Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/beitrgezurgescOOnitz
LGr.H
N733b
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE
DER
EPISCHEN POESIE
DER GRIECHEN.
G.^ W; N I T Z S C H.
LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
1862.
'>^:?H
* -v
VORWORT.
Das nachfolgende Werk hat den Verfasser bis in die letzten
Tage seines Lebens beschäftigt. Die erste Anregung dazu ward
ihm durch die Aufforderung, für eine Ausgabe des Homer eine
kurze, populäre Uebersicht der homerischen Frage zu geben.
Diese Aufgabe, gern und schnell von ihm angegriffen, erweiterte
sich aber sehr ])ald unter seinen Händen zu einer eingehenden
Revision dieser wissenschaftlichen Debatte, die ja schon lange
der Mittelpunkt seiner Studien geworden war. Jeder neue Bei-
trag, den die letzten Jahre brachten, sollte hier kritisch geprüft
und nach seiner Bedeutung gewürdigt werden. Wer die Mannig-
faltigkeit und den Werth dieser neueren homerischen Litteratur
kennt, wird leicht begreifen, wie sich eine solche Arbeit immer
weiter nach den verschiedenen Seiten ausdehnte und der Abschluss
derselben, der oft dicht bevorzustehen schien, sich immer von
neuem verschob. Als ein unerwarteter Tod den Verfasser mitten
aus seinen Studien abrief, war es für die Hinterbliebenen eine
traurigfreudige Ueberraschung, das Manuscript so vollständig und
zum Drucke fertig vorzufinden, wie es jetzt hier vorliegt. Aus
einer Reihe verschiedener Redactionen machte sich die letzte
durch die abschUessende Ordnung, durch die äussere Sauberkeit
und Uebersichtlichkeit entschieden als die zum Druck bestinnnte
kennbar. Die Gegner wie die Meinungsgenossen des Verstorbenen
werden ihre Publication mit jener Theilnahme begrüssen, deren
er sich in einer langen und rastlosen litterarischen Thätigkeit bei
Freund und Feind erfreute. Es war allerdings nicht leicht, für
die Arbeit einen einfachen und bezeichnenden Titel zu finden.
Im Ganzen wird man den gewählten gelten lassen. Das Buch
ist eben ein ganzes Stück eines lebendig bewegten , wissenschaft-
lichen Lebens, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde weiter-
gefördert, die Aufgabe und die Lust eines Alters voll stiller,
innerlicher Heiterkeit, Frische und Arbeitslust. Gott nahm ihn
schnell und sanft mitten aus diesen lieben Mühen heraus.
Für Alle, die dem Verstorbenen nahe standen, wird diese
seine letzte Arbeit ein Gegenstand jener herzlichen Pietät sein,
ohne die man ihm nicht nahen konnte. Sein jüngerer College,
Prof. Overbeck in Leipzig, hat durch die Sorgfalt, mit der er
die schliessliche Publication und den Druck geleitet hat, dieselbe
von neuem bezeugt. Sei es mir ierlaubt, ihm hier meinen tief-
gefühlten Dank dafür auszusprechen.
Der Verstorbene sprach allerdings in den letzten Jahren wie-
derholt die Absicht aus, nach Vollendung der hier vorliegenden
Arbeit, die Anmerkungen zur Odyssee endlich zum Abschluss zu
bringen. Leider ist jedoch in seinem Nachlass von geordneten
Materialien zu einer solchen Publication kaum Etwas aufzufinden
gewesen. Auch der Plan, für eine beabsichtigte Uebersetzung
ins Englische die erschienenen Bände, namenthch den ersten,
einer Revision zu unterwerfen, ist nur Plan geblieben. Die reichste
Ausbeute möchten namentlich seine Hefte noch für eine Geschichte
des griechischen Cultus und der griechischen Religion bieten,
wie sie in früheren Jahren ihm oft als eine Lieblingsaufgabe vor-
schwebte. Es braucht hier kaum hinzugefügt zu werden, dass
es den Hinterbliebenen nur erwünscht sein könnte, die dazu
geeigneten Materialien dieser Art durch eine rücksichtsvolle und
befähigte Hand auch für grössere Kreise verwerthet zu sehen.
Königsberg, im October 1862.
K. W. Nitzsch.
INHALTSVERZEICHNISS.
Seile
Einleitung.
Der Geist des griechischen Volkes ein Jüngh'ngsgeist . . . ' . 1
Buch I.
Sage und D i c li t u n g.
Abschnitt I.
Zur Geschichte der griechischen Sage.
1. Das eigenste Erzeugniss des jngendersten Volksgeistes, die Sage 7
2. Das Wesen und die Geltung der Sage 8
3. Unterschied der sagendichlenden Geister U
4. Sagendichtung des Volksgeistes 12
a) Natursagen 13
b) Cultussagen 16
c) Wandel der griechischen Sage durch den Volksgeist . 19
5. Bestimmte Beispiele zur Untersclieidung des gestaltende» Sänger-
geistes und des die Natur heseelenden Volksgeistes ... 20
6. Fortsetzung. Ein Lied vom Kampf und Sieg der Götter gegen
eine Gigantenschaar 23
7. Ein zweites Beispiel einzelner Gebilde des Volksgeistes, welche
der Sängergeist zusammenlasst. Die sogenannten Arbeiten
des Herakles 26
8. Die Sängergabe, eine von der Gottheit verliehene, nicht Gemeingut
irgend eines Zeitalters und Volksstammes und ihre Charakteristik 27
9. Die ältesten Thalsachen der Geschichte des griechischen Nalio-
nalepos. Pierien und der Götterherg und die pierische Poesie 35
10. Die sagenhaften pierischen und thrakischen Sänger, Orpheus
und Thamyris 39
11. Die Ergehnisse der Forschung über die pierische Poesie . . 43
12. Das nationale Epos entwickelt sich in zwei Perioden ... 48
Abschnitt II.
Zur Kritik der vorhomerischen Lieder im Homer.
13. Methodische Bechtfertigung der Anerkennung jener zwei Zeit-
alter des nationalen Epos 51
14. Die homerische Epopöe, die zweite Kunslstufe und die Rlüthe
des wahren Epos 56
15. Die drei Stufen des Nationalcpos und ihr Verhältniss zu einander.
Die richtige Ansicht von der Neugestaltung der Einzellieder . 62
16. Die lachmann'sclien Versuche, kleine Lieder herzustellen, miss-
lungen. Seine Geschmacksurtiieile nicht giltig 65
17- Die vielstimmigen Ansichten über das 11. bis 15. Bui h der Ilias 82
VI
Seite
18. Laclimanns gewaltsame Gestallung seines 10. Liedes, von dessen
Jüngern modificiit, jedoch oline die beabsichtigte Wirkung . 92
19. Fortsetzung. Helms Versuche 95
20. Die Prinziplosigkcit des Verfahrens der Trennenden .... 101
21. Der gebotene Standpunkt der Forschung 107
22. Die Odyssee, eine Epopöe so planvoll bei ihrem Anfange, in ihrer
Anlage und Gliederung , dass sie den Gesammtvortrag durch
sich ablösende Rhapsoden noch unabweisbarer voraussetzt . 113
Buch n.
Homers Verhältniss zu seinen Vorgängern und Nachfolgern.
Abschnitt I.
Die vorhomeiischea Lieder.
1. Zwei Geschlechter, ein älteres und ein jüngeres — jenes in
Abenteuern, dieses in Heerfahrten 130
2. Fortsetzung. Allgemeine Cliarakteristik«fles älteren Heldenthums 133
3. Abschluss der Charakteristik des älteren Hcldengeschlechts . . 142
4. Verzeichniss kundbarer Lieder von den Thaten des älteren Hel-
dengeschlechls, wie sie tiioils aus der eclilen llias und Odyssee,
Iheils aus Interpolationen derselben, theils aus Hesiod und
späteren Zeugen erkannt werden 147
1) Jasons Ärgonautenfahrt 147
2) Herakles' Arbeiten 148
3) Bellerophons Abenteuer 149
4) Kalydonische Jagd 150
5) Abenteuer des Sehers Melampus 151
6) Kampf der Lapithen 152
7) Herakles gegen Laomedon 153
8) Nestorlieder 155
5 a. Fortsetzung. Aus älteren Liedern in die llias und Ody.ssee
eingeschobene Stellen. Herakles- und Nesiorlieder . •. . 156
5h. Uebersicht der älteren Lieder vom älteren Heldengeschlecht,
welche bisher nachgewiesen siiul. Dann Erinnerung an Sagen und
Lieder von den Dioskurcn, Theseus, Perseus, aus anderen Gebieten 163
6. Fortsetzung. Theseus -Sagen und Lieder 166
a) Kretafahrt 108
b) Auszug gegen den marathonischen Stier . . . . . 169
c) Theseus und Peirilhoos 170
d) Theseus als anderer Herakles 171
7. Fortsetzung. Lied von Perseus und dem Gorgohaupt . . . 175
8. Uebergang zu den vorhomerischen Liedern vom jüngeren Hel-
dengeschlecht, und damit zu den Vorläufern der Epopöe
homerischen Geistes 178
9. Die einzelnen voriiomeriscben Lieder von den Heerfahrten des
jüngeren Heldengeschleclits. Thebanische Sage .... 180
10. Forlsetzuui!. Die voriiomeriscben Lieder aus der troischen
VII
Seite
Sage. Charakteristik der Sage nach ihrem Umfange. Die 6
Liedcrstofie der troischen Sage. Die Heimath der Kunstpoesie.
Homer und seine Wahl 183
a) Die Sage von dem troisclien Kriege, als erstem Nalionalkrieg'c 183
b) Homer; sein Vaterland, sein Zeitalter und seine Persön-
lichkeit überhaupt 186
c) Der troische Krieg , ein besonders populärer Liederstoft"
und seine Epochen. Sechs LiederstolFe 188
11. Die einzelnen vorhomerisciien Lieder des troischen Sagenkreises,
das von der Heimkehr des gesammtcn Heeres , und das vom
Rächer Orestes 192
12. Fortsetzung. Die Lieder des Demodokos und die zwischenliegen-
den Liederstofle 107
13. Welches waren nun die zwei oben erwähnten Lieder d. Demodokos ? 199
14. Die erste Epoche des troischen Kriegs nach d. Andeutungen Homers 202
Abschnitt II.
Die naclihomerischen Epiker.
15. DiePartieenvon des Achilleus Zorne und der Heimkehr des Odysseus
und der einige Homer als Höhe- und Mittepunkt zweier Perio-
den der epischen Dichtung 206
16. Vorläufige Beschreibung der Epopöendichter nach Homer und
der ihnen mit Homer gemeinsamen Rhapsodie 212
17. Das Wahre vom epischen Cyclus und den sogenannten Cyclikern 216
18. Die Epopöen der Nachfolger Homers im Vergleich mit der Ilias
und Odyssee 220
a) Allgemeine Uebersicht und das Urtheil des Aristoteles . 220
19. Das Verfahren der alten Kuustepiker. Das besondere des Stasinos
in den Kyprien 225
20. Genauere Charakteristik der zwei Epopöen des Arktinos und der
Kleinen Ilias des Lesches 230
21. Die Einheitlichkeit der beiden Epopöen von Troias Zerstörung . 241
22. Die Persis des Arklinos 248
23. Die Kleine Ilias des Lesches 257
24. Charakter des Vortrags. Das Dramatische 268
25. Fortsetzung. Gleichnisse und Gemeinsprüche 274
26. Allgemeine Stellujig der späteren Epiker zu Homer .... 279
27. Die Kosten des Agias 280
Buch III.
D e r D i c h l c r H 0 m e r.
1. Vorwort zur sj)eziellen Charakteristik des individuellen Dichter-
geisles . 299
Abschnitt I.
Homers Darstellung und Conipositionsverfaliren.
2. Der "cmüthreiche Dichtergenius Homer nacli Odyssee wie Ilias 305
Seile
3. Kdrlsolziiiig. Die hoinerischcii Frauen 300
4. Die in hoiden Epopöen gleiclie Darslcllung- und Rcdefonn des
Homer in der einzelnen Durchführung seiner Pläne . 318
5. Fortsetzung. Homer, der immer neue 324
6. Forlsetzung. Die homerischen Gleichnisse 328
7. Die homerische Darstellung in Durchführung und Gliederung der
umfassenden Anlage 344
8. BeschafTenheit der Theilc der Epopöe 347
9. Fortsetzung. Die llias in gewissem Sinne das Heldenbuch des
griechischen Volkes 351
10. Zur genauei'en Bestimmung des Geistes der llias 353
11. Der grösste Held in seiner .Menschennatur als' Hauptperson der
einheitlichen Epopöe 357
12. Fortsetzung. Die anderen Helden als Nebenpersonen . . . 360
13. Fortsetzung. Erklärung der Arislie des Agamemnon aus seinem
Charakter und seiner Situation 369
14. Fortsetzung. Die Verwebung der Aristieen und die Benennung
der Rhapsodieen 380
a) Die Aristie des Agamemnon 381
b) Die Aristie des Diomedes 384
c) Die Aristie des Menelaos 391
d) Die Namen der Partieen 392
Abschnitt IL
Homers Bedeutung für die Geschichte der Rhapsodie.
15. Weder ist dieRezeichnung der kleinen Lieder als Rhapsodieen ge-
schichtlich, noch können die vom hihall entnommenen Namen
der Partieen als Kennzeichen selbständiger Lieder gelten , 394
16. Die Einzelvorträge und die Sannnlung des Peisistratos . . . 397
a) Die kürzlich bekannt gewordenen Zeugnisse von der
Sammlung 400
b) Die zwei Zeitalter der homerischen Poesie .... 401
17. Das Verfahren der Sammler des Peisistratos 404
18. Das Richtige der Rhapsodie vor Solon und Peisistratos . . . 406
19. Die Partieen der Odyssee 410
20 Regründung und genauere Erörterung des Vortrags der wirk-
lichen Epopöen 423
21. Das Allgemeine von den nächsthoraerischen Epopöen, als rhaps-
odirt neben den homerischen 428
22. Fortsetzung. Die Einnahme Uechalias des Kreophvios . . . 434
23. Fortsetzung. Die Thebais 437
24. Fortsetzung. Die Hauptslätten der Rhapsodie und der Rhapsoden-
zünfte an mehren Orten . 449
25. Homers grosse Compositionen einProidem, von der Geschichte ge-
stellt, durch Anerkennung des Dichtergenius zu lösen . 452
EINLEITUNO.
Der Geist des griechischen Volks ein Jünglingsgeist.
Völker eiihvickeln sich wie einzelne Menschen; ihr Kindes-
alter bleibt im Verborgenen, erst ihre Jünglingszeit Ihut sich mit
kundbarer Kraft hervor und gieht bleibende Lebenszeichen. So
hat die jugenderste Zeit eines jeden Volkes Jttnglingsart. Wie
aber beim einzelnen Menschen Entwickelungsstufen und Charak-
tere sich ausser dem Verhältniss von Körper- und Seelenkraft
und der verschiedenen Begabung am wesentlichsten nach dem-
jenigen geistigen Vermögen arten und unterscheiden, welches
unter den maunichfaltigen Kräften der Seele das obherrschonde
ist, so lässt die Jünglingsart sich darin erkennen, dass auf die-
ser Stufe in aller Geistesthätigkeit die Phantasie oder Einbildungs-
kraft Avaltet und obherrscht. Verstand und Vernunft nur in ihrem
Dienst wirken. AViederum aber giebl es hier unter den Volks -
geistern dieselbe Unterscheidung zu machen, wie bei den einzelnen
Jünglingen. Sowohl die Stärke jener diesem Alter charakteristi-
schen Geisteskraft, als die über die Altersstufe hinaus dauernde
Fortwirkung derselben ist wie bei einzelnen Jünglingen so bei
den Volksgeistern verschieden. Die einen Jünglinge sind diess
auch geistig eben nur auf der Altersstufe des Jünglings, nach-
mals im Aller der durch Uebung erstarkten Denktbätigkeit, dem
Mannesalter, erscheinen sie ganz auf Erfahrung und Leljciiszwecke
gerichtet; ein Ideenleben ist ihnen fremd, eine Virtuosiläl aber
können sie ihrerseits vielmelir als praktische Charaktere mit IVsleni
Willen oder Lebensklugheit gewinnen. Diese Praktischen sind
prosaische Naturen, haben nicht Poesie in ihnen selbst, noch
mögen oder vermögen sie Wahrnehmungen und Erfahrung zum
Nitzscli, Gesell. U. griecli. Kjios. 1
Idealen zu steigern. Anders die auf der Jünglingsstufe reicher
Begabten; sie behalten in der Mannesreife doch auch jene Geistes-
kraft thätig, ihr Denken bleibt auch ferner ein dichtendes und
die reichen Gebilde der jugendersten Zeit werden ihnen Gefässe
von Ideen, aber eben die Ideen werden zu Bildern ausgeprägl.
Es ist die eigenste Eigenschaft solcher phantasiereichen Geister,
wie das, was sie wahrnehmen und erfahren, in reger Selbst-
Ihätigkeit bei sich zu bewegen, so alles Innerliche in die Er-
scheinung heraustreten zu lassen. Sie denken wohl wie Göthe's
Eugenie auch, „der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt V
Doch noch mehr „das Wesen war' es, wenn es nicht erschiene?"
Auf diese Weise werden sie bildnerisch erfindsanie Künstler und
vermögen seelisch schöne Werke zu schalTen. „Weder Gestalt ohne
Seele, noch Seele ohne Gestalt" ist ihr Satz. So also giebt es die
Unterscheidung von einerseits Verstandsmenschen, andererseits
Phantasie- und Gefühlsmenschen bei Einzelnen und bei Völkern.
Dass dieser Gegensatz zwischen den beiden alten Culturvölkern
Europas gilt, der römische Volksgeist in seiner Eigenthümlich-
keit ein prosaisch praktischer mit jener Charakternrluosität und
Lebensklugheit, dt!r griechische ein })oetischer und ideenreicher
gewesen , ist allgemein anerkannt und hat seine Bestätigung ge-
rade an den römischen Dichtern uiul Schriftstellern, die wie
Cicero und Iloraz durch griechische Bildung ihre Aehnlichkeit
mit den griechischen erlangt haben.
Ivonnnt uns nun bei den poetischen, bildnerisch kräftigen
Griechen sogleich iln-e Mustergiltigkeit in der eigentlich plasti-
schen Kunst und dazu ihr Wahlspruch in den Sinn: Lieb ist
uns, was schön, und was nicht schön', es ist unlieb, so führt
die nähere Betrachtung sofort auf eine andere Eigenthümlichkeit
des griechischen Volksgeistes, wie er sich in Kunst- und Schrift-
werken offenbart hat. Die phantasiereichen Volksgeister wie
Menschengeister überhaupt verhalten sich verschieden zu den
beiden Sphären Natur und Menschenwelt. Je nachdem in ihnen
das 3Ienschenbewusstsein stark ist und dieses sich die Natur in
und nach seiner Anschauung unterwirft und verähnlichl, oder
der Menschengeist sich unter die Natur giebt und in ihr wir
aufgeht, prägt sich das Eine oder das Andere wie im Leben, so
in Schrift- und Bildwerken vorwaltend aus. Während nun die
3
Orientalen an die Natur hingegeben sind ^) , hat der Griechengeisl
das lebhafteste und tiefste Bewusstsein seiner 3Ienschennatur in
jeder Hinsicht bethätigt. Seine Kunst liat eine Seele und hat
also an der seelisch schönen Menschengestalt ihr Ideal, und sein
Meuschenbe^vusstsein war es, was ihn, als er bei der Erfahrung
der Naturwirkungen zu Heil oder Unheil einen wirkenden Geist
der Erscheinung über die Wirkung stellte, in seinem Phantasie-
glauben an höhere Wesen, die ihm ein sich Selbstbestinnnendes,
eine Person, nur wie ein Mensch erschien, Götter in Menschen-
gestalt zu schaffen bewog, also einen Gott zum Fluss, eine Nymphe
zum Baum zu denken und überhaupt die Natur mit Göttern zu
bevölkern. In dieser Weise besonders beseelte er die Natur.
Aber auch all seine Litteratur hat aus seinem Leben im Verständ-
niss und der Darstellung der Menschennatur ihren eigensten,
immerfort unentbehrlich wirksamen Vorzug. Wohl besitzt er
Wahrnehmungsgabe auch für das Eigenthümliche in den Natur-
gebilden und lebhafte Farben auch zur Naturschilderung, aber
diese dient dem Menschenleben zur Scenerie. Wie Menschen und
Götter die Natur beherrschen, erscheint sie uns als ihre Lebens-
folie 2).
Die Litteratur selbst und vorzüglich die Poesie in ihren
Hauptarten durchdringt nicht blos das Leben und die Regung
der Menschenseele als ihr wesentlicher Inhalt, sie gewährt ein
Hauptinteresse durch Charaktere, und die Darstellungsform, welche
diese am sprechendsten hervortreten lässt, die dramatische, ist
von Homer an das belobteste und selbst von Historikern (bei den
1) Zimmermanu ul)er den Begriff des Epos , Dannstailt 1848. S. 54,
über das indische Epos: Die Poesie luul Kunst haben sich olionsuwcnig,
als die Rcligiün im Allgemeinen von dem Boden der Natiiranscliauung' los-
reissen können, von der freien Idealität der homerischen Götter ist daher
durchaus gar keine Rede. S. das. weiter u. S. 57 unten u. f.
2) AI. V. Humboldt, Kosmos 2. S. 7. „In dem liellenisclien Aller-
thuni, in dem Blütlienaller der Menschheit, linden wir allerdings den zar-
testen Ausdruck dieser Naturcmpfiudung den dichterischen Darstellungen
menschlicher Leidenschaft heigemischt; aber das eigentlich Naturhesclirei-
hende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen
Kunslhildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt."
Uebereinslimmend Schnaasc, Gesch. d. hild. Künste 2. S. 128 11". Zimmer-
mann . Begr. d. Epos S. 25.
1*
Reden ihrer Personen) \'ielgebraucht6 Kunstmittel. Wir sehen,
wie das Urtheil über den Natursinn und die Geschicklichkeit der
Griechen für Naturbeschreibung nicht ohne Rücksicht auf jenes
starke und so viel wirksame Menschenbewusstsein richtig gefällt
werden kann. Sie selbst haben in ihrem Menschensinn der Natur
nur die untergeordnete Redeutung gegeben und diese nicht für
sich, sondern in Reziehung zur Ihatlebendigen oder empfindenden
Menschenwelt gedacht und gezeichnet, ja sie haben in seelischer
Auffassung theils sie vergöttert, theils vielfältig das Charakteristische
in den Naturgeschöpfen in Natursagen mittels Verwandlung aus
Menschen erklärt, wie die Sagen von der klagenden Nachtigall,
der webenden Spinne und andere späterhin hervorzuheben sein
werden. >yir nun geben diesem Menschensinn Ehre, und be-
achten, ohne ihnen das als Unfähigkeit zu deuten, was sie eher
nicht gewollt haben , dieses charaktervolle Leben als den human-
sten Vorzug ihrer Litteratur und Kunst. Denn A\ie ihre Sagen
ihrer nationalen Vorzeil Menschen- und Götterleben immer in
Wechselwirkung darstellten, finden wir auch die zwei Arten der
Poesie, welche ihre Stoffe der Sagenwelt entnahmen, die Helden-
gedichte und die Tragödien , so weit und so lange sie nationales
Leben hatten, von sittlich religiösen Motiven beseelt, und eben
von demjenigen Epos soll hier die Geschichte gegeben werden,
welches mittels lebendigen Vortrags zur nationalen Poesie zählt.
Die hiermit gezeichneten Charakterzüge der griechischen
Litteratur treten sämmllich gleich in den ersten zwei Werken,
welche den denkenden Griechen selbst für die frühesten unter
allem Erhaltenen galten, der llias und Odyssee Homers, auf das
deutlichste hervor. Dieser Dichtergenius, der älteste unter den
grössten aller Zeiten, namentlich den europäischen, ist dieses ja
durch die zwei Eigenschaften, welche zum grossen Dichter die we-
sentlichen sind, durch ein lebendiges und tiefes Verständniss der
Menschennatur und ein Weltbewusslsein, welches, Natur und Men-
schenleben umfassend, mit seiner Phantasie allgegenwärtig ist, und
dem so die Rilder aus allen Sphären , die der befiügelte Gedanke
nur bewalten kann, zu Gebote stehen. Diese zwei Eigenschafleu
also, wirksam mittels einer bereits zugebildeten Sprache und ihres
ganzen Reichthums und in der möglichsten Herrschaft über die-
selbe, uiul bei genialer H;,ndhabung der der Dichtungsarl eignenden
Rhythmen für einen dem Ohr gefälligen Vortrag, gaben die all-
bewunderten Poesien. Homers speciflsch eigenster Vorzug hiess
schon bei seinem Volk das Charaktervolle , nichts Uncharakteristi-
sches gebe er. In den HauiJtpersonen seiner Ilias und Odyssee
hatte er ebenso naturgemäss wie im lebendigen Rewusstsein des
Nationalcharakters die zwei Geistesarten, einen Helden der gera-
den Thatkraft und einen der schlauen Klugheit, hingestellt, beide
dabei gar sehr als wahre Typen der hellenischen Sinnesart. Aber
welche reiche Gallerie der mannigfaltigsten Charaktere in der
Ilias und Odyssee! und diese immer energisch, so dass sie sich
selbst aussprechen oder die Handlung sie offenbart.
Die andere Haupteigenschaft des grossen Dichters, das alle
Sphären der Natur oder des Menschenlebens zu Zügen seiner
Darstellung bewaltende \Veltbewu3stsein, sie erweist sich haupt-
sächlich in den Gleichnissen. Unter diesen nun geben die Nalur-
bilder den Beleg zu dem vorhin vom Natursinn der Griechen
überhaupt Gesagten. Wie Gestalten und Charaktere der Menschen
kauQi irgend vom Dichter als Erzähler selbst gegeben werden,
sondern wie sie in der seelisch bewegten- Handlung zur Erscheinung
kommen, so malt er auch die Natur nicht in der Ruhe der Be-
trachtung, sondern es dienen die Rilder dem Leben der Darstel-
lung und sind energisch eingewebt. Hören \^ir einige, und zu-
erst einige kürzere: Da neigt sich das Haupt eines Getroffenen
mit dem Helm wie der Mohn im Garten, den der Frühlingsregen
beströmt (II. 8, 306); da hat Menelaos den Muth der unabtreib *
liehen Fliege (II. 17, 570), schwingt sich Athene durch die Luft
zur Erde wie vom Stern die Funken [Sternschnuppen] (IL 4, 77),
stillt der Wundarzt das Rlut durch Umschläge, wie Milch durch
Feigenlab zu Käse wird (R. 5, 002). Reispiele vollerer Rilder
mit Gegenbildern: II. 6, 503 — 516 wird Paris, wie er nach
längerem Verweilen im Gemach jetzt kampflustig dem Hektor
nacheilt, mit einem Rosse verglichen:
Paris auch, nicht mehr säumt er daheim im hohen Gemache,
Nein, wie er anhat nur sein Riisl/oug, schillernd von Erze,
Stürmt er darauf durch die (lassen der Stadt ausgreifenden Schrittes,
Wie ein Staalsross wohl, das, übersatt an der Krippe,
Los vom Halfter sich riss und mit stampfendem Hufe das Feld schlägt,
Rennt, sich zu liaden gewohnt in dem voll hinlliessenden Strome,
Ganz nur Zier und Lust, hoch trägt es das Haupt, es umdatlern
6
üeppig die Mälincn den Bug, und seines Geschmeides l)C\vnssl sich
Risch trabts fori zu den Weiden und Tumnielplälzen der Pferde :
Also des Priamos Sohn , von Pergamos' heiliger Höh' her,
Glänzend im Zeug wie die gokicne Sonn', er seiher im Herzen
Freudig, die Fasse hehcnd vorschrilt; nur einige Zeit noch
Und schon halt' er den Bruder erreicht, als eben sich Ueklor
Wandte von da, wo mit seinem Gemal er traulich verkehrt erst.
Eine volle Gruppe vom verwundeten Hirsch, auf den die
Schakale eindringen, bis ein Löwe sie verscheucht, ist Gleich-
niss zum verwundeten Odysseus, den die Troer verfolgen, bis
Aias eintritt; II. 11, 474. Aus den vielen andern immer ver-
schiedenen Löwenbildern ist auf dasjenige in II. 20, 165 — 173
zu verweisen.
In der Odyssee auf das Uild von den kleinen V'ögeln , wie sie,
wenn die Raubvögel aus dem Gebirg sich gegen sie h^rschwingen,
ängstlich zu Boden eilen und so in die Netze fallen, da denn
die zuspringenden Männer sich reichen Fangs erfreuen: Od. 22,
302 — 306.
So haben wir die Geistesari gezeichnet, welche, wie sie
alles Denken und Empfinden beherrscht, so auch die genetische
für die sogenannte Mythologie ist, das heisst die, welche die
Göttergeslalten und die Göttersagen erzeugt. Aber eben auch das
ganze Bewusstsein und die Ueberlieferung von der eigenen gott-
vollen Vorzeit und von den Vorältern des Volks, ihren Thaten
und Schicksalen, gestaltet jener bildnerische Volksgeist des jugend-
erslen Zeitalters, er bildet die Sage.
ERSTES BUCH.
Sage und Dichtung.
Abschnitt I.
Zur Geschichte der griechischen Sage.
1 . Das eigenste E r z e ii g n i s s des j u g e n cl e r s t e n von
der Phantasie beherrschten Vo Iksgeistes ist die
Sage, welche, indem sie zuerst als Vo 1 k s s a g e
entsteht, jedem ächten Epos den Stoff giebt.
Wie der rechte Begriff der Sage der ist, dass damit ein
Thatsächliches von der Einbikhnigskraft erfassl und überliefert
bezeichnet vvird, so ergiebt sicli ans diesem von selbst, dass eben
die Sage das eigenste Erzengniss des jugendersten Geistes sei.
Sie gestaltet Alles und Jedes, uas im Bewusstsein des Volks von
seiner Vorzeit lebendig wird, und gar vielfältig geschieht diese
bildnerische Gestaltung als Rückdichtung. Und wenn gern jeder
Stamm die Geschichte der Menschen und Götter in seinem Ge-
biet begann und eine ganze Reihe von Landschaften Griechen-
lands einen ersten Menschen nannten*), so wäre es doch eben
nur ein Irrlhum, Avenn man das Alter einer Sage und Sagen-
poesie nach der Folge der erzählten Begebenheiten berechnen
wollte. Gerade von der, griechischen Poesie lässt sich mit Sicher-
heit behaupten, dass ihre ersten Werke nicht die Uranfänge der
Götter und Menschenwelt darstellten, nicht die Poesie die früheste
war, welche von der Entstehung der Götter erzählte (die Iheo-
1) Einerseils Götter und Menschen haben Eine 3Iutter, die Erde:
Hes. Tage und Werke, 108; Pindar Nem. 6, 2. Die verschiedenen ersten
Menschen : s. das vcrmulhlicli Pind. Fragni. in der Zeitsclirifl f. Alt. 1847,
S. 1—6 und Philol. 7, S. 1 11".; Bergks Poelae lyrici, 2. Ausg. S. 105'J f.
gonische), sondern dass die ältesten Sagen und ältesten Lieder schon
eine Heldenwell im persönlichen Verkehr mit den Stammgöttern
darstellten^). Wie nämlich der (kdtus des Zeus älter ist als der
seines Vaters, des Kronos, und des Zeus und seiner Olympier
Sitz auf dem Makedonisch -Thessalischen Berge Olympos älter
als die Sage und Dichtung von einem Kampfe gegen die Titanen
und Kronos (lies. Theog. 632 f.), so hat die Poesie von Kämpfen
der Helden mit C.ötterhilfe oder der Götter unter sich fridier
gesungen als vom Ursprung der Götter oder gar der Dinge über-
haupt, da sie kosmogonisch vom Chaos begann. Das starke Be-
Avusstsein der Menschennatur, welches die vermenschlichende Vor-
stellung von dem höheren Wesen erzeugte, es brachte auch die
von dem Heldenleben und der Theilnahme der Götter an ihren
Abenteuern und Heerfahrten. Das religiöse Bedürfniss erkannte
machtvolle Götter und der Phantasieglaube bildete sich das Leben
und ganze Wesen der persönlichen Mächte als ein thätiges aus.
Also war ganz unstreitig die früheste Poesie — abgesehen
von gleichzeitigen Anrufungen der Götter in Liedern — eine er-
zählende und enthielt Handlung. Und die Sängergabe selbst war
ja zuerst Kraft des Gedächtnisses also der lebendigen Erinnerung
und Darstellung von Thaten und Ereignissen.
2. Das Wesen und die Geltimg der Sagen.
Sagen und Sagenpoesie sind nicht dasselbe. Die beschrie-
bene Geistesart war die gemeinsame aller Stämme, und wie jeder
Stamm ein Bewusstsein von seiner Vorzeit und seinen Vorältern
hatte, so bildete er Sagen von seinen Göttern, ihrer Besitznahme
des Gebietes, von der Stiftung seiner Heiligthnmer , überhaupt
den Gründungen, aber auch von den Thaten und Llnlernehmungen
2) Schocmunn, comparnlio llieog. llcrioil. c. Ilomcrica p. 5, sagt:
,, Die thcogonisclie Gallung dor Poesie, von der uns nur das Werk des
Hesiod übrig ist, sie selbst niuss doch für jünger gellen, als die Heldeu-
gedichle, wie die homerischen sind. Denn der Glaid)c an das Dasein
waltender Götter galt olnic Zweifel viel friiher sciion, als man über ihren
Ursprung und ihre VerwandlSL-haft lintorsucliungen anslollle". Die enl-
gegengeselzte Meiiunig G. lloiiiiann's, 0|t. VI. 89, lalil in sich selbst,
Avenn wir llieils das Wesen des E])os nns genauer belraclilen, thcils die
Menge der episcjien Lieder erkennen, Avelclie seinen Schöpi'ungen vor-
hergingen.
seiner Almen, die sie mit Hilfe ihrer Götter bestanden. Was
von jenem Bewusstsein ruchbar ^vird, es zeigt schon von Anbe-
ginn neben einander vorhandene, geglaubte Götter und Menschen,
und diess in regem Leben. Aber die Sage von dem Allen wurde
rückwärts gedichtet nach dem, was kundbar ist, und so ist ein
Ineinander von Menschen - und Göttergeschichle eben aller Sage
und gerade der ältesten Sagenzeit eigen. Ist es doch eben die
heilige Vorzeit, von der sie erzählt. Diese gottvolle V^orzeit heisst
die Heroenzeit ^) und wird von dem menschlichen Zeilalter unter-
schieden (Herod. III, 122: Minos im heroischen, Polykrates im
menschlichen).. Der Zeit nach reicht sie bis zur dorischen Wan-
derung. Diess gilt aber von den Personen und Ereignissen nicht
als wäre nicht auch später die Sagen -Dichtung geschäftig ge-
wesen, wie sie denn zum Beispiel in den Erzählungen von der
Gründimg Kyrencs und von dem ersten und zweiten messeni-
schen Kriege gar viel erscheint*). Der INationalglaube an die
wunderreiche Heroenzeit erhellt eben daraus besonders, dass er
auch in späterer Zeit nur die Bedingung hat, es muss ein Wun-
der aus der Ileroenzeit erzählt werden und müssen Götter dabei
mitgewirkt haben. In diesen spricht das edle Dichtergemüth des
Pindar mitten aus seinem Glauben an eine wunderreiche Heroen-
zeit. Seiner Schilderung der Kentauren als halb Pferd halb
Mensch (Pyth. 2, 44 — 48) fügt er hinzu: „Die Gottheit vollführt
nach ihren Gedanken Jegliches," und bei dem Abenteuer des
Perseus (Pyth. 10, 49): „Wenn die Götter es vollbracht, staun'
ich Nichts als unglaublich an". Und derselbe erkannte ebenso
wie vor ihm Archilochos , Stesichoros und Mimnermos in einer
Sonnenfinsterniss die Wirkung des erzürnten, persönlichen Sonnen-
gottes (Plin. N. G. 2, 12. Plul. Gesicht des Mondes 19). Von
3) S. meine Abh. die Heldensage der Gr. nach ihrer nationalen Gel-
tung in Kieler philol. Studien S. 378 od. bes. Abdr. S. 4.
4) Wir unterscheiden: die Gcistcsarl, welche Thatsächliches nu't
vorwaltender Phantasie fasst und überliefert und somit Sagenhaftes bil-
det, wirkte zu allen Zeiten; sie erzählte von der Gründung Kyrenes:
rind. Pyth. 4, 4—62 und 9, 51 (V. vergl. mit Herod. 4, 150 if. von den
messen. Kriegen bei Paus. 4, lu — IG; sie von den Tyrannenmördern Har-
modios und Arislogeilon (Thukyd.); und wieder von den Dichtern Ibykos,
Arion und Simoiiides: Lehrs im Rh. .AIus. Neue F. 6, 58, oder in dessen
populären Aufs. S. 145 — 219.
10
Späteren spiiclit Paiisanias den allgemeinen Glanbensgrund aus
(8, 2, 4 und 5).
In Wirkung und Nachwirkung jener Heroenzeit und des
INationalglanbcns an sie haben eine Menge Orte, soweit Griechen
wohnen, ihre INanien, und werden langhin die äussersten Granzen
der Welt eben aus den besungenen Abenteuern der Ileldenzeit
benannt: Vom Phasis heisst es bei Plalo, Aristophanes, Aristote-
les imd folgenden, bis zu den Säulen des Hercules^). Es hatten,
das iiessen auch die Nüchternen gelten, manche Heiden schon
des altern Geschlechts, wie nachmals Odysseus und Menelaos und
Aeneas auf weiten Wegen über die lichte Heimath hinaus in wun-
derreichen Gebieten Abenteuer bestanden: Dionysos der Wein-
gott, die Helden Herakles, Perseus, lason und Bellerophon®).
Dann lernte man fernerhin auch Phantasiegebilde von glaubhaften
Thatsachen unterscheiden und erkannte man die Irrungen der
Volkssage, so nahm man doch auch von Wundererzählungen einen
Ihatsächlichen Anlass an, den nur Ausdichtung oder phantasti-
sches Gerücht übertrieben, und jedenfalls blieben die Personen
stehn, auch alle jene abenteuernden Helden wurden gleichwie
alle Personen der Heroenzeit als wirkliche Individuen geglaubt,
die ihren Lehenslauf gehal)t. Mögen wir also in gar vielen der-
selben Pcrsonificationcn erkennen, mögen sogar unsre Mylhologen
Grund finden, gerade einen Herakles, Perseus, ßellerophon alle-
gorisch als Naturwesen zu deuten, das von Anfang nationale Epos
geht solche Deutung nicht an, und noch verfehlter ist es, dem
Homer auch nur irgend ein Bewusstsein von solcher Deutung
seiner 'Haupthelden, des Achill und des Odysseus, beizumessen.
Es ist ein ganz Anderes, den Ursprung eines Gottes oder Heros
nach seinem Namen, also die Fassung der uranfänglichen Per-
sonification zu erklären, und andererseits die geglaubten Götter
und Heroen der Griechen nach der Darstellung des Nationalepos
zu Itetrachten und zu charakterisiren. Das richtige Verfahren
der Auslegung und richtige Verständniss der epischen Handlungen
hat nicht einmal mit dem anderen auch nationalen Verhältniss
5) PI. Phädoii 109, 18. Ar. Wespen 100: Vom Pontes bis Sardinien.
Arist. Rhet. 2, 10, 2.
6) Slrabo 1 , 48. IMul. Kimou 3. Pliu. N. G. 5, ].
11
zahlieiclier Heroen zu thiin, da sie vorher als Götter gegolten
hatten und an manchen Oiten fortwährend als solche verehrt
wurden. Dem Versländniss der epischen Dichtungen dient also
auch solche gesündere Fassung der Personificationen nicht, wie
sie jüngst Ileinr. Dietr. Müller gegehen hat^); denn was die
Sänger ihrem Volke sangen, zumal auf der Stufe des Homer,
war ehen ein Lied von seinen Ahnen, welche entweder durch
den „Kampf mit Ungeheuern und Drachen" ihnen die Erde be-
friedet oder auf Heerfahrten den Ruhm ihres Stammes verherr-
licht halten. Das V'olk mit seiner seelischen Naturanschauung
und seiner Pygmalionsnatur hatte längst vor der Zeit, aus der
uns Etwas von seinem Epos erkennbar wird, die eigenen Per-
sonificationen in raschem Fortschritt ethisch beseelt und in Hand-
lung und Leben gesetzt. Von einem mit ßewusstsein allegorisi-
renden epischen Dichter wissen wir Nichts, ja, es widerstrebt
der Geist dieser Dichtung selbst. Und wer möchte lieber den
Herakles der allegorischen Urdeutungen als den , der als der
gottgefälligste Mensch den Pi'ometheus vom fressenden Geier er-
löst und dessen Mitwirkung den Göltern selbst zur Ueberwälli-
gung der Giganten unentbehrlich ist?
3. Unter Scheidung dev Sagen dichtenden Geister;
d e s V o 1 k s g e i s t e s und epischen D i c h t e r g e i s t e s ; der
Gründungssagen oder Natursagen und epischen
Lieder.
Auch bei dem Jünglingsvolk der Griechen und schon im
frühesten Zeitalter sind ungeachtet der gemeinsamen Geislesart
obherrschender Einbildungskraft doch im Einzelnen dieselben
Unterschiede anzuerkennen, welche überall und jederzeit zwischen
selbslkräftigeren, schöpferischen und andererseits nur auffassen-
den und empfänglichen Geistern stattfinden, und wiederum ist
auch unter den schöpferischen nicht jedwedem die Sinnigkeit und
Tiefe beizumessen, die sich in einzelnen Sagen kundgiebt, wie
in der Prometheussage.
Nun schreiben wir zwar eine Fülle von Sagen der Stämme
dem Volksgeiste zu, weil eben nirgends ein Einzelner als deren
Bildner nachweislich ist; aber uolhwendig und nach l)estinnnten
7) Mythologie der griechischen Slämnic. 1. ThI. Göll. 1857.
12
Kennzeichen nnterscheiden \>ir von der Sagenbildung «les Volks-
geistes die der Sänger und Dichter mit ihrer besonderen Bega-
bung'').
4. Sagendichtung des Volksgeistes.
Alle jene Unterscheidung kann erst eintreten, wo es bereits
an Sagengestalten und Erzählungen die Fülle giebt. Doch wenn
gerade die ältesten Sagen schon das Nebeneinander von Stannn-
helden und Göttern zeigen und Personificationen längst in Menge
vollzogen sind, \vir müssen doch urtheilen: der Volksgeist dichtet
nur einzelne Gestalten und giebt in seinen Helden und von deren
Tliatcn nur den endiryonischen Stofl', den die Singer und Sager
ausdichten und zum Vergnügen der Hörer durchführen. Doch
hierneben hat derselbe Volksgeist seine eigenen Sphären; er dich-
tet Natursagen, indem er alles Charakterisirtere aus einem be-
stimmten früheren Act herleitet, und dichtet Gründungs-, beson-
ders Cultussagen, weil der Griechengeist alles Bestehende einem
benannten Stifter zuschreiben möchte. Gern mag er alle Grün-
dungen und Weihungen ans der altheiligen Heroenzeit herleiten
und vornehmlich von Helden, welche im Nationalepos gefeiert
sind. In der heiligen Vorzeit (eben daher der Offenbarungszeit)
haben die längst geglaubten Götter ihre Macht auch durch Ver-
wandlungen aus Menschen in Steine, Bäume, Thiere ofTenbart,
und daher haben diese ihre sprechenden Gestalten oder ihren
Instinkt. Die Volksgötter also sind die Feen und Zauberer der
griechischen Märchen.
Wir lassen aus jeder Sphäre einige Belege folgen. Bezeugen
sie vielfältig die seelische Naturanschauung, so auch die An-
knüpfung an die Heldensage, in deren Erzählung die Volkssage
jener ungewohnte Wunder mischte.
8) S. die vortreflfhciie Schilderung dieser Begabung in Wacker-
nagels: Die episclie Poesie. Schweiz. Mus. 1, 360. „Indess niclil Jeder
kann singen und spielen ; auf Manchem ruht vorzugsweise die Lust und
die Gabe des Gesanges; und so bildet sich ans dem ganzen dichtenden
und singenden Volke heraus ein eigener Siingersland. — Ilorl singen sie,
was zwar Jeder kennt, weil es all idjcriicrert ist, aber von ihnen doch
lieber vernommen wird als von Andern, weil sie es schöner zu singen
wissen."
13
a. Natursagen.
Als Volksanschauung und Bildnerei finden wir erstlich die
in den „Göttern Griechenlands" aufgeführten Sagenhilder: ,,Der
Lorheer, der sich einst um Hilfe wand," war die von ApoUon
geliehte Nymphe Daphne, die von ihm verfolgt, die Erde oder
Zeus um Rettung anrief und da verschwand, worauf dem Gott
zum Trost der Lorheer emporspross, den er nun liel)l^). „Tan-
tals Tochter" Mohe, die einst so stolze, dann schmerzensreiche
Mutter, die nach dem erfahrenen Strafgericht in Fels verwandelt
wurde, wie Homer II. 24, 602 — 617 ihr Geschick erzählt, und
deren Gestalt man am Sipylos in Lydien (Soph. Antig. 825) hei
Fernsicht noch in später Zeit erkannte'"). Die „Syrinx", wie Daphne
einst eine Nymphe in Arkadien, am Flusse Ladon vom Hirtengott
Pan verfolgt, von den Schwestern auf ihre Bitte in Rohr ver-
wandelt"). Charakteristischer noch sind die Fälle, da die un-
gewöhnliche Eigenschaft eines Naturwesens entweder aus dem
Götterglauben oder aus den Heldensagen gedeutet ward. Ein bei
der Burgmauer in Megara liegender Felshlock gab angeschlagen
einen Klang wie eine angeschlagene Laute. Dies kam daher,
weil der Stadtgott Apollon, als er die Biu'g persönlich bauen
half, seine Leyer auf den Stein gelegt gehabt*^). Auf der Insel
Seriphos hörte man nirgends die Frösche quaken, was der natur-
kundige Theophrast aus der Kälte der dortigen Wasser erklärte.
Die Seriphier wussten das anders. Den Helden Perseus, der von
hier aus zum Abenteuer gegen die Gorgo ausgezogen und mit
deren Haupt hierher zuiiickgekelu't war (Strabo 487), hatten, als
er am See ruhen wollte, die Frösche mit ihrem Gequak gestöil.
Da hatte er seinen Vater Zeus angerufen, und dieser den Ruhe-
störern ewiges Schweigen auferlegt'^). Ein ähnliches Gebet des
9) Phylarcli bei Plut. Agis 9 Tzetzes zu Lykophr. 6. Ovid. Metani.
1 , 452.
10) Paus. 1, 21, 5. Vgl. 0. Müller. Haiulh. d. Aichäol. §. 64. Anm. 2.
11) Ov. Äletam. 1, 704. Voss zu Ekl. S. 55.
12) Theogn. 773. Paus. 1, 42, 1 und 2. Virgds Ciris 105 — 108.
Ov. Metani. 8, 14 — 16.
13) Aeliaii Tiiiergesch. 3, 37. Beckujann zu Arislul. wuiulorhare
Berichte Kap. 71. S. 143 f.
1^4 ^
Herakles war nach der Sage bei Diodor 4, 22 g. E. Ursache,
dass man in der Itahschen Lokris allein keine Baunigrillen (Ci-
caden) schwirren hörte").
In den Tönen mehrer Vögel hörte der Volksgeist ein ur-
sprünglich menschliches Gefühl, und die Instinkte mehrer
Thiere wurden ebenso wie jene als aus Menschenart stammeml
angesehn, mittels einer von den Göttern, den Herren der INatur.
vollzogenen Verwandlung, sei es in Mitleid, in Güte und Wohl-
tliun, sei es im Zorn zur Strafe. Von Vögeln sind die Nachti-
gall, nebst der Schwalbe und dem Eisvogel, die sprechendsten
Beispiele hiervon, wie die Alten der Schwalbe gleich der Nach-
tigall einen trauervollen Ton beilegen (Paus. 1,41 a. E.) und
vom Eisvogel schon Homer (II. 9, 562) dasselbe ausdrücklich
bezeugt. Die Nachtigall, bei den Griechen die Sängerin vor
Allen , bei den Lateinern die Säugerin in der Dämmerung ge-
heissen, hat im Gegensatz des europäischen Nordens im Süden
vollends die tiefer ziehenden Seelentöne. Darin hörte der Grieche
bekanntlich 3Iutterschmerz , die Klage um den in Leidenschaft
oder durch Irrlhum selbstgetödteten Sohn (Itys, Itylos)'^). In
dreifacher Gestalt der Sage ist doch die Nachtigall immer die
verwandelte unglückliche Mutter'®), Die Eisvögel (Alkyonen)
waren ein treues Ehepaar gewesen ; dessen Charakterbild erkannte
man in den Paaren der Alkyonen. Als der Mann auf einer See-
reise war, blickte Alkyone immer sehnsuchtsvoll nach ihm aus,
und als nach SchiObruch sein Leib ans Ufer trieb, stürzte jene
sich ins Meer, Da verwandeile Zeus oder Thetis sie in die See-
vögel. Immer noch klagt ihr Ton um den Gatten, wie Euripides
und Ovid es schildern. Und auch als Vögel üben die Weibchen
14) Das Altorthum kannte die stumme Art der Cicadon nicht, wie die
slunune Art der Frosche.
15) Odyss. 19, 518 — 523. mit Schol. Aesclivl. Schutzfl. 55 — 58.
Agam. 1101 oder 1113 If. Soph. Elektra 144.
10) Die liomcrische spielt in Milet oder auf Kreta, die Iilosse Va-
riation derselben bei Anlonin. lib. 11, in Epliesos, die dritte ruchbarste,
die auch Thukyd. 2, 29. 2 anerkennt, in Phokis oder Aulis und Altika:
Sapphü fr. 87. Paus. 1 . 41 , 8 und 9. 10, 4, 8 und 9. Tragisch ist sie
behandelt in einer Trilogie von Philokles, dem Neffen des Aescliylos
(Seh. zu Aristoph. Vögel 282), und in Sophokles Einzeltragödie Tereus.
15
sonst beispiellose Treue, den alternden nehmen sie auf ihren
Rücken und tragen ihn so im Fluge").
Aehnliche Natursagen mischte der wundergläuhige Volksgeist
auch mehrfach in die Legenden, Avelche aus dem Cultus im Epos
gefeierter Helden hervorgingen. Vom letzten Geschick des iiloli-
schen Helden Meleagros gab es mehrfache Sagen, doch in zwei
Gestalten hatte seiner Mutter Hass ihm d^n Tod gebracht. Nun
sähe man auf dem Hügel, den die Kalydonier als Meleagros
Grabhügel ehrten, häufig eben nur in Aetolien vorkommende,
eigentlich in .\frika heimische Perlhühner, welche Meleagrides
heissen. Da erzählte die Sage, das wären die durch ^litleid der
Götter verwandelten Schwestern des Helden, die bei seinem Tode
unstillbare Klage erhoben'*). Hie Bewohner der Insel Salamis
erzählten von ihrem Helden, dem Aias, dem Sohne des Telamon
(II. 2, 557), bei seinem Tode vor Troia, da er, der grösste
Held nach Achill, um erfahrner Kränkung sich selbst getödtet,
sei in ihrem Lande zuerst die Blume hervorgesprosst, auf deren
Blättern man die ersten Buchstaben seines Namens lese (Paus.
l, 35, 3). Wiederum aus einer Verwandlung deutete man den
menschenfreundlichen Charakter bei Ueihern, die von einer der
Inseln, welche von dem in vielen Städten Italiens als Gründer
verehrten Diomedes che diomedischen hiessen, zahm und freimd-
lich zu den SchilTern heranflogen. Auf der Insel ^\ar der ver-
götterte Heros verschwunden, seine Gefährten aber in jene ver-
wandelt worden").
17) Eur. Iph. in Tauris 1080—1093. Ov. Metani. 11, 734. Den Lie-
besdienst im Alter feierte schon Alkmau Fr. 21, S. (339 und lu'schriobeu
Andere: Plut. de solert. anim. c. 35. V. 485. Tauclin.
18) Mcl. Tod. Paus. 10, 31, 3. Die Hühner in Aetohen : Allien. 655 A.
auf dem (irahe. PHn. N. (i. 10, 38. Meleagri tumulus nohilis eas fecit.
19) Slraho, VI. 284, sagt von der hisel, auf welcher die Sage den
Diomedes verschwinden und seine Gefährten in Vögel verwandelt werden
lässt: und noch jetzt blieben sie zahm unil führten ein wie menschliches
Leben, gegen siltige Menschen freundlich, schlechte und schuldbeladene
aber lliehend. Nach Plin. ^^ (i. 10, 44, Gl unterscheiden sie l^iriechen und
Barbaren. Aehnlich Stephan, v. Hyzanz unter Diomedeia. Heyne im ersten
Excurs zum 11. Buch der Aeneide Genaueres, wo auch von den Perl-
hühnern.
16
b. Cultnssagen.
Eben der nach Homer entstandene Heroencult erzeugte eine
grosse Menge Volkssagen auch von solchen Heroen, welche schon
vorher im Epos gross waren. In den von Griechenland ausge-
gangenen Colonien entstanden dergleichen besonders. Wie die
milesischen am schwarzen 3Ieer den Achill ehrten^"), die itali-
schen vor Allen den Diomedes und Philoktet, aber auch verirrte
Leute des Nestor, zurückgebliebene Gefährten des Odysseus, wie
auf Rypros Teukros der Bruder des Aias, auf Rhodos der Sohn
des Herakles Tlepolemos als Führer und Gründer Heroenehren
hatten: so gab es von allen diesen und noch anderen rückge-
dichtete Cultussagen. Sie beriefen sich auf die Gräber'"), die
aber weil die Verehrung der hehren Todlen eben eines Grabes
bedurfte, im neuen Wohnsitz erst gestiftet waren. Da nämlich
die Colonien ihrem wirklichen Führer und Gründer nach seinem
Tode ein Grab mit Heroenehren widmeten ^^), so folgte wie von
selbst, dass der Cultus eines altheiligen im älteren Epos schon
gefeierten Heros, den man aus dem Mutterlande mitgebracht
hatte, auf Grund des Grabes die Legende erzeugte, dieser sei
der Führer gewesen. So hatte jeder solche Cultus seine Legende,
wie der Heros selbst dahin gekommen und dort sein Grab ge-
funden. Solche Legende braucht nur die Interessenten des Cul-
tus zu befriedigen; immerhin also mochte es in dieser Weise
wie von dem Seher Ralchas, von Oedipus, von Agamemnon und
Anderen an mehreren Orten Gräber mit Legenden geben (die
Heldensagen der Grieclien 28 ff.). Um Zeitrechnung künnuerle
sich dabei der Phantasieglaube wenig, doch war es in den Colo-
nien meistens einer vom jüngeren Heldengeschlecht, einer des
älteren mehr in den Multerstädten^^). Es kam dazu, dass in
mehreren Fällen die Ansiedler mit der älteren Bevölkerung Kampf
20) S. Herocl. 4, 55, mit Bahr und bes. den von ihm angeführten
Kühler, der den ganzen Cultus des Achill imd vieler andern troischen
Helden erörtert.
21) Strabo VI. 2(54, 15; vergl. 222.
22) Dem altern Miltiades: Herod. 6, 38 „wie es Brauch ist beim
Gründer". Dem Phalanthos, dem Gründer von Tarenl: Str. 278 f. Justin
3.4 a. E.
23) Pindar, Islhm. 4 (5), 30 11".
17
zu besteben gebabl batten; so taugte ein reisiger Held von altem
Klang um so besser dazu. Acbill war scbon reisiger Heros der
Muttersladt Milet; er hatte nadi einer dortigen Volkssage den
Ansiedlern, welche den Boden den Lelegern abzukämpfen hatten,
eben diesen erobert, indem er den Trambelos, den König der
Leleger erlegte ^^). So ward er Helfer und Hort der milesiscben
Colonien im Barbarenland am Pontiis, heisst in Inschriften Pon-
tarch und wird von Alkäos mit dem Wort angerufen: der Du in
Scythien (rsordland) waltest (Fr. 40). Auch Diomedes hatte als
streitbarer Held im nördlichen Appulien (Daunien) Platz gewonnen
und seine Herrschaft bis zu den Henetern im Winkel des Adria-
tischen Meeres ausgedehnt, d. h. er wurde in einer ganzen Heihe
von Orten als Gründer verehrt. Sein Cultus ward gleich dem
des Achill am Pontos der eines Gottes, wahrscheinlich indem
Beide in die Stelle eines älteren Landesgottes eintraten. Obwohl
dasselbe auch von Philoktet in Makalla berichtet wird"). Auch
von diesem wird Etwas von Kampf erzählt.
Wir haben hier kein Interesse die Cultussagen auch nur
der oben genannten anderen Gründer genauer zu besprechen,
oder die Formen zu berichten , in welchen die Sage ihren Weg-
gang aus der Heimath motinrte; hervorzuheben aber ist zur Un-
terscheidung von den episch ausgeführten Dichtungen der Um-
stand, dass Alles und Jedes, was wir angeführt finden, und auch
die Fahrten, Ankunften und Kämpfe, durchaus nur auf kurze An-
gabe des Thatsächlichen beschränkt bleiben ^^).
24) Athen. 11, 431». Eustnth. z. II. 343. Tzetz. zu Lyk. 467.
25) Schwiegersohn des daunischen Königs. Justin 12, 2. Piin. N.
G. 3, 16, §. 103. Slädto Benevent, Caniisium, Arges Hippion- Agyrippa
oder Arpi, Metaponlion und Thurii : Stralio 215, 248. Steph. v. IJyz. un-
ter Argyrippa, I}onei)c>nlüs. (iott auf der hiointules - Insel , in Argyrippa,
Metaponlion, Tliurii, nach Scliol. zu Find. N. 10, 12. — Philoktet. Tz. zu
Lyk. 927. Klausens Acncas 1, 402. Danehen Gründer v. Krimissa u. Petelia.
26) Artig ist die Anknüpfung an die homerische Erzählung hei
Diomedes. Die von diesem in der IHas 5, 330 IT., 349 S. verwundete und
geschmiihete Liehesgöttin hatte zur Rache dessen Gattin (II. 5, 412) zur
Buhlerei mit einem Andern verführt, so dass sie nach seiner Heimkehr
sein Lehen he(h'ohlen und er sich zur Auswanderung gelrichen fand.
Diese Verknüpfung sdieint zuerst von .Alimnermos gesclieiicn zu sein:
Fr. 22 aus Tz. z. Lykophr. GIO; vergl. Philo). 1, 151. Dieser Thcil der
Sage hat seine Varietäten und so auch seine weitern Wege, aJKT ehen
Nitzsch , Gesell, d. griech. Epos- 2
18
Dies waren Beispiele von Volkssagen, welche aus dem He-
roencull der Colonien hervorgegangen, nehen der epischen Feier
der Helden stehen, nur dass sie jni Einzelnen an sie anknüpfen.
Ein lichtes Beispiel giebt es, da ein im Epos vielgenannter Held
in einer Cultussage ganz und gar unabhängig von seinem epischen
Charakter zum Führer einer Colonie und verehrten Stifter wird.
Es ist lolaos, der in der epischen Heraklessage viel genannte
Knappe und Wagenlenker des Herakles. Er war in Theben auch
reisiger Heros mit Jenem, und nach seinem treuen Dienst das
Ideal der berühmten heiligen Schaar von Freundespaaren. Aber
der Cultussage nach liatte er eine Schaar Thespier und Athenäer
nach Sardinien geführt, wo Pausanias seinen Cultus blühend
fand").
Es wäre anmuthig hier die Weise der Cultussagen noch
ausführlicher zu schildern , namentlich wo sie so handgreiflich
den W'andel der Elemente, im Bereich der Meeresfluth und an-
dererseits des wärmenden Sonnenstrahles als einen Streit oder
Tausch zweier Gölter darstellen, oder wo der Sonnengott eine erst
aus dem Meer auftauchende Insel als sein Gebiet gewinnt. Von
solchem Tausche erzählten Viele^**); es mö"e aber hier nur die
nur in der Volkssage. Dass diese von der epischen zu unterscheiden sei,
Leachtcle der Verfasser des Aufsatzes im Phüol. 8, 54 nicht, und l'asste
daher Vieles irrig. Das Epos erzählte von Dioniedes nur die glückliche
Heimkunft aus Troju.
27) Epos: lies. Schild, d. Ilciakl. 77, 103, 323. Heros mit Herakles:
Pind. Isthm. 4, 32. Flut. V. d. Bruderl. a. E. „An vielen Orten sein Altar-
genoss." Ideal: Flut. Felop. 18 nach Aristoteles. — Colonie: Faus. 7,
2, 2. Cultus: ders. 10, 17, 5. Vergl. Slrabo 5, 225 und Diod. 4, 29, wo
die Form der Rückdichtung besonders ersichlhch.
28) Es ist hier zu beachten, dass in diesen Sagen Helios, der Son-
nengott, mit Apollon als derselbe gilt. Abzusondern ist die Legende von
Trözen, Faus. 2, 30, 5. Sie ist ganz nur politisch; zwei Geschlechter
ionischen Stannncs haben sich über ihre Culte vereinbart. Anders in fol-
genden: Nach der Korinthischen Sage stritten der Meergott Poseidon und
Helios um die Stadt auf der Landenge und der gewallige Briareus (II. 1,
402) schlichtete: Paus. 2, 1, (i; 4, 7. Das Vorgebirge Lakonicns 'fänaron
(das oft Erderschüttcrungen erlitt) gewann der Meergolt als Erderschüt-
terer vom Sonnengott, der dort seine Ileerden gehabt. (Hymn. a. d. Pyth.
Ap.233 — 410.) Poseidon üherliess dafür Deljihi. Statt Tänaron nennt eine
andere Sage die Insel Kalauria bei Trözen (Faus 2, 33, 2). Das alte Ora-
kel bei Paus, und Strabo 8, 378 besagt, Apollon habe gegen Kalauria
Delos, gegen Täiiarun Delphi eingetauscht. Besonders deutlich spricht
19
besonders schöne der Rhodier hervorgehoben werden, wie der
Sonnengott die Insel in Einem Hergange durch eigne Wahl und
auch durch Vertheilung des Zeus zu seinem Eigenlhum erworben.
Es erzählt Pindar Ol. 7, 54 oder 100 IT. nach „den alten Reden
der Menschen": „Rhodos, heisst es, lag noch in den Meeres-
tiefen verborgen, als die Vertheilung der Erde durch Zeus ge-
schah. Für den (auf seiner Tagfahrt) abwesenden Helios hatte
Niemand ein Loos aufgewiesen. Als der Gott daran mahnte,
wollte Zeus die Loosung von Neuem geschehen lassen. Der Gott
aber wehrete, er sähe, sagte er, drinnen im Meer vom Grund
her ein Land emporkommen, gedeihlich für Menschen und Heer-
den. Und alsbald forderte er die Parce auf, ihm mit heiligstem
Eid und Zeus Zustimmung das zu Tag emporgestiegene Land als
Eigenthum zuzusprechen". Der Schlüssel zu dieser von Pindar
in der anmuthigsten Einfachheit erzähUen Legende ist ganz un-
zweifelhaft in dem Zeugniss des PHnius gegeben. Denn einmal
zählt dieser Rhodos unter den Inseln auf, welche nach dem
Glauben der Alten erst aus den Wellen aufgetaucht sein sollten
(2, 89; vgl. Paus. 8, 33. 4). Sodann aber — was mehr ist und
Rhodos ganz sprechend als ein Lieblingsland des Sonnengottes
erkennen lässt — bezeugt er 2, 62, dass die Atmosphäre dieser
Insel nie so ganz von Wolken überzogen werde, dass nicht we-
nigstens stundenweis die Sonne hervorgetreten wäre. Also weil
Rhodos ein sonniges Land war, und nicht erst durch die dori-
sche Ansiedelung, ward Helios der Ilauptgott der Insel, wie er
denn auch als Stammvater d. h. als Vater der drei Stifter und
Namengeber der drei bedeutendsten Städte galt. Und der rho-
dische Koloss stellte eben jenen Gott dar (Plin. 34, 18 §.41).
c. Wandel der epischen Sage durch den Volksgeist.
Solche Cultussagen, wie ein jeder Cultus die seinen hatle,
gingen für sich, und nur zwischen dem Ilcroencultus und dem
Epos fand eine Wechselwirkung im Fortgange staU. Nachdem
z. B. die älteren Lieder den Perseus und den Herakles mehr
die Sage vom Streit der L.indcsgötliii llcr.i und dos Poseidon um Argos:
Paus. 2, 15, 5 und 2, 22, 5. Um Alliou slritton Poseidon und AIIkmio
(Herod. 8, 55) jeder mit seiner Gabe, und Alhencns Sieg fcicrlo mau
alljähi-liLli. IMut. V. d. IJruderl. 18.
2*
20
nach Phantasie in den Westen geführt hatten als nach Kunde,
so dass noch Ilesiod ganz nur mit Phantasiehildern von jener
imerkundeten Ferne verfuhr, trat später erst seit der Gründung
von Kyrene (631) eine geographische Fixirung der Phantasie-
hilder der Herakles- und Perseussagen ein. In Folge dieser
rückte die dortige Volkssagc die Gorgonen, welche Perseus
hekänipft, und die Gärten der Hesperiden, von denen Hera-
kles die Aepfel holte, in die iNähe benannter Orte^'). Anderer-
seits konnten die nachhomerischen Dichter, und namentlich der
der Heimkehr der Sieger Troia's nicht umhin, die Helden, statt
wie bei Homer in die alte Heimalh , in die ruchbarsten Stätten
ihres Cultus gelangen zu lassen, oder die Apotheose derselben
an die Stelle des von Homer erzählten Todes zu setzen^").
5. Bestimmte Beispiele zur Untersc. lieidung des ge-
staltenden Sänger geistes und des die Natur be-
seelenden V olksg eiste s.
Der Volksgeist hat sich uns in seiner Sinnigkeit und na-
mentlich in seiner seelischen Naturanschauung schon vielfach
oflfenbart, und wir könnten die Belege davon noch um viele ver-
mehren. Audi von sehier durchherrschenden Gleichartigkeit
giebt es sprechende Beispiele. Das eigene Nalurgefühl, da der
Wechsel des Naturlehens im Laufe der Jahreszeiten von den
Menschen mit empfunden wird, es wurde in den verschiedenen
Gegenden nicht bloss in elegischen Herbst- und Ernteliedern
laut, sondern der bildnerische Volksgeist gestaltete das im Wech-
sel erst blühende dann absterbende Naturleben zu einem früh
abscheidenden Jüngling Linos, oder in anderen Gegenden Hylas,
in anderen Bormos oder Lityerses genannt, welcher hier von
Hunden zerrissen (vom Hundsstern), dort von den Wellen ver-
29) 0. Müller, Orclioin. S. 34(3, zeigt die Riickdiclilung.
30) Achill, ileii Homer im Hades zeigt (Od. 11, 467], und dessen
Tod und Todesl'eier er besclireilit (Od. 5, 310 und 24, 36—94), lallt in
der Acthiopis des milesischen Epikers, wird aber nach Lenke im Pontes
entrückt. Der Dichter der Heimkehr führt den Kalchas nach Klares bei
Kolophon (Slrabo 042 und 043), wo sein Grab (Lykoplir. 425 m. Seh.),
den Neoplolemos statt nach Phthia (Od. 3, 188) nach Molossien in Epirus
(Plut. Pvrrhns 1).
21
schlungeii, u. s. n. iiinkommt und beklagt und gesucht wird").
Durch absonderliche Wendung ward Liuos, der Gegenstand des
Herbslliedes, selbst zu einem der frühesten Sänger und so zum
Lehrer des Herakles,
Die gemeinsame Anschauung bewährt sich weiter in den
volksthümlichen Sagen von den vvükanischen Bergen oder Inseln
und Küstenstrichen, Ein Volksgeist der wie die obigen Beispiele
zeigten, alle cigenthündichen Erscheinungen an Felsen, Wässern
oder thierischen Wesen so lebensvoll deutete, er wird freilich
die gewaltigsten Naturregungen nicht stumpf angeschaut haben.
Und vulkanischer Gegenden gab es viele im Bereich der Griechi-
schen Bevölkerung. Ausser auf Lenuios gab es dergleichen auf
den hinteren Küsten Vorderasiens, also in Cilicien und bis nach
Syrien gegen Aegypten hin; dann auf der thrakischen Halbinsel
Pallene; und als griechische Ansiedler Unteritalien und Sicilien
besetzt hatten, kamen die Küsten von Kumä mit dem Vesuv, kam
der Aetna und überhaupt die gesammten dortigen Meeresufer nebst
mehren Inseln hinzu. iN'un ist es ein und dasselbe Phantasie-
bild, welches sich bei allen diesen Erdbränden wiederholt. Der
durchherrschende Volksglaube von der Urzeit imd den auf einan-
der gefolgten Zuständen der Erde und Erdbewohner wusste näm-
lich Nichts von einem goldenen Zeitalter und allmählicher Ver-
schlimmerung, sondern zeigt in den Sagen die umgekehrte Welt-
ansicht. Die Erde und die ganze Natur hat in der Urzeit enorme
Ungethüme die Fülle erzeugt, bald sterblichen bald unsterb-
lichen Wesens. Sie waren einzeln über die verschiedenen Ge-
biete verbreitet, und beunruhigten die daneben vorhandenen
schlichten Menschen. So hatten Zeus und die übrigen Volks-
götter in der ersten Zeit des erlangten Regiments diese Unge-
thüme mit ihren Gewaltmitteln getilgt. Eines derselben also, und
offenbar eines von unsterblichem Wesen, dachte der Phanlasieglaube
unter jedem Vulkan oder jeder vulkanischen Landstrecke liegend,
Rauch, Feuer, Lava schnob und spie eben das Ungeheuer aus,
und dieses regte und bewegte seine gewaltigen Glieder so oft
der Boden erschüttert ward. Die Berge sind am häufigsten von
31) 0. Müller Der. 1, 346 f. Welcker Kl. Sehr. 1, 8—55. Büchson-
schülz im Philol. 8, 577 — 589.
22
Zeus in Geuitlern oder dem Gott der ErscluUterungen Poseidon
oder der Göttin Athene auf sie geworfen. Beuainit aber wird
der niedergeschmetterte Wütherig am liäufigsten Typhon oder
Typhoeus, das Bikl der äussersten Empörung der Elemente (IM.
Phädr. 230 A). Dieses phantastische Ungeheuer hat seine Ge-
hurtsstätte bei Homer 11, 2, 782 in Arima, was nach Pindar und
Aeschylus auf Cilicien weist ^-). Aber es erscheint dasselbe als
stehender Typus der Volksansicht von vulkanischem Boden, und
zwar recht als Beispiel des Hergangs, wenn einmal eine Gestalt
in den Sagen ruchbar geworden ist. Wie Strabo XH. 578, 17
und 579, 18 zeigt, gab es dort weiter auf der Küste eine ganze
Folge ebenfalls vulkanischer Stellen bis nach Syrien hhi, und
überall sollte Typhon da liegen^^). Nachdem der zweite Aus-
bruch des Aetna (479/478 v, Chr.) erfolgt war, sang Pindar im
ersten pythischen Siegesliede die so sinnvolle Stelle 13 — 29 oder
25 — 55 vom Typhoeus unter dem Aetna und dem vulkanischen
Boden bis Kumä, und Hess Aeschylus den Prometheus von dem-
selben prophezeihen, Beide unstreitig nach der Sage, nach wel-
cher Typhon verfolgt nach Italien geflohen war^). Doch nach
dieser Sage ward da die vulkanische Insel Pithekusa mit Prochyte
auf ihn geworfen. Diess gemahnt schon an den mehr bemerkten
Umstand , dass theils ein und derselbe Wütherig und Gigant bald
unter dem, bald unter jenem vulkanischen Boden liegend ange-
geben wird, theils von einem und demselben Vulkan von ver-
schiedenen Dichtern Verschiedene als die Belasteten genannt wer-
den ^^). Dass in solchen Stellen bestimmte Gigantennamen ver-
32) Ae. Prom. 353, Find. Pylh. 8, 16 und ausdrücklicher Pylh. 1, 17
oder 32.
33) Strabo XIII, nach allgemeinerer Angajic des vielstiniuiigon My-
thus 626, von Mysieu, wo die Gegend Katakekaumene, das vorlnannle
Land. 638. 11 und bes. 579, 18 und 19 und wieder XVI. 750, 7.
34) Vom Kaukasus her: Pherekydes und llerodoros im Schol. zu
Apoll. Rhod. 2, 1210 und 1211, und Apollonius selbst.
35) Unter dem Aetna liegt nacli Pindar und Aeschylos Typlion, naoli
Kallim. H. a. Delos 141 Briareus. nach Virgil. Aen. 3, 579 Enkeladüs.
Unter Prochyte und Pithekusa Lei Pherekydes und Strabo V, 247, 9 und
248 Typhon, nach Sihus Italiens 12, 147 Mimas. — In einigen Vulkanen
hauste der Gott des Feuers Hephästos. Auf Lenuios, wo vordem der
Mosychlos gebnmut hatte, nacli Buttmanns Darlegung in Wolfs Mus. I.
295 ir. und die Insel Hiera ist des Hephästos Werkstatt, Thucyd. 3, 88, 2.
23
lauten, haben wir unstreitig aus Liedern herzuleiten, durch die
sie rnciibar geworden; jene verschiedenen Angaben von demsel-
ben Giganten oder demselben Vulkan aber erklären sich wohl da-
her: im Volksglauben und Munde hatte es eben nur „das Un-
gethüm" geheissen, die Dichter aber oder spätere Sagenschreiber
nannten nach Belieben einen bestimmten, nur immer einen der
Ruchbaren.
6. Foi-tsetzung. Ein Lied von dem Kampf und Sieg
der Götter gegen eine Gigantenscliaar (Giganto-
machie).
Schon jener Gebrauch der bestimmten Namen führt auf die
Annahme eines alten Liedes, wodurch sie in Ruf gekommen, fast
mit Nothwendigkeit. Denn allgemein im iN'ationalbewusstsein le-
bendig wurden Sagen und Sagengestalten nur durch die Poesie.
Und hier gilt dies von einer bestimmten Zahl der genanntesten
Giganten: Alkyoneus, Poryphyrion, Enkelados, Mimas,
Polybotes, ausser jenem Typhoeus, der als eine wildeste Un-
natur nicht zu den Giganten zählt. Die Giganten wurden anders
als er gedacht. Mit dem Namen bezeichnet man riesengrosse,
berghohe Gestalten eines Maasses, das nicht blos gewöhnliches
Menschen-, sondern auch Heldenmaass überragt (Od. 10, 113,
120), aber sich frei bewegende. Nun waren nach dem Obigen
einzelne solche Enorme in einzelnen (vulkanischen) Stätten nach
dem Glauben von Zeus niedergeschmettert — aber es lebt da-
neben die Sage von einem Kampfe der Götter gegen geschaarte
Giganten. Da erkennen wir das Werk zusammenfassender Poesie
und erkennen den Sängergeist in den Motiven, welche die Sage
in die Hergänge legt. Doch zum deutlichen Zeichen dichterischer
Darstellung werden von folgenden Dichtern und Künstlern und
nicht blos von Apollodor (der selbst älteren gefolgt sein muss)
zahlreiche einzelne Thaten und Scenen solchen Kampfes aufge-
führt. Endlich enthält Hesiods Theogonie 50 eine zwar dunkle,
aber doch bei rechter Erklärung das Ihre besagende Andeutung.
Der Vers muss an seiner Stelle auf einen Lobpreis des Zeus
gehen, und da das Wort Giganten niemals für Heroen gebraucht
ist, so sangen die Musen, wie Zeus „Sterblicher Menschen Ge-
schlecht und starker Giganten " seiner Macht unterworfen. Hesiod
24
seUt imnicr das Bedeutendsk' zuletzt, und Beides zusanunen giebt
den Zeus als den Befriedcr und Ordner der Erde, nachdem vor-
her die Götterwelt als ihm unlerthau genannt ist. Einfach deut-
lich bezeugt Xenophanes alten Gesang vom Giganten- und vom
Titanenkanipf 1, 21. Älehrfach ist er in der Batrachomyomachie
berührt ^^).
Nirgends ist uns der IName eines Dichters oder eines Ge-
dichts Gigantoinachie glaubhaft üi)erliefert^') und wir haben über
die Zeil, in welcher ein solches Lied gedichtet sein möge, nur
soviel zu bestimmen, dass dieser SlofT nicht zu den frühesten zu
zählen sei. Dagegen mag der Gedanke, die Götter in ihrer
Machtvvirkung und in der Bewältigung der übergewältigeu Erd-
bewohner zu feiern, bei der volksthümlichcn Bedeutung solchen
Liedes immer früher gekommen sein, als der, dieser Götter Ur-
sprung zu besingen. Ein sinniger Dichtergeist nun verräth sich
in den auf diesen Kampf lautenden Angaben und vorzüglich und
unleugbar in dem Zuge, dass Herakles von Athene zum Mit-
kämpfer herbeigeholt \\ird, denn der Sieg ist den Göttern nur
unter der Bedingung verheissen, wenn ein Sterblicher auf ihrer
Seite kämpfte oder Halbgötter*-). Der Sinn ist namentlich bei
Herakles: es soll die gesittigte Menschenkraft und Art über
die ungeschlachte Gewalt den Sieg erlangen, dafür kämpfen die
3Iächte der Ordnung ^^) und indem zu ihrem Siege Herakles mit-
wirkt, ist er eben der Repräsentant der frommen und gottbe-
günstigten Menschenkraft und Tüchtigkeit, hier ebenso wie in
der Prometheussage, wo er es ist, der den gebändigten bestraf-
ten Träger, die Personification des ohne Gott selbststarken lita-
Jiischen Menschengeistes, von der fressenden Qual befreit*').
In der vollständigem Uebersicht des Gigantenkampfes bei Apollodor
36) V. 6, 170, 299.
37) Der Schol. des Apolloii 1, 554 liat in dem Citat „der niehlor der
Gigantomachie" ofienbar ,,Titaiioniachie" schreiben wollen.
38) Find. J. 5 (6), 33—49. Eur. Ras. Ilerak. 1192 — J 194. Apollo-
dor 1, 6, 1: ,,ein Sterblicher", Schol. /ii. Find. N. 1, 07 nnil 100: „zwei
llalbgöllcr, Herakles und Dionysos".
39) Find. Pyth. 8, 12 IT. ' Hör. Od. 3. 4. 53 ff.
40) Hes. Theüg. 523 — 531. Aesch. Gofess. Froni. 773 oder 2 uiid
Fragni. des Gelösten p. 368. Fr. 212 und 213. Ileiin. oder Tragic. Fr.
rcc. Nauck. p. 52. Fr. 195A. 96.
25
trißl recht in jenem Sinn Herakles den Porpliyrion mit seinem
IM'eil, indem Zeus auf denselben seinen Blitz schleudert, und
schiesst Herakles einen andern in's rechte Auge, während ApoUon
in's linke. Im verwandten Sinne ist es eben Athene, die den
Herakles herbeiiührt, und that sie sich besonders hervor und
heisst die Gigantentödterin, sowie ihre Heiligthümer die Scenen
dieses Kampfes besonders aufwiesen. Sowie aber die bildende
Kunst, die fast immer Dichtergebilden folgte, auch Tempel an-
derer -Tlötter mit dergleichen (Jesammtdarstellungen verzierte,
geben Schilderungen von Kunstwerken oder diese selbst (V'asen)
neben der dichterischen Ueberlieferung überhaupt nicht wenige
einzelne Scenen der Gigantomachie ").
Das hiermit in seinen Abbildern bezeugte Lied eines iUtern
Sängers hatte nicht minder als difr obigen Einzelsagen örtlich
volksmässige Grundlage. Der sich überall wiederholende ^ame
des Schlachtfeldes heisst Phlegrä, das phlegräische Feld, von
cpkEyEiv^ brennen, das brandige Land, also ebenfalls ein vul-
kanischer Boden. Vorherrschend und unzweifelhaft zuerst wird
es auf die thrakische Halbinsel um Pallene verlegt, das selbst
früher Phlegra hiess*^). Der in älterer Zeit besungene Kampf
wurde nun von der Volkssage erfasst. Als in Italien Kumä grie-
chische Ansiedler erhielt, sahen diese die sowohl vulkanische als
höchst fruchtbare dortige Gegend bis Puzzuoli für das Feld des
Götterkampfes an. Die Verstandesmenschen Polybius und Strabo
41) Das Gewand an den Panathenäen: Schol. zu Arist.Rilt. 563; Plato
Euthyphro 6 c. und die wieder aufgefundenen Metopen des der Athene ge-
weihten Parthenon: Leake's Topogr. Attika's Anh. 16, S. 400. Andere
Kimstwerke: Preller Gr. Myth. I. 56. Scenen am delphischen Tempel:
Eur. Ion. 205 — 218, z. B. Athene verfolgt den Enkelados und Iieisst da-
her Hippia (vergl. Paus 8, 47, 1). Nach derselben Tragödie 988 — 095
erzeugte die Erde damals die Gorgo und erwarb damals Atiienc den Ruh-
mestitel Gorgütödterin (1478) und als Panzer die Aegis mit dem Gorgo-
haupt. Dichterstelleu: Pind. Pytli. 8, 16 f. oder 25: Porphyrion, ders.
Nem. 4, 27 oder 44: Alkyoueus, beide Vorkämpfer der Giganten; Apoll.
Rhod. 2, 232 f.: Helios nimmt den ermiidcten Hephästos auf seinen Wagen.
42) Hcrod. 7, 123. Steph. v. Ryzanz unter Pallenc nnd Pidegra.
Apollod. l. 6, 1. Pind. N. 1, 67 oder' 100. I. 5 (6), 33 oder 47 Acsch.
Eum. 285 und 292. Eur. Ion. 988. Auch Strabo zeugt für diese Gegend
7, 330, 25, mag er auch dabei die .Meinung von einem wilden Volke, wel-
ches Herakles bewälligl, die der Versläudigern nennen; es war die des
pragmatisirenden Ephorus. (Fr. 70 aus Theons Progymn. 6, 95 Teubn.).
26
waren aber der Ansicht, eben wegen üirer Fruelilbarkeit sei die
(hegend Gegenstand des Streits der Götter genannt worden. Eine
Tliat des Herakles wusste man dabei auch hier zu erzählen"^).
Eine zweite Volkssage im Anschluss an den Gigantenkampf gab
CS auf der Insel Kos über die von ihr wie ein Stück losgelöste
Insel Nisyros. Da hatte der Meergott den Giganten Polybotes
durchs Meer verfolgt, das Stück von Kos losgerissen und auf
jenen geworfen''*).
7. Ein zweites Beispiel einzelner Gebilde des Volks-
geistes, welche der Sängergeist zusammenfasst
und unter ein Motiv stellt, die sogenannten Ar-
beiten des Herakles vojn Eurystheus auferlegt.
Dem allgemeinen Volksglauben gemäss, der die Erde und
ihre Bewohner nicht aus Unschuld und Frieden zu frevelhaftem
Wesen und schweren Erfahrungen, sondern umgekehrt erst all-
niälig aus Heimsuchung durch wilde Ungethüme zur Ruhe und
Ordnung fortgeführt dachte, hatten also nach den geschilderten
Sagen die olympischen Götter die ungeschlachten Giganten nieder-
gekämpft. Aber es war die Erde ausser von jenen eigentlichen
Giganten in den Zeiten des älteren Heldengeschlechts, dessen
Ilauptvcrtreter Herakles ist, von vielen anderen menschlichen oder
thierischen Unholden und Miss- oder auch Mischgestalten beun-
ruhigt. Und freilich haben namentlich diese vier älteren Helden,
Herakles, Perseus, lason und Bellerophon, dergleichen vorzüglich
in der unerkundeten Ferne, in Phantasiegebieten des Westens
oder äussersten Ostens, getroffen und bestanden. Aber auch in
der Nähe der Heimath, im Peloponnes selbst hatte Herakles in
der über ihn verhängten Unterwürfigkeit unter den schlechteren
Mann, den Eurystheus (Odyss. 11, 621 ff.) Unthiere zu bekämpfen,
im argivischen Nemea den Löv.en, in Lerna daselbst die Schlange,
im arkadischen Stymphalos die Vögel, die Hirschkuh, den Eber
ebenfalls im Peloponnes. Bei diesen also namentlich ist die Frage,
welchem Geiste wir die Erfindung oder plastische Gestaltung dieser
43) Polyb. Lei Sir. 5, 242 und wörtlich ebenso Str. selbst 243, 4.
Herakl. dcrs. 245, G und 281.
44) Wie Ai)ollo(l. 1, 6, 2, so Paus. 1, 2, 4 u. Str. 10, 489 „und so
sei die Insel Nisvros culslandcn und unter ihr liege der Gigant".
27
Wumlciwescii beizumessen haben, ob auch von ihnen das sonst
anerkannte Verhältniss gelte, dass der phantasiestarke Volksgeist
in den einzelnen Orten die Wundei'gebilde geschaflen und die
Sänger von des Eurysllieus Aufträgen und Herakles sieghaften
Kämpfen dieselben nur plastischer ausgeprägt. Diess im Einzel-
nen genauer zu unterscheiden macht das Wesen der Sage selbst
unthunlich, die immer webt und verwebt und vielfältig im Wech-
sel vom Volksgeist und Sängergeist fortgesponnen wird. Indessen
wenn die Sagensprache als eine Bildersprache anzuerkennen ist,
welche unbcwusst in gewisser Nothwendigkeit eine Quelle, die
vieler Orts gedämmt immer wieder hervorbricht zur lernäischen
Schlange mit immer wieder wachsenden Köpfen, ein umstürmtes
und vulkanisclies Vorgebirge zur Chimära gestaltet hat: dann hat
der Sänger eben das fertige Unthier erfasst und bestimmter aus-
geprägt, und so seinen Helden mit diesem im Kampfe dargestellt"^).
Mag es aber unbestimmbar sein, wieweit eine Sagengestalt schon
ausgeprägt gewesen, ehe sie in ein Heldenlied verflochten worden,
jedenfalls ist eine zusammenfassende Dichtung, welche einen Hel-
den darstellt, wie er auf Geheiss eines böswilligen , eifersüchtigen
Machthabers schwere Kämpfe mit Ungethümen bestanden, nur
einem Sängergeiste beizumessen, und so also auch die Dichtung
von Herakles' Kämpfen unter Eurystheus und die andern von
denen des Theseus, seines ionischen Ebenbildes,
8. Die Sängergabe, eine von eigener Gottheit ver-
liehene, nicht Gemeingut irgend ein es Zeitalters
oder Volks Stammes und ihre Charakteristik.
Wäre unser Gegenstand nicht so vielseitig und reichhaltig,
dann würde gleich hier sich ein Verzeichniss der zahlreiclien
Stoffe epischer Lieder anschliessen, welche die ältesten Zeugen
unserer Kunde, Homer und Hesiod, als Thatsachen des früheren
45) 0. Müller, Dor. 1, 442 f. K. Fr. Hermann, Cullurgcsch. S. 79.
Bcmerkcnsworth ist Ilesiods lehrhaft genealogische Hehandlnng einiger
Arbeiten des Herakles. Er, der im Vorhällniss zur Schöplungszeil der
Mythen ein Junger Spätling war, und ileni Herakles längst als der viel-
bcwährtc Ruhmerwerher galt, er ist nur bemüht, die Wunderwesen sei-
ner genealogischen Folge einzureihen und ihm sind diese seihst auch
eben vorzeitliche Un£;elicuer.
28
vorliomerischen Epos erkeiineii lassen. Doch bevor wir uns
hierzu wenden, isl es, besonders um das grichische Epos dem an-
derer Völker gegenüber nach Aehnlichkeit oder Vorzug in das
rechte Licht zu setzen, erforderlich, im \veiteren Zusammenhange
dem im Nächstvorhergehenden gezeichneten Volksgeisle und sei-
ner Sagendichtung den Sängergeist in einem Gesamnitbilde gegen-
über zu stellen.
^Vir sahen schon früher in charakteristischen Beispielen, der
poelische Volksgeist hatte seine Vorzeit vornehmlich mittels Per-
sonification mit Göttern und Helden erfüllt, und umfasste in seiner
phantasiereichen Anschauungsweise alle seine Zustände, hatte auch
seine eigenen Gebiete (Natursage, Stiftungs- und Cultussage), wo
er vornehmlich thätig war; allein er schuf mehr einzelne Ge-
bilde, oft seine Wahrnehmungen durch Rückdichtung ausdeutend.
Ausgeführtere Hergänge bildete er nur in Anknüpfung an die ihm
durch früheres Epos im Sinn liegenden Personen und Ereignisse.
Anders eben das Epos, welches nach den obigen Beispielen die
einzelnen Gebilde des Volksgeistes zusammenfassend oder das nur
Embryonische ausfülu'end Handlungen schuf und seine Erzählung
mit 3Iotiven beseelte. Der sich so unterscheidende Sängergeist
soll uns nun deutlicher hervortreten.
Es thun sich also in der Umgebung der gleich Eingangs
geschilderten Geistesart, welche als allen Stämmen gemeinsam
erkannt wird, eben auch bei allen Stämmen begabtere Sänger
hervor^"). Wir erkennen sie ohne ausdrückliche Kunde von ihren
Personen aus ihren Werken. Sie haljen die Bilder der überlie-
ferten Vorväter des Stammes in Liedern ausgeführt, welche das
Ohr der Hörer durch gefällige Rhythmen anregten und ergötzten.
Also gehören ihnen die Sagen, welche episches Leben haben,
und deren finden wir wie gesagt in Homers und Hesiods An-
deutungen so aus allen Gebieten und Stämmen, dass wii" in die-
ser ersten Periode des Epos keinen Stamm ausschliessen können.
Jene ältesten Zeugen nennen uns auch ausdrücklich als das, was
die Sänger vermöge ihrer besonderen Gabe vortragen „Kunden
von den früheren Menschen" oder ,, Kunden der Männer"*^),
46) S. oben Nr. 3 zu Anfang.
47) lies. Thcog. 99: nX^ia Tc^orfycov uv&qcojkov. üil. 8, 73: /.Xia
avöijäv und Plalo PhiUlr. 245 E. ebenso: „Die Dichter unterweisen die
29
Und wenn wir namentlich durcli Tacitus' Nachricht von den aUen
Deutschen: „Ihre alten Lieder, die einzige Art ihrer Geschichte
und Jahrhücher", und durch W. Grimm's Nachweisungen wissen,
auch bei diesen sei die Runde ihrer Vorzeit die Sorge und der
Besitz der Sänger gewesen'^), so wird uns auch von anderen
nicht stumpfen A^ölkern dasselbe bezeugt, und gewinnen wir vom
ächten Epos überhaupt die richtige Vorstellung, dass es die vom
Volksgeist zuerst gefassten, und von den begabteren Erzählern
in irgend welcher rhythmischen Form ausgeprägten Sagen von
der eigenen Vorzeit enthiell. Diese Vorzeit war immer eine hehre
für das Volkshewusstsein, und eine nach der jugendersten Geistes-
art poetische, aber die eigentlichen Träger der Kunde, (\\n i>e-
rufenen Bewahrer derselben waren Sänger einer Begabung, die
nicht als die Jedes aus dem Volke oder dem einzelnen Stamme
gelten darf*^]. Diess gilt nun von keines Volkes Epos mehr als
von dem griechischen. Wie hier jede Fertigkeit ihren göttlichen
Vorstand hat und von seiner Liebe oder Lehre wie es heisst
hergeleitet wird, so kommt namentlich die Geschicklichkeit, die
alten Kunden inne zu haben und annehmlich vorzutragen, von
der Gunst und dem stäikenden Beistande einer besondern Gott-
heit. Sie heisst bekanntlich die Muse, deren Hesiod neun mit
Namen aufzählt, ^velche Namen aber bei ihm und langhin nur
irgend eine Phase oder Wirkung jedweden dichlerischen Vortrags
Nachlebenden in Liedern und übriger Poesie, indem sie unzäblige Werke
der Altvorilern schön darstellen".
48) Tac. Germ. 2. W^. Grimm Heldens. 357. S. ;iucb vom indischen
Epos Lassen hid. Allerthumsk. 1, 482 und 483.
49) Diese Natur des Epos ist, wie sie aus dem wahren BcgrilF der
Sage fliesst, zur Anerkennung besonders (kirch unsere Grimms gefördert
und bat bereits auch in der Theorie Platz und ibre licgrilllicbe Fassung
gewonnen. Nur werden wir den vielbervorgebobenen Gegensalz von
Volksdiclrtung und Kunsldicbtung mehrfach zu liericbtigen haben; denn
der Volksgeist bildet nur die Sage und namentlich die Bilder der Slamm-
belden em])ryoniscb, die Heldenlieder al)er sind immer Erzeugnisse aus-
gezeichneter Begabung, wenn sie auch neben den überall zünftigen Sän-
gern manchen einzelnen Kampfesbelden beiwohnt. Das Volk verhält sich
zu ihnen als das Empfangende und nicht Volksdichtung ist die richtige
Bezeichnung, sondern Volkslied in dem Sinne, dass es von der gemein-
samen eigenen (nicht fremden) Vorzeit erziiblend eben Ursprung und
Gegenstand auf dem Boden des Volksbewusstseins hat. Der Begriff Kunst-
dicbtung ist auch ein mebnb'utiger.
30
anzeigen; erst sehr spät werden sie anf einzelne üichtungsarten
und andere geislige Strelnnigen verllieilt^"). Sie, die Musen,
lieben und ljegal)en die Zunft, das Geschlecht der Sänger, kein
anderer Colt, sondern sie sind auch zu verstehen, wo es statt
die Muse der Gott lieisst, auch Zeus nicht, ob er gleich sonst
über allen mächtig ist^'). Nur ist, weil die Sänger ihren Ge-
sang intonirend mit Laulenspiel begleiten, ApoIIon ihr Gott neben
der Muse^^). Als ein besonderer Vorzug erscheint die Sänger-
gabe nun auch durch die Gunst und Ehre, in welcher die Lieb-
linge der Muse bei allem Volk stehen, was ausser dem häufigen
Schmuckvvort ,, allwillkommen" auch ausdrücklich bezeugt wird (Od.
8, 479 — 481). Sie zählen zu denen, welche wegen der ihnen
eben eigenen Fertigkeit, wie Zimmerer, Aerzte, Seher, zu den
betreffenden Leistungen, so sie zu den Orten und Anlässen er-
götzlicher Müsse, zu Gastmahlen und Festen der Götter in alle
Häuser geholt und geladen und da mitgastirl werden ^^).
50) Die von Paus. IX, 29, 2 als die altern genannten (U'ei Musen,
Melete, Mnenie, Aöde, Geist des Sinnens, des Gedäclilnisscs, des Vor-
trags bezeichnen, meine ich, die drei Stufen der Sängerthätigkeit und
sind nach der Gescliiclite des Worts ^itlizi] und seinem Begriff wohl
spätere Personilicationen. Anders Wackernagel, die ep. Poesie, S. 343.
51) Wenn Welcker, Episch. Gycl. 1, S. 346, Gervinus, Gesch. der
deutsch. Dicht. 1, 30 u. 34, und Carriere, Wesen der Poesie 34, sagen,
von Zeus käme der begeisternde Funke in die Seele, so ist das Nichts als
ein Missverständniss des Salzes Odyss. 1, 348: „Nicht die Sänger sind
schuld, sondern Zeuss, welcher allen Menschen zutheilt, Jedem nach
seinem mäclUigen Belieben". Es ist das gesagt zur Pcnelopc, der der
Inhalt sclnnerzlich war, nämlich die Thatsache unheilvoller Heimkehr der
Griechen, welche Zeus verhängt hatte. Von der Galie zu singen ist also
hier gar nicht die Rede. Der zur Stelle angeführte Fr. Jacobs gab der
dortigen Erklärung brieflich selbst Beifall. Und gewährt doch Zeus nach
Hesiod nicht einmal zu der Würde, die jedenfalls von ihm kommt, den
Königen auch die Gabe der gewinnenden Rede , sondern diese konunl da-
neben von den Musen : Theog. 91 — 97. Es ist dasselbe Verhältniss , wie
wenn Here die Mittel des Liebreizes von Aphrodite erbitten muss, II. 14,
198. Die Muse, die Gottheit: Odyss. 8, 44, 73, 481, 498; 22, 347. —
Die Namen der neun Musen: Hes. Theog. 76 — 80. Die Vertheilung erst
Plat. Phädr. 259 C. In der Zeit vor Piaton ruft Alkman die Kalliope (Fr.
36) zum Liebeslied an, und dem Pindar ist (Ol. 11, 14 oder 18) dieselbe
diejenige Muse, welche die itahschen Lokrer zu der sie auszeichnenden
lyrischen Poesie begeisterte.
52) Od. 8, 488 mit Anm. Hes. Theog. 94 f. Welcker Ep. Gycl. 1, 356.
53) Od. 17, 382—386; 8, 43; 22, 346: „dessen Gesang Un.sterblichen
31
Alle genauere Angabe vom Wesen und Wirken der Gottheit
der Sänger lautet auf erzählende Poesie. Die Musen sind Töch-
ter des Zeus und der Mnemosyne, d. h. der Geist des Gedäclit-
nisses und der Erinnerungskraft in Person, und wie alle Götter
die Künste und Vermögen, welche sie Sterblichen verleihen, selbst
in höchster Vollkommenheit besitzen, wohnt den Musen das Wissen
von Allem bei, was irgend wann und wo geschah:
„Ihr seid Göttiimeu, wäret dabei und wisset ja Alles;
Wir vernehmen allein das Gerücht."
11. 2, 483 — 455. Sie mit ihrer Kunde von Allem, was irgend
geschah (die auch die verlockenden Sirenen sich beilegen, Od.
12, 189 f.), haben die Geister ihrer Lieblinge viele Liedergänge
gelehrt. Diese bringen die Sänger fertig im Gedächtniss niit, und
die günstige Müsse erregt und stärkt ihren Geist, wo und wann
sie aus dem Bewussten, sei es nach eigener Wahl oder nach dem
Wunsche der Hörer, ein Ganzes oder eine Partie vortragen wollen,
wie diess ausdrücklich in den Worten liegt Od. 8, 43 — 45:
„ Auch ruft mir den göttlichen Sänger,
Ihn Demodokos, dem Gesang Gott weidlicli verliehn Iial,
Um zu erfreun, wie immer sein Herz zu singen ihn antreibt."
Weit entfernt also , dass die Gotteskraft dem Sänger willenlos
überkäme, oder ihn aus dem Stegreif zu singen befähigte, wirkt
die Muse, wie andere Gölter bei andern Begabten, z. B. Alliene
beim Künstler (11.5, 60 — 68] im Einzelnen nach Gedanken und
Willen ihrer Günstlinge. In diesem Gewähren der Stärkung, so
oft der Liebling sie wünscht, besteht eben die Liebe und Gunst
der Gottheit.
Dass aber die Sänger ihre Lieder schon lange fertig im
Sinne tragen, dafür zeugt theils der schon verbreitete Ruhm
tönet und Menschen". Den Unsterbiiclien gewiss doch bei ihren Festen.
Den Menschen aber ausser bei ihren Gastmahlen unstreitig schon in ho-
merischer und vorhomerischer Zeil auch in andern Mussezcilen, und da
in den Lesclien, den Sitz- und Ges])rächshallen , den gewöhnliciien Orten
freier Zusammenkünfte, den Gemeingebäuden, deren Griechenland wold
in jeder Sladl halte: Od. 18, 329 ni. Schol. lies. W. und T. 493 oder 491
mit Götlling. So lässl die Avenn auch sagenhafte Lebensbeschreibung
Homers vom s. g. llerodol c. 5 und (5 Homer seine Gedichte nach Hrancli
in Leschen vortragen. Die voilslänihge Beschreibung dieser Leschen giebt
Zell in Ferienschr. 1. S. 11 — 14.
32
einzelner, die sie also öfter gesungen haben (Od. 8, 74), theils
Phemios ausdrücklich 22, 347:
,,Aus mir hab' ich gelernt und ein Gott hat mancherlei Weisen
31 ir in die Seele gepflanzt."
Diese Stelle lässl besonders deutlich erkennen, dass die Natur-
anlage und die Gunst der Gottheit ganz in eins zusammenfallen.
Aber es bezeugt dieselbe Stelle noch etwas Anderes. Der Aus-
druck : Ich bin ein Autodidakt — betont unleugbar einen Vorzug
und eine Uulerscheidung vor Andern seiner Zunft. INach der
beigesetzten Erklärung: Die Muse habe ihm viele Liedergänge
in den sinnenden Geist gepflanzt, besteht dieser Vorzug in der
eigenen höhern Begabung und grössern Gunst der Muse. Ihm
dem Selbstgelehrtcn stehen nach der Auslegung des Aristoteles
und anderer Alten andere Sänger entgegen, die ihre Vorträge
nicht selbst gestaltet, sondern von Andern gelernt haben ^*).
Die Odyssee charakterisirt mm die Allen gefallende V^ortrags-
weise der Sänger auch noch feiner. Es uird uns durch die von
ihr angegebenen Eigenschaften auch klar, wie die Sängergabe
wesentlich als starke und gestärkte Gedächtnisskraft erscheinen
konnte. Der einfache Begriff dessen, was beim Erzähler das
Unerlasslichste ist, das genaue Behalten, begegnet uns in den
Stellen , wo die Musen im Verlauf der Erzählung noch besonders
angerufen werden. Es geschieht dies, avo eine umfassende Viel-
heit die Stärke oder fein Bestimmtes die Treue des Gedächtnisses
54) Arist. Rhetor. 1 , 7, 33 bei Unterscheidung des mehr oder min-
der Preiswürdigen: „Und das Angeborne oder Seli)sterzeugte mehr, als
das andersher Erworbene, wie der Dichter sagt: Selbstgelehrt bin ich".
Es ändert an diesen Unterschieden nichts , dass auch der Hochbegabte
sein Lied nicht rein erfindet, sondern dem überkonnnonen Sagonstofl' nur
Formen giebt. Der Andere leistete elien dies nicht, sondern überkam,
lernte das bereits ausgedichtete Lied von Andern und trug es weiter vor.
Andere ähnliche Erklärungen der Alten s. in ra. Prolegom. zu Plato's Jon.
S. 21 f. Nicht richtig deutet C. Fr. Hermann, Cultiirg. d. Gr. u. R.
S. 85: „Ph. nennt sich avToö. insofern es noch nicht Kunst, sondern
Anlage und Talent ist". Diese Anlage und die Gottesgabe ist überall die
Sache. Auch örjfjiiovQYoi sind nicht die, welche das Volk m Folge seiner
Freiheit als seine Diener betrachtet, sondern die, welche öirenllich wir-
ken, die wegen ihrer Kunst, die sie vor Andern voraushaben, von Andern
allgemein geschätzt und verlangt werden.
33
besonders zum Bedürfniss macht *^). Aber dieselbe Kraft leistet
mehr als das Behalten von Namen und Personen, sie erneut
Bilder, wirkt als Erinnerungskraft mit der Phantasie zusammen
auf lebendige Vergegenwärtigung. Und venu die begeisternden
Musen bei Allem waren, was geschah, so wirken sie auch im
erzählenden Sänger das, was den Hauptreiz seiner Erzählung
ausmacht, die lebendigste Vergegenwärtigung. Er erzählt Alles,
als wäre er seihst dabei gewesen. So bezeichnet Odysseus den
Vortrag des Demodokos Od. 8, 491. Solche Leistung nun wird
die geschickte Gestalt der Geschichten genannt {aoQcprj inEav)
und wenn ein nicht zünftiger Anderer in solch lebendiger An-
muth zu erzählen oder zu sprechen weiss, gleicht er einem
Sänger^*).
Ist dies das Bild der zünftigen Sänger nach Homer, so zei-
gen dessen Gedichte uns im Achill, dem Heldenideal, auch das
einzige Beispiel eines Tapfern, der daneben auch Heldenlieder
(Runden der Männer) zur Laute zu singen versteht (11. 9, 186
bis 189). Es ist dies bei ihm eine Nebenfertigkeit, wie die Heil-
kunst, welche er von Cheiron erlernt und seinem Patroklos mit-
getheilt hat (II, 11, 831 f.) und wie bei Odysseus die Geschicklichkeit
des Zimmermanns, mit der er sich in Od. 5, 234 — 261 ein Floss
baut und nach 23, 189 ff. das so künstliche Bett gefertigt hat. So
ist also auch Achills Gesang zur Laute eine bei den Kriegshelden
keineswegs häufige Fertigkeit; nur haben wir keinen Grund, ihm
mehr beizulegen, als dass er von einem Sänger Heldenlieder und
Lautenspiel dazu gelernt gehabt. Eigene Sängergabe wird zwei
einzelnen, sehr streitbaren Helden im deutschen Epos nachge-
rühmt, in den Nibelungen dem kühnen Spielmanne Volker, in
der Gudrun dem Degen Horand. und namentlich dem Spiel und
Gesang des letztern eine ähnliche Macht ])eigemessen, wie in
der griechischen Sage und Sagendichtting dem Orpheus"). Der
55) II. 11. 218; 14, 5Ö8; 2, 488—492; Tfil. In jenen Stellen: wer
zuers t u. s. w.
56) Od. 8, 170—173, 11, 367 f. 17, 518—521.
57) Nibel. 30. Ahcnt. Str. 10 — 18. Gudrun G. Abent. Wie lies.
Theog. 97 sagt: „Wie strömet ihm süss vom Munde der 'Wohllaut I Itenn
wenn einer mit Gram im frischverwundeten Herzen Sich abzehrt m quä-
lendem Leid, dann aber ein Sänger Treu im Dienste der Musen die Jöh-
Nitzsch, Gesch. d. griech. Epos. 3
34
Inhalt ihrer Lieder wird dabei nicht angegeben, nur ihre eige-
nen Thaten oder Erfahrungen sangen sie offenbar nicht. Dies
verlautet dagegen aus älterer Zeit von dem Vandalen Gelimer,
sofern er von Belisars Unterfeldherrn Pharas in Gebirgsschluchten
gedrängt und da belagert ein Rlaggedicht liber seinen Nothstand
gedichtet hatte, und in der Antwort auf eine Aulforderung von
Jenem schliesslich unter Anderejn eine Laute sich erbat, um als
guter Lautenschläger sein Lied zu singen (Procop. de hello Van-
dal. 11, 6 a. E.). So war dieser König und Kriegsheld allerdings
des Gesanges mit Lautenspiel mächtig, sein Lied aber kein Hel-
denlied, sondern Ausdruck seines Gemüths in der bedrängten
Lage. Und die Fähigkeit zu dergleichen, zu lyrischen Ergüssen
in Glimpf und Ernst, Lobpreis und Spott, mögen wir zu allen
Zeiten nicht blos zimftigen Sängern, sondern Mehren in jedem
Stamm beimessen, wie auch die Triumphlieder der römischen
Krieger dazu zählen. Heldenlieder aber sind ein Anderes. Wie-
derum aber ist sowohl, was Tacitus Germ. 3 von den Deutschen
berichtet, dass sie mit Gesang auf ihre Helden zur Schlacht ge-
zogen, als was die Quedlinburger Clironik besagt, dass die Sage
von Thideric de Berne als Lied im Munde der Bauern gewesen,
es ist dergleichen nicht ohne Unterscheidung der dichtenden
Geister und des Lebens der Lieder im Volksnumde zu verstehn.
Die Lieder waren volksthündich, lauteten auf die eigenen Stam-
meshelden und waren gelernt und wurden gesungen vom Volk,
gedichtet aber nicht von Jedwedem , sondern von den eben Be-
gabten im Sinne des Volks ^*). In V^ergleichung des deutschen
liehen Thaten der Vorwell Proist im Gesang : Flugs entschwindet
ihm dann die Bekiimnierniss" u. s. w. , so Gudr. Str. 6: ,,Icli sing auch
alle Tage solchen guten Sang, dass Jedem, der es höret, davon sein Leid
verschwindet, Und alle Sorg ihn lliehet, der meiner Weisen Süssigkeit
befindet". Was aher alsiiahl dort weiter folgt, das gleicht sogar zum
Theil wörtlich den Schilderungen der Wunder, welche der Gesang des
Orpheus gewirkt haben soll. Ich weiss daher die Urlheile bei Gervinus
G. d. deutschen Dichtkunst 1, 31 nicht gut zu heissen, als wäre die Ur-
sache des Wohlgefallens und der Wirkung hei Hellenen und bei den
nordischen Hörern eine verschiedene.
58) W. Grimm, Deutsche Heldensage S. 32: El iste fuit Tliidcric de
Berne, de quo canlahanl rustici oliui. Durch die ohige Unterscheidung
scheint Gervinus Darstellung d. Dicht. 1, 33 und vorhcir herichtigl werden
zu müssen. Sein Wort: „der oii^onfliche Träüi-r und Bewahrer der Ge-
35
und griechischen Epos mögen wir wohl mit den neuesten Ge-
schichtschreibern des deutschen die Form der Griechen künst-
lerisclier nennen, und hei aller Vorstellung von der häufigeren
oder selteneren Fähigkeit zu dichten die leichte Form der blossen
Alliteration (der althochd. und Eddalieder) in Anschlag bringen.
Und auch die Nibelungenslrophe war leichter zu bilden als die
Hexameter des griechischen Epos. In der Entwickelung der
epischen Formen der Griechen sind, wie von selbst einleuchtet,
bis zur Vollkommenheit des homerischen Hexameters viele Vor-
stufen vorauszusetzen. Aber eben nur diese allmälige Vervoll-
kommnung des epischen Verses bis zur mustergiltigen Form des
homerischen Gebrauchs ist beim Rückblick auf das vorhomerische
Epos zu behaupten. Dass, wie jüngst angenommen worden, die
kleineren Lieder jener Periode, bei ilu'em mehr lobpreisenden
und lyrisch - epischen Inhalt, auch in einem andern Versmass,
dem Parömiakos, gesungen worden seien, lässt sich nicht be-
weisen.
9. Die ä 1 1 e s t e n T h a t s a c h e u d e r G e s c h i eil t e d e s grie-
chischen Nation alepos. Pierien und der Götter-
berg und die pierische Poesie.
Alles was an Vorstellungen von den Göttern und an Sagen
über die Vorzeit nationale Geltung hat, ist zu dieser durch die
Poesie gelangt. Dass nun die Götter die Olympier heissen, und
die Musen, die Gottheiten der Sänger, theils ebenso „olympische
Musen", theils Pieriden von Homer und Hesiod an gemeinhin
von den Griechen genannt werden, es ist unleugbar sprechendes
Zeugniss für zwei eng verknüpfte Thatsachen der Geschichte der
Nationalpoesic, einmal von dem Bezirke, auf dessen Nachbarberge
die ruchbar älteste Poesie die Volksgötter unter dem patriarcha-
lischen Familienhaupte Zeus vereint wohnend dachte, sodann dass
daselbst die Heimath dieser ruchbar ältesten Nationalpoesie anzu-
erkennen ist. Die Pierer waren Thraker im älteren Verstände,
d, h. diejenigen Thraker, welche früher von dem Berge Olympos
im Süden Macedoniens auf der Nordgränze Thessaliens, bis in
sänge war das Volk" ist nur von der Geltung richtig; und auch Viimar,
G. d. deutschen Nalionallitt. 1, 33, spricht bei der Anerkennung des Sän-
gerberufs nicht ganz Ircüeud.
3*
36
Böotien, und am Parnass und Helikon, ja noch südwestlicher
herein wohnten, nachmals nordwärts gezogen-'^). In dieses Pie-
rien kommen die Götter jederzeit hei Homer, wenn sie aus der
Höhe, eben vom Götterberge Olymp, herabsteigen*"). In Pierien
am Olymp nun wurden nach Hesiod Theog. 53. d h. in dem
jenem Gedicht jetzt voranstehenden Hymnus auf die Musen, diese
geboren, und sie haben daher ihre örtlichen Beinamen*'). Wenn
wir aus diesen Namen die Heimath der Poesie, welche am frühe-
sten weithin wirkte, erkennen, also Pierien jedenfalls ein lieder-
reiches Land und Volk gewesen ist: so steht uns als jener Aöden
sprechendstes Lebenszeichen eben der auf jenem Olymp vereinte
Götterstaat fest, der ohne eine machtvolle Poesie nicht so wie es
vor Augen liegt, dauernd in das Bewusstsein des gesammten Helle-
nenvolkes gepflanzt werden konnte. Es war dies eine That des
zusammenfassenden Hichtergeistes, wie wir ihn schon in mehren
Erweisungen erkannt haben. Die von den verschiedenen Stämmen
verehrten Götter wurden auf jener benachbarten Höhe in einem
Vereine angesiedelt. Auf Höhen weihete man gern heilige Stätten,
aber hätte es hier nur der Volkscultus und mittels einer wirk-
lichen Weibung gethan. so würde dies eben wohl nur dem Haupt-
gott des Stammes oder dem höchsten Zeus geschehen sein. Dar-
über nur kann Memand entscheiden, ob die Pierischen Sänger
zuerst etwa wenigere Götter in dem Verein auf ihrem Olymp
vergesellschaftet und erst im Fortgang durch Andere demselben
noch anderer Stämme Götter eingefügt worden seien. Diess ge-
schah dann lediglich durch die fortwebende Sage. Sehen wir
aber nach irgend welchen deutlichen Spuren von einzelnen be-
stimmten Werken der pierischen Sänger, so findet sich allerdings
ein epischer Stoff, der, sofern er eben dort seinen Boden hat,
59) Hes. Kat. Fr. 36. Göltl , 6. Marckscli. oi Ttfgl TlifQiriv y.a\
"Okvfntov öcofiar' h'vaiov. Slraho 471, vergl. mit 410. Herotl. 7, 131.
