blut wurde unter Durchleitung eines lebhaften 
Luftstromes zwei Stunden bei 38 bis 40° gehalten. Probe I wurde sofort 
nach Zusatz des Suprarenins, II nach !/, Stunde, III nach 1!/, Stunden, 
IV nach 2 Stunden entnommen. Der Kymographionversuch (Kaninchen) 
ergab bei jedesmaliger Injektion von 1 cem: 


Verdünnung RN N un 
Probe I ee rap 17... 

„ I Bub au -.— In 

Er all 30 29 16 2 e= u Blutdruck- 

steigerung. 


EN 18 16 12 = =. x 
Nach 2 St. Luftdurchleitung bei 38 bis 40° war also die Haupt- 
menge des Suprarenins zerstört worden. 


DNNVersuch: 

Der Versuch 1 wurde mit der Abweichung wiederholt, daß das 
Rinderblut vor Zusatz der Suprareninlösung durch Gefrieren und Wieder- 
auftauen lackfarben gemacht worden war, um die Wirkung 
lebender Blutzellen auszuschalten. 

Außerdem wurde ein Parallelversuch zur Ermittelung des Einflusses 
der Blutalkaleszenz ausgeführt, indem das Blut durch eine Na- 
triumkarbonatlösung von 0,2 Proz. ersetzt wurde. Kymographionversuch 
(Kaninchen): 


a) Blut: 
Verdünnung Y, Yo eo "ıroo "200  "/s00 
Probe I — 88 Der E ni FOR 
er db = 98 u 40 30 20 mm Blutdruck- 
= ur} : steigerung 
IV | ganz unwirksam 
P) Sodalösung: 
Probe I = — 24 16 = .— 
rl mm Blutdruck- 
n III ganz unwirksam. steigerung. 
IV 


Demnach ging also auch im lackfarbenen Blute die 
Zerstörung des Suprarenins recht schnell vonstatten, derart, daß 
nach 1'/,stündiger Luftdurchleitung bei Brutofentemperatur bereits 
jede Spur davon verschwunden war. 

Bemerkenswerterweise vermochte aber eine Sodalösung, 
deren Konzentration ungefähr der Blutalkaleszenz entsprach, diese 


494 Gustav Embden und Otto v. Fürth, 


Zerstörung unter den gleichen Bedingungen noch schneller und 
kräftiger zu bewerkstelligen als das Blut. Hier konnte bereits nach 
einer halben Stunde weder durch den physiologischen Versuch, 
noch durch die Eisenreaktion auch nur eine Spur von Suprarenin 
mehr nachgewiesen werden. 

Das lackfarbene Blut erschien nach Verschwinden des Supra- 
renins tiefbraun gefärbt. 


a. Versuch? 

Vergleich vonPferde- und Rinderblut. Je 100 ccm Blut, mit 
0,25 g salzsauren Suprarenins (neutrale Lösung) versetzt; 1?/, Stunden bei 
40° Luft durchgeleitet. Probe I und II, vor bzw. nach beendeter Luft- 
durchleitung entnommen. Kymographionversuch (Kaninchen): 

a) Pferdeblut: 


Verdünnung "35 '/so "oo "/soo "soo */aoo 
Probe I — 62 40 : 23 18 12\ | mm Blutdruck- 
3 LEBER he — |  steigerung 
8) Rinderblut: | 
Probe I 60 48 36 22 14 | mm Blutdruck- 
a ALL es 30 20 18 ? f  steigerung 


Das Pferdeblut hatte also eine stärkere zerstörende Wirkung 
auf das Suprarenin ausgeübt als das Rinderblut. 


4. Versuch: 

Vergleich der Wirkung von Blut, Blutserum und Alkali, 
Je 10 cem einer Suprareninlösung (salzsaur es Salz) wurden zu je 200 cem 
von Rinderblut, Pferdeserum, sowie einer Sodalösung von 0,1 Proz. (welche 
überdies 0,8 Proz. NaCl enthielt) hinzugefügt und die Proben I sogleich, 
die Proben II und II nach halb- bzw. zweistündiger Luftdurchleitung bei 
40° entnommen. Kymographionversuch (Hund, 4 kg schwer): 

a) Blut: 


Verdünnung 11, 1/08 Uns eo 
Probe I 114 28 —_ 0 
BR: 160 24 0 wi | mm Blutdruck- 
IN 132 a 0 22 steigerung 
ß) Serum 
Probe I _ 70 0 0 
mm Blutdruck- 
RN! 148 25 0 — Kö 
an: ganz unwirksam | BLGIgEIIEE 
y) Sodalösung: 
h h 
nt, i n k Wirkung N | mm Blutdruck- 
„ Vie 0 Pe; steigerung. 
sv ganz unwirksam 


Der Versuch lehrt, daß die Wirkung des Pferdeserums größer 
ist als diejenige des Rinderblutes, daß aber beide hinsichtlich des 
Vermögens, Suprarenin zu zerstören, von einer ‚Sodalösung von 
0,1 Proz. übertroffen werden. 


Über die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) usw. 495 


Man wird daher schwerlich mit der Vermutung fehlgehen, 
daß die Suprarenin zerstörende Wirkung des Blutes, soweit 
“eine solche überhaupt in Erscheinung tritt, in erster Linie durch 
seinen Alkaligehalt bedingt sein dürfte, und wird die relativ 
geringere Wirksamkeit des Blutes wohl am einfachsten in der 
Art deuten können, daß ein Teil des Blutalkalis in gebundener 
Form vorhanden ist. 


B. Verhalten des Suprarenins gegenüber Organen. 
5..Versuch: « 

Wirkung von Organbrei. Je 20g der einem durch Chloroform 
getöteten Hunde in frischem Zustande entnommenen, feingehackten Organe 
(Leber, Lunge, Muskel) wurden in 100 ccm einer physiologischen Koch- 
salzlösung aufgeschwemmt und die Suspensionen nach Zusatz von je 
10 ccm einer neutralen 2 proz. Suprareninlösung unter Durchleitung eines 
Luftstromes bei Bruttemperatur gehalten. 

Der am Kymographion ausgeführte Vergleich der sogleich, 
bzw. nach "; und 2 Stunden entnommenen Proben ergab, daß 
weder Leber-, noch Lungen-, noch Muskelbrei unter den ange- 
gebenen Bedingungen eine merkliche Suprareninmenge zu zer- 
stören vermochten. 

Zu dem gleichen Ergebnisse war der eine von uns schon 
früher gelangt, indem er frischen Leberbrei mit einer abgewogenen 
Menge Suprarenineisen versetzt, dieses nach längerem Stehen bei 
Zimmertemperatur möglichst vollständig extrahiert und auf 
kolorimetrıschem Wege bestimmt hatte. 


6.VeTrsuch: 

Zusammenwirken von Blut- und Organbrei. Ein Hund 
wurde durch Verblutenlassen getötet, das Blut aufgefangen und defi- 
briniert, die Leber zerkleinert. Je 0,25 g Suprarenin in gelöstem Zustande 
wurden hinzugefügt zu a) 150 cem Blut, 8) 100 cem Blut + 50 g Leber- 
brei, y) 100 cem physiologischer Kochsalzlösung -/- 50 g Leberbrei. Probe I 
wurde sogleich entnommen, II nach zweistündiger Luftdurchleitung bei 40°. 
Kymographionversuch (Kaninchen): 

a) Blut: 


Berssnnung "so "lıoo soo "soo. soo "/eoo *ıooo 

Probe I — — 20,32 16,20 — 14,16, gi nn | = 
re in 2) uage Wh) A 
8).Blut und Leber: “ ©. 
Bet 0 aa 25 2 vo= 
»„ 2° 24 14,18 19,16,14 keine deutl. ke E$ 
y) NaClphys. u. Leber: ®5 
Probe I — — 34 — 22 — 20 5 

| — — 34,40 °— 23 — 16 


Im Blute, sowie in der Leber-Kochsalzprobe war daher keine 
Spur einer Suprareninzerstörung zu bemerken. Dagegen schien 


426 (Gustav Embden und Otto v. Fürth, 


eine solche in dem Blut-Lebergemenge stattgefunden zu haben. 
Der ganze Versuch wurde daher in genau derselben Weise wieder- 
holt. Diesmal war aber auch in dem Blut-Lebergemenge von 
einer Abnahme des Suprarenins nichts zu merken. 


7. Versuch: 
Leberdurchblutung. Ein mittelgroßer Hund wurde durch Ver- 
bluten getötet und seine Leber mit 2 Liter frischen Rinderblutes unter 
Zusatz von 2,0 g Suprarenin durchblutet. Bezüglich der Technik sei 
auf die Angaben von Embden und Gläßner (diese Beiträge 1, 313 
bis 315) verwiesen. Die Strömungsgeschwindigkeit betrug ziemlich kon- 
stant 1 Liter in zehn Minuten, der Druck etwa 100 mmHg, die Temperatur 
38° bis 40°; die Dauer der Durchblutung zwei Stunden; die Kontrollprobe 
des Blutes wurde unter Luftdurchleitung bei 40° gehalten. Kymographion- 
versuch (Kaninchen): 
Verdünnung nu a ale 
Blut vor der Durchblutung 50 24 16 
Blut nach der Durchblutung 40,40 20 — 
Blut nach Luftdurchleitung 70 18 20 


Ein zweifelloser Suprareninschwund war also nicht festzu- 
stellen. 


\ 


\mm Blutdruck- 
steigerung. 


8. Versüch: 
Leber-Durehblutung. Durchblutung einer Hundeleber mit 
Rinderblut wie oben. Der Suprareninzusatz betrug 0,5 g auf zwei Liter. 
Probe I wurde zu Beginn des Versuches II nach !/, Stunde, III nach 
1 Stunde, IV nach 1Y, Stunden entnommen. Kymographionversuch 
(Kaninchen): 
Verdünnung '/j es "so "oo  "/200 
Probe I 64 28 34 28 20 
a 48 32 28 22 mm Blutdruck- 
4 770 42 34 32 20 steigerung. 
7 IV..,.72 40 34 20 15 


Es hatte also hier sicherlich keine Suprareninzerstörung in 
größerem Ausmaße stattgefunden. 


9: Versuch: | 
Lungendurchblutung. Hund durch Verblutenlassen getötet. 

Durchblutung mit 2370 ccm Rinderblut unter Zusatz von 0,5 g Supra- 
renin. Das Blut strömte durch den Conus arteriosus ein und durch eine 
in das linke Herzohr eingebundene Kanüle aus. Temperatur des ein- 
strömenden Blutes 40°, des ausströmenden Blutes 35° — Blutdruck 80 
bis 100 mm Hg. Während des ganzen Versuches wurde von einer 
Trachealkanüle aus künstliche Atmung unterhalten, derart, daß die’ 
Arterialisierung des Blutes in natürlicher Weise erfolgte. Nach etwa 
halbstündiger Durchblutung begann eine Transsudation einer serösen 
kaum blutig gefärbten Flüssigkeit in die Bronchien und die Pleurahöhle. 
Nach 1!/, Stunden mußte der Versuch abgebrochen werden, da mehr als 
die Hälfte der Blutflüssigkeit infolge der massenhaften Transsudation aus 
der Zirkulation verschwunden war. Probe I wurde sogleich, II nach 55 
Minuten, II nach 1'/, Stunden entnommen. Probe IV war das nach 


Über die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) usw. 497 


3/, Stunden aus der Trachea entnommene wässerige Transsudat. Kymo- 
graphionversuch (Kaninchen): 
Verdünnung io "20 "so "soo "200 
Blut I 64 50 40 34 22 14 


ee 20 12 | mm Blutdruck- 
Mr 59 89,82. ' 80. 14,14: 10,12 Al (Steigerung, 
Transsudat IV — 78 — = 24 14 


Es war hier also eine Abnahme des Suprareningehaltes des 
Durchblutungsblutes deutlich bemerkbar; doch ist dieselbe keines- 
wegs so groß, daß sie nicht einfach durch die Wirkung des Blutes 
als solchen erklärt werden könnte. Erwähnenswert scheint uns 
jedoch die sich aus der Untersuchung des Transsudates ergebende 
Tatsache, daß das Suprarenin die Gefäßwand unzersetzt 
passieren kann. 


Zwei Durchblutungsversuche an Muskeln scheiterten an dem Um- 
stande, daß, sobald das suprareninhaltige Blut in die Gefäße eindrang, 
der einsetzende Gefäßkrampf ein völliges Stocken des Blutstromes zur 
Folge hatte. Da bekanntlich sehr große Curaregaben eine Lähmung 
der nervösen Endapparate in den Gefäßen bewirken und da die Frage, 
ob das Suprarenin auf die Nervenendigungen oder aber auf die Muskel- 
substanz als solche einwirkt, noch keineswegs erledigt ist, brachten wir 
einem großen Hunde im Laufe von zwei Stunden 2 g eines Curarepräparates 
subkutan bei, von dem bereits 0,1 bis 0,2 g die willkürlichen Muskeln 
völlig gelähmt hatten. Trotzdem der Blutdruck auf die Hälfte seines 
Anfangswertes abgesunken war, bewirkte intravenöse Suprarenininjektion 
noch immer eine ebenso mächtige Blutdrucksteigerung wie vor der 
Curarisierung, und machte der Gefäßkrampf auch hier eine Durchblutung 
unmöglich. 


Aus den mitgeteilten Versuchen geht hervor, daß bei zwei- 
stündiger Digestion von Suprarenin mit normalem Blute, lack- 
farbenem Blute oder Blutserum eine ganz beträchtliche Zerstörung 
von Suprarenin stattfinden kann. Auffälligerweise findet bei 
Zusatz von Muskel-, Leber- oder Lungenbrei zum Blute, sowie 
bei Durchblutungsversuchen ein geringerer oder auch gar kein 
Suprareninschwund statt. Da vergleichende Versuche mit schwachen 
Alkalilösungen lehrten, daß die Zerstörung des Suprarenins im 
Blute im wesentlichen eine Alkaliwirkung ist, liegt es nahe, das 
Ausbleiben dieser Zerstörung in den vorbezeichneten Fällen mit 
der Säurebildung in den Organen in Zusammenhang zu bringen. 

Daß das schnelle Abklingen der Suprareninwirkung nicht etwa 
durch eine schnelle Ausscheidung oder Zerstörung durch die 
Nieren bewirkt sein kann, geht aus den eingangs erwähnten 
Versuchen Cybulskis hervor. Auch haben wir uns wiederholt 
davon überzeugt, daß der kurze Zeit nach intravenöser Beibringung 
größerer Suprareningaben aus der Blase entnommene Harn keine 
biutdrucksteigernde Substanz enthält. 


498 (Gustav Embden und Otto v. Fürth, 


Die Beibringung größerer Suprareningaben per os zum Zwecke 
des Studiums der Ausscheidungsverhältnisse erwies sich bei 
Hunden wegen des sogleich eintretenden Erbrechens als undurch- 
führbar. Kaninchen sahen wir wiederholt nach Gaben von 0,1 
bis 0,5 g schnell oder nach einiger Zeit zugrunde gehen. Doch 
gelang es, von einigen Tieren, denen der Mastdarm unterbunden 
worden war, um einer Verunreinigung des Urins durch Darm- 
inhalt vorzubeugen, etwas Harn zu gewinnen. 

Der von einem Kaninchen, das 0,2 g Suprarenin mit Hilfe der 
Schlundsonde erhalten hatte, innerhalb zwölf Stunden gesammelte 
Urin zeigte insofern ein auffallendes Verhalten, als er auf Zusatz 
verdünnter Eisenchloridlösung eine ausgesprochen grüne, bei wei- 
terem Zusatz von Natriumkarbonat eine deutlich rote Färbung 
annahm und sehr stark reduzierte. | 

Der Harn wurde mit Salzsäure schwach angesäuert, im Vakuum 
im Kohlensäurestrom bei 40 bis 50° eingeengt, mit dem mehr- 
fachen Volumen von Methylalkohol gefällt, das Filtrat im Vakuum 
eingedunstet und der Rückstand in 5 ccm Wasser gelöst. Je 
1 ccm dieser Lösung, welche eine schöne Eisenreaktion gab, 
steigerte bei intravenöser Applikation den Blutdruck eines 
Kaninchens um 40 bzw. 34 und 38 mm unter bedeutender Ver- 
größerung des Pulsvolumens. 

Ein anderes Kaninchen, welches nach Unterbindung des Rek- 
tums 0,5 g Suprarenin per os erhalten hatte, schied einen Harn aus- 
der, alkalisch gemacht, mit Eisenchlorid eine dunkelkarminrote 
Färbung annahm. Bei Zusatz von Säure trat aber keine anısge- 
sprochen grüne, sondern ein bräunliche Färbung auf. Der mit 
Salpetersäure neutralisierte Harn wurde mit neutralem Bleiazetat 
gefällt und der abfiltrierte und ausgewaschene Niederschlag mit 
Schwefelwasserstoff zerlegt. Das ganze Chromogen fand sich im 
Niederschlag; im Filtrate, welches das durch neutrales Bleiazetat 
nicht fällbare Suprarenin, falls solches vorhanden gewesen wäre, 
hätte enthalten müssen, fand sich nichts davon. Daß das Chro- 
mogen wedermit Brenzkatechin noch mit Protokatechusäure identisch 
war, ergab sich aus seiner Unlöslichkeit in Äther. Die physiolo- 
gische Prüfung desselben wurde durch einen Unfall vereitelt. 

Mag aber das Suprarenin als solches oder ein Derivat des- 
selben in den Harn übergehen, stets handelt es sich, wie der ko- 
lorimetrische Vergleich nach Eisenchloridzusatz lehrt, nur um 
einen minimalen Bruchteil der in den Verdauungstrakt eingeführten 
Suprareninmenge. Es unterliegt also keinem Zweifel, daß der 
Organismus doch über Mittel verfügt, um schließlich eine Zer- 
störung des Suprarenins herbeizuführen. 


Über die Zerstörung des Suprarenins (Adrenalins) usw. 499 


Die Frage jedoch, von der wir ausgingen, ob das schnelle 
Abklingen der Gefäßwirkung des Suprarenins auf eine 
rapide Oxydation desselben zu beziehen sei, glauben wir 
auf Grund der mitgeteilten Versuche verneinend beantworten zu 
dürfen. Wir halten es für wahrscheinlich, daß diese Erscheinung 
derart zu erklären sei, daß der Krampf der Gefäßmuskulatur auf- 
hört, sobald die Konzentration des Suprarenins im Muskelgewebe 
durch Diffusion oder Verdünnung mit Blut und Gewebslymphe 
unter einen gewissen Schwellenwert abgesunken ist *). 

Es liegt auf der Hand, daß eine solche Verdünnung sich be- 
sonders schnell vollziehen wird, wenn man das Suprarenin durch 
die Pfortader direkt in die großen Gefäßräume der Leber injiziert. 
So kann leicht der Schein entstehen, als ob dieses Organ eine 
augenblicklich erfolgende Zerstörung der wirksamen Sub- 
stanz bewerkstelligen würde, während es sich vermutlich in Wirk- 
lichkeit nur um eine augenblicklich eintretende Verdünnung 
handelt. 

Daß die Leber aber bei der allmählichen Zerstörung des 
Suprarenins im Organismus mitbeteiligt sein kann, soll natürlich 
nicht bestritten werden. 


*) Prof. R. Gottlieb war so freundlich, uns darauf aufmerksam zu 
machen, daß nach Boehm (Archiv f. experim. Path. 4, 235) Barytsalze 
bei intravenöser Applikation eine ähnliche und ebenso schnell abklingende 
Blutdrucksteigerung hervorrufen, wie das Suprarenin. 


XXXI. 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung 
ölhaltiger Samen. 
Von Dr. Otto von Fürth, 


Privatdozent und Assistent am physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Die in den Kotyledonen und im Endosperm der Pflanzensamen 
enthaltenen Reservestoffe, welche ihrer Hauptmenge nach aus 
Eiweißkörpern, Kohlehydraten oder Fetten bestehen, liefern be- 
kanntlich das Material für das Wachstum der Keimpflanze. Die 
Untersuchungen von Hellriegel*), Sachs*), Peters**), 
FleuryYr), Detmertr), Frankfurtrrfy) u.a. haben gelehrt, daß 
bei der Keimung ölreicher Samen eine Umwandlung von Fett mn 
Kohlehydrat in größtem Ausmaße stattfindet, indem das aus den 
Reservestoffbehältern verschwindende Fett im wesentlichen das 
Material bildet, aus dem sich die Zellwände der jungen Pflanze 
aufbauen. 

Die im folgenden mitgeteilte Untersuchung wurde auf An- 
regung Herrn Professor Hofmeisters und in der Hoffnung in 
Angriff genommen, aus dem Studium der Fettspaltung keimender 
Pflanzen vielleicht Anhaltspunkte für den Chemismus der Um- 
wandlung des Fettes im Tierkörper gewinnen zu können. Trotz- 


*), Hellriegel, Beitrag zur Keimungsgeschichte der ölgebenden 
Samen. Journ. f. prakt. Chemie 64, 94 (1855). j 
*) Sachs, Über das Auftreten von Stärke bei der Keimung ölhaltiger 
Samen. Botan. Zeitung 17, 177 (1859). 
***) Peters, Zur Keimungsgeschichte des Kürbissamens. Landwirtsch. 
Versuchsstationen 3, 1 bis 18 (1861). 
+) Fleury, Recherches chimiques sur la germination. Ann. de 
Chimie (4) 4, 38 (1865). 
Tr) Detmer, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Keimung 
ölhaltiger Samen. Dissert. Jena 1875. 
‘rr) Frankfurt, Über die Zusammensetzung der etiolierten Keim- 
pflanzen von Cannabis sativa und Helianthus annua. (Aus dem agrikultur- 
chemischen Institut in Zürich.) Jandwirtsch. Versuchsstat. 43, 143 (1894). 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung ölhaltiger Samen. 431 


dem diese Erwartung nicht in Erfüllung gegangen ist, möge es 
mir immerhin gestattet sein, die Versuchsergebnisse in Kürze 
mitzuteilen. 

Wie aus den Untersuchungen von Pelouze*), Siegmund‘®*), 
Green“) und Connsteinf) hervorgeht, enthalten ölhaltige 
Samen ein kräftig wirksames Ferment, das befähigt ist, Fett zu 
Fettsäuren und Glyzerin aufzuspalten. Green war der Meinung, 
daß bei der Keimung von Rizinussamen eine so schnelle Fett- 
spaltung erfolge, daß bereits nach wenigen Tagen alles Fett der 
Verseifung anheimgefallen sei. Jedoch auch die dadurch in Frei- 
heit gesetzten hohen Fettsäuren sollen bereits nach Ablauf von 
etwa acht Tagen bis auf Spuren aus den Keimlingen verschwinden, 
um einer sowohl in Wasser, als auch in Äther löslichen, leicht 
diffundierenden und gut kristallisierenden Säure unbekannter Art 
Platz zu machen. 

Aus vergleichenden Analysen des Fettes gekeimter und un- 
gekeimter Samen zog Müntzyr) den Schluß, daß die Fettsäuren 
während der Entwickelung der jungen Pflanze immer mehr und 
mehr Sauerstoff in sich aufnehmen. Es lag daher nahe, eine all- 
mähliche Umwandlung hoher Fettsäuren in Oxysäuren zu ver- 
muten. 

Maquenne7r7f) glaubte aus Beobachtungen an keimenden 
Arachis- und Rizinussamen folgern zu können, daß nur un- 
gesättigte, nicht aber gesättigte Fettsäuren zu einer 
Umformung in Kohlehydrat befähigt sind, und zwar meinte er, daß 
die in ersteren enthaltenen Alkylkomplexe auf dem Wege inter- 
mediärer Glyzerinbildung das Material zum Aufbau des Zuckers 
liefern. 

Ein besonderes Interesse für die Frage der Zuckerbildung aus 
Fett schienen Versuche von Maz6*f) zu bieten. Dieser zerrieb 


*) Pelouze, Me&moire sur la saponification des huiles ete. Ann. de 
Chimie (3) 45, 319 (1855). 
*) Siegmund, Über fettspaltende Fermente im Pflanzenreich. 
Monatsh. f. Chemie 11, 272 (1890). 
*”*) Green, On the Germination of the Seed of the Castor oil Plant. 
Proc Roy. Soc. London 47. 147 und 48, 370 (1890). 
i) Connstein, Hoyer u. Wartenberg, Über fermentative 
Fettspaltung. Berichte d. deutschen chem. Gesellsch. 35, 3908 (1902). 
1) Müntz, Sur la germination des graines oleagineuses. Ann. de 
Chimie (4) 22, 472 (1871). 
ii7) Maquenne, Sur les changements de composition qu’eprouvent les 
graines ol&agineuses au cours de la germination. Compt. rend. 127, 625 (1898). 


*7) Maz&, Recherches sur la digestion des reserves dans les graines etc. 
130, 424 (1900). 


432 Otto von Fürth, 


gekeimte Rizinussamen mit Sand, hielt den Brei in dünner 
Schicht bei einer Temperatur von 35° und beobachtete in dem- 


selben eine Neubildung von reduzierendem Zucker, welche er 


durch eine fermentative Umwandlung von Fett in Kohle- 
hydrat erklärte. 

In bezug auf Verbindungen, welche etwa als Zwischen- 
produkte zwischen Fett und Kohlehydrat gedeutet: werden 


könnten, vermochte ich in der Literatur keine Angaben zu 


finden; — es wäre denn, daß man Frankfurts Befund von 
Glyoxyl- und Äpfelsäure in Hanf- bzw. Sonnenblumenkeimlingen 
hierher rechnen will. 

Meine eigenen Untersuchungen bezogen sich auf Sonnen- 
blumen- und Rizinuskeimlinge. Dieselben wurden in feuchtem 


Sande gezogen, und zwar die ersteren bei Zimmer-, die letzteren 


bei Brutofentemperatur. 


A. Helianthus. 
Zur Analyse des Fettes dienten Keimpflanzen von Helianthus, 
die sich nach vier Wochen bei Zimmertemperatur sehr gleich- 


mäßig zu einer Wurzellänge von 4 bis 5 cm entwickelt hatten. Die 


Keimlinge wurden gesiebt, gewaschen, ausgelesen, von den locker 


aufsitzenden Samenhüllen befreit, fein zerhackt, dreimal mit 


Wasser ausgekocht, abgepreßt, bei 90° getrocknet, fein gepulvert 
und endlich mit Äther extrahiert. Aus 640 gr trockener Keim- 
linge wurden so noch 48 g eines braunen ÖOles (entsprechend 


7,5 Proz.) gewonnen. Es war also selbst nach vierwöchentlicher 


Dauer der Keimung ein nicht unbeträchtlicher Bruchteil des Fettes 
der Zerstörung entgangen. 

Zum Vergleiche wurde in analoger Weise Fett aus un- 
gekeimten Sonnenblumensamen dargestellt. 


Die Fettanalyse erfolgte unter genauer Befolgung der von | 


Benedikt und Ulzer gegebenen Vorschriften. 


a) Fettaus Keimlingen von Helianthusannuus. 
1. 4,809 g Fett verbraucht, in Ather-Alkohol gelöst, zur Neutralisation 


(Ehennlphhaie u 6.1 ccm n/»-Lauge = 0,1708 g KOH — Säurezahl = 35,5. ° 


2. 4,630 g Fett verbraucht zur Verseifung 33,6 ccm ®/2- NaOH = 
0,9408 8 "KOH — Verseifungszahl —= 203,0. 


3. 0,6573 g Fett verbraucht bei der Bestimmung nach Hübl 0,5907 g 
Jod — Jodzahl = 89,9. 0,5720 g Fett verbraucht bei der Bestimmung nach 


Hübl 0,5259 g Jod — Jodzahl = 91,9. 

4. Der Rest des Öles wurde durch Kochen mit alkoholischer Lauge 
verseift, die Seifenlösung nach Vertreibung des Alkohols mit Schwefel- 
säure zersetzt, das abgeschiedene, aus freien Fettsäuren bestehende Ol 
nach viermaligem Auskochen mit Wasser bei 90° getrocknet, sodann 
durch dreistündiges Kochen mit einem Überschusse von Essigsäure- 


A ®r Bess E Z5L, Se ae 4 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung ölhaltiger Samen. 433 


anhydrid acetyliert, das Gemenge acetylierter Fettsäuren viermal mit 
Wasser ausgekocht und getrocknet. 4,107 g der acetylierten Fettsäuren 
neutralisierten 24,2 ccm ®/s-Lauge = 0,6796 g KOH. Acetylsäurezahl = 164,9. 
Dieselbe Menge, nach vorausgegangener Verseifung mit alkoholischer 
Lauge neutralisierte 31,6 ccm W2-Lauge — 0,8848 g KÖH. Acetylverseifungs- 
Bel 215,4. 


ß) Fettausungekeimten Helianthussamen. 

1. 4,804 g Fett verbraucht, in Ather-Alkohol gelöst, 0,6 cem "/2-Lauge 
— 0,0168 g KOH, Säurezahl = ; 

2. 4,677 g Fett verbraucht zur Verseifung 31,9 ccm n/s-Lauge = 
0,8932 g KOH — Verseifungszahl —= 190,9. 

3. 0,5330 g Fett en bei der Bestimmung nach Hübl 0,6139 g 
Jod — Jodzahl = 115,2. 0,5788 g Fett verbraucht bei der Bestimmung 
nach Hübl 0,6200 g oe — Jadzahl — — 107,1, 

4. 4,158 8 acetylierten Fettes neutralisiert direkt 20,5 cam n/g-Lauge — 
0,5740 & KÖH — Acetylsäurezahl = 120,8. Dieselbe Menge acetylierten 
Fettes nach vorausgegangener Verseifung neutralisiert 35,4 cem n/e- 
Lauge —= 0,9912 g KOH — Acetylverseifungszahl = 208,3. 


B. Rizinus. 

Rizinuskeimlinge, die sich bei Bruttemperatur innerhalb 
neun Tagen zu einer Wurzellänge von 4 cm entwickelt hatten, 
wurden erst am Wasserbade, dann in dünner Schicht bei 90° ge- 
trocknet, fein gepulvert, mit Äther extrahiert, der Rückstand der 
ätherischen Lösung wiederholt mit Wasser ausgekocht und bei 
108° getrocknet. Aus 185 g der trockenen Keimlinge wurden so 
24,67 g eines braunen Öles (entsprechend 11,7 Proz. der Trocken- 
substanz) erhalten. 


Fett aus Keimlingen von Ricinus communis. 

l. 4,469 g Fett verbraucht, in Alkohol-Äther gelöst, zur Neutralisation 
6,7 ccm n/s-KÖH = 0,1876 g KÖOH. Säurezahl 41,9. 

2. 2,259 g Fett verbraucht zur Verseifung 15,3 cem n/s-KOH = 
0,4284 g KÖH — Verseifungszahl 189,6. 

3. 0,4530 g Fett verbraucht bei der Bestimmung nach Hübl 0,4048 g 
Jod — Jodzahl 89,4. 

- 0,5625 g Fett 
Jod — Jodzahl 86,9. | 

4. Der Rest des Oles wurde zum Zwecke der Abtrennung der darin 
im freien Zustande vorhandenen Fettsäuren in alkohol-ätherischer Lösung 
mit Natronlauge neutralisiert, die Lösung eingedampft und der Rückstand 
durch wiederholtes Auskochen mit Ather und Benzol nach Möglichkeit 
von Fett befreit. Doch gelang so die Trennung von Seife und Neutral- 
fett nur in unvollkommenem Maße, da die Seifengallert noch viel Fett 
einschloß. Die fetthaltigen Seifen wurden nun in Wasser gelöst, mit 
Salzsäure zerlegt, das öl mit heißem Wasser ausgekocht, solange dieses 
noch eine Spur Säure aufnahm, sodann getrocknet. 

0,9675 g der so abgetrennten Fraktion neutralisierten direkt in 
äther-alkoholischer Lösung 2,7 ccm n/2-Lauge (= 0,0756 g KÖOH), nach 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 28 


” ” ” ” „ „ 0, 489 2} g 


434 Otto von Fürth, 


Verseifung jedoch 7,0 eem »/2e-Lauge (= 0,0196 g KOH). Daraus berechnet 
sich für diese Fraktion 


Säurezahl 78,2 Mittleres Molekulargewicht der Fettsäuren 
Atherzahl 123,8 d u 168300 — 38 d nn 
Verseifungszahl 202,0 K ? 3k => 
Helianthus Rizinus 
— ne 5. 
Ol aus Keim- Öl aus unge- Öl aus Keim- re 
lingen keimt.Samen| lingen Raman 
‚Säurezahl (| 35,5 3,5 41,9 
\Atherzahl d | 167,5 187,4 147.7 
Verseifungszahl k 203,0 190,9 189,6 1:6— 186°) 
Jodzahl 89,9, 91,9 107,1, 115,2] 868, 89,4 88,8 
|Acetylsäurezahl ı 164,9 120,8 x 
lAcetylzahl \ 50,5 | 87,5 
Acetylverseifungszahl 215,4 208,3 
Mittleres Molekular- 
gewichtd. Fettsäuren, 
berechnet 
165300 —38d 265 281 286 290— 300°) 


ı8K 

Überbliecken wir die mitgeteilten Resultate, so ersehen wir 
folgendes: Aus dem Umstande, daß noch in einem späten Stadium 
der Keimung erhebliche Mengen unzersetzten Neutralfettes vor- 
handen sind, sowie aus den im Verhältnis zu den Verseifungs- 
zahlen niederen Säurezahlen ergibt sich, daß die eingangs 
erwähnten Vorstellungen Greens”*”) keineswegs zutreffen, und 
daß von einer totalen Spaltung des Keimlingsfettes in 
Fettsäuren und Glyzerin, sowie von einer reichlichen Anhäufung 
der ersteren in der jungen Pflanze keine Rede sein kann. ÖOffen- 
bar erfolgt in dem Maße, als die Fettspaltung sich vollzieht, sehr 
schnell ein weiterer Abbau der Fettsäuren. 

Auch finden sich keine Anhaltspunkte für die Vorstellung, 
daß sich bei der Keimung eine ausgiebige Umwandlung nor- 
maler Fettsäuren in Oxyfettsäuren vollziehe. Eine solche 
müßte in einem erheblichen Ansteigen der Acetylzahl zum Aus- 
drucke kommen; tatsächlich wurde bei Helianthus ein geringes 
Absinken derselben beobachtet. 


*) Benedikt-Ulzer. 


**) ]oc. cit. 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung ölhaltiger Samen. 435 


Ebensowenig hat man Grund, anzunehmen, daß ungesättigte 
Fettsäuren während der Keimung wesentlich leichter angegriffen 
werden als gesättigte. Wäre dies der Fall, so müßten die 
Jodzahlen während der Keimung stark abnehmen. Eine solche 
Abnahme wurde aber bei Helianthus nur in geringem Maße wahr- 
genommen, bei Rizinus jedoch ganz vermißt. 

Schließlich sah ich mich auch in der Erwartung getäuscht, 
einen schrittweisen Abbau der Fettsäuren zu kürzeren 
Kohlenstoffketten in einer wesentlichen Abnahme des mitt- 
leren Molekulargewichtes der Fettsäuren in Erscheinung treten 
zu sehen. Eine solche Abnahme ließ sich zwar feststellen, doch 
fiel dieselbe kaum außerhalb der Fehlerquellen. 

Auch der Versuch, einen solchen Abbau auf dem Wege der 
Autolyse zu erzielen, schlug fehl. 

Dreiwöchentliche Helianthuskeimlinge wurden zerkleinert und der 
Brei in zwei Hälften geteilt; die eine Hälfte wurde eine Woche lang 
unter Toluolzusatz und Durchleitung eines Luftstromes im Brutofen be- 
lassen, die andere dagegen sogleich weiter verarbeitet. Beide Portionen 
wurden bei 60° getrocknet, mit Ather extrahiert und das Fett bei 108° 
getrocknet. 

1. 2,500 g Fett, nicht autolysiert, neutralisiert 3,8 ccm n/2-Lauge 
(= 0,1064 g KÖH) — Säurezahl 42,6. 

9, 2,310 g Fett, nicht autolysiert, neutralisiert nach Verseifung 16,3 ccm 
n/.-Lauge (= 0,4564 8 KÖH) — Verseifungszahl 197,6. 

3. 3,834 g Fett, autolysiert, neutralisiert 3,7 ccm »/,-Lauge (= 0,1030 g 
KOH) — Säurezahl 26,9. 

4. 1,995 g Fett, autolysiert, neutralisiert nach Verseifung 13,9 ccm 
n/e-Lauge (= 0,3892 g KOH) — Verseifungszahl 190,1. 


Sonach: 
nicht autolysierte Hälfte autolysierte Hälfte 
Säurezahl 42,6 26,9 
Atherzahl d 155,0 163,9 
Verseifungszahl K 197,6 190,8 
Mittleres Molekulargewicht 
der Fettsäuren 274 284 
m 168300 — 38 d 
x 3 K 


Ich habe weiterhin eine Reihe von Versuchen ausgeführt, um 
mich von der Richtigkeit der Angabe Greens, betreffend das 
reichliche Auftreten einer in Wasser und Äther löslichen, nicht 
kristallisierenden Säure an Stelle des verschwindenden Fettes, zu 
überzeugen. Ich vermochte jedoch diese Angabe in keiner Weise zu 
bestätigen. Die Acidität des Wasserextraktes der Keimlinge ist über- 
haupt keine sehr erhebliche, und von dieser entfällt nur ein geringer 
Bruchteil auf ätherlösliche Säuren. [So betrug z. B. die Acidität 
des Wasserextraktes aus 100 g feuchter 14tägiger Rizinus- 

28% 


436 Otto von Fürth, 


keimlinge 62,1 cem "/ıo-Lauge (Phenolphthalein), wovon aber nur 
7,4 Proz. auf ätherlösliche Säuren entfielen.] Auch in gebundenem 
Zustande ist keine ätherlösliche Säure in größeren Mengen vor- 
handen [Bestimmung durch Extraktion des mit Phosphorsäure an- 
gesäuerten Wasserauszuges mit Äther im Schacherlapparate]. 

Eine größere Menge von Helianthuskeimlingen wurde mit 
Wasser ausgekocht, der Auszug durch essigsaures Cinchonin von 
reichlich vorhandenen Gerbsäuren, sodann durch Ammoniak von 
Cinchonin befreit und nach Neutralisation mit Salpetersäure mit 
 Bleiessig gefällt. Nach Zerlegung des Niederschlages mit Schwefel- 
wasserstoff erwiesen sich die erhaltenen sauren Verbindungen nur 
sehr unvollkommen und zum geringsten Teile in Äther löslich. 
Die Flüssigkeit enthielt große Mengen eines kolloiden, gallertig 
ausfallenden Kohlehydrates; nach dessen Beseitigung durch Kupfer- 
acetat wurde eine Lösung gewonnen, die eine Säure von folgendem 
Verhalten enthielt: Dieselbe reduziert Fehlingsche Flüssigkeit und 
ammonlakalische Silberlösung sehr kräftig, wird von Quecksilber- 
acetat, nicht aber von Quecksilberchlorid, Kupfer-, Baryum- und 
Kalziumsalzen gefällt. Bleiacetat erzeugt einen voluminösen, in 
Essigsäure unlöslichen, in verdünnter Salpetersäure leicht löslichen 
Niederschlag. Wird die saure Lösung mit Eisenchlorid versetzt 
und tropfenweise Natriumkarbonat hinzugefügt, so tritt eine 
schöne smaragdgrüne Färbung auf, die bei Mehrzusatz von Alkali 
in Rotbraun umschlägt, Natriumkarbonat allein bewirkt eine 
bräunliche Färbung. Beim Erwärmen mit verdünnter Salpeter- 
säure nimmt die Lösung eine Gelbfärbung an, welche beim Über- 
sättigen mit Alkalı in ein intensives Rotgelb übergeht. 

Das Verhalten dieser Substanz deutet auf eine aromatische, 
mehrfach hydroxylierte Verbindung hin. Der Versuch, 
dieselbe durch Quecksilberacetatfällung abzutrennen, scheiterte an 
der Zersetzlichkeit derselben. 

Bei Destillation von frischen Rizinus- oder Helianthus- 
keimlingen im strömenden Wasserdampfe konnte weder eine 
flüchtige Säure, noch aber Alkohol, Aceton oder ein Aldehyd 
nachgewiesen werden. Sollten also derartige Verbindungen als 
Zwischenprodukte zwischen Fett und Kohle 
hydrat eine Rolle spielen, so ist jedenfalls die in einem 
gegebenen Momente vorhandene Menge derselben so gering, daß 
sie sich dem Nachweise entzieht. Auch im gebundenen Zustande 
sind flüchtige Säuren nicht in nachweisbarer Menge vorhanden. 
Die Nachprüfung der Angaben Mazes*) in bezug auf das 


*) loc. Gi; 


Über das Verhalten des Fettes bei der Keimung ölhaltiger Samen. 437 


Auftreten eines Enzymes, das direkt Fett in Zucker umwandeln 
soll, ergab, daß der genannte Autor durch Nichtbeachtung eines 
in den Keimlingen vorhandenen diastatischen Fermentes 
anscheinend einer Täuschung anheimgefallen ist. Ich unter- 
warf Rizinuskeimlinge in zerkleinertem Zustande einer dreitägigen 
Autolyse in Toluolwasser unter Luftdurchleitung bei 30 bis 35° 
und vermochte tatsächlich, Maz&s Angaben entsprechend, auf 
titrimetrischem Wege eine erhebliche Zunahme des reduzierenden 
Zuckers nachzuweisen. (Feuchte Keimlinge frisch: 1,41 Proz. 
Zucker, autolysiert 4,07 Proz. Zucker, als Dextrose berechnet.) 
Da es mir aber wahrscheinlich schien, daß ein diastatisches 
Ferment vorhanden sei, welches nicht reduzierende in reduzierende 
Kohlehydrate umwandelt, unterwarf ich Proben der Keimlinge 
einer hydrolytischen Spaltung durch dreistündiges Kochen mit ver- 
dünnter Schwefelsäure. Nunmehr ergab der titrimetrische Ver- 
gleich der Keimlinge vor und nach der Autolyse keine außerhalb 
der Fehlergrenzen gelegene Differenz des gesamten Zuckergehaltes 
(Keimlinge frisch, mit Säure behandelt, 4,00 Proz., autolysiert 
4,76 Proz. Zucker). 

Schließlich möchte ich bemerken, daß mir bei Anlage und 
Behandlung der Keimlingskulturen die freundlichen Ratschläge 
der Herren Professor Jost und Privatdozent Dr. Hannig zu- 
statten gekommen sind. 


XXXI 


Zur Physiologie des Warmblütermuskels. 
Von Dr. Walther Freund, 


Assıstenten der Klinik. 


(Aus dem Laboratorium der Universitäts - Kinderklinik zu Breslau.) | 


Im Hinblick auf die Beobachtungen und Experimente von 
Jaques Loeb*), über den osmotischen Druck des Froschmuskels 
veranlaßte mich vor einiger Zeit mein Chef, Herr Professor 
Czerny, zu einer Reihe von experimentellen Untersuchungen, 
die in letzter Linie darauf abzielten, die Veränderungen im osmo- 
tischen Verhalten der Gewebe bei den schweren Ernährungs- - 
störungen des Säuglingsalters unserem theoretischen Verständnis 
näher zu bringen. Loeb hatte gezeigt, daß der unverletzt heraus- 
präparierte Gastrocnemius des Frosches mit einer 0,7 proz. Koch- 
salzlösung isotonisch ist, d. h. unter bestimmten Versuchsbe- 
dingungen sein Volumen in derselben nicht ändert, daß aber sein 
osmotischer Druck gegenüber minimalen Mengen von Säuren und 
Basen, sowie gegenüber Konzentrationsänderungen der umgebenden 
Lösung sich als äußerst empfindlich erweist. Es lag nun nahe, 
behufs Studiums der Veränderungen des Salzstoffwechsels im 
kranken Organismus nachzusehen, ob irgendwelche experimentellen 
Schädigungen, von denen eine Alteration des Wasser- und Salz- 
bestandes, der Reaktion der Gewebe usw. erwartet werden 
konnte, zu Änderungen des osmotischen Druckes eines unmittelbar 
post mortem herauspräparierten Muskels führen würden. Um die 
Versuche den Verhältnissen beim Menschen anzunähern, kam . 
es darauf an, einen Warmblütermuskel zu finden, der sich leicht 
unverletzt gewinnen ließ und sich somit zu analogen Versuchen, 
wie die von Loeb am Froschgastrocnemius angestellten, eignete. 


*) Pflügers Archiv 69 u. 71, Physiologische Untersuchungen über Ionen- 


wirkungen. 


Zur Physiologie des Warmblütermuskels. 439 


Ein solcher Muskel fand sich in dem musculus palmaris*) des 
Kaninchens, der in zwei Endsehnen ausläuft und daher sehr leicht 
zu präparieren ist. Zunächst mußte durch Vorversuche fest- 
gestellt werden, wie sich dieser Muskel in osmotischer Beziehung 
gegenüber Kochsalzlösungen verschiedener Konzentration verhält; 
alsdann folgten Versuche über den Einfluß experimenteller Schädi- 
gungen auf das osmotische Verhalten des unmittelbar post mortem 
bzw. nach der Tötung herauspräparierten Muskels. An dieser 
Stelle will ich nur über die Ergebnisse der physiologischen Vor- 
versuche kurz berichten, die vielleicht darum einiges Interesse 
verdienen, weil Zahlen über den osmotischen Druck des Warm- 
blütermuskels meines Wissens bisher noch nicht vorliegen. 

In der Versuchsanordnung folgte ich den Angaben von Loeb und 
beobachtete alle Kautelen, die er für seine Untersuchungen am Frosch- 
muskel angegeben hat. (Möglichst gleiche Größe der Muskeln, vor dem 
Tode Muskelruhe der Versuchstiere, schnelle Entnahme der unverletzten 
Muskeln etc.) Es kamen zur Verwendung Kochsalzlösungen von 0,5, 
0.7, 0,9, 1,1, 1,3, 1,5 Proz. Der frische, gewogene Muskel wurde immer 
genau eine Stunde in der betr. Lösung belassen, dann über Fließpapier 
gerollt und von neuem gewogen, die Gewichtsveränderung in Prozenten des 
Anfangsgewichtes ausgedrückt. Die so an 55 normalen Muskeln erhal- 
tenen Werte sind in folgender Tabelle zusammengestellt. Zu bemerken 
ist noch, daß das absolute Gewicht der untersuchten Muskeln etwa 0,2 
bis 0,3 g betrug. 

Diese Übersicht zeigt im allgemeinen bei den gleich behan- 
delten Muskeln eine desto größere Übereinstimmung in ihrem 
Verhalten gegenüber der umgebenden Lösung, d. h. in ihrer Ge- 
wichtsveränderung, je kleiner diese letztere ist. 

In der 1,5 proz. Kochsalzlösung verändert die Mehrzahl der 
Muskeln übereinstimmend ihr Gewicht gar nicht, der Rest zeigt 
minimale Abnahme. Wir dürfen also den osmotischen Druck der 
verwendeten Muskeln durchschnittlich etwa dem einer Kochsalz- 
lösung gleichsetzen, deren Konzentration nur wenig geringer ist 
als 1,5 Proz. Lösungen von wesentlich geringerer Konzentration 
wird durchgehends vom Muskel Wasser entzogen, wiewohl indi- 
viduelle Schwankungen, deren Vorhandensein auch Loeb trotz 
möglichster Gleichheit der Versuchsbedingungen nicht ganz aus- 
zuschalten vermochte, derart vorkommen, daß für einzelne Muskeln 
sich. eine 1,3- bzw. 1,1proz. Kochsalzlösung als isotonisch heraus- 
gestellt hat. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß dann, 
wenn rechter und linker Muskel desselben Tieres in der gleichen 
Lösung verweilten, sich stets eine vollkommen übereinstimmende 
Gewichtsänderung nachweisen ließ. 


*) Nach Krause, Anatomie des Kaninchens. 2. Auflage. Leipzig 1884. 


Walther Freund, 


440 


Gewichtsveränderung der Muskeln bei einstündigem Verweilen in der betr. Lösung 
(angegeben in Prozenten des Anfanggewichtes). 


+ 45,7 + 834,1 + 26,2 im Mittel aus 3 Versuchen + 35,3 
| 


+98,0 + 283,0 + 29,7 + 29,5 + 21,6 + 20,6 + 18,7 | im Mittel aus 7 Versuchen + 22,4 


0,9 


4161 415,8 + 11,9 + 10,8 + 10,7 +10,1 +97 +95 +94 +8,9 + 7,0 | im Mittel aus 11 Versuchen + 10,9 


1,1 


4-90 +54 +50 +50 +42 +38 +35 +21+0 +40 im Mittel aus 10 Versuchen + 3,6 


+49 +43 +28 +26 #0 +0-+0| im Mittel aus 7 Versuchen + 2,1 


1704204040 +04040 40404040 -14—22 —25 —29 — 2,9 —3,2 a ee 
u an — _— — — DZ — _— m — u — ; 


Zur Physiologie des Warmblütermuskels. 441 


Die Tabelle zeigt weiter, daß die Gewichtszunahmen mit der 
zunehmenden osmotischen Druckdifferenz zwischen Muskel und 
Lösung nicht proportional wachsen, sondern weit schneller. Dieses 
auch den Froschmuskeln eigene Verhalten findet, wie durch Loeb 
nachgewiesen, seine Erklärung darin, daß die Hypotonie der 
Lösung eine Giftwirkung auf das Gewebe äußert, die mit Erhöhung 
des osmotischen Druckes einhergeht und somit den Muskel be- 
fähigt, einer Lösung mehr Wasser zu entziehen, als er in intaktem 
Zustande, entsprechend der osmotischen Druckdifferenz, getan 
hätte. Die Schädigung der Muskeln findet vermutlich auch darin 
ihren Ausdruck, daß mit der zunehmenden Entfernung von der 
isotonischen Konzentration die Übereinstimmung in den erhaltenen 
Werten eine immer geringere wird, der angegebenen Durchschnitts- 
zunahme dementsprechend eine immer bedingtere Gültigkeit zu- 
kommt. 


XXX, 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute 
bei myelogener Leukämie. 
Von O0. Schumm. 


(Aus dem chemischen Laboratorium des Allgemeinen Krankenhauses 
Hamburg-Eppendorf.) 


Die Kenntnis von dem Vorhandensein einer nicht koagulier- 
baren albumoseartigen Substanz im leukämischen Leichenblute 
verdanken wir E. Ludwig!). Er hielt die von ihm aufgefundene 
Substanz den damaligen Anschauungen entsprechend für Pepton. 
Von verschiedenen Seiten?) wurde dieser Befund bestätigt. Bei 
Fällen von „lienal-myelogener* Leukämie fand man im Leichen- 
blute stets eine nicht koagulierbare, albumoseartige Substanz. 
Nur in einem Falle ist auch im „lebenden“ leukämischen Blute 
eine solche Substanz gefunden worden (v. Jaksch)3). 

In den bisher untersuchten Fällen von Lymphämie®) wurde 
keine Albumose gefunden, auch nicht nach 48stündigem Stehen 
bei 30° (Erben). 

Meines Wissens ist noch keine Untersuchung darüber ange- 
stellt worden, wie die im leukämischen Leichenblute vorhandene 
albumoseartige Substanz entsteht. Nachdem im Jahre 1894 
Matthes?) bei einer sorgfältigen Untersuchung leukämischen Blutes 
festgestellt hatte, daß die erwähnte Substanz in ihrem Verhalten 
große Ähnlichkeit mit einer der durch Verdauung entstehenden 
Albumosen besaß und sie demnach geradezu als eine sogenannte 
Deuteroalbumose ansprach, war es naheliegend, anzunehmen, daß 
die Substanz im leukämischen Blute einem „Verdauungsprozesse*, 
also einer fermentativen Wirkung ihre Entstehung verdanke. In 
einer im Jahre 1900 in der Zeitschrift für Klinische Medizin er- 
schienenen Abhandlung „Zur Kenntnis der chemischen Zusammen- 
setzung Iymphämischen Blutes“ äußert sich Erben folgender- 
maßen: „Die Befunde in der Literatur bezüglich des Pepton- bzw. 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 443 


Albumosengehaltes des leukämischen Blutes weisen darauf hin, 
daß in den polynucleären Leukocyten entweder ein Körper, der 
postmortal leicht peptonartige Substanzen abspaltet, oder aber 
wahrscheinlicher ein Ferment enthalten ist, das natürlich nach 
dem Tode des Gewebes bei günstigen Bedingungen seine Wirkung 
entfaltet, die dann in der Gegenwart von peptonartigen Körpern 
sich äußert. Daß dieses Ferment im lebenden Organismus nicht 
zur Wirkung kommt, (was noch mehr als aus dem Fehlen des 
Peptons im lebenden Blute aus dem Mangel von Albumosurie bei 
Leukämie erhellt) ist leicht aus der großen Bindekraft des Blutes 
gegenüber Fermenten erklärlich. € 

Auffallend ist nun nicht sowohl der Mangel des Peptons im 
lebenden Blute unserer Fälle, als besonders die Tatsache, daß im 
aseptisch aufgefangenen Blute auch nach längerem Stehen 
unkoagulierbare Eiweißkörper nicht nachzuweisen waren. Sollte 
sich dieser Befund bestätigen (meiner gründet sich nur auf die 
vorliegenden zwei Fälle), so wäre wohl ein fundamentaler Unter- 
schied zwischen den polynucleären Leukocyten und den Lympho- 
cyten auch in chemischer Beziehung damit gegeben, daß nur die 
polynucleären Leukocyten Fermentträger wären, die Lymphocyten 
dagegen fermentfrei sind.“ 

Ist die Annahme, daß die albumoseartige Substanz im 
leukämischen Blute durch fermentative Eiweißspaltung ent- 
steht, richtig, so darf man es als wahrscheinlich betrachten, daß 
sich in solchem Blute nicht nur eine einzige Art von Albumosen 
auffinden läßt, sondern mehrere. Ferner erscheint es auf Grund 
unserer heutigen Kenntnisse von der Wirkung verschiedener 
eiweißspaltender Fermente des Tierkörpers nicht aussichtslos, in 
solchem Blute auch nach tiefer stehenden fermentativen Spaltungs- 
produkten der Eiweißkörper zu suchen. Das Auffinden mehrerer 
von den Substanzen, die als typische Produkte fermentativer 
Eiweißspaltung gelten, würde es sehon sehr wahrscheinlich 
machen, daß ein proteolytisches Ferment seine Wirkung aus- 
geübt hat. Dann aber wäre zu hoffen, daß sich unter geeigneten 
Bedingungen an solchem Blute ein Fortdauern der Wirkung des 
proteolytischen Fermentes würde zeigen lassen. 


Bei zwei Fällen von myelogener Leukämie habe ich eine 
derartige Untersuchung ausgeführt. Bei dem ersten Falle habe 
ich mich darauf beschränkt, die albumoseartige Substanz zu unter- 
suchen. Es ergab sich, daß sie aus einem Gemisch verschiedener 
Albumosen bestand. Ich habe mich damit begnügt, drei Fraktionen 
darin nachzuweisen, vermute aber, daß diese sich noch weiter 


444 OÖ. Schumm, 


würden aufteilen lassen. Bei dem zweiten Falle konnte ich nach- 
weisen, daß im Blute neben verschiedenen Albumosen Leuein und 
Tyrosin vorhanden waren. Ferner ließ sich im Blute die Anwesen- 
heit eines proteolytischen Ferments feststellen, unter dessen Einfluß 
während einer 2ltägigen Digestion eine bedeutende Vermehrung 
nicht koagulierbarer, stickstoffhaltiger Substanzen eintrat. 

Erster Fall.) 25jähriger Mann, Schiffskoch. Am 11. VI. 0 
fiel ein Sack auf ihn“), er taumelte und stieß mit der linken Wade 
gegen einen eisernen Pfahl. Am 18. VII. 02 wurde er ins Kranken- 
haus aufgenommen. Diagnose: Hämatom der linken Wade. Am 297. VI. 
stellten sich in der rechten Seite des Leibes Schmerzen: ein. Am 98. 
abends plötzlich Temperatursteigerung; das Abdomen ist leicht aufgetrieben 
und gespannt. Am 30. VII. auch in der linken Seite Schmerzen; hier 
findet sich eine umschriebene druckempfindliche Resistenz. Da es sich 
nach dem vorliegenden Befund um das Vorhandensein eines perityphli- 
tischen Abszesses zu handeln scheint, wird die Eröffnung desselben be- 
schlossen. Am 2. VIII. Operation. Der vermeintliche Abszeß erweist sich 
als ein Teil der kolossal vergrößerten Milz. Am 4. VII. tritt unter zu- 
nehmender Herzschwäche der Tod ein. — Bei einer am 2. VII. vor- 
genommenen Urinuntersuchung konnte ich weder Eiweiß noch Nucleo- 
albumin noch Albumose nachweisen. — Bei der Sektion, die 20 Stunden 
nach dem Tode ausgeführt wurde, zeigte sich, daß die Bauchhöhle ganz 
von geronnenen Blutmassen gefüllt war. 

1600 g der Blutmassen wurden mit 1100 g Wasser und einer reich- 
lichen Menge Chloroform #**) vermischt, mit Essigsäure schwach an- 
gesäuert, mit Ammoniumsulfat in der Kälte gesättigt und der Nieder- 
schlag auf einem Filter gesammelt}). Die Hauptmenge des Niederschlags 
wurde mit viel Alkohol verrieben und so zwei Monate lang aufbewahrt. 
Der Niederschlag wurde dann abfiltriert, nach dem Abdunsten des Alkohols 
mit 1’/, Liter Wasser verrieben und im Pergamentschlauch zwei Tage 
gegen fließendes Wasser dialysiert, die Flüssigkeit auf 35° erwärmt und 
filtriert. Das Filtrat wurde von neuem mit Ammoniumsulfat in der Kälte 
gesättigt, der Niederschlag mit 200 com Wasser verrieben und im Per- 
gamentschlauch 32 Stunden gegen destilliertes Wasser unter mehrfachem 
Wechseln des letztern dialysiert. | 


a) Untersuchung der Innenflüssigkeit. 
Sie wurde bei essigsaurer Reaktion vorsichtig enteiweißt, das Filtrat 
mit Ammoniumsulfat in der Kälte gesättigt, der in sehr reichlicher Menge 
entstandene Niederschlag abfiltriert, mit gesättigter Ammoniumsulfatlösung 


*) Von diesem Falle stammte auch die Milz, über deren Untersuchung 
ich kürzlich berichtet habe. (Diese Beiträge 3, 12, 576.) 

**) Aus Rücksicht auf den erforderlichen Raum ist hier nur ein kurzer 
Auszug aus der Krankengeschichte gegeben. 

***) Im Verlaufe dieser ganzen Untersuchung wurde in allen Fällen das 
Material durch reichliche Anwendung von Chloroform vor der Zersetzung 
durch Bakterien bewahrt (nach Salkowski), auch wo dies nicht ausdrücklich 
angegeben ist. 

+) Bei allen Filtrationen wurde hartes Filtrierpapier (Nr. 602) von 
Schleicher und Schüll verwandt. 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 445 


ausgewaschen. Er ließ sich leicht durch Wasser von gewöhnlicher Tem- 
peratur in Lösung bringen. Diese wurde zwei Tage lang gegen destilliertes 
Wasser unter mehrmaligem Wechseln des letzteren dialysiert. Im letzten 
Außenwasser ließen sich nur noch Spuren von Ammoniumsulfat nach- 
weisen. 

a) Aus der Innenflüssigkeit konnte ich in reichlicher Menge ein Ge- 
misch von Albumosen abscheiden, das unter Anwendung von Ammonium- 
sulfat in drei Fraktionen zerlegt wurde. Am bedeutendsten an Menge 
war die durch Ganzsättigung, etwas geringer die durch ?/,-Sättigung und 
noch geringer die durch Halbsättigung fällbare Albumose. Das Gemisch 
dieser Albumosen war durch Lauge nicht denaturierbar, gab intensive 
Biuretreaktion, starke Millonsche Reaktion und eine starke Reaktion-auf 
leicht abspaltbaren Schwefel. Die Reaktionen auf Histon und Muein fielen 
negativ aus; durch Kochen mit verdünnter Salzsäure ließ sich keine 
reduzierende Substanz abspalten. Neben diesen Albumosen enthielt die 
Innenflüssigkeit noch in geringerer Menge eine schwer koagulable Ei- 
weißsubstanz, von der Spuren bei Halbsättigung, der größte Teil bei *1,- 
Sättigung und ein kleiner Teil bei Ganzsättigung mit Ammoniumsulfat 
ausfiel. Von dieser Substanz ließen sich die Albumosen aus der gemein- 
schaftlichen Lösung dadurch trennen, daß letztere zur Trockne ein- 
gedampft und mit wenig heißem Wasser aufgenommen wurde, Diese 
Lösung war bis auf Spuren frei von dem koagulablen Eiweißstoff. 

ß) Beim Eindampfen der vereinigten Portionen des Außenwassers 
bis zur Bildung einer Salzhaut schieden sich klebrige Klümpchen aus. Sie 
wurden rasch mit Wasser abgespült und dadurch ziemlich rein er- 
halten. Sie lösten sich vollständig in Wasser auf und waren durchaus 
frei von koagulabler Eiweißsubstanz. [Letzteres beweist gleichzeitig, daß 
die Substanz tatsächlich dialysierbar ist; hätte es sich um einen Durch- 
tritt der Innenflüssigkeit durch Fehlstellen des Pergamentschlauches ge- 
handelt, so hätte sich im Außenwasser auch koagulable Eiweißsubstanz 
nachweisen lassen müssen.| Die Lösung gab intensive Biuretreaktion. 


b) Untersuchung des Außenwassers. 

Sowohl die während der ersten 24 Stunden wie auch die in den 
folgenden acht Stunden der Dialyse erzielte Außenflüssigkeit war albumose- 
haltig. Beim Eindampfen auf ein kleines Volumen schied die Außen- 
flüssigkeit der ersten 24 Stunden harzige Massen ab, die sich klar in 
Wasser lösten. Eine Probe dieser Lösung gab intensive, fast rote Biuret- 
reaktion. Die Hauptmenge wurde mit Ammoniumsulfat in der Kälte ge- 
sättigt, die ausgeschiedene harzige Masse rasch einige Male mit kaltem 
Wasser abgespült, dann in kaltem Wasser gelöst. Die gelbe, schwach 
sauer reagierende Lösung war frei von koagulablem Eiweiß: sie gab 
starke Biuretreaktion. Durch Essigsäure wurde sie nicht getrübt, auch 
nicht durch Salpetersäure. Durch Zusatz des gleichen Volumens gesättigter 
Kochsalzlösung und etwas Essigsäure oder Salpetersäure entstanden 
starke Trübungen, die sich beim Erhitzen leicht vollständig lösten, beim 
Erkalten wiederkehrten. Bei vorsichtigem Zusatz von verdünntem 
Ammoniak blieb die Flüssigkeit vollkommen klar. Der Rest wurde mit 
verdünntem Ammoniak neutralisiert und auf sein Verhalten gegen Ammo- 
niumsulfat geprüft; bei Halbsättigung und bei Ganzsättigung entstanden 
nur schwache Fällungen, bei ?/,-Sättigung dagegen starke Fällung. Die 
während der weiteren acht Stunden bei der Dialyse erzielte Außenflüssig- 


446 OÖ. Schumm, 


keit lieferte nach dem Einengen beim Sättigen mit Ammoniumsulfat eine 
kleinere Menge von Albumosen in Gestalt harziger gelblicher Klümpchen. 


Die angeführten Beobachtungen beweisen das Vorhandensein 
mehrerer albumoseartiger Substanzen; am reichlichsten sind die 
sogenannten sekundären Albumosen vertreten, die man früher als 
Deuteroalbumosen bezeichnete. ®) 


Zweiter Fall. Auffallend schwere Form von myelogener Leukämie. 
»2jähriges Mädchen, schon während der Schuljahre schwächlich; im 
Verlaufe von Jahren sich herausbildende starke Milzschwellung; keine 
Schwellung der Lymphdrüsen. — Sie starb einige Tage nach ihrer Auf- 
nahme in das Krankenhaus. Der Tod erfolgte durch eine im Anschluß 
an das Platzen einer haselnußgroßen Ovarialcyste eintretende Blutung in 
die Bauchhöhle. Vier Stunden nach dem Tode wurde, von den einige 
Liter betragenden geronnenen Blutmassen aus der Bauchhöhle ein halbes 
Liter, vorwiegend Flüssiges, unter sorgfältiger Vermeidung jeglicher Ver- 
unreinigung herausgenommen. 470 ccm des Blutes wurden sofort mit 
dem gleichen Volumen Wasser im Mörser zerrieben, in einer Flasche 
unter reichlichem Zusatz von Chloroform stark durchgeschüttelt und in 
zwei Hälften geteilt. Die eine Hälfte wurde in einer mit Glasstöpsel ver- 
schlossenen Flasche in den Brutofen (bei 37°) gestellt. Die andere Hälfte 
wurde in einer gut verschlossenen Flasche bis zum nächsten Morgen im 
Eisschrank aufbewahrt, 100 ccm zur Ammoniakbestimmung herausge- 
nommen, der Rest nach schwachem Ansäuern mit Essigsäure aufgekocht, 
nach dem Erkalten reichlich mit Chloroform versetzt, auf das ursprüng- 
liche Volumen aufgefüllt und in gut verschlossener Flasche in den Brut- 
ofen gestellt. Verschiedentlich wurde während der Digestionszeit die 
Sterilität der beiden Flüssigkeiten festgestellt. Nach drei Wochen wurden 
beide aus dem Brutofen genommen; sie enthielten noch reichlich Chloro- 
form und waren steril. Ich bezeichne im folgenden die vor der Digestion 
nicht aufgekochte Portion mit „A“, die vor der Digestion aufgekochte 
mit „B“. Bei A war die über dem Bodensatze stehende Flüssigkeit tief 
bräunlich-gelb mit einem Stich ins Grün, bei B schwach gelblich. Von 
A und B wurden nach kräftigem Umschütteln 100 eem zur Ammoniak- 
bestimmung herausgenommen, die Reste durch Aufkochen bei schwach 
essigsaurer Reaktion und Filtrieren enteiweißt, die Eiweißkoagula mit 
heißem Wasser sorgfältig ausgewaschen und die enteiweißten Flüssig- 
keiten soweit verdünnt, daß 4 ccm 1 g Blut entsprachen. Beide Flüssig- 
keiten wurden in gleicher Weise auf ihr Verhalten bei Zusatz von Brom- 
wasser geprüft, bei der Biuretprobe, bei der Millonschen Reaktion und 
bei fraktionierter Fällung mit Ammoniumsulfat nach vorheriger Neu- 
tralisation mit verdünntem Ammoniak. Gleiche, größere Portionen beider 
Flüssigkeiten wurden auf Leucin und Tyrosin verarbeitet. Leucin wurde 
durch die Art der Sublimation und durch die Scherersche Probe identi- 
fiziert; Tyrosin wurde in den typischen, schönen garben- und büschel- 
förmigen Kristallaggregaten erhalten und außerdem durch die Millonsche 
und Mörnersche Reaktion?) identifiziert. Endlich wurde in beiden. 
Flüssigkeiten der Gesamtstickstoff nach Kjeldahl und der Ammoniak- 
stickstoff nach Nencki und Zaleski®) und nach Schlösing bestimmt. 
Es wurde peinlich genau darauf geachtet, daß die Analysen der beiden 
Flüssigkeiten in genau gleicher Weise zur Ausführung gelangten. 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 447 


Bei den Stickstoffbestimmungen wurde die zu zerstörende Flüssigkeit 
unter Zusatz eines Tröpfehens Quecksilber nicht weniger als zwei Stunden 
mit dem Säuregemisch erhitzt. Bei den Ammoniakbestimmungen verfuhr 
ich genau nach den Angaben von Nencki und Zaleski; nur benutzte 
ich ein unten geschlossenes Destilliergefäß und kochte vor der Titration das 
Destillat zur Entfernung der Kohlensäure aus?). Letzteres geschah auch 
bei den Stickstoffbestimmungen, um etwa vorhandene, die Titration 
fehlerhaft beeinflussende, flüchtige Substanzen zu entfernen. Die Ammoniak- 
bestimmungen nach Schlösing führte ich in Apparaten mit weiten Glas- 
schalen und niedrigen Glasglocken aus, bei deren Anwendung ich in 
Kontrollversuchen aus reinen Lösungen von geringem Gehalte an Chlor- 
ammonium richtige Ammoniakwerte erhielt. Die Proben blieben drei Tage 
stehen. Sowohl bei den Stickstoffbestimmungen, wie auch bei den Am- 
moniakbestimmungen wurde der Stickstoffgehalt der Reagentien und des 
Wassers durch Blindversuche ermittelt und die entsprechende geringe 
Menge in Abzug gebracht. 

Die bei der Untersuchung erhaltenen Befunde sind der Übersicht- 
lichkeit halber tabellarisch zusammengestellt. 


Tabelle»L 


Ammoniak, nach Nencki und Zaleski im nicht enteiweißten Blut 
bestimmt, in 100 ecem Blut: 


Nach 19stündigem Stehen jan nn. Aufkochen| Nach S21tägiger Digestion 
im Eisschrank bei Gegen- a Er 20 Br .| bei 370, bei Gegenwart von 
j TIER tägiger Digestion bei 37°, bei een 
wart von Chloro Gegenwart von Chloroform 
0,0104 & 0,0157 g 0, 0464 & 


Tabelle I. 


Aus den Analysen der enteiweißten Filtrate von A und B berechnen 
sich folgende Werte für 100 g Blut: 


A | B- 
Gesamtstickstoff der nicht 
2 298 g 416 

koagulierbaren Substanzen LASSE ER 
= nach Nencki-und Zaleski 0,0479 8 0,0151 g 
E bestimmt (= 0,0895 & N) (= 0,0185 g N) 
S r | Hr 
5 nach Schlösing bestimmt BEnE | 0,0194 8 

. (= 0,0508 g N) | (= 0,0160 g N) 


Im Einklange mit der bedeutenden Zunahme nicht koagulabler Stick- 
stoffsubstanzen bei der Digestion der nicht gekochten Portion (A) stehen 
die folgenden Befunde, durch welche der Verlauf der fermentativen Ei- 
weißspaltung weiter gekennzeichnet wird: 


448 O. Schumm, 


Tabelle IT. 


8 = = E) eo 5 2 
3.8, 8, | ee 
= u Ss .— —— | Hast ®& ze] & (es) So ei - 
ne Se Di, 5 — ee A o > 
we == DM == SE 5 Sp 
Irre ie ee 
>22 An a2 ar a Fr Te zu = 
= - a = = 
E = 
ler r7 ' 
A inten- ziemlich ziemlich 
Portion A Er stark i es Ha 
a stark sive positiv geringe reichlich| vor- reichlich 
ojweigt || positiv | Rot- rot | Menge | vor- |handen | vor- 
| 'färbung | handen handen 
| IR stark ziemlich 'ziemlich| |. 
Portion B| ' mäßige | u chlich\reichlich nicht > 
schwach - positiv, |reichlich reichlie eringe 
ent- | Ki Rot- Pe i : nach- 5 S 
EE 90SItIV | 2: violett- |  vor- vor- : Menge 
eiweißt | P färbung | weisbar 5 
| |. EOR handen | handen 


Der beobachtete Vorgang bietet hiernach durchaus das Bild 
einer fermentativen Eiweißspaltung. Eine weitere Verarbeitung 
des übrigen Materials habe ich noch nicht ausgeführt, da sie 
wegen seiner immerhin kleinen Menge nur geringen Erfolg ver: 
sprach. Ich beabsichtige, diesen Rest der Verdauungsprodukte 
zusammen mit neuem Material zu untersuchen. Vermutlich 
werden sich dann noch weitere Produkte der fermentativen Ei- 
weißspaltüng gewinnen lassen. 

Die bei der nicht gekochten Portion (A) beobachtete Zunahme 
des Ammoniakstickstoffs während der Digestion ließ die Aus- 
führung eines Vergleichsversuchs mit möglichst normalem mensch- 
lichen Blute wünschenswert erscheinen. In Ermangelung ge- 
eigneteren Materials untersuchte ich vorläufig das Blut in zwei 
Fällen, bei denen ich Änderungen der chemischen Eigenschaften 
des Blutes im Sinne der bei Leukämie vorhandenen für unwahr- 
scheinlich hielt. 


Im ersten Falle handelte es sich um Tabes dorsalis, Insufficientia 
valvulae mitralis et aorticae, Emphysem; ferner bestanden Stauungser- 
scheinungen. Am 23. VI. 03 entnahm Herr Dr. Franke 175 cem Blut durch 


Venäsektion. Ich schüttelte sofort 168 g des Blutes mit 160 g Wasser 


und 8 g Äther und stellte die Flüssigkeit in einer verschlossenen Flasche 
in den Eisschrank. Am nächsten Morgen wurden etwa 200 g abgegossen, 
52 g sofort zur Ammoniakbestimmung nach Nencki und Zaleski ver- 
wandt; 70 g nach Zusatz von Chloroform in den Brutofen gestellt; 


weitere 70 g nach dem Verdünnen mit etwas Wasser und An-' 


säuern mit Essigsäure*) aufgekocht, eine Minute im Sieden erhalten, 
quantitativ in eine Flasche übergefüllt, nach dem Erkalten mit Chloroform 


*) Den Zusatz von Essigsäure habe ich in diesem Falle gemacht, um 
sicher jeden Ammoniakverlust beim Aufkochen zu vermeiden. 


ee 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 449 


versetzt und ebenfalls in den Brutofen gestellt. Nach sechs Wochen 
wurde in beiden Portionen der Ammoniakgehalt bestimmt. — 

Im zweiten Falle handelte es sich um einen alten Mann, der einen 
Gehirnschlag erlitten hatte. Am 1. Vli. 03 entnahm Herr Dr. Müller 
durch Venäsektion einige hundert cem Blut*), die in einem etwas 
Toluol enthaltenden Glasgefäß aufgefangen wurden. 148 g des Blutes 
mischte ich sofort mit dem gleichen Volumen Wasser. Von dieser 
Flüssigkeit wurden 74 g nach Zusatz von Chloroform und Toluol in den 
Eisschrank gestellt und am nächsten Morgen auf Ammoniak unter- 
sucht; 148 g wurden nach Zusatz von Chloroform und Toluol gleich in 
den Brutofen gestellt; 74 g wurden ferner nach dem Verdünnen mit 
etwas Wasser aufgekocht (absichtlich ohne Essigsäurezusatz), quantitativ 
in eine Flasche übergeführt, nach dem Erkalten mit Chloroform und 
Toluol versetzt und ebenfalls in den Brutofen gestellt. Nach drei Wochen 
wurde in beiden Portionen das Ammoniak bestimmt. 


Die bei diesen Fällen ermittelten Werte sind mit den bei der 
Untersuchung des leukämischen Blutes erhaltenen in der folgenden 
Tabelle zusammengestellt. 


Tabelle IV. 
Ammoniak, nach Nencki und Zaleski im nicht enteiweißten Blute 
bestimmt; in 100 g Blut: 


Nach sofortigem | ö 2 ; 

Nach 19- bis 20- | Aufkochen und .dar- Nach Digestion bei 
auf folgender Di- Gegenwart von 
gestion bei Gegen- | Chloroform, bei 

i wart von Chloro- |I. 6 Wochen lang, 
Ener! ker form,bei 1.6Wochen bei IL. u. IH. 
Haus !ber Ei TIEF Wochen ish 


3 Wochen lang | 
I. Tabes dorsalis, 
Insufficientia valvulae 
mitralis et aorlicae, 


stündigem Stehen 
im Eisschrank bei 


0,0004 & 0,0045 & 0,0079 
Emphysem, Stauungs- 5 or: 2 
erscheinungen. 
Venäsektion. 2 
Il. Gehirnschlag. 
Io oO 3 © 
enasektion 0,0012 g 0,0068 8 0,0085 8 
III. Myelogene Leuk- EN 
ämie. — Leichenblut. EIER JE ne 


Beim leukämischen Blute wurde in der nicht aufgekochten 
Portion nach drei Wochen langer Digestion etwa dreimal soviel 
Ammoniak gefunden wie in der vor der Digestion aufgekochten 
Probe. Demnach hat eine ziemlich erhebliche fermentative 
Ammoniakbildung stattgefunden, als deren Ausdruck auch der 
verhältnismäßig hohe Anfangswert für Ammoniak in der vor der 


*) Der Kranke starb noch am Abend desselben Tages. 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 29 


450 OÖ. Schumm, 


künstlichen Digestion untersuchten Blutportion anzusehen ist. Er 
übertrifft die bei den beiden anderen Fällen (I u. II der Tabelle IV) 
gefundenen Anfangswerte um das Vielfache. 

Die bei den Fällen I und Il ermittelten Zahlen scheinen zwar 
darauf hinzudeuten, daß überhaupt im menschlichen Blut bei der 
Digestion in Gegenwart von Chloroform eine geringfügige fermen- 
tative Ammoniakbildung erfolgt. Indes ist zu berücksichtigen, 
daß es sich bei den Fällen I und II doch nur um minimale 
Mengen von Ammoniak handelt und daher die durch die Analyse 
ermittelten Zahlen nur als annähernd richtige zu betrachten sind. 
Ob wirklich eine fermentative Ammoniakbildung bei der Digestion 
normalen, gegen Bakterieneinwirkung geschützten menschlichen 
Blutes stattfindet, muß noch durch eine besondere Versuchsreihe 
festgestellt werden. — 

Durch die vorliegende Untersuchung ist das, Vorkommen eines 
proteolytischen Fermentes im Blute bei myelögener Leukämie 
sichergestellt. Dadurch erklärt sich auch in einfacher Weise der 
Gehalt solchen Blutes an Albumosen. — 

Über die Wirkungsweise dieses Ferments beabsichtige ich 
weitere Versuche anzustellen und im Anschluß daran auch eine 
Untersuchung des Knochenmarks auszuführen. — 

Das in dieser Untersuchung benutzte Material wurde mir von 
den Herren Prosektor Dr. E. Fraenkel, Oberarzt Dr. Sick, 
Oberarzt Dr. Rumpel, Dr. K. Reuter (Prosektor am hiesigen 
Hafenkrankenhause, früher Assistenzarzt in Eppendorf), sowie den 
Herren Assistenzärzten Dr. Moltrecht, Dr Müller und Dr. 
Franke in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt. Den 
genannten Herren spreche ich auch an dieser Stelle meinen besten 
Dank aus. 


Literaturverzeichnis. 

1. E. Ludwig, Wiener med. Wochenschr. 1881. 

2,v. Jaksch, Zeitschr. f. klin. Medizin 6, 1883. — v. Jaksch, 
Zeitschr. f. phys. Chemie 16, 1892. — v. Jaksch, Klin. Diagnostik, 4. Aufl. 
1896. — Freund und Obermayer, Zeitschr. f. phys. Chemie 15, 1891, 
— Matthes, Berl. klin. Wochenschr. 1894. — v. Limbeck, Grundriß einer 
klin. Pathologie des Blutes. Jena 1896. 

3. v. Jaksch, loc. eit. — Devoto, Rivista clinica 30, 1891 (zitiert 
nach v. Jaksch). 

4. Straus, Charitö-Annalen 1898 (zitiert nach Erben). — Erben, 
Zeitschr. f. klin. Medizin 40, 1900. - 
. loc. cit. 

. Pick, Zeitschr. f. phys. Chemie 24, 1898. 

. Mörner, Zeitschr. f. phys. Chemie 87. 

Nencki und Zaleski, Zeitschr. f. phys. Chemie 39. | 
. Siegfried, Anmerkung in der Arbeit von O. Thiele, Zeitschr. 
f. phys. Chemie 37, 297. 


Do In Du 


Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 451 


Analytische Belege*). 


Zu Tabelle I. Ammoniakbestimmungen nach Nencki und Zaleski. 


2 


100 cem verdünntes Blut = 50 g Blut, nach Zusatz von Chloroform 
19 Stunden im Eisschrank gestanden, erforderten zur Bindung 


des ausgetriebenen Ammoniaks 3,05 cem H,SO, — 0,005185 g 
Ni, = 0.010537 Proz. NH,. 


. 100 cem verdünntes Blut —=50 g Blut, aufgekocht und danach 


3 Wochen unter Zusatz von Chloroform bei 37° digeriert, er- 
forderten zur Bindung des ausgetriebenen Ammoniaks 4,62 cem 


CH, SO, — 0,007854 g NH, — 0,015708 Proz. NH,. 


. 100 ecem verdünntes Blut = 50 g Blut, nach Zusatz von Chloroform 


3 Wochen bei 37° digeriert, erforderten zur Bindung des aus- 
? B N . 
getriebenen Ammoniaks 13,66 cem nz 1,80, 0,023222 & NEL, = 


0,045444 Proz. Ammoniak. 


Zu Tabelle II. Stickstoffbestimmungen nach Kjeldahl und Ammoniak- 
bestimmungen nach Nencki und Zaleski und nach Scehlösing. 


T: 


180) 


Je 10 cm des enteiweißten Filtrats von A — 2,5 g Blut erforderten 
bei der Stickstoffbestimmung 23,16 cem resp. 23,21 ccm =H, SO,, 
im Mittel 23,19 ccm = 0,032466 g N —= 1,29864 Proz. N. 


. Je 10 ccm des enteiweißten Filtrats von B== 2,5 g Blut erforderten 


bei der Stickstoffbestimmung 7,47 resp. 7,37 ccm H,SO,, im 
Mittel 7,42 ccm — 0,010388 g N —= 0,41552 Proz. N. 


. 40 ccm des enteiweißten Filtrats von A=10 g Blut erforderten 


zur Bindung des nach Nenecki und Zaleski ausgetriebenen Am- 
moniaks 2,82 cem H,SO, — 0,004794 g NH, — 0,04794 Proz. 
NH, = 0,03948 Proz. Ammoniakstickstoff. 


.40 cem des enteiweißten Filtrats von B=10 g Blut erforderten 


zur Bindung des nach Nencki und Zaleski ausgetriebenen Am- 
moniaks 0,89 ccm CH, SO, = 0,001513 g NH, = 0,01513 Proz. 
NH, = 0,01246 Proz. Ammoniakstickstoff. | 


. 40 ccm des enteiweißten Filtrats von A=10 g Blut erforderten 


zur Bindung des nach Schlösing ausgetriebenen Ammoniaks 


3,63 cem H,SO, — 0,006171 g NH, — 0,06171 Proz. NH, = 


0,05082 Proz. Ammoniakstickstoff. 


. 40 cem des enteiweißten Filtrats von B=10 g Blut erforderten 


zur Bindung des nach Schlösing ausgetriebenen Ammoniaks 
Nı ca 
1,14 cem „,H, 50, — 0,001938 8 NH, — 0,01938 Prox% NH, 


0,01596 Proz. Ammoniakstickstoff. 


Menge 


*) Durch Blind-Versuche war festgestellt, daß von der gebundenen 


r H,; SO, bei den Ammoniakbestimmungen nach Nenckiund Zaleski 


0,15 ccm und bei den Stickstoffbestimmungen nach Kjeldahl 0,40 ccm als 
Korrcktur in Abzug zu bringen waren. 


29* 


452 


O. Schumm, Über ein proteolytisches Ferment im Blute usw. 


Zu Tabelle IV. Ammoniakbestimmungen nach Nencki und Zaleski. 


WD 


a) Tabes dorsalis. 


.52 g verdünntes Blut = 26 g Blut, 19 Stunden im Eisschrank 


gestanden, erforderten zur Bindung des ausgetriebenen Am- 
moniaks 0,06 cem —H,S0, — 0,000102 g NH, — 0,0001 Proz. NH,. 


. 70 g verdünntes Blut = 35 g Blut, aufgekocht und danach 6 Wochen 


bei 37° digeriert, erforderten zur Bindung des ausgetriebenen Am- 
moniaks 0,92 cem H, SO, = 0,001564 g NH, = 0,00447 Proz. NH,. 


. 70 g verdünntes Blut = 35 g Blut, 6 Wochen lang bei 37° digeriert, 


erforderten zur Bindung des ausgetriebenen Ammoniaks 1,63 cem 
—H, SO, — 0.009771 g NH, = 0,00792 Proz. NH,. 


b) Haemorrhagia cerebri. 


. 74 g verdünntes Blut = 37 g Blut, 20 Stunden im Eisschrank ge- 


standen, erforderten zur Bindung des ausgetriebenen Ammoniaks 
Nun 
0,26 cem 108250, =00001412°87NH, == 0,00119 Proz. NH,. 


. 74 g verdünntes Blut = :7 g Blut, aufgekocht und danach 3 Wochen 


bei 37° digeriert, erforderten zur Bindung des ausgetriebenen Am- 
moniaks 1,49 ecem rn H,SO, = 0,002533 g NH, = 0,006846 Proz. NH;. 


. Verdünntes Blut, 3 Wochen bei 37° digeriert; davon erforderten 


zur Bindung des ausgetriebenen Ammoniaks: 
a) 74 &— 37 g Blut 1,84 ccm H,SO, — 0,003128 g NH, — 
0,008454 Proz. NH;. 
ß) 70 g—35 g Blut 1,74 cem XH,SO, — 0,002958 g NH, — 
0,008451 Proz. NH,, Mittel 0,0084525 Proz. NH,. 


XNNY: 
Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. 


“ 


Von ©. Sehumm. 


(Aus dem chemischen Laboratorium des Allgemeinen Krankenhauses 
Hamburg-Eppendorf.) 


Während nach Neumeister im normalen Blute Albumosen und 
Peptone nicht vorkommen sollen, kamen neuerdings Embden und 
Knoop!), ferner Langstein°) bei ihren Untersuchungen in Überein- 
stimmung mit älteren Autoren zum gegenteiligen Ergebnis. Embden 
und Knoop schließen aus ihren an Blut von Hunden angestellten 
Versuchen, „daß im normalen Blute Albumosen vorkommen 
können“. Langstein untersuchte „drei Ochsenblutsera, sieben 
Pferdeblutsera und zweimal Blutserum von Menschen, das durch 
zu eurativen Zwecken ausgeführte Aderlässe an Herzkranken mit 
schweren Stauungserscheinungen gewonnen war“. Er fand in allen 
Fällen, aber in sehr verschiedener Menge eine nicht koagulable 
Substanz. Die Arbeiten von Embden und Knoop und von Lang- 
stein veranlassen mich, schon jetzt, vor Abschluß meiner Versuche, 
über einen Fall von chronischer Schrumpfniere zu berichten, bei dem 
es mir gelang, aus dem durch Venäsektion entnommenen Blute in 
verhältnismäßig reichlicher Menge eine albumosenartige Substanz 
abzuscheiden. Ich habe mich dabei im wesentlichen des seiner- 
zeit von Matthes?) bei der Untersuchuug leukämischen Blutes be- 
nutzten Verfahrens bedient. 

Da es zur Beurteilung derartiger Befunde indes notwendig 
ist, die angewandte Methodik genau zu kennen, gebe ich nach- 
stehend eine ausführliche Beschreibung des von mir 'einge:- 
schlagenen Weges. 


Chronische Schrumpfniere. 
Am 9. X. 01 wurden dem Patienten durch Venäsektion 360 g 
Blut entnommen, unter aseptischen Kautelen in einem sterilen 
Kolben aufgefangen und so bei etwa 15° im Zimmer stehen ge- 


454 | OÖ. Schumm, 


lassen. Nach 20 Stunden war noch keine Gerinnung eingetreten. 
Dann wurden 245,4 g Serum abgehoben und unter Zusatz von 
Chloroform (nach Salkowski) und Thymol mit zuvor pulverisiertem 
reinsten neutralen Ammoniumsulfat kalt gesättigt. Der aus dem 
Blutkörperchenbrei und etwas Serum bestehende Rest im Ge- 
wichte von 113 g (im folgenden kurz als „Blutkörperchenbrei“ 
bezeichnet) wurde ebenso behandelt. Beide Gemische wurden 
filtriert, die beiden Niederschläge gesondert mit dem mehrfachen 
Volumen absoluten Alkohols verrieben und so in mit Glasstöpseln 
verschlossenen Gefäßen im Zimmer aufbewahrt. — 


Die beiden Filtrate wurden sofort durch Eindampfen auf dem 
Wasserbade und Absaugen von dem ausgeschiedenen Ammonium- 
sulfat auf etwa 20 ccm eingeengt. Die dem Serum entstammende 
Flüssigkeit war gelblich, die dem Blutkörperchenbrei entstammende 
hellbräunlichgelb. In den mit einem Volumen Wasser ver- 
dünnten Flüssigkeiten entstand bei vorsichtigem Zusatz von 
Tanninlösung keine Ausscheidung. Echtes Pepton (Kühne) war 
somit nicht nachweisbar. Nachdem die durch Ammoniumsulfat 
aus dem Serum und dem Blutkörperchenbrei erhaltenen Nieder- 
schläge zu möglichster Koagulation der Eiweißkörper zwei Monate 
unter Alkohol gestanden hatten, wurde der Alkohol abfiltriert, 
zuletzt unter Benutzung der Saugpumpe. Die weitere Verarbeitung 
geschah folgendermaßen: | 

a) Der Niederschlag aus dem Serum wurde mit etwa 400 cem 
Wasser unter Zusatz alkoholischer Thymollösung verrieben und 
in zwei Pergamentschläuchen zunächst 18 Stunden gegen stehen- 
des, dann 48 Stunden gegen fließendes Wasser dialysiert, wobei 
für genügenden Thymolgehalt der Flüssigkeit gesorgt wurde. Der 
Inhalt der beiden Schläuche wurde gemischt, die völlig neutral 
reagierende Flüssigkeit halbiert und die eine Hälfte zurückgestellt. 

Die andere Hälfte wurde bei neutraler Reaktion im Jenaer 
Stehkolben vorsichtig aufgekocht, sofort durch ein Filter aus 
hartem Papier filtriert, das Filtrat sogleich mit wenigen Tropfen 
Essigsäure angesäuert, nochmals aufgekocht und filtriert. Das 
Filtrat war klar, nur in dicker Schicht zeigte es eine minimale 
Opaleszenz. Nach dem Erkalten wurde es nochmals filtriert. Die’ 
Flüssigkeit zeigte folgendes Verhalten: Essigsäure-Ferrocyankalium 
bewirkte keine Spur einer Trübung. Sie gab schwache, aber 
deutliche Biuretreaktion. Mit dem gleichen Volumen absoluten 
Alkobols gab sie eine mäßig starke Trübung. Bei der Salpeter- 
säure-Schichtprobe entstand kein weißer Ring, nach einigen’ 
Minuten aber an der Berührungsstelle Gelbfärbung. Beim Auf- 


Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. 455 


kochen und Zusatz von '/ıs Volumen Salpetersäure blieb die 
Flüssigkeit völlig klar, es entstand aber Gelbfärbung. Nach Zu- 
satz des gleichen Volumens gesättigter Kochsalzlösung blieb die 
Flüssigkeit in der Kälte und beim Erhitzen klar. — Die Haupt- 
menge wurde nun allmählich mit pulverisiertem reınstem Am- 
moniumsulfalt gesättigt. 


Schon bevor alles Salz gelöst war, entstand eine reichliche 
flockige Ausscheidung. Durch Abfiltrieren wurde eine nicht 
unbedeutende Menge eines etwas klebenden dunkelgrauen Nieder- 
schlags erhalten. Dieser wurde mit etwas Wasser angerieben, 
die Flüssigkeit durch Zusatz einer Spur Sodalösung genau 
neutralisiert, filtriert, aufgekocht, durch ein „hartes“ Filter 
filtriert und das Filtrat mit der dreifachen Menge absoluten 
Alkohols gefällt. Der entstandene reichliche grobflockige weiße 
Niederschlag wurde zur Entfernung etwa noch anhaftender 
Spuren von Thymol an der Saugpumpe gründlich mit absolutem 
Alkohol ausgewaschen. Nach dem Abdunsten des Alkohols wurde 
der graue Rückstand mit etwas Wasser verrieben, wobei fast 
vollständige Lösung eintrat, die Flüssigkeit aufgekocht und filtriert. 
Das Filtrat war schwach gelblich gefärbt und besaß eine geringe 
Opaleszenz. Ein kleiner Teil wurde zur Trockne eingedampft und 
der Rückstand auf dem Platinblech erhitzt. Die Substanz ver- 
brannte unter Entwicklung des Geruchs nach verbranntem Horn; 
gleichzeitig entwich Ammoniak, von beigemengtem Ammonium- 
sulfat herrührend. Die Flüssigkeit gab ferner deutliche Biuret- 
reaktion (rotviolett) und starke Millonsche Reaktion (Flüssigkeit 
und Flocken tief rot). Beim. Erhitzen wie auch beim darauf 
folgenden Erkalten trübte sie sich nicht. Beim Aufkochen unter 
Zusatz von !/ı Volumen Salpetersäure entstand keine Trübung, 
nur starke Gelbfärbung, beim nachherigen Übersättigen mit 
Ammoniak tiefgelbe Färbung. Auch in der Kälte wurde die 
Flüssigkeit durch Zusatz kleinster bis größerer Mengen von 
Salpetersäure nicht getrübt. Ebenso wenig entstand eine Trübung 
bei Zusatz des gleichen Volumens gesättigter Kochsalzlösung und 
etwas Salpetersäure oder Essigsäure. Zusatz von sehr verdünnter 
wie von stärkerer Ammoniakflüssigkeit bewirkte keine Trübung. 
Ebenso bewirkte Zusatz von Essigsäure und Ferrocyankalium keine 
Trübung. Kochen der Flüssigkeit mit Kalilauge und einer Spur 
Bleiacetatlösung bewirkte Braunfärbung. Eine nähere Charakteri- 
sierung der Substanz war aus Mangel an Material nicht möglich. 
Das angegebene Verhalten führt dazu, sie als eine albumosenartige 
Substanz anzusprechen. 


456 OÖ. Schumm, 


Es ist oben gesagt worden, daß die Hälfte der nach dem 
Dialysieren resultierenden Flüssigkeit einstweilen zurückgestellt 
wurde. Sie ist vor der weiteren Verarbeitung auf 37° erwärmt 
und einige Stunden im Brutschrank gehalten worden, um etwa 
vorhandene schwer lösliche „Albumosen“ möglichst in Lösung zu 
bringen. Im übrigen wurde sie in gleicher Weise verarbeitet wie 
die andere Hälfte, und es wurde in etwa gleicher Menge eine 
Substanz gewonnen, die in ihrem Verhalten der oben be- 
schriebenen glich. 

b) Bei der Verarbeitung des Niederschlags aus dem „Blut- 
körperchenbrei* wurde genau das unter „a“ angewandte Ver- 
fahren befolgt. Beim Sättigen der enteiweißten Flüssigkeit mit 
Ammoniumsulfat wurde nur eine ganz spärliche Ausscheidung 
erhalten. Der durch Abfiltrieren gewonnene Niederschlag war so 
gering, daß eine Reinigung der daraus hergestellten wässerigen 
Lösung durch Alkoholfällung unterblieb. Die Flüssigkeit wurde 
auf ihr Verhalten gegen Salpetersäure, Ferrocyankalium-Essigsäure 
und Millons Reagens, ferner mit der Biuretprobe geprüft. Sie 
verhielt sich dabei wie die aus dem Serum gewonnene Substanz. — 

Die geringe Menge, in der die Substanz aus dem „Blut- 
körperchenbrei*, also aus den mit Serum verunreinigten Blut- 
körperchen, gewonnen wurde, macht es wahrscheinlich, daß die 
gefundene Substanz nur im Serum enthalten war. — Ä 

Am 10. X. 01 starb der Patient. Bei der 21 Stunden nac 
dem Tode ausgeführten Sektion wurden 360 g Blut entnommen, 
mit dem gleichen Volumen Wasser verdünnt, mit Chloroform und 
Thymol versetzt, mit Ammoniumsulfat kalt gesättigt und im 
übrigen in der unter „a“ angegebenen Weise behandelt. Dabei 
wurde ebenfalls eine nicht koagulable Substanz erhalten, aber 
nur in so geringer Menge, daß sie sich nicht näher charakteri- 
sieren ließ. 

Da bei der Untersuchung des nach dem Tode entnommenen 
Blutes nur Spuren, bei der Untersuchung des durch Venäsektion 
gewonnenen dagegen eine ziemlich erhebliche Menge einer 
albumosenartigen Substanz gefunden ist, die Untersuchungs- 
methode aber in beiden Fällen die gleiche war, erscheint ziemlich 
ausgeschlossen, daß die gefundene Substanz durch eine Zersetzung 
der koagulablen Eiweißkörper des Blutes bei den durch die Unter- 
suchungsmethode bedingten Manipulationen entstanden ist. Trotz- 
dem habe ich besondere Versuche angestellt, um die Zuverlässig- 
keit der Methode zu erproben. 


Von dem Eiweißkoagulum, das durch Aufkochen der dialysierten 
Flüssigkeit bei neutraler Reaktion erhalten (siehe unter „a“) und unter 


Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. 457 


Chloroformwasser aufgehoben war, wurde eine Portion mit 400 cem Wasser 
im Kolben bei neutraler Reaktion aufgekocht und die Flüssigkeit durch 
ein „hartes“ Filter filtriert. Das Filtrat wurde durch Alkohol nicht ge- 
trübt. — Ferner wurde eine größere Portion des erwähnten Eiweiß- 
koagulums mit 600 ecm Wasser verrieben, ein Teelöffel voll Ammonium- 
sulfat und etwas alkoholische Thymollösung zugesetzt und das Ganze im 
Kolben aufgekocht und filtriert. Das Filtrat wurde mit Essigsäure 
schwach angesäuert, wieder aufgekocht und filtriert. Abgesehen von 
einigen Papierfasern, erschien das Filtrat in einem Becherglase von 
10 em Durchmesser absolut klar. Durch das gleiche Volumen Alkohol 
absolutus wurde es nicht im geringsten getrübt. Zusatz von Essigsäure 
und Ferrocyankalium bewirkte auch nach längerer Zeit keine Trühung. 
Die Biuretreaktion war völlig negativ. Die Hauptmenge der Flüssigkeit 
wurde mit Ammoniumsulfat in der Kälte gesättigt und filtriert, das 
Filter mit einer kleinen Menge Wasser ausgespült und diese Flüssigkeit 
aufgekocht und filtriert. Das Filtrat gab beim Erhitzen mit Salpeter- 
säure eine schwache Gelbfärbung:; die Biuretprobe fiel dagegen negativ aus. 

Weiterhin habe ich geprüft, ob das zugesetzte Thymol zu Täuschungen 
Anlaß geben kann. Eine große Messerspitze voll kristallisierten Ovalbumins, 
das durch Absaugen von der Mutterlauge möglichst befreit war, wurde in 
Wasser gelöst und die Lösung im Pergamentschlauch einige Tage gegen 
destilliertes Wasser dialysiert, bis die Außenflüssigkeit nur noch sehr 
geringe Schwefelsäurereaktion gab. Der Schlauchinhalt wurde mit einer 
Lösung von 2 g Thymol in 8 g Alkohol vermischt. Von dem entstandenen 
reichlichen N hederschlage w urde nach 48 Stunden die überstehende 
Flüssigkeit abgegossen, der Niederschlag mit Alkohol geschüttelt, der 
Alkohol abfiltriert und der Niederschlag auf dem Filter mit Alkohol aus- 
gewaschen. Der Niederschlag hatte keinen Thymolgeruch. Er wurde mit 
200 cem Wasser verrieben, unter Zusatz einiger Tropfen Essigsäure auf- 
gekocht und die Flüssigkeit heiß filtriert. Nach dem Erkalten wurde 
nochmals filtriert. Das klare Filtrat gab keine Biuretreaktion. Die Essig- 
säure-Ferrocyankalium-Reaktion zeigte eine Spur der Koagulation ent- 
gangenen Eiweißes an. Die Hauptmenge der Flüssigkeit wurde mit 
Ammoniumsulfat gesättigt, wobei nur eine feine Tr übung entstand. Nach 
24stündigem Ehen wurde die Flüssigkeit filtriert und das Filter mit 
heißem Wasser ausgelaugt. Eine albumosenartige Substanz ließ sich nicht 
nachweisen. — 

An dieser Stelle muß daran erinnert werden, daß das Thymol bei 
einigen Eiweiß- resp. Albumose-Reaktionen stören kann. In besonderen 
Versuchen konnte ich bei Thymollösungen durch Erhitzen mit Millons 
Reagens Rotfärbung, durch Erhitzen mit Salpetersäure Gelbfärbung mit 
unmittelbar folgender Trübung erhalten. Man entfernte daher das Thymol 
durch Anwendung von Alkohol. — 

Die mitgeteilten Erfahrungen geben keinen Grund zu der Annahme, 
daß die von mir bei chronischer Nephritis aus dem Blute isolierte Substanz 
durch Zersetzung koagulabler Eiweißstoffe bei den durch die Unter- 
suchungsmethode bedingten Manipulationen entstanden ist. — 

Der positive Befund bei dem Falle von Nephritis veranlaßte 
mich, auch bei anderen Krankheiten das Blut auf Albunosen zu 
prüfen. Da sich die Gelegenheit bot, untersuchte ich zunächst 


das Blut einer an perniziöser Anämie gestorbenen Frau. Der 


458 OÖ. Schumm, 


Tod erfolgte am 26. X. 01. 1'/, Stunden nach dem Tode wurden 
307 g Blut entnommen und in einem sterilen Kolben aufgefangen. 
Nach kurzer Zeit trat Gerinnung ein; die Abscheidung des Serums 
aus dem Blutkuchen erfolgte rasch. Eine halbe Stunde nach Ein- 
tritt der Gerinnung ließen sich schon 230 g und nach weiteren 
1'/, Stunden noch 43 g Serum abgießen. Der Blutkuchen im 
Gewichte von 34 g wurde dann mit der gleichen Menge Wasser 
verrieben und mit Ammoniumsulfat in der Kälte gesättigt. Die 
Hauptmenge des Serums, reichlich 200 g, wurde ebenfalls mit der 
gleichen Menge Wasser verdünnt und mit Ammoniumsulfat 
gesättigt. 

Ein Teil des Serums wurde zu einigen quantitativen Bestimmungen 
verwandt. Dabei wurden folgende Werte erhalten: 


Gesamtstickstoelf. 3-7. re Er 
Gesamteiweißstoffe. > :.Y27 ans 2.202 
Kobulia..2 2375; N Ole... 


Belege: Bei der Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl erforderten 

zur Bindung des entwickelten Ammoniaks 
a) 5 ccm Serum 3,8 cem N-H,SO, \ 
037,4 RE NAEET 

10 ccm Serum, mit 40 cem Wasser verdünnt, mit Magnesiumsulfat 
bei 17° gesättigt, Niederschlag auf gewogenem Filter gesammelt, mit ge- 
sättigter Magnesiumsulfatlösung gewaschen, bei 115° getrocknet, mit 
heißem Wasser, Alkohol, Ather gewaschen, bei 115° bis zur Gewichts- 
konstanz getrocknet, gaben 0,2275 g Globulin, darin 0,0024 g Asche. 

10 ccm Serum mit 70 ccm Alkohol absolutus; gefällt, Niederschlag 
auf gewogenem Filter gesammelt, mit Alkohol, Ather gewaschen, bei 
115° bis zur Gewichtskonstanz getrocknet, gaben 0,6150 g Gesamteiweiß- 
stoffe, darin 0,0132 g Asche. 


= 0BEN; 


Die weitere Verarbeitung von Blutkuchen und Serum erfolgte 
in der gleichen Weise wie bei dem nephritischen Blut. “Der 
Nachweis einer’ wenn auch nur geringen Menge albumosenartiger 
Substanz gelang weder beim Serum noch beim Blutkuchen. 


 Gleichfalls mit negativem Erfolge habe ich das Blut eines 
gesunden Mannes untersucht, der sich erschossen hatte. Es war 
kurze Zeit nach dem Tode aus dem Herzen entnommen und steril 
aufgefangen worden. Eine gesonderte Untersuchung von Serum 
und Blutkuchen wurde nicht ausgeführt, vielmehr wurden 300 cem 
des Blutes nach 24stündigem Aufbewahren im Eisschrank als 
Ganzes verarbeitet. Eine albumosenartige Substanz habe ich 
daraus nicht isolieren können. Dieses Ergebnis spricht zwar nicht 
dafür, daß im Blute des gesunden Menschen Albumosen in irgend 
erheblicher Menge vorkommen; indessen bedarf es zur Entscheidung 
dieser Frage wiederholter Untersuchungen. — 


Über das Vorkommen von Albumosen im Blute. 459 


Das zu dieser Untersuchung benutzte Material wurde mir 
von den Herren Dr. E. Fraenkel, Prosektor am Eppendorfer 
Krankenhause, Dr. Reuter, Prosektor am Hafenkrankenhause, 
Dr. Kißling, Assistenzarzt an der Direktorialabteilung (Chef: 
Herr Prof. Dr. Lenhartz) freundlichst zur Verfügung gestellt. 
Den genannten Herren sage ich auch an dieser Stelle meinen 
besten Dank. — 


Literaturverzeichnis. 
l. Embden und Knoop, Diese Beiträge, 3, 120 (1903). 
2. Langstein, Diese Beiträge, 3, 373 (1903). - 
3. Matthes, Berliner Klin. Wochenschrift 1894. 


XXXVI. 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des 
Hungerstoffwechsels. 


Von Dr. med. B. Slowtzoff. 


Zweite Mitteilung: Der Hungerstoffwechsel der Weinbergschnecke. 


Im Laufe des vorigen Winters habe ich eine Anzahl im 
April 1902 in der Umgegend von Heidelberg gesammelter Schnecken 
chemisch untersucht. Die Tatsachen, die ich in der Mitteilung 
über das Hungern der Insekten*) zusammengestellt habe, machen 
es wünschenswert, auch die an den Schnecken gewonnenen Zahlen 
mitzuteilen. Diese Tiere haben Gehäuse, die als Analogon der 
Gerüstsubstanz anderer Tiere anzusehen sind, und es lag nahe, 
deren Verhalten beim Hungern zu verfolgen. Ich habe deswegen 
nicht nur die Weichteile, sondern auch die Gehäuse auf Wasser-, 
Asche- und Stickstoffgehalt untersucht und das Verhalten der 
wasserlöslichen anorganischen Bestandteile (Kalium- und Natrium- 
salze) zu den wasserunlöslichen (Magnesium- und Kalziumver- 
bindungen) festgestellt. BE 

Die Trockensubstanz der Tiere wurde, wie in meiner vorigen Arbeit 
beschrieben worden ist, auf Äther-, Äther-Alkohol- und Wasserextrakt, 
sowie auf Aschengehalt untersucht. Da die Schnecken beim Invertieren 
eine große Menge reduzierender Substanz liefern, habe ich die Menge der 
letzteren quantitativ nach Allihn bestimmt. (Das Invertieren wurde mit 
5 proz. Schwefelsäure vorgenommen und dauerte 24 Stunden.) Der Pentosen- 
gehalt wurde aus der Menge des Phlorglueidniederschlages (nach Tollens) 
mit Hilfe der Kröberschen Formel berechnet. Für meine speziellen 
Zwecke war es am wichtigsten, die Verteilung des Stickstoffes und Phos- 
phors in den verschiedenen Extrakten zu bestimmen. Der Stickstoff der 
Eiweißkörper wurde als Rest durch Subtrahieren der Stickstoffmenge der 
verschiedenen Extrakte von dem Gesamtstickstoff berechnet. Der Phos- 
phor der Eiweißkörper wurde als Rest berechnet, aber auch direkt be- 
stimmt. Die Zahlen stimmten gut überein. 


*) Diese Beiträge 4, 23. 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 461 


Die gesammelten Schnecken (Helix pomacea) wurden in einen 
mit Laub und Gras gefüllten Kasten gelegt und am andern Tage 
in zwei möglichst gleiche Gruppen geteilt. Dies war nötig, weil 
die Tiere ihrer Größe nach sehr verschieden waren. Es gelang 
uns, die Tiere in zwei annähernd gleiche Gruppen zu teilen; die 
erste (Kontrolltiere) bestand aus 17 Tieren, die 371,1 g wogen 
(Mittel 21,83 g), die zweite (Karenztiere) aus 18 Stück mit dem 
Gesamtgewicht 392,9 g (Mittel 21,53 g.) 

Die Karenztiere wurden in einen ganz trockenen Kasten gelegt und 
jeden Tag bis zum Tode einzeln gewogen. Die Kontrolltiere wurden ge- 
tötet, die Gehäuse abpräpariert und für sich gewogen. So konnten #vir 
die Gewichte der Gesamttiere, der Gehäuse und der Weichteile (Schnecken- 
leiber) feststellen und das mittlere Verhalten der beiden Teile bestimmen, 
Die Zahlen sind in der Tabelle I zusammengestellt. Die Weichteile wurden 
in 95proz. Alkohol bis zur chemischen Bearbeitung aufbewahrt, die 
Schalen sogleich auf Wasser- und Aschengehalt untersucht. Die Be- 
arbeitung der Karenztiere geschah in derselben Weise. 


Tabelle IL 


Gewicht des Gewicht des Gewicht der 
ganzen Tieres Gehäuses Weichteile 
ı1n 8 1n g Ne 
21,8 8,4 13,4 
19,7 er BerTE 
26,5 10,0 EIER 

29,8 9,4 13,4 
20,2 6,8 13,4 
18,6 68 11,8 
21,8 7,4 FE 
25,4 11,0 14,4 
27,0 IE 17,6 
21,8 116 10,2 
17,6 Ban ö 10.2 
21,2 7,8 13,4 
20,7 9,4 5 11,3 
17,6 6,3 11,3 
29,3 10,0 19,3 
23,3 9,3 14,0 
29,8 8,4 14,4 


462 B. Slowtzoff, 


Aus der Tabelle ersieht man, daß das Gewicht der Gehäuse 
144,7 g und das Gewicht der Weichteile 226,4 g ausmacht. Im 
Mittel wiegt die ganze Schnecke 21,83 g, ihr Gehäuse 851 g 
(38,99 Proz. des Gesamtgewichtes), das Tier selbst (die Weichteile) 
13,32 g (61,01 Proz). 

Die Gewichte der Karenztiere sind in der Tabelle II angegeben. 


Tabelle':ItE 
Gewicht des ganzen Gewicht des Gewicht der 
Tieres Gehäuses Weichteile 
ing ing in g 
17,0 7,0 10,0 
18,8 7,3 11,5 
14,0 5,0 9,0 
16,9 a: 11,0 
14,4 BET 10,0 
14,7 er, 10,0 
13,7 R 4,7 9,0 
18,0 Br Bi 11,0 
14,6 5,6 9,0 
16,0 | 7,0 9,0 
5,1 8,0 
17,8 7,8 10,0 
162. 4,2 11,0 
14,0 4,5 9,5 
14,9 | 4,9 10,0 | 


Wir sehen also, daß die Karenztiere (15 Stück*) im Augenblick 
des Todes 233,1 g wogen, davon entfielen 148 g (63,49 Proz.) auf 
die Weichteile und 85,1 g (36,51 Proz.) auf dıe Gehäuse. Im 
Mittel wiegt das Karenztier 16,21 g, sein Gehäuse 6,34 g und der 
Schneckenleib 9,87 g. 

Tabelle II. 


ale Nach Verlust in Proz. 
Mittleres Gewicht Er Fr .„. , des ursprünglichen 
em Hungern em Hungern Görichtad 
des ganzen Tieres 21,83 16,21 25,74 Proz. 
der Schale 8,51 6,34 25,50 Proz. 
der Weichteile 13,32 | 4,87 25,90 Proz. 


*) Während des Versuches gingen 3 Tiere verloren. Deswegen sind in 
die Tabelle II und IV nur 15 Stück aufgenommen. 


| | 00‘0 | ers | 8'sor | 8's83 | 'IA/E || TOT | 80°96 | 876 | 8'798 | "A/6T OH‘ | S9‘9T | ‘sg | 6'165 | "A/F 


463 


2 
. 
a 
& 
oO 
Te] 
ai 
No) 
— 
-— 
[0,0] 
Ne) 
”, 
e2) 
©) 
cu 


2 
1 00'0 | er‘6 s'cor 888 IAla | ar‘o | 2085| 8'866 | 829 "Ale 


 60°0 8r’68 | 5 Col 83%5 | "'IA/I Hro |C6‘re | 9'68 | 5'898 | "AlZI 102°0 | gg‘eı | 8'74 |9‘s08 | "Ale 


80°0 | 58'658 | SToOL Y'a0s | "A/TE | 38‘0 | IETE | 868 | 8'695 | 'A/9I ‚00°1 eg) e‘as | T’coe| 'A/I 


90°0 | 78'65 | croL | 6'585 | "A/OR |58°0 6875 | 898 | 9018 | "A/ET | 60'0 |E9°EL| 28V | 2'808 |"AT/OE 
76'658 | 0201 #086 'TA/EI 880 81'658 EroT | Tea | 'A/6R | eco I8'ES | TICB | 825 "AP 870 | TEEL| PSP | 0'608 |"AT/ER 


16‘65 | 6‘901 | 8'083 | "IA /81| 000 | 96‘85 | g'gor | 6'eez | "A/szg |9c‘o | saes| ses |8r23 | "Aleı |88‘0  98eL| Fur | 0018 | 'AT/85 


88‘65 | 8'901 9°ogs |"IA/Tı) 80‘0 | 9688 | s’eor | ee | "Alız so 8185 | 818 | 3028| alsı |9so | 8681 | vor \oıte 'arler 


88'665 | 8'90T | 908 "IA/ol 80°0 | 86‘85 | FEOT 0'788 | 'A/9a | uro | vrias | 808 5225 | "A/LT |89°T \ar°sı | Frr |o‘e1e | 'AT/9R 


LL'66 | v‘90T | 0°TEa | "IA/6 | 80°0 .06‘88 | 8E0T | 1745 | 'Alea || 2e‘0 | 261% | S’82 | 6'823 | 'A/or 98:0 FL‘oL | Fe | 0'6Te | "AT/ER 


LL'66G | #°90L | 0'185 'IA/8| 80°0 | 88'838 | 5'801 ars "Alte |eT'T 0915 | 322 | 6'085 | 'A/6 | 18‘0  8E‘or , T‘2E | g‘ose "ALFA 


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97°65 | EcoL | 1'865 | "TA/E | 10°5 | 28'858 | PLOT | 0‘9€3 | "A/TZ || 95°T | 69°8T | 8‘g9 | 9‘T6a | "A/9 919 | 919 | 0'865 | rege |'AI/TE 


"zolg ul 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 
ISHLIIASITOTM 


94 AOYOIISEL 


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AI: S1IESAR 


#7 


464 B. Slowtzoff, 


Die Zusammenstellung der mittleren Gewichte der Kontroll- 
und Karenztiere in Tabelle III zeigt, daß die Gehäuse beim 
Hungern in demselben Maße wie die Weichteile angegriffen 
werden. Wir können deshalb nicht annehmen, daß die Gehäuse 
eine inerte, fast leblose Masse sind, die vom Organismus nur als 
Schutzdecke ausgeschieden wird, sondern sie sind ein Gewebe, 
das beim Mangel genau wie die übrigen Teile Not leidet. 


Die mittlere Kurve des Gewichtsverlustes bei absoluter 
Karenz läßt sieh aus den Bestimmungen des täglichen Gesamt- 
gewichts der Karenztiere erhalten. Die Gewichtsverluste der 
einzelnen Tiere folgen, wie ich mehrmals durch Vergleich er- 
mittelt habe, im ganzen derselben Kurve, und es wäre zwecklos, 
die individuellen Schwankungen näher anzuführen. 


Aus der Tabelle IV ersieht man, daß die Schnecken fast 
51 Tage ohne Nahrung bleiben können. Dabei werden fast 
30 Proz. des ursprünglichen Gewichtes verbraucht. Was die täg- 
lichen Gewichtsverluste betrifft, so kann man das ganze Leben 
der Karenztiere in drei Perioden teilen. Während der ersten 
(19 Tage) ist der mittlere Gewichtsverlust im Mittel 1,14 Proz., 
während der zweiten (13 Tage) beträgt derselbe nur 0,55 Proz., 
während der letzten nimmt er bis 0,05 Proz. ab. Somit wird der 
tägliche Verlust immer kleiner und kleiner. Eine prämortale 
Steigerung des Zerfalls, wie bei Maikäfern und höheren Tieren, 
ist hier nicht festzustellen. Vom 14. bis 15. Tage des Hungerns 
suchen die Tiere den Wasserverlust zu vermindern, indem sie 
den Eingang des Gehäuses mit einer dünnen Schichte von Mucin 
verkleben. Da ich den möglichst schnellen Tod erzielen und die 
Wasserverluste möglichst normal machen wollte, so zerriß ich jeden 
Tag diese Häutchen. Bis zum letzten Tag konnten die Tiere sich 
bewegen, ließen bei Berührung ein schaumartiges Sekret austreten 
und reagierten auf mechanische und chemische Reize durch Zu- 
sammenziehen ihres Bauchmuskels. Die Reaktion schien sich 
etwas langsamer fortzupflanzen, doch habe ich zu spärlich direkte 
Messungen ausgeführt, um sie hier mitzuteilen. Die Gehäuse 
wurden allmählich durchsichtiger und brüchiger. 


Die Resultate der chemischen Untersuchung stelle ich in 
den nachstehenden Tabellen, und zwar getrennt für Gehäuse 
und für Weichteile, zusammen. 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels.. 465 


Tabelle V. 
Gehäuse. 
Normaltiere Karenztiere 
in der frischen lin der Trocken- in der frischen |in der Trocken- 
Substanz substanz Substanz substanz 
Proz. Proz. Proz. Proz. 

Wasser 0,84 0 1,04 _ 
Trockensubstanz | 99,16 100,00 98,96 100,00 
OrganischeSubstanz 45,01 45,39 43,61 44,07* 
Gesamt-Stickstoff 0,255 0,257 0,255 0,258 
Gesamt-Asche 54.15 54,60 55,35 5598 
Wasserlösl. Asche 2,64 2,66 3,21 3,24 
Wasserunlösl. Asche 51,51 51,94 52,14 52,69 


Man bemerkt schon bei flüchtiger Durchsicht der angeführten 
Zahlen, daß die Zusammensetzung der Schalen, selbst wenn sie 
während der Inanition ein Drittel ihres Gewichtes verloren haben, 
sich kaum geändert hat. Der Gehalt an Stickstoff ist absolut 
der gleiche. Auch das Verhältnis von Asche und organischer 


’ 


Substanz ist konstant, beim Normaltiere a — 1,26, beim Karenz- 


tiere en —1,27. Es scheint also, daß bei der absoluten Karenz 
i ’ 


das Gehäuse der Schnecken in toto einschmilzt und daß bei dem 
Verbrauch organische Substanz und Aschenbestandteile in gleichem 
Maße abgegeben werden. Um eine zutreffende Vorstellung über 
den absoluten Verbrauch der verschiedenen Bestandteile der Ge- 
häuse zu gewinnen, ist es nötig, die Zahlen der Tabelle V auf eine 
bestimmte Zahl von Individuen zu beziehen. Das Ergebnis einer 
solchen Berechnung ist aus Tabelle VI ersichtlich. (Siehe 
Tabelle VI auf folgender Seite.) 


Die angeführten Zahlen zeigen noch deutlicher als die früher 
angeführten, daß bei der Karenz die Verluste der Gehäuse sich 
gleichmäßig auf organische und anorganische Substanz verteilen 
und daß bloß der Wassergehalt und die Menge der wasserlös- 
lichen Salze ungefähr gleich bleibt. 


Wenn sich schon die Gehäuse beim Hungern so bedeutend 
verändern, so ist zu erwarten, daß die Weichteile noch stärker 
angegriffen werden. Tabelle VII zeigt uns die Zusammensetzung 


der Weichteile von Normal- und Karenztieren. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 30 


466 B. Slowtzoff, 


Tabelle VI. 
© 

N R a N H AN © 
258 5 A: 35 oe |43e|48o 
© n “8 17} 48 IS 204 ,g 
mn a EN Ar aa © md | AS 
= 8 8 © SS © an A 309 
= a = u 2 & 5 < <ö<ı|£0< 
a FAHn un za 223 es 

10 Stück Normal- 


Schneckengehäuse \ 85,1 | 0,72 | 84,38) 0,22 | 38,30 | 46,08| 2,24 | 43,84 
enthalten g 


10 Stück Karenz- 
Schneckengehäuse |) 63,4 | 0,66 | 62,74| 0,16 | 27,65 | 35,09| 2,03 | 33,06 
enthalten g 


Absoluter Gewichts- 
verlust in g 


21,7 | 0,06 | 21,64, 0,06 | 10,65 | 10,99| 0,21 | 10,78 


Gewichtsverlustin 
Proz. der ursprüng- |-25,74| —8,33 | -25,65/-97,47 -27,81.23,85| —9,37 -24,59 
lichen Menge 


Wie oben erwähnt, ist der Eiweißgehalt der Schneckenleiber nicht 
direkt bestimmt worden. Wir verstehen darunter den Rest der organischen 
Substanz nach Extrahieren mit Ather, Alkohol und Wasser und nach 
Subtrahieren der Zuckermenge, die aus der Trockensubstanz durch 
Invertieren mit 5proz. Schwefelsäure erhalten wurde. Die berechnete 
Menge der Eiweißkörper stellt somit nur einen Näherungswert dar, zumal 
da das Invertieren auch Zucker aus Eiweißkörpern (Mucin) abspaltet. 
Da aber die Berechnung in den beiden Reihen der Untersuchung dieselbe 
Näherung:ist, so dürfte es gestattet sein, auch diese Zahlen zu verwerten. 
(Siehe Tabelle VII auf folgender Seite.) 