Thiic. 2, 99. 0. Müller Orchoni. 381 und Proleg. zu einer w^'ss. Myth.
219 f. Nicht soll hicrflurcli Müllers Meinung, als sei der Götterstaat da-
mit und dort überhaupt zuerst gedacht, zugleich gebilligt sein.
60) II. 14, 225 u. 226. Od. 5, 50 mit Anm. H. a. Pytii. Ap. 38 (216).
61) Olympiades II. 2, 491, vergl. 11, 218 u. a. lies. Tlieog. 25 und
52 , Pierides Hes. W. 1. Solen 13. 2. Piiidar P. 1 , 14 oder 27. Ol. 10
96 oder 116 u. öfter. Soph Fr. Ach. Syll. 146, p. 129. Nauck., Helikonia-
des Hes. W. 658. Theog. l. Pjud. J. 2, 34 od. 50. Eur. Ras. Herakl. 791.
37
auch von jenen zuerst gestaltet scheint. Es hliebe dabei das Ur-
theil in seiner Geltung, dass die theogonische Poesie erst später
eingetreten, in der frühesten und früheren Zeit es nur eigentlich
epische Lieder gegeben, Lieder, welche das Leben handelnder
Personen dargestellt.
Einen Kampf der bereits auf dem Olymp wohnenden Götter
gegen die Titanen hat Hesiod der auf die Verherrlichung des
Zeus vorzugsweise angelegten Theogonie eingewebt. Es war der
Kampf, durch welchen die Olympier als Götter der Ordnung die
wilden Naturmächte bewältigten, und so entschieden, welcher Art
göttliche Mächte das Regiment haben sollten, da denn nament-
lich der höchste Zeus als Sieger ül)er Kronos hervorging. He-
siod hat, das ist deutlich erkannt, die Theogonie aus .41tem und
Neuem, aus älteren Gedichten und eigenen Zuthaten mit später
Reflexion componirt. Jenen Kampf mm hat er nach der Bedeu-
tung des Erfolges für sein Thema mit gewisser epischer Ausfüh-
rung gegeben, aber bei der eigenthümlichen Weise, in welcher
er namentlich die ältere Erzählung von diesem Kampfe, vom Aus-
gang rückwärts auf den Hergang kommend, und zwar iheils das
Bedeutende aushebend theils epilomirend, seiner Mosaik einwebt,
lässt sich besonders in hier dienlicher Kürze über Umfang und
Fassung des von ihm benutzten Epos nicht klar urtheilen.
Hervorzuheben aber ist, in wie fern die ganze Idee nicht bloss,
wie sie allein konnte, als eine rückwärts gedichtete, sondern als
eine erst später gefasste und ausgeprägte erscheinen muss. Die
Angabe selbst Hes. Theog. 632 f. mit ihrer Oertlichkeit, da die
Titanen von dem die obere Hälfte Thessaliens begränzenden mitt-
leren Gebirgszuge Othrys, die olympischen Götter aber von dem
an der iNordgränze gelegenen Olymp her zum Kampfe gekommen,
sie zeigt uns die Letzteren bereits im Besitze ihrer nur von den
Titanen ihnen streitig gemachten Gölterhoheit. Zeus beruft, als
der Kampf bevorsteht, als es gilt, wer die Herrschaft haben solle,
Kronos oder Zeus, nach 390 — 396 die Unsterblichen alle zum
Olymp und erklärt, wer mit ihm gegen die Titanen streiten werde,
dem werde er Nichts von seinem bisherigen Ehrentheile entziehen,
und wer von Kronos keins erhalten, dem werde er eins zullieileu.
So die Anlage im allen Epos. Aber dass Zeus und die Olympier
erst für die Geltung ihrer Macht kämpfen müssen als Mächte
38
der Ordnung und Geber des Guten, ist schon eine, von der älte-
sten Periode des Epos gerechnet, spätere Idee. Der einfache
erste Goltesbegriff ist der des machtvollen, des Obmacht übenden
{xQeioi'teg) Wesens, welchen als den eigensten die Dichtersprache
aller Zeiten im Worte Fürst {ava^) braucht, und wir etymolo-
gisch in den griechischen und lateinischen Wörtern für Golt
finden, Herr. Eben die Erfahrung dieser Krafterscheinungen
und Obmacht hatte den Glauben von höheren Wesen erweckt,
hatte weiter das Bedürfniss der Vorsehung, in Folge dessen Ge-
bet und Opfer, und somit die Religion hervorgerufen. Dieser
erste Begriff war jetzt mit feinerer ethischer Unterscheidung zu
dem der Maass bringenden, ordnenden Macht veredelt, wie er
in der Litteratur von Homer an den Göttern anhaftet. Und die wil-
den Naturgewalten traten Jenen als persönlich vorgestellt, also als
mit Willen in der Kraft begabt, auch in gcAvissem Grade plastisch
ausgeprägt entgegen. Diese Ausprägung vervollkommnete ein
nachhomerischer Dichter, vielleicht Eumelos von Korinth, in
einer neu gestalteten Titanomachie®^). Dass nun vor Homer die
Genealogie des Kronos und der Kronossöbne welche sich in das
Weltregiment theilten, schon ausgebildet war, und auch die Dich-
tung von des Zeus Siege bereits Geltung hatte, lehren mehrere
Stellen der Ilias^^). Aber die homerische Darstellung hat ja auch
schon die Götter zu ethischen Wesen gestaltet und alle Spur von
ihrem Charakter als Naturgewalten abgethan oder der ethischen Be-
deutung untergeordnet. Die Titanen in Thessalien sind nicht Gebilde
des Volksgeistes; die Natur dieses Landes hätte dahin geführt,, dem
Erderschülterer Poseidon eine Hauptrolle zu geben ^^); sie sind viel-
mehr in einer dichtenden Glaubensphantasie ohne Oertlichkeit
eben nur als die Feinde der Götter gedacht. Genug, der Stoff
solcher Titanomachie kann uns nicht als zu dem frühesten des
Epos gehörig gelten. Zumal nicht, wenn die Prometheussage da-
mit verbunden gewesen sein sollte, die einen besonders lein re-
flectirenden Geist verräth*^).
62) S.-igenpoesie. S. 27 f. '
63) II. 15, 187 — 193 die Theilung, in mehren Stellen Kronos und
die Titanen im T;irlaros: 8,479—481; 14, 202—204, 274 — 279; 15, 224.
64) Herod. 7, 129.
65) Sagenpoesie. S. 27 — 31.
39
10. Die sagenhaften pierischen und thrakischen
Sänger, vornehmlich Orpheus und Thamyris.
Suchen wir weiter nach bestimmten Werken oder Stoffen, an
denen sich der Character der pierischen Poesie erkennen Hesse:
so verlauten in der Ueherlieferung mehre Namen pierischer
oder thrakischer Sänger. Der nüchterne Strabo nennt in der
Zeichnung des älteren Thrakien 471 C. D. Orpheus und Mu-
säos und Thamyris, und auch Eumolpos werde als dorther
gekommen bezeichnet (er der sagenhafte Dichter der eleusinischen
Weisen und geglaubte Stammvater der vornehmsten Priester jenes
Gottesdienstes): „so auch die Stifter der Religion des Bacchus."
Andere gesellen ihnen zum Theil mit Auszeichnung den Amphion,
auch den Linos hinzu. Wie nun schon früher erwähnt ist, dass
dieser aus einer Personification des absterbenden Jahres und ei-
nem Gegenstand vielgesungenen Herbstliedes von der Sage selbst
zum Sänger gemacht wurde, so sind alle jene Vertreter der pie-
rischen Poesie ganz besonders Gegenstände erst der phantastischen
Feier und Sagenbildung, dann pragmatisirender Vielthuerei und
Willkür gewesen"^). Die gesammte weitere Ueherlieferung von
ihnen ist bei ihrer Mannigfaltigkeit so schwebend, dass einen be-
stimmten Inhalt ihrer Gesänge anzugeben unmöglich fällt. Von
Einem, dem Thamyris, finden wir zwar im homerischen Schiffs-
katalog II. 2, 594 — 599 erwähnt, er der Lautner habe, als er
vom Fürsten Eurytos (wie die Sänger in der Odysee) gekommen,
die Musen selbst herausgefordert und die Strafe für diese Ver-
wegenheit gebüsst, aber von seines Gesanges Inhalt auch hier keine
Andeutung. Eben so ist aus den diesen Sängern zugetheilten
Müttern aus der Musenzahl, weil die Namen keine bestimmte Lieder-
art vertreten, kein Scbluss auf die Werke der Söhne möglich"). In-
dem nun die Forschung erkannt hat, dass die Namen der thra-
kischen Sänger zwar im allgemeinen Volksbewusstsein den Klang
66) Heraklid. bei Plut. v. d. Musik c. 3, wo ualer Anderem Thamy-
ris eine Tilunoinachie gedichtet hal)en soll.
67) Kaiiiope des Orpheus, Eralo des Thamyris, Urania des Linos
Mutter. Diese nach dem Fragm. des ilesiod im Seh. zu II. 18, 569 oder
Nro. 133 Göltl., 214 Marckseh. Diese Verse zeigen in eigener Weise den
Uebergang vom Gegenstand eines Liedes in einen Sänger.
40^
gehabt., dass sie die Musengabe zuerst bethätigt, aber alle An-
gabe von entweder zur Bildung gehörigen Erfindungen, wie des
Hexameters, der Zalil, der Schrift, der Magie, der Sühngebräuche,
oder von Gedichten, vollends der Götterlehre auf später Usurpation
dieser Namen beruht***): so tritt als wahrhaft volkslhinnliche Ueber-
lieferung von der pierischen Sängerzeit, deren Hauptvertreter
Orpheus und Tbamyris sind, luu' Eins hervor. Es ist eine un-
endliche Süssigkeit und Wundermacht des Gesanges, welche in
jener Gehurts- und ersten Blüthenzeit der Musen eben in deren
Geburtslande von ihren Söhnen, und vor Allen von Orpheus und
Thamyris geübt sein sollte. Sie erscheinen wie die personificirte
Gesangesmacbt, obschon wir von einem Heroencultus derselben
nur einzelne Spuren finden (nur vom Linos mehr: Philol. 8, 579);
die von Terpandros beginnende Zeit der vollkommneren Lyrik
knüpft an Orpheus als Sänger zur Laute an (Plut. v. d. Musik,
K, 5 und 6, mit Volkmann S. 74), und zahlreiche Stellen erst
der Lyriker, dann der Tragiker feiern den Ruhm des Sohnes
des Oeagros oder Apollon und der Kalliope und schildern die
Wunderwirkungen seines Gesanges auf die ganze Natur; ihnen
schliessen sich dann Spätere in grosser Zahl an. Bei der im
Vergleich mit dem ursprünglich Vorhandenen uns so verkümmer-
ten Lilteratur namentlich der Lyriker und Tragiker sind unter
den zufällig uns vorliegenden älteren Zeugnissen die des Simoni-
des und Euripides die beredtesten. Jener sagt: „Bei dessen
schönem Sauge fliegen unzählbare Vögel über seinem Haupt und
und schwangen sich Fische empor aus dem bläulichen Meer";
„Auch nicht ja erregte sich das im Laube rauschende Wichen
und behinderte nicht die horchenden Sterblichen, die entzücken-
den Laute zu vernelnnen ". Euripides: ,, In den haumreichen
Thalschluchten des Olympos, wo einst Orpheus Citlier spielend
heranzog die Bäume, heranzog die Thiere des Feldes". Derselbe
bezeugt auf Anlass der Alkestis, wie Orpheus durch seinen Ge-
sang die Herrscherin im Unterreich Persephone und ihren Ge-
mahl erweicht, als er seine Eurydike wiederzuerlangen hinabge-
gangen war, das grösste und gefeiertste Wunderwerk, das
Orpheus nach weiterer Erzählung' durch unzeitiges Umsehen ver-
68) Vor Allen Lobecks Aglaophamos S. 213—243.
41^
eitelte®'). Das Bild der die ganze Natur überwaltenden Gesangs-
niaclit, schon von Simonides auch auf die Lüfte ausgedehnt,
umfasst in weitern Schilderungen mit der leblosen Natur in
Baum und Fels auch, wie alle Wetterwolken des Himmels, so
die reissenden Ströme (Hör. Od. 1, 12, 7 — 12). Diese VVunder-
macht hatte Orpheus nun auch als Begleiter der Argonauten be-
währt, da er durch seinen Gesang nicht blos allen Hader der
Helden stillte, sondern auch die verlockenden Sirenen über-
stimmte und die zusammenschlagenden Felsen zum Stillstehen
brachte^"). Endlich wirkte der melodische Geist nach Volkssagen
noch im Grabe. Wir hören deren zwei. Nach der einen bei
den Thrakern am Olymp nisteten auf dem Grabe Nachtigallen
und die dort erzogenen Jungen sangen süsser und durchklingen-
der als andere; nach der andern war ein Hirt an dem Grabhügel
lehnend eingeschlafen; da kamen ihm im Schlaf Verse des Or-
pheus in den Sinn und er sang sie träumend, aber so süss,
dass alle in der Nähe Befindlichen herbeieilten^').
69) Simon. Fr. 50 und 51, S. 763 f. Bergks 1. A. Fr. 40 und 4],
S. 885. 2.: Eur. ßakchen 562. Alkest. 357 vgl. mit Piatons Gastm. 179 D.
Isokr. ßusir. 3. Wir haben diese Wirkung auf die Gölter der Unterwelt
iu der Sage für gleich alt zu achten, aber dass eben bei der Klage um
die Gattin alle jene Macht auf die Natur geäussert sei, ist eine schöne,
aber nicht haltbare Combination Prellers Gr. 3Iyth. 2, S. 339 f. Wahr-
scheinlich hatte die Sekte der Orpliiker über den Niedergang des Orpheus
nach Eurydike auch ein Gedicht gegeben, s. Lobek Aglaoph. 376. — An-
dere Zeugnisse (das älteste vom Ruhme Ibykos Fr. 9): Aesch. Agam. 1612
oder 1598: „Denn der zog Alles an durcli seiner Töne Lust oder Reiz",
Eur. Iph. in A. 1211 f.: ,,Besäss ich Orpheus Liedermund, Vater, nur. Um
Felsen mir durch seine Zauber nachzuziehn" u. s. w. Medea 543: „noch
schönern Sang als Orpheus anzustinunen jetzt". Pindar Fragm. 116, 9.
Spätere: ApoJlon. Argon. 1, 23 — 31. Jacobs üelect. S. 79. Virgil Land-
hau 4, 454—510. Horaz. Od. 1, 12, 7—12. Ov. Metam. 10, 8 ff., bes.
40 — 47. Bei diesen Neuem erscheint Orpheus schon mehrfach in der at-
tisirlen Gestalt als priesterlicher Lebrdichter, wie Apollon. 1, 496 ihn
gar, um die hadernden Gemüther zu besänftigen, ein Iheogonisches Ge-
dicht vom Chaos vortragen lässt.
70) Pindar Pyth. 4, 177 oder 315 mit Schol. Die Sirenen Herodoros
im Schol. zu Apoll. 1 , 23 und 31. Andere Wunderhilfen erst in späteren
Darstellungen; denn bei Ilunier Od. 12, 70 — 73 ist es Here, bei Apollon.
2, 598 Athene, 4. 858 u. 930 II". die Ncrcic'cn, welche durch die Irrfelscn
oder die zusammenschlagenden hindurch führen; der ganz späte Verf. d.
s. g. orphischen Argonautenfahrt mehrt die Wunder mit Ueberlreibung.
71) Paus. 9, 30, 6 und 10.
42
Wenn auch nicht so wunderrcich, ist doch des Thamyris
Eigenheit, wie sie den Griechen im Sinne liegt, dieselbe wie bei
Orpheus, und wird er mit diesem öfter in gleichem Sinne ge-
nannt, z. B. hei Plato, Gesetze 8, 829 E. „und wenn sein Gesang
süsser klänge, als die Hymnen des Thamyris oder Orpheus""),
Als wundermächtiger Lautenspieler und Sänger wird ander-
wärts Araphion mit Orpheus zusammengestellt. Als er mit dem
ungleichen Bruder Zethos die Stadt Theben unnnauerte, zog er
die Bausteine durch sein Laulenspiel mit Gesang herbei, während
der musenfeindliche Bruder die seinen mühsam herbeischleppen
musste"). — Es sei eilaubl, hier eine kurze Betrachtung einzufügen:
Wohl mag man den Volksgeist, der die Empfindung der
Macht des Gesanges in solchen Sagen ausprägt — und es kom-
men noch gar schöne andere hinzu von den Sirenen der Odyssee
(12), den ihnen ähnlichen Keledonen (Pind. Fr. 30 od. 25), den
Cikaden, ehemals Menschen, die beim ersten Musengesang aller
Nahrung vergessend hinstarben (Fiat. Phädr. 259 B. C.) — mau
mag diesen Volksgeist wohl als einen feinen und edeln preisen.
Aber bei der doch weitgreifenden Vergleichung des deutschen
Sinnes mit dem griechischen, welche Gervinus 1 , 31 anstellt,
war dem trefflichen Verfasser die Schilderung Horands offenbar
zu wenig gegenwärtig^").
72) Vgl. dens. Staat 10, 620 A., wo zum zweiten Leben sich Orpliens
das Logs eines Schwans, Thamyris das einer Nachtigall wählt, und Ion.
533 C. Und wie schon das priesterliche Epos Minyas hei Paus. 4, 33, 7, so
Strabo 7, 331, 35. Vgl. üijcrh. Plut. Musik 3 u. Volkmanns Anm. dazu S. (33.
73) Epos Europia u. A. Paus. 9, 5, 7 u. 8. vgl. mit 6, 20, 18. Ho-
raz Br. an d Pis. 392 — 396. Die Minyas stellte ihn wie den Thamyris als
blässend in der Unterwelt dar. Paus. 9, 5,9. Die Brüder Amphion und
Zethüs wurden besonders durcii des Euripides Tragödie Antiope zu den Ty-
pen des Gegensatzes zwischen dem Bddungs-, dem Musenleben und an-
dererseits dem praktischen und tücliliger Arbeit. Plal. Gorg. 485 E. Hör.
Br. 1, 18, 41 ir. Eurip. Ant. Fr. 184 — 205. Nauck. S. 329 — 331.
74) Gudrun nicht blos Ahenl. 6, was Gervinus später selbst rüh-
mend anführt: ,,Horand hub an zu singen, dass ringsum in den Hagen
Alle Vögel schwiegen vor seinem süssen Sänge" u. s. w. , sondern einige
Strophen weiter: „Die Siechen und Gesunden Konnten nicht vom Platze,
wo sie wie angewurzelt stunden. Die Tliier' im Walde liessen ihre Weide
stehn; Die Würmer, die da sollten in dem Grase gehn. Die Fische, die
da sollten in dem Wasser fliessen, Verliessen ihre Fährte: wohl dürft'
ihn seiner Künste nicht verdriesscn" u. s. w.
43
11. Die Ergebnisse der Forscliung über die pierische
Poesie.
Der oben beschriebene eigenste Charakter wie all jener
pierischen Sänger, so vor Allen des Orpheus, den Pindar den
Vater des Liedes , den ersten Sänger zur Kitbar nennt — er darf
und soll uns als der allein rein volkstbiunlicbe eben deshalb
gelten, weil die Musik und Lyrik tler historischen Zeit an diese
Bedeutung seines Namens die des Säugers und Lautners anknüpft.
All die übrige Ueberlieferung von ihm als Stifter der Weihen des
Bacchus oder der Sühngebräucbe, als Lehrer vom Wesen der
Gölter überhaupt und einer prieslerlichen Lebensregel, endlich
als Verfasser vieler Gedicbte, Alles dieses gebort weiteren Ent-
wickelnngen und wesentlichen Wandlungen des religiösen Lebens
und der Bräuche an, wobei die alten Sängernamen mehr oder
minder willkürlich angepasst wurden"). Einfacher war der An-
schluss an die alte Sage, wenn attische Priester einige der alt-
her zu den verschiedenen Akten des Gottesdienstes gebrauchten
Lieder, wie andere einem Olen oder Pamphos, so dem Orpheus
oder dem Musäos zuschrieben'®). Altheilig sollten diese Hymnen
sein und waren es gewiss und älter als Homer, dessen Gedichte
75) Aus Thrakien kam der Gultus des Bacchus nach Altika, aber die
bacchischen Mysterien und Sühngehniuche, deren Stifter Orpheus heisst,
sind als weit später erwiesen, und die Prophelie, welche Musäos nach
vielen Zeugnissen bei Herodot und Andern repräsentirt , ist ebenfalls der
vorhonierischen wie noch der homerischen Zeit unbekannt. Die jüngere
attische Gestalt dieser Beiden erkennen wir hei Aristoph. Frösche 1032
bis 1036 und Plalo Protag. 316 II. Und wie da diese priesterliclien Man-
ner von Homer und Hesiod unterschieden werden, so die sie hegeisternde
Golteskraft in Plat. b>n. 536 B. Gerade von den dem Orpheus, Musäos
und Linos heigelegten theogonisclien oder sonst religiösen Gedichten ist
es am entschiedensten dargethan , dass sie von einer Secte s. g. Orphikcr
oder prieslerlicher Männer herrührten, welche in dem mystischen Zeit-
alter von Epimenides bis zu Oiiomakritos unter den Pisistratiden, 620 bis
520 v. Chr. lebten , jene Gedichte für eine bereits damals vorhandene
Lescwelt verfassten und dieselben Regeln (blutlose Opfer und Enthaltung
von Fleischspeisen) befolgten, wie die Pythagoreer (diese und Orphikcr
dieselben, Ilerod. 2, 81), was Plalo oiphisches Leben nennt, Ges. 782 0.
Alles dieses dargethan von Lobeck im Aglaophamos; über die Schriften
S. 347 If. und noch genauer Gisecke im Rhein. M. Neue Folge 8, 70 — 121,
bes. S. 76—83. Allgemeine Encyclop. f. Allerth. 5, 999 11".
76) Olen dichtete die ältesten Hymnen überhaupt nach Paus. 9, 27, 2,
Her. 4, 35; Pamphos nach ihm die ältesten für die Athenäer Paus. 7, 21,9;
^4
mir als die ältesten vorhandenen zu gelten halten, in welchen
das Wesen der vermenschlichten Götter vollständig ausgeprägt
war. Die Lieder, welche nach den orphischen Weisen gesungen
waren, hatten nothwendig einen Wortinhalt. Und derselbe Ter-
pandros, der epische Verse des Homer nach Orpheus Weisen
setzte und sang (Plut. Musik c. 5), er hatte seihst alte Hymnen
des zu den Aeltesten zählenden Philammon neu gestaltet (ders.
das. a. E.). Diese Gattung der gottesdienstlichen Lieder hat ihre
eigene Geschichte, nach der sie neben den so handgreiflich er-
kennbaren, schon frühern epischen Liedern ebenso in die vor-
homerische Zeit hinaufreicht. Auf unserem Wege der Forschung
nach dem ältesten Epos ist als Ergebniss genauerer Prüfung der
Ueberlieferung über die vorhomerischen und namentlich pieri-
schen Sänger so viel festgestellt, dass es in dem Zeiträume meh-
rer Jahrhunderte wahrscheinlich zuletzt auch schon Gedichte von
dem Ursprung und den Zeugungen der Götter, sonach von meh-
ren Geschlechtern derselben, gegeben habe, indem auch die
homerischen Gedichte eine Theogonie erkennen lassen, und dass
die uns unter Hesiods Namen erhaltene vollends frühere Gedichte
des Inhalts voraussetzen lasse"), dass es aber unmöglich sei,
über deren Gehalt und Weise eine bestimmte Vorstellung zu fas-
sen. Dass jene sagenhaften pierischen Sänger, Orpheus, Musäos,
Linos, theogonische und andere Lehrgedichte verfasst haben sol-
len, das beruht lediglich auf Citalen, welche vielmehr den Wer-
ken der in Anm. 75 bezeichneten Orphiker angehören, wie die
Neuerungen gegenüber der homerischen und hesiodischen Theo-
logie lehren. Wir können aus den zahlreichen Ueberreslen einige
besonders sprechende Belege hervorheben, wie die den Pytha-
goreern mit den Orphikern gemeinsame Lehre von der Seelen-
wanderung ^*) und die von der Nachtseite der Religion des Bacchus,
der Idee des Zagreus, der von den Titanen zerrissen wird''^).
die des Orpheus Paus. 9, 30 a. E. vgl. mit 27, 2; einer des Musäos ders.
1, 27, 7. Die des Orpiieus erkannte Pausanias in der ersten Stelle als in
roh steifer Form, aber zu allheiligem Ton mehr als die homerischen ge-
dichtet.
77) Eine vergleichende Darlegung giebt Schoemann , Comparatio
theogoniae Hesiodiae cum Ilomerica Grypiiisw. 1847.
78) Die Fragm. hei Preller im Rh. M. N. Folge 4, 390 f.
79) Paus. 8, 37. 5. Preller Gr. Myth. 1. 436.
45
Aber den Alles umfassenden Beweis hat Lobecks Aglaophamos
für jeden Achtsamen gegeben.
So ist die pierische Lehrpoesie also jeder geschichtlichen
Darlegung des vorhomerischen Epos entnommen. Andererseits
haben wir die beiden episch lebendigen Stoffe, den Giganten-
und den Titanenkampf doch nur zweifelhaft als vor Homer aus ge-
sungen, aufführen können. Die nationalen Anzeichen eines alten
Dichterwerkes zeigten sich in den vielen einzelnen Scenen der
weiteren Dichter und Kiuistler aus dem (liganlenkampf. Einige
finden sich auch von dem anderen gegen die Titanen. Und frei-
lich lebt im späteren Zeitalter ein bestimmter Begriff des Titani-
schen , derselbe nach welchem Uranos seine Kinder die Titanen bei
Hesiod bezeichnet (Th. 209): „sie die Strebenden, die in frevelera
Sinne Gewaltges übten, wofür dereinst sie erreichen werde die Ahn-
dung." Eine titanische Natur ist die gewaltthätige ohne Eidestreu
und Glauben, ja ohne alle Gottesfurcht (Plat. Gesetze 3. 701 C.),
überhaupt aber die urvvilde vor aller Bildung, wie sie auch ohne
Vorwurf nur eben als noch gänzliche Rohheit gedacht, in ge-
wissen Sagen erscheint, da die Göttin des Ackerbaues Demeter
die Titanen unterweist-"). Gemeinhin jedoch hatte der ge-
bilde Grieche wie wir den tadelnden Begriff des Plato, und
konnte ihn von Hesiods Theogonie her haben. Bei diesem er-
kennen wir ein älteres Gedicht in eigener Weise theils epitomirt
theils ausgezogen. Der Sagenstoff hatte in dem Zusammenhang,
den Hesiod befolgt, zwei Hauptakte, zuerst den Kampf mit den Tita-
nen und die siegreiche Bewältigung derselben. Dieser Akt schloss
mit der gleich nach dem Siege berufenen Versammlung der Olympier,
in welcher die drei Kroniden Zeus. Poseidon und Hades (Jupiter
Neptun und Pluto) sich in das Weltregiment theilten (11. 15,
187—192) und Zeus den übrigen die besonderen Ehren und
Aemter vertheilte, d. h. ihren persönlichen Eigenschaften das fortan
gültige Götterrecht feierlich zusprach*'). Mit diesem Akte müsste
80) Schol. zu Ap. Rhod. 4, 982 und Ap. selbst 989 f.
81) Zeus ist immer, wie der eigenlhclio Sieger über Kronos und
die Titanen, so der Vornehmste und Höchste, bei Homer in einfacher
Weise als der Erstgeborne, hei Hesiod, indem die Geburten immer volt-
kommner werden, der Letzlgeborne, wie unter Zeus (iemahiinon Here,
unter den Musen Kalliopc. Die Vorsamndung nach dem Siege (Hesiod
46
das Lied geschlossen haben , wenn es vorhomerisch gewesen wäre.
Es folgt aber und zwar in Ilesiods Weise, die Endergebnisse
immer voranziislellen, ein zweiter Akt, da die Götter das Ver-
hältniss zur MenschenMelt stiften. Die Menschenwell, welcher
die Götter ihre Segnungen unter der Bedingung frommer Aner-
kennung gewähren wollen, wird von Prometheus vertreten. Es
ist die Prometheussage, welche dieser zweite Akt der Titanoma-
chie darstellt. Wir finden dessen doppelten Frevel, seine Be-
strafung und die Erlösung durch den gottgeliebten Helden Hera-
kles tlieils kurz zusammengefasst theils in epischer Lebendigkeit
dargestellt bei Hesiod**). Diese Sage ist eine so feine und tief-
sinnige Erfindung wie kaum eine andere. Sie kann aber wegen
der Entwickelungsstufe der Civilisation , die sie abbildet, einem
sehr frühen Zeitalter auf keinen Fall angehören. So ist an eine
vorhomerische Dichtung dieses zweiten Aktes nicht zu denken.
Er ist dabei künstlerisch weit mehr ausgeprägt als der erste. In
diesem ersten ist der Kampf sehr einfach erzählt; es sind beider-
seits eben nur Gewaltmittel, mit denen man kämpft, und erscheint
Zeus so gut wie allein thätig, der episch lebendiger dargestellte
spätere Theil des ersten Aktes, wie Zeus die drei Hundertarmigen
Briareus, Kottos und Gyes auf Gäas Bath aus den Fesseln in der
Erdliefe befreit, mit ihnen verhandelt, und sie ihm, dem weisen
Gotte ihre zum Siege erforderliche Hilfe widmen — er beschliesst
jenes Gemälde ganz in gleichem Sinne. Der Stoff, ein Kampf
der Gewalt gegen Gewalt und zwar gegen plastisch unfassbare
Titanen, er war für dichterische Darstellung ungünstig, und eben
daher zeigt die Schilderung Hesiods sich vollends nur auf die
Verherrlichung des Zeus gerichtet*^). Ganz fremd ist hier die in
Aeschylus' Prometheus gegebene Sagengestalt, da der Sieg durch
eine vom Prometheus angerathene List gewonnen worden (211 — 223).
Hieran schliesst sich die Vermuthung, dass die erste dichterische
881 — 885) wie vor dem Kampfe (390 — 396). Der Kampf war darum ge-
führt, welche Eigenschaften die göttliche Machtvollkomnicnhoit besitzen
und illjen sollte , die Geber des Guten und Gölter der Ordnung oder die
wilden Naturgewalten.
82) Strafe und Erlösung Th. 521— .534. Die Frevel 535—616.
83) Eine nnchhomerische Titanomacliie wusste die Kämpfer l)eider
Parteien sinniger zu unterscheiden und mehre Olympier mit Waffen ver-
sehen in Thätigkeit zu .setzen. Sagenp. 27.
47
Gestalt des Titanenkampfes die Prometheussage nicht anfügte,
sondern nacli dem Siege als eigentlichen Schlussakt nur so zu
sagen die Besitznahme der erkämpften Herrschaft und die Ver-
theilung der Aemler unter die Mitkämpfer folgen liess. Ehen
nach Ilesiod trat unmittelhar , nachdem lie Titanen niedergekämpft
waren, die Versammlung ein, in welcher die anderen Gölter feier-
lich den Zeus als ihren Oberherrn anerkennen (auf Gäas Rath),
er aber seiner vor dem Kampf gegebenen Zusage gemäss den
durch ihre persönlichen Eigenschaften zur Theilnahme an der
Weltordnung befähigten Andern das Götterrecht ertheilt (881 — 885
vgl. mit 73 f. und 112). Es ist diess nach dem ganzen Sinne
der Erzählung nicht Vertheilung der Erde, ihrer Stämme und
Städte an die Götter. Doch ist auch jene Vertheilung der per-
sönlichen Ehrenämter nur Dichteigedanke, nicht Volkssage. An
sich besass jeder Gott seine persönliche Eigenheit und Würde
schon durch und bei seiner Entstehung aus dem der Vorsorge
bedürftigen Menschengemüth. Und ebenso ging alle V^ervielfälti-
gung oder Wandel dieser Eigi^nschaften im Glauben der Stämme
vor — die Darstellung eines solchen Aktes der Verleihung oder
Bestätigung durch Zeus konnte also gar nicht Bedürfniss und Ge-
danke des Volkes sein , sie war nur Dichterw erk. Die Nalio-
naldichter stehen hinsichtlich jener verschiedenen Charaktere
der Götter, so wie sie uns theils einzeln theils in Aufzählungen
vielfältig begegnen**), im allgemeinen Bewusstsein, und so natür-
lich schon Homer, der nur der ältest erhaltene und sprechendste
Zeuge für diese Charaktere geworden war. Dasselbe allgemeine
Bewusstsein gab dem Zeus, dem patriarchalisch so genannten Vater
der Menschen und Götter, die Obmacht über Alles und Alle und
bei jedem Werk die Vollendung {relog). So folgte von selbst,
dass er auch jene Aemter überwachte, und wo ein Gott sich in
das Gebiet des anderen mischte, ihn zurecht wies (II. 5, 428 — 430
wie auch Here die Artemis daselbst 20, 4851.
84) Aphrodite und die ilir unbezwinglichen Götliimeii: Ilyuni. a.
Aphrod. 7 — 33. Die verschiedenen Begabungen der Mensclien: Solon,
grösste EI. B. oder 4, 49—58. Plat. Gaslm. 197, A— B. Ges. 11, 920 D.E.
Arislot. Polit. 8, 6 a. E. : „Der Athene legen wir die Wisscnschafl und
die Kunstfertigkeit bei". Plut. von d. Geniülhsruhe 12: „Und docli hat
aucli von den Göttern der diese, jener jene Eigenschaft und wird darnach
benannt".
48
Wie das persönliche Wesen im Volksglauben seinen Ursprung
und sein Fortleben hatte, so auch das Verhältniss der Schutz-
götter der verschiedenen Stänune und Bezirke. Die Volkssage,
hier Cullussage, nahm nun einerseits auch von Seiten der Schutz-
götter eine besondere Voi - und Gegenliebe für ihre Schützlinge
an , der Golt hatte den Sitz sich selbst gewählt. So stellte man
gern in besondei'er Erzählung dar, wie der Gott bei ihnen Platz
genommen. Aber aus dem Verlangen , den Besitz schon in mög-
lichst uraller Zeit aufzuweisen, entstanden nun weiter auch viele
Sagen von irdischen Geburtsslättcn , ja Geburtstagen der Götter.
Dies Letzlere erst später**). Jedenfalls erkennen wir, dass es
ebenfalls nur ein ideales Dichterbild war, wenn es hin und v^ie-
der auch heisst, Zeus habe auch die Erde und ihre Gebiete unter
die Götter verlheilt. So in jener Ursage von der Besitznahme
der Insel Rhodos durch den Sonnengott bei Pindar (Ol. 7, 55
oder 100.) und so bei Plato in dem Phantasiegebilde der Insel
Atlantis, jenseits der Säulen des Herakles, welche Poseidon als
sein Gebiet erloosle, während andere Götter andere^*).
12. Das nationale E p o .s entwickelt sich in zwei Pe-
rioden. In der ersten werden kleinere Lieder
gedichtet über e i n z e 1 n e E r e i g n i s s e ii n d A k t e d e r
Sage von der Heroen zeit. In der zweiten ent-
stehen grössere C o m p o s i t i o n e n und damit erst
die Kunstform der Gattung. Dies bei den Grie-
chen durch Homer, den grossen Dichtergenius,
dessen 1 1 i a s und Odyssee das zweite Zeitalter
beginnen, zugleich aber als älteste Denkmale
nebst Hesiods Helden genealogien, wüe vom gan-
zen älteren Helden alt er zeugen, so von Liedern
der ersten Periode die zahlreichsten Beispiele
erkennen lassen.
Die Erkenntniss des in vorstehenden Worten angegebenen
Entwicklungsganges des Epos, und zwar als desselben bei allen
85) Zeus auf Kreta in unächter Stelle des Hesiod Theog. 477 — 484.
Doch viele Orte wollten Zeus Gcburtsstätten sein nach Paus. 4, 33, 1.
Ebenso Apollons sogar neben Delos.
86) Plat. Kritias 109 B, 113 B, C. vgl. mit Tim. 24E. — 25D. Solons
Gedicht Atlantis: Nie. Bach Solon. Fragm. S. 35 11'. bes. S. 55.
49
Völkern, sie ist das Ergebniss der gescliichtlichen Forschungen und
Sprachstudien, welche im Laufe der letzten 50 — 60 Jahre die
verschiedensten Sprachen und Litteraturen umfasst und ins Licht
gesetzt haben. So lautet es jetzt einstimmig bei mehren histo-
rischen wie philosophischen Forschern wie angegeben"^): Die
Geschichte des Epos aller Völker zeigt als allgemeine Thatsache
anfänglich einzelne kleinere Lieder über einzelne Ereignisse
und Heldenthaten oder aus reicheren Liederstoffen kleinere Par-
tien, dann grössere Compositionen von mehr oder minder ein-
heitücher Beschaffenheit, je nachdem die Stoffe der einheitlichen
Gestaltung günstig oder die Dichtergeister zur harmonischen Durch-
führung ideenreich und bildnerisch geschickt waren. Sofern jeder
solcher Nationaldichter einen in den kleineren Liedern überkom-
87) Fr. Zimmermann, Begr. d. Epos, Darmst. 1848, S. 13 f.,
Anm. ***: ,,Dass die auf volkslliümlicher Grundlage ruhende Epik von
Dichtungen beschränkten Umfangs ihren Ausgangspunkt genommen hat,
und dass eine Reihe von Entwickelungsmomenten durchlaufen werden
musste, bis durch Umgestaltung, Erweiterung, Zusammenordnung und
Verschmelzung aus den Elementen kurzer Lieder der Organismus eines
epischeu Körpers erwuchs — das lässt sich in der Geschichte des Epos
wohl als allgemeine Thatsache statuiren. Als wichtige Belege erscheinen
die Forschungen über die germanische Heldensage , über die bretonischen
und karolingischen Sagenkreise." Besonders bat Fauriel in der Revue
des deux mondes, 1832, Sept. u. f., deutsch in Förstemanns Neuen Mit-
theil. B 5,2, S. 81 f. , auf den Vorgang kleiner Lieder aufmerksam ge-
macht. In Deutschland und in Bezug auf die homerische Frage zeigte
Welcker im episch. Cycl. I. v. .1. 1835, S. 123, die Folge der zwei
Zeitalter im Anscbluss an Fauriel. Die Untersuchungen der Gebrüder
Grimm, bes. W. Grimms, in der deutschen Heldensage, weisen die klei-
nen Lieder qach, welche dem Kihelungenlied und der Gudrun vorher-
gingen. So kam dasselbe von dem indischen und dem iranischen Epos
zur Anerkennung. Daher sprechen zahlreiche Stimmen dasselbe Verhält
iiiss als das allgemein gütige aus und besonders auch in Bezug auf das
griechische Epos und Homer. Viseber, Aesthetik , Tii 3, Alischn. 2.
S. 1287: „Solche Lieder sind bekanntlich die Elemente, aus denen überall
das ursprüngliche, allein ächte Epos erwachsen ist". Carriere, das
Wesen und die Formen der Poesie, Lcipz. 1854, S. 12G f., in Bezug auf
die griechischen und deutschen Epopöen. — Philologische Forscher :
L e h r s in d. Berliner Jahrb. f. wiss. Kritik 1834 , B. 2 , S. 627. C. Fr. Her-
mann. Culturgesch. d Gr. u. Rom. Gott. 1857. S. 92 f. Theod. Bergk,
Ueber das älteste Versmass der Griechen. Fred», im Breisg. 1854. gleich
nach dem Anfang, Fr. Ritscbl in den Beilagen zu Löbells Weltgesch.
1. 600 bis 602, und schon Alex. Biblioth. S. 70.
iNitzsch, Gesell il. griech. Epos. 4
50
menen Stoff verwendet, nicht von Grund aus neu dichtet, sodann
was bereits im Bewusstsein des Volkes lebt, zu l)eachten hat —
bleibt leicht in der neuen Gestaltung hier und da etwas Nichlaus-
geglichenes. Dergleichen aber konnte den Zuhörern des leben-
digen Vortrags nicht als störend zum Bewusstsein konunen.
Wenn wir die epischen Einzellieder mit den Epopöen verglei-
chen, so ist der nationale Charakter den Erzeugnissen beider Zeitalter
gemeinsam; in dem jüngeren wie in dem alleren sind es Gesänge von
Thaten der Helden und Ereignissen der eigenen Vorwelt, d, h.
von der im Gediichtniss des gesammten Volks oder der Stämme
fortlebenden, vom Volksgeist früher allmälig gestalteten Sagen-
bildern der Vorzeit, da die damaligen Menschen, soviel ihrer sich
hervorlhaten, die erste Tugend des freien Selbstbewusstseins, die
muthvolle Tapferkeit in Bewältigung urwilder Geschöpfe, über-
haupt im Bestehn persönlicher Abenteuer, in Fehden gegen Bur-
gen der Nachbarslämme, oder in Heerfahrten zur Rache bewährt,
und eben damit ihr Heldenthum vollzogen haben , und alles die-
ses unter dem WaUen der noch näheren Götter*^).
Diesen Stoff trug der Sänger beider Zeilalter vor, allerdings
als der eigens begable sowohl au Wissen der alten Kunden als
an Geschick der Darstellung; aber indem er so wenig wie seine Zu-
hörer das, was er gielU, unlerschcidet, ob er's weiss, oder eben
sich so vorstellt, gehl ilun seine Persönlichkeit in dem so mitge-
theilten Gegenstande auf. Dieses Verhältniss des Dichters zu sei-
nem Stoffe und dasjenige dieses Stoffes selbst in seiner, obschon
vom Dichtergeist ausgeprägten, doch gleichsam nur wiedergegebenen
Beschaffenheit bezeichnet die Theorie mit dem Worte naiv, Nai-
ve tat, wie Vis eher, Aesthetik III, 2, 1287 und Ajidere®®).
88) S. die ausführliche Chaiakto.ristik des Heroenthuras bei Zim-
mer mann, Begr. d. Epos, S. 27 — -35, bes. 31 : ,,Üies ist die Tugend
des Heros. Die freie That, einzig begründet in dem begeisterten Jugend-
drange nacli preiswürdigen Thaten, wobei es als individuelle Gesinnung
erscheint, wenn die Heroen das ausführen, was das Rechte und Sittliche
ist, vollzieht sich als die früheste leuchtende l'rkunde des Grossen und
Göttlichen im Menschen."
89) Fr. Zimmermann, Begr. d. Epos, S. 17 u. 20, und erklärend
Carriere, d. Wesen d. P., S. 147 f.: „Der echte Epiker ist Eins mit sei-
ner Zeit, ihn trennt keine Kluft von der Bildung seines Volkes, er ist nur
der liederrciclie Mund desselben und ebenso ist er eins mit seinem Stoff."
— „Die Objectivilät des Epos ist also keine kalte Aeusserlichkeil, son-
51
Abschnitt II.
Zur Kritik der vorhomerischeu Lieder im Homer.
13. Metliodiscb e Eeclitfertiguug der Anerkennung
jener zwei Zeitalter des nationalen Epos, eines
ersten kleiner Lieder von einzelnen Ereignis-
sen und eines folgenden grosser von EinemMo-
t i V durchdrungener und bemessener Handlun-
gen, also der jetzt erst entstehenden Epopöen.
Die nothwendigen Stufen der Entwickelung
epischer Poesie, also: Volkssage von der eige-
nen Vorzeit, kleinere Lieder, grössere epische
Gebilde und damit erst die wahre Epopöe.
Jene Auffassung des nationalen Epos als beiden Zeitaltern
gemeinsam hebt die Gemeinsamkeit des Stoffes hervor, der immer
im Volksbewusstsein lebendig ist. Indem nun dabei die obige
Darlegung der Sängergabe als einer keineswegs je allem Volk bei-
wohnenden, sondern eben von begabteren Sängern geübten befolgt
wird, gestaltet sich auch die Unterscheidung der Zeitalter mehr-
fach anders, als sie bisher meistens bezeichnet wurde. Zuerst sind
die Namen Volksdichtung und Runstdichlung als unbrauchbar oder
minder angemessen abzulehnen. Volkslhümliche Lieder sind dar-
um keine erfindende Volksdichtung, und das Bild , welches im
ersten Enthusiasmus für den aufgefundenen wahren Geist des äch-
ten Epos von den Entdeckern (den Gebrüdern Grimm) selbst ent-
worfen wurde, und mehrfach in den Geschichten der deutschen
Dichtung fortlebt, es kann nicht als das wahre gelten. Nicht
bat es eine Zeit gegeben, weder bei den Deutschen oder Skan-
dinaven mit ihren Scalden, noch bei den Indern, noch bei den
Griechen, wo nach Gelegenheil neben ihren Aöden Jeder sang,
der sich angeregt fühlte. Von Gefühlsergüssen abgesehn war
Lieder- und zumal Heldenlieder - Dichten immer Sache einzelner
besonders Begabter. Sodann kann das Urtheil noch weniger be-
stehn, wonach die Poesie des ersten Alters, die sobenannte Volks-
(lern bestellt darin, dass das suhjective Gcfülil des Diciüors sich vöHig in
den Gegenstand ergossen hat und dieser dadurch von einem (uMnülhs-
U'hoii durohihungen, bewegt und beseelt erscheint."
4*
52
poesie , einen der Kunstpoesie unerreichbaren Vorzug , eine unwie-
derbringliche Herrlichkeit gehabt haben soll. Es war aber diese
Ueberschätzung die \Yirkung einer Reaction des poetischen Sinnes
gegen den prosaischen Zeitgeist, der in Allem, was er anerken-
nen sollte, regelrecht kinislliche Formen heischte. Zuerst trat
Herder mit seinen Volksliedern (1778 und 1779) und seine Ver-
herrlichung des Volksgesangs bei uns auf. Von da an wurde es
allmählich unter uns Mode, auf die grossen Werke bewusster
Meister, wenn nur irgend ein mehr als instinctives Verfahren
darin wahrnehmbar war, vornehm hinzublicken. Von dieser Ver-
stimmung ist dieses Lobpreisen der Einzellieder ein Ueberrest,
der indess immer mehr verschwinden wird. Denn, ,, welchen
Grund hat man wohl, zu behaupten, dass die ächte Kunst der
Poesie", — die, wie wir eben an Homer sehen, mit der Nai-
vetät mit nichten unvereinbar ist — ,,und die acht homerische
Einheit ihren Sitz nur im einzelnen Liede haben":' "^'*)
Gar ein wundersames Urtheil der Ueberschätzung der kleinen
Lieder verlautete jiuigst in einer Monographie ( die Erzählung des
Phönix 11.9, 529 — 600 von La Hocbe S. 1): „Vielmehr weist
eine Menge der verschiedenartigsten Momente darauf hin, dass
neue und bestimmt ausgesprochene Tendenzen es sind , die dem
homerischen Epos seinen eigenthümlichen (Iharakter verliehen
haben. Als nämlich die Ilias (Eitstand, war der Geist
der Zeit innerlich schon ü b e r d a s u n g e s t ö r l e e p i s c h e
Bewusstsein hinausgegangen, man begann zu klug zu
werden für die Naive tat des Epos, und verlangte noch
mehr rationeller, historisirender Behandlung des Stofles."
So hätte also mit nichten ein einiger Dichtergeist, neu«, ein
Zeitgeist die Ilias hervorgebracht. Diese Vorstellung irgend
concretisirt , führt auf eine Meliilieil dtT Dichtenden, und zwar
solcher, die insgesamml erstlicli Ix'i der so zahlreichen imd nian-
nichfachen Reihe bereits einzeln besungener Sagen und Lieder-
sloffe einen aus der troischen Sage auswählten - — der hier gül-
tige Vorzug dieser Sage, der der grössten l'opularität, galt frei-
lich auch bei dem einigen Homer. — Aber warum wählten sie
90) Hieckes Worte in: Der gegenwärtige Stand der lionieiisciien
Frage. Gralulalionssclir. zur vierten Siunlarfeier der dasigen Universi-
tät. 1856. S. 9.
53
insgesarunil auch aus den elwa sechs Partieen dieser Sage ge-
rade die vom Zorn und seinen Folgen? Das Ge\vicht dieser Frage
verstärkt jener Verf. selbst S. 7, Anm. *) , indem er es für un-
möglich erklärt, durch Ausscheidung von Einschiebseln eine Ur-
llias herzustellen, weil eben die Ilias selbst aus der nämlichen
Richtung hervorgegangen sei, wie das einzelne Auszuscheidende.
Er hat nämlich dem oben Angegebenen hinzugefügt: „Man begnügte
sich auch nicht mehr mit einzelnen Heldenliedern, ein grösseres
Ganze sollte geschafl'en werden, wie etwa eine Geschichte des
ganzen troianischen Krieges (?) wäre es auch nur mit Hilfe vor-
und rückwärts greifender Episoden und ofl wunderlicher Ana-
chronismen (?) (man denke an Schiffskalalog, Teichoskopie und
Lagerbefestigung im neunten Jahre des Krieges?)"
Weiter wird das mitten in die epischen Traditionen Einge-
drungene ein Pragmatismus und Rationalismus genannt,
und gesagt, es walte in der llias ein unvermittelter Dualismus
zwischen den Ueberkommnissen der vorausgegangenen Epoche
und den Forderungen und Anschauungen einer sich ankündigen-
den Neuzeit.
Eine unbefangene Ansicht darf sich für berechtigt halten,
zuerst in den Wahl der beiden Partieen mit ihren Hauptpersonen
Achill und Odysseus einen maassgebenden einigen Geist zu er-
kennen, der das innewohnende Motiv zu dem grösseren Ganzen
ausprägte, in welches als schon vorhanden und beim hörenden
Volke beliebt hier und da die Einschiebsel geschahen, ja auch
nianche für den Einzel Vortrag geeignete Lieder, wie der SchilVs-
calalog und das nächtliche Abenteuer die Dolonnia (11. 10) nur
lose sich an dieses Ganze anknüpften. Eine dazu nicht geeig-
nete Partie ist nirgends nachzuweisen.
Der inneren Charakterislik der lionicrischen Epopöen als
einer bereits entarteten Poesie"') tritt ohne alles Bedenken das
Irtheil entgegen, welches sie eben als den Höhepunkt und die
eigenste Blüthe dieser Dichtungsgattung zu betrachten, von allen
Seilen bewogen wird. In diesem Urtheil kann am wenigsten eine
91) Nur scheinbar hat La Roche an dem vielhcwährlen Wacker-
nagel: Die ep. Poesie, Schweiz. Mus. 2, S. HO f. einen einstimmenden Vor-
gänger. Die Berichtigung auch seiner Darstellung des Verhältnisses der
ersten zur zweiten Periode wird später ihren Platz finden.
54
so wunderliche in sich unklare Ansicht stören, da es Pragmatis-
mus und Rationalismus heisst, wenn ein Dichtergeisl in den meh-
ren von einem und demselben Agens bewegten oder bedingten
Einzelakten eben dies ihnen allen Innenwohnende erfasst und als
das Beseelende nach dem Glauben, den er mit seinem Volke
theilt, darstellt. Das lautet ja, als wäre es nicht eben das Wesen
und die Bestimmung des Epos, immer ein Unternehmen oder Be-
fahren der thatlebendigen Menschheit zu besingen, und würde
nicht ein jedes wie selbst durch einen menschlichen oder gött-
lichen Willen hevorgerufen so in seinem Verlaufe und mannig-
fachen Phasen eigenthümlich beseelt. Das Folgende wird diese
Mängel berichtigen, und wird jenes „man begnügte sich nicht u.
s. w. " hinlänglich in das rechte Licht setzen. Geschichte und
Philosophie sprechen von einem ganzen Weltgebilde, das
die epische Poesie in ihrer Fülle darstelle. Wie sie dies thun,
hat der Erklärer zu zeigen.
Es ist in jenes Verfassers Auffassung nur das richtig und
sie dadurch treffender als die vieler anderen Trennenden, dass er die
Entstehung der Ilias als eine nach vorherigen Einzelliedern neue
Erscheinung und Folge eines umfassenderen Strebens anerkennt.
Hiermit ist einmal die unglaubliche Vorstellung abgewiesen, als
wären die beiden Epopöen erst durch die von Pisistralus Beauf-
tragten als Ganze entstandene^); sodann aber ist die Neugestal-
92) Susemihl, Reo. von Benihaidys Gr. Lit. in ^'. Jahrb. f. Phil. B. 73,
H. 9, 599: „Als ob nicht diese Tradition (von der 11. u. Od. als Ganzen) viel-
mehr bereits voraussetzt, dass sie (die Einzelgesänge) alle zu zwei solchen
grossen Epen gehörten. Oder soll uns w'irklich die 'fJiorheit aufgebürdet
werden, dass Onomakritos und seine Genossen sie ganz nach eignem Gut-
dünken erst in diese beiden grossen Werke zusammenfügten und also den
Begriff einer Ilias und Odyssee erst schufen ? " G r o t e , Gesch. Gr. ühertr. von
Meissner 1, 510 — 512. Friedländer, von Wolf l)is Grole, S. 11 — lö.
B ä u ra 1 e i n , Z. f. A. 50 Nr. 19 : „sind erst unter Pisistratos Lieder, die bis da-
hin gesondert existirten , in unsere 11. und Od. vereinigt worden, so ist jene
Gleichmässigkeit in Sprache und Versbau das Werk der von P. beauftrag-
ten Gelehrten etc." S c h ö m a n n , Rec. der Sagenpoesie , N. Jahrb. B. 69,
H. 1, S. 30, nach der Erklärung, dass es dem Humor in der Ilias nicht ge-
lungen sei, die überkommenen Lieder seinem Plane ganz anzueignen
und wirklich organisch einzufügen, wenn auch deutlich oikennliare Zu-
sätze ausgeschieden würden: ,, Endlich dass jene Coinposition vor Pi-
sistratus gar nicht vorhanden gewesen sei, wie Lachmann und Andere
fortwährend behaupten, ist nicht nur von N. sondern von Andern und na-
55
tung selbst in eine verhältnissmässig späte Zeit gesetzt. Und wie
unabweislicb der stoMicbe Inhalt, die Sprache, die metrische
Vollkommenheit der homerischen Gedichte die Anerkennung einer
langen Vorzeit gebieten, dies ist jetzt sattsam erkannt und mehr-
fach ausgesprochen^^). Diese Versetzung der als die ältesten
gellenden Gedichte — was sie nämlich erst späterhin durch ihre
Vorzüge geworden waren — in eine jüngere Entstehungszeit, sie
setzt das darin gegebene Weltbild, und setzt den Dichter in ein
verhältnissmässig spätes Zeitalter; das Weltbild hat die rohe Cul-
turstufe, der Schöpfer der Ilias eine vorherige Periode mit vielen
Stufen der Sprache und Versbildung und einem reichen Ertrage
von Liedern hinler sich. Dass der Dichter dabei die Cultur der
Heroenzeit sowohl der Griechen als der Asiaten auf einer hohen
Stufe geschildert habe, einer höheren, als der wirklichen, und
solcher Anachronismus im Wesen w ahrer Poesie gegeben sei , ist
Goelhe's ausdrücklicher Ausspruch'*). Und wenn das Studium der
homerischen Gedichte durch die Schilderung der Heroenzeil nach
menllich zuletzt von Grote mit so schlagenden Argumenten widerlegt,
(lass unseres Erachtens diese Meinung für immer abgethan ist. Alles
stimmt vielmehr dafür, dass eine Ilias als Ganzes sclion vor den älte-
sten KykJikern , also vor dem Anfang der Olympiaden vorhanden ge-
wesen, und es ist kein Grund anzunehmen, dass diese wesentlich von der
unserigen verschieden gewesen sei."
93) Ernst Cur li US, Gr. Gesch. S. 112: „Im liomer. Epos tritt uns die
griechische Welt zum ersten Male entgegen. Aber es ist darum keine Welt
der Anfänge; es ist keine in unsicherer Entwickclung begriffene, sondern
eine durchaus fertige, eine reife und in sich abgeschlossene mit festge-
regelten Lebensordnungen. Mau fühlt es ihnen an, dass sich seil undenk-
licher Zeit die )Iensclien darin eingelebt haben." Ausführl. Schilderung
S c h ö m a n n , Gr. Allerth. 1 , 19 — 84. II i e c k e , Greifsw. Progr. v. 185B.
Der gegen w. Stand d. hom. Frage S. 23: „Homer selbst kann
immerhin in Smyrna und lange nach der Auswanderung geboren sein,
ja er muss weit später geboren, und die beiden Epopöen müssen weil
später entstanden sein, wenn nicht alle grosse historische Analogien trü-
gen: Welcker, Ep. Cycl. 11, 54." Krüger, Gr. Sprachl. 11, ,^. 50
S. 279: Die Syndetik ist schon hei Homer so reich und kunstvoll, dass
sie eine Vorbildung von Jahrtausenden verräth.
94) Ausg. 1. Hand Stuttg. 1830, 8. li., 26, 145, u. B. 38 S. 297: „Alle
Vergangenheit, die ,wir Dichter liervorrufen, muss eine höhere Bildung,
als es halle, dem Allertliümlichcn zugestehn. Die Ilias und Odyssee, die
sämmtlichen Tragiker und, was von wahrer Poesie übrig geblieben ist,
lebl und athmel nur in Anachronismen."
- 56
ihrer bereits fortgeschrittenen Cultur, wie auch Goethe bemerkt,
die Ansicht berichtige, als müsse man, um die homerischen ISa-
turen zu verstehen , sich mit den wilden Völkern und ihren Sitten
bekannt machen, so wies dasselbe auch das Urtheil zurechl, als
sei Homer ein sogenannter Naturdichter. Daher lesen wir bei
C. Fr. Hermann"'"): „Man ist namentlich dadurch so vielfach
zu falschen Urtheilen über Homer verleitet worden, dass man
ihn mit den — Aöden seiner Heroenzeit verglich \\m\ als Natur-
dichter betrachtete. Daraus leitete man die Unmöglichkeit der
Entstehung jenes grossen Ganzen von einem einzigen Menschen
ab. — Jene schwanken noch zwischen Epos und Lyrik; den ho-
merischen Gedichten ist aber die reine Objectivität aufgeprägt,
und abgesehen von den Interpolationen liegt sowohl der Ver-
knüpfung im Ganzen, als den Gleichnissen so ächter Dich-
f ergeist zu Grunde, dass auch die zahlreichen Unebenheilen im
Einzelnen uns nicht an dem dichterischen Berufe, und der grossen
Persönlichkeit des Mannes irre machen dürfen, der in der Ilias
zugleich die hervorragendsten Erinnerungen seines Stammes zur
Einheit eines lebensvollen Gemäldes verschmolz, und den Anstoss
zur ähnlichen Behandlung aller übrigen Sagen des griechischen
Volks mit der vollen Freiheit dichterischer Phantasie gab."
14. Die homerische Epopöe, die zweite Kunststixfe
und die Blüthe des wahren Epos.
In ähnlichem Sinne weiter Lehrs''*): ,,Man legte zu hohen
Werth auf das Argument, dass jene alten Sänger zu kurzer Er-
gölzung bei Schmausen und Festen herbeigerufen, der äusseren
Gelegenheit ermangelt zu so nuifangreichcn Gedichten. Sonst
würde man anders geschlossen haben, dass der Genius im Zeit-
alter des epischen Gesanges aus einzelnen Gesängen sich zum voll-
kommen organisirten Ganzen durch eignen Drang emporschwingen
muss }, und dass man fürwahi- nach anderen Erschei-
nungen nicht berechtigt sei, den Griechen die höchste
Ausbildung des epischen Gesanges in stetiger Folge
abzusprechen. Man würde es mehr erkannt haben, dass zwar
95) Cullurgesch. d. Gr. u. Rom., Gott. 1857, Th. 1 S. 92.
96) Berl. Jahrb. f. wiss. Kritik, 1834, B. 2 S. 627 und dess. Populäre
Aufs., Leipz. 1856, S, H— lü.
57
poetische Elemente, d. h. die Fülle der Einzellieder und Lieder-
stoffe in jener Zeit überschwänglich vorhanden waren, dass aber
diese Planmässigkeit eines grossen Gedichts, diese
religiöse und moralische Grösse — diese vAohlthätige
Beruhigung, in welche alle Disharmonieen sich auf-
lösen, nie einer Masse, nur einzelnen, den b egabtesteu
und edelsten unseres Geschleciits gegönnt gewesen."
Hiernach Homers Stellung in der epischen Poesie nach
Bergk'^): „Ilias und Odyssee sind nicht die ersten unvoll-
kommenen Versuche des hellenischen Dichtergeistes, sondern
die Blut he, die vollständige Entfaltung des poetischen
Vermögens. Wie die Quellen und Bäche des Gebirges den
breiten, mächtigen Strom, der die Ebene durchzieht, erzeugen,
so gestaltet sich das Epos aus Liedern. Auch der ho-
merischen Dichtung sind Lieder kiu'zeren Umfangs, einfacheren
Inhalts, die stets nur ein Ereigniss aus der reichen Fülle der
Heldensage (der yiXia avÖQäv) behandelten, voraus gegangen."
Dass eben dieses als der Fortschritt in der epischen Poesie nach
Nothw endigkeit anzuerkenen sei, ja das eigentliche Wesen dieser
Gattung erst in den umfänglichen Gebilden sich entwickelt habe,
ist in der Kürze von Bäum lein ausgesprochen, weiter von C. Fr.
Hermann, von dem bald zu nennenden Hiecke und von anderen Ver-
tretern der Ansicht von der Einheitlichkeit der Epopöen'*^): „Wäh-
rend es Niemand wird läugnen wollen, dass die Sagenbildung den
Liedern vorangeht, dass sie in diesen dann eine bestimmtere Gestall
gewinnt, aber auch mit den Liedern sich weiter fortbildet, kann man
andererseits der Ansicht sein, dass die Zeit der kleineren einzelnen
Lieder eine der homerischen Poesie vorausgehende Periode der
epischen Poesie war, und dass schon in der Ilias, mehr noch in
der Odyssee eine höhere Kimststufe vorliegt, welche die früheren
Lieder aufnehmend unidichtete, und nicht durch äusserliche un-
organische Zusanunensetzung und Diaskeuase, sondern durch or-
ganische Neugestaltung in ein grosses Epos vereinigte."
Der immer zuerst vorsichli^e Urtheiler drückt hier das, was
97) Progr. Freib. im Br. 1854: Ueher das älteste Versmaass der
Griechen.
98) Rec. der Betracht, üb. Homers Ilias von Karl La c hm a im in
Z. f. A. 1850, Nr. 19 S. 145.
58
unabweisliche Voraussetzung und duroh die vorliegenden Epopöen
selbst gegeben ist, daher von obigen Stimmen bereits anerkannt
ward, als blosse Zulässigkeit aus. Sein Urtbeil über die Ansicht,
nach der die kleinen Lieder als die allein originale und schöne Poesie
betrachtet und ihre Herstellung versucht wird, gab er an einer
andern Stelle in Bezug auf das geschichtliche Verhältniss des
vor- und nacbhomerischen Epos schlagend ab. Er hatte ja erkannt
und bekannt, dass Homers Leistung eben in der Neubildung und
ergänzenden Wiedergeburt des in kleineren Liedern vorgebildeten
Stolles bestehe*').
„Nicht genug wundern kann man sich, dass diese von Wolf
einst eingenommene, von Lach mann vertheidigte Position noch
so blanche behaupten wollen; denn wir erhalten damit die höchst
singulare Erscheinung, dass wir in den kleineren Liedern die
Vorstufe, in den (nächsthomerischen s. g.) kyklischen Dich-
tungen den Verfall des Epos (?) vor uns haben, und die in
einheitlichen Handlungen grösserer Epen sich darstellende ßlülhe
völlig fehlt, oder — das All erunbe greiflichste — dass die
vorliegende nicht abzuläugnende künstlerische Einheit das spä-
tere Werk Mehrerer war."
Die hier gemeinten Vertreter der trennenden Meinung geben
auf die Frage, wer denn eigentlich die einheitliche Gestaltung
bewirkt, keine oder eine unglaubliche Antwort, wie Bernhard y
aussprach: „Die Hand, welche Wunden schlug, heilt sie nicht". —
„Denn der Einfall , dass wir jenes Wunder dem Pisistratus und
seiner Bedaction verdanken, war kaum ernstlich gemeint."*"")
Es wird, um der Ilias und Odyssee in der Geschichte des
Epos die gehörige Stellung zu geben. Beides erfordert und wei-
99) N. Jahrb. f. Phil. u. Pädag. B. 75 u. 7« H. 1 S. 37: Der Schiffskata-
Jog der Ilias.
100) Gruudr. d. Gr. Liier. 2. Aull. 11. 1, 122 f., wo er sich selbst daluu
ausspricht: „Wohin immer die Kritik streben mag, den Begrilf 'Ourjgog
muss sie voraus.setzen und daran unbedingt festhalten. Abgesehen von
der Etymologie — dürfen wir unbedenklicli mit Welcker und Nilzsch
Homer, den Stammvater der ersten grossen Epen, als den ideellen (?) Ty-
pus und Genius jener Kunstfertigkeit betrachten, welcher statt vereinzelter
Lieder ein zusammenhängendes Ganze mit Absicht unternahm." Wolfs
Worte von den im Wort selbst irrigen Diaskeuasten und Pisistratus s.
Proleg. GLI u. CLIl, sie erscheinen ernsthch genug gemeint.
59
firhin von uns ausgeführt werden, die Charakteristik der ersten
[»eriode in den erkennbaren kleinen Liedern und die der nächst-
homerischen in eingehender Beschreibung der s. g. Kykliker.
Jetzt vernehmen wir das richtige Ergebniss der bisherigen For-
schung aus Kit sc bis Feder. Er giebt eine wohlerwogene
üebersicht s. z. s. der Lebensgeschichte der beiden Epopöen Ho*
mers, wie sie ihr Leben im lebendigen Vortrag hatten. Da geht
ihrer Schöpfung eine erste Periode voraus, in der unmittelbar nach
dem troischen Kriege die Sänger der verschiedenen Stämme
Einzellieder von ihren einzelnen Heldenthaten gesungen, die dann
durch die Wanderung nach den asiatischen Küsten auf ihrem
alten Boden neues Leben bekamen. Dann lautet es von der
zweiten Epoche: „Hinlänglich vorbereitet durch die siegreiche
Kraft rastloser Anstrengungen deutscher Wissenschaft darf jetzt
die Ausgleichung der Gegensätze scheinen, wonach aus einer
reichen Fülle mündlich überlieferter epischer Einzellieder der
ionische Homeros diejenigen, die mit Eigenem verschmol-
zen den Umkreis der ächten Ilias und Odyssee ausfüllten, kunst-
gemäss verknüpfte, — zu einem Ganzen, in Avelchem sich .Alles
auf einen Mittelpunkt, der eine sittliche Idee enthält, be-
zieht, — eine Entstehungsart, die schon ihrer Natur nach
die Forderung eines das Kleinste durchdringenden
Zusammenstimmens aussc bloss."*"')
Ein Anstoss, den man an dem von mehren der Angeführten ge-
brauchten Begriff der Kunst genommen haben könnte, wird erstlich
eben in Bezug auf Homers Kunstfertigkeit von Dissen beseitigt (Kl.
Sehr. 321). ,,Ein bewustloses Dichten — lässt sich schlechter-
dings auch im Homer nicht durchführen, sondern klärlich ist in
ihm bereits auch besonnene Kunstfertigkeit, nur freilich keine
gelehrte Kunst."
„ Die Kunst hat einen verschiedenen Charakter in den ver-
schiedenen Perioden der Literatur, aber kunstlos ist gar
kein classisches Werk."
Cnd wem der Begrifl" der Kunst mit dem, was vorhin als
101) Vullsläiuliger hei Loebell , Wellgesch. 1 , <J01 iiiil Amii. 84 zu
Ahschn. 12, kürzer in Rilsclils Alcxandr. Hililiolhek 70 f.
J?0^
Naivetät bezeichnet wurde, unvereinbar erscheinen sollte, den
wird Vi Sehers Aesthetik zufrieden stellen'"''):
„Während das einzig ursprüngliche Gedicht im idealen
- Stile, welches der Orient hinterlassen hat, das indische — in
das Formlose ausläuft, steht das griechische Epos in so
einziger Vollendung da, dass es als historische Erscheinung
doch ganz mit dem Begriffe der Sache zusammenfällt;
denn das Vollkommenste in dieser Dichtungsart wird da ge-
leistet, wo nicht nur die Phantasie des Volksgeistes an sich
plastisch ist, sondern auch das dichtende Bewusstsein sich zur
Kunstpoesie erhoben hat, ohne den Boden der Naivetät zu ver-
lassen u. s. w." und
a. a. 0.: „Keinem andern Volke ist das Glück geworden, wie den
Griechen, ihr National -Epos zu vollenden in dem Momente,
da eben die naive Poesie die Vortheile der Kunst in sich auf-
nimmt, und die Kunstpoesie den ganzen Vortheil der Naivetät
geniesst,"
Es ist unschwer einzusehen, wie das naive Verhältniss des
Dichters zum überlieferten Sagenstoffe, und die Einmüthigkeit
darin mit seinen Hörern auf jener, in der in unserer Einleitung
beschriebenen Geistesperiode obherrschenden Phantasie beruht.
Diese selbe Stimmung steht aber in keiner Weise einer Neuge-
staltung jenes beiderseits bewussten Sagenstoffes entgegen, son-
dern verlangte nur eine gewisse Rücksicht und Befolgung des
Volksbewusstseins, uie es die früheren Lieder begründet halten.
Es ist vielmehr bei dieser Ansicht von der Entstehung auch der grösse-
ren Ganzen aus den überkommenen Sagenstoffen und der bereits vor-
hergegangenen bestimmteren plastischen Gestaltung der Charaktere
und Hergänge in Liedern, andererseits wiederum die Vorstellung
zu meiden, als habe der individuelle Dichlergenius nur wenig
zu leisten gehabt, er, dessen beide Epopöen durch ihre Erschei-
nung eben den Begriff der Gattung aufgestellt haben, und die
wie von seinem Volke hochgefeiert, von den bekannten nachfol-
genden Epikern in ihrer Wahl beachtet, in ihrer Kunstübung als
Muster befolgt , von aller Theorie von Aristoteles an in dieser
Geltung erhalten worden sind'"^.
102) III. 2. 1285 unten, und 12«7.
103) Schon hier mag mit einem Wurl bemerkt werden, wie Viel
61
Ho ff mann in Lüneburg, einer der verdientesten Forscher
in der liomerisclien Frage, liat liierüber Urtheile al)gegei)en,
welche, vom Unläugbaren ausgehend, die Eigenheit des Dichter-
geistes und seine individuellen Wirkungen in Verknüpfung, Aus-
prägung, besonders Beseelung des zunächst in Liedern über-
kommenen Sagenstoffes zu wenig würdigen'"^).
Uniäugbar ist ja freilich, und es behauptet Niemand mehr.
Homer habe auch nur selbst die überkommenen Sagen und Lieder-
stotTe so zu gestalten vermeint, dass die Grundzüge des
durch die Ilias gehenden Plans als sein alleiniges
Eigenthum anzusehen seien Hoffm, 278). Diese Grund-
züge und auch manche einzelne Acte waren gewiss, von früheren
, .dichterischen Talenten" bereits geschickt ausgeprägt, dem Schöp-
fer der Ilias zugekonunen. Auch grössere ältere Gedichte (S. 280)
wie die der in der Odyssee aufgeführten Sänger Phemios und
Demodokos von der Heimkehr der Griechen und von der Ein-
nahme Troia's, wohl auch eine Patrokleia vor der Ilias, aus der
Odyssee aber die in der dritten Person erzählten Irren und den
Freiermord hat Homer, aber freilich nicht ohne Veränderungen
im Einzelnen in seine neuen Hildungen aufgenommen, oder viel-
mehr dabei benutzt. Deutlich genug erkennen wir, wie später
nachgewiesen werden w ird , wie der Inhalt des Liedes von der
^eimkehr und eines andein von der Kachethal des Orestes vom
Schöpfer der Odyssee in seiner lebensvollen dramatischen Dar-
stellung ausgebeutet worden ist. Und die Neubildung der Irren
zur Vorgeschichte des Haupthelden und zu seiner Erzählung vor
Alkinoos, ist ja eine Hauptthat des eründsamen Dichtergeistes
bei der Bildung der Odyssee"'^). Ist dem luui erweislich so, dann
fehlt, (lass die Stellung, welche Waclvoriuigol dem Homer B. 2,81
giebt, für die richtige gellen könne. Gerade das Beseelen, das Erfassen
und Durchfüliren des seelischen Motivs w^ar das >'eue des Homer.
104) Allgem. Monatssclir. f. Wissonscli. n. Lilcral. Halle 1852, April,
S. 278 und 279 f.
105) Wackernaf^cl, 2, S. 83, weil er bei allem Loljpreis der
Odyssee den Dichtergenius nicht genugsam erkannt hat, bezeicimel den
Gewinn und das durch jene Fassung der früheren Irrfahrten Erreichte
ungenügend: indem so was eigentlich dci' Anfang der dargeslclllen Sa-
genweise ist, in die 3Iitle eingefügt wird, gewinnt das Ganze den An-
schein grösserer Gedrungenheit untl Ahrundung. sieht concenlrirler,
einfacher, einheitlicher aus.
___62__
ist „die Thäligkeit des Homer" doch wohl nicht blos eine aus-
bauende (S. 379), sondern eine umbauende nicht mit Un-
recht zu nennen.
Ein Hauptpunkt für die besonnene Beurtheilung des Diciiter-
genius sind die oben von Ritsch 1 genannten eignen Zuthaten,
durch welche er die in den äUeren Liedern gegebenen Einzel-
acte zur organischen Einheit verband. Es werden sich in beiden
Epopöen mehre solche Partieen selbst kund geben, welche eben
nur für Durchführung des Plans gedichtet sind, und keineswegs
schon von der allgemeinen Sagengestalt geboten waren.
15. Fortsetzung. Die drei Stufen des National-Epos
und ihr VerhSltniss zu einander. Die richtige
Ansicht von der Neugestaltung der Einzellieder.
So naturgemäss und leichtbegreiflich auch die Entwickelung
des National-Epos ist, es waltet bei den Theilnehmern an der
Forschung über dieselbe, besonders den jüngeren, noch mancher-
lei Unklarheit, und dalier Verwechselung. Die Entwickelung der
Dichtungsart, welche jedes Volkes eigne Vorzeit feierte, und eben
dadurch zuerst national wurde und hiess, sie hat wie natürlich
ihren Ursprung aus dem Volksbewusstsein von den bedeutenden
Ereignissen und Personen dieser Vorzeit. Sonach ergeben sich
die Drei Stufen, Volkssage, kleinere Einzellieder und auf
Grund dieser dann erst grössere Gebilde, bemessen nach dem
innewohnenden Motiv der Bewegung, beseelt nach dem Phantasie-
glaubeu des Volksgeistes , den der ausführende Dichter theilt, und
den er erst in Charakteren der Helden und Götter, und bei den Wech-
selwirkungen zwischen Menschen - und Götterw elt die Handlung
zur recht lebensvollen .4nschaulichkeit ausprägt. Die Volkssage
als die erste Stufe, und die Bildung kleiner Lieder über einzelne
Thaten oder Ereignisse aus derselben als die zweite, durften
doch mit vollem Rechte behauptet werden. Das Volk, der Stamm,
hat jedenfalls in seinem Bewusstsein von seiner Vorzeit eine An-
zahl von benannten Personen, und in gewisser Bestimmtheit über-
lieferten Ereignissen. Unklar scheint Hieckc hierüber zu denken.
(Der gegenwärtige Stand der homer. Frage S. 4. f.)
Die nothwendige Vorstufe in den kürzeren Einzelgesängen trat
zuerst durch Wolfs geniale Anregung hervor, dem aber seiner
63
Zeit das Wesen der Sage, und so auch die erste bildnerische
Gestaltung ihrer Personen und Thatsachen, d. h. die kleinen Lie-
der, eben nur dunkel bewusst war. Sein Satz, mit dem er die
bis dahin geltende Meinung von Homer und dessen beiden Epo-
pöen am entschiedensten als irrig, ja unmöglich angrifi, war
der (Proleg. 112): dass wenn auch das Genie des Homer die
unglaubliche Kraft besessen hätte, zwei Gedichte von solchem
Umfange ohne Hilfe der Schrift auszuführen und mitzutheilen,
es doch zum Gebrauch seiner Erzeugnisse an den örtlichen und
zeillichen Gelegenheiten gefehlt haben würde, wie wenn ein Be-
wohner des Binnenlandes in der Zeit der noch unfertigen See-
fahrt ein Schiff hätte bauen wollen, zu dessen Gebrauch ihm das
Meer gefehlt. Wolf selbst schwankte zwischen zwei Möglichkeiten,
diese in dem Umfang liegende Unglaublichkeit auf ein zulässiges
Pensum zu ermässigen. In den Prolegoraena, wo er 108 es all-
gemein anerkannt nennt, dass beide Werke des Homer nur theil-
weise und in verschiedener Reihenfolge öffentlich vorgetragen wor-
den seien — die doppelte Rhapsodie wurde nicht beachtet — ur-
tlieilt er auch über die Odyssee, ungeachtet der lebhaftesten An-
erkennung ihrer künstlerischen Einheit, doch ebenso, dass auch
ihre Rhapsodien, eben wfe die inhaltlichen Namen besagten, nui"
als einzelne, wie vorgetragen so gedichtet seien: 120 — 123. Da-
gegen in den Vorreden zu den Ausgaben der Ilias hatte er es
mehr mit der Annahme zu thun, dass Homer nur zwei Gedichte
kleineren Umfangs gegeben habe, die dann von dichlungsfähigen
Rhapsoden zum vorliegenden Umfang ausgeführt seien (bes. XXVI.
a. E.). Beide Möglichkeiten bespricht er in den Briefen an
Heyne S. 71.
Von diesen zwei Vorstellungen erfasste Lach mann, sowie
vor ihm schon G. Hermann ( 1806) die der kleinen Lieder, welche
jetzt auch öfters halbhistorisch mit dem IS'amen Rhapsodien be-
zeichnet werden ""^) , und unternahm es zuerst 1816, das was ihm
von Wolf von der ursprünglichen Gestalt der homerischen Ge-
106) Goethe, ßriefw. zw. Schill, u. G. 4, 184: „die unzähligen Rhap-
sodien, aus denen nachher die beiden Gedichle so glijcklich zusammen-
gestellt wurden". Fr. Zini nicrn) ann. Begr. d. Epos, 13: „zuerst pMo-
gen eine Reihe vulkstliümhchor Rliapsodien aus dem Sagenkreise voran-
zugehn." Ebenso Vischer, Aeslhell. III. 2, 1287.
64
sänge als eiwiest'ii galt, auf die deutsche Ilias, das IVihelungen-
lied , anzuwenden'^'). Nachdem er hier die Nihelungen niiUels
kritischer Scheidung in 20 Einzellieder zerlegt, und dieses sein
Verfahren niehrfach Zustinimung gewonnen hatte, ging er mit
grosser Zuversicht zu dem eignen Gesclnmicksurtheil an die Aus-
schälung von 15 oder 16 Liedern aus dem Texte der Ilias'"-).
Es gaben diese Betrachtungen Lachmanns einer sehr gössen
Zahl nacheifernder Schüler Mutli , dem gleichen Prinzip zu folgen.
Ein dem Prinzip im Ganzen günstiger, sehr umsichtiger und ge-
wiegter Recensent machte, indem er Lachmanns nach einander
aufgestellte kleine Lieder aus den Nihelungen wie der Ilias be-
achtete, zuerst darauf aufmerksam, dass, wenn der Beweis für
die Entwickelungsstufen des Epos seine volle Giltigkeit erlangen
sollte, dieselbe sichtende Herstellung allein ächter kleiner Lieder,
auch an der Gudrun und an der Odyssee mit Erfolg vollzogen
werden müsste'""). Sodann sprach er die hedeudente Folgerung
aus (515, a.), dass gewiss Nichts entgegenstehe, einen Cyclus
geisl- und sinnverwandter Lieder, wie eben die (die Hauptacte
enthaltenden) vom Zorn des .\chill oder von Ciiriemhildens Rache,
wenn sie sich auch nicht vollständig zu einem künstlerischen
Ganzen zusanmienfügen wollen , doch e'inem und demselben Dich-
ter zuzuschreiben. Dies zumal , da bei Annahme einer Anzahl
begabter Einzeldichter es doch auffällig erscheinen müsse, dass
diese Talente sämmtlich sich auf einen so beschränkten Stoff ge-
richtet, und damit jeder einzelne nur ein oder zwei Lieder ge-
schaffen hätten (513 b.).
107) S. Lachinaun, über die ursprüngliche rieslalt des Gedichts von
der Nibelungen Noth. Berl. 1816, Eing. u. S. 25 u. 87 f.
108) Betrachtungen über die ersten 10 Bücher der Ilias, 1837, Brl. 38,
und fernere Betr. 1841 zus. niil Zusätzen von Moritz Haupt, Berl. 1847.
Schon 1838 Wackernagels Abhandlung.
109) (Prof. Weisse in Leipz.) in Blätter für liter. Unterhaltung, 1844,
Mai, Nr. 126— 129 S.515, 6: „Der Verf. hat sein Geschäft noch nicht voll-
endet; an der „Odyssee", an der „Gudrun" bat er sich noch in ähnliche)
Weise, wie an den Nu), und an der Ilias zu versuchen. — Erst, wenn
wir auch in Bezug auf diese beiden Gedichte, und noch einige ver-
wandte, von ihm belehrt worden sind, ob sie ähnlich in kleine Lieder
— und auch gleicher Weise in eine ächte und eine unächte 3Iasse aus
einander fallen, werden die Akten des von ihm eröffneten Prozesses über
das hellenische und das germanische Epos geschlossen sein."
65
Die Jünger des so anregenden Meisters haben in dem jüngst-
vergangenen Jalirzehnt in seinem Geiste, wie gesagt, fortgestrebt,
und haben gar eifrig sich bemüht, auch in der Odyssee Uneben-
heiten, Widersprüche, oder unechte Einschiebsel nachzuweissen.
Aber das wahre Verhältniss der früheren kleinen Lieder hatten sie
dabei öfters gar nicht erkannt, sonst würden sie mit der Aeusser-
ung, auch die Odyssee sei aus kleinen Liedern entstanden, nicht
ihren Sieg zu verkünden gemeint haben.
16. Die Lachmauu'schen Versuche, kleine Lieder
herzustellen, misslungen. Seine Geschmacks-
urtheile nicht giltig.
Sehen wir auf das ganze Bestreben der Beweisführung und
mustern die jetzt gewonnenen Erfolge auf beiden von Lachmann
angeregten Bahnen, so will uns nirgends etwas Erwiesenes
begegnen.
Auf Grund des von Wolf überkommenen Einwaudes hat
Lachmann für die Weise der einzelnen Rhapsoden kürzere Lieder
gesucht, die er selbst gleich in der ersten Schrift romanzenartig
nennt. Und es ist das die mit Recht geltende Vorstellung von
dem Wesen der Einzellieder, dass sie mit unsern Romanzen oder
Balladen vergleichbar gewesen, und ihnen, wie schon oben ein
lyrisch epischer Ton beizulegen sei""). Von diesem abgesehen,
mussten sie aber zum Einzelvortrag jedenfalls ein kleines Ganze
enthalten und geben, wie jede Romanze ein Thema, eine kleine
Geschichte durchführt. Diess hatte Lachmann durch seine Be-
zeichnung selbst anerkannt, aber was er als vermeintlich ächte
und poetisch schöne Einzellieder aufstellte, war zum Theil so kurz,
dass es zum rhapsodischen Vortrag sich nur in Zeiten verbrei-
teter Kunde des Zusammenhangs eignen konnte, wie Plalo in sei-
nem Ion den enthusiastischen Homeriden rührende Partieen
auswählen lässt. Aber mehrfach war das, was er kürzer oder
länger ein Lied nannte, eben nur ein Stück geradeausgehender
Erzählung, welche, wenn sie einen denkbaren Anfang nimmt,
doch die Handlung zu keinem Ende führt. Diess ist, auch wo
er in der Patroklie nicht ein Kleinlied, sondern ein umfängliches.
110) C. Fr. Hermann, Culturgesch. 93; „Jene schwanken noch
zwischen Epos und Lyrik."
Nitzseh, Gesch. d. griech. Epos. 5
60
ein Grosslied annimmt, in der Recension von Bäum lein unläugbar
mehrfach dargethan "').
Aber Lachmann ^vill ja durch seine Ausscheidung der klei-
nen Lieder das Echte, Ursprüngliche vom Unechten unterscheiden.
Was hat er denn da für einen Massstab? Keinen andern, als sein
eignes ganz subjectives Geschmacksurtheil. Die Zuversicht zu
diesem spricht er besonders zweimal so scharf aus, dass darüber
von Mehren Verwunderung geäussert ward*'^).
Und seine einzelnen verwerfenden Geschmacksurtheile über
die Ronde des Agamemnon im 4. Gesänge der llias, über das 9. Buch,
vollends über die fünf Bücher vom IS. bis 22. haben von Männern
aller Parteien, sowohl von denen einer sehr verwandten Grund-
ansicht, als von dem eingehensten Bestreiter seiner Betrachtungen,
endlich auch von den eine Mittelstellung Einehmenden Wider-
spruch und entschiedenste Widerlegung erfahren. Wenn er bei
der umfänglichen Patroklie die so unnnttelbaren und innerlichen
Beziehungen, welche nicht die natürlichen der Sage, sondern die
von dem motivirenden Dichter gegebenen sind, verabsäumt hat"'),
so hat er, nachdem er die enge Verwebung von 18 mit 17 ver-
kennt, an jenen fünf Büchern Austellungen ausgesprochen, welche
bei dem unbefangenen Lesen derselben und einer präsenten
Erinnerung vom Früheren sich von selbst widerlegen'").
111) Zeilschr. 1". All. 1850 S. 166, wo er hinzufügt: „wie viel anders
in den Eddaliedern , die doch jedenfalls auf einer niederen Kunstslufe
stehen." Und Lachmanns Patroklie giebt ja das richtige Ende nicht, da
der Kampf um die Leiche erst im 18. Gesänge durch Achills Erscheinen
endet, und damit das Sinnvolle erfolgt, da der so lange Zürnende erst zur
Rettung der Leiche des Freundes hervortritt.
112) Lach mann XXIII zu Anfang und XXX zu Anf. , damit vgl.
Hiecke. Ueber Lachmanns zehnies Lied, Greifsw. 1859 S. 10. Baum-
le in, iu der in voriger Anm. gen. Recension Nr. 19 S. 145 und 22 S. 171.
Grole, Gesch. Griechenl., übersetzt von 3Ieissner, 1, 518. Schümann,
Rec. der Sagenp., N. Jahrb. f.Pliilol. u. Pädag. B. 69 S. 24: „durch Macht-
sprüche , wie die S. 86 oder durch Abfertigungen , wie S. 56 — mögen
wohl Unmündige sich schrecken lassen."
113) Bäumlein, Z. f. A. a. a. 0. Nr. 11 S. 261 f.
114) Ausser Bäuml. das. Nr. 22 S. 169. Hoffmann, Progr. von
Lüneburg, Ostern 1850: „Prüfung des von Lachmann über die letz-
ten Gesänge der llias gefällten Urtheils", d. i. über Lachm. Betracht.
S. 80 Hpl. oder 59, wo Lachm. sagt: „Wenn nur nicht alle folgenden
Bücher, gegen die Patroklie gehalten, geschweige gegen die noch edleren
Die vier Titel des Tadels wie sie in der untergeselzlen An-
merkung zu lesen sind, das Verschwinden der andern Helden,
die Masse der GöUerwii'kungen, die vielen Myllien, die vermeinl-
liclie Diniligkeit der Gleichnisse, sie sind ganz besonders der
Art, um Lachmanns prinzipielle Unlust, den Organismus des
Gedichtes vom Zorn des Achilles zu beachten, und in seinem
Fortschritt zu verfolgen, recht an ihren Früchten zu erkennen.
Denn, was unter den ersten drei Nummern getadelt wird, liegt
im Plane selbst, oder geht aus der dem Epos eignen und we-
sentlichen Weise der Darstellung hervor, und der vierte Punkt,
die bildnerische Erfindung von Gleichnissen, sie ist eben nur
nicht richtig wahrgenommen.
Das von Homer gewählte Thema und in dem Sagentheil lie-
gende Grundmotiv giebt zwei Haupttheile, einen, in welchem
der Hauplheld, der in der ganzen troianischen Sage dieses ist,
durch seine zürnende Unthätigkeit den andern Helden Raum
giebt, sich hervorzuthun , und einen zweiten, wo die Folgen seiner
Unversöhnlichkeit sich gegen ihn selber wenden. Die epische
Darstellung und der mündliche Vortrag bringt mit sich, dass
auch den einzelneu Theilen eine gewisse Selbständigkeit bei-
wohnen, sie immer Cur sich fasslich und anziehend sein müssen.
So traten in der früheren Hälfte immer von beiden Seiten, aber be-
sonders von der der Griechen einzelne Vorkämpfer hervor, deren
Eintritt auch vom Dichter durch Beschreibung ihrer Bewaffnung
gehoben wird. So auch noch, als der Hauptheld, statt endlich
nun doch selbst Hülfe zu bringen, den Freund gehen lässt, bei
der Rüstung dieses. Aber es wird dann der Kampf gegen die vom
Theile der Ilias, sich so {irmlich uiitl kühl ausnähmen, dass icli das Ur-
lheil von Wolf (Proleg. CXXXVII) nicht rocht hegreife, der nur hei den
letzten sechs Büchern, also nicht auch, scheint es, hei dem achtzehnten
sich anders gestimmt fühlte. Mir scheinen die fünf Bücher von S his X
so aus einem Stück zu sein, so ühereinstimmend in den Begeheniicilen
nicht nur, sondern auch in allen Manieren, a) in dem gänzlichen Ver-
schwinden aller griech. Heroen ausser Acliilles, b) in dcrMasse von Erschei-
nungen und Wirkungen der Götter, c) in den vielen Mythen, d) in der
Dürftigkeit der Bilder und Gleichnisse, dass sie ebenso sehr einen ein-
zigen Dichter verrathen , als sie für fast alle der früheren , die desswegcn
nicht um Jahrhunderte älter zu sein hrauchen, dass ich es nur gerade
Jieraussage , zu seidecht sind."
5*
68
höchsten Schaffner des Krieges begünstigten Feinde mit ihrem
Hektor zugleich Kampf um die Leiche, und nachdem für diese
zuerst Achill Avieder hervorgeti'eten, da, als nun der Verlust des
Freundes den grössten Helden zur Rache aufgestachelt hat, wie
sollte da nicht er vor Allen den Vordergrund bilden, wie nicht
er durchaus der ijittelpunkt sein ? Im 18. Gesänge nach der Meldung
vom Falle des Freundes und dem Verluste der Waffen, die den
Haupthelden auch damit über alle andern auszeichnende Schil-
derung der durch Hephästos bereiteten Rüstung, im 19. die feier-
liche Versöhnung des nun all seinen Zorn verwünschenden
Helden mit dem Oberfeldherrn und die theilnehmende Remühung
der Andern, und selbst der Götter um ihn; im 20. Zeus' neue
Anordnung eben wegen Achills Eintritt und was weiter von den
folgenden Theilen nachgewiesen werden wird. Ob dann ein un-
befangener Leser, — wenn er auch die beiden Akte des Kampfes
gegen einander selbst (20, 54 — 74 und 21, 385 — 514), der so
ganz wirkungslos bleibt, und des Aeneas von ihm selbst für un-
gehörig erklärte Genealogie (20, 213 — 241) entschieden als un-
echt*'^) erkennt und wenn ül)erhaupt immerhin diese letzten Rü-
cher nicht anders als die früheren der Entstellung durch Ein-
schiebsel unterworfen erscheinen — ob, fragen wir, der Unbefangene
dann lebensvolle Poesie vermissen wird in Stellen, wie das Zu-
sammentreffen des Achill mit dem Priamiden Lykaon 21 , 34 — 135,
der Kampf mit dem Skamandros, dann vollends der Anfangstheil
des 22. Gesanges mit den Ritten des Priamos und derHekabe und dem
fein psychologischen Selbstgespräch des Hektor: 99 — 130,
und endlich die Schilderung der Leichenspiele, wie diese
in ihrem dramatischen Leben bei Achills grossartiger Stimmung
in immer neuen Scenen die Eigenheiten der Charaktere und zu-
gleich der Lebensalter darstellt? Dass die Drei vorher Ver-
wundeten, Diomedes, Odysseus und Agamemnon, die am nächst-
folgenden Tage Zinn Versöhnungsakt (19, 47 — 51) noch an
Stöcken gekommen waren , (s, Fäsi dort) am dritten ihrer Ver-
wundung an den Wettkämpfen sich betheiligen, ist von Räumlein
115) lieber B. 21 s. Nägelsbachs Nachhoraerische Theol. 128
Anm.*) und meine Sagenp. 127 u. 28. Ein wenig unterscheidendes Ur-
theil A. Jacob, Entst. d. 11.328. Uebor des Acneias iiberfüllle Rede Fried-
länder, Anal, homer, Jahrb. f. class. Phil. Suppl. B. 3, IL 4 S. 474 f.
69
hinlänglich erklärt"*), Modurch jedenfalls die übereilten Decrete
A. Jacobs S. 245 als ganz unzulässich erscheinen. Dass die Wett-
spiele unerlässlig^ ztir Bestattung gehörten, spricht dabei auch
Jacob S. 345 aus. Haben wir hieran also schlechte Poesie?
Oder kann etwa Lachmanns Wort vom Jammern um seinen
lieben Homer nach Weiberart unsern Sinn abstumpfen, und
uns hindern, in der Andromache Verhalten und Klage um ihren
Hektor 22, 436 — 515 die ergreifendste Darstellung der ehelichen
Treue und des damaligen Elendes im Witwenstande zu empfinden?
Und ist die Scene Priamos vor Achill, und dessen endliche An-
erkennung des Menschenlooses in der Milde gegen den greisen
Vater des Todfeindes 24, 486 — 512 nicht nach der vollsten
Wahrheit von Welcker, und schon im Jahre 1824, für den
wahren hochherrlichen Schluss des Gedichts vom Zorn erklärt?"')
116) Z. f. A. 50 S. 171 und Philol. XI. 427. Da die Wunden alle drei
leicht waren, so dass die Helden schon an demselben Tage bei der stei-
genden Noth, wenn nicht am Kampfe Theil nahmen, doch durch Anord-
nung sich nützlich machen konnten: so war der Phantasie nicht zuviel
zugemuthet, wenn die Zuhörer sich ihre Theilnahme an den Weltspielen
mittels eines Naturprozesses so weniger Tage möglich geworden denken
mussten. Die Angabe des Patroclus 16, 24 von den Verwundeten iv
vijvaiv 'Äsarcii sie liegen, ist in seinem Munde nicht weiter eine fac-
tische, als er von Nestor 11, 189 gehört hat, und Beide bezeichnen mit
dem Liegen durch Wurf oder Stich verwundet nur eben, dass sie kampf-
unfähig sind. Kayser, de inlerpolatore p. 9 presst das rJatat, zu der Er-
klärung: Haec SIC efferuntur, ut hucusque eos decubuisse et aegre
nunc in publicum prodiisse intelligas. Nun ähnlich presste Lachmann die
Wörter oQKitt xi^ivuv und ös^icd und Andere andere.
117) Man lese die beredte Darlegung in Die äschylische Trilogie
Prometlieus S. 420 : „ Diese Scene ist der Gipfel der gesammten Helden-
poesie", und 0. Müllers Gesch. d. gr. Liter. 1, 84. ,,Am grössten er-
scheint Achill in den Leicheuspielen, und bei der Zus;unmenkunft mit
Priamus — einer Scene, die mit keiner andern in der ganzen alten
Poesie verglichen werden kann" u. s. w. Auch der so viele Anslösse
lindende, weil suchende A. Jacob, über die Entstehung der II. und Odyss.
352". „Ueberhaupt gehört auch diese ganze Schilderung nicht nur zu den
schönsten der Ilias, sondern sie lässl sich überhaupt in ihrer ganzen
Anlage u n d A u s f ü h r u n g n i c h t s c h ö n e r d e n k e n ". VortrelHich
schliesst sich an diese Stimmen die, Gepperts Annahmen abweisende Aus-
legung, Düntzers rliein. Mus. N. F. 5, 378 IV. „Wo ist hier ein Absciduss,
wo eine Vollendung der Rache V Diese thiden wir nur in der bcrHichen
Darstellung, wie Achilleus, der erkannt iiat, dass auch die Raclie sein Herz
nicht herstellen kann, sondern er des Schicksals Schlag gefasst ertragen
70
Der vierte Vermiss L a c h ni a n n s verräth , w ie wenig er die
verschiedenen Millel belebender Darstellung in weiteren Ueber-
blick genommen. Hoff mann mnsste ihn erst belehren, wie
zunächst der Gebrauch oder Nichtgebrauch der Gleichnisse sich
nach den verschiedenen Gegenständen und Phasen der Erzählung
richte*'^), und dass die geaneinten lUicher darin mit nichlen sich
von früheren unterschieden. Der wahre Befund zeigt gerade in
diesen Büchern im Verhältniss zu den dafür geeigneten Partieen
überhaupt eine nicht geringe Zahl von Gleichnissen, und unter
ihnen mehre der schönsten: 20, 164—173"«'). 21, 575 — 580.
22, 139 — 144, sie heben den Kampf des wieder erstandenen
Achill hervor, sowie auch dessen leuchtende Erscheinung und
schreckender Ruf die höhere Färbung erhielt, 18, 207 — 213.
217 — -220, Dies durch zwei Bilder, die uns die Eigenheiten
des homerischen Gebrauchs offenbaren, wie sie immer aus all-
bekannten Wahrnehmungen in Natur oder Menschenwelt ent-
nommen sind "®) , wie sie bei concretem Leben eben daher auch
gern ein menschliches Gefühl ansprechen, endlich , wie sie ge-
häuft werden bei bedeutenden Punkten oder Wendungen der Er-
zählung'^"). Da die Erfindung und Erfassung von Gleichnissen
als Erweisung des Dichtergenius so wesentlich sind, wird ein
späterer Abschnitt sie umfassend behandeln.
Das geringschätzige Urtheil Lachmanns über das 9. Buch
hat schon der Recens. der Bltt. f. litt. ünt. 1 844 Nr. 1 27 S. 506 als
iiiuss, die Nichtigkeit alles menscldichen Glücks bejammert und friedlich
unter demselben Dache mit dem Vater des Mörders ruht, dessen Leich-
nam er diesem zuröckgiebt". Vgl. nocli S. 411 gegen Ende.
118) Hüffmann, Lüneburg Progr. S. 5 und 6.
118 a) Hegel. Aesthet. 1. S. 534. Hoff mann S. 9. Vielleicht das
vollendetste aller homerischen Gleichnisse ist aber die Löwenjagd im
20. Ges. Vers 164 iT., welches trotz seiner reichen Detailausführung nicht
einen einzigen störenden Zug bietet.
119) Aristot. Topik. VIIL 1. a. E. zur Verdeutlichung anzuwenden,
aber den Dingen Eigenes und aus Bekanntem , „wie Ilomer und nicht wie
Chörilos" (Dichter des Perserkriegs), Aristarch zu II. 10, 364. Euslath.
zu IL 2, 87.
120) Iloffmann, 6. — „Dass, wo einmal eine auffallende Menge
von Gleichnissen erscheint („wie in 2, 455 — 483" m. Nägclsbacli und Fäsi
4, 422 ff. 11^546 — 560, 725 ff.) regelmässig ein bedeutender Abschnitt in
der Erzählung gemacht wird, und dabei ein glühenderes poetisches Co-
lorit ganz gerechtfertigt ist'S
71
lediglich durch den Eingang desselben 9 — 88 verschuldet be-
zeichnet; und auf diesen beschränkt er es selbst. In den sehr
zahlreichen Verhandlungen über diese Gesandtschaft an Achill,
ob sie ursprünglich oder erst später hinzugedichtet sei, wovon
weiterhin das Genauere, hat die darin liegende Poesie viel lobende
Anerkennung gefunden. Konnte doch auch den Kritikern die Ge-
wandtheit im Vortrag und Versbau nicht entgehn, welche zu-
mal die Reden des Odysseus und Achill bewähren'^'). Eben diese
Heden, die er selbst aus allen Praedicamenten preist und S. 3.
sollertiae ingenii et subtilitatis, quae in hoc poeta fuerunt, exi-
mium specimen nennt, nimmt Moritz zum Maassstab, um in der
Rede des Phönix 434 — 605 nur die jenen an Vortrelflichkeit
gleiche Partie als echt zu erweisen. Diese habe nur aus 60
Versen statt aus 272 bestanden, und nur die drei Tbeile enthal-
ten 434 — 448. 479 — 495. 496 — 523 (S. 23.). Wenn nun in
dem als unecht ausgeschiedenen Theile über die Unebenheit der
Verse 557 — 572 kein Zweifel sein kann (Sagenp, 148)'^^), ist
damit die von Phönix zur Mahnung gebrauchte Sage vom Melea-
gros nicht sofort ganz beseitigt '^^), und vollends nicht durch so
hastige Urtheile , wie der schon oben erwähnte La Roche kund-
gegeben hat. So wenig also werden die zuversichtlichen Ver-
121) Bernhardy, gr. Liter. 11. 1. 133 nach Miüe. Köchly Diss.
III. p. 8. lin. 2. Et sane nona illa rhapsodia tanta arte curaque elaborata
est, ut, si unus poeta totain Uiadem composuit, profecto, quam gravis
ea pars sit, in ea scribenda sensisse videatur. Hoff mann, Philol. III.
218. ,, Dagegen erscheint unsere Partie metrisch sehr vollkommen , und
ist deshalb mit 6, 119 — 236, 313 bis 7, 312 zunächst zusammen zu stellen.
Wir linden in allen diesen Stücken eine (doch wohl planinässige) Vor-
lic])e für längere Reden, welche mit vieler Kunst ausgeführt sind." Gep-
perts grosse Lobsprüche über die Rede des Odysseus an Arhill: Ursprung
der hom. Gesänge 191. Aach diesen Vorgängern urlheilte der Lachmannia-
ner Moritz de libro IX. suspiciones. Posen 59.8. 1. rhapsodiam nonani
elegi, quod a Lachmanno negelectura videbam librum lectu raaximam par-
tem jucundissimum.
122) Im Vorhergehenden habe ich die Verse von den L i t a i den Bitten
als Töchtern des Gottes der höchsten Vollmacht , wie ich jetzt zugehe,
Sagenp. 129, ohne zureichenden Grund sämmtlicii verdächtigt 502 — 511,
wenn sie auch nicht für unenlhelu'licli gellen können.
123) In der Zeilschr. f. Gymu. v. Mützell, Jahrg. 14. März S. 260 ff.
ist geltend gemacht, dass Phönix 9, 529 IT., wie oft anderwärls geschelie,
den Kampf vorausnennl, bei dem sich, was er nachher anwenden will,
besehen hat,
72
werfungen Lachmanns selbst von Gleichgesinnten ohne Weiteres
anerkannt.
Als besonders sprechender Beleg kommt seine Beurtheilung
des ersten Gesanges der Ilias hinzu, den er in ein Lied mit
zwei Fortsetzungen zertheilt (IL und III.) , und in der Folge dieser
drei Partieen angeblich unlösbare Unebenheiten findet. Sie sind
lösbar, wenn man das ix roto 493 richtig auf die Entstehung des
•Zorns bezieht, den die Pest mit seinen Bogen erwirkenden ApoUon
mit poetischem Sinne auffasst, und die Einwirkungen der Here
und Athene ebenso deutet, welche man besonders dann begreift,
wenn man die Ungenauigkeit , welche übrig bleibt, beim nicht
schreibenden Dichter um so mehr entschuldigt, als auch Sopho-
kles um seines Kunslzwecks willen entschiedene Unwahrschein-
lichkeiten sich erlaubt hat, und selbst unser Göthe und Schiller
entschiedene Unachtsamkeiten und Widersprüche begangen haben.
Jene Anstösse hatte nun schon Bergk"*) eingehend und um-
sichtig besprochen und so beseitigt, dass von der Sagenp. 178
f. unabhängig davon versuchten Erledigung nur die Rücksicht auf
die Beziehungen des Apoll zur Pest, und der Here und Athene
zu Agamemnon und Achill, gewisse Geltung behielt. Sodann war
das ix Toto 493 ebenso von Nägelsbach zu diesem Verse nach
grammatischer Satzfolge gerechtfertigt, wie es sich auf V. 488
bezieht. Zur Seite hatte schon Bergk die Abhandlung von Gross ;
aber recht eigentlich vom Frischen nach ebenso achtsamer als
lebendiger und poetischer Auffassung legte Hiecke in Greifswald
den Zusammenhang jener drei Partieen und die Einheit des
ersten Gesanges dar'^^).
Ausser dass über Lachmann bemerkt wird, wie er S. 7.
seine Meinung, die erste Fortsetzung schliesse sich gut an sein
Lied an, aus unhaltbarem Grunde wieder zweifelhaft mache, wird
124) Z. f. A. 1846. Nr. 61 —64, 481—506. — Gross Vindiciarum
Homericarum Particula I. Marburg 1845. S. 18— .30.
125). Gymn. Progr. Ost. Greifswakl 1857. Ueber die Einbeit des
ersten Gesaoges der Ilias. Als Tbeina: Lachoiann erkennt drei Tbeile,
1 — 347 erstes Lied und zwei Fortsetzungen. Die erste, die Zurückbringung
der Chryseis durch Odysseus 431 — 402, sie lässt sich unmittelbar an das
Lied ansetzen. Die andere umfasst eine Doppelscene der Thetis, bei Acbill
und auf dem Olymp .348 — 420 und 403 — 611. In diese Doppelscene soll
die erste Forlsetzung eingeschaltet sein.
73
gezeigt, dass Lachmann irriger Weise durclu die Einschallung
der Fahrt des Odysseiis die Uebereinstimmung ungestört finde,
weil so ein neuer Tag dazu komme, so dass nur die Berechnung
des zwölften 493 nicht mehr richtig sei. Gerade Lachmanns
eigene Forderung einer bcstinunten Anschaiuuig , wird durch jene
Folge erfüllt. Die Bezeichnung in den Versen 488 — 492, da
ein Verlauf von mehren Tagen angegeben ist, während welcher
Achill nach dem Geheiss der Thetis 421 f. eben fortzürnend sich
aller Theilnahme an That und Rath des Heeres enthält, sie giebt
natürliche Weisung, dass man hier eben nach der Dauer des
Zornes zu rechnen hat. Fehlten jene Verse, dann würde mau
anders rechnen. Aber nachdem gesagt ist, Achill zürnte tage-
lang, so Avürde ganz unmöglich sein, fest zu bestimmen, welches
denn der zwölfte Tag sein solle, wenn man nicht ganz unwill-
kürlich — an den der Phantasie so mächtig eingeprägten Tag
des Ausbruchs dieses dauernden Zornes als an eine gegebene,
feste Zeitbestimmung die Berechnung anknüpfte. — „Die Bezeich-
nung ergiebt sich trotz des unbestimmten Pronomens für Jeden,
der nicht auf den Gebrauch der Phantasie verzichten will, aus
der Sachlage. Wie oft muss man bei Homer aus dem Zusanunen-
hange ein Demonstrativ auf ein anderes Subject beziehen, als
das, an welches man nach streng grammatischer Regel zu denken
hätte "*^^b.).
Man vergleicht am nächsten das bk xolo II. 24, 31., das auf
den Tod Hektors hinweist, von welchem an die Misshandlung des
Leichnams und das Aergerniss, sowie der Streit der olympischen
Parteien bis zu des Zeus Entscheidung gedauert hat. An diesem
zwölften geschieht alles Folgende bis zur Uebergabe des Leich-
nams an Priamus. So ist dieser Anstoss an der Zeitrechnung
gehoben.
Der andere betraf den Apollon, der nach dem Liede die
Pest schickt, indem er persönlich herniedersteigt, und vom irdi-
schen Sitz seine Pfeile sendet 44. 48., die 9 Tage ihr Verderben
125 1).) Von dem Tage, <la der Zorn cntslaiid, zälill aiuli Kärlicr ji.
23 der besonders gegen G. Hermann gerichteten dispulaliü lloniorica.
Brandenburg, 1841. Ebenso und mit besonderer Anwendung (iöhel:
Ueber den innigen Zusammenhang des 1. und 2. B. der IL, Zeitschr. f.
Gymnas, v. Mützell . Jahrg. 8. S. 729 ff.
74
bringen. Er aber ist ja nacb der 2. Fortsetzung 423, am Tage
vor der Versammlung, wo der Streit entstand, mit Zeus zu den
Aethiopen gegangen.
Also wieder ein Anstoss in der verstandesmässigen Zeitrech-
nung und Vorstellung vom Verkehre der Götter mit der Menschen-
welt. Hierüber ist zu vergleichen Iliecke in dems. Progr. S. 2 und
3, und schon in einem früheren: „Der gegenwärtige Stand der ho-
merischen Frage von 1856, S. 24." Er bemerkt: Auf dieses Be-
denken erwiderten Andere schon einstimmig: Muss man sich denn
ApoUon während der Pestzeit fortdauernd an dem einen Flecke
denken? Nach so starrer Consequenz? — Nägelsbach. „Es bedarf
überhaupt keines Beweises, dass die religiösen Vorstellungen kei-
neswegs bei Homer consequent durchgebildet sind." — Bäumlein:
„Wenn auch die von Apollon gesandte Pest als unmittelbare Gegen-
wart des Gottes ausgemalt wird, so erscheint es doch sehr zweifelhaft,
ob der Dichter den Apollon die ganze Zeit über persönlich an-
wesend gedacht habe." Hiecke hierzu: „Versuche man es
nur einmal, sich den Apollon wirklich 9 Tage lang, oder noch
genauer bis zum Aufhören der Pest schiessend vorzustellen.
Schlägt dann nicht sofort das Erhabene in das Komische um?
Müssen wir nicht sofort ausrufen: Der arme geplagte Gott?"
Und in dem 2. Progr.: „Ich habe schon im 1. Progr. kurz dar-
gelegt, dass bei diesem Einwand das Wesen der dichterischen
Phantasie verkannt wird". Darauf nach Angabe der von Apoll
und der Pest zu lesenden Data: „Fragen wir nun einmal, wann
hat denn Apollo zu schiessen aufgehört, so geratben wir offen-
bar in Verlegenheit, nicht etwa, weil der Dichter unterlassen hat,
dies zu sagen, sondern weil unsere Pbantasie sich vergebens be-
müht, eine Antwort heraus zu bringen." Und weiter: „Wenn man
sich zu denken habe, dass die Pest während der Versammlung noch
fortgedauert habe, ja bis zum Moment der Versöhnung, so weigere
sich die Phantasie zu folgen — bei aller logischen Consequenz,
die der Phantasie zumuthe, den Gott sich so lange gegenwärtig
vorzustellen" u. s. w. Allmählich trete die Anschauung des leib-
haftigen Gottes in den Hintergrund, in der Bede des Kalchas
liöre die sinnliche Bezeichnung ganz auf."
„Den Apoll also könnten wir uns immerhin am neunten
Tage schon mit auf der Fahrt zu den Aethiopen begrülen denken."
75
Schlimmer steht es mit der Thäligkeit der Athene und
Here"^*). — Unmöglich kann Athene ovQavod'Sv von der Uere
herabgesendet AVerden (195), sowenig, als dahin zurückzukehren
(221 und 222), wenn zu dieser Zeit beide bei den Aethiopen
sind. So müsse man sich wohl auf Lachmanns Seite schlagen?
Aber vollkommen Recht habe Iloffmann, wenn er sich Piniol. III.
197 sträube anzuerkennen, dass ein Fortsetzer von so grossem
Talente, wie dieses Stück es zeigt, eine so ungeschickte Ab-
weichung von der Erzählung des ersten Stückes sich habe er-
lauben können. Wiederum aber (S. 4) müsse bei Hoffmanns
Annahme, dass mehrere Darstellungen des Zankes vorhanden ge-
wesen, wenn dies auch an sich delikbar sei, es doch sehr be-
fremden, wenn, wer die jetzige Folge gab, da ihm bei solcher
Voraussetzung die sachliche Disharmonie ja gerade nicht hätte
unbemerkt bleiben können, doch von der eilten Gestalt die erste,
von der andern die zweite Hälfte genommen haben sollte. Und
nicht minder befremdend sei es, dass im Ton und der Be-
handlung, ja nicht einmal in metrischen Dingen sich ein Unter-
schied finde. Auch die mehren Versuche, durch Annahme einer
Interpolation die Schwierigkeit zu heben, können nicht befriedi-
gen, weder die von Gross, der mit den Versen 188 — 222 die
beiden Göttinnen beseitige, noch die Ribbecks, der die Reise
der Götter für eine schlechte Erfindung eines Diaskeuasten er-
klärt, — noch andere'").
Die demnach allein übrigbleibende Lösung, die als die um-
sichtigste und sinnigste unsern Beifall verdient, lautet nun, gegen
Gross S. 4 und 5: „Sollten Here und Athene, die unversöhn-
lichen Gegnerinnen der Troer, in der mächtigen Scene des Ein-
ganges gefehlt haben? Auch fällt hiermit der innere Kampf
weg, ob niederstossen den Atriden oder den Zorn bezwingen —
und die Bezwingung des Zornes fällt weg sammt dem bedeutungs-
126) Lach mann S. 6 und betonter noch von Ribbeck in Pliilol.
VIII, 474 f.
127) Gross, Vindiciae S. 27, nachdem er sich selbst für die eiu-
hoitliche Grundgcstalt der 11. erklärt und juulore gegnerische Meinungen
über den ersten Gesang kritisch bcliandoll lial. Ribbeck, Piniol. VIII,
3, S. 475, wo er erst mit 430 — 4'.)2 die Iloimfülirung der Cbrysois , dann
mit 423 — 7 und 493 — 6 die Reise der Göller streicht, so dass sich an
422 zunächst 428 und 29, dann 497 i^eQirj angescidossen haben soll.