Die Zusammensetzung der Schneckenleiber verändert sich 
beim Hungern beträchtlich. Die Menge der Trockensubstanz 
steigt bedeutend an (von 17,86 Proz. auf 22,44 Proz.), was natürlich 
von Wasserverdunstung bedingt ist. Die Oxydationsprozesse haben 
den Fett- und Kohlehydratgehalt bis auf ein Minimum, 0,05 Proz. 
für Zucker und 0,27 Proz. für Fett, vermindert. 


Die merkwürdigste Erscheinung bei den Karenztieren ist eine 
beträchtliche Vermehrung der wasserunlöslichen Salze (bzw. der 
Kalzium- und Magnesiumverbindungen), die aus der Verminderung 
des Gewichts nicht erklärt werden kann. Die natürlichste Er- 
klärung dieser Tatsache ist darin zu suchen, daß bei dem Ein- 
schmelzen der Gehäuse ein Teil der wasserunlöslichen Salze ın 
den Leib zurücktritt und nicht ausgeschieden wird. Um eine zu- 
treffende Vorstellung über den absoluten Verbrauch von Fett, 
Kohlehydrat und anderen Bestandteilen des Schneckenleibes zu 
ermöglichen, haben wir die Zahlen der Tabelle VII auf je zehn Stück 
Tiere berechnet. (Siehe Tabelle VIII auf Seite 468.) 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 467 


Tabelle VII. 


Schneckenleiber. 


Normaltiere Karenztiere 
Trocken- Frische Trocken- Frische £ 
substanz in Substanz in substanz in Substanz in 
Proz. Proz. Proz. Proz. 
Wasser 0 | 82,14 0 77,56 
Trockensubstanz 100,00 17,86 100,00 22,44 
Gesamt-Asche 11,28 2,01 8,84 1,98 
Wasserlösliche ; 
che 6,36 1,26 1,64 0,36 
Wasserunlösliche 5 „ 
Asche 4,92 0,75 7,20 1,62 
Organische Sub- Bea ie 
ar 88,72 15,85 91,16 20,46 
Ätherextrakt (Fett, 
Leeithin usw.) 508 0,91 1,20 0,27 
Alkoholextrakt 2,56 0,46 0,55 0,12 
Wasserextrakt 14,48 2,59 37,51 8,42 
Zucker (als Glykose gene) 
DE hnel) 3,50 0,63 0,22 0,05 
Eiweißkörper 63,10 11,26 " 51,68 11,60 
Pentosen 0,99 0,17 1,18 0,26 


Die Verluste der verschiedenen Substanzen können somit in 
folgende Reihe gebracht werden: Kohlehydrate (93,98 Proz.), 
Fette (78,51 Proz.), Alkoholextrakt (80,30 Proz.), wasserlösliche 
Asche (76,10 Proz.), Wasser (30,02 Proz.), Gesamtasche (27,24 Proz.) 
und Eiweißkörper (23,70 Proz.) Die Trockensubstanz hat sehr 
wenig eingebüßt (6,39 Proz.), die Vermehrung der Pentosen fällt 
in die Fehlergrenzen. Der Abbau der Eiweißkörper ruft eine 
Verdoppelung der Menge der Extraktivstoffe (141,50 Proz.) her- 
vor, die Menge der unlöslichen Salze wird um mehr als ein 
Drittel erhöht. 


Der absolute Verlust an organischen Substanzen gestattet uns, 
eine Vorstellung über die Energieeinbuße zu gewinnen, obgleich 
der kalorische Wert der organischen Substanz des Gehäuses nur 
annähernd geschätzt werden kann. 

Vielleicht kann man es als ein Gemenge von Glutin und chitin- 
artigen Substanzen ansehen und das kalorische Aquivalent im 

30* 


468 B. Slowtzoff, 


Tabelle VII. 


10 Stück 10 Stück Absoluter Be 
Normaltiere Karenztiere Gewichts- Er a 
enthalten g enthalten g verlust in g lichen Men 
Wasser 109,41 76,55 32,86 — 30,02 
 Trockensubstanz 23,79 22,15 1,64 — 6,89 
Gesamt-Asche 2,68 1,95 0,73 — 27,24 
Wasserlösliche 5 
ech 1,51 0,36 1,15 — 76,10 
_ Wasserunlösliche 
Asche 1,17 1,59 0,42 —+- 35,90 
Organische Sub- 
_. 21,11 20,20 0,91 — 4,31 
Ätherextrakt (Fett, 5 ; 
Leeithin usw.) 1,21 0,26 0,95 — 7851 
 Alkoholextrakt 0,61 0,12 0,49 — 80,30 
Wasserextrakt 3,44 8,31 4,87 —- 141,50 
Kohlehydrate (als 3 
Glykose berechnet) 0,83 0,05 0,78 — 93,98 
Eiweiß 15,02 11,46 3,56 — 23,70 
Pentosen 0,23 0,25 | (+ 0,02) (+8,69) 
; * 
Gesamt-Gewicht 133,20 93,70 | 34,5 25,90 


Mittel aus den kalorischen Werten der Eiweißkörper und Kohlehydrate- 
zu annähernd 4,20 Kal. pro 1 g Substanz annehmen. Die anderen 
kalorischen Aquivalente werden wie gewöhnlich angenommen. Die Be- 
rechnung der organischen Substanz als Konchiolin’ würde an der Be- 
rechnung nicht viel ändern. 


Der absolute Verlust der Leibessubstanz von zehn Schnecken 
wird zu 0,95 g Fett, 5,36 g Extraktivstoffe, 0,78 g Kohlehydrat und 
3,56 g Eiweißkörper angenommen. Der Verlust an organischer 
Substanz der Gehäuse ist zu 10,65 g bestimmt. Kalorisch be- 
rechnet, gibt das folgende Zahlen: 


9,46 Kal. X 0,95 = 8,987 Kal. 
4,18 „ X 0,78 = 3,2604 „ 
4,32 „X 3,56 — 15,3792 „ 
4,20 1, ECH Ze 4,780, 


Summa 72,3566 Kal. 


Um aber einen richtigen Wert des Energieverlustes zu bekommen, 
muß man diese Summe um den Kalorienwert der bei dem Zerfall ge- 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 469 


bildeten Extraktivstoffe vermindern, deren Menge zu 4,87 g berechnet ist. 
Ihr Kaloriewert ist somit — 3,154 Kal. X 4,87 —= 15,3610 Kal. 

Der wirkliche Energieverbrauch wäre danach 72,3566 — 
15,3610 Kal. = 56,9956 Kal. pro 54 Tage des Hungerns und pro 
218,3 g des Lebendgewichtes. Das macht pro Tag und 10 Stück 
1,0555 Kal., pro Tag und Kilo 4,3397 Kal., pro Stunde und Kilo 
0,2016 Kal. 

Den kalorischen Wert der Normaltiere kann man aus ihrer 
Zusammensetzung berechnen. Sie enthalten 38,30 g organischer 
Substanz in den Gehäusen, 1,21 g Fett, 15,02 g Eiweißkörper, 
0,83 g Kohlehydrate, 4,05 g Behakssioit Das macht: 

2,154 Kal. X 3853 == 120,7982 Kal. 


946 „ x 121 = 11,4466 „ 
4.32 »..% 15,02 =, 61,8864 „, 
AAe 1.083 = 3,4694 „ 


Summa 200,6006 Kal. 
Davon wurden beim Hungern 56,9956 Kal. verbraucht, was 
ungefähr 28,41 Proz. der ursprünglichen Kalorienmenge ausmacht. 
Um einen Überblick über die Gesamt-Verluste der Schnecken 
(Gehäuse und Leiber) zu vermitteln, will ich nachstehend die 
hierher gehörigen Zahlen in Tabelle IX zusammenstellen. 


Tabelle IX. 


10 Stück 10 Stück Absoluter Ana 

Normaltiere | Karenztiere Gewichts- ne Be rg 

enthalten in g | enthalten in g| verlust ing BES Monss 
Gesamt-Gewicht 218,30 162,10 56,20 — 25,74 
Wasser 110,13 77,21 32,92 — 29,21 
Trockensubstanz 108,17 84,89 23,28 — 21,52 
Gesamt-Asche 48,76 37,04 11,72 — 24,03 
ensliche 3,75 2,39 1,36 —a6.d7 
Wasserunlösliche " 
BE. 45,01 34,65 10,36 -— 23,02 
Be eete Sub- 59,41 47,85 11,56 — 19,46 


Der Hauptverlust fällt auf die wasserlöslichen Salze, von 
denen ein Drittel (36,27 Proz.) ausgeschieden wird; die organische 
Substanz wird sehr wenig vermindert. Die Verluste an anderen 
Bestandteilen schwanken zwischen 29,21 Proz. und 21,52 Proz. 

Die beobachteten Tatsachen zeigen uns, daß beim Hungern 
fast ein Fünftel aller Eiweißkörper der Leibessubstanz zerfällt. 


470 B. Slowtzoft, 


Es schien interessant, die Menge der zerfallenen phosphorhaltigen 
organischen Stoffe zu bestimmen. 

Die Hauptresultate der Stickstoff- und Phosphorbestimmungen 
in verschiedenen Extrakten der Leibessubstanz sind in den Tabellen 
X, XI, XII und XIII zusammengestellt. 


Tabelle X. 
Normaltiere Karenztiere 
Proz.- 
\ In d 
1t Prozen 
Trocken-| frischen 2% nn 
substanz | Substanz gedrückt substanz | Substanz gedrückt 


Gesamt-Stickstoff 


1,592 | 100,00 || 9,430 2,116 | 100,00 
Stickstoff des Äther- 
und Alkoholextraktes z 


Stickstoff des 
Wasserextraktes 0,207 | 183,02 || 3,225 | 0,724 | 33,42 


Eiweißstickstoff 6,911 1,234 77,52 | 5,815 | 1,305 62,44 


0,390, 0,087 | 4,14 


Tabelle XI 
Sti fd Stickstoff A 
Sicnun (Aero. aus War | en | 
N Ne 20 0,201 0,976 1,644 
A RE 0 od 0,086 “or 1,289 
ee 0,039 0,115 0,438 0,355 
SE NE in ||_ 1,51 Proz. = 57,22 Proz. |+ 158,70 Be 21,59 Proz. 


Tabelle XII. 


Normaltiere Karenztiere 


Proz.- Proz.- Proz.- : 
Gehalt | pi Gehalt Be 
y an, der 
aus- 
Trocken- 


Gesamt-P,O, 0,459 | 100,00 | 2,128 


P,0, des Äther- und 
Alkoholextraktes 


P,O, des Wasser- 
extraktes 


0,048 | 10,55 || 0,182 


0,145 | 31,61 || 0,652 


P,O, der Eiweißkörper 0,266 57,84 | 1,294 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 471 


Tabelle XIII. 


PO, des P,O, des ; 
Gesamt-P,O, | Alkohol-Ather- Wasser- an. 
extraktes extraktes iweißkörper 


10 Stück Normal- 0,611 0,065 0,193 0,353 


tiere enthalten g 


10 Stück Karenz- 0,471 0,041 0,145 0,285 


tiere enthalten g 
Absolute | 
Veränderung 0,140 0,024 0,048 0,068 
2 Veränderung in PETE FEUER, SIE 
Proz. — 22,91 — 29,31 — 24,87 — 19,29 


Die Tabellen X und XI lehren, daß beim Hungern der Gehalt 
verschiedener Extrakte an Stickstoff sich stark verändert. Der 
Stickstoff des Ätheralkoholextraktes wird um 57,22 Proz. ver- 
mindert, der Stickstoff der Eiweißkörper um 21,59 Proz. Die 
letztere Zahl stimmt gut mit der Verminderung der Eiweißkörper 
(siehe Tabelle VIII 23,70 Proz.). Der Stickstoff der Extraktiv- 
stoffe wird bedeutend vermehrt (um 158,7 Proz.), was auch der 
Vermehrung der Extraktivstoffe im allgemeinen (141,50 Proz.) 
entspricht. 

Die Veränderungen des Phosphorsäuregehaltes sind nicht 
groß. Der Prozentgehalt bleibt nahezu der gleiche. Die Ab- 
spaltung des Phosphors aus den Eiweißkörpern, die auf den 
Zerfall der Nucleine und Nucleoalbumine hindeutet, beträgt 
19,29 Proz. Bei Schnecken geht also der Verbrauch der Eiweiß- 
körper dem Zerfalle der phosphorhaltigen Eiweißkörper parallel. 
Die Pentosen bleiben aber, so wie es schon früher an Maikäfern 
festgestellt wurde, beim Hungern ganz unverändert. 

Wenn wir die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassen, so 
kommen wir zu folgenden Schlüssen. 

1. Bei absoluter Karenz verbrauchen die Schnecken 25,74 Proz. 
des Gesamtgewichtes und etwa 28,41 Proz. ihres gesamten Energie- 
vorrates. 

2. Die täglichen Gewichtsverluste nehmen allmählich ab. Eine 
prämortale Steigerung scheint nicht einzutreten. 

3. Die Gewichtsverluste beziehen sich nicht nur auf die Leibes- 
substanz, sondern auch auf die Gehäuse, welche fast 25,50 Proz. 
ihres ursprünglichen Gewichtes verlieren. 

4. Bei den Gehäusen werden gleichmäßig alle Bestandteile 
vermindert. Nur das Wasser und wasserlösliche Salze scheinen 
sich sehr wenig zu verändern. Das Verhältnis der organischen 


472 B. Slowtzoft, 


zur unorganischen Substanz bleibt in den Gehäusen der Normal- 
und Karenztiere dasselbe. 

5. Die Verluste der Leibessubstanz der Schnecken betreffen 
vorzugsweise Fette, Kohlehydrate und Wasser. 

6. Die Verluste zeigen folgende Reihenfolge: Kohlehydrate 
(93,98 Proz.), Fette (78,51 Proz.), Wasser (30,02 Proz.), Gesamt- 
asche (27,24 Proz.) und Eiweißkörper (berechnet) (23,70 Proz.). 

7. In den Weichteilen erfolgt beim Hungern eine Vermehrung 
der wasserunlöslichen Salze (bis 35,9 Proz.). 

8. Während des Hungerns verbrauchen die Schnecken pro 
24 Stunden und pro Kilo 4,834 Kal, pro Stunde und Kilo 
0,202 Kal. 

9. Die phosphorhaltigen Eiweißkörper werden mäßig ange- 
griffen, so daß nur etwa 19 Proz. des Eiweißphosphors abge- 
spalten wird. Die Menge der Pentosen scheint sich nicht zu 
verändern. | 


Analytische Belege. 
Kontrolltiere, Gehäuse. 
Trockensubstanz bei 110° C. 
BA nen IE ai AR 


— ‚99,18. Proz 
OB TITTEN ee 
Mittel 99,16 Proz. 
Gesamtasche. \ 
IB ES ne 2 EEE — 54.07 Proz 
Dar ee N — 544 , 


Mittel 54,155 Proz. 
Wasserunlösliche Asche. 


1,1296 g Asche, davon unlöslich 1,0742 8 . — 95,10 Proz. 
19840 8... 1777. 1 om. II WIREISTIS ET ZZ 
Mittel 95,12 Proz. 
Gesamtstickstoff. 
2608. .:..: 2 ce N-Bäure Spar 
KUREN BIP a ee 20 5C. I —. (36 ” 


Mittel 0,255 Proz. 
Karenztiere, Gehäuse. 
Trockensubstanz bei 110° C. 


2 8.775685... vv = BT 
0,0996:.8.. 7,8, aa Be Een 
Mittel 98,96 Proz. 
Gesamtasche. 
Da EN REN — 55,28 Proz. 
BREI EN ERERN NS IR AO — re 
aa rare are —_ ur 


Mittel 55,35 Proz. 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 473 


Wasserunlösliche Asche. 


0,3950 g Asche, davon unlöslich 0,3720 8 . . . . = 94,18 Proz. 
0.6035 & rn ei. a ee 0 7: 
Mittel 94,20 Proz. 
Gesamtstickstoff. 
nn 2 3-26 ce I N-Säure_ — 05 Proz: 
een, 9 ne 
Mittel 0,25 Proz. 
Kontrolltiere. 
Ätherextrakt. 
2  Y1:':1:00° — a Proz. 
en. 2,0050. Bl gg =), y 
Mittel 5,08 Proz. 
Alkoholwasserextrakt. 
en ne. 083387 8 RN 39 
Beer 2... 0a. RN. 
tel 8,64 Proz. 
Wasserextrakt. 
en . 0,8. 2. 1446 Proz. 
er VER Er ee , 
Mittel 14,48 Proz. 
Zuckerbestimmung. 
rn: .7. .. 2. 00162 g Glykose . = 3,40 Proz. 
2 ee 17 17:11: — 860 „ 
el 3,50 Proz. 
Gesamtasche. 
ee, .» QlMBh.E Asche _. = 11,31 Proz. 
re re. DO... eiBb. , 
Mittel 11,28 Proz. 
davon wasserunlöslich 0,0649 & — 4,94 Proz. 
RL 8) 
Mittel 4,925 Proz. 
Pentosenbestimmung. 
3,1098 8 . . 0,0248 g Phlorglucidniederschl. —= 0,0302 g Pentose 
— 0,970 Proz. 
LE. ... 47. re, 
Mittel 0,989 Proz. 
Gesamtstickstoff. 
nn 0, 8h8.cc. !ıu N-Säure = 8,90 ‚Proz. 
een. 0.0 BE nr. ei r 
Mittel 8,915 Proz. 
Stickstoff des Alkoholätherextraktes. 
en 8-0 Bäure.- ,; , = 0809 Proz. 
2,7516 8 In72n,00. Zr si , 


Mittel 0.813 Proz. 


474 B. Slowtzoff, 


Stickstoff des Wasserextraktes. 
6,592». a Er BB ee 
2,7516. nn REN RE ee BB ap. IE 2 


Mittel 1,161 Proz. 


Phosphor des Alkoholätherextraktes. 
6592 8 .-. 22.2... 00956 g P,kMg,0, = 0,248 Proz. P,@8 
SEBLE - = »"2v.0 7001808 ;, 25, 2 
Mittel 0,271 Proz. P,O, 
Phosphor des Wasserextraktes. 


6,5925. . 2.2.5. -0,0846 g P.M8,0, = 0,806 Proz To 
DNS Km NET 5, SEO — 0,818: „. "Ts 
Mittel 0,812 Proz. P;,05 

Gesamtphosphor. 
248708 : ..: 2... 0,1004 8 P,M2,0, = 2574 Pre Fi 
Br rd re! Au 0, 


Nittel 2,569 Proz. P,O, 
Phosphor der Eiweißkörper. 


079088 . . 2... «0,0192 g P,Mg,0, = 1,548 Foz 7 

a Karenztiere. 

Atherextrakt. R 
BABES. a a RE — 1,123 Proz. 
358 E82... EEREREE — 

tel 1,203 Proz. 

Alkoholätherextrakt. 

BAGS N. nn ee — 1,707 Pros 
SBIGLE na 1 are FE —, ET 
ital 1,752 Proz. 

Wasserextrakt. 

BAGBEE INT. 2.0 a WEBUBB Bi: DS Rarr e 
3,6962 Bir. ua Nr un a T PEBBAB ER Re 
Mittel 37,51 Proz. 

Zuckerbestimmung. 
BEE nr rn al Ei Er 
DEIB0 8.1 0 ..% 0.20.0000. 00010 BR 

Mittel 0,220 Proz. 
Aschebestimmung. j 
0,6794 8 . » .» . . 0,0598 g Gesamtasche . . = 8,80 Pros 
05356 8.5 »-: 2,3 DOEBE SS An l 
Mittel 8,845 Proz. 
davon wasserunlöslich 0,0487 g = 7,17 Proz. 

0,0430 8 = 7,4 „ 
Mittel 7,20 Proz. 

Pentosenbestimmung. 

2,4216 8 . 0,0240 g Phlorglucidnied. 0,0296 g Pentose — 1,19 Proz. 
2,5168 8 . 0,0242 8.5.9.9. 72. 32.00998 8): 2 Ver r 


Mittel 1,185 Proz. 


Beiträge zur vergleichenden Physiologie des Hungerstoffwechsels. 475 


Gesamtstickstoff. 
ee 090.2 37,7 ce. Säure Da et Proz. 
ner). .... ..:58,0 cc. Säüre El ZA NE: |. 


Mittel 9,43 Proz. 
Stickstoff des Alkoholätherextraktes. 
ee... 2080er euer Proz 
2 2 ZORLRCE ERS IEET SER; 
Mittel 0,39 Proz. 
Stickstoff des Wasserextraktes. 
re RB ee Bro, ee ER PLEH 
Er € | 2 ee > 
Mittel 3,225 Proz. 
Phosphor des Alkoholätherextraktes. 
er 770,0, 0,0080: Mg, P,0,: = 0,185 Proz... P,0, 
ee OR . 6180 „ 7750; 
Mittel 0,1825 Proz. P, O, 
Phosphor des Wasserextraktes. 


Ber... ,._. 0,0852 8 Mg,P,0, = 0,647 Proz. P,O; 
720050. ehr „PO, 
Mittel 0,652 Proz. P,O, 

Eiweißphosphor. 
Ber, 0,7. 0,0140 8 Mg, P,0, = 1280 Proz.’P,0, 
rn... 00182 g ae LE FE, 
Mittel 1,282 Proz. P, 0, 

Gesamtphosphor. 
7 5 - 0,0302. 8 M2, PO, = 2,196 Proz. P,O, 
en 2.03 .0,0872 8 Mg, PO, = 2130: ,. P,O, 


Mittel 2,128 Proz. P,O, 


XXXVI. 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin 
und über das Verhalten der Plasteinalbumosen zur 
Magen- und Dünndarmschleimhaut des Hundes. 
Von D. Kurajeff. 


Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium der Universität Charkow. 


Die vorliegende Arbeit stellt eine Fortsetzung der von mir 
unternommenen Untersuchungen über die Plasteine und Koagulosen 
dar, d. h. über die Niederschläge, welche bei Einwirkung von 
Labextrakt und Papayotin auf Albumosengemenge entstehen. 

Im folgenden teile ich die Resultate von Untersuchungen über 
das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin, sowie einige Versuche 
mit, die ich angestellt habe, um das Verhalten der Plastein- 
albumosen zur Magen- und Dünndarmschleimhaut festzustellen. 


I. Plasteine aus dem kristallisierten Ovalbumin. 


Das kristallisierte Ovalbumin wurde genau nach der Methode von 
Hopkins aus 100 Eiern dargestellt und einmal umkristallisiert. Das 
gut abgepreßte Präparat wurde im Wasser gelöst, durch Kochen koaguliert 
und durch Waschen mit heißem Wasser vom Ammonsulfat befreit. 

Zu 540 g gut abgepreßten geronnenen Albumins wurden 8 Liter 
Wasser, 135 ccm 25proz. Salzsäure und 2 g Pepsinum Grübler zugesetzt. 
Die Mischung wurde in den auf 40° © eingestellten Brutschrank gebracht. 
Nach drei Tagen wurden von der Flüssigkeit 6 Liter entnommen, der 
Rest weiterer Verdauung unterworfen. Die 6 Liter Verdauungsflüssigkeit 
wurden mit Soda neutralisiert, von einem geringen Niederschlage ab- 
filtriert und auf dem Wasserbade auf 750 ccm eingedampft. Die er- 
haltene Albumosenlösung wurde unter häufigem Erhitzen zwei Monate 
lang aufbewahrt. 


1. Darstellung des Plasteins A. 


Zu 350 cem der 15,2 Proz. feste Stoffe enthaltenden Albumosen- 
lösung wurden 5 ccm 12,5proz. Salzsäure zugesetzt; dabei bildete sich 
ein geringer flockiger Niederschlag. Dann wurde die Flüssigkeit mit 
100 ccm Wasser versetzt und nach einigen Stunden abfiltrier. Zum 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin usw. 477 


klaren sauren Filtrat wurden 40 ccm etwa 3proz. Lablösung*) zugesetzt 
und die Mischung in den Brutschrank bei 40° C gesetzt. 

Schon nach einigen Minuten trübte sich die Flüssigkeit stark, und 
bald bildete sich ein starker feinflockiger weißer Niederschlag. Nach 
36 Stunden wurde der Niederschlag abfiltriert, abgepreßt und in 200 cem 


Wasser zerteilt. Auf Zusatz von 180 cem „Natronlauge löste er sich 
vollständig. Die Flüssigkeit wurde abfiltriert, mit viel Wasser verdünnt 
und mit Salzsäure neutralisiert. Der gebildete, sehr voluminöse Nieder- 
schlag wurde Re und in 200 cem Wasser verteilt. Auf Zusatz 


von einigen cem „Natronlauge löste er sich vollständig. Die alkalische 


Lösung wurde lich mit viel Wasser verdünnt und mit Salzsäure 
gefällt**). Der voluminöse Niederschlag wurde lange Zeit mit Wasser, 
darauf mit kaltem und heißem Alkohol und mit Äther ausgewaschen. 
Das Plastein wurde zuerst bei gewöhnlicher Temperatur, dann, nach 
Zerreiben, bei 105 bis 115° bis zur Gewichtskonstanz getrocknet 
(Plastein A). 

Lufttrocken wog das Plastein A 3,9 g, d. h. etwa 7,3 Proz. 
auf die Trockensubstanz der verwendeten Albumosenlösung be- 
rechnet. Das erste Filtrat vom Plastein A wurde neutralisiert, 
aufgekocht, vom gebildeten Niederschlage abfiltriert und mit etwa 
3proz. Papayotinlösung bei durch Soda hergestellter schwach 
alkalischer Reaktion versetzt. Über Nacht bildete sich nur ein 


sehr geringer Niederschlag. 


2. Darstellung der Koagulose. 

Zu 400 cem der 15,2proz. Albumosenlösung wurden 5 cem 10 proz. 
Sodalösung und 40 ccm etwa 3proz. Papayotinlösung hinzugesetzt und 
die Mischung in den Brutschrank bei 40° © gestellt. Sehr bald bildete 
sich eine Trübung und ein feinflockiger Niederschlag. Nach 24 Stunden 
wurde die Flüssigkeit aus dem Brutschrank herausgenommen und einen 
Tag lang bei Zimmer-Temperatur aufbewahrt. Dann wurde der gebildete 
reichliche Niederschlag abfiltriert und abgepreßt. Er erwies sich als in 
verdünnter Natronlauge (0,5 bis 1 proz.) nur teilweise löslich. Er löste 
sich selbst in einer viel konzentrierteren Natronlauge nicht vollständig. 
Solche stark alkalische Koaguloselösung wurde von mir nicht verarbeitet, 
weil sie keine Garantie für das Intaktbleiben der Substanz bot. 

Das Filtrat von der Koagulose wurde in analoger Weise wie in Ver- 
such 1 mit Lablösung behandelt. Ich erhielt nur etwa 1,5 g lufttrockenes 
Plastein. 


3. Darstellung des Plasteins B. 
Wie früher gesagt, überließ ich 2 Liter der Verdauungsflüssigkeit 
vom kristallisierten Ovalbumin weiterer Verdauung. Nach 18 Tagen 
wurde die ganz klare Lösung mit Soda neutralisiert, vom sehr spärlichen 


*) 1,5 g Labpulver Witte einen Tag lang bei gewöhnlicher Temperatur 


mit 50 ccm Wasser digeriert. 
**) Bei dem geringsten Überschuß von Säure löst sich der Niederschlag 


sofort wieder. 


478 D. Kurajeff, 


Neutralisationsniederschlage abfiltriert, auf dem kochenden Wasserbade 
eingeengt und mehr als einen Monat lang unter häufigem Erhitzen auf- 
bewahrt. Darauf wurden zu 200 ccm 16,1proz. Albumosenlösung 3 cem 
12,5proz. Salzsäure zugesetzt und die Mischung eine Nacht lang stehen 
gelassen. Nach Abfiltrieren vom gebildeten, geringen Niederschlage wurde 
die saure Flüssigkeit mit 20 ccm etwa 3proz. Lablösung versetzt und in 
den Brutschrank bei 40° C gestellt. Nach zwei Tagen wurde der ge- 
bildete, ziemlich reichliche Niederschlag abfiltriert, abgepreßt und in 
200 ccm Wasser zerteilt. Auf Zusatz von 5 cem 10proz. Natronlauge 
löste sich der Niederschlag vollständig. Weitere Bearbeitung der Lösung 
und des Niederschlags geschah wie beim Plastein A. 

Die lufttrockene Substanz (Plastein B) wog 2,35 g, d. h. 
7,3 Proz. auf den Trockenrückstand der verwendeten Albumosen- 


lösung berechnet. 


4. Zusammensetzung des Plasteins A und B. 
Die erhaltenen Plastein-Präparate A und B gaben die Biuret- 
reaktion, Molischs und Adamkiewiczs Probe. Auch die 


Sahwereibleireskiän fiel sehr scharf aus. 

Die Bestimmung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs Sure durch 
Verbrennung der mit Kupferoxyd gemischten Substanz im Platinschiffehen 
im offenen Rohr mit Kupferoxyd und vorgelegter reduzierter Kupferspirale 
im Luft- und Sauerstoffstrome. Der Stickstoff wurde nach Dumas be- 
stimmt. Die Schwefelbestimmung wurde durch Schmelzen der Substanz 
mit Soda-Salpetergemisch ausgeführt. Die Asche wurde durch Ver- 
brennung der Substanz im Platintiegel bestimmt. 

Die Analysen gaben folgendes Resultat: 


Plastein A. 
1. 0,2476 g gaben 0,5336 g CO, == 58,77 Proz. C 
DSG En. Siebe D,0, > er 
2.020485 7, DIEB Ze 
0206er „ DIEB ERO TOT H 
3. 0,2384 8 „. OBEN 
4 DAs66 8%, "0.0800 Ba5D, > ra 
5. 0,2108 g „ Spuren von Asche. 
PilasLe1in.B, 
6. 0,2444 g gaben 0,5280 g 00, = 58,92 Proz. C 
DAR: 5 AO TER re 
7. 0,2736 8 5 DOSE EN E15, N 
8. 0,2854 g ,„ Spuren von Asche. 
Plastein A Plastein B 
Proz. Pro, 
58,77; 58,88 
C a 58,92 
58,82 
1:37, 692 
H a 1,22 
7,34 
N 14,44 14,31 
S 1,24 = 
Asche Spuren Spuren 


en Zi a 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin usw. 479 


5. Ergebnisse. 


Aus den angeführten Tatsachen geht hervor, daß die albu- 
mosenartigen Pepsinverdauungsprodukte des kristallisierten Oval- 
bumins in ähnlicher Weise wie diejenigen der nicht kristallisierten 
Eiweißkörper zur Plastein- und Koagulosebildung befähigt sind. 

Die elementare Zusammensetzung des Plasteins aus dem 
kristallisierten Ovalbumin zeigt dieselbe Eigentümlichkeit, welche 
auch für Plasteine von anderer Herkunft gefunden worden ist, 
d. h. einen hohen Kohlenstoff- und verhältnismäßig niedrigen 
Stickstoffgehalt. 

Die Menge und die Zusammensetzung der gewonnenen 
Plasteine ist auffallenderweise ganz gleich, ob die Plasteine nach 
drei- oder achtzehntägiger Pepsinverdauung des kristallisierten 
Ovalbumins erhalten sind. 

Diese Tatsache zeigt, daß die plasteinogene Substanz (viel- 
leicht handelt es sich um ein Gemenge mehrerer solcher Sub- 
stanzen) schon nach dreitägiger Pepsinverdauung vom Molekül 
des Ovalbumins abgespalten ist und sich sogar bei weiterer lang- 
dauernder Pepsinverdauung quantitativ nicht mehr verändert. 

Auf Grund der vorliegenden und meiner früheren Be- 
obachtungen kann man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, 
daß die Lab- und Papayotinniederschläge, d. h. Plasteine und 
Koagulosen, chemisch einheitliche Körper sind. In nächster Zeit 
beabsichtige ich, die kristallinischen Spaltungsprodukte der 
Plasteine zu untersuchen. 

Zum Schluß muß ich noch hinzufügen, daß ich überein- 
stimmend mit W. Okunew aus Pepsinverdauungsprodukten der 
Gelatine kein Plastein und keine Koagulose erhalten konnte. 

Möglicherweise ist diese Tatsache nicht nur von chemischer, 
sondern auch von physiologischer Bedeutung. Es liegt die Ver- 
mutung nahe, daß im Molekül der echten Eiweißkörper eine be- 
sondere eiweißartige plasteinogene Gruppe von hervorragender 
physiologischer Bedeutung enthalten ist. Die Albuminoide, 
Gelatine und Keratin [eigentlich die künstlich dargestellten eiweiß- 
artigen Spaltungsprodukte des Keratins]*), welche bekanntlich als 
Nahrungsmittel die echten Eiweißkörper gar nicht ersetzen können, 
sind der Plasteinbildung (Okunew und ich) nicht fähig. 

Schon A. Danilewski, Okunew und Lawrow**) bemühten 
sich, ein „echtes Pepton“ zu erhalten, welches alle Eiweiß- 


*) S. Zipkin, Über Einwirkung des Keratins in der Nahrung auf 
morphologische Prozesse im Organismus. Diss. 1896. St. Petersburg. 
**) Die Literatur siehe in meinen früheren einschlägigen Arbeiten. 


480 D. Kurajeff, 


reaktionen und dazu noch die Plasteinreaktion geben würde. 
Doch sahen sie in solchem „Pepton“ kein Spaltungsprodukt, 
sondern nur ein hydriertes Eiweißderivat, was mit den jetzt be- 
kannten Tatsachen nicht im Einklang steht. 


I. Verhalten der Plasteinalbumosen zur Magen- und Dünndarm- 

schleimhaut des Hundes. 

Um der Aufklärung der physiologischen Bedeutung der 
Plasteine näher zu treten, unternahm ich eine Reihe von Unter- 
suchungen an Tieren. Die Frage bedarf der Untersuchung in mehr- 
facher Richtung: a) Fütterungsversuche mit Plasteinen einerseits 
und mit plasteinfreien Albumosen andererseits; b) Untersuchung des 
Verhaltens der Plasteine oder besser der Plasteinalbumosen zur 
Magen- und Dünndarmschleimhaut (und zu anderen Organen) usw. 
Die hochinteressante Arbeit von K. Gläßner*) aus Hofmeisters 
Laboratorium, welche zum ersten Mal eine Rückverwandlung der 
Albumosen in koagulable Stoffe mit Sicherheit beweist, veranlaßte 
mich, zuerst das Verhalten der Plasteinaibumosen zur Magen- und 
Dünndarmschleimhaut zu untersuchen. Im folgenden teile ich 
die Resultate von drei einschlägigen Versuchen mit und behalte 
mir die weitere Untersuchung in dieser Richtung vor. 

Bei der Anstellung der Versuche folgte ich im allgemeinen 
dem Verfahren von K. Gläßner, G. Embden und F. Knoop“*). 

Wie erwähnt, benutzte ich für meine Versuche statt des 
Plasteins selbst die Albumosen, welche ich bei der Pepsinver- 
dauung daraus erhalten hatte. Ein solches Plasteinalbumosen- 
gemisch reagiert mit Lab oder Papayotin schon in verdünnter 
(zwei- und mehrproz.) Lösung sehr gut, d. h. bildet reichliche 
Niederschläge von den allgemeinen Eigenschaften des Plasteins. 
Es war von Interesse, zunächst das Verhalten solcher Plastein- 
albumosenlösungen zur Magen- und Dünndarmschleimhaut usw. 
zu untersuchen. 


1. Darstellung der Plasteinalbumosen. 


100 g Wittepepton wurden in 700 ccm Wasser beim Erwärmen auf- 
gelöst. Die Lösung wurde mit Salzsäure neutralisiert, aufgekocht und 
nach dem Abkühlen abfiltriert. 

Zur erhaltenen Peptonlösung wurden 20 ccm 12,5 proz. Salzsäure 
und 80 cem etwa 3proz. Lablösung hinzugesetzt. Nach zweitägigem 
Verweilen im Brutschrank wurde die Flüssigkeit von dem sehr volumi- 
nösen Niederschlage abfiltriert; die Filtration ging schlecht von statten. 


*) K. Gläßner, Diese Beiträge 1, 328. 
**) 8. Embden und Knoop, Diese Beiträge 3, 120. 


L- ade 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin usw. 481 


Der voluminöse, noch viel Flüssigkeit enthaltende Niederschlag wurde 
durch Zusatz von Natronlauge gelöst, die Lösung mit viel Wasser ver- 
dünnt, abfiltriert und mit Salzsäure neutralisiert. Der gebildete volumi- 
nöse Niederschlag wurde noch einmal in der angegebenen Weise behandelt. 
Die schließlich mit Salzsäure neutralisierte alkalische Plasteinlösung 
wurde auf dem Wasserbade aufgekocht. Der ausgeschiedene höchst 
voluminöse Niederschlag wurde dabei feinflockig und konnte darauf leicht 
abfiltriert und mit heißem und kaltem Wasser ausgewaschen werden. 
Nach dem Auswaschen mit Alkohol wurde das Plastein an der Luft 
getrocknet, dann gepulvert. Lufttrocken wog es etwa 6,5 g. In solchem 
Zustande wurde es einen Monat lang aufbewahrt. Darauf wurden zu 6,5g 
Plastein 300 ccm 0,5 proz. Salzsäure und ein wenig Pepsinum Grübler 
zugesetzt und die Mischung in den Brutschrank bei 40° C. gestellt. Uber 
Nacht löste sich das Plastein fast vollständig. Nach viertägiger Ver- 
dauung gab die saure Flüssigkeit beim Neutralisieren einen nicht unbe- 
deutenden Niederschlag (nicht verändertes Plastein), der abfiltriert 
wurde*). Dann wurde die Flüssigkeit aufgekocht und auf dem Wasser- 
bade eingedampft. 

Die eingedampfte Plasteinalbumosenlösung reagierte mit Lab 
und Papayotin sehr rasch und gut. Die für den ersten Magen- 
versuch verwendete Plasteinalbumosenlösung enthielt in 10 ccm 
0,06468 g N oder, wenn man den ganzen Stickstoff auf Eiweiß 
mit 15 Proz. N berechnet, etwa 4,3 Proz. Eiweiß. Ich muß noch 
hinzufügen, daß meine Plasteinalbumosenlösung, mit dem mehr- 
fachen Volumen einer iproz. Lösung von primärem Natrium- 
phosphat (NaH,PO,) verdünnt, beim Kochen keine Spur von 
Niederschlag gab. Auch beim Versetzen einer solchen verdünnten 
Plasteinalbumosenlösung mit dem halben Volumen saurer ge- 
sättigter Zinksulfatlösung entstand kein Niederschlag. 


2. Versuche an Hunden. 

Versuch 1. Ein kleiner Hund wurde 2!/, Stunden nach Fleisch- 
fütterung durch Verblutenlassen aus beiden Karotiden getötet. Der Magen 
war mit unverdauten Fleischstücken gefüllt. Er wurde längs der beiden 
Kurvaturen in zwei Hälften geteilt, sorgfältig vom Inhalt befreit, die 
Schleimhaut rasch abpräpariert, mit warmer 0,8 proz. Kochsalzlösung 
gewaschen und zwischen Papier abgepreßt. Darauf wurden die beiden 
Schleimhauthälften gut zerkleinert, in gewogene Kolben eingebracht und 
gewogen. Der Schleimhautbrei reagierte schwach sauer. Inden einen Kolben 
- wurden 10 ccm der neutralisierten, oben erwähnten Plasteinalbumosenlösung 
eingebracht und gut umgerührt. Die gut verschlossenen Kolben wurden 
3 Stunden bei 40° gehalten, dann wurde der Inhalt mit °/« Volumen 
I proz. Mononatriumphosphatlösung versetzt und am Rückflußkühler 
20 Minuten lang gekocht. Nach dem Abkühlen wurde die Flüssigkeit 
mit der Phosphatlösung auf ein bestimmtes Volumen aufgefüllt, gut ge- 


*) Ich muß hier bemerken, daß ganz frisch dargestelltes Plastein sich 
bei Pepsinverdauung rasch löst und verdaut. Schon nach 24 Stunden be- 
kommt man nur einen sehr geringen Neutralisationsniederschlag. 

Beitr. z. chem. Physiologie. IV. s1 


482 D. Kurajeff, 


mischt, nach einigen Stunden eine gemessene Menge davon (120 ccm) 
mit dem halben Volumen gesättigter Zinksulfatlösung, der auf 100 
Volumteile 0,4 Volumteile konzentrierter Schwefelsäure hinzugesetzt 
waren, versetzt, von dieser Flüssigkeit nach 24stündigem Stehen eine 
bestimmte Menge (30 ccm) abfiltriert und zur Stickstoffbestimmung 
nach Kjeldahl benutzt. Solche Magenschleimhautfiltrate opalisierten 
immer stark, waren aber ganz durchsichtig. Alle Stickstoffbestimmungen 
wurden doppelt ausgeführt. 


a— Gewicht des Magenschleimhautbreies, der mit 10 ccm Plastein- 
albumosenlösung versetzt wurde = 26,9 8; 

b = Gesamtvolumen der diesen Schleimhautbrei enthaltenden Flüssig- 
keit—= 440 ccm; 

c—= Menge der Flüssigkeit, die mit dem halben Volumen gesättigter 
Zinksulfatlösung versetzt wurde =120 ccm; 

d = Volumen der zu !/, mit Zinksulfat gesättigten Flüssigkeit = 180 ccm; 

e— Zur N-Bestimmung verwendetes Volumen der letzten Flüssigkeit 
— 0 Cem}, 


f = Neutralisierte Menge 10" „>ehwefelsäure — 7,6 ccm; 


g—Für das Gesamtvolumen der Flüssigkeit — 440 — berechnet 
: a N 7,6...180 . 440 © 
sich die Menge neutralisierter Säure, ,.,  — JoGa come 


Für die andere Hälfte der Magenschleimhaut waren die entsprechen- 
den Zahlen: 

aı ZZ 23:5 g 

C,=120 ccm 

‚=150 ccm 

e, =30 ccm 

fh, =>5 ccm 

8,—=107,5 ccm oder auf 26,9 g der Magenschleimhaut berechnet 

— 113,4 ccm. 

Die 10 ccm Plasteinalbumosenlösung entsprechende Menge — -Säure 
ist —46,2 ccm (0,06468 g N). 

Wenn keine Rückverwandlung der Plasteinalbumosen statt- 
gefunden hätte, so hätten wir mindestens 113,4 + 46,2 = 159,6 ccm 


-;"säure verbrauchen müssen. Tatsächlich haben wir 167,2 cem ver- 


braucht, somit 7,6 ccm mehr, d. h. wir haben 10,64 mg Stick- 
stoff mehr gefunden, als man erwarten konnte. 


Auf Grund der erhaltenen Resultate muß man schließen, 
daß unter den angegebenen Versuchsbedingungen keine Rück- 
verwandlung der Plasteinalbumosen im Magenschleimhautbrei 
stattgefunden hat. 


Es ıst auffallend, daß die beiden sauren zu '/; mit Zinksulfat 
gesättigten Filtrate bei der vollständigen Sättigung mit Zinksulfat 
nur Spuren von Trübung zeigten, die Biuretreaktion aber sehr 
ausgesprochen gaben. Daraus muß man schließen, daß die beiden 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin usw. 483 


Filtrate nur Spuren von Albumosen enthielten und die hinzu- 
gesetzten Plasteinalbumosen sich in Peptone event. in weitere 
Spaltungsprodukte verwandelt hatten. Zum Schluß sei bemerkt, daß 
sich die frisch durch Lab in Plasteinalbumosenlösung gebildeten 
Niederschläge beim Kochen mit viel NaH, PO,-Lösung nicht lösen. 


Versuch 2. Ein mittelgroßer Hund wurde 6 Stunden nach Fleisch- 
fütterung durch Verblutenlassen aus beiden Karotiden getötet. Der Magen 
war mit unverdauten Fleischmassen halb gefüllt. Die weitere Bearbeitung 
war dieselbe, wie im Versuch 1, nur wurden zu der einen Hälfte der 
Magenschleimhaut 20 ccm Plasteinalbumosenlösung, zur anderen 20 ccm 
0,8 proz. Na Cl-Lösung hinzugesetzt. Der Magenschleimhautbrei war n@utral 
oder nur eben sauer. 


Ergebnisse: 

— 

— 430 ccm 
— 120 ccm 
— 180 ccm 
Ze 30.60ecM 

= 41,1 ccm 
g —= 238,65 ccm. 


=D 0 SB 


Für die andere Hälfte der Magenschleimhaut sind die entsprechen- 
den Zahlen: 


a, — 34,9 g 

D, = 440 ccm 

c; = 120 cem 

d, = 180 ccm 

e, = 30 ccm 

1, 5=.9.55:ccm 

g, — 210,1 ccm oder, auf 35,35 g berechnet — 212,8 ccm, 


Die den 20 cem Plasteinalbumosenlösung entsprechende Menge 
n-Säure — 99,8 ccm. 


Wenn keine Rückverwandlung der Plasteinalbumosen statt- 
gefunden hatte, so war für die erste Schleimhauthälfte verlangt: 
g = 212,8 + 99,5 = 312,6 ccm. Tatsächlich wurden gefunden nur 


238,65 ccm. Es fehlen also 73,95 ccm N Säure oder 0,10353 g 


10 
Stickstoff — 74,1 Proz. der ganzen mit 20 ccm Plasteinalbumosen- 
lösung zugesetzten Stickstoffmenge. 


Bei der Sättigung der Filtrate d und d, mit Zinksulfat bildete 
sich im Gegensatz zum ersten Versuch ein nicht unbedeutender 
Albumosenniederschlag. 


Versuch 3. Dem in Versuch 2 verwendeten Hund wurde sofort 
nach dem Tode ein Dünndarmstück (Jejunum) entnommen, längs des 
Mesenterialansatzes eröffnet, vom Inhalt auf das gründlichste (Auspressen 
zwischen den Fingern und Waschen) gereinigt. Zuletzt wurde das gereinigte 
Darmstück mit der Schere der Länge nach in zwei möglichst symmetrische 

31* 


484 D. Kurajeft, 


Teile zerschnitten. Die übrige Bearbeitung geschah wie im Versuch 2. 
Das Verweilen im Brutschrank dauerte nur 2 Stunden. 


Ergebnisse: 
= IRB 
b = 400 ccm 
c = 120 ccm 
d ==:180 ccm 
e. =.]BOL.CEM 
I. =. Hö:nch 


g = 230 ccm. 


Für die andere Hälfte des Dünndarmstückes sind die entsprechenden 
Zahlen: 


a, = 88,68 g 
b, = 390 com 
c, = 120 ccm 
d, = 180 ccm 
8, = 39. Cem 
ie = =81B.c0m 


g, = 158,92 ccm, oder auf 39,92 g berechnet = 164 ccm. 

Die den 20 cem Plasteinalbumosenlösung entsprechende Menge 
N. 
19’päure — 99,8 ccm. 


Wenn keine Rückverwandlung der Plasteinalbumosen statt- 
gefunden hatte, so mußte man für die erste Dünndarmhälfte 


g — 164 + 99,8 — 263,8 ccm Säure finden. m haben 
wir nur 230 ccm erhalten. Es fehlen also 33,8 ccm 5 —-Säure, d.h. 


0,04732 g Stickstoff oder 33,9 Proz. des mit 20 ccm Plastein- 
albumosenlösung zugesetzten Stickstoffs. 

Bei der Sättigung der Filtrate d und d, mit Zinksulfat bildeten 
sich feinflockige Albumosenniederschläge (mehr im Filtrat d). 


3. Schluß. 

Wegen der geringen Zahl der Versuche möchte ich aus dem 
Mitgeteilten keine endgültigen Schlüsse ziehen. Es bedarf noch 
weiterer Untersuchungen und Kontrollversuche in dieser Richtung. 
Doch kann man wohl schon jetzt auf Grund meiner Magen- 
versuche von einer Umwandlung der Plasteinalbumosen in koagu- 
lable Stoffe durch die Magenschleimhaut mit einiger Wahrschein- 
lichkeit reden. Bemerkenswert ist die auffallende Überein- 
stimmung der Resultate meiner Magenversuche mit denjenigen 
von K. Gläßner. Dieser Autor konnte keine Rückverwandlung 
der in der Magenschleimhaut enthaltenen Albumosen konstatieren, 
wenn er den Hund im Beginn der Verdauung (3 Stunden nach 
Fleischfütterung) tötete und für den Versuch benutzte; dagegen 
war die Rückverwandlung der Albumosen 4'/, bis 8 Stunden nach 
der Fütterung sehr ausgesprochen. 


Über das Plastein aus kristallisiertem Ovalbumin usw. 485 


Ganz dieselbe Erscheinung konnte auch ich in meinen Magen- 
versuchen konstatieren. Im Hinblick auf diese auffallende Über- 
einstimmung wäre es höchst interessant, die in der Magen- 
schleimhaut während der Verdauung vorfindlichen Albumosen 
näher zu untersuchen, event. ihre ausgesprochen plasteinogene 
Eigenschaft festzustellen. Die weitere Bearbeitung der hier an- 
gedeuteten Fragen behalte ich mir vor. 

Die beschriebenen Tierversuche wurden mit Hilfe von Dr. 
A. Nürnberg, dem ich meinen besten Dank ausspreche, aus- 
geführt. 


“ 


AÄXXVIN. 


Beiträge zur Kenntnis 
der physiologischen Beziehungen der schwefelhaltigen 
Eiweißabkömmlinge. 
Dritte Mitteilung. 
Über die Konstitution der Merkaptursäuren. 
Von E. Friedmann, | 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Baumann und Preuße*) haben für die Merkaptursäuren 
folgende Formel aufgestellt: 
CH, 


CH,.CO.NH—C—SC,H,X 
| 
COOH 
Nach dieser Formel wären diese Substanzen Derivate eines 
a-Cysteins**): 


Die Tatsachen, auf Grund deren Baumann und Preuße die 
Merkaptursäuren als aa-substituierte Propionsäurederivate an- 
sprachen, sind einmal in dem Auftreten von Gärungsmilchsäure 
bei der Reduktion dieser Säuren mit Natriumamalgam in der Kälte, 
dann in der leichten Bildung von Brenztraubensäure bei der Alkali- 
spaltung zu suchen ***), Das Vorhandensein eines Acetylrestes ergab 
sich aus der Bildung von Essigsäure bei der Einwirkung von Säuren 
auf die MerkaptursäurenTf), die Bindung des Acetylrestes an eine 


*) Baumann und Preuße, Zeitschr. f. physiol. Chemie 5, 309. 
**) E. Friedmann, Diese Beiträge 3, 1. 
***), Baumann und Preuße, loc. eit. S. 319 u. 326. 
7) Baumann und Preuße, loc. eit. S. 315. 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 487 


Aminogruppe durch die Zurückbildung von Merkaptursäure*) bei 
Einwirkung von in Benzol gelöstem Essigsäureanhydrid auf den 
bei der Säurespaltung erhältlichen, von Baumann und Preuße 
Bromphenyleystein genannten Körper. Die Bindung des Brom- 
phenylrestes an den Schwefel der Merkaptursäuren*) wurde 
durch das Auftreten von Bromphenylmerkaptan bei der Alkalı- 
spaltung bewiesen. 

Auch die von König“) in Baumanns Laboratorium dar- 
gestellten Oxydationsprodukte der Merkaptursäuren zeigten in 
ihrer leichten Zersetzlichkeit durch Alkali ein Verhalten, das gut 
zu der von Baumann vertretenen Anschauung über die Könsti- 
tution der Merkaptursäuren paßte. 


Baumann erschien die a-Stellung sowohl der Aminogruppe, 
wie des Bromphenylmerkaptanrestes so sicher begründet, daß er 
die Synthese der Merkaptursäuren in Angriff nahm. Weiß), 
der diese Versuche ausführte, ging vom Alanin (I) aus, dessen 
Benzoylphenylester (II) er der Einwirkung von Phosphorpenta- 
chlorid unterwarf. Das so erhaltene aa-substituierte Produkt (III) 
wurde mit Bromphenylmerkaptan in Reaktion gebracht, der resul- 
tierende Körper (IV) sollte den Phenylester des Benzoylbrom- 
phenyleysteins darstellen: 


II 
CH, CH; 
| 
CH ..NH, CH.NH.CO.C,H, 
| | 
COOH 009, 05H, 
III IV 
CH, CH; 
| 
SE, BrC;H,S.C.NH.CO.C,H, 
| 
C0,.C,;,H, C0,.0,H, 


Auffallend war, und Weiß betont dies besonders, daß es nicht 
gelang, das aus diesem Ester dargestellte Amid zur Säure zu ver- 
seifen, vielmehr trat bei dahin zielenden Eingriffen völlige Zer- 
setzung ein. 


Jedoch gelang es S. Fränkel’rf) auf Veranlassung von Bau- 
mann, von den Merkaptursäuren ausgehend zu Substanzen zu 


*) Baumann, Berl. Ber. 18, 266. 
*) Baumann und Preuße, loc. eit. $. 319. 
***) König, Zeitschr. f. physiol. Chemie 16, 547. 
7) Weiß, Zeitschr. f. physiol. Chemie 20, 407. 
17) 8. Fränkel, Zeitschr. f. physiol. Chemie 20, 435. 


488 E. Friedmann, 


kommen, deren Verhalten dem der von Weiß dargestellten syn- 
thetischen Produkte analog war. (Verglichen wurden der oben 
erwähnte Benzoylphenylester und sein Amid.) Die beobachteten 
Abweichungen im Schmelzpunkt und in der Kristallform der be- 
treffenden Körper erklärt S. Fränkel daraus, daß es sich bei 
den Derivaten der Merkaptursäuren um optisch aktive, bei den 
vom Alanin aus synthetisch erhaltenen Produkten um Racem- 
körper handelte. Ein Versuch jedoch, von racemisierten Merkap- 
tursäuren Vergleichspräparate zu gewinnen, wurde nicht ausge- 
führt. Es können daher die auf diese Synthese der Merkaptur- 
säuren sich -stützenden Argumente nicht einwandsfreie Beweis- 
kraft beanspruchen. 

Unter dem reichhaltigen Tatsachenmaterial, mit dem Bau- 
mann seine Auffassung über die Konstitution der Merkaptur- 
säuren stützen konnte, findet sich einzig eine Beobachtung von 
König*), die aus dem Rahmen des sich auf Grund der übrigen 
Erfahrungen Baumanns über die Konstitution der Merkaptur- 
säuren ergebenden Bildes herausfällt. König erhielt nämlich 
unter den Oxydationsprodukten der Merkaptursäuren eine Sub- 
stanz (I), die nach Abspaltung des Acetylrestes (II) und Ersatz der 
Aminogruppe durch die Hydroxylgruppe (III) unter der Einwirkung 
von Alkali nicht, wie erwartet, Brenztraubensäure und Chlorbenzol- 
sulfinsäure lieferte. Die aa-Substitution erwies sich in diesem. 
Falle als beständig, und das einzige Resultat der Alkalibehandlung 
war die Entstehung eines Anhydrids (IV): 


I II 
CH; CH; 
| | 
aD NH,.0.8S0,.0,H,C1 
COOH COOH 
III IV 
CHs CH, : CH, 


| | 
OH.C.SO,.0;H,Cl C1C;,H,S0,.C—0—C.S0,.C;,H,C1 


| | 
COOH COOH COOH 


König vergleicht diese Anhydridbildung mit dem Verhalten 
der Thiophenyloxypropionsäure, die von Baumann**) bei der Ein- 
wirkung von Phenylmerkaptan auf Brenztraubensäure erhalten 
war, und die ebenfalls unter bestimmten Bedingungen zur Anhy- 
dridbildung in dem oben gekennzeichneten Sinne befähigt ist. 


*) H. König, Zeitschr. f. physiol. Chemie 16, 525. 
**) Baumann, Berl. Ber. 18, 266. 


EN, "ER RE Va a; ei BE TE ni a Aa 1a 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 489 


= CH, CH; 
| 
0sH,;8.C. OH — 0H,S.0-0—-C.SC,H, 


COOH COOH a 

Bedenkt man aber, daß die Thiophenyloxypropionsäure bereits 
durch Wasser in Brenztraubensäure und Phenylmerkaptan zer- 
legt wird, während die Chlorphenylsulfopropionsäure Königs 
gegen Wasser beständig ist, ferner daß die Anhydridbildung hier 
durch Phosphoroxychlorid erzielt wird, während sie dort eine 
Folge der Alkalieinwirkung ist, so ergibt sich, daß die Grund- 
lagen zur Konstruktion dieser Analogie doch etwas zweifelhaft sind. 


Scheinen so Gründe chemischer Natur dahin zu drängen, die 
Frage nach der Konstitution der Merkaptursäuren von neuem 
aufzuwerfen, so kommen Erwägungen physiologischer Natur 
hinzu, die es notwendig erscheinen lassen, diese Frage zur Ent- 
scheidung zu bringen. In einer früheren Mitteilung*, habe ich 
zeigen können, daß ein Zusammenhang zwischen den nach der 
Baumannschen Formel konstituierten Merkaptursäuren (Il) und 
dem Eiweißceystein (Il) auszuschließen ist, da erstere Derivate 
eines a-Cysteins sind, letzteres aber ein f-Cystein ist. 


I II IH 
CH; ‚7 99.88 CH, 
| | | 
CH,.CO.NH.C.SC,E,X CH.NH; CH.SH 
| | | 
COOH COOH COOH. 


Da ich ferner a-Thiomilchsäure (III)**) als Spaltungsprodukt 
der Keratinsubstanzen und des Serumalbumins nachgewiesen habe, 
so war die Möglichkeit einer synthetischen Bildung der Merkaptur- 
säuren von dieser a-Thiomilchsäure aus nicht ganz von der Hand 
zu weisen. Für die tierexperimentelle Bearbeitung dieser Frage 
ist aber die Sicherstellung der Konstitution der Merkaptursäuren 
eine kaum zu umgehende Vorbedingung. 


Bei der Konstitutionsbestimmung der Merkaptursäuren kann 
es sich, wie aus dem anfangs Gesagten ersichtlich ist, nur darum 
handeln, ob in dem ihnen zugrunde liegenden Propionsäurekern 
‚die #-Stellung besetzt ist oder nicht, da eine Substition in a-Stellung 
sowohl aus der Bildung von Brenztraubensäure bei der Alkali- 
spaltung, wie aus dem Auftreten von Gärungsmilchsäure bei der 
Reduktion mit Sicherheit abzuleiten ist. 


*) E. Friedmann, Diese Beiträge 3, 1. 
*) E. Friedmann, Diese Beiträge 3, 184. 


490 E. Friedmann, 


Demnach kommen für die Merkaptursäuren folgende Formeln 
in Betracht — ich wähle der Bequemlichkeit wegen die Amino- 
bromphenylthiopropionsäure (Baumanns Bromphenyleystein): 


I 11 113 
CH; CH,.SC;H,Br ;, OH,.SH, 
| | 
NH,;.C.SC,;H, Br CH.NH, CH . SC;H,Br 
| | | 
COOH COOH COOH. 


Formel I entspricht der Baumannschen Auffassung der 
Konstitution der Merkaptursäuren. Nach Formel II wären sie 
Abkömmlinge des Eiweißeysteins, nach Formel III wären sie 
Derivate eines a-Thio--aminocysteins. 

Das zur Konstitutionsbestimmung notwendige Ausgangs- 
material wurde aus nach Brombenzolfütterung erhaltenem Hunde- 
harn dargestellt. 


1. 
Darstellung des Ausgangsmaterials*). 

Die Applikation des Brombenzols geschah in der Art, daß 
mittelgroßen kräftigen Hunden bei reichlicher Fleischfütterung 
je 5 g Brombenzol in Gelatinekapseln täglich verfüttert wurden. 
Nach dem fünften oder sechsten Tage wurde die Fütterung einen 
Tag ausgesetzt. 

Zur Darstellung der Merkaptursäuren aus dem so erhaltenen 
Hundeharn wurde, wie folgt, verfahren. 

Der Harn wird mit !/ıo Volumen konz. Salzsäure (Spez.-Gew. 1,19) 
versetzt und 10 Tage stehen gelassen. Nach dieser Zeit wird vom 
kristallinischen Bodensatz, der zum größten Teil aus Merkaptursäure be- 
steht, abgegossen. Die Kristalle werden im Becherglase durch wieder- 
holtes Aufrühren mit Wasser gereinigt und das Dekantieren fortgesetzt, 
bis die über den Kristallen stehende Flüssigkeit nur noch schwach 
gelb gefärbt ist, darauf im selben Gefäße mit 10proz. Ammoniak in der 


Wärme zur Lösung gebracht, und die braune, heiße, ammoniakalische 


Lösung durch ein Tierkohlenfilter hindurchgesaugt. Nach dreimaligem 
Passieren des Tierkohlenfilters in der Wärme ist die ammoniakalische 
Flüssigkeit nur noch schwach gelb gefärbt. Sie wird zur Kristallisation 
eingeengt. Das beim Erkalten auskristallisierende Ammoniumsalz wird 
abgesaugt und scharf von der Mutterlauge abgepreßt. Es ist in der 


Regel nur noch wenig gefärbt. Zur Abscheidung der freien Merkaptur- 


säure wird das Ammoniumsalz in die 20fache Menge heissen Wassers 
eingetragen. Nach erfolgter Lösung wird in der Wärme mit verdünnter 


*) Das zu dieser Untersuchung notwendige Ausgangsmaterial habe ich 
mir in der chemischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität 
Berlin dargestellt. Herrn Prof. Thierfelder bin ich für die Freundlich- 
keit, mit der er mir erlaubte, in seinem Laboratorium als Gast zu arbeiten, 
zu großem Danke verpflichtet. 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 491 


Schwefelsäure angesäuert. Der größte Teil der Bromphenylmerkaptur- 
säure fällt sofort aus, der Rest nach zwölfstündigem Stehen im Eisschrank. 


Dieses Verfahren entspricht im wesentlichen den von Bau- 
mann und Schmitz“) bei der Darstellung der Jodphenylmerkaptur- 
säure gemachten Angaben. Beim Arbeiten nach der Vorschrift, 
die Baumann und Preuße zur Isolierung der Merkaptursäuren 
angegeben haben, gelang es mir nicht, Merkaptursäure in ge- 
nügender Menge zu erhalten, auch machte sich bei diesem Ver- 
fahren die Anwesenheit von Kynurensäure stets unangenehm 
bemerkbar. 

Die Ausbeute an Merkaptursäure entsprach den von Bau- 
mann und Preuße gemachten Erfahrungen. Es konnten nach 
Verfütterung von 100 g Brombenzol 25 bis 30 g Bromphenyl- 
merkaptursäure isoliert werden. 


Aminobromphenylthiopropionsäure (Baumanns Brom- 
phenylcystein). 

Bromphenylmerkaptursäure wird den Angaben von Baumann und 
Preuße entsprechend mit der dreißigfachen Menge verdünnter Schwefel- 
säure (1 Tl. Schwefelsäure, 4 Tle. Wasser) ®/, Stunden am Rückflußkühler 
gekocht. Nach dieser Zeit ist völlige Lösung eingetreten. Die schwach 
gefärbte Flüssigkeit wird in der Wärme mit 10Oproz. Ammoniak nahezu 
neutralisiert und mit Ammoniumkarbonat schwach übersättigt. (Ein 
Verdünnen mit dem mehrfachen Volumen Wasser, wie es Baumann 
und Preuße vorschreiben, habe ich unterlassen, weil ich hierdurch 
weder ein reineres Produkt noch eine größere Ausbeute erzielte.) Die 
ausgeschiedene Aminobromphenylthiopropionsäure schwimmt zum größten 
Teil als schlammige Masse an der Oberfläche der Flüssigkeit, sie wird 
nach dem völligen Erkalten abgesaugt und mit kaltem Wasser ausge- 
waschen. Die Ausbeute ist quantitativ. 


AT. 
Über die Stellung des Bromphenylmerkaptanrestes in der Brom- 
phenylmerkaptursäure. 

Zur Bestimmung der Stellung des Bromphenylmerkaptanrestes 
in der Bromphenylmerkaptursäure bin ich denselben Weg ge- 
gangen, den ich bei der Untersuchung der dem Cystein zugrunde 
liegenden Thiomilchsäure mit Erfolg beschritten habe. Ich habe 
versucht nach der Reaktion von Jochem“**) durch Einwirkung von 
Natriumnitrit auf Aminobromphenylthiopropionsäure in konzen. 
triert salzsaurer Lösung die Aminogruppe durch Chlor zu 
ersetzen, um von der so erhaltenen Verbindung durch Reduktion 
zu der den Merkaptursäuren zugrunde liegenden Bromphenylthio- 


*) EE Baumann und P. Schmitz, Zeitschr. f. physiol. Chemie 
20, 586. 
**) Jochem, Zeitschr. f. physiol. Chemie 31, 119. 


492 E. Friedmann, 


milchsäure zu gelangen. Denn die Betrachtung der drei für die 
Merkaptursäuren möglichen Formeln ergibt, daß einem nach der 
Formel I oder III gebauten Bromphenyleystein eine Bromphenyl- 
a-thiomilchsäure, einem nach der Formel II sich ableitenden 
Körper dagegen eine Brompbenyl-/-thiomilchsäure zugrunde 
liegen muß. 


A. Einwirkung von Natriumnitrit auf Aminobromphenylthiopro- 
pionsäure in konzentriert salzsaurer Lösung. 


1. Versuch. 


5 g Aminobromphenylthiopropionsäure werden in 200 cem konzen- 
trierter Salzsäure (Spez. Gew. 1,19) suspendiert und durch Rühren mittelst 
Turbine in feiner Suspension gehalten. In dieses Gemisch wird eine 
Lösung von 15 g Natriumnitrit in 30 ccm Wasser innerhalb zwei Stunden 
eingeträufelt. Die Reaktion tritt langsam ein und nimmt allmählich an 
Intensität zu. Nach beendetem Zusatz des Nitrits schwimmt eine ölige, 
breiige Masse an der Oberfläche der Flüssigkeit, eine weiße kristallinische 
Masse befindet sich auf dem Boden des Gefäßes, die Flüssigkeit selbst ist 
hellgelb gefärbt. Das Reaktionsgemisch wird 12 Stunden sich selbst über- 
lassen, darauf mit Äther überschichtet und durch energisches Rühren die 
auf der Oberfläche schwimmende Schicht in Lösung gebracht. Nach er- 
folgter Lösung wird abgesaugt, die auf dem Filter zurückbleibenden, 
schneeweißen Kristalle werden einige Male mit Ather nachgewaschen. 
Die Menge der zurückbleibenden Kristalle beträgt 11,4 g. Sie bestehen 
zum größten Teil aus Kochsalz und wenig unveränderter Amino- 
promphenylthiopropionsänre. 

Das wässerige, ätherische Filtrat dieser Kristalle wird im Scheide- 
trichter getrennt, und die so erhaltene wässerig salzsaure Lösung vier- 
mal mit Ather ausgeschüttelt. Sowohl der ätherische Auszug, wie die 
wässerige, salzsaure Lösung wurden untersucht. 

Es war zu vermuten, daß die erwartete Chlorbromphenyl- 
thiopropionsäure im ätherischen Auszug vorhanden wäre. 

Die ätherischen Extrakte werden vom Äther befreit. Beim Ab- 
destillieren des Athers entwickeln sich zum Schluß der Operation nitröse 
Dämpfe. Der Rückstand wird in wenig Ather gelöst und die ätherische 
Lösung im Vakuum über Schwefelsäure eingedunstet:. Die Menge des 
Rückstandes beträgt 3 g. Nach dreitägigem Stehen ist ein Teil desselben 
kristallinisch erstarrt. Die Kristalle bleiben beim UÜbergießen des Rück- 
standes mit wenig Ather zurück, ihre Menge beträgt 1,3 g. Die von 
diesen Kristallen abgegossene ätherische Flüssigkeit lieferte 1,7 g eines 
öligen Körpers, der auch nach tagelangem Stehen keine Neigung zum 
Kristallisieren zeigte, 

Es waren also im ätherischen Auszuge zum mindesten zwei 
Körper vorhanden, eine kristallinische und eine ölige Substanz. 

Dem ausgeschiedenen kristallinischen Körper haftet der eigentümliche, 
faulige Geruch des Bromphenylmerkaptans an. Der Schmelzpunkt liegt bei 
130 bis 131°. Nach einmaligem Umkristallisieren aus Ather, in dem die 
Kristalle jetzt schwer löslich sind, steigt der Schmelzpunkt auf 147 bis 
148°, nach zweimaligem auf 149° und bleibt bei weiterem Umkristalli- 


| Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 493 


sieren konstant bei 149°. Es wurde eine Elementaranalyse und eine 
Halogenbestimmung dieses Körpers ausgeführt. 
Zur Analyse wurde die Substanz im Vakuum über Schwefel- 
säure getrocknet. 
0,1818 g Substanz gaben 0,2351 g CO,, entspr. 35,27 Proz. © 
und 0.0465 _ H,O, „ a: 
0,1820 g Substanz gaben 0,1114 g AgBr, „, 36.0 eier: 
Die Zahlen ergeben, daß die vorliegende Substanz eine Oxy- 
bromphenylsulfopropionsäure ist. 


Ber. f. C,H, 0, SBr. Gef. 
(6 34,94 Proz. 35,27 Proz. . 
H Ba‘, 2,86 
Br, 2586, 26.05 x, 


Die Substanz ist in kaltem Äther schwer löslich, ebenso in 
kaltem Wasser. Dagegen löst sie sich in beiden Lösungsmitteln 
in der Wärme, ohne beim Erkalten wieder auszufallen. Die 
wässerige Lösung setzt aber auf Zusatz von Säuren sofort einen 
kristallinischen Niederschlag ab, der aus unveränderter Oxybrom- 
phenylsulfopropionsäure vom Schmelzpunkt 149° besteht. Beim 
langsamen Auskristallisieren aus heißem Wasser scheidet sich 
die Substanz in schönen, durchsichtigen Nadeldrusen aus, die 
kristallwasserhaltig sind, beim Stehen an der Luft opak werden 
und verwittern. Der Körper gibt mit konzentrierter Schwefel- 
säure keine charakteristische Farbenreaktion und ist in reinem 
Zustand geruchlos. 

Die ätherische Mutterlauge dieser Oxybromphenylsulfopro- 
pionsäure, die nach Abdestillieren des Äthers 1,7 g eines öligen 
Körpers geliefert hatte, enthielt die gesuchte Chlorbrom- 
phenylthiopropionsäure. 

Ihre Reinigung geschah in der Art, daß sie mit Äther auf- 
genommen und die ihr anhängende Salzsäure durch wiederholtes 
Waschen mit Wasser entfernt wurde. Sie wurde nach Abdestil- 
lieren des Äthers als gelbes Öl erhalten, das beim Behandeln mit 
Alkalı Salzsäure und Bromphenylmerkaptan abspaltete. Letzteres 
wurde als Disulfid vom Schmelzpunkt 81° identifiziert. 

Neben den beiden im Ätherauszuge vorhandenen Körpern, 
der Oxybromphenylsulfopropionsäure und der Chlorbromphenyl- 
thiopropionsäure, war bei der Einwirkung von Nitrit auf Amino- 
bromphenylthiopropionsäure die Entstehung von noch zwei anderen 
Körpern nachzuweisen, die in der vom ätherischen Auszug ge- 
trennten, wässerig salzsauren Flüssigkeit vorhanden waren und 
wie folgt, isoliert wurden. 


Nach längerem Stehen im Eisschrank scheiden sich aus der wässerig 
salzsauren Lösung schöne, gut ausgebildete Nadeln aus, die leicht braun 


494 E. Friedmann, 


gefärbt sind. Sie werden abgesaugt. Ihre Menge beträgt 0,6 g. Beim 
Einengen des Filtrats dieser Kristallisation wird eine zweite kristallinische 
Ausscheidung von 0,5 g erhalten. Die beiden Kristallisationen werden 
getrennt in der gleichen Weise verarbeitet. Beide werden in der Wärme 
in möglichst wenig absolutem Alkohol gelöst. Beim Stehen in der Kälte 
scheiden sich schöne, blättrige Kristalle aus. Dieselben werden abge- 
saugt. Sie sind, einmal aus der alkoholischen Lösung isoliert, in Alkohol 
unlöslich. Ihr Schmelzpunkt liegt bei 192°. In konzentrierter Schwefel- 
säure gelöst und erwärmt, färben sie die Lösung blaugrün, eine Reaktion, 
die das Vorhandensein eines Bromphenylmerkaptanrestes anzeigt. Mit 
Natronkalk erhitzt, geben sie Ammoniak ab. Da nur 0,08 g analysen- 
reines Produkt erhalten werden konnte, mußte von einer Analyse Abstand 
genommen werden. Jedoch machten es die angegebenen Reaktionen 
wahrscheinlich, daß der vorliegende Körper eine Aminobromphenyl- 
thiopropionsäure ist. Es soll später noch einmal auf diesen Körper 
eingegangen werden. \ 

Neben dieser Aminobromphenylthiopropionsäure vom Schmelz- 
punkt 1920 war eine Aminobromphenylsulfopropionsäure 
nachzuweisen. 

Zu ihrer Isolierung wird das alkoholische Filtrat des oben be- 
sprochenen Körpers stark eingeengt und in der Kälte mit dem mehr- 
fachen Volumen Essigäther versetzt. Es beginnt sofort eine Kristallisation 
von kleinen weißen Nadeln. Nach beendeter Ausscheidung werden die- 
selben abgesaugt. Ihre Menge beträgt 0,6 g. Von neuem in Alkohol 
gelöst und mit dem mehrfachen Volumen Essigäther versetzt, scheiden 
sie sich nicht sogleich wieder aus, wohl aber beginnt sofort eine reichliche 
Kristallisation bei gelindem Erwärmen dieser essigäther-alkoholischen 
Lösung auf dem Wasserbade. 


Die Analyse der im Vakuum über Schwefelsäure getrockneten 
Substanz gab die für Aminobromphenylsulfopropionsäure verlangten 
Zahlen. | 

0,1306 .g Substanz gaben 0,1675 g CO,, entspr. 34,98 Proz. C 
und 0,0449 „ H,O, entspr. 3,85 Proz. H. 
0,1284 g Substanz gaben 5,89 ccm N (749,5 mm, 23,1°). 


Ber..T.. 5,H,0,NBrS Gef. 
C 35,05 Proz. 34,98. Proz. 
H 47 3,85 „, 
N 460, 5,00 „ 


Die Substanz schmilzt bei 196° unter Zersetzung. Mit Natron- 
kalk geglüht, entwickelt sie Ammoniak. Mit konzentrierter 
Schwefelsäure gibt sie nur eine Braunfärbung. 


Eine Aminobromphenylsulfopropionsäure vom Schmelzpunkt 163 bis 
164° ist bereits von König in seiner Arbeit über die Oxydationsprodukte 
der Merkaptursäuren beschrieben werden. Diese gab ebenso wie die von 
mir erhaltene Säure mit konzentrierter Schwefelsäure Braunfärbung. Die 
Differenz im Schmelzpunkt erklärt sich vielleicht daraus, daß König 
eine optisch aktive Substanz in den Händen gehabt hat, ich dagegen 
vermutlich eine optisch inaktive. Allerdings ist die Größe der Differenz 
auffällig. 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 495 


Es konnten also unter den Produkten der Einwirkung von 
Natriumnitrit auf Aminobromphenylthiopropionsäure unter den ge- 
schilderten Bedingungen neben unveränderter Aminobromphenyl- 
thiopropionsäure vom Schmelzpunkt 181 bis 182”, Oxybromphenyl- 
sulfopropionsäure, Chlorbromphenylthiopropionsäure, eine Amino- 
bromphenylthiopropionsäure vom Schmelzpunkt 192° und eine 
Aminobromphenylsulfopropionsäure von Schmelzpunkt 196° nach- 
gewiesen werden. 

Ob die beim Abdestillieren des Athers sich entwickelnden nitrösen 
Dämpfe der Ausdruck einer nachweislichen, nachträglichen Oxydation 
waren oder nicht, so daß an Stelle oder neben der erhaltenen Oxybrom- 
phenylsulfopropionsäure auch die entsprechende Oxybromphenylthio- 
propionsäure bei der Reaktion entstanden wäre, habe ich nicht feststellen 
können. Ich habe nach dieser Säure gesucht, aber vergeblich. Sie wäre 
interessant, weil sie, die Richtigkeit der Baumannschen Formel voraus- 
gesetzt, mit der von Baumann durch Einwirkung von Bromphenyl- 
merkaptan auf Brenztraubensäure erhaltenen Säure identisch sein müßte. 


Der eben geschilderte Versuch zeigt neben der Vielseitigkeit 
des Reaktionsverlaufes, wie spärlich die Ausbeute an der ge- 
suchten Chlorbromphenylthioprepionsäure unter den beschriebenen 
Bedingungen ist. Ich habe daher, um die zur Reduktion nötigen 
Mengen zu erhalten, die Bedingungen der Einwirkung des Nitrits 
ändern müssen und bin nach einigen vergeblichen Versuchen auf 
folgendem Wege zum Ziele gelangt. 


2. Versuch. 

5 g Aminobromphenylthiopropionsäure vom Schmelzpunkt 181° w en 
in der fünffachen Menge rauchender Salzsäure suspendiert und unter Eis- 
kühlung bei leichtem Schwenken des Reaktionsgefäßes mit einer konzen- 
trierten Lösung von 5 g Natriumnitrit langsam versetzt. Nach Zusatz 
von etwa 2,5 g Nitrit wird die Operation unterbrochen, das Gefäß aus dem 
Eis herausgenommen, bis die begonnene Reaktion bei Zimmertemperatur 
beendet ist. Nachdem dies geschehen ist, wird mit dem Nitritzusatz fort- 
gefahren, zu Anfang unter Eiskühlung bis zu dem Punkte, wo die teigige 
Konsistenz des Reaktionsproduktes augenfällig wird. Jetzt wird bei 
Zimmertemperatur weiter diazotiertt. Da nach Zusatz von 5 g Nitrit 
noch immer nicht unbeträchtliche Mengen des Ausgangsmaterials unver- 
braucht sind, wird noch ein weiteres g Nitrit bei Zimmertemperatur hinzu- 
gesetzt. Nachdem dies geschehen ist, schwimmt das Reaktionsprodukt 
als braunes Öl auf der Oberfläche der salzsauren Lösung. Zur Ver- 
jagung der Stickoxyde wird etwa eine Stunde Luft durch das Reaktions- 
gemenge geleitet, darauf das Öl mit Ather aufgenommen, die ätherische 
Lösung durch Waschen mit Wasser von anhängender Salzsäure befreit 


und der Ather abdestilliert. Die Ausbeute an tkeriöslichem Produkt be- 


trägt 4 g. Oxybromphenylsulfopropionsäure war in diesem Falle nicht 
gebildet worden. 


Nachdem dieser Versuch ausreichende Mengen Chlorbrom- 
phenylthiopropionsäure geliefert hatte, war zu hoffen, daß bei der 


496 E. Friedmann, 


Reduktion etwa entstehende Bromphenylthiopropionsäure auch 
identifiziert werden könnte. 


B. Reduktion der Chlorbromphenylthiopropionsäure. 
1..YVersuch, 


2 g Chlorbromphenylthiopropionsäure werden mit 60 ccm Salzsäure 
(1 TI. Wasser, 5 Tle. konzentrierter Salzsäure) übergossen und nach Zusatz 
von granuliertem Zinn bei Wasserbadtemperatur reduziert. Dabei wird auf- 
fallend viel Bromphenylmerkaptan abgespalten. Das der Reduktion 
unterworfene Ol zeigt keine wahrnehmbare Veränderung. Nach 1'/,stündiger 
Reduktion wird die heiße Flüssigkeit vom ungelösten Zinn abgegossen 
und das zurückbleibende Zinn einige Male mit Wasser abgespült. Die 
abgegossene Flüssigkeit, aus der sich ein schweres, rasch erstarrendes 
Ol zu Boden senkt, trübt sich beim Erkalten und scheidet nach einigem 
Stehen in der Kälte schön ausgebildete Kristalle ab. 


Die Reinigung dieses Reduktionsprodukts, das die gesuchte 
Bromphenylthiopropionsäure enthalten sollte, war wegen des 
schwer zu beseitigenden Bromphenylmerkaptans mit großen Ver- 
lusten verbunden. 


Das kristallinisch erstarrte Öl, wie die ausgeschiedenen Kristalle 
werden abgesaugt, mit Wasser ausgewaschen, in Soda gelöst und die 
trübe Lösung mit Salzsäure angesäuert. Es entsteht sofort eine dicke 
milchige Trübung, die rasch ein zum größten Teil erstarrendes, gelbes Ol 
absetzt neben spärlichen, weißen, blättrigen Kristallen. Nachdem die 
Flüssigkeit völlig klar geworden ist, wird abgesaugt und der Rückstand 
von neuem in Soda in der Wärme gelöst, die trübe Sodalösung abgekühlt 
und nach 24stündigem Stehen das ausgeschiedene Dibromphenyldisulfid 
abfiltriert. Die Filtration muß durch ein Barytfilter geschehen, da das 
Disulfid große Neigung hat, durch das Filter hindurchzugehen, und wird 
wiederholt, bis ein klares Filtrat erhalten wird. Da dasselbe gelb gefärbt 
ist, wird es in der Kälte mit Tierkohle andauernd geschüttelt. Nach 
Entfernung der Tierkohle wird angesäuert, aber auch diesmal haftet dem 
ausgeschiedenen Produkte eine ölige Verunreinigung an. Erst als ge- 
funden wurde, daß die Kristalle unter Zurücklassung eines Teiles der 
öligen Beimengung in Petroläther löslich waren, gelang es, zu einem 
sauberen Körper zu kommen. Beim Eindunsten der Petrolätherlösung 
kristallisiert die Substanz in zu Drusen vereinigten Blättchen aus, deren 
Schmelzpunkt bei 112 bis 113° liegt. Von neuem in Soda gelöst und 
mit Salzsäure ausgefällt, steigt der Schmelzpunkt auf 115 bis 116° und 
bleibt jetzt bei erneutem Umfällen konstant. 


Von den Eigenschaften dieses Körpers ist sein Verhalten gegen 
konzentrierte Schwefelsäure besonders hervorzuheben. Übergießt 
man nämlich die trockene Substanz mit konzentrierter Schwefel- 
säure und erwärmt gelinde, so färbt sich sehr bald die Schwefel- 
säure schön kirschrot, bei weiterem Erwärmen wird die Farbe 
purpurrot, um bei starkem Erhitzen nach einer unbestimmten 
Zwischenfarbe tiefsmaragdgrün zu werden. Die rote Farbe ver- 
schwindet sofort auf Zusatz von Wasser. Ein charakteristischer 
Absorptionsstreifen ist nicht vorhanden. 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 497 


Die Ausbeute an diesem Körper war unter den geschilderten 
Bedingungen so gering, daß kaum zu hoffen war, die zur Analyse 
nötige Menge Substanz zu erhalten. Da nun bei der Reduktion 
mit Zinn und Salzsäure in der Wärme eine erhebliche Bromphenyl- 
merkaptanabspaltung stattgefunden hatte und hierin möglicherweise 
der Grund für die spärliche Ausbeute zu suchen war, so habe ich 
versucht, ob vielleicht eine gelindere Reduktion in der Kälte bei 
Abwesenheit von überschüssiger Salzsäure ein besseres Resultat 
liefern würde. 

2. Versuch. E 

Da wiederholt beobachtet worden ist, daß Säureester leichter 
reduziert werden als die Säuren selbst, so habe ich den Chlor- 
brompbenylthiopropionsäureester der Reduktion unterworfen. 


Chlorbromphenylthiopropionsäureäthylester. 

3 g Chlorbromphenylthiopropionsäure (aus Versuch 2, S. 495) werden 
in der fünffachen Menge absoluten Alkohols gelöst und die Lösung mit 
Salzsäure gesättigt. Der gebildete Ester wird mit Kochsalzlösung abge- 
schieden, mit Ather aufgenommen und die ätherische Lösung. mit ver- 
dünnter Sodalösung gewaschen. Nach Abdestillieren des Athers hinter- 
bleiben 3 g Chlorbromphenylthiopropionsäureäthylester, was einer Ausbeute 
von 91 Proz. entspricht. 


Reduktion des Chlorbromphenylthiopropionsäure- 
äthylesters. 

| 3 g Ester werden in 30 cem Äther gelöst, mit 12 g frisch bereitetem 

- Aluminiumamalgam versetzt und unter tropfenweisem Zusatz von Wasser 

_ sechs Stunden reduziert. Darauf wird vom unverbrauchten Amalgam 

_ und der gebildeten Tonerde filtriert, der Äther abdestilliert und “der 

| zurückbleibende Ester verseift. 


Bromphenylthiomilchsäure. 

Zur Verseifung wird der Ester mit der zehnfachen Menge verdünnter 
Salzsäure (1 Tl. rauchende Salzsäure, 2 Tle. Wasser) zwei Stunden am 
Rückflußkühler gekocht. Auch jetzt ist deutliche Merkaptanabspaltung 

- vorhanden. Die noch warme Flüssigkeit wird mit Soda alkalisch ge- 
macht, die Sodalösung mit Äther zur Entfernung von etwa noch vor- 
handenem Merkaptan wiederholt ausgeschüttelt und mit Salzsäure ange- 
_ säuert. Aus der frisch bereiteten Lösung kristallisiert das gesuchte 
- Reduktionsprodukt sehr rasch in schönen Blättchen, die nach ein- 
maligem Umkristallisieren aus heißem Wasser analysenrein sind. Ihre 

Menge beträgt 0,4 @. 
Die Substanz gibt die oben erwähnte Farbenreaktion mit 


konzentrierter Schwefelsäure, ihr Schmelzpunkt liegt bei 115 


0,1799 g im Vakuum zur Konstanz getrocknete Substanz 
gaben 0,2756 g CO,, entspr. 41,78 Proz. © 
end. 006045 BO, 745 318, ;„. > H 


3 
} 
| 
| bis 116°. 
| Bei der Elementaranalyse wurden folgende Zahlen erhalten: 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 32 


498 E. Friedmann, 


Diese Zahlen ergeben, daß die vorliegende Substanz die ge- 
suchte Bromphenylthiomilchsäure ist. 


Ber. f. C,H, BrSO, Gef. 
Ö 41,46 Proz. 41,78 Proz. 
a ae, 


Die Ausbeute an Bromphenylthiomilchsäure beträgt 16,5 Proz. 
der Theorie. (Bezogen auf Chlorbromphenylthiopropionsäure- 
äthylester.) 

Nachdem in der eben geschilderten Weise der Abbau der 
Merkaptursäuren zu der ihnen zugrunde liegenden Bromphenyl- 
thiomilchsäure gelungen war, handelte es sich darum, festzustellen, 
ob dieselbe der a- oder der f-Reihe angehört. Zu diesem Zwecke 
habe ich die entsprechenden Bromphenylthiomilchsäuren dar- 
gestellt, deren Synthese bisher noch nicht ausgeführt worden ist. 

C. Bromphenyl-c-thiomilchsäure. 

Diese Säure wurde durch Einwirkung von Bromphenyl- 

merkaptannatrium auf a-Brompropionsäure dargestellt: 
CH; CH; 


| | 
C,H,BrSNa+ BrCH = (C,H, BrS.CH-- NaBır. 


COOH COOH 

Das zu dieser Reduktion notwendige Bromphenylmerkaptan 
habe ich mir anfangs nach der Methode von Otto*), durch 
Reduktion von Brombenzolsulfochlorid mit Zinn und Salzsäure 
dargestellt. Ich erhielt aber beim Arbeiten nach dieser Methode 
erst brauchbare Ausbeuten, als ich beim Übertreiben des ent- 
standenen Merkaptans mit Wasserdämpfen in der stark salzsauren 
Lösung durch wiederholtes Hineinwerfen von Zinkstücken eine 
kräftige Wasserstoffentwicklung unterhielt. Unterläßt man dies, 
so wird fast nur das entsprechende Disulfid erhalten. Da aber 
die Darstellung des Merkaptans nach dieser Methode ziemlich 
zeitraubend ist, so habe ich dasselbe später nach der schönen von 
Leuckart**) angegebenen Methode zur Gewinnung aromatischer 
Merkaptane dargestellt. Dieselbe besteht darin, daß sich Diazo- 
salze mit Xanthogenaten glatt zu aromatischen Estern der Xantho- 
gensäure umsetzen und letztere durch Alkalı leicht zu Thio- 
phenolen aufgespalten werden können. 


1. p-Bromdiazobenzolchlorid und xanthogensaures 
Kalium. 
C,H,BrN;C1+KS.C(S)0C,H, = C;H,BrS.C(S)0C,H, + KCI-+-N;. 
Zu einer eiskalten Lösung von 18,8 gxanthogensaurem Kalium (1 Mol.) wird 


*) Berl. Ber. 10, 939. 
**) Journal f. prakt. Chemie 41, 1890. 


N 


PH 


2 I iz ie 


I re a Fa, az 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 499 


eine ebenfalls mit Eis gekühlte Lösung von 1 Molekül p-Bromdiazo- 
benzolchlorid (dargestellt aus20 g in üblicher Weise diazotiertem p-Brom- 
anilin) allmählich hinzugesetzt. Es tritt gleich nach Zusatz der ersten 
Tropfen der Diazolösung eine hellgelbe Trübung auf, bei weiterem Zusatz 
scheidet sich das Additionsprodukt als braungelbe, breiige, kristallinische 
Ausscheidung auf der Oberfläche der Reaktionsflüssigkeit ab. Dieses 
Produkt ist äußerst zersetzlich, und man muß es, um einen explosiven 
Zerfall zu vermeiden, durch beständiges Schwenken des Gefäßes unter 
Wasser halten. Überläßt man es auf der Oberfläche der Flüssigkeit sich 
selbst, so tritt bereits bei 7° plötzliche Explosion ein, wobei die Temperatur 
der Flüssigkeit auf 11° steigt. Die Explosion ist aber so heftig, daß der 
dabeientstehende Xanthogensäurebromphenylester zum größten Teilheraus- 
geschleudert wird. In guter Ausbeute erhält man dagegen den letzteren, 
wenn unmittelbar nach dem Zusatz der Diazolösung unter beständigem 
Schwenken des Gefäßes zu dem Reaktionsgemenge heißes Wasser in 
kleinen Portionen hinzugesetzt wird. Dabei zerfällt das kristallinische 
gelbe Additionsprodukt Unter lebhafter Stickstoffentwicklung und ver- 
wandelt sich in ein schweres, braunes Öl, das auf den Boden des Ge- 
fäßes fällt. 


Der so dargestellte Xanthogensäurebromphenylester bildet 
ein gelbbraunes eigentümlich riechendes O1*). 


2. Bromphenylmerkaptan. 


21 g Xanthogensäurebromphenylester werden in 300 ccm Alkohol 
gelöst, die Lösung mit 16 g gepulvertem Kaliumhydroxyd versetzt und 
so lange im Sieden gehalten, bis eine Probe, der Flüssigkeit entnommen, 
auf Zusatz von Wasser klar bleibt. Nach dreitägiger Zersetzung ist dies 
erreicht. Darauf wird der Alkohol abdestilliert, das entstandene Merkaptan 
mit Schwefelsäure in Freiheit gesetzt und mit Wasserdampf unter wieder- 
holtem Zusatz von Zink zu der schwefelsauren Lösung übergetrieben. 
Die Ausbeute an Bromphenylmerkaptan beträgt 87 Proz. der theoretischen 
Menge. 


3. Bromphenylmerkaptan und a-Brompropionsäure. 
3,6 g a-Brompropionsäure, 3 g Kaliumhydroxyd, 4,4 g frisch be- 


reiteten Bromphenylmerkaptans und 15 ccm Wasser werden miteinander 


vermischt und in der Wärme mit so viel Alkohol versetzt, daß gerade 
alles gelöst ist. Die Reaktion findet bei Wasserbadtemperatur statt 
und ist nach dreistündigem Erwärmen beendet. Nach dieser Zeit wird 
die Flüssigkeit rasch abgekühlt, vom ausgeschiedenen Dibromphenyl- 


*) Bei längerem Stehen scheiden sich aus dem Xanthogensäurebrom- 
phenylester Kristalle ab, die nach dem Abpressen auf Ton und wieder- 
holtem Umkristallisieren aus Petroläther oder Essigäther bei 152° schmelzen. 
Mit konzentrierter Schwefelsäure erhitzt, färben sie dieselbe tiefblau. Bei 
der Elementaranalyse der bei 110° getrockneten Substanz wurden folgende 
Zahlen erhalten: 

0,1698 g Substanz gaben 0,2439 g CO,, entspr. 39,17 Proz. C 
und 0,0347 „ H3s0, 3 ae, 

0,1492 g Substanz gaben 0,2160 & CO,, entspr. 39,47 Proz. C 
und 0,0308 „ H,O, „ EEE 

32* 


500 E. Friedmann, 


disulfid (0,7) durch Filtration befreit und der Alkohol mit Wasserdampf 
abgeblasen. Nachdem dies geschehen ist, wird die Flüssigkeit einge- 
engt und mit Salzsäure übersättigt. Es findet sofort eine rejchliche 
kristallinische Ausscheidung statt, deren Menge 3,1 g beträgt. Die 
Substanz wird aus heißem Wasser wiederholt umkristallisiert, dabei 
kristallisiert sie beim langsamen Erkalten der wässerigen Lösung in 
Nadeln, beim raschen Abkühlen in rhombischen Blättchen aus. Die 
Ausbeute an Bromphenyl-a-thiomilchsäure beträgt 61 Proz. der 
Theorie (berechnet für die in Reaktion getretenen Mengen). 


Zur Analyse wurde die Substanz im Vakuum über Schwefel- 
säure getrocknet. 
0,1746 g Substanz gaben 0,2671 g CO,, entspr. 41,62 Proz. C 
und 0,0588 „ H,O, rn Te DE 


Ber. f, C,H,BrS0, Gef. 
CG- 41,46: Proz. 41,62 Proz. 
Ei» are Sm} 


Die wiederholt umkristallisierte Bromphenyl-e-thiomilchsäure 
sintert bei 107° und schmilzt bei 112°. Mit konzentrierter Schwefel- 
säure erhitzt, gibt sie keine charakteristische Farbenreaktion. Die 
Schwefelsäure wird braun gefärbt. 

Ein Vergleich dieser Bromphenyl-a-thiomilchsäure mit der 
beim Abbau der Merkaptursäure erhaltenen Bromphenylthiomilch- 
säure ergibt also einen Unterschied der Schmelzpunkte von 
3 bis 4°, ferner eine beträchtliche Differenz im Verhalten gegen 
konzentrierte Schwefelsäure. Die beiden Substanzen sind daher 
nicht identisch. Dem entspricht auch das Verhalten eines Ge- 
misches der beiden Bromphenylthiomilchsäuren beim Erhitzen. 
Erhitzt man am selben Thermometer Bromphenyl-«a-thiomilchsäure 
neben der durch Abbau der Merkaptursäuren erhaltenen Brom- 
phenylthiomilchsäure und ein Gemisch dieser beiden Substanzen 
gleichzeitig, so sintert die erstere bei 107° und schmilzt bei 112°, 
die zweite sintert bei 112° und schmilzt bei 115 bis 116°, und das 
Gemisch sintert bei 92° und schmilzt bei 96 bis 105°. 


D. Bromphenyl-$-thiomilchsäure. 


1. Bromphenylmerkaptan und f-Jodpropionsäure. 

Zu 6,1 g B-Jodpropionsäure wird in der Kälte eine Lösung von 3,9 g 
Kaliumhydroxyd in 20 cem Wasser hinzugesetzt, und die Lösung mit 
5,8 g Bromphenylmerkaptan in 40 ccm Alkohol versetzt. Die erhaltene 
Flüssigkeit wird drei Stunden am Rückflußkühler gekocht, dabei dunkelt 
sie zu Anfang nach, um sich bei längerem Erwärmen wieder aufzuhellen. 
Nach beendeter Einwirkung wird rasch abgekühlt, vom ausgeschiedenen 
Disulfid (0,2 g) abfiltriert und die schwach alkalische Lösung durch Ein- 
dampfen vom Alkohol befreit. Nachdem dies geschehen ist, wird in der 
Wärme mit Salzsäure angesäuert; der erhaltene weiße kristallinische 
Niederschlag wird abgesaugt, in Soda gelöst, die trübe Lösung mit Ather 
durchgeschüttelt, bis sie klar geworden ist, und die alkalische Lösung 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 501 


mit Salzsäure übersättigt. Dabei kristallisiert das Produkt in schönen, 
leicht braun gefärbten Blättchen aus. Nach zweimaligem Umkristalli- 
sieren aus heißem Wasser ist die Substanz farblos. Es wurden 5,9 g 
Bromphenyl-3-thiomilchsäure erhalten, was einer Ausbeute von 
76 Proz. entspricht. 
Zur Analyse wird der Körper im Vakuum über Schwefel- 
säure getrocknet. 
0,1912 g Substanz gaben 0,2915 g CO,, entspr. 41,58 Proz. C 
und 0,0619 „ H,O, 5 BA 5 


Ber. f. Gs44% Br SO, Gef. 
Ö 41,46 Proz. 41,58 Proz. ® 
H 47. , 3,62 „ 


Auch auf einem anderen Wege gelang die Synthese der 
Bromphenyl-?-thiomilchsäure, die im Hinblick auf später zu be- 
schreibende Versuche erwähnenswert scheint. Läßt man nännlich 
p-Bromdiazobenzolchlörid auf /-Thiomilchsäure einwirken, so 
erhält man ein schwer lösliches, gelbes Diazoadditionprodukt, 
das bei der Zersetzung Bromphenyl-p-thiomilchsäure liefert. 


2. p-Bromdiazobenzolchlorid und 5-Thiomilchsäure. 
P-Thiomilchsäure). 


10 g ß-Jodpropionsäure werden mit einer gesättigten Lösung von 
Ammoniumkarbonat bis zur alkalischen Reaktion versetzt. Hierzu wird 
eine mit Schwefelwasserstoff gesättigte Lösung von 3 g Kaliumhydroxyd 
in 30 cem Wasser gefügt und das Ganze auf dem Wasserbade zwei 
Stunden erwärmt. Darauf wird die Lösung ohne Rückflußkühlung über 
freier Flamme im schwachen Sieden gehalten, bis die Reaktion gegen 
Lakmuspapier sauer geworden ist. Dabei hellt sich die zu Anfang braune 
Flüssigkeit beträchtlich auf. Die erhaltene Flüssigkeit wird mit Salz- 
säure übersättigt und mit Ather wiederholt ausgeschüttelt. Nach Ab- 
destillieren des Athers bleibt die 8-Thiosäure in quantitativer Ausbeute 
zurück. 


3. Bromphenyl-f-thiomilebsäure. 


5,3 g ß-Thiomilchsäure werden in 20 cem Wasser gelöst und langsam 
unter Eiskühlung mit einer aus 8,4 g p-Bromanilin bereiteten p-Brom- 
diazobenzolchloridlösung versetzt. Es entsteht sofort ein hellgelber, 
kristallinischer Niederschlag, der in kleinen Portionen abgesaugt, auf 
Ton abgepreßt und in absolutem Alkohol suspendiert wird. (Das Filtrat 
dieses Diazoadditionsproduktes, dem vermutlich die Konstitution 

U:.2: 0.6.4, Br 
| 
CH, 


| 
COOH 
*) 5-Thiomilchsäure ist von Lov&n durch Einwirkung von Kalium- 
sulfhydrat auf B-Jodpropionsäure erhalten worden. Jedoch findet sich bei 
Loven weder die Methode ausführlich mitgeteilt, noch finden sich Angaben 
über die erhaltene Ausbeute. 


502 E. Friedmann, 


zukommt, ist prächtig rot gefärbt.) Der in Alkohol suspendierte Körper 
löst sich in diesem in der Kälte unter reichlicher Stickstoffentwicklung 
zu Anfang mit gelber, allmählich mit rotbrauner Farbe. Nachdem die 
Stickstoffentwicklung aufgehört hat, wird der Alkohol unter vermindertem 
Druck bis auf wenige ccm abdestilliert, der Rückstand im Scheidetrichter 
mit Äther aufgenommen und die ätherische Lösung mit Sodalösung 
wiederholt durchgeschüttelt. Beim Ansäuern werden jedoch aus der 
Sodalösung nur spärliche Kristalle von Bromphenyl-ß-thiomilchsäure 
erhalten. Dagegen gelingt es, die gesuchte Substanz aus dem ätherischen 
Auszug zu isolieren. Nach Abdestillieren des Athers wird der hinter- 
bleibende Ölige, esterartig riechende Rückstand mit 60 cem verdünnter 
Salzsäure (1 Tl. Salzsäure, 2 Tle. Wasser) zwei Stunden unter Rückfluß- 
kühlung gekocht. Darauf wird mit 20proz. Sodalösung alkalisch gemacht 
und von einer geringen braunen Ausscheidung abfiltriert. Beim Ansäuern 
fällt die gesuchte Bromphenyl-P-thiomilchsäure in schönen blättrigen 
Kristallen aus. Zur hReinigung wird dieselbe in Soda gelöst, die 
Lösung mit Ather ausgeschüttelt, bis derselbe keine gelbgefärbten Ver- 
unreinigungen mehr aufnimmt, die alkalische Lösung über Tierkohle heiß 
filtriert und angesäuert. Das so erhaltene Produkt wird einige Male aus 
Petroläther, zum Schluß aus heißem Wasser umkristallisiert. 


Die im Vakuum über Schwefelsäure getrocknete Substanz 
gab bei der Analyse die für Bromphenylthiomilchsäure verlangten 
Zahlen. 

0,1348 g Substanz gaben 0,2053 g CO,, entspr. 41,55 Proz. C 


und 0,0455 8 H,0, „ 3.78 Ei :: 
Ber. f. C,H,BrS0, Gef, 
G:: 41,46 Proz 41,55 Proz. 
ER Bun 


Der Schmelzpunkt der nach beiden Methoden erhaltenen 
Bromphenyl-?-thiomilchsäure wie derjenige ihres Gemisches liegt 
bei 115 bis 116°. Mit konzentrierter Schwefelsäure erhitzt, färbt 
die Substanz die Schwefelsäure kirschrot, bei stärkerem Erhitzen 
geht diese Farbe nach einer unbestimmten Zwischenfarbe in 
Smaragdgrün über. 

Schmelzpunkt, Kristallform und Farbenreaktion zeigen also, 
daß diese Bromphenyl-/-thiomilchsäure mit der beim Abbau der 
Merkaptursäuren erhaltenen Bromphenylthiomilchsäure identisch 
ist. Dem entspricht auch das Verhalten eines Gemisches dieser 
beiden Substanzen beim Erhitzen. Beide Säuren wie ihr Gemisch 
am selben Thermometer gleichzeitig erhitzt schmelzen scharf bei 
115 bis 116°. 

Die den Merkaptursäuren zugrunde liegende Bromphenyl- 
thiomilchsäure gehört also der f-Reihe an. Daraus ergibt sich, 
daß die von Baumann aus dem Auftreten von Brenztraubensäure 
hei der Alkalispaltung der Merkaptursäuren gezogene Schluß- 
folgerung, daß der den Merkaptursäuren zugrunde liegende 


\ 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 503 


Propionsäurekern aa-substituiert ist, irrtümlich ist. Die Ent- 
stehung der Brenztraubensäure muß hier ebenso wie beim Cystin 
als ein sekundärer Prozeß aufgefaßt werden, ein Vorgang, dessen 
innerer Chemismus allerdings erneuter Untersuchung bedarf. 


Die Bildung von Bromphenyl--thiomilchsäure unter den ge- 
schilderten Bedingungen zeigt ferner, daß von den drei für das 
Bromphenyleystein und daher auch für die Merkaptursäuren 
möglichen Formeln: 


I II III 
CH, CH, . SC, H, Br CH, . NH; 
NH,—C—SC;, H, Br CH.NH, CH.SC;,H, Br 
| | | 
COOH COOH COOH 


Bromphenylecystein 
Formel I und III zu verwerfen sind, und diese Substanzen der 
Formel II entsprechend als Derivate einer a-Aminobromphenyl- 
P-thiomilchsäure anzusprechen sind: 


CH; . SC,H,Br 
CH.NH.CO.CH;, 


COOH 
Bromphenylmerkaptursäure. 


Die Konstitution der oben beschriebenen Umwandlungsprodukte des 
Bromphenylcysteins kann jetzt, wie folgt, formuliert werden: 


012.7 580,6,H,Br CH, . SC,H,Br CH, 50, C,H, Br 

| | | 
CH.OH CH.Cl CH.NH, 
| | 
COOH COOH COOH 
Oxybromphenylsulfo- Chlorbromphenyl- Aminobromphenyl- 
propionsäure thiopropionsäure . sulfopropionsäure, 


Durch den Nachweis, daß die den Merkaptursäuren zugrunde 
liegende Bromphenylthiomilchsäure der f-Reihe angehört, ist ein 
direkter chemischer Zusammenhang dieser Körper mit dem Eiweiß- 
cystein gegeben, insofern als die Merkaptursäuren auf Grund der 
mitgeteilten experimentellen Daten als Substitutionsprodukte des 
Eiweißeysteins, dessen Konstitution als a-Amino-p-thiomilchsäure 
ich vor kurzem bewiesen habe, angesehen werden müssen: 


CH,.SH CH,.SC,H,X 

| 
CH.NH, CH.NH.CO.CH, 
COOH COOH 


Eiweißcystein Merkaptursäure. 


504 E. Friedmann, 


Ich habe mich bemüht, die Richtigkeit dieser Auffassung 
experimentell zu prüfen, und versucht, die Merkaptursäuren vom 
Eiweißcystein aus aufzubauen. 


IH. 

Überführung des Eiweißcysteins in Bromphenylmerkaptursäure. 

Der Weg, den ich bei dieser Überführung gegangen bin, ergab 
sich mir aus der Beobachtung, daß f-Thiomilchsäure mit p-Brom- 
diazobenzolchlorid ein schwer lösliches Additionsprodukt gibt, das 
bei seiner Zersetzung Bromphenylthiomilchsäure liefert. Ich habe 
versucht, diese Reaktion auf das Cystein zu übertragen, in der 
Hoffnung, aus dem entstehenden Additionsprodukt Bromphenyl- 
cystein gewinnen zu können. 


1. Cysteinchlorhydrat. 

Oystin, aus Haaren dargestellt, wird mit der zehnfachen Menge ver- 
dünnter Salzsäure (1 Tl. rauchende Salzsäure, 2 Tle. Wässer) übergossen, 
mit granuliertem Zinn versetzt und nach Zusatz einiger Tropfen einer 
1proz. Platinchloridlösung auf dem Wasserbade ein bis zwei Stunden 
reduziert. Darauf wird die Flüssigkeit mit dem fünffachen Volumen 
Wasser verdünnt, vom Zinn durch Einleiten von Schwefelwasserstoff 
befreit und zur Trockne eingedampft. Dabei bleibt das Cysteinchlor- 
hydrat als weiße, kristallinische Masse in annähernd quantitativer Aus- 
beute zurück. 


2. p-Bromdiazobenzolchlorid und Cysteinchlorhydrat. 

10 g Cysteinchlorhydrat werden in der fünffachen Menge Wasser ge- 
löst, die Lösung wird mit Eis gekühlt und mit einer ebenfalls gekühlten 
Lösung der berechneten p-Bromdiazobenzolchloridlösung (1 Mol.) versetzt. 
Es entsteht sofort ein voluminöser gelber Niederschlag, die Flüssigkeit 
selbst ist prächtig rot gefärbt. Das Additionsprodukt bildet sich jedoch 
erst vollständig beim Erwärmen der Reaktionsflüssigkeit auf 35°. Dabei 
erstarrt sie zu einem dicken zeisiggelben Brei. Das Ganze wird unter 
häufigem Rühren eine halbe Stunde auf 35° gehalten, darauf langsam 
erkalten gelassen, abgesaugt, mit Wasser ausgewaschen und auf Ton 
abgepreßt. 

Dieses Additionsprodukt ist durch ungewöhnliche Beständigkeit 
ausgezeichnet. Mit Wasser erhitzt, zeigt es erst bei 80° geringe 
Zeichen einer beginnenden Zersetzung, um gegen 100° unter reich- 
licher Stickstoffentwicklung zu zerfallen. Trocken erhitzt, konnte 


es nicht zur Explosion gebracht werden. 


3. Bromphenylecystein. 
Die Zersetzung dieses Additionsproduktes in dem Sinne, daß 
der Bromphenylrest unter Stickstoffentwicklung an den Schwefel 


des Cysteins gekuppelt würde: 
0OH,:8:N,G,E,Br Ess GH,Be 
| | 
CH . NE, =>: Par . NH, 
| 
COOH COOH 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 505 


war mit großen Schwierigkeiten verbunden, der größte Teil des 
Cysteins wurde bei allen dahinzielenden Versuchen als solches 
oder als Cystin abgespalten, und daher waren die Ausbeuten an 
Bromphenyleystein recht spärliche. Als Zersetzungsmittel wurden 
benutzt: Wasser, stark verdünnte Salzsäure, Methylalkohol, Wein- 
geist, Athylalkohol, Eisessig und Kupferpulver. Bromphenyleystein 
konnte bei der Zersetzung des Additionsproduktes mit Wasser, 
wässerigem Methylalkohol und Weingeist erhalten werden, jedoch 
lieferten durchschnittlich 3 g Cystin nur 0,3 g Bromphenyleystein. 
Brauchbare Ausbeuten erhielt ich erst, als ich verdünnte Soda- 
lösung zur Aufspaltung benutzte. Hierbei wurde, wie folgt, ver- 
fahren. 

10 g Cysteinchlorhydrat werden in der oben geschilderten Weise in 
Bromdiazobenzoleystein übergeführt. Das auf Ton abgepreßte Produkt 
wird in 50 cem Wasser suspendiert und bei Wasserbadtemperatur 
langsam gerade die zur Lösung des Produktes nötige Menge einer 
20proz. Sodalösung hinzugefügt. Die Flüssigkeit wird so lange gelinde 
erwärmt, als noch Stickstoffentwicklung stattfindet. Dabei tritt reichliche 
Bromphenolabspaltung auf. Nach beendeter Stickstoffentwicklung wird 
(die noch warme Flüssigkeit von dem an dem Boden und an den Wänden 
des Gefäßes haftenden Phenol abgegossen und sofort mit verdünnter 
Essigsäure angesäuert. Der beim Ansäuern entstehende Niederschlag 
wird nach dem Erkalten, das durch Kühlen gegen fließendes Wasser 
beschleunigt wird, sogleich abgesaugt, zuerst mit Wasser, dann mit 
Alkohol ausgewaschen und auf Ton abgepreßt. Es konnten 5,4 & dieses 
Niederschlages erhalten werden, 

Es ergab sich sowohl aus den Eigenschaften des Produktes, 
wie aus den bei der Analyse erhaltenen Zahlen, daß dieser Körper 
ein Gemenge von Bromphenyleystein und Oystin darstellt. Die 
Trennung dieser beiden Substanzen gelang mit Hilfe von Eisessig. 

5,4 8 dieses Niederschlages werden mit Eisessig wiederholt ausge- 
kocht, solange der Eisessig noch sichtlich Substanz aufzunehmen 
vermag. Vom ungelösten Cystin (1,9 g) wird in der Wärme abfiltriert, 
‚das zuerst erhaltene Filtrat wird für sich aufbewahrt, die späteren 
werden vereinigt. Beim Erkalten scheidet das erste Filtrat 1,4 g Sub- 
stanz aus, die nach zwölfstündigem Stehen in der Kälte filtriert werden. 
Das Filtrat wird mit den übrigen Eisessigauszügen vereinigt und der 
Eisessig und wenig Phenol mit Wasserdampf abgetrieben. Nach zwei- 
stündiger Destillation wird die heiße Flüssigkeit filtriert, mit Ammoniak 
nahezu neutralisiert und mit Ammoniumkarbonat schwach übersättigt. 
Nach eintägigem Stehen im Eisschrank wird das erhaltene Produkt ab- 
gesaugt, zuerst mit Wasser, dann mit Alkohol ausgewaschen. Seine 
Menge beträgt 1,7 g. 

Das so erhaltene Präparat enthält keinen locker gebundenen 
Schwefel mehr. Eine Probe mit konzentrierter Schwefelsäure 
erhitzt, färbt diese schön blaugrün. Mit Alkali gekocht, spaltet 
es Ammoniak und Bromphenylmerkaptan ab. In der mit Soda 


506 E. Friedmann, 


und Salpeter erhaltenen Schmelze ist reichlich Brom und Schwefel- 
säure vorhanden. 

Zur Analyse wurde die Substanz durch wiederholtes Lösen 
in Ammoniak und Fällen mit Essigsäure gereinigt und bei 100° 
getrocknet. 

0,1680 g Substanz gaben 0,2432 g CO,, entspr. 39,49 Proz. C 
1nd%0,0579- 3,0. 2.5 3,86: TEE 
0,1371 g Substanz gaben 6,85 ccm N (21,5°, 755 mm), entspr. 5,63 Proz. N. 

Diese Zahlen ergaben, daß die vorliegende Substanz Brom- 

phenylcystein ist. 


Ber, 1. GH.,BISNO, Gef. 
C 39,18 Proz. 39,49 Proz. 
H 3,69. - , 380 
N 5:08. =, 5,03. 5 


Die Ausbeute an Bromphenyleystein beträgt 16 Proz. der 
Theorie. 

Der Schmelzpunkt dieses ee liegt bei 181°, 
bei derselben Temperatur schmilzt sowohl das aus Merkaptur- 
säuren erhältliche Bromphenyleystein, wie ein Gemisch beider 
Bromphenyleysteine. Beide Substanzen geben ferner dieselbe 
Farbenreaktion mit konzentrierter Schwefelsäure und zeigen in 
ihrem ganzen chemischen Verhalten völlige Übereinstimmung. 


Es mag hervorgehoben werden, daß beide Substanzen leicht ın 
einen Körper vom Schmelzpunkt 192 bis 193° durch kurze Ein- 
wirkung verdünnter Salzsäure und nachheriges Neutralisieren 
mit Ammoniak umgewandelt werden können. Auch Baumann 
und Preuße*) sind diesem Körper bei der Zersetzung der Mer- 
kaptursäuren durch zu langes Kochen mit Säuren begegnet und 
geben an, daß er sich von dem bei 181° schmelzenden Brom- 
phenyley lei nur durch den Schmelzpunkt unterscheidet, während 
ihm sonst alle Eigenschaften des Bromphenylcysteins zukommen. 


In der Tat gab der nach kurzer Einwirkung verdünnter Salz- 
säure auf synthetisches Bromphenyleystein erhaltene Körper 
(Schp. = 192 bis 193°) bei der Analyse noch die für Bromphenyl- 
cystein verlangten Zahlen. 

0,1698 g Substanz gaben 0,2466 g CO,, entspr. 39,51 Proz. C 


und 0,0588 „H,O, „ 3,88 H. 
0,1431 g Substanz gaben 7,00 cem N (761 mm, 21,5°), entspr. = 55 Proz. N. 
"Ber. 5-04. ,Br&8Ng, Gef. 
C 39,18 Proz. 39,51 Proz. 
H er 38, 
N 555 „ 


*) Baumann und Preuße, |. c., S. 317. 


Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 507 


Der aus einem Bromphenylcystein, das aus Merkaptursäuren 
gewonnen war, analog dargestellte Körper hatte ebenfalls den 
Schmelzpunkt 192 bis 193°, ebenso ein Gemisch beider Substanzen. 
Beide Körper unterscheiden sich aber vom Bromphenylcystein 
vom Schmelzpunkt 181° durch ihre relative Schwerlöslichkeit in 
Ammoniak. 


Welcher Art die hier augenscheinlich vorliegende Isomerie 
ist, habe ich aus Mangel an Material vorläufig nicht entscheiden 
können. Eine naheliegende Deutung wäre, daß der höher schmel- 
zende Körper der Racemkörper des ursprünglichen Bromphenryl- 
eysteins wäre, eine Vermutung, die einige Wahrscheinlichkeit hat, 
weil er unter Bedingungen auftritt, wo eine Racemisierung möglich 
ist. Die experimentelle Prüfung dieser Vermutung behalte ich 
mir für eine spätere Gelegenheit vor. 


Es sei erwähnt, daß das Bromphenyleystein vom Schmelz- 
punkt 192 bis 193° ei der oben beschriebenen PER RLEIT 
thiopropionsäure (S. 494) identisch ist. 


4. Bromphenylmerkaptursäure. 

Die Einführung des Acetylrestes in das Bromphenyleystein 
ist nach den vorliegenden Versuchen von Baumann mit Schwierig- 
keiten verbunden. Sie gelang Baumann erst, als er Essigsäure- 
anhydrid, das mit dem zehnfachen Volumen Benzol verdünnt war, 
mit Bromphenyleystein zur Reaktion brachte”). Bei Wieder- 
holung dieser Versuche habe ich jedoch nur Spuren von Brom- 


phenylmerkaptursäuren erhalten können. Schon nach kurzer Ein- 


a u ld a Z o D 


wirkung von Essigsäureanhydrid wurde das Bromphenylcystein 
in das oben beschriebene Bromphenyleystein vom Schmelzpunkt 
192 bis 193° umgewandelt. Dagegen habe ich auf einem anderen 
Wege Bromphenylmerkaptursäure leicht erhalten können. 

0,5 g aus Cystein dargestelltes Bromphenyleystein werden in Pyridin 
suspendiert und tropienweise unter Kühlung mit Acetylchlorid versetzt, 
bis alles in Lösung gegangen ist. Die Lösung erfolgt bereits nach Zu- 
satz weniger Tropfen Acetylchlorid. Nach einigem Stehen wird mit 
Salzsäure angesäuert. Die dabei entstehende ölige Ausscheidung wird 
nach zwölfstündigem Stehen in der Kälte von der Mutterlauge getrennt, 


das ‚ausgeschiedene Reaktionsprodukt und die Mutterlauge werden für 
sich verarbeitet. 


Die ölige Ausscheidung wird in Ammoniak gelöst, die Lösung durch 
wiederholtes Filtrieren von bei der Reaktion entstandenem Dibromphenyl- 
disulfid befreit und von neuem mit Salzsäure angesäuert. In der Regel 
fällt jetzt das Acetylprodukt sofort kristallinisch aus, mitunter aber erst 


*) Baumann, Berl. Ber. 18, 266. 


508 E. Friedmann, 


nach mehrtägigem Stehen in der Kälte. Es wird, nachdem es wiederholt 
in Ammoniak gelöst und mit Salzsäure gefällt worden ist, in wenig 
Alkohol gelöst und die alkoholische Lösung in heißes Wasser gegossen, 
worauf nach längerem Stehen das Acetylprodukt auskristallisiert. 


Das so gewonnene Produkt kristallisiert in schönen Nadeln. 
Dieselben lösen sich in Sodalösung unter Aufbrausen. Mit kon- 
zentrierter Schwefelsäure erhitzt, färben sie diese tiefblau. Die 
Kristalle schmelzen bei 152 bis 153°. Bei derselben Temperatur 
schmilzt die aus Hundeharn erhältliche Bromphenylmerkaptursäure. 
Beide Substanzen, gemischt, schmelzen ebenfalls scharf bei 152 
bis 153°. Die beiden Substanzen sind daher identisch. Damit 
dürfte der völlige Aufbau der Merkaptursäuren vom Cystein aus 
gelungen sein. 

Die Ausbeute an Bromphenylmerkaptursäure ist unter den ge- 
schilderten Bedingungen eine äußerst geringe. Es konnte gerade die zur 
Identifikation nötige Menge Substanz gewonnen werden. Die Hauptmenge 
des Reaktionsproduktes befindet sich in der Mutterlauge der beim ersten 
Ansäuern erhaltenen Öligen Ausscheidung und wurde in folgender Weise 
isoliert. 

Die abgegossene Mutterlauge wird mit dem gleichen Volumen Wasser 
verdünnt, mit Natronlauge alkalisch gemacht, die alkalische Lösung mit 
Ather wiederholt ausgeschüttelt und mit Salzsäure angesäuert. In der 
trüben Lösung beginnt beim Reiben der Gefäßwände mit einem scharfen 
Glasstabe sofort eine reichliche Kristallisation. Nach zwölfstündigem 
Stehen werden die Kristalle abgesaugt, in Ammoniak gelöst, die am- 
moniakalische Lösung wiederholt filtriert und das klare Filtrat mit Salz- 
säure angesäuert. Die erhaltenen Kristalle werden in wenig Alkohol 
gelöst und die Lösung in heißes Wasser gegossen. Beim langsamen 
Erkalten scheidet sich die Substanz in farblosen Kristallen aus. 058° 
Bromphenylcystein lieferten 0,3 g dieses Produktes. 