76
schweren, man möchte sagen, die ganze Ilias einschliessenden
Motiv der Bezwingung 216 f.:
3!uss (loch Euer Gebot, o Oöllin, wohl man bewahren,
Wie mir der Zorn auch loh' in der Brust, so ist es ja besser.
und es folgen auf die herausfordernde Rede des Agamemnon, die
in diesem Zusammenhange (wenn 188—22 ausfallen soUten) un-
geschickten und malten Verse 223 f.: nrilsidirig d' i^avtcg —
xal ovTico Xrjys %6Xolo. Wieder erhob sich indess mit be-
schimpfenden Worten Achilleus gegen des Atreus Sohn, und
noch nicht liess er vom Grimme. Man vergleiche die Schil-
derung des Agamemnon nach der Erklärung des Kalchas 103 — 105,
und frage sich dann, ob nach der Drohung des Agamemnon
184 — 188 etwas Andres folgen könne, als jenes Wogen inner-
licher Erbitterung, wobei Achill unwillkürlich schon das Schwert
lialb aus der Scheitle zieht, und ob dem Unheilvollsten auf an-
dere Weise vorgebeugt werden könne, als durch die Sendung der
Athene." — D. h. die Besonnenheit, welche Athene giebt und
darstellt, musste nach dem Glauben in Person einschreiten, da
Achill aus sich selbst sie nicht gefunden hätte. — „Aber möchte
der poetische Schade noch so gross sein, — wenn das Mittel
nur etwas hülfe. Here kommt ja schon früher vor in 55 und
56, die sich ofl'enbar durchaus nicht etwa ausscheiden lassen,
und zwar nicht hlos bekümmert im Herzen um die Danaer, son-
dern bekümmert, weil sie ihre Schützlinge hinsterben sah." Eben
mit ihren, der vermenschlichten Göttin, Augen und das vom
Olymp, nicht von den Aethiopen her.
Eben an dieser frühern Erwähnung besonders erkennen wir,
wie der Dichter die Göttinnen, welche den ganzen Krieg betrie-
ben hatten und betrieben, ohne achtsame Theilnahme an allern
Bedeutenden gar nicht denken konnte, also ohne die Theilnahme
am Unglücke der Pest, welche in Folge der Abweisung des Chry-
ses von Apoll, dem ebenfalls präsenten Gölte, erregt wurde, und
an de'm auf Anlass dieser entstandenen Zwist zwischen dem Ober-
anführer und dem ersten und verdientesten Helden. Wie keine
Pest ohne Apoll, so kein wichtiger Vorfall beim Griechenheer
ohne Antheil der eifrigsten Griechengölter: Sagenp. 180.
So nun und darnach giebt Hieckc sein allgemeines Uh'lheil
in Uebereinstimmung mit INägelsbach, der den Fehler nicht
77
in Abrede stelll, noch rechtfertigt, aber entschukligt, dahin ab,
Seite 6 der Abb. von 1857: ,, Lassen Avir also nur immerhin den
Dichter lieber einen Fehler begehen», zumal da er ein der Poesie
nothwendiger ist. Wenn die Götter erst nach der Aufhebung
der Versammlung, also nach 305, zu den Aetbiopen gingen, so
würde die Aufmerksamkeit weit mehr auf diese Reise hingelenkt
und man könnte sich wundern, dass die leidenscbaftUcben Freun-
dinnen der Acbäer, Here und Athene, gerade jetzt auf eine lange Zeit
sich wegbegeben, wo ihren geliebten Griechen so viel Unglück
begegnen kann. Und, wie komisch wii'd dann die Situation der
Thetis, die dann zu sagen hätte: Schade, dass ich das nicht ein
paar Stunden früher gewusst habe."
,, Warum sollte der Dichter, wenn er anders den kleinen chro-
nologischen Verstoss wahrgenommen hat'^^), nicht auf seine Ge-
walt über Herz und Phantasie des Hörers rechnen, die diesen
nicht zur ^^hrnebmung des Widerspruchs werden gelangen las-
sen. Hat doch erst Lach mann den Widerspruch wahrgenom-
men, ja — denselben nicht wahrgenommen, wo er wieder-
kehrt, — „da er nämlich die summarische Wiederholung {ava-
iCB(pakaC(x)6Ls) hoch belobe p. 6 und 7. Lachm'ann hätte noth-
w endig einen Schritt weiter geben und die 27 Verse 366 — 392
mit Scb. A. zu 365 für Einschiebsel erklären sollen." INach
Weiterem die Erinnerung: „Wenn doch unsere Homeriker zu
Zeiten einmal auch die neuern (schreibenden) Dichter in Ver-
gleich nähmen." Hoffmeister habe aufgewiesen, wie Schüler den
Don Carlos sich selbst widersprechen lässt, da er Act. 2 Scene 4
sagt, er kenne der Königin Handschrift nicht S. 203. ,,Noch
hab' ich nichts von ihrer Hand gelesen, aber in Act 4 Scene 5 zu
Posa S. 330 f. „Gieb mir die Briefe doch noch einmal. Einer
von ihr ist auch darunter, den sie damals -r— nach Alcala mir
geschrieben." Wir fügen hier die äiuilichen Versehen Göthe's
an, welche in jener Rec. Blatt, f. litt. Unterb. 42 iNr. 129 S. 514
128) So auchDüntzer in Allgcni. Moiialsschr. 1850, Nov. Ueber
Lachin. Kritik d. hom. Gesänge, 1. Artik. S. 280. „Ein solcher Wider-
spruch gehört zu den unmerklichen, die, da sie in unbedeutenden Dingen
liegen und sich dem Geiste des an der Ilaupthandlung hängenden Zuhö-
rers ganz entziehen, der Wirkung dos Gedichis nicht den mindesten Ein-
trag Ihun."
zu lesen sind, wie sie Schiller dem grossen Freunde in Wilhelm
Meisler nachgewiesen, und welche im Faust sich finden so gross und
wiederholt, dass die Unebenlieiten der Ilias dagegen weit geringer
erschienen. Mehr dergleichen von Shakespeare hat Düntzer
in der Rec. der Lachni. Betracht, in Allg. Monatsschr. 1850 Nov. 276
beigebracht, von Dante V'olkmann in Pädag. Revue B. 49. 1858 S.
1 05 ft. Gewiss aber gilt solche Entschuldigung von dem Dichter,
der nicht ein Geschriebenes conti'oliren kann , noch vielmehr als
von den Schreibenden , die Schreibenden aber wiederum können
öfters, sofern sie für Hörer nicht für Leser dichteten, unbeküm-
mert um Controle verfahren sein.
In der hiermit vollzogenen Erledigung der Einwürfe Lach-
ni anns gegen die Einheit des ersten Buches sind auch die von
A. Jacob erhobenen beigelegt, insoweit er eben jene nur wieder-
holt. Einzelnes, was er neu aufführt, fällt durch die richtigere
Vorstellung weg, welche von des Zeus allgemeineiti Verhältniss
zu den andern Olympiern, und von seinem Verfahren bei der
Zusage an Thetis gegen der Here Streben Homer uns zu erkennen
giebt. Die besonderen Befähigungen, die persönlichen Eigen-
sclraften hat Zeus den andern Göttern nicht verliehen, sie woh-
nen ihnen , wie den Menschen ihre natürlichen Talente bei. Göt-
terrecht aber ist diesen ihren verschiedenen Gaben schon längst
eigen, wurde ihnen schon nach dem Siege über Kronos und
die Titanen zugetheilt, wenn wir den besondern Akt der Sage
aus Hesiod hinzu denken. Verletzung desselben selbst zu strafen,
hier in seinem Priester Chryses, stand dem Apollon, als Obwalter
der Pest, selbst ohne Weiteres zu. Zeus tritt nur bei Conflicten ein.
Und wenn Jacob eine Berathung der Götter wenigstens in sofern
vermisst, weil nicht Agamemnon allein, sondern das ganze Heer
durch die Pest leidet, so ist darauf jenes Quidcjuid delirant reges
plectuntur Achivi die Antwort '^^).
Ferner durfte es eben so wenig Anstoss geben, dass der
Dichter im Eingange den Apollon als Urheber des Zwistes zwi-
129) S. die iihnliclio Widerlegung Hi ecke 's von 1857 über das
erste B. S. 8, sowie wir seinen Berichtigungen auch weiter folgen. Diese
gilt denn auch gegen Seh öm ann, Rec. S. 28. Der Zeus und der Poseidon
der Odyssee strafen das ganze Volk der Phäaken wegen der von Alkinoos
und den andern Fürsteh geleisteten Heiiuführung des Odysseus.
79 •
sehen Aganiemnoii und Achill angiebt. Dass heisst, die naiven Worte
des Dichters pressen — Avie mehr dagewesen. „Der Gott ist es
unmittelbar," entgegnet Hiecke mit Recht, und weist anderes
von Jacob Vorgebrachte gleichfalls mit natürlichem Sinne ab.
Hierauf folgt desselben Kritikers Ilauptausstellung. Das w elt-
berühmte Neigen des Hauptes und Schütteln der ambrosischen
Locken, dass den Olymp erschüttert, war das Bild, welches
nach vielstünmigem Zeugniss dem Phidias bei Entwm'f und Aus-
führung der allbewunderten Statue in Olympia vorschwebte"").
Es soll nicht aus Homers Seele sein, die an sich prachtvollen
Verse 524 — 530 müssen, als in die Verhältnisse nicht passend,
unecht sein, S. 170 — 174. „Das begeisterte Auge des Phidias
hätte sehr begreiflich die Bedenken nicht gesehen, noch beach-
tet." Dass dieses Bedenken gar nicht statt habe, zeigt Hiecke
durch das präsenteste Eingehen in die beseelten Sinne und Ge-
müther der Personen.
Seine Erwiderungen auf die von Jacob aufgestellten Gründe
lauten :
Jac. 1: ,,Thelis luusslc natürlich wünschen, mit ihrer Bitte um
Unglück für die Acliäer von Here nicht bemerkt zu werden, und eben
dies wünscht auch Zeus auf das Lebhafteste, 518 — 23. Wie kann dann
aber Zeus seinem eignen Wunsche so entgegenhandeln, dass er Ge-
währung verheisst mit einer Geberde , von der die Höhen des Olymps
erbeben? Davon soll Here nichts merken? Müssen wir da nicht bei-
nahe nolhwendig auf die Vermulhung kommen, auch hier sei in die
einfachere Erzählung später — diese Einschaltung gekommen?" 170.
Hiecke: „Vielleicht müssen wir es doch nicht, so lockend aucii
der Verf. seine Vermuthuiig zu machen weiss."
Jac: „Thetis konnte eine solche Bekräftigung der Zusage von
Zeus nicht gewünscht noch erwartet haben", 171, und ,,cs bedurfte am
wenigsten Tiielis, selbst eine der Urgöttiunen, der Erklärung des Zeus,
was ein solcher Wink von ihm zu bedeuten habe." 172. Welch Ver-
kennen der Plastik !
Hiecke: ,,Mit gleichem Beeilte köiuUe man dem Achill Vorwürfe
machen, dass er der Mutter erzäidl, was. wie er 365 selbst sagt, sie
schon wisse. — Woher weiss aber J. , dass Th. eine so feierliche Be-
kräftigung unerwünscht sein müsse? Sehen hat sie sich freilich von
Here nicht lassen wollen, weil diese sonst hätte interveniren können,
aber die Versicherung muss, je feierlicher, um so erwünschter
130) Die Ilauptstellen Dio. Chrysosl. XII 412 B. 248 Emp. und Slrabo
VIII 354. S. weiter Bealencykl. V 1456. üverbeck, Gesch. d. Gr. Plastik 1,
200 f.
' so
dem Herzen der Mutter sein, die nur Rache für die Ehrenkränkung
des Sohnes wünscht. Auch fordert sie ausdrücklich 514, er solle ihr
ganz entschieden sich erklären." II. fügt hier üher J. sprachliche Be-
merkung hinzu: wo dem xaTavsvsLv, dem Winken der Gewährung,
eiuvjioßiso vorhergehe, hleibe natürlich dem zweiten Zeitwort die sinn-
liche Frische. Vergl. 15, 75.
Hierauf giebt H. zu, dass Zeus durch seine den Olymp er-
schütternde Geberde mit seinem Wunsche, dass Here nichts merke,
in Widerspruch trete, aber die Bezeichnung des Falles, dass Zeus
nach Jac. mit Thetis eine Verhandlung gehabt, sei nicht die
richtige. „Zeus, sagt er, will nicht mit Th. etwas verhandeln,
die Unterredung hat nicht den Charakter einer thatsächlichen
Geschäftsmässigkeit, sondern persönlicher Erregtheit."
,,Zeus ist in dringlicher Weise an den von Thetis geleisteten
Dienst erinnert worden, den wir aus Achills Worten kennen, 396 — 406,
und kann sich doch nicht entschliessen zuzusagen , was ihn in eine
schlimme Scene mit Ilere bringen niuss ; aber er schämt sich doch
auch abzuschlagen, daher erwidert er erst nichts, sondern in stum-
men Gedanken sass er langhin vor ihr, 512. Jedoch Thetis
lässt niclit ab, und sie versteht es, ihm die Versagung unmöglich zu
machen, die, Gewährung abzunölhigen."
„Truglos, Vater, gelobe mir jetzt, und winke tiewährung,
Oder verweigere mir's, Furcht kennst Du nicht, dass ich erkenne.
Wie von den Göttinnen ich die verachteste bin unter allen."
Hierdurch verschmolz sie ihre Angelegenheit auf das Liuigste mit des
Zeus Herrscherehre und eigenstem Interesse.
H. ruft aus: Wahrlich Shakespeare und Göthe haben keine
grössere Meisterschaft in der Schilderung des Weibes an den Tag
gelegt! Zeus ist im Gedränge, kann er da Anderes, als Wider-
sprechendes thun? Thetis hier, Here dort, aber Thetis hat ihn bei
seiner Ehre, seiner Herrscherehre gefasst — braucht er sich doch
nicht zu fürchten? — Also: eine Klage freilich über die Unan-
nehmlichkeit, in welche ihn Thetis versetzt, kann er nicht zu-
rückhalten und besser freilich, Thetis bleibt unbemerkt, aber —
komme es, wie es wolle, sie erhält die Gewährung, und er er-
theilt sie mit dem ganzen Hochgefühl ihrer Bedeutung (Zuver-
sicht seiner Macht).
So also Hiecke's Erledigung der Hauptsache; was noch
über Here folgt, mag man selbst nachsehn.
üeber die alsbald folgende Begegnung des Zeus mit Here
in der Götterversanmilung, die dem eintretenden Oberkönig durch
81
ihre Ehrenbezeigung ihre Unterordnung l)ekennt, bedarf es, meine
ich, nur der Hinweisung auf Zeus Worte 545: „Here, hoffe
doch nicht, all' meine Gedank en zu wissen" und, wie er
weiter ihr die Stellung zu seiner Machtfülle umsclireibt, sich er-
gänzend durch die Drohw orte 562 — 567, Auf Gund dieser Wei-
sung finden wir ihn dann in den nächsten Büchern, nachdem
er den Plan, wie er seine der Thetis gegebene Zusage verwirk-
lichen wolle, gefasst hat, eben zunächst nur bedacht, den vollen
Krieg zu erregen, so dass er insoweit mit Here übereinstimmt.
Die aus dem Kriegsbrauch hervorgehenden Hergänge veranlassen
ihn dann zu der Schlauheit des vierten Gesanges.
Hiecke schliesst seine Abhandlung mit einem besonderen
Lobe des ersten Buches und einem allgemeinen des Dichters.
„Ja, wahrlich Homer hat den Griechen ihre Götter gemacht —
und er hat sie gemacht mit genialer Ironie" u. s. w. Die fol-
gende Charakteristik der olympischen Scene schliesst er mit den
Worten: „und zuletzt sucht jeder das Bett — und Zeus und Here
suchen es auch." Ihm galt also das Bedeoken nicht, welches
Gross bewog, den letzten Vers als unecht zu streichen. Er
verknüpft nur die folgende Rhapsodie mit dieser durch die letz-
ten Worte: „Aber wird wohl Zeus ruhig schlafen können? Achill
soll gerächt werden durch blutige Niederlage der Achäer, werden
diese, wird Agamemnon Lust und Mutli haben, auszuziehen zum
Kampfe? Das kostet auch dem Herrscher Zeus Sorge und Ueber-
legung, Sorge und Ueberlegung sind Feindinnen eines ruhigen
ungestörten Schlafes."
Wir sehen, Hiecke fand, wie viele Andere das ovx axs
vi]öv}iog VTivos zu Anfang des zweiten Gesanges nicht anders, als
im Gegensatz des vorhergehenden jiavfvxi'Oi, zu verstehn, der
Schlaf hielt ihn nicht fest''').
131) Ausführlich hierüber A. .In coli, S. 176 und 77, wo er auch
auf jenes von Gross über den Srlihissvers des ersten Gesanges erregle
Bedenken das Befriedigende hcihringl. Ueber das e'x? führt er schon
ausser der ganz gleiclien Stelle II. 10, 2 — 4 die idinliclie Od. 15, 4 — 8 an.
wo man das , .durch die and)rosische Nacht" willkürlich deuten niüssle,
wenn man hier s'/^i anders versleiien wollte als hielt fest. Erst der
Aorist als die Zeitform des Faklischcn würde mit der Verneinung die
Deutung auf völlige Schlaflosigkeit reclilferligen. Das überkam oder er-
fassle ist seihst II. 24, 679 hei h'iAocjTCTS zweifclhaTl.
Nilzscli, Gösch, d. g^rioch. Epos. 0
. S2
Mit der Ueberlegung des Zeus wird er dann auch die Sen-
dung des Traumes und den dadurch erregten Krieg erkannt haben,
genug die Zusammengehörigkeit des ersten und zweiten Buches.
So hat sich an den letzten Gesängen der IHas, an ihrem
9., und an dem ersten, Lachmanns und der Beistimmenden Ur-
theil und Bemühn um Herstellung einzelner Lieder als verfehlt
erwiesen. Wir luiden in anderer Weise aber in dem verneinen-
den Ergebniss das Gleiche in den mannigfachen Behandlungen
der Mittelpartie vom 11. Buche bis zum 15. aus der Lachmann
sein 10. Lied bildet.
17. Die vielstimmigen Ansichten über das 11. bis
15. Buch der Ilias.
Die Partie der Ilias, die mit der s. g. Aristie, dem Vor-
kämpfergang des Agamemnon, oder nach der Alexandrini-
schen Abtheilung in die 24 Bücher mit dem 11. Buche beginnt,
und bis zum Schluss des 15. reicht, erinnert vor allem Andern
an die organische Anlage des Ganzen, sie bildet den Kernpunkt
derselben, wie der üeberblick lehrt. INachdem nämlich gleich
durch die Entfremdung des Achill vom Oberfeldherrn, und den
Weggang des Gekränkten zu seinen Zelten in die Unthätigkeit
die ganze Handlung in zwei .Ausgangspunkte geschieden ist, folgt
zunächst die Erregung des vollen Krieges mittels des täuschen-
den Traumes und ein wechselvoller Tag; da Zeus die Verwirk-
lichung seines Plans noch verschiebt bis zum Ende des 7. Buches,
poetisch ein Expositionstheil. Im 8. verkündet Zeus den beiden Par-
teien der Götter das Verbot der persönlichen Theilnahme, und der
ungehorsamen Here den Bereich seines Beschlusses, jetzt dem
Hektor Sieg zu verleihen zum Verderben der Griechen: 473. f.
Denn nicht rastet er eher vom Streit der gewaltige Hektor,
Eh' er erregt an den Schiffen den flüchtigen Renner Achilleus.
Und noch hi diesem Gesänge erreicht der Sieghafte das erste
Stadium seines Erfolgs und des Leids der Griechen:
Nahe den Schiffen , der Maner gerückt sind Lager und Nachtwacht
„wie Odysseus dem Achill 9, 232 (f. vorhält, ,,und es halte sie
Nichts mehr, sagen sie, nun sich bald in die dunkeln Schiffe
zu stürzen." Was er hinzufügt, die Troer stehen im grössten
Uebermuth, und Hektor drohe, die Schiffe zu verhremien, das
83
war nach 8, 498 f. wirklich von Anfang Rektors Absicht. So
schliesst sich im 9., bei der durch den grellen Gegensatz zum
vorherigen Verhalten der Troer entstandenen Furcht, die Gesandt-
schaft an Achill an. Am Ende dieses Buches spricht der immer
kampfmuthige Diomedes aus, was nun nach Achills unerbittlicher
Antwort zu thun sei, und mit allgemeiner Zustimmung. Das 10.
Buch wird von beiden heutigen kritischen Parteien meistens für
Einschiebsel erklärt, ob es gleich den Umständen eingefügt ist '^^).
Hier also tritt unsere Partie ein. Sie bildet den Kernpunkt
der von Anfang auf zwei Ausgangspunkte gestellten Handlung:
während im Verlauf des 11. Buches das Leid des Heeres in der
Verwundung der drei bedeutenden Helden, des Agamemnon,
Diomedes und Odysseus , zum zweiten Stadium gesteigert v.ird,
wird Achill, der die Versöhnung abgewiesen hat, zunächst doch
achtsam er sieht von einer Warte den Nestor auf seinem Wagen
einen Andern zu den Zelten fahren und sendet seinen Patroklos
an diesen, zu erkunden, wer doch der Verwundete sei. Diese
Sendung hat im Verlauf der Handlung die weitreichendsten Folgen.
Schon der Zusammenhang des Eingangs, der Arislie des
Agamemnon mit dem Vorhergehenden hat allerdings seine Schwie-
rigkeit. Jedoch die Sendung des Patroklus und seine späte
Bückkehr sammt dem Verhältniss seiner Meldung zum Auftrage
haben mehr als irgend ein Anderes die entgegengesetztesten Auf-
fassungen erfahren. Die Erörterung über das Ursprüngliche in
der Dichtung vom Zorn des Achill, ob Einzellieder oder eine
umfängliche Epopöe, hat sich niigends so wie hier zum leb-
haften Streit, als gälte es die Feste selbst, gesteigert. Einmüthig
sind beide Parteien nur in der allgemeinen Ueberzeugung von
geschehener Interpolation, sei es durch die Vortragenden oder
auch die (schriftlich) Zusammenfügenden. Aber wenn auch INie-
mand die Gedichte wie aus Einer Hand unverändert überliefert
glaubt, also Niemand zum vorwolfischen Standpunkt zurückgeht,
so werden doch über die Kennzeichen der erkennbaren Ver-
132) Vor Allem s. Düntzer Pliilolop., XII, 41 — 59. Auch wer wie
Gruppe Ariadne, S. 278 — 80, für diese Rhapsodie durch das dramatische
Leben darin besonders eingenommen ist, kann sie nur für eine lose ein-
gehängte Episode erkennen So auch Bau ml ein in Grunde trotz seiner
Vertheidigung , Ztschr. f. Allerth. 1848, S. 341 f.
6*
84
änderungen und die Geltung der einzelnen wiederum Verschieden-
heilen obwalten.
Ein Standpunkt des llrtheils über beide Parteien kann nur
dadurch gewonnen werden, wenn beider Methode in unläugbares
Licht gestellt wird, wonach dann der Vorzug denen zugesprochen
werden darf, deren Verfahren als das von der Geschichte vor-
geschriebene nachgewiesen wird.
An dieser Stelle ist nur das nachzuweisen, dass die bis-
herigen Ergebnisse der Anhänger Wolfs weder sie seihst unter-
einander zur Einigung geführt, noch irgend einen vor den Ein-
würfen Ajulerer sicher gestellt haben. Das aber ist schon hier
hervorzuheben, dass den gleich unten zu nennenden Hauptlrägern
der Auflösung in Einzellieder ausser den gewöhnlichen Gegnern
noch andern entgegentreten. Es sind das die, welche ihre leb-
hafte Anerkennung eines so hoch begabten Dichtergenius Homer,
der zur wahren Epopöe das Muster gegeben , zwar entschieden
aussprechen, aber diese Ueberzeugung und die Annahme einer
planvollen Ilias nicht anders für erweislich halten, als durch
Ausscheidung grosser Partieen. Also beide Parteien weisen Ein-
schiebsel nach und öfters dieselben. So geschieht es gerade bei
der genannten l'arlie, wo Achill, der bis dahin grollend in seinem
Zelte seinen Sinn durch Singen früherer Sagen gelal)t hatte,
jetzt zuerst auf den Gang des wohl sich nähernden Kriegslärmes
aufmerksam wird, und den Dienstmann mit jener Frage an Nestor
sendet.
Es sind hier vornehmlich zwei Bedenken und streitige Punkte,
welche die Untersuchung beschäftigen. Zuerst ist das wahre
Verhältniss mit dem Arzt Machaon, den nach dem jetzigen Texte
Nestor als verwundet durch den Pfeil des Paris (505 — 7) zu
seinem eigenen Zelt fährt, schon Manchem zum nicht lösbaren
Problem geworden. Noch mehr aber hat die Sendung des Pa-
troklos, seine späte Rückkehr zu Achill und seine von dem Auf-
trage auffällig abweichende Rückmeldung Anstoss gegeben. Er
erhält durch Nestor Nachricht von der Ver\^undung nicht blos
des Machaon, sondern der drei so Bedeutenden und hört sie in
aufgeregtester und ihn selbst bewegendster Aeusserung. Dazu
einen Rath, wie er den Achill angehen möge. Daher ist er, l»a-
troklos offenbar schon jetzt wie innerlich selbst zur Befolgung
85
des Rathes betrieben, sei in Belracbt des zornniütliigen Achill
zur Eile gestimmt (804 1'.). Aber in der vorliegenden Parallel-
erzählung verweilt er sich gar lange hei Eurypylos, der ihm auf
seinem Rücklaufe als der fünfte Verwundete begegnet (809) und
ihn bewegt, ihm zur Hülfeleistung in sein Zelt zu folgen.
Es ist hier zu unterscheiden: dass der in sich und durch
den Gedanken an Achill Eilige dem Eurypylos doch willfahrt,
ist doppelt motivirt. Die Wunde wird als eine schwere be-
schrieben li, 811 — 13 und Eurypylos vervollständigt, wie er
unmittelbar aus dem Kampfe konnnt, dem schon Trauervollen,
auf dessen fast verzweifelnde Frage 815 — 21, das Jammerbild
durch eine Antwort völliger Muthlosigkeit, wonach die Griechen
bei der Kampfunfähigkeit jener Drei es wohl nicht vermögen
werden, das Unheil abzuwenden. So erfährt Patroklos, dass die
Sache soeben auf einem Punkte der Entscheidung und gespann-
testen Erwartung steht. Insoweit also ist die Einkehr des Eiligen
bei Eurypylos genugsam gerechtfertigt. Dass Patroklos dem schwer
Verwundeten beizustehen, sich in seinem milden Herzen bewegen
lässt, ist vollends natürlich, da er, wie Eurypylos bei seiner
Bitte geltend macht 830 — 36, die Heilung wie ein Arzt ver-
steht, Machaon aber selbst des Arztes bedarf. Aber neben die-
sem Beweggrunde wirkt nach dem, was aus der ausdrücklichen
Angabe des Patroklos Gemüthsstimmung natürlich ergänzt werden
kann, jener das bewegte Herz spannende Stand des Kampfes.
So lange, als dieser Stand noch obschwebt, d. h., der Kampf
noch vor und bei der Mauer fern von dem SchilTslager geführt
wurde, mochte der Heilkundige dem Verwundeten Heilmittel und
Ansprache widmen. So lautet es nun bei dem Dichter selbst
— aber freilich erst weiterhin, nach 12, 1 erst 15, 390 — 404,
wo die Verse 390 H'. eben den noch bei der Mauer wogenden
Kampf als die Dauer seines Verweilens bezeichnen, dann 395
seinen Aufbruch. Aber sobald er zur Mauer die stürmenden
Troer heranziehen sah, und Angst und Geschrei sich erhob im
achäischen Volke, jammerte laut er sodann und rief weh-
klagend die Worte: Jetzt Eurypylos kann ich — hier nicht län-
ger verziehen u. s. w.
Da muss man freilich fragen, wie sich diese Angabe von
des Patroklos Verweilen während alles dessen, was die Parallel-
86
erzählung vom Anfang des zwölften Gesanges bis zu der ange-
führten Stelle des fünfzehnten umfasst, in statthafter Weise deu-
ten lasse. Von allem Andern jetzt abgesehen, die Troer —
deren Bewegungen Patroklos aus seiner Ferne allerdings nur im
Ganzen erschauen konnte — sind zweimal gegen die Mauer nicht
blos gestürmt, sondern sie haben sie zweimal durchbrochen und
überschritten. Während der ersten Zeit, da Patroklos den Eu-
rypylos behandelte, wie in 11, 844 — 48 und 12, 1 angegeben
ist, hat Hektor, wie er nahe vor Graben und Mauer mit seinem
Heere stand, mit Zurücklassung der Wagen auf Pulydamas Rath,
zwar eine Weile tapferen Widerstand erfahren, aber nachdem Aias
und Teukros von der Stelle weg dem Menestheus zu Hilfe ge-
gangen, durch Zeus Beistand die Mauer, deren Thor er sprengte
(12, 457- — 62} durchschritten, und sind seine Troer theils da
eingedrungen, theils als Fussgänger sonst übergesprungen. So
am Ende des zwölften Buches. Aber im dreizehnten und vier-
zehnten werden die Troer wieder zurückgetrieben und Hektor
kampfunfähig weggetragen. Das geschieht in Folge erst der zu
grossen Zuversicht des Zeus zur Wirkung seiner Bedrohung der
Griechengöttinnen, sodann der List der Here, besonders durch
Einschreiten des Poseidon. Darauf stellt im fünfzehnten Apollon
in Zeus Auftrage und Zeus selbst den vorigen Stand wieder her,
führt mit der Aegis den Hektoi* und die Troer wieder vorwärts,
und wirft die Mauer weithin nieder 15, 355 ff., so dass die
Achäer in Bedrängniss und Mühsal zurückfliehen (365 f.), die
Troer aber bei einem zweideutigen Wetterzeichen des Zeus, es
für sich deutend, gewaltig vordringen (379), jetzt mitsammt
ihren Wagen und bis nah zu den Schiffen gelangen, sodass die
Achäer nur von den Schiffen herab sich vertheidigen.
Was also hat Patroklos hiervon erst noch abgewartet,
und ebenso, was sah er, das ihn endlich forttrieb? Der
Vers 15, 395: Aber sobald er zur Mauer die stürmenden Troer
u. s. w., er wird grammatisch besser auf das letztere Vordringen
gedeutet , dabei bleibt aber das Vorhergehende unklar , wir
müssen denken, Patroklos hat jenes Frühere, mit Eurypylos be-
schäftigt nicht beobachtet noch gesehen. So ist Schümann '^^),
133) Reo. der Sageiip. N. Jahrb. B. 69. S. 18 f. Der Austoss, als sei
es zweimal Älittag, ist freilich Nichts als ein Versehen, denn allein 16,
87
der dabei zumeist an den Angaben von dem Mittag dieses Tages
anstösst und die Menge des gleichzeitig oder in Kürze Gescbehnen
auch seinerseits für midenkbar erklärt, bewogen worden zu dem
Urtheil: „Die ursprüngliche Erzählung hat später Erweiterungen
erfahren, die schwerlich von demselben Dichter herrühren können,
der im 11. Buch die Schlacht begann und sie im 12. bis zur
Erstürmung der 3Iauer führte". — ,,Dazu denke man, dass, wenn
Alles, was vom Schlüsse des 12. bis zu 15, 390 steht, ausge-
lassen wird, sich nicht nur die ganze Erzählung ohne irgend
welche Lücke schicklich zusammenfügt, sondern auch noch ein
anderer nicht geringer Anstoss verschwindet, das unglaublich
lange und müssige Verweilen des Patroklos im Zelte des Eury-
pylos". Schümann lässt damit die Sendung an Nestor und
die Umstände des 3Iachaon gelten, aber das im 13. und 14, Er-
zählte, die Unachtsamkeit und Einschläferung des Zeus, des Po-
seidon Einschreiten, die ganze Schlacht an den Schiffen und das
zweite Vorgehen des Rektor durch Apollon fallen Aveg.
Anders, gerade durch die umgekehrte Entscheidung über
jene Sendung und Machaon, und andererseits über die Schlacht
bei den Schiffen, bemüht sich ein Anderer der vermittelnden
Ansicht mittels Ausscheidung verschiedener Einschiebsel eine
umfänglichere Dichtung herzustellen. Es ist Färb er im
Brandenb. Programm *^^), Er stimmt erst G. Hermann de inter-
777 wird der Mittag bezeichnet , von dem on die Sonne niederzugehen
beginnt, das. 779. Dagegen 11, 86 wird mit der öfters wiederkehrenden
Formel vom aufsteigenden Tage der spätere Morgen genannt, wie 8, 66
und 68 sie ja aufeinander folgen. Man vergl. nur Od. 4. 400 und 9, 56
und 58, wo der ganze Vormittag und der gaiize Nachmittag durch die
beiden Formeln angedeutet werden. In II. 11, 86 wird nach der Angabe
des aufsteigenden Tages 83 der folgende Zeitpunkt in der beseelten
Weise, wie Od. 12, 439 der Abend durch das Abendessen des Richters,
so hier durch die Hauptmahlzeit des Holzliauers augezeigt, der von früh
an gearbeitet hat, „und schon vor dem eigentlichen Mittag hungrig ge-
worden, ein grosses Frühstück einnimmt". So entgegnete schon I) ün t z e r
derselben Ausstellung Lachmanns in Rec. der Betrachtungen N. Jahrb.
B. 61, 341, mit Ilinweisung auf die einstimmige Erklärung aller Scho-
ben*'. Die mittlere Morgenzeit um 9 oder 10 Uhr. Derselbe bemerkt an-
dere Unrichtigkeiten.
134) Von 1840 auf 41. Disputatio Homerica; auch Düntzcr in
jener Rec. S, 340 und 43. — Färber erkennt S. 12 und 13 als unecht
jn jenen Büchern folgende Stellen: 11, 502—520 und 596—848, 12, 1 -34,
88
polationibus zwar in Beseitigung des Machaon, und auch der
Sendung des Patroklos bei, ja gehl noch etwas weiter, hält aber
mit entschiedenstem Widerspruch den ganzen Zusammenhang
des 13. und 14. Buches mit dem Schluss des 12. aufrecht''^).
Das Endergebniss über die l'ragliche Partie stellt er in Folgen-
dem S. 13 auf: Nach Beseitigung der unechten Stellen hat man
einen so wohlgeordneten Gang, dass Alles, was vom Anfang des
II. Buches an bis zur Erlegung des Hektor (bis zu 22, 366?)
erfolgt ist, nicht nur ein einiges Ganze bildet, sondern sich auch
eine solche Vertheilung und Verbindung der Glieder ergiebt, wo
Alles dem einheitlichen Plane entspricht, wie er aus dem tief-
sten Sinne des Dichters hervorgegangen ist, und wir sehen nun
nicht einen entstellten, verdrehten, von ihm selbst zerstückten
Homer, sondern einen derartigen, wie wir ihn der höchsten
Bewunderung aller Zeitalter für vollkommen würdig erkennen
und selbst schätzen. Auch besorge ich nicht, man werde in
diesem Eindruck sich durch das Gespräch des Patroklos und
Achill im Anfang des 16. Buchs stören, und ein Bedenken gegen die
Verwerfung der Sendung des Patroklos, wo er die Niederlage mit
eigenen Augen gesehen, aufkommen lassen. Es habe, meint hier
Färber, der, welcher die Sendung eingeschoben, nicht be-
achtet, wie auch Dinge, die dem Hörer (hier Achill) recht wohl
bekannt, oft in gemüthlicher Aufregung hervorgehoben würden.
Patroklos wie Achill haben nach seiner Meinung aus ihren Zel-
ten Alles wahrnehmen können '^^). Sein gut fortlaufendes Gedicht
13, 43 — 82, 126 — 329, 643 — 659, 685 — 700, als wenigstens ver-
dächtig, 721 — 14, 152, oder auch 13, 643 — 14, 152, 362 — 388, 15,
390- — 405. Das Echte demnach: IJ , 1 — 501, die Aristie des Agamem-
non und die Verwundung der drei Bedeutenden , 521 — 595. Hektor von
der Linken wieder Iiervorgelreten, Aias von Zeus geschreckt; 12, 35 bis
zu Ende, der Kampf und Uektors Ucberw-ältigung der Mauer; 13, 1 — 42,
83 — 125, 330 — 684, 685 — 700, vielleicht 795 bis Ende auch nicht
ganz sicher, 14, 153 alles Folgende mit Ausnahme von 362 — 388. Also
ist behalten, was nach Schöniann wegfiel, der Kampf an den Schiflen,
und ebenso das 15. Buch, von dem nur die Verse vom Anfliruch des Pa-
troklos 390 — 405 wegfallen.
135) Lachmann, einauilhig mit Ilerniarm S. 30. Lachmanus ver-
meintlichen Beweisen entgegnet auch Düntzcr mit guten Gründen a. a. 0.
S. 347 bis 349, der seinerseits auch viel mit Ausscheidungen verfahrt.
136) Färber nimmt sehr kühn an, Machaon und Nestor hätten in
89
hat Färber in der beschriebenen Weise freilich nur summarisch
meinen können, da er in den für echt erkannten Partieen ein-
zelne Interpolationen nicht ganz ausschloss, doch nahm er sicht-
lich einen grösseren Umfang an. Ohne Weiteres die Stellen zq-
sammengezählt, geben sie über 6600 Verse, schon eine Länge
des Vortrags, den ein einziger Rhapsode wohl nicht durchführte.
So hält Färber bei eigenthümlicher Scheidung des Echten
vom Unechten in seinem Urtheil über jene Mittelpartie G. Fler-
mann gegenüber am Plane des gefeierten Dichters, des Homer,
also an der Annahme einer grösseren Composition fest. Von
Lach mann kannte er bei Abfassung seines Programms (Mich.
41) nur die Betrachtung der ersten zehn Bücher; aber wenn
er sich S. 28 enthusiastisch als dessen Jünger und Nacheiferer
bekennt, hat er einerseits dessen Ausstellungen am ersten, zwei-
ten, dritten, gelegentlich auch am fünften Buche trotz jenes
Enthusiasmus mit concreten und prinzipiellen Einwendungen be-
stritten, andrerseits ohne sein Wissen in seiner geschickten Ver-
eitelung der Hermann'schen Gebilde, sowie durch seine eigene
Gestaltung des umfänglichen Gedichts ein gut Theil der zweiten
Abhandlung Lachmanns mit Erfolg angefochten. Und ist er es
doch, der für diese Untersuchung den einzig richtigen Grundsatz aus-
gesprochen hat S. 28. ,,Nun frage ich", heisst es, ,,ob man auch
hier Verse tilgen will, die als Charakteristik so annehmlich die
der ursprünglichen Erzählung das Scldaclitfeld gar nicht verlassen, Pa-
troklos sei weder nach dem Text von Achill gesandt, noch, wie Hermann
annimmt, aus eigenem Antriebe zu Nestor gegangen, um sich zu erkun-
digen, wie es stehe. Wenn er liei dieser Abweichung von Hermann nun
sich doch darauf stützt, es sei von diesem bewiesen, dass (he Sendung des
Palroklos undenkl)ar sei, so hat er so wenig, wie sein Vorgänger (he
Rede des Nestor gehörig erwogen. Hermann urtheilt Up. V, 60 und 61
ül)er diese Rede 11, 65.^ — 803 noch ciienso in Bausch und Bogen, wie
ehedem Praef. ad hymn. p. IX, und nur S. 62 bemerkt er, sie erfordere
eine längere Betrachtung, auf die er nicht eingehen könne. So unter-
scheidet er nirgends, dass freilich die Verse 664 — 762 nicht blos in ein-
zelnen mythischen und sprachlichen Ahweichung^en, sondern durch die
so ganz unzeitige und unnütze Ruhmredigkeit, zu der noch andere Gründe
kommen, sich als Einschichsol erweisen (Moritz de 11. lihro IX, p. 20), dass
aher, wenn diese ausgescliieden sind, eine sacligemässe und cliaraklervüilc
Erwiderung und Anspraclie übrig bleibt. S. auch Düntzcr. N. Jahrl).
B. 61, S. 346 in der Irefllichen Widerlegung der Lachmanu'schen Sätze.
90
Stelle 5, 347 — 430 (der Aphrodite Verwundiinj;; und Rückkunft
in den Olymp) anmuthig schmücken, statt das? man einsieht,
man habe sich zu hüten, dass man nicht bei Beur-
theilung dieses Gegenstandes nur dem eignen Ge-
schmacksurth eil folge, mag es auch wie dieses Lach-
mannsche sich durch Scharfsinn und Eleganz noch
so sehr empfehlen. Muss doch nollnv endig allen
solchen Meinungsäusserungen eine genaue, aus Ho-
mer selbst geschöpfte Einsicht zum Grunde liegen
von dem, was in der epischen Poesie das Gesetz-
mässige sei. Denn dass Alles und Jedes durch der
epischen Poesie Natur und Wesen, und einen diesem
e i g e n t h ü m 1 i c h e n Gebrauch b e s t i m m t werde, könne ja
Niemand in Abrede stellen".
Nach diesem Allen mag Färber von Lach mann zwar die
Anregung erhalten haben, aber sein Verfahren gehört nicht
unter das Prinzip herzustellender Einzellieder, sondern unter
das, wozu Wolf am Schlüsse seiner Vorreden zu den früheren
Ausgaben S. XXVI sich bekennt, dem zweier ursprünglich klei-
neren Epopöen.
Nur unter dasselbe kann man gewissermassen die Auf-
stellungen des bereits erwähnten Düntzer fassen. Ihm gestal-
ten sich zum deutlichen Unterschiede von Lachmann mehre
Lieder grösseren Unifangs. Aus dem Expositionstheile der Ilias
scheidet er die Partie vom 3. bis 7. Buche als ein eignes Lied
aus. Die ihm so verbleibende Ilias zerfällt ihm aber wieder in
zwei grosse Gesänge mit zwei Haupthandlungen. Mit preis-
würdiger Achtsamkeit auf die Gemüthsstimmung, die sie beide
beseelen, unterscheidet er die zweite (zu viel thuend) von der
ersten. Die erste hat den Zorn Achills zum Gegenstand, der
für beide Theile der Achäer unglücklich ausfällt, indem die
Achäer viel Weh erfahren, und Achill selbst den Patroklos
verliert — „ein herrlicher Gesang, in welchem uns die hohe
Wahrheit so nachdrücklich vorgehalten wird, wie blinde Leiden-
schaft die iMenschen verblende und ihnen unsägliches Weh mache
— antik Ate (II. 7, 85 ff.). Achill selbst bat das Unglück der
Leidenschaft erfahren, und giebt die Hand zum Frieden, nach-
dem er den Freund verloren hat ." „Die Bache an dem
91
Mörder des Patroklus bildet wieder eine grosse epische Einheit
für sich (?), in weicher der Gedanke, dass es noch ein schö-
neres Gefühl giebt, als die Rache, das der Entsagung, hoch-
gefeiert wird"'^^). Diese' so wenig eingehende Charakteristik
widerlegt der thatsächliche Fortschritt selbst.
Jene so begrenzten Lieder eines Mittelmasses sind nach
Düntzer von vielen kleinen Einschiebseln zu säubern, und so
auch gerade die Partie, wo Achill zuerst wieder mit dem Heere
der Griechen in Verkehr tritt. Aber über Machaon und die
Sendung des Patroklus hat er auf Hermanns u. A. Ausstellungen
die befriedigendste Erwiderung '^'^). Er zeigt, wie es dem Dich-
ter nur darum zu thun war, den 3Iachaon verwundet aus der
Schlacht kommen zu lassen, um hierdurch einen Uebergang
zur Peripetie des Gedichts zu gewinnen; wir haben gerade hier
die besonnenste künstlerische Absicht des Dichters anzuerkennen.
„In der Sendung des Patroklos spricht sich Achills wieder-
erwachende (nicht zur Zeit noch fast nur schadenfrohe? — ) Theil-
nahme an dem Schicksale der Griechen aus. Diese Sendung
aber hat einen Erfolg, wie ihn Achill gar nicht erwartet hatte,
da Patroklos durch das Unglück der Griechen, welches Nestor
und der ihm begegnende Eurypylos so lebhaft schildern, innigst
ergriffen wird, so dass er an Nichts denkt, als an den von Nestor
ihm ans Herz gelegten Wunsch , den Achill zum Beistande zu
bewegen und darüber den Zweck seiner Sendung vergessen
hat '^^). Und eine solche offen vorliegende künstlerische Absicht
137) Düntzer Homer und der epische Kyklos, Köln, 1839. Anhang.
Die Zusamniengehörigkeil der l)eiden damals iinlerschiedenen Handhuigen
hat der Verf. in der Abh. Rh. M. xN. f. 1847 S. 578 offenbar einge-
sehen.
138) Rec. der L. Betrachtungen in N. .Ihrl». B. Ol, S. 343 f., wo vor-
iiergeht: „Die Wunde ist unbedeutend und wir müssen annehmen, dass
Idomeneus gleich den Pfeil aus der Schulter gezogen hat, w^e Odys-
seus dem Diomedes 397 f., ein Umstand, dessen Verschweigung man dem
Dichter, wie ähnliche sonst, nicht hoch anrechnen darf." S. weiter auch
über die Stärkung, welche Nestor dem Ermüdeten in seinem Zelte reichen
lässt und die ganze schöne Erörterung.
139) Die Auslegung s. Sagenp. Kap. 42. S. 235 — 39. Die FJedeiikon,
welche Schütz de Patrocliae compos., Anklam 1854, festhält, müssen ihm
bei wiederholter Erwägung selbst schwinden.
02
konnten Henuann u. A. völlig verkennen! Die Verwnndung
des M a c h a o n und des E u r y p y I o s sind dem Dichter
n u I" Mittel der M o t i v i r u n g , d a s s P a t r o k 1 o s auf seine
e i g e n e B i 1 1 e v o n A c li i 1 1 in den K*a ni p f g e s a n d l werde;
diese Mittel aber hat der Dichter so leicht als nnöglich behan-
delt (Schneidewin), woher er auch jede weitere Erwähnung des
Machaon und des Abschiedes des Patroklus von Eurypylos ver-
meidet, denn 14, l — 8 und 15, 390 — 405 werden wir als
Einschiebsel ausscheiden müssen (?), so dass wir den Patroklos
erst bei Achill wiederfinden".
18. Lachmauns gewaltsame Gestaltu n g seines zehn-
ten Liedes, von dessen Jüngern mo dificirt, je-
doch ohne die beabsichtigte Wirkung.
Die Herstellung einzelner Lieder haben ausser Hermann
eben Lach m a n n und zwei eil'rige .lünger desselben , C a u e r :
Lieber die Urform einiger Hhapsodieen der Uias,
Berlin 1850, und Ribbeck im Philol. VHI, 3, 480 ff. versucht.
Die beiden Letzteren tragen ebensowenig wie Lach mann
Bedenken, da es eben auf alle Weise Einzellieder zu finden gilt,
das, was die überlieferte Folge nicht bietet, aus jedwedem ande-
ren Theile des vorliegenden Ganzen herbeizuziehen und über
echt und unecht nach diesem ihrem Vorhaben oder nach ihrem
Geschmack zu entscheiden; aber auch so stimmte ihr Ergeb-
niss mit dem Lachmann'schen nur halb überein, und erhielt
nichts Klares. Hoffmann: „Der gegenwärtige Stand etc."")"
zeigt, nachdem er die Stücke der Lachmann'schen Mosaik auf-
gewiesen, Cauers nur sehr theilweise mit Jenem übereinstim-
stimmende Gebilde, und fügt aus sich selbst hinzu: „Dass das
zwölfte Buch, die Teichomachie, nicht blos eine sichtbare Abrun-
dung und Abgeschlossenheit besitze, sondern eben so unzweifel-
haft dieser Gesang gleich von Anfang auf seine jetzige Stelle
berechnet sei, also nur eine formelle Selbstständigkeit habe".
Was er nach seiner eigenen halb -Lachmann'schen Ansicht dort
weiter als Folge seines metrischen Prinzips an Einzelliedern
aufstellt, bildet eine dritte Varietät.
140) Allg.Monatssi^hr. r.Wisseiisch. und Litt. Halle 1852, April S.287.
bis 92.
98
Rihbecks ansehnliche Abweichungen von Lachmann, liat
in sehr spezieller Prüfung Hiecke dargelegt"*').
Er lässt zuerst an Lachmanns Bestrebungen das Irregehende
erkennen, wie seine Lieder seinen eigenen Gedanken gar nicht
entsprechen. Dann S. 10 geht er auf Rib becks Abweichungen
mit Anerkennung des denkbaren Falles über. „Vielleicht bedarf
das zehnte Lachniann'sclie Lied nui- einiger Modilicationen, wie
sie ein unstreitig scharfsinniger Schüler (S. 12, eins der bedeu-
tendsten Glieder der Schule) W. Rib heck damit vornahm".
Er verzeichnet darauf die neuen Annahmen mit ihren Gründen
bis S. 12, und geht eben wegen der Bedeutung des begabten
Jüngers auf eine die Aufstellungen Schritt für Schritt verfolgende
Prüfung ein , „ selbst auf die Gefahr hin , etwas pedantisch und
langweilig zu erscheinen". So werden bis zum Schluss der Ab-
handlung S. 1 6 und in den reichhaltigen Anmerkungen bis S. 20
die unhaltbaren Sätze Ribbecks beleuchtet. Es kann die Meinung
mit ihren Gründen nicht bestehen, da Iheils das sprachliche Ver-
ständniss zu steif, iheils die Vergleichung der verschiedenen
Stellen mangelhaft, theils in den sprechenden Helden die erregte
Gemüthsstimmung unbeachtet blieb. Genug, Ribbeck gelangt,
wenn er einerseits Lachnianns Urtheilc über so manche Stelleu
durch entscheidende Nachweisung aufhebt, andrerseits doch selbst
bei dem gleichen Streben und gleicher Gewaltsamkeit in seinen
speziellen Annahmen, doch zu keinem stichhaltigen Reweise.
Es ist von Redeutung, dass Hiecke nicht anders als
Schömann aus der Ansicht spricht, dass nicht wenige Uneben-
heiten den einheitlichen Fortgang der Ilias stören, und dass er
selbst auf solche aufmerksam macht, welche verblieben. Nicht
aber hat er auf diesem Standpunkte verfehlt, die Gewaltthätigkeit
des Verfahrens beim Zusammensetzen der Lieder aus den ver-
schiedensten Parlieen zu rügen. Der nach positivem Prinzip
suchende Hoffmann hatte über Lachmanns und Cauers
Verfahren, Monatsschr. a. a. 0. S. 288, geurtheilt: „Es wird auf den
ersten Blick klar sein, dass es dem, welcher so verfahren will,
nicht schwer fallen kann, aus mehren Büchern der Ilias ein
141) GreifswaM, Scliiilprograiiiiii Von 1859. lieber Laclini.mns
zehntes Lied der Ilias.
94
Lied zusammenzusetzen, welches einen erträglichen oder seihst
guten Zusammenhang hat: aher ehen so klar ist, dass ein sol-
ches Verfahren nahe an die Grenze der Willkür streift. So
weit zu gehen, hat selbst der kein Recht, welcher, wie
Lachniann annimmt, dass die schriftliche Ueherlieferung der ho-
merischen Gedichte allein auf der Arbeit des Pisistratus und
seiner Gefährten beruht habe: eine Ansicht, die jetzt wohl
noch von Wenigen getheilt wird".
Hiecke nun leitet seine Nachprüfung des Prozesses mit
Lachmanns eigenem Bekenntniss ein (XVII, p. 27 oder 351), da
er mit dem Bewusstsein, dass einer kleinlichen (d. h. nicht so
kühnen) Betrachtung sich hier Nichts ergeben könne, sich selbst
möchte man sagen, zum kühnen Sprunge ermuthigt, und fügt
hinzu: „Man sieht, die Liedertheorie ist bereits über jeden Zwei-
fel hinaus erhaben; widerspenstige Gesänge fordern nicht zu
einer grössern Vorsicht, sondern zu einer grössern Kühnheit auf,
aber ein köstlicher Gewinn wird der Lohn der Kühnheit sein,
und auf den ängstlichen Zweitier mit seiner kleinlichen Betrach-
tung darf schon im Voraus ein geringschätziger Seitenblick fallen."
Hierauf folgt dann die obige Nachweisung, wie unzulänglich die
Erfolge sind.
Im Verlauf der Pi'üfung werden auch einzelne Missgriffe der
Methode bemerklich gemacht und werden Lieder jener nur for-
mellen Selbstständigkeit anerkannt, welche bei der Vortrags-
weise der epischen Dichtungen auch im einheitlichen Ganzen
ihre Stelle und Verwendung finden konnten.
Dies führt auf andere Nachfolger Lachmanns, welche des
Meisters Vorhaben und einzelne Belege theils durch feslere Ge-
staltung derselben, theils durch Hinweisung auf andere kleinere
Partieen mit einem kenntlichen Anfang und Schluss zu fördern
und zu verstärken bemüht sind, und demnach ganz im Dienste
seines Prinzips stehen, das sie, wie er, als allein gehörig und
geboten betrachten.
Vorzugsweise gehört zu diesem Helm^^*), der bei dem leb-
haftesten Bekenntniss seiner Jüngerschaft, Lachmanns Urtheile
142) Progr. tles Catliariiieunis in Lübeck 1853: Ad Garoli Lach-
manni exeniplar de Aliquot Hiatus carininum composilione quaerilur.
S, 24. 4.
95
und Liederbildungen vielfacher Verbesserung und Umgestaltung
bedürftig fand. In den ersten drei Abschnitten werden so die
Ergebnisse Lachmanns in der Behandlung der Rhapsodieen 3 — 7
berichtigt, im vierten die Unechtbeit des auch von L. als Sonder
lied gefassten 10. Buches mit seltenen Wörtern belegt, im 5..
S 11 — 1 8, die von L. aus II. 11 — 15 gebildeten Lieder um-
gestaltet, im 6., S. 18 — 20, das Verhältniss Lachmanns zu Her-
mann besprochen, im 7. das einheitliche ürtheil über II. 18 — 22
besonders durch Aufweisung von Mängeln der Rhapsodieen
18 und 19 theils modificirt, theils kritisirt, im 8., S. 23 und 24,
Lachmanns subjective Wahrnehmung einer in diesen letzten Büchern
sich kundgebenden Iliasgestalt, verschieden von der Pisistratischen
Sammlung berührt, desselben Angabe einer Aehnlichkeit der
Rhapsodie 21 mit der 5. weiter begründet.
In Helms Verfahren offenbaren sich die Eigenschaften der
in der Dienstbarkeit des Lachmannschen Prinzips fortstrebenden
Forschung in beiderlei Weise als gesteigerte, sowohl die Unter-
lassung und Versäumniss des für die homerische Frage Erfor-
derlichen, als der auf Wahrnehmung von Unebenheiten er-
pichte Scharfsinn. Das Werk der Auflösung des Ganzen, die
Verneinung und Zerstörung des Glaubens an eine einheitliche
Uias ist hier viel weiter vollzogen. Der herrenlosen, verworfenen
Stücke und Lieder verse erscheint eine grössere Menge, als bei
Lachmann; was Jener, als Einem Dichter beizulegen, zusammen-
fasste, zerfällt ebenfalls, die vermehrten Einzellieder werden
zwar im bedeutendsten Falle aus gewaltsamer Verknüpfung ge-
löst, nehmen aber in ihrer grösseren Zahl das Mass von Epi-
soden an, welche möglicherweise dann einem nichtLachmann'schen
Blicke zum einheitlichen Gebrauch dienlich erscheinen können.
19. Fortsetzung. Helms Versuche.
Gleich in der steigernden Weiterbildung der L.s. Sätze vom
dritten Buche, mit dem Zweikampf, der Mauerschau und dem
Bundesopfer ist der Lachmann'sche Fehler, die Ausdrücke zu
pressen, wiederholt. Helm weiss des Paris 73 und des Ilek-
tor Ausdruck 94, dass nach der Entscheidung durch den Zwei-
kampf die beiden V^ölker friedlich auseinander gehen sollten, mit
dem von Menelaos geheischten Vertrag durch Priamos, 105 f..
96
nicht zu einigen; er findet auch Anstoss an 271 f., wo Agamem-
non die Opferthiere lödtet, als unvereinhar mit 105 f., da der
König Priamos selbst zum Vertragsschluss erfordert wird , un-
geachtet der zahlreichen Erinnerungen an den Sinn des Bundes-
opferschneiden und Vergleichung des foedus icere, und an
das einfache VerhäUniss, da eben, wie Agamemnon im Namen
der Griechen, so im Namen der Troer ihr König Priamos den
Vertrag schÜessen musste'^^). Und wie Bäum lein gleich 335
bei dem Handschlag [ds^iat 4, 159 wie 2, 341) dieselbe Steif-
heit und peinliche Forderung der Erwähnungen zu rügen hatte,
so findet Helm in der Iris Meldung 3, 134 irrig einen Wider-
spruch mit 326, wo die Reihen der beiden Heere sich erst als
Zuschauer des Zweikampfes niederlassen. Es ist ja in den dabei
citirten Versen 113 — 115 angegeben, dass die Krieger von
ihrem Wagen gestiegen und die Waffen ab und auf die Erde
gelegt haben. So spricht also die als Laodike erscheinende
Iris das hereits Faktische aus der Ferne nur eben nach seiner
jedenfalls zu erwartenden Geslaltung in dem satai. ßtyt]', „ruhn
jetzt schweigend gelagert", nach ibrer Phantasie von dem Vor-
gange aus. Aber eben die Phantasie wird in dem Verständniss
der Lachmann'schen Ausleger gar oft verabsäumt, sowie die Ge-
müthserregungen der Personen.
Auch die Iris ist von Helm dreifach falsch aufgefasst; erstens
flösst nicht sie, vermöge ilir beiwohnender göttlicher Eigenschaft,
der Helena süsses Verlangen ein, sondern der Dichter bezeichnet
139 f. die Wirkung ihrer Meklung im Gemüth der Helena, was
zur Zeichnung dieser gehörte, wie sie in diesen Büchern über-
haupt durchgeführt ist, wovon weiterhin ein Mehres. Sodann
ist Iris bei Homer und in diesen Büchern keineswegs nur die
speziell beauftragte Botin, sondern eine dichterische Person, und
so zu sagen Maschine für allerlei einer Dienerin eignende Hül-
fen und Momente der Erzählung'*^).
143) DieRecensentcn Lachnianns: Bäunilein 344, Düiitzerl, Art. 288,
Färber 28 f., Jacob 191 f., der sowohl die Ursache der Gegenwart des
Priamos, als die aucli fernerhin erwähnte Thatsache des vollzogenen,
nachmals verletzten Vertrags durch Citate besonders nachweist.
144) ünbeauftragt, als freie Person hilft sie 5, 353 ff. der Aphrodite,
unheauftragl ruft sie als göttliche Zwischenperson , nach Achills Gehet
97
Da nun, wie gesagt, des Priamos Berufung und Gegenwart
beim Vertrag vor dem Zweikampf ganz unläugbar vom Dichter
erzälilt ist'*^), und eine Abholung aus seinem Palaste weder ir-
gend bezeugt noch an sich wahrscheinlich ist, so folgte, dass er
über dem Thor bei den andern Geronten schon befindlich dar-
gestellt werden musste. Die Scene der Mauerschau trat also als die
vom Dichter gew ählte Form ein , wie und wobei die Botschaft den
König getroffen. Zum Zweck der Mauerschau mit der berühm-
ten Aeusserung der Greise über die Helena führte also der
Dichter diese beim Zweikampf so unmittelbar interessirte Helena
herbei. Lachmann hatte S. 15 geäussert: Die Unschicklichkeit
der Fragen an Helena — könnte vielleicht der erste Dichter
dieses Liedes so gut verschuldet haben, wie ein Interpolator.
Vergl. Bäumleins Rec. in d. Z. f. A., S. 333. Die Frage, ob Priamos
im 9. Jahre des Kriegs noch so unkundig der griechischen Hel-
den habe dargestellt werden können, gehört zu der allgemei-
neren, ob die Bücher 3 — 7 zum ursprünglichen Plan der Ilias
oder der Epopöe vom Zorn gehören, welche hier nicht begut-
achtet werden kann.
Schon bei den bis hierher besprochenen Büchern verfährt
Holm mit einer ganz mechanischen Vorstellung von den Ver-
fassern der ihm oder seinem Meister als unecht geltenden Verse.
Sie sollen ihre Einschiebsel meistens mittels Wiederholung ander-
wärts sich findender Verse gebildet haben. Das gemahnt denn
sehr an einen Vermiss, der bei den Ausstellungen der Jünger
wie des Meisters nicht selten empfunden wird. Dass nämlich
einem jeden Urtheil über die mehrfache Verwendung derselben
Verse oder Formeln eine Forschung über die epische Darstellung
überhaupt vorhergehen müsse, um besonnen zu unterscheiden,
ist nicht beachtet, da doch sonst Jeder diese Wiederholungen
die Winde, II. 23, 198 ff., lierbei. Und wenn sie nach ihrem Namen zu-
nächst Meldungen zu bestellen geeignet ist, war II. 2, 786, wo sie in Ge-
stalt des Spähers , der jedenfalls damals kam, erscheint, des Dichters Zu-
satz „vom Zeus" eine für den Hergang entbehrliche Zugabe, eine
Beauftragung vorher wiid auch nicht angegeben, Aehnlich , wie dort
die Rolle des Spähers, scheint hier Iris die der Laodike zu übernehmen,
welche der Helena das durcli das Gerücht Verlautende mittlieill. S.
Nägelsbach zu 3, 121 und Welker Gölterlehre 1, 691.
145) Auf das Genaueste dargethan von Jacob, S. 192 — 195.
Nilzsch . Gesch. d. griech. Epos. i
ganz natürlich als dem Epos eigene in seine Betrachtung zieht,
und erst darnach sie im Einzelnen prüft. Dieses mechanische Wesen
treibt Holm nun weiterhin noch mehr. Er gehtS. 3 zumS.Liedeüber
und urtheilt S. 4, es habe nicht so viel umfasst. Das Lied sei für die
einfache Zeit (?) zu lang. Lachmann beginne sein 5. Lied mit 4, 422 und
lasse es bis zum Anfang von B. 6 reichen, das gehe 1032 Verse.
Diese Partie mit so vielen und mannichfachen Episoden sei aber
zu ermässigen, wie schon Haupt dies nöthig erachtet habe"*).
In dieser .\bsicht scheidet Holm auch vom 5. Buche
mehre lange Stellen aus, damit es eben nur eine stricte Aristie
des Diomedes enthalte. Nach Wegfall von l — 83 beginnt diese
niit 84 — 507. Dann folgen nicht die V^erse 507 — 593, sondern
gleich 594 — 606, und hierauf mit Beseitigung der Stelle, wo
dem Hektor, der viele tödtet, der grosse Aias, 610, entgegen-
tritt und darauf die Episode von Sarpedon und Tlepolemos,
(328 — 698, einfällt, noch 699 bis zu Ende, aus denen Haupt
noch 711 — 792, d. h. die olympische Parallele verwirft. Es
hätte Holm die Episode von Tlepolemos Kampf und Fall betonen,
und als der einheitlichen Ansicht ebensowenig genehm auszeich-
nen sollen, wie sie sich selbst abhebt und ihre Unechtheit sich
mit der so unverkennbaren des Artikels ühei' Rhodus 2, 653 bis
670 zusammen verräth '*'). In ähnlich zerlegender Weise Avill Holm
das sechste Lied, welches aus Rhaps. 6, 2 oder 5 — 7, 312 nach
Lachmann bestehet,"^) in drei Lieder theilen. Sie werden ge-
geslaltet aus 1.) Vers 73 — 118 verbunden mit 237 (nicht 257) bis
zu Ende (529) Hektors Gang nach der Stadt und Unterhaltung
mit seiner Gattin; 2.) 6, 119 — 230, Episode von Glaukos und
Diomedes; 3.) aus 7, etwa von 45 — 312, Hektors und Aias'
146) S. 109, der aber das Lied wie L. hegiiint, und es aus 4, 422
bis 5, 417, dann 432 — 507, 512 — 710, 793 — 906 bildet.
147) 0. Müller, Aegin. 42 und eigenthümliche Unterscheidung
beider Stellen. Dor. 1, 109, J)ei welcher er das wahre Verhaltniss nicht
genug erwogen hat. Es gilt doch die Verbindung des Tlepolemos mit
Rhodus und der von Giesecke u. A. gerügte Anachronismus: Rosleben.
Progr. Meiningen 1854 b. Eye, S. 5 und 6. S. aucii Jacob 205 f.
148) Der Seher Helenos zeugt nicht für einen gleicben Dichter, ob
es gleich ebenderselbe ist. Helenos verordnet als Seher den Bittgang
zur Athene und vernimmt als solcher die Rede der Gölter. Dies gegen
Lacbmanns Folgerunof S. 22 f.
99
Zweikampf. Die Abfälle oder lleberbleibsel dieser Bildung klei-
nerer Lieder werden in atomistischer Weise erklärt. In dieser
Bildung selbst nun erweist sich die versäumte Vorfrage, welches
denn die Weise, die Mittel der Coraposition umfänglicher Epo-
pöen im epischen, für die Hörer annehmlichen Stil gewesen, in
verschiedener Beziehung. Jenen Gang des Hektor in die Stadt
wird, wer sich bemüht, die AYeise der Composition des über-
lieferten Ganzen zu verstehen , vor andern Theilen als geniale
Zuthat des Schöpfers der Ilias erkennen, denn einzeln vorgetragen
konnte er nur denen gefallen, die das Ganze kannten. Des He-
lenes Anordnung eines Bittgangs zur Athene und also jener
Gang des Hektor ist durch des Diomedes gewaltige, von der-
selben Göttin getragene Tapferkeit hervorgerufen: 6, 96 — 101.
Die Furcht vor ihm brauchte der Dichter als Anstoss, um Hektor
in die Stadt zu führen , wie nachmals die Verwundung des Machaon
und Eurypylos als Anlass zur Sendung des Patroklos. Wenn nun,
da der Zusammenhang zwischen jenem ersten Liede des 6. Buches
und des Diomedes Aristie unläugbar gegeben ist, es reine Will-
kür wäre, einen andern Anlass für Hektor zu ersinnen, so hätte
die Forschung nur darauf sich richten sollen, ob die ursprüng-
liche Gestalt der Aristie jene Angst erregende Wirkung nicht
unmittelbarer habe eintreten lassen , statt dazwischen den Dio-
medes zwar auch kurz zu nennen, aber in einem Gesammtbilde
des fortgehenden Kamples eine ganze Menge Helden , welche
Troer erlegen, und eine Scene vom weichherzigen Menelaus sowie
den Nestor mit einem Aufruf zum Morden statt des Plünderns
einzuführen.
Das 2. der kleineren Lieder Holms, die von jeher viel ver-
handelte Episode, welche Lachmann für sein Lied eines milden an-
muthigen Charakters als Vorspiel zu llektors Besuch der Andromache
(22) passend fand, giebt seinem Verbesserer zunächst deshalb
viel Ansloss, weil er jene vorhergehende Frage über die Aristie
des Diomedes nicht eingehend erwogen hat. War der gefürch-
tete Diomedes als Ursache vom Weggang des Hektor deutlich
gezeigt, dann fand seine Begegnung mit Glaukos statt, indem er
vordrang, sie war eben eine Scene vom Jjisherigen Vorkämpfer^
da der Dichter gerade diesen Gewalligen und immer Schlagfer-
tigen einem väterlichen Gastfreund begegnen, und seine Aristie
7*
100
in diesen Akt der Freundlichkeit ausgehen Hess, wie Herodot
2, 116 eine Stelle des Bittganges zu dieser Aristie rechiFet. Da-
bei ist unläugbar, dass die Episode sich ohne Weiteres ausschei-
den lässt, so dass die Aristie mit Athenes Rückkehr zum Olymp
5 a. E. schliesst. Aher wie man ihre Angemessenheit vertreten,
und die gerügten Anstösse oder Anzeichen eines verschiedenen
Dichters ausgleichen könne, hat Düntzer erörtert "ä).
Bei dem dritten Liede seiner Theilung, dem Zweikampf des
Hektor und Aias, 7, 44 — 312 hat Holm seine Geschäftigkeit in
Nachw eisung wiederholter Verse besonders bethätigt. Dass bei gleich-
artigem Ereigniss, hier zwei Zweikämpfen, bei deren erstem derselbe
Hektor als Oberfeldherr anordnend auftritt (3, 76 85 f. 314 — 316),
welcher im zweiten selbst kämpft, und bei dem geltenden Ge-
brauch des Loosens und des Betens zu den Göttern mehrere Verse
wiederkehren, mochte er anmerken. Aber wer den epischen Stil
erwogen hat, wird dies ganz natürlich finden, und wiederhol-
ten Gebrauch derselben Verse oder einzelner Formeln bei den-
selben Gegenständen überall wahrnehmen. Und findet man auch
im Kampfe selbst dem Speerwurf dieselbe Wirkung zugeschrie-
ben, 3, 356— 359 f. 7, 250 — 254 f., so bleiben bei alledem
die beiden Hergänge nach dem verschiedenen Stand der Dinge
und Fortgange eigenthümlirh verschieden. Hiermit tritt aber ge-
rade der auffallende Unterschied in der Bedeutung der Zweikämpfe
für die Handlung um so mehr hervor, dort die vereitelte Ent-
scheidung des ganzen Krieges, hier eine milde Vereinbarung der
beiderseitigen Hauptgötter, den Kampf dieses Tages wenigstens
unblutig zu machen. Dies Verhältniss und vieles Einzelne giebt
allerdings Probleme für die einheitliche Betrachtung, eine Ab-
sichtlicbkeit der Composition ist hier unverkennbar und bedarf
einer besonderen Rechtfertigung, sie ist bei beiden Ansichten
über diese Expositionsbücher erforderlirli. Bei dem Gespräch
des Hektor und der Andromacbe bandelt es sich für jede Grund-
ansicht nin- um Interpolation, also nicht um ein entscheidendes
Moment.
Indem hier weiter über Holms von Lachmann abweichende
149) N. Jahrb. f. Phil. Suppl. B. 11 , H. 3. I)a.s 3. bis 7. Buch,
S. 405 f.
' 101
Sätze übrigens auf die in den IN, Jahrb. gegebene üebersicbt
verwiesen werden kami'^°), werde nur sein Verfahren bei Lach-
manns 10. bis 14. Liede (11. 11 — 15, 591), als Zeugniss für das, wie
von Andern, so auch von ihm verfolgte Bestreben hervorgehoben,
Lieder massigen Umfangs zu ermitteln. Die Arislie des Aga-
memnon fasst er, wie Hermann'-^*), bescliränkt auf 11, 1 — 596
oder 595, über die übrigen vier Lieder, welche Lachmann
gebildet hatte, stimmt er mit diesem nur hinsichtlich des zwölf-
ten überein, die andern gestaltet umgekehrt er zu Einem freilich
mit ähnlicher Gewaltsamkeit, wie sein Vorgänger.
20. Folgerung. Die Prinziplosigkeit des Verfah-
rens der Trennenden. Das richtige Prinzip.
Nach der vorstehenden Musterung dessen, was in dem Be-
mühen um Aufstellung kleiner Lieder erreicht worden ist, sieht
man das gleiche Prinzip im Ganzen in seiner Anwendung bei
oft ähnlicher Willkür zu sehr verschiedenen Bildungen als Er-
gebnissen auseinander gehen. Wer hieraus wählen soll, wird
bei seiner Prüfung der einzelnen Annahmen, wenn er kein sich-
reres Verfahren kennt, als das Vereinzeln, leicht doch auch in
Zweifel gerathen, ob eine Episode sich nicht mit einem andern
Liede in Eins fassen lasse. Der aber, welcher die Möglichkeit
eines einheitlichen Fortgangs nicht von vorn herein läugnet, wird
bei den Episoden, auch ohne tiefere Forschung über das eigent-
liche Wesen dieser Benennung im Einzelnen eben nur zu fragen
finden, ob eine solche vielleicht als hebende Ausmalung eines
5Ioments der Handlung gelten könne, oder ob sie als überschüssig
auszuscheiden sei.
Der häufigste, ja bleibende Eindruck aus dem IJeberblick dieser
Versuche muss aber gewiss das Verlangen nach einem sichreren
Maassstab sein, um die persönlichen Geschmacksurtheile möglichst
zu beherrschen. Beachten wir denn die Mahnungen derer, wel-
chen die Berufung auf die Einfachheit der Ursprung -
150j .lahrb. 1853, B. G8, II. 4, S. 438 — 440 von Senge bu seh.
151) üp. V 59. Divinum Carmen est illud, quod 'Ayatx. dgiatfia
vocatur: quod libri XI, v. 590, sie, ut parest, finilur: wj ot jnfv fing-
vavio — ,
102
liehen alten Dichtung nichtig erscheint, bei Hermann, Op.
V, 61, 1 1, Bernhardy 11, 1, S. 100 der ersten, 141 der zweiten Be-
arbeitung , Jacob, Entstehung der llias S. 162. Die Einen be-
merken : „Was wissen Avir denn von der Einfachheit der ursprüng-
lichen alten Dichtung, woher kennen wir sie, dass sie uns als
Maassstab dienen sollte?" Oder: „Wenn die gegenwärtige Anlage
der Odyssee für den Dichter derselben zu kunstvoll sein soll,
woher haben wir denn den Maassstab für den Dichter ? '^^)"
Zu dieser Verneinung kommt Färbers Forderung, S. 28, statt
des persönlichen Meinens müsse Alles nach dem aus Homer
selbst geschöpften epischen Gesetz bemessen und das Einzelne
beurtheilt werden.
Es ist dies keine im Kreise gehende Forderung, sondern,
recht verstanden, verlangt sie, es soll der Prüfung des Echten
oder Unechten eine vom Gegebenen ausgehende Beobachtung
des in den homerischen Gedichten herrschenden Verfahrens epi-
scher Composition und epischer Darstellung vorhergehen '=^).
Das Gegebene sind zwei umfängliche Epopöen, was den
überlieferten Verfasser Homer betrifft, so ist im Allgemeinen das
unläugbar, dass diesem gefeierten iNamen wohl hier und da
manche dritte, ja noch mehrere epische Poesieen sagenhaft bei-
152) Hiecke, Progrr. v. 1857, Uel)er die Einh. des 1. Ges. d. II.,
S. 8. Bäumlein, Zschrft. f. A., 1848. S. 324 Anm.*)
153) Es kommt hier freilich der ganze Zweifel an der Einheit der
homerischen beiden Epopöen in Betracht. Allein eben die Forschung
soll zuerst die 3Iiltel und Wege der vorliegenden Compositionen wahr-
nehmen. Zieht man hierzu die Urlheile des Aristoteles Poet. 8, 3. vgl.
mit 17, 5., dann 23, 1, 3 und 4 und wiederum 24, 4, 20, G, so hat über
diese Bestimmungen des Aristoteles Scliömann in dispul. de Aristotelis
censura carminum epicorum gewiss mit Recht Ritters Auslegung der Stelle
23, 4 S. 12 f. gerügt, aber aus meinen früheren 3Ielet. de bist. Homeri
bestreitet er Aeusserungen, ohne meine Sagenpoesie, die er doch kennt,
beachtet zu haben (S. 506 — 7), und der Widerspruch, den er bei Aristo-
teles S. 20 findet, er löst sich doch ebenso , wie er dort das Richtige an-
giebl. Der aristotelische Ausdruck rtoXka .ufy»/ 26, 6 meint nach Ver-
gleichung von 24, 4 und bes. 23, 3 eben die Episoden, wie er sie versteht.
Der Recensent Bernhardy's in N. Jahrb. B. 73, H. 9, überhaupt ein unacht-
samer Leser der Sagenpoesie trotz seiner Citale daraus, hat bei seinen
Worten S. 605: „Woher sollen also die Tragiker u. s.w.," S. 398 f, und
407 nicht recht gelesen.
103
gelegt worden sind zu den immer und stetig angenommenen
zweien, aber nirgends andere als umfängliche, nämlich
die alte Thebais, ferner die Einnahme Oecbalias, die Kypria,
die kleine llias; diese mehr einzeln, wenigstens nirgends und
von Niemand alle zusammen'^').
Ob nun unsere Forschung, von diesem Gegebenen ausgehend,
dem Glauben Raum zu geben habe, dass, wie überhaupt der Geist
über die Materie herrschet, so auch der Neues schaffende Dichter-
geist für ein umfängliches Gedicht den Vortrag und die Gelegen-
heiten habe hervorrufen können, diese Frage von vorn herein zu
verneinen, ist sehr voreilig.
Wir haben da erst alle und jede Momente, welche auf eine
umfängliche Composition hinwirken und den Dichter auf eine
solche hinführen konnten, in Betracht zu ziehen.
Sie liegen zum Theil schon selbst im Stoff. Er ist aus
den Sagen vom Jüngern Heldengeschlecht, handelt aber nicht vom
einzelnen Abenteurer oder von Fürstenfehden wegen ganz per-
sönlicher Beleidigung, sondern vom Völkerkriege, bei dem nicht,
wie dort, nur einzelne Schulzgötter Beistand leisten, sondern
die gesammte olympische Götterwelt Antheil nimmt, und bei dem
also das Götlerregiment durch Zeus, der über den Parteien der
Götter und der Menschen steht, darzustellen ist.
Sodann ist der Dichtergeist ins Auge zu fassen. Das gebietet ja
wiederum der historische Sinn. Es widerspricht dem Zeugnisse
von Jahrtausenden, und zuerst der ganzen Anerkennung durch
das eigne Volk, im Homer, dem so fest geglaubten Verfasser der
llias und Odyssee, statt des hochgefeierten Nationaldichters auch
nur einen blossen Apellationnamen anzunehmen, uud noch mehr
Aviederstreitet es jenem Zeugniss und dem historischen Siime,
eine Menge von nicht bloss gleichbegablen sondern auch gleich-
gestimmten Dichtern anzimehmen, die dann alle ihre Einzellieder
entweder nur über Ereignisse aus der Zeit gedichtet haben soUeu,
154) Es muss Willkür heisseii , weun man aus den von ganz ver-
schiedenen Bezirken und Zeiten unter Homers Namen angegebenen andern
Epopöen ausser II. und Odyss. eine ganze Reihe bildet, als hätten sie bei
irgend welchem Orieclien insgesnmml nebeneinander als von demselben
Dichter verfasst gegolten, nändicli in der Zeil des freien Griechenlands
und des nationalen Lebens der Epopöe.
104
in welcher in Folge der Kränkung Achill unthätig war, oder
über die diesen selbst treffenden Folgen seiner Unversöhnlichkeit,
und wenn nicht über diese, dann über den lang abwesenden,
endlich heimgeführten und die Prätendenten seines Weibes und
Königthums überwältigenden Odysseus.
Ehe man solche Meinung als das Walue darzuthun sich
zu prekären Versuchen entschloss, musste mau sich doch erst
empfänglich gegen die Ueberlieferung erweisen, und uicht wegen
des historischen Problems, wie so umfängliche Gedichte hätten
zum Vortrag kommen können, alle Bemühung genauerer Betrach-
tung der Gedichte seihst durch die vorschnelle Annahme nur
kleinerer Lieder abzuschneiden, oder allen Fleiss nur auf die
Nachweisung solcher zu richten versuchen sollen. Hat ja doch auch
die Analogie des altdeutschen Epos sich als unstatthaft erwiesen.
Zuletzt ist hinsichtlich der Mbelungen durch Heinrich
Fischer unläugbar wenigstens die Unzulänglichkeit der angeb-
lichen Anzeichen von ursprünglich nur kleinen Liedern darge-
than*^^), es erscheint als Willkür, wenn man auch dort die Lach-
mann'schen Aufstellungen eben doch wegen des Feinsinns, der sich
darin bethätigt, nun als historisches Ergebeniss anerkannte '''*).
155) Nibelungenlied uder Nibelungenlieder ? Hannover 1859. Er
hat den Gang des ganzen Streites genau geschildert und alle die Kri-
terien Lachmanns und seiner Anhänger kritisch beleuchtet, namenlhch
auf die Willkür in den Ausscheidungen aufmerksam gemacht, sowie auf
den Wandel in dem eignen Urlheil desselben. Die Fehlgrifle sind hier
dieselben, wie in der Zerlegung der Ilias. Nach Muslorang der nur miss-
lichen Beweise für die Zerlegung und Nachweisung der vielmehr wahr-
scheinlichen Einheit folgt S. 141 — 43 das Gesammtuilheil üher die Lieder-
theorie und das Resultat, dass von fünf gefundenen Widersprüchen vier
in der Handschrift C beseitigt erscheinen. Hiernach wird im letzten Ab-
schnitt „die Handschriflenfrage" behandelt und beschlossen mit den Worten :
Wir glauben daher zu dem Schlüsse berechtigt zu sein: Das Nibelun-
genlied ist das Werk eines Dich ters, und die Handschrift C
enthält, von einzelnen Verderbnissen abgesehen, den ur-
sprünglichen Text. Und so gdt , wa^ der gläubigste Anhänger
Lachmanns, Haupt, nach seiner Zeitschrift f. deutsch. Alterlh., B. 8 von
1851, S. 349 schon vorher in B. 5, S. 504, n.iduleni er bekannt, dass ein
Gleiches in der Gudrun unerreichbar sei, über die Nihelungen erklärt;
„Hätte Lachmann uicht seine bestrittene Ansicht über den Text festge-
halten, so wäre auch bei diesem Gedicht es uicht gelungen."
156) Gervinus, Gesch. d. deutsch. Dichtung 1, 336 und 37.
105
So hatte sich also die geschichtliche Analogie für die ho-
merische Frage vielmehr als die einheitliche Ansicht bestä-
tigend erwiesen. Der neugestaltende Dichtergeist hatte auch
bei den Nibelungen und vollends der Gudrun, sowie bei
der llias und Odyssee durch eine bildnerische, zur Har-
monie wirkende Thätigkeit die früheren kleinen Lieder un-
kenntlich gemacht. Und wenn dies auch von F i r d u s i , dem
Gestalter des iranischen Epos, des Schaname gilt, so kann
freilich dieses Gedicht von 60,000 Doppelversen nicht mit der
llias verglichen werden, sondern nur allenfalls mit der ganzen
epischen Poesie der troischen Sage. Wie diese sechs geson-
derte und doch in Beziehung stehende Handlungen gab, so kann
nur alles Das, was auf und aus des Paris Frevel am Gastrecht
und dem Raub der Helena bis zur Heimkehr des Odysseus er-
folgte, mit dem, was aus dem feinen Motiv in dem Schaname
hervorgeht, zusammengestellt werden. Der Kampf des iranischen
Heldenthums wider die Mächte der Finsterniss dauert durch
Jahrhunderle und ruft eine zahlreiche Reihe aufeinander folgen-
der Conflikte und Heldenthalen hervor, welche nun sämmtlich
doch eine Gesammtaction jenes Kampfes bilden '^^). Der selbst
durch mehre Zeitalter lebende und strebende eine Hauptheld
Rustem'^*) giebt in zwei Stellen eine rückblickende Uebersicht.
Bei dieser Einheit des 31otivs und seiner grossartigen Herrschaft
über und in den mannichfachen Akten und Wechseln der Hand-
lung werden wir allerdings durch ein mächtiges Beispiel erinnert,
dass das Epos gerade bei dem Mangel einer durchherrschenden
Hauptperson durch ein grossarliges Grundmoliv eine Einheit be-
sitzen kann, welche sich dinch Erhabenheit hervorthut. Es ist
die das Schaname beherrscliende Idee in griechisclier Poesie
nur mit der zu vergleichen, durch welche Aeschylos die Stoffe
157) Heldensagen von Firdusi. Von Ad. Fr. von Schack.
Berlin 1851, S. 66. „Weit entfernt aber ist diese doppelle Eigenscliafl
— irgend einen Zwiespalt betrogener Bestandlheile auch nur durch-
schimmern zu lassen. Der Dichter hat sich so mit voller Seele ui die
alte Sagenwell hineingelebl, sich von ihr durchdringen lassen und wieder
sie mit seinem Geiste durchdrungen, dass sich kaum sciiciden
1 ä s s t , was er von ihr empfangen, was er ihr gegeben".
158) Desselben von Schack Ep. Dichtungen von Firdusi. Berlin
1853. 11, S. 375 ff. und S. 389 f.
106
und Akte seiner Persertrilogie verband. Es war die Idee des
Strafgerichts der Gölter Griechenlands über den hoffärtigen
Frevelsinn der Barbaren, die aus alter Sage den Argonautenzug,
aus der geschichtlichen Erfahrung die Niederlage des Xerxes,
und die der Karlhager heim Himeras (an demselben Tage) in
einer Folge verband, und zugleich damit die des gottgegebenen
Sieges des freien Griechenvolks über die despotisch regierten
Barbaren '''^).
Ein griechisches Epos konnte, da es zum mündlichen Ge-
sammtvortrag bestimmt wurde, nie einen solchen Umfang haben,
und nie konnte also eines den ganzen Troerkrieg mit seinen
wechselnden Phasen umfassen, obwohl sie alle unter der Wir-
kung des Grundmotivs, des Frevels am Gaslrecht standen. Von
den einzelnen Theilen dieses überreichen Sagen- und Lieder-
sloffes waren, wie weiterhin genauer dargelegt werden wird, nur
drei der Art, dass der ganze Verlauf der Handlung an Einer
Person haftete, der der Ilias, der Odyssee und der Aethiopis des
Arktinos. Doch die Einheitlichkeit muss sich uns zuerst und
zuletzt in der Handlung erweisen. Diese kann, wie in dem
Schaname durch ein göttliches Prinzip, unter welchem die ein-
zelnen Hergänge stehen , eine eigenthümliche Weihe haben.
Auch unter den Partieen der troischen Sage fand sich eine die-
ses Charakters, die von der Eroberung und Zerstörung Troia's,
da das Strafgericht der Götter an dem Königssitz und Beich,
welches den Frevler am Gastrecht im bereits langen Kampfe
vertreten hatte, endlich doch seine Erfüllung fand.
Es ist nun von selbst klar, dass ein solches über einer lang
sich hinziehenden Handlung schwebendes Motiv in dem Grade,
als das obherrschende von dem Hörer oder Leser empfunden
wird, wie der Dichter es bei seiner Ausführung entweder be-
flissener festhält oder iheilweisc vorabsäumt. Es wechseln
darin die in den V'ordergrund tretenden Personen und sie
ziehen das Interesse des Hörers an, welches immer sich be-
sonders als menschliches Mitgefühl artet. Dadurch kann leicht
ein Mangel an Einheitlichkeit entstehn. Und eben deshalb haben
159) S. Sageiipoesie S. 576 If. bes. S. 579 — 583 und Gruppe's
Ariadne S. 85 — 97.
107
diejenigen Epopöen den i'iir einheitliche Gestahung günstigeren
Sagenstoff, welche in ihrem Verlauf den Bezug auf Eine Person
festhalten. Indem nun diese Beschaffenheit die heiden von Homer
aus der troischen Sage gewählten Stoffe auszeichnet, kommt dazu
der sittliche Geist , der sie durchdringt und heseelt. Also hat
der Schöpfer der wahren Epopöe seiner neuen Schöpfung auch
ein eigenthiimliches inneres Lehen eingeflösst, wie es in den
kleineren Liedern sich in solcher Art und in solchem Grade gar
nicht entfalten konnte. Wir finden also: wie die iNatur des ge-
wählten Sagenstoffes auf eine weit scenenreichere und somit
ausgedehntere Dichtung hinfühi-te, als die der Einzellieder, so
war diese damit unaushleiblich auch eine weit seelenvollere ge-
worden.
21. Der gebotene Standpunkt der Forschung.
Sehen wir denn, was hieraus sich ergiebt: Es stellt sich der
Forschung nichl die Handlichkeit zum einzelnen Vortrag in den
Vordergrund, sondern die Beschaffenheit der uns überlieferten
umfänglichen Epopöen. Nachdem wir kleinere Gebilde der äl-
testen Sänger freilich als die nothwendige Vorstufe zur eigent-
lichen Epopöe erkannt haben, aber alle Versuche auf Herstellung
derselben und zur Rückführung des vorigen Standes sich als will-
kürlich und zweckwidrig erweisen, weil die geschehene Neu-
bildung des Ueberkommenen die Herstellung unmöglich gemacht
hat: so ist die Forschung auf die innere Betrachtung der beiden
Gedichte als der Epopöen des hellenischen Volks' hingeführt.
Es nöthigt dazu selbst das Weltbild, welches sie geben, die vor-
geschrittene Culturstufe, auf welcher sie die Menschheit zeigen,
sodann das sprechende Zeugniss, welches dieselben Gedichte von
einer Fülle von Heldenliedern und bereits durch manchen Wan-
del gegangenen Heldensagen enthalten, vornehmlich aber die
poetischen Eigenschaften derselben, in welchen wir Runstmiltel
und Weisen nicht kleiner romanzenartiger Lieder, sondern um-
fänglicher Gompositionen vor uns sehen.
Indem wir nicht anders können, als in der Ilias und Odyssee
die höchste Blüthe der epischen Poesie der Griechen anzuer-
kennen, in ihnen die Musterbeispiele der eigentlichen Epo-
108
pöe zu finden, sind alle organischen Eigenschaften, welche wir
wahrnehmen, eben solche, die den grösseren Planen dienefl.
Dahin gehört, dass die Handlungen beide auf zwei Ausgangs-
punkte gestellt sind, welche späterhin in Eins zusammengehen,
sodann das iNacheinander der gleichzeitigen Akte, d. i, die Pa-
rallelen und ihre Verwebung, da denn das zuletzt gegeben wird,
von dem aus der Fortschritt der Haupthandlung am schicklichsten ge-
schehen konnte, ferner die Episoden, die der Epopöe so wesent-
lich sind und all das Retardiren'®"). Diese Darslellungsweise, so
ganz frei und fern von aller Neigung, den Zuhörer in Spannung
zu versetzen, sie herrscht in allen Partieen, durchherrscht beide
Epopöen vom Anfang bis zu Ende. Dies ist also die Dichtungs-
weise des Dichters gewesen, er hat seinen im Geist gefassten
Plan allmählich ausgeführt, und hat jedem Theile die von Ver-
wickelung freie Fasslichkeit und Selbstständigkeit gegeben, die
ihn dem Zuhörer auch für sich annehmlich machte'"'). Mit die-
ser Gestaltung der meisten Theile seiner grösseren Compositionen
schloss sich der Dichter der ersten Epopöen dem bisherigen
Brauch und ßedürfniss des Einzelvortrags an. Die Epopöen,
zu denen er die Theile der Iroischen Sage gestaltete, welche
durch den Zorn des Achill und die Heimkehr des Odysseus be-
seelt und charakterisirt waren, sie boten in den mannichfaltigen
Phasen, durch welche die Handhing ging, indem sie an der
Hauptperson unmittelbar oder mittelbar festhielt, für Einzelvor-
träge gar viele Partieen.
Dies ist ebenso unverkennbar, als die alhnähliche Durch-
führung der umfassenden Anlage und damit des inwohnenden
ethischen Motivs mit Voraussetzung eines möglichen Gesammt-
vortrags geschehen sein wird. Wir haben beide Vortragsarten,
160) Göthe an Schiller Tli. 3, 71. Daher sind alle relardirende
Motive episch. — Das Erforderniss des Retardireiis, welches durch die
beiden homerischen Gedichte üherschwenglich erfüllt wird. Vergl. S.73
und dazu Schiller, S. 78, A.W, Schlegel, Vorles. über dram. Liter. 1,
S. 155: „Die Ungeduld ist ülierhaupt keine gute Stimmung für die Em-
pfängniss des Schönen."
161) Schiller dort S. 73. Dass die Selbstständigkeit seiner Theile
einen Hauplcharakter des epischen Gedichts ausmacht. V i s c h e r , Aesthet.
III, 1264, 2: Selbstständigkeit ohne Isolirung und S. 1279 die ausgeführ-
lere Beschreibung,
109
Einzelrhapsodie und Gesammtrhapsodie, die einzelner Stücke und
die der ganzen Epopöe durch mehrere sich ablösende Rhapsoden,
von Anfang an und immer fort neben einander üblich
zu denken und zu erkennen.
Wir mögen dabei allerdings die Dichtungsweise und Arbeit
des schöpferischen Genius von dem Geschäft und Dienst der
Vortragenden unterscheiden. Jener hat so Avenig, wie die Redner
des Alterlhums seine aufeinanderfolgenden Gaben in Schrift ent-
worfen und einzeln ausgeführt, sondern in seinem gedächtniss-
starken Geiste. Es giebt da nun in meiner Umgebung auch
einige denkende und der alten Poesie kundige Gelehrte, welche
gerade aus der allmählichen, jeden Moment reichlich ausprägenden
Darstellungsweise die Vermuthung ziehn, Homer habe die frei
ausgedichteten und vielleicht schon nicht bloss von ihm selbst
mündlich vorgetragenen, sondern auch dem Gedächtniss eines
Kunstgenossen mitgetheilten Einzelpartieen zu seinem eignen
Vortheil hinterher selbst aufgezeichnet. So wäre dem allmäh-
lichen freien Dichten im Gedächtniss auch ein allmähliches Auf-
zeichnen gefolgt. Hierüber bestimmt zu entscheiden, ist nicht
möglich , doch klar ist soviel, es ging w ie allem Sprechen das
Denken, so dem Sprechen und Dichten in degagirten paratakti-
schen Sätzen und Versen ein so geartetes Denken und Versbilden
vorher. Gar viele längst mit Schrift verfahrende Dichter haben
in einem Style gedichtet, der dem Vortragenden genehm war.
Erst im Zeilalter des Sokrates gab es Dichter , w eiche , weil sie
nicht im Sprech - sondern im Lesestyl gedichtet, dem Vortragen-
den unbequem waren. (Arist. Rh. III, 1 2, 2.) '*')
Und die Alten selltst, namentlich auch Aristarch '^^) , haben
den mündlichen V'ortrag keineswegs mit Schriflgebraucli unver-
einbar gefunden. Vielmehr erscheinen dieselben, welche die
epischen Gedichte vortrugen, eben die Rhapsoden zugleich als
die, welche den Schriftgebrauch auch Andern gelehrt in den
Städten loniens'"). Und wenn man geneigt ist, dem grossen
162) S. in. Meletelii 11. 122 f.
163) Lahrs de Aristarchi stud. Iloin. p. 348.
164) Welcker Ep. Cycl. 1, 370 mit dem Schluss : „Bei denen also vornehm-
lich waren die Schreibkunst und geschriebene Gedichte, die man durch
HO
Dichtergeniiis eine ausserordentliche Stärke des Gedächtnisses hei-
znmessen, sollen deshalb auch die Dichter, welche nach Homers
Vorgange wirkliche umfängliche Epopöen für den Vortrag hei den
Festen dichteten ( Welcker, S. 371, Anm. 607), auch ein Arktinos
und die Andern nur ihre Werke bloss niitlels des Gedächtnisses
geschaffen und mitgetheilt haben? Hat solche Weise der Dichtung
und des Vortrags in der Zeit gegolten, als immerfort Epiker und
Lyriker ihren Ruf nicht anders, als durch mündliche Mittheilung
erlangten? Ging nicht die mündliche Vortragsweise, welche das
Prädicat TtoXvyjxoog bezeichnet, noch lange neben dem Lesen
der Studirenden fort? (Grote, Gesch. Gr. 1, 497.)
Viel irrige Vorstellungen von diesem Gange der Ueberliefe-
rung der Ilias und Odyssee haben ihren Grund in der Unklarheit,
in welcher man sich den Hergang bei der sogenannten Samm-
lung des Pisistratos vorgestellt hat. Die Sache selbst und alle
Kunde von den Rhapsoden lehrt übereinstimmend, dass die Beauf-
tragten des Pisistratos Alles, was sie zu den beiden Epopöen
wieder zusammenstellten, van den Rhapsoden empfingen, und
dass, wie nirgends der Vorwurf einer ungeschickten und will-
kürlichen Zusammenfügung über sie verlautet, sie, die Redactoren,
mit dieser Zusammenordmmg und Herstellung der Ganzen wenig
Mühe hatten. Denn erstens gaben die Rhapsodieen, welche die
Rhapsoden ihnen aus ihrer bisherigen Praxis lieferten, sich von
selbst kund, ob sie zur Ilias oder zur Odyssee gehörten, Ver-
wechselung oder auch nur Zweifel war unmöglich. Sodann aber
trugen die Theile des einen wie des andern Gedichts auch die
Zeichen ihrer Stelle in der Reilie deutlich genug an sich'®*).
Wer könnte z. R. auf den Gedanken kommen, etwa des Hektor
ihr Gedächtniss und ihre müiulliche 3Iitlheilung für ein Hauplhinderniss
der Schrift angesehen hat. Wolf, Pro!, pag. CX. 211". Leonh. Schmitz,
Gesch. Griechenlands Leipzig, 1859, S. 57: „Die Alten scheinen im Allge-
meinen die ursprüngliche schriftliche Abfassung seiner Gedichte als aus-
gemacht gehalten zu haben".
165) Seng eh lisch, N. Jahrb. f. Philol. B. (37, H. 6, S. 627: „Dass
keine Spuren da sind von irgend einem Widerspruch gegen die Art der
Zusammenfügung im Einzelnen und der Aenderungen in den Fugen,
dies beweist, dass man sich für überzeugt hielt, Pisislratus habe hier in
den Fugen nicht gemacht oder machen lassen, sondern nur das Ursprüng-
liche wieder in sein Recht eingesetzt, beweist also weiter, wie fest die
Ueherzeugung von der ursprünglichen Einheit wurzelte".
111
Gang in die Sladl andershin zu bringen, als nacli der Arislie des
Diomedes? Wer die Verwundung der drei Helden Agamemnon,
Diomedes und Odysseus etwa von der vorhergehenden Arislie des
Agamemnon losreissen? u. s. w.
Dass die so mitgetheillen Partieen eben die waren, welche
und wie sie der liefernde Rhapsode vorzutragen pflegte, und untei-
ihren den Inhalt bezeichnenden Titeln (wohl geschrieben) bei sich
führte, ergieht sich aus dem Wesen der Sache selbst. Hinzuzu-
denken hat man nur, was die mehren Ausdrücke von der bis
dahin stattgefundenen Vortragsweise erkennen lassen '^^), dass w eil
man der Lieferanten mehre brauchte, der Einzel Vortrag in
jüngster Zeit vorgeherrscht hatte. Jedenfalls aber mussten <Ue-
selben neben den Partieen, welche sich zum ausserfesllichen Ein-
zelvortrag eigneten, den Sammlern auch die andern, die Zwischen-
glieder mittheilen. Es gemahnt uns eben hier vorzüglich, wie
nebelhaft die Vorstellung von dem attischen Unternehmen er-
scheint, wenn es heisst, das Eine sei allgemein eingestanden
und erkannt, dass beide homerische Epopöen eben nur theil-
weise und in verschiedener Ordnung vorgetragen worden seien
(Wolf Prolog. CX) und jeder Tbeil habe seinen besonderen INamen
gehabt. Der Gewährsmann des Aelian (Versch. Gesch. XIH, 14)
gebe davon volles Zeugniss. Niemand hat nämlich bei diesei'
Behauptung sich den Bereich dieser inhaltlichen Titel deutlich
gedacht. Und wenn denn kein irgend Denkender den Ordnern
des Pisistralus eine grosse Thätigkeit der Zudichtung und Um-
dichtung beimessen kann'"), ergieht sich aus der Musterung
der verschiedenen Partieen, wie der Schöpfer der grösseren
Compositionen nicht bloss die überkonmienen Rleinlieder selbst
neubildete, sondern auch, wie eben Ritschi sagte, „mit eignen
verschmolzen", so manche eben für die grössere neue Handlung
166) Jene Ausdrücke sind : Die (uhUcIiIo seien vorder Zusaninionsetzung
G7ioQa6r}v vereinzelt, 6i?;p?/jun'ß/erllieill, Kai a^kaakkayov ^v}]iioi'£vo-
[X£va der eine Theil hier, der andere Tiieil da vorgetragen worden. Wolf,
Prol.CX. 2, 111. Der Ausdruck des tiicero Homeri liberos confusos antea
besagt im rhetorischen Eifer etwas ganz Unpassendes, als wäre die Rede
von einem Buciie dessen Lagen versciiulten gewesen.
167) Man liest freilich liier und da solciie unbedachte Aeusseruu-
gen noch immer.
112
bedeutende Partie selbst erst einwebte. Es mögen hier Hektors Gang
in die Stadt, II. 6, 102, 237 bis zum Ende, und die Gesandtschaft an
Achill, II. 9, 89 bis zum Ende aus der Ilias als solche genannt
werden, andere werden wir in derselben, noch mehre überhaupt
in der Odyssee zu erkennen haben '^*).
Die hiermit dargelegte, doch den gegebenen Nachrichten
und dem Wesen der Sache entnommene Annahme von der ur-
sprünglichen Erfindung und Ausführung der beiden wahren Epo-
pöen, wird freilich durch eine achtsamere Hervorhebung der den
grossen Dichtergenius bewährenden Leistungen erst ihre volle
Bestätigung finden. Aber wenn es sich für den geschichtlichen
Beweis besonders um die Ueberlieferung bis zur Zusammen-
stellung und Redaction durch Pisistratos handelt, dienen jene
Partieen, welche als zur Ausführung der Grundidee wesentlich
vom Schöpfer der Epopöe eigens hinzugethan erscheinen, zum
speziellen Zeugniss der älterber überlieferten und längst als Na-
tionalepopöen geltenden Werke. Der längst blühende Ruhm des
Homer, den eine Reihe Einzellieder nicht gründen konnte,
leuchtet hervor nach Grote's Bemerkung*^') in Hinsicht auf
Homer als Auctorität für den Götterglauben durch des Xeno-
phanes Polemik und andrerseits in seinem Ansehen als aner-
kannter Gewährsmann für die alten Gebietsverhältnisse in meh-
ren Streitigkeiten zwischen Nachbarstaaten und eben in jenen
Zeiten.
168) Grote. Gesch. Griechenl. 513 v. iMeisler. „Ausserdem finden
wir besondere Stücke, welche sich ausdrücklich durch ianern Beweis als
zu einem grösseren Ganzen gehörend, und nicht als separate Ganze er-
klären". S. weiter. Wir fügen hinzu, dass die liefernden Rhapsoden
diese Theile, die nur in Orten und Zeilen, wo die Ganzen hewusst waren,
für sich befriedigen konnten, eben für die Gelegenheiten der Gesammt-
vorträge J)ei sich geführt haben werden.
169) Grote, 1, S. 513 f. : „Es liälle keine so fest gegründete Ehr-
furcht für dieses Document gefühlt werden können, wenn nicht lange vor
Pisistratus es Gebrauch gewesen wäre, die Ilias als ein forllaufendes Ge-
dicht zu betrachten und anzuhören. Und wenn der Philosoph Xeno-
phanes, den Homer als den allgemeinen Lehrer bezeichnete, i^ oQxrjg xad"'
OfiviQov enei fis^ad^rJKaai Tcavxeg, (s. Sagenp. 303), und ihn als einen un-
würdigen Beschreiber der Gölter anklagte, so muss er dieses grosse gei-
stige Uebergewicht nicht in einer Zahl verbindungsloser Rhapsodieeu,
sondern mit einer geschlossenen Ilias und Odyssee in Verbindung gedacht
haben."
113
22. Die Odyssee, eine Epopöe, so planvoll bei ihrem
Umfange in ihrer Anlage und Gliederung, dass
sie den Gesammt Vortrag durch sich ablösende
Rhapsoden noch n na b -weis lieh er ^'oraussetzt,
als die Ilias.
Alle die Wahrnehmungen, welche man bei der eingehenden
Betrachtung der Ilias macht, wiederholen sich bei der Odyssee,
nur bei den einzelnen Punkten in verschiedenem Maasse. Der
ursprüngliche SagenstofT, ohne den es eine Odyssee gar nicht
hätte geben können, scheint, wenn man die für sich denkbaren
und zum Einzelvortrag passlichen Partieen mit denen vergleicht,
welche als dem Plane angehörig, des Dichters Zuthaten sein
dürften, ein mehr summarischer, nur die Hauptpunkte enthalten •
der gewesen zu sein mit nur einzelner Ausfübrung. Es gab
wahrscheinlich zuerst ein oder mehre Einzellieder von den
früheren Irren , und davon vor andern ausgeprägt das Aben-
teuer bei dem Kyklopen Polyphem, welches den lang umtreibenden
Zorn des Poseidon verursachte. Sodann von dem Untergang der
Gefährten und dem Ansch\>immen an die Insel der Kalypso. Die
Phäaken dagegen und die Heimfahrt durch diese sind des Dichters
eignes Gebilde, vielleicht Um - und Nendiclitung einer nordisclien
Sage, doch jedenfalls, wie er darin ein ionisches Leben malt, mittels
Zuziehung eigner Lebensanschauungen. Aber die vorhomerischen
Einzellieder sind in der vorliegenden Odyssee noch weit weniger
wiederzuerkennen, als in der Ilias. Sie sind eben weit mehr
noch umgebildet; die Erzählung von den früheren Irrfahrten ist
jetzt sogar zum selbsteignen Bericht des Helden als Gast des
Alkinoos und der andern Fürsten der Phäaken geworden, sodass
eben dieses heitei'e Lehensbild in die ersehnte Heimkunft aus-
geht: 13, 18 fi". Sodann ist ein anderer wesentlicher Theil, die
ganze Expositionspartie, die ersten vier Büclier nach der alexandrini-
schen Abtheilung). Ein Interesse für sich hat er durchaus nicht, ist
aber in den ganzen Organismus auf das innigste verwebt. Er
erscheint sichtlich eben vom Dichter der Odyssee neu erfunden
und hinzugetban. Genug es gilt das l'rtheil: der Dichter der
Odyssee ist derjenige, welcher das (iedicht von Odysseus' Heim-
kunft und Kampf mit den Prätendenten seines Weibes und König-
r^itzsch , Gesch. d. griech Epos. 8
114
thums von Anbeginn auf diese Heimliunft stellte. In diesem
Sinne, mit Hinweisung aul' den bei Kalypso zunickgebaltenen
Helden, also auf den andern Ausgangspunkt der Handlung, stellte
er Eingangs die Verhältnisse in Ithaka dar, in demselben Sinne
Hess er den Königssohn von der Schulzgöttin zur künftigen Zu-
sammenkunft mit dem Vater auf die Reise senden, besonders
aber gestaltete er in diesem Sinne die früheren Irrfahrten zur
Episode.
Da diese beiden für die beviunderte Kunstanlage der Odyssee
wichtigsten und wesentlichsten Theile, die Reise des Telemach
und die Selbsterzählung dei- früheren Irrfahrten neuerlich mannig-
fache Anfechtungen erfahren haben, so erscheint es unumgäng-
lich , von beiden , jedoch in umgekehrter Folge , eine geeignete
Darstellung zu geben.'™)
Die Erzählung der Irrfahrten , die unstreitig von den alten
Sängern in der dritten Person gegeben wai-, wurde bei der Neu-
bildung in die erste umgesetzt, oder vielmehr Alles in diese ge-
fassl, nur eben in der Weise, wie es die Situation des Erzäh-
lers früherer Erlebnisse, der seinen Zuhörern fasslich und
angenehm vortragen sollte, mit sich brachte. Diese Rücksicht
erzeugte in dem Verlauf der lebendigsten Selbsterzählung ein-
zelne Partieen, da er in der dritten Person berichtete, und es
darauf ankam , diese Form vor den Zuhörern natürlich erschei-
nen zu lassen.
Der eine Fall dieser Art erforderte eine besondere Wendung
und Angabe. Der Verlust auch der Gefährten in seinem eignen
Schiff war ein besonders wichtiger Umstand nicht blos für die
Geschichte der Irrfahrten, sondern für das ganze Gedicht. Wird
er in diesem Bezüge gleich im Eingang hervorgehoben, 1, 6 f.,
so berichtet der Erzählende die Warnungen des Teiresias 11,
104 — 110 ff. und der Kirke 12, 127-141, Diese auch der
göttlichen Verhältnisse kundig, beschreibt die heiligen Heerden
auf Thrinakia mitsammt den göttlichen Hirtinen auf das Genaueste.
Aber als nun weiterhin zu erzählen kam, wie sein Schiff
nach Thrinakia gelangt, und vom widerspenstigen Eurylochos ge-
170) Das Folgende schon inilgetheilt in Fleckeisen, Jahrbücher für
class. Philologie VI, pag. 365 ff. Der Apolog des Alkiuoos in Odyss.
i — jit als Selbsterzäiilung D, H.
315
nothigt sei, trotz aller jener Warnungen 12, 266 — 69 zu landen:
Da galt es entweder die nach geschehenem Frevel erfolgte
Strafe durch den Untergang des Schi-ffs und der Gefährten nur
eben als menschliche Erfahrung zu erzählen, oder auch die durch
Kirke's Angabe wie in Erwartung gestellte olympische Geschichte
in zulässiger Weise eintreten zu lassen. Im jetzigen Fortschritt
geht der Erzähler von einem Gebet, das er an Zeus und alle
Gölter gerichtet; 371 — 374, zu der olympischen Parallele über,
da Zeus auf die Klage des von der bekannten Nymphe benach-
richtigten Helios die Bestrafung zusagt. Das war denn eine
himmlische Kunde, welche der Mensch Odysseus so wenig an sich
besitzen konnte, als Achill, U, 1, 396, eine solche anders als durch
seihe göttliche Mutter hat, während Glaukos, 11, 17, 163, von
des Zeus' Sorge für Sarpedon (16, 666 — 683) Nichts weiss. Es
bedurfte also hier einer mittelbaren Mittheilung aus der Götter-
welt. Diese ist an den F^rzähler Odysseus, nach 12, 389 f., zu-
nächst durch Kalypso geschehen, welche sie von Hermes hatte.
Die Wahrscheinlichkeit dieser Angabe lässt sich nun insoweit
vertreten, als Hermes es ist, welcher die auf der Erde angesie-
delten Nymphen, d. i. Göttinen, mit den Olympiern in Verbin-
dung setzt, wie auch Kirke von ihm eine Miltheilung über
Odysseus empfangen hat, 10, 331, und Kalypso, 5, 88, durch
ihre Aeusserung: TtccQog ye }i£V ovTt d-afit^sig, sonst pflegst
Du ja nicht häufig zu kommen, einzelne wiederholte Besuche
nicht ausschliesst'^'). Die Erklärung des Hermes aber besagt, nur aus
eignem Antriebe mache er solche Wege durch das ungastliche
Meer nicht, sie müssten ihm immer von Zeus aufgetragen sein.
So ist in Hermes der passende Mittelsmann allerdings gegeben,
und in Kalypso diejenige, welche den Odysseus, als sein Schiff
von Zeus zertrümmert war, bei sich aufnahm (5, 130 fl"., 7, 248
ff.) ; nur die genaueren Umstände, da Hermes der Kalypso Mitthei-
lung gemacht, durften und mochten vielleicht auch die Zuhörer
des Gedichts nicht untersuchen , nachdem ihnen Zeus in seiner
Vertretung der Götterrechte bei dei- Klage des Helios iliii ni
Glauben gemäss erschienen war.
171) Dies ist freilich erst in die VVorWR liiiioiiizulogeii, d.i in II. 18.
88 und 425 dieselhen Worte den Besuch einlacli ;ds einen ungowiilin-
liolien bezeichnen.
»*
116
Jedoch giebt es hier noch anderes Auffällige. Die olym-
pische Parallele tritt an sich freilich und der Sache nach im An-
schluss an das von Kirke her Bevvusste ein , und an ähnlichen
Beispielen, da eine solche in einem sehr prägnanten Moment
der menschlichen Handlung einfällt , fehlt es auch nicht ganz ;
man sehe II. 5, 353 — 430 und wieder daselbst 7 t 1—780. Allein
in unserer Stelle stört das Eintretende doch noch mehr, und der
Fortgang ist, wenn die Parallele 375 — 390 ausfällt, so unmittel-
bar anschliessend, dass man wohl geneigt sein kann, der Athe-
tese des Aristarch beizustimmen''^). Denn, sind seine uns be-
kannten Gründe nicht hinreichend, so verräth sich in der
Vermittelung durch die Kalypso immer ein Gemachtes, und der
Zusammenhang ist für die Ausscheidung. Es ist also hier die
Frage, hat der Dichter das Ueberkommene mit der etwas gesuch-
ten Erklärung gegeben, oder hat er im einfachen Fortschritt er-
zählt, sodass beim Hergang selbst Odysseus, so wie er es erzählt,
nur zuerst aus dem Wunderzeichen, das sich an den Stücken
und Häuten der geschlachteten Thiere begab (12, 394 f.), ferner
aber an den drohenden Wolken über dem Schilf (405) und den
folgenden Wettern des Zeus (415), wie sie das Fahrzeug zer-
splitterten und die Gefährten versenkten, des gekiänkten Gottes
Gerichte erkamit hat.
Von diesem olympischen Akt abgesehn, hat die Selbsterzäh-
lung zwar eine Reihe Partieen in der dritten Person, aber wo er
da das nicht unmittelbar von ihm selbst Gesehene oder Erfah-
rene in seinem Vortrage einwebt, geschieht es im Interesse der
Hörer, und so, dass die Verständigung, woher es ihm bewusst
geworden, alsbald eintritt.
Und zuerst ist mit sichtlichen Augen zu lesen, wie in dem
ganzen Bericht von Anfang bis zum Schluss die erste Person
des Singular oder Plural übrigens so dnrchhorrscht, dass jene
Zwischenstellen die lebensvolle Kunst dei' Neubildung keineswegs
verdunkeln.