Zur Analyse wurde die Substanz bei 100° getrocknet. 
0,1240 g Substanz gaben 0,1893 g CO,, entspr. 41,63 Proz. C. 
und :0,0441- „E50, 5 3,98 Bi: - 
Diese Zahlen sprechen für ein Acetylbromphenylcystein. 
Ber; 1..0.,H.,Brsm. Gef. 
C 41,51 Proz. 41,63 Proz. 
Hr. BU; 3,98 % 

In der Tat lösen sich die Kristalle in Sodalösung unter Aufbrausen, 
mit konzentrierter Schwefelsäure erhitzt, färben sie diese tiefblau. Ihr 
Schmelzpunkt liegt bei 153 bis 154°. Nach diesen Eigenschaften könnte 
man geneigt sein, dieses Acetylbromphenylcystein mit Bromphenyl- 
merkaptursäure für identisch zu halten. Dieses scheint jedoch nicht der 
Fall zu sein. Das Produkt unterscheidet sich von der entsprechenden 
Merkaptursäure durch seine Kristallform. Betrachtet man nämlich das 
erhaltene Acetylbromphenylcystein genau unter dem Mikroskop, so sieht 
man, daß die Kristalle platte Nadeln darstellen, und dort, wo sie 
als reine Nadeln imponieren, kann man sich unschwer davon überzeugen, 
daß man es mit Platten, die auf die Kante gestellt sind, zu tun hat. 
Erhitzt man ferner ein Gemisch von aus Hundeharn- dargestellter Brom- 


| 
| Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Beziehungen usw. 509 


phenylmerkaptursäure mit diesem Acetylbromphenylcystein, so sintert 
dieses Gemisch bereits bei 142°, beginnt bei 146° zu erweichen, und 
_ diese erweichte, halbflüssige undurchsichtige Masse hellt sich scharf bei 
-152 bis 153° auf. Bromphenylmerkaptursäure schmilzt dagegen bei 
152 bis 153°, ohne vorher zu erweichen. Da ich nun beobachtet hatte, 
- daß Bromphenylcystein vom Schmelzpunkt 181° leicht durch Einwirkung 
von Essigsäureanhydrid in ein isomeres Produkt vom Schmelzpunkt 
192 bis 193° übergeführt werden konnte, eine ähnliche intermediäre 
Umwandlung aber auch unter den von mir eingehaltenen Bedingungen 
der Acetylierung möglich war und ferner Bromphenylcystein vom 
Schmelzpunkt 192 bis 193° ein anderes Acetylprodukt liefern konnte, so 
"habe ich zum Vergleich ein aus Hundeharn stammendes, in Bromphenyl- 
eystein vom Schmelzpunkt 192 bis 193° umgewandeltes Produkt unter 
den geschilderten Bedingungen acetyliert und in der Tat einen in platten 
- Nadeln kristallisierenden Körper vom Schmelzpunkt 153 bis 154° erhalten, 
der mit dem erwähnten Acetylbromphenylcystein identisch war. Es 
scheint sich also unter den Acetylprodukten dieselbe Isomerie wieder- 
zufinden, die bereits bei Besprechung des Bromphenylcysteins erwähnt 
war, eine Isomerie, die erst ihre Deutung nach Klarstellung der beim 
Bromphenylcystein eintretenden Umwandlung finden kann. Ich behalte 
mir vor, die zur Lösung dieser Frage einschlägigen Versuche später 
_ auszuführen. 


Durch die Überführung des Cysteins in Bromphenylmerkap- 
-tursäure findet die bereits bewiesene ß-Stellung des Bromphenyl- 
-merkaptanrestes in den Merkaptursäuren eine erneute Bestätigung. 
Gleichzeitig wird die a-Stellung der Aminogruppe, die bisher nur 
durch indirekte Beweisgründe zu stützen war, auf direktem Wege 
- einwandsfrei bewiesen. 


Der chemische Nachweis, daß die Merkaptursäuren sub- 
-stitulerte Cysteine sind, macht ferner die physiologische Schluß- 
‚folgerung, die ich in einer früheren Arbeit auf Grund der Kon- 
stitution der Eiweißcysteine einerseits, wie auf Grund der von 
"Baumann angenommenen Konstitution der Merkaptursäuren 
andererseits gezogen habe, daß der Organismus über zwei Cysteine 
verfügt, ein a-Öystein der Merkaptursäuren und ein P-Cystein der 
Eiweißkörper, hinfällig, da sich beide Cysteine als identisch er- 
wiesen haben. Der Befund von a-Thiomilchsäure unter den 
-Spaltungsprodukten der Keratinsubstanzen wie der Eiweißkörper 
läßt sich zwar noch zugunsten des Vorhandenseins eines a-Cysteins 
deuten, aber die Bedingungen, unter denen diese Säure bisher 
aufgefunden und isoliert worden ist, schließen die Möglichkeit 
einer Umwandlung des P-Cysteins in a-Thiomilchsäure nicht völlig 
aus, und es erhebt sich die Frage, ob die geschwefelte Vorstufe 


EEE N 


510 E. Friedmann, Beiträge zur Kenntnis usw. 


der a-Thiomilchsäure, deren ich früher Erwähnung tat, nicht im 
Cystin selber zu suchen ist, eine Frage, mit deren Beantwortung 
ich beschäftigt bin. 

Nach der physiologischen Seite ergibt die vorstehende Unter- 
suchung, daß die Merkaptursäurebildung im Organismus des 
Hundes eine experimentelle Oystinurie ist. Die sich aus dieser 
Tatsache ergebenden Fragen nach dem Material, das der Organis- 
mus zu dieser Synthese verwendet, nach der Lokalisation dieses 
komplizierten, augenscheinlich in drei Phasen verlaufenden Vor- 
ganges, wie nach den Gründen der Ausscheidung dieser unvoll- 
ständig oxydierten Produkte hoffe ich auf tierexperimentellem 
Wege einer Lösung entgegenzuführen. 


XXXIX. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 


Von Dr. J. Feinschmidt aus Charkow, Volontärarzt an der 
I. medizinischen Klinik in Berlin. 


Aus dem Laboratorium der I. medizinischen Klinik zu Berlin. 


Die Tatsache, daß der normalerweise im Blut enthaltene 
Traubenzucker beim Stehenlassen des der Zirkulation entzogenen 
Blutes ziemlich rasch verschwindet, war schon Claude Bernard 
bekannt. So z. B. berichtet er*), daß im Blut von einem Hunde, 
das im Laboratorium bei einer Temperatur von 15° gestanden 
hat, der Zuckergehalt betrug: 

unmittelbar nach der Entnahme des Blutes 1,07 p. m. 


ar Minuten ..- 7. 20... 201 ei 
2 B er N Fer... 
udn .. ne. nr Oh. „ 
„24 IEg 7 Degge 


Diese Versuche sind zeit von ‚ Pavy®) Beat worden, der 
allerdings nur ein langsameres Verschwinden des Zuckers be- 
obachtete. Die Zerstörung des Zuckers im Blut ist nach Claude 
Bernard***) abhängig von einem Milchsäureferment, das im Blut, 
in den Muskeln und in der Leber vorhanden ist. Die Alkalien 
des Blutes begünstigen bloß den Vorgang. 

Diese Untersuchungen blieben ziemlich unbeachtet, bis Lepine 
sie wieder aufnahm und mit der Frage des Stoffwechsels, namentlich 
mit der des Diabetes, in Beziehung brachte. 

Lepine nahm anf), daß in normalem Blut ein zucker- 
zerstörendes Ferment „ferment glycolytique* vorhanden ist. Die 


*) Claude Bernards Vorlesungen über den Diabetes, deutsch von 
Karl Posner. Berlin 1878, S. 120. 
**) Pavy, Vortrag in der Londoner Royal Society. Cf. Zentralblatt 
f. d. ges. med. Wissenschaft. Nr. 33, 1877. 
er) ioe, cit. S. 195. 
7) Lepine, Le ferment glycolytique et la pathogenie du diabete. Paris 
. 1891. Die Beziehungen des Diabetes zu Pankreaserkrankungen, Autoreferat 
in der Wiener mediz. Presse, Nr. 27—32, 1892. Semaine med. seit 1891 
u. ff. Compt. rend. de la soc. de biol. seit 1891. Deutsche med. Wochenschr. 
1892, S. 57. 


512 J. Feinschmidt, 


Spaltung des Zuckers ıst keineswegs eine Funktion der Zell- 
tätigkeit der Blutkörperchen, da das Ferment sich nach dem Ab- 
zentrifugieren der letzteren aus denselben mit Chlornatriumlösung 
extrahieren läßt; die Glykolyse ist auch nicht an das Serum ge- 
bunden, da dieses eine viel geringere zuckerzerstörende Kraft 
besitzt als die Blutkörperchen. Auch die Erythrocyten sind nicht 
die Träger des Fermentes: der Chylus, der fast keine roten Blut- 
körperchen enthält, zeigt eine bedeutend höhere glykolytische 
Kraft als das Blut. Lepine konnte in abzentrifugiertem Blut 
nachweisen, daß die zuckerzerstörende Wirkung in verschiedenen 
Schichten der Blutkörperchen proportional ihrem Gehalte an Leuko- 
cyten war. Das glykolytische Ferment bildet sich nach Lepine 
nicht bloß in vitro, sondern es spaltet sich auch intra vitam von 
den Leukocyten ab. 


Die epochemachende Entdeckung von Mering und Min- 
kowski”), daß Hunde, bei denen das Pankreas extirpiert wurde, 
diabetisch werden, veranlaßte Lepine zu einer großen Reihe von 
Untersuchungen, die ihm folgende Resultate ergaben. 


Durch Reizung des Pankreas auf verschiedene Art, gelang es 
ihm, die Glykolyse zu vermehren: bei Veränderung der Zirkulation 
ın der Drüse infolge von Durchschneidung ihrer Nerven, sowie 
beim Abbinden des ductus Wirsungianus, wobei durch Gegendruck 
die Pankreaszellen gereizt werden, wird die zuckerzerstörende 
Kraft des Blutes vermehrt; dagegen wird sie bei Ausschaltung 
der Drüse vermindert. Ferner fand er, daß die glykolytische 
Wirkung des Blutes der Pankreasvene bedeutend höher ist als 
die des Blutes der Milzvene. Daraus glaubt er schließen zu dürfen, 
daß das Pankreas die Fähigkeit besitzt, ein lösliches zucker- 
zerstörendes Ferment zu bilden, welches aber gleich bei seiner 
Bildung in das Blut ergossen und daselbst von den Leukocyten 
aufgenommen wird. 


Da die Glykolyse im Blut von ihres Pankreas beraubten Hunden 
seinen Versuchen zufolge vermindert ist, nimmt er an, daß der 
Diabetes bei ihnen wenigstens zum großen Teil durch die Aus- 


schaltung der Bildungsstätte für das zuckerzerstörende Ferment 
bedingt ist. 


Die Ursache der Zuckerausscheidung im Harn des Diabetikers 
beruht nach Löpine im wesentlichen auf einer Überlastung des 
Blutes mit Zucker infolge Verminderung der glykolytischen Kraft 
des Blutes, die mit der Affektion des Pankreas parallel geht. 


*) Mering und Minkowski, Archiv f. exp. Path. u. Therapie 26, 371. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 513 


- Dafür spricht ihm zufolge: 1. die zahlenmäßige Verminderung der 
Glykolyse im diabetischen Blut; 2. bei einem durch Pankreas- 
exstirpation diabetisch gemachten Hund konnte er durch Infusion von 
normalem, also fermenthaltigem, Chylus in die Blutbahn die Zucker- 
ausscheidung im Harn für einige Stunden bedeutend herabsetzen. 

Die Lehre L&pines vom glykolytischen Ferment und seinen 
Beziehungen zum Diabetes ist fast in sämtlichen Punkten von ver- 
schiedenen Autoren bestritten worden. Sehen wir zu, ob mit Recht? 

Zunächst, was den Zusammenhang des glykolytischen Fer- 
- mentes mit dem Diabetes ınelitus anbetrifft, so nehmen Chauveau 
und Kaufmann*) an, daß beim Diabetes nicht ein ungenügender 
Zuckerverbrauch, sondern eine übermäßige Zuckerproduktion statt- 
findet. Das Pankreas spielt dabei bloß die Rolle eines Regulations- 
apparates für die zuckerbildende Funktion der Leber; die letztere 
Funktion ist von zwei nervösen Zentren abhängig: einem hemmenden 
und einem erregenden. Die Tätigkeit des Pankreas reizt das 
hemmende und hemmt das erregende; umgekehrt wirkt die Zer- 
störung des Pankreas. 

Minkowski**) hält es für möglich, daß beim Diabetes das 
Pankreas direkt oder auf nervösem Wege die zuckerverbrennenden 
Organe beeinflussen kann, ohne daß es auf das Zuckermolekül 
direkt einwirkt. 

Weiter bestreiten Seegen“*), Minkowskif), Arthusry), 
Krausjjf), Spitzer*r) u. a. die Angabe Le&pines, daß beim 
Pankreasdiabetes das glykolytische Ferment vermindert sei. 

Dagegen fanden Achard und Weil**r) in drei Fällen von 
Diabetes zweimal die glykolytische Kraft des Blutes vermindert 
"und glauben, daß der Mangel an Glykolyse ein Attribut des echten 
Diabetes sei. 
| Biernacki***r) fand in fünf Diabetesfällen „auffallend niedrige 
Werte des oxydierten Traubenzuckers im Vergleich mit sonstigen 


—__ 


*) Chauveau u. Kaufmann, Compt. rend. Nr. 67 ff., 1893. 
*#) Minkowski, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 5, 1892. Arch. f. exp. 
Path. u. Ther. 31, 175 (1893). 
***) Seegen, Wiener klin. Wochenschr. Nr. 14, 15, 1895. Centralbl. f. 
‚Physiol. 5, 121. 
7)-Minkowski, loc. eit. 
1) Arthus, Glycolyse dans le sang et le ferment glycolytique. Arch. de 
Physiol. 1891, S. 425; 1892, S. 387. 
itr) Fr. Kraus, Zeitschr. f. klin. Medizin 21, 315 (1892). 
*7) Spitzer, Berl. klin. Wochenschr. 1894, $. 949. Pflügers Arch. 1895 
und 1897. 
**7) Achard u. Weil, Compt. rend. 1898. 
*#*7) Biernacki, Zeitschr. f. klin.“Medizin 41, 332 (1900). 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 33 


514 J. Feinschmidt, 


pathologischen Fällen“. Er meint, daß die Ergebnisse von Kraus 
und Spitzer gegenüber den Lepineschen Angaben nicht ganz 
ins Gewicht fallen können, da sie ihre Versuche nicht unter den 
gleichen Bedingungen (gleichen Zucker- und Blutmengen) wie | 
Lepine angestellt hatten. | 


Auch die Angabe von Le&epine über den größeren Reichtum 
der Pankreasvene an glykolytischem Ferment im Vergleiche zu 
anderen Venen und Arterien ist von verschiedener Seite bezweifelt 
worden. So konnten Arthaud und Butte*) nach Unterbindung 
der Pankreasvene keine Vermehrung des Zuckers im Blut kon- 
statieren. Ebenso fanden die Gebrüder Cavazzani**) bei gleicher 
Versuchsanordnung die glykolytische Kraft des Blutes nicht herab- 
gesetzt. Pal”**) bestimmte den Zuckergehalt in dem zu- und ab- 
führenden Blut des Pankreas und fand dabei keine nennenswerten 
Unterschiede. UmberYy) kommt auf Grund seiner Experimente 
zu folgendem Resultate: „Das Venenblut verhält sich in seiner 
glykolytischen Eigenschaft wie das Arterienblut, und das der 
Vena pancreatico-duodenalis kurz vor ihrem Eintritt in dıe Pfort- 
ader entnommene Blut zerstört gleichfalls nicht mehr Zucker als 
das übrige Venen- und Arterienblut.“ 


Was das Ferment selbst anbetrifft, so bezweifelt Hoppe- 
SeylerYrr) seine Existenz überhaupt, weil er in den von ihm an- 
gestellten Versuchen keine wesentliche Abnahme des dem Blute 
zugefügten Traubenzuckers konstatieren konnte. 


SeegenTfry), Arthus*r) u. a. halten die Glykolyse bloß für 
einen postmortalen Vorgang. Sie meinen, daß das zuckerzerstörende 
Ferment im lebenden Blut nicht präexistiere; es soll sich post 
mortem aus den Leukocyten, oder wie Arthus sich ausdrückt, 
„d’elements figures autres que les globules rouges“ bilden. 


Andere Autoren, wie Colenbrander*r),Rywosch”“*r), wollen 
wieder die zuckerzerstörende Eigenschaft des Blutes in Beziehung 
zu. der Blutgerinnung resp. zum Fibrinferment stellen; sie fanden 
nämlich, daß Fluornatrium, Pepton und Blutegelextrakt, die be- 


*).Arthaud u. Butte, Compt. rend. de soc. biol. Nr. 42, 59, 62, 1890. 
**) Gebrüder Cavazzani, cf. Referat, Centralbl. f. Physiol. 7, 216. 
***) Pal, Wiener klin. Wochenschr. 1891, S. 64. 

+) Umber, Zeitschr. f. klin. Medizin 39, 13. 
ir) Hoppe-Seyler, cit. nach Kraus. 

Trr) Seegen, loc. cit. 

*+) Arthus, loc. cit. M&m. de la soc. de biol. 1891. 
**7) Colenbrander, cf. Malys, Jahresber. 1892, S. 137. 
**#7) Rywosch, Centralbl. f. Physiol. 11, 495. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 515 


kanntlich auf die Entstehung von Fibrinferment hemmend wirken, 
auch die Glykolyse beeinträchtigen. 

Dagegen behauptet Hahn*), daß die Glykolyse in keiner 
Weise an den Gerinnungsvorgang gebunden und von ihm ganz 
unabhängig sei. Er neigt sich mehr der Ansicht zu, daß die 
zuckerzerstörende Kraft an die Leukocyten gebunden ist, weil er 
bei Hyperleukocytose eine Vermehrung des Fermentes fand. 
Indessen fanden Loewy und Richter“*) bei künstlich hervor- 
gerufener Hyperleukocytose die glykolytische Kraft des Blutes 
herabgesetzt. “ 

Während die genannten Autoren die Glykolyse für eine post- 
mortale Erscheinung halten, sind Salkowski, Kraus, Spitzeru.a. 
geneigt, die zuckerzerstörende Eigenschaft des Blutes als einen 
oxydativen Vorgang aufzufassen. So fand Salkowski”"*), daß das 
Blut bei feiner Sprayverteilung Salizylaldehyd in reichlichen 
Mengen oxydiert und meint, daß das glykolytische Ferment, 
welches nur bei Gegenwart von Sauerstoff wirkt, mit dem 
Oxydationsferment identisch sei. 

Krausr) schließt aus der Bildung von Kohlensäure und der 
Absorption von Sauerstoff bei der Glykolyse, daß es sich dabei 
um eine direkte Oxydation handelt, und SpitzerTr) schließt sich 
der Ansicht an, indem er behauptet, daß die Glykolyse „durch 
eine erg des molekularen Sauerstoffs bedingt sei“, denn 
bei zweistündiger Durchleitung von Kohlensäure durch ein Blut- 
zuckergemisch, also beim Fehlen von Sauerstoff, fand er nach 
24 Stunden die dem Blut beigefügte Menge Zucker unverändert. 

Indessen haben die weiteren Arbeiten von LepinerTrr), 
Blumenthal und Mosse*r) und M. Jacoby**r) außer Zweifel 
‚gestellt, daß die Glykolyse einen selbständigen Vorgang darstellt, 
‚der weder mit der Blutgerinnung noch mit der Oxydation etwas 
Zu tun hat. 

M.Jacoby führt in seiner Arbeit sieben Momente an, die einen 
Unterschied zwischen dem glykolytischen und oxydativen Ferment 
u und die Spezifizität der glykolytischen Funktion beweisen. 

*) Hahn, Berl. klin. Wochenschr. 1897, S. 499. 
en er u. Kichter F=T., Berl: klin. Wochenschr. Nr. 47, 1897. 
Virchows Arch, 151, 1898. 

j *=*) Salkowski, Virchows Arch. 147. Zeitschr. f. physiol. Chemie 7, 
115. Centralbl. f. d. med. Wissenschaften Nr. 52, 1894. 

{ 7) Fr. Kraus, loc. cit. 

BT) Spitzer, loc. eit. 

Fr) L&pine, Compt. rend. 1895, S. 139. Lyon medic. 1897. 


*7) Blumenthal, Zeitschr. f. diätetische u. physik. Therapie. 1, 3 (1898). 


**7) M. Jacoby, Virchows Arch. 157, 235 (1899). 
33* 


516 J. Feinschmidt, 


Indessen traten im Laufe der Zeit in den Ansichten von 
Lepine über die Glykolyse wesentliche Veränderungen ein*). 


Als Bildungsstätte des glykolytischen Fermentes sieht er nicht 
mehr das Pankreas, sondern sämtliche Gewebe an; das Pankreas 
spielt dabei insofern eine Rolle, als es einerseits durch seine 
innere Sekretion die Glykolyse begünstigt, andererseits aber als 
solches dadurch, daß es, unabhängig von der inneren Sekretion, 
einen Einfluß ausübt, vielleicht indem es Substanzen zerstört, 
welche die Glykolyse in den Geweben verhindern. | 


Blumenthal**) betrachtet die Glykolyse als einen vollkommen | 
selbständigen und zellulären Vorgang. Er nimmt an, daß das 
Ferment nicht bloß im Blut, sondern in den Gewebszellen selbst vor- 
handen sei. Diese Ansicht bestätigte sich, als er die Buchnersche 
Presse zur Zertrümmerung der Zellen verwandte; er bekam dabei 
Preßsäfte aus den verschiedensten Organen, welche Zucker in 
sehr intensiver Weise zerstörten. Blumenthal hat dabei auch 
die Produkte, die bei der Glykolyse sich bilden, genauer zu ver- 
folgen gesucht. 


Wie erwähnt, hielt Claude Bernard***) die Glykolyse für 
bedingt durch die Tätigkeit eines Milchsäurefermentes, dagegen 
glaubten Blondeau und Huston Fordyr), daß dabei eine 
Spaltung in Alkohol und Kohlendioxyd stattfinde. Seegenf) 
konnte aber bei seinen Untersuchungen weder Milchsäure noch 
Kohlensäure finden. Das widerspricht aber den Angaben von 
Krausyrr), der nachweisen konnte, daß bei der Zerstörung des. 
Zuckers im Blut unter Sauerstoffabsorption Kohlensäure entsteht, 
ebenso wie den von Scheremetjewski*r), der diese Tatsache 
allerdings auf anderem Wege schon in den 60iger Jahren vorigen 
Jahrhunderts gefunden hat. Blumenthal gelang es, nachzuweisen, 
daß bei der Spaltung des Zuckers sich Kohlensäure in reichlichen 
Mengen bildet, welche er für eines der wichtigsten Produkte der 
Glykolyse hielt. Er sprach sich dagegen aus, daß die Glykolyse in 
der Art einer alkoholischen Gärung erfolge. Denn er konnte ebenso- 
wenig wie Bendix, der auf seine Veranlassung die Frage verfolgte, 


*) Lepine, Lyon medic. Nr. 16, 1899. Deutsche med. Wochenschr. 
Nr. 4, 1902. 

**), Blumenthal, loc. cit. 

++*) O]aude Bernard, loc. ceit. S. 19. 

+) eit. nach Claude Bernard, loc. cit. 
Tr) Seegen, loc. cit. 
+rr) Kraus, loc. cit. 

*7) Scheremetjewski, cit. nach Kraus. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 517 


mit Sicherheit Alkohol nachweisen. Indessen glaubte Umber*), 
der die Versuche von Blumenthal mit Pankreas wiederholte, 
auch die von Blumenthal beobachtete Kohlensäurebildung auf 
Bakterienwirkung zurückführen zu können, während Brunton 
und Rhodes“*) durch Auspressen von Muskeln die Glykolyse in 
Abwesenheit von Bakterien konstatieren konnten. C. Oppen- 
heimer“**) konnte bei seinen mit frischem Blut und Zucker- 
lösungen angestellten Versuchen „stets eine sehr geringe Menge 
eines jodoformgebenden Körpers, der nicht Aceton war“, nach- 
weisen. Es gelang ihm jedoch nicht, mit Sicherheit festzustellen, 
daß der gefundene Körper Alkohol war. Auch Herzog), der sich 
neuerdings mit der Frage beschäftigt hat, konstatierte das Ent- 
stehen von Kohlensäure bei der bakterienfreien Glykolyse des 
Pankreas, kam aber auch in bezug auf das Vorkommen des Alkohols 
zu zweifelhaften Resultaten. 


Da uns neuerdings eine Buchnersche Presse von 400 Atm. 
Druck zur Verfügung stand — die von Blumenthal benutzte 
Presse gab nur bis zu 100 Kilogramm pro gem —, da sich über- 
haupt die Technik des Organpressens seit damals vervollkommnet 
hat, habe ich auf Anregung von Herrn Dr. Blumenthal die 
Frage von neuem aufgenommen. 


In der Zwischenzeit haben Stoklasa und Czernyrrf) Ver- 
suche veröffentlicht, in denen sie mitteilen, daß es ihnen gelungen 
sei, durch Auspressen von Pflanzenteilen und Tierorganen mit 
300 bis 400 Atm. einen Saft zu bekommen, welcher Zuckerlösung 
unter Kohlensäure- und Alkoholbildung vergärt, und zwar in 
demselben Verhältnis wie bei der Hefegärung. Zwischen ihren 
Versuchen und denen von Blumenthal ist insofern ein Unter- 
schied, als Blumenthal seine Versuche aerob, Stoklasa und 
Czerny anaerob, und zwar in Wasserstoffatmosphäre, durchführten. 


Blumenthal, Stoklasa und Üzerny und seinerzeit 
Spitzerfff) haben das Ferment zu isolieren versucht. Blumen- 
thal hat es mit Alkohol schnell gefällt und diesen durch Äther 
entfernt, welcher Methode sich ebenfalls Stoklasa und Czerny 
bedienten. Die von Stoklasa angewandte Versuchsanordnung hat 


*) Umber, loc. eit. 
**) Rhodes u. Brunton, cf. Referat Chem. Centralbl. 2, 493 (1900). 
***) Carl Oppenheimer, Die Fermente 1900. 
+) Herzog, Diese Beiträge 2, 102 (1902). 
+7) Stoklasa u. Üzerny, Berichte d. deutsch. chem. Ges. 1903, Nr. 3, 
S. 622. Centralbl. f. Physiol. 16, 652. Diese Beiträge 3, 11, 460. 
#17) Spitzer, loc. eit. 


518 J. Feinschmidt, 


neuerdings Simä@ek*) mit positivem Resultate zum Nachweis 
der Pankreasglykolyse benutzt. 


Ich habe nun Untersuchungen nach folgenden Richtungen 
angestellt. 


1. Über das Vorhandensein der Glykolyse im Organbrei bzw. 
im ÖOrganpreßsaft. 

2. Über die Produkte der Glykolyse. 

3. Über die Intensität der Glykolyse bei gewöhnlicher und 
anaerober Atmung. 

4. Habe ich das glykolytische Ferment aus den Preßsäften zu 
isolieren versucht und seine zuckerzerstörende Kraft mit der der 
Preßsäfte verglichen. 

5. Habe ich versucht, die bei der Glykolyse entstehenden 
Produkte quantitativ zu bestimmen, sowie das Verhältnis zwischen 
der gebildeten CO,- und Alkoholmenge. | 


Zur Methodik. 


1. Gewinnung des ÖOrganbreis. Die Organe stammten 
entweder von im Laboratorium getöteten Tieren oder vom Schlacht- 
hof. Sie wurden sofort nach dem Schlachten aus dem Tierkörper 
entnommen und im letzteren Falle während des. Transportes in 
Toluolwasser bzw. Fluornatriumlösung gehalten. Vor dem Ver- 
arbeiten wurden sie 1 bis3 Stunden im Eisschrank stehen gelassen, 
dann von Fett und Sehnen befreit, in einer Fleischmaschine fein 
zermahlen und durch einen reinen Leinwandlappen mittels einer 
starken Handpresse filtriert. 


2. Zur Gewinnung des Preßsaftes wurden ebenfalls nur ° 
die Organe von frisch geschlachteten Tieren verwendet. Nach 
dem Abspülen mit dem Wasserstrahl und Befreien von Fett und 
Sehnen wurden die Organe mit der Fleischmaschine zerkleinert, 
mit Quarzsand vermischt und zerrieben, in mehrere Portionen ver- 
teilt und in der Buchnerschen Presse bei 300 Atm. Druck ge- 
preßt. Der erhaltene Saft wurde in sterilen Kolben mit oder ohne 
Chloroform aufgefangen und 10 bis 14 Stunden im Eisschrank stehen 
gelassen. Der auf diese Weise gewonnene Saft stellt eine leicht 
trübe, mehr oder weniger bräunlich-rötliche Flüssigkeit dar, die 
mikroskopisch keine erhaltenen Gewebszellen zeigt. Aus 5 kg 
Substanz wurden etwa 500 bis 650 ccm Saft erhalten. 


3. Um das Ferment zu isolieren, bediente ich mich des 
von Blumenthal angegebenen Verfahrens: 


*) Simäcek, Centralbl. f. Physiol. 17, Nr. 1, 1908. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 519 


200 bis 300 ccm Saft wurden in einem hohen Cylinder mit 
absolutem Alkohol übergossen und gut durchgeschüttelt. Nach 
dem Abscheiden des Niederschlages wurde der Alkohol abge- 
gossen und der Niederschlag zweimal mit Äther durchgeschüttelt 
und mit der Wasserstrahlpumpe abfiltriert. Der erhaltene Nieder- 
schlag stellte eine graugelbliche zellenfreie Masse dar, die im 


- Brutofen bei 30 bis 35° in kleinen Portionen auf Fließpapier etwa 


10 bis 20 Minuten resp. im Vakuumapparat getrocknet wurde. Vor 
der Anstellung der Versuche wurde der trockene Niederschlag 
abgewogen und im sterilen Mörser mit etwas sterilem Wasser 
aufgeschwemmt. 

4. Alle Versuche wurden unter Zusatz von !Anti- 
septicis, Chloroform bzw. Toluol, Fluornatrium oder 
Thymol ausgeführt. 

Sämtliche Gefäße waren vor dem Gebrauche im Kochschen 
Apparat sterilisiert. Auch die verwandten Zuckerlösungen waren 
sterilisiert und behufs Konservierung mit Chloroform versetzt. 

Bei der Unterbrechung der Versuche wurden stets von den 
Brei- bzw. Preßsaftzuckerlösungen 1 bis 2 Platinösen oder mittels 
steriler Pipette einige Tropfen auf Agar und Bouillon über- 


tragen. Die Nährböden wurden im Brutofen bei entsprechender 


Temperatur, solange als der Hauptversuch dauerte, meist 
4 X 24 Stunden, belassen. In den meisten Versuchen wurde auch 
die Züchtung anaerober Bakterien vorgenommen. 

Un: einen Einblick in die Produkte der Glykolyse zu ge- 
winnen, habe ich mich folgenden Verfahrens bedient. 

Zwei Halbliterflaschen werden mit durchbohrten Gummistöpseln ge- 
schlossen und untereinander durch ein gebogenes Glasrohr verbunden. 
In die eine Flasche kommt unter Zusatz des Antiseptikum das Brei- resp. 
Saftzuckergemisch, in die andere Baryt- bzw. Kalkwasser zur Aufnahme 
der sich entwickelnden Kohlensäure. Das Verbindungsrohr reicht in der 
Flasche mit dem Kalkwasser fast bis zum Boden des Gefäßes, in der Flasche 
mit dem Gemische etwas über den unteren Rand des Gummistöpsels. 

Bei den anaerob angestellten Versuchen sind die Gummipfropfen 
doppelt durchbohrt: außer der Verbindungsröhre ist jeder Pfropfen noch 
mit einem gebogenen Glasrohr versehen, das an seinem freien Ende 
einen Gummischlauch mit Metallklemme trägt. In der Flasche mit dem 
Preßsaftzuckergemisch reicht das zweite Rohr fast bis zum Boden des 
Gefäßes, in der mit Kalkwasser einige Zentimeter über den unteren 
Rand des Pfropfens. Bei der Durchleitung des Wasserstoffs passiert das 
sich im Kippschen Apparat entwickelnde Gas zuerst eine Flasche mit 
5proz. Sublimatlösung, dann eine Wulffsche Flasche mit konzentrierter 
Natronlauge, dann wieder eine Flasche mit Sublimatlösung, dann die 
Flasche mit dem Preßsaftzuckergemisch und schließlich die mit Kalk- 
wasser. Dabei wird die Klemme an dem Ausgangsrohr der Kalkwasser- 


flasche beim Beginnen der Durchleitung zunächst geöffnet und beim 


520 J. Feinschmidt, 


Schlusse der Durchleitung zuerst geschlossen. In der II. Versuchsreihe 


(s. u.) habe ich mich genau der Anordnung bedient, wie sie von 


Stoklasa angegeben worden ist*). 


Die quantitative Bestimmung des Kohlendioxyds 
habe ich in den meisten Versuchen nicht vorgenommen, da mich 
hauptsächlich die Produkte der Glykolyse interessierten; ich be- 
gnügte mich mit der Abschätzung der Menge des ausgefallenen 
kohlensauren Baryums bzw. Kalziums. Späterhin habe ich mich 
bemüht, auch das Verhältnis zwischen der bei der Glykolyse ent- 
stehenden Alkohol- und Kohlensäuremenge genauer zu bestimmen, 
und habe mich dabei der von Stoklasa gebrauchten Methodik 
bedient. 


Die Bestimmung des Zuckers geschah stets (außer in 
einem Falle, wo ich mich des Polarisationsapparates bediente) 
nach dem Knappschen Titrationsverfahren. Diese Methode wurde 
zuerst auf ihre Genauigkeit geprüft und nach den dabei er- 
haltenen Resultaten für unsere Zwecke geeignet befunden. 

Von den frisch zubereiteten, bzw. der Glykolyse unterworfenen 
Preßsaftzuckergemischen werden 30 ccm mit 1 bis 2 Tropfen Essigsäure 
angesäuert, im Wasserbade aufgekocht und nach dem Abkühlen abfiltriert. 
Das Koagulum wird sorgfältig mit destilliertem Wasser auf dem Filter 
ausgewaschen. Die Filtrate werden vereinigt und mit Wasser auf das 
ursprüngliche Flüssgikeitsgquantum aufgefüllt. In der auf diese Weise 
enteiweißten Flüssigkeit wird der Zuckergehalt mit der Knappschen 
Lösung titriert. Die in den einzelnen Versuchen angegebenen Zucker- 
werte sind das Mittel der bei zwei Titrationen desselben Gemisches 
erhaltenen Zahlen. 

Was den Alkohol betrifft, so gelang es mir nicht, bei den 
einzelnen Versuchen ihn rein darzustellen. Deshalb habe ich bei 
jedem Versuche in geringen Mengen des erhaltenen Destillats die 
üblichen Alkoholproben, in den meisten Fällen auch die Natrium- 


nitroprussidprobe, angestellt. Die Reste der Destillate wurden 


vereinigt, in einem sterilen geschlossenen Kolben aufbewahrt und 


der fraktionierten Destillation, wie unten beschrieben ist, unter- 


worfen. 

Bevor ich zu der Schilderung der einzelnen Versuche über- 
gehe, möchte ich noch an dieser Stelle folgendes bemerken. 

Ohne Zusatz von Antisepticis gelang es mir nicht, 
einen einzigen Versuch steril zu erhalten. Deshalb habe 
ich dieses Verfahren aufgegeben und bediente mich in allen hier 
angeführten Versuchen irgend eines von den früher angeführten 
Antisepticis. Auch bei Zusatz von Antiseptieis gelang es mir 


*) Stoklasa, Diese Beiträge 3, 464. 


Lu 


| 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 591 


öfters nicht, die Gemische während der Versuchsdauer bakterien- 
frei zu erhalten. 


Ich berichte in folgendem daher bloß über die Versuche, die 
bakterienfrei verliefen. 


Versuchsreihe I. 


Versuch Nr. 1. 

Zwei Kaninchenlebern werden unter aseptischen Kautelen ausge- 
schnitten, in kochendes Wasser kurz eingetaucht, in steriler Petrischale 
fein zerschnitten. . 

A. Die eine Hälfte wird mit 50 ccm einer 10proz. Zuckerlösung unter 

Toluolzusatz im Uberschuß versetzt und in eine Flasche getan. 
In der anderen Flasche Kalkwasser. 
B. Die andere Hälfte wird zur Kontrolle anstatt mit Zuckerlösung mit 
steriler Kochsalzlösung und Toluol vermischt. Sonst wie in A. 
C. 100 ccm von demselben Kalkwasser in geschlossener Flasche. 
Alles wird in den Brutschrank bei 37° gesetzt. 


A. B. C. 
Nach 6 Stdn. || Sehr leichte Trübung | Sehr leichte Sehr leichte 
Trübung Trübung 
E18. .; Trübung stärker, ge- | Kalkwasser klar, Kalkwasser klar, 
ringer Niederschlag | kaum merk- kaum merk- 
barer Nieder-) barer Nieder- 
schlag schlag 
a Kalkwasser trübe, Unverändert Unverändert 
Niederschlag etwas 
größer 
Ex 34, Geringe Gasentwickelg.| Unverändert Unverändert 


Kalkwasser wie am 
Tage zuvor 
3, Keine Gasentwickelg. | Unverändert Unverändert 
Kalkwasser. trübe, 
Niederschlag größer 
Te Keine Gasentwickele. | Unverändert. Unverändert. 
Kalkwasser klar, Nie- 
derschlag wie am 
Tage zuvor, im 
ganzen nicht groß. 


Am 4. Tage abgeimpft, abdestilliert; in den Destillaten: 


| A. iA «BD; 
Die Jodoformprobe . . | deutlicher Geruch, einzelne Kristalle | negativ 
Die Acetonprobe . . . || negativ negativ 


Nährböden blieben steril. 


522 J. Feinschmidt, 


Versuch Nr. 2. 

Drei unter aseptischen Kautelen ausgeschnittene Kaninchenlebern 
werden kurz in kochendes Wasser eingetaucht, fein zerschnitten, im 
sterilen Mörser zerrieben und durch einen Leinlappen unter Zusatz von 
20 ccm steriler physiologischer Kochsalzlösung gepreßt. Erhalten: etwa 
40 cem dünnflüssigen Breis. 

A. 20 ccm Brei werden mit 50 ccm steriler 5proz. Zuckerlösung und 

10 ccm einer 1 proz. Fluornatriumlösung vermischt, das Gemisch 
wird mit steriler physiologischer Kochsalzlösung auf 100 ccm 
aufgefüllt. In der anderen Flasche 100 cem Kalkwasser. 

B. Im Kontrollversuche hat das Gemisch die gleiche Zusammen- 

setzung, der Brei aber ist vorher aufgekocht. Brutschrank bei 37°, 


A. B. 
Nach 6 Stdn. | Leichte Trübung Sehr leichte Trübung 
Br Deutliche Trübung, geringer | Kalkwasser klar, kaum 
Bodensatz, Aufsteigen merklicher Bodensatz 


einzelner Gasbläschen im | 
Kalkwasser 
I Gasentwickelung gering, Unverändert 
Bodensatz größer, Kalk- 
wasser trübe. 
„oxaı, Keine Gasentwickelungmehr, | Unverändert 
Kalkwasser ziemlich klar, 
deutlicher Bodensatz 
BR Wie am Tage zuvor. Unverändert 
Am 4. Tage || Das Gemisch riecht und | Das Gemisch reagiert 
reagiert stark sauer. (Die, schwach sauer. Jodoform- 
Trommersche und Moore- und Acetonprobe im 
sche Probe stark positiv.) | Destillate negativ. 
Im Destillate Jodoform- 
probe (starkerGeruch,reich- 
lich Kristalle) Acetonprobe 
negativ. 

Die Nährböden blieben steril. 


Versuchsreihe II. 


Organpreßsäfte und aus ihnen durch Fällung mit 
Alkohol-Ather gewonnene Niederschläge. 


Versuch Nr...3. 

A. Etwa 20 ccm Pferdeleberpreßsaft werden unter Zusatz von Chloro- 
form mit 100 ccm einer 10proz. sterilen Traubenzuckerlösung in 
einer Flasche vermischt. In der anderen Flasche etwa 100 cem 
Kalkwasser. Es wird täglich zwei Stunden lang Wasserstoff durch- 
geleitet, . 

B. 10 g aus dem Saft mit Alkohol-Ather gefällten Niederschlags + 
100 ccm einer 10 proz. Zuckerlösung + Chloroform. In der anderen 
Flasche 100 cem Kalkwasser, Täglich wird zwei Stunden lang 
Wasserstoff durchgeleitet. 


Uber das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 


A. 
Bei der Durchleitung tritt eine 
Trübung des Kalkwassers ein, all- 
mählich bildet sich ein bedeutender 
Niederschlag. 


5253 


B. 
Das Kalkwasser wird bei der 
Durchleitung sofort getrübt, schon 
nach zehn Minuten bildet sich ein 
geringer Niederschlag, das Wasser 


ist stark trübe; zum Schluß der 

Durchleitung besteht eine starke 

Trübung des Kalkwassers und ein 
ziemlich starker Niederschlag. 


Die Flaschen werden in den Brutofen bei 37° gesetzt. 


un 
| A. B. 
Nach 2!/, Stdn.) Das Kalkwasser trübe, der Das Kalkwasser ist stark 
Niederschlag etwas größer, trübe, der Niederschlag 
Aufsteigen einzelner Gas- | ist größer wie in A, ziem- 
blasen aus der Verbin- lich starke Gasbildung; 
dungsröhe im Kalkwasser.| reichliches Aufsteigen von 
Gasblasen im Kalkwasser. 

Te: „ ‚Die Gasentwickelung etwas Die Gasentwickelung wie 
stärker, der Niederschlag, vorher, der Niedercshlag 
größer, das Kalkwasser ist | istnoch größer geworden, 
trübe. das Kalkwasser ist stark 

trübe, 

,:24 „ Die Gasbildung geht lang- | DieGasbildungistbedeutend 
sam weiter vor sich. „stärker wie in A, im Ge- 

misch ist deutliche Gärung 
erkennbar. 

»„ 2xX24 „ \Gasbildung wie am Tage Die Gasbildung und Gärung 
zuvor; der Niederschlag | bestehen noch, sie haben 
scheint nicht größer ge-| aber an Intensität abge- 
worden zu sein, das Kalk- nommen, starker Nieder- 
wasser ist trübe. schlag, das Kalkwasser 

leicht getrübt. 

„ 3xX24 „ |jGanz geringe Gasentwicke- | Gasentwickelung u. Gärung 
lung, das Kalkwasserleicht| haben aufgehört, Das 
trübe, der Niederschlag | - Kalkwasser ist ziemlich 
wie am Tage zuvor. klar, starker Niederschlag, 

„ 4X 24 „ |Keine Gasentwickelung, das | Keine Gasentwickelung und 
Kalkwasser ist klar, Boden- Gärung, Kalkwasser klar, 
satz etwa '/s cm hoch. Bodensatz zweimal so 

hoch wie in A. 


Am fünften Tage wird von beiden Gemischen je eine Platinöse in 
Agar- und Bouillonröhrchen übertragen. 


Beide Gemische riechen nach frischem Fleisch, Chloroform und stark 
sauer, beide reagieren stark sauer. Die angestellte Tromm ersche 
Probe fällt in beiden Gemischen stark positiv aus, die Mooresche Probe 
ist im Gemische A stärker wie im Gemische B. Die Gemische, sowie das 
Kalkwasser werden mit Natriumkarbonatlösung neutralisiert und ab- 


524 J. Feinschmidt, 


destilliert. Die in den ersten Destillatportionen angestellten Proben fielen 
folgendermaßen aus: f 

Jodoformprobe, nach Zusatz von Jodkalium und Natronlauge: 

A. B. 
Allmählich Trübung und deutlicher Allmählich entwickelt sich starke 
Jodoformgeruch, nach zwei Stunden Trübung, starker Jodoformgeruch, 
scheiden sich mehrere Jodoform- reichlich Jodoformkristalle. 
kristalle aus. 
Aldehydprobe, nach Zusatz von Chromat und H,SO;: 


Deutliche Grünfärbung und Starke Grünfärbung, starker 
Aldehydgeruch. Aldehydgeruch. 
Natriumnitroprussidprobe negativ. negativ. 


Die Reste der Destillate werden zusammengegossen und für die 
spätere Reindarstellung des Alkohols in sterilem geschlossenen Kolben 
aufbewahrt. 

Die Nährböden bleiben steril. 

C. Zur Kontrolle wird durch 100 ccm desselben Kalkwassers zwei 
Stunden lang Wasserstoff durchgeleitet. Bei der Durchleitung wird die 
Flüssigkeit sehr leicht getrübt, beim Stehen im Brutofen scheidet sich 
ein kaum bemerkbarer Niederschlag ab, die übrige Flüssigkeit bleibt klar. 


Versuch Nr. 4. 

Zwei sterile Gärungsröhrchen werden mit einer Mischung aus fünf 
Teilen einer 10proz. Zuckerlösung und einem Teil Leberpreßsaft unter 
Chloroformzusatz gefüllt und in den Brutschrank gesetzt. 

Nach 2!/, Stunden ist in beiden Gärungsröhrchen keine Veränderung 


merkbar. 

: & Im oberen Teile des langen Schenkels sind einzelne 
kleine Gasbläschen. 

| 5 Die Zahl der Gasbläschen hat nicht zugenommen, 


das Gemisch sieht in einem Röhrchen etwas 
trübe aus. 
ut ARE IETE, Beide Gemische sehen trübe aus, die Zahl der Gas- 
bläschen hat nicht zugenommen. 
Er EEDESAT wie am Tage zuvor. 
Am vierten Tage wird von beiden Gärungsröhrchen eine Platinöse auf 
Agar und Bouillon übertragen; nach zwölf Stunden deutliches Bakterien- 
wachstum. 


Versuch Nr. 5. 

A. Drei sterile Gärungsröhrchen werden mit einer Mischung aus 
vier Teilen einer sterilen mit Chloroform gesättigten 10proz. 
Zuckerlösung gefüllt. In ein Röhrchen wird noch ein Tropfen 
Toluol, in das andere noch ein Tropfen Chloroform zugesetzt. 

B. Drei Gärungsröhrchen werden mit einem Gemisch aus vier Teilen 
derselben Zuckerlösung und einem Teil aus dem Preßsaft gewonnenen 
Niederschlags gefüllt. Zusatz von Antiseptikum wie in A. 

In sämtlichen Röhren tritt während 5 x 24 Stunden keine sichtbare 

Veränderung ein. Die Nährböden bleiben steril. 


Versuch Nr. 6. 
In diesem Versuch wird Leberpreßsaft und aus ihm gewonnener 
Niederschlag verwendet, die 36 Stunden unter Chloroformzusatz auf Eis 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 5925 


ä 

" 

. 

_ gestanden hatten. Versuchsanordnung wie im Versuch »Nr: :2, - Der 
Fermentniederschlag zeigt zwar auch hier eine größere glykolytische 
Kraft als der Preßsaft, aber im ganzen ist die Glykolyse bedeutend geringer 
als bei frischen Substanzen. 

Bei der Wasserstoffdurchleitung trübt sich das Kalkwasser geringer 
wie im Versuche Nr. 7, die Gasentwickelung beginnt erst nach 24 Stunden 
und besteht nur etwa acht Stunden; die Jodoform- und Aldehydproben 
fallen schwach positiv aus. 


‘ 
b 
P 
2 


Versuch Nr. 7. 


30 ccm Leberpreßsaft + 100 ccm steriler 10 proz. Traubenzucker- 
lösung + 10 ccm Toluol werden in eine sterile Flasche getan. Inder 
anderen Flasche 100 ccm Kalkwasser + 10 cem Toluol. Es wird Wasser- 
stoff eine Stunde lang durchgeleitet. Beim Durchleiten tritt eine sehr 
geringe Trübung des Kalkwassers ein. Nach sechsstündigem Stehen im 
Brutofen ist das Kalkwasser klar, es hat sich ein ganz geringer Nieder- 
schlag gebildet. 

Vier Tage bleibt der Apparat im Brutschrank ohne weitere Ver- 
änderung. Am fünften Tage wird geöffnet; das Gemisch riecht stark nach 
Toluol und frischem Fleisch, reagiert schwach sauer. Die angelegten 
Nährböden bleiben steril. 

Der Zuckergehalt vor dem Versuch — 8,3 Proz., nach dem Versuch 
— 8,1 Proz. k 

Die im Destillate angestellten Jodoform- und Aldehydproben, sowie 
die Natriumnitroprussidprobe fielen negativ aus. 


u 


Versuch Nr. 8. 

A. Vier Gärungsröhrchen werden mit je 10 ccm einer 5 proz. Zucker- 
lösung (mit Chloroform gesättigt) und je 1 ccm Leberniederschlag gefüllt, 
als Antiseptikum werden je zwei Tropfen zugesetzt: 

Nach 2x 24 Stunden, nach 4x 24 Stunden. 
1. ohne Antiseptikum- !/, Röhre ist mit Gas 


zusatz gefüllt, die Flüssigkeit 
ist klar 
2. Toluol 1/,, Röhre ist mit Gas 
gefüllt, die Flüssigkeit Ohne Veränderung. 
ist klar 


Keine Gasentwickelung, 


4. 10proz, Fluor- | ie Flüssigkeit ist klar. 


natriumlösung 
Es wird auf Agar und Bouillon mittels Pipette je ein Tropfen über- 
tragen, die Nährböden bleiben 4x 24 Stunden steril. 


3. Chloroform 


Versuch Nr. 9. 


A. 100 cem Leberpreßsaft 4 100 ccm steriler Zuckerlösung -—+ 20 ccm 
einer 10proz. Fluornatriumlösung .... .. 200 cem Kalkwasser. 

B. Von 100 cem Leberpreßsaft durch Alkohol und Ather gewonnener 
Niederschlag + 100 cem Zuckerlösung —+ 20 ccm einer 10 proz. 
Fluornatriumlösung ... . 200 cem Kalkwasser. 


526 J. Feinschmidt, 


Es wird Wasserstoff zwei Stunden lang durchgeleitet. Die erste 
Trübung des Kalkwassers tritt in A etwa nach zehn Minuten, in B nach 
fünf Minuten ein. Zum Schluß ist das Kalkwasser in beiden Proben ziemlich 
gleich stark getrübt, der Niederschlag ist auch in beiden Flaschen 


ziemlich gleich. 


A. B. 
Nach 3 Stdn. || Unverändert | Unverändert 
6: Deutliche Gasentwickelung, | Unverändert 
Niederschlag größer 
TR Wie vorher Ganz leichte Gasentwicke- 
lung 
Sun. 0 Gasentwickelung stark, im | Ziemlich starke Gasent- 
Gemische deutliche Gä-, wickelung, im Gemische 
rung, Kalkwasser stark | leichte Gärung, Kalk- 
trübe, Niederschlag be-| wasser trübe, Nieder- 
deutend größer schlag‘ bedeutend größer 
. ax, Gasentwickelung ziemlich | Starke Gasentwickelung, 
stark, leichte Gärung starke Gärung 
ax<21 5 Gasentwickelung gering, im | Gasentwickelung gering, 
Gemisch keine Gärung geringe Gärung 
„ 4X24 „ Keine Gasentwickelung, Sehr geringe Gasentwicke- 
Kalkwasser klar, Nieder- | lung, Kalkwasser ziemlich 
schlag etwa !/, cm hoch) klar, Niederschlag etwas 
größer wie in A. 
„5x24 „ |Wie am Tage zuvor. Keine Gasentwickelung, _ 
Kalkwasser klar, Nieder- 
schlag wie am Tage zuvor. 


Das Stehen im Brutschrank unterbrochen. 


Abgeimpft mittels steriler Pipette auf Agar und Bouillon. Beide 
Gemische riechen nach frischem Fleisch und sauer. 


Jedes Gemisch 


mit dem entsprechenden Kalkwasser vereinigt und abdestilliert. Die an- 


gestellten Proben auf Alkohol positiv, 


die Natriumnitroprussidprobe 


negativ. 
Die Zuckerbestimmung ergibt: 
Br n 
Vor dem Versuche . 92 Proz. — 11,5 g 5,1 Proz. — 11,66 8 


Nach „ E N A Ps 53... 66 2 en 
Menge des vergor. Zuckers 4,87 8 5,9 8. 


Versuch Nr. 10. 


A. Fünf Gramm Muskelpreßsaft, durch Alkohol und Äther gewonnener 


Niederschlag — 100 eem Zuckerlösung — Chloroform. 
anaerob. 


B. Wie A, Versuch aerob. 
A. Bei der Durchleitung des Wasserstoffs tritt sofort Trübung ein, 


die rapid zunimmt, nach 15 Minuten Niederschlag. 


Versuch 


Zum Schluß 


der Durchleitung ist das Kalkwasser stark trübe; bedeutender 
Niederschlag. 


B. Beim Stehen auf dem Tisch keine Trübung des Kalkwassers. 


Nach 3 Stdn. 


” 8 ” 
» mM „ 
». 28 „ 
” 32 ” 
DAX 24, 
” 3 6 24 ” 
a 0 


positiv aus, 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 


Pipette übertragen. 


reagieren stark sauer. 


A, 


Geringe Gasentwickelung 

Gasentwickelung etwas 
stärker, Niederschlag 
größer, Kalkwasser deut- 
lich trübe 

Gasentwickelung stark, Kalk- 
wasser stark trübe, Nieder- 
schlag größer 


Starke Gasentwickelung, im 
Gemisch deutliche Gärung 
Wie vorher 


Gärung u. Gasentwickelung 
lassen nach 

Keine Gärung, keine Gasent- 
wickelung 

Wie am Tage zuvor, Kalk- 
wasser klar, etwa ein cm 
dicker Niederschlag. 


Zuckergehalt vor dem Versuche 


» 


nach „ 


er; 


527 


B. 


Unverändert 

Leichte Gasentwickelung, 
das Kalkwasser ist trübe, 
Niederschlag geringer wie 
in A 

Ziemlich starke Gasent- 
wickelung, Kalkwasser 
stark trübe, Niederschlag 
wie in A 

Starke Gasentwickelung, 
keine Gärung im Gemisch 

Gasentwickelung wie vorher, 
geringe Gärung im Ge- 
misch 

Wie am Tage zuvor. 


Geringe Gasentwickelung, 
geringe Gärung 

Keine Gärung, keine Gas- 
entwickelung, Kalkwasser 
klar, etwa 1 cm dicker 
Niederschlag. 


Das Stehen im Brutschrank unterbrochen. 


Von den Gemischen wird auf Agar und Bouillon je ein Tropfen mittels 
Die Nährböden bleiben steril. 

Die Gemische riechen nach frischem Fleisch, Toluol und sauer; 
In den Destillaten fallen die Alkoholproben 


A. B. 
8,34 Proz, 8,2 Proz. 
5,4 „ 5,8 ” 


Bei diesen Versuchen wird die gesamte Azidität vor und nach dem 
& 


Stehen im Brutschrank bestimmt. 


Zu diesem Zwecke wird das Gemisch 


abfiltriert, und 10 ccm des Filtrats werden unter Zusatz von einigen 
Tropfen neutraler Lakmuslösung mit Yo Normalnatronlösung_ titriert. 
Azidität auf 100 berechnet beträgt: 


Azidität vor dem Versuche . 


nach „ 


” 


Versuch Nr. 11. 


dem Tode mit der Buchnerschen Presse etwa 50 cem roter Flüssigkeit 
gewonnen (die Preßtücher sind mit steriler Na Cl-Lösung angefeuchtet). 
Der Lebersaft wird mit 75 cem Zuckerlösung unter Zusatz von Chloroform 
vermischt und in eine Flasche getan. In der anderen Flasche Kalkwasser. 
Es wird eine Stunde lang Wasserstoff durchgeleitet; dabei entsteht eine 
geringe Trübung, sowie ein ganz leichter Niederschlag. 


j 

i 

} 

1 

| | 

| ” 

| “ Aus etwa 250 g Leber von einem Diabetiker werden drei Stunden nach 
| 

j 


528 J. Feinschmidt, 


Nach 6 Stunden Kalkwasser klar, geringer ee 


mr N wie am Tage zuvor 
ss BIC MER unverändert 
Pi 0 > ebenfalls. 


Am vierten Tage riecht das Gemisch nach Chloroform und sauer, 
Die am Destillate angestellten Alkoholproben fallen negativ aus. 
Zuckergehalt vor dem Versuche 4,9 Proz. 
g nach: 3 % ST 


Versuch Nr. 12. 


A. 100 ccm Muskelpreßsaft + 100 cem Traubenzuckerlösung + Toluol 
im Uberschuß,. 

B. Niederschlag gewonnen aus 100 ccm Muskelpreßsaft und + 100 cem 
Traubenzuckerlösung + Toluol im Uberschuß. 

Beide Versuche anaerob, 

Bei der Durchleitung des Wasserstoffs tritt Trübung in beiden Ver- 
suchen fast zur gleichen Zeit ein, zum Schluß aber ist in B ein etwas 
größerer Niederschlag wie in A. \ 

Brutschrank bei 37°. 


A. B. 
Nach 3 Stdn. |Trübung und Niederschlag | Wie in A 
etwas größer 
n Be Wie vorher Leichte Gasentwickelung, 
Niederschlag größer,Kalk- 
wasser deutlich trübe 
a BT Leichte Gasentwickelung Gasentwickelung stärker 
Ball. .: Leichte Gärung, Gasent- | Gasentwickelung stark. Im 
wickelung stark Gemische deutl. Gärung. 
RE Wie vorher Wie vorher 
A a Ziemlich starke Gasent- | Gasentwickelung ziemlich 
wickelung und Gärung stark, Gärung gering 
nr, GeringeGasentwickelung und| Geringe Gasentwickelung, 
Gärung keine Gärung 
5; KeineGasentwickelung, keine | Wie in A. 
Gärung, Kalkwasser klar, 
starker, 1 cm hoher Nie- 
derschlag. 


Abgeimpft mit steriler Pipette auf Agar und Bouillon. Die Nähr- 


böden bleiben steril. 
und sauer, reagieren stark sauer, 
fallen positiv aus. 


Die Gemische riechen nach frischem Fleisch, Toluol 
Die auf Alkohol angestellten Proben 
Die Zuckerbestimmung ergibt: 


A. er 
Vor dem Versuche 4,6 Proz. — 9,2 g 8,9 Proz. — 10,68 g 
Nach ” ” an dar RE 2,8 E2) > 5,6 - 6,3 » ;. 7,65 8 
Menge des vergor. Zuckers 3,6 8 8,03 8 
A, B. 
Azidität vor dem Versuche _ 4 
2 nach „ 5 — 39 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 529 


Versuch Nr. 13. 

Ein Kaninchen wird getötet. Die ganze Muskulatur abpräpariert, 
sorgfältig mit sterilem Wasser abgespült, in einer Fleischhackmaschine zer- 
kleinert, mit Quarzsand zerrieben und nachher gepreßt. Erhalten werden 
etwa 180 ccm hellbräunlicher Saft. Im Eisschrank zwei Stunden. Die 
Hälfte wird schnell mit Alkohol und Äther auf Ferment verarbeitet. 

A. Etwa 90 cem Kaninchenfleischpreßsaft + 100 ccm Zuckerlösung 

—- Toluol im Uberschuß. 
B. Niederschlag, erhalten aus 90 cem Kaninchenpreßsaft, + 100 cem 
Zuckerlösung + Toluol im Überschuß. Versuchsanordnung anaerob,. 

Bei der Durchleitung stellt sich die Trübung und der Niederschlag 

in beiden Versuchen fast zur gleichen Zeit und in gleicher Intensität, ein. 


A. 153 


Nach 3 Stdn. |Trübung und Niederschlag | Aufsteigen einzelner Blasen 
etwas größer, Keine Gas- | in das Kalkwasser, letzteres 


bildung trübe, Niederschlag wie inA 
SER Geringe Gasentwickelung Gasentwickelung stärker 
wie in A 
I ee Gasentwickelung stärker als | Gasentwickelung ziemlich 
am Tage zuvor stark 


EP E; Starke Gasentwickelung, Wie in A 
starker Niederschlag 


DOSE BE „ Wie am Tage zuvor Wie in A. 
„33x24 „ Gasentwickelung läßt nach | Gasentwickelung etwas 
stärker wie in A 
„ax24, Keine Gasentwickelung, Keine Gasentwickelung, 
Kalkwasser klar, Nieder-| Kalkwasser leicht trübe, 
schlag etwa !/, cm dick. Niederschlag wie in A. 


Mittels steriler Pipette wird von jedem Gemisch je ein Tropfen auf 
Bouillon und Agar übertragen. Die Nährböden bleiben steril. 

Die Gemische riechen nach frischem Fleisch, Toluol und sauer; 
reagieren stark sauer. 

In den Destillaten fallen die Alkoholproben positiv aus, die Aceton- 
probe negativ. 

Der Zuckergehalt beträgt: 


=>... B. 
Vor dem Versuche. . . . . 38 Proz. —5,6 g 5,3 Proz. — 5,3 g 
Nach „ 2 REDE MT u Da Te SE 
Die Menge des vergor. , Zuckers 248 2,48. 


Reindarstellung des Alkohols. 


Die von den meisten Versuchen dieser Reihe in steriler 
geschlossener Flasche unter Zusatz von Toluol aufbewahrten 
Destillatreste, im ganzen in der Menge von etwa 120 ccm, werden 
von Toluol befreit und auf die Hälfte abdestilliert. Das erhaltene 
Destillat wird mit Natriumkarbonat gesättigt. Beim Zusatz von 
Natriumkarbonat tritt starker Alkoholgeruch auf, allmählich bildet 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 34 


530 J. Feinschmidt, 


sich an der Oberfläche eine fette, stark nach Alkohol riechende 
Schicht. Die mit Natriumkarbonat gesättigte Flüssigkeit wird 
wieder destilliert. Dabei werden 4 ccm Alkohol von 80 Proz. 
gewonnen. Der Siedepunkt des Alkohols war 78 bis 79°. 


Versuchsreihe III. 
Versuche mit der Anordnung von Stoklasa. 
Um genauer auf das Verhältnis zwischen dem sich bei der 
Glykolyse entwickelnden Kohlendioxyd und Alkohol einzugehen 


und nachzuprüfen, ob die Glykolyse wirklich in der Art einer 


alkoholischen Gärung verläuft, habe ich mich bei den folgenden 
Versuchen genau der Anordnung und der Methodik bedient, wie 
sie von Stoklasa angegeben ist. Sämtliche Versuche dieser 
Reihe sind bei der Temperatur von 22° unter Zusatz von Anti- 
septicis durchgeführt. Nach dem Ablauf jedes Versuches wurde 
auf aerobe, sowie auf anaerobe Bakterien untersucht. 


Versuch Nr. 14. 

1 kg Kaninchenfleisch wird !/, Stunde in einer 0,5proz, Sublimat- 
lösung sterilisiert, mit destilliertem Wasser tüehtig abgespült, in einem 
Mörser mit Quarzsand und Kieselgur zerrieben und in der Buchnerschen 
Presse gepreßt. Erhalten werden etwa 220 ccm zellenfreien Saftes. 

200 ccm davon werden mit 300 cem einer 5proz. sterilen Trauben- 
zuckerlösung versetzt; als Antiseptikum dient Thymol (drei Körnchen). 
Wasserstoff wird täglich zwei Stunden lang durchgeleitet. Während der 
ersten Durchleitung und eine Stunde nachher tritt keine bemerkbare 
Gärung ein. 

Nach 18 Stunden keine Gärung zu sehen 


335: 7: OR deutliche Gärung 

Er starke Gärung, über dem Gemisch steht eine 
Schaumschicht 

„a.xX. 38, die Gärung hat aufgehört. 


An Kohlendioxyd wurde gewonnen: 

Nach 18 Stunden: 0,034 

6 0,458 

ee... 

Be ee) 
im ganzen 0,944 CO,. 

In den für aerobe Bakterien angelegten Nährböden ist schon nach 
zwölf Stunden deutliches Bakterienwachstum nachweisbar. Die Nähr- 
böden für anaerobe Bakterien bleiben steril. 

Alkohol durch fraktionierte Destillation darzustellen, gelang nicht, 
obwohl die qualitativen Proben auf Alkohol positiv ausfielen; die Natrium- 
nitroprussidprobe war negativ. 


Versuch Nr. 15. 
In diesem Versuche wurde der durch Alkoholätherfällung aus 
Kaninchenfleischpreßsaft gewonnene Niederschlag benutzt. 


ri a Be Back 


| 
| 
| 
| 
| 
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| 
| 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 531 


6 g Niederschlag werden mit 100 cem einer 5 proz. sterilen Glykose- 
lösung vermischt. Darüber wird etwas gepulvertes Thymol verstreut. 
Es tritt nach einer halben Stunde deutliche Gärung ein. Der Versuch 
bleibt wegen eines Unfalls unvollendet. 


Versuch Nr. 16. 

Aus 2 kg Schweinsleber wird Preßsaft in der Menge von 280 ccm 
gewonnen. 

10 g des durch Alkoholätherfällung erhaltenen Niederschlages 
werden in 200 cem einer sterilen 5proz, Traubenzuckerlösung getan; 
darüber wird reichlich Thymolpulver gestreut. Es tritt schon nach 
fünf Minuten eine lebhafte Gärung ein. Wasserstoff wird täglich zwei 
Stunden lang durchgeleitet. 

Nach 24 Stunden: Über dem Gemisch steht eine starke Schaumschicht 
0 Die Gärung scheint nachgelassen zu haben 
=0%x24 „ Keine sichtbare Gärung,. 

An Kohlendioxyd wurde gewonnen: 

Nach 24 Stunden: 0,498 


90547 a 1:7 
„3x4 „0,052 
ERET RBTRIEK NS 


Im ganzen 0,927 00,. 
Die Alkoholproben fielen positiv aus. Eine Reindarstellung des 
Alkohols durch fraktionierte Destillation gelang aber nicht. 
Die geimpften Nährböden blieben steril. 


Versuch Nr. 17. 

Schweinsleber im Gewichte von 21/, kg. Erhalten werden etwa 
350 ccm Preßsaft. 

250 ccm Preßsaft werden mit 250 ccm einer 5proz. Zuckerlösung 
vermischt. Als Antiseptikum wird reichlich Thymolpulver zugesetzt. 
Wasserstoffdurchleitung täglich zwei Stunden, Nach acht Stunden tritt 
eine starke Gärung ein. 

An Kohlendioxyd wurde erhalten: 

Nach 24 Stunden: 0,346 
BR N 0,821 
0 ek 0,793 
pr 0,485 

Im ganzen 2,445 CO,. 

Die Alkoholproben fielen folgendermaßen aus: 

Jodoformprobe: Schwacher Geruch, wenige Kristalle 
Aldehydprobe: Deutliche Grünfärbung, deutlicher Aldehydgeruch. 

Eine Reindarstellung des Alkohols gelang nicht. In den angelegten 

Nährböden trat nach zwölf Stunden reichliches Bakterienwachstum ein. 


Versuch Nr. 18. 


250 ccm aus 2!/, kg Schweinsleber gewonnenen Preßsaftes werden 
mit 250 cem einer 5proz. Traubenzuckerlösung vermischt. Als Anti- 
septicum dienten 5 ccm Chloroform und etwas Thymolpulver, 


34* 


532 J. Feinschmidt, 


An Kohlendioxyd erhalten: 
Nach 12 Stunden: 0,27 


Er Se 
x 7,2088 
BR N 


Im ganzen 0,51 CO,. 

Die qualitativen Alkoholproben fielen positiv aus. Die quantitative 
Bestimmung des Alkohols wurde durch Abwägung der ausges:hiedenen 
Jodoformkristalle vorgenommen; zur Bestimmung des eventuell vor- 
handenen Acetons habe ich mich des von C. Oppenheimer modi- 
fizierten Denigesschen Verfahrens*) bedient, 

Auf diese Weise erhielt ich 6 mg Jodoform aus einer Substanz, die 
keineswegs Aceton war. 

Die angelegten Nährböden blieben steril. 


Wenn ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen betrachte, 
so komme ich zu folgenden Resultaten: 

1. In den unter Zusatz von Antisepticis angestellten Ver- 
suchen zeigte sich, wenn ich nur die anführe, in welchen die 
Abimpfung ergab, daß sich keine Bakterien entwickelt hatten, 
jedesmal die Bildung von Kohlendioxyd, Alkohol und Säuren. 

Die Entwickelung der Kohlensäure und Zerstörung des 
Zuckers war stärker in den durch Alkoholäther erhaltenen 
Fällungen der Preßsäfte als in den Preßsäften selbst. 

Auch negative Resultate mit Preßsäften hatte ich zu ver- 
zeichnen, immer dann, wenn ich sehr große Mengen Antiseptiea 
zugesetzt hatte. Es ist also unbedingt nötig, bei der Anstellung 
solcher Versuche die Menge des Zusatzes von Antiseptieis zu 
variieren, da schon ein geringes Minus die Bakterien nicht ab- 
tötet, ein geringes Plus die Wirkung des Fermentes hindern kann, 
eine Beobachtung, auf die schon verschiedene Autoren auf- 
merksam machten. Ich möchte noch erwähnen, daß auch die 
Buchnersche Zymase sich bei weitem nicht indifferent zu den 
verschiedenen Antiseptieis und besonders zu verschiedenen 
Quantitäten desselben Antisepticums verhält**). 

2. Die Glykolyse ist ein selbständiger zellulärer Vorgang, der 
anscheinend mehreren Organen zukommt. Ich fand sie in Brei- und 
Preßsäften von Pankreas***), Leber- und Muskelfleisch. Sie ist aber 
nicht bloß an die Tätigkeit der lebendigen Zelle gebunden, da der 


*) C. Oppenheimer, Über einen bequemen Nachweis von Aceton usw.. 
Berl. klin. Wochenschr. Nr. 38, 1899. 
**) Buchner, E. u. H., und Hahn, M.: Die Zymasegärung 1903,. 
Kapitel 4, S. 169. 
***) Da von anderer Seite neuerdings negative Resultate mit Pankreas 
erzielt wurden, so sollen diese Versuche fortgesetzt werden, um die Divergenz. 
der Ergebnisse aufzuklären. 


Über das zuckerzerstörende Ferment in den Organen. 533 


durch hohen Druck in der Buchnerschen Presse gewonnene Saft, 
der bloß Zellentrümmer und keine lebendigen Zellen mehr enthält, 
bei gewöhnlicher, sowie bei anaerober Atmung glykolytisch wirkt. 

Es ist mir auch gelungen, wie Blumenthal und Stoklasa 
und Czerny, das Ferment mit Alkoholäther, allerdings noclı 
unrein, zu isolieren. 

3. Aus dem Vergleich der aerob und anaerob ausgeführten 
Versuche (Nr. 11, 13, 17, 18) geht hervor, daß anaerob die Glyko- 
lyse intensiver und rascher vor sich geht als bei Sauerstoffzutritt. 


4. Die glykolytische Kraft der Preßsäfte nimmt mit der Zeit 
ab, wie aus dem Versuche Nr. 6 hervorgeht. 

5. Beim Vergleiche der Wirkung einer bestimmten Menge 
Preßsaftes mit der einer entsprechenden Quantität isolierten Fer- 
mentes (Nr. 9, 12, 13) stellt sich heraus, daß im Fermentzucker- 
gemisch die Spaltung früher beginnt, früher zu Ende kommt und 
intensiver verläuft. Ich habe eine sehr rasch entstehende Gärung, 
wie sie Stoklasa beschreibt, bloß in drei Fällen auftreten gesehen; 
gewöhnlich trat sie erst nach 2'/, bis 6 Stunden ein. 

6. Unter den Produkten, die sich bei der Glykolyse ent- 
wickeln, konnte ich reichliche Mengen von Kohlendioxyd und 
verhältnismäßig sehr geringe Quantitäten von Alkohol konstatieren. 
Für die Bildung von Alkohol bei der Organglykolyse halte ich 
für beweisend: 1. das fast in allen Versuchen positiv ausgefallene 
Resultat der Alkoholreaktionen, wobei ausgeschlossen war, daß 
sie etwa durch Aceton vorgetäuscht sein könnten; 2. die gelungene 
Darstellung von fast reinem Alkohol, wenngleich nur in geringerer 
Menge (4 ccm). Doch muß die Menge des bei meinen Versuchen 
wirklich gebildeten Alkohols mindestens auf das doppelte Quantıım 
geschätzt werden, da ich für die Alkoholreaktionen wenigstens die 
Hälfte der Destillate verbraucht habe. 

7. Außer den genannten Produkten bilden sich bei der Gly- 
kolyse in reichlichen Mengen Säuren. Nach der abgelaufenen 
Glykolyse fand ich stets die Gemische bedeutend saurer wie 
vorher. In einigen Versuchen habe ich die Steigerung des 
Säuregrades in den Gemischen bei der Glykolyse zahlen- 
mäßig auszudrücken versucht. Auf die Natur der Säuren bin ich 
nicht weiter eingegargen. Möglicherweise stören die sich ent- 
wickelnden Säuren die weitere zuckerzerstörende Wirkung des 
Fermentes. Claude Bernard*), hat schon die Beobachtung ge- 
macht, daß Säuren die glykolytische Wirkung im Blut ver- 


- 


*) Claude Bernard, loc. cit. 


534 J. Feinschmidt, Über das zuckerzerstörende Ferment usw. 


hindern oder mindestens verzögern, und Bendix*) hat gefunden, 
daß, wenn die Säuren, noch ehe sie das Ferment abgetötet haben, 
durch Zusatz von Alkali neutralisiert werden, die Gärung ihren 
Fortgang nimmt. Simätek berichtet in seiner eben erschienenen 
Arbeit, daß bei der Glykolyse außer Produkten der alkoholischen 
Gärung noch Milch- und Buttersäure entsteht. 

8. Der Versuch Nr. 11 bestätigt die Befunde von M. Jacoby“) 
und Blumenthal**), daß die diabetische Leber keine glyko- 
lytische Kraft besitzt. 

Die Mengen Alkohol, welche ich in den einzelnen Versuchen 
gefunden habe, waren viel zu gering, als daß man von einer alko- 
holischen Gärung sprechen könnte. Die wesentlichen Produkte 
bleiben immer Kohlendioxyd und Säuren. Die Glykolyse ist also, 
entsprechend der Ansicht von Blumenthal, ein selbständiger 
Vorgang, verursacht durch ein in den Gewebszellen enthaltenes 
Ferment, das aber nicht in gleicher Weise den Zucker abbaut 
wie das Hefeferment. 

Zum Schluß möchte ich Herrn Geheimrat E. von Leyden 
meinen herzlichsten Dank aussprechen für die Erlaubnis, meine 
Arbeit auf seiner Klinik ausführen zu dürfen. Ebenso bin ich 
Herrn Dr. F. Blumenthal, Vorsteher des Laboratoriums der 
Klinik, für die Anregung und unermüdliche Unterstützung bei 
dieser Arbeit zu verbindlichstem Dank verpflichtet. 


*) Bendix, loc. eit. Vgl. auchBurghart, Dtsch. med. Wochenschr. 
Nr. 37, 1899. 
**) M. Jacoby, Kongress f. innere Medizin 1898. 
*#*), Blumenthal, loc. cit. 


el 


XL. 


Über die elykolytische Wirkung der Leber.” 
Von Dr. Rahel Hirsch. 
Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg. 


Bekanntlich sucht man die Ursache der diabetischen Stoff- 
wechselstörung in einem Minderverbrauch von Zucker. Da nun 
die Exstirpation des Pankreas die gleiche Stoffwechselstörung 
hervorruft, so hat man diese Ursache in einer glykolytischen 
Wirkung des Pankreas gesucht (Lepine, Ferdinand Blumen- 
thal), eine Vermutung, die sich in dieser Form als unrichtig 
erwiesen hat. Denn nicht bloß, daß das Pankreas an sich keine 
glykolytische Wirkung hat, auch das Blut der Vena pancreatico- 
duodenalis zeigt keine stärkere Glykolyse als jenes anderer 
Körpervenen (Umber). 

Wohl war aber denkbar, daß das vom Pankreas zur Pfortader 
strömende Blut ein Agens, ein Proferment oder eine Kinase, der 
Leber zuführte, durch welche das Lebergewebe erst zum Zucker- 
verbrauch befähigt würde. Trifft diese Vorstellung zu, so muß 
die Pankreasexstirpation die sonst in der Leber erfolgende Um- 
wandlung des Zuckers, die zu seinem Verschwinden führt, tief- 


*) Vorliegende Untersuchung wurde Ende Juli lauf. Js. der hiesigen 
medizinischen Fakultät als Dissertation vorgelegt und erschien im August 
unter dem Titel: „Ein Beitrag zur Glykolyse“. (Straßburg, Buchdruckerei 
C. Müh u. Co. 1903.) Die inzwischen veröffentlichte Untersuchung von 
OÖ. Cohnheim: „Die Kohlehydratverbrennung in den Muskeln und ihre 
Beeinflussung durch das Pankreas“ (Zeitschrift f. physiologische Chemie 39, 336, 
ausgeg. am 3. Sept.) hat mit meiner Arbeit soviel Berührungspunkte, daß 
es notwendig erscheint, den wesentlichen Inhalt der Dissertation schon jetzt 
weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Damit soll zugleich dem hiesigen 
Laboratorium das Recht gewahrt werden, die in Angriff genommene Frage 
weiter zu verfolgen. 

Betreffs der Literatur der Glykolyse verweise ich auf meine Dissertation, 
sowie die in diesen Beiträgen erschienenen Arbeiten von Herzog (2, 102) 
und Feinschmidt (4, 511). 


536 | Rahel Hirsch, 


gehend schädigen oder völlig aufheben und muß so Hyperglykämie, 
Glykosurie und eine mehr oder weniger weitgehende Unfähigkeit, 
Zucker zu assimilieren, bedingen. Dieser Gedankengang, welcher 
von Herrn Professor Hofmeister gelegentlich seiner Vorlesungen 
entwickelt wurde, war der Ausgangspunkt der mitzuteilenden 
Versuche. 

Sie hatten zum Ziele, festzustellen: 

1. ob die von früheren Autoren bei Autolyse der Leber 
beobachtete Glykolyse sich auch auf zugesetzten Traubenzucker 
erstreckt; 

2. ob in diesem Fall die Menge der bei der Autolyse ent- 
stehenden ätherlöslichen Fettsäuren, vor allem der Milchsäure, 
dadurch eine solche Steigerung erfährt, daß sich ein Schluß daraus 
auf die Entstehung dieser Säuren aus Zucker ziehen ließe; 

3. ob die glykolytische Leistung der Leber durch Zusatz von 
Pankreas eine Steigerung erfährt. 


Methodisches. 


Die Versuche wurden ausschließlich an ganz frisch entnommenen 
Organen vom Rind unter strenger Antisepsis bzw. unter Anwendung von 
Toluol ausgeführt. Dies empfiehlt sich schon im Hinblick auf die zahl- 
reichen Fehlerquellen, denen man bei rein aseptischen Versuchen, sobald 
es sich um Entnahme größerer Organe handelt, stets ausgesetzt ist. Im 
vorliegenden Falle, wo überdies eine möglichst innige Einwirkung der 
Leber auf den zugesetzten Zucker angestrebt werden mußte, war eine 
Zerkleinerung der Leber bzw. des Pankreas vor dem Zusammenbringen 
mit Zucker nicht zu umgehen, und dabei ist an eine Fernhaltung von 
Gärungs- und Fäulniserregern nicht zu denken. Da, wie andere 
Antiseptica, auch das Toluol bestimmte fermentative Umsetzungen auf- 
heben kann, ist damit zugleich ein Verzicht auf den Nachweis von etwa 
vorhandenen gegen Toluol empfindlichen Fermenten gegeben *). 


*) Wenn, während diese Untersuchungen ausgeführt wurden, Stoklasa 
und seine Schüler Beobachtungen mitgeteilt haben, wonach Leber und 
Pankreas und andere Organe der Hefezymase und dem Milchsäureferment 
ähnliche, äußerst wirksame Enzyme enthalten sollen, so konnte ich zu diesen 
Befunden in meinen Versuchen nicht weiter Stellung nehmen, möchte aber 
doch erwähnen, daß die von Stoklasa angewandten Maßnahmen, durch 
welche er sich vor Täuschung durch hinzutretende Gärungserreger zu 
schützen suchte, nicht derart sind, eine exakte Nachprüfung überflüssig zu 
machen. Vor allem ist die Unmöglichkeit, Bakterienwachstum durch Über- 
impfung auf eine beschränkte Anzahl Nährböden zu erzielen, keineswegs ein 
sicherer Beweis von Sterilität, da es zahlreiche, zumal ana@robe, Bakterien 
gibt, — man denke nur an die im Darm lebenden zahlreichen Formen —, 
die sich nur äußerst schwierig, wenn überhaupt, auf künstlichem Nährmaterial 
zu lebhaftem Wachsen bringen lassen. Soweit aber Stoklasa vom Zusatz 
antiseptischer Stoffe Gebrauch machte, so handelte es sich einerseits mehr- 


| 


Über die glykolytische Wirkung der Leber. 537 


Meine Versuche wurden in der Regel in folgender Weise ausgeführt. 
Von dem gut zerkleinerten Leber- bzw. Pankreasbrei wurden gewogene 
Mengen — 100 g — mit dem gleichen Gewicht 0,8proz. Kochsalzlösung, 
event. einer Zuckerlösung von bekanntem Gehalt und soviel Toluol 
versetzt, daß der in einem gut verschließbaren Präparatenglas befindliche 
Brei nach innigem Schütteln beim Stehen eine fingerdicke Schicht von 
Toluol absetzte. Dieses Schütteln ist namentlich im Anfang zweckmäßig 
öfters zu wiederholen. Bei sehr fäulnisfähigen Geweben, z. B. Pankreas, 
kann man die Erfahrung machen, daß bei Unterlassen zureichenden 
Schüttelns sich Fäulnis auch unter der Toluolschichte einstellen kann. 
Daß in meinen Versuchen die Antisepsis eine vollkommene war, ergab 
sich nicht bloß aus der Beschaffenheit der Proben, die ihr frisches Aus- 
sehen lange bewahrten, sondern auch aus der mikroskopischen und 
bakteriologischen Prüfung. Insbesondere bin ich Herrn Prof. Forster für 
die gütige eingehende Untersuchung zweier derart gewonnener auto- 
lytischer Flüssigkeiten zu besonderem Danke verpflichtet, bei der sich 
deren völlige Sterilität auch auf den geeignetsten Nährböden herausstellte. 


Die zur Autolyse bestimmten Proben wurden, gut verschlossen, in 
einen auf 37° temperierten Brutraum gestellt und gelangten nach einem 
kürzeren oder längeren Zeitraum (1 bis 100 Tage) zur Untersuchung. 
Dieselbe erstreckte sich auf die quantitative Bestimmung des Glykogens, 
des Zuckers und der ätherlöslichen Säuren, 


Zur Bestimmung des Glykogens diente das in jüngster Zeit ange- 
‚gebene Verfahren von Pflüger, bei dem das Gewebe mit 60proz. 


- KOH-Lauge in Lösung gebracht und das Glykogen durch Alkohol aus- 


gefällt wird. Die Prüfung auf Glykogen war übrigens nur bei der 
frischen oder nur wenige Tage autolysierten Leber notwendig, nach 
achttägiger Autolyse ist nie Glykogen mehr vorhanden, wie sich übrigens 


schon durch die völlig klare Beschaffenheit der Leberdekokte verrät. 


Behufs Zuckerbestimmung wurde der Organbrei in mit saurem Kalium- 
phosphat (KH, PO,) angesäuertem Wasser zum Kochen gebracht, wobei 
sich in der Regel das noch etwa vorhandene gelöste Eiweiß gut ab- 
schied; Flüssigkeit samt Niederschlag wurden dann in einem Maßzylinder 


_ auf ein bestimmtes Volum (1000 cem) gebracht. Dann wurde nach 


längerem Stehen abfiltriert und ein aliquoter Teil unter Vernachlässigung 
des Volumens des Gewebes zur Zuckerbestimmung benützt. Gelegentliche 


 Kontrollversuche im hiesigen Institut haben nämlich gezeigt, daß auf 
- diesem bequemen Wege richtigere Zahlen für den Gehalt des Organbreis 


an gut diffundierenden Substanzen erhalten werden als bei Auswaschen 
des Eiweiß-Niederschlags. Sämtliche Titrationen wurden doppelt und 


zum Teil öfters ausgeführt, 


Die Bestimmung der ätherlöslichen Säuren geschah durch Extraktion 
eines aliquoten Teiles des Dekokts nach Ansäuren mit Ather in einem 


Apparat nach Schacherl und darauf folgende Titration des sauren 


Atherrückstandes, 


fach um Stoffe von sehr unzureichender antiseptischer Wirkung, andererseits 


vielfach um den Zusatz von so kleinen Mengen und unter so ungünstigen 


Bedingungen, daß Zweifel an ihrer ausreichenden Wirksamkeit nicht ausge- 
schlossen sind. 


538 Rahel Hirsch, 


Versuche. 

Eine Anzahl der im Beginn von mir ausgeführten Versuche 
diente mir zur Orientierung über Technik und Fehlerquellen des 
angewandten Verfahrens. Diese Vorversuche hatten im ganzen 
das gleiche Ergebnis wie die noch anzuführenden; sie zeigten, 
daß unter Toluol eine langsame, aber unzweifelhafte Abnahme 
des der Leber zugefügten Zuckers erfolgt, sowie daß diese Ab- 
nahme durch Zusatz von Pankreasbrei in auffälliger Weise be- 
schleunigt wird. Bei diesen Vorversuchen wurde ferner unter- 
sucht, ob der Zusatz von säurebindenden Salzen: Natriumbikarbonat, 
Magnesiumkarbonat, Kalziumkarbonat die Zuckerabnahme und die 
Säurebildung begünstigt. Doch habe ich in weiteren Versuchen, 
um nicht die natürlich gegebenen Bedingungen unnötig zu 
komplizieren, zumeist von diesen Zusätzen Abstand genommen. 

Nachstehend lasse ich eine Anzahl Versuchsprotokolle in 
tabellarischer Anordnung folgen. 


Tabelle I. 


Versuche ohne Pankreaszusatz. 


100 g . Ges.- | Ge=.- 


Nr frische Leber Zusatz Kohle- Kohle- Abnahme 
" enthalten an |hydrat Dauer der | hydrat 
des Gly- |vor der| NaHCO, nach d.|____ 2 eg 
Be Gly- Gly- Lose Auto- Autolyse | Auto- 
“ | kogen | kose lyse lyse g Proz. 
g g g g g 


m |134 |a86 | .o | :asol ©... A Ta ı| ao mr 

m |ı3 Jı1u | oo | aa 0o Is, | 108) 100 om 
pvp /ıe lea | oo | a0 oo | „ | 18 as 5 
e ! „ 950012900 0 |1m „ |gasa| 697) 36 


_—_ 


VI 0,67 | 2,45 | 24,50 | 27,62 |zugesetzt!6 Wochen| 21,92| 5,70 | 20,6 


— 


IVb | 0,39 | 1,95 0 2,34 0 3!/, Mon.| 2,05| 029 | 123,6 


Ivan. „ Ias0|as| 0o |, „1022| 542 | 220. 
vp |0963| 2843| 0 | ssı 0 |5Mon. | 39.| 0897| 87 
Ve „ist 0 „ |zugesetzt| „ „ 3,33 | 0,48 ErrZ 
Var ac, oa a5 0 |, , I1o|35| SW 
Ve » |» )1980| 23,61 \zugesetzt| „ „ | 17,02| 659 29 


Diese Versuche zeigen, daß Leberbrei unter Toluol, sich selbst 
überlassen, in vielen Fällen einen Zuckerverlust zeigt, der nach 
Zuckerzusatz pro 100 g Leber mehrere Gramm Zucker betragen kann. ° 

Sie zeigen ferner, daß zugesetzter Traubenzucker stets ange- 
griffen wird, und zwar im Verhältnis rascher als der von der 


— 


Über die glykolytische Wirkung der Leber. 539 


Leber gelieferte. Die Abnahme tritt verhältnismäßig langsam ein 
und erreicht selbst bei monatelanger Digestion meist nur einen 
Wert von 20 bis 30 Proz., selten bis 50 Proz. des ursprünglichen 
Kohlehydratgehalts. Dabei steigt die Menge des verschwundenen 
Zuckers deutlich mit der Größe des Zusatzes (Versuch V b, d, e). 
Die Abnahme kann daher bei sehr ungleichem Gehalt an Gesamt- 
kohlehydrat prozentisch ziemlich gleich, in absoluten Werten aber 
sehr verschieden sein. Es könnte sich somit um eine Gleich- 
gewichtsreaktion handeln. 

Bevor ich daran ging, den Einfluß des Zusatzes von Pankreas 
auf die glykolytische Leistung der Leber zu bestimmen, war zu 
erwägen, ob nicht Pankreas selbst zuckerzerstörend wirkt. Von 
Lepine und Blumenthal und erst jüngster Zeit von Simätek 
ist dem Pankreas eine solche Wirkung zugeschrieben, von 
Umber aber auf Grund sorgfältiger Versuche durchaus abge- 
sprochen worden. Soweit es sich um Versuche mit ausreichender 
Antisepsis handelt — also um Bedingungen, wie sie auch bei 
meiner Untersuchung gegeben waren —, ist die Angabe Umbers 
nicht bezweifelt worden. Immerhin habe ich es für zweckmäßig 
gehalten, mich neuerdings von Ihrer Richtigkeit zu überzeugen *). 


Versuch \L 
100 g Pankreasbrei wurden mit 25g Glykose unter Toluol sieben Tage 
lang digeriert. Es wurden dann wiedergefunden 24,99 g. Es hatte sonach 
keine Zuckerabnahme stattgefunden. 


Ganz anders gestaltete sich das Ergebnis bei Zusammenwirken 
von Leber- und Pankreasbrei. 


Tabelle II. 


Versuche mit Pankreaszusatz. 


100 8 Ges.- Ges.- 
frische Leber Zusatz K BES: Kehle- Abnahme 
2 enthalten an |hydrat Dauer der | hydrat 
des Gly- ‚vor der| NaHCO, nach d. ER: 
Be Gly- Gly- kose | Auto- Autolyse | Auto- 
“ I kogen | kose lyse g Proz. 
8 
Id, 1,12 | 2,97 | 25,00 | 29,09 0 1 Tag 29,41 0 0 
IIc.| 1,34 |. 2,86 | 25,00 | 29,20 0 4 Tage | 23,53 | 5,67 | 19,7 
id, 1,12 | 2,97 | 25,00 | 29,09 0 Brlız 10,52 | 18,57 63,8 
Be 11,923 | 1.11 0 2,34 zugesetzt 8 „ 0,76) 1,58 | 67,5 
im | _ r2cg \ Bes „1050| EBE7S6 


*) Auch Cohnheim hat beim Pankreaspreßsaft die Abwesenheit einer 
glykolytischen Wirkung nachweisen können. 


540 Rahel Hirsch, 


Wie ersichtlich, hat Pankreaszusatz einen mächtig fördernden 
Einfluß auf die Zuckerabnahme. Er beschleunigt sie in dem 
Maße, daß sie zu einem Zeitpunkt, wo die Kontrollprobe noch 
nichts davon erkennen läßt, bereits mehrere Gramm Zucker beträgt, 
(Man vergleiche z. B. die mit derselben Leber ausgeführten Ver- 
suche IIb der Tabelle I und IIc der Tabelle IL) Nach achttägiger 
Digestion hat bei Pankreaszusatz der Zuckerverlust regelmässig 
eine Höhe erreicht (über 60 Proz. des Anfangsgehalts), wie sie ohne 
solchen Zusatz in keinem Fall auch bei viel länger dauernder 
Autolyse beobachtet wurde. 


Besonders auffällig erschien der Einfluß des Pankreaszusatzes 
in nachfolgendem Versuch (1V d)*): 

100 g der in Versuch IVb verwendeten Leber hatten, wie aus 
Tabelle I ersichtlich, bei 3'/,monatlichem Stehen (16/II. bis 80./VI.) nur 
0,29 g Kohlehydrat = 12,6 Proz. eingebüßt. Eine sonst gleich behandelte 
Probe derselben Leber wurde nach viermonatlichem Stehen (16./IIl. bis 
17./VIl.) mit 100 g Pankreas versetzt und neuerlich unter Toluol auto- 
lysiert. Nach achttägiger Digestion ergab die Titration 0,44 Proz. Zucker, 
statt 2,34, somit eine Gesamtabnahme von etwa 80 Proz. 


Der Zuckerverlust, der schon bei den einfachen Leberver- 
suchen in vielen Fällen auffallend groß ist, erreicht in diesen 
Versuchen einen erstaunlichen Wert. Es liegt da ein Zucker- 
umsatz vor, der mit den gewaltigen Leistungen des pflanzlichen 
Kohlehydratstoffwechsels in eine Reihe gestellt werden kann, 
Wenn darnach 100 g Leber in acht Tagen 5, 10 g und mehr Glykose 
so verändern können, daß sie sich dem Nachweis entziehen, so 
erscheint die Frage um so dringender, was aus dem verschwundenen 
Zucker geworden ist. 


Da man bei der Leberautolyse regelmäßig reichliche Säure- 
bildung beobachtet, die vielfach auf Umwandlung der Kohlehydrate 
bezogen wird (Magnus-Levy), so liegt die Vermutung nahe, daß 
auch in meinem Falle der zugesetzte Zucker für die Bildung von 
Säuren — von Milchsäure, Bernsteinsäure, Buttersäure usw. — 
Verwendung gefunden hätte. 


Die Bestimmung der bei der Autolyse entstehenden äther- 
löslichen Säuren in Versuchen, wo dieselbe Leber unter Zufügung 
neutralisierender Salze teils mit, teils ohne Zuckerzusatz der 
Autolyse überlassen wurde, ergab keine Stütze für diese Auffassung. 


*) Der Versuch konnte erst nach Abschluß meiner Dissertation zu Ende 
geführt werden, ist daher in dieselbe nicht aufgenommen. 


a a u 2 © 0059 m 


“w 


Über die glykolytische Wirkung der Leber, 541 


Tabelle III. 
Säurebildung bei dreimonatlicher Autolyse. 


Bedarf an 


Be, Zusatz an neu- Zusatz No-Natron zur Neu- 
5 |tralisierendem | an Glykose tralisation der ge- 
er | Salz g bildeten ätherlösl. 
| Säuren 
100 g Lieber + 100 ccm | Er 
VIITa | 0,8proc. NaUl-Lösg | 0 0 11,8 ccm 
VIaID. R \2 g MgCO, 0 | 104% 
VIIIe | 3 ee 10,0 | KEANE 
VIIId ö |2g CaCO, 0 | 168 „ 
VIIIe | ” AAN 59 | 10,0 16,4 „ 
VIE i 2g NaHCO, 0 | 147 „ 
VINg. R PETER AR 10,0 | 152 , 


Wie man sieht, scheint zwar das zur Neutralisation zugesetzte 


Salz einen gewissen Einfluß auf die Menge der gebildeten äther- 


löslichen Säuren zu haben, ein Einfluß des Glykosezusatzes ist 
aber nicht erkennbar. Aber auch sonst haben sich bisher keine 
Anhaltspunkte zur Erkennung des betreffenden Umwandlungs- 


 produktes ergeben. Eine Vergärung unter reichlicher Kohlen- 


säurebildung, wie sie Stoklasa und Simädek beobachtet zu 
haben glauben, war nicht wahrnehmbar; Alkohol konnte ich zwar 
in einzelnen Versuchen im Destillat nachweisen, aber nicht konstant 
und vor allem nicht in einer Menge, die zur Deckung des ver- 
schwundenen Zuckers auch nur entfernt hingereicht hätte. Ich 
muß daher wenigstens für meine Versuchsanordnung Feinschmidt 
darin beistimmen, daß bei der Glykolyse eine alkoholische Gärung 
nicht vorliegt. Es wird besonderer Versuche bedürfen, die ent- 
sprechenden Umwandlungsprodukte zu fassen und der Analyse 
zuzuführen. 

Das Ergebnis meiner Versuche läßt sich kurz dahin zusammen- 
fassen, daß das Lebergewebe die Fähigkeit besitzt, Traubenzucker 
weitgehend chemisch zu verändern*), und daß diese Fähigkeit durch 
Pankreasgewebe mächtig gefördert wird. Damit scheint der ein- 
gangs entwickelte Gedankengang eine auffallende Bestätigung 
zu finden, Man könnte sich nun über die Rolle, welche Leber 
und Pankreas bei der Glykolyse im Tierkörper spielen, folgende 
einfache Vorstellung bilden: Die Leber besitzt das Vermögen, ihr 


*) Ob es sich dabei um einen Abbau oder eine Veränderung anderer 
Art handelt, mag zunächst unentschieden bleiben. 


542 Rahel Hirsch, Über die glykolytische Wirkung der Leber. 


zuströmenden Zucker zu verändern, dieses Vermögen ist aber an die 
Bedingung geknüpft, daß ihr vom Pankreas aus ein dazu absolut 
nötiges — an sich allein unwirksames — Agens, vermutlich ein Pro- 
ferment oder eine Kinase, zugeführt wird. Die frisch isolierte Leber, 
die eben erst aus der Verbindung mit dem Pankreas gelöst worden ist, 
besitzt naturgemäß noch etwas von dem zugeführten Agens und 
damit in wechselndem Maße glykolytische Wirkung. Zusatz von 
Pankreas steigert diese Wirkung. Wird der Leber durch Aus- 
schaltung des Pankreas das betreffende Agens dauernd entzogen, 
so muß ihre glykolytische Wirkung zurückgehen und schließlich 
verschwinden. Ob dieser Schluß gerechtfertigt ist, werden end- 
gültige Versuche über die ‚glykolytische Leistung der Leber von 
Tieren ohne Pankreas entscheiden müssen. Vorläufig spricht der 
Umstand, daß Jacoby, Blumenthal und jüngst Feinschmidt 
die Leber des Diabetikers frei von glykolytischer Wirkung gefunden 
haben, sehr für eine solche Auffassung. 

Gegen dieselbe könnte der Einwand erhoben werden, daß die in 
meinen Versuchen beobachtete Glykolyse allzuspät auftrete und zu träge 
verlaufe, um eine Anwendung auf die vitalen Vorgänge zu gestatten. 
Doch kann dieses Bedenken nicht entscheidend sein. Einmal kennen wir 
die Bedingungen der Glykolyse im Körper nicht entfernt genau genug, 
um sie im Reagenzglas mit annähernd gleichem Erfolg nachahmen zu 
können. Sodann ist aber der langsame Verlauf der experimentellen 
Glykolyse in unserem Falle zum Teil dem Umstand zuzuschreiben, daß 
der in den Leberzellen enthaltene glykolytisch wirkende Stoff erst bei 
Zerfall der Leberzellen mit dem aus Glykogen entstehenden und dem 
zugesetzten in Lösung befindlichen Zucker ausreichend in Berührung 
kommt, daß gewissermaßen zuerst eine „Aufschließung“ der Zellen durch 
autolytische Fermente erfolgen muß. Möglicherweise ist der raschere 
Verlauf der Glykolyse bei Pankreaszusatz zum Teil auf eine solche be- 
schleunigte Aufschließung zu beziehen, während sich die intensivere 
Wirkung aus diesem Umstand nicht wohl erklären läßt. 


Immerhin kann diesen Vorstellungen vorläufig nur ein heuristi- 
scher Wert zuerkannt werden. Bei der verwickelten Natur der 
einschlägigen Vorgänge und der großen praktischen Wichtigkeit 
der Sache erscheint es hier mehr noch als sonst geboten, sich 
weitgehender Schlußfolgerungen zu enthalten. Vor allem muß 
nochmals aufs sorgfältigste geprüft werden, ob die beobachtete 
auffällige Wirkung des Pankreas auf die Glykolyse in der Leber 
nicht doch noch von Bedingungen abhängt, die mit dem physiolo- 
gischen Zuckerverbrauch nichts zu tun haben. 


Verlag von Aug. Hirschwald in Berlin. 


Soeben erschien: 
Die chemische Pathologie der Tubereulose, 


Bearbeitet von Docent Dr. Clemens, Docent Dr. Jolles, Prof. Dr. R. 
May, Dr. von Moraczewski, Dr. Ott, Dr. H. von Schroetter. 
Docent Dr. A. von Weismayr. 


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Hermann von Helmholtz 


u REED EEE TELLER RIED 


Leo Kokkisibengeh 
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Preis des vollständigen Werkes geh. M. 20.—, 
geb. in Leinwd. M. 2. geb. in Halbfrz. M. 3L—. 


IM“ dem soeben zur Ausgabe gelangten dritten Bande des hochbe- 
deutenden Werkes ist die grosse Helmholtz-Biographie von 

Leo Koenigsberger, welche als eine biographische Leistung ersten Ranges 
| für die gesamte wissenschaftliche Welt und für weite Kreise des ge- 
bildeten Publikums von dem grössten Interesse ist, vollständig 
erschienen. 

Die Entwickelung, das Leben und Wirken und die Bedeutung 
einer Persönlichkeit zu schildern, die durch den Umfang und die Tiefe 
des Wissens und die Macht des Könnens die meisten ihrer Zeitgenossen 
überragt, alle Welt durch das Produkt ihrer Arbeit während mehr als 
eines halben Jahrhunderts in Staunen und Bewunderung versetzt und 
der Wissenschaft neue fundamentale Lehren geschenkt und neue Wege 
zu fruchtbarer Tätigkeit gewiesen hat, war eine ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe, deren Durchführung dem Verfasser, welchem nicht 
nur die Feder, sondern auch die auf eingehender Sachkenntnis ruhende 
Teilnahme für Person und Stoff zu Gebote stand, in vollendetem 
Masse gelungen ist. 

Dem grossen Naturforscher und Gelehrten ist mit 
dieser meisterhaiten Darstellung seines in der Geschichte 
der Wissenschaft wohl einzig dastehenden Entwickelungs- 
ganges und seiner unvergleichlichen Lebensarbeit ein 
würdiges Denkmal errichtet worden, wie es der Mit- 
und Nachwelt nicht schöner überliefert werden konnte, 


Zu bezieben durch alle Buchhandlungen. 


FEFFFEFRIITTFERT 


A. W. ZICKFELDT, OSTERWIECK/HARZ. 


Beiträge 


zur 


Chemischen Physiologie 


und 


Pathologie 


Zeitschrift für die gesamte Biochemie 


unter 
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben 


von 


Franz Hofmeister 


0. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg 


IV. Band. 12. Heft 


(Ausgegeben November 1908) 


Braunschweig 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


60:3 


Inhalt des 12. Meftes. 


3 Seite 
XLI. A. Nürnberg. Uber die koagulierende Wirkung autolytischer 
Organ-Extrakte auf Albumosenlösungen und Milch. (Aus dem 
physiologisch-chemischen Laboratorium der UniversitätCharkow). 543 


XLI. H. Bayer. Über die plasteinogene Substanz. (Aus dem physio- 
logisch-chemischen Institut zu Strassburg ü. E) . . . . . 554 


XLIII. Leopold Moll. Über künstliche Umwandlung von Albumin 
in Globulin. (Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen 
Universität in Prog)... ..'s). “% wie ru Ze uk 


XLIV. Leopold Moll. Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 
(Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität 
in. Brag) ».- 02. man De a ee ee re a 2 a ee 


Die „Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie“ erscheinen 
in zwanglosen Heften, von denen 12 einen Band von 36 Druckbogen zum 
Preise von M. 15,— bilden. 


Die Ausgabe der Hefte erfolet nach Maßgabe des einlaufenden 
Materials in kurzen Zwischenräumen. Die Zahl der in einem Jahre er- 
scheinenden Bände soll zwei nicht überschreiten. 


ee sind an den Herausgeber, Straßburg i. E., 
Wimpfelingstraße 2, zu richten. 


Bei der Male von Arbeiten in die „Beiträge“ soll in erster Reihe 
deren biologisches Interesse, sodann Exaktheit der Durchführung, Sachlich- 
keit, Knappheit und UÜbersichtlichkeit der Darstellung maßgebend sein. 
Polemische Ausführungen, welche den Rahmen einer tatsächlichen Richtig- 
stellung überschreiten, können nicht Aufnahme finden. Der kurzen Mit- 
teilung neuer Befunde bleibt ein besonderer Raum vorbehalten. Solchen 
„kürzeren Mitteilungen“ kann ein besonders rasches Erscheinen zugesichert 
werden. 


Die Mitarbeiter erhalten ein Honorar von M. 40,— für den Druck- 
bogen und 50 Sonderabzüge. 


XLI. 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ- 
Extrakte auf Albumosenlösungen und Milch. 
Ven Dr. A. Nürnberg. 


Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium der Universität Charkow. 


Die Untersuchungen der letzten Jahre über die autolytischen 
Veränderungen der tierischen Gewebe haben gelehrt, daß es sich 
dabei um recht verschiedene chemische Prozesse handelt. Die 
Eiweißkörper und Nucleoproteide zerfallen allmählich bis zur Ent- 
stehung von kristallinischen Produkten, die Kohlenhydrate bis zur 
Bildung von Fettsäuren, z. B. Milchsäure, Bernsteinsäure, Essig- 
säure, Buttersäure und Kohlensäure. Diese Veränderungen sind 
fermentativer Natur, d. h. sie werden von gelösten nichtorgani- 
sierten Fermenten, die sich in den Geweben vorfinden, hervor- 
gerufen. 

Die große Verbreitung einer labenden Wirkung auf Milch in 
den Geweben der Tiere und Pflanzen und das in einzelnen 
Fällen nachgewiesene Nebeneinandervorkommen von labender 
und proteolytischer Wirkung (Magen-, Pankreas- und Papayotin- 
extrakte) legt die Frage nahe, ob nicht auch die autolysierten 
Organe Labwirkung besitzen. Das Interesse einer solchen 
Untersuchung wird wesentlich dadurch gesteigert, daß in der 
letzten Zeit A. Danilewski, W. Okunew, D. Lawrow, 
Sawjalow, Kurajeff, Salaskin und M. Lawrow gezeigt 
haben, daß die Magenschleimhaut-, Pankreas- und Papayotinextrakte 
neben der labenden Wirkung auf Milch und der proteolytischen 
Wirkung auf Eiweißkörper auffallenderweise auch eine Ein- 
wirkung auf Albumosenlösungen besitzen, indem sie darin eigen- 
tümlıche Niederschläge (Plasteine und Koagulosen) erzeugen. Es 
war daher von Interesse zu erfahren, ob die Extrakte von auto- 
lysierten Organen außer der eigentlichen Labwirkung auch die 
Plasteinreaktion aufweisen. 

Von einschlägigen Arbeiten sind nur die Untersuchungen 
von W. Okunew zu erwähnen. Okunew untersuchte die Milch- 
und Plasteinreaktion von Wasser-, Alkohol- und Glycerinextrakten, 


xx 


544 A. Nürnberg, 


die aus den zerkleinerten und an der Luft getrockneten, frisch 
dem Tierkörper entnommenen oder durch 24 Stunden in schwach 
salzsaurem Wasser aufbewahrten Organen dargestellt waren. 
Magen- und Pankreasextrakte koagulierten Milch und Albumosen- 
lösungen viel stärker als die Extrakte von anderen ÖOrganen. 
Betreffs des Pankreasextraktes gibt Okunew an, daß es sowohl 
bei neutraler, als auch bei saurer und schwach alkalischer 
Reaktion auf Albumosenlösungen koagulierend einwirkt. Für die 
anderen Organe fehlen solche Angaben. Die Leberextrakte 
nehmen bei Okunew, ihrer Fähigkeit nach, auf Albumosen zu 
reagieren, unter anderen von ihm geprüften Organextrakten (Magen, 
Pankreas, Dünndarm) den letzten Platz ein. 

Unter -anderem beobachtete Okunew, daß die Lösung von 
Kalbsblutfibrin, das in chloroformhaltigem Wasser lange aufbe- 
wahrt worden war, auf Milch und Albumosenlösungen ganz wie 
Labextrakt koagulierend einwirkt. 

Da die Untersuchungen von Okunew in keiner direkten Be- 
ziehung zu den autolytischen Veränderungen der Organe stehen, 
habe ich auf den Vorschlag von Herrn Professor Kurajeff eine 
Reihe von Versuchen ausgeführt, um die Wirkung der Extrakte 
autolysierter Organe auf Albumosenlösungen und Milch fürs erste 
in ihren Hauptzügen zu studieren. 


Methodisches. 

Für meine Untersuchungen habe ich die im Laboratorium 
von Hofmeister ausgearbeitete antiseptische Methode (Vergl. 
Conradi u. a.) benutzt. 

Möglichst schnell nach dem Tode des Tieres (im Laufe von 10 Minuten 
bis 1 Stunde) wurden die zum Versuch bestimmten Organe aus dem Körper 
entnommen, sorgfältig gereinigt, fein zerhackt und in Kolben mit der 
doppelten Gewichtsmenge physiologischer Kochsalzlösung (0,7 proz.) ver- 
teilt. In jeden Kolben wurden 10 bis 50 cem Toluol und Chloroform ein- 
gebracht, so daß der Boden des Kolbens und die Oberfläche des Inhaltes 
mit einer 1 em hohen Schicht des Antiseptikum bedeckt waren. Die 
Kolben wurden mit Kautschukpfropfen verschlossen in den auf 37 bis 
40° C eingestellten Brutschrank gebracht. Von Zeit zu Zeit wurde ge- 
schüttelt und noch Antiseptikum zugefügt. Die Reaktion der Extrakte 
war in allen Kolben schwach alkalisch. Bakterien waren nicht vorhanden. 

Die Albumosenlösung wurde aus Hühnereiweiß in folgender Weise 
bereitet. Das Eiweiß von 25 bis 50 Eiern wurde mit dem vierfachen 
Volum Wasser vermischt, mit Essigsäure schwach angesäuert, Koaguliert, 
das Eiweißgerinnsel mit Pepsin (1,5 Pepsinum Grübler auf 5 Liter) und 
0,5proz. Salzsäure 2 bis 3 Tage bei 37 bis 40° gehalten. Die Verdauungs- 
lösung wurde mit Soda neutralisiert, vom ausgeschiedenen Acidalbumin 
‚abfiltriertt und auf dem Wasserbade etwas eingedampft. Die benutzten 
Albumosenlösungen enthielten 10 bis 13 Proz. feste Bestandteile. 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ-Extrakte usw. 545 


Die Versuche mit den Organextrakten wurden in folgender Weise 
ausgeführt. Für jedes zum Versuch bestimmte Organ wurden in drei 
Probierröhrchen je 5 ecm neutralisierter Albumosenlösung, in das vierte 
5 ccm Kuhmilch eingegossen. Zu einer Probe der Albumosenlösung wurde 
ein Tropfen (= 0,05 ccm) 12,5proz. Salzsäure, zur zweiten ein Tropfen 
10proz. Sodalösung zugesetzt, die dritte blieb neutral. Die Milch war 
immer von schwach alkalischer Reaktion und frisch. Von jedem Organ- 
extrakte wurden dann je 20 Tropfen in die vier Probierröhrchen filtriert 
und die Proben in den Brutschrank eingestellt. 

Die Kontrollversuche mit 20 Minuten lang gekochten und filtrierten 
Extrakten gaben immer negative Resultate. 

Die zu den Versuchen benutzten Kaninchen und Hunde wurden 
durch Verblutenlassen aus den Halsgefäßen im Laboratorium getötet. 
- Die Organe vom Rind und Schwein wurden vom Schlachthaus bezogen. 


ua u Fan 


Be in ET U an 


A. Organe zweier ausgewachsener Kaninchen. 
I. 4stündige Autolyse. 


Milch Albumosenlösung 
Eine Stunde Eine Nacht j 
im Thermostaten 
sauer |neutral| alkal. | sauer neutral olkal. 
= | spärl. N N 
erinnung in | flock. aum | flock. 2 . 
Magen 3 Stunden |Nieder- trüb |Nieder-] Kaum trüb 
schlag schlag 
Br 2 Bahpı |, #7 Er 
) r flock. en ‚starker | starker | flock. 
Leber Nieder-) trüb trüb | flock. | Nieder-| Nieder- 
schlag Nieder-| schlag | schlag 
Bi: schlag | 
| spärl. "Wa 
. flock. en kaum 
Milz zen — _ - 2 (th Sr 
Bernina trüb Nieder- trüb 
8 ‚schlag j RN 
Eier f ee _ —  ||ebenso | ebenso | ebenso 
. Stunde E 
Muskeln N wie in den |Nieder-| trüb | — INieder- Fan trüb 
Kontroll- | schlag | .j|sehlag | var 
Dünndarm proben mit | etwas | +.üp | trüb | Trübung 
Milch allein | Üb | ___ a ae 
Dickdarm ie _ = eg Trübung 
: | Nied. 
Nieren De _ —  /ebenso Trübung 
z | flock. 
Lungen J trüb - — Nieder--- Trübung 
: PL ee | schlag 
Labpulver von 
Pe 15 Min. | 
Grübler 1,5:50,0 | 


Kontrollproben: I. 5 cem aq. destill. + 1 Tropfen HÜl von 12!/, Proz. 
+ 20 Tropfen der Extrakte — klar. 
II. 5 ccm saurer Albumosenlösung + 20 Tropfen aq. dest. = klar. 


| III, Dieselben Proben wie in den Tabellen nur mit 20 Minuten ge- 
_ kochten Extrakten = klar. 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 35 


546 A. Nürnberg, 


II. stägige Autolyse. 


Milch Albumosenlösung 
2 Eine Stunde | Eine Nacht 
im Tliermostaten 
| sauer neutral alkal. sauer neutral alkal. 
M ı Gerinnung in Klum | kaum | re Trübun 
agen 2 Stunden |Schlae| trüb 7 Nieder 8 
| schlag | 
starker | | | 
) | ers R | ] sehr starker 
Leber Nieder sehr trüb |} „ehr | lock. Nieder- 
schlag | | schlag 
Besherneeng: star- 
sehr ge- 
Milz ringer ' kaum trüb |} ker 
In5Stunden _Nied. | } lock. | 
n . sehr ge- u 
Eier | a sea ı ringer Trübung | Nie rt starke 
'ı Gerinnung. Nied. \ der- Trübung 
Muskeln '( Kontroll- | ebenso ebenso | schlg.' 
Dünndarm proben ganz Trübung | 
Nüssig sehr # fer sehr = 
Dickdarm trüb kaum trüb || Fore trüb 
= ws Trü- . 4 
Nieren aa Trübung nie | trüb 
Hock. starker E 
. : l. lock. 
Lungen Nieder- sehr trüb A. Nie-, Pa 
Bin 1 schlag derschl. Niederschlag 
Labpulv er von ı5 Min. 
Grübler 1,5:50,0 
Kontrollproben wie bei A 1. ho E 
III. 20tägige Autolyse. 
Milh Albumosenlösung 
3 Eine Stunde Eine Nacht 


im Thermostaten 


1 
—ä 
I 
| | sauer neutr. alkal. sauer  neutr.. alkal. 
J i ' 


| sparl. starker | 
Magen rt kaum trüb Eee kaum trüb 
‚schlag schlag 
EN Let Nil. Trebune |  fock. Nieder- 
SHER schlag = sehr | schlag 
. kaum star- 
Milz trüb i Ber | BE starke 
E 2: übung 
Eier den Kontroll- ne = ar ) flock. | 
Br: un h Nie- | 
proben nach 'seus ge-, | 
Muskeln 1 ng trüb | Fu der- | 
Nied. 
Dü d 3 E Yrü- kaum trüb ) er 
ei a | bung | trüb | | 
7  Arü- kaum | sehr | ‚-. _ kaum 
Dickdarm bung I trüb trüb trüb trüb 
y: | kauın | sehr »} _ 
Nieren | trüb ch ra Trubung 
schr ge- ‚starker . 
Lungen | ringer Trübung Nieder- neh. Tr 
Nied. \ schlag | a 


Labpulver von 
Grübler 1,5:50,0 


Kontrollproben wie bei A 1. 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ-Extrakte usw. 


B. Organe vom Rind. 


I. 3!/,stündige Autolyse. 


547 


| Milch Albumosenlösung 

| | Eine Stunde Eine Nacht 

| im Thermostaten 

| sauer | neutr. | alkal. | sauer | neutr. |; alkal. 

| starker 

| Gerinnung u | Hlock. | „», | kaum 
Magen nach 2 Stunden ee, > Be trüb | trüb 

| schlag 

| Gerinnang in = spärlicher Hockiger“ 

Pankreas der ersten Stde. kaum trüb Niederschlag 
| kaum | kaum |Fehr ze- m 
Dünndarm | | wüb | üb trüb ER Trübung 
| | |  Nı1ed. 
£ | \ —_ ee = sehr geringer 
Dickdarm | | kaum trüb trüb trüb | Niadars chlag 
Fe sehr = Ge- | sehr stark flock. 
Leber Ki Wie die | trüb trüb rinnsel | Niederschlag 
Äi Kontroll- | sehr ge- E 
Milz AI proben trüb kaum trüb || ringer | sehr trüb 

| Nied. 

: u kaum || sehr sehr geringer 
Gehirn Bus trüb | trüb | Niederschlag 
Lungen Trübung flockiger Niederschlag 

Eier | | trüb kaum trüb trüb kaum trüb 


_Kontrollproben wie bei A I. 


lI. 8stägige Autolyse. 


Gehirn 


Lungen 


Eier 


n 


| 


J 


Milch 


Eine Stunde 


sauer 
k 


| Hoc 
ıNied 


neutr. | alkal. | sauer 


Albumosenlösung 


Eine Nacht 


im Thermostaten 


neutr. | alkal. 


Kontrollproben wie bei A T. 


Gerinnung u ni - Ge- er 
ach 3 Stunden ie u | kaum trüb | jnnsel Zrabung 
Gerinnung | spärlicher flockiger sehr starker flockiger 
ı nach 10 Min. | Niederschlag Niederschlag 
flock. | ._, : tlock 2.13 
s ı sehr geringer |. .;... | spärlicher lock 
‚Nieder-- %:_,2°..5°7 | Nieder-, "PM! : 
schlag | Niederschlag schlag | Niederschlag 
uni sehr ge- 
| sehr starke Trübung ri | trüb | ringer 
| | Nied. 
Gerinnung | Sehr starker flockiger | Ge- | sehrstrk. flock. 
2 . Niederschlag E rinnsel | Niederschlag 
i Een sehr ge-| kaum \.flock. 
4 bis 5 Stund.| ringer | trüb trüb | Nieder- Trübung 
Kontrol- |_Nied. | | use: 
ns f sehr ge- 
proben flüssig trüb ringer ı sehr trüb 
ı Nied. | 
Inden fehzE>| sehr |Mtrker| _Aockiser 
schlag | Nied. | schlag ” 
ı sehr | ” kaum | F ” 
trüb trüb trüb | sehr trüb 


s5* 


548 A. Nürnberg, 


IlI. 20tägige Autolyse. 


Milch | Albumosenlösung 
"Eine Stunde | Eine Nacht 
im Thermostaten 


sauer neutr. | alkal. 


Yari a Hock. 
Magen ER a | = ee in 
Gerinnung mE ' schwacher flockiger 
2 Pankreas nach 1 Stunde = Niederschlag 
Dünndarm ) - | - | = sehr ger. Niederschlag 
Diekdarm | trüb | — | trüb | flockiger Niederschlag 
sehr | ., starker flock. |Sehr ge- 
Leber iR trüb | nie Niederschlag Hinger 
; sehr ge- > 
Milz L as trüb | — _ en ringer sehr trüb 
[ Kontroll- | \ Nied. 
\ proben .“ı | kaum | kaum ler En kann 
Gehirn üb üb | trüb | trüb | Wüb | erüb 
sehr R = \starker | tlockiger 
Lungen trüb kaum trüb | ee) Niederschlag 
BE a ER HET Ta 
Eier j | a Fe = | un trüb | kaum trüb 
Kontrollproben wie bei A Il. 
C. Organe vom Schwein. 
I. 3l/astündige Autolyse. 
8 y & 
Milch Albumosenlösung 
Eine Stunde l Eine Nacht 
im Thermostaten 
sauer | neutr. | alkal. | sauer | neutr. | alkal. 
z He] ||starkes sehr ge- 
Gerinnung 3 . || | 5 . 
Maecn [Rs ‚> |Nieder-- kaum trüb || Ge- ringer | trüb 
= le ke | schlag \rinnsel | Nied. 
Zu | | | sehr ge- 
= schr | ka | in ai: on 
Dünndarm | kiab, | ira 2 | Nied | Fe ER 
Diekdarım | trüb ı kaum trüb | sehr trüb 
‚starker, EB 
Gerinnung | flock. | a schr starker flock. 
Leber = EL Nieder. sehr trüb Niederschiae 
ı schlag | 
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Nieren ? Stunden. ne trüb | trüb | che 
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Gehirn EN trüb | tra | trüb | Br sehr trüb 
ut | [3 3 > 
flüssig | Hock. | starker dank | 
Lungen er sehr trüb I]fock. schlag | - 
schlag | — | schlag 
schlag 
|sehr ge-, | flock. | 
Muskeln | ) | - | trüb BEE sehr trüb 
| ied. schlag 
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Pankreas en | Trübung IN re sehr trüb 
| schlag 
ee RIER | sehr ge- 
Milz | rarguies s | trüb kaum trüb | Eur sehr trüb 
h \ Nied. 


Kontrollproben wie bei A 1. 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ-Extrakte usw. 


II. 4tägige Autolyse. 


549 


| 


Kontrollproben wie bei A I. 