172) Dass Aristarch die Stelle luil dein Ohclos bczeiohnele, zeigt die
Vened. Hdschr. und ein Bezug darauf findet sich in Seh. zu II. 3, 277 und
zu Od. 5, 79. Die Vergleichuti^ dieser Schol. mit dem zu Od. 12, 374 lässt
die Gründe des Kritikers erkennen, der Alles sehende Helios bedurfte des
Boten nicht, und Hermes hat die Kalypso, Od. 5, noch niemals vorher besucht.
117
Als selbslerfahroii lag Alles in der Vergangenheit, sollte er
nun aber seinen Znhörern deutlich und angenehm erzählen, so
musste er erstens die Stadien seiner Irren, Orte und Bewohner
angeben, wie er sie jetzt wiisste, damals im Verlauf der einzel-
nen Abenteuer kennen gelernt hatte. So führt er am Anfang
der Irrfahrt das Land der Kyklopen auf mit dem berühmten Bilde
des noch unciviHsirten Volkes, 9, 106 — 141, so die Insel des
Aeolos und den Windwart mit seiner Familie, wo er einen Monat
(14) verweilte, 10, \ — IQ, so die Läslrygonen mit dem Charakter-
zug von den hellen iSächten des Nordens 10, 81 — 86, so die
Insel der Kirke, 10, J35 — 139. Doch es war an mehren Stel-
len erforderlich, Kundschafter zu senden. Da folgt die Form der
Erzählung immer der Anregung durch die Absendung, sie be-
gleitet zunächst die Abgesendeten und berichtet in dritter Person,
was sie gefunden und erfahren. Hätte die griechische Sprache
nur die Unterscheidung, wodurch die deutsche das, was ein Er-
zähler von Andern her mitzutheilen hat, von dem unterscheidet,
wovon er als gegenwärtig unmittelbare Kunde besitzt — das Per-
fectum nämlich vom andersher Bewussten, die historische Zeitform
vom Unmittelbaren, dann hätte Homer den Odysseus diese Un-
terscheidung anwenden lassen'"). Aber der griechische Brauch
hat sie nicht. Also macht Odysseus in jenen Fällen nur bemerk-
lich, wie er das, was er den Phäaken von seinen Abgesandten
zum lebendigen Bericht vorweg in dritter Person vorträgt, im
Fortgang erfahren hat, im Moment der Erzählung also lebendig ge-
ben konnte. So zuerst hei den Lotophagen 9, 91 — 97. Nach
Angabe, wie er zwei Genossen und einen Herold dazu zur Er-
kundigung beordert, wird gleich gesagt, dass die dort ihnen den
süssen Lotos gaben, und als sie den genossen, nun immer mehr
geniessen und bleiben wollten, alle Rückkehr und Meldung ver-
gessend. Hier lässt der Erzähler hinzudenken, ,,als ich eine Weile
vergebens auf ihre Rückkehr gewartet, ging ich ihnen nach." Er
hatte sie also selbst beim Lotos so selig und zur Rückkehr wider-
willig gefunden, und daher konnte er jetzt das vorher Geschehene
angeben. Nicht so einfach, aber doch auch verständlich und er-
173) Es haben, soviel ich weiss, die Norddeutschen (he obige, die
Süddeulscheii die umgekehrte Unterscheidung.
118
klärt genug, erscheint das von den an die Lastrygonen Abgesand-
ten in dritter Person Gegebene, 10, 102 — 116. Denn 117 kom-
men Zwei flüchtig zurück, die also das Geschehene erzählt haben.
Das Weitere, den Ruf durch die Stadt, und das Zusammenlau-
fen der Riesen zu den Höhen am Hafen und ihre Würfe auf die
Schiffe und das Aufspiessen und Forttragen der im Wasser Schwim-
menden, musste Odysseus gehört und in einzelnen Beispielen
gesehen haben, sodass er nun demnächst von sich in erster
Person erzähleii konnte, was er gethan, und wie er mit seinem
Schiff" allein entkommen sei: 126 — 132.
Es folgt die lebendige Selbsterzählung von der Station der
Kirke 135 — bis er 203 seine ganze Schaar in zwei Rotten theilt
und loost, ob er oder Eurylochos niit der ihm untergebenen
der Spur des aufsteigenden Rauches auf Erkundigung nachgehen
soll. Es trifft den Letzteren. Wieder nun begleitet die Erzäh-
lung in dritter Person die Abgehenden 210 — 244, bis Eurylochos
allein zurückkommt, und zwar ihren Gang und was sie gefunden,
kurz angiebt, aber es ist vorher als geschehen erzählt worden,
was Eurylochos nicht Alles gesehen hat, nämlich auch die Ver-
wandlung im Hause der Kirke. Doch wiederum erklärt der Fort-
gang, w ie jetzt Odysseus aus alsbald erhaltener Kunde, so wie er vor-
weg gethan, den Hergang verfolgen konnte. Dass die Verwandlung
in Sdnxeine geschehen, hat ihm alsbald Hermes nlitgetheilt,
2S2 — 283, und die Weise der Kirke, durch den Zaubertrank,
ersah er 316 — 320, als Kirke ihm selbst einen solchen mischte.
So war ihm Alles bewusst, was er jetzt vorweg gegeben, und
hat Eurylochos in seinem ersten Bericht der im Vorhof wedelnden
V^^ölfe und Löwen (212 f.) niclit gedacht, so spricht er doch,
432 — 434, seine Warnung in Erinnerung an sie aus. So erkennen
wir des Selbsterzählers Weise. Und von da an, wo nun Odys-
seus seinen Verkehr mit Kirke erzählt, die ihn erkannt hat, von
336 an, wer könnte da der Selbsterzählung das poetische und
gemüthreiche Leben absprechen? 3Ian lese besonders das Gleich-
niss 410 — 417. 3Ian beachte, wie im ganzen Verlauf der Cha-
rakter des widerspenstigen Eurylochos gehalten wird und in der
Folge der Abenteuer öfters eine Erinnerung an die früheren
wirkt: 199 f. 435—437.
In zwei andern Stellen weiss der sonst in erster Person
119
Erzählende das in dritter zu melden, was seine Gefährten ge-
sprochen und getlian, während er sich doch selbst als schlafend
bezeichnet. Da sieht es aus, als sei vom Gestalter des Apologs
das, was der Dichter eines altern Liedes in die dritte Person
gefasst gehabt, unbedachter Weise in derselben Gestalt in seine
Neubildung herübergenommen. Indess auch diesen Stellen gilt,
dass das den Zuhörern nach bestandenen Abenteuern Vorgetra-
gene nur aus dem im Fortgang genommenen Bewussten in fac-
tische Folge gebracht ist. So besonders nacln^ eislich im zweiten
Falle 12, 339 — 365. In der diesen Versen zunächst voranste-
henden Partie, 261 — 338, hat Odysseus ganz seiner Situation als
Selbsterzähler gemäss und in aller homerischen Frische vorge-
tragen, wie er nach Kirke's Warnung die Insel Thrinakia zu
meiden gestrebt habe, aber von dem Avidersetzlichen Eurylochos
gezwungen w orden sei , anzulanden , und dort dann widrige Winde
sie festgebannt hätten, sodass Hungersnoth nur ganz kümmerlich
abgewehrt worden wäre. Gerade nun in dieser höchsten Nolb,
als da Odysseus abwärts von den Gefährten in die Stille gegangen
ist, und er die Götter brünstigst um Rettung anruft, da senden
sie ihm den verderblichen Schlaf 338. Hier also folgt, den Um-
ständen nach im engsten Anschluss an das eben Vorhergegangene,
wie derselbe Eurylochos, der zum Anlanden genöthigt hat, die
Gefährten zum Schlachten heiliger Rinder verführte. Ist er vor-
her durch Odysseus' Vorstellungen überstimmt worden, jetzt in
dessen längerer Abwesenheit gewinnt er die Gefährten bei der
drohenden Hungersnoth. Die Beschreibung seiner Rede und des
ganzen Hergangs beim Schlachtopfer wird nach der bedrängten
Lage auf das Genaueste gegeben '^^). Aber diese vorweggegebene
Schilderung hat der Dichter nicht etwa in unbedachter Neigung
zum dramatischen Leben und zur Anschaulichkeil gemacht, nein,
sie erhält sofort ihre Erklärung und Rechtfertigung. Odysseus
erzählt : Aufgewacht sei er in dem Augenblicke, da schon das Opfer
gebrannt und der Fettgeruch sich verbreitet habe 369. Als er
174) Bei A. Jacob S. 444 lesen wir das unbegreifliche Prädicat „des
ganz unbedeutenden Eurylochos" und darauf die Verwunderung, dass
Eurylochos dem Gott einen Tempel verheisst und nicht blos eine Heka-
tombe wie Pandaros 11. 4, 119. Die Unterscheidung, was für jede Lage und
Stelle gehört, ist hier ganz versäumt.
120
sich dem Schifl geuäherl (die Rinder waren von der unfern lie-
genden Weide geholt 353 — 355): „Trat ich an Jeden heran und
schall, doch ein Mittel zur Reitung konnten wir nicht
ausfinden, da todt schon lagen die Rinder."
Diese Worte erklären es genugsam, wie dem Odysseus die
ganze Geschichte des hegangenen Frevels hekannt geworden. Er
kam zu den Opfernden und schalt sie Einen nach dem Andern,
und ^vie es heisst: Ein Mittel konnten Avir nicht finden,
so versteht man: Die Gescholtenen haben sich verantwortet, und
■wie Odysseus wohl selbst den Eurylochos als den Urheber vermuthet
hat, so haben auch die Andern ihn angeklagt; es hat also über-
haupt viele Besprechung des Vorgangs gegeben, und wer will da
abgränzen, v>as von dcjuselben und von der Opferhandlung dabei
zur Erwähnung gekommen sein möge und was nicht.
Der frühere Fall bedarf etwas mehr des ergänzenden Ge-
dankens. Der Selbslerzähler sagt 10, 31, wie ihn gerade, als
man schon die Hirtenfeuer auf den Bergen der Heimath gesehn,
da bei der grossen Anstrengung Schlaf überfallen habe. Aber
sofort, 34 — 49, fügt er in dritter Person hinzu, was seine Gefähr-
ten während dessen verliandelt und verschuldet. Wieder erfolgte,
was die Gefährten sprachen und anstifteten, im engsten Zusam-
menhange mit dem Bisherigen, und war, was in dritter Person
eben von ihnen bei'ichtet wird, die allein richtige Geschichte
der Fahit. Als sie den Schlauch, indem sie Schätze vermuthen,
losbinden und so die Winde heraus und zurückstürmen, da er-
wacht der Schläfer, und sieht an dem Vorgange, es muss eine
wohl begehiliche Vorstellung sie verlockt haben, und vielleicht
auch wegen des silbernen Bandes (23 f.), denn er hat versäumt,
sie über den Schlauch zu unterrichten. Es käme nun erwartet,
wenn der Erzäliler hiei' angäbe, dass er sie gescholten und da-
durch veranlasst habe, zu erklären, wie sie zu der unheilvollen
That gekommen. Doch er spricht nur von seiner eignen Verzweif-
lung im Augenblick seines Erwachens, und der darauf gewon-
nenen Fassung, in welcher er ausdauernd sich in seinen Mantel
gewickelt slill hinlegt. Wir sehen, es hat der Dichter das poe-
tische Motiv, dea Charakter des ausharrenden Dulders bei diesem
grossen Unfall glänzend zu zeigen, allein wirken lassen. Er hat
dem Zuhörer die Enlstehung des Unglücks gezeigt, und ihn befrie-
12J
digl durch die psychologische Wahrheil und das dramatische
Leben der Scene. Da Hess er ihn denn selbst hinzudenken, \voher
der Erzähler sich die voraus gegebene Beschreibung gebildet habe,
sei es nur nach eignem Gedankenbilde, oder in Folge einer Er-
kundigung, die er nur nicht angebe. Leicht aber möchten die
Hörer gar nicht weiter darüber gegrübelt haben.
Als die herausgefahrenen Stürme denOdysseus in der Erzählung
zu ihrem Bändiger zurückgetrieben haben und überhaupt sogleich
nach den 16 Versen mit der Angabe vom Hergang während des
Schlafes, geht der unmittelbare Vortrag mit seinem Ich oder Wir,
Avieder in derselben glatten Weise fort, wie vorher.
Es bleibt nach diesen Erledigungen nur eine Stelle übrig,
welche in wahrhaft anstössiger Weise die dritte Person hat, 9,
54 und 55, Diese Verse sind aus II. 18, 534 und 535 unpassend
wiederholt, und sind zumal bei der Kürze der ganzen Angabe
von den Kikonen völlig entbehrlich, wie diess schon mehrfach
anerkannt Avurde"^).
Im ganzen übrigen Verlauf der Selbsterzählung hat die Rück-
sicht auf das Verhältniss des Erzählers, wie er immer zuerst die
Stadien der Fahrt nach der überhaupt gewonnenen Kunde be-
zeichnen musste, sodann wenn sein Bericht den Gang der Bege-
benheiten in der wirklichen Folge geben wollte, mehrere Male
vorweg das gab, was ihm aus dem nachmaligen Verlauf bewusst
war, diese Rücksicht hat über die Stellen der dritten Person das
Erforderliche nachgewiesen. Dass im Lebrigen nicht blos im 9.
175) S. Friedländer Analecta llonicrica in >'. Jahrb. 1859. drill. Suppl.
H. 4. S. 482 f. Kirchhon". Rh. Mus. N. f. XVI. S. 81 f. Dieser selbe Verf.,
der die Odyssee nach Wolfs zweiter Vermiithung allmählich zur jetzigen
Gestalt erwachsen glaubt, und dies in Figura zu zeigen versucht (die
Entsteh, d. Odyssee, Berl. 1859), bemüht sich im Rh. Mus. a. 0. die Er-
zählung vor Alkinoos in ihrer jetzigen Gestalt als aus späterer Bearbei-
tung hervorgegangen zu erweisen. Bei diesem ganzen Versucli hat er die
allein richtige Vorstellung gar noch nicht, dass der Scliöjder der Odyssee
freilich frühere Lieder überkonuuen halten muss, die er neu bildete, dass
also namentlich auch die Erzählung von den Irrfahrten ihre wesentliche
Umgestaltung für (he umfassendere Anlage erfuhr, in welcher die Irren
mit der Heimkunft und Rache ein Ganzes bildeten. Sein spezielles Ver-
fahren verfolgt Kirchhoff mit einer wenig eingehenden Prüfung der Stellen
dritter Person und einer nircnbar willkührlichcn Trennung des 10 — 12.
Buchs vom 9. Man balle die ubif^c Üarlcf^uiiü; mit iler seinigen zusammen.
122
Bucjje beim über alle andern wichtigen Abenteuer der Blendung
des Polyphem, sondern in gleicher Weise im 10., 11. und 12.
jeder Versuch einer Umbildung der Selbsterzählung in die eines
erzählenden Dichters nur Verwüstung des Schöneren, ja unmög-
lich sein würde, davon muss jeden Leser die Leetüre überzeugen
und vom Versuche abschrecken. Dass dabei diese ganze Partie,
und namentlich die Erzählung vom Todtenreich gar wohl eben-
falls wie andere durch kurze oder umfängliche Einschiebsel ent-
stellt ist, bleibt anderer Betrachtung vorbehalten; über die olympi-
sche Parallele wird nach dem Obigen das Urtheil immer schwanken.
Eine besondere Aufgabe ist es übrigens, zu prüfen, ob die
Zeit des Tages und Abends zu dem zureiche, was Alles von der
Versammlung an Od. 8, 46 bis zu 13, 17 geschieht, oder ob wir
vielleicht die Spiele als später eingeschoben zu betrachten haben.
Wir kommen zu dem dem Dichter ganz eigenen Expositions-
theile B. 1 — 4. Dieser erfüllt seine Bestimmung in dreierlei
Hinsicht, und dies sehr vollständig und schön. Er legt in allen
Beziehungen die Grundsituationen dar, von denen die Handlung
ausgeht. Ausser dass er das göttliche Motiv und in der Schutzgöttin
des Helden die Bew egerin der Handlung hinstellt, zeichnet er erstens
in allen Bezügen die Momente, von denen die Erzählung und die sich
erhebende Bewegung ausgeht. Unverkennbar sind diese ausdrücklich
gewählt, zumal wie sie zusammenstimmen. Die andern Achäer, mit
denen Odysseus Troia zerstört hat, sind jetzt alle schon zu Haus Vers
11, auch Menelaos der späteste 1, 287, 3, 318, 4, 82. — Aber Odys-
seus ist nicht blos nach den vorher bestandenen Irrfahrten schon zur
Kalypso auf Ogygia im fernen Meere gelangt , sondern von deren
Liebe dort schon lange zurückgehalten. Dies also der eine Ausgangs-
punkt der Bewegung , die Insel der Kalypso , w ober Athene seine
Erlösung bei Zeus zur Sprache bringt 1 , 13 f. 49 ff. Wir erfahren
weiterhin, 7, 259 — 2 61, er hatte sieben Jahre dort in Sehn-
sucht nach der Heimath geschmachtet. So war es bereits das
zwanzigste Jahr, dass er nach Troia gezogen, wie das zehnte (5,
107) seit dessen Zerstörung 2, 174. f. 16, 206. 17, 327. 19,
484. 21, 208. 23, 102. Während dieser langen Abwesenheit, in
welcher seine Mutter vor Sehnsucht nach ihm gestorben (11, 202.
f. 1.5, 358) und der alte Laertes, den er an der Schwelle des
Alters verliess, 15, 348, sich im Schmerz um den Sohn und die
123
Gattin zu sterben sehnt, das. 353, war ihm andrerseits der Sohn,
den er noch an der Brust der Mutter verlassen hatte (11, 448.
4, 155. 18, 269.) zum kräftigen dem Vater ähnlichen Jüngling
herangereift (1, 208, 301 f. 3, 122— 125. 4, 141. f). Er, nach
der Schilderung genauer betrachtet, tritt als zwanzigjähriger Jüng-
ling bei einer schüchternen Natur (3, 22—24. 4, 157—159.)
so eben in das Alter der be^ ussten Kraft. Dieses sein erst jetzt
allmählich erstarkendes ßewusstsein ist in seiner Entwickelung
fein gezeichnet und zur Charakteristik der Freier fein benutzt.
Es ist die volksgläubige Dichter Vorstellung, dass dieser Wandel
im Jüngling durcii Atliene geschieht, aber ihre Einwirkung hat
durchaus nichts Gewaltsames, sondern erfolgt in einer Weise,
wie ein wohlbegabter Jüngling durch die Umstände angeregt wer-
den konnte, nur dass dies wirklich erfolgte und gedieh, galt als
Werk der Athene. So ist dieser dargestellt, fein im Verhältniss
zu den Freiern, fein in dem zur Mutter. Wie die Freier eben
jetzt erst auf den hervortretenden Sohn und Erben des von ihnen
begehrten Königthums aufmerksamer werden, dessen Gewohn-
heitsrecht ihnen bewusst ist, 1, 382 — 387 „Das durch Geburl
Dein väterlich Erb ist" — so ist überhaupt ihr Stand sehr \>ohl
berechnet, sie haben etwa sieben Jahre die Rückkehr des Ober-
königs abgewartet, jetzt aber schalten sie bereits bald das vierte
Jahr"^) im Königshause. Und was die Hauptsache ist, es ist die
List, wodurch die treue Penelope Aufschub suchte, bereits ent-
deckt; dass sie das dem alten Laertes zu webende Sterbekleid
immer in jeder Nacht wieder auftrennte, und das drei Jahre hin-
durch so trieb, ist in diesem 4. durch Verrath von den Freiern
mit Augen wahrgenommen, sie hat es vollenden müssen'"). So
steht sie jetzt so, dass sie gedrängt von den Freiern, die nicht
eher aus dem Hause zu weichen erklären, sie habe denn einen
von ihnen gewählt, gedrängt auch von ihren Eltern ein Ende
machen soll. Dass dabei immer (Ue Freier das Hausgut ver-
zehren, ist ihr besonders um des Sohnes willen widerwärtig, so-
wie dieser verlangt sie, dass Jeder wenigstens von seinem Hause
aus die W'erbung betreibe."^)
176) 2, 89 nach Aineis und Lelirs de Arisl. 102, dazu 13, 377.
177) 2. 104 — 110. 10. 149—1.^7 f. auch die Eltern.
178) Die Freier 2, 123 — 128, 203 — 207. Tclcniath 1, 371—380.
124
Bei den so gt-staltelen Verhältnissen des Königshauses mit
den begehrlichen und geualLlhätigen Gäslen, der bedrängten Pene-
lope und dem eben hervorgetretenen Königssohn ist der Glaube
an die. Möglichkeit doch immer noch zu erwartender Uückkunft
des Odysseus ein ganz schwankender, nur nicht ganz aufgegebe-
ner. So weckt ihn Athene als Gastfreund Mentes, indem sie über
seine dermalige Lage nach ihrer Rolle nur menschliche Vcr-
,muthungen äussert, 1, 196 ff., die sich nur auf die geistige Be-
holfenheit des Odysseus gründen, und die sie, wie jeder Mensch
leicht that (Od. 15, 172), einen ihr von den Göttern eingegebenen Ge-
danken nennt: „Doch hindern ihn Götter am Rückweg, er ist in
der Gewalt feindlicher Männer wilden Sinnes u. s. w. , die ihn
wohl wider seinen Willen zurückhalten", — die so gegebenen
Voraussetzungen lassen sich deuthch als nur menschliche Ver-
muthung, nicht als göttliches Wissen erkennen. Mehr wollte die
Göttin jetzt nicht "»).
Aber eben auch als kluger Freund giebl sie dem Telemach
mehrere Rathschläge. Die hauptsächlichsten sind, er soll eine
Volksversammlung berufen und ihr seines Hauses Lage vortragen,
sodann zu den Freunden und Kampfgenossen seines Vaters, Ne-
stor in Pylos und Menelaos in Sparta, der zuletzt heimkam, reisen
auf Kunde nach dem Vater, Telemach, der durch das wunder-
bare Entschwinden und den in seiner Seele wachsenden Muth,
sowie den Gedanken an seinen Vater die Gottheit ahnet, nimmt
Beides zu Herzen. Dass es die Göttin sehies Hauses gewesen sei,
ist ihm gewiss (2, 262),
Es erfolgt nun die Atisfühiung beider Rathschläge, und so-
wohl die Volksversamndung als die Erkundigungsweise bewähren
2, 139—143. Penelope 18, 272 f. 19, 534. 4, 684—686., welche Verse
durchaus so zu verstehen sind: Nicht als Freiwerher, aucli nicht ein an-
dermal sich versammelnd, mögen sie zum äusserslcn und lelzlen Mal jetzt
hier speisen. Die ihr beständig in Haufen die Fülle der Habe verwüstet,
meines Telemaclis Gut.
179) Eine solche MiUheihing gewäliren die Göller auch da nicht,
wo sie sich ihren Günstlingen oflcn dargestellt haben, oder vielmehr ge-
ben sie bei aller Gunst und Geneigtheit nicht, weil ihre Hilfe nur mit
eigener Thätigkeit ihrer Schützlinge zusammenwirkt! Sonst ermuthigen
sie nur mit Zusage ihres Beistandes, oder unterrichten von Gefahren und
geben Rath, 13, 376—378. 390. 4, 20, 49, f.
125
eine wesentliche Mitwirkung zur Darstellung der Grundverhältnisse.
In der Volksversammlung offenbart sich , was der Einfall der vie-
len Fürsten in das Haus des Oberkönigs in Wahrheit ist und
anstrebt. Es sind dies die sämmtlichen jungen Fürstensöhne von
allen vier Inseln, welche den Odysseus zum Oberkönig haben (2, 51.
1^ 285 — 248). Wie sie mit der Hand der Oberkönigin in das
Oberkönigthum zu gewinnen streben, so ist dies eine Angelegen-
heit des ganzen Volkes, und wenn sie in dieser Werbung das
Hausgut aufzehren, mag das Volk in der Versammlung sich aus-
sprechen, ob es diese Gewaltsamkeit gut heisst. Da thut sich
nun in der Versammlung die Parteiung kund. Es treten wohl
einzelne Getreue für das Königshaus auf, am bedeutendsten der
Prophet Halitherses, 2, 157fT., und Mentor, an den Odysseus sein Haus
gewiesen hat 2, 225 ff. Aber man sieht die zwei Führer der
Freier, Antinoos und Eurymachos (4, 628 f.), sie fühlen sich so
sicher, dass sie Telemachs Forderung rund abschlagen und jene
Beiden schmählich bedrohen, ja das erscheinende Vorzeichen sammt
dessen Ausleger im kecken Unglauben für eitel erklären. Das
übrige Volk hat wohl ein gutmüthiges Mitgefühl (2, 81 f.), aber
obgleich Telemach selbst sich an dasselbe wendet 2, 74 f. und
Mentor ihm seine Gleichgiltigkeit scharf verwirft, 2, 239 — 241,
es rührt sich doch nicht weiter, sondern lässt sich von einem
Dritten, Leiokritos, der auf die Aufforderung des Mentor mit
Schmähungen ohne Widerspruch entgegnet, geduldig nach Hause
weisen, 2, 252.
So ergiebt sich, wie die Freier un<l vornehmlich die Ithake-
sier Antinoos (16, 419) und Eurymachos (15, 520) zur Zeit der
Versammlung ihr Unwesen, gestützt auf einen starken Anhang
im Volke, trieben. Dies wurde anders, als Antinoos dem Königs-
sohn nach dem Leben getrachtet hatte und diess bekannt gewor-
den war. Da, überhaupt nach einer Zwischenzeit, spricht Jener,
16, 375, es selbst aus, das Volk sei ihnen nicht mehr günstig
gestimmt, und fürchtet, falls Telemach ihieii Mordplan in einer Ver-
sammlung anzeigte, würde man sie aus dem Lande treiben, 381 f.
Es wird eben jener Mordplan gegen den Königssohn durch
die von Athene aufgegebene Reise Telemachs hervorgerufen. Und
sie wird ausser ihrem schon zwiefachen Zweck , einmal den Huhui
des Odysseus, wie er bei den Kampfgenossen vor Troia lebt, zu
126
ofTenbaren, sodann den Telemach bei seiner Heimkehr mit dem
Vater zusammenznfiihren auch ganz unmittelbar mit den heimisclien
Verhältnissen verflochten. Die Freier in der Versammlung von
Telemach schliesslich angegangen, ihm zu einer Erkundigungsreise
nach Sparta und Pylos SchifT und Ruderer zu geben (2, 212(1'.),
Aveisen ihn mit diesem Verlangen an die Hausfreunde Mentor und
Halitherses, doch nicht ohne Andeutung der Erwartung, es werde
diesen nicht gelingen , 255 IT. Als nachmals bei einer Begegnung
im Hause Antinoos, wie Herrische wohl thun, nach der heftigen Ab-
weisung dem Telemach begütigend hinsichtlich der Reise eine
ganz rückhaltlose Zusage ausspricht, da erwidert Telemach in er-
bitterter Stimmung und weist nicht blos die Gemeinschaft des
Mahles mit ihnen von sich , sondern drohet auch , indem er ohne
auf Jenes Zusage etwas zu geben, seine Reise als Passagier an-
kündigt, mit Maassregeln zu ihrem Verderben, und vielleicht Hülfe
aus Pylos (316 f.). Als er weggegangen, folgt ein Gespräch der
Freier über seine wohl feindlichen Absichten und sein mögliches
Schicksal auf dem Wege. Dass er nun doch wirklich im Geleit
des vermeintlichen Mentor am Abend abschifft, weiss ausser der
Alten, die ihn mit Reisekost versehen. Niemand*', und es bleibt
unbemerkt und unhewusst, bis Noemon, von dem Athene in Ge-
stalt des Königssohnes das Schiff geliehen hat, dessen bedarf und
nach Telemachs Rückkehr zu fragen kommt (2, 386. 4, 630 f.).
Da hören sie, welche ihn in seiner damaligen Stimmung irgendwo
auf einem Gehöft auf dem Lande vermuthet hatten (4, 639 f.),
dass er doch wirklich es gewagt hat, und dass es ihm gelungen ist, die
Reise zu unternehmen. Es erfolgt dann auf des über alle andern
heftigen Antinoos Anschlag und unter seiner Anführung die Ab-
sendung eines bemannten Schiffes , das sich auf die Lauer legt,
um den Telemach bei seiner Rückfahrt zu morden (4, 669 — 672.
842 — 847). So wollen sie mit freveler Gewalt erzielen, was sie
in ihrem Gespräch, im Falle, dass Telemach auf der Reise um-
käme, alsdann auszuführen sich bestimmt äusserten (2, 332 — 336).
Dieser in Folge der Reise gefasste Mordplan, wie er den
ganzen Sinn der Freier bei ihrem Anfall auf das Königshaus
charakterisirt , zieht sich nun fort durch das Gedicht. Athene,
welche durch die Reise nach der Deutung der Schol. den Telemach
auch der bedrohlichen Lage unter den Freiern entrücken wollte,
nimmt den Plan alsbald wahr (5, 18 — 20. 25 — 27). Sie un-
terrichtet dann den heimgekommenen Odysseus von der Lauer,
13, 425 — 428, und vereitelt sie durch die Anweisung, welche
sie dem Telemacb üher den zu nehmenden Rückweg giebt, 15,
28 — 35, nämlich abwärts von den Inseln zu lenken, wo jene
lauern, und von der andern Seite an Ithaka zu landen. Dabei
ist zu beachten, dass durch diese Weisung mit der hinzugefüg-
ten Zusage des göttlichen Schutzes eigentlich die Gefahr ohne
Weiteres beseitigt war, also an dieser Stelle die Verse 31 und
32 überflüssig sind, wie sie J. Bekker als aus 13, 427 und 28
wiederholt ausschied. Wenn dem Jüngling Telemacb bei der
Befolgung dieser Weisung,, gerade bei dem geheissenen Wende-
punkt, es noch als unentschiedene Gefahr die Seele bewegt, ob
er auch wirklich entrinnen werde, 15,300, „sinnend, ob er dem Tode
entrönne oder erläge ", so haben wir bei ihm selbst darin eine
ganz naturgemässe Gemüthsbewegung zu erkennen, er ist wie
der Umstände auf Seiten der Nachstellenden, so des obschwe-
benden Ausgangs nicht ganz gewiss. Ganz anders bei den Zu-
hörern des vorgetragenen Gedichts; sie wussten, wie Zuschauer
einer Tragödie so oft mehr wussten als der Chor, sicherer als
Telemach, dass die Göttin den Reisenden hütete, und erwarteten,
das alsbald zu hören, was der Anstifter Antinoos, 1 6, 365, aus-
spricht: „Ach, wie retteten doch den Mann vom Verderben die
Götter". In diesem Sinne ging der erzählende Dichter, um
die Parallelerzählung zu wahren, 15, 301 , zu Odysseus und
Eumäus über '*").
So giebt es hier nirgends einen begründeten Anstoss. Viel-
180) Dieses Sachverhältiiiss , da Athene als Gölliii die Lauer der
Freier und deren Verfahren dabei kennl, und ihre Weisung in dem Be-
wusstsein, ihn zu retten, gegeben hat, alles Dieses, wie es die Zuiiörer
aus der ganzen Geschichte (13, 421 f.) nicht blos von früheren Partieen
her Vi'issen, bedachte einer derer nicht, welche in ihrem Decret entschie-
den sind, auch die Odyssee müsse sich noch wieder in kleine Stücke zer-
legen lassen. Unachtsam für jene Unterscheidung der Zuhörer sagt er
ül)er 300 und 301: „Subito autem in tanto rerum discrimine, quod ipsi
le et er es cum Telemacho e x timescun t, in novam fabulam a poeta
inducimur." Volkmann Comenlatt. epicae Lps. 54. p. 81. Wir lassen es
bei dieser Probe der in der Schrift bcrrscbenden uni)e(larliten Auffassung
bewenden, und berichtigen ihre falschen Versländnisse, wie sie bei An-
dern wiederkeliren, übrigens imr stillschweigend.
1^8
mehr ist uns die Genauigkeit der Parallelen in diesen Büchern
vom Ende des 13. bis zum Anfang des 16. in ihrer Planmässig-
keit wichtig. S. Fäsi, Einleit. z. Od. 1, XXXIII. Nach 13, 411
f., 439 — 440, 14, 1, 15, 1 — 3 gehen Odysseus und Athene, nach
dem Empfangsgespräch auf Ithaka , gleichzeitig noch in der
Frühe Odysseus zum Eumäus, Athene nach Sparta zu Telemach,
und dieser, welcher in derselhen INacht, wo sein Vater von
Scheria nach Ithaka fuhr, vor Gedanken an ihn nicht schlief,
reist an demselben Morgen von Sparta ab, wo Eumäus seinen
todtgeglaubten Herrn unerkannt als Bettler aufnimmt. Es folgen
jetzt in wechselnden Parallelerzählungen zwei Tage und zwei
Nächte des Aufenthalts bei Eumäus und der Bückfabrt des Tele-
mach. Am ersten Tage, da Odysseus sich durch seine kretische
Erzählung in seiner Bettlerrolle festsetzt, 14. 199 ff., und von
Odysseus bei den Thesproten dem ungläubigen Eumäus erzählt,
363 ff., gelangt Telemach bis Pherä zum Diokles, 15, 185 f.
Am zweiten Tage, während Telemach alsbald bis Pylos und zu
seinem Schille kommt, und nodi bis Phea, 15, 296 f., geschifft
ist, wendet sich der Erzähler erst bei dieser Abendzeit zu Odys-
seus und Eumäus zurück. Sie sind da natürlich schon beim
Abendessen, aber die Frage des Gastes nach des Eumäus Lebens-
geschichte ruft eine so lange Unterhaltung hervor, da Eumäus
mit sichllicherem Drange sich mitzutheilen selbst die zeitige
Dunkelheit der Jahreszeit bevorwortet, 392, dass nur ganz kurze
Frist, etwas zu schlafen übrig bleibt, 493 f. Bei anbrechendem
Tage, dem dritten, den Odysseus bei Eumäus ist, landet Tele-
mach an Ithaka und verabschiedet seinen Gefährten, um, wie ihm
aufgegeben ist, zu Eumäus zu gehen, 504, 555 f. Er findet zu
wiederum genau zutreffender Tageszeit den Hirten und seinen
Gast bei Bereitung des Frühstücks, 1 6, 2. So erfolgt am dritten
Tage von dem Morgen an, wo die Parallelen begannen, die Be-
gegnung des Vaters mit dem Sohne*-').
Es liegt hiermit deutlich vor, dass diese Form der Erzäh-
lst) Es ergiebt sicli aus der vorstehenden Nachwcisung unläugj)ai,
dass die Auffassung, als komme Athene einen Tag später nach Sparta als
Odysseus zum Eumäus, ganz irrig ist. So Bäumlein Z. f. A. 50. S. 83 und
dagegen Fäsi Einleit. z. Od. 1. S. XXXVllI. 2. Ausg.
129
lung vom Dichter gewählt und gegeben ist, um die Absicht der
Reise des Telemach, ihn bei Eumäos mit dem Vater zusammen-
zuführen, in klarer Weise zu verwirklichen. Daher könnte es
uns nur sehr befremden, wenn derselbe Erzähler, welcher jene
Parallelen so genau bemessen hat, die Momente der Frühe, in
welcher Athene den Vater nach Empfang in Betllergestalt zum
Hirten weist, und darauf selbst zum Telemach, der noch
im Bette liegt, geht, ungleich berechnet hätte. Findet sich
da ein Anstoss, so muss es eine Lösung geben. Es hat, die
Worte ohne Weiteres verstanden, wohl den Anschein einer Un-
ebenheit. Odysseus landet auf Ithaka, als der Morgenstern am
Himmel steht, 13, 93 — 95. Die parallele olympische Scene,
125 — 160, und die Angabe von den Phäaken, 187, sind eben in
ihrem eigenen Gange daneben zu denken. Auf Ithaka verhan-
delt Odysseus mit Athene in der Morgendämmerung, aber wenn
auch der Aufgang der Sonne hier nirgends erwähnt wird, son-
dern erst bei Telemach in Sparta, 15, 56, so scheint was Athene
bei Odysseus hinsichtlich der Helle wirkt, doch schon eine lich-
tere Frühe zu verrathen. Erst schafft sie, 13, 189 f., einen
Wundernebel, damit er seine Heimath nicht sogleich erkennen
soll, dann zerstreut sie diesen, 352.
Wohl muss nun der Dichter hier mit dem Nebel gewisser-
maassen eine ähnliche Wirkung gemeint haben, wie die, welche
so häufig eintritt, wenn Götter sich und das Ihrige oder Anderes
durch einen Nebel unsichtbar machen und dann wieder sichtbar '^'*).
Allein keines Falls hat er damit eine Abänderung der natürlichen
Verhältnisse gemeint, wie Athene, Od. 23, 242 — 245, die Nacht
verlängert, die Eos vom Aufgang zurückhält und Here, II. 18,
239, den Helios, damit der Kampf aufhöre, zeitiger zum Okeanos
sendet'®^].
182) II. 5, 186, 345, 506 f. 8, 50, 15, 308. — Od. 7, 15, 40, 143.
183) Wie Fäsi bemerkt, erscheint es II. 8, 485 ebenfalls so, als halje
Here den sofort eintretenden Untergang der Sonne bewirkt, da es so
sehr ihrem Interesse entspricht, dass dieser erste Tajj des Unglücks ihrer
Griechen, das sie so widerwillig hat geschehen lassen müssen, wenig-
stens baldigst zu Ende gehe.
Nltzsch, Gesch. (1. g-iiech. Epos,
ZWEITES BUCH.
Homers Verhältniss zu seinen Vorgängern
und Nachfolgern.
Abschnitt I.
Die Torhoinerisclieii Lieder-
1. Zwei Gesclilecliter der Heroen, ein älteres und
ein jüngeres. Jenes bewahrt seine Heldenkraft
in Abenteuern zur Bekämpfii ng von Ungethümen
oder in Feliden mit Nachbarn unter einzelner
Scbutzgötter Beistand, dieses in Heerfahrten
und Volk er kriegen unter der zwiespältigen
Theilnahme aller Götter und dem Regiment des
höchsten Zeus.
Nach der nationalen Sage gab es, wie schon oben bemerkt,
keine friedsclige Urzeit, kein goldenes Zeitalter'), sondern wer
ilir folgte, fand nur ein jüngeres und ein älteres Heldengeschlecht,
1) Wie die Giganten und iUndiche Sagen des Volksglaubens viehnehr
die umgekehrte Entwickehing vom Roheren und Wilderen zum Milderen
und Geordneteren erkennen lassen, erscheint das goldene Alter erst bei lle-
siod und stammt, wie von Bamberger Rli. Mus. N. Folge 1, 524 (f. schon
»largelhan ist, aus Reflexion und ausländischer Idee. Genauere Uebersicbt
lehrt, dass Hcsiod zweimal Verschlimmerung durch drei Grade angenom-
men, indem er den zwei ersten aus guten und bösen Diimouen umgesetz-
ten, dem goldenen und silbernen, nun zuerst aus dem Volksglauben das
eherne anfügte, dann mit dem Heroengescblecht eine neue Trias begann.
Das allein und zuerst von Hesiod angeführte goldene war niemals
wirklich populär. Der naturgemässe Volkssinn dachte die Erdbewohner
liberhaupt nie weder ganz löblich noch ganz glücklich und Homers Götter
kennen aus ihrer Vorzeit auch im Olymp Hader und Strafgerichte. Re-
lle'cioii, im bewusstercn Zeilaher, Seliusucbt beim Gefühl der schlechten
131
und mit dem älteren gleichzeitig die Erde noch ganz unvvirthlich.
Die Helden bildeten nicht das ganze Geschlecht der Erdbewoh-
ner, sondern sie wohnten unter schlichten Menschen, vor wel-
chen sie, die Adligen, sich wie durch höhere Natur so durch eine
mit Geschick gepaarte Stärke und Mächtigkeit auszeichneten.
Ihrer Hülfe nun bedurften die gemeinen Erdbewohner gar sehr,
damit die hier und da schaltenden Ungethüme, ungestalten rie-
sigen Quäler oder thierischen Missgestalten bewältigt und der
Wohnplatz der Erde befriedet würde. Denn überhaupt je älter
die Zustände um so wilder erscheinen sie und die Menschen um
so heimgesuchter. ,
So verlautet denn als die Folge der Wirksamkeit des älte-
ren Heldengeschlechts, dass es durch Ueberwältigung jenes Un-
wesens Wohlthäter des Menschengeschlechts geworden sei. Die
Gestalten der Wesen, welche auf der Erde sich hervorthun, zei-
gen selbst den Wandel und Fortgang von dem ganz ungeheuer-
lichen Uebergew altigen, dann Gigantischen oder Berghohen bis
zum natürlichen Meuschenmaass, und von Mischnaturen zu Men-
schen und Thieren der Erfahrung. Die Heroen auch des älteren
Geschlechts selbst sind zwar gross und stark , aber keineswegs
gigantisch — wir hören den Kyklopen über Odysseus, Od: 9,
513 — 516, und nicht blos der Thebaner Melissos, den Pindar
Isthm. 3 oder 4, 67 oder 84 ff. besingt, ist kein Orion, sondern
auch, Herakles ist kein Antäos gewesen, aber sie siegten durch
Klugheit oder geschicktere Kraft über die rohen Unholde. Hier-
Gegenwart, endlich auch ascetisclie Lclirer ])racIiton die eigentlicli .ins-
ländische Idee in einige Geltung. Eni]>e(lokles K.-itliarni. 305 fl'. (mIpp
368 ff. schildert die friedfertigen Menschen unter Kypris' llcrr-schafl iiei
nur unblutigen Opfern. Plalo, der Ges. 6, 782 C, diesen Brauch orphi-
sclies Lehen nennt, braucht im Idcalslaate die Menschen des goldenen
Zeitalters zum Gleichniss seiner ersten Classe, und benutzt eben (he lin-
siodischen Züge für verschiedene Zwecke. Politik. 271 D., Kralyl. 397 K.,
Ges. 4, 7 B.C. If. Ausser ihm die Piiilosophen Üikäarch, hei Fuhr S. 102
und Posidonius hei Seueca Br. 90, g 40 11". vermischt mit Kigf'iicin.
Spätere Dichter des gelehrten Zeitalters wie Aratus, Virgil und Ovid
können nicht in Betracht kommen; aber auch die Behandlung des hesio-
di.schen Bildes in der alten Komödie zum rügenden Gegensatze der Sitten
in der Gegenwart ist gewiss ganz anders anzusehn als von Bergk ge-
schehen (de reliqu. comoed. att. anliqiiae 188 If.). Bidiligeres gieht
Prell er im Philo!. 7, 30 f.
132
bei, weil Schön und Gross zusammen gehören, waren, wie ein
Herakles, so ein Achill und Hektor, ja der greise Nestor noch
in seinem dritten Menschenalter grössei* und mächtiger als die
„Männer des Volks"*), sowie die Götter auf dem Bilde (11. 18,
519) über die Reihen der Krieger hervorragen.
Auf das ältere Heldengescblecht sah nun das jüngere als
zu den früheren Männern (11. 1, 260 ff.) mit Bewunderung hin-
auf, wie selbst Achill und Odysseus auf Herakles und dessen
Gegner Eurytos (II. 18, 117 f., Od. 8, 221—25). Aber auch
diese halten neben ihren Grossthaten Frevel begangen (Od. 21,
25 — 30) und wie die grössten Helden nach der echten National-
sage immer die leidenschaftliche 3Ienschennalur an sich tragen,
so haben dieselben ältesten, welche mit den Göttern noch in so
nahem Verkehr lebten, dass die Olympier zu ihren Gastmahlen
kamen und zu ihren Hochzeitfesten persönlich Geschenke brach-
ten (U. 18, 84 f., Pind. J. 7, 38 ff.), sich sehr ungleich erwiesen.
Von ihnen, den Urvätern der Helden vor Troia oder den früheren
Männern, welcher die homerischen oder hesiodischen Gedichte
sonst gedenken^), haben die Einen, wie Aeakos und Peleus, Mi-
2) Achill, II. 24. 453—456, Hektor, II. 12, 445—448, wo nicht blos
450 sondern auch 449 unechtes Einschielisel ist; Nestor, II. 11, 636 f. —
In der spätem Zeit meinten die Griechen die Länge der heroischen Sta-
turen unmittelbar an Gebeinen zu erkennen, welche sie ausgruben und
mehrfach andershin schaATten, s. m. Heldens. Kieler Stud. 401 , Les. Abdr.
27. — Eben die meisten von Göttern stammenden Fürsten und Anführer,
die vom Herrenstande (Geburt aus Zeus), waren heroischer Natur, die
Leute im Heer gewöhnliche Menschen nach Aristot. Probl. 19, 48 , und
jene erkannte man gleich an ihrer Gestalt, Od. 4, 27. 20, 194, 202.
3) Achill, Sohn dos Peleus, der des Aeakos, der des Zeus, II. 21,
189 f. — Diomedes, Sohn des Tydeus, der des Oencus, der des Porthaon,
II. 14,115 — 118. — Glaukos, SohndesHippolochos, derdesBeller ophon ,
dieser des Glaukos, dieser des Sisyphos, II. 6, 196— 20G und 153— 156.
— Idomeneus, Sohn desDeukalion, der des Minos, der des Zeus, II. 13.,
449—452, Od. 19, 178— 181. Des .Minos Bruder, Rha daman thys, II. 14,
322, Od. 4, 564. Agamemnon und Menelaus des Atreus, des Pelops des
Tantalos, 11.2,105— 108, Od. 11, 582. Euryalos Sohn des Mekistheus, der
des Talaos, II. 23, 678, 2, 566. — Die Lapithen Polypötes und Leonleus,
jener Sohn des P e i r i h o o s, w elcher Solin desZeus, (heserSohn des Koronos,
welcher Sohn des Kaiueus, II. 2, 740—746, 14, 317 f. 1, 263 f. Zeus hat
nach Homer den Peirithoos mit der Gattin des Ixion erzeugt, der hei
pragmal isirenden Sagenschreibern selbst Vater des Peirithoos genannt
133
nos und Rhadamanlhys, Peirithoos, Neleus ii. A. als Betraute
und Gesegnete der Götter gelebt, die Andern, wie Tantalos und
Sisyphos, Salmoneus und Ixion mitten im Verkehr mit denselben
arge Frevel verübt und gebüsst. Es war die Zeit der typischen
Beispiele, und die Nachwelt trug eben aus dieser frevelhafte wie
preiswürdige Beispiele im Gedächtniss und Munde. Dies die
naturgetreue Darstellung der echten Sage von dem früheren Alter,
dass die Menschennatur von jeher zu Beidem die Fähigkeit und
Richtung in sich trug, zum Guten und zum Schlimmen, und dass
ihr natürlicher Entwickelungsgang nach der Erfahrung der aus
Roheit zur Bildung war.
Und dieselbe Annahme zeigt uns das dritte Bild von der
Urzeit, das der Prometheussage. Die in diesem Titanen personi-
ficirte erfindsame, das Leben civilisirende Kraft des Menschen-
geistes hat ja dieselbe anfängliche Roheit der Menschen zur
Voraussetzung. Aber die Prometheussage gehört noch mehr als
die Weltalter des Hesiod einer späten Reflexion an, sie, die den
ganzen Schaden der Civilisation und in der Menschenwelt oder
dem menschlichen Gemüth das Weibliche als das Genusssüchtige,
der Lust dienende, darstellt.
2. Fortsetzung. Allgemeine Charakteristik des älteren
Heldenthums nach Poesie und Volkssage.
Die Helden der Ilias und Odyssee selbst vielfältig, oder Ho-
mer gelegentlich, führen, wie bemerkt, die älteren Helden als die
früheren Männer und viele ihrer Thaten auf. Natürlich nur nicht
alle Helden und Thaten, welche vom früheren Geschlecht in
kennbaren Liedern und der Volkssage ruchtbar wurden. Homer
berührt soviel als seinen Organismen passte. Namentlich Per-
seus und Theseus und die Dioskuren erscheinen bei ihm so gut
wie gar nicht. Hierneben entdecken wir hier und da, wie ältere
Lieder, welche neben den bereits vorgetragenen homerischen
wird. — Viele Geschlechter Hessen sich aus Homer selbst noch anfügen,
vor vielen das reiche mit dem Stammvater Poseidon und daneben dem
Aeoliden Kreteus, wie Od. 11, 2.54 — 259 verzeichnet und angedeutel wird,
und wie wir die Abkömmlinge z.B. hison, Sohn des Aeson, Admelos, Sohn
des Pheres, Melampus und Bias, Söhne des Amylhaon, Nestor, Sohn des
Neleus ebßnso finden.
134
forllehten, zu Einschiebseln in diese Anlass gaben, z. B. Lieder
von Heraiiles und von den Jugendthatcn des Nestor. Andrer-
seits macht die erst nach Homer kundbare Verehrung der He-
roen als Halbgötter und Helfer neben den Göttern keinen Unter-
schied. Ausser dass Hesiods Gedichte nach älteren Liedern
Vieles hinzubringen, erkennen wir ^chon bei Homer den Thalen-
ruhni und die Liedesfeier der \\eiterhin auch durch Cullus Ver-
herrlichten auf das deutlichste.
Der Geist des Heldenthunis, uie er zuerst und am lichtesten
in dem älteren Geschlecht, in Herakles vor Allen hervortritt, ist
der, welcher die schweren Kämpfe besteht, eben um ausnehmen-
den Muth und Kraft zu bewähren und dadurch Ruhm zu er-
werben. Solchen Heldengeist zieht wie als Waffe das Erz, so
die trutzige Kraft, iiberhaupt die drohende Gefahr zur Gegen-
that an. Der Held sucht den Kampf und, wo auf dem Wege zu
dem einen Abenteuer sich irgend ein anderer Kampf bietet, er-
fassl er ihn. So ist dies Heldenthum und damit erscheinen persön-
liche Einzelkämpfe, oder doch eben in jener Zeit der Wunderwesen
und der Wildlieit sich hervorthuende schwere Aufgaben, also zu
bestehende Abenteuer von Einzelnen oder zusammengeschaar-
ten Mehren. Da hebt die Sage oder, sagen wir, die besonders
laute Volkssage und das auch spätere Volksbewusstsein drei oder
vier Helden des vortroischen Geschlechts hervor, lason, Herakies,
Perseus und Bellerophon, welclie nach schon vor Homer oder
doch vor Hesiod besungenen Abenteuern auf weiten Zügen über
das heimathliche Griechenland hinaus in ferne Wundergebiete ge-
drungen. Sie sind die Entdecker der unbekannten Gegenden und
der äussersten Gränzen der Erde. Böswillige 31achthaber legten
ihnen allen die Abenteuer auf, aber, mit günstiger Schutzgötter Bei-
stand sieghaft bestanden, brachten sie ihnen Verdienst und Ruhm.
Die Gebiete, auf denen sie wirkten, erscheinen zuerst als Phantasie-
gebiete, die anfangs höchstens in ihrer allgemeinen Richtung durch
die Wege der schiilfahrenden Völker beslinnnt sind. So gehn sie,
wie noch die Irrfahrten des Odysseus, zuerst in d(>n dunkeln
Nordwesten, sodann in dei- Richtung auf Libyen gegen die West-
gränzen des !\lil!ehneeres iiin, und andrerseits nach dem später
gewagten Eindringen in das langhin geförchtete schwarze Meer,
in diesen äussersten Osten. Der eine Held,, Jason, fährt mit
135
den versaninielten Genossen auf dem Schiff Argo, sei es nur
das von Aeetes geraubte goldene Vliess zu holen (das erste Gegen-
bild zum Nibelungenhort, zum heiligen Gral oder Sampo der
finnischen Ralewala), oder um auch die Seele des von Aeetes
gemordeten Phrixos zu sühnen. Die Fahrt geht in der vorhome-
rischen Gestalt, Od. 12, 69 — 72, noch nicht nach Osten, sondern
bewiesenermaassen nach Nordwesten, wie das Ziel der Fahrt nicht
Kolchis, sondern nur ganz unbestimmt Aeaea-Land, Fernland,
heisst. Erst als die milesischen Schiffe das vorher wegen seiner
Räuber, ja Menschenfresser, verrufene schwarze Meer befuhren,
wandte die Sage sich nach dessen Küsten und verlautete in den
Katalogen Hesiods und in den nachhesiodischen Eöen'') der Weg-
weiser Phineus, der Fluss Phasis und Anderes von der östlichen
Fahrt. Aber immer noch war das Aeaea genannte Gebiet unstet,
bis die fahrenden Korinthier und ihr Dichter Eumelos das Land
Kolchis im Winkel des sogenannten Pontos fixirten: 0. Müller,
Orchom. 274.
In das noch nur mit Augen der Phantasie gesehene West-
gebiet Libyens, wo der Berg Atlas vor dem Strom Okeanos liegt,
der die Erde umfliesst, gehen mehre andere Abenteuer, die
des Herakles, nach den Rindern des Geryoneus und den Gärten
der Hesperiden, und das des Perseus, zu den Graeen und Gor-
gonen. Die Zielpunkte von allen dreien Wegen sind phantasirte
Inseln im Okeanos über den Atlas hinaus: die Rinder auf dem
Eiland Erytheia, Rotheiland (Hes. Theog. 290—294), die Hespe-
riden (215), die Gorgonen (das. 274), — denn anders, als auf
Inseln des Okeanos kann man doch diese Angaben nicht deuten.
— Der vierte Held , Bellerophon , wird nach dem nicht ganz so
nebelhaften aber doch auch wunderreichen Lykien in Vorder-
asien gesandt, wo er die drei Kämpfe mit dem Ungeheuer Chi-
maera, mit dem Volk der Solymer und mit den Amazonen zu be-
stehen hat (11. 6, 179 — 186). So führt die Sage diese älteren
Helden, wenngleich Herakles auch in der Heimath aussernaliü'-
liche Ungethüme bekämpfen musste, doch besonders in dunkle
Fernen, wo sich dergleichen vorzugsweise finden. Und von
4) Die Richtung nach Nordwesten; 0. Müller, Orcliom. 273 — 277.
Grolef. Altit. 1,5, mit besondcrn Beweisen. Hesiod im Schol.z, Ap. Ulioil.
2, 181.
136
Wiiiiderwpsen, WiiiKlerkräften iiiul Wirkungen sind diese Aben-
teuer jener Helden voll, während die Sagen und Lieder vom
thebisclien oder Iroisrlien Kriege Nichts der Art kundgeben.
Die Odyssee hat freilich in der Erzählung des Helden von seinen
bestandenen Irrfahrten (9 — l2) mit ihrem Windschlauch des
Aeolos, mit der Zauberin Kirke, den Seirenen, der Skylla, des
Wunderwesens die Fülle; dies aber erstlich durchaus nur in
dunkler Ferne und eben im Bericht des Helden, der die Hörer
wie durch ein erzähltes Märchen , an das man glauben mag,
spannt. Der Dichter giebt damit in demselben Gedicht von der
Heimkunft und Rache des Odysseus, neben der Erzählung vom
politischen Kampf und somit aus der gewohnten Welt und im
Geiste des Jüngern Heldengeschlechts, eine Partie dem älteren
Epos ähnlich mit vieler Nachbildung der Argonautenfahrt.
Der sprechendste Unterschied, der die Helden des älteren
Heldengeschlechts von denen des jüngeren unterscheidet, liegt
in der persönlichen Begabung und in den Mitteln, durch welche
die Götter mehren ihrer Schützlinge Beistand leisten. Von
den Argonauten sind viele mit Wunderkräften begabt: Orpheus,
der Steine wie Menschengemüther bannende Lautner, Lynkeus,
dessen Auge durch Fels und Holz dringt, Periklymenos, der alle
Gestalten annehmen kann, Zetes und Kaiais mit beflügelten Füssen.
Periklymenos widerstand mittels seiner Gabe auch dem Herakles
lange Zeit in der Fehde gegen Neleus; Melampus, der Seher,
der die Sprache der Thiere verstand, wirkte Wunder, als er
nach der Heerde des Phylakos ausgezogen. An Perseus dann
zeigen sich die reichen Wunderhilfen der Götter, ein unsichtbar
machender Helm (den in der Illas nur Athene trägt) und Flügel-
sohlen, zum W^erke selbst eine Sichel und ein Spiegel. Wiederum
aber ist Herakles in dieser Hinsicht von den Andern unterschie-
den. Ihm geben Sagen und Poesie durchaus nichts von Wunder-
kräften oder Werkzeugen; nur das Einzige, das wunderschnelle
Pferd Arion dient ihm bei Einem Zuge (Paus. 8, 25, 10). Der
Held der Helden also bedurfte keiner VVunderhilfen ; er, der
echteste Halbgott wirkte und bestand Alles durch die ihm ange-
stammte eigene Tugend; ihm, dem grössten des älteren Ge-
schlechts stand nur Athene zur Seite, wie dem grössten des jün-
geren, dem Achill, Od. 11, 626, U. 8, 362 f., vgl. mit 11. 22,
137
214, 270. Herakles, der allgemeinste und eigenste Nationalheld
und wenn einer, der Cid der Griechen, ist dies freilich haupt-
sächlich durch die verbreitetste Verehrung, Iheils als Heros,
theils als Gott geworden^). Hatte das Epos Grossthaten und
Erlebnisse des Herakles von unvordenklichen Zeiten her gefeiert,
so haben an keines Helden besungene Abenteuer die Volks- und
Cultussagen so viel angeknüpft, als an die seinigen und bei kei-
nem ist die Unterscheidung des allmählichen Wachsthums der ihn
feiernden Poesie, von dem, was der Volkssage angehört, in dem
Grade unthunlich, wie bei ihm^), die ihm beigelegten Zi'ige, Kämpfe
und Erduldungen sind zahlreicher, mannigfaltiger und im Fort-
gang der Wechselwirkung von Poesie und anknüpfender Volks-
sage wandelvoller, als die irgend eines zweiten. Wohl sind seine
sogenannten Arbeiten, die ihm in Dienstbarkeit unter dem schlech-
teren Mann Eurystheus auferlegten Abenteuer, sein zuerst ruchl-
barer Ruhmstitel; aber erstens steht neben diesen eine andere
Reihe von Bewältigungen, die er auf den weiten Hin- oder
Rück- oder Seitenwegen der Züge nach den Rindern, den Aepfeln
der Hesperiden, nach dem Hunde der Unterwelt vollbracht und
damit eine andere Zahl von Ungethümen vertilgt hatte, sodann
kommen gar viele Fehden hinzu, da er mit einer Schaar Ge-
nossen an einzelnen Fürsten Rache genommen, ihre Burgen ver-
wüstet und zerstört haben soll , wie vor allen die Fehde gegen
Eurytos in Oechalia, dann die gegen Neleus, die gegen Laome-
don, Herrscher in Troia, nach der er mehre Inseln strafte.
Mit alledem ist die Sagenfülle nicht umfassl, und wir er-
kennen in der verklitternden Zusammenreihung dieser Fülle ^), wie
sie die Sagenschreiber, besonders ApoUodor, versucht haben,
nur das Gemachte, d. h. die ursprünglich theils einzeln unab-
hängige Dichtung, theils die ganz jungen Wandelungen und An-
knüpfungen. Eine besonders wirksame Ursache der Fülle und
5) Herod. 2, 44 a.E. Nach Isokr. an Philipp. 12, Paus. 1, 15, 4 und
Diod.4, 39, wollten die Attiker die ersten gewesen sein, welche den Hera-
kles göttlich verehrt. Vgl. Eur. ilerakl. d. Ras. 1323— 1335, Plut. T!ies.35.
6) Am meisten Sagen knüpfen an das Abenteuer, den Rückweg mit
den Rindern des Geryoneus; bei den Skythen sogar am Ponlos nach Her.
4, 8.
7) Sie ist dargelegt in Jacobi's Handwövterb. d, Myth- S. 305 — 423,
138
ManriigfalU^^keit ist offenbar die Miscliung des lielieniselien Helden
mit Heroen oder Göttern der Lydier (0. Müller) , Aegypter und
besonders dem phönikischen Gott Melkart.
Für uns nun gilt es, da wir das kundbare Epos suchen,
einerseits die jungen Wandlungen der hellenischen Sage bemerk-
lich zu machen, andererseits besonders das hervai'zuheben, was
deutlich erkennbar von der Vermischung des hellenischen und
des phönikischen Herakles herzuleiten ist. Beides tritt uns ins
Licht, ^Yenn wir Pindars Darstellungen des Herakles an der Ge-
schichte der griechischen Colonieen prüfen und die Ergebnisse
der Forschungen über die Phöniker vergleichen.
Da in der frühesten Dichtung von Erytheia und den Hespe-
riden nur der Atlas an die unbestimmte Gränze Libyens gesetzt,
sonst das Phanlasiebild der vom Ocean umflossenen Erde behal-
ten war, wie Hesiod jene in den Ocean verlegt, so geht die rein
poetische üeberlieferung bei den Tragikern zwar fort*); Stesi-
choros dagegen und Pindar haben die im Fortgang erfolgten
Fassungen der Volkssage nachgedichtet. In Folge der Gründung
von Kyrene erscheinen erst die Hesperiden und die Gorgonen
fest angesetzt, und zwar an der grossen Syrte, und der von He-
rakles niedergekämpfte Antäos heisst König der Libyer zu Irasa*),
zwischen Kyrene und Aziris, wo später Barke. Die Kyrenäer
sind durch die Fruchtbarkeit ihres Gebiets bewogen worden, sich
die Hesperiden anzueignen. Der Kampf mit Antäos, den der do-
rische Stammheld besteht, war Personification und Bild der Be-
wältigung der Eingebornen, die, einmal besiegt, in immer neuen
Schaaren erschienen; das ist der niedergeworfene und immer
kräftiger wiedererstehende Antäos, wie 0. Müller sehr wahrschein-
lich deutet (Dor. 1, 452). Und offenbar ist auch der ägyptische
Busiris, der die Fremden opferte, selbst ein Bild der durch
schlimme Gerüchte vom finsteren Sinn dei" Aegypter angeregten
Volkssage (Personification des Stadtuamens Her. 2, 59), und diese
war es, die den Herakles, da ihn die Gefahr bedroht, den Wüthe-
rich bändigen Hess (Apollod. 2, 5, 11)'").
8) Aescli. Prüm, 795. Soph. Tracli. 1100, Eur. llippolyl. 742 — 748.
9) 0. Müller, Orchoin. 346. Völker, Mvtli. Geogr. S. 120, vgl. mit
S. 73, Find. Pyth. 9.
10) Das Bild des Busiris stammle schon aus älterer Zeit mehr blosser
139
Gleichfalls allein der Volkssage angehörig finden wir die so
berühmten Säulen des Herakles, und zwar indem hier be-
sonders der hellenische sieghafte Abenteurer mit dem phöniki-
schen Melkart in Eins gemischt Avard. Wohl ist nämlich dieser
Ausdruck Säulen des Herakles oder blos die Säulen hei den
späteren Griechen der stehende für die Gegend um Kadix (Ga-
deira) oder die bei dem Gebirge Abile und Ralpe zu beiden
Seiten der Meerenge von Gibi-altar. Aber die ursprüngliche
hellenische Sage und Sagenpoesie kennt keine andere Weltgränze,
als den umströmenden Weltstrom Okeanos (Her. 4, 8). Wie wir
sahen, lagen die Zielpunkte der beiden westlichen Abenteuer des
Herakles, die Insel Erytheia, wo xlie Rinder, und die andre, wo
der Garten der Hesperiden ") , „jenseit des Okeanos", d. h, auf
einer Insel desselben. Nun hat jedes Abenteuer seine eignen
Wege sowie seine eignen Wunderwesen, die auf denselben von
dem Helden getroffen und bestanden werden. Jene beiden Wege
des Herakles gingen aber von Tiryns oder von Mykene, der Stadt
des Eurystheus, aus und führten zu Lande durch Europa ; denn He-
rakles ist kein Seefahrer. Hatte er doch eben den Helios um sei-
nen Kahn zu bitten , um zu seinen Zielen zu gelangen. Es ergiebt
sich hieraus zuerst dies: die Säulen des Herakles sind ein
Erzeugniss der über das sagenhafte Phantasiegebiet erweiterten
Kunde des Westens, und wer nach der Sage das Mittelmeer zu-
erst bis zum Ausfluss in den Ocean befahren hat, dem gehören
jene Säulen an. Das ist nun nach Pindar (dem Ersten in unse-
rer Litteratur, der die Säulen nennt) Herakles. Pindar lässt die-
sen nicht, wie die sonstige Sage, nur die Erde von Ungethümen
säubern und befrieden, sondern ebenso die Meerungeheuer tilgen
und damit der Schififahrt Bahn machen'-). Aber indem er
Gerüchte über Aegyptcn. Hesiod naniiln ibn nach Tlieoii Progymn. 6,
11 Alter aller als Herakles, wie auch Isokr. Busir. 15, aber die Sage von
Herakles kam später hinzu. Es verwarf sie llerodot 2, 45.
11) Hes.Theog. 287—294, 309, das. 215 und 216, 275 f. und der be-
wachende Drache 394 f. —
12) Nem. 1, 63 — 95 prophezeit Teiresias vom Kinde, (bis dir- Schlan-
gen erdrückt hat, wie vieles wiblc Gelliierig er auf dem Festlande, wie
vieles auf dem Meere er tilgen werde. Istbm. 3 und 4, 73; „Der zum
Olymp stieg, nachdem er der Erde und des klippenvollen Meeres Fläche
besucht und den Schiinahrlen die Fuhrt geruhig gemacht.
_ 140
in der Meeresfluth die Ungeheuer bezwang, zeigte er wie weit
die Bahn der Schiflfahrt gehe, indem er die Strömung und die
Seichten erforschte und stellte zum Zeugniss des Aeussersten die
Säulen auf*^). Diese noch in andern Stellen desselben Dichters
festgehaltene Charakteristik des Herakles hebt gerade ein Verdienst
hervor, auf das die frühere echt nationale Sage und Poesie vom
Helden, der auf Geheiss des Eurystheus erst nach den Rindern,
dann nach den Aepfeln der Hesperiden in den äussersten Westen
zieht, nicht ausläuft. Nur späte Verklitterer der mannigfachen
Sagen haben die Aufstellung der Säulen dem Zuge nach den
Rindern augereihet, was gar keine innere Begründung giebt").
Sonst erscheint Herakles erstlich als „Reiniger" auch des Meeres
nur in summarischer Lobeserhebung wie bei Piudar, so bei So-
phokles Trach. 1012, und 1061 sind die Säulen ebenso nur in rhe-
torischem Gesammtbilde als Siegesmale und Zeugniss, wie weit
griechische Kraft gedrungen (Isokr. Philipp. 47). Irgend Etwas vom
speziellen Hergang kommt nirgends hinzu, noch erscheint Hera-
kles irgend wo als ein Heros und Hort der Schiffenden, was
nicht fehlen würde, wenn irgend die Sage Beispiele davon über-
liefert hätte. Hätte er im Volksglauben auch das Meer befriedet
und der SchifFfahrt Bahn gemacht, dann würde die Sage von
Kämpfen mit Seeungeheuern erzäblen, wovon nirgends, als in der
ganz anders motivirten Befreiung der Hesione die Rede ist, sonst
nirgends eine Spur*).
Es leuchtet auch bald ein, dass die von Herakles angeblich
gesetzten Säulen sich als solche in keiner Beziehung zum deut-
lichen Bilde gestalten; was und wo sie seien und wie sie der
Held aufgestellt, wird entweder gar nicht oder von den mannig-
fachsten Orten angegeben, nur immer im äussersten Westen.
Und so hat die zwiefache Forschung über Herakles und über
die Schifffahrt der Phöniker überzeugend dargethan , dass nicht
der Herakles der hellenischen Sage, sondern der phönikische,
d. h. die Verehrer des tyrischen Herakles, des Melkart, die Säulen
13) Nem. 3, 21—26. Er zeigte das ,,Bis hierheV und nicht weiter".
Nem. 4, 69: ,,Aus Gadeira unter die Nacht dringt nimmer der Segelnde;
nach dem Land Europa zurück wende das SchilTszeug." Vgl. Isthni. 3,
30. Ol. 5. a. E.
14) ApoUod. -2, 5, 10, 4. Diod. 4, 18. Schol. zu Find. 3, 79.
*) Hierbei ein Fragezeichen von des Verfassers Hand. A. d. H,
J41
gesetzt, oder dass sie von den Phönikern und ihrer Scbifffahrt her-
stammen und durch sie in die herrschende üeberlieferung gekommen
sind. Die Phöniker sind es auch nach Strabo, durch welche den Grie-
chen die erste Kunde jenes Westens gekommen, die zu den Sagen von
Herakles gestaltet worden '^). Sie sind früher, als die verschlagenen
Phokäer und kühnen Aegineten (Herod. 1, 163) nach Tartessos
gelangt, und haben wie dieses in grauer Vorzeit selbst so später-
hin in Spanien und an den Küsten Libyens andere Plätze ge-
gründet. Gadeira (Kadix) gilt nur angeblich für ihre kundbar
älteste Anlage in Spanien, und lag ausserhalb der 3Ieerenge und
in dessen Nähe, oder nach Tartessos, was man in dunkler Vor-
stellung für dasselbe hielt, wurden die Säulen meistens verlegt.
Mögen die Phöniker nun selbst hier oder zuerst am Anfang der
Westhälfte des Mittelmeeres die warnenden Armsäulen aufgerich-
tet haben: es waren unstreitig ursprünglich Warnungszeichen für
die Seefahrer vor gefahrvollen Stellen. Ob ehrUch, ob lügen-
haft die Phöniker warnten, ist nicht recht zu bestimmen, Strabo
nennt die phönikische Lüge (170) sprichwörtlich, und weiss (175
a. E.) dass sie zuerst in den Ocean hinausgeschifft, aber ihre Fahr-
ten verheimlicht hätten. Die genauere Forschung hat jüngst das
obige Ergebniss gebracht'*). Dass nun die Durchfahrt in den
Ocean Hemmnisse gehabt, wird allerdings mehrfach angegeben,
sodass die Vorstellung eines weiterhin umfahrbaren Meeres ge-
wissen thatsächlichen Grund erhält''). Doch fest steht ja, die
15) Die verschiedonon rioulungon der Säulen verzeichnet derselbe
170 — 172, unter denen die auf die Jteiden Gebirge, Abile auf der afri-
kanischen, Kalpe auf der spanischen Seite, nun auch ihre Vertreter hat.
Dieselbe Vieldeulung bei Hesych. unter dem Wort.
16) Redslob Thule, die phönikischen Handelswege nach dem Norden,
Leipz. 1855, S. 3, dessen obige Erklärung vor der aus Cultussäulen bei
Movers, Phönizier 1, 295, den Vorzug verdient. — Ueber Tartessos und
sein Verhällniss zu Gadeira s. Redslol), Tartessus. Ein Beitrag zur Ge-
schichte des phönicisch-spainschen Handels. Ihunh. 1849, S. 18.
17) Find. N. 3, 24, spricht von Seichten und Arislot. Meteor. 2. 1,
ebenfalls von seichten Untiefen. Nach dem Schob z. Find., Ol. 3, 79, ist's
Chacs, d. Ii. Nebclluft, Finsterniss, nach Aristol. Wundergesch. 148 dich-
tes Schilf und Seegras, und nach dems. das. 35 sieht man hei Nacht Flam-
men dort, wie sie von solciiem Boden aufleuchten. Man vergl. die merk-
würdige Aeusserung des Tacitus, German. 34 a. f. et superesse adhuc
Herculis columnas u. f.
142
Phöniker sind frühzeitig und viel liindurcli gefaliren und eben
von dieser Durchfahrt mögen wir eine besonders sprechende, my-
thische Form in der Angabe entdecken: Die Berge Abile und
Kalpe hätten ursprünglich einen ununterbrochenen Höhenzug
gebildet, Herakles aber habe sie getrennt und so das Aussenmeer
eingelassen "*).
3. Abschluss der Charakteristik des älteren Hei de n-
geschlechts.
Wenden wir von diesen Um- und Zudichtungen der Volks-
sage uns zu dem echt epischen Bilde des Herakles und über-
haupt zu den Helden des älteren Geschlechts zurück, so betonen
wir gerade hier, dass gegenüber den phönikisirenden Sagen,
welche den Herakles so viel auf Heereszügen in Afrika aufführen,
der griechische von Zeus erzeugt ist, um Göttern und bedürfti-
gen Menschen einen Abwehrer des Unheils zu schaffen (Hesiods
Seh. 29). Dies ward er gleich zuerst und zumeist, nachdem
Zeus, von seiner Here politisch überlistet, es hatte geschehen
lassen müssen, dass der Sohn des Persiden Sthenelos, Eury-
stheus mit der Erstgeburt die Herrschaft über seinen Sohn ge-
wonnen, und nun dieser in Dienstbarkeit die von Jenem aufge-
gebenen Kämpfe vollziehn musste. Beachtet man die gegebenen
Andeutungen und die sinnigen Beziehungen, so hat Herakles im
Gehorsam unter das missgünstige Geschick sich schon als Wohl-
thäter der Menschen vollbewährt, als Zeus, nachdem Prometheus
Fesseln und Strafe verwirkt, dessen Erlösung durch Herakles
gut heisst. Denn dass Herakles bereils im Buhme stehe, besagen
die von jener Bewilligung gebrauchten Worte ausdrücklich: Gar
nicht zum ^iissfallen des obwaltenden Zeus, auf dass der Buhm
des Thebäer Herakles noch herrlicher als vorher über die weite
Erde ginge (Hes. Tbeog. 526—531). Die ganze Idee, welche in
diesem Akt der Erlösung durch Herakles ausgesprochen ist, ver-
langt es, dass der Erlösende bereits als das Gegentheil vom fre-
velen Prometheus offenbar und anerkannt sei. Der titanische
18) Mala 1, 5, 3 und Diodor 4, 18 iiiil beigemischten Verdrehungen.
Da ist Herakles wie eine Naturgewalt gleich deniBriareus und Säulen des
Briareus nannte sie eine ähnliche Vorstellung nacli Arislol. hei Aolian
V. G. Ti, 3. Vgl. 0. Müller Dor. 1, 452 f.
143
•
Geist und Sinn, der in achtlos unfrommer Maasslosigkeit den Men-
schen wohlzuthun gestrebt, wird aus der verhängten Strafe und
Qual erlöst durch den Helden, der im Gehorsam unter ein Miss-
geschick derselben Menschheit Wohllhäter geworden ist.
So ist hiermit denn für die Folge und Geschichte der Sagen-
dichtung und der Poesieen — da hier ein überaus sinniger
Dichtergeist anzuerkennen ist — deutlich gegeben, dass die sieg-
haften Kämpfe nach Eurystheus' Geheiss früher gedichtet waren,
als die Erlösung des Prometheus. Wie aber in der oben. Buch
1, § 6, genauer besprochenen Dichtung vom Herakles als Mit-
kämpfer der Götter gegen die Giganten dieser Held in demselben
ausgeprägten Charakter der gesittigten gottgefälligen Menschheit
erfasst ist, so gilt derselbe Schluss auch für die Dichtung der
Gigantomachie, auch sie erweist sich als nach dem Dienst unter
Eurystheus erfunden.
In dieser Dienstbarkeit nun erhält Herakles eine Reihe schwe-
rer Abenteuer von dem Eurystheus auferlegt, welcher, wenn
nicht Here ihm, dem Persiden, in Argos die Herrschaft erlistet
hätte, vielmehr Jenem unterworfen gewesen wäre und der daher
in eifersüchtig launenhafter Böswilligkeit seine Aufgaben stellt. Es
erscheint also auch hier die noch unbefriedete Erde voll von
Ungelhümen und wilden Mischgestalten , andrerseits die Stimme
der Völker in ihren Führern in Streit und Eifersucht um Vor-
rang und Herrschaft, also im politischen Kampfe. Dieses Ver-
hältniss, das sich zwischen Herakles und Eurystheus so beson-
ders deutlich zu kennen giebt, es wiederholt sich bei mehren
Andern des älteren Heldengeschlechts, welche ebenfalls von bös-
willigen Herrschern schwere Abenteuer auferlegt erhalten: bei
lason, Bellerophon Perseus, auch bei Theseus, Mie weiterhin
das Verzeichniss der vorhomerischen Lieder genauer zeigen wird.
Als besonderer Charakterzug der Sagen gerade vom älteren
Heldengeschlecht ist zu bemerken, dass dem Theseus bei seinem
Unternehmen die Liebe der Minnstocliter Ariadne mit ilirem
Faden, dem lason die der Medea mittels Zauberkünsten beistand.
Und die Liebe wirkt mehrfach auch sonst in dieser abenteuern-
den Welt, namentlich ist sie noch öfter das Motiv für Theseus.
Als in der Liebe veränderlich zeigen ihn die Angaben Plutanhs
29. Vornehmlich im Bunde mit Peirithoos hat er mehi'e Liebes-
144
•
aljenleuer ausgeführt. Sie verbinden sich gegenseitig zur Er-
werbung einer Braut. Theseus raubte mit Peirithoos Hülfe die
Helena — und eine Sage nannte sogar die Iphigenia ihre Toch-
ter — darauf gingen sie , die Persephone oder Köre für Peiri-
thoos zu entführen, in die Unterwelt'^). Mit Peirithoos hatte
Theseus nach Pindar auch den Zug nach dem AVohnsitz der
Amazonen, Themiskyra, unternommen, auf dem er die Antiope
heim führte, mit der er den Hippolytos zeugte (Paus. 1, 2, l
oder fr. 151). Hierzu kommt, dass die attischen Sagen dem The-
seus von den gemeinsamen Grossthalen des älteren Heldenthums
nichts nach so abgevsogenem Zeugniss beilegen als die Theil-
nalime am Kampfe der Lapithen gegen die Kentauren unter Pei-
rithoos Führung (PI. Thes. 2Ü und 30). Alles Dies zusammen führt
zur Unterscheidung einer Zeit und Thatenreihe, während welcher
Theseus in Freundschaft mit Peirithoos lebte und strebte; wo-
gegen er in einer andern Gruppe von Sagen des Herakles Nach-
eifrer und Betrauter ist. Ist diese letztere Gestalt die jüngere?
oder sagen wir besser, im Verhältniss des Theseus zu Herakles
ist am meisten geneuert worden? Theseus ward in Attika's Cul-
tus und Sage erst gross von den Perserkriegen an, und erst
dann zum gepriesenen ßürgerkönig.
Alles bisher vom älteren Heldengeschlecht Gesagte zählt zum
Wesen von Abenteuern durcii die der Einzelne unter Beistand
einzelner Götter seine Tugend bewährte. Dieselbe Art haben
aber auch die neben jenen Abenteuern kundbaren Fehden jener
Heldenzeit, sofern die Sache auch da immer auf Auszeichnung
und Buhm Einzelner ausgeht. Es sind dies theils kleine Kriege
zwischen Nachbarstämmen , theils Züge einzelner Helden mit
gesammelten Genossen gegen eine Burg. Das unterscheidende
dieser Fehden von den Kriegen des jüngeren Heldengeschlechts
ist, dass durch sie rein persönliche Beleidigungen gerächt wer-
den, nicht solche, welche die göttliche Gerechtigkeit angehn.
Lud glänzende Siege über die Beleidiger sind Ausgang derselben.
Zu solchen Fehden und zur Hülfe der Hauptkämpfer werden be-
freundete Helden aus der Ferne gerufen, wie der junge Nestor
19) Die Stätte des Bundes : Soph. Oed. a. K. 1593 f. Helena i. Stesi-
choros 6, Paus. 2, 22, 7, Köre: Pindai- 1). Pausanias 1, 41, 5. Das Epos
>Iinyas: Paus. 10, 28, 2. Der spätere Epiker Panyasis das. 29, 9.
145
von den Liipitlien (II. 1, 269 f.), oder sie finden sich selbst ein.
Der allgemeine Thatendrang bedarf nur der Gelegenlieil, um zu
Abenteuer oder Fehde Viele herbeizuziehn. Von zwei Aben-
teuern meldet die Sage dies besonders, der Argonautenfahrl des
lason und der von Meleagros angestellten Jagd des kalydonischen
Ebers, den der Zorn der Artemis gesendet. Bei beiden sehn
wir das Verzeichniss der Theilnehmer im Fortgang der Sagen-
dichtmig gewachsen und gewandeil, sei es durch den Ehrgeiz
der Stämme für ihre Helden oder durch Willkür der Dichter.
Die Theilnahme an dem einen wie an dem andern Unternehmen
wurde unstreitig schon früh Gegenstand der national-ruhmsüch-
tigen Poesie, wie nachmals die am troischen Kriege, aber ein
ältestes Namensverzeichniss vermögen wir weder von den Argo-
nauten noch von den Jägern zu unterscheiden, nur dass eine ge-
wisse kleinere Zahl in allen den Aufzählungen wiederkehrt, unter
den Argonauten namentlich lason und Orpheus, Herakles und die
Dioskuren, Periklymenos Neleus', Peleus Achills, Telamon Aias',
Menoilios Patroklos' Vater, Zetcs und Kaiais Söhne des Boreas, Idas
und Lrnkens, Söhne des Aphareus, Meleagros, der Held des andern
Abenteuers, der berühmte Bogenschütz Eurjtos und der Steuer-
mann Tiphys^°).
Die Weise des älteren Heldengeschlechts, da lason und Me-
leagros eine Zahl anderer einzelner Tapfern zur Theilnahme an
ihrem Vorhaben aufriefen, wiederholt sich bei den Heerzügen des
jüngeren Geschlechts gegen Theben und Troia. Aber in den
Sagen von diesen Heerfahrten gegen Königssitze zu ihrer Zer-
störung und unter dem Walten des ganzen Götterraths mit dem
höchsten Zeus erscheinen auch als von der älteren Fleldenzeit über-
lieferter Brauch Wettkämpfe oder Spiele auf zwiefachen Anlass.
Einmal wurden bei Bestattung eines gefallenen Helden ihm zu
Ehren Wettkämpfe gehalten im Wagenrennen, Faustkampf, Bin-
gen, Wettlauf, Diskoswurf, Speerwurf, Lanzenstich, Bogenschuss.
Die Sieger gewannen Preise, erste und zweite; bei Liberalität
des Anstellers noch mehre. Es bestehen diese Preise in ge-
schickten Sclavinen, Pferden, Bindern, Maulthieren, Gewichten
20) Das Verzeichniss der Argonauten Jiei dem für uns iilleslen Zeu-
gen, dem Pindar, P. 4, 171 — 187 nennt niu" die GöUersöhne, alter alle anderen
Tapfern habe Here angeregt.
Nitzsch , Gpsch. d. eriedi. Epos. 10
146
Goldes oder Silbers, Mischkrügen, Siedekesseln, Becken, Trink-
bechern, früher erbeuteten Waffenstücken u. A. Aus der älteren
Heldenzeit sind die Leichenspiele, welche Akastos seinem Vater
Pelias veranstaltete, nach älteren l^iedern in Poesie und Kunst-
bildern vorzüglich ruchtbar (Lade des Rypselos Paus. 5, 17 — 19.
Stesich, fr. 1 — 3). Homer, wo er den Achill seinem Patroklos
Leichenspiele feiern lässt, II. 2:^, erwähnt dabei mehrer Belege
des alten Brauchs 630—640, 679 f.^'). Zum andern Hess er in
der Odyssee die Penelope den Bogenkampf, der über ihre Hand
entscheiden sollte, ebenfalls nach alter Sitte anstellen (21, 2,
74 — 79). Die Väter nelumworbenei' Jungfrauen, die jedenfalls
von den Freiern durch bedeutende Leistungen zu erwerben
waren, verlangten bisweilen bestimmte, schwer zu beschaffende
Geschenke, wie Neleus für seine schöne Pero, wovon alsbald.
Oefter aber gaben sie einen schwierigen Wetlkampf auf. So
Oenomaos in Elis um Hippodameia, Danaos um se'ipe Töchter,
Ikarios um die Penelope, ja noch Kleisthenes in Sikyon um seine
Agariste^^). Penelope war in der Lage, selbst aus den Freiern
einen wählen zu sollen. •
Nach dem Angeführten kommen alle von dem älteren Helden-
geschlecht überlieferten Charakterzüge in Folgendem überein:
Der Held, als dem Menschenloose unterworfen, hat Schweres
auszudulden; aber er besteht als duldherzig und starkmüthig
[TttXaxciQdLug, xaQTSQod-v^og) dasselbe, sei es ein einzelnes Aben-
teuer oder eine Fehde, oder ein Waffenspiel sieghaft und zwar
unter seiner Stamm- und Schutzgötter Gunst und Beistand,
welche ihre Schützlinge mehrfach auch mit eigenen ^Vunder-
kräften oder VVunderwerkzeugen begabten, so wie viele der
Abenteuer ihre Scene selbst in fernen Wunderorebieteu hatten.
21) In Hesiods Werken und Tagen 652—657 oder 654 — 659. GÖlll.
wird der Wetlkämpfe bei des Ainphidamas Bestattung in Chalkis auf Eu-
böa gedacht. Ob ein späterer Interpolator die Verse ^on Hesiods Siege
dabei eingeschoben, oder nur einer einen Wettkanipf Hesiotls mit Homer
hier angebracht habe, das ist streitig. S. Göttl. und 3Iarcksch. S. 34.
22) Oenom: Eöen bei Paus. 9, 21, 7 und 10. Find. Ol. 1, 7Ö oder
113 ff. Danaos: Find. Pytli. 9, 111 oder 193 ff. und Paus. 3, 12, 1 und 2.
Ikarios: Paus, eliendas. Kleisthenes: Herod. 6, 126—130. Dass Eurylos,
der gewaltige Bogenschülz, dem Sieger seine lole doch verweigerte, zog
ihm die Fehde mit Ileiaklos zu.
147
Die Dichtungen vom jüngeren HeklengescHlecbt legen dagegen
eigene Wunderkräfte, wenn sie derselben nicht aus der Vorzeit
gedenken, nur den Göttern bei und lassen sonstige Wunderwesen
nur in jetzt ergötzlichen Berichten von bestandenen Irrfahrten
aus ganz unerkundeter Ferne vorkommen.
4) Verzeichniss erkennbarer Lieder von denThaten
des älteren Helden geschlechts, Avie sie theils aus
der echten Ilias und Odyssee, theils, weil siene-
ben ihnen fortbestanden, aus Interpolationen der-
selben, theils aus Hesiod und späteren Zeugen
erkannt werden.
Er wird zur Anerkennung der hier zu verzeichnenden Lieder
nicht weiter erforderlich sein, den Leser daran zu erinnern, dass
eben die Säuger die Träger der Sagen von den Thaten der früheren
Männer, des „Ruhmes der Männer [x^sa ävÖ^av)", waren. Die
epischen Liederstoffe, Abenteuer oder Fehden, deutet Homer in
seiner lebendigen Weise hier und dort an, oder er bezeichnet sie
deutlicher, Hesiod erwähnt sie vornehmlich in seinen Katalogen der
Heldeumütler aber auch sonst, und die spätere Griechenwelt giebt
davon das lebendige Bevvusstsein kund. Diese Menge von Stoffen
gebietet eben, eine zahlreiche Zunft von Sängern in schon älte-
rer Zeit anzunehmen, deren Gesänge die allen Kunden verbrei-
teten und lebendig erhielten. Wir beginnen die Reihe mit dem
Stoffe, den Homer ausdrücklich durch das Beiwort „Allen im
Sinn liegend" als den vielgesungenen und gern gehörten bezeichnet:
1. Lied von Jasons Argonaulenfahrt: Od. 12, ö9 — 73.
Eins nur lenkte vorüber der meerdurdnvandelnden Schilfe
Argo die Allen bewussle^^), als iieim von Aeeles sie kehrte.
Und auch dies sliess risch damals an die mächtigen Felsen
So's nicht Here gelenkt, die huldvoll war dem Jason.
Eine reichere Skizze giebt der Anhang der hesiodichen Theo-
gonie 992 — 999:
Sie des Aeetes Tochter, des gottgesegneten Königs,
Führte der Aesonid' in der Obhut ewiger Götter,
Von Aeetes daher, nach bedrohender Kämpfe Vollendung.
23) S. Od. 9, 19 f. m. Anm. nebst Anakr. Frag. 93. Plat. Ges. 8. 835
E. — Die vier Verse werden gerade dadurch als echt bezeugt, dass sie
eine an sich zu erwähnen nicht nöthige Ausnahme beibringen; die durch
ihren Ruhm Allen hewussle liess sich nicht lilit'rgelui.
10
148
- Wie sie ihm viel auflegte der übermiilhige König
Pelias, frevelen 3Iuths uud Gewalt'ges zu üben bedachl nur.
Diese bestanden, erreicht er nach vielen Gefahren lolkos.
Fiihrend im hurtigen Schifl' die anmuthblickende Jungfrau,
Aesons Sohn, und sie ward ihm blühende Lagergenussin.
Hesiods Katalog gab mehr: fr. 60 und 61 bandeln vom blinden
Phineus, fr. 65. 67 — 69. von den Harpyien, von denen ihn die
beflügelten Söbne des Boreas befreiten.
2. Lied von Herakles Arbeiten: U. S, 362 — 369. Es
spriebt Atbene, den Vater Zeus anklagend!
Nimmer gedenkt er mir dessen , wie oft ich seinen Herakles
Rettete, als er so sciiwer von Euryslheus Kämpfen bedrängt ward.
Ja oft weinte der Held zum Himmel empor, und Kronion
Sendete mich vom Himmel herab, ihm schirmend zu helfen.
Hätl' ich zuvor nur dieses gewusst im ahnenden Sinne,
Als er hinab zu des Hades verschlossenen Thoren gesandt ward,
Dass er vom Erebos hole den Hund des entsetzlichen Hades;
Niemals war' er der Styx graunvollen Gewässern entronnen.
Scbon diese Stelle zeigt ebne Weiteres, dass dem ITomer
ein Lied von mebren Abenteuern, welcbe Eurystbeus dem He-
rakles auferlegt, bewusst war. Atbene nennt sich eben bei den
mehren die helfende Scbutzgöttin. Sie bezeichnet ihren molir-
facben Beistand scbon durch die Form der Zeitwörter {-söxov),
welcbe anerkannter Maassen eine mehrmalige einzelne Handlung
bedeutet, und dazu kommt U. 15, 639 der Held Kopreus, der nach
derselben Wortform dem Herakles die Aufträge einen nach ilen
andern zu melden hatte. So bebt die Göttin nur den letzten und
schwierigsten Auftrag hervor, wie es die ganze Situation, in der
sie spriebt, mit sich brachte, den Gang in die Unterwelt, um
den Kerberos berauf zu bringen. Dieser selbe wird in der Odys-
see II, 624 eben als der schwerste von allen erwähnt.-^) Das
Leben des alten Liedes bezeugt dann zunächst Hesiod, indem er
seiner Theogonie, ohne Zweifel, weil sie durch die Lieder auf
Herakles bekannt war, die Entstehung mehrer vom Helden
überwältigter Ungethüme einweble.^^) Man erkeaint dabei die der
24) Auch in nachmaligen Aufzählungen, bei Eurip. Ras. Herakl. 427.
1102. 1277. Soph. Trachin. 1008. wird das Holen des Kerlicros theils als
die letzte theils als besonders schwere That hervorgehoben. Den Anfang
macht immer der nemeische Löwe : Soph. 1002. Eur. 359.
25) Den Geryon mit seiner Heerde, dem Hirten und seinem Hunde
287 — 20 1. Die lernäische Schlange 313 — 318 den nemeischcn Löwen 327.
149
Poesie entnommenen Bilder aus den beseelenden Zügen, da Here
aus Hass gegen Herakles die Hydra und den Löwen gepflegt, Athene
ihm Beistand geleistet, lolaos sein Gehilfe bei der Hydra gewesen.
3. Lied voji Bellerophons Abenteuern: II. 6, 155 — 205,
Der Enkel des Sisyplios, des korinthischen Heros, war — was
die gedrängte Rede bei Homer nicht angiebt — wegen eines Mor-
des zu Prötos in Argos geflohen; seine Schönheit und Männlich-
keit erwarben ihm viel Gunst diese aber erregte bei Prölos eine
eifersüchtige feindseehge Stimmung, er ersann ihm Böses im Herzen,
Trieb ihn hinweg aus Argos Gebiet, denn seine Gewalt war
Grösser im Land, Zeus beugte das Volk ihm unter das Scepter.
So ist nach der ersten deutlichen Angabe das Motiv des Prö-
tos der eigene Drang den INebcnbubler in der Volksgunst zu ent-
fernen. Hierbei und bei allem Hass konnte er doch Scheu tragen,
ihn selbst zu morden, daher lieber eine tödtliche List ersinnen.
Wie aber der homerische Text jetzt lautet, war es ein anderes
Motiv, was tödtlichen Zorn in Prötos erzeugte; es hatte seine
Gemahlin Anleia (wie Potiphars Weib den Joseph, in der grie-
chischen Sage die Phädra den Hippolytos, und die Gattin des
Akastos den Peleus Pind. Nem. 5. 26 oder 46 ff".) den Bellerophon
lüstern versucht; als er sie keusch abwies, ihn bei Prötos des Gegen-
theils angeklagt. So oder so,-^) in jeder Sagengestalt sandte Prötos
den Bellerophon mit einem verschlossenen Briefe, der tödtliche Runen
enthielt, zum König lobates nach Lykien. Dieser bewirthete ihn an-
fangs freundlich, als er aber die verderblichen Runen gelesen, gab er
demselben drei auf seinen Untergang zielende Abenteuer auf.
Zuerst Tödtung der' Chimära, dann Kampf mit den Solymern,
drittens mit den Amazonen. Als Bellerophon, nachdem er sie
alle bestanden, heimzog, legte lobates ihm noch einen Hinterhalt
tapferster Streiter. Keiner derselben kam zurück. Da erkannte
lobates in ihm den Helden göttlichen Geschlechts, gab ihm seine
26) Die beiden Motive erkannte Fricdländor, Philol. 4. 570, als unver-
einbar; es ist eine doppelte Sagengestalt zweier verschiedener Lieder, doch
lassen sich die Verse 160 — 167 als Üoppell'orm ohne Weiteres ausscheiden :
Sageup. 159. — Die Chimära: Plin. N. G. 5, 28. ^. 100. In Lycia mens Chi-
mära noclihus llagrans. 2, HO ^. 236. Flayral in Phasclilis mens Chimärii,
et quidem immortali di^jus el noclihus llauuna. Slrab. 14. 065. ,,Uchcr
dieses Gebirge wird die Erzählung von der Chimära gelabell; es ist ein
geklüfleles." Als feuersprüend bezeichnet auch Homer die Chimära.
150
Tochter zum Weibe, und theilte mit ihm all sein Koiiigthum.
Die Lykier verliehen ihm eine fruchtbare Feldmark. So blühte
sein Glück und seine Gattin gab ihm drei Kinder, von denen
Laodameia vor Zeus Augen Gnade fand, der mit ihr den Sarpe-
don erzeugte. Doch \veiterhiu traf ihn nichts als Unglück: seinen
Sohn Isandros tödtete Ares bei einem Zuge gegen die Solymer,
seine Tochter tödtete die Artemis (^v eiche Frauen plötzlichen
Tod sandte), ilni selbst aber befiel Schwerniuth , dass er allen
Menschenverkehr mied und in der Einsamkeit umherirrte. Solches
Unglück, \yo nichts Erfreuliches tröstet, heisst Ilass aller Götter
(wie hier so Od. 14, 366. 4, 756).
Der ganze summarische Bericht des homerischen Erzählers
von den Abenteuern und Siegen des Bellerophon, da nur die Chi-
niära beschrieben, von der Weise und den Mitteln des Kampfes
und Sieges dagegen Nichts angegeben ist, wird von Hesiod in der
Theogonie in etwas ergänzt. Die Chimära wird 319 — 325 ausführ-
licher gezeichnet und als Mittel der Bewältigung das Flügelpferd
Pegasos genannt. Nach Find. Ol. 13, 84—90 oder 121 ff. diente
ihm dieses beflügelte Boss zu allen drei Siegen, und war Athene
seine Helferin, die ihm den Zaum zur Bändigung des Bosses
verlieh. So viel erscheint als die epische Gestalt der Sage von
Bellerophon, die Wendung zur tragischen finden wir zuerst bei
Pindar an einer andern Stelle und diese führten dann Sophokles
und Euripides weiter aus. S. Welcker Gr. Tr. 2. S. 785 ff".
4. Lied von der kalydonischen Jagd mit dem Haupthel-
den Meleagros. Wie dieser den von Artenis im Zorn über
das versäumte Opfer gesandten verwüstenden Eber, nachdem er
viele Jäger zusammengeschaart hatte, erlegt habe, erzählte ein
Lied nach II. 9, 533 — 546. An dieses schliesst sich ein zweites
an. Dieselbe Artemis erregt zwischen den Nachbarvölkern den
Aelolern und Kureten Streit um die Spolien, Haupt und Haut
des getödteten Ebers. Die Kureten belagern Kalydon, die Stadt
der Aetoler, richteten aber nichts aus, so lange Meleagros der
Belagerten Vorkämpfer war. Es heisst nämlich nach der herzu-
stellenden Lesart"):
27) Es ist 552 statt nixiog szroad-sv filiweiv olTenbar zu lesen
£xTOöÖ£v i [iivstv oder besser noch szrog sovxa ^ivitv, wie Sagenp.
]48 (largethan ist. Vgl. II 5, 94. Unser trefTlicher üebersetzer (Donner)
„Jetzo so lang Meleagros der tapfere Held in den Kampf kam.
So lang ging den Kurelen es schlecht, denn diese vermochten,
War er im Feld ihn nicht zu beste lin, so Viele sie waren.
Als er indess in ein Zürnen versank
Sass er grollend im Herzen der lieblichen Mutter Althäa
Bei der erkorenen Gattin daheim, Kleopatra der schönen."
Wie es dort weiterbin heisst 565 ff., zürnte er der Mutter
wegen eines um Tödlung ihres Bruders ausgesprochenen Fluchs'^*)
und blieb auch, als bei immer wachsender Noth Priester mit glän-
zenden Versprechungen und alle Angehörigen ihn anflehten im-
mer noch ungeriihrt , l)is endlich seiner Gattin Zureden ihn ver-
mochten, einzutreten, und er das Unheil abwandte. Eben diese
doch endliche Nachgiebigkeit ist das bewegliche Beispiel der Vorzeit,
welches der sprechende FMiönix dem Achill vorhalten wollte. So
begann er gleich 529 mit Hinweisung auf die Fehde der Kureten
und Kalydonier und gedachte nur zur Erklärung der vorherge-
gangene Eberjagd. Wir erkennen aber, wie er auch in dieser sei-
ner Absicht zwei Hergänge und damit den Inhalt zweier Lieder
andeutet und gerade den des ruchtbarsten, die Eberjagd nur mit
Erwähnung der Hauplzüge berührt. Obgleich Artemis auch die
Fehde erregte (547), und der Sänger der Fehde an den Zorn,
der die Jagd zur Folge gehabt, erinnert haben wird, immer
werden wir zwei kleine Lieder vermuthen.
5. Lied vom Abenteuer des Sehers M e 1 a m p u s : Od. 1 1 , 287 bis
297 und 15, 230—138. Pherekyd. im Schol. zur ersten Stelle.
hat auch nicht gesehn, dass die Kurelen die Belagerer sind, die Aetoler
und ihr Held Meleagros die Belagerten und Verlheidiger.
28) Damit dass 584 auch die Mutter unter den Flehenden genannt
wird, mochte Friedländer wohl die Angabe vom Fluche kaum vereinbar
nennen : Philol. 4. 583. Vgl. Sagenp. 148. Es giebt ausserdem die unzei-
lig ausführliche Zvvischenrede von 559 — 572 Verdacht eines Einschiebsels.
Der Vordersalz, 553, ,, Als er indess" u. s, w. hat doch den zweitheiligen
Nachsalz 555 „er nun" — und 573: „Aber von Innen erscholl viel Lär-
men am Thor". — Freilich hat Phönix , wenn wir die Verse als einge-
schoben betrachten, einen firund, weshalb Meleagros seiner Muller zürnte,
hier nicht beigefügt, indem der Dichter seinen Hörern aus dem allen Liede
irgend einen bewusst dachte, der Interpolalor hat ihn aus anderer Sagcn-
geslall eingeschoben. Ganz auffallend ist dabei, dass es 571 f. heisst, die
Erinys habe den Fluch gehört. Dann wäre ja Meleagros schon gestorben
gewesen. Bei Paus. 10, 31, 3 sind die verschiedenen Sagen vom Tode
des Meleagros bei Homer und in andern alten Epen erwähnt.
152
Der küniy ISeleus will öeine viel unifreietc Tochlei" uur dem ge-
ben, der ihm die Heerde des Phylakos oder seines Sohnes Iphi-
klos aus Phylake bringt (11, 288 f.). Der Scher Melampus initer-
nininit dies für seinen Bruder Blas (15, 235 — 238). Zuersl
versuchte er sie mit List wegzutreiben, er wurde aber von den
Hirten festgenommen und dem Iphiklos überliefert, der ihn ge-
fesselt ins Gefängniss setzen liess. Da sass er ein volles Jahr;
doch einst vernahm er, wie die Würmer, welche die Balken
zernagten, sprachen, bald werde die Decke zusammenstiirzei\.
Da rief er die Diener und liess sich heraustragen, und in dem
noch geschah der Einsturz. Phylakos und Tphiklos von dem Her-
gang unterrichtet, und vernehmend, Malampus sei ein Seher, ver-
sprachen ihm nun die Heerde, ^venn er Ursache und Abhülfe der
Kinderlosigkeit des Iphiklos anzugeben wisse. Melampus leistete
dies, nachdem er prophetische Vögel (nicht beohachtet, sondern)
in Worten abgehört, und ein Geier ihm den Aufschluss gegeben.
So erhält er die Rinder und bringt sie nach Pylos, wo er den
ihm feindseligen ISeleus nun nöthigt, dem Bruder die schöne
Pero zu gewähren (15, 235 — 238).
Diese im alten Liede erzählte Sage giebt Pherekydes aus-
geführter ; die beiden homerischen Stellen geben alle Hauptzüge,
nur mit der Dunkelheit, welche leicht in Stellen sich findet, die
andersher bekannte Dinge erzählen. Den Akt, da Iphiklos dem
Malampus die Heerde feierlich übergiebt, lassen die Verse des
priesterlichen Gedichts Melampodia erkennen, welche wir bei
Athen. 11, 498 lesen, oder Hesiods Fragmente S. 291 Göttl. S.
363 Mrcksch,
6, Lied vom Kampf der Lapithen gegen die Ken-
tauren mit dem Haupthelden Peirithoos: Od. 21, 295 — 302.
II. 1, 262 — 270. Es erzählte dies Lied, wie der Kentaur Eury-
tion als Hochzeitsgast des Lapithen Peirithoos im argen Wein-
rausch die Braut frevelhaft angefallen habe und die lapithlschen
-Mitgäste den Frevler sofort gefasst, vor die Thür gezogen und
ihm Ohren und Nase abgehauen hätten. Hierauf habe der Ver-
stümmelte sein wildes Volk zum Kriegszug gegen die Nachbarn
aufgeregt, die Lapithen aber, voran Peirithoos, dazu besonders
Dryas, Kaineus, Exadios und Polyphemos, nachdem sie auch
Freunde aus der Ferne, z. B. den jugendlichen Nestor herbei'
153
• gerufen, die Gewalligeu selbst gewaltig säniinllicli übeiiiiaiint.
Dies der deutliche Inhalt das vorhomerischen Liedes, dessen
erster Theil dem Antinoos der Odyssee das Beispiel des ruch-
baren Trunkenbolds zum Schellwort bot, der zweite vom Mit-
streiter INeslor zur Mahnung und Küge gebraucht wird.-* In
einer andern, dieser nachgebildeten Sage fällt derselbe Eurytion
eine andere Braut an: Bakchylides beim Schol. zu Od. 21, 295.
Zu den genannten 6 oder 7 Liedern, welche man aus den
angeführten Stpllen als vorhomerisch deutlicher erkennt, kommen
aus dem echten Homer noch manche dunklere Anzeichen epischer
Sagen, wie vom gottgeliebten Peleus^") und von des Herakles
Feindschaft gegen Eurytos, dessen Burg Oechalia er ver\\üstete,
und dessen Sohn er mordete^'). Auch von einem Zuge desselben
Herakles gegen Laomedon in Troia entnehmen wir aus einer
Anzahl zerstreuter Stellen eine zusannneidiangende Erzählung:
Zeus hatte den beiden Göttern, dem Poseidon und dem Apollon,
ein Dienstjahr auferlegt, bei Laomedon, Vater des Priamos, je-
nem die Mauern von Troia zu bauen, diesem Laomedons Heerden
zu weiden (II. 21, 442 — 449. 7, 452f.) — und zwar um einen
festgesetzten Lohn. Als aber die Zeit des. Lohns eintrat, ver-
29) Der Name Kenlauren im echten Homer II. 11, 8. 32. Od. 21, 295
neben dem andern Pheres, Wilde des Waldgebirgs II. 1, 268. Die sich
empfehlendsle Etymologie giebt Preller Gr. 3Iylh. 2, 14 f.***)
30) Homer sagt freihch nur, wie er von den Göttern bei seiner
Hochzeil bescKenkl worden II. 24, 62. 23, 277. 18, 84. 17, 443. 16, 143.
aber die reichen Sagen von seinen Thalen und Schicksalen, wie sie be-
sonders Pindar erwälml, enthalten so manchen muthmaasslichen Lieder-
slofl" besonders. »
31) Oechalia liegt nach 11. 2", 730 in Thessalien, vgl. das. 596. Aber
es gab ein anderes in Arkadien oder Messenien , und ein drittes auf Eu-
böa. Das Sagenhafte nun der Erzählung von des Herakles Kampf gegen
Oechalia zeigt sich in der Verschiedenlieil der Meinungen, in welchem
Oechalia Eurytos gehaust. Paus. 4, 2. 3. Slraho 9, 448. 438. Der Erslere
bezeugt ausdrücklich, dass der Epikei- Kr(?o|ihylos in seinem Gedichl das
euböische angenommen, und ebenso Ilekatäos. Bei Pherekydes, der ilas
arkadische annahm, dürfte im Schol. zu Soph. Trach. 354, in der Stelle:
„Da Eurytos ihm die Tochter für seinen Sohn nicht gab, eroberte er Oe-
chalia und lödtete seine Söhne" nun weiter statt „Iphilos aber floh
nach Euhöa" zu lesen sein ,, Eurytos". Es sollte die Gründung der j^leich-
namigcn Stadt auf Euhöa erklärt werden. Und den Eurytos m-mil richtig
lierodoros im Schol. zu Eur. Hipp. 545,
154
^veiger^e Laoiiipdon ihn unter argen Drohungen (das. 450 — 457).
Hierauf sandte Poseidon aus dem Meer ein Ungeheuer, das vom
Ufer in das Land einftel und Menschen und Fruchtfelder ver-
wüstete (11.20, 145—148). Nach den Homers Kürze ergänzen-
den Sagenschreibern (Hellanikos im Scliol, zu \'. H6) erhielt Lao-
medon auf Befragung des Orakels nach einem Rettungsmittel
den Bescheid, er müsse dem Unthiere seine Tochter Hesione
zum Frass preisgeben. Er that es, und versprach zugleich Dem,
welcher das Urigethüm tödten würde, Pferde der unsterblichen
Rasse, welche das Königshaus von Zeus für den Ganymedes er-
halten hatte (II. 5, 260. 23, 348). Herakles kam nach Troia.
sah die Gefahr und hörte das Versprechen. Er übernahm die
Aufgabe mit Hilfe der Athene, auf deren Rath ihm die Troer
eine vor dem Ansturz des Ungeheuers schützende Mauer auf-
führten (11. 20, 145 — 148 wo fifV statt fttV zu lesen ist). Aber
wiederum ward Laomedon wortbrüchig, und gab statt der ver-
sprochenen Pferde Drohworte (II. 5, 649 — 651). Dafür zur Rache
schiffte Herakles mit sechs bemannten Schiffen nach Troia und
verwüstete und entvölkerte die Stadt (das. 640 — 642). Auf der
Rückfahrt verfolgte Here, jetzt wie bei den Arbeiten, den Hera-
kles. Sie bewog den Gott des Schlafs, den Zeus in tiefen Schlum-
mer zu versenken , und erregte während dessen mit Boreas Hülfe
Stürme, welche des Herakles Schiffe Umtrieben gegen Kos hin,
bis Zeus erwachend, den Sohn der viel dabei ausgestanden, zu-
-Tück nach der Peloponnes (Argos) rettete (II. 14, 250 — 258 und
15, 18 — 30).
Diesen Zusammenhang haben wir allein durch Zusammen-
reihen einer ganzen Folge von Stellen zu erkennen vermocht.
Im Einzelnen gab jede nur eine Hindeutung auf Momente, welche
den Hörern mittels ihres Bewusslseins vom Zusammenhange ver-
ständlich waren. Um so weniger werden wir hier nur von Mund zu
Munde gehende Volkssage annehmen, vielmehr das Verfahren Ho-
mers d. h. seine Voraussetzung jenes ergänzenden Bewusslseins als
Zeugniss von einem allbekannten Liede erkennen, deren es ge-
rade von Herakles' Thaten eine Mehrzahl gegeben hat.
Die in dem alten Liede gegebene Sagengestalt hat sehr be-
merkenswerthe Forlbildungen fahren. Der eine Zusatz, dass die
Götter Poseidon und Apollon beim Bau der Mauer den Aeakos,
155
d. li. den sterblichen Helden, ziun Gehilfen genonimen i^Pind.
Ol. 8, 31 oder 41), erscheint als besonders sinnig. Schon da-
mals 3agte nämlich ein Vorzeichen, an dem vom Sterblichen ge-
bauten Theile werde einst Troias Zerstörung beginnen. Wie
aber Apollon dort selbst daneben verkündigt, waren nachmals
die Aeakiden Telamon (Find. Isthm. 5, 27 f. Nem. 4, 25) und
Peleus (Pind. Fr. 149 im Scbol. zu Eur. Andrem. 781) Kampfge-
nossen des Herakles gegen Troia. Die Sage mag zuerst in Aegina
diese Zusätze erhalten haben, ^^o das Aeakidengeschlecht so be-
sonders verehrt wurde.
Wir mögen in der Kürze hiernach noch auf einige andej-e
Liederstoffe hinweisen, welche wir in Homers lebendiger Charak-
teristik des dreialtrigen Nestor erkennen, wo er ihn die Thalen
seiner Jugend vor dem Jüngern Geschlecht mit seinem: ,,Wär'
ich noch so jung wie da" — aufführen lässl. Die bestimmte und
lichte Weise und der zuversichtliche Ton, in welchem dies
geschieht, somit der Ruhmesglanz eines gefeierten Helden, wel-
chen Nestor in jenen Stellen in Anspruch nimmt, lässt nicht
zweifeln, dass die Zuhörer an vorhandene Nestorlieder erinnert
wurden, von denen wir weiterhin noch mehre Anzeichen finden
werden.
7. Nestorlieder, a) Im siebenten Gesänge der Iliaser zählt
Nestor, als Hektors Herausforderung zum Zweikampi zuerst so
zweifelmülhig und matt aufgenommen wird, wie einst in einer
Fehde der Pylier und Arkader Ereuthalion, wie jetzt Hektor die
Tapfersten gefordert, und während alle Andern gezagt, er der
Jüngste von Allen sich entgegengestellt und mit Athene den Sieg
gewonnen habe. Das Lied Hess dabei den Nestor die Geschichte
einer langbhi vererbten Waffe des Gegners erzählen (132—156),
poetisch zur Hebung seiner Tapferkeit, für uns zum chatakteristi-
sehen Zug der zumal älteren Heldensitte solcher ^'ererbung.
b) In einer andern Jugenderinnerung desselben II. 23, 630 bis
645, an die Leichenspiele des Epeierkönigs Amarynkeus, trill
uns das lebendige Bild solchen Turniers der Heldenzeit entgegen.
Nestor zählt fünf Arten des Wettkampfs auf, von denen er Fausl-
kampf. Ringen, Lauf und Speerwurf berühmten Helden gegen-
über sieghaft bestanden, nur im Wagenrennen bat ihm das un-
zertrennliche Zwillingspaar, die Molioniden, .nach absichtlich
156
(Uinklem Ausclnick) durch die Ueberzald übeiijolt^^). — Die Wetl-
kanipler waren Väter von vor Troia kampfenden Helden (U. 2,
609 f., 628, 705). Der von Nestor überwundene Iphiklos .ist in
der Sage als. wundersehneller Läufer viel genannt^^). Nach die-
sem Allen mögen wir aus Nestors Schilderung ein Einzellied
über die Leichenspiele des Amarynkeus von einem pylischen
Aöden zum Preise des Nestor gedichtet erkennen.
5. Fortsetzung. Aus älteren Liedern in die Ilias oder
Odyssee eingeschobenen Stellen. Herakles- und
N e s t o r 1 i e d e r.
Die beiden bei genauerer Betrachtung der homerischen Ge-
dichte sich aufdrängenden Wahrnehmungen, einmal, dass Homer
ältere Lieder zu seinen Corapositionen theils benutzen musste,
theils nach Wahl seines Genies anwandte, sodann dass seine
Compositionen im Laufe der Zeiten durch die sie vortragenden
Rhapsoden manchen Wandel, besonders aber manche Entstellung
durch Einschiebsel erfuhren, sie treffen in mehren Fällen zusammen
zu dem Ergebniss, dass die Rhapsoden mehrfach eben aus älteren
Liedern, entweder denselben, welche dem Homer gedient, oder
andern ihnen bekannt gewordenen gewisse Partieen in die Ilias
oder Odyssee eingeschoben haben. An dieser Stelle unserer
Geschichte des griechischen Epos sind Beispiele dieser Art eigent-
lich nur als Belege vom Vorhandensein solcher Lieder nachzu-
weisen, doch werden wir nicht umhin können, die Beweise der
Interpolation dabei schon darzulegen; es ergiebt sich gerade aus
der Operation des Interpolators jenes Vorhandensein deutlich.