Milch Albumosenlösung 
Eine Stunde | Eine Nacht 
im Thermostaten 
| | sauer | neutr. | alkal. | sauer | neutr. | alkal. 
Gerinnuug im \ || großes | 
Magen Tue der, Sure el! trüb | Ge- trüb 
ersten Stunde |rinnsel | 
A Br | sehr as ' sehr | Hock. starker 
Dünndarm 2 ) trüb | trüb | trüb | Nied. | Nied. 
: | ' Hock. e  spärlicher flockiger 
Dickdarm eanang | Need. ur Niederschlag + 
ä starker flock. | ,.., |; sehr starker flockiger 
Leber im ve fl. Nied. Nied. | trüb | Niederschlag 
mg H von 2 bis 3 |Aock. :, starker flockiger 
Nieren N Stunden. | Nied. trüb | Nied. | Niederschlag 
TER ar. Hack, P starker | flock. |shr.ger. 
Gehirn nr Nied. trüb fl. Nied.| Nied. | Nied. 
= proben starker fock. | ,.. | sehr starker tloekiger 
Lungen flüssig. A. Nied., Nied. , üb Niederschlag 
AR | b ” j 
‚ flock. TE | Hook. |. 
Muskeln ) : | kaum trüb |lstarker| 1: | trüb 
Nied. | A Nied Nied. | 
Gerinnung | Aoekiger sehr starker flocki 
© Rue ger 
ren 8 bis 10 Min. | Niederschlag |®Njup | Nied. | Niederschlag 
F Fe, flock. | f sehr | 
: Wie Dünn- : e . = en flockiger 
Mile | Yale [Mieder-| Trühung senken wiederhlug 
Kontrollproben wie bei A I. 
III. 16tägige Autolyse. 
Milch Albumosenlösung 
_ Eine Stunde | Eine Nacht 
| im Thermostaten 
| | GE 
sauer | neutr. alkal. | sauer | neutr. | alkal. 
Gerinnung ERMEREr 
Magen nach ı Stunde | trüb 2 le 
Dünndarm ] trüb | kaum trüb | starke Trübung 
Dickdarm trüb Io | | Trübung 
Br Gerinnung |iock. | | sehr starker flockiger 
| ü ger 
Leber im Laufe von| Nied. kaum trüb Diehlie 
I 5 bisa Bi “ _ . |)starker flockiger 
Nieren KR; a trüb i | Nied. Niederschlag 
Bahn ri a kaum z «| Hook. | 8 ärl. | sehr 
v Kontroll- trüb sr || Nied. | Nied. | trüb 
| proben | sehr Istarker| flock. | flock 
Lungen a. 2 _ starker | flock. | flock. 
negativ, Niod, | fl. Nied. Nied. Nied. 
kaum | kaum || „Sehr | flock. | sehr | 
Muskeln ji üb | — | trüb |starker| Nied. | trüb 
. Gerne DEE i spärlicher flockiger 
Pankreas nach 20 Min. Trübung Niederschlag 
BaN, Milz Wie Dünn- | kaum Beat spärlicher flockiger 
darm usw. trüb | | Niederschlag 


550 A. Nürnberg, 


D. Organe vom Hunde. 
I. 4!/;stündige Autolyse. 


| Milch Albumosenlösung 
Eine Stunde Eine Nacht 
im Thermostaten 
| sauer | neutr. | alkal. || sauer | neutr. | alkal. 
> Mi ehr ge- | BEN 
Magen rn, Singer | kaum trüb 066, | kaum erh 
ied. I hl | 
Pe | schlag 
Leb nach 5 Stunden Nie Trübung | starker flockiger 
eber et Se Niederschlag 
Pankreas | 20 Min. | Trübung | flockiger Niederschlag 
Kontrollproben wie bei A I. 
lI. Atägige Autolyse. \ 
Milch Albumosenlösung 
Eine Stunde Eine Nacht 


im Thermostaten 


sauer | neutr. | alkal. I sauer | neutr. ' alkal. 


M | Gerinnung we | k trüb | ee | ab 
aMazen nach !/, Stunde na Au |Nieder- trü 
| = schlag 
Then nach 21,, sehr starker flock. | _ sehr starker flock: 
EIER & Stunden Niederschlag Niederschlag 
Pankreas 7 Min. er Trübung Flockiger Niederschlag 


Kontrollproben wie bei A I. 


Ergebnisse. 

Aus den angeführten Tabellen ist ersichtlich, daß die auto- 
lytischen Extrakte von Lebern im Vergleich mit denjenigen anderer 
Organe auf Albumosenlösungen am stärksten koagulierend ein- 
wirken. Dann folgen Magen- und Lungenextrakte, erst nach 
diesen Pankreas-, Dünndarm-, Dickdarm-, Nieren-, Gehirn-, Eier- 
und Muskelextrakte. Die Organe dieser Serie unterscheiden sich 
in ihrer koagulierenden Wirkung auf Albumosen wenig und 
stehen. der Leber, den Lungen und dem Magen in dieser Beziehung 
sehr nach. 

Ganz anders gruppieren sich die untersuchten Organe in betreff 
der Milchgerinnung. Hier stehen die Pankreasextrakte an erster 
Stelle und die frischesten davon geben der Lablösung in der 
Raschheit der Wirkung wenig nach. Während die zur Milch- 
labung durch Pankreasextrakt nötige Zeit nach Minuten zu 
rechnen ist, bedürfen die anderen Extrakte dazu einer oder 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ-Extrakte usw. 551 


mehrerer Stunden. Nur das frische Magenextrakt wirkt energischer 
aber immerhin nicht so, wie das Pankreasextrakt. 

Was den Einfluß der Reaktion der Albumosenlösung auf die 
koagulierende Wirkung der Organextrakte anlangt, so zeigen die 
geprüften Organe im ganzen eine größere Koagulierungskraft bei 
schwach saurer als neutraler und schwach alkalischer Reaktion. 
Die Magenextrakte geben in schwach sauren Albumosenlösungen 
ziemlich starke flockige Niederschläge, in alkalischen und neu- 
tralen kaum eine Trübung, die Pankreasextrakte wirken trotz 
wechselnder Reaktion nahezu gleich, ebenso wirken auch frische 
Leberextrakte sehr stark sowohl bei saurer als auch neutraler 
oder schwach alkalischer Reaktion, die Wirkung der Darmextrakte 
ist in dieser Beziehung nicht konstant, die Gehirn-, Muskeln-, 
Nieren- und Eierextrakte koagulieren die sauren Lösungen am 
besten, doch ist der Einfluß der Reaktion hier nicht so groß wie 
bei den Magenextrakten. 

Es erübrigt noch, den Einfluß der Dauer der Autolyse der 
Organe auf die Intensität der Gerinnungswirkung zu besprechen. 
Die 16stündigen Organextrakte zeigten immer die größte Energie 
der Wirkung, was sich in der schnelleren Bildung von Trübung 
und Niederschlägen zeigte (nach 2 Stunde). Die frischeren 
(3 bis 4 Stunden alten) wie auch die älteren (bis 3 bis 4 Wochen 
alten) Organextrakte erreichten manchmal dieselbe Wirkungskraft 
wie die 16stündigen, aber erst nach längerer Einwirkung auf 
Albumosenlösung (nach 18 Stunden). Die Organextrakte vom 
Schwein zeigten im Vergleich mit denjenigen von anderen Tieren 
(Hund, Rind, Kaninchen) augenscheinlich die intensivste koagu- 
lierende Wirkung. 


Schlußbemerkungen. 

Schon Salkowskı hat in seinen Untersuchungen über die 
Veränderungen der Organe nach dem Tode bei ausgeschlossener 
Bakterienentwickelung („Autodigestion® Salkowski, „Autolyse“ 
Jacoby) auf die Wichtigkeit dieser Veränderungen zur Erklärung 
der Natur des Abbaues der Gewebe und Organe im lebenden 
Organismus hingewiesen. Spätere Forscher (z. B. Schlesinger) 
weisen auf die Analogie der autolytischen Veränderungen im 
lebenden Organismus bei Störungen der Zirkulation mit den- 
jenigen bei künstlich erzeugter Autolyse hin. Dieser Umstand 
macht die große Mannigfaltigkeit der bei der Autolyse gefundenen 
Fermentwirkungen noch interessanter. Man kann jetzt außer von 
der proteolytischen, lipolytischen (Kraus, Siegert) und glykogen- 
spaltenden Fermentwirkung der autolytischen Organextrakte auch 


552 A. Nürnberg, 


von einer plasteinogenen und milchlabenden sprechen. Weitere 
chemische Untersuchungen über die Natur der durch autolytische 
. Organextrakte in Albumosenlösungen erzeugten Niederschläge 
werden die Frage über ihre plasteinogene Funktion endgültig 
aufklären. 

Die Frage, ob es ein oder zwei Fermente sind, die in den 
autolytischen Organextrakten einerseits auf die Albumosen, anderer- 
seits auf die Milch einwirken, wie auch, ob diese Fermente bei 
verschiedenen Organen identisch sind, müssen wir offen lassen. 
Jedenfalls haben wir weder einen vollständigen Parallelismus in 
der Wirkung eines einzelnen bestimmten autolytischen Extraktes, 
noch auch der verschiedenen Extrakte auf Albumosen und Milch 
gefunden. 

Die Fähigkeit autolysierter Organe, verschiedene Ferment:- 
wirkungen (proteolytische, labende, plasteinogene usw.) hervorzu- 
bringen, ist derjenigen der frischen Organe (bzw. ihrer Extrakte) 
ganz analog. Wie es scheint, besteht überall im Organismus, wo 
sich das eine oder das andere proteolytische Ferment vorfindet, 
auch die Fähigkeit, Albumosen und Milch mehr oder weniger 
energisch zur Gerinnung zu bringen. Wenn es gestattet ist anzu- 
nehmen, daß dasselbe komplizierte Pepsin- und Trypsinmolekül 
(Nencki, Pawlow, Pekelharing, Vernon) verschiedener 
Fermentwirkungen fähig ist, so kann man mit gleichem Recht 
dieselbe Annahme auch für das proteolytische Ferment (bzw. die 
Fermente) der Autolyse machen. Weitere Untersuchungen müssen 
diese wichtige Frage beantworten. 


Literaturverzeichnis. 


l) Sawjalow, Zur Theorie der peptischen Verdauung. Dissert. 
Jurieff 1899. (Russisch.) 

2) Okunew, Beiträge zur Biologie des Chymosins. Botkins Kranken- 
hauszeitung 1901. Sep.-Abdr. (Russisch.) 

3) Okunew, Die Wirkung des Chymosins bei den Assimilations- 
prozessen im Organismus. Dissert. St.-Petersburg 1895. (Russisch.) 

4) Kurajeff, Uber die koagulierende Wirkung des Papayotins auf 
Peptonlösungen. Diese Beitr. 1, 121, 2, 411. 

5) Conradi, Uber die Beziehung der Autolyse zur Blutgerinnung. 
Diese Beitr. 1, 136. _ 

6) Conradi, Über die Bildung bakterizider Stoffe bei der Autolyse. 
Ibidem 1, 193. 

7) Benjamin, Beiträge zur Lehre von der Labgerinnung. Virchows 
Archiv 145, 30. 

8) Nencki und Sieber, Beiträge zur Kenntuis des Magensaftes und 
der chemischen Zusammensetzung der Enzyme. Zeitschr. f. physiol. Chemie 
32, 291. 


1 


Über die koagulierende Wirkung autolytischer Organ-Extrakte usw. 553 


9) Nencki, O zadaniach biologiezne Chimie. Kraköw. 

10) Pawlow, Vorlesungen über die Arbeit der Verdauungsdrüsen. 
St.-Petersburg 1897. (Russisch.) 

11) Pekelharing, Mitteilungen über Pepsin. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 35, 8. 

12) Vernon, The precipitability of pancreatic ferments by Alcohol. 
Journal of Physiol. 29, 302 (28. IV.). — Autoref. Bioch. Zentralbl. I, Nr. 13, 

13) Jacoby, Zur Frage der spezifischen Wirkung der intracellulären 
Fermente. Diese Beitr. 3, 446. 

14) Rosell, Uber Nachweis und Verbreitung intracellulärer Fermente. 
Inaug.-Dissert. Straßburg 1901. Cit. nach Schlesinger (15). 

15) Schlesinger, Untersuchungen über die Abhängigkeit der Aauto- 
lytischen Prozesse von physiologischen und pathologischen Verhältnissen. 
Diese Beitr. 4, 87. _ 

16) Jacoby, Uber die fermentative Eiweißspaltung und Ammoniak- 
bildung in der Leber. Zeitschr. f. physiol. Chemie 30, 149; 1900. 


XL. 


Über die plasteinogene Substanz. 
Von cand. med. H. Bayer. 


Aus dem physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg i. E. 


I 


Seit A. Danıilewski beobachtet hat, daß Labferment in 
Albumosenlösungen einen Niederschlag erzeugt, der in seinen 
äußeren Eigenschaften koaguliertem Eiweiß gleicht, ist über 
ähnliche Fermentreaktionen von Danilewskis Schülern und auch 
von anderen Beobachtern*) mehrfach berichtet worden. Danach 
haben Pepsin und Trypsin**), bzw. Magensaft***) und Pankreas: 
safty), aber auch Darmsaftfr) und Papayotinyfy) und die bei 
Autolyse verschiedener Organe erhältlichen Flüssigkeiten*r) eine 
ganz analoge Wirkung. 

Danilewski hat seinem ersten Befund dadurch ein be- 
sonderes Interesse verliehen, daß er die beobachtete Niederschlags- 
bildung als eine Rückbildung von Eiweiß aus Verdauungsprodukten 
auffaßte. Diese Vorstellung hat dann, wenn auch zum Teil in 
abgeänderter Form, alle späteren Untersuchungen beeinflußt. Da- 
neben darf aber auch die damit zusammenhängende Frage nach 


*) Okunew, Wratsch Nr. 42, 1895. Jahresbericht für Tierchemie 291 
(1895). Wratsch Nr. 21, 1900. - Vgl. Kurajeff, Diese Beiträge 1, 123. 
B. Schapirow, Diss. Jurjew 1896, Jahresber. für Tierchemie 400 (1896). 
Sawjalow, Pflügers Archiv 85, 171 (1801). R. O. Herzog, Zeitschr. 
f. physiol. Chemie 39, 305 (1903). Lawrow u. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 36, 277 (1902). 

+7). R. O. Herzog, loc. ci, 

*°#) ]awrow u. Salaskin, loc. eit. 
7) Okunew, loc. cit. 

Tr) Okunew, loc. eit. 

+rt) Kurajeff, Diese Beiträge 1, 121, 2, 411, 4, 476. 
*7) Nürnberg, Diese Beiträge 4, 543. 


Über die plasteinogene Substanz. 555 


einer synthetischen (bzw. reversiblen) Wirkung der dabei tätigen 
Fermente, sowie auch der nähere chemische Aufbau der neu- 
gebildeten Produkte auf Interesse Anspruch erheben. 


In den nachstehend mitzuteilenden Versuchen habe ich mich 
darauf beschränkt, eine einzelne unter den sich ergebenden Fragen 
näher zu untersuchen. Wie bekannt, zerfällt das Eiweißmolekül 
bei der Verdauung in eine ganze Anzahl von größeren und kleineren 
Bruchstücken. Entsteht in einer Verdauungslösung durch fermen- 
tative Wirkung ein Niederschlag von „Plastein“ — mit diesem 
Namen bezeichnet Sawjalow die durch Chymosin erhältliche 
Substanz — so kann dieses Plastein ebensowohl durch Übergang 
eines bestimmten solchen Bruchstückes, z. B. einer Albumose, 
in unlösliche Form, oder durch Aneinanderlagern (Kondensation) 
einer Anzahl gleicher Bruchstücke, oder aber durch Aneinander- 
lagern einer Anzahl unter sich verschiedener Bruchstücke ent- 
standen sein, wobei noch ganz offen bleiben mag, ob es sich 
dabei um eine Polymerisierung, Anhydridbildung oder einen anderen 
chemischen Vorgang handelt. 

Nun besteht aber weiter die Möglichkeit, daß in derselben 
Lösung nebeneinander verschiedene Plasteine entstehen, sei es, 
daß mehrere von den vorhandenen Verdauungsprodukten die 
Fähigkeit besitzen, unter dem Einfluß von bestimmten Fermenten 
in eine unlösliche Form überzugehen, sei es, daß die Ver- 
dauungsprodukte sich untereinander je nach den äußeren Be- 
dingungen in verschiedener Art zu höheren Komplexen vereinigen. 
Es könnte sonach das beim Versuch erhaltene „Plastein“ trotz 
gleichen Ausgangsmaterials kein einheitlicher Stoff, sondern ein 
wechselndes Gemenge solcher Umwandlungsprodukte sein, eine 
Auffassung, die in den keineswegs übereinstimmenden Angaben 
der Beobachter über die Eigenschaften der erhaltenen Plasteine 
recht wohl eine Stütze finden kann. Daß die durch verschiedene 
Fermente erhaltenen Plasteine nicht identifiziert werden dürfen, 
geht schon jetzt sehr deutlich aus Kurajeffs Beobachtungen her- 
vor, welche zeigen, daß die durch Lab und durch Papayotin aus 
derselben Lösung erhaltenen Produkte, die Labplasteine und die 
Papayotinplasteine (Kurajeffs Koagulosen) auseinander gehalten 
werden müssen. 

Dieser verwickelten Sachlage gegenüber erschien es not- 
wendig, die Bildung der Plasteine unter möglichst einfachen Ver- 
hältnissen zu verfolgen, und ich glaubte das am besten zu erreichen, 
indem ich mich 1. auf ein einziges Ferment beschränkte, und 
zwar das Lab, 2. indem ich aus dem Gemenge von Produkten, 


556 H. Bayer, 


welche sich in den Verdauungslösungen finden, mit Hilfe der 
Labreaktion jene zu isolieren suchte, die ausschließlich oder vor- 
wiegend an der Plasteinbildung beteiligt sind. Der Kürze wegen 
will ich diese Muttersubstanz des Plasteins nach Analogie des 
Fibrinogens als „Plasteinogen“ bezeichnen, wobei gleich von vorne- 
herein bemerkt sein mag, daß damit die Existenz mehrerer auf 
Lab reagierender Plasteinogene nicht ausgeschlossen werden soll. 


Von bisher gemachten Angaben über die Muttersubstanz des 
Labplasteins verdienen die folgenden Erwähnung. 


Lawrow“) untersuchte die Beziehungen einiger von ihm 
isolierter Verdauungsprodukte zum Labferment und faßt das 
Resultat seiner Arbeit in folgende Sätze zusammen: 

1. Die durch Ammonsulfat nicht fällbaren Produkte der peptischen 
und tryptischen Verdauung albuminisieren sich nicht durch Labferment. 

2. Das durch Ammonsulfat fällbare, durch Ferrocyankalium und 
Essigsäure jedoch nicht fällbare und einige Farbenreaktionen des Eiweiß 
nicht gebende Gemenge der Produkte der peptischen Fibrinverdauung 
albuminisiert sich nicht durch das Labferment, sondern dehydriert sich 
nur; die bei Behandlung einer Mischung dieser Lösungen mit Lab er- 
haltenen Niederschläge geben nicht die Reaktionen von Adamkiewicez, 
Liebermann und Pettenkofer. 


Sawjalow**) ließ Labferment auf „Proto-, Hetero-, Deutero- 
albumosen, Ampho- und Antipepton* einwirken und bestimmte 
die Menge des entstandenen Niederschlags. Sie betrug bei Proto- 
albumose 10,09, bei Heteroalbumose 26,59, bei „Deuteroalbumose“ 
2,85, bei „Amphopepton“ 0,92 Proz. des Ausgangsmaterials, während 
„Antipepton* keinen Niederschlag gab. Sawjalow faßt das Er- 
gebnis dahin zusammen, daß, je näher das gegebene Verdauungs- 
produkt dem nativen Eiweiß steht, in desto größerem Maßstabe 
es fähig sei, durch Regeneration Eiweiß zu geben. 


K urajeff***) untersuchte nach E. P. Pick möglichst rein dar- 
gestellte Albumosen aus Wittepepton und Kasein. Bei Hetero- 
und Protalbumosen aus Fibrin vermißte er jede Labwirkung. 
Hingegen gaben A- und B-Albumose 3 bis 4 Proz. ihres Gewichts 
an Plastein. Protokaseose gab mit Lab keinen Niederschlag oder 
nur eine geringe Trübung, A-Deuterokaseose dagegen eine be- 
trächtliche Fällung (etwa 4 Proz. des Ausgangsgewichts). Die 
erhaltenen Plasteine gaben Biuretreaktion mit rotvioletter Farbe, 


*) D. Lawrow, Diss. St. Petersburg 1897 (russisch). Cit. bei Sawjalow 
Pflügers Archiv 85, 171. Mir leider im Original nicht zugänglich. 
F* Ioe.scıt. 8. I9E 
***) Kurajeff, Diese ‚Beiträge 2, 412 u. ff. 


Über die plasteinogene Substanz. 557 


Millonsche und Adamkiewiczsche Probe, bei der Prüfung 
auf abspaltbaren Schwefel Spuren von Braunfärbung. 

M. Lawrow und S. Salaskin*) gelangten zu dem Ergebnis, 
daß in konzentrierten Witte-Peptonlösungen unter Einwirkung 
von Magensaft bei allen Arten Albumosen Bildung von Nieder- 
schlägen stattfindet. Demgegenüber enthielten Albumosenlösungen, 
die in diesen Versuchen durch wiederholte Einwirkung von Lab, 
bzw. Magensaft, die Fähigkeit eingebüßt hatten, damit weiter zu 
reagieren, immer noch alle Albumosenfraktionen. 

Die erhaltenen Plasteine besitzen nach Lawrow und Salaskin 
in gewisser Hinsicht den Charakter von Albumosen; sie zeigen 
Biuretreaktion mit violettroter Färbung, die Xanthoproteinreaktion 
bereits in der Kälte, und zerfallen unter Einwirkung von Darmsaft 
unter Bildung von Leucin und Tyrosin. Die Ausbeute an Plastein 
betrug bei der nach E. P. Pick dargestellten II. Fraktion von 
Wittepepton 12,2 Proz., bei der III. Fraktion 5,9 Proz., bei der 
I 2025 Proz., im Gemisch der II; Ill. und IV. Fraktion 
7,99 Proz. des Ausgangsmaterials. 

Endlich hat Kurajeff**) jüngster Zeit aus kristallisiertem 
Eieralbumin einmal nach 3tägiger, ein andermal nach 18tägiger 
Verdauung Plasteine aus der Verdauungslösung zu 7,3 Proz. des 
Ausgangsmaterials erhalten. Sie gaben Biuretreaktion, die Probe 
nach Molisch, Adamkiewicz und die Schwefelbleiprobe. 


El, 

Bei der geringen Übereinstimmung dieser Angaben ist es aus- 
sichtslos, aus ihnen Schlüsse auf die Natur der plasteinogenen 
Substanz ziehen zu wollen. Namentlich fällt auf, daß einerseits 
Sawjalow die größte Plasteinausbeute bei denjenigen Albumosen 
findet, die dem Eiweiß am nächsten stehen, andererseits Kurajeff 
bei den „primären“ Verdauungsprodukten, der Proto- und Hetero- 
albumose, die Plasteinbildung ganz vermißt. Dazu kommt, daß, 
wie meist berichtet wird, die plasteinogene Substanz schon in der 
ersten Zeit der Verdauung auftritt, somit nicht unter den End- 
produkten der Pepsinverdauung zu suchen ist, während ihr doch 
der Angabe Lawrows zufolge die Reaktion von Adamkiewicz 
fehlt, was wieder auf eine weit fortgeschrittene Eiweißspaltung 
hinweist. 

Nun kommt für die Beurteilung der meisten dieser Angaben 
noch in Betracht, daß der Plasteinniederschlag in einem Gemenge 


*) Lawrow u. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chemie 36, 277. 
**) Kurajeff, Diese Beiträge 4, 476. 


558 H. Bayer, 


von Albumosen erzeugt wurde und daß bei der Art der Plastein- 
ausscheidung in Form eines voluminösen, flockigen Niederschlags 
oder gar einer Gallerte die Gefahr nahe liegt, daß der Plastein- 
niederschlag etwa wie ein Fibringerinnsel schwer diffundierende 
Stoffe der Lösung, z. B. Heteroalbumose und andere Albumosen, 
einschließt, und so nicht bloß eine Gewichtsvermehrung erfährt, 
sondern auch in seinen Reaktionen natürlich das Verhalten der 
eingeschlossenen Albumosen aufweist. 

Daher habe ich, um etwas über die Natur der plasteinogenen 
Substanz zu erfahren, durch eine möglichst weitgehende 
Fraktionierung vor dem Zufügen von Lab eine Abtrennung der 
nicht zugehörigen Stoffe zu erzielen gesucht. 

Da mir einige aus Wittepepton dargestellte, weit gereinigte 
Albumosenpräparate des hiesigen Instituts zur Verfügung standen, 
habe ich zunächst an solchen die Plasteinreaktion versucht. Es 
war leicht, die Angabe Kurajeffs zu bestätigen, daß nach 
E. P. Pick dargestellte, möglichst reine Proto- und Heteroalbumose 
keine Plasteine bildet. Überraschenderweise fand ich aber auch 
Thio- und Glykoalbumose völlig indifferent. 

Ich wandte daher zur möglichst weitgehenden Isolierung der 
plasteinogenen Substanz nicht die Ammonsulfatmethode, sondern 
die gewöhnlichen Lösungsmittel an. Als Ausgangsmaterial diente 
mir Wittepepton, als Labferment benutzte ich meist das „Pegnin“ 
der Höchster Farbwerke, ein sehr wirksames, aber milchzucker- 
haltiges Präparat. Für bestimmte Zwecke — so für die Rein- 
darstellung des Plasteins zur Analyse — stellte ich mir nach 
Glaeßners*) Verfahren mit Hilfe von Uranylacetat und Uranyl- 
phosphat reines Prochymosin dar. 

Um die erhaltenen Fraktionen auf Plasteinbildung zu prüfen, 
versetzte ich die auf etwa 10 bis 20 Proz. eingedickte Lösung 
mit Salzsäure bis zu einem Gehalt von 0,3 Proz., dann mit der 
Lablösung und ließ sie 24 Stunden im Brutofen stehen. Hatte 
sich kein oder nur ein minimaler Niederschlag gebildet, so ver- 
setzte ich die Probe meist; nochmals mit Lab. 

Die etwa ausgeschiedenen Niederschläge wurden auf die 
wichtigsten Eiweißreaktionen untersucht. 

Die Fraktionierung gestaltete sich wie folgt: 


1. Fällung mit 1 Vol. 95proz. Alkohols. 
In der Kälte hergestellte 10 proz. Wittepeptonlösung wurde mit dem 
gleichen Volumen 95proz. Alkohols versetzt. Dabei fiel ein dichter 
Niederschlag aus, der abfiltriert und vom Alkohol befreit wurde. 


*) Glaeßuner, Diese Beiträge 1, 1. 


Über die plasteinogene Substanz. 559 

Der Niederschlag gibt in Wasser gelöst und mit Salzsäure ange- 
säuert auf Pegninzusatz nur eine minimale Fällung. 

Eine Probe des alkoholischen Filtrats gibt nach Entfernung 
des Alkohols bei gleicher Behandlung dichten Plasteinnieder- 
schlag, der auf der Zentrifuge abgetrennt und so lange gewaschen 
wird, bis das Waschwasser keine Millonsche Reaktion mehr gibt. Die 
Reaktionen des Produkts sind aus der am Schlusse beigefügten Tabelle 
ersichtlich. 


2. Fällung der alkoholischen Lösung mit 2 Vol. Aceton. 

Es fällt ein milchiger Niederschlag aus, der abzentrifugiert und-zom 
Aceton befreit wird. In der Lösung des Niederschlags versagt die Plastein- 
reaktion völlig. Eine Probe des Acetonfiltrats gibt nach Entfernung 
des Acetons in wässeriger Lösung mit Lab einen dichten Nieder- 
schlag. 


3. Fällung des acetonlöslichen Anteils mit 8Oproz. Alkohol. 


Die von Alkohol und Aceton befreite Substanz wurde in konzentrierter 


wässeriger Lösung mit so viel 95proz. Alkohol versetzt, daß der Gehalt 
durchschnittlich 80 Proz. betrug, Der Niederschlag gibt kein 


Plastein, wohl aber das Filtrat. 


Die Eigenschaften der aus den verschiedenen Fraktionen 
erhaltenen völlig ausgewaschenen Plasteine sind aus den nach- 
stehenden zwei Tabellen ersichtlich. Dabei ist in erster Reihe 
der direkt aus Wittepeptonlösung erhältliche Niederschlag an- 
geführt. 


Löslichkeitstabelle. 
| he vs j | ni aber: 
: 95proz. |In Natron- | In verd. | 3 In verd. 
Plastein aus | In Wasser | Alkohol lauge |Sodalösung | ee Salzsäure 
| | 
| | größten- 
| | teils schon | 
: ar R in der Kälte, 
ch | unlöslic | — ra pp 1030: Ja > 
pepton | rn | beim Er- 
| wärmen 
| ganz 
etwa 50 proz. | sh: Teiche een | sehr 
E j: | 12 2 ele eic Ian Kisessig| __ı1 
Alkohol-Aus-| unlöslich löslich | löslich |leicht) lös-| Schlecht 
zug | lich löslich 
a“ 2 Teil lös- bei Er- | unlöslich 
Aceton-Aus- | unlöslich | löslich ich (nicht | unlöslich | wärmen selbst bei 
zug | | in NH,) | ı löslich | Erwärmen 
80 pr02. | im Über- | SE i 
a - | in.der | 
Alkohol- Aus- unlöslich BB di Aare erh Wos- ı unlöslich Wärme lös-' löslich 
Kae ie lich 


zug 


560 H. Bayer, 


Tabelle der Eiweißreaktionen. 


. . Salpetersäure - £ E 
MR Biuret- Millons > Molischs| Schwefelblei- 
Plastein aus probe Reaktion ee Reaktion probe 
BR e sehr deutliche “ sehr deutlich 
Wittepepton sehr sehr Xanthoprotein- - sehr Schwarz- 
PER deutlich | deutlich Be deutlich fürbams 
etwa 50 proz. sehr sehr een sehr bloß Grau- 
Alkohol-Auszug || deutlich deutlich a deutlich färbung 
Ä ’ löslich in verd. 
Alkohol-Aceton- | erheblich | erheblich | NO,H mit Bi A fehlt 
Auszug schwächer | schwächer |Xanthoprotein- N x 
reaktion 
löslich in 
80 proz. Alkohol- warmer, verd. 
Auszug fehlt fehlt NO,H, keins = fehlt 
Färbung 
I \ 


Das Plastein aus dem Extrakt mit 50proz. Alkohol gibt bei 
Kalischmelze keinen Indolgeruch und eine sehr schwache Reaktion 
nach Adamkiewicz und Hopkins. Es enthält keinen Phosphor. 

Das überraschende Ergebnis dieser Versuche läßt sich dahin 
zusammenfassen, daß die Plasteine mit zunehmender Reinigung 
rasch die charakteristischen Reaktionen der Eiweißstoffe ein- 
schließlich der Biuret- und der Millonschen Reaktion einbüßen. 
Will man nicht die Annahme machen, daß durch den Gerinnungs: 
vorgang die typischen Eiweißreaktionen verschwinden — eine 
Annahme, die im Hinblick auf das Verhalten anderer, durch 
(rerinnung erhaltener Eiweißstoffe, wie Fibrin, Myosin und Kasein, 
kaum Anklang finden dürfte — so muß man auch der Mutter- 
substanz dieser Plasteine, dem Plasteinogen, die typischen Eiweiß- 
reaktionen absprechen. 

Das Plasteinogen kann danach garnicht den Albumosen an- 
gehören, auch nicht den Peptonen, sondern nur den Peptoiden, 
jener noch wenig gekannten Gruppe von Spaltungsprodukten des 
Eiweiß ohne Biuretreaktion, die, wie zuerst Zunz gezeigt hat, 
bei der Pepsinverdauung sehr früh und in erheblicher Menge 
entstehen. Soweit sich aus den Reaktionen der möglichst reinen 
Plasteine entnehmen läßt, fehlen ihnen gewisse Kerne, die für 
Eiweißkörper sonst so charakteristisch sind, der Tyrosin-, der 
Cystinkern, vielleicht auch der Kohlehydrat- und der Indolkern. 
Das Plasteinogen wäre danach ein in SOproz. Alkohol und Aceton 
lösliches Peptoid von vermutlich sehr einfacher Zusammensetzung. 

Wenn die Plasteine, die aus Wittepepton selbst und aus so 
ausgiebig fraktionierten Albumosenlösungen erhalten wurden, noch 
die typischen Eiweißreaktionen darbieten, so ist die Vermutung 


N 


h 
= 


” 


‘ 


Über die plasteinogene Substanz. 561 


gestattet, daß es sich in diesem Falle noch um Beimengung von 
Albumosen handelt. Es soll aber nicht bestritten werden, daß 
möglicherweise die plasteinogene Substanz bei Anwesenheit von 
Albumosen durch Lab zu anderen Produkten führt, als wenn sie 
vorher durch die Alkoholacetonfraktionierung annähernd isoliert ist. 
Es ist in der Tat denkbar, daß sich bei dieser fermentativen, 
durch Lab eingeleiteten Umwandlung vorhandene Albumosen- 
moleküle au das Plasteinogen anlagern. Immerhin hat es nach 
dem Gang der Fraktionierung (die übrigens mit dem gleichen 
Ergebnis wiederholt wurde) durchaus den Anschein, daß nur 
das keine Biuretreaktion mehr darbietende Plasteinogen die äuf 
Lab reagierende Gruppe enthält. 


IE 0% 

Als nächste Aufgabe ergab sich, die Zusammensetzung und 
den Aufbau des Plasteinogens zählen zu untersuchen. Ir habe 
diese Frage aus äußeren Gründen nur soweit in Angriff nehmen 
können, daß ich einiges über die Zusammensetzung des aus dem 
Alkoholextrakt dargestellten Plasteins berichten kann. 

Ich extrahierte ein Kilo trockenes Wittepepton direkt mit großen 
Mengen 95proz. Alkohols. Trotz wochenlang fortgesetzten Ausziehens 
es kein Punkt erreicht werden, wo nichts mehr in Lösung gegangen 
wäre. Aus dem heißen Alkoholfiltrat setzte sich beim Erkalten stets ein 
feinpulveriger, beinahe kristallinisch aussehender Niederse :hlag ab, der 
sich bei der Fraktionierung mit Ammonsulfat als aus verschiedenen 
Albumosenfraktionen zusammengesetzt ergab, unter denen allerdings die 
Protalbumose überwog. 

Nach Abschluß dr Extraktion wurde sowohl der unlösliche Rück- 
stand, als der beim Erkalten ausfallende Nieder schlag und die alkoholische 
Lösung in bekannter Weise auf die Gegenwart von Plasteinogen geprüft. 
Der Rückstand gab gar keine, der Kälteniederschlag nur eine minimale, 
das Alkoholextrakt ren eine ausgesprochene Plasteinabscheidung. 
Die alkohollösliche Fr on wurde nun wie oben mit Aceton behandelt. 
Die Aceton-Alkohollösung enthielt das Plasteinogen, welches nach Ent- 
fernung des Alkohols durch reines Lab in Plastein übergeführt wurde. 
Es fiel innerhalb weniger Minuten in feinen Flocken aus, zeigte das oben 
für das reinste Blasien angegebene Verhalten, nur mit dem Taler 
daß es zwar keine Biuret- Bed keine Schwefelreaktion, aber doch eine 


‚ schwache Millonsche und Hopkinssche Reaktion gab. Der Nieder- 


schlag wurde mit Wasser sorgfältig ausgewaschen, dann über Schwefel- 
säure im Vakuum bis zur ae rasen getrocknet und zur Analyse 
gebracht. 
0,1179 Substanz: 0,1662 CO, und 0,0739 H,O 
0,1212 Substanz: 8,55 cem N bei 21,6° und 761 mm Hg 
gefunden C = 38,43 Proz. 
5 a * 17 
N= 806 „, 
C:N= 477. 
Beitr. z. chem. Physiologie. IV. i 36 


562 H. Bayer, Über die plasteinogene Substanz. 


Sawjalow findet für Plasteine aus Eiereiweiß-, Muskel- und 
Kaseinalbumosen im Mittel: 
C = 54,93 Proz., H = 7,29 Proz., N = 14,73 Proz., C:N somit, 
Kurajeff für Plastein aus Kaseosen: 


C = 57,03 Proz., H = 7,14 Proz., N = 14,55 Proz., C: N somit 4,576 


und für Plastein aus den Albumosen des kristallisierten Eieralbumins: 
C = 58,87 Proz., H = 7,28 Proz., N = 14,38 Proz., C: N somit 4,095. 

Während Sawjalows Analysenzahlen noch der Zusammen- 
setzung typischer Eiweißkörper nahestehen, entfernen sich jene 
Kurajeffs und meine davon in einem Maf£fe, daß hier an eine 
Regeneration von Eiweiß durch Plasteinbildung nicht mehr gedacht 
werden kann. Dabei möchte ich auf die absoluten Prozentzahlen 
nicht allein Gewicht legen, da sie von dem Grade des Trocknens 
nicht unabhängig sind, sondern vor allem auf das Verhältnis von 
Kohlenstoff zu Stickstoff, das bei Kurajeff und noch mehr bei mir 
eine Verschiebung gegenüber der gewöhnlichen Zusammensetzung 
der Eiweißstoffe aufweist, die nur bei Entstehung der Plasteine 
nicht aus dem Eiweißmolekül selbst, sondern aus ihm schon recht 
fernliegenden Bruchstücken, wie es z. B. die Peptoide, d. h. die 
nicht Biuretreaktion gebenden aber doch noch aus mehreren Amino- 
säuren aufgebauten Verdauungsprodukte, sind, verständlich ist. 

Es führt somit die Analyse der Plasteine zu demselben 
Schlusse, zu dem ich oben auf Grund der Reaktionen derselben 
gelangt bin. Kann danach auch die ursprüngliche Vorstellung 
Danilewskis über die Bedeutung der Plasteinbildung als ein- 
facher Regeneration des verdauten Eiweißes, und auch die An- 
schauung Sawjalows, daß die Plasteinbildung bei verschieden 
zusammengesetzten Eiweißstoffen zur Bildung des gleichen „An- 
hydrideiweißes“ führt, nicht aufrecht gehalten werden, so ist 
damit nicht ausgeschlossen, daß Danilewskis fruchtbarer Ge- 
danke, wenngleich in etwas anderem Sinne, doch noch eine 
Bestätigung findet. Die so allgemeine Verbreitung plastein- 
bildender Fermente in tierischen und pflanzlichen Geweben weist 
geradezu darauf hin, daß die Zellen über Fermente gebieten, die 
ihnen zugeschwemmte Bruchstücke des Eiweißmoleküls durch 
Überführung in unlöslichen Zustand festzuhalten, vielleicht sogar 
durch einen Kondensationsvorgang den Eiweißkörpern des Proto- 
plasmas bzw. des Blutes anzugliedern vermögen. 

Nach chemischer Richtung aber fordert die Tatsache, daß 
durch die Plasteinreaktion sonst’ nicht faßbare Spaltungsprodukte 
des Fiweißes isoliert werden können, dringend zur weiteren 
Untersuchung der einschlägigen Produkte auf. 


} 
: 


Pe N En GE 


ED de el lit A 2 5 


B5 


XLIH. 


Über künstliche Umwandlung von Albumin 
in Globulin. 
Von Dr. Leopold Moll, Assistenten des Instituts. 


Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität in Prag. 


Die mannigfachen Veränderungen, welche die Immunkräfte 
eines Serums durch Erhitzen desselben auf bestimmte empirisch 
gefundene Temperaturen erfahren, legten es nahe, festzustellen, ob 
dieselben nicht von analytisch nachweisbaren Veränderungen in 
der Zusammensetzung des Serums begleitet sind, beziehungsweise 
ob die letzteren in etwaigem Zusammenhange mit den ersteren 
stehen. Der negative Ausfall von bereits vorliegenden Unter- 
suchungen über Unterschiede des erhitzten und unerhitzten 
Serums in bezug auf Gefrierpunkt und elektrisches Leitver- 
mögen [Dietrich, v. Zeynek, E. P. Pick]!) konnten nicht ent- 
mutigen, die aufgeworfene Frage zu verfolgen, da die von den 
genannten Autoren benutzten Methoden zur Konstatierung der 
betreffenden komplizierten Vorgänge in Eiweißlösungen unzu- 
länglich sein konnten. 


I. 

Meine Untersuchungen gingen von folgenden Befunden aus: 

1. Eine Stunde auf 60° erwärmtes Blutserum läßt nach Ver- 
dünnen mit Wasser und Ansäuern mit verdünnter Essigsäure 
(0,01 Proz.) einen Niederschlag ausfallen, welcher im Vergleich zu 
dem in gleicher Weise erzielten Niederschlag aus einer ebenso 
großen Menge unerhitzten Serums viel mächtiger ist und auf Zu- 
satz von verdünnter neutraler Kochsalzlösung sich nur zum Teil 
löst. Dabei zeigen sich in verschiedenen Seris quantitative 
Unterschiede. 

2. Bringt man die nach Zusatz von Ammonsulfat bis zur 
Halbsättigung ausgefallenen Niederschläge des unerhitzten und 


36* 


564 Leopold Moll, 


erhitzten Serums aufs Filter, wäscht sie mit 50proz. Ammon- 
sulfatlösung alkali- und albuminfrei, so geht der Niederschlag auf 
Zusatz von Wasser im ersten Falle ganz, im zweiten nur teilweise 
in Lösung. Die quantitative Untersuchung dieser Niederschläge 
(Methode siehe unten) zeigte, daß in dem auf 60° erwärmten 
Serum die als Globulin anzusehende Eiweißfraktion vermehrt 
und außerdem Alkalialbuminat aufgetreten war. Wurde das 
Serum nur eine halbe Stunde auf 56° erwärmt, so fehlte die 
Alkalialbuminatbildung, dagegen ließ sich eine deutliche 
Globulinvermehrung nachweisen. 

Es ist hier geboten, als wichtigstes physikalisches Unter- 
scheidungsmittel zwischen Globulin und Alkalialbuminat die 
Löslichkeit in verdünnten neutralen Salzlösungen, die in der ge- 
schilderten Weise geprüft werden kann, hervorzuheben. (Daß 
bei solchen Untersuchungen die Leichtigkeit, mit welcher 
Globuline namentlich bei längerem Aufenthalt \in destilliertem 
Wasser ihre Löslichkeit in verdünnten Salzlösungen verlieren und 
denaturiert werden, berücksichtigt werden muß, braucht nicht 
näher erörtert zu werden.) Ich halte es für notwendig, diese 
Differenz der beiden Eiweißkörper um so mehr zu betonen, als man 
in der Literatur oft entgegengesetzten Ansichten begegnet. So 
schreibt z. B. Hammarsten in seinem Lehrbuch der physio- 
]ogischen Chemie*): „Eine scharfe Grenze zwischen den Globulinen 
einerseits und den künstlichen Albuminaten andererseits läßt sich 
kaum ziehen. Die Albuminate sind zwar regelmäßig unlöslich in 
verdünnter Kochsalzlösung, doch kann man durch stärkere Alkalı- 
einwirkung Albuminate darstellen, welche vor allem unmittelbar 
nach ihrer Ausfällung in Kochsalzlösung löslich sind. Umgekehrt 
gibt es auch Globuline, welche mit Wasser ın Berührung nach 
einiger Zeit in Kochsalz unlöslich werden.“ 

Ich halte jedoch die prinzipielle Scheidung beider Körper 
für gerechtfertigt. 

Bei strenger Beobachtung des differenten Verhaltens der beiden 
Eiweißgruppen gegenüber neutralen Salzlösungen gelingt die Unter- 


**) Das Freisein des Albuminat und Globulin enthaltenden Nieder- 
schlages von Alkali vor der Vornahme der Prüfung auf seine Wasserlöslichkeit 
ist noch aus folgendem Grunde notwendig: Wenn man eine reine Pseudoglobulin- 
lösung mit einem in etwas Alkali gelösten Albuminat zusammenbringt, die 
Mischung durch Zusatz von Ammonsulfat bis zur Halbsättigung fällt, so 
löst sich der Niederschlag auf Wasserzusatz zu einer opaleszenten Flüssig- 
keit, die selbst nach mehrstündigem Zentrifugieren keinen Niederschlag ab-: 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 565 


Untersucht man viele Sera in der oben geschilderten Weise, 
so beobachtet man bezüglich der Menge des neugebildeten 
Globulins und Albuminats große Unterschiede. Es kommt dabei 
neben dem Hitzegrade und der Dauer seiner Einwirkung auch 
die Tierart, von welcher das Serum stammt, in Betracht. 


Tabelle: -E 


Ir 4 cem Kaninchenserum. 


Normal Eine Stunde auf 58° erwärmt 
k Pseudo- i : N Ps - 2 
' Euglobulin ne Albumin | Euglobulin Bde Albumin 
globulin | globulin 
8 8 g g | 8 8 


I. ! 0,0207 0,0828 | 0,1875 | 0,0461 0,1665 | 0,0290 


EL. 0,0385 0,0813 | 0,1206 0,0680 | 0,1172 | 0,0569 


II. 0,0322 0,1001 0,1210 || 0,0440 | 0,1562 | 0,0509 


IV. | 0,0369 | 0,0970 0,1119 | 0,0768 | 0,1040 | 0,0674 


IV 0,0353 0,0991 | 0,1150 ;| 0,0699 | 0,1103 | 0,0680 
0,0657 , 0,1814 0,0491 | 0,1363 | 0,0718 
| 


NE 0,0054 


So zeigten alle Sera nach halbstündigem Erwärmen 
auf 56° eine deutliche Globulinzunahme ohne Alkalialbuminat” 
bildung. Bei einstündigem Erwärmen auf 60° aber war letztere 
ım Pferdeserum immer, im Hundeserum oft, im Kaninchenserum 
seltener nachweisbar. In der vorstehenden Tabelle I sind die 
im gleichen Volumen (4 ccm) der unerhitzten und der eine Stunde 
auf 58° erwärmten Kaninchensera — in diesen Fällen fehlte jede 
Albuminatbildung — eintretenden Veränderungen quantitativ“) und 
übersichtlich zusammengestellt. Dabei ergab sich eine gewisse 


sitzen läßt. Es ist dabei alkalische Reaktion notwendig. Im Gegensatz dazu 
wird dasselbe mit Ammonsulfat bei derselben Alkaleszenz ausgefällte Albuminat 
bei Abwesenheit von Pseudoglobulin durch Wasserzusatz nicht zur Lösung 
gebracht. Das hier erwiesene Lösungsvermögen des Pseudoglobulins 
für Albuminat ist zwar ein beschränktes, kommt aber bei den Schwankungen, 
welche die Albuminate verschiedener gleichbehandelter Sera in ihrer Löslich- 
keit durch reines Alkalı zeigen, doch in Betracht. Man kann die genannte 
Löslichkeit des Albuminats willkürlich durch längeres Erwärmen (bei seiner 
Herstellung) mit Alkali ändern und zwar herabdrücken. Hierdurch finden die 
Befunde von Hammarsten?) über das Verhalten von Kasein bei Gegen- 
wart von Blutserum, sowie die Ausführungen von Spiro und Porges’) 
(l. c. p. 280) ihre Aufklärung. 

*) Methode Hofmeister-Pohl. Näheres Arch. f. exp. Pathol. 20, 426. 


566 a, Leopold Moll, 


Differenz der einzelnen Sera, indem zwar alle eine Euglobulinver- 
mehrung, jedoch nur einige eine gleichzeitige Pseudoglobulinver- 
mehrung aufwiesen. Da, wie unten erwiesen werden wird, aus 
dem Albumin durch das Pseudo-Globulinstadium Euglobulin wird, 
so muß angenommen werden, daß in den ersteren Fällen eben- 
soviel Euglobulin aus dem nativen Pseudoglobulin entstand, als 
Pseudoglobulin aus Albumin neu gebildet worden war. 


Daß Albumin in Globulin übergeführt werden kann, ist zwar 
mehrfach behauptet, aber noch niemals einwandfrei be- 
wiesen worden. So erwähnen Corin und Berard?), daß Eier- 
albumin nach Erwärmen die Fähigkeit erlangt, mit Magnesiumsulfat 
zu fallen, ein Umstand, der an und für sich über die Natur des 
entstandenen Eiweißkörpers noch nicht entscheidet. Ferner hat 
J. Starke) in einer ausführlichen Mitteilung auf Veränderungen 
von verdünnter Eieralbuminlösung durch Erwärmen hingewiesen. 
Das von ihm als Globulin bezeichnete Produkt war aber nach den 
entscheidenden, von ihm angegebenen Reaktionen („Unlöslichkeit 
in verdünnten Neutralsalzlösungen‘*), 1. ec. p. 520, kein Globulin. Bei 
Befolgung der von Starke geforderten Versuchsanordnung der Hitze- 
dialyse konnte ich mich nicht überzeugen, daß der ausfallende 
Körper in selbst stärkerem Alkalı löslich war. Vielmehr sprachen 
die beobachteten Eigenschaften desselben für einen koagulierten 
Eiweißkörper. Außerdem ist noch darauf hinzuweisen, daß sich 
das von Starke zu seinen Untersuchungen verwendete verdünnte 
Eieralbumin, sowie das kristallisierte Eieralbumin, was den Über- 
gang in Globulin anlangt, wesentlich vom Serum, beziehungs- 
weise kristallisiertem Serumalbumin in dem Sinne unterscheidet, 
als das Auftreten von Globulin unter Einhaltung der weiter unten 
geschilderten Versuchsbedingungen, die beim Serumalbumin immer 
die genannten Veränderungen herbeiführen, beim Eieralbumin nur 
angedeutet ist. Das letztere hat vielmehr die Neigung, sehr schnell 
in Albuminat überzugehen. 


Da beim Erhitzen des Serums eine kombinierte Alkalı- und 
Hitzewirkung statthat, wobei der Einfluß der beiden Komponenten 
wegen des verschiedenen Gehaltes des Serums an Salzen und 
anderen Eiweißstoffen nicht ohne weiters ersichtlich ist, ging ich. 
daran, den beim Serum gefundenen Übergang von Albumin in 
Globulin und weiter in Albuminat am kristallisierten Serum- - 
albumin bei wechselndem Alkalı- und Salzgehalt zu studieren. 

Das bei der Kristallisation des Serumalbumins in Lösung 
bleibende Conalbumin konnte durch die Alkali- Hitzewirkung 
nicht in Globulin übergeführt werden. | 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 567 


Versuche mit kristallisiertem Albumin. 


Das Ausgangsmaterial zu den folgenden Versuchen bildete 
das nach der Hofmeisterschen Methode in der Gürber- und 
Kriegerschen Modifikation?) kristallisierte und durch Dialyse 
salzfrei gewonnene Serumalbumin. 

In späteren Versuchen habe ich die Kristallisation des Serum- 
albumins folgendermaßen vorgenommen. Die alkalische Reaktion des 
Serums wird durch so viel 1, Salzsäure abgestumpft, daß auf 100 ccm 


Serum 25 cem der Säure kommen. Das jetzt gegen Lackmus neutral 


reagierende Serum wird durch neutrales Ammonsulfat auf Halbsättigung 
EB . . n { 1. . m. 
gebracht. Das Filtrat wird mit ; H,SO, bis zur beginnenden Trübung 


angesäuert. Dieses Verfahren bietet gegenüber dem bisherigen folgende 
Vorteile: Wie mich eigene quantitative Messungen belehrten, ist nach 
Neutralisation des Serums die bei Halbsättigung mit Ammonsulfat aus- 
fallende Globulinmenge größer und stellt den wahren Globulingehalt des 
Serums dar, da durch das Alkali des nativen Serums ein Teil des 
Globulins der Fällung entzogen wird. Ferner geht die Kristallisation des 
Albumins viel rascher vor sich, und bei richtig gewählter Menge der zu- 
gesetzten — - Schwefelsäure fehlen schon in der ersten Kristallisation 
amorphe Bestandteile oder werden auf ein Minimum reduziert. 

Wird so gewonnenes Serumalbumin ‚(das mit Baryumchlorid 
selbst bei längerem Stehen keine Trübung zeigt) erwärmt, so 
tritt schon bei ungefähr 50° Koagulation ein. Diese regelmäßig 
beobachtete Erscheinung steht mit den meisten Angaben, wonach 
das salzfreie Albumin ungerinnbar sein soll, im Widerspruch, im 
Einklang dagegen mit einer Angabe von Erb®), welcher ebenfalls 
auf die entgegengesetzten Angaben in der Literatur aufmerksam 
macht. 

Das Gerinnen der Albuminlösung wurde aber hintangehalten, 
wenn sie vorher etwas alkalisch gemacht wurde. 

Es mußte nun jene Alkalimenge festgestellt werden, bei der 
konstant zwar ein Übergang von Albumin in Globulin, aber keine 
Alkalialbuminatbildung eintritt. Für 1 bis 3proz. Albuminlösungen 
wurde diese in einer Natriumkarbonatlösung gefunden, die 0,0795 
n 
> 
minlösung das gleiche Volumen dieser Sodalösung zugesetzt, so 


proz. war, somit einer Lösung entsprach. Wurde der Albu- 


daß der Alkaleszenzgrad derselben jetzt einer - Lauge ent- 


n 
132 
sprach, so konnte sie auf 60° erhitzt, ja aufgekocht werden, ohne 
zu koagulieren. In der ersten durch eine Stunde auf 60° erwärmten 
Probe fiel bei Halbsättigung mit Ammonsulfat ein dicker Nieder- 


schlag aus, welcher sich auf Zusatz von destilliertem Wasser 


568 Leopold Moll, 


vollkommen klar löste, desgleichen, nachdem er durch Waschen 
mit 50 proz. Ammonsulfatlösung vollkommen von Albumin und 
Alkalı frei geworden war. 

Ebenso ging der auf Zusatz verdünnter Essigsäure (0,01 Proz.) 
ausfallende Niederschlag der erhitzten Probe durch einige Tropfen 
physiologischer Kochsalzlösung in Lösung. 


Ging man aber z. B. bei einem Eiweißgehalt von 3,5 bis 5 Proz. 
mit der so verwendeten Alkalimenge auf die Hälfte der Konzen- 
tration herab, so wurde die Probe beim Erhitzen auf 60° opaleszent 
und gerann zum Teil bei längerem Erhitzen. Das obige empirisch 
gefundene Verhältnis zwischen Alkali- und Eiweißmenge ändert 
sich insofern mit der Konzentration des Eiweißes, als es geboten 
ist, bei verdünnteren Albuminlösungen, z. B. solchen unter 1 Proz,, 
mit der Alkalikonzentration noch herabzugehen. Will man aber 
bei derartig verdünnten Albuminlösungen eine ausgiebige Glo- 
bulinbildung erzielen, so ist längeres als einstündiges Erhitzen 
auf 60° nötig. Trotzdem wäre es gefehlt, anzunehmen, daß die 
beschriebene Reaktion auch ohne Alkalı von statten ginge. Erhitzt 
man eine reine Albuminlösung auf Temperaturen, welche unter 
dem Koagulationspunkt liegen, z. B. 48 bis 49°, so wird selbst 
nach längerer Zeit (2 bis 3 Stunden) nicht eine Spur Globulin 
gebildet, während unter gleichen Versuchsbedingungen nach Zusatz 
von etwas Alkali das Phänomen eintritt. Andererseits geht bei 
stärkerer Alkalikonzentration oder durch länger als 1 bis 2 Stunden 
währende Hitzewirkung bei 60° oder durch Überschreiten dieser 
Temperatur ein merklicher Teil des Albumins in Albuminat über. 
Es war also bei den weiteren Versuchen geboten, das einmal für 
gut befundene Maß der Alkali- und Hitzewirkung einzuhalten. 


In bezug auf die Art des entstandenen Globulins ist folgendes 
zu sagen: Durch Dialyse des aus dem mit Alkali erwärmten 
Albumin gewonnenen und durch Waschen mit 50proz. Ammon- 
sulfatlösung vom Albumin befreiten Halbsättigungsniederschlages 
fiel ein Teil aus (Euglobulin), während der Rest (Pseudoglobulin) in 
Lösung blieb. Der ausgefallene Anteil wurde durch wenige Tropfen 
verdünnter neutraler Kochsalzlösung gelöst undmit Ammonsulfalt bei 
Drittelsättigung ausgefällt. Ebenso stimmte auch das in Lösung ver- 
bliebene künstliche Pseudoglobulin in seinen Fällungsgrenzen gegen 
Ammonsulfat mit dem natürlichen überein. Wurde jedoch seine 
Lösung neuerdings mit dem gleichen Volumen der angegebenen 
Sodalösung eine Stunde auf 60° erwärmt, so gab sie jetzt bei 
Drittelsättigung einen Niederschlag, der auf Wasserzusatz löslich 
war. Ebenso ging ein nunmehr durch verdünnte Essigsäure aus- 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 569 


fällbarer Niederschlag der erhaltenen Lösung durch physiologische 
Kochsalzlösung wasserklar in Lösung. Wenn das Verhalten der 
Eiweißkörper gegen Salzlösungen und die Fällungsgrenzen durch 
Ammonsulfat als maßgebend für die Existenz verschiedener Eiweiß- 
individuen gelten dürfen — durch die in jüngster Zeit aus Hof- 
meisters Laboratorium erschienenen Arbeiten von Porges und 
Spiro’) wurde dieser Maßstab noch mehr gefestigt — so war 
durch mäßige Alkali-Hitzewirkung aus Albumin Pseudo- 
globulin, ausPseudoglobulin Eugloblin gebildet worden. 
Letzteres ließ sich dann bei längerer Wärme- und Alkaliein- 
wirkung leicht in Alkalialbuminat überführen. 

Übereinstimmend mit dem künstlichen Pseudoglobulin konnte 
auch das native, aus normalem Pferdeserum dargestellte bei 
gleicher Behandlung partiell in Euglobulin übergeführt werden. 

Es sei hier noch folgender Beobachtung gedacht, die für die 
Diskussion der Frage der Einheitlichkeit des Albumins vielleicht 
von Bedeutung ist, die aber noch weiterer Ausarbeitung bedarf: 
bestimmt man in Albuminlösung, die bei gewisser, willkürlich 
gewählter Konzentration an Ammonsulfat (z. B. 65 Proz. und 
100 Proz. Sättigung) ausfallenden Eiweißmengen, so ergibt sich 
nach kurzdauernder Erhitzung ('/, Stunde) mit obiger Alkalilösung 
bei 60° Zunahme der leicht fällbaren Fraktion auf Kosten der 
schwer fällbaren. 


IT. 

Bei der Wichtigkeit, welche die Beobachtung der Überführ- 
barkeit des Albumins in Globulin für die Annahme einer genetischen 
Beziehung dieser beiden natürlichen Eiweißkörper hat, war es 
noch unbedingte Forderung, zu prüfen, ob die künstlich gewonnenen 
Eiweiße mit den natürlich vorkommenden außer in ihrem Ver- 
halten gegen Salze auch in ihrer chemischen Zusammensetzung 
übereinstimmen. 

Als entscheidender analytischer Unterschied zwischen Albumin 
und Globulin ist der verschiedene Schwefelgehalt sicher- 
gestellt. K. A. H. Mörner?°) hat nachgewiesen, daß in diesen 
beiden Eiweißkörpern des Serums der gesamte Schwefel in der- 
selben Form und zwar in „eystinähnlicher“ gebunden ist; ferner 
hat man das Globulin stets schwefelärmer als das Albumin gefunden. 


Diese Tatsachen, welche der Vorstellung, das Globulin des Serums 
sei aus dem Albumin hervorgegangen, nicht nur nicht im Wege stehen, 
sondern entgegenkommen, könnten andererseits auch das oben genannte 


differente Verhalten des Eieralbumins, in welchem — wie ebenfalls 
Mörner gezeigt hat — nur ein kleiner Teil des Schwefels als Cystin- 


schwefel gebunden ist, erklären. 


570 Leopold Moll, 


Es ergab sich daher behufs Identifizierung des künstlichen 
mit dem natürlichen Globulin die Aufgabe, den Schwefelgehalt 
beider zu vergleichen. 

Bei den quantitativen Bestimmungen des Schwefels ging ich genau 
nach den Vorschriften Mörners vor (l. eit. S. 209). Um sicher zu sein, 
die Methode vollkommen zu beherrschen, machte ich zunächst einige 
Kontrollbestimmungen am kristallisierten Pferdeserumalbumin, und fand 
in gut übereinstimmenden Parallelproben als Mittelwert 2,18 Proz. S. 
(Mörner fand 2,15 Proz. S.) 