Es sind Lieder von Herakles und von Nestor, welche uns in
dieser Art kund werden.
A. Ein vorhomerisches Lied von des Herakles Arbeilen gab
Alhene's Zornrede uns schon oben §. 4. Nr. 2. zu erkennen. Die
32) Die Zwilliiigshnuler Kleatos und Eurytos hatten zum mensch-
lichen Vater dt-n Aktor, zum götlliclien den Poseidon mit der Mutler Mo-
Hone, daher der zwiefache Name Aktorionen oder Molioniden. Ueber sie
vgl. m. Heldens. in Kieler philol.-Slud. 433 oder jjes. Abdr. 59.
33) Bei den Leichenspielen des Pelias ist er der Sieger auf der Lade
des Kypselos, Paus. 5, 17, 10. Nach Hesiods Kalal. fr. 137. Mrcksch. hef er
über Äehrenfeldor ohne die Aehren zu beschädigen , wie die Pferde in
II. 20. 227,
157
Aiifangsparlie dessell)en Liedes, die breite Erzählung, wie es durch
die Lisi der Here gescliehen, dass der Sohn des Zeus unler
den Gehorsam des schlechteren Mannes gekommen, finden wir
der Rede des Agamemnon, II. 19, 95 — 133, eingeschoben. Es
wird selbst aus dem Znsammenhange und dem Fortschritt der
Rede klar, dass diese Ausführlichkeit nicht für jenen Or( ur-
sprünglich bestimmt war, und dass nicht Homer es war, der seinen
Sprecher, um, was er begangen, als unfreiwillig in Unsal begangen
zu entschuldigen, die olympische Geschichte von der Bethörung
des höchsten Zeus, und zwar so ausführlich erzählen Hess. Aga-
memnon sprach in den vorhergehenden Versen: ,,Ja, man schalt
mich viel, doch ich bin nicht schuldig, sondern Zeus, das Ge-
schick und Erinys — , die mir an jenem Tage in der Versamm-
lung die heftige Unsal in den Sinn warfen, als ich Achills Preis-
geschenk wegnahm. Doch wie könnt' ich es anders? Ein Gott
setzt ja Alles durch. Des Zeus ehrwürdige Tochter ist Ate die
Alle verunsalt, die verderbliche. Leise schwebt sie dahin ohne
den Boden zu berühren , aber über dem Haupt der Männer schrei-
tet sie hin reizend die Menschen zum Fehl, und verstrickt wenn
den nicht den Andern". Diese Worte haben den unverkennbar klaren^
Sinn: „Nicht ich bin Schuld, sondern göttliche Mächte, Zeus, von
dem alles Geschick ausgeht, die das Gemüth erregende Erinys,
die Ate, die unversehns den Sinn der Menschen bethörende Ir-
rung, unselige Macht der Leidenschaft die selbst von Zeus stanunt".
So zu Anfang von 85 — 94 , und ganz in demselben Sinne , d. h.
dem Zeus die Schuld beimessend 137. „Aber nachdem ich ge-
fehlt und Zeus die Besinnung mir wegnahm". Wenn man nun
anerkennen muss, dass es ein verschiedener Gedanke ist, eine
leidenschaftliche That auf Einwirkung des Zeus und seiner Tochter
Ate zu schieben, und dann diesen Zeus selbst als Beispiel der
Bethörung aufzuführen, so kann man eine Incongruenz der Dar-
stellung nicht in Abrede stellen. Nach den Anfangsgedanken
waltet die (unübersetzbare) Ate^"*) eben nach dem Willen des Zeus
unter der Menschenwelt, sie ist seine Tochter. Der feinsinnige
Dichter zeichnet in wundervollen Zügen ihre Weise. Zu diesen
Gedanken stimmt es nicht nun den Zeus selbst einst als licthört
34) Schön ausgelegt von Lolirs in Rli. Mus. N. Folge 1. r)0:] — WO.
Vgl. Sagenp. 512.
' ^158
aufzii führen. Nach der vorhergehenden Schilderung erwartet man
schon nichts Anderes als die Anwendung auf den eigenen Fall
des Sprechers, nicht aher ein fremdes Beispiel. Ueberdies \> ürde
Homer wenigstens mit einem Wort, etwa: „wie die Sänger mel-
den", es erklärt haben, woher doch der sterbliche Fürst die
olympische Geschichte wisse. Denn Achill weiss II. 1 , 396 der-
gleichen von seiner göttlichen Mutter, Odysseus Od. 12, 388 von
Kalypso und mittelbar von Hermes; wogegen Glaukos, II. 17, 162f.
nicht weiss, was Zeus und Apollon für Sarpedou gethan haben,
16, 666 fl. Endlich aber muss die lange Erzählung dem Achill
gegenüber uns unzeitig erscheinen ; für ihn reichten die ent-
schuldigenden Anfangsworte völlig aus; alles \yeitere war ihm
lästig, da er zum Kampf drängte (6Sf.).
Dem Interpolator kann bei der Ate das Lied von Herakles
und Zeus Ueberlistung in den Sinn gekommen sein, und als
dessen Anfangspartie betrachtet hat die Erzählung die befriedi-
gendste Gestalt.
Noch mehre andere Stellen Homers sind aus Herakles-
liedern eingeschoben. Die eine, Od. 11, 601—626, welche ein
Theil der umfänglichen Interpolation ist (565 — 627) erscheint als
eine seltsame Mosaik aus Versen verschiedener Lieder. Abge-
sehn von 604 und 612, welche aus Ilesiod, und 602 und 603,
welche bei der attischen Redaction von Onomakritos eingefügt
worden, sind die übrigen auch weder mit der homerischen Dar-
stellung von Odysseus' Besuch der Unterwelt vereinbar, noch
unter einander aus gleicher Vor- und Darstellung liervorgegangen.
Die so betonte Lobpreisung des Wehrgehenks, 613 f., kann nicht
einem blossen Schattenbilde gegolten haben, vielmehr muss He-
rakles in der Poesie, aus welcher die Verse genommen sind, das
Wehi'gehenk lebend getragen haben. Sind doch auch Modus
und Zeitform des Zeitworts die des Wirklichen und Thatsächli-
chen. So war wohl das Auftreten des Helden beschrieben, als
er den Kerberos zu holen kam? Aber damit stimmt nicht 607:
Hielt enlblösst das Geschoss, und den Pfeil an der Sehne ge-
richtet, drohenden Blicks umschauend, dem stets Abschnel-
lenden ähnlich. Das sind Züge wie eines stehenden Bil-
des — ganz übereinstimmend mit den Darstellungen des He-
rakles in der äginetischen Giebelgruppe (Thiersch. Epoch. 249],
159 _
So lässt sich nicht anders urtheilen, als: der Rhapsode hat das
Schattenbild des Herakles ebenso wie die Thaten dargestellt, wie
er es bei denen des Minos und des Orion gethan, wonach eben
diese drei, wie sie dabei in dem Hades selbst von andern Schatten
umgeben erscheinen, von der sonstigen Erzählung, da die Schatten
zur Grube hervorkommen, abweichen: Anm. zur Odyssee, Tb. 3,
S. 353 f. Wir sehn, der Interpolator hat einen Theil seines
Heraklesbildes aus einem Lied vom Gange nach dem Kerberos
entnommen, den andern aus einer nachhomerischen Nekyia, das
Ganze aber eingewebt: um zuletzt auf die frühere Form der
Darstellung zurückzulenken, doch ein Gleichartiges zu gestalten
nicht vermocht.
B. Wir kommen nun zu den Nes totliedern. Eine
längst als Interpolation anerkannte Stelle der Ilias t1, 664 — 762,
die sich selbst durch das wiederkehrende „Aber Achilleus" ab-
gränzt, ist durch immer genauere Untersuchungen jetzt dafür
angesehn, dass die aller Anwendbarkeit auf die obwaltenden
Verhältnisse, den steigenden Nothstand des Griechenheers ent-
behrenden Mittheilungen des Mestor aus seiner Ihatenreichen
Jugendzeit zwiefache Einschiebsel aus den Nestorliedern enthal-
ten. Was Nestor dem von Achill an ihn gesandten I'atroklos
jetzt schicklich erwiderte, das folgt nach dem zweiten „Aber
Achilleus". Wie unbedacht aber die Rhapsoden, durch die son-
stige AVeise des homerischen Nestor verleitet, ihn auch hier wieder
eine ehemalige Grossthat erzählen lassen, muss jedem nicht
stumpfen Leser der Ein- und Uebergang zum Eingeschobenen
fühlbar machen: 604. Aber Achilleus kümmert und härmt sich
nimmer um uns — Wartet er bis — Erst die geflügelten Schiffe
von feindlicher Flamme versengt sind. Und wir selbst nach-
einander verbluteten? Lebt doch in mir jetzt Nimmer
die Kraft, die früher belebt die gelenkigen Glieder,
Dass ich so jung noch wäre u. s. w. Das ist ja gesprochen,
als ob Nestor, wenn er noch die ehemalige Jugendkraft besässe,
all das über das Griechenheer gekommene und dasselbe bedrohende
Unheil allein würde abgewendet haben , so dass es des Achill
gar nicht bedürfte. Die Erzählungen aber, die nun folgen, lei-
sten durchaus Nichts, als dass Nestors ehemalige Heldenkrafl
durch Rericht von zwei Fehden bewiesen wird, ohne dass irgend
160
eine solche Aelmlirlikeil der Umstände stattfindet, wie liei den
olien genannten INestorliedern, 7, 151 und 23, 632 und aucli
1, 273 f.
Die beiden Feliden sind in der jetzigen Gestall so darge-
stellt, als wäre die zweite, die Belagerung der Gränzstadt Tliry-
oessa durch die Epeier in Folge der ersten, drei Tage nach
derselben eingetreten: 707 f., 711 f. Dies ist aber undenkbar.
In der ersten bat der allerdings auch da noch jugendliche JNestor
(684) Seinem Vater Neleus durch die dem Itomenes, den er er-
schlug, abgenommenen und nach Pylos beigetriebenen Heerden
schon grosse Freude gemacht. Neleus hatte nun den reichlich-
sten Ersatz für das Viergespann, welches der Epeierkönig Au-
geias zurückbehalten, in den zahlreichen Heerden, welche der
sieghafte Sohn ihm zugebracht; 696 — 705. Die Fülle der gan-
zen Beule wird sehr beflissen hervorgehoben: 677 — 682. So
leuchtet denn ohne Erinnerung ein, dass der Valer Neleus nach
solchem Erfolg des jugendlichen Sohnes unmöglich denselben
noch für „unkundig der Werke des Krieges" geachtet und ihm,
um ihn selbst zurückzuhalten, sein Gespann versteckt haben
würde. 31itbin kann der inlerpolirende Einfüger der jetzt zwei-
ten Fehde ursprünglich die Erzählung der ersten nicht vor sich
gehabt haben. Jeder der beiden Feldzüge Nestors ist für sich
gedichtet und für sich von einzelnen Rhapsoden hier eingefügt.
Zuerst wohl entnahm ein Rhapsode den Nestorliedern den zwei-
ten. Die Geschichte der frühesten Jugendtbat war das Nächste
und Geeignetste, um Nestors Einleitungsformel „War' ich noch
so jung wie da" zu bewahrheiten, wenn auch beide Lieder den
Nestor wie einen Herakles priesen. In dem von der frühesten
Fehde, wo er fünfzig Wagen nahm und die zwei auf jedem, also
hundert Streiter mit seinem Speer erlegte, auch beinah die Mo-
lioniden, nur dass ihr Vater Poseidon sie entraffte (740 — 752),
ia diesem sind die Grosstbaten des jungen Helden sprechender,
als in dem andern, wo die Fülle der Beute es thun soll. Dieses
andere mochte aber ein anderer Rhapsode lieber. Das Eine wie
das Andere gehörte gleich schlecht und gleich gut hierher.
Wahrscheinlich kamen sie, die epitomirt«n Lieder, erst durch
spätere Redaction nebeneinander in den Text. Unwahrscheinlich
genug verband man sie so, dass die Belagerung Thryoessas als
161
Rache für die weggeführten Heerden unternommen erschien, da man
bei diesem Trimde doch wohl vielmehr auf Pylos losgegangen wäre.
Und in der unklaren Erzählung, da die übermüthigen Epeier
Vielen Ersatz (für geraubte Heerden?) schuldig heissen , wird
eben so halb angedeutet, die Epeier hätten den Raub gewagt,
weil eben vorher die Pylier von Herakles decimirt und also
wenig stark gewesen wären. So wird in der Kürze aus einem
anderen Liede der Rachezug gegen Neleus erwähnt ; aber ausser
dass diese Erwähnung an diesem Orte die Erzählung stört, ist
das Motiv nicht richtig; denn soll nun erst der Zug der Pylier
zum Entsatz von Thryoessa gefolgt sein, so schildert das folgende
Lied die Pylier bei diesem keineswegs geschwächt, nein, voll
strebenden Muths zur Schlacht (717) und tapfer im ganzen Ver-
lauf des Rampfes.
Die genauere Untersuchung hat nun auch Anzeichen ent-
deckt, wonach der Beutezug um die Unbill des Königs Augeias
erst in nachhomerischer und ziemlich junger Zeit gedichtet er-
scheint. Wie so Vieles in die Vorzeit durch Rückdichtung ver-
legt wm'de, so mochte hier ein dichtender Rhapsode neuere ^'er-
hältnisse in die Zeit Nestors zurückverlegen. Und zuerst ist Pylos
in dieser Erzählung durch den Fluss Alpheios, zu dem man in
einem halben Tage kommt, sicher als in Triphylien gelegen zu
erkennen, abweichend von der homerischen Angabe, nach der "*es
in Messenien lag. ^'^) Sodann ist der Name der Feinde der Pylier
im Liede vom Beutezuge Eleier, nach demjenigen der Landschaft
EU§, 670 und 672, 685, 697, also der später übliche, wogegen
dieselben im andern Liede immer nur Epeier heissen, 731, 736,
743; nur das Einschiebsel der Redaction, 690 — 694, hat im
vorletzten Verse Epeier von den Feinden. Also verräth sich auch
hierdurch; da bei Homer selbst die Bewohner von Elis immer
sonst Epeier heissen (II. 2, 615 und 619, Od. 13, 275), das
Beutelied als jünger. Endlich hat der Verfasser des Aufsalzes
im Philol. 8, 722 weiter es sehr wahrscheinlich gemacht, dass
das Lied, wo Eleier genannt sind, eine rückgedichtete Nestor-
35) S. m. Anm. zu Od. Tli. 1, S. 134 und die zu Od. 11. 257 Ange-
führten. Eben durch die Anerkennung der Stelle der II. als interpolirl
wird der viel verhandelte Streit beigelegt.
Nitzsch, Gesch. d. griech. Epos. 11
162
sage isl, erfunden im Sinne der langgefnlirten Streitigkeiten, da
nach Paus. 6, 22, 2, die Eleier von der achten Olympiade schon
und fortwährend mit ihren Gränznachbarn Hader halten, um den
Ruhm der Gründung der olympischen Spiele und den Vorstand
hei denselben. Es hatte im Liede ja der Sagenkönig der Eleier
Augeias bei angestellten Wettspielen dem Neleus ein Viergespann
zurückgehalten (699 — 702). Das ist unhomorisch; nach II. 23,
287 ff. und überhaupt fahren die Wettkämpfenden mit Zwiege-
spannen, wie sie im Kriege dienen. Nur in einem Gleichnisse
finden sich bei Homer die Wettrenner zu Vieren. Od. _13, 81,
wie der Dichter in seinen Gleichnissen mehrfach Dinge und
Wörter anwendet, welche erst in seiner Lehenszeit kund ge-
worden. ^*)
Nach diesen Erweisen haben Avir die zwei oder drei ISestor-
lieder, aus denen die unpassende Ruhmrede Nestors floss, der
Zeit nach zu unterscheiden. Das von den ersten Jugendthaten
zählt zu den vorhomerischen Nestorliedern, wie die zwei aus II.
7 und 23, das Reutelied ist junger Fabrik in seiner eingelö-
iheten Form.
Das nur in seinen Hauptzügen berührte dritte von des He-
rakles Rachezug gegen Neleus, wird uns durch Stellen aus He-
siods s. g. Katalog deutlicher. Nestors Bruder, Periklymenos, der
vom Stammgott Poseidon die Gabe der Verwandlung besass, war
dem Herakles lange unerfassbar, bis Athene ihn diesem nach-
wies. Der Jüngste, Nestor, entging dem Tode, indem er in Ger-
mos aufgezogen wurde (fr. 16 und 17 M., 44 und 45 G.). Als
Ursache des Zuges ^vird die verweigerte Sühnung nach dem Mord
des Iphitos genannt. Das wäre eine der homerischen Welt mit
dem Sühnbrauche fremde Ursache. Also war wohl auch dieses
Lied oder die Sage später? Sofern ursprünglich eine andere Ur-
36) Sagenp. 160. 11. 8, 185, isl als uiiechl schon durch den Dual der
folgenden Zeilwörter kenntlich, wie die einzelno Aniede der vier Rosse
nur kleinlich erscheint. Der Verwerfung Aristarchs werden in dcuSchol.
nur Spilzlindigkeilen entgegengeselzl. Bei den olyni|iisclien Spielen ka-
men Viergespanne erst Ol. 25 in GeLrauch. Stesichor. fr. 1 liess die Di-
oskuren bei den Leichenspielen mit solchen siegen, Soph. Itei Strabo
399 den Aniphiaraos ganz gegen die heroische Sille solches im Kriege
brauchen. Ebendahei noch Andere nach Herm., Op. 11, 64, Aesch. fr.
-343 oder 318 N.
' 163
Sache stattgefunden haben kann, lässt sich darüber nicht entschei-
den. Es weicht aber diese Sage in der Zahl der Söhne des Ne-
leus, 12, II. 11, 692 und Hes. fr. 17 und 45 ab von Od. 11,
285, wo ausdrücklich nur drei, Nestor, Cbronüos und Perikly-
nienos, gezählt werden, und die Erklärungen des Widerspruclis
in den Scholien befriedigen nicht.
Es ist noch eine grössere Interpolation, als aus einem an-
dern Liede entnommen anzuführen. Od. 11, 565 — 627, sie be-
sprechen wir aber schicklicher erst später. Die ganze Beschaffen-
heit der Nestorlieder liesse die Vorstellung zu, dass der Dichter
der Ilias erst die Sagen von Nestor und den Neleiden mit dem
troischen Kreise in Verbindung gebracht habe, aber die Sage
• vom troischen Kriege selbst lässt sich ohne Nestor nicht denken.
(Philol. XII, 579, Nr. 25.;
5. Ueb ersieht der älteren Lieder vom älteren Hel-
dengeschlecht, -welche bisher nachgewiesen sind.
Dann Erinnerung an Sagen und Lieder von den
Dioskuren, von Theseus, von Perseus und ans
andern Gebieten.
Wir haben folgende Lieder oder Liederstoffe gefunden: von
der' Argonautenfahrt, von Herakles' Arbeiten, von den Aben-
teuern des Bellerophon in Lykien, von der kalydonisclien Eber-
jagd und der Fehde der Aetoler und Kureten, vom Abenteuer
des Sehers Melampus, vom Kampf der Lapilhen unter Peirithoos
gegen die Kentauren, von Herakles' Rachezug gegen Laomedon,
von desselben Rache an Neleus, dann die Nestorlieder, von der
Fehde der Pylier mit den Arkadern, von den Leichenspielen des
Amarynkeus, dazu von den Fehden der Pylier mit den Epeiern
ein älteres und von dem Beutezug gegen die hier Elcier Genann-
ten ein jüngeres. — Diese Fülle von epischen Liederstuffen, die
" wir uns bald in kürzeren einzelnen Liedern, bald in aufeinander
folgenden (Oemen) gesungen denken, haben wir aus dem echten
Text der homerischen Gedichte oder aus eingeschobenen Stellen
erkannt. Aber diese, dadurch, dass andere untergingen, ältesten
Gedichte und somit ältesten Denkmale enthalten in dem , was
Homer oder Rhapsoden einwebten, nicht die Ilinweisung auf die
epischen Lieder aller Gebiete Griechenlands. Die ohnehin ganz
11*
164
dürftigen Erwähnungen der in Cullus und Volkssage, Poesie und
bildender Kunst viel erwähnten vortroischen Helden, die Dios-
kuren, Perseus und Theseus verschwinden vor der Kritik bei-
nah vollends ganz aus Homer. ^') Nehmen wir die Stellen, wie
sie sind, so besagen sie von den Thaten des Perseus gar nichts,
von den Dioskuren, welche nach II. 3, 243 bereits die Erde
des vaterländischen Lakoniens birgt, wird daneben Od. 11, 298
bis 304 ihr besonderes Todesgeschick gezeichnet, da sie im
wechselnden Loose Tag um Tag in der Unterwelt und wieder
im Olymp oder als waltende Götter auf der Erde leben. Es ge-
schah in der Fehde mit den Messeniern Idas und Lynkeus, dass
als Kastor von Idas tödtlich getrolfen war, der unsterbliche Bruder
das Wechsellos von Zeus erbat und erlangte, wodurch sie, indem
sie nun immer ungetrennt oben oder unten leben , das griechi-
sche Ideal der Bruderliebe wurden. ^^)
Eine andere frühere Fehde gegen Attika, um ihre vom jun-
gen Theseus im Bunde mit Peirithoos geraubte Schwester He-
lena zurückzuholen, ist in der epischen Poesie und der Kunst
bekannt, durch die Aethra, Theseus Mutter, welche damals von
den Dioskuren gefangen nach Sparta abgeführt sein sollte, dann
als Sklavin der Helena mit nach Troia gekommen und (nach der
Kl. Ilias des Lesches) von den Söhnen des Theseus zurückge-
bracht sei (Paus. 10, 25, 8). Den Zug mit jenem Umstand halte
der spartanische Lyriker Alkman in einem Liede auf die Dios-
kuren erzäLlt und, dass Theseus abwesend gewesen, nach ihm
Pindar (nach Paus. 1, 41, 4). Es war dieser Zug sehr lebendig
in der Volkssage (Herod. 9, 73). Die Dekeleer genossen bei den
Spartanern noch in später Zeil Vorrechte und wurden bei Kriegs-
zügen verschont, weil sie Aphidna als Aufenthalt der Helena
nachgewiesen; Sage der Aphidnäer heisst es bei Strabo 396, 17.
Dass die Dioskuren gleich Herakles unter den Argonauten ge-
37) Die Dioskuren sind in unbestrittenen Versen nur II. 3, 236 — 244
genannt. Die Stellen II. 3, 144, Od. 11, 298 fl". erscheinen niehrer sprach-
lichen und sachlichen Gründe wegen als unhomerisch.
38) Dies Letztere nach Plut. v. d. Bruderl. 12. Die ganze Sage aus-
gefljhrt von Stasinos in der Parallelepisode seines Epos vom Anfange des
troischen Krieges (Bei Welcker Ep. Cycl. 2, S 506 und fr. 9, S. 515) und
Find. Nem. 10, 55 ff. oder 101 ff.
165
wesen, sagen Pindar und alle uns bekannten Nachfolger, und es
galt auch in der Volkssage (Herod. 4, 144). Auf der Hinfahrt
bestand Polydeukes im Faustkampf den Wütherich Amykos, den
Fürsten der Bebryker, der älteren Bewohner von Kleinasien
(Strab. 541 g. E.), wie (natürlich nach älteren Dichtern) Apoll.
Rh. 2. z. A. und Theokrit ausführlich schildern. Kastor war
der erste unter mehren, welche sich in dem nun von den Be-
brykern erhobenen allgemeinen Gefecht hervorthat.
Von Theseus gilt, dass die seiner erwähnenden Verse
Homers noch mehr wie die von den Dioskuren als spätere Ein-
schiebsel erscheinen. Er kam nach dem Zeugniss der älteren
Sagenschreiber bei Flut. Thes. 29 und 26 spät in die nationale
Heldensage und es hat in der ßlüthezeit der Epopöe kein Dich-
ter ihn gefeiert. Der einzige Kampf, an dem er ausserhalb der
attischen Sagen nach Jenen Theil genommen, war der des Pei-
rithoos gegen die Kentauren. Der Vers 11. 1 , 265 fehlte aber
in den besten Handschriften ganz, und ist er in andern doch
überliefert, so macht seine Stellung am Ende der Namen und
das gerade ihn allein hervorhebende Prädicat es wahrscheinlich,
dass er ebenso wie es von Od. 11, 631 ausdrücklich bezeugt ist,
in Athen eingeschoben worden. Die Stelle von der Ariadne Od.
11, 322 — 325 wo es heisst:
Sie von Minos erzeugt, dem verderblichen, welche sich Theseus
Einst aus Kreta daher in die heilige Flur von Athenä
Führte : jedoch fruchtlos , denn zuvor traf Artemis Pfeil sie —
diese Stelle — den folgenden Vers lassen wir hier unbesprochen
— sie verräth die speziell attische Gesinnung handgreiflich. Mi-
nos galt nicht dem Homer (Od. 19, 178 f.) noch überhaupt dem
Nationalsinne, aber den Altikern als ein verderblicher, und wäh-
rend die ältere der ausserattischen Sagen den Theseus überhaupt
der Veränderlichkeit in der Liebe beschuldigt, der dann auch
die Ariadne verlassen habe, erscheint er hier seinerseits treu;
die Artemis, welche plötzlichen Tod sendet, hat sie ihn nur nicht
ßeniessen lassen.^'*)
39) Die Laurent. Schol. zu Ap. Rhod. 3, 997. geben die homer. St.
noch ausdrücklicher in diesem Sinn: „Ehlichte, doch fruchtlos". Ein
Vers des Hesiod, der den Theseus anklagte, wurde von den Redacloren
in Athen auf Peisistratos Geheiss getilgt: Plut. Thes. 20. vgl. das. 29.
166
6. Fortsetziiiag. T h e s e u s - B a g e n it n d Lieder.
Unter der sehr reichen ¥i\\\e der Theseiissagen, welche durch
ihre epische jNatur einen Sänger zur Behandhing reizen konnten,
stellt sich gerade die bei den Lobrednern Athens und in Kunst-
bildern *") besonders gefeierte, die von dem Kampf des Helden
und seiner Schaar gegen die in Attika eingefallnen Amazonen
am unklarsten. Es erscheint hier am unthunlichsten, zu ent-
scheiden, ob sie und was davon nur dem Leben der Volkssage
angehört und nach dieser auch von bildender Kunst gestaltet ist,
oder Avas in einem alten Epos ausgeführt war. In der Sage geht
ein Zug des Theseus nach dem Wohnsitz der Amazonen vorher,
als Avelcher Themiskyra am Fluss Thermodon am schwarzen Meer
gemeiniglich angegeben wird,*') Von da hat Theseus nach der einen
Gestalt der Sage mit Peirithoos (nach Pindar hei Paus. 1, 2, 1.
der es wohl so in Athen hörte), nach der andern ohne Genossen
(Plut. 1, 26), nach einer dritten als Begleiter des Herakles die
Amazone Antiope oder Hippolyte entführt. Um diesen Raub zu
rächen drangen die Amazonen vor und fielen in Attika ein. Gar
viele Denkmale, Festtage, Ortsnamen und die Gräber der gefallenen
Amazonen erhielten beim Volk die Erinnerung an jenen Sieg des
Theseus.*^) Aber wie über alle diese Punkte es keine feste
Ueberlieferung giebt, sondern der Deutungen immer mehre sind,
so gewähren auch die noch so vielen Amazonenbilder nur solche
Gestalten, dass man sie gern der Phantasie der Künstler beimes-
40) Der Alhenäer l)ei Herod. 9 , 27. Isokr. Panatheu. 78. Paiieg. 19
u. A. bei Stallbaum zu Plal. Menex. 239 B. Von bes. altischen Künstlern
war dieser Kampf in Athen an mehren Stellen , dann in Olympia dar-
gestellt: Paus. 1 , 15, 2. 17 , 2. 5, 11 , 7.
41) Herod. 4, 86 uml 110 mit Bäbrs Anm. Steph. v. Byz. xi-^Afia^o-
V'Loi', Aesch. Prom. 724 fl'. Die Amazonen erscheinen schon unter den
Abenteuern des Bellerophon, 11. 6, 186. und Priamos gedenkt aus seiner
Vorzeit ihrer, 3, 189, wozu 2, 814 gehört. Am vollständigsten ist die
Sage von ihnen behandelt von Steiner, ülier den Amazonen -Mythus in
der antiken Plastik. Lpz. 1857 s. bes. S. 28 f.
42) Der Areopag'(Areshngel) liatte nach der einen Deutung seinen
Namen vom Opfer der Amazonen (Aesch. Eum. 680 oder 655), nacb einer
andern vom ersten Gericht über eine 3Iordschuld des Ares (Demosth.
Aristokr. 641, 25.); das Fest Boedromia seinen Ursprung nach der einen
vom Sieg über die Amazonen (Plut. Thes. 27.), nach dem beliebteren
Glauben vom Kriege mit den Eleusiniern unter Euniolpos (Et. M. 202.).
Grabeshügel an mehren Orten: Phit. 1 , 27. Paus. 1, 41, 7.
I
167
seil kann, welche an der Gestalt der mannhaften Frauen im Kampf
mit Männern und an ihrer scythischen und dorischen Bekleidung
Gefallen hatten. Eine Reihe von Momenten des Kampfes bilden
sie nicht. Wir können uns, abgesehen von späteren Sagenschrei-
bein, deren gemachte Darstellung Plutarch giebt, aus dem Allen
keinen Hergang des Kampfes, keine Handlung vermitteln, wie dies
oben bei Herakles' Fehde gegen Laomedon thunlich war. Eine
solche giebt nur der Kampf der Amazone Penthesileia mit Achill,
der in der Epopöe Aethiopis des Arkinos die erste Scene bildete,
und darnach der bildenden Kunst ganz besonders liänfig StolT
gegeben hat. ^^) Es sind in der Litteraturgeschichte auch über
eine nacbhomerische Epopöe vom attischen Amazonenkampf nur
unhaltbare Combinationen aufgestellt worden**) und nach dem Ge-
sagten müssen wir es unentschieden lassen, ob es ein älteres
Lied davon gegeben.
Andere Sagen von Theseus' Heldenleben treten uns in ihrem
Verlauf lichter entgegen. In der wunderreichen Vorzeit, auf der
von Unholden und Mischnaturen noch heimgesuchten Erde, be-
währt der attische Heros seine Heldentugend in mehren Aben-
teuern, und erwirbt sich besonders in einem derselben den Ruhm
des andern Herakles. Es giebt dies vier Liederstoffe, die wir,
wie sie von bestimmten Anfang bis zu einem deutlichen Ausgang ge-
führt, auch von gemüthlichen Regungen beseelt sind, wohl einst
von heimischen Sängern ausgesungen erachten mögen. So kamen
die Lieder in die nachmaligen Theseiden, von denen wir allein
ausdrückliche Kunde haben. Da waren die mannigfachen Aben-
teuer dieses Helden eben zusammengereiht, und bildeten bei die-
ser blossen Einheit der Person keine wahre Epopöe. ^^)
43) Overheck in Zeilschr. f. All. 1850 Nr. 37 S. 289 — 307. und in
seiner Gallerie heroischer Bildwerke 1. S. 4U7 If. Sleiner in seiner angel'.
Schrill S. 38,
44) Die Allliis enics Ilcgesinus , welche Paus 9, 29, 1. mit einigen
Versen über die Gründung von Askra in der Schrift eines Sagenschreibers
genannt ist, kann uns nur als ein Gedicht erscheinen, in welchem wie
in den vielen prosaischen Schriflen des Namens überhaupt alle Sagen
Attika's zusanmicngereihl waren, unter denen die vom Amazoneneinfall
freilich auch sein konnte. DerTilcL\inazonia vonSuidas unter Homer auf-
gel'ülirl in dieser Folge: Amazonia, Kl. Ilias, Nosten, vcnälh uns wahr-
scheinlich die Ansicht, nach welcher Homer die sämmllichen Gedichte der
Iroischen Sage gedichtet haben sollte.
45) Aristot. Poet. 8, 2.
168
a. Als der vor andern viel und frühzeitig ausgedichtete Lieder-
stoff hebt sich die Fahrt nach Kreta hervor. Erzürnt über den
Tod seines Sohnes Androgeos, welcher von Afegeus gegen den
marathoniscben Stier gesandt und dort umgekommen war, hatte
Minos, der Seekönig auf Kreta, dem Aegeus einen jährlichen
Tribut von 7 Knaben und 7 Mädchen auferlegt. Sie wurden
dem menschenfressenden Minotaur zum Frass, der innerhalb des
\on üaedalos erbauten Labyrinths hauste. Als zum dritten Mal
die Loosung der Opfer geschah, stellte sich in die angstvolle Be-
legung der jugendliche Theseus freiwillig und verhiess dem Vater,
den Minotaur zu überwältigen. Aegeus gab nun dem Steuermann
des Trauerschiffs mit schwarzem Segel ein weisses mit, das er
bei sieghafter Heimfahrt aufziehen sollte. Als der liebliche Jüng-
ling angekommen, sah ihn alsbald Ariadne, 3Iinos' Tochter, und
von Liebe für ihn ergriffen, übergab sie ihm den Knäuel, dessen
Faden ihn durch die Gewinde des Labyrinths liin und zurück-
führte. Der Held erlegt das Unthier und kommt mit den Ge-
retteten glücklich zu seiner Retterin zurück. Es folgte die Feier
des Siegs, |ZU der Dädalos der Ariadne den Tanzplatz bereitete
und einen Tanz lehrte, der die Windungen des Labyrinths nach-
ahmte. So erschienen auf Bildern Theseus und seine bekränzte
Freundin im jubelnden Tanz, mit ihnen die befreiten Knaben
und Mädchen.''®) Nebst den Befreiten entführte Theseus seiner
Zusage gemäss auch die Ariadne. Als er auf dem Wege an der
hisel Dia (Naxos) angelegt, und sie auf dem Gestade der Ruhe
pflagen, erscheint nach der einen Sage dem Theseus Athene,
im göttlichen Traumgesicht und heisst ihn die Ariadne zurück-
lassen, worauf er absegelt, Ariadne aber von Aphrodite mit der
Verheissung getröstet wird, sie werde des Dionysos Gemahlin
sein. Nach der andern Sagengestalt stirbt Ariadne vom Pfeil
der Artemis, und Theseus kann sie also nicht vollends nach Athen
46) II. 18, 590 mit Schul, und das Bild an dem Kasten des Kypselos,
Paus. 5.19. 1, vgl. 9. 40. 2, sowie die ausrührlichere Darstellung an der Vase
des Klitias und'Ergotimos in Florenz, abgeb. in den Mon. d. Jnst. di corrisp.
arch. Vol. 4. tav. 56. Der kretische Tanz Geranos geheissen war nachmals
auf Delos gebräuchlich und während die Sage seine Entstehung immer von
Theseus' Sieg herleitete, raocliten die Deücr nach Art der Volks- und Stif-
tungs-Sagen diese Stiftung einer Anwesenheit des Helden heimessen. So lau-
tet es hei Plut. Thes. 21 . Pollux Onom. IV. g. 101. S. Prellers gr. Myth. 2. 197 f.
]69
bringen. Die Beunruhigung wegen dieser Ereignisse macht den
Theseus vergessen, das weisse Segel aufzuziehen. Aegeus, der nun
das Schiff mit dem Trauersegel von der Höhe der Akropolis sieht,
stürzt sich im Schmerz über den Tod seines Sohnes in die Tiefe.
Theseus landet im Hafen Phaleron und sendet noch, indem er
den Göttern die gelobten Opfer bringt, einen Herold mit der
Nachricht von seiner Rettung zum Vater, erfährt dessen Tod, be-
stattet ihn feierlich und bezahlt dem Apollon sein Gelübde.
Das Leben dieser Sage schon in früher Zeit bezeugen ausser
jener interpolirten Stelle in Od. 11, 321 ff., deren Alter sich nicht
bestimmen lässt, die Rypria, wo Nestor an die Entführung der
Ariadne erinnert, das Bild auf dem Kasten des Kypselos, The-
seus mit einer Leyer und Ariadne bekränzt, bei der Siegesfeier,
und zahlreiche Vasenbilder des älteren Stils. ^')
Diese Kunslbilder aus dem Abenteuer des Theseus geben
wie andere aus der troischen, thebeischen, herakleischen Sage
gemeinhin allerdings Zeugniss von noch älteren epischen Ge-
dichten, sofern die Künstler natürlich gern und daher meistens
das bildeten, was durch epische Vorträge allgemein ruchtbar war.
Der Kasten des Kypselos weist auf die ersten zehn Olympiaden,
also bis 736 v. Chr. zurück. Denselben epischen Liedern ent-
nahmen die Lyriker ihren Stoff, wenn sie alte Sagen lyrisch be-
handelten. Das Abenteuer nach Kreta hatte Simonides, wie es
nach den Bruchstücken scheint, vollständig besungen. Dichter und
Künstler aber lassen erkennen, dass sie ihre Darstellungen im
vollen Glauben nicht blos an die Persönlichkeiten der Helden,
sondern auch an die Ungetlu'unc d(!r älteren Ileroenzeit gegeben.
b. Zu einem zweiten Liedc bot des Theseus' Auszug ge-
gen den marathonischen Stier einen annehmlichen Gegen-
stand. Der Stier, von Poseidon erzeugt und wild gemacht, war
aus Kreta herübergekommen und verwüstete die Fluren um 3Ia-
rathon und die ganzen Vierlande (Tetrapolis) Attikas. Als der
junge Held in die Umgegend Marathons kam, trat ihm die greise
Hekale entgegen, deren ländliche Hütte hei immer unverschlosse-
47) Kypria: Welck. Ep. Gycl. 11, 506. Kasten: Paus. 5, 19, 1. Va-
sen: 0. .lalins Arch. Beitr. 258 f. Amykl. Thron: Paus. 3, 18, 16. und
schon §. 11. wozu Jahn S. 257. Sinioiiidcs bei Phil. TIm\s. 17. Fr. 54 Iiis
56. p. 889. ^
170
ner Thür alle Wandrer gern gastlich aufnahm. Mochte der alle
Sänger schon ehen so ^vie später Kallimachos zuerst den Stier
und seine Verwüstungen beschriehen haben, er schilderte nun,
\vie der kräftige Jüngling von der Alten in ihre Hütte geführt,
und hier auf schlichtem Sessel mit untergestreutem Schilf zum
einfachen Mahl eingeladen sei. Dann Avie sie mit ihm mütterlich
sorgliche Gespräche gepflogen, und sie dem Jüngling ihre Ge-
schichte, dieser ihr von gefährlichen Ungethümen und deren Be-
kämpfung erzählt habe. Als sie den muthvoUen Jüngling zum
Kampfe entliess, gelobte sie dem Zeus ein Dankopfer, wenn er
glücklichen Ausgang gewähre. Die Greisin starb, ehe ihr Gebet
erhört war, aber es ^ard voll und ganz erfüllt. Theseus bän-
digte und fing das Tliier lebendig, führte es durch Athen und
opferte es dem Apollo Delphinios, einem Geleitsgott. In dank-
barem Andenken an die gastliche Hekale rief Theseus, als er
ihren Tod vernommen, die Umwohnenden zusammen und stiftete
einen Altar und ein Opfer dem Zeus der Hekale und sie selbst
wurde fortan von jenen Gauen als Heroine verehrt. ^^)
Es war das hier Erzählte Volkssage der Marathonier, und
kann die Legende zum Cultus der Heroine Hekale heissen. Von
einem einheimischen Sänger zuerst lebendig ausgeprägt, wurde
sie wohl bis zu Kallimachos zunächst von den zahlreichen Sagen-
schreibern auch älterer Zeit den andern von Theseus' Thaten an-
gereiht, dann ebenso von den Dichtern der Theseiden (s. Anm.
45.); Kallimachos behandelte sie wieder für sich.
c. Viel und nach Verhältniss frühzeitig findet sich in Poesie
und Kunstbildern die Sage von des Theseus Bund mit Pei-
rithoos zu gegenseitiger Hilfe zum Raub einer Braut, nament-
lich aber zu dem gemeinsamen Gang in die Unterwelt, um für Pei-
rithoos die Persephone oder Kora zu entführen. Zuvor raubten
sie die Helena aus Sparta bei einem Reigentanz zu Ehren der
Artemis, und loosten darauf um sie unter der Bedingung, dass
48) Phit. Thes. 14. und die Fragin. des Epos Hekale von Kallimachos,
bearbeitet von Näkc in Opusc. II. Bonn 1845. Der Stier S. (30. Tlieseus'
Auszug und Hekale 97. 117. 151. Der Kampf S. 253 ff. Einzug in die
Stadt S. 260 ff. Das Opfer niclil wie Paus. 1, 27 a. E. der Stadtgöttin, son-
dern dem I)el|tliinios,'(len Tlieseus viel ehrt S. 266. Des Theseus und der
DeinoLcn SliUiiiig S. 268.
171
der, Avelchem sie zugefallen, dem Andern seinerseits zu einer
Braut behilflich sein solle (Plut. Thes. 31.). Es erhielt sie The-
seus, und er zeugte schon auf dem AVege nach Argos die Iphi-
genia mit ihr. So die Volkssage der Argeier, welche Stesichoros
und spätere alexandrinische Epiker befolgten. ^^) Peirilhoos er-
sehnte die Königin der Unterwelt Persephone ; so stiegen sie hin-
ab. Dieses Abenteuer fand sich wie man erkennt, als selbstän-
digere Partie in den sogenannten Eöen, welche Hesiods Katalogen
der Heldenmütter als 4. oder 4. und 5. Buch angehängt wur-
den.''") Wie sie des Charons Kahn gesucht, erzählte das Epos
Minyas, und ausführlicher (nach der Perserzeit) der Epiker
Panyasis in seiner Heraklee. Nach beiden hatte der Maler Po-
lygnot die Bilder der beiden Helden in seiner Unterwelt, in
der Halle des Tempels zu Delphi gemalt^'). Der Verlauf war
dieser: Als sie durch die Kluft am Vorgebirge Taenaron im Schatten-
reich angelangt waren, \\urden sie auf einem Felsensitz festgebannt,
nicht im Stande wieder aufzustehen. Es erlöste sie erst Hera-
kles, als er den Kerberos heraufzuholen in den Hades kam, wie
der Theseus der Tragödie diese Wohlthat des Herakles so dank-
bar anerkennt. ^^) Den Peirithoos wollte oder konnte Herakles
nach anderer Sage nicht befreien. Während Theseus in der Un-
terwelt war, zogen die Brüder der Helena, die Dioskuren gegen
Aphidua in Attika, wo die geraubte Helena l)ei Theseus alter
iMulter Aethra wohnte. Mit der befreiten Schwester führten sie
die Aethra gefangen nach Sparta.''^)
d. Der vierte Liederstotf aus der These ussage zeigt vor
andern diesen Helden als einen andern Herakles, wie man
49) Paus. 2, 22, 7. Beide Hehlen, wie sie soclieii die Helena gerauht
haben, waren an dem aniykläisehcn Thron zu sehn: Paus. 3, 18, 5.
50) S. das Verzeichniss hesiodischcr Gedichte hei Paus. 9, 31, 5 f.,
in welchem noch andere Titel ebenso als Thcile zu denken sind, so wie
manche anderwärts genannte. S. Marckschellel Hcsiodi Fragm. S. 154
bis 158.
51) Die Minyas Paus. 10, 28, 2 vgl. mit J5;. 7. Panyasis das. 10, 29,
9. Auch Pindar hat der Sage gedacht nach Paus. 1 , 11 , 5.
52) Diesen Hergang giehl im Zusauunenhang das Schol. zu A|in|l.
Rh. 1. 101. des Theseus Dankharkeil lici Kiirip. Ras. Herakl. IIC.'.I. I.3.'^f3f.
Herakicid. 2181". 344.
53) Diese Wegfiihruiig sah man schon an der Lade des Ky|isclns dar-
gestellt nach Paus. 5, 19, 3. und mit poelisdier Beischrül. — Viol ])egcg-
172
ihn nannte. Jedoch gehört dies wesentlich dem alten Gebiet des
ionischen Stammes, welches er auf seiner ersten Heldenbalm durch-
zog, dem Wege von Trözen über die korinthische Landzunge bis
nach Athen an. Aehnlich wie die Arbeiten des Herakles bilden
hier sechs auf einander folgende Kämpfe eine in Poesie und Kunst
gefeierte Reihe von Gross- und Wohlthaten des Theseus, durch die,
wie sein Vor- oder Ebenbild Herakles die weitere Erde, so er
jenes alte lonien befriedete. Erst nachdem Theseus die hier die
AVanderer anfallenden Wütheriche überwältigt, war diese Gegend
gastlich und wohnlich. Nur Sagenschreiber und Kunstbilder^)
bezeugen uns aus älterer Zeit diesen ersten Heldengang des io-
nischen Herakles , aber in so lebendiger Darstellung und so ab-
gerundetem Verlauf, dass die Voraussetzung, in einem alten Liede
seien die einzelnen Gebilde der Volkssage verknüpft und beseelt
gewesen, hier besonders wohl begründet erscheint. Die Erzäh-
lung beginnt mit der ersten Prolte der Heldenkraft bei Pittheus
in Trözen und schliesst mit der Erkennung durch den über-
raschten Vater im Beisein der Medea in Athen. Die Vorgeschichte
des Liedes war diese: König Aegeus war wegen der feindlichen
Pallantiden um so verlänglicher nach einem Erben zum weisen
Pittheus nach Trözene um Hülfe gekommen. Dieser gesellte ihm
seine Tochter Aethra. In Hoffnung auf einen Sohn legte nun
Aegeus beim Abschied sein Schwert und seine Sohlen unter
einen schweren FeFsblock. Sobald der zu hoffende Sohn stark
net die pragmatische Deutung dieser Sage. Da sind die Helden vielmehr
nach Epirus gezogen (dem alten Local der Unterwelt), um dem König der
Mülosser, A'amens Aidoneus, und seiner Gattin Persephone die Tochter
Kora zu enllühren. Der König stellte jedem Freier die Aufgabe, seinen
Hund Kerheros zu bewältigen. "Da jene die Jungfrau stall dessen rauben
wollten, liess er sie festnehmen, bis Herakles sie davonführte: Plut.
Thes. 31. Paus. 1, 27, 4 2, 22, 6. lieber Tliesprotien, das Land der Mo-
losser, als das Gebiet, wo das Phantasicliibl der Unterwelt entstand s.
Anm. zu Od. 10, 513 Th. 3. S. 15G I.
54) Plut. Thes. 6 — 12. Paus. 1, 27, 7 — 9. Diod. 4. 59. Ovid Me-
tam. 7, 437 — 447. Die Kunslbilder zürn Tlieil sc]u:)n von Böttiger Vasen-
gem. 1 , 2. S. 134 — 163. besprochen. In Athen ia dem noch erlialtenen
s. g. Theseion, das nach Ross vielmehr ein Tempel des Ares war (dess.
Theseion 10. 19. 32. 50.), auf der Burg ein Erzbild von dem Aufheben des
Felsen Paus. 1, 27, 8. in der s. g. Poikile der ßilderhalle der Skeiron
Paus. 1, 3, 1. Ueber sonstige Kunstbilder s. Preller Gr. 3Iylh. 2, 192.
173
genug geworden den Felsblock zu heben, solle die Mutter ihn
mit den Kennzeichen nach Athen gehen heissen. Die Erzäh-
lung selbst aber lautet so:
Im Hause ihres Vaters hatte Aethra den Sohn Theseus gross
und schön aufwachsen sehen, ohne ihm zu offenbaren, wer ei-
gentlich sein Vater sei (man sprach von Poseidon}. Als er im
frischen Gedeihen sechszehn Jahr geworden, führte sie ihn zum
Felsen, nannte ihm Aegeus als seinen Vater und hiess ihn nach des-
sen Willen thun. Leicht hob der Jüngling den Stein und trat mit
dem Schwert und den Sohlen den Weg nach Athen an, nicht, wie
Grossvater und Mutter meinten, auf der kurzen Seefahrt, sondern
zu Lande. Auf dem Grenzgebirge nach Epidauros traf er den
Keulenträger Peripbetes, Sohn des Hephästos, der jeden Wan-
derer mit seiner Keule anfiel. Theseus erlegte ihn und nahm
die Waffe fortan als die seinige. Auf der korintlüschen Land-
enge griff ihn Sinis an, genannt Pilyokamptes, der Fichten-
beuger, indem er jeden Ankömmling zwang, mit ihm eine der
dort häufigen Fichten niederzubeugen und dann plötzlich losliess,
so dass der Aufgeschnellte nur um so schmerzlichem Tod von
ihm erlitt. Theseus tödtete ihn auf die gleiche Weise. (Ob die
alte Sage die Episode bei Plut. 8 von Sinis' schöner Tochter
schon gehabt, ist nicht zu sagen.) Weiter beim korinthischen
Dorfe Krommyon tilgte er die dort wüthende Sau, die Graue,
wie ihr gefürchteter Name war. Wo hinter Krommyon der
Weg nach Megaris und Attika nah am Meer hingeht über den
küppigen Abhang des links ragenden Felsengebirges, da empfing
den Wanderer der Unhold Skeiron. Er — der für alle Zei-
ten dem Pass und dem Gebirg' und dem Wind, der von da wehte,
den verrufenen Namen gab — zwang sie, ihm die Füsse zu waschen
und stiess sie, wenn sie kauerten, in das 3Ieer hinab, wo dami
eine Seescbildkröte herznschwamm und die zerschellten Glieder
verschlang. ^^) Als der Held darauf gegen Eleusis gekommen,
bestand er den Kerkyon, der Niemand vorüberliess, er musste
mit ihm ringen. Die Gewandtheit, durch welche Theseus den
sonst immer sieghaften Ringer überwand, brachte ihm den Hubm
als Erfinder und Meister der Hingkunst. ^®) Daneben erlöste The-
55) Str. 391, 4. Diod. 4, 59. Paus. 1, 44, 8 oder 12.
56) Paus. 1, 39, 3.
174
seus die von Kerkyon eingekerkerte schöne Tochter Alope aus
der Haft und gab ihrem Sohne die Herrschaft.") Unfern von
Eleusis strafte er in sechster Grossthat den Damastes, den man
Prokrustes, den Strecker, nannte, ^veil er hei ihm Einkehrende
in das sprichwörtUch gewordene Bett legte.
Jetzt war vollbracht, was die Folgezeit dem Theseus als dem
andern Herakles nachrühmte. Es zog nun jeder Wanderer in
diesem Gebiet ohne Unbill seine Strasse. ^^) Als der sieghafte
Jüngling am Kephisos angekommen , wird er vom frommen
Hause des Phytalos gastlich aufgenommen imd wegen des beim
guten Werk vergossenen Blutes durch die üblichen Gebräuche
und ein dem Sühne -Zeus dargebrachtes Opfer gereinigt. ^^) Als
er in die Stadt kommt, um zum Königshaus zu gehen, er unge-
kannt im ionischen langen Gewände und schmuck aufgebundenem
Haar, lachen Bauleute am Tempel des Apollon Delphinios über
das bräutliche Mädchen, das so allein herumstreiche. Ohne ein
Wort zu entgegnen, spannt er von einem dastehenden Lastwagen
die Stiere ab und wirft ein schweres Stück des Wagens (die
Lesart ist dunkel) hoch in die Luft, höher als das Dach, das die
Spötter dem Tempel aufsetzen.*") Beim Eintritt in das Vater-
haus ist Medea bei diesem; sie hatte, aus Korinth flüchtig, bei
Aegeus Aufnahme gefunden. Sie nun ahnet {jiQoacöd'oiisvrj) im
Ankömmling den Sohn (wohl nach Frauenarl, wie Helena, Od.
4, 143), aber weil er in ihre Plane nicht passt, bestimmt sie den
immer vor der Gegenpartei bangen Vater, den Fremden bei der
Bewirthung zu vergiften. Neben dem aufgetragenen Fleisch steht
der vergiftete Becher. Theseus will lieber ohne Wort erkannt
sein, er zieht des Vaters Schlachtmesser, wie um das Fleisch zu
schneiden. Da erkennt Aegeus ihn, stösst den Becher um, um-
armt den Sohn und stellt ihn dem zusammenberufenen Volke
dar«M.
.57) Dies der Inhalt der Tragödien Alope von Chöriios und Ker-
kyon von Euripides: Nauck, Frag. S. 557 ii. S. 310—312. Weicker Gr.
Tr. 1. 18,2, 711—717.
58) Xen. Memor. 2. 1, 14, Kyneg. 1, 10,
59) Paus. 1, 37, 2 und 4. K. Fr. Herrn. Philol. 2, S. 7.
60) Paus. 1. 19, 1.
61) In des Eurip. Tragödie Aegeus war Medea diesem schon vonnählt,
und wurde ihre Hinterlist weiter ausgesponnen, welche dann ilue Ver-
175
Hiermit kann das Lied beschlossen worden sein, doch der
in der Sage sich eng anschliessende Kampf und Sieg des Theseus
über die Pallantiden gab als Bewährung des Königssohnes noch
einpn volleren Schluss. Es folgt nämlich bei Plut. 13. ins Kurze
gefasst diese^: Die feindseligen Pallantiden , welche nach Aegeus
Tode die Herrschaft gehofft, rückten in zwei Zügen heran; der
eine unter dem Pallas gegen die Stadt, die Andern legten in
der Nähe einen Hinterhalt. Durch ihren eignen Herold Leos
hiervon unterrichtet, überfiel Theseus die Lauerer und machte sie
alle nieder, die Andern unter Pallas zerstreuten sich.
So 'also bildet dieser Heldengang, des Theseus einen har-
monisch abgeschlossenen LiederstofF. Das Verhältniss der Sänger-
dichlung zur Sage erscheint uns als dasselbe wie bei der Aus-
dichtung der Arbeiten des Herakles. Bemerkenswerth ist dabei,
wie jeder der beiden die Erde befriedenden Helden seine beson-
deren Ungethüme bewältigt, obwohl sie ihre Abenteuer in einan-
der nahen Gebieten bestehen. Nach der Angabe bei Plut. Thes. 6.
war Herakles damals abwesend, zur Dienstbarkeit an die Ompliale
verkauft.
7. Fortsetzung. Lied von P e r s e u s und dem G o r g o h a u p t.
Einen Liederstoff von gleicher ja wohl noch knapperer Be-
messenheit giebt die Perscussage von Seriphos, deren Leben im
Volk wir schon aus der Natursage von dem See mit stummen
Fröschen erkannt haben.
Die Sage geht von Seriphos ans, hat aber eine Vorgeschichte
in Argos. Akrisios, Fürst von Argös , schliesst , geschreckt von
einem Orakel, welches ihm von einem Enkel den Tod verkündigt,
seine. Tochter Dana e in ein unterirdisches Gemach ein. Jedoch
durch Zeus' Goldregen befruchtet gebiert sie den Perseus.®*) Als
Akrisios dies erfährt, steckt er Mutter und Kind in eine Arche
und übergiebt sie den Meeresw eilen. Die Arche wird zur Insel
Seriphos hingetrieben. Diktys, der Halbbruder des Königs Po-
weisuiig zur Folge halle. Die Erkennüngsscene oisclieinl in inHireii
Kunslbiklern.
62) Pind. Pyth 12, 17 oder 30. vgl. in. 11. 14, 319 f. Sopii. Aiil. 044
bis 950. Das Goiuach noch spät gezeigt nach Paus. 2, 23, 7.
176
lydektes zieht sie ans Land und nimmt Mutter und Kind in sein
Haus.®') Der Inhalt des Liedes ist nach den Sagenschreibern dieser:
Danae und ihr Sohn Perseus lebten in ihres Retters Hause
und Pflege wohlgehalten wie Verwandte, Als Perseus bereits z^im
Jüngling herangewachsen war, sähe der König PoTy dektes die
Danae und entbrannte für sie, aber sie verschmähte seine An-
muthungen; so musste er in seiner Leidenschaft auf besondere
Wege sinnen, seine Lust zu büssen. Der Sohn war ihm hinder-
lich. Polydektes suchte irgendwie ihn zu nöthigen, ihn gewäh-
ren zu lassen. Die Gelegenheit sollte eine Einladung bringen,
und sie brachte sie in eigener Weise. Polydektes stellte angeb-
lich um Brautfahrt und Werbung um Oenoraaes Tochter®^) zu hal-
ten ein Pickenik der Art an, da der Wirth von jedem Gela-
denen ein bei der Einladung genanntes Geschenk verlangte. Wie
andere Mannen ward auch Perseus geladen. Als er auf die Frage,
auf welche Beisteuer geladen werde, hörte, auf ein Pferd, erwi-
derte er, sei es in ärgerlicher Stimmung oder im Jugendmuth:
0, auf das Haupt der Gorgo! Als am Tage nach dem Gastgebot
die Theilnehmer die Pferde brachten, nahm Polydektes das des
Perseus nicht an, sondern verlangte ihn beim Wort fassend das
Haupt der Gorgo (Pind. P. 12, 13 oder 25) mit dem Bedeuten:
wofern er ihm nicht dies liefere, werde er sich seiner Mutter
bemächtigen. Voll Kummer und ralhlos ging der treue Sohn in
die Einsamkeit, wo öfters Gölter den Menschen begegneten. Hier
erschien Hermes (wie Od. 10, 281) und fragte nach der Ursache
des Kummers. Er versprach ihm darauf sein Geleit, wenn er das
.\benteuer unternehmen wollte. Seine Scbutzöttin Athene versagte
ihm auch ihren Beistand nicht. So führten sie ihn zuerst zu den
Gräen im äussersten Westen (Hes. Tb. 271, 275), den Vorwäch-
tern der Gorgonen (Ae. Fr. 255. Nk. 274 Hrm.). Ihnen nimmt
er nach Rath der Athene das Eine Auge und den Einen Zahn,
deren sie sich wechselsweise bedienten (Ae. Prom. 795 — 797).
Auf ihr Flehen verspricht er ihnen die Rückgabe, wenn sie ihm
63) Des Simonides wunderliebliches Gedicht Fragni. 3". ül)ers. von
Geibd in Klass. Studien 1. Heft Bonn 1840. S. 41. Pherekydes im Seh.
zu Apoll. 4, 109.
64) Sie geschah durch Wettfahrt mit Pferden , also als wolle Polyd.
sich ein recht gutes Gespann auswählen.
177
den Weg zu den Nymphen zeigen, welche im Besitz der ihm
nöthigen F'lngelsohlen, des Heims der Unsichtbarkeit und des
Ranzens sind. Perseus erhall das Gewünschte (Amykl. Thron
Paus. 3, 17. 3). Bedeckt mit dem Heime und mit den Flügel-
sohlen beschuht schwingt er sich empor und fort zum Weltstrom
Okeanos, wo die Gorgonen auf einer Insel wohnen (Hes. Th. 274),
und seine Schutzgötter begleiten ihn; Hermes versieht ihn mit
einer Sichel, Athene mit einem Spiegel. Er findet die drei Gräss-
lichen (geschildert von Aesch. Prom. 799 — 801) schlafend. Nur eine,
die Medusa, war sterblich (Hes. Th. 276 f.); ihr schnitt Perseus
mit der Sichel bei abgewendetem Blick mit Hilfe des Spiegels
das grause Haupt ab, und barg es im Ranzen (Hes. Schild
212 — 232); die beiden andern Gorgonen stürzen, wie sie ge-
flügelt sind, nach geschehener That dem Thäter nach,®^) er aber,
unsichtbar durch den Helm, entkommt. Im Besitz des Hauptes,
dessen Anblick versteinert, kehrt der Held nach Seriphos zum
Polydektes zurück, lässt ihn recht zahlreiche Zeugen zusammen-
berufen und übt mit Aufweisung des Verlangten am König und
dessen Genossen die Rache für den feindseligen Auftrag zur Er-
lösung der Mutter „aus des erzwungenen Ehebetts Schmach ".^^)
Dies die fast unter allen wunderreichsle, aber zugleich durch
das Motiv der Sohnestreue schön beseelte Dichtung. Dass bei
ihrer so ausgeprägten Form und ihrer nationalen Geltung in
Poesie und Kunst sie die Vorausstitzung eines alten Liedes reich-
lich begründet, dürfte ebenso anzuerkennen sein, als es bemer-
65) Wie in der Stelle der dem Hesiod zugeschriel)eiieii Dichtung,
so erscheinen am Kasten des Kypselos, Paus. 5, J8, 5., die verfolgenden
Schwestern; ähnlich niciit seilen in alten Vasenljildern.
66) Die vollsländige Erzählung geben die Steilen aus Pherekydes Fr.
26., in gedrängter Fassung hal sie Str. 10. 487 C, der wolil Pindar P.
10, 44 oder 69 fr. und 12, 9 oder 15 ff. im Sinn halle. Aeschylos dichtete
die ganze Sage zu einer Trilogie aus. Die Fragra. Nauck S. 65. Die Tri-
logie m. Sagenpoesie 494 und 584 — 586. Wenn die Mylhologen den
Perseus und seine Hadeskappe und die Gräen und Gorgonen zu einem
Nalurmylhus auszudeuten geschäftig sind, so halten wir es mit Steiner,
Uel)er den Aniazonenmylhus. Lpz. 57. S. 4. ,,Um die Bezieiiung der My-
then zur Kunst richtig zu lassen, muss jede symbolische Deutung dersel-
ben unlerhleihen u. s. w. bis S. 5." Eben so wenig als bei poetischen
darf bei den Werken der plastischen Kunst an Allegorie gedacht wer-
den, da auch hier Alles auf die unmittelbare Wirklichkeil berechnet war.
Nilzsch , Gesch. d. griech. Epos. 1 2
178
keiiswcrlli ist, class von einer Erneuernng im Zeilaller der Knust-
epopöe, abgesehn von ganz späten Epikern,"') gar Nichts über-
liefert ist.
8. Uebergang- zu den vorliomerisclieu Liedern vom
jüngeren Heldengescblecht, wnä damit zn den
Vorläufern der Epopöe homerisclien Geistes.
Vergl. Bucli 1 §. 15 letzte Hälfte. *
Als Ilauptzüge, welche die Sagen und Lieder des jüngeren
Geschlechts von dem des älteren unterscheiden, erkennen wir er-
stens die Grösse der Interessen und der Bewegungen, da, weil
es sich um Reiche handelt, nicht einzelne Schutzgotter, sondern
das Götterregiment unter dem höchsten Zeus l)etheiligt ist, und
so der höchste der Obherrschenden, der über den Kriegsparteien
der Götter wie der Menschen steht, aller Erfolge waltet. Sodann
gehören alle die Ursachen, welche die Kämpfe hervorrufen, den
allgemeinen Sittengesetzen an, und ist es die Strafaufsicht der Göt-
ter, welche alle Ereignisse beseelt und bedingt. Da geschieht
es denn, dass ganze Heerfcihrten oder besonders charakterisirte
Akte derselben unter Götterzorn vor sich gehn. Ferner die ein-
zelnen Helden des älteren Heldengeschlechls sind eben nur
mächtige Kämpen, sie bestehen einzelne üebergewaltige auf noch
friedloser Erde zugleich durch eigene Heldenkraft wie durch
Beistand, wohl auch ^Yunde^hilfen der begleitenden Schutz-
gölter, und vollbringen sieghaft überhaupt das Schwerste. Die
Helden des späteren Epos dagegen beschliessen in bekannten, wohn-
lichen Landen als Fürsten und Führer der Gemeinen ihrer Stämme
zusannnengeschaarl die Rachekriege, und erscheinen so auch per-
sönlich bei aller auch nicht ohne Gott sich hervorthuenden Tapfer-
k-eit als Träger der Menschennatur, wie ein Kenner sie in Jed-
wedem finden musste. \Yird diese treffend dargestellt, so erweist
sie sich auch in den Edelsten des sterblichen Geschlechts nicht
vollkommen tugendhaft, vielmehr immer zur Maasslosigkeit ge-
neigt und versucht, so dass auch die edelsten Triebe und berech-
tigslen Ansprüche über das Maass verfolgt weiden. So die Helden
67) Die Perseis eines Miisiios von Kphosos (bei Suidas) unter den
perganienisclien Königen wird in ihren 10 Büciiein den Theseiden ähnlich
gewesen sein.
179
Agamemnon nnd Acliill und Hektor und Odyssens in der Darstel-
lung des Menschenkenners Homer. Aber wie in den Gemüthern
auch der herrlichsten Helden Leidenschaften sich regen, so in den
Göttern, welche Liebe und Hass mit ihren Schützlingen theilen.
Wenn hiernach auch den Olymp Parteiung theill, hat der Lenker
der Geschicke, Zeus, der in seinen Gemülhsregungen auch selbst
heftig ist, es schwer, seinen Rath durchzusetzen. So herrscht in
der olympischen Geschichte, welche neben der irdischen und im
Wechsel mit ihr fortgeht, das regeste Gespräch, in welchem die
Götter ihre verschiedenen Begabungen und Gemüthsarten ebenso
offenbaren, wie die verschiedenen Helden und Heldinnen in den
wechselnden Scenen und in den Begegnungen unter sich oder mit den
Göttern auf der Erde. So wird erst in den Liedern vom jüngeren
Heldengeschlecht die Poesie charaktervoll. Urtheilen wir so zunächst
nach der Darstellung der uns allein als vollständige Ganze vor-
liegenden beiden Epopöen Homers, deren eigenste Eigenheit wir
einstimmig mit den Alten dem Inhalt nach in dem Charakter-
vollen, der Form nach im dramatischen Leben erkennen: so
geht diese doch zuerst als aus ihrer Bedingung aus den Sagen-
stoffen hervor, in welchen eben Völkerkämpfe unter dem Walten
der gesammten Götterwelt gegeben sind. Wonach auch keine
epische Poesie, welche einen solchen Stoff behandelte, jener Man-
nigfaltigkeit des Inhalts entbehrte, mochte sie auch nur im klei-
nen Lied und vielleicht eine Episode daraus erzählen.
Es waren eigentlich nur die zwei Heerfahrten gegen Theben, der
Krieg der Sieben und der der sog. Epigonen, ihrer Söhne, und
der troische Krieg mit seinen mehren eigenthümlich charakteri-
sirten Phasen, welche vom jüngeren Heldengeschlecht in Betracht
kamen und in dem bezeichneten Charakter geschildert werden
konnten. Mit diesen beiden Kriegen zeichnet auch Hesiod in
den Weltaltern das ihm näher gelegene jüngere Heroengeschlecht.
Jene beiden Kämpfe gegen Theben mochten in vorhomerischer
Gestalt vielleicht jeder in einem nur um etwas längeren Liede
nach ihrem ganzen Verlauf besungen sein, anders als in den
zwei nachhomerischen Epopöen, Thebais und Epigonoi, deren
jede ungefähr 7000 Verse umfasste. Dagegen die Sage vom dem
durch des Paris Frevel am Gastrecht verursachten Kriegszuge von
I ganz Griechenland gegen Troia, sie musste jedenfalls gleich znerst
12*
180
in einer ansehnliclien Zahl kleinerer Lieder besungen sein. Die
Sänger jedoch , welche Homer in seiner Odyssee wie seine näch-
sten V^orgänger vorführt, ^ie geben sciion eine Vorstufe zu den
»rossen Compositionen der zweiten Periode und ihrer Muster der
Ilias und Odyssee.
9. Die einzelnen vorbomerisclien Lieder von den
Heerfahrten des jüngeren Geschlechts. Zuerst
die aus der T hebischen Sage.
Da zwei Epigonen, Diomedes, der Sohn des Tydeus, und
Sthenelos, derjenige des Kapaneus, nachdem sie am Siege über
Theben ihren Antheil gehabt, vor Troia ktimpften, so giebt die Ilias
aus dem Munde dieser Beiden oder im Verkehr Anderer mit ihnen
schon reichlich Züge von jenen beiden Kriegen. Dazu kouuuen
andere Stellen aus der Ilias oder Odyssee oder den hesiodischen
Gedichten.
Die Vorgeschichte des ersten Zugs, die Oedipussage, hatte
im epischen Zeitalter eine minder tragische Gestalt als in den
Trogödien ungeachtet gleicher Grundlage.^*)
Oedipus hat unbewusst die Gräuel wirklich begangen, seinen
Vater gemordet und das Königthum in Theben durch die Ehe
mit der eigenen Mutter überkommen. Aber da das Wahre als-
bald ruchtbar geworden, hat die Mutter, hier Epikaste statt lo-
kasle genannt, sich erhenkt und sterbend über den Sohn den
Fluch ausgesprochen. Oedipus blieb König und starb als solcher
in Theben. Um in ein reines Verhältniss zu kommen, vermählte
er sich nach der Mutter Tod und Fluch mit Euryganeia, der Toch-
ter des Fürsten Hyperphas, und mit ihr zeugte er die zwei Söhne
Eteokles und Polyneikes und zwei Töchter, Antigone und Ismene,
nicht mit seiner Mutter. Aber dass in Erfüllung des mütterlichen
Fluches seine Söhne ihn unehrerbietig behandelt, scheint schon
in den Worten der Odyssee zu liegen, und war in der nachho-
merischen Thebais nach den erhaltenen Versen klar dargestellt,
und dazu der in Folge dessen von ihm ausgesprochene Fluch
über sie. Um die Wirkungen dieses Fluchs zu meiden, war der
jüngere Sohn Polyneikes noch beim Leben des Vaters nach Ar-
68) Od. 11, 271 — 280. m. Anm. Th. 3. S. 237 — 240 Welck. Cycl.
2, 333 — 339.
181
gos ausgewaiulerl zum Fürsten Adraslos. Adraslos in der Parleinng
mit Anipliiaraos Iridier vertrieben (II. 2, 572), war jetzt, indem
Jener die Eripliyle, Adrasts Schwester, zur Gattin nahm, ver-
söhnt zuriR-kgekehrl. Dem Polyneikes gab Adrast seine Tochter
Argeia zum Weibe. Bahl darauf kam von Eteokles die Nachricht
vom Tode des Oedipus und Polyneikes mit Argeia und Adrasls
Bruder Alegistheus gehen zur Feier der Leichenspiele nach The-
ben (11. 23, 679 m. Seh.). Jetzt erfüllt sich der Vatertluch, die
Brüder entzweien sich, Eteokles versagt dem Polyneikes den be-
dungenen Wechsel im Königlhum. So erfolgt der 'erste Krieg.
Die homerischen Stellen geben uns folgende Data desselben.
Wie Polyneikes von Theben, so kam Tydeus von Ralydon
als Flüchting zu Adrastos und erhielt eine Tochter zum Weibe,
II. 14, 119 — 125. 3Iit ihm, dem Tydeus, zog Polyneikes umher,
um zum Zuge gegen Theben und Eteokles Genossen zu sammeln,
II. 4, 376 — 378. Manche waren geneigt, aber schon hier schreck-
ten die bösen Vorzeichen des Zeus, das. 381. Amphiaraos, den
Zeus und ApoUon mit grosser Sehergabe gesegnet, mahnt
ausdrücklich ab, aber da er selbst sich verpflichtet hat, in Streit-
fällen mit Adrast der Eriphyle zu folgen, wird er durch diese,
die durch das goldne Halsband (der Ilarmonia) von Polyneikes
bestochen ist, endlich doch genöthigt, selbst mitzuziehen. Od. 15,
244 — 347. 11, 326 f. Sein drängenster Gegner ist der über
Alle kampflustige Tydeus (wie vor Troia sein Sohn Diomedes),
der sich in diesem Muth des präsentesten Beistandes der Athene
erfreut, II. 4, 372 f. 5, 116. 125 f. 801 — 803. 10, 289 f. Er wird,
als die Heerfahrt zum Asopos in Thebens Nähe gekommen, mit
Vertragsantrag an den Eteokles hineingesandt, 5, 803 f. 10, 285 bis
289. Als er, zwar gastlich empfangen, kein Gehör fand, forderte er
die versammelten Gäste zu Zweikämpfen auf und überwand sie
sämmtlich, 4, 387 — 390. 5, 806 f. Dadurch erbittert legten
sie ihm auf der Rückkehr einen Hinterhalt von 50 Mann mit
zwei Führern, aber er machte diese alle nieder und liess nur
den Mäon als Boten des Geschehenen übrig, 4, 391 — 398. 10,
289 f. In den Kämpfen dann vor Theben kam auch er um, 6,
222f. 14, 114. Und die Helden alle erreichte dort um ihres Frevel-
sinnes willen das ihnen von Anfang vorher verkündete Geschick,
4, 409. Der einzige Adrastos entkam auf dem wunderschnei-
182
len, sagenberühmten Ross Areion, me es 11. 23. 346 f. zum
Vergleich dient.'''') Noch erwähnt die Odyssee mit einigen Wor-
ten den Untergang des Aniphiaraos vor Theben:
Doch nicht zur Schwelle des Alters
Kam er, er starb vor Tlicbä in FoJge der Weibergeschenke,
womit Homer, wenn die Stelle echt sein soll, die Apotheose
desselben znm prophetischen Heros doch kaum angedeutet haben
kann , da , wie wir bei den Dioskuren gesehen haben , die Apo-
theose bei ihm nur in unechten Stellen erscheint.
Auf den unglücklichen Zug der sog. Sieben, — unglücklich,
weil er auf Anregung des fluchtragenden Polyneikes und unter
bösen Zeichen geschehen war — folgte der der Epigonen, der
Söhne der gefallenen Helden, welcher, unter glücklichen Vorzei-
chen unternommen und geführt, einen erwünschten Sieg und die
Zerstörung des schuldvollen Thebens zum Ausgang hatte. Diesen
geschichtlichen Erfolg findet man im Schiflskatalog 2, 505. ange-
deutet. Den verschiedenen Ausgang der beiden Kriege hebt Sthe-
nelos, II. 4, 405 ff., hervor. Da die Söhne der Sieben beim Aus-
zug der Väter noch kleine Knaben gewesen waren (II. 6, 222),
nimmt man den zweiten zehn Jahr später an. Aber so bestimmt
dieser zweite Krieg in der Ueherlieferung steht und die home-
rischen Epigonen ihn anerkennen, wir müssen doch urtheilen,
dieser sei dem Dichter nur durch die Volkssage bewusst gewesen.
Nirgends erscheint eine einzelne Thatsache daraus, und doch würde
gerade Diomedes selbst sonst seine Schutzgöttin nicht blos an
den Beistand erinnern, den sie vor Theben seinem Vater gelei-
stet, er würde dort selbst erfahrenen zu rühmen haben. Wie
die Sagen wachsen, gab dieser zweite Krieg, besonders die Schlacht
bei Glisas, später reicheren Stoff, und die bunte Mannigfaltigkeit des
69) Genaueres von diesem Wundcrross, das früher Herakles gehabt
(lies. Schild 120), giebt Paus. 8, 25, 8 — 10. mit Citatcn aus der nächst-
homerischen Tlieliais und der späteren des Antimachos. Dass das Ross
gleich dem des Achill II. 19, 417. in Menscliensprache bei jener Flucht
einen künftigen Sieg prophezeit habe, iial man nur nach falscher Deutung
des Worts areion bei Find. Pytb. 8, 49f. oder 70 f. gemeint. Auf:,, Und
der gelitten im früheren Leid" folgt der Gegensatz im Comparativ; „ver-
traut jetzt der Verkündigung besseren Vorzeichens". Auch die Deutung
des Substantivs war irrig.
183
nacliliomerischeii (Itnlichfs Epigonoi brachlt' ihm , wie es scheint,
einen gewissen Rnf.'")
10. Fortsetzung. Die vor homerischen Lieder aus der
t roischen Sage; Charakteristik dieser Sage nach
ihrem Umfang und viel theili gen Inhalt. Die
sechs Liederstoffe der troischen Sage. Die
Heimath der epischen Kunstpoesie. Homer und
seine Wahl.
a. Die Sage vom troischen Kriege als dem ersten Nationalkrieg.
Wir kounnen zu dem Sagenkreise aus dem der BiUlner der
Epopöe seine beiden Stofle gewiddt hat, und aus welchem in
Nachfolge dieser Muster fünf andere Epopöen gedichtet Avorden
sind, von denen keine die Sagentheile der Ilias oder Odyssee
wiederholt, und nur zwei dieselbe Partie, die vou der endlichen
Eroberung, behandelt haben. Es gab also sieben Epopöen aus
derselben troischen Sage, und sechs aus gesonderten Theilen.
Den Reichthum der Sage, der sich hieraus ergiebt, erklärt sie
selbst schon durch zehnjährige Dauer des Kriegs von dem Auszug
des Griechenheeres bis zur Einnahme der Königsstadt und Zerstö-
rung des vorher blühenden, weitherrschenden, von vielen Bundes-
genossen unterstützten Königtlunns. Es sind beim Eintritt des
Grundmotivs der Ilias schon 8 Jahre der Heerfahrt vergangen,
es ist schon das 9., im 10. wird nach dem Vorzeichen die Ein-
nahme Troias gehofft (II. 2, 295. 327 — 329). Diese Zehnzahl
erscheint als eine mythisch summarische, und wenn nach II. 24,
765. vom Raube der Helena es jetzt das 20. Jahr gewesen sein
sollte, wären vorher auch 10 Jahre der Vorbereitung vergangen ge-
wesen, doch jene Stelle ist unecht. Von der Einnahme Uions und der
Abfahrt der Griechen bis zur Heimkunft des letzten, des Odysseus,
vergehn wieder 10 Jahre, er kommt im 20. nach seinem Aus-
zuge zurück (Od. 2, 175. 17, 327. 23, 102.). Hierzu stimmt das
Alter des Telemach, den er als Säugling verlassen hat, wie das
des Orestes und anderer Jünglinge; aber mit dem Sohne des bei
70) Es wird wie die Thehais summarisch zu 7000 Versen «iiigc-
gclicn und kam, freilich violloiclit nur durch Comhiiialion, hier und da zu
dem Huf, dem Homer anzugeln'iron : Ilerod. 4, 32. Ucbcr seinen geringem
Wcrlh als die Thcbais s. Prellcr Gr. Myth. 2. 254 f.
184
seinem Ausziige und in der llias noch selbst jugendlirlien (IL 9,
440) Achill, mit dem XeoptoUniios, der in der 4. Epoche des Krieges
von Sliyros geholt den letzten Helfer der Troer erlegt imd Troia
mit erobert, liat die Sage ein freieres Spiel getrieben, das \\ir
als ihr Wesen anzuerkennen haben.'') In der. Od. 3, 189. führt
er die Myrmidonen heim.
Die zehnjährige Daner des Kriegs zu erklären, enthält die
alte Ueberliefernng mancherlei Gründe, die stärksten besagt Ilora-
rens: „Durch Aufruhr und Betrug, durch Frevel, Begier und
Zorn wird Inner der iliscben Mauer gefehlt und ausser derselben"
mit Bezug auf die Parteiung in Troia und auf die Verzürnung
des Achill. Doch der ganze Hergang, wie es geschehn, dass
ans den) Frevel des Paris am Gästrecht (II. 3, 351 ff.), welcher
das Motiv der ganzen troischen Sage bildet, ein so langwieriger
Völkerkampf hervorgegangen , und all der w echselreiche Verlauf
desselben war in Sagen und Liedern vollständig ausgebildet, als
die llias und Odyssee gediditet wurden.") Wie die Forscher
aus der Natur des Epos und selbst aus Freiheitskämpfen neuerer
Zeit erkannt haben , waren unmittelbar nach dem Kriege von
den Sängern der Stämme einzelne Lieder von diesem und jenem
Helden gesungen zuerst im Mutterlande, dann in den kleinasiali-
schen Colonieen.'^) Aber eben hier, wie wir sogleich sehen wer-
den , in der Nähe des Kriegsschauplatzes, gewannen die Lieder
den Charakter der Darstellung von Handlungen und es bildeten
sich Schilderungen von Epochen des Kriegs. Dieser entdecken
wir vier, abgesehn von den Ueberlieferungen der Volkssage über die
Berufung der Helden zu der Heerfahrt, die Versammlung in Au-
lis und die Ueberfahrt, kurz von dem, was die allbewusste Voraus-
setzung umfasste. Ohne Zweifel ist , was von der Zeit der Bü-
stung in llias und Odyssee vorkommt, viel einfacher und nur
als Vorgeschichte im Sinne gewesen; die vorhomerische und ho-
merische Sage wusste Nichts von einer zweimaligen Versammlung
in Aulis und Nichts von einer nach der ersten geschehenen Fehl-
fahrt statt nach Troias Ufern nach der europäischen Küste
71) JN'coplolcmos in der llias 19, 326. 331 ff. S. Anm. zu Oil. 11, 509
bes. S. 289.
72) Welcker Ep. Cycl. II. S. 17.
73) Ritschi, Lei Löbell Weltgcsch. 1. 600.
185
am Hellespont, nach Klein -Mysien, Tcuthranien. Es ist dies
der bedentenslc Punkt in dem Zuwachs und Wandel, \velchen die
Iroische Sage in nachhomerischer Zeit in Volksglauben und Sage
erfahren hat, die Landung in Teulhrania und der Kampf, wo
Telephos von Achill verwundet wird. Aber in der V'olkssage hatte
dieser Wandel sich begeben, als Stasinos in der Epopöe Kypria
die zweimalige Versammlung und den teuthranischen Krieg aus-
dichtete; nicht konnte ein älterer Epiker solche Thatsachen aus
sich erlinden und einflechten. '^)
Der Volksgeist hatte wahrscheinlich, wie er gern mischt, die
Hergänge des troischen Kriegs mit denen der äolischen Wan-
derung vermengt. Und fast möchte man die Meinung fassen, es
seien die Streif- und Eroberungszüge des Achill, welche nach aller
Ueberlieferung die ganze erste Epoche des Kriegs bis zur Ent-
stehung des Zornes ausfiiUen , das Dichterbild der vornehmlich aus
Thessalien in mehren Zügen gekommenen s. g. äolischen Ansiede-
lungen. Die Sagengeschichte lehrt uns, dass diese Wanderung, die
frühere war, dass sie von der Küste Nordgriechenlands gleich der
troischen Heerfahrt zum Theil von Aulis ausging und den Land-
strich im höheren Vorderasien einnahm, welchen Priamos beherrscht
hatte. So kamen diese Acoler, und so brachten sie und ihre
Sänger die älteren Sagen und Heldenlieder in die Scene selbst des
troischen Kriegs. Indem wir nun in dieser Richtung der Aus-
wanderung an sich schon geneigt sein werden, eine Nachwirkung
jenes Krieges zu erkennen, kommen die besonderen Umstände
hinzu. Ausgegangen heisst der Wanderzug gerade von dem allen
Gebiet des Agamemnon und Diomedes, von Argolis; dann geht
er nordwärts und wächst durch Zuzug aus dem Aeolischen , Böo-
74) Eben als Volkssage ist dieser Krieg später in der Ueberlieferung
gel)lieben. In der Ilias fand nur falsches Versländniss dos Ausdrucks
zurückgetrieben II. 1. 59. bei Iloincr eine llindeiiLung auf eine hülie-
rc llcerfabn. Slrab. 015 a. E. erkennt aucb, dass in beiden Gcdiclilen
von Teullu'anien und Telephos nur dessen Sohn Eurypylos erwäbnt wird,
jener, den in der 4. Epoche Neoptolenios erlegte. Es ist dem Wesen
der Volkssage ganz gemäss, was vermulliet worden, es sei wobi im Volks-
geisle eine Vermischung der Ueberlieferung von) troischen Kriege niil den
Hergängen der äolisciien W.tmlcnuig gescbebn, und d.ilier die S;igr von
zwei Fabrlen und von Teulluania entstanden. S. I'lass Urgescb.,(iriecli. l.
628 f. Preller, Gr. Mylli. 2. 294. meine Sagenp. S. 9.
186
lien un<l Thessalien, also dem Gebiet des Achill und des Philoktel
zu der Mehrzahl äoLischer Theilnehnier an, die ihm den Namen des
äolischen gab. Die Führer der nach einander in derselben Richtung
gel'olgten Züge heissen Sohn und Enkel oder Kindeskinder des
Agamemnon.") Dies also der ganz njitürliche Grund zunächst
dafür , dass eben dort die Wiege vieler kleinen Lieder vom tro-
ischen Kriege zu finden ist. Die Sagen niehrer Städte Aeoliens,
welche Honiers Geburtsort genannt werden , freilich nur ^yinkelsa-
gen , können von vorhomerischen Sängern verstanden werden.
Indess auch die ionischen Auswanderer, die sich von sehr
verschiedenen Stänuncn in Athen sammelten, und von dort aus die
den äolischen Ansiedelungen benachbarten Küsten und Inseln be-
setzen, auch sie hatten mehrenthcils Führer, welche als Träger
der troischen Heldensagen zu gelten haben , Abkömmlinge des
Königsgescblechts der Neleiden, welche vorher in Athen ge-
herrscht hatten.'^)
b. Homer; sein Vaterland, sein Zeitalter nnd seine Per-
sönlichkeit überhaupt.
Die lonier nun gewannen von den Aeolern Smyrna und
damit die Stadt, die nach den auf sie hinweisenden Sagen den
meislcn Anspruch bat, für die Ileimatb Homers und zugleich
des homerischen Dialekts zu gelten.") Das Zeitalter Homers, das
wir nach allen Gründen als ein bereits vorgeschrillenes und so
spät als möglich anzunehmendes betrachten, glauben wir am be-
sten nach den uns bekannten Daten der Bekanntwerdung zu be-
stimmen, also ein oder zwei Menschenalter vor dem Gesetzgeber
Lykurgos zu setzen. Dieser erhielt auf Samos oder los von dem
Geschlecht des Epikers und Rhapsoden Kreophylos die homeri-
schen Gedichte milgetheilt.'''^)
75) Str. 401. 3 u. a. bes. 582. Paus. 7, 2, 1. 3, 3.
76) Str. 633. Die Colonisten aus fast allen Stämmen der Griechen:
Herod. 1. 146. Paus. 7, 2, 3 und 4.
77) Bernhardy, Gesch. d.Gr. Lit. 11, 1. S.54. 0. Müller, G. d. Gr. Lit.
1. 68 — 72.' Dialekt: Müller 72 — 79. Homer, lonier und das Zeilalter wie
die Zeitangaben Herodots und Apollodors es hcstinnncn, endlich : „Die
Niederlassung der llomeriden auf Cliios war höchst wahrscliciidicli eine Folg«;
der Vcrtreihinig der lonier aus Smyrna". Von diesen das Genauere später.
78). Plut. Lyk. 4. Ilorakicidos Polii. 2, 2. die nach Schneidcwins Er-
weisen Excerpte aus Aristoteles geben.
187
Die vorstehenden SiUze sichern uns nach den äusserlichen
Verhältnissen die Persönlichkeit des einigen Homer, von seinem
INamen aber urtheilen wir so; Da er aus keinem Grunde sonst
Appellativum vvirdj^) so würde, wenn ein appellativer Sinn an-
zunehmen wäre, immer zu urlheilen sein, wie der Verfasser der
Cullurgesch. d. Gr. und R. 92. sich ausspricht: ob er wohl einen
appcllativen Sinn und die Gellung eines Kunstnamens hat, es
schliesst ein solcher bedeutender Name die grosse Persönlichkeit und
ihre individuelle Leistung so wenig bei ihm aus, als bei Terpan-
dros, Stesichoros, Eunomos, Lesches, Theophrastos, von denen
wir zum Theil die früheren Namen ebenso kennen, wie Homers
früherer Melesigenes gewesen sein soll.**") Indessen bleibt jene
Deutung an sich zweifelhaft, wie besonders Jacob Entsteh, der II.
S. 29. zeigt.
Der allgefeierte, und wie der Gesetzgeber Lykurgos, wie He-
siod, wie Pytbagoras, Ilippokrates, auch Sophokles*') nach seinem
Tode als Heros verehrte Dichtergenius wählte, wie aus dem Ge-
sagten erhellt, seine beiden Stoffe und die ihm bei seinen Schö-
pfungen dienenden Lieder auch aus dem äusserlichen Grunde,
weil in seiner Umgebung offenbar Nichts so populär war, als eben
die Sagen vom Iroischcn Kriege. Er wählte damit aber auch
die Sage von dem ersten gemeinsamen Natioualuulernehmen. Der
Bruder des vom Frevel des Paris verletzten Menelaos, Agamem-
non, gab anerkanntermaassen das erste Beispiel eines National-
aufgebots. Er, als der ältere des Atreidengeschlechts, mit weiter
Herrschaft {avQVXQeiav) nach dem ihm unter den iMenscben
allein und zwar ausschliesslich beigelegten Beiwort, wird durch
ausdrückliche Angabe als Oberberr über deii Argos genannter
Peloponnes und viele Inseln bezeichnet. Ihm daher ist man, wie
der Fürst dem Oberkönig hi den einzelnen Bezirken, wenn nicht
eigentlich pflichtig, doch geneigt, Heeresfolge zu leisten. Diese
seine Machtstellung war es nach den alten Historikern und heu-
79) Sagenp. 2. Buch S. 297 fl".
80) Die Griechen hallen viclf;ilti{i;- diese Gowolinlieil, z. H. auch As-
pasia und Pliryne, die Liehhclie und die Blasse, hallen vorher aridoro
Namen: Allicn. i:i. 570 I). ,-)70 E. .Fonc Naincnpchuiit^ niil der germani-
schen verglichen von MiiileidioirAllg. Monatsschrill 1. W. u.L. 52. April 33«.
81) Sagenp. S. 2Ü9f.
, 188
tigen Forschern, welche ihn zu solchem Aufgebot, zum ersten
Beispiel einer Hegemonie befähigte.*'') Wir sehen tla, die Sage
beruht auf wirklichen Vcrballnisiien , aber zum Zeichen der noch
mehr freiwilligen Unterordnung der Andern, gehn Agamenmon und
Menelaos zuerst selbst aus (Od. 24, 1 15 f.), zu Odyssens, daini über-
nehmen Odysseus und INeslor es, die Andern aufzufordern (II.
11, 766 — 768).
c. Der troische Krieg, ein besonders populärer Liederstoff
und seine Epochen. Sechs Liederstoffe.
Dass nun Homer die auf diese Weise gemeinsame Heerfahrt
vor andern Stoffen besänge, empfahl sich also auch von Seiten
des allgemeinen Interesses. Die nächsten Zuhörer gleich hörten
ihn lieber, da sie aus so verschiedenen Stämmen gemischt waren.
Nun aber überkam der Dichter die Sage von den Dichtern in
Aeolis schon gestaltet, und da trat Achill so hervor, dass für
die Feier der Helden der anderen Stämme wenig Raum blieb. Es
schied sich der Sagenstoff schon in ursprünglicher Gestalt selbst
( nicht erst durch den Sängergeist) , abgesehn von den heimischen
Erreignissen bis zur Landung, in vier Epochen.
Nach der ersten Landung hatten alsbald Schrecken und
Furcht vor Achill die Troer in die Mauern gebannt (11. 6, 99.
jtore vordem) und er, nicht etwa Agamemnon, hatte in Kampf-
und Beutelust langhin Streifzüge allerdings zum Vortheil des
Ganzen ausgeführt. Dann war mit der Erscheinung des Prie-
sters Chryses, um seine Tochter auszulösen, die zweite Epoche
eingelreten, welche durch die Kränkung Achills mit allen ihren
Folgen charakterisirt war, bis die Auslösung des Hektor sie ab-
schloss. Die dritte Epoche dann hatte wieder den Achill zum
Vordermann neben dem nur Anfangs und wieder im letzten Theile
von andern Helden die Rede war. Sein Tod durch Paris Pfeil hatte
82) Wachsmulh Hell. Alt. I. 142. Herrn. Staatsallerth. §.11, 4 und
5. S. 45, A. 4-, E. Curtius, Peloponnes 1. 63. Wie im Schiffskatolog II. 2,
569 — 580. und von Athene 1 , 276 ff. bei Homer, so von Herod. 1 , 1. und
Thuk. 1, 0. 3. als der miicliligste Herrscher und 01)erfeldlicrr anerkannt.
Die beiden Stellen II. 9, 149, wo Agamemnon dem Achill sieben mcssonisclic
Slädlc zinsbar machen will und Od. 4, 174., wo Menelaos dorn Odysseus
eine Stadt ganz hat eiiuaiunen wollen, sie. sprechen von Periökcnstadten:
llerm. Staalsall. §.8,9.
189
einen heissen Kampf um seine Leiche znr Folge; das V'erdiensl
um deren Rettung tlieilten Aias und Odysseus; so Avar nacli den
liier folgenden Leichenspielen der Prozess jener Beiden um Achills
Waffen eingetreten, und da er für Odysseus entschieden worden,
hatte Aias im Schmerz rd)er diese Kränkung sich den Tod ge-
geben.
Von hier an neigte Alles zur Entscheidung des ganzen
Kampfes. Die vierte Epoche gab gleich in der Abholung des
Neoptolemos von Skyros, und der des Philoktet von Lemnos den
Anfang des Endes. Neoptolemos erlegte den letzten Bundesge-
nossen der Troer, des Philoktet Bogen war nach dem Seher-
spruch zur Einnahme der Stadt unentbehrlich. Dies erklärt der
Erfolg dahin, dass sein Pfeil den Frevler Paris erreicht. Beides
hat den Zweck mid die Wirkung, dass die Troer sich nun ganz
hinter ihre Mauern zurückziehn und es beginnt das Werk der
List. Die Göttin der Klugheit Athene, und ihr Liebling Odysseus
Ihun es nun. Athene giebt dem Epeios den Bau des hölzernen
Pferdes an, Odysseus thut während dessen in Verkleidung einen
Spähergang, holt auch das schicksalsvolle Pallasbild und überwacht
nochmals im hölzernen Pferde, dem Versteck der Tapfersten, das
Gelingen der List, bis Troia bei nächtlicher Weile eingenom-
men wird.
Nach diesen vier Epochen des Kriegs enthielt die troische
Sage noch zwei gesonderte Liederstoffe, wie oben bemerkt, über
die Heimkehr des Griecbenheers. Der eine erzählte die allge-
meine Heimkehr, die diu'ch den von Agamemnon verwirkten Zorn
der Athene eine gelheilte und unheilvolle wurde, der andere die
Irren des bei der Vereinzelung abgesonderten Odysseus, wie er
durch den nicht unverschuldeten Zorn des Meergottes langhin
von der Heimath abgetrieben, dann noch von der widerwärtigen
Liebe einer irdischen Göttin auf ferner Insel festgehalten, endlich
durch die Fürsprache seiner Schutzgöttin bei Zeus erlöst tnid
heimgeführt wird, Aber dort nun bei seiner Ankunft erfährt er,
wie Schweres ihm erst zu überwinden bevorsteht, ehe er sein
treues WVib, sein Königthum und seine ganze Habe wieder sein
nennen kann. Seit drei Jahren belagern zahlreiche Freier seine
Penelope und all seinen Besitz. Diese Eindringlinge hat er zu
bewältigen. In fremder Gestalt sieht und erfährt er selbst das
190
«anze Unwesen. Nachdem er es in Schlauheit bestanden , ergreift
er eine von der bedrängten (iattin selbst herbeigelührte C.elegenbeit
die Prätendenten sämmtlich zu übermannen. Wenige in das Ge-
heimniss gezogene helfen ihm, aber zuletzt tritt die Wunderhilfe
der Schutzgöltin ein. Ein kurzer Kampf mit den Vätern der
Getödteten folgte vielleicht schon in der ältesten Sagengestalt.
Dies die sechs Partien , aus denen Homer die zweite und
sechste zur Neubildung auswählte. Dass sie sämmtlich schon
vor ihm besungen gewesen, würden uir als in dem Wesen des
Epos gegeben annehmen , w enn wir die Anzeichen davon auch
nicht oder nicht so vollständig, wie es der Fall ist, den beiden
Epopöen selbst eingewebt fänden. Es ist uns ja klar, einmal,
dass was ein Lied sein und heissen soll, ein kleines Ganze sein
musste, was bei den Versuchen, die Einzellieder herzustellen", so
viel verabsäumt ist, sodann dass Manches aus einem Sagenkreise
Erwähnte eben nur der Sage, weil nur einem Anfang angehört.
Aber Alles , was zu einem eigenthümlich charakterisirten und
so bemessenen Sagentheile gehörig, episches Leben hat, wird
uns als Sängerwerk erscheinen. Wir werden gegenwärtig, nach-
dem das Wesen der Sage und das nationale Leben der Sagen-
poesie erkannt sind, überhaupt Sage, Einzellied, Epopöe
als die Stufen zu betrachten haben, auf welchen die eigentlich
epische Poesie zur Reife gelangt ist, und zumal die griechische.
Vom Einzellied zur Epopöe giebt es dabei natürlich annähernde
Zwischengebilde. Aber keine nationale Epopöe ohne das Material,
welches die früheren Sänger in Einzelliedern überliefert, und
kein Einzellied ohne bewusste Volkssage von der eigenen Vorzeit.
Nach dieser Ansicht und Ueberzeugung gelten uns die oben
verzeichneten Liederstofl'e aus der älteren Heldenwelt nicht als
blosse Volkssage, sondern als Lieder vorhomerischer Sänger, über
deren ungleichen Umfang und schicklichen Vortrag weiterhin be-
sonders zu sprechen ist. Die Frage aber über die anzunehmen-
den Einzellieder aus der troischen Sage,' sie wird nicht ohne
Beachtung des Einflusses zu behandeln sein, den die oben §.
8 besprochene Verschiedenheit des Sagenstoffes schon auf die
Fassung der vorliomerischen Lieder üben nmsste. Die Völker-
kriege des jüngeren Heldengeschlechts Hessen sich gar nicht in
deniMaasse, wie die Abenteuer oder Fehden des äUeren in klei-
I
191
nere Einzellieder gelheilt darstellen. Allerdings ist es allem epischen
Vortrag eigen und also der Epopöe mit dem Einzellied gemein-
sam, klare unverstrickte (degagirte) Bilder zu geben, Gemälde
mit sichtlichem Vordergrund und vortretenden Hauptfiguren; jede
Scene musste beim mündlichen Vortrag für die Hörer fasslich
und durch sich selbst verständlich sein. Dies gewährte im
sprachlichen Sinne die unverscblungene (parataktische) Satzfolge;
dies leistete inhaltlich aber die Epopöe durch die ihr natürliche
Weise, den einzelnen Theilen des grösseren Organismus immer
eine gewisse Selbständigkeit zu geben, woher die grosse Rolle,
welche die Episode in der Epopöe spielt. Trotz alledem konnte
jedoch erstens der Sänger, auch wo er eines V'orkämpfers Bahn,
oder einen einzelnen Akt des Völkerkampfes schilderte, dies kaum
ohne Andeutung des umfassenderen Ganzen thun, wie z. B. bei
dem Spähergang des Odysseus in die Stadt dies unausbleiblich
war. Sodann aber sprachen einzelne Partien jedenfalls von dem
Vorhaben des ganzen Heeres. Das Lied z. B. von der Einnahme
Troias mittels des hölzernen Pferdes und das von der Heim-
kehr nach der Eroberung musste einen grösseren Umfang haben.
Der Umfang für den Hörer beruht freilich zum Theil auf der
sprachlichen Darstellung, ob sie der homerischen ähnlich, also
auch die Mittelglieder darlegend mählig fortschritt oder so gear-
tet war, wie ein jüngst ausgesprochenes Urllieil sie zur Unter-
scheidung von der homerischen zeichnet.^) „Ein solches Lied",
heisst es, „konnte nur massigen Unifangs sein: jene behaglich
sich ergehende Erzählung, jene breite anschauliche Schilderung
des ganzen Verlaufes, wie sie das ausgebildete Epos verlangt,
war nicht am Orte: in raschem Verlaufe schreitet die Erzählung
vorwärts, nur die wichtigsten Momente der Handlung werden
festgehalten, und kurz, aber energisch geschildert. Solche
Lieder stehen aber zwischen epischer und lyrischer Weise in der
Mitte, und dem entsprechend war auch die Art des V^ortrags.
Es wurden diese älteren Lieder gesungen und mit dem Spiele der
Phorminx oder Kithara begleitet, und auch aus diesem Grunde
dürfen wir uns unter diesen Liedern keine längeren, ausgeführ-
83) Bergk, lieber das älteste Versniaass der Griechen Fred», im
Breisg. 54. S, 2.
192
teil Gedichte vorstellen: — Die Kräfte des Sängers würden dazu
nicht ausgereicht hahen".^) Der Ton und die Weise der klei-
nen Lieder wird mehrfach romanzenartig oder der Ballade ähn-
lich genannt, aher wie das homerische Versmaass auch erst man-
cherlei Formen durchgehn musste, ehe es zu seiner Vollkommenheit
gelangte, so wird immer die Unterscheidung der homerischen
Darstellung von der vorherigen mehr auf die stilistische Form
gehn müssen. Die Begleitung des Vortrags mit der Laute wird
gewiss mit Becht als blosse Intonation gedeutet. Homer nun hat
uns selbst in zwei Sängern seine nächsten Vorgänger geschildert,
und was sie vortragen, es sind eben die beiden betonten Partien
der troischen Sage mit reicherem Inhalt. Da mag denn die
Voraussetzung gelten, dass der Stil ein minder ausführender ge-
wesen sei. Der Sänger konnte zwar von Zeit zu Zeit Pausen
machen, aber die bemessene Zeit verlangte doch eine gedräng-
tere Fassung.
11. Die einzelnen v o r h o m e r i s cli e n Lieder des troi-
schen Sagenkreises. Zuerst zwei, das von der
Heimkehr des gesammten Heeres und daneben
das vom Rächer Orestes.
Es kommt hier zuvörderst Folgendes in Betracht. Die Volks-
sage hatte in aller Zeit, wo sie im Bewusstsein des Volkes eben-
so wohl als in dem der Sänger lebte, neben der Thätigkeit der
Sänger ihre eigene Bewegung. Wir entdecken ihren Wandel bei
Vergleichung der Sagengestalt, welche die nächsthomerischen
Epiker geben, mit der homerischen. Aber nach dem, was Homer
jene seine nächsten Vorgänger vortragen lässt, haben wir auch
wenigstens in Einem Beispiel eine vorhomerische zu unterschei-
den. Was nämlich Demodokos den Phäaken Od. 8, 73 vorträgt,
enthält eine ältere Form der Sage von der nahen Eroberung
Troias.
Beim Opfer im Zelt des Agamemnon entsteht ein Meinungs-
streit der Helden des drastischen Muthes und des drastischen
84) Was dort sicli anschliesst, auch das Versmaass der kleineren Lie-
der sei ein anderes gewesen, nicht diis hexametrische, erweist sich als
unslatlhaft. S. von Lenlscli in Philo). XII. 1. S. 12 ff. bes. S. 15 und 25.
Rossbach de metroprosod. comm. 1. p. 17. Vischer Aesth. 3, 2. 1249 und 50.
1Ö3
Geistes, Achill und Odysseus, ob Troia durch Heldengewalt oder
durch List zu gewinnen sei. Diese Scene findet sich in keiner uns
sonst bekannten Erzählung vom „Beginn des Leids für Troer
und Achäer, d. h. vom ersten Beginn des näheren Angriffs. Der
Umstand aber, dass dieser Streit zu dem Liedergang gehörig
genannt wird, der zuletzt die Eroberung dui'ch den Versteck der
Helden darstellte, er lässt uns das Verfahren jener Sänger er-
kennen. Eben weil die Sage den Hörern im Allgemeinen schon
bewusst war, nahmen jene Sänger, in Rechnung auf dieses Be-
wusstsein, den Anhub zum einzelnen Vortrag, die Wahl der Par-
tie sowie das 3Iaass nach Belieben oder nach den Umständen
oder nach dem Wunsche der Gäste. Aber möglicher Weise konnte
jene Scene die Erfindung des motivirenden Sängers sein.
Endlich aber haben wir uns hier das Verhältniss des Homer
zu den ihm dienenden Liedern im Ganzen zu vergegenwärtigen.
Zwei Sänger lässt er mit Vorträgen selbst auftreten. Der eine, Phe-
mios, muss die Freier der Penelope bei ihren Gastmahlen im
Königshause ergötzten, der andere, Demodokos, ist der Sänger
vor dem König der Phäaken und dessen Mitfürsten (Ges. 8.). Sie
lässt er nicht beliebige Heldenlieder, und auch aus dem troischen
Kreise nicht etwa von Achill und Hektor oder Diomedes singen,
sondern solche aus diesem Bereich , welche seinem Plane dienen.
Der Gesang des Phemios ^soll den Schmerz der Penelope erregen,
die zwei des Demodokos sollen den Odysseus treffen. Aber er ver-
wandte ja überhaupt frühere Lieder zu seiner lebensvollen Dar-
stellung. Neben dem des Phemios sehn wir ein besondres vom
Rächer Orestes für die Odyssee benutzt.
Lassen wir nun die einzelnen folgen, a) Phemios singt Od.
1, 326.
„Der Achäer traurige Heiiul'ahtl,
Welche von Troia verhängt die zürneude Pallas Athene."
Er wusste gar viele Liedergänge (wie Buch 1 , 9 schon be-
sprochen) aber er sang, was für die Freier das .\ngenehmste
und dabei das Neueste war. Dem Stoffe nach sang er (das 5.
Stück) das, was in nachhomerischer Zeit Agias von Trözen neu
bildete. Die inzwischen entstandenen (Aillussagen von Kalclias und
Neoptoleraos, wurden diesem nachmals Anlass zu Aenderungen,
im Ganzen gab er aber die aus der Odyssee erkennbare Gestalt
Nilzsch, Gesch. d. g-Hoeh. F.pos. 10
194
des vorhomerischen Liedes wieder. Ganz übereinstimmend mit
Nestors B-ericht Od. 3, 130 — 198 giebt auch Agias nachmals den
Zorn der Athene als Motiv dieses Sagentheils. Nestor erzählt dort wie
Athene im Zorn Streit gesäet zwischen den Atreiden, und wie dadurch
die Zerstreuung der Griechen auf verschiedene Wege und Zeit-
punkte der Heimkehr erfolgt sei (135). Er endet den Bericht
zunächst mit blosser Andeutung der unlieilvollen Heimkunft des
Agamemnon, 193 — 245. Alsb;ild aber giebt er vom Morde dieses
genaueren Bescheid, 3, 254 — 312. Dabei erzählt er die Irrsal
des Menelaos bis nach Aegypten. Hieran schliesst sich dann
ergänzend des Menelaos eigene Mittheilung, 4, 351 — 547. In
diesen einander ergänzenden Angaben stellt sich der Schluss des
von Phemios gesungenen Liedes heraus, und zwar um so deutlicher,
als der letzte Satz des Inhalt^ von der Epopöe des Agias densel-
ben angiebt. Menelaos laugte an dem Tage in der Heimath an,
wo Orestes den Mörder seines Vaters, au dem er die Blutrache
vollzogen, und die zugleich umgekommene Mutter (Homer sagt
nicht wie) bestattete (3, 310(1.). Es ist dies das Ende des Lie-
des von der Heimkehr, welche auch der Rückweg der Atrei-
den hiess, eben die Heimkunft des andern.
Das vorhomerische Lied wird unstreitig bei einem einfacheren
(centraleren) Inhalte bedeutend kürzer gewesen sein, als die nach-
homerische Epopöe mit ihren eingewebten Cultussagen. Diese
kürzere Fassung mag namentlich auch bei der Erzählung der
Rache des Orestes befolgt gewesen sein, wenn das Lied sie nach
jenem Umstände, der den Schluss bildete, doch enthalten musste.
b. Aber hierneben machen die Bezüge, welche in der gan-
zen Odyssee auf jene Rache des Orestes vorkommen, und die
Details der Erzählung von Aegisthos und der Klytämnestra es
allerdings sehr wahrscheinlich, dass Homer beim Dichten der
Odyssee von des Aegisthos Erevel und der Rache des Orestes,
auch ein kleines besonderes Lied gekannt und benutzt hat. Von
der Zeit der kleineren Lieder sprechen wir ja. Dass nun die
Heimkunft des Odysseus, das Thema der Odyssee, vom ersten
Anfang (1, 31.) und oftmals wiederum mit der des .Agamemnon
in Vergleichung tritt, lag in den auch jenen gefährdenden Um-
ständen (3, 234 f. 13, 383'f.). Aber die so hervortönende Lob-
preisung des Rächers Orestes (l, 298. 3, 196 — 204.) und noch
mehr die ohne alle Lücke vollsländige lebensvolle Erzählung, zu
welcher die Angaben sich wie Ringe einer Kelte zusanimenrei-
hen, sie lassen eine ältere besondere Dichtung erkennen.
„Während Agameninon", heisst es (3, 262 — 275), „mit dem
versammelten Heer vor Troia seine Mühe hatte, sass Aegisthos
gemächlich im goldenen Mykene und buhlte um dessen Gattin.
Ihr rechtschaffner Sinn widerstand eine lange Zeil, genährt zu-
mal durch einen Haussänger (durch treue Mahnung und wahr-
scheinlich auch Beispiele der Sage), welchem Agamemnon sie
zu Schutz und Rath anempfohlen hatte. Aber als Aegisthos die-
sen auf einer einsamen Insel den Hunden und Vögeln überliefert
hatte, da kam es dahin, dass Klytämnestra sich heimführen Hess.
Durch reiche Freudenopfer und Weihgeschenke feierte Aegisthos
dieses Gelingen. Aegisthos, der Sohn des Thyesles, auf den
(vielleicht als seinen Vormund) Agamemnon im Königthum gefolgt
(H. 2, 106 f.), er sann auf Mord des Heimkehrenden und achtete
die Abmahnung und dirBedrohung der Götter durch ausdrückliche
Botschaft (Od. 1 , 37 ff.) für Nichts. Um den Lohn zweier Talente
Goldes setzte er einen Späher in der Nähe eines am Meer ge-
legenen Landhauses (4, 51 7f.). Es sind hier einige Verse um-
zustellen.*^) — Der Späher musste von hoher Warte auf die Ankunft
des Agamemnon lauern. Als er nach jahrelangem Harren seine
Meldung gemacht hatte, legte Aegisthos zwanzig erlesene Männer in
einen Hinterhalt und stellte in seinem Landhause ein Gastmahl
an. Zu diesem holte er den Angekommenen mit Boss und Wa-
gen feierlich ein, und mordete ihn dann beim Mahle ,,\vie den
Stier an der Krippe" (4, 535. 11, 411) mitsamnat seinen Ge-
fährten, sowie auch von Aegisthos' Leuten keiner davon kam.
Zwischen dieser Mordscene vernahm Agamemnon den durchdrin-
genden Schwerzensruf der Kassandra, wie sie, die er als ihm zu-
getheilte Beute mit ins Haus gebracht, jetzt von Klytämnestra ge-
mordet wurde. Und wenn diese grause Gattin nach Homers und
des älteren Liedes Darstellung auch nicht selbst die 31örderin
des Gemahls war, als er in seinem Blute liegend die Arme gegen
sie hinstreckte, wandte sie sich ab und seine Bitte, ihm doch den
85) Die richtigere Folge ist 19. 20. 17. 18., wie schon liolhe hergc-
slellt hat. Vgl. Sagcnp. 114.
13 '^
196
Anblick des gemeinsamen Sohnes noch einmal zn gewähren, rührte
sie nicht, noch \Yeniger that sie wie die Angehörigen pflegen
und blieb bei ihm, um ihm Augen und Mund zuzudrücken (11,
418—426).
So hatte Aegisthos als Gatte der Königin und Sohn des
Verwesers durch eine von der buhlerischen Gattin begünstigte
List das Königthum gewonnen. Menelaos, der seinen Plan ver-
eitelt haben würde, war nach Aegypten verschlagen, und blieb noch
längere Zeit fern , das Volk aber wusste der Frevler unter dem
Druck zu halten. Besorgnisse musste ihm der Sohn des gemor-
deten Königs erregen (1, 40 f.). Man entzog diesen daher der
Gefahr; in der Fremde, und wahrscheinlich in Phokis,*^'') wuchs
der Rächer auf. So herrschte Aegisthos sieben Jahre im gold-
reichen Mykene, während dessen Menelaos immer auch noch
nicht heimgekehrt war. Im achten Jahr nach der unheilvollen
Abfahrt von Troia und dem Mord des Agamemnon kam der Rächer
und kam Menelaos (1, 41. 3, 306.). *ftben bestattete Orestes
die Mutter mit Aegisthos zugleich und gab den Argeiern das üb-
liche Leichenmahl, als Menelaos eintraf (3, 309 — 311. 4, 82.).
So hatte dieses besondere Lied vom Rächer Orestes wahr-
scheinlich denselben Schluss wie jenes des Phemios. Das nach-
homerische des Agias nahm die Erzählung der Rachethat in sich
auf. Denn jener letzte Theil lautet in den Excerpteu aus Pro-
klos" Chrestomathie: ,, Darauf füi' Agamenmons von Aegisthos und
Klytämnestra ver üblen Mord die Rache durch Orestes und P y la-
de s, und des Menelaos Zurückkunft nach Hause". Wie nun auch
in dieserEpQpöe überhaupt weiter Nichts folgte, erkennen wir, dass
die Ansicht vom Muttermörder im Sinne auch des Agias noch die-
selbe war, wie in der homerischen Darstellung. Orestes halte die
Pflicht der Blutrache erfüllt, wie das Nestor Od. 3, 196 f. als das
Glück eines Gemordeten rühmt, dass er einen Rächer hinterlasse, und
86) Dies giebt die allere Lesart des Verses 3, 307. Der Schalten
des Agamemnon weiss 11, 458(1". davon uatürlicli Nichts, und nennt bei
seiner Frage, wo Orestes bibe, erst uiibeslimint zwei berühmte Orte, cbinn
das ilim Erwünschteste, das Haus ties Menelaos in Sparta. Den I^ylades,
den Sohn des Slropbios, der bei den Tragikern als Gehilfe bei der
Rache erscheint, nennt allerdings erst Agias, aber die wahrscheinlich
altisirende Lesart „von Athenä" hat keinen klaren Boden in der Sage und
wird gezwungen verlheidigt.
197
dies auch II, 14, 483 ff. anerkannt wird, Orestes hat davon nur
Ruhm und ist Muster für Andere. Erst im gemiithlith erregten
Zeitalter, das die Lyriker darstellen, finden wir die den Mutter-
jnörder verfolgenden Erinyen, bei Stesichoros, dem Vorgänger des
Aeschylos : Fagm. bei dem Schol. z. Eur. Or. 258. Sagenp. 463 f. 522 ß".
12. Fortsetzung. Die Lieder des Demodokos, kurz ge-
nannt, und die z wisch onlie gen den Liederstoffe.
Der andere Sänger, in welchemHomer ein lebendiges Bild seiner
nächsten Vorgänger darstellt, ist Demodokos bei den Phäaken im
achten Gesänge der Odyssee. Dieser singt zweimal Parlieen der
troischen Sage, durch die Odysseus sollte gerührt werden. Das
erste Lied wählt Demodokos seihst (8, 73 ff.): zum zweiten geht
er, wie es heisst, über, fährt mittels Zwischenauslassung fort, auf
den Wunsch des Odysseus (8, 492). Wir sehn, die Runden
der Männer, die Sagen der Vorzeit gebn in hingen Reihen fort, aus
denen die Sänger eingreifend Partieen wählen, und durch der Musen
Gunst, Liedergänge bilden, welche ein grösseres oder kleineres
■Ganze umfassen. Diese Sagen und Liederstoffe sind selbst vie-
lerlei, wie Penelope sagt, wo sie vom Phemios einen andern Ge-
sang wünscht (1, 337 — 339), und wie diesem die Musen viele
Liedergänge in die Seele legen (22, 347 f.). Aber wie Demodokos
aus der Mannigfaltigkeit wählend, statt aus der herakleischen Sage
etwa den Gang nach dem Kerberos oder aus der vom thebischen
Kriege einen Kampf des Tydeus zu berichten, vielmehr überhaupt die
troische Sage erzählt, so mussle seine eigene oder durch den Wunsch
des Hörers bestimmte Wahl aus dieser so umfänglichen und nimmer
in einem Zuge durchzusingenden Sage vollends einzelne Partieen
wählen. Die Partie, welche sein erster Vortrag beginnt, ist schon
für Einen und einer Mahlzeit Vortrag viel zu reich. ®^) Jene erste
singt er beim Frühmabl, die zweite beim Spälmahl, und doch
konnten beide nach der Zeit nur ausgehobene sein. Ja es liegt
zwischen der ersten Partie und der nachmaligen selbst nach der
aus Homer ersichtlichen Sagengestalt eine solche Fülle von Be-
gebenheiten, dass Homers Nachfolger aus denselben zwei um-
87) BäundcinN. Jahrb. f.Philol. B. 75 und 7G i. S. 37. „Wir lial.cn
im 8. Gesänge den Entwurf eines grossem, cinlieillichcn Epos",
198
fängliche Epopöen gestalteten. Es ist Alles darin begriffen, was
nacli dem Falle und der Bestattung Hektors bis zur wirklichen
Eroberung und Zerstörung Troia's erfolgte. Vergegenwärtigen
wir uns denn hierzwischen die schon bei der Dichtung der liias
und Odyssee vorhandenen Lieder aus dieser letzten Hälfte des
Kampfes.
Es folgten zunächst erst noch die letzten Kämpfe des Achill,
dann sein Fall durch Paris' Pfeil, der Kampf um seine Leiche,
die Rettung derselben durch Aias und Odysseus, die feierlichste
Bestattung, wobei Thetis mit den andern Nereiden und den Mu-
sen die Todtenklage erklingen lässt, und darauf Leichenspiele,
wozu Thetis Preise gewährt. Sie bestimmt daliei aber auch Achills
eigene Waffen demjenigen, der an der Retttmg derselben wie
der Leiche das grösste Verdienst gehabt. Der daraus entstehende
Prozess zwischen Aias und Odysseus wird durch Athenens Gunst
für Odysseus entschieden, und diese Entscheidung bringt dem
Aias den Tod.*»)
Jetzt die Situation , da Alles auf die Eroberung Troia's steht.
Die Troer haben, nachdem Memnon und sein Aethiopenheer
auch überwältigt ist, zuletzt zu dem Nachbarvolke der Myser
oder Keteier gesandt, und es zieht Eurypylos, der Sohn des Te-
lephos, mit einer Schaar heran. Aber auch die Achäer, des Achill
und Aias jetzt verlustig, werden (von ihrem Kalchas wohl) an-
gewiesen, einen andern Achill, des ersten Sohn herbeizuholen.
Odysseus führt ihnen den Neoptolemos von Skyros herbei, und
dieser erlegt den Eurypylos, den letzten Helfer der Troer, Od.
11, 50Sf. 519 — 522. Aber jetzt bedürfen die Achäer auch des
auf Lemnos einst zurückgelassene» Philoktet und holen ihn, II.
2, 718 — 725. Da er nämlich nach der Eroberung glücklich
heimkehrt (Od. 3, 190) und da, als das hölzerne Pferd bereitet
88) Vom ersten Kampf, dem mit der Amazone Penthesileia, hat Ho-
mer keine Andeutung, er erscheint als später in die Sage gekommen,
aber vom zweiten mit 3Iemnon, dem Aethiopenfiirstcn, der dem Achill sei-
nen zweiten Patroklos, den Antilochos, getödtet hatte, findet sich eine
solche Od. 4, 187 f. und 199 — 202. Achills sehr baldiger Tod, nachdem
er den Hektor erlegt, ist berührt II. 18, 96. 22, 359; der Kampf um seine
Leiche, Od. 5, 308 — 310. und 24, 37 — ^2; die Bestattung und Leichen-
spiele mit den Preisen, das. 43 — 92; der Prozess über Achills Wallen, des
Odysseus Sieg darin und Aias' Tod, Od. 11, 543 — 548,
199
und der Kampf der daraus hervorgebrochenen im Gange ist, die
Helena den Deiphobos statt des Paris zum Manne hat (4, 276
8, 517 f.): so ergiebt sich daraus über Philoktet dasselbe, was
die nachhomerischen Dichter von ihm erzählten. Die Seher ver-
kimden, zur Einnahme Troias sei der Bogen des Herakles, jetzt
im Besitz des Philoktet, erforderlich. Das heisst: Paris der Frev-
ler und der Bogenschütz soll von einem Bogenschützen, dem
Philoktet, erlegt \verden. Philoktet, von Podaleirios wahrschein-
lith geheilt (Quint. 9, 463), tödtet den Paris und Helena geht zu
Deiphobos. Jetzt ziehn sich die Troer in ihre Mauern zurück, und
es beginnt nun erst durch Athene und Odysseus das Werk der List.
Der erste Schritt in diesem Sinne geschali von Odysseus
durch den Spähergang nach Troia hinein in Verkleidung als Bett-
ler, den Helena in Od. 4, 242 — 264 zum Ruhme desselben er-
zählt. Während dieser Gang geschah, arbeitete Epeios das höl-
zerne Pferd; Odysseus aber von Helena in seiner Verhüllung
erkannt, besprach mit ihr bei heiligen Eiden der Verschwiegen-
heit die geheimen Pläne, und entkam, nachdem er Viele getöd-
tet, zum Lager. V^'ie in der nachhomerisclien Kleinen Ilias dieser
Spähergang gerade ebenso beschrieben wird wie Helena ihn dort
beschreibt, so wissen wir aus jener, dass hierauf alsbald die
Anwendung des hölzernen Pferdes eintrat. Dass auch das Heils-
pfand Troia's, das Palladion, erst noch von Odysseus und Di-
omedes entwendet worden sei, kann der homerischen Sagenform
unbewusst gewesen sein; es kommt darauf für uns Nichts an.
So viele Thatsachen also enthielt schon die vorhomerische Sage
zwischen Heklors Tod und dem Moment, da die Troer nach dem
verstellten Abzug der Griechen vor ihren Thoren das Pferd fanden.
13. Welches waren nun die zwei oben erwähnten
Lieder des D e m o d o k o s ?
Das erste 8, 73f. wird als Kunden der (früheren) Männer
aus einem Lredergang bezeichnet, dessen Ruhm damals den Him-
mel erreicht habe. Also der Liedergang, das Ganze, dem das
Vorgetragene angehört, halte den grossen Ruhm d. h. war schon
viel und immer gern gehört worden, oder aus ihm halte man
schon viel und gern gehört.*^) Der jetzt gesungene Inhalt war
89) S, Welcker Ep. Cycl. I. 349.
200
der Wortstreit des Odysseus und Achill ])eim Opreriiiahle der
Götter mit ausiielimeuder Hel'tigkeit geführt, \\oraii König Aga-
memnon sich in seinem Sinne gar erfreute, dass die besten der
Achäer in Hader geriethen ; denn ebenso halte der delphische Gott
gevveissagt; „dann nämlich entspann des Leides Beginn sich Troern
sowohl Avie Achäern durch Zeus, des gebietenden, Rathschluss",
Obgleich nun weder Homer selbst noch ein späterer Dichter
über den Slreilpunkl und die Zeit des Streits ausdrückliche Aus-
kunft giebt, die Sage wusste oder der Scharfsinn der Ausleger
hat Folgendes gefunden."") Wie die Schlussvvorte „entspann des
Leides Begiini sich" auf eine zur Entscheidung neigende Zeit
hindeuten, war es nach Hektors Tode, dass beim Opfermahl des
Heeres die beiden Besten desselben, der immer stracks handelnde
Achill und der kluge Odysseus über die zur Eroberung erfolg-
reichste AVeise und Eigenschaft stritten. Achill stimmte für mäch-
tige Kraft, Odysseus für erfmdsame Klugheit, und Jeder pries die
empfohlne Eigenschaft. Agamemnon erkannte erfreut in diesem
Streit das Vorzeichen des beginnenden glücklichen Ausgangs.
Aber hat Demodokos, wie es lautet, eben nur jenen Streit ge-
sungen, zunächst nichts weiter, dann konnte er in Anschluss
daran für seine Hörer bei dem Gastmahl des Königs und seiner Pairs
jedenfalls nur einzelnes Ausgewählte folgen lassen. Die Entschei-
dung durch den Erfolg zog sich länger hin. Zuerst machte
Achill, immer der Vorkämpfer des ganzen Griechenheers, wenn
er zu ihm hielt, seinen Satz durch sieghaften Kampf (Memnon)
geltend, aber alsbald erlag er selbst. Nun folgte des Neoptole-
nios Abholung und Sieg über Eurypylos, dann Philoktets Eintritt
und der Fall des Paris, dann des Odysseus Spähergang — lauter
Partieen, welche schon für sich genug Stofl' zu einem kürzeren
Gesänge gaben. Jedoch Odysseus bat um das „Gebild des höl-
zernen Pferdes", dazu heisst er den Sänger übcrgehn. Da hören
wir denn den Ausdruck, mit dem das Eifassen eines Punktes im
Sagenverlauf, von dem ein Sänger sein besonderes Lied anliob,
bezeichnet wurde: „Ihn (den Gesang) erfassend von da — ".
Demodokos hob vrin der Situation an (500), da das Heer der
90) Schol. und Eusl. zu Od. 8, 75. Athen 1. 17 E. und Scliol. zu 11.
9, 347. Meine Combinatiou zur Stelle der Odyssee war irrig.
201
Acliäer seine Zelte verbraunt und scheinl>ar heimwärts schiffend
hei Tenedos lag, die Troer aber das von jenen iiinterlassene
hölzerne Pferd , in welchem sich Odysseus mit einer Zahl anderer
Helden geborgen, nach Odysseus' schlauer Voraussicht durch die
eröffneten Stadtmauern auf die Burg hinauf gezogen hatten. Er
singt nun, 500 — 520, den ganzer Verlauf der Eroberung und Zer-
störung zwar nur nach seinen Ilauptmomenten in wenige Verse
zusammengedrängt und in solcher Kürze gefasst wie Od. 23, 310
bis 341 die ganzen Irrfahrten des Odysseus, und II. 18, 448 bis
456 der ganze Hergang des Zorns Achills bis zum Verlust der
Waffen angedeutet werden. Jedoch war dies offenbar an sich
ein viel reicherer Stoff, ;ils die vorhin genannten ihm zunächst
vorhergehenden, und ein untheilbarer. Wir haben also an die-
sem Gesang des Demodokos ein Beispiel umfänglicheren Gesanges
noch gewisser zu erkennen, als an dem des Phemios. Zur ge-
drängten Inhaltsangabe stellt sich des 3Ienelaos Erzählung, 4, 270,
als ein ausgeführtes Moment aus der ersten Zeit des gefundenen
hölzernen Pferdes. Helena, die durch Odysseus von dem Plane
weiss, wird, wie der Dichter sagt (274), von einem den Ti"oern
günstigen Gölte erregt und verleitet, die im Bau versteckten
Helden durch ein Schauspielerkunststück zum Verlautbaren zu rei-
zen, da denn Menelaos ihr Gatte, der natürlich vor Allen sie
erkannte, und neben ihm der immer leicht erregbare und hef-
tige Diomedes bei einem Haar sich und die Sache verratheu hätten.
(Die fünf folgenden Verse vom Antiklos sind eine Variation, eine
Doppelform zu den vorhergehenden.^')
91) Die Verse 285 — 289 sind Doiipelform : Friedländer Pliilol. 4.
577. Meine Vcrtheidij^ung in der Anmerkung war ein Irrlhum. Einmal,
nicht zweimal hat Odysseus die Vereitelung der List verhütet, und zwar
nur bei Jenen, welchen es nach dem Verhiillniss zu Helena oder nacli
ihrem Temperament am nächsten lag zu antworten. Ausser dass der Anli-
klos der Iiomerischen Sage unbewusst ist, enthält das Zuhalten des Mun-
des eine Unglauhlichkeit. Neben der Doppelform hier ist in Od. 11 . 522 bis
532 eine unliedachte Interpolation zu erkennen. Dass in demselben höl-
zernen Pferde Neoptolemos allein seinen Mulh bewährt habe, alle andern
Heerführer, also auch Diomedes, auch Pliil(d<tet, auch bhuneneus nebst
Meriones u. A. gezittert hätten, ist eine so plumpe reberlrcihung, dass sie
nicht Homer, sondern nur eine Rhajisode dem Odysseus in den Mund
gelegt haben kann. Von Interpolaloren rühren gerade Ueherlreibungen
wehrfach her.
202
14. Die erst'e Epoche des troi sehen Kriegs nach den
An den tun gen Homers.
Wir haben gesehii, die troische Sage war, als Homer aus
ihr die ParLieen vom Zorn des Achill und von der Heimkunft
des Odysseus zu neuer Gestaltung wähUc, in den letzleren Thei-
len , von Hektors Tod an , vollständig in einzelnen Liedern aus-
gesungen vorhanden. Von selbst erwartet man nun und noch
gewisser dasselbe von dem Anfangstheile bis zur Kntzvveiung des
Achill und Agamenmon. Und es ist so. Obgleich die dazugehörigen
Data nirgends wie die von der Heimkehr in Nestor's und Menelaos'
Berichten im Zusammenhang erscbeinen, sonderji ganz einzeln
aus verschiedenen organisch eingewebten Stellen auszuheben sind,
so bilden sie doch ein so lichtes Ganze, dass wir die vorho-
merische Gestalt ganz deutlich von der nachbomerischen unter-
scheiden können, die aus der inzwischen fortwebenden Volkssage
mehrfaches Neue enlhäh.
Der Streit der drei Göttinnen um den Preis der Schönheil
war wobl kaum auch nur als Urgeschichte in der Sage; und
somit vollends der berühmte Streilapfel und das Urtheil des Pa-
ris erst "spätere Erfindung. Die drei Göttinnen vertreten nach
ihrem Wesen drei begehrte Lebensgüter: Here Königthum und
Macht, Athene drastischen Geist, Klugheit, Aphrodite Schönheit
und Liebreiz — das ist Reflexion, nicht Urpoesie. Die Verse
11. 24, 28 und 29 mit dem falschen, auch im Satze unrichtigen
Gedanken erkennen wir, wie die Alten,' als unecht.
Paris ist von Haus aus und seinem ganzen Wesen nach der
Liebling der Aphrodite und ihr Werk ist sein Raub der schön-
sten Frau. Jedenfalls begann die vorhomerische Dichtung von
des Paris' Fahrt nach Sparta, II. 5, 62 f. Helena ward durch
Aphrodite verführt, damals Od. 4, 261 — 263 wie II. 3, 389.
414 f. Paris raubte auch viele Schätze, II. 3, 282. 7, 362. Das erste
Beilager mit der Entführten, II. 3, 443. 6, 292. Der an Menelaos
verübte Frevel, II. 3, 351. 13, 622. Die Rache gemeinsame
Sache der Atreiden und Agamemnons Hegemonie, U. 1, 158 bis
160. 9, 97. Od. 5, 308. Aufruf zur Heerfahrt zuerst durch die
Atreiden, die zu Odysseus kamen. Od. 24, 115 f., dann durch Odys-
seus und Nestor, 11, 11, 766 — 768. Abholung des Achill und
203
Patroklos, (tes. 782 — 789. Zur Zeit dieser Werbung Geschenke
an Agamemnon, des Fürsten von Kypros, II. 11, 19 — 23, ei-
nes Edlen in Sikyon. II. 23, 296 — 299. Die Sammlung des
Heeres in Aulis, II. 2, 303 — 329, auf der Fahrt Aufenthall auf
Lemnos, wo Agamemnon und Menelaos sich einen Gastfreund
erwerben (II. 7, 470 f.); dort ein Gastmahl voll lebhafter Vor-
sätze, II. 8, 229—235, auf Lemnos der kranke Philoktet zurückge-
lassen, II. 2, 721 f. — Hier ist zu bemerken, dass die Vorgeschichte
der Ilias von einem erst verfehlten Zuge nach Klein - Mysien oder
Teuthrania Nichts weiss. — Bei der Landung an der Iroischen
Rüste fiel Protesilaos durch den VTurf eines Dardaners im Mo-
ment, da er vom Schiffe sprang, 11. 2, 701 f. 15, 706. Mene-
laos und Odysseus als Gesandte in Troia, die Zurückgabe der
Helena und der Schätze verlangend, II. 3, 205 — 224. Antenor
der sie beherbergt, stimmt auch, 7, 347 — 352, zum Frieden.
Ein Antimachos dagegen, von Paris mit Gold bestochen, verhin-
dert es, 11, 123 — 125, ja er wollte, man solle den Menelaos
morden, das. 137 — 141. In dieser Zeit geschah von griechischen
Helden ein Anlauf gegen die Mauern, II. 6, 434 — 436 und fielen
zwei Söhne des Priamos, Mestor und Troilos, II. 24, 257 bis
260. Manche den Hörern- Homers wohlbewusste, uns dunkle
"Beziehungen schliessen sich nach Welckers sehr wahrschein
lieber Combination hier an. Den Troilos tödtete Achill vor dem
skäischen Thor, da trat ihm Hektor entgegen, die Leiche des
Bruders ihm abzukämpfen, II. 9, 345 und Achill mochte beim
ersten Begegnen mit Hektor in der Landungsschlacht wohl einiges
Erschrecken geäussert haben, 7, 113 1.^*) Es trat aber alsbald
bei den Troern eine allgemeine Furcht vor dem gewaltigen Achill
ein. Wenn Hektor weiter als bis zum Feigenbaum ganz in der
Nähe des skäischen Thores (11, 170) vordringen wollte, wehr-
ten ihm dies die Stadtältesten (15, 722 f. 9, 353 f.). Und wer
von den Troern sich in der Dämmerung zu Gärten oder Hürden
hinauswagte, auch den fing häufig Arhill ab, 11, 104 — 106. 21,
135 — 138. Auch Aeneas, der zweite Held der Troer nach Hek-
tor, traf einst, als er zu seinen Heerden im Idagebirge gegangen,
auf^ ihn und entging kaum seinem Speer durch die Flucht, 20,
92} Welker Ep. Cycl. II. , 125 uml 126.
204
90-94. Acliill hatte dessen Rinder erbeuten mögen, und als
Aeneas nach Lyrnessos floh, zog er ihm nach und zerstörte diese
Stadt, 20, 187—192. Unter den Frauen, welche er gefangen
wegführte (93), war Briseis, deren Mann er getödtet, 2, 690 f,
19, 60. 295 f. Er erhielt sie damals als Ehrentheil zugetheilt,
16, 56 f.
Der ganze Krieg hatte nach der Landungsschlachl bis gegen
die Entzweiung der ersten Helden folgende Gestalt und Art. Da
die Troer, wie auch Strabo, 584, 7, sie bezeichnet, sich in ihren
Mauern hielten, wandte Achill, der Ilauptkämpfer, die Schaaren
zuerst gegen die in der Nahe liegenden anderen Städte der Herr-
schaft des Prianios, oder weiter gegen Insclstädte, wie er, 9, 328,
selbst 11 zu Lande und 12 als zur See eingenommen angiebt.
Man war der Beute bedürftig (der Heerden und Geräthe), jeden-
falls verlänglich darnach, und die wenig befestigten Städte machten
die Plünderung leicht. Die mannigfache Beute wurde an das
Heer, besonders die verschiedenen Helden vertheilt (U. 1, 125),
Agamenmon aber erhielt davon sein besonderes reichüches Theil,
2, 226 — 228. Nach damaligem Brauch (Od. 14, 264 f.) fielen
die Männer im Kampf, Frauen und Kinder wurden gefangen weg-
geführt. So wurden vornehmlich Frauen erbeutet, 18, 339 bis
342, Es treten aus diesen Hergängen viele Einzelheiten ins Licht.
Von der Einnahme der Insel Lesbos hat Agamemnon dem Achill
sieben geschickte Frauen zu bieten, 9. 128 f., sowie Achill selbst
nach dem Verluste der Briseis eine Lesbierin zur Beischläferin
hat, 9, 664 f. Seinem Patroklos schenkte Achill von Skyros
her die Iphis, 9, 607 f., dem Nestor von Tenedos die Hekamede
1 1 „ 624. Die ruchtbare Chryseis war Agamemnons Ehrengabe
von Thebe her, 1, 366— 369.3^) Thebe heisst die Stadt ihres
Fürsten Eetion, des Vaters der Andromache, 6, 395 — 398. Achill
tödtete dessen sieben Söhne bei den Heerden, tödtete auch den
Vater, aber er erwies ihm die Ehre und Milde, ihn mitsannnt
seinen Waffen zu bestatten und ibm ein Grabmahl zu bereiten. Die
Mutter gab er gegen ein Lösegeld frei; sie starb im Hause ihres
Vaters, 6, 414 — 428. Aus Eetions Stadt war die Laute, zu der
93) Dass ihre Zurückgabe au den Vater nach Cliryse, nicht nach
Tlieben erfolgt, beruht auf l)Csondon) UnisUiiulen. Welcker ep. Cycl.
II. 126.
^05
Achill sang, und eben daher dessen Handpferd, 9, 188. 16,
152 — 154 und 476.-
Zum deutlichen Zeugniss von dem Gange des Kriegs ist nir-
gends ein anderes Beutestück zu entdecken , als entweder aus
dem vor Kurzem stattgeliabten Kampfe seit dem Zorne, '^) oder
aus der Epoche jener Streifzüge und Eroberungen in der Um-
gegend. Gerade Achill würde sich unstreitig seiner Thaten da-
bei zu rühmen haben, wenn es • seit der Landungsschlacht bis
jLur Zeit der Pest irgend Kampf von Heer gegen Heer unter
Troia's Mauern gegeben hätte. Aber nur ganz übereinstimmend
mit jenen Zeugnissen von den Streifzügen sagt er, 1, 165 f.:
,,Doch das Mehrste des vielerregeten Krieges, das vollbringet
mein Arm", und Nestor unterscheidet Od. 3, 105 — 108 im Rück-
blick auf den ganzen Verlauf des. Krieges zwei Zeiten desselben,
ebenso erst weitere Züge unter Achills Führung, dann Kampf
bei der Stadt.
Was aus dieser letzten Darlegung erhellt, dass die troische
Sage von einem Kampfe der ganzen Heere in der Nähe der
Stadt vor der Epoche der Verzürnung des Achill Nichts weiss,
davon wird bei der Betrachtung des Planes der Ilias bedeutende
Folge und Anwendung sich ergeben. Es wird weiterhin nach-
zusehen sein, ob und welche Spuren der kleinen Lieder, aus
denen nach der geltenden Annahme wie alle grössere Composi-
tionen, so die ilias und Odyssee g-ebildet sind, sich noch jetzt
entdecken lassen. Zunächst ist der Dichter selbst hier aufzu-
führen, der durch die Neugestaltung der Partieen von Achills Zorn
und von Odysseus' Heimkehr der Meister der Epopöe geworden ist.
94) Diomedes fahrt hei den Leichenspielen, 23, 291 f., mit i\en Pfer-
den des Aeneias nacii 5, 319 — 324 olfenliar als den besten von mehren,
die er erbeutet hat (5, 25 f. 165). Achill schenkt bei denselben, 23, 560
und 808 den Panzer und das Schwert des Asteropäos nach 21, 35 — 44,
setzt 23, 800 die Waü'en des Sarpedon, <he Partoklos, 10, 662, erbeulet
hat, und 23, 827. den Diskos des Eelion als Preise, hiomeneus hatte in
seinem Zelte eine Menge von Troern erbeuteter Speere und andere Walfen,
13, 260 — 265 und ebenso sein Dienstmann Meriones, 267 1'. Und Pferde
wurtlen auch von Anliloclios erbeutet, das. 390 — 400 f., von Andern die
Wallen Erlegter, das. 041.
206
Abschnitt IL
Die nachhonierischen Epiker.
15. Die Partieen von des Achilleus Zorn und der
Heimkehr des Odysseus und der einige Homer
als Höhe- und Mittelpunkt zAveier Perioden der
epischen Dichtung nach der zur Geltung ge-
langten Ansicht.
Wir haben eine gute Reihe vorhomerischer Lieder, Avie ja
Phemios deren eine Menge weiss (Od. 1 und 22), aufzählen
können. Wir haben dabei gesehen, wie Homer aucli sehr lieder-
knndig war und diese Kenntniss vom Inhalt jener Lieder be-
nutzte, um seinen zwei Werken auch den Reiz der Mannigfal-
tigkeit zu geben, indem er in seiner lebendigen Weise den alt-
kundigen Greisen oder den Epigonen oder sonst seinen Personen,
Menschen und Göttern , solche Erinnerimgen in den Mund legte.
Jetzt kommen wir zu den zwei Partieen der troischen Sage,
welche er auf Grund der aus ihnen von den früheren Sängern
gedichteten kleinen Lieder zu den ersten Epopöen, den Mustern
der Gattung, gestaltete. Dieses V'erhältniss Homers, oder rich-
tiger die Reschaffenheit der epischen Dichtung, zumal bei den
Griechen, ist jetzt als das Gegebene anerkannt. Wir blicken
hier auf Ruch L §.12 zurück.
Es lautet von Homer g-egenwärlig, wie es von Ritschi in
der Kürze deutlich bezeichnet wird: „Aus einer reichen Fülle
epischer Einzellieder wähU der hervorragende Geist Ho-
mers eine Anzahl , verschmelzt sie mit eigenen, und verknüpft
sie kunstgemäss zu einem Ganzen, in welchem sich Alles auf
einen Mittelpunkt, der eine sittliche Idee enthält, be-
zieht. Es ist ein Verdienst, welches weit über eine blosse Zu-
sammenstellung hinausliegl; es ist die erste Schöpfung eines
grossen organischen Ganzen."^^) Der reichen Fälle
95) Die Alexandr. Bibliolh. Bresl. 1838. S. 70. und bei Lobeil Welt-
gesch. 1. 601. Anm. 84 zu Abschn. 12. Der bei Rilscbl, folgende Satz: „So
entsteht der Umkreis der echten II las und Odyssee, welche in den
geschlosseneu Schulen fortgepflanzt wurden, während
daneben auch di e einzelnen Lieder , aus denen sie entstan-
den waren, forlgesungen werden" — er kann erst weiterhin
seine genauere Bestimmung erhalten.
207
von Liedern, die er Rhapsodieen nennt, gedenkt Goethe in den
Briefen an Schiller (B. 4. 184) bei des Demodokos erstem Gesänge
mit seiner eigenthümlichen Fassung. Was aber Homer zuerst gethan
als der Schöpfer orgiTnischer Ganzen, es bestand eben „in der Zu -
sammenfügung, aus der die homerischen Gedichte entsprangen,
sie macht das eigentliche Wesen aus. Sie (die Neubildung
zu kunstgemässen Ganzen) trat also gleich in der ersten Zeil ein,
wo von eigentlicher epischer Poesie (Epopöe) die Rede sein
konnte, nicht wie Wolf und die Nachfolger wollen, erst spät
durch Solon oder Peisistratos. Man ist namentlich dadurch so viel-
fach zu falschen Urtheilen über Homer verleitet worden, dass
man ihn — als einen Naturdichter betrachtete."^^) — ,,Ilias und
Odyssee sind ja nicht die ersten unvollkommenen Versuche
des hellenischen Dichtergeistes, sondern die Blüthe, die vollstän-
dige Entfaltung des poetischen Vermögens. Wie die Quellen und
Bäche des Gebirges den breiten und mächtigen Strom, der die
Ebene durchzieht, erzeugen, so gestaltet sich das eigentliche
Epos aus Liedern". So auch die homerischen Dichtungen.^') —
Diese Dichtungen , welche getragen von dem Wohlgefallen jedes
empfindungsfähigen Alters durch nun fast drei Jahrtausende allen
Wechsel des Geschmacks überwunden, bei allen nachfolgenden
Epikern Europa's als die Muster der Gattung gegolten haben, sie
sind es, sagen wir noch immer oder wiederum, aus deren Be-
trachtung als der Musler der beutigen Theorie, die Hegel, Vi-
scher, Zimmermann, Carriere u. A. , das Wesen und die'
Eigenschaften der Epopöe am liebsten bestimmt und erläutert.*®)
96) Allqs Sätze K. Fr. Hermanns, Culturgesch. d.Gr. undR. S. 92.
97) Worte Bergks in: Uebcr das älteste Versmaass der Griechen
Freil). im Br. L854 z. A.
98) Hegel Aeslhelik 3. 340. Vi scher Aeslhetik 3, 2. 1285. „Wäh-
rend das indische Epos Ansätze von echt epischer Schönheit in das Form-
lose auflöst, steht das griechische so in einziger Vollendung da,
dass es als historische Erscheinung doch ganz mit dem Begriffe der
Sache zusammenfällt, denn in einer Üiclitungsart, welche ihrem
Wesen nach ein plastisches uml naives Wolthild fordert, wird das Voll-
kommenste geleistet, wo nicht nur die Phantasie des Volksgcistcs an sicli
plastisch ist, sondern auch das dichtende Bewusstsein sich zur Kunst-
poesie erhoben hat, ohne den Boden der Naivität zu verlassen". Fr.
Zimmermann, Begr. des Epos S. 19. „Eine ähnliche Bewandtniss muss
es mit den Volksepen gehahl haben, aus denen dei- Ordner der Nibelungen
208
Der als der genialste überhaupt oder in seiner Gattung genialste
von den Griechen anerkannte Dichter, er erscheint in Ver-
gieichung mit Shakespeare, und an ihn als den früheren reihen
sich nach dem ersten Kennzeichen und dem eigensten, dem der
Natuiwahrheit, Shakespeare, Lope de Vega und unser Goethe.'®)
Lang hinter uns liegt die Zeit, da sich der umschauende Heeren
mit seinem „das Grosse ist, dass wir sie, die Gedichte, haben" '""^
bei den noch unabwehrlichen wölfischen Einwänden doch ihrer
als eines Werks des einigen Griechengeisles und dieses Spiegels
getröstete, aus welchem uns ein Gesammtbild einer edelschönen Natio-
nalität entgegentrete. Es ist auch nicht etwa blos eine Phase des
wechselnden Zeilgeistes, wie es in Goethe's ,, Homer noch einmal"
erscheint,"") wenn die jetzige Generation, nachdem der kritische
Scharfsinn Ihätig gew esen , den Homer als ein Zusammengefügtes zu
erweisen, ,,ihn als eine herrliche Einheit, und die unter
seinem Namen überlieferten Gedichte als einem einzigen
höheren Dichtersinne entquollene Gottesgeschöpfe"
anzuerkennen gelernt hat. Es ist dies die im Laufe der
sechzig Jahre gereifte Frucht der Arbeit und günstiger Ereignisse,
der Studien und erfolgreichen Entdeckungen des Zeitalters, dass
gegenwärtig das Urtheil über die homerische Frage in allen ihren
Momenten für die Mehrzahl sich ganz anders gestaltet. So das
Moment des lebendigen Vortrags und seiner Gelegenheilen, das
des Schriftgebrauchs nach Alter und Anwendung einschliesslich
der s. g. Sammlung des Peisistralos, das der im Lauf der Jahr-
hunderte geschehenen Einschiebsel, und des sie bezeichnenden
Worts, das der Dichlerkraft und ihrer genialen Eigenthümlich-
ein Ganzes zusammensetzte. Aber auch er, obgleich au Genialität tief
unter Homer, bal nicht zusammeugeslüppelt und willkürlicii inlerpolirl,
vielmehr eine achtenswcrthe SelbsLlhäligkeit geübt. Wie viel mehr,
in welcli höherem Sinne Homer, der zwei Ganze von so voll-
kommener Einheit componirtc, als sie irgend ein Gedicht der Welt
aufweisen kann".
99) Gervinus Shakespeare 4. 255. „Wir sprachen den Satz aus,
dass Shak. im Kreise der neueren dramatischen Poesie als der on'enbarende
Genius der Gattung und ihrer Gesetze an der Stelle stehe, die Homer in
der Geschichte der epischen Dichtung einnehme. Vgl. 324. ders. G. d.
deutsch. Dicht. 1 , 344 , 346 f.
100) Ideen. Gott. 1821. Th. 3. 1. 174.
101) Werk. 1833. 8. B. 46. S. 61 f.
209
keit, endlicli das der ganzen Gescliiclite und Entwickelung des
n;ilionalen Epos, und darin vorzüglich der Vorstellung von den
s. g. Cyclikern. Das jelzl zu gewinnende Gesammtergebniss darf
lauten: Die Persönlichkeit des Homer, die Einheit des Urhe-
bers jener weltberühmten Gedichte, „welche" nach Goethes Wor-
ten in der Schilderung des Eindrucks der Prolegomenen, „die
Freunde der Dichtung einst mit so schmerzlichem Gefühl bestrit-
ten sahen", sie ist wieder von vielen Stimmen anerkannt. Auch
die Einheit des Verfassers der Ilias und Odyssee wird, ungeachtet
mancher Unterschiede, diuch vorwiegende Titel der Gleichheit,
durch das, was dem Menschen die Individualität giebt, das Gemüth
des Genius zur grossen Wahrscheinlichkeit erhoben. Der Charakter
des Organischen, der aus beiden Gedichten jedem Leser entgegen-
tritt, und die unverkennbaren besonders sittlichen Ideen, welche sie
durchziehn und bestimmen, geben von ihrer Einheitlichkeit Zeug-
niss. Dass gar niancherlei Einschiebsel, darunter auch umfänglichere
von den vortragenden Rhapsoden geschehen seien, mag und kann
Niemand läugnen. Aber man sieht ein, der Begriff selbst, wie
das Wort, womit Griechen und Römer ein Einschiebsel bezeich-
nen {dia0x£vät,eiv, ÖLaöxevaöt^g, inlerpolare, interpolator), sie
setzen ein Früheres voraus, welches dadurch verändert, umgebildet,
entstellt wird und zwar so, dass wenn auch ein kleines Lied der-
gleichen erfahren konnte, doch die Voraussetzung eines früheren
Ganzen durch die Einfügung an einer bestimmten Stelle mehr ange-
zeigt ist. Den) historischen Begriff des Worts nach dienen diaskeua-
sirte, interpolirte Stellen nicht der Einheitlichkeit, sie stören sie. Von
den Grammatikern Zenodol, Aristophanes von Byzanz, namentlich
von dem Meister der antiken Kritik und Grammatik, dem Ari-
starch, wurden solche Stellen an der Abweichung von Homers
Sprachgebrauch oder dessen Vorstellungen oder an irriger Auf-
fassung des Fortgangs erkannt. '"-) Und eben als Einschiebsel
in ein überliefertes Ganze erweisen sich alle Verdacht erregen-
den Theilc dadurch, dass sie 'für die Stelle gerade gedichtet sind.
102) Die Belege beiLehrs de Arislarciii studiisHoniericis p. 349 bis 352.
zur Berichtigung des fjilscheii Versländni.sses von Wolf Proleg. CLIf. und
CVII. Vgl.Sagenp.r24 — 120. Nonius 5. V. inlerj)olare est immittereel inler-
ponere et novam forniam e vetero fingere. Das Interpoliron aber ist immer
spätere und individuelle Thäligkeit: Sagenp. 125. Anm. zu Od.Tli.3. S.337f.
Nitzsch, Gesch. d. griech. Epos. J4
210
Gerade das, was Woli iü falscher Deutung seil st des Worts und
Namens: Diaskeuasiren oder Diakeuasl zur Verniuthung ursprüng-
licher Vereinzelung niisshrauchte, komiut so zu den Belegen für
die antike Vorstellung und für die ursprünglich einheitliche Be-
schaffenheit selbst hinzu. Für unsere eigene Prüfung der Echt-
heit bleiben uns die von - Villoison (I7SS) zuerst herausgege-
benen Schollen gar wohl auch nach genauerer Untersuchung von
grossen» Werlhe. Aristarch, jetzt weit genauer erkannt, hat, wie
wir sehn, drei Klassen unechter Verse unterschieden und mit
besondern kritischen Zeichen notirt, a) unhomerische, b) aus der
einen vom Dichter ihnen gegebenen Stelle anderwärts falsch wie-
derholte, und c) Stellen doppelter Form, d. h. eines einzelnen
kleinen Gliedes im Text zwiefache Gestaltung. Es geschah mit
Stellen der letzten Art bei der Redaction der geschriebenen Texte,
dass beide neben einander zu stehen kamen; Jiur in den Exem-
plaren waren sie aneinander gereiht durch eingefügte Bindeverse.
Von den Rhapsoden hatte der eine die überlieferte Form vorge-
tragen, der andre statt dieser eine andere beliebt, jedoch kommt
auch der Fall vor, dass beide Formen unecht sind.'"^)
Diese Weisungen antiker Kritiker mit ihren drei Klassen
gelten uns immer als beachtenswerth. Erstens belehrt uns die
durch alle dergleichen Bemerkungen herrschende Ausdrucksweise
— „einer der meinte, der nicht wusste, der so verstand" —
dass jede Interpolation als eine individuelle verschiedener That
erschien, nicht als wären die Stücke von Einem, der Homers
kleinere Ganze erweitert, hinzugefügt, oder als «äre dies gar bei
der Sammlung des Peisistratos als der ersten Aufzeichnung, da die
vorher einzelnen Lieder zusammen geordnet worden, geschehen.
Wie oben gesagt ist, die Studien und Entdeckungen der neueren
Zeit haben uns über dies Alles eines Anderen belehrt, sowohl
über die Einheit der beiden Epopöen, wie über ihren Schöpfer,
sowohl über die Art des \'ortrags der Rlia|)soden, welchen selbst
frühzeitig schriftliche Exemplare dienten , wie ül)fr die Interpo-
lationen. Wir erkennen, dass in der iiescliiclillichen Frajjre zuerst
103) Fr. Osann. Aiiecdolniu liniiiaiiuiii de iiolis vclenuii criliris iii-
priiiiis ArisUucIn Huinericis. (iissac 51. p. 1(I2 — 149. Meispiolc siiullte-
sprochen in in. Sagenp. S. 124 — 131 die Inleipoialion, 140 — 14V>, die
Duppelformen
211
iWo Alten ühei" ihren ersten Kunstdicliter zu hören sind. Sie legten
ihm keine andere als umfanf^lichc Epopöen mit einer Hauplhand-
lung hei. Im Verlangen, von ihm noch mehr zu hesilzen, schreibt
man ihm hier diese, dort jene dritte oder auch vierte zu — , die
allgemeine Stimme aher hielt immer zuerst oder zumeist an lUas
und Odyssee. Für die frühe Anerkennung und Auszeichnung
jener beiden ^veisl die Geschichte auf zwei Thalsachen hin. ^
Die eine ist, dass llias und Odyssee als die ältesten Ge-
dichte galten. Aber bei der Fülle kleinerer Lieder, welche
frühere Sänger gesungen und aus denen, wie oben gesagt, Ho-
mer seine Stofle empfing, sind sie die ältesten erst im Fortgang
geworden durch ihre Vorzüge, sowohl dem Inhalte als
jener Form nach, welche sie zum Erlernen und zum annehmlichen
Vortrag vor Allen empfahl. Mochten daher die früheren Lieder
natürlich noch eine Zeit lang neben den homerischen fortbeslehn»
mochten sie auch den iSachfolgern Homers, wohl selbst manche
noch den episch lyrischen Dichtern (Stesichoros oder doch Xan-
thos) Stoll' Meiern, jene Vorzüge der homerischen Dichtungen
haben doch die Wirkung gehabt, dass jene früheren aus dem
Rhapsodengehrauch schwanden und so untergingen. Einzelliedern,
welche unter Homers Namen gegangen wären, lässt sich diese
Beschaffenheit und Wirkung nicht zuschreiben. Auch von den
Zeugen Ilerodot, Aristoteles, Josephus und den Grammatikern,
welche llias und Odyssee die ältesten nennen, hat keiner statt
des einen Ilomen ein ganzes Zeitalter bezeichnet. '"'')
Die andere Thatsache der Geschichte ist gegeben in den
der llias und Odyssee zunächst folgenden Epopöen, welche sämmt-
lich eben mit jenen eine Deihe bildeten. Die Mehrzahl behandelten
die andern Parlieen der troischen Sage, aber nirgends ist eine Spur,
dass sie das Gebiet jener beiden berührt hätten. Hieraus ent-
nehmen wir, dass in der Zeit jener Epopöendichter von den ersten
10 Olympiaden bis zu den 30ern (740 — G40 v. Chr.), die Parlieen
vom Zorn des Achill, und von der Ileindvunit des Odysseus als
104) Ilerod. 2, 53. berechnet chronologische Data und vergleicht
den Verf. der II. mit dem der Kypria , Aiistot. Poet. 4, 8. iinlerscheidet
die vorlijiiideneii Gcdiclilc von Homer an von den mutlim.i.isslidi zalilrei-
clien vor ihm. Joseph. Apioii 1 , 2. der Gram. Pindarion bei Sexl. Eiup.
1, 10. Lolieck Agiaoph. 351.
14*
212
schon ausgesuiigeii galten, wenn auch damit der jetzige Ljnfang
der Gedichte nicht bezeugt ist. Dass man sich der Wiederho-
lung aus Anerkennung des unerreichbaren Vorgängers enthalten
habe, ist nicht sicher zu behaupten, doch ist es wahrscheinlich."'^)
16. Vorläufige B esclir eibiing der Epop öend icliter
u a c b Homer und der ihnen mit Homer gemein-
samen Rhapsodie.
Jene Dichter, Arktinos in Milet, Stasinos auf Kypros, Agias
in Argolis, Lesches auf Lesbos, hatten zur Wahl ihrer Stoffe
allerdings heimathliche Beweggründe im Heroen - oder Göttercul-
tus und haben auch keineswegs das Ihre in der Absicht gedich-
tet, die llias oder Odyssee zu ergänzen — dies nebenbei nur
Stasinos. — Es zählen zu ihren Gedichten der Art nach noch
Thebais und Epigonen von unbekannten Dichtern , und aus der
Heraklessage die Einnahme Oechalias jenes Samiei's Kreophylos.
Zwei andere Dichtungen aus demselben Kreise, des Peisandros
auf Rhodos Herakleia, und der Aegimios, des Dorerfürsten dieses
Namens Kampf gegen die Lapithen mit dem Herakles als Haupt-
helden,"*) lassen sich nicht deutlich charakterisiren und ihre
Einheitlichkeit bleibt zweifelhaft. Wie sie daher in dieser Dar-
stellung, welche nur die einheitliche Epopöe berücksichtigen mag,
keinen Platz finden, so auch andre, eine Titanomachie, Danais,
Oedipodee, von denen wir noch weniger sichere Kunde haben.
Unter diesen als zu unbekannt ausgeschlossenen Epopöen hat die
Heraklee des Rhodiers das Bemerkenswerthe, dass Peisandros zu
seiner Neudichtung eine ältere Heraklee eines Pisinos auf der-
selben Insel benutzte (Clem. AI. Stron). 628 b.). Wir haben
guten Grund anzunehmen, dass die vorbin als an llias und Odyssee
sieb anreihend verzeichneten Epopöen, deren jüngste die Kleine
llias des Lesches ist, von den Verfassern selbst vorgetragen wur-
den, da sie von ihnen gewiss für den lebendigen Vortrag be-
stimmt waren und dies in derselben Weise, wie mit den home-
rischen Ganzen geschah, worüber das Genauere später.
105) S. 0. Müller Kl. Sehr. 1. 401.
106) Die Heraklee: 0. iM. bor. 2. 470 f. und ßernli. 2, i. 281. Aegi-
mios: Welcker Ep. Cycl. 1. 203 — 206. Bernh. a. a. 0. 269. die übrigen:
Sagenp. 21 — 35. Bernh. 272 und 274.
213
Dass die Kunstepiker zuiiäohst ihr Werk mit Studium und
Rljapsodie der homerischen Gediciile hegonnen, ist dabei unsere
Meinung ( Sagenp. 379. ; und eine wohl natürhche Voraussetzung.
Die Dichter sind eben zuerst Rhapsoden. Sie wurden aber darum
doch nicht Homere genannt (Sagenp. 369 — 374). Alles Leben der
Epopöe ward nur dm*ch ihren lebendigen Vortrag kundbar; die Ge-
schichte derselben entwickelt sich in der Zeil, wo an eine Lese-
welt nicht zu denken ist, im Rhapsodenalter. Dass nun namentlich
die Kleine Ilias und die Kypiia in der ersten Folgezeit theils
von andern auch selbst dichtenden Epikern, theils von blossen
Rhapsoden au mehren Orten rhapsodirl worden, schliesst man ge-
\\iss mit Recht aus dem Umstände, dass von ihnen mehre, ja
zahlreiche Verfasser auch ausdrücklich angegeben werden, und dass
darunter sonst ganz unbekannte Nctmen erscheinen. Die ange-
messenste Erklärung dieses ümstands ist, dass man öfters den-
jenigen in den verschiedenen Orten mit Umgegend als den Ver-
fasser genannt, welcher ein Gedicht daselbst zuerst zum Vortrag
und in Ruf gebracht. Hierneben sind nur die dorischen Epiker
Kinäthon in Sparta und Eumelos in Korinth als solche zu erkennen,
auf welche eine unglaubliche Menge von Gedichten zurückgeführt
werden, so dass man glauben muss, jene Städte hätten eben ihrem
alten Dichter all das Epische zugeschrieben, was ihnen bekannt
geworden. Die Kleine Ilias, welche Lesbier ihrem Lesches zu-
eigneten, und zwar mit Zustimmung geschichlskundiger Schriftsteller
wie Pausanias und Proklos, galt in Sparta für ein Werk des
Kinäthon. Aber weiter noch wurden ein Thestorides in Phokäa, der
selbst eine Phokais gedichtet, und ein sonst nirgends genannter
offenbar blosser Rhapsode Diodorus auf Erytiu'ä in ihren Gegenden
als Verfasser genannt. Dem Dorer Stasinos war im Vortrag der
Kyprien auf Kypros selbst ein ionischer Hegesias gefolgt, so dass
dort die beiden Stämme um die Dichterehre stritten; doch ein
hattkarnassischer Schriftsteller behauptete, ein Halikarnassier sei
der Dichter, wenn auch der Name Kypria auf Kypros weise.
Ajich bei den Nosten gab es eine ähnliche Mehrheit der Verfasser.
Nur natürlich ist es, nun vorauszusetzen, es habe dasselbe auch bei
den Gedichten stattgefunden, von denen nicht ein einzelner bestimm-
ter Verfasser uns genannt wird, sondern von denen es in unbestimm-
ter Mehrzahl lieissl, die Dichter, die Schreiher wie der Kypria so
214
der Thebais , nämlich , die verschiedenen , iin Gerücht verlauten-
den. Ebenso darf man imnelnncn, dass auch der Singular, wenn
er gebraucht wird, ein skeptischer ist, nicht dass es wirklich Epo-
pöen ganz namenloser Dichter gegeben hätte, wie nur die Epen der
ersten Periode umgingen. '"') Zu dem dargelegten V' erhältniss
kommt nun noch der begehrliche Enthusiasnuis des Rhapsoden-
geschlechts auf Chios, der Homeriden. In der Art andrer Ge-
schlechter im antiken Sinne, eigentlicher einer Zunft, nannten
sie sich wie Abkonunlinge nach dem Dichter des Achillszürns
und der Heimkunft des Odysseus. Eben nur wenn man die
Homeriden von Homeros, als dem geglaubten Dichter der Ilias
und Odyssee benannt sein lässt, ist ihre auf ihn gerichtete Thätig-
keit erklärt, und ist es folgerecht, in ihnen Kunstgenossen zu
sehn, welche jene Gedichte bewahrten und durch Vortrag be-
rühmt machten.'"^) Die durch ihren nationalen und gemüthreichen,
charaktervollen Inhalt und ihre lebendige sprechsame Form offen-
bar von Anfang allen Rhapsoden empfohlenen Gedichte beschäf-
tigten auch die Homeriden immer vorzugsweise. Doch wir er-
wähnten schon, wie es in Samos mit Oechalias Eiimahme, in
Kypros mit den Kyprien sich begab. Obschon dort Kreopbylos,
hier Staninos als die Verfasser bewusst waren, entstanden doch
späterhin Sagen, wonach nun die S^mier das Gedicht des Kreo-
pbylos, die Kyprier das des Stasinos dem Homer als dritte Epopöe
zuschrieben. Aehnlich und noch weiter trieben es die Ho-
meriden: sie fügten den beiden gefeiertsten noch andre hinzu,
zuerst wohl die Thebais, weiterhin auch die Epigonen und zu-
letzt, unbekümmert um Zeitrechnung, die Kleine Ilias.'"^) Sie, wie
kein zweites Geschlecht in Griechenland, auch die Kreophylier
auf Samos nicht, in den Rliapsodendienst mit Enthusiasnuis für
107) Die obige Erklärung gab 0. Müller. Zeitschr. f. All. 1835. 1175.
vgl. Allgem. Littoraturzeit. 1838. Ergänz. Nr. 18.
108) Eman. HofTmann, Homeros und die Homeriden ,,Sage auf Chios."
Wien 56. S. 9. Sageiip. 377.
109) Das Leben Homers in dem Herodol nachgebildeten Dialekt (der
Pseudo-Herodot) giebt die Sagen der Homeriden n.inientlicli über die
Kleine Ilias. Thestorides batle sie ihnen wohl zugebracbt , da erfanden
sie eine Sage, wie dieser sie von Homer erbaltcn nnd sich angeeignet; und
wohl galt er, der sie in IMiokäa zuerst vorgetragen, dort als ibr Verfasser.
215
ihren INalioiialiliclilcr hingegeben, woUten immer nur Homerisches
vortragen, oder doch nur, wtts liomerische Art hatte. Gewiss
leiten wir mit guter Wahrscheinlichkeit die Stimmen über die
Thel)ais und nlx-r die Ej)igonen, wo diese Homer beigelegt wer-
den, von ihnen her. Ks wai'en innuer nur particulare Meinungen.
Dem alten J'>legil<er Kallinos, dem Lyriker Simonides galt so die
Thebais lin" homerisch,"") Herodot bestreitet die Meinung von
den Kyprien gellissentlich (2, 116f.), erwähnt die von den Epi-
gonen {4, 32) im Bedinfniss, die Hyperboreer zu bezeugen, be-
zeichnet sie aber als problemaliscb durch den Zusatz, ,,\venn
denn in Wahrheit Homer dies Gedicht gedichtet hat" — in
beiden Fällen niag er wohl einen einzelnen Sagenschreiber ; viel-
leicht den Hekatäos) im Sinne haben. Genug wir sehn, die
Meinungen von dritten oder mehren Epopöen des Homer stam-
men von den Stätten der Rhapsodie her.
Die von einzelnen Hymnen oder mit ecliterm Namen Pro-
ömien, vorzüglich von dem auf den delisclien Apolion, ergiebt sich
von selbst als in Chios entstanden. Die Proömien waren ja die
Eingänge zum Vortrag der Rhapsoden. Endlich die Sage von
Margit es, dem drolligen Charakterbilde eines Menschen, der
„viel zwar Werke verstand, doch schlecht sie alle verstand nur"
und das komische Epos, welches ihn darstellte, waren ebentälis
an einem solchen Orte, in Kolophon entstanden. Wir erkennen
aus Aristoteles wie der Enthusiasmus für den Dichtergenius es
gewesen, welcher dem Margites den Homer zum Verfasser gab.
Der Dichter, der durch die dramatische Darstellungsweise über-
haupt den Arten des Drama voranging, er hatte durch seine Ilias
und Odyssee mit ihrem sittlich ernsten und tragischen Geiste
zur Tragödie geführt, im Margites den Gestalten der Komödie
ein Vorbihl gegeben.'")
110) Pilus. 0, 0, 5. bezeugt, nacli der unstreitig richtig hcrgoslelllen
Lesart, das Urlheil des Kallinos; sagt, viele Beaclilenswerthe slinunten
ebenso, und fügt das eigne Uitlied hinzu, djiss er die Thebais nach der
Ilias und Odyssee am meisten pieiswürdig linde. So tritt diese Epopöe
vor allen andern ins Licht. Sinionides feiert Fr. 85. den Spruch aus II. 6,
146. aber Fr. 53., wo er den Homer neben Stcsichoros nonni, hat er wohl
die Thebais gemeint: Wclcker Cycl. 1. 100,
tu) Sagenp. 307 f. und 373. Bernhardy 2, 1. S. 177. 181.
216
17. Das Wahre vom epischen Cyclus und den s. g.
Cyclikern. Die hin und wieder vermehrte Zahl
dem Homer beigelegter Epopöen.
Aus dem Vorslelieiulen ergiebt sich: allerdings hat der
nationale Enthusiasmus für ihren Homer die Griechen verführt,
ihm unkritischer Weise auch den Margiles und ilen Hymnus auf
den delischen ApoUon zuzurechnen, dagegen verstehen sie sonst
nach einstimmigem Urtheil unter seinem Namen allgemein nur
die llias und Odyssee. Andere nach diesen Mustern gedichtete
Epopöen kamen durch die Rhapsoden und in Hauptsitzen der
Rhapsodie zu der Ehre, als dritte und so weiter allmählich hin-
zugenommen zu werden. Am meisten und längsten hat solche
Meinung von der Thebais gegolten ; von den andern dagegen,
den Epigonen als Fortsetzung der Thebais, den Kyprien als Zu-
behör der llias, endlich besonders von der Kleinen llias immer
nur nach sehr einzelnen TJrtheilen. Nach dem ganzen Befunde
muss man erwarten, dass besonders im attischen Zeitalter zwar
Homer als der hochgefeierte Dichtergenius überall hervortrete, und
die zahlreichen Schriftsteller seine Sprüche und seine zu Typen
gewordenen Charaktere und Lebensbilder gar vielfach anführen
werden, dass aber diese Beziehungen immer nur auf llias und Odys-
see lauten; die genauere Prüfung hat diese Annahme nur bestä-
tigt."^) So ist die Ausdehnung des homerischen Namens auf an-
dere Epopöen nach der Geschichte für die ganze erste geniale
Periode der griechischen Lilteratur gehörig bestimmt. In dem
Zeitraum nach Aristoteles erfolgte allerdings in prekärer Weise
die Ausdehnung auf den sogenannten epischen Cyclus. Mit ihm
hat nun eine Geschichte des griechischen Epos und seines natio-
nalen Lebens an sich Nichts zu schaffen. Eine Sagengeschichte
in epischen Versen, aus verschiedenen Epikern zusammengefügt
und so, dass jeder Gegenstand nur einmal gegeben wurde, das
Ganze eine möglichst geschlossene Folge der Thatsachen bildete,
so war er für Leser und für annehmliche Befriedigung des In-
112) Die Typen Sagonp. 333 f., daiaiif die Spriiclic 333—336. Diese
öfters in dem nuindliclien Goliraucli aus dem Gedäclitiiiss variirt 336r. Wie
diese Variation manchen Cilalen den eben nur täuscliendcn Schein gege-
ben als lauteten sie nicht auf die llias luid Odyssee, sondern auf andere
dem Homer auch beigelegte Epopöen, ist Sagenp. 330 — 355. dargethan.
217
teresses an der Sagenknnde bestimmt. Demnach konnte eigent-
lich die Gestalt, in welclier die nächsthomerischen Epopöen in
diesem rein stofflichen Gefüge erschienen, keine Rückwirknng auf
unser Bild von ihrer Kunstgestalt haben, wenn es auch, indem
llias und Odyssee darin aufgenommen waren, a potiori homerisch
hiess. Aber dieser Cycliis hat eine solche Rückwirkung leider
in Folge irriger Auffassung für die neuere Litteraturgeschichle
in gar fühlbarem Grade gehabt. Er brachte jenen der llias und
Odyssee nacheifernden Epikern den Namen der Cycliker. Dieser
hemmte und verdarb in der Geschichte der epischen Poesie eine
Zeit lang allen gesunden Blick. Da uns nämlich von jenen Epo-
pöen selbst nur einzelne Citate oder Stellen erbalten sind und
vom Cydus, dem Gefüge vielfach verkürzter Gedichte, auch nur
die prosaischen Inhaltsangaben der Rypria des Stasinos, Aethio-
pis und Persis des Arktinos, der Kleine llias des Lesches und
der Nosten des Agias — die späte unorganische Telegonie
des Eugammon nicht zu erwähnen — aus der Charakteristik,
welche Proklus in seiner grammatischen Chrestomathie von dem
Cyclus gegeben : so entstand die freilich wundersame Vorstel-
lung, die Verfasser jener Epopöen, die doch in ganz verschiedenen
Zeilen und entlegenen Orten dichteten, hätten keine poetische
Ganze mit bemessenem Anfang und Abschluss gedichtet, sondern
einer den andern nach der Zeilfolge des Troerkriegs fortgesetzt.
Das hiess cyclische Dichlungsweise und so hiessen sie Cycliker. Bei
dieser Vorstellung von den dem Homer zunächst stehenden Epi-
kern war der Begriff und das Wesen der Sage noch unbewussl.
So sland es um die Geschichte der Poesie und Litleratur,
als Wolf das griechische Epos auf seinen heimathlichen Boden
versetzte. Aber wenn er auf die Oede hinwies, in welcher die
homerischen Epopöen erschienen, so war das eben nur das
Brachland der noch nicht erforschten Geschichte des Epos.
Nachdem er eben dieses auf seinen natürlichen Boden geführt,
wurde dort alshald gleichzeitig wie in andern Gegenden der
Geist der Sage erkannt und zeigte in Deutschland Welckers
feiner Geist jene missbenannlen Cycliker in ihrer wahren Gestalt.
Zwar behauptete er nach unhaltbarer Vorausselzunj:. ihre Poesieen
wären in den Cyclus selbst unverkürzt anfgenonunen gewesen;
aber die Oede um die llias und Odyssee war nun doch nach beiden
218
Seiteil von epischen Diclidmgen ausgefiilll , in deren Mitte Homer
mit seinen ersten Epopöen stand."')
Ein weiterer Fortscliritt zur geschiclitlicli begründeten Aner-
kennung des einzigen Homer geschieht sicher, aber mühsam und
aUmählich durch Eingehn in den sittlichen (ieist heider Gedichte
und durch Erwägungen ül)cr die Odyssee. Dieser Epopöe hatte
Wolf selbst im ausdrückliclien Gegensatz zu den Cyclikern sei-
nes VVissens und in Vergleicli mit der Ilias eine schöne Einheit
zugestanden (Prol. 127 und 120 f.). Aber eben die Kunst der
Anlage und Durchführung erschien ihm als zu gross, als dass in
der Zeit und bei dem in dem Gedicht selbst beschriebenen Sänger-
hraucli ein Dichter sie hätte zu leisten sich fähig gefunden,
ein Einwand, den Lachmann seltsamer Weise wiederholte
(Friedländer, von Wolf bis Grote VIII.). Es ward gegen diese
seine und der Zustinnnenden Folgerung und diesen ganzen Stand-
punkt nach willigerem und beflissenerem Studium des Dichter-
geistes erinnert: „Man legte zu hohen AVerth auf das Argument,
dass jene aUen Sänger, zu kurzer Ergötzung bei Schmausen und
Festlichkeiten herbeigerufen, der äussern Gelegenheit ern)angelt
hätten zu so umfangreichen Gedichten. Sonst würde man an-
ders geschlossen haben, dass der Genius im Zeitaller des epischen
Gesanges aus einzelnen Gesängen sich zum vollkommen organi-
sirten Ganzen durch iimern Drang emporschwingen musste , und
dass man fürwahr nach andern Erscheinungen nicht
berechtigt sei, den Griechen die höchste Ausbildung
des epischen Gesanges in stetiger Folge abzusprechen.
Man würde es mehr erkannt haben, dass zwar poeti-
sche Elemente (die Fülle der Einzellieder) in jener
Zeit ü b e r s c h w ä n g 1 i c h vorhanden waren, dass aber
diese Plan mässigkei t eines grossen Gedichts, diese
religiöse und moralische Grösse, die selbst unter den
Griechen nur Sophokles noch erreicht, diese wohl-
thätige Beruhigung, in welche durchweg alle Dishar-
monie en sich auflösen, nie einer Masse nur einzelnen,
113) Welckers Verdienst: dess. Ep. Cycl. 1, J23. Beruh. 2, l. 1U7.
(loch hpschriinkeiKl 203. — Das Richtige vom Cyclus : Sagenp. 30—39. und
42 f. Die vorherigen Meinungen vun ilun hei Grolo, Ge.sch. Griochenl. ül)cr-
selzl von Meissner 1. 486 — 488.
219
den begabtesten und edelsten unsers Geschlechts,
gegönnt gewesen".'") Wie man nun einsehn musste, dass —
wie oben besprochen ist — Homers Leistung eben in der Neu-
bildung und Wiedergeburt des in kleinem Liedern überkommenen
Stofl's bestand, und Ilias und Odyssee unabweislich den Höhepunkt
der epischen Poesie bilden : so wurden denn die Bemiduuigen, diese
Epopöen wieder in kleine Lieder aufzulösen, gar seltsam befunden.
,, Nicht genug wundern kann man sich, dass diese von Wolf einst
eingenommene, von Lachmann vertheidigte Position noch so Man-
che behaupten wollen; denn wir erhaben damit die höchst singu-
lare Erscheinung, dass Avir in den kleinen Liedern die Vorstufe,
in den cyclischen Dichtungen den Verfall des Epos vor uns
haben, und die in einheitlichen Handlungen grösserer Epen sich
darstellende Blüthe völlig fehlt, oder — das Allerunbegreiflich-
ste — dass die vorliegende, nicht abzuläugnende, künstlerische
Einheit das spätere Werk mehr er war"."^) Wohl fragt man
zweifelnd und fast vergeblich, wem doch die zersetzende Meinung
die Composition zuschrieb. Noch jetzt etwa den falsch gedeute-
ten Diaskeuasten, den Beauftragten des Peisistratos? Es giebt
hierauf keine klare Antwort."") Die erkannte Entstehung des
wahren Nationalepos aus kleineren Einzelliedern , wie sie in dem
Wesen der Sage begründet ist, wird mit der mündlichen Vor-
tragsweise zusammen wohl erwogen allein über die umfänglichen
Epopöen das Richtige lehren. Lächeln kann man aber nur, wenn
die Trennenden ihre Meinung durch die Aeussenmg zu bekräf-
tigen glauben, auch die Odyssee sei aus kleinen Liedern ent-
standen, als läugnete man dies, als könnte die Odyssee anders
als mit Verwendung frühwer Lieder von des Odysseus Irrfahrten,
von der allgemeinen Heimfahrt, von dem Rächer Orestes, vom
Freiermord auch nur vorhanden sein.
114) Lchrs in Berl. Jahrb. f. wiss. Kril. 1834. B. 2. S. 627, und dazu
dess. Populiiie Aufs. Lpz. 1856. S. 11 — 16.
115) Bäundein: der Scliiirskalalog der Ilias. N. .Faliili. f. I'liilnl. B.
75 und 76. H. 1. S. 37.
116) Bcrnliardy S. 122. „Die llanti, welclie Wunden sdiliig, lioill
sie nicht". — „Denn der Einfall, dass wir jenes Wniidei' ileiii Peisistra-
tos und seiner Bedattion verdanken, war kaum ernsliicli gemeint". Doch
Wolf Proleg. CLU.
22a
18. Die Epopöen der Nachfolger Homers , der fälsch-
lich benannten Cyclikern in Vergleiclmng mit
Ilias und Odyssee.
A. Allgemeine üebersiclit und das Urtheil des Aristoteles.
Ehe nun der Dichter der Ilias und Odyssee nacli seiner Art
und Kunst genauer cliarakterisirl win] , wird es dienlicli sein,
seine Stellung als Stifter und Meister der uahren Epopöe in
das gehörige Licht zu stellen, und zwar zunächst durch die ge-
nauere Charakteristik derjenigen Epopöen, welche im Laufe der
Zeiten (von Ol. 2 — 30) als jene beiden schon verbreitet waren,
von Epikern verschiedener Gegenden in ähnlicher Weise wie
Ilias und Odyssee aus kleinen Liedern gebildet und unter ein
Grundmotiv gestellt wurden. Bilden sie ja, als der Gattung nach
in Sloffart, Composition und Stil gleichartig, mit jenen Mustern
die Reihe der uns erkennbaren griechischen Kunstepopöen na-
tionalen Lebens. Da ihr Verhältniss zu diesen Mustern auch ge-
nauer erkannt sein will , müssen wir mit Ausschluss der zu dürf-
tig bekannten uns auf die beschränken, deren Inhalt, Gang und
Fassung uns kundbarer vorliegt, und von deren Darstellungsweise
wir uns eine Vorstellung zu bilden im Stande sind, wenn auch
mehr nur durch bedachte Folgerungen aus dem Bezeugten. Wir
können darnach nur folgende zählen; des Kreophylos auf
Samos und los Einnahme Oechalias (durch Herakles); des
Arktinos in Älilel z\vei Epopöen Aethiopis und Einnahme
Troias; von unbekannten Verfassern, wahrscheinlich in Aeolis,
zwei aus der thebischen Sage, die Thebais und die Epigo-
nen; des Stasinos auf Kypros Kypria, die Epopöe von der
Entstehung und den ersten Zeiten destroischen Kriegs; des Hagias
von Trözen Noslen, das ist, die Epopöe von der Heimkehr der
Griechen von Troia , auch Rückkehr der Atreiden genannt; des
Lesches auf Leshos Kleine Ilias, eine andere Fassung der
Einnahme Troias."']
117) Alle Forschung über diese Geilichte fusst auf den Leistungen
Welckers, doch wenn er weit mehre aufführt, müssen wir von einigen: der
Danais, Titanomachie, Oedipodec Iheils schon wegen zu dürftiger Kunde,
Iheils deshalb absehen, weil wir I)ei diesem Dunkel gar nicht zu urtheilen
im Stande sind, oh denn (hese Gedichte nicht eine der humerischen Art
(chahl. Sagenp. 20 — 35. Es wurde der Muthmaassung
221
Diese aclil sind, obgleich uns von keiner nielir als, zum
Tlieil noch verkürzte oder epiloniirte, Inhalte und einzelne Verse
oder Citate erhalten sind , doch ;ils Epopöen homerischer Dich-
tungsart sicher genug bezeugt. [>ie Geschichte unterscheidet sie
von den epischen Heldengenealogieen, uie den Katalogen des
Hesiod, von den landschaftlichen Epen, \velche die Sagen einer
Landschaft zusammenreihten, uie die Gedichte des Fumelos von
Korinth, vornehmlich aber auch von den Epopöen blos persönlicher
Einheit, in denen die mannigfachen Abenteuer, Fehden, überhaupt
Thaten eines Herakles oder Theseus nach einander erzählt wur-
den. Diese letzten, die Herakleiden oder Theseiden, befriedigten
das mehr stofflliche Interesse in ähnlicher Weise, wie mehre
Epiker gerade des dorischen Stamms, der Spartaner Kinälhon
und der Korinthier Eumelos durch ihre gereiheten Sagen oder
Genealogieen, denen sie auch einzelne Grosslhalen der verschie-
denen Stammhelden einzuweben pflegten. Das höhere Interesse,
welches beseelende Ideen und in Handlung und dramatischen
Leben ausgeprägte Charaktere ansprechen konnten, gewährten
nur die organischen Epopöen.
Eben jenen umfänglichen Epen nur persönlicher Einheil
setzt nun Aristoteles (Poet. 8) die wahre Epopöe entgegen, welche
nach dem Beispiel der Odyssee eine einige Handlung umfasst.
Homer, der sich auch im Uebrigen auszeichne, habe auch das
recht w ohl erkannt , ob durch Kunstsinn oder Genie , dass von
einem und demsell)on Helden mehre Handlungen erzählt nim-
mermehr durch diese Einheil der Person zu einer Handlung
werden könnten. Indem er die Odyssee gedichtet, habe er nicht
und Combination zu viel eingeräumt. Auch die Deutung zweier Titel auf
eine und dieselbe Epopöe ist in nielu'en Fällen willkürlicli. ninlänglicli
begründet ist sie bei den Noslen und der Aireiden Rüciikeiir, der Tiiebais
und des Amphiaraos« Ausfalirl, üechalias Einnahme und der Heraklee;
nicht aber bei den Epigonen und der Alkniäonis, der Minyas und Phokais,
und vollends nicht bei der Atliiis und Amazonia. Sagenp. 22f. Bern-
hardy , Gr. Lilter. II, 1. 2. Ausg. S. 205, 20Ü, 209, 213. Die Telegonie, die
Fortsetzung der Odyssee, liegt uns zwar in dem Inhalte vor, aber eben
als so reizlos, dass wir keinem Rhapsoden die Beschäftigung mit ihr zu-
muthen. Beruh. 214. — Ist die Reihe der in Betracht kommenden zu
beschränken, so dient doch die so umfassende Darlegung, welche Welcker
im 2. Theile seines epischen Cyclus von den Epopöen homerischer
Art gegeben hat, aller Betrachtung derselben in der vielfältigsten Weise.
222
Alles aufgenommen, was dem Otlysseus begegnet, sondern die
eine Handlung gestaltet, welche eben Odyssee beisse, und ebenso
die Ilias. "^) Wie eine solche eine Handlung begrirtlicb nach
ihren Grundzügen entworfen werde, wird im 1 7. Kapitel an der-
selben Odyssee gezeigt. Dann folgt im 23. wieder die Lehre
über die Composition und Gliederung eines epischen Mythus als
einheitlich ganze und zum Ziel geführte Handlung mit besonde-
rem Bezug auf die Ilias. Im Fortschritt nach den Bestimmungen
des 17. Kap. heissl es hier, weder das Gleichzeitige noch das
eng Nacheinanderfolgende gebe an sich ein auf ein Ziel Führen-
des. Auch bierin fehlten viele Dichter. Sonach müsse, wie
schon in anderm Bezug gesagt sei, auch darin Homer vor den
Andern gottbegabt erscheinen, dass er nicht den Krieg, obwohl
er Anfang und Ende hat, in seiner Dichtung ganz darzustellen
unternahm, denn er würde zu gross und nicht übersichtlich,
oder in kleineres Maass gefasst in seiner Mannigfal-
tigkeit verwickelt gewesen sein. So aber bat er einen Theil
ausgehoben und wendet viele Episoden an, durch welche er seiner
Dichtung Ausdehnung giebt. Die Andern dagegen dichten (wie
jene im S.Kap.) von einem und einer (ganzen) Zeit, aber zwar
einer, aber einer vieltheiligen Handlung, wie der Dichter
der Kypria und der der Kleinen Ilias. Daher denn, wenn aus
der Ilias» und Odyssee je Eine oder zwei einzige Tragödien ge-
dichtet werden, aus den Kypria und der Kleinen Ilias eine ganze
Menge entstanden sind.
Dieses die Kypria und die Kleine Ilias ausdrücklich betref-
fende Urtheil ist nun freilich richtig nur so zu verstehn, dass er
diese beiden hier ebenso wie dort die Herakleiden und Thesei-
118) Hier und anderwärts belobt, wie vorliegt, Aristoteles nicht
Mos den Dichter, etwa wegen seines Gescliicks in der Darsloliuiig, son-
dern ausdrücklich die Kunslanlage und Fassung der Ilias und Odyssee.
Nimmermehr hat Aristoteles über sie in Anhequeniung an das Urtheil der
Zeitgenossen sich geäussert. Er war überhaupt nicht der Mann solcher
Scheu vor fremder 3[eumng. Seine Aeusserung (Polit. III. 13. S. 80 f.
Bekk. kl. A.): „Wenn freilich ein einzelner Mann vor allen Trelfliclien, die
es im Staate gäl)e, sich auszeichnete, dann ist es der Sache gemäss und
recht , dass ein solcher Manu die Vollmacht inue habe" , — diese Aeusse-
rung, das ganze Räsounement nnd the Ausnahme, sie ist aus Piaton
Ges. IV. 711. D.— E. Nicht also wie Jacob Entst. derB. u. d. Od. S. 148f.
223
den als sprechendste Beispiele des Tadellialten hervorhebt und
auswählt. Durch diese Beispiele sollte das Ungehörige im Gegen-
satz des Mustergiltigen der homerischen Epopöen am stärksten
hervortreten, ein spezielleres l'rlheil ühev die übrigen Gedichte
dort neben den Herakleiden und 'Iheseiden und hier wiederum
neben den Rypria und der Kleinen llias ist an sich damit nicht
gefällt. Seine Theorie, welche es wesenilich mit der Norm der
Vollkommenheit zu thun hat, gab keinen Anlass, die mehren üb-
rigen einzeln zu mustern , also sie neben der llias und Odyssee
in ihrer Stoffwahl und einheitlichen Composition zu charakterisi-
ren , dies war Sache einer kritischen Geschichte der Epopöe.
Diese hat aber Aristoteles in der uns erhaltenen Poetik nicht
gegeben, wahrscheinlich anderwärts in uns verlorenen Schrif-
ten."^) Hier aber sollte alle V'ergleichung der anderen nur die
homerischen als die Cluster hervorheben. Jene Belobung des
Homer, dass er nicht den ganzen Krieg darzustellen unternom-
men, sondern einen TJieil, können wir, da dies ja von der
Wahl des Arktinos, Lesches und Agias ebenfalls gilt, uns nur er-
klären, wenn der Theil des Blas als ein vor allen andern glücklich
ausgehobener und speziell charakterisirter verstanden wird, der
Tadel der Kypria und der Kleinen Uias ist wohl schon in den
Worten angekündigt: „oder in kleineres Maass gefasst durch seine
Mannigfaltigkeit verwickelt", dann näher motivirt durch: „eine
Handlung aber eine vieltheilige". Diese beiden waren, das ist
auch uns einleuchtend, leicht so geartet, dass die einzelnen Theile
mit ihren mehren Hauptpersonen das Interesse zu sehr indivi-
dualisirten und spalteten. Dass das Urtheil über des Arktinos
Persis in dieser Hinsicht ein günstigeres sein konnte, wird sich
später zeigen. Ob Aristoteles bei seinen Erwähnungen auf solche
Epopöen Rücksicht genommen, welche er noch in den Händen
seiner Leser wusste, muss dahin gestellt bleiben; es ist aber
wahrscheinlich.
Die Begingung eines für Einheitlichkeil günstigen Stolfes war
bei den beiden der thebischen Sage von selbst gegeben, und eben-
119) Oder in ainlern Tiioilfii der uinfünglicliereii Poetik. S. Sprengel
lieber Aristoteles Poetik in Aliliandl. d. Hayrisclion Ak.ul. d. W. II, 1.
S.211(r. und in Z. f. A. 41. 125211'. bes. 12091'. Die Einrede Dünlzers iu
ders. Zeitschr. 42. 27811'.
224
so bei der Einnahme Oechalias. Dagegen haben wir den Ver-
lauf des troisohen Kriegs von seinem Ursprung durcli den Frevel
des Paris bis zur Heimkunft und dem Sieg des Odysseus in sechs
Partieen zerfallen sehn, welche sich als durch eigenthümliche
Sirebungen beseelt zu Handlungen mit Anfang und Ausgang ge-
stalteten oder gestalten Hessen. Diese Partieen schieden sich deut-
lich von einander; die auf einander folgenden Umstände bildeten
eigenthümlich charakterisirte Epochen. Auf dem Grunde dieser
allgemeinen Umstände waren vor Homer theils kleinere Lieder
von Einzelkämpfen oder Abenteuern, theils auch schon umfassen-
dere von der Eroberung und von der Heimkehr der Sieger gesungen,
wohl auch von Odysseus Irren, und von seinem Sieg über die
Freier. Jene Partieen, abir jede ganz umfasst, waren in den
durchherrschenden Motiven sehr verschieden. Nur in einigen
gab es eine die Handlung beherrschende Hauptperson, als deren
Geschichte der Hergang gelten konnte. Hätte Aristoteles bei
seiner Würdigung der Epopöen nach ihrer Einheitlichkeit die
Beschaffenheit der überlieferten Sagen- und Liederstoffe in Be-
tracht gezogen, so musste er bei Homer eben die Wahl der bei-
den Stoffe rühmen, aber dabei anerkennen, dass die andern
Epiker einerseits nicht blos dem Kunslzweck, sondern auch dem
Interesse ihrer nächsten Hörer folgten. Bei Arktinos, bei Sta-
sinos, bei Agias, auch wohl bei Lesches ist dies der Fall gewesen.
Andrerseits mussle Aristoteles, da der zu gestaltende Liederstoff
immer ein gegebner war, die tieferen Motive, welche die Hand-
lungen der andern beseelen, auch gelten lassen, und ihr Erfas-
sen vom Vorgange des Homer herleiten. Aber ^ie er selbst die
Tragödie nur nach der Wirkung auf das Mitgefühl der Zuschauer
beurtheilte, ihre nationalen Elemente und Ursprünge nicht er-
gründete, so hat er auch von der Epopöe eine gehörig genetische
Darstellung nicht gegeben. — Freilich urtbeilen wir so eben nur
nach der uns vorliegenden Gestalt der Poetik. '-") — Wäre er
hierauf eingegangen und hätte er sich über die Poesieen des Ark-
tinos und die Thebais ausgesprochen, daneben mit jenen Hera-
kleiJen die Heraklee des Peisandros von Bbodos und die Einnahme
120) Es ist vielfach erwiesen, dass sie nur als ein Theil oder aucii
in lückenhafteni Zustande auf uns gekommen ist. S. d. vorige Anm. u.
Scholl Piniol. XII. 593 ff.
225
Oechalias verglichen, dann ersl könnten uns seine spezielleren
Urtheile Aveiter maassgebend sein.
Jelzl, da ein \volfisches Urtlieil über die leidig benannten
Cycliker Aveil hinter uns liegt, '^') verstchn \vir, jene beiden spe-
ziellen Urtheile des Aristoteles mit dem Bilde, \\elches wh von
den Kyprien und der Kleinen Ilias aufstellen können, zusammenzu-
halten, da denn — freilich ohne Berücksichtigung der Schwierig-
keiten des Stoffs — die einigende WirksamkeiLdes Dichters vermissl
Avorden sein muss. Bei dem Dichter der Kyprien haben wir die
Wahl des Stoffs selbst besonders ungünstig gefunden. Endlich
wird auch ein drittes Urtheil des Aristoteles über nur seltenen
Gebrauch der dramatischen Form bei den Andern sich durch Be-
trachtung der Stoffe ebenfalls ermässigen. So kann und darf uns
Aristoteles nicht abhalten, von der Stoffwahl und dem ganzen
Verfahren der griechischen Epopöendichter uns eine Vorstellimg
zu bilden, soweit es unsere Mittel gestatten.
19. Das Verfahren der alten Kuiistepiker. Das be-
sondere des Stasinos in den Kyprien.
Das Allgemeine und. Gemeinsame der epischen Kimstpoesie
mit Bezug auf die genannten einzelnen wie auf Homer seihst ist
Folgendes: ^^)
Kein wahres Kunstwerk der Sagenpoesie — die Kypria waren
eben kein solches — fängt vom Eie an, sondern rechnet bei seinen
Hörern auf Sagenkunde, und jedes nimmt seinen Anhub im An-
schluss an Vorhergegangenes von bestimmtem Charakter. Die
Ilias beginnt nach dem durch Paris Frevel erfolgten Zuge der
Griechen nach Troia und vielfachen einzelnen Streifzügen und Ver-
diensten besonders des Achill; die Odyssee nach der Freier Einfall
in das Königshaus und mehr als dreijrduigem Schalten darin,
während Odysseus bei Kalypso zurückgehalten wird; die Aethio-
pis, als nach Hektors Tode und der Auslieferung seiner Leiche zur
121) Mit viel zu weniger Untcrsclicidung der einzelnen Eigenschaften
schöner Darstellung sprach iiher Aristoteles Schoemann in der Dispulatio
de Aristotelis ccnsura carminum epicoruni.
122) Wiederhol^aus Sagenp. S. 443 f. Vgl. Wackernagcl die ep.
Poesie. N. Schweiz. Mus. 1. 301 unten: Diese frülieren Motive darf
der Sänger ja als bekannt voraussetzen u. s. w.
Nilzsch, Gesch. d. g-iiech. Epo«. 15
226
Bestattung Achill sich die fern hergekommene Amazone entge-
gentreten sieht; die Persis des Arktinos und die Kleine Ilias des
Lesches, als nach Achills Tode und Bestattung entweder Aias in
Folge der Kränkung im Streit üher Achills Waffen sich den Tod
gegehen hat, oder dieser Streit eben vorliegt; die Nosten unmittel-
bar nach des lokrischen Aias Frevel an Athene, ohne dass die
Atreiden auf seine Bestrafung gedrungen; die Thebais nach Oedi-
pus Geschichte und ausgesprochenen Fluche über die Söhne und
des Polyneikes Aufnahme bei Adrast; die Epigonen nach dem un-
heilvollen Ausgange des Zugs der Sieben ; endlich Oechalias Ein-
nahme, nachdem Fürst Eurytos den Herakles treulos beleidigt hat.
Nach diesen bedingenden und hervorrufenden Vorgeschichten
ist das eintretende Motiv der Ilias der durch Agamemnons Leiden-
schaftlichkeit hervorgerufene Zorn Achills und sein Abtreten vom
Rachekriege der Griechen; das 3Iotiv der Odyssee der durch Athene
angeregte Götterbeschluss, den Langabwesenden heimzuführen
und — nach Expositionsgesängen — des Zeus Erklärung, dass
Odysseus seine Rache an den Freiern vollziehen möge; das der
Aethiopis von Achills Kampf mit Penthesileia und seinem Verhalten
dabei an ein: per aspera ad astra d.h. Achills letzte Kämpfe bis
zu seinem Tode; das der Nosten der Zorn der Athene und die
durch diesen verwirkte Entzweiung der Atreiden, welche die ver-
einzelte Heimkehr und Zerstreuung zur Folge hat; das der The-
bais die (sicher zu vermuthende) erste Abmahnung und ünglücks-
prophezeihung des Amphiaraos wegen des Vaterlluchs und der
Zeichen des Zeus (II. 4, 377. 381.); das der Epigonen der durch
Vorzeichen ermuthigte Racheplan der Söhne gegen Theben, das
sie zerstörten; das der Einnahme Oechalias nur ebenfalls der
Plan gegen Eurytos. Von der Persis des Arktinos und der Kleinen
Ilias lässt sich sagen, beide Epopöen, in welchen der Glaube
der Atreiden und die böse Ahnung des Hcklor: Einst wird kom-
men der Tag u. s. w. (4, 164. 6, 448.) in Erfüllung gingen, be-
gannen von dem Stande der Dinge, da sichs auf der Erde wie
im Olymp zur Entscheidung neigte. Die Slrafgeschicke Troias
waren ihr Motiv; diese wurden jetzt alsbald durch die Seher laut,
bei Arktinos, wie es scheint, durch Kalchas, bei Lesches durcli
Helenos, den Odysseus zum Gefangenen machte. Nachdem Troia
durch Achill seinen Hort, den Hektor, darauf auch die beiden
227
fernhergekommenen Bundesgenossen halte fallen sehn, das Grie-
chenheer aher seinen ersten Helden auch verloren halte, kommt
den Troern der letzte Helfer im Eurypylos, des Priamos Schwester-
sohn, und holen die Griechen den zweiten Achill, den Neoptole-
mos und den Piiiloklet mit seinem Bogen des Herakles, herhei.
Jener erlegt den letzten Bundesgenossen, dieser den Frevler Paris,
worauf die Troer sich ^Yieder hinter ihre Mauern ziehn und nun
die Einschliessung und das Werk der List heginnt, dessen Haupt-
träger Odysseus ist.
Ganz abweichend von allen übrigen ist das Motiv der Ky-
prien. Es hat dies Gedicht allerdings auch eines; aber ein
absonderliches, nichl wie die der idjrigen der Sage entnommenes,
sondern in ganz eigener Weise überirdisches. Es giebt hier
keine irdische Vorgeschichte, es entspringt die Ursache aus dem
Weltgedanken des Zeus, dem der Dichter aus Reflexion über
den so mörderisch gewesenen Krieg die Erregung eines solchen
als Absicht und selbsteigenen Rathschluss beilegt. Statt der Vor-
geschichte gilt hier das zur Ueberzahl und damit zum Frevel-
muth angewachsene Menschengesclileclit. Diese Gefahr abzuwen-
den, hält Zeus mit Themis, der (^ödin der Ordnung, Rath und,
wie der Fortgang des Inhalts und dei" erhaltene Anfang lehren,
bescliliessen sie einen verderbenden Krieg gegen Troia. Zu die-
sem Zweck wird die Geburt dos grössten Helden der Griechen,
des Achill, und die der schönsten Frau, der Helena, lierbeige-
führt, deren Raub die Ursache zu dem Kriege werden soll. So
sehr geht der Dichter auf die Urgründe zurück, so wie er allein
auch sein Gedicht mit: ,, Einstmals war es, da" — begann, d. h. gar
nicht an in der Sage gegebene Verhältnisse anknüpfte. Der Sage
entnahm er nur die auch in der Rias 18, 82 — 85 u. a. erwähnte
Hochzeit des Pelcus mit der Thclis, und Hess bei dieser, zu der
sich alle Götter mit Geschenken- eingefunden, durch die Göttin
des Streits, die Eris, den Streit der drei Göttinnen um den Preis
der Schönheit entstehen, ru dessen Entscheidung Zeus sie zum
Paris führen Hess. Es hat , was erst später erklärt w ird , Zeus
die Helena erzeugt und zwar nicht mit Leda, sondern mit dei-
Memesis, der Göttin des Aergernisses an aller Ucberfülle und
Ueberkraft. — Sie, die Helena, ist bereits des Mcnelaos Gatüu,
als das Urlheil des Paris geschieht. Er giebt den Vorzug der
15*
228
Aphrodite, angeregt durch ihre Zusage, ihm die Liebe der Helena
zuzuwenden. So erfolgt unter Aphrodites Mitwirkung die Fahrt
des Paris nach Lakedämon und der Raub der Helena mit vielen
Schätzen, und damit die unmittelbare Ursache des Kriegszugs.
Dieser als ein besonders verderbenreicher gefasst, und hier als
von Zeus zur Decimirung der Menschenzahl- und Kraft beschlos-
sen dargestellt, ist der Hauptgedanke des Gedichts. Es wird aber
dieser Ralhschluss des Zeus mit dem in der Ilias angekündigten
und wirkenden willkürlich verknüpft, als habe Zeus die Ent-
zweiung des Achill mit Agamemnon und seine ITnthätigkeit in
der Absicht selbst herbeigeführt, damit, nachdem die Troer vor-
her durch die Furcht vor Achill in ihre Mauern gebannt und
gelähmt gewesen, und die Griechen unter Achill in Beutelust
umhergeschweift, nun erst der Auszug der ermuthigten Troer
den vollen Krieg brächte. Nur eben bis dahin, bis zu der Stel-
lung der Heere gegen einander, da ein verderblicher und blutiger
Fortgang des Kampfes nicht ausbleiben konnte, vermochte und
wollte der Dichter das gewählte Motiv führen. Anders, als in
solcher Weise zum Weltgedanken erhoben, konnte die Grundursache
des Kriegs nicht zu einem erreichten Ziele gebracht w erden. '^^)
Wir erkennen leicht, der überlieferte Umstand, dass eben
die kyprische Göttin an der Entstehung dieses so langwierigen
und verderblichen Kriegs einen solchen Theil gehabt, er hatte
den kyprischen Dichter auf diesen seinen Stoff geführt und da-
mit auf den Anfangstheil dieser umfassenden Sage. Indem er
aber damit das Ganze des Kriegs ins Auge fasste, da der Ur-
sprung eben Ursprung des Ganzen ist, sah er das aus diesem
Ursprung Erfolgte in Sage und Dichtungen zu einer so grossen
und motivenreichen Fülle angewachsen, dass an eine Durchfüh-
rung der Ursache im populären Sinne nicht zu denken war. Das
populäre Motiv, die Kränkung des Gastrechts und damit der Atrei-
den in seiner eigenen Folge, dem Untergange Troias, darzustel-
len, war unmöglich. Und wohl mag Aristoteles bei seiner Belo-
bung der Auswahl des Homer, dass er nicht den ganzen Krieg
gedichtet, sondern nur einen ausgehobenen Theil, au den Miss-
griff des Stasinos gedacht haben.
123) Sagenp. 46—48.
229
Stasinos durch seine Landesgöttin angeregt, den Krieg in sei-
nen Anfängen zu besingen, erfasste ihn also mit einem zur Re-
flexion geneigten Geiste als Thatsache des Weltregiments. Zeus,
der diesen verderblichen Völkerkampf ausdrücklich gewollt,
musste da diejenige Wirkung erzielen, v eiche er in der älteren
Periode des Glaubens und der Poesie selbst unmittelbar übt,
welche aber später als besondere Macht gedacht und personifi-
cirt als Nemesis oder Adrasteia in Cultus und Poesie erscheint.
Sie nun, der Geist des Aergernisses an Ueberkrafl, des sittlichen
Maasses, würde wiederum nach einer einfacheren Darstellung als
Beisitzerin des Zeus erschienen sein, wie Dike öfters, wie The-
mis oder auch die Aedos, Scheu und Mitleid. Aber nicht so der
reflectirende Dichter. Er hat auch die Wachsamkeit dieses Dä-
mons nicht in populärer Form gedacht. Populär musste Zeus
mit ihr bereits begangene Ueberhebungen einzelner Frevelsinni-
ger oder ganzer übermüthiger Völker bestrafen. Hier aber war
es nicht die Strafaufsicht des Nationalglaubens,, sondern ein vor-
sorgender Wellgedanke, in welchem Zeus mit der Nemesis die
schönste Frau erzeugte, damit ihr Raub den verderblichen Krieg
hervorrufe. Diese Darstellungen sind sonst nicht weiter bekannt,
weder die Nemesis als Mutter der Helena, noch das Widerstre-
ben dieser Göttin des Maasses gegen die Gesellung in unzähligen
Verwandlungen, noch die Genealogie der Helena, nur Agorakritos,
der gewiss die Kypria kannte, gab am Fussgestell seiner Statue
der Nemesis von Rhamnus eine Darstellung, welche diese vom
Epiker gedichtete Mutter mit der der Nationalsage in einer Scene
vermittelte.'**) So ist aus der ganzen Idee von Zeus' Absicht und Ver-
fahren und von dieser Mutter der Helena die gemachte Reflexion er-
sichtlich. Einem Dichter aber, der aus eigener Reflexion von der
Nationalsage und dazu von der durch Homer ausgeprägten so wesent-
lich abweicht, ihm können wir die nirgends genauer bestimmte Le-
benszeit nicht in der Nähe Homers zutheilen. Die Verknüpfung des
Stasinos mit Homer als dessen Eidam, der von ihm die Kypria als
124) Paus. 1, 33, 7 u. 8. Kichl wie Preller Gr. 31. 1, 74., eher wie
Welcker Cycl. il. 132, welcher nur anniminl, Stasinos habe bei meiner
Neuerung zur Erzählung vom Widerstreben der Nemesis die Sage von
den Verwandlungen benutzt, durch welche Thetis sich dem Peleus zu
enlzielien suchte.
_ 230
Mitgift überkommen, hat in keiner andern Weise eine geschichtliche
Bedeutung, als dass sie Bekanntschaft mit der Ilias und Bhapsodie
auf Kypros bezeugt. Ebenso^venig lässt die Angabe des Aelian
erkennen, wie viel und wie Pindar von dieser kyprischen
Sage gesprochen habe.'^^) Die gesammte Inhaltsangabe aber ent-
hält Nichts, was nicht recht wohl von einem Zeitgenossen des
Agias oder auch des Lesches konmien könnte.
Bei diesem ganz unpopulären Grundgedanken that Stasinos
das Mögliche, ihn populär auszuführen. Der Ralhschluss des Zeus,
dem er zuletzt den am Anfang der Ilias, freilich auch willkürlich,
anpasste, wurde als vielfach gehemmt, aber doch in soweit er-
reicht geschildert, als er aus der verwandelten Volkssage jene
zwiefache Fahrt nach der asiatischen Küste und anderes Neue
des Volksglaubens aufnahm. Den Beifall, welchen die Poesie vom
Zorn sich erworben, verwerthete er für die seinige in der Weise,
dass er seine Epopöe zur reicheren Auslegerin aller in der Ilias
berührten Umstände und Personen machte, welche die Anfangs-
zeit des Kriegs bilden. Beides, jene Erweiterung der Volkssage
und diese Ausführung des in der Ilias Angedeuteten, hatte die
fast unausbleibliche Wirkung, dass der Dichter, als gälte es nur
Einzelvorträge, eine bunte Reihe einzelner Akte an einander rei-
hele, nicht ohne Uebergänge von einem zum andern, aber in ge-
mächlicher Breite der einzelnen. Daher denn der Tadel des
Aristoteles hier besonders wohl begründet war. Aber auf den ge-
wöhnlichen Zuhörer übte nicht blos die auch uns noch in den Ueber-
resten erkennbare, lebensvolle Darstellung, sondern gerade auch
der Sagenreiclithum so viel Reiz aus, dass das Wohlgefallen uns
begreiflich wird, das die Kypria scheinen genossen zu haben.
20. Genauere Charakteristik der zwei Epopöen des
Arktinos und der Kleinen Ilias des Lesches.
Es wird überhaupt ein richtiges Urtheil über diese andern
Epopöendichter sich nicht anders gewinnen lassen, als wenn man
einen Jeden derselben für sich in seiner Eigenthündichkeit be-
trachtet. Wenn auch nicht gleichmässig bei ihnen allen, und
125) Aelian Vcrm. Gesch. IX, ]5. Bernhardy Gr. Lilt. II, 1. 207 f. Auf
PLndiir bei Aehan ist kein Verlass u, s. w.
231
nicht bei Jedem in allen Punkten, so vermögen >vir sie doch
nach dem Gehalte, dem Reichthum, der Bildsamkeit des gewähl-
ten StoH's, nach sprechenden Beispielen ihrer Darstellungsweise,
nach Zeichen ihrer subjectiven Stinmiung mehrfach zu unter-
scheiden. Wir überzeugen ims, dass ihnen Nichts als die epi-
sche Galtung nach dem Vorbilde Homers und andrerseits >yandel
der Sage in einzelnen Punkten gemeinsam war. Es wird dies
bei der Charakteristik der Einzelnen deutlich hervortreten."®)
A. Aethiopis. Der dem Homer der Zeit nach Nächste, '^^)
Arktinos von Milet, ist mit seiner Aethiopis nach seinem StolT,
an dessen glückhcher Wahl und den darin liegenden Motiven,
dem Homer unter allen Epopöendichtern der troischen Sage am
nächsten verwandt. Diese Epopöe hätte Achilleis benannt werden
können, denn den Achill hat sie zur Hauptperson im vollsten
Sinne; der Dichter wählte aber den Namen, welcher vom Kampf
mit dem Aethiopenfürsten Memnon und damit der besonders
kennzeichnenden Partie entnommen war. Die Handlung giebt aus
der troischen Sage zu Ilias und Odyssee das einzige übrige Bei-
spiel der vollkommensten Einheitlichkeit wie sie erwirkt wird,
wenn der Gang derselben in der Entwickelung des obherrschen-
den Gedankens zugleich als Geschichte einer und derselben Per-
son verläuft. Zum Beweise dient auch, dass Aeschylos alle drei
Akte einer Trilogie wie aus Ilias und Odyssee allein noch aus
der Aethiopis bilden konnte und gebildet hat.'^*^)
Den Gang der Aethiopis giebt uns der von ihr als Theil des
epischen Cyclus aus Proklos überlieferte Inhalt in so weit voU-
ständigan, als nur am Ende der Selbstmord des Aias fehlt, den
der Scholiast des Piudar bezeugt (zu Isthm. 4, 58 Bckh.'^^), und
12ü) Wie irrig diese Dichter noch jetzt aufgefasst werden können, er-
sieht iiuin aus Philol. V. 3. 430 — 438. und aus den gewaltsamen Er-
gän/Aingen der Noslea in Phil. Vlll. 54 ff. Und selbst in der verdienst-
lichen iiislüiia critica vor der 4. Touliii. Ausg. des Homer lieisst es Diss.
11. j». 26., diese Cyclikcr genannten Dichter hätten supplcmenla der Ilias
und Odyssee gcyehcn, was ihr Vcrliiiltniss augensclieiidicli entstellt.
127) Seine ßlüllie setzt Uicronynuis Ol. 4. BcMidiardy Gr. Litt. II, 1.
210. Genauer Sengehusch IS'. Jahrb. f. Philol. B. LXVII. 4. S. 40. Arktinos*
Blülhenzcil Ol. 1, 2=: 775 v. Chr. G. Lesches' Ol. 30, 3 = 058.
128) Sagenp. 405 und 610 IT. hcs. 618— 620 ff.
_ 232
dein die Eestaltiiiig nachfolgen miissle. Ist dieser Inhalt in sei-
nen Einzelheiten aufs Aeusserste karg und wahrscheinlich von
Photius epitomirt, so gestatten theils der spätere Epiker Quintus,
theils Aeschylos und Pindar, theils aus Arktinos herzuleitende
Kunstwerke ^^") so viel Ergänzung, dass wir, zumal da die vorho-
merische Sagengestalt auch erkennhar ist, ein deutliches Bild von
dieser Poesie und ihrem an Motiven des Gemiiths überaus reichen
Verlauf gewinnen. So hat der Hersteller der Geschichte der
Epopöe diese Poesie schon gezeichnet, dessen Angaben nur einige
Berichtigung oder BeschränWmg verlangen.'^') Die beseelenden
Motive, die in engster Verkettung der Epopöe die ausgezeichnete
Einheit geben, wird der Leser des Folgenden ohne vorherige
Zusammenstellung schon selbst wahrnehmen. Die Gleichheit der
Charaktere des Achill, des Odysseus, des Thersites, des xVias mit
der Schilderung Homers ist sehr deutlich, in gewissem Sinne'
auch die der wirkenden Motive, da der Tod des so zu sagen
zweiten Patroklos, des Antilochos, hier dem des Patroklos ähn-
lich erfolgt und wirkt. Daneben aber sehn wir dem Achill
neue und sehr eigenlhttmliche Gegner gegenüber in der Amazone
und dem Aethiopenfürsten , und zwar in ganz eigenthümlichen
Situationen.
Es ist die Zeit nach Hektors Tod und Bestattung, die Troer
sind vor dem schrecklichen Achill wieder in ihre Mauern geflohen
und in Bangigkeit, als stehe die Stadt schon in Brand (Quint. 1,
3 f. 16 f.), da „kommt die Amazone P'enthesileia , Tochter des
Ares, Thrakerin von Geschlecht, den Troern zu Hilfe.'^^) Die
Beschreibung ihrer Erscheinung und ihres Empfanges bei Pria-
129) '0 yag tr/v Al&i07iiöcc yqccfpav nfQi xov oq&qov (pr^öl rov
Al'avTCi iavTov dviXnv.
130) Overbcck Gallcrie heroischer Bildwerke. Braunsclnv. 1853.
S. 492, 497 fr. Derselbe in Zeitschr. f. Altcrlh. 1850. Nr. 37 — 39.
Achilleus und Penlliesilcia.
131) Welcker Cycl. II. 170— 172 f. und darüber Sagenp. 618 f.
132) Die im Schol. zum Schluss der Ilias angeführten zwei Verse,
durch welche die Ankunft der Amazone unmittelbar an die Bestattung des'
Hektor angefügt wird, können nur dem Gefüge des episclien Cyclus bei-
gemessen werden. Sagenp. 40 f. Bernhardy Gr. Litt. II, 1. 210. .Müller
1. 113. Overbeck Galleric heroisch. Bildwerke 493: „nur dannl verträgt
sich die ganze unepische Dürre, mit der nur die Amazone, nicht Pcnthe-
sileia namentlich e^enannt wird".
233
mos niusste hier gegeben sein. Bei Quinlus begleiten sie z^völf
andere streitbare Amazonen, ihre Dienerinnen (33fr.), zwischen
denen sie glänzend hervorragt. Ihrer vermessenen Zusage, dass
sie dem Achill das Garaus machen werde, entgegnet Andromache
mit Mahnung an dessen Sieg über Ilektor, was Quintus wohl aus
Aeschylos nahm. Am Morgen führt sie au Hektors Stelle das
Heer der Troer und hat, wie der Inhalt sie als sieghaft kämpfend
[aQiörevovöciv) bezeichnet, eine Reihe kriechen niedergestreckt
— nach mehren Andern den Podarkes (auf der ilischen Tafel)
— als ihr Achill entgegentritt und sie im Speerkampf tödtet.
Dieser Kampf, da Penthesileia zuerst tödtlich verwundet und,
wie es scheint, in die Knie gesunken, durch ein flehendes Wort
ihn rührt, dass er sie emporhebt und, als sie aushaucht, sie mit
Theilnahme betrachtet, er ist durch eine Folge von Kunstbil-
dern dargestellt, welche die einzelnen Momente geben.'^^) >Vas
der trockne Inhalt hier folgen lässt: „Die Troer bestatten die
Penthesileia", zeigt als seine Bedingung, dass der Sieger die
Leiche den Troern überlassen hat. Ob dies geschehn in dem
Augenblicke, als Achill von der schönen Leiche eben nur nach
den Troern hinsah oder nachdem troische Helden zu ihrer Rettung
heranslürmten , müssen wir unentschieden lassen. Als Achill
diese Schonung bewiesen hatte, da erfolgte von Seiten des Ther-
sites, des aus II. 2, 212 — 220. bekannten Schmähers gerade
auch des Achill, und von Seiten des wie ehedem zornmüthigen
Achill, was der Inhalt sagt: Und Achill erschlägt den Thersites,
gelästert von ihm und mit Vorwürfen belegt wegen der Liebe
zur Penthesileia, von der man sprach. Eine Angabe besagt hier-
bei: „Thersites habe der Leiche der Penthesileia mit seiner Lanze
in das Auge gestochen, Achill ihn darauf mit der Faust nieder-
geschlagen (Schob zu S. Philoktet. 445.). Der Faustschlag ward
nur durch die Heftigkeit zum Todtschlag. Uebcr den Todtschlag
des Thersites (immer eines SlammgenossenJ entsteht Parteiung
bei den Achäern". Die Meisten mochten ihn gut heissen wie
ehedem die Züchtigung, II. 2, 272 — 277 ; nicht so Diomedes. Als
Vetter des Thersites und als der, der schon in der Ilias zu
Achill eher nebenbuhlerisLh als befreundet stellt,''^') wallt er hef-
133) Overbeok Z. f. A. 50. S. 201 ff.
134) II. 9, G91— 702.
234
lig auf (nach Ouintus 1, 767 ff.). Der Mord eines Slammgenossen
heischte nach dem Clauhen jedenfalls religiöse Sühne. Wie immer
trat Odysseus vermittelnd ein und hewog den Achill zu dem, uas
der karge Inhalt als Folge des Todlschlags und der iiher densel-
ben entstandenen Parteiung anreihet: darauf schifft Achill nach
Lesbos und wird, nachdem er dem Apollon, der Artemis und der
Leto geopfert hat, Mcgen des Mordes von Odysseus gereinigt.
Achill mag die Sühne "«egen des so verächtlichen Menschen an-
fangs unnöthig gefunden und sich gesträubt haben, ihretwegen
vom Kampfplatze zu gehen.
Dies war der erste Akt der epischen Handlung. Der Ueber-
gang und das Verhältniss zum zweiten, dem Auftreten des Aethio-
penfürsten Memnon und Kampf Achills mit diesem, bedarf der
Auslegung. Im Inhalt fehlt die Angabc von dem Zeitpunkt, da
Achill zurückgekehrt sei, er besagt nur: „Menmon al)er, der Eos
Sohn, angethan mit voller Waffenrüslung von Ilephästos Arbeit,
kounnl nun herbei den Troern zu helfen, und Thetis verkündet
ihrem Sohne die Zukunft in Bezug auf Memnon; und, als es zum
Ti'elfen kounnl wird Antilochos von Mennu)n erlegt. Darauf töd-
tet Achill den Memnon". Zur Ergänzung des hier F'ehlenden oder
zu dunkel Gesagten nehmen wir hier an: da Achill in Folge sei-
ner Heftigkeit nach Lesbos gegangen ^\ar, mag er beim Eintref-
fen des Memnon noch abwesend gewesen sein, und Thetis ihn
doit von dessen Ankunft unterrichtet haben, doch nicht nur wie
eine Botin Iris (II, 3, 121), sondern als Göttin Mutter mit Mah-
nung an sein frühes Todesloos. Wäre Achill schon im Lager
gewesen, als Memnon mit den Seinen die Troer zum Kampf
führte, dann wäre Jener ihm wohl alsbald unmittelbar entgegen
getreten. Es kommt dazu, dass bei seinem Zusammentreffen mit
Memnon nach ehiem Bilde auf dem Kasten des Kvpselos (Paus.
5, 19, 1) und andern Kunstwerken*^^) die Mütter den Söhnen bei-
standen. Wir deuten mm weiter: Menmon, während Achill noch
fern war, zugleich mit Paris Nordringeiid, stiess zuerst auf die Py-
lier; da geschah, was Pindar (Pylh. 6, 3011.) nach Arktinos fei-
ert: Indem Nestor zu seinem W'agen geeilt ist, wird ein Pferd
von Paris Pfeil verwundet scheu ; so bedroht von dem gewaltigen
135) Ovcrbeck Gallone 514 f. bis 530 f.
235
Meninon, ruft Nestor nach seinem Sohn Antilochos, der steht für
den Vater ein, und wird im Kampf für dessen Lehen fallend das
iMusterhild der Kindestreue (Find, und Xenophon von der Jagd
1, 14). Antilochos war dem Achill der Liehste nach Patroklos
(Od. 24, 78. II. 17, G53. Ü91. Od. 11. 467 f. und m. Anm.); dieser
Tod ist daher hier für Achill ein ähnlicher Antrieb zur Rache
wie der des Patroklos in der Ilias. Nach mehren Kunstbildern
kämpfte Achill mit Mcmnon um die Leiche des Antilochos, in
andern febU dieser Gegenstand. '^^) Der Kampf war heiss und
schwankte lange, die göttlichen Mütter standen nach vielen jener
Bilder den Söhnen eifrig zur Seile. In der Trilogie, welche
Aescbylos nach der Aethiopis dichtete, fleheten die Mütter vor
Zeus um das Leben ihrer Söhne und wog Zeus (vielleicht nach
Arktinos) deren Lebensloose. (Sagenp. 621 f.) Aber Achill siegte,
des Antilochos Leichnam verblieb den Griechen (auf einem Kunst-
bilde ninnnt Nestor ihn auf seinen Wagen). In einer hier eintre-
tenden olympischen Scene erbat Eos ibrem Memnon von Zeus die
Unsterblichkeit, und dieser gab sie ihm, d. h. die sonst tödllicbe
Wunde wurde durch des Zeus Wunderwirkung unschädlich ge-
macht, und Eos entraffte den Leib ihres Sohnes und brachte ihn
an einen Ort, wo er nun als Heros waltete."') Nach dem Siege
über 3Iemnon und der damit erwirkten Flucht der Troer stürmt
Achill gegen die Stadt hin und dringt bis. in das skäische Thor ;
da fällt er, wie ihm der sterbende Ilektor, II. 22, 359 f., prophe-
zeit hatte, durch des Paris von Apollon gelenkten Pfeil. Um den
Leib des Gefallenen erhebt sich — nach der Aethiopis wie nach
den vorhomerischen Liedern — ein heftiger Kampf und dauert
136) 0. Jahn Archäol. Aufs. S. 11. Ovorbcck Galleric 517 fl". Ouinliis
hat diese ganze P.irlie der Sage waliiliall vcrliimzl. IJei ilim ist der Todl-
scldag des Tjiersilcs Allen el)Cu recht, die Siihnung und der Weggang
des Achill vom Schlachlfelde liiidel gar nicht statt. Oh er gleich nicht un-
geschickt den Seher l*ulytlanias jetzt Aehnliches rathen lässt, wie 11.7.347 f.
Antenor spricht, und ehenso den Paris gegen ihn sprechen liisst, die
Schilderung des darauffolgenden Kampfes ist voll Unvvahrscheinlichkeiten,
da Achill erst, nachdem Memnon schon eine Menge getödlet und auch den
Antilochos erlegt hat, von Nestor, 2, 38811'., aufgerufen wird. Jenem ent-
gegen zu treten.
137) Uehcr diesen Glauben s. Anm. zu Odyss. Th. 3. S. 343 f. Die
Kunstbildcr hei Overheck 526 — 530.
236
den ganzen Tag (Od. 5, 309—311, 24, 37—41), bis, während Odys-
seus die Troer abwehrte und ihren Geschossen standhielt, Aias,
der Telamonier, die Leiche auf die Schuller nimmt und sie zum
Schiffslager trägt.""*) Die Ankunft der Leiche des ersten Helden
im Lager scheint auch Arktinos in einer besonders bewegten
Scene geschildert zu haben, — bei Quintus 3, 435 ff. 435 des
Aias, des Phönix, des Agamemnon Klagreden und vollends die
Trauer der Briseis wie sie bei Properz 2, 8, 9 ff. im offenbar all-
gemein bekannten Bilde den Todten umfängt und mit den hef-
tigsten Geberden beweint. Auch Kunstbilder lassen sie erkennen.
Es gab nun zwei Todte zu bestatten, Antilochos und Achill,
und nach dieses Bestimmung in II. 23, 91. 243 f. bargen nach-
mals die Griechen die drei Freunde unter Einem Hügel in zwei
Urnen, deren eine Achills und Patroklos Gebeine enthielt, die
andere die des Antilochos: Od. 24, 76 — 80. Von den beiden
Bestattungen musste aber Arktinos eine nach der andern erzählen,
und die des Achill gab einen viel reicheren Akt. Der Inhalt sagt
mit troknen AYorten: „Darauf begraben sie den Antilochos".
Allerdings konnte die Scene der Trauer um diesen, welche den
noch lebenden Achill umfasst (Overb. 531.), nicht nach der
Aethiopis gebildet sein. Die Aufeinanderfolge der drei Ereig-
nisse, Erlegung des Memnon, Vertreibung der Troer, beim Vor-
dringen, Fall des Achill giebt keinen Raum dazu. Es konnte
hier Todtcnklage und Verbrennung des Antilochos eben erst vor
der grossartigen Bestattung Achills erzählt sein. Es lautet gleich
weiter: und sie stellen den Leichnam des Achill aus'^^) und
138) Die Kunslbilder hiervon bei Overb. 547 f. Aristarch urthcille zu
11. 17, 719: „Hätte Homer den Tod des Achill beschrieben, würde er dem
Aias nicht die Leiche fortzutragen gegeben haben" — sondern ihn eben
gegen die Troer haben Stand hallen lassen. Wie wir finden werden, er-
zählte Lcsches den Hergang ebenso wie Arktinos, aber mit Spült. Quin-
tus vermeidet solche Unterscheidung des Verdienstes um die Relliing der
Leiche. 3, 217 — 295 ist Aias der Vorkämiifer im Kampfe für dieselbe.
Darauf folgt, 296 — 321, eine kürzere Reihe von Erfolgen des Odysseus.
330 kehrt die Erzählung zu den Thaten des Aias zurück bis 357. Die Troer,
in die Flucht geschlagen, verlassen die Leiche. Sie ist nachher im Zelle.
139) Der Leichnam (ust gewaschen — bei Properz von Briseis —
s^ine Wunden mit Salben bestrichen, so auf Betten gelegt; so die Leiche
des Patroklos, 11. 18, 350 — 353. Die Sille dieser Ausstellung Welcker Cycl.
II, 176 und Wachsmuth Hell. All. 11. 428 f. 2. A.
237
Tlietis, mit den Musen und ihren Schwestern herbeigekommen,
stimmt den Klaggesang um ihren Sohn an — wie Od. 24, 55.
58 — 61 und wie mit Ilektor II. 24, 720(1. ähnlich geschieht. —
Was sich anschliesst: „und hiernach T'ntralTt Thetis ihren Sohn
vom Scheiterhaufen und bringt ihn nach der Insel Lenke",**) es
war der Akt der Apotheose und diese musste Zeus, wie die des
Memnon, bewilligt haben; dies wahrscheinlich schon bei jener Ver-
handlung der beiden Göttinnen vor Zeus um ihrer Söhne Leben."')