Dieser Wert bedarf nach Mörner einer Richtigsteilung. Da Mörner 
nämlich nach dem Ausziehen des Albumins mit Ammoniak einen Verlust 
von 0,42 Proz. S zu verzeichnen hatte, nimmt er den dann übrig 
bleibenden 1,73 Proz. als wirklichen Schwefelgehalt des Albumins an. 
„Dieser Versuch scheint es sicher zu stellen, daß die Schwefelsäure nicht 
organisch gebunden ist, sondern eine salzartige Verbindung mit dem 
Albumin eingeht. Diese Schwefelsäure stammt also wahrscheinlich von 
den Sulfaten her, welche bei der Darstellung des Albumins gebraucht 
wurden.“ 

Um zu erfahren, wie viel Schwefel durch Behandeln mit Ammoniak 
aus dem von mir benutzten Albumin beseitigt wird, wurde .ein Teil 
desselben so lange mit Ammoniakwasser ausgezogen, bis das Wasch- 
wasser mit Baryumchlorid, das mit Salzsäure angesäuert war, keine 
Trübung mehr gab. Durch das Waschen mit Ammoniakwasser war etwas 
Eiweiß in Lösung gegangen. Das vom Filter genommene und auf kon- 
stantes Gewicht gebrachte Albumin (0,1356 g und 0,5172 g) enthielt noch 
1,95 Proz. bzw. 2,01 Proz., im Mittel also 1,98 Proz. Schwefel. Die 
Differenz der Schwefelwerte gegenüber dem oben angeführten, mit Am- 
moniak nicht ausgezogenen Albumin betrug daher nur 0,20 Proz. Bei 
einem anderen kristallisierten Pferdeserumalbumin, dessen Schwefelgehalt 
ein recht hoher, nämlich im Mittel 2,61 Proz. war, erwies sich derselbe 
nach dem Ausziehen mit Ammoniak um 0,305 Proz. geringer. Im allge- 
meinen sei noch bemerkt, daß die Albumine und auch die Globuline ver- 
schiedener in derselben Weise dargestellten und untersuchten Pferdesera 
in ihrem Schwefelgehalt erhebliche Differenzen aufwiesen. 

Zur Darstellung des künstlichen Globulins wurde das durch 
Kristallisation gewonnene und gereinigte und durch Dialyse vom Sulfat 
befreite Albumin mit dem gleichen Volumen der 0,079 proz. Sodalösung 
durch 1!/, Stunden auf 60° im Wasserbad erhitzt. Nach dem Ausfällen 
des gebildeten Globulins mit Ammonsulfat — auf Abwesenheit etwa vor- 
handenen Albuminats wurde in der oben geschilderten Weise geprüft — 
und Reinigen desselben durch Waschen mit 50 proz. Ammonsulfatlösung, 
wurde es koaguliert, mit heißem Wasser vom Sulfat vollkommen befreit, 
mit Alkohol und Ather behandelt, bei 100° bis zur Gewichtskonstanz ge- 
trocknet und gewogen. Die Schwefelzahlen sind das Mittel aus zwei 
Bestimmungen. (Siehe Tabelle auf folgender Seite.) 

Zu dem Präparat III sei bemerkt, daß auch das aus dem betreffenden 
nativen Pferdeserum dargestellte Pseudoglobulin und ebenso das Euglobulin 
durch hohe Schwefelwerte auffielen. Das Pseudoglobulin enthielt im Mittel 
1,50 Proz. S, das Euglobulin 1,57 Proz. S. In anderen untersuchten 
Fällen schwankte der Schwefelgehalt des nativen Globulins zwischen 
141 Proz: und'1,4 Proz. | 


z 
nd Ds a Zn in 2 Zu ee nn. ur 1 N ee ee Me Me ee ee Mei 


< ‚ 2:0 u ae ni Due ee 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 571 


Desadenn ne ER NER 


| 
S-Gehalt des Albumins 2,19 Proz. | 2,19 Proz. | 2,61 Proz. 
S-Gehalt des künstl. Preudoglobulius +| 9 Pros. 185 Pro. 
me en..,. | ee a 
S-Gehalt des künstl. Pseudoglobulins | | 1,79»Proz. 
ra Biglobulin > ern 


In Übereinstimmung mit Mörner, welcher allerdings nicht 
die Ammonsulfatfällung zur Trennung der beiden Globuline be- 
nutzte, konnte ich im Schwefelgehalt des Eu- und Pseudoglobulins 
keine nennenswerten. Unterschiede finden. 

Die künstlichen Globuline stimmten somit in ihrem 
Schwefelgehalt völlig mit den natürlichen überein. 

Auch in folgenden Versuchen konnte eine Übereinstimmung 
zwischen künstlichem und nativem Globulin konstatiert werden. 

Das aus einem nativen Pferdeserum durch Verdünnen und Ansäuren 
mit verdünnter Essigsäure ausfallende Globulin (Freunds Essigsäure- 
körper) hatte einen Schwefelgehalt von 1,21 Proz. Der Schwefelgehalt 
des kristallisierten, aus demselben Serum stammenden Albumins betrug 
1,93 Proz. und das aus diesem Albumin nach Alkali-Hitzewirkung durch 
sehr verdünnte Essigsäure ausgefallene Globulin (künstlicher Essigsäure- 
körper) wies einen Schwefelgehalt von 1,44 Proz. auf. Die angeführten 
‚Zahlen sind das Mittel zweier Parallelproben. 

In ähnlicher Weise konnte ein künstlicher Essigsäurekörper mit 
einem Schwefelgehalt von 1,35 Proz. gewonnen werden, als nach Aus- 
fällung des nativen Essigsäurekörpers, dessen Schwefelgehalt 1,39 Proz. 
im Mittel betrug, das Filtrat desselben der Alkali-Hitzewirkung unter- 
worfen und mit verdünnter Essigsäure zur Fällung gebracht wurde. 

Aus den genannten Untersuchungen geht wohl mit Sicherheit 
hervor, daß zwischen künstlichem und natürlichem Globulin nicht 
nur in bezug auf die physikalischen Reaktionen, wie Wasser- 
unlöslichkeit, Salzlöslichkeit und Fällungsgrenzen, sondern auch 
— und darauf soll besonders Gewicht gelegt sein — im prozentischen 
Schwefelgehalt Übereinstimmung herrscht. 

Ob der weitere von L. Langstein?) festgestellte qualitative 
Unterschied zwischen den Kohlehydratgruppen des Serumalbumins 
und Serumglobulins auch für künstliche Globuline Gültigkeit hat, 
konnte, zumal die ausführliche Mitteilung der Untersuchung über 
„die Kohlehydrate des Serumglobulins“* erst vor einigen Tagen 
erschienen ist, andererseits die Beschaffung der zu den Unter- 
suchungen erforderlichen großen Mengen künstlichen Globulins 

- derzeit undurchführbar war, noch nicht geprüft werden, 


572 Leopold Moll, 


Ferner kann und sol) erst nach Veröffentlichung der Angaben 
Gümbels:?) über die Verteilung des Stickstoffs im Globulin- 
molekül ein darauf bezüglicher Vergleich des natürlichen mit dem 
künstlichen Globulin durchgeführt werden. 

Die Differenz in den Koagulationstemperaturen des 
natürlichen Albumins und Globulins konnte auch bezüglich des 
künstlichen Globulins konstatiert werden. Bei Beobachtung 
gleicher Versuchsbedingungen, d. i. gleicher Eiweiß- und Salz- 
konzentration hatte eine Albuminlösung einen niedrigeren Koa- 
gulationspunkt als das aus ihr dargestellte Globulin. Zahlen 
anzuführen unterlasse ich, da die Koagulationstemperatur von 
Globulinlösungen nach Eiweiß- und Salzkonzentration schwankt. 

Schließlich sei erwähnt, daß das „biologische“ Verhalten 
des künstlichen Globulins jenem des nativen entsprach. Es gab 
nämlich das Serum der mit subkutanen Injektionen von künst- 
lichem Globulin, ebenso wie der mit natürlichem Globulin be- 
handelten Kaninchen einen stärkeren Niederschlag mit Globulin 
als mit Albumin. 

Es schien von Interesse zu prüfen, ob auch bei Lebens- 
temperatur ein Übergang des Albumins in Globulin eintritt. Die 
an Seris verschiedener Tiere angestellten quantitativen Versuche 
zeigten, daß nach 24stündiger Digestion derselben bei 37 bis 38" 
kein Albumin in Globulin überging. Die gleichen negativen 
Resultate hatten auch die an reinen mit der 0,079proz. Sodalösung 
zu gleichen Teilen verdünnten Albuminlösungen angestellten Ver- 
suche. Dagegen tritt das Phänomen auf bei einer auf Blutalkalescenz 
(0,4 Proz. Na,CO;) gebrachten und 8 Stunden bei 38° gehaltenen 
Lösung von kristallisierttem Serumalbumin; worauf dieser Unter- 
schied zwischen Serum und Eiweißlösungen beruhen könnte er- 
hellt aus dem Folgenden. 


II. 

Bevor eine Deutung des Zustandekommens der beobachteten 
Überführung von Albumin in Globulin versucht werden kann, 
bedarf es noch vielfacher Vervollständigung unserer Kenntnisse. 

Nachdem die Gegenwart von freiem Alkali als unbedingte 
Voraussetzung der Umwandlung erkannt worden war — die Über- 
führung ist somit eine Funktion der Hydroxylionen —, 
wurde zunächst untersucht, ob sich die Energie der Reaktion 
mit wechselnden Basen *) ändert. 

Es wurden Lösungen von K,CO,, (NH,),CO,, Li, CO;, NaHCoO,, 
NaOH, KOH, Na,HPO.,, K:.HPO,, welche einer 0,079 proz. 


+) 2 Auch ee Basen, wie Anilin, Pyridin führen Albumin ın 
Globulin über. 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Giobulin. 573 


Na,CO,-Lösg. äquivalent waren, hergestellt (je 10 cem dieser 
Lösungen werden durch 1,5 cem einer „.Hcı neutralisiert), und 
auf ihr Überführungsvermögen von Albumin in Globulin untersucht. 


Je 12 cem einer reinen Albuminlösung wurden mit 12 cem einer 
dieser Lösungen zusammengebracht und in einem auf 60° gestellten 
Wasserbade eine Stunde lang belassen. Alle Proben wurden zur selben Zeit 
und gleich lange erhitzt. Nach dem Abkühlen der Lösungen wurde 
zu je 20 cem der Mischung die gleiche Menge kaltgesättigter neutraler 
Ammonsulfatlösung zugesetzt. Nach dem Absetzen der Niederschläge 
wurden dieselben auf ein gewogenes Filter gebracht, mit 50 proz. 
Ammonsulfatlösung albuminfrei gewaschen, bei 100° koaguliert, mit 
heißem Wasser vom Sulfat befreit. mit Alkohol und Ather gewaschen, 
getrocknet und gewogen. 


Die in Tabelle II zusammengestellten Ergebnisse dieser Ver- 
suchsreihen lassen folgende Schlüsse zu: 


1. Die Menge des gebildeten Globulins hängt bei gleichen 
Versuchsbedingungen von der Konzentration der Albuminlösung 
ab, indem aus konzentrierten Lösungen verhältnismäßig mehr 
Globulin gebildet wird. 


Tabelle IL 
In 10 ccm Re a FE 
Albumin- Lithi- A c- - E - - 
lösung 2 eg Natrium- Kalium- 
iu Karbo- Karbo- Hyar- Karbo- Phos- Bikar- Hysur- Karbo- Phos- 
nat nat oxyd nat phat bonat | oxyd nat phat 
E .& e .... 0,2662 ie S Albu- |... 
0,3452 =&_] 0.2692 0,2701 0,2956 _"__,, 0.2718 0,2661 4... 0.2717|0,2664 
a>= i ——M I I 
3.52 0,1701 Albu- 
zaoıX 70° - IC 717 7 
0,2492 3° , 0,1709 0,1716 0,1920 0,0, 1717 u. ‚0,1729 
5°3 Du | 
P:82 | an 
332 A u 0,0615 ” „u Albu- 
0,1245 == | ‚0,0590 0,0563 0,0909 _'_ ... 0,0598 0,0597 “0,0660 0.0583 
= — Ey minat 


2. Die Karbonate, Bikarbonate, Phosphate der Alkalimetalle 
wirken gleich stark, schwächer aber als die Hydroxyde. 
3. Auch das Kation ist dabei von Bedeutung, was z. B. in 


dem ungleichen Verhalten des Kaliumhydroxyds und Natrium- 
hydroxyds zum Ausdruck kommt. 


War die Annahme einer Wirkung freier Hydroxylionen bei 
der Überführung von Albumin in Globulin richtig, so mußte auf 
diesen Vorgang die Anwesenheit von Salzen, welche die Dissoziation 


574 Leopold Moll, 


zurückdrängen, hemmend wirken. In der Tabelle Nr. III sind 
darauf bezügliche Versuchsergebnisse zusammengestellt. Aus 
diesen geht hervor: 

1. Die neutralen Salze wirken hemmend auf die Überführung 
von Albumin in Globulin, und zwar mit ansteigender Konzentration 
stärker; 

2. die stärkste hemmende Wirkung haben die Ammonsalze; 
schwächer als diese wirken die Nitrate und noch schwächer die 
Chloride; 

3. die Hemmung der Globulinbildung durch Salze hängt von 
der Eiweißkonzentration ab, indem sie bei konzentrierten Eiweiß- 
lösungen viel stärker als bei verdünnten in Erscheinung tritt; bei 
einer stark verdünnten Albuminlösung ist (wie im dritten Falle) 
ein hemmender Einfluß durch Salze, wenn von den Ammonsalzen 
abgesehen wird, nicht oder nur in geringem Maße konstatierbar. 


Tabelle II. 


Globulinbildung unter dem Einfluß von Salzlösungen, welche einer 3proz. 
bzw. pen Kochsalzlösung äquimolekular waren. 


Menge Es aus 


10 Kr er | 
' minlösung | | 
In 10 cem |0ccm Na, 00,- ' Ammonium- | Natrium- "  Kalium- 
Lösung Lösung durch | | 
er Albumin einstündiges | | 
5 Bwee = | | 
600 gebildeten e 2 ı = 
Globulins Chlorid| Nitrat | Chlorid | Nitrat ‚Chlorid Nitrat 
BR | a..|| 0,9873 | 0,0798 | 
| / | jı Er ’ 22 2 
Es | 3 /o | Spur | Spur I- 68,7 %/0|— 23,1 %/o 0,2240 | 6,090 
0,3452 : N ne mm: menu FL En 
— ul RE EooBRRd En, 0,1003 | | 
; | | ı =29 %o | 
| 0,1400 | 0,1852 | 14=nl: 
30/. Spur | Spur : “ ‘0,1450 |'0,1312 
0.2493 | 0,1701 ; | ne 56,1 = 50,2 a 5 
ee Baer 4 0,1131 | 0,0342 | | 
N | 7 (2468 %o= 18,7 07, |%1150 0.0497 
san ann) 0,0595 | 0,0504 | 
3 0.0530 |? / | Spur | Spur |_ 37,8 0/1 — 88,0 0/0 - 0,0505 
0,1575 38,60] E92 - | 
Rn RT oo AR FR 0,0540 0,0439 | 


Neben dem ın vorstehender Tabelle RR Chlorid und 
Nitrat wirkten Ammoniumbromid, -jodid und -sulfat in gleicher Weise 
hemmend. Um eine nähere Vorstellung von dem Umfang der Hem- 
mung durch Salze in ihrer Abhängigkeit von den absoluten Mengen 
derselben zu geben, mögen noch folgende zwei Versuchsreihen 
(Tabelle IV und V) hier Platz finden. Die Versuche zeigen den 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 


Tabelle IV. 


Menge des aus 10 ccm Albu-| | 


575 


minlösung (0,2707 g enthal- Unter dem Einfluß von NH«sCl gebildetes Globulin 


tend) + 10 ccm (NH )2C0;- 


Lösung (0,075 9%) dur ch ein- 
stündiges Er wärmen auf 60° | 
gebildeten Globulins 


' Auf ein (NH,),CO;- | 
Molekül entfallen | 
NH,CI-Moleküle 


| 
NH,CI-Konzen- | 
tration in Proz. | 


0,1818 — 67,1%, 29,8 0,93 °/, 0 
24,0 0,75%, Spur 
a 0,56%, 0,0583 — 19,6% 
ee a ee ner ie 
GER a 0,1380 - 47, 33 
0,57 0018°% [0,1644 — 60,7 ° 


Tabelle V. 


Menge des aus 10 cem Al- 
buminlösung (0,2707 g ent- 
haltend) + 10 ccm Na, C09;- 


Unter dem Einfluß von NaCl gebildetes Globulin 


Lösung (0,079%,) durch ein- | 
stündiges Erwärmen auf 60° || 

gebildeten Globulins | 

I 


AUL eın Na, CO,- 
Molekül entfallen 
NaCl-Moleküle 


Na Cl-Konzen- 
tration in Proz. | 


0,1870 — 69,0 %/, 143 6,95%, 0 
123 5,86 ef, RE Spur To 
a 05 19], 
Pe 357%, 10073 —974°|, 
Se en ARE 0,0 0905 — = 33,4%], 
SR FANSRAREEEN 0, 1522 — 56,2%], 
0 Ma. in 1853 — 68,4 9), 


Einfluß von Chlornatrium auf Natriumkar bonat- na von Chloram- 
monium auf Ammoniumkarbonatwirkung. 
Die gewählten Salzkonzentrationen il absteigend angeordnet, 
Multipla der zur Digestion verwendeter Dr -Karbonatlösungen. 
Aus den angeführten Werten ergibt Eh daß Chlorammonium 
sich einem gleichionigen Karbonat gegenüber ebenfalls leistungs- 


fähig erweist, 


quantitativ jedoch schon in weit schwächeren 


Konzentrationen hemmend wirkt als Chlornatrium auf Natrium- 
karbonat. 

Durch diese konstante Hemmungswirkung*) stehen die 
Ammoniaksalze bei der chemischen Reaktion der Globulin- 


*) Em TE TERR für unser Phänomen ist vielleicht die von Arrhenius 
(Zeitschr. f. physik. Chemie 1903, 44, 7) gemachte Beobachtung der Hemmung 
der hämolytischen Wirkung des Ammoniaks durch Ammoniaksalze. 


576 Leopold Moll, 


bildung im Gegensatz zu ihrer Rolle beim physikalischen 
Phänomen der Beeinflussung der Salzfällung von Eiweißkörpern 
=: Fau a 

Es besteht somit, kurz zusammengefaßt, folgende merkwürdige 
Beziehung zwischen Alkalikarbonaten und Ammonsalzen. Während 
beim Erhitzen auf 60° 1. Albumin allein koaguliert, 2. Albumin + 
Chloramonium ebenfalls koaguliert, 3. Albumin + Karbonat ın 
Globulin übergeht, wird 4. Albumin + Karbonat + Chlorammonium 
nicht verändert. Dialysiert man in letzterem Falle nach der 
Digestion das Karbonat und Chlorammonium weg, so zeigt das 
Albumin seine ursprünglichen Eigenschaften in unvermindertem 
Maße, und ist insbesonders mit Karbonat allein in Globulin über- 
führbar. Es besteht somit im Falle 4 eine Art Gleichgewichts- 
zustand zwischen entgegengesetzten Funktionen des Hydroxyls: 
einerseits ist die Koagulation verhindert, was auf, freie Hydroxyl- 
wirkung zurückzuführen ist, andererseits ist deren Vermögen, Al- 
bumin anzugreifen, durch Chlorammoniıum aufgehoben. 


Wie beeinflussen Nichtelektrolyten den Vorgang der 
Globulinbildung? In dieser Richtung habe ich bisher nur Zucker 
und Harnstoff in Lösungen kristallisierten Albumins untersucht. 
Sie zeigten entgegengesetztes Verhalten. Während Zucker eine 
geringe Hemmung ausübte, hat der Harnstoff, wie aus Tabelle VI 
hervorgeht eine fördernde Wirkung. 


Tabelle KESE 


g 10 l- 
a 9707 © ent-| Unter dem Binaal von Ü gebildetes Globulin 


haltend) + 10 eem N3,00, - 1— . 


5 Na, ‚co, - 
Lösung (0,079°/,) durch ein- || Aut ein 2 
stündiges Erwärmen auf 600 a entfallen BR. in| 
gebildeten Globulins | U-Moleküle Proz. | 
0,1798 = 68,4 97,71 4,02 | 0,18%, 0,1774—65,5°% 
| 24,8 111,308 0,1821 — 67 2° 
| 45,8 2,05 0,1910 — 70,5%, 
‚Bere PER! = = 
| 66,6 2,98%, 0,1963 — 79,5%, 
| 
| rv 
j 87,2 3,90 9, 0,2072 — 76,4 °], 
Menge des aus 10 eem Al- \ 
buminlösung (0,2707 g ent- | N 
| ni - 
Lösung (0,4 %/,) (Blutalkales- | von U (bei 380) ge- 
zenz) durch achtstündiges | bildetes Globulin 
Erwärmen auf 38° gebilde-) 
ten Globulins 
0,0523 — 19,3%], 87,2 |; i8,90.%9, 0,1247 — 46,0 ®], 


Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin. 577 


Die naheliegende Vermutung, daß diese fördernde Wirkung 
auf Karbonatbildung durch Zersetzung des Harnstofis beruhen 
könnte, begegnet der Schwierigkeit, daß Harnstoffzersetzung bei 
der eingehaltenen niedrigen Temperatur nicht beobachtet wird. 

Übertrage ich die Erfahrungen dieses III. Abschnittes vor- 
liegender Arbeit auf den lebenden Warmblüterorganismus, indem 
bei 0,4 Proz. Na,CO,-Alkaleszenz stets nur ein Teil des Gesamt- 
eiweißes als Globulin kreist, so scheint es, als ob die globulin- 
bildende Wirkung des Alkalis durch die Blutsalze eine Regulierung 
resp. Hemmung erfahre. 

Wenn auch der Umfang der beschriebenen Reaktion der 
Umwandlung des Albumins zu Globulin in ihrer Abhängigkeit 
von Konzentration, Zeit, Basis, Temperatur und Salzgehalt fest- 
gestellt worden ist, so müssen zur Aufklärung des zugrunde 
liegenden Vorgangs noch weitere eingehende Versuche angestellt 
werden: in der Schwefelabspaltung allein ist kaum das Ent- 
scheidende zu vermuten. Unabhängig von der zukünftigen Auf- 
fassung der Reaktion erscheint auch die Schlußfolgerung aus dem 
Mitgeteilten, daß die Bindung der Cystin- bzw. Thiomilchsäure- 
moleküle im Albumin keine gleichartige ist, daß sich vielmehr in 
diesem leichter und schwerer abspaltbare Schwefelkomplexe 
befinden. 


Prag, Juli 1903. 


Literaturverzeichnis. 

1) Baumgarten, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 43, 1902. 

2) Hammarsten, Ergebnisse d. Physiologie 1, 344. Über die Eiweiß- 
stoffe des Blutserums. 

3) Corin und Berard, Corin und Ansiaux, cit. nach Malys 
Jahresbericht 18, 13, 22, 92. 

4) J. Starke, Zeitschr. f. Biolog. S. 494 (1900). 

5) Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, S. 140 (1900). 

6) Erb, Zeitschr. f. Biolog. 41, 314 (1901). 

7) Porges und Spiro, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 3, 1902. 

8) K. A. H. Mörner, Zeitschr. f. physiol. Chemie 34, 207 (1902). 

9) L. Langstein, a) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 1, 259. 
b) Sitzungsbericht d. kaiserl. Akademie d. Wissenschaften in Wien. Mathem.- 
naturw. Klasse 112, Abt. IIb. Mai 1903. 

10) Hofmeister, Ergebnisse d. Physiologie 1, 777. Über Bau u. 
Gruppierung der Eiweißkörper, 

11) Pauli, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 4, 225 


Beitr. z. chem. Physiologie. IV. 37 


XLIV. 
Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 
Von Dr. Leopold Moll, Assistent des Instituts. 


Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität in Prag. 


In einer vorhergehenden Arbeit!) wurde der Nachweis geliefert, 
daß durch Erwärmen des Serums auf jene Temperaturen, bei 
welchen die bekannten Veränderungen an den Immunkörpern 
oder -kräften desselben (Inaktivierung) vor sich gehen, auch solche 
an den Eiweißkörpern, und zwar Umwandlungen der schwerer in 
die leichter fällbaren (der Albumine in Globuline) statthaben. 
Hieran anknüpfend stellte ich mir die Aufgabe, festzustellen, ob 
nicht auch im Verlaufe eines Immunisierungsvorganges die Eiweiß- 
körper des Serums im lebenden Blute eine quantitative Ver- 
änderung erfahren. 

Schon jetzt liegt eine Reihe von gelegentlichen Beobachtungen 
vor, aus denen hervorgeht, daß mit der Immunisierung Ver- _ 
änderungen des Blutes, und zwar der Eiweißkörper desselben, 
einhergehen. So hat Seng? die Angabe gemacht, daß im 
Diphtherieheilserum Globuline in vermehrter Menge nachweisbar 
seien. Atkinson?) nimmt einen direkten Zusammenhang zwischen 
der antitoxischen Kraft des Serums und dem Globulin an. 
Joachim) untersuchte das Serum eines Pferdes vor und nach 
der Immunisierung mit Diphtherietoxin und fand eine sehr be- 
deutende Zunahme des Gesamtglobulins auf Kosten des Albumins. 
In derselben Arbeit, welche erst vor kurzem und zu einer Zeit 
erschien, als meine Untersuchungen bereits längst abgeschlossen 
waren, ist ferner festgestellt worden, daß die Vermehrung des 
Globulins nicht das Pseudoglobulin, an welchem, wie E. P. Pick?) 
gezeigt hat, die wirksame Substanz haftet, sondern das Euglobulin 
betrifft. „Inwieweit hier individuelle Verschiedenheiten in der 
Zusammensetzung des Blutserums von Pferden mitspielen“ und 
ob der genannte Befund ein allgemeiner ist, müßte weiteren 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 579 


Untersuchungen anheimgestellt bleiben. Schließlich fand Jakoby‘), 
daß im Serum des Rizin-Immunblutes „die Euglobulinfraktion sehr 
groß ist und eine reichliche Quantität wasserlöslichen Globulins 
(Pseudoglobulins) enthält.“ 

Allen diesen mehr zufälligen Befunden kann erst dann völlige 
Wertschätzung zuteil werden, wenn durch eine systematische 
Untersuchung ihr regelmäßiges Auftreten und ihr Zusammenhang 
mit gewissen, bestimmten Immunitätsreaktionen sichergestellt 
erscheint. Ich wählte von letzteren die einer Messung zugängliche 
Präzipitinreaktion. Faßt man die Bildung von „Präzipitinen“ 
im Blut von mit Eiweißinjektionen behandelten Tieren als Aus- 
druck von Gegenreaktionen des Organismus auf, so ist es wohl ge- 
stattet, diesen Vorgang mit anderen Immunisierungsvorgängen 
(Antikörperbildung, Antitoxinerzeugung) in eine Reihe zu stellen. 
In diesem Sinn ist unter Immunserum im folgenden stets das 
Serum derartig behandelter Tiere gemeint. 


I. 

Als Versuchstiere dienten Tiere (Kaninchen, Hunde), deren 
Sera im normalen Zustand auf ihren Globulin- und Albumingehalt*) 
untersucht worden waren. Erst nachdem sich die Tiere von dem zu 
dieser Untersuchung notwendigen Aderlaß (40 cem) erholt hatten, 
wurde mit den subkutanen Eiweißinjektionen begonnen, und damit 
durch sechs Wochen (eine Injektion wöchentlich) fortgefahren. 
Vorher hatte ich mieh am Kontrolltiere überzeugt, daß schon 
24 Stunden nach einem derartigen Aderlaß die Eiweißkörper des 
Serums ihrer Menge und Verteilung nach dieselben waren wie 
vorher. Acht Tage nach der letzten Injektion wurden die Tiere 
verblutet. Die Sera gaben mit den zu den Injektionen verwendeten 
Eiweißkörpern deutliche Niederschläge. Dieselben waren keines- 
wegs spezifiichh Auch Rostoski’) konnte eine Spezifität der 
Niederschläge nicht beobachten. Nur insofern konnte ich eine 
gewissermaßen relative Spezifität nachweisen, als die Immunsera 
mit den zur Injektion verwendeten Eiweißkörpern einen stärkeren 
Niederschlag ausfallen ließen, als mit anderen Eiweißkörpern. 
Abweichend verhielten sich die mit Wittepepton behandelten 
Tiere, indem ihre Sera mit demselben ein sehr kleines Präzipitat, 
mit anderen Eiweißkörpern jedoch recht deutliche Niederschläge 
gaben. Ähnlich verhielten sich auch mit Leim behandelte Tiere. 


*) Die Angaben über das zur quantitativen Bestimmung dieser Eiweiß- 
körper eingeschlagene Verfahren nach Hofmeister-Pohl, s. Arch. f. 
experim. Path. 20. 

37* 


580 Leopold Moll, 


Dagegen gaben die mit Globulin (sowohl natürlichem, wie 
künstlichem) behandelten Tiere Sera, welche mit Globulinen 
stärkere Präzipitate als mit Albuminen gaben. 


Auch Umber?) konnte eine absolute Spezifität für einzelne 
Eiweißkörper nicht konstatieren*). 


Die Resultate meiner Bestimmungen sind in nebenstehender 
Tabelle verzeichnet. Aus derselben geht hervor, daß mit sub- 
kutanen Injektionen von Pferdeserum behandelte Tiere das 
gemeinsame und gesetzmäßige Phänomen der Globulinver- 
mehrung bei gleichbieibendem Eiweißgehalt des Serums 
zeigen. Dasselbe Verhalten boten ferner die Sera der mit den 
einzelnen rein dargestellten Eiweißkörpern des Serums oder mit 
anderen Eiweißkörpern behandelten Tiere. (Als Conalbumin 
Nr. X ist analog dem so benannten Körper des Eierklars der bei 
der Kristallisation des Pferdeserumalbumins in Lösung bleibende 
bezeichnet.) 

Das Tier Nr. VI, das ebenso wie das fünfte mit subkutanen 
Injektionen von reinem Pseudoglobulin bebandelt worden war, 
verhielt sich in zweifacher Hinsicht abweichend. Erstens hatte 
es schon im normalen Serum viel mehr Globuline (fast die Hälfte 
des Gesamteiweißes) und zweitens war nach der Immunisierung 


keine Globulinvermehrung nachweisbar. Die Tatsache, daß trotz_ 


längerer Immunisierung der Globulingehalt des Serums über eine 
gewisse Grenze hinaus nicht gesteigert werden kann, spricht für 
einen uns derzeit noch unerklärten Regulierungsvorgang im 
Organismus. 


Die Vermehrung des Halbsättigungsniederschlages im Immun- 
serum könnte nun sämtliche in ihm enthaltenen Eiweißkörper be- 
treffen, das sind das Pseudoglobulin, das Euglobulin, das Fibrino- 
globulin und ein Nucleproteid. Das letztere kommt bei den in 
Verwendung gezogenen kleinen Serummengen nicht in Betracht. 
Den Hauptanteil an der Vermehrung des Halbsättigungsnieder- 
schlages betrifft das Pseudoglobulin und KEuglobulin. Das Eu- 
globulin ist verhältnismäßig meist stärker vermehrt als das Pseudo- 
globulin, wiewohl das letztere im normalen wie im Immunserum 
an Masse weit überwiegt. 


*) Die ausführliche Literatur über die Frage der Spezifität der Prä- 
zipitinreaktion findet sich in einer in letzter Zeit erschienenen Arbeit „Uber 
Immunität gegen Eiweißkörper“ von L. Michaelis und ©. Oppenheimer. 
(Archiv für Physiologie 1902, S. 341.) 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 581 
Tabelle 
a | "Gewicht des | Gesamt- Gesamt- Gesamt- Gesamt- 
Immuni- Tieres ''Globulin in) Eiweiß in | Globulin in| Eiweiß in 
: ieh |vor und nach! _ 4 ccm 4 cem 4 ccm 4 cem 
Berungs- der | Normal- | Normal- || Immun- | Immun- 
material 'Immnnisierung | serum serum | serum serum 
Ba: ERANTER Eu g 
Pferdeserum 1. [Kaninchen 2680 | 2250 | 0,0923 | 0,2473 | 0,1664 | 0,2503 
pi SE nahen! 2730 | 9210 5 0,0848 ei 0,2519 0,1477 0,2392 
Pferdeserum | III. | Kaninchen | 2280 | 1850 | 0,0869 | 0,2551 | 0,1570 | 0,2394 
uns| IV. | Kaninchen | 2820 | 2600 | 0,1086 | 0,2641 | 0,1577 | 0,2678 
sendoslobulin y. | Kaninchen | 3300 | 2800 | 090922 | 0,2574 | 0,1444 | 0,2537 
Be stohuiin VI. |Kaninchen | 2910 | 2750 | 0,1321 0,2752 | 0,1325 0,2552 
OF  — (a2 ,° ER EN Ber 
an ee VII. ‚Kaninchen | 2315 | 1800 | 0,0832 0,2488 0,1303 0,2564 
Serumalbumin | | a | 
gristallisiertes | 5 BER 2 } $ 
Pferdeserum- | VIII. | Kaninchen 2900 | 1840 0,0557 0,2165 0,1371 0,2187 
albumin | A 
Kristallisiertes EN 
Pterdeserum- IX. |Kaninehen | 2700 | 1940 | 0,0512 0,2472 0,1183 0,2271 
albumin | Er ee 
ex | Kaninchen | 2820 2000 0,0968 | 0,2260 ' 0,1497 | 0,2390 
Alkalialbumi- N DEE EEE we EN 
it, dargestelit XI. |Kaninchen 92360 | 1850 | 0,0939 0,2370 0,1321 0,2557 
. Pferdeserum | ATSDE NEE TE 
Alkalialbumi- a har RE | Br ST 
at, dargestellt! XII. | Kaninchen 2200 2000 0,0894 0,2481 | 0,0798 0,2316 
. Pferdeserum | | 2: ER | ; 
Kaninchen- | xrır. [Kaninchen 2560. | 2200 | 0,1236 | 0,2346 | 0,1109 | 0,2338 
ssinchen- XIV. |Kaninchen | 2700 | 2560 | 0,0987 0,2531 0,1035 0,2485 
| See Bra ru SE 0,1431 | 0,2567 
Ziegenserum XV. |Kaninchen | 2650 | 2080 0,0827 0,2480 \u.5 Wochen|n.5 Wochen 
) 0,1203 0,2403 
Biegenserum: XV. | Kaninchen 2500 1980 | 0,0690 | 0,2454 0,1260 0,2496 
Bieralbumin | xyır. |Kaninchen | 3000 | 2700 | 0,1020 | 0,2482 | 0,1381 | 0,2460 
Mn a —_ —e- ee EN Ale cher e 
Milch XVII. |Kaninchen | 2200 | 1950 | 0,1021 | 0,2327 0,1548 0,2451 
as | XIX. | Hund | 6620 | 6650 | 0,0773 | 0,2656 | 0,1967 | 0,9707 
Blobulin aus | xx.| Hund |10800 | 9250 0,1487 | 0,3091 | 0,1784 | 0,9784 
on), XXI. | Kaninchen | 2030 | 1040 | 0,0621 02251 | O1 0m 
em XXIT. |Kaninchen 2650 | 1620 | 0,1030 ' 0,2553 | 0,1407 | 0,2695 
Ben = ang XXI.) Hund | 9670 | 9020 , 0,0692 | 0,2279 | 0,1255 | 0,2314 
TaCl (0,85 proz.) XXIV. |Kaninchen | 2350 | 2300 | 0,0837 0,2437 0,0921 0,2513 


582 Leopolä Moll, 


Iın Drittelsättigungsniederschlag ist noch neben dem Eu- 
globulin das schon bei 28,5 Proz. Sättigung ausfallende Fibrino- 
globulin enthalten. Im normalen Serum ist dieses in so minimaler 
Menge vorhanden, daß es bei den geringen verwendeten Serum- 
mengen füglıch übergangen werden kann. Mit steigendem Fibri- 
nogengehalt des Blutes aber würde es im Serum ebenfalls ver- 
mehrt auftreten, gleichgültig, ob es bei der Gerinnung durch 
hydrolytische Spaltung aus dem Fibrinogen hervorgegangen oder 
in Lösung gebliebenes Fibrinogen ist. In der Tat lehrten quanti- 
tative Messungen, die nach den von Reye°) in Hofmeisters 
Laboratorium ausgearbeiteten Angaben vorgenommen wurden, 
und deren Einzelheiten tabellarisch an anderem Orte zusammenge- 
stellt sind, daß ım Verlaufe der Immunisierung der charakteristische 
Eiweißkörper des Plasmas, das Fibrinogen, gegen die Norm 
zunimmt*). Das somit in diesen Fällen auch im Serum vermehrt 
vorhandene Fibrinoglobulin wurde nicht isoliert, sondern in dem 
(resamtglobulin mitbestimmt. 


Il. 


Wie schon erwähnt, sollte die Entscheidung der Frage, ob die 
nach Eiweißinjektionen stets eintretenden, eben beschriebenen 
Blutveränderungen mit einem Immunisierungsphänomen in ursäch- 
lichem Zusammenhange oder in Parallele stehen, durch Analyse der 
nach Eiweißinjektionen (Immunisierung gegen Eiweiß) auftretenden 
Präzipitinreaktion untersucht werden. Es mußte daher zunächst 
klargestellt werden, ob die vermehrten Globuline an der 
Niederschlagsbildung beteiligt sind oder nicht. 


Es galt zu entscheiden, ob das Präzipitat, d. i. der Nieder- 
schlag, welchen Immunserum und Eiweiß zusammengebracht 
geben, aus dem Immunserum oder aus dem zugesetzten Eiweiß 
oder aus beiden stammt. 


Über diesen Punkt herrschen verschiedene Anschauungen. 


Die verbreitetste ist die, daß das Immunserum durch einen 
in ihm neu entstandenen fermentartig wirkenden Immunkörper 
(Präzipitin der Autoren) das korrespondierende Eiweiß aus seiner 
Lösung ausfälle [v. Dungern'®)]. 


*) Meine Beobachtungen über die Fibrinogenvermehrung nach Eiweiß- 
und Leiminjektionen sind in einem „Die blutstillende Wirkung der Gelatine“ 
betitelten Artikel (Wiener klinische Wochenschrift 1903, Nr. 44) niedergelegt. 
Siehe auch dort den Nachweis eines Parallelismus zwischen Fibrinogen- und 
Leukocytengehalt des Blutes. 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 583 


Gegen diese Ansicht sprechen folgende Befunde. 

Zunächst wird übereinstimmend [Uhlenhuth!!), Wasser- 
mann und Schütze!?), Stern')] berichtet, daß die zur ge- 
richtlich medizinischen Blutuntersuchung hergestellten Präzipitin- 
sera mit einer Spur des zu untersuchenden Blutes, z. B. noch oft 
bei 50000 facher Verdünnung desselben Niederschläge gaben, die 
somit schon der Masse nach unmöglich aus dem verwendeten Blute 
stammen konnten. 

Ferner konnte E. P. Pick!) aus Kulturfiltraten, die mit den 
entsprechenden Immunseris die Krausschen Niederschläge gaben, 
zwei Körper darstellen, welche bis auf die Biuret- und Millonsche 
Reaktion — im zweiten Falle, Bakterienkoagulin K, fehlte auch 
die letztere — keine Eiweißreaktionen mehr zeigten, dagegen mit 
den Immunseris deutliche Niederschläge gaben, sodaß „in dem 
Bakterienkoagulin das chemisch aktive Agens, in dem Serum- 
koagulin der passive Komplex, das wesentliche Substrat der 
Reaktion“ zu suchen sei. 

„Linossier und Lemoine')*) haben die Proportionsver- 
hältnisse zwischen beiden Substanzen, unter deren Zusammen- 
wirkung es zur Niederschlagsbildung kommt, ebenfalls genauer 
studiert und gleichfalls gefunden, daß z. B. 25 Teile eines aktiven 
Kaninchenserums durch einen Teil Menschenserum ihrer ganzen 
präzipitierenden Körper beraubt werden, während 200 bis 300 
Teile des aktiven Kaninchenserums nötig waren, um einen Teil 
Menschenserum seiner auslösenden Eiweißkörper zu berauben. 
Camus bestätigte diese Erscheinungen.“ 

Die nach den angeführten Beispielen zu folgernde Anschauung 
von der passiven Beteiligung des Immunserums am Niederschlage 
findet in den Versuchsergebnissen anderer Autoren eine, vielleicht 
scheinbare Einschränkung. 

So fand P. Th. Müller!‘ im Niederschlag, den ein Laktoserum 
mit Milch gab (Laktopräzipitat), neben dem „Präzipitin“ noch Kasein. 
Ich kann den Befund von Kasein im Niederschlag bestätigen. Be- 
züglich der Deutung desselben verweise ich auf weiter unten 
folgende Bemerkungen. 

Leblanc!”) wies im Niederschlag, den ein entsprechendes 
Immunserum mit Hämoglobin gegeben hatte, solches neben Serum- 
globulin nach. Nach v. Dungern®®) sind die „angewandten Methoden 
nicht einwandfrei genug, um dieses Ergebnis sicher zu stellen“. 

Der Einwand, daß hier der Farbstoff bei der Niederschlags- 


*) Zitiert nach Aschoff, „Ehrlichs Seitenkettentheorie“. Z. f. allgem. 
Physiol. I, 133. 


584 Leopold Moll, 


bildung mitgerissen wurde, trifft auch die von v. Dungern 
und Cohnheim!?) mitgeteilten Versuche, in denen im Präzipitate, 
das das Serum eines mit Oktopusplasma behandelten Kaninchens 
mit dem Plasma gegeben hatte, Kupfer aus dem Hämocyanin des 
Plasmas nachgewiesen werden konnte. 

Meine eigenen, bezüglich der Frage über die Herkunft des 
Präzipitates angestellten Versuche ergaben nun folgendes: 

1. Ein kräftiges Immunserum (45 ccm) ließ nach Hinzufügen 
des zu den Injektionen verwendeten Globulins ein Präzipitat aus- 
fallen, das 0,0724 & wog. Die zur Anstellung des Versuches sehr 
verdünnte Globulinlösung hatte im zugesetzten Volumen nur 
0,0074 g Eiweiß enthalten. 

2. Aus einem Immunserum wurden bei neutraler Reaktion 
die Globuline durch Halbsättigung mit Ammonsulfat ausgefällt. 
Der Niederschlag wurde aufs Filter gebracht, albuminfrei ge- 
waschen, in Wasser gelöst und dialysiert. Die Dialyse wurde so 
lange fortgesetzt, bis mit Chlorbaryum nur noch eine leichte 
Trübung entstand. Ein weiteres Dialysieren war weder nötig 
noch angezeigt, da ja in salzfreier Lösung die Präzipitatbildung 
ausbleibt. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß die Globulin- 
lösung bei Halbsättigung mit Ammonsulfat alles Eiweiß aus- 
fallen ließ, wurde zu einer Probe die Hälfte des Volums von der 
zur Immunisierung verwendeten Albuminlösung zugesetzt. Das ent- 
standene Präzipitat wurde aufs Filter gebracht, erst mit phy- 
siologıscher Kochsalzlösung, hierauf mit Wasser gewaschen, bis 
das Filtrat keine Eiweißreaktionen mehr gab, was sehr bald ein- 
trat, so daß keine wesentliche Verdünnung des gesamten Filtrates 
und damit keine Verschiebung der Fällungsgrenzen verbunden war. 
In diesem Filtrate wurde das ganze zugesetzte Albumin quanti- 
tativ wiedergefunden, sodaß das Präzipitat nur aus den Globu- 
linen des Immunserums stammen konnte. 

3. Wenn man zu gleichen Mengen (2 ccm) des unverdünnten Im- 
munserums die gleichen Volumina absteigend verdünnter Lösungen 
des zu den Injektionen angewandten Eiweißkörpers zufügt, so 

größte > kleinste 
| Konzentration 
Konzentration des 
Eiweißes 


Präzipitathöhe 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 585 


erzielt man erst bei einer bestimmten Verdünnung der Eiweiß- 
lösung das stärkste Präzipitat. Bis zu dieser Probe wächst die 
Menge des Niederschlages und nimmt von da wieder ab. 

Vorstehendes Schema läßt das Verhältnis einfach überschauen. 
Bei x war das stärkste Präzipitat. 

Alle Proben wurden zum vollständigen Ausfallen und Ab- 
sitzen des Niederschlages durch 24 Stunden bei 33° belassen. 
Die klare, über dem stärksten Präzipitat stehende Flüssigkeit 
wurde nun abpipettiert und in zwei gleiche Teile geteilt. Zu der 
einen Hälfte wurde neuerlich das gleiche Volumen Immunserüm, 
zu der anderen ebensoviel Eiweißlösung gegeben. Schon nach 
kurzem Stehen bei 38° hatte sich in der ersten von beiden Proben 
ein neuerliches Präzipitat gebildet, während die letztere vollständig 
klar geblieben war. Nun konnte mit der zum zweitenmal gefällten 
Probe derselbe Vorgang mit gleichem Ergebnis wiederholt werden. 
Die über dem zweiten Präzipitat stehende Flüssigkeit ließ, abge- 
hoben, auf Zusatz des gleichen Volumens Immunserum neuer- 
dings einen Niederschlag im Gegensatz zu der mit Eiweißlösung 
versetzten Hälfte ausfallen. Das Spiel konnte 8 bis 12 mal, 
manchmal noch öfter wiederholt und so die Verdünnung der 
ursprünglich der ersten Probe zugesetzten Eiweißlösung ins 
Tausendfache, jedenfalls so weit getrieben werden, daß der Ge- 
danke, sie als die Muttersubstanz so vieler Niederschläge anzu- 
sehen, hinfällig wird. 

Die oben beschriebene paradoxe Erscheinung der Abnahme des 
Präzipitates mit Zunahme der Konzentration der zur Hervorrufung der- 
selben zum Immunserum zugesetzten Eiweißlösung wird allgemein auf 
eine Hemmung der Reaktion, das ist der Niederschlagsbildung zurückge- 
führt. Es war wünschenswert, zu untersuchen, ob auch in unserem Falle 
diese Erscheinung tatsächlich in einer gehemmten Präzipitatbildung 
ihren Grund habe oder ob das Pı räzipitat zwar gebildet, aber durch die 
lösende Wirkung eines anderen Eiweißkörpers nur am Ausfallen ge- 
hindert werde. Masnborg 20) gibt der Ansicht Ausdruck, „daß dr 
spezifische Niederschlag bis zu einem gewissen Grade im Überschuß der 
Eiweißlösung (Biereiweiß) löslich ist, aha wie Alkalialbuminat mit Säuren 
Niederschläge gibt, die sich im Überschuß der Säure auflösen“. Da das 
Präzipitat, wenigstens in seinen physikalischen Reaktionen einem Alkali- 
albuminat gleicht — ein solches aber kann, wie in einer vorhergehenden 
Arbeit!) gezeigt wird, durch Pseudoglobulin bis zu einem gewissen Maße 
in Lösung gehalten werden —, so brauchte nur die über dem geringen 
Niederschlage stehende Flüssigkeit auf Albuminat untersucht zu werden. 
Dies geschah in der Weise, daß der bei Drittelsättigung mit Ammon- 
sulfat aus derselben ausg sefallene Niederschlag so lange mit der entsprechen- 
den (33 proz.) Ammonsulfatlösung gew aschen Ww urde, bis das Filtrat eiweiß- 


und alkalifrei war und dann auf ee Wasserlöslichkeit untersucht wurde. 
Da nun der Niederschlag auf Wasserzusatz sich vollkommen löste, so war 


586 Leopold Moll, 


damit erwiesen, daß kein Albuminat bzw. Präzipitat gebildet und in 
Lösung gehalten worden war. Somit ist bewiesen, daß das geschilderte 
Phänomen, welches allgemein gesprochen darin besteht, daß ein Uber- 
schuß an reagierender Substanz einen geringeren Effekt auslöst, nicht 
im Gelöstbleiben des Niederschlages, sondern tatsächlich in einer 
Hemmung der Reaktion seine Ursache hat. 

4. Bezüglich der Angaben von P. Th. Müller, welcher, wie 
schon oben erwähnt, im Laktopräzipitat neben Kasein noch „Präzi- 
pitin“ nachwies, sei erwähnt, daß in einem gleichsinnigen Ver- 
suche, welchen ich mit Laktoserum und Milch vorgenommen habe, 
beim Optimum der Ausfällung die über dem Präzipitat stehende 
klare Flüssigkeit zwar kein Kasein mehr enthielt, wie die 
Wirkungslosigkeit von Labzusatz bewies, wohl aber imstande 
war, mit neuen Serummengen einen Niederschlag ausfallen zu 
lassen. Da dieser jetzt kein Kasein mehr enthalten konnte, so 
ist in Anbetracht der Leichtigkeit, mit welcher Kasein aus seiner 
Lösung abgeschieden wird, die Annahme berechtigt, daß das in 
dem zuerst ausgefallenen Präzipitat befindliche Kasein beim Aus- 
fallen des Immunserums nur mitgerissen worden war. 

Aus dem Mitgeteilten ergibt sich der Schluß, daß das Präzi- 
pitat zum allergrößten Teile aus den Eiweißkörpern des Immun- 
serums stammt, womit jedoch nicht in Abrede gestellt werden 
soll, daß in einzelnen Fällen in das Präzipitat auch Bestandteile 
der fällenden Eiweißlösung eingehen. 

Ohne Vorschläge für eine auf dieser Erkenntnis basierende 
Änderung der bisher üblichen Nomenklatur machen zu wollen, 
halte ich es doch für notwendig, der Erscheinung, welche beim 
Vermischen eines Eiweißimmunserums mit dem Immunisierungs- 
material (oder einem anderen Eiweißkörper) beobachtet wird, 
folgende Deutung zu geben: das Immunserum, das passive 
Reagens, das Fällungssubstrat, wird durch das Immuni- 
sierungsmaterial, das aktive Reagens, das Fällungs- 
mittel, ausgefällt. Bezeichnet man mit dem Ausdruck 
„Präzipitin‘“ den im Immunblut gelöst vorhandenen, neuge- 
bildeten, mehr oder minder spezifischen Eiweißkörper, der durch 
einen zweiten fällbar ist, so bezeichne „Präzipitat‘“ die in un- 
löslicher Form ausgefällte Modifikation desselben. 
Präzipitin und Präzipitat stehen zueinander in Beziehung etwa 
wie Fibrinogen zu Fibrin. 

Das Immunserum mußte demnach eine Veränderung erlitten 
haben, welche sehr wohl identisch sein konnte mit der von mir 
gefundenen Globulinvermehrung. Diese Annahme wird durch die 
Feststellung von Fuhrmann?) und Umber‘°), nach welchen die 


EZ A u u Zu DUO CH Ad a Le > Mu 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 587 


„Präzipitinwirkung“ an die Globulinfraktion gebunden sei, trotz 
der entgegensetzten Deutung des Präzipitierungsvorganges, gestützt. 
In der Tat wird, wie ich nach eigenen Versuchen bestätigen 
kann, nur die Globulinfraktion, nieht aber das Albumin eines 
Immunserums durch das fällende Eiweiß (Immunisierungsmaterial) 
niedergeschlagen. 


In allen obigen Fällen von Globulinvermehrung war die 
Präzipitatbildung deutlich und konstant vorhanden. Dort, wo das 
Serum weder mit dem Immunisierungsmaterial noch mit anderen 
verschiedenen Eiweißkörpern Niederschlag gegeben hatte, fehlte 
auch die Vermehrung der Globuline. Solche Fälle liegen vor bei 
den Seris XIII und XIV, wo Kaninchen mit Kaninchenserum, und 
bei Serum XII (einer von zwei gleichartigen Versuchen), wo das 
Kaninchen mit aus Pferdeserum dargestelltem Alkalialbuminat 
injiziert worden war. 

Es scheint demnach im höchsten Grade wahrscheinlich, daß 
bei der Immunisierung gegen Proteinstoffe im Blute Substanzen 
entstehen, welche, mit den Immunisierungsmaterialien zusammen- 
gebracht, unlösliche Verbindungen eingehen und ausfallen, und 
wegen der gleichen Fällungsgrenzen eine Globulinvermehrung ım 
Serum in Erscheinung treten lassen. Daß diese Körper übrigens 
keine eigentlichen, mit den normalen identische Globuline sind, 
dafür spricht neben der Unwirksamkeit normaler Sera der Um- 
stand, daß eine auf andere Weise erzielte Globulinvermehrung in 
einem Serum diesem nicht die Eigenschaft erteilt, von Eiweiß- 
.körpern gefällt zu werden. Wie ich a. a. O.') mitgeteilt habe, 
gelingt es durch halbstündiges Erwärmen auf 56° Albumin in 
Globulin umzuwandeln, somit unter Vermeidung von Alkali- 
albuminatbildung eine Globulinanreicherung im Serum zu erzielen. 
Solche Sera werden ebensowenig wie ‘die nativen Sera durch 
Eiweißkörper gefällt. 

Bei halbstündigem Erwärmen von Immunseris auf 56° tritt 
ebenfalls eine Vermehrung der Globuline ein, ohne daß die Prä- 
zipitatbildung eine Steigerung erfährt. 

Es wird Sache fernerer Untersuchungen sein, die durch 
Immunisierung gebildeten mehr oder minder spezifischen Globuline, 
welche die Präzipitatreaktion geben, von den normal vorhandenen 
zu isolieren und die chemischen Unterscheidungsmerkmale fest- 
zustellen. 

Somit scheint wenigstens für die Präzipitinbildung der Nach- 
weis geliefert zu sein, daß in der Blutveränderung (Globulinver- 


588 Leopold Moll, 


mehrung) nicht eine bloße Begleiterscheinung, sondern eine 
wesentliche, sie bedingende Veränderung gegeben ist. Inwieweit 
die gleichzeitig vorhandene (s. Fußnote S. 582) Leukocyten-und 
Fibrinogenvermehrung mit der erlangten Immunität im Zu- 
sammenhange steht, müßten erst weitere darauf gerichtete Unter- 
suchungen, die auch auf die homologen Veränderungen der Eiweiß- 
körper der Organe einzugehen hätten, feststellen. Doch läßt sich 
schon jetzt auf Grund der Versuchsergebnisse von Alex. Schmidt 
eine Vermutung äußern. Hammarsten??) schreibt: „Das Serum- 
elobulin stammt nach Alex. Schmidt von den schon vor der Ge- 
rinnung des gelassenen Blutes massenhaft zugrunde gehenden weißen 
Blutkörperchen. Es gelang ihm auch, aus den isolierten ge- 
waschenen Leukocyten Paraglobulin (Serumglobulin) zu gewinnen. 
Die Ansicht, daß die ganze Globulinmenge des Blutserums aus 
den Leukocyten stammt, scheint allerdings später von Alex. 
Schmidt verlassen worden zu sein. Dagegen nahm er fort- 
während an, daß immer ein Teil der Serumglobuline diesen 
Ursprung hat, eine Annahme, die wohl allgemein als richtig 
anerkannt worden ist.“ 

Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, daß die bei der 
Immunisierung entstehenden mehr oder minder spezifischen 


Globuline ihren Ursprung ebenfalls vermehrt auftretenden und - 


wieder zerfallenden Leukocyten verdanken. 


Vorstehende Untersuchung wurde mit Unterstützung der 
„Gesellschaft für deutsche Kunst, Wissenschaft und 
Bir atur in Böhmen“ ausgeführt. 


Literaturverzeichnis. 


1) L. Moll, „Über künstliche Umwandlung von Albumin in Globulin“. 
Diese Beiträge 4, 563. 

2) W. Seng ‚ Zeitschrift f, Hygiene u. Infekt. 31, 513. 

3) REN Journ. of exp. med. 5. 

4) Joachim, Arch. für die gesamte Physiol. 98. 

5) E. P. Pick, Diese Beiträge 1, 357. 

6) M. Jakoby, Diese Beiträge 1, 59. 

”) Rostoski, Münch. med. Wochenschr. 1902, S. 740. 

8) Umber, Berl. klin. Wochenschr. 1902, S. 657. 

9) Reye, Straßburger Dissertat. 1898. 

10) v. Dungern, Die Antikörper 1903, S. 62 (Verlag Fischer, Jena). 

11) Uhlenhuth, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 46, 1900. 

12) Wassermann und Schütze, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 7, 1901. 

13) Stern, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 9, 1901. 

14) EB. P. Pick, lec.-eit. 

15) Linossier und Lemoine, CÜ. r. d. ]l. Soc. de Biol. 1902, S. 85. 

16) P. Th. Müller, Archiv f. Hygiene 44, 1902. 


“: FOREN DEN 


A u" BESCR\ Er 


u a BL EI u a he 


Über Blutveränderungen nach Eiweißinjektionen. 589 


17) Leblane, La Cellule 1, Nr. 18, 1901. 

18) v. Dungern, loc. cit. 8. 69. 

19) v. Dungern, Ioe. cit. 8. 75. 

20) Eisenberg, Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. Abt. I. Orig.-Bd. 
31, 1902. 

2) F. Fuhrmann, Diese Beiträge 3, 417. 

22) Hammarsten, Ergebnisse der Physiologie 1902, S. 348, 


Berichtigung. 
S. 349, Zeile 9 von unten lies: 1,71 statt 1,17 (Proz. Ca). 
S. 452, Zeile 9 von unten lies: 749 verdünntes Blut =37 g Blut. 


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Medizin und Chemie unter Leitung von P. EHRLICH- 
Frankfurt a. M., E. Fıscher-Berlin, A. Kosser-Heidel- 
berg, O. LiEBREIcCH - Berlin, FR. MÜLLER - München, 
B. ProskAuer-Berlin, E. Sarkowskr-Berlin, N. ZunTz- 
Berlin herausgegeben von Dr. phil. et med. Carı 
ÖPPENHEIMER. Jährlich 24 Hefte. Gross-Oktav. Preis 
pro Band 30 Mk. 


Zur Anlage von Collectaneen, Litteraturzusammenstellungen 
des einen oder anderen Spezialgebietes etc. werden die Referate den 
Abonnenten auch in einseitig bedruckten Abzügen zu 3 Mk. (pro Band) 
zur Verfüyung gestellt. 


Ausführliche Prospekte und Probehefte gratis und franko. 


Verlag von August Hirschwald in Berlin. 
Soeben erschien: 


Die Faeces des Menschen 


im normalen und krankhaften Zustande mit besonderer Berücksichtigung der 
klinischen Untersuchungsmethoden 
von 
Prof. Dr. Ad. Schmidt und Dr. J. Strasburger. 
III. Teil. Die Mikroorganismen. gr. 8. Mit 4 lith. Taf. 1903. 6 Mark. 


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Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunicdtweig. 


—— Vollständig erschienen: —— 


Hermann von Helmholtz 


Leo Koenigsberger. 


In drei Bänden. 


Mit 9 Bildnissen in Heliogravure und einem Brieffaesimile. 


Gr. 80. In vornehmer Ausstattung. 
Preis des vollständigen Werkes geh. M. 20.—, 
geb. in Leinwd. M. 25.—, geb. in Halbfrz. M. 31.—. 


Mi“ dem soeben zur Ausgabe gelangten dritten Bande des hochbe- 
deutenden Werkes ist die grosse Helmholtz-Biographie von 
Leo Koenigsberger, welche als eine biographische Leistung ersten Ranges 
für die gesamte wissenschaftliche Welt und für weite Kreise des ge- 
bildeten Publikums von dem grössten Interesse ist, vollständig 
erschienen. 

Die Entwickelung, das Leben und Wirken und die Bedeutung 
einer Persönlichkeit zu schildern, die durch den Umfang und die Tiefe 
des Wissens und die Macht des Könnens die meisten ihrer Zeitgenossen 
überragt, alle Welt durch das Produkt ihrer Arbeit während mehr als 
eines halben Jahrhunderts in Staunen und Bewunderung versetzt und 
der Wissenschaft neue fundamentale Lehren geschenkt und neue Wege 
zu fruchtbarer Tätigkeit gewiesen hat, war eine ebenso reizvolle wie 
schwierige Aufgabe, deren Durchführung dem Verfasser, welchem nicht 
nur die Feder, sondern auch die auf eingehender Sachkenntnis ruhende 
Teilnahme für Person und Stoff zu Gebote stand, in vollendetem 
Masse gelungen ist. 

Dem grossen Naturforscher und Gelehrten ist mit 
dieser meisterhaiten Darsteliung seines in der Geschichte 
der Wissenschaft wohl einzig dastehenden Entwickelungs- 
ganges und seiner unvergleichlichen Lebensarbeit ein 
würdiges Denkmal errichtet worden, wie es der Mit- 
und Nachwelt nicht schöner überlieiert werden konnte, 


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Zu bezieben durch alle Buchhandlungen. 


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1 A. W. ZICKFELDT, OSTERWIECK/HARZ, 


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