„Die Achäer aber schütten einen Grabhügel auf, und stellen einen
Wettkampf an". Hier trat also die Schilderung der Leichenspiele
zu Ehren des Achill ein, zu der Arktinos an der homerischen
(II. 23) ein lebensvolles Muster hatte. Wie der Inhalt sich mit
der Angabe: ,,sie stellten einen Wettkampf an" — begnügt, so
hat er das Bedeutende von Thetis unerwähnt gelassen, was erst
den darauf folgenden Streit des Aias und Odysseus um die eige-
nen Waffen Achills im Zusammenhang verständlich macht. Das
Fehlende zeigen uns die Stellen Od. 24, 85 — 91. und 11, 543
bis 547. und dazu Ouinlus 4, 103 — 117. u.a., besonders aber
5, 121-127, wo Thetis spricht:
Jetzt (leim sind auf der Bahn ja alle die Kämpfe vollbracht schon,
Die ich zu Ehren des Sohns aus trauerndem Ilerzen geordnet.
Auf nun , wer da gerettet den Leib und der hoste Achäer,
Dass ich die prächtigen Wallen, die j^ollheitvollen, zur Rüstung
Ihm darreich'! Unsterhlichen auch ein gcfalh-nder Anbhck.
Also, als die Wettkämpfe um Preise vorüber waren, bestimmte
Thetis die Waffen ihres Sohnes dem um die Rettung seines
Leibes sammt der Rüstung V'erdienlesicn, den sie damit als den
besten der Achäer bezeichnete. Es konnten nur Odysseus und
Aias mit dem Anspruch auf Verdienst und Lohn hervortreten,
so wie der wortkarge Inhalt sagt: und über Achills Waffen tritt
zwischen Odysseus und Aias Streit ein. Von ihnen wurde der-
selbe als Rechtsstreit mittels Reden über ihr Verdienst geführt,
140) S. oben Buch 1 Anm. 20 und Anm. 24 über Achill als Heros
Milets und seiner Colonicen.
141) Einstimmend in so weit aucli Pindar Ol. 11, 79: ..Aueli brachte
den Pcleiden, als Zeus' (iemülb sie (hirrli Bitt" erweicht, che Mutter (nach
dem (Jolihle der Seligen)". Es pllegt überhaupt die Erhebung zum Heros
von der Scbutzgöttin bei Zeus erwirkt zu werden.
238
wie Oilysseus, Od. 11, 54G., sagt, er habe den Sieg recbtend mit
ihm [ÖLxa^o^svog) gewonnen. Elten in diesen ihren Reden
gewann Odysseus mit seiner gewandten Beredtsamkeil dem zu
vielen Worten weder willigen noch geschickten Aias den Vor-
zug ah. In jeder Sagengestalt ward Aias diu'ch die Entschei-
dung für Odysseus gekränkt"^) und in jeder wurde auf Nestors
Rath die Stimme der Feinde abgehört, nach der einen gefange-
ner Troer, nach der andern troischer Mädchen, welche von
abgesandten Lauschern unter der Stadtmauer behorcht wurden.
Die letztere Form war die Erfindung des Lesches, die erstcre
giebt Quintus als Nestors Rath, 5, IGl f., nur dürfte es unge-
schickte Ausführung sein, wenn er die Gefangenen förmlich ein
Gericht bilden lässt, vor denen nun Aias und Odysseus ihre
Thaten gegen einander abmessen und Aias kaum unberedter als
Jener eifert. Die einfachere und dem Verhältniss angemessenere
Form berichtet der Scbol. zu Od. 11, 547. Agamemnon habe,
um dem Schein der Parteilichkeit zu entgehn, herbeigeführte Ge-
fangene befragt, von welchem jener beiden Helden sie mehr
Leid erlitten, und da si(! den Odysseus genannt, diesem die
Waflcn zugetheilt.'") Dies war unstreitig des Arktinos Darstellung:
Vor Agamemnon und andern Fürsten sprachen erst die beiden Hel-
den, Jeder in seiner Weise, dann geschah die Befragung und erfolgte
der Entscheid. Bei diesem erkannte der Arzt Podaleirios schon
,,des zürnenden Telamoniden blitzende Augen zugleich und den
tiefempörlen Gedanken" (Welcker 2, 178.), welcher hinzufügt:
„Von Wahnsinn des Aias über den Verlust der Wafl'en ist nicht
142) Aias in aller Sage ein Beispiel eines (hircli ungcrcclilcs Gericht
Vorurtlieilten, Pindar mit unmillclbarcni Bezug Nein. 7, 20 — 2(5. Dann in
Piatons Apologie 41 B. wird Aias mit Palaniedes als Beispiel solcher
genannt.
143) Das Versländniss des homerischen Verses von der Entscheidung:
„Troias Kinder entscliictlen den Streit und Pallas Athene", lässt es
zweifelhaft, ob Töchter oder Söhne (die Gefangenen) gemeint sind, und
sofern der Ausdruck naiSeg immer leichter auf Mädchen gedeutet wird
als auf Söhne, auch hei jener Befragung der Gefangenen der Anlheil der
Athene minder naliirlicli als seelische Einwirkung gedacht werden kann
als in der Scenc des Lesches, so mag Arislarch wohl den Vers mit Grund
als unecht verworfen haben, eben weil er des Lesches Darslellung darin
fand, und diese dazu in unepis(;li dunkler Zusaiiiinonreiiiung dei' Göttin
mit den zu errathendeu Menschen.
239
die Rede". Es war wiederum Lesclies erst, der in seinem
inelirbethätigten Streben, den Aias gegen den Odysseus herabzu-
setzen, das Gefühl der Kränkung zum Wahnsinn gesteigert dar-
stellte. Der tiefernste Arktinos nicht so: das zornige Gefühl
der Kränkung und Aergerniss an den Genossen war es, was
den immer „Nächsten nach Achill" trieb, sich das Schwert in
die ßrust zu stossen.'^^) „In der Morgendämmerung, sagt der
Dichter der Aethiopis, habe Aias sich getödtet" Schol. zu Find.
Isth. 4, 35 — 58."^) Dass die Bestattung des so Gefallenen, welche
den Schluss der Epopöe gebildet haben wird, eine ehrenvolle
war, nehmen wir mit allem Grund an. Odysseus wird nicht
erst hei der Begegnung in Od. 1 1 , 548 ff. diese Folge seines
Sieges bedauert haben, und des Grabes gedenkt Nestor Od. 3,
109. Lesches nur entstellte auch die Bestattung des Aias.
So das inhaltreiche Gedicht mit seinen eng aneinander gekette-
ten vier Partieen, welche sämmtlich an Achill als der Hauptper-
son haften. Die erste , der Kampf mit Pentbesileia , die nach
Welckers feiner Deutung selbst eine Liebesregung gegen ihren
Sieger äussert, wird durch den Todtschlag des Spötters Thersites und
den Sühngang nach Lesbos mit der zweiten verknüpft, der vom
Kampfe mit Menmon. Bei der Rückkehr von Leshos findet Achill
den Memnon bereits siegreich' vorgedrungen und seinen Antilo-
chos so eben von ihm entseelt daliegeiT. Um des Freundes Leiche
hat er mit Memnon einen schweren Kampf und der Mutter Mah-
nung an sein kurzes Lebensloos hält ihn jetzt so wenig vom
Rachekampfe zurück, als vordem nach des Patroklos Fall (II.
18, 114 ff.), und Zeus gewährt ihm den Sieg. An diesen Erfolg
des zweiten Hauptakts schloss sich der dritte, vom Tode Achills,
in Einem Zuge an. Denn wenn nach dem Inhalt auch zunächst
nacji Memnons Fall die Bitte der Eos bei Zeus und ihre Ent-
rückung des Sohns erzählt war, das Weitere von Achill aid' dem
144) Aeschylos in dem Miltelslück seiner Aiaslrilogio liess niohlen,
Aias habe sich an der einzigen verwundbaren Stelle, unter der Aclisel,
das Schwert in die Brust gcslossen; Kr. 78 Nck. 83 Ilrin. Doili ebenso
die ilisclie Tafel Nr. 00. Overli. Galleiie 5G7.
145) Pindar, der durt und noch an zwei Stellen, Noui. 7, 25 f. und
8, 23, der Sache gedenkt, ist beredt liber das dem Aias geschelieue Un-
recht, ilber des Odysseus schlaue Ueberredungskunsl und üImt den \'ur-
wurf, den das ganze Heer verwirkt.
240
Schlaclitfelde war gewiss, dass er zugleich mit dein gewonnenen
Siege die Troer nach der Stadt getriehen und so am skäischen
Thor gefallen sei. Derselhe dritte Akt umfasste den langen Kampf
für die Rettung der Leiche, nach diesem erst die Bestattung des
Anlilochos, die Todtenklage um Achill, seine Entführung als He-
ros nach Leuke durch Thetis, und die Leichenspiele von dersel-
hen angestellt. Wiederum in engem Anschluss folgte nun noch
als vierter Haupttheil das Waffengericht und des Aias Selhstmord
nehst seiner Bestattung. Dieselbe Göttin Mutter, welche den
Kämpfern der Leichenspiele die Preise ertheilt halte, sie fügte
zur grössten Verherrlichung des Achill die Bestimmung über
seine Waffen hinzu, und es erfolgte daher der Streit um diese
„als Gipfel der Ehrenkämpfe nach seinem Tode", (Dass Thetis
die Preise ertheilt habe, sagt schon die ältere Erzählung und die
Zusage der Waffen des Sohns schliesst sich natürlich an die
Preisvertheilung an.) Wie zu diesem Streit nur Aias und Odys-
seus in die Schranken treten konnten, der Gedanke aber einer
Theilung der Waffenstücke als kleinlich ganz fern lag, so musste
eine Entscheidung folgen. Wenn diese zwischen dem Helden
des drastischen Geistes und dem nach Achill nächst grössten des
tapfern Muthes für jenen stimmte, der zurückgesetzte aber im
Gefühl der Kränkung sich den Tod gab; so wies auch diese
eng verknüpfte Folge auf Achill zurück als tragische Nachwirkung
vom Fall des Gewaltigen.'*") Die ehrende Bestattung, welche wir
hier als sich von selbst verstehend annehmen, da das Gegentheil
bei Lesches durch ganz entgegengesetzte Darstellung des Selbst-
mords bedingt ist, die Bestattung gab einen Schluss, in welchem
das gerade durch den Selbstmord bei den Fürsten wachgerufene
Andenken an Aias Grösse und Verdienst sich zur gerülirten Mah-
nung an Natur und Loos der sterblichen Älenschen artete.
Eben dies war der nach der echten Sage natürliche Ausgang
der Epopöe. Aber er ist auch dem individueUen Geist und Sinn
des Arktinos ganz entsprechend. Blicken wir nur auf die andere
146) Overl). Gallcrie 502: ,,In ilicscm Sinne auf Achilleus noch ein-
mal zuiückweiscnil, seine Herrlichkeit noch einmal hervorhebend , fassle
Arktinos den Walfcnstreit, und scldoss mit ihm sein Aethiopis — Achilleis,
kurz die untrennbar verltundcne Folge des WatTengcrichts , Aias' Tod an-
liif^ond". Anders Wclokor Cycl. II. 234.
241
Epopöe desselben Dicliters mit den ihr eigentliümlichen Zeichen
des Laokoon nnd Auszug des Aeneas und besonders auf ihren
Schhisstheil, da die Persis in die ungliicldiche Heimkehr der Sie-
ger ausging. Ueberall ist derselbe tiefernste Diclitergeist zu
erkennen, der die waltenden Gescliicke zumeist beachtet und die
Menschennatnr in ihrer Mischung von Kraft und Leidenschaft
unter der Führung der Gölter darstellt. Dieser Sinn offenbart
sich noch deutlicher in dem Unterschied, ^velcher sich in der
Gestaltung der Sage von der Eroberung Troias zwischen Arklinos
und Lesches ergiebt. Lesches gab in seiner Kleinen Ilias eine
„Aristeia des Odysseus" ; er strebte, den Odysseus vollends als
Eroberer Troias darzustellen.'^') So war es bei ihm das Verdienst
des Menschen Odysseus, dem die Eroberung gelang, der ältere
Dichter dagegen hatte die Erfüllung der von den Göttern be-
stimmten Geschicke Troias zum obherrschenden Gedanken gehabt
Denn obgleich nach und mit dem Waffengericht die Wendung
eintritt, da der Krieg nach dem Falle der mächtigsten Helden auf
beiden Seiten aus einem Kampfe der Kraft zum Werke der List
ward, und so nach Achills und Aias Tode mit einem Uebergange,
der die Troer nöthigt, sich ganz hinter ihre Mauern zu bergen,
der Held und Meisler der Listen und seine Göttin zur Wirksamkeit
kamen; so war die Einnahme der Stadt und Bewältigung des
Reichs doch wesentlich ein götiliches Strafgericht. Diesen Charak-
ter wahrte Arklinos der Sage mehr als Lesches, der seinem Helden
sogar die göttlichen Geschicke nahezu selbst in die Hand gab,
wie wir sehn werden.
21. Die E i n b e i t li eil k e i t der beiden Epopöen v' o n
Troias Zerstörung, Ihr Verbal tniss zu einander.
Indem nun an die Charakteristik der Aelbiopis die der zwei-
147) Overbeck fährt a. a. 0. so fort mit Anerkennung dos Lc-scbes:
„Andrerseits aher beginnt nach tieni VVjiircngcricIit eine Zeil im Kriege
gegen llion, in der nach Acliilleus und Ai;isTodc, Odysseus, Loselies'
Held, n)il klugem RaUi und energischen Wagnissen eine erfolgreichere
Tliätigkeit entfaltet, als die der grösseren Todlen gewesen war. Die
Kleine Ilias isl eine Aristeia des Odysseus , und an der Spilze seines Ge-
dichts, seiner andern Odysseia , stellt der Epiker seines Heiden Sieg ülter
den gewaltigen Gegner, stelll er das WalTengericIit als eben so natür-
lichen Anfang, wie dasselbe unter anderer Betonung ein nalürlicliei'
Schluss der Aelhiopis war".
Nilzsch, Gesell, d. grierti. Epos. 16
242
teil Epopöe des Arkliiios anzufügen ist, ergiebt sich deren Stoff
als für einheitliche Dichtung minder günstig oder als anders ge-
artet. Es giebt neben derjenigen Einlieitliclikeit epischer Stoffe,
wo die Handlung als Geschichte einer Person das concentrirtere
Interesse"") geA\ährt, also neben der zugleich persönlichen, und
damit allerdings voUkommneren eine andere. Sie empfiehlt sich
wiederum durch Grossartigkeit und Tiefe vor jener. Es ist die
Einheit einer obherrschenden Idee, die eines Weltgedankens, wel-
cher den Stoff beseelt, und, vom Dichter alsbald hervorgehoben,
durch eine Reihe von Ereignissen sein Ziel erreicht. Wenn die
Grundmotive der griechischen Epopöen theils menschliche, theils
göttliche sind, so gestalten sich die göttlichen theils als unmittel-
bare Wirkungen, wie in den Nosten Athene's Zorn waltet, theils
als Vorbeslimmungen, deren Verkünder oder auch fortwährende
Träger die Seher waren. Fortwährender Träger war in eigener
Weise Amphiaraos, der Krieger und Seher zugleich in der Thebais,
Verkünder traten in den beiden Gedichten von Troias Einnahme
auf, bei Arklinos Kalchas, bei Lesches Ilelenos. Das war also
die im Glauben an Vorbestimmungen und Prophetenthum gege-
bene Weise, in der das Motiv des Frevels am Gastrecht, welches
die ganze troische Sage beherrscht, auf diese vierte, die Schhiss-
partie des Kriegs, wie von selbst fortrückt.
Dieses ganz und gar verschiedene Grundmotiv der Persis
trennt sie auf das Sichtlichste von der Aethiopis. Fud wie nir-
gends ein beide Gedichte umfassender Titel verlautet, so kann am
wenigsten Troias Untergang als Sühne für den Tod des Achill an-
gesehn worden sein, noch als Fortwirkung derselben am Hause des
Priamos."*) Achill war dem Arktinos ein grosser, aber in eben dem
Maasse ein tragischer Mensch. Er hat nach der Epopöe, welche
den grössten Helden nach seiner menschlichen Natur schilderte
und ihn als milesischen Heros feierte, diese andere von dem sich
«■rfüllenden Geschick Troias in gleich ernst tragischem Sinne
hinzugethan.
Die Verkündigung der Schicksalsbestimmungen jiab, wenn
148) Wclcker Cycl. II. (]H. Anni. verweist niif Arist.sl. Pidl.I. Will. 9.
14'.») Ihncli (lit'scii iinklaicii (uHJ.iiikcii lioeiiili;i(lilif:!le Welckcr seine
grosse Leistung, (>ycl. II. 229, und treiliili i^ciiide ülier Aiklinds können
wir ihm öfters nicht heislininion.
243
wir die in der Ilias gegebenen Anzeichen befolgen, wabrscbein-
licb kein anderer Seher als der Achäer Kalchas (bei Lesches Hele"
nos). Kalchas ist's bei Qnintus 6, 57, der an seine dereinstige
Propbezeihung mahnt (II, 2, 329.) und zunächst Achills Sohn
von Skyros (II. 19, 326.) herbeizurufen anrälh. Neoptolenios, der
bei der Einnahme so gewaltig mitwirkt, musste jedenfalls im
Gedicht des Arktinos ebenso aus Skyros herbeigerufen werden,
wie er es nach Proklos in der Kleinen Ilias ward. Es gehörte
diese Berufung des andern Achill und sein Sieg über den letzten
auswärtigen Kämpfer für Priaraos' Reich , ebenso wie die des
Philoktet, der nach dem Schicksal den Paris erlegen musste, wie
sie die vollständige Einschliessung zur Folge hatten, als folge-
rechte Einleitung in jede Epopöe von der Einnahme und Zer-
störung Troias. Sollte sie irgend beseelt sein, so musste die
Dichtung dieses Sagentheils nach dem Tode der grössten Helden
von einer das Heer entmulhigenden Stimmung, als von der ersten
Wirkung dieser Verluste, ausgehn. Hiervon erlösten es jene
Berufimgen. Fügte die stetige üeberlieferung hierzu die Ofl'en-
barungen der Vorbestimmungen über den Fall Troias, so bil-
dete die der Einschliessung folgende Einnahme din'ch List mit
ihren drei wellborühmten Akten, dem Bau des hölzernen Bosses,
der verstellten Abfahrt des übrigen Heeres und dem nächtlichen
Ueberfall, den gebotenen HauplstofT solchen Gedichts.'^)
Diese Bestandtheile des SagenslofTs waren als das Thema
bildend beiden Dichtern gemeinsam. Auch manches Bedeu-
tende in der Motivirung des Fortschritts ist, da die früheren
Lieder es brachten, wahrscheinlich von Beiden beibehalten.
Spät und mühsam hatte schon nach dem vorhonierischcn Liede.
Priamos den Eurypylos mit seineji Leuten zum Ililfszug bewogen.
Die Angabe, Od. 11, 51 9 ff., Eurypylos und viele Genossen seien
getödtet worden „in Folge der Weibergeschenke", ist nicht vom
Weibe des Eurypylos zu verstehn, wie von Eriphyle (Od. 15, 24 G,
1 1 , 327). Er war noch ein Jinigling wie Neoptolemos. Viel-
mehr, wie im Scholiast zu diesen Worten Akusilaus auslegt-und des
Lesches erhaltene Verse zeigen: Priamos hatte die Mutter des
150) Wckker Cycl. II. l'.IB. lilior die in Prnklds' liili.illcn gegelie-
ueii Tlicilc.
IG*
244
Eurypylos, seine Schwester, durch das Geschenk emes goldenen
Weinstoclis von Ilephästos' Arheit erst bewogen, den Sohn nicht
ferner zurückzuhalten. Dass Arklinos dieses Motiv auch erziUdt
hahe, ist zu vermuthen. Ebenso und sicherer noch wird Helena
nach d«s Paris Fall auch bei Arktinos die Gattin des Deiphobos
geworden sein, wie sie in Demodokos' Liede und bei Lesches
als solche erscheint. Dieser Uebergang der Helena zum Heerd
und Bett eines andern Fürsten Troias ward durch die Parteien
in Troia ein Moment des Kriegs. Es wird der Streit von II. 7,
350 f. 357 fr. sich erneuert, Antenor, das Haupt der bisher unter-
drückten (II. 11, 123 — 125) Friedenspartei, von neuem auf die
Rückgabe des Raubes gedrungen haben. Die Götter selbst ver-
hinderten diese, und Helena, obgleich in ihrem Sinne schon heim-
gewandt, bedurfte eines männlichen Schutzes.
Auch manche nachhomerischen Sagengebilde sind beiden
Epikern gemein. Demophoon und Akamas, die Söhne des
Theseus, dem Homer unbekannt, befreien nach Beiden ihre
Grossmutter Aetbra und waren unstreitig, wie bei Quintus, im
hölzernen Ross. Ebenso kam der Antiklos dazu , den Homer
nicht erwähnt, nur die unechte Doppelform Od. 4, 285.'-') Die
ganze Scene scheint aber nur dem Plan und dem Geist des
Lesches angemessen. Dagegen ist es in beiden Sinon, wel-
cher den Griechen das Zeichen giebt.*^*) Zweifelhaft ist die
Folge der Abholungen des Neoptolemos und des Philoktet; so-
dann die Weise, wie den Griechen die Bestimmungen des Schick-
sals bewusst wurden, an denen Troias Fall hing. Eine feine
Ausdeutung des trocknen Inhalts von der ersten Hälfte der Kleinen
Ilias, welche in das Versgefüge des epischen Cyclus aufgenom-
men war, giebt zwar eine Darstellung, welche jene Fragen in
Einem zu erledigen scheint; allein sie kann, insofern sie nur
auf den späteren Epikern fusst, nicht sofort über den Gang des
Arktinos entscheiden. Sie geht von der allerdings gewiss beiden
Epikern gemeinsamen Lage und Stimmung des Griechenheeres
aus und ergänzt in ansprechendem Verständniss den dürftigen
Auszug: „Wie immer iu solchen Nöthen wird Kalchas befragt;
151) S. Philoi. 4. 170 f.
152) Aiktiiios nacli dem Inhalt, Lesclies Fr. 11. bei Tzetz. zu Ly-
kopin-. 344., wie Viii?. Aeii. 2., 57 fl". 258. Ouint. 12, 243. 360. 419.
245
er enthüllt, '^^) Heleiios kenne die Schicksalssprüche , an denen
Troias Fall hänge. Odysseus — erbietet sich, ihn einzufangen-
Es gelingt. Sein Spruch lautet, ohne den in Philokteis Händen
befindlichen herakleischen Bogen, dem Troia einst schon erlegen
(II. 5, 638 IT.), könne die Veste nicht genommen werden". —
„Allein auch Neoptolenios' Abholung muss Helenos als erforder-
lich bezeichnet haben. Schon im Epos muss er gesagt haben,
was in Tragödien des Sophokles und bei Philostratos sich aner-
kannt findet: nur durch einen Aeakiden könne Troia fallen".*^*)
Diese Weisungen haben die griechischen Fürsten durch gleich-
zeitige Absendungen nach Lemnos und nach Skyros befolgt, in-
dem sie den Philoktet durch Diomedes, den Neoptolenios durch
Odysseus beschickten, nicht beide durch diese beiden. Den Odys-
seus, der ihn ausgesetzt hatte, hasste Philoktet, dem Neoptole-
nios aber halte derselbe des Vaters \yairen zu übergeben; die
epische Erzählung konnte nur eine Sendung nach der andern
berichten. Lesches schilderte, wie der Inhalt sagt, zuerst Phi-
loklets Berufung. Dem Inhaber des herakleischen Bogens ge-
nügte im Epos die 31itlheilung des Orakelspruchs, nebst der
Aussicht auf Heilung und auf Ruhm — ihm die Wiedervereinigung
mit den Seinigen annehmlich und unabweislich zu machen. So
schloss sich hier erst noch die Erfüllung an: die Heilung der
Wunde durch Machaon, der Kampf mit Paris und dessen Er-
legung, da gerade er den Achill getödlel: Auslieferung des
Leichnams an die Troer und Verheirathung Helena's an Deipho-
bos, die für die Katastrophe am Ende bedeutsam werden sollte.
Darnach erst holte Lesches (nach dem Inhalt) das andere Aben-
153) Lag Das nicht schon im Wesen des Sehers?
154) Schneidewin, Philo!. 4. 6460". Sein Gcsammlergebniss S. 648
schon ausgesprochen: „Odysseus fängt den Ifelenos, Diomedes iioll den
Philüklet, und Odysseus, wie in der Odyssee, gidil nacli Skyros, iil)ergiebt
die achillcischcn Walfen und iioll den jungen Krieger. Ein merkwürdiger
Paralkdismus in beiden Falirlen. I'liiluklets Bogen , den die (iöllcr ])is
ins zehnte Jahr fern gehalten haben, nuiss licrbei und Odysseus muss des
Vaters Rüstung dem natürlichen Erl)en üljergcben, und so ist Troia zu
nehmen". — „Welcker hat (S. 238) diesen ganzen einfachen Zusammen-
hang verkannt". Ausführlich wird dies Alles begründet und besonders
die Verschiedenheit der mit Unrecht auch für das Epos angenommeneu
Gestaltung der Tragiker aus den Motiven der Tragödie dargelhnn.
246
teuer nach: Odysseiis, der gleichzeilig iiacli Skyrus gegaiiyeii,
erscheint, nachdem Philoktet bereits vor Troia seine Ilauptaid-
gabe erfüllt hatte, mit dem Achill eiissohn e ; dieser erlegt den
Eurypylos und nun beginnt die Einschliessung der aller hervor-
stechenden Kampfer beraubten Troer in die Stadt.
Diese so abgerundete Darlegung mag allerdings im Sinne
des Lcsches, dessen Held Odysseus war, ganz richtig sowohl
beide Abholungen als vom Geschick geheischt, als auch in dieser
Folge geschehn geben. Aber der milesische Epiker hatte ja in
der Acthiopis den Achill zugleich als Heros gefeiert und in Lei-
denschaften der 3Ienschennatur geschildert, endlich mit der tra-
gischen Nachwirkung seines Todes das Gedicht geschlossen. Er hat
demnach erstlich gewiss seine zweite Epopöe nicht mit dem Siege
des Odysseus im Waffengericht begonnen, sondern sein Held
war, wenn Einer, der Sohn des Achill; Odysseus, der Meister
der Listen, galt ihm als das andere Werkzeug der Götter neben
dem andern Achill. Aber auch die Uebergabe der Waffen ist viel-
leicht nicht als Befolgung der auch über den Aeakiden vernom-
menen Olfenbarung, sondern als gewinnender Beweggrund, ja als
natürliche Rücksicht für den Erben vom Odysseus des Arktinos
behandelt worden, der ebenso wie das ganze Heer den Neopto-
Icmos als den jetzt allein möglichen Ersatz für den V'erlust des
Vaters herbeiwünschte.
Wenn doch überhaupt die Neudichtung desselben Sagentheils,
welchen der begabte Arktinos schon zur Ej)Opöe gestaltet hatte,
eine vielfach andere Gestaltung erzielen musste, so kommt die
lange Zwischenzeit in Rechnung: Lesches dichtete über hundert
Jahre später als Arktinos.'^'') Dieses Jahrhundert ist unstreitig
an Wachstinnn und Wandel wie der Sagen überhaupt, so an
dem des Ruhmes der Aeakiden ergiebig gewesen. In dieser Zeit
wohl erst wurde Acakos, der sterbliche Gehilfe des Apollou und
des Poseidon beim Bau der Mauer Troias (II. 7, 452), und
155) Sengebusch in N.Jalirb. f. Philol. Und. LXVII. II. 4. S. 410. Ark-
linos' Bliilhc Ol. 1, 2 :::= 775 v. Chr. Lcsclies Ol. 30, 3 := G58 v. Chr.
Aber auf des Lcsches Wahl des Sloircs konnten die Kypria nur Einlluss
haben, wenn er die einheitliche ßeschaircnheit, welche bei dem scinigen
jedenfalls grösser war, nicht in Anschlag ])rachtc. Sie und der äolisclie
llcld Odysseus cn)pfalden ihm, dem Lcsl)icr, den gewählten SlofT mehr.
247
uiirdeii seine Söhne Telanion und rdeiis, die Kampfgenossen
des Herakles, so dass nachmals Pindar diese neueren Sagen zu
der Angahe zusamnienlassen konnte, Apoll habe schon heim
Bau verkündet: es bürden die Aeakiden vier Geschlechter hin-
durch für Troia entscheidend sein.*^*)
Aber überhaupt kann die Reibe der Bedingungen, an welche
die Einnahme Troias vom Schicksal gebunden heisst, nicht auf
Einmal und nicht auf Einem Stamme erwachsen sein. Vom Triebe
der Heraklessage, den Cid der Griechen zu verherrlichen, kam die
eine, von wachsendem Ruhm der Aeakiden- oder der Achillssage die
andere Anregung, dazu die dritte vom Heilspfande Troias, dem
Pallasbilde. Dies Letztere ist ein Glaubensartikel der Griechen,
welcher erst nachbomerischer Zeit angehört, '^^) aber doch auch
als ein für sich entstandenes Moment der Eroberung zu betrachten
ist. Die ersleren beiden nun in ihrer Verbindung scheinen einem
so zu sagen symbolischen Gedanken anzugehören, Herakles und
Achill stellen als die Spitzen der griechischen Heroen, die Sieges-
maclit des Griecbenvolks dar. Dies scheinen beider Waffen als
die Troia erobernden zu bedeuten. Doch wie die eine Sage
(vom Heraklesbogen) immer früher für sich vorhanden sein
konnte, so dürfte das Wissen von diesen Schicksalsbestimmungen
wohl auch dem griechischen Seher beigemessen worden sein.
Ein Anderes war es mit der Sage vom Palladion, dem Heils-
pfande Troias. Um dieses als solches zu kennen, bedurfte es ohne
Frage einer einheimischen höherstehenden Person, und um es in
der Feinde Gewalt zu bringen, des Verralhs. Dies also eigentlich
erst war ein Gebeimniss, welches von Helenos zu erfahren stand.
Wir finden nun sowohl über die Art, wie die Belagerer sich des
Helenos bemächtigten, unterschiedene Sagen als über den Verrath,
der dem Odysseus und Diomedes das Palladion verschaffte.'^')
156) Ol. 8. 45 Aeakos. Tclamon iiiul Pcleus, Achill, Neuplülciuüs.
157) Lobeck Aglaopli. 304. l'io;}. 1205. über den mystischen (ilnuhon
an llcilsiifändcr.
158) Enlwciiilol wird es llicils durch ilolcna's I)al(l nidierc bald cnl-
ferntcM'« Milwirkiiiig, llioils ihircli den (IiiccIiciifioiiiKl Aiilcnor nnd soine
(lallin Tlicano, die l'iieslcrin der l'allas Allioiic (11. Ü, 208— 300). Wclckor
Oycl. II, 241. Gr. Trag. 110 If. Die KiinsU.ilder in Uvcrhceks Calleric 578
bis 607, besonders 581—583. Aber die Anweisung gab aucli ilclonos:
Konen 34.
248
Eben so verschiedene giebt es noch über das Palladion selbst,
je nachdem Aeneas ^vährend der Eroberung nach Dardania ent-
Aveicht und mit dem geretteten echten Palladion dort eine Herr-
schaft der Aeneaden stiftet, oder zuletzt mit Neoptolemos abschifft.
Wie in der letzteren Fassung aller Anlass fehlt, ein echtes und un-
echtes Palladion zu unterscheiden, so heissen Odysseus und Dio-
medes gemeinhin ohne Weiteres die Entführer desselben.'^'')
Nach den dargelegten Anzeichen oder sich ergebenden Fol-
gerungen in Betreff der Uebereinstimmung oder Verschiedenheit
der beiden Epopöen von der Zerstörung Troias stellen wiv uns
den Gang derselben muthmaasslich folgendermaassen vor:
22. Die Persis des Arktinos.*^")
Der kurz nach einander erfolgte Tod der beiden grössten
Helden und besonders der so unerwartete des Aias hat das Grie-
chenheer lief bewegt. Wie grosse Unfälle über den Verlust hinaus
als böse Vorzeichen wirkten, hat die Gemüther die Verzagtheit
befallen , als wäre die Einnahme Troias und ein sieghafter Aus-
gang nicht mehr möglich. Vielleicht äusserte der sanguinische
Agamemnon sogar wieder, wie früher einige Male (11.9, 27. 14, 80.),
Neigung, das Unternehmen aufzugeben, dem dann der immer
kampfmuthige Diomedes heftig entgegnete. Jedenfalls war des
Aias Verdienst jetzt bei Agamenmon, dem andere Fürsten beige-
stimmt hatten, zum bittern Vorwurf wegen ihrer Entscheidung
des Waffenstreits geworden. Odysseus empfand seinen Sieg jetzt
selbst nahezu wie ein Unrecht, das er um des Ganzen willen
gut zu machen habe. Da tritt der Seher Kalchas auf, ruft der Ver-
sammlung das ehemalige Vorzeichen des Siegs im zehnten Jahre
ins Gedächtniss und bedeutet sie: solle das jetzige böse Zeichen
zum Heil gewendet werden, so müsse der natürliche Erbe der
Waffen des Achill, müsse Neoptolemos herbeigerufen, ihm die
159) Das echte und uncclilc nach Arklinos Dionys von Ilalik. 1, 69.
und Sophokles das. 48. Uehcrhaupt Welcker Cycl. II, 181 — 184 und
438 f. Quinl. 13, 303 IT. sagt Nichts vom Palladion beim Auszuge des
Aeneas. Die einfache Entführung dessclhcn gilt in den Tempelsagen der
vielen Slädlc, deren jede sich rülnnle, das Iroischc zu besitzen. Heffler,
Götlcrdienste auf Rhodos S. 122 f. Prcller, Rom. 3Iylh. 265 und 622 f.
160) Vcrgl. Welcker Cycl. II. ISlfT. „Der Anfang dieser hdialtsangabe
ist sehr abüebrochcn" u. s. w.
249
goltbereitele Wehr eingehändigt werden, in diesen rechten Hän-
den werde sie zum Siege wirken. Derselbe griechische Seher
mag gleich jetzt auch an Philoktet erinnert haben, den die ver-
zögernden Geschicke Troias bis ins zehnte Jahr ferngehalten, der
jetzt aber auch herzuholen sei. Doch zunächst kommt Odysscus
dem Ratlie des Ralchas willig entgegen, und erbietet sich die
Waffen Achills dem Sohne abzutreten und so ihn von Skyros her-
zm'ufen. — So ward, um die unheilvolle Entscheidung des Waffen-
gerichts zum Segen zu wenden, zuerst der Sohn des Achill ge-
rufen. — Ob den Odysseus Diomedes, wie bei Quintus oder etwa
Phönix (wie Soph. Phil. 344.), begleitet habe, ist nicht zu ent-
scheiden, doch wahrscheinlich Diomedes. Neoptolemos, eben jetzt
erst im geeigneten Alter, ist sofort bereit und vollends, da er
den Tod des Vaters erfährt, von Rache erfüllt. Ein Versuch der
Mutter, der Deidameia, ihn zurückzuhalten, mochte in seiner Ver-
gebüchkeit von Arklinos kurz, von Lesches ausgeführter erwähnt
werden wie bei Quintus 7. Eine Parallelerzählung beschrieb
hier oder nach des Neoptolemos Ankunft das Eintreffen des schö-
nen Eurypylos (Od. 11. 552) und sein Vordringen an der Spitze
seiner Keteier (Beiname der Myser*"). Neben ihm lebten von
den II. 12, 93 — 103 verzeichneten Iroischen Anführern noch
jetzt Paris, Deiphobos, Aeneas, die Söhne des alten Antenor,
Agenor und Archelochos, auch Ilelenos und auch diese mochten
troische Schaaren führen.*^^) Eurypylos, der Enkel des Herakles,
erlegt auf seinem Siegesgange Viele, darunter den schönen Ni-
reus (II. 2, 671 — 673) und den Arzt Maciiaon. Doch der andere
Achill war ja angelangt und hatte, freudigst bewillkommt, zunächst
das Grab seines Vaters besucht, wo ihm vielleicht das Schatten-
bild desselben erschien. Er strebte jetzt ebenfalls vor und that wie
Od. 11, 514 steht „und viel Männer erschlug er im grässlichen
Schlachtengetümmel", bis er den Eurypylos fand und ihn mit
der auch ihm handlichen Lanze Pelias niederstiess. — In allen
Sagen ist dies seine llaupllhat vor dem Eintritt der iMaassregeln
der List.
Es folgte jetzt nach Geheiss des Kalchas, das entweder schon
vorher oder erst hier Ausgesprochene (Quintus 9, 325), die Sen-
161) Welcker Cycl. IL 137.
162) Die übrigen waren schon in der Zeit des Zorns gefallen.
250
dang des Odysseiis iiiul Diomedes nach Lemnos, den IMiiloktet
mit seinem Dogen herbeizuführen. Die Vorbeslinnnung für die-
sen Bogen war für Troia eine drohende, für die Belagerer eine
verheissende, und dass Arklinos die Kenntniss und Verkündigung
derselben dem griecjjischen Propheten beigelegt habe, scheint
wohl anzunehmen. Der Spruch zielte auf den Urfrevler Paris,
den Bogenschützen, ihn sollte der Gegner gleicher Waffe mit
dem unfehlbaren Pfeile treffen; denn weiter geschieht durch
Philoktet durchaus gar nichts Entscheidendes. Nun konnten
zwar die Umstände die griechischen Fürsten von selbst an Phi-
loktet erinnern, vornehmlich den Odysseus, wenn auf seinen
Bath der vom Schlangenbiss Verwundete zurückgelassen war (U.
2, 723). Doch dagegen spricht der späte Zeitpunkt, im selben
zehnten Jahr, und die Betonung des altberühmten Bogens, da doch
das Heer I^ogenschützen genug hatte. Diese Umstände weisen
vielmehr auf einen symbolischen Sinn, da Herakles' Waffe, wie
bemerkt, die Siegeskraft der Griechen bedeutet, und endlich geben
des Quintus Angaben Grund, den Schicksalsspruch bei Arklinos
anzuerkennen. Es wurde hier wieder Odysseus mit Diomedes
gesandt, wie dieses Paar gewöhnlich die Aufträge ausführt. D( ii
Philoktet zu bewegen, reichte iu) Epos die Mittheilung des Ora-
kels und die Aussicht auf Heilung fast schon hin;"'^) zwei so edle
Gesandte, und unter ihnen der gewandle Redner Odysseus, be-
wogen ihn, zu folgen. Philoktet ward bei Arklinos, wie bei
Quintus, nicht durch 3Iachaon, sondern durch den andern Askle-
piaden Podaleirios geheilt, welcher ausser Wunden in andern
Fällen auch innere Uebel zu heilen verstand.^")
1G3) Die Tragiker sehufeu erst die Sohwicrigkoileu, Scliiieidcwin
Pliilol. IV. 659.
164) Der schroil'e Unterschied von Wiindäizlon und iinicrn ist mo-
dern. Die Kunst hat seil Homer nun auch Kranklieilcn behandeln golornt.
Das Loh, weleiies die Verse des Arklinos dem Podaleirios heilej^en, spricht
üherhaupt diesem die Behandlung von Wunden darum nicht ah. Sodann
war I'hiloktel durch einen Schlangcnhiss, nicht durch eine Walle verwun-
det und war sein Uchel durch die lange Zeit vollends ein aussergewöhn-
liches geworden (Quint. 9, 376 f.). Am Ende der Aclhiopis erkannte Poda-
leirios vor Andern die hedroldiclic Gemülh.sbewegung hei Aias, hier, wo es
auch nicht der leichten Hand nur hednrfle, lieillc er den Philoktet, und
immer bedurfte es einer vom Asklepios seihst den Sühnen hier crhöhelcn
Paris hatte nach des Euiypylos Falle mit auderii tioischen
Führern für die Rettung der Leiche gekämpft: Er, der vor Allen
Interessirte , der den Helfer mit besondern Ehren aufgenommen,
ist jetzt auch vor Andern ergrinnnt. Wenn vielleicht Andere ge-
neigt sind, vor Neoptolcmos sich zurückzuziehn, so schweift Paris
mit seinem Ferngeschoss ferner undier und eine verlockende Göl-
termacht treibt ihn seinem Geschick zu. Doch auch Deiphohos
und Aeneas und Andere überhören noch die warnende Stimme
des Polydamas.
Es ist hier Folgendes anzuerkennen: Liessen Arktinos und Les-
ches den Ilelenos die beiden Weisungen auf Neoptolemos und
auf Philoktet zugleich aussprechen, und ebenso die beiden Ge-
sandten nicht zusammen, sondern wie dort den Odysseus nach Sky-
ros, den Diomedes nach Lemnos gehn ; so erfolgten dann die mög-
lichen Tagesgeschichlen leichter. Auf die kürzere Erzählung von
der Ankunft des Neoptolcmos und von seinem Siege über Eury-
pylos folgte die von dem fast gleichzeitigen Eintreffen und der
Heilung des Philoktet und der Erlegung des Paris. Wie der
Dichter die für Philoktet namentlich erforderliche Zeit natürlich
motivirt habe, lässt sich bei allerlei Möglichkeiten (ein Tag zur
Beerdigung der Todlen) bestinnnter nicht sagen. Dass nach den
beiden Siegen über den letzten Bundesgenossen und über den
Frevler Paris die Troer sich ganz zurückgezogen, stand in jeder
Erzählung, und zwar hauptsächlich als Wirkung des Neoptolemos,
und geschah jetzt.
Bei Arktinos, wie bei Lcsches, war dies der Zeitpuidit,
da vom Olymp — wohl auf des Zeus und der Here jetzt ein-
sthnmiges Geheiss — Athene herabging und den Epeios zum
Bau des hölzernen Bosses erweckte. Ihr lielrauter Odysseus be-
waltet die Ausführung in jeder Sagengestalt, möge er auch den
allgemeinen Gedanken solchen V^crstecks der Helden angege-
ben, oder nur den ganzen Plan der Ueberlistung vorgezeichnet
haben. Schon in Od. 22, 280 bezeichnet Athene selbst ihn als
Wirkung. Weil der eine Dichlor den Miicliaon, der andere den Puilaleirios
genannt halte, überhaupt jeilenralis i'ui Askiepiadc orfoidcrlicli wai-, nennen
Sophokl. Phil. 1333 und Pliihtslr. Heroika fiO in der Mclir/.ald die As-
klepiadcn. Also ist Quinlus nicht zu tadeln. Vgl. Ovcrb. (ialleric S. 577
Anmerk. 22.
252
den Eroberer diireli List, und schon das Lied des Demodokos
(s. Buch 2. §. 12.) feierte ihn als solchen.
Bei den Troern ward nach des Paris Tode Helena — ein
VVittMenstand war vollends ihr unter den Troern unmöglich —
das Weib des Deiphobos.*''^) Aber auch Helen os begehrte sie,
und so gilt es, hier die mehren Sagen zu beachten, welche von
dessen Verbindung mit den Belagerern neben der frühzeitigen
Gefangennehmung durch Odysseus vorliegen.'^*) Eben weil es sich
jetzt erst um ein Gchcinniiss Troias handelt, ziehn wir jener Wen-
dung bei Lesches eine von diesen vor. Bei kleinen Verschieden-
heiten herrscht in ihnen im Gegensatz zu jener des Lesches die
Angabe des Anlasses und Zeilpunktes, dass, nachdem Helena dem
Deiphobos zu Theil geworden, Helenos im Zorn Troia verlassen
habe.'") Der Grund dazu war für den Seher die Erkenntniss
und Voraussicht des Götterzorns. Die eine Sage lässt ihn frei-
willig geradezu zu den Griechen übergehn, wie er nach-
mals mit Neoptolemos nach Griechenland geht (Euripides). Unter
zwei Schattirungen der andern von seiner Gefangennehmung
empfiehlt sich die zweite als die klarere. Er geht nach der
einen zum Ida, und wird da auf des Kalchas Anregung gefangen,
nach der andern begiebt er sich in den Tempel seines Gottes
ApoUon, und dessen Priester Chryses (II. 1.) unterrichtet die Be-
lagerer hiervon. Sie senden den Diomedes und Odysseus; diese
bemächtigen sich seiner und so hier erst gefangen, offenbart er,
was der griechische Seher nicht wissen konnte, vom Heilspfand
dem Pallad ion Troias.
Dieses Geheimniss verrieth bei Lesches die Helena dem in
V^erkleidung als Kundschafter in die Stadt geschlichenen Odys-
seus. Mittels dieses Spähergangs, der allerdings in Odyssee 4,
1G5) Möglich, dass einer der beiden Epiker jetzt die Helena erst die
Fluclil vcrsuclR'ii licss, wie sie bei Eur. Troer. 055 selbst aiigielit.
J60) llealencycl. d.All. 3. 1097. Jacobi's Handwörlorb. d.iMylliol. 376.
1G7) <Juint. X. 344 — 360. Die Stelle kündigt Künfliges an, was der
Dichter nachmals an seinem Orte nicht ausgedichtet hat. Köcldy Pro-
leg. XXXI f. Die Worte geben die Ursache des Zorns dunkel au: wegen
des Weibes. Wenn damit gemeint ist, weil mau sie ibm versagte, dann
hat Quint. scldecliler als Tryphiod. 45 verstanden. S. dazu Kouon 34.
Ddvtys 4 , 18.
253
242 fl". schon erzählt ward, eignete Lesches das Verdienst auch
dieser Entdeckung seinem Helden zu. Arktinos nicht so; da er
höchst wahrscheinlich nach der andern Sage den erst später
gefangenen Helenos es dem Heere niittheilcn Hess. Doch Dio-
medes und Odysseus unternahmen in heiden Berichten das Ahen-
teuer und der Verrath der Antenoriden '^®) verhalf hier ^^i•' dort
zu dem Rauhe. Der Hergang, durch den die beiden Rauher liei
Lesches das verborgene echte, bei Arktinos das unechte, das
im Tempel aufgestellte, gewannen, musste ein verschiedener sein.
Nach ihrer Rückkunft werden nach des Odysseus Weisung
die Maassregeln auf den nächtlichen Ueberfall genommen; es
steigen die Tüchtigsten in bedeutender Zahl in das hölzerne
Ross, sowohl die von Homer genannten, als auch noch andere.'"^)
Man verbrennt die Zelte und das übrige Heer, wohl unter Aga-
memnons und des allen Nestor Führung, schifft, als sei das ganze
Unternehmen aufgegeben, ab, landet aber an der nahen Insel
Tenedos. Der Grieche Sinon wird zurückgelassen, ebenfalls
nach Odysseus Plan, auf Verstellung und täuschende Angaben
gehörig instruirt."") Als die Troer beim freudigen Herausströmen
auf das verlassene Schlachtfeld das Ross anstaunen, weiss Sinon
ihnen die Meinung einzureden, es sei als Sühnegeschenk der
erzürnten Athene gebaut, und so hoch, damit es nicht durch
das Thor in die Stadt gebracht werden könne. Sie also, wähnend
von dem Uebel befreit zu sein, nehmen das hölzerne Ross in die
168) Wie Dionys v. Ilalik. 1. 40. „Nachdem Ilion von den Acliäorn
erobert w;ir, sei es durch den Trug des luilzerncn Rosscs, wie von Homer
erzählt wird, oder durch den Verralh der Anlenoriden, oder sonst wie".
109) Bei Homer finden wir nur Neoptolenios, Dioniedes, Menefaos
und Odysseus genannt, Od. 4, 271 — 280; 11, 523. Kein älterer Ejtilier,
auch Stesiclioros nicht in seiner lyrisch-episclien Zerstörung Troias, fiallc
sie volfständig noch auch nur in grösserer Anzald verzeichnet. Atlien.
13, 610 C. Die späteren Dichter waren erst beflissen, des Homer „lauter
Beste" wenigstens in reiclierer Zaiil einzeln aufzufüliren. Quinlus zäldl,
12, 314 fr., mit einem ,,und Andere melir" 29 auf, meistens die aus iler
Dias licliannlen Anfülirer, von Neuem die erst bei ArlUinos und Lesriies
ersclieinenden Söline des Tlieseus (328f.) und den Anlildos, den Homer
nicht anders nennt als in der inlerpolirten Dnppeifnini (Id. 1, 2S.jf.
S. Pliitol. 4, 170 f. Andere Verzeichnisse vergleiclil Slruve de argumenlo
carm. epic. rer. iliac. 11. 25 f.
170) Virgil. Aen. 2, 78, bes. 182fr. Ouint. 12, 243fr.
254
Stadt auf, indem sie einen Tiieil der Mauer ^vegTeissen. (Schon
nach dem Liede des Demodokos, Od. 8, 504., zogen sie das Weih-
geschenk, was das Ross nach Sinons schlauer Angahe sein sollte,
zur Burg empor.'^') Das haben sie in erster Aufregung und wohl
von Athene dazu hethört gethan.
liier schliesst sich an das muthmasslich Ermittelte der Theil
an, dessen Inhalt als in den Cyclus aufgenommen aus Proklns
gegeben ist; dies freilich ohne alle Rücksicht auf Beseelung und
poetische Molivirung überhaupt.
Dort auf der Höhe erst erheben sich Zweifel über das Ross.
Der Sache nicht trauend, umstehen es die Troer und berathen,
\Aas zu thun sei. Die Eilten stimmen dafür, es den Abhang hin-
abzustürzen, die Andern es zu verbrennen, die aber sagten, als
Ileiligthum müsse man es der Athene zum Weihgeschenk auf-
stellen, und am Ende siegt diese dritte Meinung (wie auch Od.
8, 509 f.). Darauf zur Fröhlichkeit sich wendend, halten sie fest-
liche Schmause als befreit vom Kriege. Hier kann man die
Rassandra erwarten, wie sie bei Virgil 2, 245 und Qnintus 12,
525. ihre von Niemand anerkannte Mahnung hören lässt. Wenn
nach der ilischen Tafel Nr. 90 sie bei Lesches erschien , hat
doch Arktinos sie wahrscheinlich ebenso wie Homer noch nicht als
begeisterte Seherin gekannt, wenn sie auch in den Kyprien als
solche auftrat; sonst würde der Inhalt sie hier nicht unerwähnt
lassen."^) Es folgt, als jene dritte Meinung schon vorwaltet, das
Wunderzeichen am Priester Laokoon. Niemand sonst hat nach
Arktinos zum sichersten Mittel, das Innere des Bosses zu erfor-
schen , zur Durchbohnmg mit einer Lanze gerathen — Od. 8,
171) Weil Odysseus dies angestiftet hat, lieisst es Otl. 8, 494 vom
Ross, „das vordem zu der I5iirij durch IJelrug liinfüliile Odysseus".
Las man stall des Ablativ den Accnsaliv öoXov , im Verse zum Holrug,
wörtlich als Mittel des Betrugs ; immer scheint ein Sinon anzunclnnen zu
sein, der den schlauen Gedanken bei den Troern geltend niaciite. Bei
Virgil ereignete sich das Geschick des Laokoon schon frölier, noch ausser-
halb der Mauern, und das Wunderzeichen wirkt hei den Troern gerade
dazu, dass sie nun das unhoilschwangre Ross durch die Mauerlückc in
die Stadt zichn. Aber wie in Od. 8 dort die Rurg zweimal ausdiürklicli
gonannl ist, besagt der Ausdruck y.aTay.Qijiivioai , den Ahliaiig, von lU'i'
liiilie hinabstürzen, für Arkliuos dasselbe.
172) 11. 1,3, 3fiÜ. 24, 6i)t1.
255
506 — Laokoon ruft dazu auf und lliut so; da kommen durchs
Meer von Tenedos oder von dem danebenliegenden Inselclien
Ralydnä (Bacchylides fr, 32) z\vei Drachen (von Athene oder
Apollon erregt), und tödten umschlingend ihn und den einen seiner
Söhne. '") — So Avehrten die strafenden Mächte die Entdeckung
der List. — Bei diesem drohenden Zeichen entweicht Aeneas
(wie oben besprochen) nach dem Ida mit dem echten Palladion,
auch seinen Vater rettend.*") In diesem Zeitpunkt nur hatte
die Scene eintreten können, da Helena, wie Menelaos, Od. 4, 274
bis 279 erzählt, zum Rosse kam und die verborgenen Helden zu
verlocken suchte, sich zu verlautbaren. Aber nur Lesches nahm die
Scene auf (Welcker Cycl. 2, 244 f.), dessen Sinn sie sehr zusagte.
Der verschmitzte Sinon ist schon alsbald in die Stadt einge-
lassen. Die Troer sind nach ihrem Schmausen und Zechen, wo-
bei wohl ein besonders Kecker über das eitle Unternehmen der
Griechen höhnende Worte gesprochen, erhitzt zur Ruhe gegangen.
In der Nacht, da sie alle im Schlafe liegen, giebt Sinon nach
der V^erabredung den Achäern das Zeichen, denen in Tenedos
durch Fackeln, denen im Rosse durch Zuruf; worauf die Ilerbei-
geschifften und die aus dem Rosse Herausgestiegenen über die
Feinde herfallen und so in der Stadt umher Viele tödtend duirh
Gewalt Troia einnehmen. Von einzelnen Scenen sind nur die
bedeutendsten aus Proklos gegeben: Menelaos allein (oder mit
Odysseus?) eilt zum Hause des Deiphobos, überwältigt ihn und
führt die Helena nach freundlichem Wiedersehn zu seinem Schilfe.
IN'coptolemos stürmt zum Pallast des Priamos und mordet diesen,
173) Die Geschichle des hcrüiinUen Kunstwerks der ims erhaltenen
(Irupite des Laokoon — Plin. 366, 37 — gescliiclitlicii und kiinslleiiseli
besprochen, Ijcs. von Overbcck, Gesch. der Plasjik 2, 162 — 183, zeigt wie
mehre Dichter, auch den andern Sohn in die Vcrsclilingung vernochlen,
aber weniger tödllich. Von griechischen Dichtern hatte nach dem An-
zeiclien hei Arislol. Poet. 23 a. E., wo sonst Laokoon genannt sein würde,
Lesches diesen niclit, Daccliylides din in für uns dunkler Weise erwiiliiil,
aher Sopliokles in seiner Tragödie Laokoon den Gegenstand nach Aik-
linos vollständiger dargestellt. Mit vielen eigenlinunJichen Wendungen
liciiclitet Ouinlus 12, 391. 444 u. a. den Hergang.
174} Der fromme Aeneas der virgihschen Aeneide hat diesen Hulim
s(;h()n allersher nach dem Verzcichniss der sichenden llerocncliaraklere
hei Xenophon von der Jagd 1, 15 und elten durch jene Heilung des lieilig-
Ihuiiis und des Vaters hat er dieses Beiwort zuerst i^ewonnen.
256
der sicli zum Altar des Haus und Hof schützenden Zeus [sQxsiog)
geflüchtet liat. In Bctrefl" des Hauses Hektors bewhkt Odysseus
durch die Mahnung: Rindisch ist, wer den Vater ersclilug,
und die Söhne znrücklässt, den Tod des Astyanax — ob er.
Hektors Sohn seihst vom Thurmc warf, ist nicht zu entscheiden;"^)
die Mutter Andromache führt Avohl Neoptolenios ah und erhält
sie nachmals als Ehrentheil. Die Söhne dos ^''eseus Demophoon
und Akamas finden ihre Grossmutter Aethra (II. 3, 144) und Aga-
memnon üherlässt sie ihnen. "^) Auf die Heimkehr hin wirkt ein
arger Frevel des lokrischen Aias und dass die Anführer ihn nicht
strafen. Die Kassandra hat sich zum Bilde der Athene geflüchtet
und umfasst dieses, er reisst sie mit Gewalt sammt dem Bilde
von ihrem Schutzort weg. Darüber entrüstet wollen die Grie-
chen den Aias steinigen, das gewöhnliche Volksgericht. Er flüch-
tet sich zum Altar der Göttin selbst und rettet sich so aus der
ihn bedrängenden Gefahr in soweit als die Zürnenden ihn da
nicht wegreissen. Dass er aber von den Fürsten nicht bestraft
wird, giebt eben der Göttin Ursache dem ganzen Heere zu zür-
nen. Die Griechen rüsten '") sich nun zur Abfahrt, aber Athene
bereitet ihnen Verderben auf ihrer Seefahrt. (Dies musste
im Gedicht durch Klage bei Zeus und mit seiner Bewilligung
geschehn, wie es denn Quintus gar ausfühlich angiebt.) In des Ark-
tinos Versen folgte hierauf noch nach der ganz summarischen In-
haltsangabe dieses:"*) Da (vorher) Odysseus dem Astyanax den
Tod bewirkt hat, erhält Neoptolenios die Andromache als Ehren-
geschenk, die übrige Beute wird vertheilt. "*) Demophoon und
175) Weickcr Kl. Schrift. 1 , 358.
170) S. olien die Lieder von Theseus und die Fehde der Dioskuren
gegen Anika. ^
177) Nicht kann Proklos gesagt haben : schiffen ab, wenn die Folge
seiner Sätze die richtige sein soll, sondern etwa, den AhschilTonden he-
reilet u. s. w^ Vgl. Welcker Cycl. 11. 185 f.
178) Quintus mit vieler Beimischung 14, 419 (T. Was die nöllin mit
Genehmigung des Zeus nun erwirkte, als die wirkliche Abralirt erfolgen
sollte und erfolgte, das gab der (^yclus stall nach Arkliiios durch den
Anfangslheil der Epopöe des Agias und damit ausführlicher.
170) Ganz irrig Slicldo Philol.8. 69, „nach Arklinos (s. Exe. ausProkl.)
tlieillen Neoptolenios und Odysseus nach der Rückkehr von Troia die
daselhst gemachte Beute in Griechenland. Weder diese verlheilen,
noch irgend sonst .Jemand erst in Giieclienland.
257
Akamas nehmen die Aethra mit sich. Darauf zünden sie die
Stadt an und schlachten (Ncoptolcmos nach dem Verlangen des
ihm erschienenen Vaters) die Polyxena aul Achills Grabe. Bricht
der Inhalt hier ah , so war der Schluss des Gedichts, welches
die Wirkung jenes verschuldeten Zorns jcdenlalls noch gegeben
hat, wahrscheinlich der Sturm hei den kaphareischen Felsen.'*^")
So hatte die zweite Epopöe des ernsten Arktinos gleich der
Aelhiopis einen tragischen Ausgang, die eine den tragischen Tod
des Aias, die andere die tragische Heimkehr der Sieger Troias.
23. Die Kleine II las des Lesches.
In wesentlich anderem Geist und besonders entgegengesetz-
ter Gemüthsart gestaltete der so viel jüngere Lesches den Stoff
der Einnahme Troias. Er mass nach seiner Weltansicht auch
solche Ereignisse doch zunächst der Thätigkeit und den Erfolgen
ausgezeichneter Menschen bei und hatte am schlauen Odysseus
sein eigenstes Wohlgefallen. Er erscheint dabei wie Euripidcs
gegenüber dem Aeschylos ganz vorzüglich gestimmt und geschickt,
Leidenschaften zu schildern und überlieferte Motiven in diesem
Sinne zu benutzen und umzuformen. Was den hiermit bezeich-
neten Geist und Sinn an sich trägt, mag hier aus seiner Kleinen
Ilias hervorgehoben werden.
Nach jener seiner Weltansicht und seinem Wohlgefallen am
listenreichen Odysscus zog er erstens, um diesen zur vollen wirk-
lichen Hauptperson zu gestallen, das Waffengericbt zur Darstellung
des Untergangs Troias. Um damit seinen Helden um so mehr gleich
Eingangs zu verherrlichen , wurde die Entscheidung für den
Listenreichen erstlich statt durch Befragung Gefangener mittels
einer lebensvollen Scene herbeigeführt. Sie ist uns zum Theil in
ihren Versen erhalten, da auf Nestors Bath Horcher unter die
Mauern der Stadt geschickt werden. Von Athene angeregt las-
sen da zwei Jungfraun ihre verschiedene Meinung über Odysscus
und Aias hören. Die Eine macht für Aias geltend:
180) Die Noslcn crziihllcn dies olioiif.ills, und der epische Cyclus
gab es allein aus diesen. Aber or llioillc, wie er Jedes nur einmal ent-
hielt, liier die Erzählung von doni Verfahren der erzürnten Athene in der
Art, dass die vorbereitende Maasregel in den Versen dos Arklinos, die
Ansführnng in denen des Agias erfolgte.
Nilzsch, Gesch. il. gricch. Eiios, 17
258
Aias ja liob auf und entriss aus des Kampfes Gedränge
Hin den Peleiden und nicht vermocht' es der edle Odysseus.
Die Andere widerspracli durch Atliene's Vorsorge:
Wie doch soll ich erwidern, wie sprachst du so wider die Ordnung
Unwahr !
und :
Auch wohl ein Weih mag tragen die Last, wenn ein Mann sie ihr auflegt,
Doch nicht kämpfen im Streit.
Hierzu neuerte Lasches das Andere; er mochte seinen Odys-
seus nicht hehen ohne den Aias als verächtlich und verachtet
darzustellen: statt im edlen Groll erschien er im Wahnsinn,
mordete wüthend die Heerden der Achäer und tödtete dann sich
seihst. Darauf wurde seine Leiche auf Geheiss des Agamemnon
aus Zorn nicht nach der Gewohnheit verbrannt, sondern so bios
in einer Todtenkiste, einem Sarge begraben, — Das aus Zorn
bezeichnet deutlich dies als minder ehrenvolle Beslattung,^^')
Nach diesem Eingange machte Lesches den zur Hanptperson
geschmückten Sieger sofort durch den schlau vollzogenen P'ang
des Helenos (Soph. Phil, 606, bei Nacht ausgehend, er aliein) zum
Entdecker der Schicksalsbestimmungen , welche die Erfordernisse
zur Eroberung von Seiten der Griechen angaben. Vor dem
Fürstenrath vereinbarte er mit Diomedes die Ausführung der
beiden Weisungen des Sehers, Nachdem zunächst Philoktet mit
seinem Bogen durch Diomedes herbeigeholt und Paris gefallen
ist, misshandelt in dieser Erzählung Menelaos die Leiche, Da die
Sitte , die Leichen auszuliefern in dieses Dichters Zeit bereits zur
Geltung gekommen, dürfte dies als eine leidenschaftliche Wild-
heit zu deuten sein, die dem Charakter des Menelaos eigentlich
fremd, dem Räuber Paris gegenüber noch am ersten denkbar war.
Lesches hat den Odysseus zu dem Orakel von Herakles Waffe
auch das jüngere von den Waffen des Achill vernehmen lassen
— wie für sich entstandene Sagen nachmals mehrfach von Dich-
181) Der neben der Verbrennung übliche Brauch kann also hier nicht
in Retraclil konnnen, noch dass das Wort aoQog auch die Aschenurne he-
dculete, gerade wie im Epos 11.23, 91, Bei Sopli. Ai. 11(35 ist KaTterog
nur die Grube, die der ("bor schnell zu bereiten räth, und auch das, 1403
das Graben derseiben nur Vurbereilung der wirklichen Bestattung, welche
in diesem Drama nicht selbst erfolgt, sondern mir in sicherer Erwartung
voriianden ist.
259
ter ziisammengereilil wurden — und mit willigster Beflissen-
heit hat Odysseus selbst dieses andere zur Geltung gebracht.
Von der geheimsten Bedingung der Erolierung, dem Palladion,
hat der Gefangene aber Nichts verrathen. Jenes Geheimniss
mnsste eben verrathen oder unwillkiniich ofl'enbar werden, und
Lesches mochte seinen Erfindsamen lieber durch eine neue List
sich dessen bemeistern lassen. Die bisherige Sage war, dass
die Kunde vom Palladion den Griechen allerdings von Ilelcnos
her bekannt geworden war, aber indem dieser in ganz anderer
Weise und erst nach dem Tode des Paris mit den Belagerern in
Verkehr gekommen. Sie war durch die Umdichtung in den schon
früheren Fang des troischen Sehers für Lesches ganz unbrauch-
bar geworden. Nachdem des Herakles Bogen und die Lanze
des Achill das Ihre geleistet haben, erfolgte in natürlichster
Weise die völlige Einschliessnng der Stadt. Sie brachte schon
nach allgemeiner Ueberlieferung dem Odysseus den mächtigsten
Beiz zur Erfindsamkeit. Durch seine Listen und seiner olympi-
schen Freundin eigenste Mitwirkung hiess Troia erobert, er
vorzugsweise der Eroberer (Od. 22, 230. 1, 2). Die unpoetische
Inhaltsangabe der Kleinen Ilias besagt nach: „Die Troer werden be-
lagert" nur: „und Epeios bereitet nach Athcne's Aufgabe das höl-
zerne Boss, Odyssens aber kommt als Kundschafter nach Ilion". —
Dem Epeios musste freilich eben die Göttin seine Geschicklich-
keit verleihn, aber dem Odysseus selbst wird dieser Dichter ver-
muthlich die Erfindung des ganzen Plans zugetheilt haben. Das
Verhaltniss zwischen dem Vermögen des Menschengeistes und
dem göttlichen Einfluss artet sich überhaupt wohl als eine eben
nm- potenzirte Menschenkraft, dies nach dem Grade des Genies
mehr oder weniger z. B. beim Dichter;'"^) doch in Fällen wie
dem Verhaltniss des Odysseus zur Athene steigert es sich mehr
zum Wohlgefallen des Gottes an dem Menschen als zum Bei-
stände, ja zur lebhaftesten Anerkennung des gleichen Wesens.'"')
182) Find. Ol. 7, 7. nennt sein Lied in Einem Zuge Gabe der Muson
und des Geistes sijsse Frucht, indem der einmal bogabtc Geist diese bringt.
— Der seclisjährige Achill wird Nem. 3, 43 = 75(1'. von Athene und Ar-
temis bewundert.
183) AlheneOd. 13, 2<»1 (f. 330fr. Dalicr die VcMlrnulichkoil dcrAlIicne
mit Odysseus, der nurdio zwischen Aitlirodile und Helena f^lciclil, 11.3, 405(1.
— Odysseus giebl den ganzen Plan an liei Qui'il- 25 — 45. 224 — 252.
n*
260
Lesches also benutzte eifrig, was nur immer von Odysseus damaligen
Listen und Schlichen erzählt war. So jenen Gang in die Stadt
nach Od. 4, 244 IT., da er verkleidet nur von Helena erkannt wird,
ihr den Plan der Achäer niittheilt und mit ihr — nach dem
Proklos — über die Einnahme der Stadt Verabredung trifft. Da-
durch wurde dieser Spähergang zum integrirenden Theil der
Handlung, blieb nicht Episode."^^)
Diesem Gange folgte bei Lesches der andere mit Diome-
des nach dem Palladion , von dem die Zeit vor Arktinos noch
nicht gewusst hatte. Von der poetisch lebendigen Erzählung
dieses Abenteuers, welches Proklos in dürren Worten bezeugt,
ist durch bedachtsame Ausdeutung combinirter Zeugnisse jeden-
falls Einiges ermittelt. Es steht fest, dass wie die Verhandlung
mit Helena just vorher stattgefunden hei Lesches, das verborgene
Palladion nach Weisung dieser selben und durch Verratb der
Priesterin Theano, auch wohl ihres Gatten Antenor, erlangt ward.
So hatte dieser Epiker dem Odysseus das Verdienst auch dieser
Entdeckung und Lösung zugewandt. Aus den Zeugnissen vom
Sprichwort dioni edischer Zwang (Ilesych. u. A.) lässt sich
dazu erkennen, dass hier Diomedes sich das Hauptverdienst an-
zueignen suchte, Odysseus aber diese Absicht nicht ohne Gott
vereitelte."^^)
Jetzt folgte das Einsteigen in das Ross, die verstellte Ab-
fahrt, des Sinon verschmitzte Rolle. Nach Fr. 11 und den Dil-
dern 96 — 98 der ilischen Tafel zusammen mit Proklos wurde
Sinon gemissbandelt, aber das Ross liess Priamos feierlich voran-
schreitend durch die auf sein Geheiss niedergerissene Mauer zur
Stadt und Burg ziehn.'®**) Darnach entnahm Lesches, was das
184) Daher von Aristoteles als Stoff einer Tragödie aufgezählt.
Poet. 23, 4. mco'jiiia, worüber Schoemann de Arislol. censnra carni.
epic. p. 16.
185) Wclcker Cycl. II, 241 — 243. Bcrgk Rliein. Mus. von 1830 4.
224 f. Nach der Stelle in der Reihe der Kleinen Ihas goI)iidctcn Tragö(hen
l)ei Aristot. Poet. 23 a. E. waren die Lai<;incn des Sophokles, deren Name
auf Ilelena's Dienerinnen und sie seihst liinweist, eine Darstellung vom
Rauhe des Palindion. Der Vers: ,, Durch enges Gewölbe drangen wir nicht
ohne Schmutz" malt den Weg der beiden Rauher.
186) Weicker a. a. 0. in Beziehung auf die Darstellung der ilischen
Tafel: „Priamos, als der Anführer des Zuges, schreitet mit Würde und
Scliol. zu Od. 4, 285. bestätigt, von den älteren Erzählern eine
Scene, und dies um so eifriger, als ihm an der ihr einwohnen-
den Absicht lag, den Odysseus als den Retter aus der grossen
Gefahr zu zeichnen. Wahrscheinlich gab er die Aphrodite als
die an, welche die Helena verlockte; aber für die ganze Schil-
derung mit Helena's gefährlichem Leichtsinn und echt weiblicher
Schausi^ielerkunst war seine Muse in hohem Grade geschickt.**^)
In mondheller Mitternacht (Fr. 11.) gab Sinon das Feuerzeichen,
vund es begann zunächst der Nachtkampf.'*') Nur eben ein-
zelne Scenen dieses Kampfes, nicht mehr fortgehende Inhalts-
angaben sind uns überliefert,'-^) aber deren mehre als aus
Arktinos.
Die für die Parteien des Kriegs und dessen Entscheidung
namhaftesten Personen, treten genügend ins Licht; es sind auf
griechischer Seite Menelaos, Odysseus, Neoptolemos, auf troischer
Deiphobos mit seiner jetzigen Gattin Helena, die Antenoriden, Pria-
mos, Astyanax und seine Mutter."'') Menelaos, ganz besonders
im Sinne des affectvollen Dichters dargestellt , dringt mit Odys-
seus zum Hause des Deiphobos, erstürmt es, und erlegt diesen.
Das Schwert in der Hand sucht er darauf und findet Helena;
triumphirendcr Hallung der Arme voran. Fröhlichkeit drückt der tanzende
Schrill des 3Ianncs aus, der uninillelhar an dem Ross den Strick fassl,
und die Gruppe zwischen der zielicndcn Menge und Priamos u. s. w."
Ucber andere Kunsthdder vgl. Overhcck, Call. S. 610 ff.
187) Die in die Odyssee eingescliohenc DoppcHurm ist nicht hlos
wegen des Anliklos unecht, sondern auch weil der Diaskeuast in üeher-
Ircdjung dem Odysseus eine doppelle Hemmung heilegle. Die Einfügung
geschah mit Undjildung S. Stoll Flui. 4, 1701". Die Verlheidigung Welckers
2, 254 f. Ihul zu viel.
188) Paus. 10. 2G, 8.
189) Die Cilatc grösstcnlhcils hei Pausanias in der Erklärung der
von Polygnol gemalten Zerstörung Troias und Ahfaiirl der Griechen, 10,
25, 26 und 27, indem dieser Maler vorzugsweise die Kleine llias hcfulgl
liatle. S. Wclcker Cycl. II, 245 — 250 und dcsselhcn: Ihe Composition der
polygnolischcn Gemälde in der Lösche zu Deljilii. Berl. 48. S. 32 f. ..Pau*-
sanias hat richtig wahrgcnouunen, dass Polygnol zur besondern Ouelle
die Kleine Ilias des Lesches gehabt habe". Die Fragm. Welcker Cycl. II. 532
bis 540.
190) Wie der Scholiasl zu Arisloph. Lysistr. 155 bezeugt, war Les-
ches der Erfinder dieses von aller Poesie und Plastik mehrfach nachge-
bildeten Moments. Wclcker S. 245. Die Kunslhilder theilon sich nach des
Arktinos und des Lesches Darstellung. Vgl. Overbecks Gallcrie S. 626 f.
262
doch beim Anblick ihres enlblössten Busens lässt er das Schwert
fallen (Fr. 16.). In Vorsorge fih' die Familie des Gast- und
Griechenfreundes Antenor ward über seiner Thür ein Sicherungs-
zeichen aufgehängt (ein Pardelfell, auch nach Sophokles). Im
nächtlichen Kampfe ward Anlenor's Sohn Ilelikaon verwundet,
doch Odysseus erkannte ihn und führte ihn aus dem Getümmel;
auch dessen Gallin Laodike, Tochter des Priamos (II. 3, 123 f.),
blieb frei (Paus. 26. 7 und 8). Odysseus erlitt eine Verwundung
durch Thoas (Fr. 8.) und erlegte den Leokritos. Neoptolemos, nicht
blos gewallig wie bei Arktinos, sondern einzig im Uachegefühl
dahinfahrend, tödtete erstens den Priamos nicht auf den Stufen des
Altars, sondern von da w eggerissen, that er ihn im Thor des eigenen
Hauses kurz ab (Fr. 15. P. 27, 2), und den Astyanax riss er aus
den Armen der Amme (U. 6, 399 f. 467), ihn am Fusse packend,
und schleuderte ihn vom Thurme hinab (Fr. 19 und 18 die ei-
genen Verse), also ganz nach eigenem Triebe. Von andern Tro-
ern erlagen ihm Aslynoos, ob dieser ihn gleich fussfällig um sein
Leben anllehete (P. 26, 4), dann Eioneus (27, 1) und Agenor
(27, 2. II. 11, 59 und A.). Wohl mag die Epopöe ihm der-
gleichen noch mehr beigelegt haben, doch er erweist sich schon
nach jenen uns kundbaren Beispielen als der furchtbarste Held.
Aber Lesches theilte ihm doch nur das zu, was er unmittelbar
und in seinem Rachegefühl thut. In diesem Sinne hat ihn gleich
nach seiner Ankunft der erscheinende Geist seines Vaters geweiht,
und demgemäss hat unstreitig derselbe Geist des Achill dem Sohn
vor der Abfahrt aufgetragen, das Opfer der Polyxena zu erwirken,
und hat es dieser selbst ausgeführt. '^') Lesches versäumte dabei
nicht auch andere Helden in der Nachtschlacht sich bewähren
zu lassen. Von der Hand des Diomedes, nicht des Neoptolemos,
wie es sonst lautete, fiel Koröbos, der spätere Bräutigam der
Kassandra,'"^) von der des Philoktetes Admet, von Eurypylos, Sohn
des Eumäon, Axion, Sohn des Priamos (P. 27, 2). Auch dies sind
nur einzelne Beispiele, so wie auch Verwundungen griechischer
Helden nicht fehlen, wie die des Meges durch einen Admet, des
Lykomedes (II. 9, 84. 12, 366 u. a.) durch Agenor (P. 25, 5
191) Welcker II. 247, 269 f. und üverbcck, Call. S. 662 f.
192) Der frühere, Olhryoneus, war dem Idomeneus erlegen. II. 13,
362-373. Koröbos bei Paus. 10. 27, 1 u. E.
263
und 6.), des Euryalos, Sohn des Mekisteus (II. 23, 677 f.), durch
einen Ungenannten. Die Composilion des polygnotischen Gemäl-
des brachte eben nur diese Bilder. Wie viel Mannigfaltigkeit die
nicht unlebendige Darstellung dieses Dichters überhaupt in seine
Schilderung gebracht, können wir nicht weiter nachweisen. Einige
Beispiele aus den Verwundungen gab das Gemälde ausdrücklich
nach Lesches, die des Meges am Arme, mehre des Lykomedes, am
Handgelenk, am Fussknöchel, am Kopfe, des Euryalos am Kopfe
und Handgelenk (25, 5 und 6), Und über diese Eigenschaft
lebendiger Darstellung enthält jenes Urtheil des Aristoteles hin-
sichtlich mangelnder Einheitlichkeit eben Nichts.
Bei diesem Allen ist vielmehr des Lesches Eigenthümlichkeit
darin wahrzunehmen, dass alle diese Thaten und namentlich auch
die des Neoptolemos immer in Ausführung des von Odysseus
vorgezeichneten Planes geschehen. Daneben gestaltet aber der
Dichter die überlieferten Züge sowohl umständlicher als auch
verdienstlich für Odysseus.
Dies ist bei Darstellung des vom lokrischen Aias verübten
Frevels an Athene besonders sichtlich. Hier ward zwar wie bej
Arktinos die Kassandra von Aias, wie sie das Bild der Göttin um-
fasste, mit diesem also aus der Bittstelle hinweggerissen. Jedoch
dort wollten die Griechen ihn steinigen, er aber ward durch die
Scheu vor der heiligen Stätte vor der Strafe geschützt, da er zum
Altar der verletzten Göttin selbst flüchtete. Hier dagegen, wo
auch die Kassandra wohl als begeisterte Seherin zu um so mehr
zu scheuender Würde erhoben erschien, ward er auf Betrieb des
Odysseus vor ein Gericht gestellt, entging aber diesem durch
einen Meineid."^)
Von der Vertheilung der Gefangenen und schonenden Be-
handlung Einzelner vor der Abfahrt ergiebt sich einfach oder
muthmaassUch Folgendes: Die Andromache wurde auch hier dem
Neoptolemos; derselbe nahm in Güte den Aeueas*^^) und wohl
auch den Helenes mit; von der Aethra lautete die Erzählung nio-
tivirter: Sie, die Sklavin der Helena, kam aus der Überfallenen
193) So im Gemälde des Polygiiot Paus. 10, 26, 3 und bei Sophokles
ihi Lokr. Aias S. 105. Nauck , gewiss nach Lesclies. Welckor II. 268.
194) Fr. 18. Die Gallin stall Krcusa von Lesches und Slasinos Eury-
dike genannt, wohl ebenso. Fr. 20.
264
Stadt in das Lager und wurde von Demoplioon und Akamas er-
kannt; aber \Yenn es doch nur natürlich war, dass man sie die-
sen Enkeln ohne Weiteres schenkte, bedurfte es bei Lesches
einer Bitte bei Agamemnon, und dieser gewährte sie erst, nach-
dem ein an Helena gesandter Herold deren Einwilligung gemel-
det hatte (P. 10, 25, 8). Die Kassandra folgte nach alter und
bleibender Sagengestalt dem Agamemnon (Od. 11, 421, Pind P.
11, 19 f. Aesch. Agam. 994—1280. Eur. Tr. 44. 249. und
El. 1032. Iloraz Od. 2, 4.). Die schmerzenreiche Älutter Hekabe,
welche nach keiner Sage irgend in Griechenland erscheint, mag
Lesches, nachdem sie dem Odysseus (Eur. Tro. 277. 1271. 1283.)
zugetlieilt war, durch das überfüllte Maass des Schmerzes und
Zornes aus dem Leben haben scheiden lassen ; Polygnot hatte sie
unter den Gefangenen nicht erscheinen lassen, indem sie nach des
Pausanias Angabe von Apollon nach Lykien entrückt war. '"^j Von
den andern Sagen über ihr Ende mag Lesches mit seiner Stimmung
zu erregter Darstellung wohl die gegeben haben, welche in einer,
dem Alkman nach aller Wahrscheinlichkeit zugeschriebenen Stelle
voll Leben erscheint. '^^)
Dass die Kleine Ilias die Abfahrt erzählte, ist von selbst anzu-
nehmen, aber auch durch Aristoteles Poet. 23 a. E. in dem Titel
Abfahrt bezeugt."^) Es war nach dem Obigen das Opfer der
195) So Stesichoros bei Paus. 10, 27, 2. in seiner Poesie , Troias
Zerstörung , bei Bergk Fr. 19. p. 745.
190) Wclcker Rh. 3Ius. v. 1833. 1. 430 f. Cycl. II. 249. „Es ist aber
auch möglich, dass Lesches schon die Localsage vom Kynosscma aufge-
nommen lialle. Denn aus Alkman, der viel aus dem nachhomcrischcn Epos
geschöpft hat — vor Andern hierzu bezüglich Fr. 31. /JvgTtaQig u. s. w.
— scheint ein Bruchstück zu sein, wonach die Erinyen Hekahe nach allem
unerträglichen Leid in eine bellende Hündin verwandelten, was auch Euri-
pides in die Ilekahe zog (1265)". Die Lokal^age hei Strabo 13. 595. 28.
und 7. 431. 56.*) Doch die Poesie halle die Verwandlung, che die Local-
sage aus ihr die Benennung nahm. Lesches zog nicht wie Agias Local-
sagen licrbei. — Euripides zeigt die lickahe in der Tragödie als Sclavin
des Odysseus, dann wird ihr die Verwandlung prophezeit. Von Odysseus,
den sie durch ihre Verwünschungen erzürnt halte, ward sie getödtet und
begraben, nach dem vor den Biillni. Schoben siehenden Inhalt; nach Dik-
tys stürzte sie sich ins Meer.
197) Welcker Gr. Tr. 178 und über die ganze Stelle des Arislot. das.
1148 Anm.
*) Hierbei ein Fragezeichen des Verfassers. D. II.
265
Polyxena durch Neoptolemos zunächst vorhergegangen, welches
jener Titel umschloss; und da dieses hier wie hei Arktinos er-
folgt war, mag auch die Erscheinung des Achill in ähnlicher
Weise, wie aus des Agias Nosten angegehen ist, dem Agamemnon
warnend das ihm Bevorstehende angedeutet haben. Es erfolgte
die wiederholte Erscheinung zur dankbaren Anerkennung des
Opfers, und, was als Gesetz der Epopöe gelten durfte, es weisen
eben nur Prophezeihungen über den Verlauf der erzählten Hand-
lung hinaus. So in des Arktinos Gedicht von der Zerstörung und
so in dem des Lesches, in der homerischen Ilias des sterbenden
Hektor Prophezeihung, so 22, 359 f. vom Tode des Achill, in der
Odyssee die des Proteus und Teiresias. '^®) Es erzählten andere
Epopöen die Erfüllung dieser Voraussagungen. Die Aethiopis
den Tod Achills, die Nosten den des Agamemnon u. s. w. ;
allein diese wurden immer nach eigener Wahl des Stoffes aus
eigener Absicht und ihrer Zeit gedichtet. Die Dichter der Pro-
phezeihungen bezogen sich durchaus nicht auf sie. Der epische
Mensch hat auch eine Zukunft und einen Glauben an Vorhersa-
gung, und sein Erzähler konnte dabei den Hörer vielleicht an die
Sage oder an Lieder, welche die Erfüllung angaben, erinnern; ihm
aber diente jenes Künftige nur zur Beseelung seiner Personen.
Mehr des Einzelnen kann auch muthmaasslicbe Combination
vom Ausgang der Kleinen Ilias nicht ermitteln. Wir fragen nament-
lich, wie Lesches den Odysseus gestellt habe, der vor Troia am
längsten bei Agamemnon blieb (Od. 3, 262 — 264), dann aber nach
Agias von dem zu Lande heimziebenden Neoptolemos in Maro-
neia d. h. bei den Kikonen (Od. 9, 39 f. m. Anm.) gesehn wurde,
der also nach dem Abschied von Agamemnon seinen eigenen
Weg fuhr, alsbald aber verschlagen auf seine Irren gcrieth.
Die Poesie des Lesches hat nun den Anschein, als müsse
sie durch die Neuerungen, durch welche sie den Odysseus als
198) In dem jetzigen Text der Odyssee, die des Proteus 4, 501 bis
569 und des Teiresias 11, 119 — 137, von denen die letztere ficilicli an sicli
unter der Voraussetzung der UnccIiUicil leicht ausgeschieden \v(!rden
könnte, wie Fäsi und Amcis wollen; aher die Aeusscrungen des Odysseus
23, 251 — 286 f. gestatten dies nicht, sowie die Kritiker dieser Meinung
nicht waren, wenn sie die Odyssee als mit 23, V. 296 geschlossen hctrach-
Icten und in 11 die grosse Interpolation 565 — 627 erkannten.
266
Hauptperson voranstellte und schon zunächst vollständiger dazu
gestaltete, eine recht vorzügliche Einheitlichkeit erzielt liahen.
Dem ist aber nicht so. Es hat erstlich die Einheit der Person
in diesem Falle ihre Kehrseite. Ihr Prinzip des menschlichen
Verdienstes beeinträchtigte die erhabenere Idee des göttlichen
Wallens und der Vollziehung eines langher drohenden, vorbe-
stimmten Strafgerichts. Aber auch die künstlerische Gestaltung
der folgenden zum Ziel strebenden Momente geht einfacher und
für den nationalgläubigen Hörer befriedigender vor sich, wenn
der durch den griechischen Seher sich offenbarende Schicksalswille
die verschiedenen ihm dienenden Kräfte, eine neben oder nach der
andern, jetzt unmittelbar herbeizieht. So werden bei Arktinos
Odysseus und Diomedes von Kalchas bestellt, nach Weisung der
Schicksalsmacht dem Griechenheer an Ncoptolemos und Philoktet
mit ihren Waffen die Werkzeuge zum Siege herbeizurufen. Ebenso
ist Arktinos in einem andern Falle natürlicher. Die Gottheit hatte
nach unserer Annahme die nach Paris Tode wieder angeregte
Auslieferung der Helena in Strafabsicht vereitelt; darnach lässt
er gehöriger und wahrscheinlicher das Geheimniss des troischen
Heilspfandes vom natürlichen Inhaber desselben her entdecken,
dem troischen Helenos, der zu seinem Gott entwichen, nicht
aber wie dort durch den Bund dos schlauen Helden mit Helena.
Und im Sinne der alten Sage beginnt jetzt erst des Odysseus
Hauptrolle. Die Göttin der Klugheit, unzAveifelhaft in Ueberein-
stimmung mit Zeus, erwirkt nach der völligen Einscliliessung
die Einnahme durch Listen mittels ilires Betrauten und mensch-
lichen Ebenbildes oder fördert ebenso das Gelingen. Neben
dem Odysseus als dem Hauptbeweger verbleibt den Tapfersten
ihr Antheil.'»»)
199) Diesellje Charakteristik der beiden Dicliler ist Sagenpoesie 366
bis 369 so gegeben : „Arktinos und Lcschcs vcrlialtcn sicli wie Aeschylos
und Euripides, jener tiefernsten Geistes, dieser 3Ialer der Leidenschaft
und Andichter derselben, wo die' frühere DarsteUung sie nicht hatte,
jener mit dem Blick auf die Gescliickc der Gölter, Verehrer der allen
acliilleisch tüchtigen Ileldenkraft in Neoptoleraos , dieser ganz für den
schlauen Odysseus, und wie den Aias schändend, so den Ncoplolenios
wilder darstellend, als er bei Arktinos erschienen war. Leidenschaft-
liche Erregung und Freude an Scidaulieilen sind die Musen dieses bild-
nerischen Geistes. Diese Leidenschaft cnucdrigt den Aias, diesellje überträgt
267
Die erhabenere Idee ward demnach von Arktinos besser ge-
wahrt, so wie er zur inhumanen Darsteüung des von der Sage
nl)erlieferten tragischen Aias gar keinen Grund hatte. Dagegen
zeigt die obige Charakteristik des jüngeren Dichters bei ihm
ebenso deutlich Leidenscliaftlichkeit und Talent für bewegte
Handlung vollkommen deutlich. Wir begreifen wiederum Beides,
die Anerkennung sowohl als den Tadel seines Gedichts, jene
beim hörenden Volk, diesen beim Aristoteles, neben einander
recht wohl, und sind im Stande, uns dieselben aus einer und
derselben Darstellungsweise zu erklären. Eine solche Erregt-
heit gerade ist erfinderisch zur bewegten Schilderung und er-
scheint angethan und gleich von vornherein thätig dramatisches
Leben da hinein zu bringen, wo es vorher nicht \\ar. Sie ist
aber auch viel weniger versucht, eine vi eil heil ige Handlung
(Aristoteles) d. h. eine Reihe nach einander hervortretender Per-
sonen je mit eigenen Gemülhsverfassungen und Umständen zum
merkbaren Fortschritt der Haupthandlung dem Grundmotiv unter-
zuordnen. Im Geäentheil sucht sie eine solche Reihe von Handeln-
den zu einem Wechsel lebensvoller Einzelbilder auszuprägen,
welche durch den Reiz lebendiger Anschaulichkeit und durch
Mannigfaltigkeit vergnügen. Dieser Reiz und jener des drama-
tischen Lebens empfahl die Kleine Ilias zuerst den darstellenden
Rhapsoden zum Vortrag und zwar dem gewöhnlicheren einzelner
Partieen.
Dass diese Epopöe viel umher rhapsodirt worden, bezeugen
uns ja die vielerlei Angaben über ihre Verfasser, wie die nicht sel-
tenen Kunst bilder,^"*') welche verbreitete Rekanntschaft voraussetzen;
wenn die Nachbildungen der Tragiker auch in Folge der Lesung
geschehn sein mögen. Aristoteles mochte mit vollem Recht aus den
zahlreichen Tragödien, zu denen die Kleine Ilias in obiger Weise
die mannigfachen Situationen gab, sich das tadelnde Urtheil bil-
den Mord des Astyanax von Odysscus (seinem Ralli) auf den Neoplolenios
(in rascher Thal), — sie erfand jene Scenc, da der scliöne Uusen der
Helena den zornentbrannten Menelaos entwaffnet". — S. weiter, wo das
Üliigc folgt.
200) S. Buch 2 Anm. 107 mit dem dortigen Text. Die Kiiiislhildcr
in Ovcrbccks Gallerie heroischer Hildwerke, hcs. von S. 62G — 055 Helenas
Wiedergewinnung, Demoplioon undAkamas milAelhra, Aias und Kassandra,
268
den, tlass ilir die Einlieitliclikeit mangele (Poet. 23. a. E.), nur
wird diese, wie in unserer Zeit Goetlie rügte, von der Menge
nicbt geschätzt, die das Ganze doch zerpflückt. Damals aher
wurden die Hörer gerade durch jene Mannigfaltigkeit und das
dramatische Leben angezogen.
24. Charakter des Vortrags. Das Dramatische.
Den Reiz des dramatischen Lehens kann ein solches Gedicht
gar ^^ohl an sich tragen , diesen hat Aristoteles der Kleinen Ilias
auch weder dort noch in der andern Stelle abgesprochen —
Poet. 24., 7. — wenn man sein Urtheil als wirklich von ihm
gefällt, als ein besonnenes versteht und ausdeutet. Er sagt hier
„Homer wie in Vielen preiswürdig, habe auch unter den Epikern
allein recht verstanden, dass der Dichter nur ganz wenig in
eigener Person sagen dürfe, sondern darstellen d. h. in drama-
tische Handlung setzen müsse; daher führe er alsitald einen
Charakter auf, und gel)e nichts Uncharakterisirtes. Die Andern
debütirten gemeinhin selbst, und stellten nur Weniges und in
seltenen Stellen dar". Dieser so summarische Ausspruch über-
geht ebenso wie jener über die Einheitlichkeit alle speziellere
Vergleichung, mithin alle Ausnahmen und annähernden Ab-
stufungen. Aber Aristoteles und jeder irgend Kundige mussle
alle die mehren in jeder Epopöe vorkommenden Handlungen
und Lagen ganz ausser der Rechnung lassen, welche sich von
einem Dichter gar nicht anders gegeben denken lassen, als durch
sprechende Personen, man müsste denn ihm alles Talent selbst
absprechen.
Jede Musterung der Sagenstoffe oder der Inhalte des Prok-
los gemahnt an eine Reihe solcher Akte, welche blos als ge-
schehn zu berichten, ohne sie durch Worte zu beseelen, auch
dem massigsten Dichter kaum in den Sinn konnuen konnte. Es
begegnen uns da die nach den SloITen und dem Gange der Re-
gebenheiten verschiedenen und seltneren oder häutigeren, aber
doch in keiner Epopöe fehlenden Anlässe zu Rotschaften vor und
während der Kriege nach Theben oder Troia, um Cemigthu-
ung oder um der einen oder der andern Kriegspartei neue Ge-
hilfen herbeizurufen, wie in beiden Gedichten von Troias Zer-
störung die nach Skyros um Neoptolemos, nach Lemnos um
269
Philoktet, nach Mysien uin Enrypylos. Ferner gab es natür-
lich Gebete oder besondere Uitten an Zeus in der Aethiopis, den
Kyprien, der Thebais um Unsterblichkeit gefallener Helden, Ver-
kündigungen und Mahnungen der Seher Kalchas, Ilclenos, Kas-
sandra, Amphiaraos, dieses durch die ganze Thebais. Die be-
sonderen Ereignisse brachten aber auch Fälle von Parteiung
und Streitigkeiten, wie der Prozess um Achills Waffen bei Arktinos
und Lesches, die Bewegung nach des Thersites Todtschlag in
der Aethiopis, des Amphiaraos Abmahnung vom Kriegszuge und
die bestochene Eriphylc in der Thebais, der Streit der Atreiden
zu Anfang der Nosten, der zwischen dem verletzten Achill und
Agamemnon in den Kyprien. Hierzu kommen endlich auch
mehrfach Verhandlungen , Verabredungen , kurz Zwiegespräche
zwischen Einzelnen. Und nimmer doch werden die Gemüther
in ihrer Freude über die Ankunft der ersehnten Gehilfen oder
vollends über den geglaubten Abzug der Feinde von diesen Epi-
kern nur durch starke Prädicate oder etwa Gleichnisse charak-
terisirt worden sein.
Solche Anlässe lagen also mehr oder weniger scbon in den
überlieferten Sagengestalten, doch sehn wir in den Darstellungen
desselben Stoffs zwischen Arktinos und Lesches diese Anlässe
gemehrt, dramatische Scenen von dem Letztern gebildet, wo sie
bei Arktinos nicht vorgingen. Ueberhaupt fand sich in der
Kleinen Ilias des Lesches des Dramatischen nicht wenig, wie
folgende Uebersicht zeigt:
Nicht blos dass von einem Epiker, der gleich die erste
Scenc, den Waffenstreit, ausser den nothwendigen Reden der
Streitenden, din'ch das Gespräch der Jungfrauen so lebendig dra-
matisirte, die Voraussetzung eines häufigem Gebrauchs derselben
Form gilt, es begegnen uns folgende Fälle: die Befragung des
Helenos, die beiden Sendungen zur Berufung des Philoktet und
Neoptolemos, des Odysseus Spähergang und Vcrliandlung mit
Helena, der auch kaum ohne Gespräch zu denkende Baub des
Palladion mit Hilfe der Antenoriden, die Scene da Helena das
Boss umgeht, des Sinon Bolle vor den Troern, der Troer Jubel
über die vermeintliche Abfabrt, ihre Bcrathung über das Boss
und des Priamos Anordnung. Im Nachtkampfe Aehnliches: Odys-
seus erkennt den Antenoriden Helikaon und reitet ihn aus dem
270
Gelüininel, Asiynoos (Iclit iiin sein Lehon, die Thescussölino, von
der Aetlira aufgesuclil, bitten um sie bei Agamemnon, Menelaos
tritt, nacbdem er den Deipiiobos bewältigt hat der Helena mit
dem Schwerte entgegen, doch es entfällt ihm — doch wohl
keine stumme Scene — , es wird über des Aias Frevel Gericht
gehalten und er muss schwören, Neoptolcmos — auch sonst wohl
ein nicht wortloser Haudegen — wird vom erscheinenden Geist
des Achill beauftragt und verlangt das Opfer der Polyxena, und
Achill bei zweiter Erscheinung warnt den Agamemnon. Kaum
irgend eines dieser Ereignisse möchte anders als dramatisch er-
zählt gewesen sein. Noch weniger des Odysseus Anordnung der
Listen, Berichte aus Troia, Vereinbarung mit Diomedes u. s. w.
Auch Nestor wird nicht blos in der ersten Scene einen Rath
gegeben, noch Lesches dessen Mahnungen ganz in eigener Per-
son berichtet haben.
Diese theils bezeugten, theils so wahrscheinlichen Beispiele
bestätigten die obige Angabe, dass Lesches dem Homer an dra-
matischem Leben am ähnlichsten gewesen sei. Aristoteles hat
diese stärkste Ausnahme von seinem allgemeinen Tadel nicht
beachtet, und ebenso wenig dem Dichter der Kypria die auch
dramatische Belebung zu Gute gerechnet, die uns in mehren
Citaten augenscheinlich vorliegt und über diese hinaus seiner
ganzen Poesie zuzutrauen ist.^"') Die Ausnainucn von seinen Bü-
gen und die Annährnngen an Homer in einzelnen Eigenschaften
gingen den Aristoteles Nichts an, wie gesagt. Seiner Theorie
war es auch bei dem Lobe der dramatischen Darstellung nur um
die Betonung des Vorzugs zu thun, durch welchen Homer vor
allen andern Epikern hervorleuchtete. Daher das nur allgemeine
Urtheil über diese andern, und gerade in diesem nach Aristote-
les Begriff von poetischer Darstellung wesentlichsten Punkte.**"*)
201) Fr. 10. des Nestor Gespräch mit Menelaos, Fr. 14 Agaiiieniiioiis
Ver-wuiulcruiig über Achills Verlclzllicil , Fr. 22 ein Wort des Paris nach
Weicker II. 211 , dessen Darlegung des ganzen Inhalts der Kypricn, die
mehren Anlässe zu Reden bemerklich macht, von S. 85 an.
202) Wie er die Lehre von Piaton überkommen halte; Mimcsis, Nach-
ahmung, ist das Werk des Üicliters. Ar. Poet. 3, 2. Plalon Staat III. 3021).
und 393 AB.: „er legte Alles so an, dass wir glaulien sollen, nicht Homer
sei der Spreciiende, sondern der Priester; und olingofälir auf dicscihe
Weise hat er nun auch die Ranze ül)rii(c Erzäldnnc; von den Besebenlioilen
271
Wie schon Poet. 4, 9 oder 12 lloiiier l)elolit Aviid, weil er niclil
überhaupt nur gut, sondern gerade dramatische Nachahmungen
gedichtet, so wird in der vorliin angeführten Stelle 24, 7 oder 25, 1.
in dieser Nachahmung, dieser dramatischen Darstellung das Haupt-
werk und Wesen der Poesie gefunden. Hierbei sah Aristoteles wohl,
wie in Homers Poesieen die dramatische Darstellung durchgehends
mit Erzählung cles Dichters wechselte und wechseln musste (Poet. 3,
1.) Es kam aber auf das Bemühn und Geschick an, bei Hand-
lungen und Zuständen , welche nicht schon an sich mit Reden
stattfanden, das Interesse auf einzelne Personen zu concentriren
und aus den betheiligten Vielen, Einzelne mit ihrem besondern
Charakter und ihrer Empfindung des Moments auftreten und laut
werden zu lassen — die Schlachlgemälde zu Einzelkämpfen zu ge-
stalten. Auf diese Weise ward die Epopöe in ihren einzelnen
Partieen beseelt, so dass kein Theil uncharakterisirt blieb. Die
sprechenden Charaktere machten die homerische Poesie zur cha-
raktervollen, indem die Ausprägung der Charaktere und die dra-
matische Darstellungsweise fast Eins sind, Eins das Andere be-
dingt, und beide in einander wirken.^"^) Obwohl das Cliarak-
terisiren keineswegs nur durch beigelegte Rede geschah, der
rechte Dichter und eben Homer that es bei dem seltenen Ge-
brauch der Beschreibung in eigener Person mittels der Handlung
selbst, und durch aus ihr hervorgehende Worte.
So ist die Charakter - und Seelenmalerei i und individuelle
Zeichnung überhaupt ein Titel poetischer Kraft und Wesenheit,
an dem die Griechen selbst ihrer Dichter Trefflichkeit und zu-
gleich Aehnlichkeit mit Homer messen. In diesem Sinne heisst
es von dem Stesichoros, in ihm habe Homers Seele gewohnt.
So auch erklärte ein Anderer, einzig Sophokles sei ein Schüler
Homers, und nannte Polcmon Homer den epischen Sophokles,
Sophokles den tragischen Homer. ^''*) So sollten wir also ge-
in Troia sowohl, als in llliaka und in der ganzen Odyssee oingorirlilot.
S.Forcldianimer dcAristotelis arlc poctica exPlalone illuslrandaCuninient.
Kiel 1848.
203) Um lehensvoller Charakteristik willen liessen die antiken Go-
schichlschreiLer, Staalsmänner und Fcldlierron Reden liallcn.
204) Stesichoros in der Antlud. Palal. 1. 328. Sopiioklcs im Gr.
Lc])en dcss. S. Philol. VIII. 733. Mehr Sagenp. 08 f. 504 f.
272
rade auch in diesem Punkle zu erkennen im Stande sein, wie
sich Arklinos und Lesches und die übrigen Nachfolger zu Homer
verlialten.
Gerade aber hierzu dienen uns die Inhaltsverzeichnisse aus
Proklos, wie sie vollends von Photios noch oft epitomirt erschei-
nen, kaum irgend einmal. Ist es doch ihr Prinzip, Personen
und Sachen von aller Poesie entkleidet zu gehen," so dass nach
ihnen die Poesie der andern zu heurtheilen ein Missgriff und un-
bedachtes Vorurtheil hcissen muss. Homers Nachfolger führten
zwar von ihm bekannte Charaktere, vornehmlich Achill, Aias,
Diomedes, Odysseus, Nestor, die Atreiden, Paris und Helena u,
A. vor, theils aber auch neue, Pcnthesileia, Memnon, Neoptolemos,
Orestes, namentlich auch Palamedes. Wir müssen daher ein
Urtheil über Beides zu gewinnen suchen, ob die einzelnen Dich-
ter bei jenen die homerischen Bilder behalten, bei diesen und
überhaupt die homerische Bilderweise oder eine verschiedene
befolgt haben. Eine Unterscheidung des Arktinos und Lesches
hat sich hinsichtlich der altbekannten schon in dem Obigen er-
geben. Schon die Wahl der Stofle und Hauptpersonen verrieth
die verschiedene Individualität. Arktinos wählte Achill und Neop-
tolemos, Lesches seinen Odysseus. Aber auch Arktinos hat seinen
Achill nach seiner Weltansicht eigen gestaltet. Achill erscheint
menschlicher in Gefühlen der Pcnthesileia gegenüber und wenn
im Todlschlag zornmüthig zur Bache für den P'rcund aufgestachelt
gleich dem der Ilias, doch hier tragischer noch. Neoptolemos
aber nur eben tapfer wie sein Vater, nicht unbarmherzig rasch
wie bei Lesches (Tod des Astyanax). Dem von Lesches so über-
eifrig ausgeschmückten Odysseus beliess Arktinos seinen Charak-
ter und sein Verdienst zur Eroberung ganz der Sage gemäss,
wiederum aber stellten Stasinos und Agias ihm den Palamedes
als Bivalen auf, der ihn bei der Aufforderung zum Heerzug ent-
larvte, und dem er mit Hilfe des Diomedes kurz vor der Zeit
des Zorns den Tod bereitete (Paus. 10, 31, 2.). Daher denn
des Getödteten Vater Nauplios aus Bache bei der Heimkehr die
Schiffe der Achäer durch Fackelschein an die Klippen Euböas
lockt. Von den Erfindungen, welche dem Palamedes mehr und
mehr nachgerühmt wurden, nannte schon Stasinos die Buch-
stabenschrift, die Zahl und deren Gebrauch und das Würfel-
273
spiel.*"^) Nehmen wir den Aias und den Menelaos in LescLes' Dar-
stellung hinzu, so hahen wir die sprechendsten Belege der von diesen
Dichtern beliebten Wandlungen der überlieferten Charaktere. Die
neuen aber, Penthesileia und Memnon, auch Neoptolemos, wie er
des Vaters Waffen empfing, wurden, wie aus den dürftigen Ueber-
bieibseln doch deutlich genug hervorgeht, mit glänzenden Be-
schreibungen eingeführt. Solche Beispiele halten wir mit dem
IJrÜieil des Aristoteles zusammen, da er den „Andern" von dra-
matischer Darstellung nur wenig beilegt. Zunächst mögen sie
wenig von der Erfindsamkeit geübt haben, mit der Homer in der
llias die umfassenden Zustände zu Einzelscenen zu concentriren,
also für lebendige Rede Gelegenheilen zu schaffen wusste. Dann
aber standen sie hinter der Weise ihres Meisters wohl ebenso
w eit zurück in der Zeichnung von Charakterbildern , in der
Schilderung von Gestallen mit ihrem Schmuck, von den Innern
Eigenschaften der Personen, von Schönheit der umgebenden Na-
tur oder der Wohnungen und dergleichen. Homer selbst hebt
durch Beschreibung die Eigenschaften der Person<»n oder Sachen
oder Orte da hervor, wo sie für die Handlung alsbald bedeutend
werden sollen; aber mehr noch thut er es in energischer Weise
durch die Handlung selbst, feiner noch mittels Reflex, als von Per-
sonen empfunden und lebendig offenbart. Es wird dies in der später
auszuführenden Nachweisung seiner Darstellungsweise voll und
reich hervortreten. Dürftig stehn uns die Beispiele aus den an-
dern Epopöen zu Gebote, aber jene Beschreibungen der ganz neu
auftretenden Helden waren auch in Homers Weise an ihrer Stelle,
wie er Waffen und Bewaffnung des Aias {II. 7), des Agamemnon
(11) und gar des Achill (IS) beschreibt. AVeiin er ferner die
Schönheit der Helena durch die Wirkung auf die Greise und ihr
Gespräch (11.3, 154 — 160), die der Penelope durch die auf die
Freier zeichnet, können wir Achills Bewegung beim Anblick der
schönen Leiche in der Aethiopis, imd den Menelaos, dem vor
Helenas Busen die Waffe entsinkt, in der Kleinen llias verglei-
chen. Auch die Vorbereitung und der vor den Augen des Hö-
205) Die Erfindung der Schrift legte Slesiclioros in seiner Oresleia
Fr. 31., den Gehraucli der Zahl zur Ilooresonlntni;; Acscliylos im Palanie-
des hei Athen 1. 11. E. Fr. 170. Nck. S. 40 -vgl. 11111 I'lato Staat 7. 522. U..
den der Würfel Pojygnot in seinem Cit'iuiiido Paus. 10,31, 1 dvinPalamedesLei.
Nilzscli, Gesell, a. griech. Epos. 18
274
rers werdende Scliniuck der Aphrodite in den erlialtencn Versen
der Kypria (Fr. 3. Welck., S. 88 f.) kann mit der Schilderung der
Here II. 14, 169 0". einigermaassen zusammengestellt werden. Es
ist wahrscheinlich, dass ausser an jenen Stellen noch an andern,
gerade in den Ryprien und der Kleinen Ilias, die lehendigc Ue-
schreihung und auch die Wirkung gebraucht war z. B. als Paris
die Helena zuerst erblickte. Trotz alledem aber muss doch die
dem Homer gleichkonmiende Anwendung der dramatischen Form,
wie das Maass in den Beschreibungen, wohl von Aristoteles
vermisst worden sein. Eine Vergleichung der Nachfolger mit
Homer kann nur so versucht werden, dass wir durch muthmaass-
liche Folgerung aus dem Gegebenen dahin, streben, die allgemei-
nen Sätze des Aristoteles ungeachtet der ganz unpoetischen In-
haltsanzeigen auf die einzelnen Darstellungsformen zu beziehen
und so einigermaassen auszulegen. Ueher die drei, Arktinos,
Lesches und Stasinos konnten wir ein unterscheidendes Urlheil
gewinnen; die gewählten Stoffe zeigten sich für- die Einheitlich-
keit in ganz ungleichem Grade geeignet. Die Aethiopis des Ark-
tinos stellte sich durch ihre vortreffliche Einheit neben Ilias und
Odyssee, dagegen verriethen die Kypria des Stasinos in dieser Be-
ziehung ein schwaches Kunstgefüljl. In der doppelten Behandlung
der Einnahme Troias offenbarte sich die verschiedene Wellansicht,
aber Lesches bei seiner Hervorhebung der Menschenkraft erreichte
doch die persönliche Einheitlichkeit nur durch willkürliche Um-
bildungen der überlieferten Sage, während der ernste Arktinos,
dieser getreu, seine erhabenere Idee von den Geschicken nach
Möglichkeit durchführte. Indem bei diesem letztern das langher
drohende Strafgericht an Troia sich erfüllte, geschah es wegen
Frevels der Sieger nicht zu ihrem reinen Gewinn, und aus dem
Fall der Königsstadt ging das Aeneadenreich hervor. Ausser diesem
Ergebniss hinsichtlich der Norm für Gestaltung des Ganzen und
dessen Einheitlichkeil, finden wir das ganz summarische Urlheil
über die Darstellungsweise der Andern in seiner Allgemeinheit
ungiltig, die dort getadelten Beiden waren hierin auszuzeichnen.
25. Fortsetzung. Gleichnisse und Gemeinspr ü che.
Es fehlt uns zur Vergleichung der Andern mit Homer in
emptindlichstem Grade an Beispielen von ihrem Gebrauch der
275
so mannigfachen Mittel der Darstellung. Auf sie Hess die be-
griffliche Theorie freilich sich wenig ein; und doch müssen sie
sämmtlich bei ihnen Allen mehr oder weniger vorgekommen
sein. Jedenfalls würde ein gehöriges Urlheil sich dann erst bil-
den können, wenn auch diese spezielle Vergleichung möglich wäre.
Gleichnisse und Gemeinsprüche sind nach der dramatischen
und immer charakterisirten Darstellungsweise die namhaftesten
Erweisungen des homerischen Genius. Die Theorie des Aristo-
teles gedenkt in der Topik der Vergleicliungen als Mittel der
Verdeutlichung und stellt den homerischen, welche von allgemein
vorliegenden und bewussten Anschauungen entnommen seien, die
des Chörilos im Epos über die Perserkriege entgegen.^^^) Dem
Gegensatz nach waren die des Chörilos gesucht und gezwungen.
Dieses Ungehörige ins Licht zu setzen, gaben die ältesten Epiker
gewiss keine Gelegenheit, so unzweifelhaft ihrer Phantasie auch
Gleichnisse zu Gebole standen, um Momente der Erzählung zu
versinnlichen und zu heben. Freilich findet sich unter den spar-
sam erhaltenen Versen kein eigentliches Glcichniss, nur eine
einfache V^ergleicliung in dem Wort jener Jungfrau bei Lesches:
„Auch wohl ein Weib mag tragen die Last, wenn ein Mann ihr
sie auflegt".
Gemeinsprüche konnten ebenso wenig bei den Nachfolgern
Homers, der daran so reich ist, fehlen. Bei aller Zufälligkeit
liegen uns doch einige vor, aus Arktinos' Eroberung: „Thöricht
ist, wer den Vater erschlug und die Söhne zurücklässt"; aus
Stasinos „denn wo Furcht, da ist auch Scheu stets", ,,Wein,
Menelaos, erschufen den sterblichen Menschen die Götter Als gar
treffliches Mittel hinwegzuschcuchen die Sorgen".
Von diesen beiden Formen wendet Homer die Gleichnisse
gemeiniglich in eigener Person an, die Gemeinsprüclie dagegen
nirgends für sich präcepternd, sondern immer dramatisch im Munde
seiner Personen und an Stellen, welche für die Sprecher charak-
teristisch, für die Handlung bedcnliuigsvoll sind.^"') Wenn wir nun
206) Topica VIII. a. E. Nake Qliöril. 04.
207) Sagonp. TBf. Odysscus 11.2, 204: „ViollKMTsrliaftlaugl niiiiiiicr
im Volk; Ein König gchiok'". Kcslor II. 9, ^\'^■. ..Hcclillos nonn' icli den
Mann" u. s. w. Hoklor 11.12,24:5: „Ein Walirzcidicn nur gilt, das Valpr-
land zu onellon'-. Pulydanias II. 13, 72'.) If. Zeus 11. 17, 440. Odysscus
18*
^276
bei den Epikern, welche, vom Vortrag der homerischen Gedichte
zu eigener Dichtung angeregt, ihrem Meister wohl auch in diesen
Stücken nachdichteten, von beiden nicht wenigen Gebrauch vor-
aussetzen, so fehlt es uns allerdings an Belegen, um ihr Ver-
fahren mit dem Vorbilde genau zu vergleichen. Dessenunge-
achtet ist es denn doch nur eine naliu'liche Annahme, dass
auch diese Nachfolger, vollends der so gern ausführende kyp-
rische Epiker nnd der erregte Lesches, diese Darstellungsmiltel
nicht ungebraucht gelassen. Die spezifische Kraft des Dichters,
die Phantasie und gerade auch die epische Dichtung brachte
unausbleiblich die Darstellung belebende und hebende Bilder her-
vor. Und waren jene durch Homer in die Phantasie- und Glaubens-
welt der Sagen eingeführt, und halte er seine Darstellung durch
Bilder so reichlich belebt, durch Sprüche so häufig gewürzt, so
konnte Beides bei ihnen nicht ausbleiben. Ist uns die spezielle Ver-
gleichung nicht möglich, so können wir wenigstens ein muthmaass-
liches Urtheil aus dem Verhältniss gewinnen, welches zwischen den
Spätem, Quintus und Apollonios von Bhodos, und Homer stattfin-
det. Sie sind in ihren Gleichnissen und Sprüchen theils den homeri-
schen Mustern gefolgt, theils haben sie selbsterfindsam Eigenes ge-
geben.'^"'') So wird das Verhältniss der älteren Nachfolger des Ho-
mer unstreitig ebenso theils das abhängige des Nachahmens, theils
ein freithätiges gewesen sein. Dass Qleichnisse und dass Gemein-
sprüche gerade in lebendig vorgetragenen Gedichten als annehm-
Od. 8, IGT 11". 927 f. uiul 18, 136 f. und 19, 13. Telemach Od. 2 , 04—66.
Der fromme Eumaos Od. 14, 83 f. und 404—400. Solche Sprüclie aus
Homer lebten den Griechen im Gedäclitniss imd gingen von Munde zu
Munde, und wurden von ihren Schriflslellern nacli diesem populären Ge-
brauch citirl. So Ihat auch Aristoteles und verwecliselle dabei melirfach
die eine Stelle mit der andern. Sagenp. 338 f.
208) Ueber Quinlus s. Koecldy Proleg. XGIV. und V. Die Sphären
und unmillelbaren Anschauungen, aus denen Homer seine Bilder enlnalun,
konnten bei den Epikern so viel civilisirterer Zeil nidit innner ikk b die-
selben sein. Wohl waren Bilder von der gewobuliflien Viebznclil und
von Hauslbieren ihnen aus eigener Erfahrung Li;egenwärlig, aber Löwen
und Panther halle gewiss weder Apollonios, noch vollends Ouinlus aus
eige'ner Anschauung. Und wohl schon Lesches nicht mehr, wälueml die
Gleichnisse von Löwen und der Löwenjagd der bewadnelen llirlen bei
Homer aus eigener Kunde und lebemliyer Auffassung der Tbierwell ganz
besonders hervortreten.
277
liehe Ziithat galten , ersehn wir aus den mehren Stellen der IliaS
und Odyssee, \vo wir sie als von Rhapsoden selbst eingefügt er-
kennen.'""^) Also von allen Seiten her wird uns der Gebrauch
Beider bei den ncächsthomerischen Epikern glaublich. Sie unter-
schieden sich aber von den Spätem wahrscheinlich nach der
Bestimmung für Hörer, nicht für Leser; ihre Gedichte werden
nach der Unterscheidung des Aristoteles den Sprechstil, nicht
den für Leser oder Vorleser bestimmten gehabt haben. Dieser
letztere trat in epischen Gedichten mit Chörilos, Panyasis, An-
timachos ein, und waltete bei den Alexandrinern bei aller Nach-
ahmung des Homer doch vor.''")
Das Musterhafte der homerischen Gleichnisse besteht frei-
lich nicht in diesem Stilistischen zunächst, sondern in all ihrer
Erfindung, ihrer bemessenen Anwendung und Ausfidirung. In
der Erfindung offenbart der geniale Dichter seine, die ganze Er-
scheinungswelt beherrschende allgegenwärtige Phantasie, da er
bei dem häufigen Gebrauch doch nur in ganz einzelnen Fällen
dasselbe Bild wiederholt. Die Gestaltung der Vergleichungspunkte,
da vorherrschend nicht die Subjecte, sondern deren Situation ihn
bilden, offenbart in einer Anzahl in ganz eigenthümlichem Grade
den mit der Phantasie wirkenden Verstand, der in dem verschie-
densten das Analoge erfasste, wie Iris gleich dem Senkblei in
das Meer taucht (II. 24, 80.), Odysseus (Od, 5, a. E.) unter einer
Schütte Laubes liegt wie der glimmende Brand unter der Asche.'")
209) Die Rhapsoden schoben dergleichen neu ein oder erweiterten
üJicrkounnene durch Einschiebsel.
210) Arisloleles Rliet. 3, 12, 2. vgl. mit 13, 1,6. unterscheidet die
Sclu'eibart und Slilfürm für Rtiapsoilen und dramatischen Vortrag von
dem Lesostil. Sagenp. 304. ,, Hätten die Kleine llias und die Kyj)ria nicht
viel der homerisclicn Darstellungsarl gehahl, so wären sie wohl weder
auf den Jiomerischen Namen gekommen, nocli liätten die Rhapsoden sich
mit ihrem Vortrag so viel eingelassen, wie von der Kleinen llias und den
Kypria ausser den Horaeriden die mehren andern Angaben des Verfassers
nns erkennen lassen".
211) Dieses feine Erfassen des Analogen überrascht bisweilen auch
bei andern allen Dichtern. Rei Aeschyl. Clioeph. 409 oder 505 erhalten
überlebende Kinder den Ruf des Vaters dem Koike gleich, der das Fischer-
netz vor dem Untersinken schützt. Die schnellen Weclisel des (iesciiicks
sind dem Simonides im 39. oder 32. Fr. der Threnen so uidiesländig, wie
die Fliege die Stelle wechselt. Vgl. Sokrates bei Xenophon Memor.3, 11,5.
278
Es werden in einem späteren Abschnitt (Buch 3 §. 6) diese und
andere charakteristisclie Eigenschaften der homerisclien Gleich-
nisse in reichlichen Beispielen aufgewiesen werden. Dahin
gehört zuerst, dass der Dichter ihnen so oft einen das Men-
schengefühl ansprechenden Zug beigiebt z. B. dem von der Woll-
spinnerin (II. 12, 435), dann, dass die grosse Mehrzahl sich
knapp in wenigen Versen hält, endlich, dass die häufigere oder
seltnere Anwendung dieser Darstellungsform theils sich nach dem
Inhalte der Erzählung richtet, theils nach dem genialen Belieben,
mit andern Mitteln den Hörer festzuhalten, wechselt. Hier ist
diejenige Eigenschaft hervorzuheben, welche die späteren Epiker
so oft verlassen haben. Homers Gleichnisse sind innner der An-
schaulichkeit wegen angewendet, und daher von allbekannten An-
schauungen entnommen, sie stellen deswegen ihre Bilder reinlich
und hell in ihren Zügen hin, und auch, wo sie in grösserer Zahl
gleich nach einander erscheinen, hebt jedes seinen Moment unver-
wickelt hervor. Anders die uns vorliegenden späteren Epiker.
Sowohl häufen sie bei der einfachen Vergleichung zu gern und
oft die Subjecte, als sie auch öfter ihre Bilder überhäufen und ver-
schlingen, so dass sie weder zu rechter Sichtlichkeit hervortreten,
noch dem Geiste die Ruhe der Wahrnehmung gewähren. ^'^) Und
wenn die Nachbildung der homerischen ihre Selbstthätigkeit hat,
so behält das Vorbild doch vor dem Nachbilde seinen Vorzug. In-
dessen nicht die nächsthomerischen Epiker, sondern Chörilos in
seinem Epos vom Perserkriege diente dem Aristoteles zum Gegen-
satz bei der Unterscheidung der schönen oder tadelhaften Wahl
der Bilder. Aus allbewussten Anschauungen sollen sie entnommen
sein wie die homerischen, nicht wie die des Chörilos, nicht gesucht
und erkünstelt. Da ist nun an sich kein Zweifel, dass die Gleichnisse
der älteren Epiker ebenso wie die homerischen gemeinverständ-
liche Anschauungen gebracht haben. Aber auch die unverwickelte,
das einzelne Bild schlichthinmalende Ausführung haben wir ihnen
zuzutrauen. In der Ilias und Odyssee treten Gleichnisse nicht
ein, wo die Erzählung durch sich drängende Thatsachen rascher
fortschreitet oder die Handlung durch Gespräche gefördert wird.
Gewiss auch so bei den Nachfolgern Homers. Ebenfalls werden
212) Homer häuft die Sul»jecte nur, wo durch gehäufle Verneinungen
ein Gegensalz gehoben wird. II. 14, 394. 96. 98. — 22, 262 f.
279
die Einzelkämpfe in der Aethiopis und der Thebais, der ersten
Partie der Epopöen von der Zerstörung, ihren Diclitern, wie die
Erzählung vom Kampfe auf dem Schlachtfelde dem Homer, oft-
mals Anregung zu Bildern gegeben haben; auch sie werden nicht
ermangelt haben, besondere Erfolge durch Bilder zu heben. Es
kommt uns nirgends her ein Grund, Fähigkeit und Absicht sol-
cher Belebung den rhapsodirenden Epikern weniger zuzuschrei-
ben, als einem ApoUonios oder Quinlus. Vielmehr wirkte, wie
gesagt, die Bestimmung für den lebendigen Vortrag auf Gebrauch
der dem Hörer gefälligen Darstellung und zugleich auf jene epi-
sche Durchsichtigkeit.
26. Allgemeine Stellung der späteren Epiker zu
Homer.
So haben wir die nächsthomerischen Epiker uns als Dichter
vergegenwärtigt, welche ihre Sagenparlieen jeder aus eigenem An-
triebe \^ählten, und doch ihre Darstellung der des Flomer nachbilde-
ten. Aber Homer halle durch seine Neubildung früherer Lieder
nicht blos diese vergessen gemacht. Die mannigfachen Erwei-
sungen seiner Genialität bildeten eine harmonische Gesammtheit
von Vorzügen, denen auch nur im Einzelnen es annähernd gleich-
zulhun, schon Beifall und Buhm brachte. Homer halte, durch
die glücklich und sinnvoll gewählten Stolle begünstigt, es mit seiner
in allen Zeitaltern seltenen Begabung vermocht, Hörern des ver-
schiedensten Geistes und Geschmacks zu gefallen, den flacheren
und auch den tieferen, denen, welche der Scenenwechsel und er-
regtes dramatisches Leben anzog, und auch den Sinnigeren, welche
die Pläne und Charaktere im Fortgang der Handlung verfolgten.
Die Nachfolger waren alle minder als er begabt, und nur in
Einem Falle durch ihren Stofl' gleich begünstigt, den jeder Epi-
ker nach dem Interesse seiner Umgebung wählte. Was die Ein-
heillichkcll anbetrifft, hatten sie es meistenlheils schwerer, behan-
delten aber das^ Gewählte natürlich auch als Individuen nach dem
Grade und Eigenlhündichkeit ihrer Begabung, wie nach ihrer
Weltansicht verschieden. So ist jedes allgemeine Urthcil unhi-
storisch, wenn es mehr besagt, als dass keiner von ihnen die
Vortreftlichkeit der Uias und Odyssee erreicht. Die griechische
Epopöe, deren Blülhe und Höhepunkt jene beiden darstellten.
280 .
erschien mithin sell)st in der Aethiopis und der Zerstörung Troias
von Arktinos und der häufig für homerisch anerkannten Thehais
schon als NachhUithe und Abnahme. Dessenungeachtet giebt die
Einwirkung dieser Gedichte auf die Lyriker und Tragiker, nament-
lich Stesichoros, Pindar und Aeschylos, von ihrer sinn- und le-
bensvollen Darstellung Zeugniss. Sodann lassen die Nachbildungen
der Kunst, welche nur Bekanntes darstellen mochte, schliessen
auf eine durch Rhapsodie verbreitete Kunde wie von Uias und
Odyssee, so von der Aethiopis und andern. Ja wenigstens für die
Annerkennung der Thehais giebt es auch ausdrückliche Urtheile.'")
Dass Aristoteles dieser Epopöe in der uns vorliegenden Poetik
nirgends erwähnt, darüber lässt sich nur das constaliren, dass er
also sie weder zum tadelnden Gegensatze noch als Beispiel des
Richtigen und Schönen angewandt hat. Ihre Einheit war voll-
kommen, da sie im Amphiaraos auch eine Hauptperson besass,
aber da der Zug gegen Theben diese Einheit an sich schon gab,
so konnte sie nicht so gut, wie die der Ilias, dienen, um die
AVeisheit ins Licht zu setzen, mit welcher die Epopöendichter
einen reicheren SagenstofF zur übersichtlichen Handlung zu be-
schränken habe. Des Aristoteles Bemerkung über den troischen
Krieg als zu umfänglich wies tadelnd vielmehr auf die Kypria hin.
Dieser Tadel hatte Recht, aber was die Theorie über die
gute Wahl der epischen Stoffe vorschrieb, war für den Dichter
nicht das Entscheidende. Er wählte aus der Fülle der überlie-
ferten Sagenstoffe, nicht nach einem Kunsturtheil, sondern zu-
nächst nach den volksthümlichen Beziehungen. So Stasinos, so
schon Homer selbst. Wäre es anders geschehen, dann würden
manche Sagentheile nie zur Behandlung gekommen sein.
27. Die Nosteu des Agias.
Ausser dem Anfangstheil des troischen Kriegs war der von
der Heimkehr der Griechen der ungünstigste , vieltheiligste. Dies
war bei beiden Partieen um so mehr der Fall, als in der nach-
homerischen Zeit in der Vorstellung von den Ereignissen und
213) Pausanias sagt gewiss nicht nach einzeln stehender Auffassung
9, 9, 5, er lohe diese Poesie nacii Ilias und Odyssee am meisten. S. nach
dem 01)igen ( und dazu das vorliomerische Lied. Buch 2 , §. 10.) Welcker
Cycl. II , 377 und 378.
281
Personen, wie sie von Homer dargestellt ^Yorclen, mehrfacher
Wandel geschehn war. Das Volksbewusstsein und der Glaube
war ,ein andrer geworden, so dass Arktinos seinen Milesiern
ihren verehrten Heros Achill nicht anders als bei seinem Tode
vergöttert darstellen konnte, und dass ebenso vollends Kreophy-
los den Herakles am Ende seiner Einnahme Oechalias, welche
nach aller Sage in seine Vergötterung auslief, diese seine Ent-
rücknng geschildert haben wird.^'*) Die Vermählung mit der
Göttin der ewigen Jugend bezeichnet den Herakles ja als den
ersten vergötterten Heros.^'^) Durch den Wandel im Glauben an
jetzt zur göttlichen Natur erhobene Heroen''^) waren auch manche
der vor Troia kämpfenden Helden aus ihrer homerischen Heimath
durch die Colonieen und die Völkerzüge an einen andern Ort
versetzt. Dies bewog den Agias von Trözen in Argolis, in seiner
Epopöe, welche die Heimkehr der Atrciden oder der Achäer
hiess, den Kalchas nicht nach dem 3Iutterlande, sondern nach
Kolophon ziehn zu lassen, den Neoptolemos ebenfalls zu Lande
durch Thrakien zu den Molossern, statt nach Phthia (Od. 3,
188). Kalchas nämlich war nach der jetzigen Sage bei der
Heimkehr des Griechenheeres von Troia zu Lande nach Kolo-
phon gewandert; von mehren Cultusstätten dieses prophetischen
Heros ist gerade diese von den ältesten und meisten Schriftstel-
lern bezeugt. Aber bei Agias muss in dem Inhalte bei Proklos,
da eben Kalchas, nicht Teiresias bei Kolophon bestattet war, statt
„sie bestatteten den Teiresias" gelesen werden „den Kal-
chas". Eben die Cultussage von Kalchas' Grabe war die Ursache,
welche des Agias Erzählung hervorrief. — Dass Neoptolemos zu
den Molossern geht, giebt sich sofort als die Geschlechlssage der
Könige von Epirus zu erkennen, wie sie Pindar (Nem. 7, 38 = 57)
und die Geschlechtstafeln bei Pausanias, 1, 11, und Plutarch
(Pyrrh. '1.) bezeugen. — Nur diese Cultussagen erscheinen von
Agias zu seiner Epopöe verwendet, nicht auch die von Diomedes
und von Nestor. Von diesen besagt der Inhalt aus Proklos aus-
214) Welcker Cycl. I, 233.
215) Prellcr Gr. »lytli. 2, 178 und meine Anni. zur Odyssee Tli. 3,
346 und 344.
216) Der uns eben erst in den iiächslhomcrischcu Eiinpöcn als er-
folgt kund wird.
282
drücklich nichts Anderes als: Diomedes und Nestor zu Schiffe
gegangen, kommen giiickiich nach ihrer Heimalh (Argos und
Messenien). Es verbietet zuerst die Bestimmtheil dieser Angabe,
dann der augenscheinliche Ursprung der andern Sagen aus dem
Heroencultus, dem Agias diese andern auch beizulegen. Endlich
aber war der Verlauf der Epopöe, wie die Vergleichung der In-
haltsangabe in ihrem Fortschrill mit Od. 3, 165 — 167 — 180 bis
183 lehrt, eben der, dass der Dichter zuerst von der Heimkunfl
der Lieblinge der Athene erzählte , welche über die See unge-
fährdet und ohne Abenteuer in ihre Heimath gelangten. Dann
erst beginnt er , die eigentlichen Folgen des Zorns der Athene
zu berichten. Sonach haben wir allen Grund, diesem Epiker
auch viele Bemessenheit und Sorge für einheitlichen Fortschritt
zuzutrauen ; andrerseits aber kann einer besonnenen Forschung
nicht entgehn, dass eine gar zahlreiche Älenge von angeblichen
Gründern und Stiftern, wie deren Buch 1, §. 4b. besprochen
sind, aus dem Heroencultus herzuleiten sind, der eines Grabes
bedurfte und in Folge dessen eine Sage mittels Rückdichtung
hervorrief. Allerdings sind mm diese Sagen, wie wir sehn,
theilweise von den nächsthomerischen Epikern beachtet worden.
Indessen, wenn Arklinos im Sinne der milesischen Golonieen
den Achill bei seiner V^ergötterung eben dorthin entrückt schil-
derte, wenn Agias in seiner Epopöe von der Heimkehr den
Neoptolemos und den Kalchas, den Polypöles und Leonteus, die
heroischen Gründer von Aspendos in Pamphylien, durch Wan-
derung nach den Orten ihrer Verehrung^*') gerettet sein lässt:
so haben sie damit augenscheinlich nur die Cultussagen aufge-
nommen, welche sie ihrem Plan anpassen konnten. Der des Agias
Mar der, die Heimkehr unter dem Zorn der Athene zu besingen.'^'*)
217) Eusl. zu 11.334, 26—28.
2J8) Es ist schon in Buch 1, %. 4 b, Anni. 21 aiil' lüo ülmr die Gräber
der Ciründcr so sprecliende Stelle des Slmbo VI. 264, 15 vgl. mit 222 liin-
gewiescn: „Metapunlion heisst eine Grinulung der Pylier, die mit Nestor,
von llion zurückkehrend, verschlagen wurden. Zur Bestätigung verweisen
sie auf den bei ihnen bräiicldichcn Grabescultus derNelcidcn". Von Nestors
verschlagenen SchiB'en, überhaupt von iluu oder von Diomedes Etwas zu
erzählen , gab es in des Agias Plan gar keine Stelle. Ganz unstatthaft
muss also die Ausdehnung erscheinen , welche der gelehrte Stichle den
Noslen beilegt. Philo!. 8, 54—57, sowie er selbst keinen Maassslab hat.
^283
Das Gedicht des Agias war durch den zweiten Titel „Rück-
kehr der Atreiden" nach seinem Hauptinhalt bezeichnet und be-
messen. Der Inhalt des Proklos macht es bei seiner mehr als
skeletlartigen Dürftigkeit schwer. Etwas von der poetischen Aus-
führung herauszudeuten ; nur den Eingang und Ausgang ermittelt
oder erkennt man leicht aus der Uebereinstimnmng mit den
Angaben der Odyssee aus dem Gesang des Phemios (Buch 2, §.
11). Der sichtbar enge Anschluss des Agias an diese Angaben
der Odyssee ergänzt überhaupt nicht Weniges. Die Citate dann
anderer jüngerer Schriftsteller fügen Anderes hinzu. Hauptsäch-
lich bezeugen sie eine Schilderung der Unterwelt, da denn ein
wahrscheinlicher Anlass dazu zu finden ist. Gleich wie in der
Todtenerzählung (Nekyia) der Odyssee erschienen die Jungfrauen
Maira, Klymene und Eriphyle (wie Od. 11, 326), auch Antiope
und Medea und war neben andern Büssenden Tantalos unter
einem immer drohenden Felsen zu sehen.^"*)
Der erste Satz des proklischen Inhalts: „Athene setzt den
Agamemnon und Menelaos in Streit wegen der Abfahrt", be-
zeichnet den die ganze Handlung beherrschenden Zorn der Athene
in und nach seiner Maassregel deutlich. Auch der Anfang des
Gedichts selbst wird, sei es nach Od. 3, 135 und 136. den Zorn
der Athene, oder nach Od. 1 , 326 f. die traurige Heimkehr,
welche jener Zorn verhängte, angekündigt haben. Dagegen
musste die auf die Anrufung der Muse folgende Exposition
alsbald eine olympische Scene oder die Erzählung geben, da
Athene, durch den lokrischen Aias und mehr noch durch seine
Straflosigkeit von Seiten der Atreiden erzürnt, bei Zeus klagte,
und von ihm die Bewilligung und wohl auch die Wade (Aegis)
ziu" Bestrafung der Frevler erhielt. Schon in der Epopöe von
der Zerstörung musste, da das Gedicht in diese unglückliche
219) Wclcker Cycl. II. 542 f. und 283. Tantalos im Cital bei Atiicn.
7, 281 B., wo unter dem Titel, Heimweg der Atreiden, des Tantalos Strafe
aus der Oberwelt in die Unterwelt versetzt zu denken ist, welche niclil,
wie bei Homer, im Darben bei immer naiigebotenem tJcnusse, sondern,
wie beim Damoklesschwert, in steter Angst durcli den überscliwebendeii
Fels bestellt, wie bei Arcliiloclios , Alkman , Alkäos, I'indar (Ul. 1, 57.
2, 7, 10) und Eur. Or. 5 mit der Anm. Im Citat des Pausanias 1, 2, 1 ist
der ältere Agias durch den Beisatz von Trözen gesichert, der jüngere
hcisst iuiincr Argeier. Vgl. Zlschr. f. A. 41. S. 165.
284
H<;imkehr ausging, jenes ,,nn(l Alliene erwirkt ihnen Verderben auf
ileni Meer" diese poetische tiestaltung gehabt haben, da der Volks-
glaube verlangte, dass Athene in Einstimmigkeit mit Zeus handele.
Aber der Dichter der Heindiehr musste sie ebenfalls geben. Nur
hat der redigirte Cyclus und also der proklische Inhalt, indem
er Jedes nur einmal gab, aus Arktinos' Poesie die Angabe von
der Athene Plan und dessen Genehmigung durch Zeus, aus Agias
erst dessen Ausführung aufgenonnnen.
Die Ausführung begann niit dem Hader der Aireiden, des-
sen Veranlassung und nächste Folgen die Odyssee nach dem Lied
des Phemios, 3, 135 ff., so erziUdl:
Die Aireiden gerathen, belliört durch die zürnende Athene, in
Streit über die Abfahrt. Menelaos drängt zum baldigsten Auf-
bruch, Agamemnon Avill das ganze Heer noch zurückhalten, um
die gewiss zürnende Athene durch Hekatomben zu versöhnen.
Sie können sich nicht einigen und berufen übereUl alle Achäer
zur Versammlung. Ganz zur Unzeit dies,- es war schon gegen
Sonnenuntergang, die Leute kamen lärmend und vom Weine be-
schwert. Nachdem die beiden Führer der Versannnlung ihre
zwiespältigen Meinungen vorgetragen, theilt sich das Heer in
Parteien, Avährend die Beiden sich in heftigen Wortwechsel ge-
genüber stehen. Man grollt die Nacht hindurch, am Morgen
zieht man die Schiffe ins Meer, aber nur zur Hälfle bleiben die
Leute bei Agamemnon zurück, zur andern Hälfte schiffen sie ab
und hatten ruhiges Meer. So kamen diese nach Tenedos; da
brachten sie den Göttern Opfer für glückliche Fahrt zur lleimath.
Doch die Gottheit gewährte auch jetzt noch nicht Heimkehr, zum
zweiten Mal erregt sie Streit, die Einen, die Partei des Odys-
seus, kehren dem Agamemnon zu Gefallen zurück, Nestor und
Diomedes aber mit ihren Genossen erkennen, der Dämon sinne
Unheil und eilen ihm zu entkonnuen. Menelaos hatte auf Te-
nedos länger gesäumt, aber er kam nach und traf jene auf Les-
bos, als sie eben erwogen, ob sie den kürzeren Weg oberhalb
Chios oder den sicherern unterhalb dieser Insel wählen sollten.
Ein erbetenes Vorzeichen entschied für den kürzeren gerade auf
Euböa zu; diesen fuhren nun Nestor und Diomedes und Mene-
laos zusammen (3, 173 — 179. 276 — 285), und brachten, nach
Gerästos auf Euböa gelangt, dem Poseidon ein Dankopfer für
285
die glückliche Fahrt. Als sie weiler am attischen Vorgehirge
Sunion vorbeifuhren, traf den Steuermann des Menelaos ein
plötzlicher Tod durch die Pfeile des Apollon. So musste Mene-
laos hier landen, um seinen Steuermann zu bestatten. Diomedes
und Nestor aber fuhren weiter; da denn jener am vierten Tage,
von dem enthaltenen Vorzeichen und Lesbos aus gerechnet, in
Arges landete, Nestor mit günstigem Fahrwind alsbald nach Py-
los gelangle. Während dess war Menelaos von Sunion den Freun-
den auf glücklicher Fahrt gefolgt, bis zum berüchtigten Vorge-
birge Lakoniens Maleia {Od. 3, 287. 9, 80. m. Anm.). Hier
verstürmle Zeus des Menelaos Schiffe nach Kreta zu, wo der
eine Theil derselben an Klippen zerschellte, so dass die Mann-
schaft nur mühsam sich rettete; die andern, fünf an Zahl, auf
denen Menelaos mit Helena A\ar, trugen die Wogen dem Strom
und Land Aegyptos zu. So erfährt der andere Atreide den Zorn
der Göttin.
Dies der Gang des alten Liedes bis Menelaos fern ab in die
Irre getrieben wird. Die kurze Inhaltsanzeige lässt keinen Zwei-
fel , dass Agias denselben befolgt hat. W'ir nehmen aber an,
dass er die weiteren Irren des Menelaos von Kreta aus nicht
gleich im Anschluss, sondern erst später erzählte. Da nämlich
Menelaos aus dem Munde des ägyptischen Proteus (Od. 4, 495 bis
537.) die ganze Geschichte der Heimfahrt und der Ermordung des
Agamenmon als geschehn, nicht etwa als Vorhersagung vernimmt,
so muss Agias eine solche Theilung befolgt haben, dass des
Agamenmon Geschick den ^gyplischen Abenteuern vorherging.
Die zu Agamemnon zurückgewandte Erzählung berichtete
nun zunächst, wie Kalchas, der gewiss beim Oberfeldberrn ge-
blieben und an dessen Sühnopfer theilgenonunen hatte — viel-
h'icbt, nachdem er dabei ungünstige Zeichen \\abrgenonnnen —
mit den beiden Lapithen sich landwärts auf Kolophon zu gewendet.
Dass mit Kah lias bei Agias noch Andere gezogen seien, ist anzu-
nehmen unstattbaft, mögen auch mancherlei Gidtussagen ihm nament-
lich den Seher Amphiloclios, den Sobn des Amphiaraos, gesellen.'^")
Noch weniger ist dies von dem Arzt Podaleirios glaublicb, von
220) Herod. 7, 91 a. E. vgl. iiiil 3, Ol. Ainpliilochus, wogegen Str.
088 an das äUere Zeugniss vom Tode des Kalclias crinnerl, Aaipliiloclius
und Mopsos hiessen die Gründer von Mallos , wie Str. mit llückhlick auf
286
dem eine unglückliclie Seofalirt voiinntet, in Folge welcher er
Gründer von Syrna in Karien ward. Ueberhaupt erzeugte das
wahre Verhällniss dieser Sagen von den an Gräbern als Cultiis-
stätten verehrten Heroen, von vielen derselben, aber besonders
von den prophetischen Heroen an mehren Stellen Gräber nnd
Grabeslegenden.
Wie es nun undenkbar ist, dass Agias die Sagen alle um-
fasst, welche durch die Rückkehr aus Troia ihre Annahme ver-
mittelten, so musste des Dichters Plan über die Auswahl entchei-
den. Er hat denn auch, wie vorher bei Diomedes und Nestor,
so hier bei Kalchas, darnach gewählt. ^^')
Nach Beendigung der Episode von Kalchas, welche nach
dessen Wettstreit mit Mopsos seinen Tod und die feierliche Be-
stattung enthalten haben wird, ging Agias zu Agamemnon zurück.
Der Epiker vermied ein öfteres Umspringen. Während nun Aga-
memnon die Abfa-Inl rüsten lässt, erscheint (nach dem Inhalt)
der Geist des Achill, bemüht, ihn durch Verkündigung dessen,
was ihm bevorsteht, zurückzuhalten. „Ein schöner Zug — ; der
Zweck, grosse Ereignisse im Voraus prophetisch anzukündigen,
verbindet sich hier mit dem Motiv, den Achilleus theilnehmend
gegen den früher so Gehassten zu zeigen". (Welcker.) Dieser
Geist musste auch den Sohn Neoptolemos bestimmen. Wie die
Folge in Scheidung der Partieen berichtet, bleibt Neoptolemos
mit dem alten Phönix und ihren Leuten zurück. Nicht so Aga-
memnon und nicht der schuldvolle lokrische Aias.
Es folgt die Hauptpartie des Rückwegs der Atreiden und der
die Sagen von Kalchas bezeugt, G75. 16 — 676. Und von Ampliilochos gab
es auch noch mannigfache Sagen , wie Str. daselbst mehre verzeichnet,
und wie sie sich namenllioh Innsiclillich einer Rückkehr nach Argos (Paus.
2, 18, 5) widersprechen, zeigt die Verglcicliung mit Thuk. 2, 68, von
dessen Erzäldung üjjer das Argos Anipliilochikon wieder Ephoros hei Str.
326 ujul 462, 26. abweicht. — Dass dem Quintus, 14, 366, es beliebte, der
Sage von Mallos zu folgen, kann nicht über Agias entscheiden.
221) Podaleirios wird allein von Tzclzes und zwar in den Schob zu
Lykoplir. 426 und 980 als vierter oder dritter erwähnt. Die Sagen von
diesem erzählten aber von einem Schilfbruch, von dem gerettet er Syrna
gegründet, Stcph. v. Byz. unter Syrna und Paus. 3, 26, 10. Eine andere
von einem lleroon im italisclien Daunien in der Nähe eines solchen des
Kalchas bei Str. 6. 284. Das für Agias Richtige untcrsciiied auch Stichle
Philol. 8, 61 und 62, nur nicht folgerecht.
287
Zornwirkung der Athene. Jene segeln (wie der Inhalt den Sturm
hei den kephareischen Felsen und des Aias Untergang hier zu-
nächst angiebl) gerade auf Euböa, und dort befällt, wie es ein-
stimmig lautet,^^*) die mit Agamemnon zusammenfahrenden Schiffe,
die für die Flotte des Griechenheers gelten, ein heftiger Sturm
mit allem Unwetter. Athene, von Zeus mit dem Blitz oder der
Aegis bewaffnet (vgl. II. 15, 229), schmettert ihn auf des Aias
Schiff. Dieser Untergang erscheint ebenfalls in allen beredteren
Schilderungen, nur dass ihn diese mehr oder weniger vor dem
allgemeinern Verderben hervorheben. Agias hat nach der An-
zeige ihn besonders betont, und das ganze Griechenheer ward,
wie ein Citat vermuthen lässt, durch Nauplios, des Palamedes
Vater, zu den verderblichen Klippen gelockt. ^^^) Nachdem hier
Viele umgekommen, die Wogen den Agamemnon ins weite Meer
getrieben, so wandten die Gölter den Wind und führten ihn zur
Heimaihsküste, in die Gegend, wo jetzt Aegistlios wohnte.'-^)
Dort erlitt er denn den Mord, wie ihn bereits das vorhonierische
Lied vom Rächer Orestes (Buch 2 §. 11) besungen hatte und
Phemios in seiner Heimkehr der Achäer. Keine Wahrscheinlich-
keit hat bei genauer Prüfung die Vermulhung, Mord und Nieder-
gang des Agamemnon habe den Anlass, hier die Nekyia einzufü-
gen, gegelien, indem seine Ankunft im Hades erzählt worden sei.
Dieser Mord des Oberfcldherrn ist ein Ereigniss der Rück-
kehr der Atreiden, die zur bewegenden Grundursache den Zorn
der Athene gegen denselben hat; aber er selbst dieser Untergang
222) Aesch. Agam. 624 — 635. Ilcrni. G48 ff. Dind. Eurip. Tro. iiiul
78 — 86. Ouiiit. 14, 420 tr. 450—465, wo ALliciie ziuii Ueberfluss .lucli lien
Wiiulgoll herljeinifl, dann aber 530 fl". auf dos Aias Scliiireincn Hlilz wirft.
Ol) Agias liior den Zug aus Uil. 4, 500 — 510 von Aias Ficvelworl aufge-
nommen habe, bleibt ungewiss, ist aber wahrscheinlich.
223) Apollodor 2. 1. a. E. giebl freibch nur den Namen Philyra als
den der Gallin des Nauplios aus den Noslcn an. Aber wcini er danach
dem Dichter l)ekannt war, lässt sich nicht wohl ein anderer Anlass ver-
mullicn, als die in der Tragödie so rurhlharc Tliatsache, welche Ilygin in
den Worten angiebl: lanquam auxilium iis afferrel, facem ardenleni eo
loco exlulit, quo saxa acuta et locus periculosissiuuis erat. Sophokles
Trag. Nauplios der Feueranzünder Weick. <ir. Tr. 1, 184 — 101.
224) Es sind im gewöhnlichen Text deM>dyss. IV. die Verse 510 und
520 vor 517 und 518 zu setzen, wie bereits liothc und .1. Hekker in der
kritischen Ausgabe gethan. S. Sagenp. 113 und 114. Anm. *)
288
des Agamemnon ist nicht in jenem Zorn inbegriffen. Das Götter-
regiment hatte den Aegisthos gewarnt und schon auf die folgende
Strafe hingewiesen (Od. 1, 38). Diese Strafe erfolgt seihst in
dem Gedicht und hildet einen Ilaupltheil seines Ausgangs. Die
homerische Athene spricht. Od. 1 , 46 f., es zum UeberOuss selbst
aus, was aller Glaube anerkannte, Gatten- und Königsmord war
allen Griechen ein Gräuel. Es ist eine That Avider Geschick be-
gangen und ebenso wenig nach dem Sinn des Dichters, irgend
anders zu betrachten für Götter und Menschen als wie ein Fall
des drangsalvollen Menschenlebens, das freilich dies, besonders
durch Schuld der Leidenschaften Merde.
Nach Vollendung des Berichts über die Schicksale derer,
welche der Warnung Achills nicht gefolgt waren, kam der Er-
zähler auf den dadurch zurückgehaltenen Neoptolemos zurück.
Er hatte mit der Abfahrt gezaudert und überlegte den Weg, da
wird er durch eine Erscheinung der göttlichen Mutter seines
Vaters, der Thetis, bestimmt, den Landweg durch Thrakien zu
wählen. Er trifft in der s. g. Maroneia (Ismaros Od. 9, 40. mit
Anm.) den Odysseus, der auch nicht mit Agamemnon abgefahren
Mar und in dieser Epopöe vom Zorn der Athene nur hier er-
wähnt wurde. Auf dem weiteren Zuge durch Thrakien starb der
alte Erzieher des Achill — Phönix ^^^), und Neoptolemos bestattete
ihn. Es erfolgte dieser Tod wahrscheinlich bei Eion am Ausfluss
des Strymon unfern Amphipolis.^^'') Es fehlt uns alle Charakteristik
des Neoptolemos auch hier, aber Leichenspiele sind wohl, ob-
gleich die Leute dazu nicht fehlten, niclit beschrieben worden.
Mehrfach dunkel ist die Ankunft des weiter ziehenden Neoptole-
225) Hier ist eine doppelte Ungcuauigkeit- Stielile's Pliil. 8, 68 zu
rügen: „Neoplolenios — trillt in der Sladl Maroneia — mit dem Odysseus
zusammen, mit dem er, nachdem er zuvor seinen d asel b s t versloi'-
l)enen Begleiter, Phönix, beerdigt, d ie Reise gemeins cha ftl icli fort-
setzt". Wie darf die suimnariscli karge Angabe: „nnd vollendet dann
den übrigen Weg" durch ein ,,mit diesem" ergänzt, und wie die darauf fol-
gende Bestattung des Phönix schon bei Maroneia geschehen gedacht werden?
226) Tzelzes zu Lyk. 41711'. Uerod. 7, 25 und 113 mit Bahr bes.
Pop|io Proleg. zu Thuk. 1, 2. S. 350 f. Ein anderes Grab desselben Phönix
als Heros nennt Slrabo noch bei dem gleichnamigen Flusse 7, 428. 14.
Der Fluss auch von Herodot 7, 200 nnd 27G erwähnt also hei Thcrmopylä.
Dies also eine Cullussage.
289
mos angcgcljon mit „er selbst alier zu den Molossern gelangt,
wird erkannt von dem Peleus". Wir erklären sie so: Da des
Achills Vater, jedenfalls alt und sclnvach, von den Grossen in
seinem Königtlium bedroht ward,^^') musste Neoptolemos ihn in
solcher Lage trefTen ; aber Peleus war bei den Molossern? Dann war
der greise König vertrieben wie in mehren Tragödien. Da nun
Pindar , wenn auch mit abweichender Angabe über den Weg,
den Neoptolemos Nem. 7. 39 oder 54 IT. ebenso nach Molossien
kommen und da die Herrschaft auf seine Nachkommen vererben
lässt, so haben wir vollends eben diese Sage als von Agias be-
folgt anzunehmen.*^-)
Unbestimmt muss bleiben, wo nun der starke Held Neopto-
lemos seinen Ahn traf und wie er durch die ihm widerfahrene
Gewalt hindurch nachmals der Stammvater der Könige in Molos-
sien geworden sei, ob er den Peleus zuerst in Plithia gesucht
und dann den vertriebenen in Molossien gefunden habe. Für
unsern Zweck , die Partieen und den Fortschritt der Epopöe zu
verzeichnen, ist dies auch ohne Bedeutung.
Näher zu prüfen ist dagegen die Ansicht, dass Neoptolemos
nun in das Todtenrcich gestiegen und den Geist des Teiresias
über seine Zukunft befragt habe, so dass demnach jene Nekyia
in dieser Anwendung zu denken sei. Günstig für eine solche
Annahme ist der Umstand, dass gerade das wohl älteste bekannte
Todtenorakel in Thesprotien unfern von den Molossern war. *^*)
Wesentlicher aber empfiehlt sich Neoptolemos inid sein Verhältniss,
wenn man die aus der Nekvia genommenen Bilder von Heroinen
227) So in II. 24, 487—489 in Od. 11, 495 — 497, 503, wonach ihn
Tragödien von Akastos oder seincui Sühnen verlrichen darslolilcn. Sopli.
Peleus Welcker Gr. Tr. 205. Nanck 189. Vgl. Welftkcr Cycl. 2, 289 f.
228) Wenn auf Tzclzos zu Lykophr. TiOä Voilass ist, holiielt Les-
ches die honicrisclic Sagcngcslall bei, docii beiiilil Alles auf dem \Vort
Pharsalia ohne jede weitere Andeutung.
229) Ilerod. 5, 92, 7 und die i>foi MokoOOixoi in den Paroeniiac.
Gott. 1. 419. Einer der in Ruf stellenden Eingängo zur IJnl(!r\voll und
zu einem Todtenorakel schien anzunehmen zu sein. Jene Annahme befolgt
Wolcker Cycl. 2, 300, der S. 297 seine frülierc Vcnnulliung (Cycl. 1. 281)
zurückninnnl. Ehendicsclhe Slieldc Pliilol. a. a. 0. S. 50 f., der aber einen
Beweggrund, weslialh Neoplolemos in die Unlerwell gegangen, weder
dort noch S. G9 unten angielit. Was Welcker .bei rillt, müssen wir zuerst
einen Grund vermissen , der Neoptolemos hewog.
rlilzscli, Gesch. il. giicch. Ejids. \\)
290
und von Tantalos und darin eine Nachbildung der homerischen
so deullicli erkennt. Diese Bilder müssen unslreitig wie die ho-
merisciien in der Unterwelt seihst gesehn worden sein. Der
erschienene Geist eines Abgeschiedenen, kam er nun aus dem
Elysium oder aus dem Hades, war eben nicht dort, und kann sie
nicht aufgewiesen haben. Also nicht der Geist des Achill vor des
Sohnes Aufbruch, aber wohl Neoptolenios au dieser Stelle eignete
sich zu der Annahme. Nur müsste der Wunsch, seine Zukunft zu
erfragen, doch bei Neoptolenios bestimmt motivirt worden sein,
was er nicht ist. So schwebt auch diese Vermuthung in Un-
sicherheit, und der Niedergang des Aegisthos und der Klytämne-
stra wird eine kaum weniger annehmliche Wahrscheinlichkeit bieten.
Was, nachdem die Rückkehr des Neoptoleraos episch un-
unterbrochen durchgeführt war, in der Poesie des Agias folgte,
ist aus Proklos oder vielmehr dem Excerpt seiner Inhaltsangabe
nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Dieses trockne Excerpt hat
vorher nur die Abfahrt des Agamemnon und darauf den Unter-
gang des Aias und Anderer bei Euböa angegeben, nicht aber
die Ankunft und den Mord der Hauptperson, wie früher ebenso-
wenig des Menelaos weitere Irren. So schiebt es denn hier den
noch nicht erwähnten Mord eng mit der Rachetbat des Orestes
zusammen. Diese letztere muss aber erst nach der weiteren Er-
zählung von Menelaos' und der Helena Irrfahrten gefolgt sein.
Denn während dieser Irrfahrten geschah der Mord und schon
in Aegypten erfährt ihn Menelaos, aber nicht mehr, nicht auch
die erfolgte Rache. Diese war soeben erst vollzogen, als Mene-
laos im achten Jahr nach Troias Fall heim kam.
Die sieben Jahre, welche Aegisthos im goldreichen Mykene
herrschte und der erbuhlten Gattin des gemordeten Königs ge-
noss (Od. 3, 304f. ), Orestes aber zum Jüngling reifte (Od. 1,
41), diese Zvischenzeit füllte Agias mit den Abenteuern des von
Kreta südwärts getriebenen Menelaos aus. Dass nun dieser spä-
tere Epiker die Schilderung der Landungen, Gastbesuchc und
eingesammelten Schätze des Menelaos und seiner Helena (Od. 3,
300 — 302. 4, 81 — 85) dem Homer im Ganzen nachgedichtet
habe, folgert man schon aus der bisher mit Homer übereinstim-
menden Erzählung. Strabo, der freilich das Gedicht des Agias
wohl so wenig als sonst eines der nächstbomerischen kannte,
291
erläutert nur die von Homer erwähnten Besuche — his nach
Theben — und besonders die durch Geschenke oder Küslen-
räuberei gewonnenen Reichthümer (Str. 39 und 40). Die vielen
Namen, welche die Volkssage von dieser Anwesenheit des Mene-
laos oder der Helena herleitete, wird sänimtlich rsieuiand bei Agias
begründet annehmen.-^") Ob er der Antenoridcn Ankunft in liy-
rene erzählt habe, welche Pindar Pyth. 5, 89 mit Helena aus
Troia gekommen nennt, bleibt ungewiss, da derselbe sie als
verehrte Heroen bezeichnet, es also eine Cultussage war.*^*) Nä-
her lag dem Plane des Agias die Sage von Kanopos oder Kano-
bos, einem Steuermann des Älenelaos, der bei der Landung an
einer Nilmündung von einem Schlangenbiss getödtet, von Mene-
laos dort ein Grab und Denkmal erhalten haben sollte, so dass
eine dabei erbaute Stadt von ihm benannt worden sei."') Kein
Zweifel kann nun sein, dass bei Agias die Helena mit Menelaos
von Troia kam, und dass er statt der späteren Dichtung des Stesicho-
ros von ihrem Scheinbilde, welche die Priester sich angeeignet
hatten (Herod. 2, 113), vielmehr ausführlicher als Od. 4, 125 bis
132, 220 f. und 228 erzählt habe, wie die leibhaftige mit ihrem
Gemahl in Aegypten zum König Polybos und zum Fürsten Thon
gekommen und beide von Jenen die reichen Geschenke erhalten.
Ebenso denken wir, der Epiker hat die Od. 4, 617 — 619 der
Handlung kurz eingewebte Beschenkung des Menelaos durch den
König in Sidon mit dem kostbaren Becher zum lichten Hergang
gestaltet. Was Homer dem Nestor oder dem Menelaos als lebendige
Erzählung in den Mund legte, davon musste Agias berichten, wie
es geschehen sei. Die Begegnung mit dem Meergreis Proteus
kann aber auch nicht gefehlt haben (Od. 4, 363—569.), der Me-
230) Auch Sliehle nicht S. 58 f.
231) Die nielircn sagcnhafltMiAiigahon von Troern oder von Monolaos'
Hafen in Kyreno, liiier die Süline des Anlonor iiml andere Truer bei Ilero-
dot 4, 1G9, 191, sie düifton nicht vor Kyrenes (iründung entstanden sein ; in
eine so späte Zeil den Agias zu setzen, wird al)cr Jeder Bedenkon tragen.
Tlirige Res Cyren. 79 und 292, die Gründung Ol. 37 2. zw. 631 v. Chr. G.
— Ueberliaupt über dergleichen lienaniungen, wie sie an che Argonauleii
oder die Iroisclie Sage geknüpft, ganz unhedadil als clironologisch ge-
deutet wurden s. Lelirs de Aiislarcho 251. Völckei' .Mvlli. Gecigr. S. 11
und 37.
232) Str. XVII. 801. Konon 8. Andere bei Stichle a. a. 0. S. 58.
19*
292
nelaos des Agias muss aiidi Agamemnons Tod dorl erfaliren
haben, und wird Proteus am Schluss ihn auf Elysion vertrustet
haben. Freilich konnte es in dieser Zeit des bereits allherr-
schenden Ilcroencultus nicht lauten , als würde dieses Loos nifr
den Verwandten des Zeus zu Theil. Jedenfalls jedoch musste die
Tröstung hier als Prophezcihung nicht am Ende des Gedichts
verlauten.^^^) Soviel also hat man dem Dichlergeist des Agias zu-
zutrauen, seine einzelnen Partieen in ihrer Gestalt und Folge
f^enauer anzugeben, ist uns versagt. Noch auf der Fahrt aber
verliess Agias vermuthlich den Menelaos mit der Helena und
ging nun zu Orestes über.
Orestes kam nach Mykene, um den Mord zu rächen, in
Begleitung des Pylades, des Sohnes des Strophios, wie bei Pin-
dar und den Tragikern.'^*) Es ist jedenfalls anzunehmen, dass
sie, wie in den Tragödien, welche die Rachethat darstellen, in
Verstellung (als Boten aus Phokis) zu Aegisthos und Klytämnestra
eintraten, um die Gelegenheiten zur Ausführung ihrer Absicht
wahrzunehmen und sich entweder der Schwester Elektra offen-
barten oder wer sonst den Orestes einst als Kind in Sicherheit
gebracht hatte. So ward durch Ueberlistung Aegisthos und die
Mutter von Orestes getödtet. Die Letztere starb unstreitig eben-
falls von des Sohnes Hand; schon Homer hat dies (Od. 3, 310)
nur im Dunkel gelassen. Die Pflicht der Blutrache rechtfertigte
auch den Mord der grausen Mutter,, und die Vorstellung, dass
die Erinyen einen Thäter schon im Leben verfolgten, war in des
Agias Tagen noch ebensowenig vorhanden als in denen Homers.
Erst bei Stesichoros — er lebte ungefähr von 630—550 v. Chr. —
zeigt sie sich."^) Das Zeugniss lässt dabei auch erkennen, dass
jetzt Apollon den Orestes zur Erfüllung der Blutrache antreilit,
im Epos that es das dem Sohn nach alter Sitte heilige Gefühl
der Blutrache schon ohne Weiteres.
233) Nicht wie Welckor Cycl. 2. 282 uiilcii.
234) Aesch. Cho. 555 f. und 887 f. Sopli. El. 10 und 1373. Eunp.
El. 82. 281. Pindar Pyth. 11. 15 = 23 bis 56.
235) Der bei Aeschylos in den Choephoren und Eunienidcni er-
scheinende Glaube zeigt sich zuerst in einem Cital aus Stesichoros, der
in lyrischer Chorpoesie Noslen luid auch eine Oreslie gedichtet halle,
Scliol . zu Eur. Orcsl. 258 Er. 40, und der ii]ieriiaui)l der eiyensle Vur-
giingei- dos Aeschylos war. Sagonp. 403 — 465.
293
Dies war zunächst über die von Orestes an Aegistlios und
Klytämnestra vollzogene Strafe zu sagen. Aber, wie schon be-
merkt ist, es scheint hier eine passende Stelle zu sein für den
Einblick in das Todtenreich, die Nekyia dieser Epopöe. Am
schicklichsten bezieht sie sich auf die Hauptperson, also hier
auf den vorhergemordeten Agamemnon. Dieser Bezug erstreckt
sich aber auch auf seine Mörder und die Schilderung ihrer Strafe.
Die Seelen der Beiden mögen, wie im letzten Gesänge der Odys-
see die der Freier, (durch Hermes oder ohne ihn eben vom
Dichter) in den Hades geführt worden sein. Im Verfolg dieses Ak-
tes ward dann wohl geschildert, wie sie den Tantalos und an-
dere Büssende dort gesehn und wie Klytämnestra sich jenen
Frauen gesellt habe. Von der Nekyia im 11. Buche der Odys-
see unterschied die des Agias sich vermuthlich mehrfach. Es
war jetzt das ßhittrinken der Seelen ebenso wenig im Glauben
als da die zweite Nekyia der Odyssee gedichtet wurde. Eine
lebendige Scene, da der erkannte Aegisthos erzählte, wie Ore-
stes ia angenommener Rolle mit Pylades gekommen und ihn
nebst der Klytämnestra überlistet habe, konnte Agias denen in
Od. 24 ähnlich dichten, wo Agamemnon Soff, dem Achill, und
der Freier Amphimedon 106 ff. dem Agamemnon den Hergang
ihres Todes erzählten. Wem er erzählte, ob seinem Vater
Thyestes oder wem sonst, ist nicht zu entscheiden. Die Zeug-
nisse aus der Nekyia der Nosten von dem Büsser Tantalos und
den verschiedenen Frauen tragen keine dramatische Form an
sich. So mag denn der Dichter in eigener Person angegeben
haben, was und wen die Ankömmlinge gefunden. Mit einfach
wiederholter Formel wie die homerische „ich sah" 235. 260.
266. u. f. also mit „sie sahen, fanden" konnte Agias seine
Ueihen bilden. Von Büssern hat er wohl auch den Ixion aufge-
führt, da dieser bei Pindar und Aeschylos so vollständig als der
erste Mörder eines Verwandten und zugleich der erste Gesühnte
schon althor rucbtbar erscheint mitsammt der Strafe des nimmer-
ruhenden Bades.^'^")
lieber die Frauen, die uns freilich sehr einzeln und zufäl-
236) Pind. Pylh. II., 21 — 34 =10 IT. Aeschylos Trilogic Sagcu-
pocsie Ü27f. Nauck Fragni. 22 f. und 40 f. Die Strafe^: Piiidar V. 22. Eur.
Phon. 1185.
294
lig genannt sind, ist Folgendes zu bemerken. Mara, Klymene
und Eriphyle sind in der homerischen Nekyia 326. nur ganz kurz
genannt, sie also wurden gerade von Agias mehr char^ikterisirt.
Jene drei sowohl als Medea und des Theseus Geliebte, die Ama-
zone Antiope, erschienen nicht wie die Frauen der echten Artikel
bei Homer als HeldenmiUter ausgewählt, um ihrer Söhne, Män-
ner und Sippschaft willen, sondern mehr nach ihrem eigenen
Wesen oder Geschick. Doch sind es nicht lauter böse Frauen,
wie Eriphyle, Medea und Antiope, die Verrätherin ihrer Stadt;
ein auf Alle passender Zweck und Gesichtspunkt bei der Aus-
wahl lässt sich eben nicht erweisen.
Neben diesem Bilde der in den Hades geführten Mörder
erzählte Agias nun die Bestattung derselben durch Orestes mit
einem üblichen Leichenmahle (Od. 3, 309 f.). Bei dieser Bestat-
tung ist in des Agias Epos ganz gewiss nicht erfolgt, was Eur.
Orest. 402 an diesem Tage beginnen lässt, die Erhebung der
Erinyen gegen den Muttermörder."') Gerade in der Orestes-
und Agamemnonssage trat vor andern der Wandel im Glauben
hervor, welcher die Lyrik und Tragödie vom nationalen Epos
unterscheidet. Der Plan des Agias lief ganz unzweifelhaft noch
in die endliche Heimkunft des Menelaos aus, der eben am Tage
jener Bestattung anlangte. So die vorhomerischen Lieder (oben
Buch 2., §. 11.) und so die Epopöe des Agias nach dem Inhalt.
Dieses in Sage und Poesie feststehende Zusammentreffen der
beiden Thatsachen gab den Schlussstein der Epopöe von der
Atreidcn Bückweg. Die poetisch als Hergang ausgeführte An-
kunft des Menelaos und der Helena muss hier eine bewegte
Scene gegeben haben. Sie haben Agamemnons Mord schon von
Proteus erfahren und auf das Schmerzlichste beklagt, auch dem
Todlen am fernen Strande ein Denkmal errichtet, dazu von Ae-
237) Irrig Welcker Cycl. 2 , 287 und vollends über Homer. Siehe
Sagenp. 463 f. 521 — 524. Overb. Gallerie heroischer Bildw. 1.677. „Homer
kennt nur den ruhmvollen Orestes, der seines Vaters Mord gerächt hat,
und die Exccrple ans Proldos lassen die Noslen ebenfalls nach der voll-
braclitcn Tbat des Orestes mit Jlenclaos Heimkelir schlicssen. In der
Tragödie also iia])cn wir die Quellen der Bildwerke (zur Oreslce) zu suchen,
und es ist liicrfür eine wohl zu merkende Thatsache, dass wir in dem reichen
Bildorkreis der Oresteia nicht ein einziges Vasenbild mit schwarzen
Fiijurcn besitzen".
295
gisthos Strafe eine Vermutlmng gehört.^'®) Eine Begegnung mit
Orestes musste Agias, sei es später nach der Landung am lake-
dämonischen Ufer oder bei anderer Landung, gleich einti'eten
lassen. Ganz in natürlicher Lage war hier eine Scene mit
schmerzlicher Begrüssung gegeben, aber neben dem Ausdruck
der zornigen Klage um Agamemnon und des Abscheus gegen sei-
nen Mörder musste auch die Anerkennung der Rachethat des
Orestes hier ihre Stalte finden. Auch Helena musste einstimmen
und die Schwester Rlytämnestra verabscheuen.^^^)
Dem Menelaos lag es nun gar nahe, seine Trennung vom
Bruder in Troia jetzt schmerzlich zu bereuen. Der Zwist war
dort durch sein Verhalten geschehn, seinen sonst milden Sinn
hatte Athene's Zorn hauptsächlich verkehrt. Er musste sich sa-
gen, wäre ich mit dem Bruder zusammengeblieben und heimge-
kommen, dann wäre der Mordplan entweder vereitelt oder nach
erfolgler Rache Aegisthos nicht so bestattet worden (Od. 3, 248 ff.).
Durch diese Mahnung an die Entstehung des Haders, der die
Heimkehrenden durch Parteiung zerstreute, ward die Erzählung
vollends abgerundet. Die Gestaltung dieses Schlussaktes würden
wir uns bestimmter vorstellen können, wenn uns nicht alle An-
zeichen des individuell geraüthlichen Dichtergeistes fehlten.
Eine Vermuthung ergiebt sich aus einem Citat, dass Agias
die Vermählung der Tochter des 3Ienelaos und der Helena, Her-
mione, an den Neoptolemos in die unfrohe Schlussscene einge-
flochten habe. Das schwersinnige Gedicht, welches den Um-
schlag des endlichen Sieges über die reiche Königsstadt in die
unglückliche Heimkehr besang, es hatte als Schlussakt die späte
Heimkehr des Menelaos in die Heimath, und der Helena zu den
zuerst geliebten Ihrigen; aber die Freude hierüber war sehr ge-
dämpft durch die eben jetzt in allen Umständen gegebene Er-
innerung an das Geschick des verwandten Hauses. Da nun hat
238) Od. 4, 538 fr. 584. 546 E.
2.30) Klytamnestra war hier noch nicht, wie durch Aeschylos, die Haupt-
thätcrin , sondern nur die horaerisclie , und auch Helena die homerische
(s. Buch 3 §. 3 die homcr. Frauen). Nur die rcclificirendc Poesie des
Hcsiod im Cobctschcn Schol. zu Eur. Or. 239 und Euripides 240 reihcle
Helena mit Klylamncstra, als Töchter des Tyndareos, an sclimrdilichcr Un-
treue zusammen.
296
Agias den Neoptolenios dazwischen anlionmien lassen, um die
Tochter der jetzt Ileiingekommeiicn, die Ilermione, wie Mene-
laos ihm vor Troia zugesagt, als Gattin heimzuführen. Diese
Hochzeit feiert nun das Ilaus zugleich mit der zweiten des Sohnes
Megapenthes (Schmcrzenssohn), erzeugt nach Ilelena's Rauhe mit
einer Dule; so geht die Erzählung in eine Erheiterung aus und ver-
knüpft den früheren Theil von Neoptolenios Ileindiehr mit diesem
letzten.^*'') So verfuhr der Dichtergeist hier in Beimischung eines
Froheren zuletzt noch ehenso, wie er die freilich durch Wechsel
anziehenden aber schw eren Abenteuer des um - und abgetriebenen
Menelaos durch die Castbesuche in Sidon und im ägyptischen
Theben erheiterte.
Nur in solcher Weise und insoweit hatte Agias die viel-
theilige Handlung, wie sie allerdings das die Betroffenen von An-
fang zerstreuende göttliche Motiv erzeugte, noch einheitlich durch-
zuführen vermocht. Es waren fast nur leidentliche, nicht thälliche
Folgen, wo der menschliche Wille dem theilnehmenden Hörer
sich meistens nur im Bestehen des Ungünstigen erwies, das In-
teresse aber durch die Mannigfaltigkeit der wechselnden Aben-
teuer angesprochen wurde. Ein einheitliches Ganze bildete die
Epopöe immer noch. Halle Agias die Wege des Kalchas mit den
beiden Lapilhen und des Neoptolenios nach den Städte- und Ge-
schlechtssagcn geneuert, so waren dies doch Nebenpersonen
und episodische Nebenpartieen. Wie der Titel ,, Bückweg der
Atreiden " hervorhob , waren die Fahrten dieser doch die w esent-
lichen centralen Bestandtheile. Der trözenische Dichter hatte
diese gewählt. Sein ernster Sinn mochte damit, ^vas den Aga-
memnon betrifft, nicht sowohl dessen Trauergeschick als die
Bachcthat des Orestes im Auge haben. Agamemnon galt dem
Agias unstreitig als verehrter Heros, und hatte sein Grab in
I
240) Das Cilat im Schol. zu Od. 4, 12 oder cigcnllich schon 4 — 14.
Dass der Dichter der Heimkehr das Wort öovh], üienstmagd, selbst als
Eigcniiaiucii gebraucht oder statt dieses einen Eigennamen gesetzt habe,
wird von Welcker S. 282 fein, wie oben, ausgedeutet. 3Ienelaos feiert
zugleich die Hochzeiten seiner beiden Kinder, die des Megapenthes mit
einer Sparlanerin und die der Ilermione, die mit Neoptolenios wegzieht.
Naliirlicli liess Agias sie nicht nach der Lurg der 3Iyrmidonen, sondern
nach den Molosscrn ziehn.
297
MyUene nicht erst in späterer Zeit (Paus. 2, 16, G.). Auch die
That des Orestes war ruhmreich in der alleren Poesie. So führte
die Rückkehr der Atreiden ihre Erzähhing als zum schliesslichen
Hauptpunkt, zu Orestes Rache, und höh diese durch die Parallel-
partie von des Aegisthos und der Klytämestra Ankunft und
Schrecken im Hades. Dann Hess er aber auch den Menelaos
gerade zu dieser Genugthuung eintreffen, worauf nun noch der
erheiternde Akt der Doppelhochzeit folgte.
Durch die vorstehende Jlusterung der nächsthomerischen
Epopöen ist Nichts so deutlich ins Licht getreten, als wie viel,
wenn es die Einheitlichkeit gilt, auf die Beschaffenheit des Stoffs
ankommt, wie vor allen andern dazu bildsam und günstig die
homerischen sind, wie unstatthaft es also war und ist, die ge-
sammten folgenden Epopöen in Einem für unkünstlerisch zu ver-
werfen, weil keine eine ähnliche Harmonie an sich trage, wie
die Odyssee. Unter ihnen stand, wie wir sehen, die Aethiopis den
homerischen ganz nahe. Der Stoff der Eroberung Troias gewann
eine zwar nicht persönliche, aber dennoch grossartige Harmonie,
wenn er unter die Idee des göttlichen Waltens gestellt und unter
ihr ei'halten wurde, wie der ältere Epiker sie durchführte. Was der
jüngere Lesches hier bei seiner Neudichtung angestrebt, war nicht
ohne Umkehr der Nationalsage, noch ohne unhomerische Weltan-
sicht ausführbar. Von allen reicheren und vom Götterregiment
beseelten Sagentheilen waren der Ursprung des troischen Kriegs
und die Heimkehr der troischeu Helden die ungünstigtcn Stoffe.
Gewählt aber haben die Dichter erst in zweiter Reihe nach der
künstlerischen Bildsamkeit; das erste war das Interesse der
Mitbürger und Nachbarn, die da ihre Helden und Götter am
liebsten gefeiert hörten.
Der Vorzug der von Homer gewählten Stoffe vor allen üb-
rigen beruht aber nicht auf der vollkonuuencn, auch persönlichen
Einheitlichkeit allein. Sic sind der Art, dass die an den Haupt-
belden geknüpfte Handlung zugleich einmal das weiteste National-
interesse befriedigt, sodann ganz auf natürliche Weise eine brei-
tere inhaltsreichere Folie gewiimt. Hierzu kommen daiui die
individuellen Gaben des Dicblcrgenius, das dramatische Leben
mit dem Redestoff aus der Fülle anderer Sagen, besonders vom
älteren Ileldengeschlechl, und alle die andern Vorzüge mehr, die
29S
im Folgenden aufgelesen werden. Es ist ja der Zorn des Ge-
kränkten mit seinen Folgen der das Thema der Ilias bildet.
Gehn wir denn nun zur speziellen Charakteristik Homers
über, und beginnen diese mit dem, was vom individuellen Dich-
tergeiste das sprechendste Zeugniss giebt , und wovon die Aner-
kennung des Dichtergenius Homers auszugehn hat. Dringt diese
Anerkennung sich doch bei allem Widerstreben auch den Zweif-
lern auf, die ihre Kritik einseitig auf die Ungleichheiten richten.
DRITTES BUCH.
Der Dichter Homer.
1. Vorwort zur speziellen Charakteristik des indi-
viduellen Dicbtergeistes Homer.
In dem vorhergehenden Buch ist der Versuch gemacht, so-
wohl die Vorgänger als die Nachfolger Homers nach ihrer Art, die
letzteren auch nach ihrer Individualität zu bestimmen. Der ent-
schiedene Gegensatz dieser verschiedenen Perioden einer reichen
Kunstentwickelung weist schon von selbst auf die grosse Indivi-
dualität hin, die zwischen ihnen für die Nation unbestritten das
Grösste und Schönste leistete.
Ehe die Betrachtung sich diesem Dichtergei^t selbst einge-
hend zuwendet, ist daran zu erinnern, wie die seelische Einheit
der homerischen Gedichte so viele bedeutende Forscher fast wi-
derwillig zu ihrer Anerkennung getrieben hat.
Der Verfasser der bedeutendsten Litteraturgesch. d. Gr. ver-
fahrt noch mit einer mystischen Deutung des Namens Homer.*)
1) Bernhardy 2. S. 71. „Ilonier nun (wenn wir so den Geist nennen,
der in den homerischen Gesängen loht) hat darin als Meister sich be-
währt, dass er mit vollkommenem Kunstvermögen alle diese Grundlagen
beherrscht und die Elemente des Epos in ungestörter Harmonie vereint.
S. 76. „Ueherall bewährt Homer die cigenlliümlichc Kunst organisch
zu dichten; sein Blick nmsste genial sein, Avenn er in den Massen
glänzender Sagenkreise denjenigen Stoff erkannte, welcher den allgemein
menschlichen Geliililen die reichste Nahrung darhot und alle Regungen
des Herzens heschäl'tigt" u. s. w. mit dem folgenden Bedenken. Dann
aber nach Anerkennunt,' des früheren Gebrauchs der Schrift zum Einlernen,
300
Er befand sich zwischen der Anerkennung der seelenvollen und
kunstreichen Organismen, welche er nicht anders als EiiuMU Geist
zuzuschreiben wusste, und den erregten Zweifeln in einem selt-
samen Hin und Her, fast noch wie der edle Fr. Jacobs einst, der
in der Hellas (von 1809) erst (S. 248) sagt: „Dass Ilomeros
nicht der Name Einer Person, sondern die Benemnnig einer
ganzen Klasse von Dichtern gewesen", aber weiterhin die Gedichte
zeichnet, wie sie (252 und 254) „mit tiefer Besonnenheit im
Innersten der Seele empfangen und künstlerisch ausgebildet sind"
— dann erklärt: „Die gestaltvolle Lebendigkeit mit gehalt-
reicher Tiefe, hoher Ruhe und reicher Besonnenheit vereinigt, ist
das Abzeichen der homerischen Poesie in einem ganz vorzüg-
lichen Grade". Hier ist wie un Vorhergehenden das grosse
Individuum gezeichnet. Da nämlich der Genius sein Wesen als
ganzer Mensch hat, und nicht durch die Stärke der bildnerischen
Kraft allein, sondern im Zusammenwirken aller Seelenvermögen-)
sich bethätigt, besonders aber durch den Seelenlon, seine Eigen-
heit erkennen lässt, welcher in seinen Werken — hier in beiden
glcichmässig als derselbe — sich offenbart ; so ist in jenen Wor-
ten die Individualität bestimmt anerkannt. Eben das Gemüth
giebt die Persönlichkeit und deren Besonderheit, und diese kann
unmöglich, mit gleicher Stärke und Einheit der bildnerischen
Kraft versclnvistert, Gemein- und Erbgut einer Vielheit oder Reihe
von Dichtern gewesen sein.
Diese Seele, welche die beiden Organismen durchzieht und
eben als solche erweist, sie ist auch das Entscheidende für alle
Anerkennung des einigen Dichtergenius und damit für alle rich-
tige Erkenntniss der ganzen Geschichte des Dichters und seiner
Werke. Alles, was den Homer zum Nationaldichter gemacht hat,
wie es unter keinem Volk einen so mächtigen giebt, es sind
S. 104 f. und weiterem Einspruch gegen Wolf, die Darlegung des Enl-
wickelungsganges und S. 11 das Verdienst Homers.
2) Vgl. Gervinus Sliakespeare 4. 306. „Nicht in dem Vorwallen einer
einzelnen Kraft bewährt sich die Genialität, auch ist das Genie nicht
selbst ein bestimmtes Vermögen, sontlorn es ist eben die harmonisolic
Verbindung und zusannncnwirkendc Totalilät aller mensclilichon Ver-
mögen". — „Vielmehr ist auch der Bcgrilf der Gesetzmässigkeit in dem
Genius wesentlich gelegen, und die ganze Vorstellung des geselzloswir-
kenden Genius ist die Erfindung von Pedanten" u. s. w.
301
persönliche Eigenschaften, aher vor Allem ist er dnrch seine hei
tiefem Lebensernst mildschöne Weltansicht nnd Humanität wie
Liebling so Lehrer seines Volks geworden. Die Beachtung und
Verfolgung dieser Seele ist es, welche die Buch 2 §. 17 a. E.
Angeführten zu ihrem Urtheil gegen die Zersplitterung bewogen
hat, Sie und Andere, die alsbald genannt werden, heben sämmt-
lich die sittlichen Ideen hervor, welche beide Gedichte als ihr
inneres Motiv durchziehn, und sie sind eben aucii durch die
Gleichheit des sittlichen Geistes in Beiden gehalten, die Odyssee
nicht einem andern Verfasser zuzuschreiben. Mehr nur äusser-
lich die Geschichte der epischen Dichtung als dieses innere Le-
ben beachtend hat der Forscher, welcher als der erste Reforma-
tor nach Wolf Epoche machte, durch richtigere Würdigung der
Cycliker zwar die Einheitlichkeit der Gedichte vertreten, aber die
des Verfassers nicht anerkannt, während er die verdächtigen
Stellen gern verth eidigt. ^) Die erkannte Reihe der Cycliker als
Epopöendichter verführte ihn, den Regriff Homer zum Gemein-
namen zu verllachen. Die Homeriden wiederum mit ihrem be-
gehrlichen Enthusiasmus sind dagegen Seite X06 ganz richtig im
Allgemeinen charakterisirt. Es übten die Homeriden ihre Kunst
des Rhapsodirens, wie sie sie üben wollten und zu üben verstan-
den, ohne sie, so viel bekannt ist, zu irgend einer Zeit einem an-
dern ausser dem Geschlecht zunftartig verwehren zu können. So
wies er ihnen den geschichtlich richtigen Platz an. Da sie eine
Mehrzahl haben, so giebt es alle Wahrscheinlichkeit, dass sie
zuerst die umfänglichen Gedichte Einer den Andern ablösend d. i.
in agonistischer Rhapsodie vorgetragen und Proömicn zu diesem
Vortrag gedichtet haben.
Durch unstatthafte so zu sagen Vertheilung der genialen Kraft
mul Leistung an diese Homeriden verkümmerte ein anderer bedeuten-
3) Wclckcr Ep. Cycl. L 127. „Der Dichter der Ilias ist eine Person,
unter nlleii Gcschleclilern der Mcnsclien eine der heivorragcnsten, eine
nndfp nni)ck;inntc Person, eine liöclisl sinnvolle und knnsl^oiihte ist der
Dichter der Odyssee; nicht aber ist der llonicr eine I'crson, woielicr so
viele Pocsioen einige Jahriuindorle hindurch zu (lichten foriräiul". Dies
Letztere ist in dem Obigen auf das Geschichtliche zuriickgefülirl. Aus-
führlicher im 2 Bncli der Sagenpoesic S. 21)7 (f.. besonders die missitrauchte
Stelle Xon. Mem. 4, 2, 10. S. 310—352.
302
der Förderer der Unlersuclning seine Verdienst. Grote maehte
erstens ebenfalls die Stellung der Ilias und Odyssee in der Reihe
der Epopöen geltend , da man doch nicht etwa die des Arktinos
als die voranstehenden Muster hehaupten könne, und wies auf
den Philosophen Xenophanes hin, der um dieselbe Zeit mit dem
Unternehmen des Peisistratos „den Homer schon als den allge-
meinen Lehrer bezeichnete und ihn als einen unwürdigen Be-
schreiber der Götter anklagte". ,, Dieses grosse geistige Ueberge-
Avicht muss der Philosoph", sagt Grole, „nicht mit einer Zahl
verbindungsloser Rhapsodieen, sondern mit einer zusammenhängen-
den Ilias und Odyssee in Beziehung gebracht haben. Und auch
das politische Ansehen, welches der Schiffskatalog hatte im Streit
Athens mit Megara um Salamis und in dem noch früheren um
das Vorgebirge Sigeum,'*) hätte in seiner kanonischen Bedeutung
nicht stattfinden können, wäre es nicht lang vor Peisistratos Ge-
brauch gewesen, die Ilias als fortlaufendes Gedicht zu hören". ^)
Es schliesst sich hier das mittelbare Zeugniss an, welches in der
damals entstandenen Periode homerischer Formeln liegt von ver-
breiteter Bekanntschaft mit dieser Poesie (Sagenp. 319.). Ausser
den obigen Beweisen, dass die Ilias und Odyssee vor Arktinos,
der über zwei Jahrhunderte vor Peisistratos zwei umfängliche
Epopöen von mehren Tausend Versen dichtete, als zusammen-
hängende Ganze vorhanden gewesen sein müssen (512 f.) und
der sehr eingehenden Darlegung der Einheit der Odyssee (520 f.),
spricht derselbe Geschichtschreiber (519) das sehr folgenreiche
Urlheil aus, welches übrigens schon im Jahre* 1838. von W.
Wackernagel ganz gleichlautend ausgesprochen war:®) „Wäre uns
die Odyssee allein erhalten worden, ohne die Iliade, so glaube
ich, der Streit in Bezug auf die homerische Einheit würde nie
4) Hcrod. 5, 94. Arisl. Rhet. 5, 15, 13.
5) Grote G. Gr. 1 , 512 der Uebers. Per V'erf. dieses ist von Grote
missvcrstanden. lieber Xenoplianes und Theagenes von Rhegium das
Genauere Sagenp. 303. Es gilt aber alles Dieses und fast zuerst gegen
die Welckersche Vorallgenieinorung des Namens und BegrilTs Homer.
6) Schweiz. Mus. U.S. 84. „Wäre die Ilias niclit — bei der Odyssee
allein wäre die Kritik sclnverlich darauf verfallen, die Existenz eines
einigen Dichters zu läugnen; mit so gereifter Kunst siml liier die Spalten
zwischen den einzelnen Tlieilen iiberkleidel, mit sülchem Geschick sind
die kleineren Einheiten unter eine neue grosse zusammengebracht".
303
erhoben sein. Denn die eislcre ist, meiner Meinung nach, fast
von Anfang bis zu Ende von Zeichen absichtUcher in Eins Bil-
dung durchdrungen, und der si^eziellen Fehler, welche Wolf u. A.
aufsuchten, um das Gegentheil zu beAveisen, sind so Avenige und
von so geringer Wichtigkeit, dass sie aligemein als blosse Versehen
des Dichters betrachtet Avorden sein Avürden, wenn sie nicht
durch die weit mächtigere Batterie, die man gegen die llias er-
öffnete, secundirt worden wären". Auch in der letzteren erkennt
er grosse Partieen, welche uniäugbare Beweise von Zusammen-
hang in Bezug auf Vorhergehendes und Folgendes darbieten, und
macht es dem Kritiker zur Pflicht, nicht die einzelnen Wider-
sprüche nur, sondern den durch den grössten Theil des Gedichts
gehenden Zusammenhang (die, Hauptsache) zu betrachten (525).
Ihn selbst hat seine Betrachtung dahin geführt und verführt, die
Gesänge der llias als ursprünglich zwei kleineren Epopöen ange-
hörig zu glauben, einer Achill eis, welche aus Ges. 1 — 8 und 11
bis 22 bestanden habe, und einer llias, welche aus Ges. 2 — 7
und 10 gebildet wird. Der 9. heisst unecht, der 23. und 24. wird
als vielleicht der Achilleis angefügt geduldet.^) Diese sehr subjective
Annahme hat bereits durch den um die Wahrung der antiken Ueber-
zeugung hochverdienten schon oben genannten Baumle in ihre
Würdigung gefunden,*) und wird bei Darlegung des Planes der llias
im Zusammenhang berichtigt werden. Hier ist Grote's mangelhafter
Begriff vom Dichtergenius und sein Unterschieben der Homeri-
den aufzuführen. Wie es S. 494 heisst: „Homer ist kein in-
dividueller Mensch , sondern der göttÜche und heroische Vater
(die Ideen von Verehrung und Ahnenschaft verschmelzen, wie
sie es in der Seele der Griechen stets thaten) der Homeriden-
gens — " so wird S. 543, nachdem die Möglichkeit eingeräumt
worden, dass ein anfangs kleineres Gedicht von seinem ursprüng-
lichen Verfasser später erweitert sei (wie Goethe mit seinem Faust
gethan), eine andere Entstehungsweise so bezeichnet: „Anderer-
seits kann ein planmässiges Gedicht recht gut nach vorher
bestimmterUebereinkunft zwischen verschiedenen Dichtern
entworfen und ausgeführt worden sein, unter denen einer wahr-
.7) Uebers. S. 527—534. Die Acliilleis 534—542. Die Ili.is im Ori-
ginal History of tJreece Vol. II. Part 1. chapler XXI. p. 191.
8) Philül. XI. 3. Grole's Ansicht über die llias. S. 405—430.
304
seil ein lieh der regicrt-nde G eisl sein wird, obgleich die
andern auch wirksam , vielleicht gleich wirksam sind in der Aus-
führung der Theile. Eine solche Verbrüderung sei in den Ho-
meriden zu erkennen, welche man, wenn auch ohne Zweifel sehr
verschieden unter einander an Geisteskraft, doch in höherem Grade
gleichen Wesens zu denken habe als Individuen in modernen
Zeiten". Schon in diesen Meinungsäusserungen verräth Grote,
wie sich ihm bei der gebotenen Annahme eines Planmässigen
das Erforderniss eines Individuums höherer Begabung aufdrängte.
Im Fortgange (543 f.) lesen wir dann doch nichts Anderes als
der Odyssee sei die Abfassung durch Eine Person zur Zeit durch
keine haltbaren Gründe streitig gemacht, und vom Bau der Ilias
sei nach seinem Urtheile keine Theorie zulässig, die nicht eine
ursprüngliche und vorher aufgefasste Achilleis annehme. So
haben \^iv doch einheitliche Ganze, und müssen nur urtheilen,
das Wesen der genialen Kraft sei dem hochachtbaren Mann
nicht klar gewesen, und in die Verfolgung der die homerischen
Dichtungen beseelenden sittlichen Ideen sei er nicht eingegangen.
Ehe wir selbst aber die beiden Pläne darlegen, ist zur sorg-
samen Vorbereitung dieser Entwickelung noch Mancherlei erfor-
derlich, was wir in zwei Abschnitte oder zwei Schlussreihen fas-
sen. Der eine , den wir weiterhin folgen lassen , hat die epische
Darstellungsweise zu charakterisiren, aus der einerseits die Beur-
theilung und das Verzeichniss der umfänglichen Interpolationen
hervorgeht, andrerseits das Verfehlte der Versuche sich ergiebt,
die kleinen Lieder herzustellen. Der zunächst folgende Abschnitt
soll den Dichtergenius theils in seiner gemüthlichen Eigenheit
und seiner bildnerischen Geisteskraft, theils in seinem Composi-
tionsverfahren beschreiben. Ist er in diesen Ilücksichten als ge-
meinsamer Verfasser der Odyssee wie der Ilias erschienen, dann
werden schliesslich die vermeintlichen, aber nicht entscheidenden
Unterschiede zusammengestellt.*)
*) Wir haben diese Andeutung des Verf. stellen lassen. In der hier
folgenden Darstellung findet sich die Kritik der kleinen Lieder iiiclil, son-
dern^Bucli l, AJischn. 2, die ZusaunntMislellun^ „der vcnnoinlliclien, aber
nicliL enlsclieidcnden Unlerschiede", teidl i(anz. I). 11.
305
Abschnitt I.
Homers Darstellung uud Coniposltions verfahren.
2. Der gemüthreiche D iclitergen ius Homer wach
Odyssee wie Ilias.
Dem Wesen genialer Schöpferkraft, Avie sie sich znmal in
der Odyssee, aher auch in der Anlage und Durchführung der
Poesie vom Zorn des Achill erwiesen hat, geschieht nicht Genüge
durch die dem Heroencultus entnommenen Bezeichnungen gött-
licher, heroischer Vater oder „in einer Dichterreihe herr-
schender Geist". Dass dies wirklich nicht genüge, erklären phi-
lologische Forscher zum Theil wie im Aergerniss an der Sünde
wider den Genius, indem sie nicht hlos die lachmannische Mei-
nung, sondern auch die allmähliche S'^höpfung der Homeriden von
sich weisen , während sie Ausdehnung durch Einschiebsel eben-
so entschieden anerkennen.**) Allmählich hat freilich der Dichter
die im Stoff gefundene sittliche Idee in sich zu dem Plane und
allmählich diesen seihst ausgebaut, allmählich in Partieen gegeben
aber schöpferisch mit ei<^enen Theilen durchwebt (z. B. in der
Odyssee Telemachs Reise, in der Ilias Ilektors Gang in die Stadt).
Sein aber ist besonders das, was jener von Lehrs hervorgeho-
benen religiösen und moralischen Grösse verdankt wird. — „Die
künstlerische Grösse verlangt nämlich zu ihrer Basis die rein inensch-
9) Lehrs an der schon oben S. 5(') P. angeführten Stelle seiner
Popul. Aui'ss. Fr. Zimmorniann Begr. d. E|»os S. 18 f.: „Als Hesse sich eine
Zeit (lenken, in wekiicr die liürliste Gcnialiliit Scliullon war? Und wir
sollen noch das wunderliaftoro Wunder glaiilicn, dass diese riodiditc,
durch welche ein Geist unverkennliar , durchaus eigcnlliinnlicli und uner-
reichbar weht — von einer Innung ausgegangen seien, welche durch
unerhörtes Naturspiel genau dicselhc dichterische Individualität, denselben
Grad des schöpferisclicn Vermögens besessen lial)en niiisslcn, wenn wir
die II i ade und Odyssee bei solcher Gleichartigkeit ilires
Charakters auf sie zurückfüliren dürften". Dei-s. über Einscliie])sel das.
und über Homers Compos. S. 1 10. Hegel Aeslli. '^. ;33n: „Die homerisclieu
Gedichte — manclien Einscliaihiiigen und sonstigen Veriinderungen aus-
gesetzt — bilden durchaus eine waiirhafte, innerlicii organische Totali-
tät, und solcli ein Ganzes kann nur Einer machen". Vorlier: ,, Viele Stücke
in demselben Tone forlgesungen , machen jedocli noch kein einbeitvolles
Werk, das nur aus einem t^eiste entspringen kann".
^i(zs.•ll, (jrsch d. gii.-oh. Kpos. 20
306
liehe," Avie Carriere sagt. Dadurch hat er seinen Gedichten über-
haupt das Charaktervolle gegeben, was ihre eigenste innerste Eigen-
schaft ist, aus der auch die dramatische Form hervorgeht. Be-
sonders sprechend offenbarte sich dieser Sinn in seinem Zeus wie
unter den Helden im Achill und Rektor ; der Zeus Homers gestaltet
ungern den Rachekrieg gegen das in allen andern Gliedern wegen
seiner Frömmigkeit geliebte Königshaus (11.4, 43.), erst da die
Kränkung des Achill bei ihm angebracht wird, nach langem Sinnen
(1, 512). entgegen den Schutzgöttern der Griechen und besonders
der Here (der der Atreiden), beschliesst er, zur Genugthuung des
verdientesten Helden einen selbstbemessenen Rath. Der Sohn des
frommen Königshauses soll darnach, in drei Stadien sieghaft, den
Griechen Noth schaffen, bis Achill aufgeregt werde (11. 8, 473 f.), wo-
nach dann, wann dieser in seiner Nähe ein Schiff aufleuchten sieht,
allmählich erst durch Patrokjos, dann durch Achill selbst, Umkehr
geschehen soll. Dieser menschlich auch erregbare, aber maassvoll
über den Parteien stehende höchste Gott gewährt dem Agamem-
non mitten in der Büssungszeit doch Rettung (8, 246.), ja einen
Siegesgang, als Achill, der nicht vergessen kann, die Versöhnung
verweigert hat (11, 186 ff.). Er erwirkt endlich nochmals,
als Achill wieder maasslos in der Rache sich erweist, die Aus-
lösung der Leiche des Hektor an Priamos. So nicht von der
Sage, sondern vom edeln Dichter ausgeprägt, gab dieser gött-
liche Charakter ganz besonders die Ueberzeugung, dass nur Ein
Schöpfer diese Rias entworfen und ausgeführt habe. So heisst es
nach einer Charakteristik eben des Zeus: ,,Wie hoch aber Homer
im Ethischen und Religiösen stehe, muss man im Ganzen erken-
nen. Diese im Ganzen lebende Seele, das höchste dichterische
Vermögen nicht gerechnet, bürgt für die Einheit der Gedichte,
und da alle dagegen sprechenden Wahrnehmungen auf andere
Weise befriedigend erklärt sind, so weiss ich nicht, was uns be-
wegen soll, gegen alle Erfahrung das Wunder einer Reihe von Dich-
tern zu glauben, die sich an sich so gleich gewesen, und deren
Namen noch dazu in dem eines einzigen untergegangen seien.
Was Ilomeriden vermögen, ersehe man an den Hymnen: alles
Schöne bei ihnen — ist Nachklang des homerischen Götterliedes."'")
10) Thudichum die Trag. d. Soph. übers. 1. A. S. 242 (noch heute
nicht anders), und Bäunileins Aachwoisungen Philol. XI. ;3. 400. Sagenp. 189f.
307
Der sittlich religiösp Sinn liatte den Dirlitcr schon zn der
Wahl seiner heiden Stoffe bestimmt. Die Dias stellt in ihrem
ersten Gange (1 — 16) die Büssung der von Agamemnon verwirkten
Kränkung und das Leid der Griechen dar, in dem zweiten den
tragischen Achill. *') Die Odyssee lässt in der Erzählung der
Irrfahrten des Helden, welche der Dichter durch ein Meisterstück
als bereits bestanden zum Ruhmestitel gestaltet hat, doch diese
eigentlich als Folge eines in der Siegesfreude entfallenen Wortes
und dadurch verwirkten Götterzorns erkennen, dann im Haupt-
Iheil aber gieht sie ein Beispiel eines durch denselben gotlge-
liebten Helden bestraften frevelhaften Attentats.'^) Hiermit ist
denn ein tieferer Grundton beider Epopöen gegeben, der in sei-
ner Durchführung nicht anders als aus der persönlichen Seelen-
stimmung des Dichters hergeleitet werden kann. Aber bei dem
Ernst und der Grossartigkeil der Weltansicht, welche sich dadurch
kund geben , können ^^ir ganz unzweifelhaft einen Unterschied
zwischen ihm und Hesiod an heiterer Lebensansicht und Weltan-
schauung und die glückliche Mischimg des Ernstes mit Frohsinn
und überhaupt die Humanität dieses Sprechers und Bildners des
Griechengeistes wahrnehmen. Nicht erst in den Zeiten schon ent-
wickelter mannigfacher Dichtungsarten treten verschiedene Dichter-
geister hervor, nicht blos Lyriker etwa wie Solon und Mimner-
mos, und Tragiker, wie Euripidcs und Sophokles, unterscheiden
sich in ihrer gcmüfhlichen Eigenthümlichkeit, auch das Epos,
welches in Darstellung der Götter- und Menschenwelt ein Welt-
11) Bäiinilcin das. S. 417. „Es miiss sich ja wolil, je inniger
man sich mit dem Gedichte vertraut niaclil, um so klarer die Ucbcrzcngung
aufdrängen, dass das Gediclit von dem verderblichen Zorn recht
eigentlich darlliim soll, wie selbst bei den edelsten Nalurnnlagon der
Mangel an Miissi^ung in dem Selbstgefrild nnd einem an sich berechtigten
Pathos unheilvolle Wirkungen liat, wie die Nemesis die Ucbersclncitung
des 3hiasscs ahndet". Ad. Scholl, Beitr. z. Kenntn. d. tr. Poesie 1, 288.
„Der Achillszorn , das Thcnia dcrilias, dieser edelste Kern des antiken
E[)0s, ist, wie der Kraftlhcil aller Völker, Prototyp der vollkommensten
Tragödie". Sagenp. 2(55 f. 291 f. 4.33. „Am Iragischslen sind die Fälle und
Menschen, wenn sie ihr Recht und ihre Tugend libertreiben , Maasslosig-
keit in an sich berechtigten Erregungen und Strebungen üben, oder sich
dahin vergreifen, dass sie durch dasselbe, woduich sie sich Heil und Ge-
winn zu sehaflen meinten, ihr Verderben linden".
12) GroleS. 523. Sagenp. 292 f.
20*
308
gemäldc iinifasst, hat hei semen Erzählungen dazu Anlass, und
gieht dem Geschilderten die Farbe des Dichtergemüths. Es ist
nicht eitles Spiel, wenn schon alle Schriftsteller hemerken, in
Homers Mund werde Alles preiswürdig und auch das Unschein-
bare erscheine im hebenden Glanz. Sie hatten nicht Unrecht,
die schmückenden Beiwörter, wie sie der lebendigen Anschauung
angehören, aus seinem freundlichen Geniüth herzuleiten.") Es
ist zum guten Theil als persönlicher Unterschied der Dichlerge-
müther zu fassen, wenn die Menschenwelt Homers mit ihrem ver-
trauensvollen Glauben und naiven Verkehr mit ihren Göttern den
entschiedensten Gegensatz bildet zur Schilderung des Hesiod, wo
Anklage des ganzen Menschenalters verlautet und im Gottesdienst
ängstliche Sorglichkeit herrscht. Freilich tritt auch bei Hesiod
an die Stelle des Bildes der Heldenwplt mit ihrer zum Lied ge-
\Aordenen Thatenlust die Wirklichkeit, in welcher Alles auf Ar-
beit und Ervverb abzielt. Verwandt mit seiner freundlichen An-
schauungsweise ist der Ausdruck menschlicher Rührung, wenn
Homer gerade bei seiner Schilderung der Kriegsscenen den sich
begebenden oder geahneten Tod eines Kriegers mit einer aus
dem Leben gegriffenen Aeusserung des Mitgefühls begleitet. Der
Tod des Gefallenen ist schmerzlich hier a) für Vater und Mutter,
denen er nicht Kindesdank erweisen oder im Erbe folgen wird,
dort b) für die Gattin, die er umsonst mit reichen Brautgaben
erworben, oder die, wenn sie die Kunde vernommen, bei ihrer
durch die Nacht hinschallenden Wehklage Hausgenossen und Nach-
barn nicht schlafen lässt; er ist bedauerlich, c) weil kein Reicli-
tlium, keine Kunstbegabung durch eine frcimdliche Gottheit, keine
Beliebtheit bei den Menschen, keine königliche Schwägerschaft
davon erretlet hat.**) Den prophetischen Vater, der ihnen den
Tod vorausgesagt, hatten sie nicht gehört (11, 3301'.). Jener
aber, dem der Vater ein Doppelgeschick verkündet, wählte den
Kriegertod vor dem daheim durch Krankheit und dazu dem ihm
13) Die Chrysosl. 33. II. 5. Rsk. Themist. 1. a. E.
14) a) II. 4, 477. 5, 150 — 158. b) 11, 242—246. 5,412 — 415.
c) 5, 612—014. 5, 51—54. 6. 14—16. 13, 172—176. S. auch z. B. 11,
330 und wie der in eigenen Worten immer liumyne Üichler Sieger ihre
Schlüge mit Sarknsmen lieglciten lässt 14,501 — 505. 456f. 13,373 bis
382. 414-416, Lei der Drohung 11, 301 —395.
309
Ireffenden bösen Leumund der Feigheit (13, 666 ff.). Endlicii
Zeus selbst, als Heklor dem gefällten Patroklos allzukühn die
Waffen des Achill abgezogen, lässt er ihn doch gewähren, er
mag sie tragen auf dieser letzten Siegesbahn, wird doch An-
dromache ihm nicht bei der Heimkehr jene Waffen abnehmen
(17, 207 f.).
3. Fortsetzung. Die homerischen Frauen.
Auf dem Grunde der hiermit im Allgemeinen gezeichneten
Seelenstimmung heben sich nun zum wohl individuellsten Zeug-
niss die Bilder der edlen Frauen oder treuer Diener hervor;
also Andromache und Helena, Penelope und Nausikaa,
die Amme Eurykleia und der Hirt Eumäos auch der schlau-
treue Herold Medon.'") Sehen wir, wie in diesen Charakteren
aus beiden Epopöen, und namentlich in dem beiden gemein-
samen der Helena sich ein und dieselbe gemiithreiche Bildner -
kraft erwiesen hat. Diese selbe Kraft schuf die Andromache des 6.
und des 22, Gesanges der Bias, diese beiden lebensvollen Familien-
bilder. Die allberühmte Abschiedsscene am Thor zum Schlacht-
felde nicht blos mit dem „Hektor, so bist du Vater mir jetzt
und würdige Mutter" u. s. w., sondern mit allen und jeden Pulsen
des Gatten- und Elternherzens in Einem, und die andere 22,
437 ff., wo sie vom Fleisse am Webstuhle und der Sorge für das
Bad, wenn der Gatte aus der Schlacht komme, (seine Pferde
8, 186 — 188) durch ein fernes Jammergeschrei aufgeschreckt
zum Thurm eilt, von da ilin geschleift sieht und die Klage er-
hebt mit der unvergleichlichen Schilderung des Wittwen- und
Waisenstandes.'")
Derselbe Renner des Menschengemüths prägte die sich durch
die ganze Odyssee gleichen Züge der Penelope, „des treucsten
der Weiber", aus, wie sie, nachdem ihr durch alle Zeiten
sprichwörtliches Gewebe verrathen ist, in 1 , 336. dem Gesänge
von der trauervollen Heimkehr wehrt und sich über den eben
mündig werdenden Sohn verwundert, 306 f., wie sie bei ihren
15) Anra. zu Od. 4 . 677.
16) Fr. Zinimcrniann : Ucber den Begr. d. Epos S. 24 mit Ver-
gleichung der Klage der Dainajaiiti um ihre» Nalus. S. Hollzraainis Ind.
Stud. Th. 3. S. 33ff.
310
Ihränenreichen Nachten und Tagen in Sehnsucht nach dem Gatten
verlangt, wie sie, unterrichtet von dem Mordplan gegen den Sohn,
im 4. Gesang um diesen hangt, und der treuen Eurykleia die Ver-
heimlichung der Reise vorwirft, wie sie weiter, ahgesehn von ihrer
Leichtgläuhigkeit, mit der sie jeden fernher Rommenden nach dem
Manne fragt (14, 126 — 130), als ihr der Gedanke, den Freiern zu
erscheinen, entsteht, das unühersetzhare Lächeln im Gesicht hat
(18, 163. uxQSLOv), von Athene durch einen Wunderschlaf er-
(juickt, sich in ihrem Sehnsuchtsleid solch sanften Tod wünscht
(18, 201 — 205). Vor Allem köstlich aher ist sie in zwei Sceuen
bezeichnet, da sie im 19. Gesänge den unerkannten Gatten, der mit
seinen wie Hörn und Eisen stehenden Augen ihr gegenüber-
silzt (211), im längeren Gespräch ausfragt, und mit der Nothwendig-
keit ringt eine Entscheidung herbeizuführen, sodann da sie, als der
Freiermord vollbracht ist, die Meldung der Eurykleia erst ungläubig
abweist (23, 1 1 IT.), dann, zum Glauben gedrängt, als das Gegcn-
hild ihres besonnenen Mannes, noch zweifelmüthig, ob sie ihn von
fern ausfragen oder ihm um den Hals fallen soll, noch an sich
hält, so dass der Sohn sie schilt, und wie die wunderbare Scene
weiter geschildert ist. Endlich hat die Vergleichung der Heim-
kunft des Agamemnon mit der des Odysseus in des Dichters Be-
handlung besonders die Wirkung, die Treue der Penelope zum
Gegenbild der grausen Klylänmestra zu machen (11, 444 — 446).'^)
Wenn nun unser wohlbegründeter Glaube mehr als geneigt
sein mus's, diese beiden Frauenbilder, die Andromache und die
Penelope, gleich dem Allerlhum, von einem und demselben
Dichtergeist gedacht und durchgeführt anzunehmen,**) so zeugt der
Charakter der Helena, der in beiden Epopöen licht und lebendig
erscheint, bei gehöriger Zusammenstellung der in beiden gege-
17) Lasaulx die Ehe hei den Gr. in den Abband!. d.bair.Ak. d.W. B. 7.
S. 156. Die Ilauptheklen Ijoidor Gedichte , sonst su verschieden, sind darin
einig, dass ohne Frauenlicbe kein männliches Glück bestehe. S. 37. Die
ganze Odyssee ist ein Lobgesang auf Penelope u. s. w.
18) Carriere das Wesen der Poesie. S. 147 f.: „aus Andromaches
lächchider Thränc spricht die hungkeit seines Gcniüths uns an, wie die
Kindcreinlalt seiner reinen Seele aus dem Zurückbeben des kleinen Astya-
nax vor dem Helmbusch dos Vaters; Odysseus und Penelope offenbaren
den Erapfindungsreiclithum seines Geistes, die Treue seines Herzens."
S. dens. S. 174 und Lasaulx a. a. 0. S. 38.
311
bellen Züge von ihr, ganz besonders sprechend für die Einlieit
des Dichters. Ganz hriger Weise bildeten sich gewisse alte Er-
klärer aus falschem Verständniss der Verse II. 2, 356 und 590.
und entgegen den Anzeichen, welche andere Stellen enthalten,
das ürtheil, die Helena der Ilias sei von Paris mit Gewalt
und wider ihren Willen geraubt, die der Odyssee dagegen sei
ihm freiwillig gefolgt. Nach dem richtigen Verständniss jenes
Verses und seiner Beziehung auf Nestor und Menelaos spricht
derselbe von den sehnlichen Gedanken und Seufzern der Helena,
A\ie Nestor und Menelaos und selbst Hektor nur den Paris als
Schuldigen am Kriege anklagen; Helena selbst bekennt ihre
Schuld , klagt sich selbst als Verführte und den Paris als den
Verführer an, dies in beiden Situationen, in Troia, II. 3,173 f.,
und 6, 344 — 358., wo sie sagt, Hektor habe Mühe wegen ihrer
Schamlosigkeit und Paris Unsal [ätr]), in Sparta, Od. 4, 259 — 264.,
wo sie bei der Erzählung, wie in Troia ihre Sehnsucht nach
dem vorigen Verhältniss erwacht sei (vgl, II. 3, 139 — 142), ganz
nach dem Glauben der Griechen (II. 14, 198, 214 — 217.) die
Aphrodite nicht anders als Verführerin nennt, wie II. 3 , 395 bis
447 in dem Gespräch mit der Göttin selbst. Ausführlicher ist
dies Alles von Lehrs dargethan.'^)
Wie naturgetreu einfach und doch so fein ist das Bild des
unvergleichbar schönen aber sinnlichen und daher verfülirbaren
Weibes — verführbar vollends durch einen Paris, ihr männliches
Gegenbild! Mit welchem Geist gezeichnet ist dies Bild im Moment,
da sie den vorigen Gatten sieht, aber die Göttin des Liebreizes
ihre Lieblinge selbst kuppelt, sie aber sich ebenda zurecbt fin-
det und besonders an Ilektors Freundlichkeit emporhebt. Lieb-
lich vollendet wird es in der Odyssee bei Telemaclis Besuch.
Nachdem sie ganz nach Frauenart den Telemach an der Aehii-
licbkeil mit dem Vater erkannt hat, ist sie die anmuthige und
19) Populäre Aufs. Lpz. 1856. S. 11 — 15, wo auch die beiden Stellen
II. 19, 325 und Od. 14, 68 in das gehörige Licht gestellt werden, in
welchen allein von griechischer Seite die Helena angeklagt wird. Achill
nennt sie die Enlselzliche im Acrgerniss an dem um ein Weib entstan-
denen Krieg und in seiner durch den Verlust des Palroklos, aufgereizten
Stimmung. Eumäos aber verwünscht ihren Stamm nicht aiulers als Achill
nach 11.19, 591V. die Briseis, den Gegenstand seines Zwistes, lieber am
Tage, da er sie gewann, getödtct gesehen hätte.
312
freundliche WirUiin, Avie gegen Heklor, II. 6, 354 f., so hier ge-
gen den Sohn des gefeierten Odysseys, und als ihre und des
3Iannes Erzählungen Schmerz und Thränen erregt, hat sie den
allen Kummer stillenden Wundcrlrank (4, 220). Als dann der
Jüngling Ahschied nimmt, beschenkt sie ihn mit dem Gewände
für die künftige Braut (15, 125). Und als hei der Abfahrt selbst
ein Vorzeichen erscheint, hat sie, gegenüber dem schwerfälligen
Älenelaos, auf einen Schlag die Deutung (15, 169 bis ITl).^'')
Es kann dem willigen Leser nicht entgehn, wie harmo-
nisch all die Züge beider Situationen zu einem wahrsten Typus
fein gedachter Weiblichkeit zusammenstinnncn. Wenn er in
dem Bildner dieses beseelten und stetigen Charakters besonders
der homerischen Frauen den innigen, tief individuellen Genius
vollends unabweislich gegeben sieht, höre er denselben geistvollen
Gelehrten, der die Beweisstellen am sprgfälltigsten auslegt, was
er S. 14 jener Schrift als Ergebniss ausspricht: „Zu alle dem
gehörte nicht weniger als die unbefleckte sittliche
und dichterische Grösse des Homer, wodurch er der
gepriesene Liebling jeder Zeit, jedes Standes und
jedes Alters geworden ist". Es wird der Leser sich die
Kunstweise des Dichters besonders in dem Hin und Her des Lust-
reizes und der Scham, der Hingebung an den Liebling der
Aphrodite und der treuen Erinnerung an Menelaos nebst der
Vergleichung beider Männer im Gedächtniss behalten, wie es auf
das feinste in dem Gespräch zuerst mit Aphrodite, dann mit Paris
selbst gezeichnet ist, 3, 395 — 447. Und wenn er in der weiteren
Litteratur der Griechen das zarte Bild der Helena in das has-
senswürdigste entstellt findet (s. Lehrs' weitere Ausführungen),
Homer aber in seiner lebensvollen dramatischen Darstellungs-
weise gerade auch in dieser Frau die Menschennatur nach ihrem
Gemisch von Schwäche und Edelsinn gezeichnet und das Lieb-
liche hervorgehoben hat, dann mag er auch eben hier an dem
sprechendsten Beispiel die der Poesie darstellender Kunst eigenste
Weise als die homerische bestätigt finden. Der wahre Epiker
malt tlieils nur dasjenige und nur da aus, wovon und wo Wir-
20) Man vgl. auch Aug. Jacob : lieber Entsteh, d. II. und Od. S. 105.
„Vollkoniiiien entsprechend ihrer Darstellung in der Ilias erscheint Helena
auch in der Odyssee".
313
kling erfolgt, theils charakterisirt er mehr durch Thalsacben der
Handlung als durch Worte ,^') theils endUcb lässt er Eigenschaften
mittels Reflex der handelnden Personen erscheinen. Wie dies
die Bedeutung ist von der ganzen „Mauerschau", wie die Griechen
die Partie des 3. Gesangs der liias etwa von 121 — 244 nannten,
so hören wir in derselben die Art, wie Homer die zum Typus ge-
wordene Schönheit der Helena preist. Es geschieht dies, abgesehn
von der einfachen Vergleichung mit der Artemis (Od. 4, 122),
mittels Anregung der Phantasie, allerdings auch durch die Zu-
neigung der Verleiherin alles Liebreizes, der Aphrodite, zu ihr
(IL 3, 415), aber sinniger (und mit mehren Worten sonst nir-
gends) durch den dramalisch geschilderten Eindruck auf die troi-
schen Greise: 3, 154 — 160.
Als sie Helena sah'n , die jetzt zu dem Thurme dalierkam,
Raunte der Eine dem Andern ins Ohr die geffiigelten Worte:
Schelte mir keiner die Troer und wohlumschientcn Achäer,
Dass sie um solch ein Weil) so lange sich mühen im Elend,
Gleicht sie ja doch an Gestalt unsterbHchen Frauen der Götter.
Aber wie reizend sie sei, doch schifle sie wieder nach Hause,
Ehe sie uns und den Kindern dereinst noch werde zum Unheil.
Wir erkennen hierbei auch, welche Feinheit in dem in's
Ohr raunen liegt. Die Stelle diente Lessing vor andern zum
Beleg für seine Lehre vom Unterschied der Dichtkunst und der
Malerei (Laokoon 322): „Was kann eine lebhaftere Idee von
Schönheit gewähren, als das kalte Alter sie des Krieges wohl
werlh erkennen lassen, der so viel Blut und so viele Thränen
kostet"? Wir fügen mit Carrieres Worten die Theorie hinzu
(155 f.): „Der Dichter arbeitet eigentlich mit der Phantasie des
Hörers oder Lesers, sie will er anregen, dasselbe Bild zu ent-
werfen, das vor seiner eigenen Seele schwebt'-. ,,Von Helena
sagt Homer nur, dass sie schön gewesen wie eine Göttin, er
zeigt uns aber die Wirkung ihrer Schönheit" — es folgt die-
selbe Auslegung.
Die Feinheit und Naturwahrheit in der Zeichnung dieser
drei Frauen finden wir unvergleichlich auch in dem Bilde der
21) Lessings Werke in 12. Th. 2. Laokoon S. 258 ff. bes. 270:
Homer malt Nichts als fortschreitende Handlungen u. s. w. Carrierc, We-
sen und Formen der Poesie S. 154fr
314
biäuüichen Jungfrau Nausikaa im 6. Gesänge der Odyssee bewährt.
Wie bei jenen, zeigt sich das edelschöne Gemüth des Dichters hier
eng verschwistert mit seiner genialen Erlhulsamkeit. Man kennt
die Aeusserung Goethes (an Scliillcr Br. 424) über die unübertrelT-
liche Begegnung eines Fremdlings im fernen Lande mit den Ein-
gebornen, durch welche er jedem folgenden Darsteller solchen
Hergangs das Schönste vorweggenommen erklärt. Es zählt zu
den anmuthigsten Zügen des Bildes das Ballspiel, das zugleich als
feines Motiv den Schlafenden aufzuwecken dient. Aber auch eben
Nausikaa als bräutliche Jungfrau gleich zuerst in ilirem Traum,
der die Wäsche motivirt, in der Verheimlichung bei der Bitte
an den Vater, in ihrer schämig muthvollen Haltung beim Anblick
des nackten Mannes, in ihrer Aeusserung gegen die Dienerinen,
, 240fl",, in ihrer Rücksicht auf das Gerede der Leute, 27311.; ihrer
Weisung des Fremden an die Mutter, 310, nachmals im Hause
in der Mahnung, dass er ihrer daheim gedenke, 8, 459 fl\")
Ihre eigene Erscheinung mit allen Beizen malen nicht eigene
Worte des Dichters, sondern die Anrede des Odysseus 6, 149.
Carriere S. 162.
Die Amme Eurykleia gehöi't wesentlich zur Charakteristik
der heimischen und häuslichen Verhältnisse, in die Odysseus ein-
treten soll und eintritt. Sie die bejahrteste, die vor allen altge-
wohnte Dienerin des Hauses, w eiche, einst von dem Grossvater La-
ertes in zartester Jugend gekauft und gleich der Gattin werth
gehalten (1, 430 ff.), den Sohn und den Enkel gewartet und auf-
wachsen gesehn hatte, sie war dem Odysseus wie der Penelope
und ihrem Erben die trauteste und anhänglichste Dienerin. Von
Arbeit und Amt hatte sie nur, was dem höheren Alter und dem
Vertrauen eignet, erstens die Aufsicht ülier die Sclavinen und
Anordnung ihrer Besorgungen (20, 145.) ausser der sesshaften
Arbeit, bei der sie die Hausfrau hier wie überall umgaben, so-
dann die Obhut über einen weiten Keller, in welchem ausser Me-
tallvorrath und Kleiderzeug — besonders auch wohl Mehl nebst
Gel — die verschiedenen Weine und der beste für den abwe-
22) Aristarch fand 244 — 246 und 275 — 285 der Jungfrau unge-
ziemend, die letzteren scheinen den beieils hinlänglich angedcutclen Ge-
danken in unangemessener Breite auszufüluen. Doch s. Sagenj». 171.
315
senden Herrn bewahrt werden, 2, 237 — 247.^^) Sie nun Irill nach
dieser ihrer Stellung in beiden der Haupthandlung angehörigen
Ereignissen hervor, als Teleniachs Vertraute bei der Reise, die
er vor der Mutter verheimlicht, und als die Ircueste Dienerin des
Hauses bei der Heimkunft und dem Itacheplan des Odysseus, da
sie allmählich in die 3Iitwissenschaft theils gezogen wird (19, 16.),
theils durch die von Odysseus seihst herbeigeführten Umstände
gelangt (19, 346. 353 f.). Die frühere Hauptscene für Eurykleia,
als Penelope des Sohnes Reise und zugleich der Freier Mord-
plan erfahren hat, lesen wir 4, 742ff. Die andere, besonders
gemüthlich schöne, wo sie beim Fussbade den Odysseus au der
Narbe erkennt, 19, 469—490. Nachmals nach vollbrachtem Freier-
mord wird sie herbeigerufen, 22, 391, und hat sie über das Be-
tragen der Sclavinen Bescheid zu geben, 22, 417. Diese zum
Fortschalfen der Leichen und Reinigen des Saals herbeizuholen,
und der Penelope das Geschehene zu melden. Die Scene, wo
dieses geschieht, zu Anfang 23., ist, wenn vorzüglich für die bei
treuester Sehnsucht vorsichtige Penelope, doch auch für den Sinn
der Alten charakterisch.
An Treue wie an Bedeutung für die Handlung, und so als
Erweis des gemüthreichen Dichters der Odyssee, steht neben Eu-
rykleia der Hirt Eumäos. Jeder irgend uidjefangene Leser wird
diesen in den Büchern 14 — 17 von selbst linden. In seiner
Hütte treffen sich Vater und Sohn, dort führt der Dichter die
23) Das iv öe — saxs die Form der einzeln wiederholten Handlung
und die Sache selbst sagt, dass sie nicht Tag und Nacht in dem Keller
sass, sondern als Ausgcherin dieser Vurrällie diesen Keller mit treuer
Sorgsanikeit hewaltetc. Das Tag und Nacht drückt nur die Stetigkeit
der Sorge aus. Also wie Fäsi und Ameis. Teleniach ruft sie ja erst zu
dem Gewölbe. Ueber iv öe, dabei, daran, s. Dassovv 5. A. und Iv C. —
Neben ihr, der Hochbcjaiirten, ist für den täghchen Dienst als Schadnerin
die auch schon ältere Eurynonie im Hause, deren spätere Erwähnung
niciit zu trennenden Folgerungen misshraucht, w-cr nur für planmässige
Erzählung Sinn hat. Was die Dienstleistungen belrillt, so Icuclitel Eury-
kleia iiirem lieben Kinde ins Schlaigcmach 1, 428, wird später neben der
Eurynonie als Kammerfrau bezeichnet, 23, 177, 154, und riclilet mit dieser
den wieder vereinten Gatten das Lager zu, doch leuchtet ihnen Eurynonie
23, 289—294 und wenn die Sklavinen um die Herrin sind, wendet sich
diese mit einem Auftrag an Eurynonie 18, 164 — 182, 19, 96; und spricht
diese vor Anderen 17, 495, Eurykleia, wo sie bcllieiligl ist, 4, 142.
316
beiden Fäden der Handlung von Ilhaka und der Insel Ogygia her
in Eins, d. h. dorthin lässt er die göttliche Bewegerin der Ge-
schichte, nachdem sie den Odysseus heimgeführt, diesen weisen,
und darauf ebendorthin den Sohn von Sparta rufen zur Verabre-
dung des Weiteren. So hat Eumäos grosse Bedeutung in der
Haupthandlung. Es offenbart sich ihm Odysseus kurz vor dem
Beginn des Freiermords zugleich mit dem Rinderhirten Philötios,
21, 188 ff., dem auch herzlich getreuen, der wie Eumäos. als er
den Bogen sieht, tief gerührt wird, 21, 83, und vorher bei seiner
Erscheinung in seiner treuen Gesinnung und seinem offnen Auge
für den mitleidswürdigen Bettler mit Rönigsgestalt in kurzer Scene
geschildert ist, 20, 185—239.
Als des Eumäos nebst Philötios und der Eurykleia äusserste Ge-
genbilder erscheinen die Geschwister Mclanthios und Melantho,
der Ziegeidiirt des Odysseus und seine in dessen Hause dienende
Schwester. Beide hängen den Freiern und besonders dem
Eurymachos an, dessen Buhlerin die Melantho ist (17, 256f. 18,
325). Die Erzählung 17, I97ff. , wie Odyssee nach Telemachs
Willen von Eumäos zur Stadt geführt wird, ist vom Dichter sicht-
lich darauf angelegt, jenen Gegensatz ins Licht zu setzen. Der
Ziegenhirt begegnet ihnen und fährt sie sofort mit Stachel- und
Schmähreden an, lästert aber vornehmlich den vermeintlichen
Bettler bis zum Fusstritt (233) und wünscht auch dem Telemach
den Tod (251). Er geht darauf voraus mit seinen Ziegen zum
Königshaus und nimmt dem Eurymachos gegenüber seinen Platz.
Am folgenden Tage kommt er wieder und bethätigt wieder im
Gegensatz zu Eumäos seine Frechheit, 20, 177. Nachmals beim
Bogenkampf ist er den Freiern zur Hand, 21, 181 If., als Eiunäos
dem Odysseus den Bogen, das Werkzeug des Freiermords, in die
Hände gespielt hat, und wie Philötios für den Herrn einsteht, da
trägt Melanthios den Freiern Waffen zu, 22, 15211'. Doch wird er
dabei ertappt und auf Odysseus Geheiss von Eumäos und Philö-
tios an Füssen und Armen geknebelt emporgehängt, später so
erbarmungslos wie kein Zweiler zu Tode gebracht (22, 474 If.).
Seine ihm an Frechheit gleiche Schwester ist es zweimal allein,
die, als die Sclavinen im Saale zu thun haben, den vom Hause
aufgenommenen Bettler mit Spott und Hohn überhäuft, ja mit
dem Feuerbrande bedroht (10, 321 IT. 19, 66 ff.). Sie wird von
317
Penelope scharf getadelt; und nach der Güte, welche diese ihr als
Kind erwiesen hatte (20, 322 — 325), war ihre Buhlerei und hier
ihr herzloser Uebermuth um so ärger. ^^) Ihr Lohn ist, dass sie
unter den zwölf Mägden aufgeknüpft wird, 22, 465 vgl. mit 424.
Der Sinn, in welchem Homer den 3Ielanthios auf jenem
Gange des Odysseus eintreten lässt, wird noch greller aber zugleich
aus tieferer Empfindung und für diese gezeichnet in dem alsbald
vor dem Hause getroffenen Hunde Argos. Auch der zweifel-
niüthigste Leser dieser Stelle kann, wenn er ihren Verlauf wohl
beachtet, nicht verkennen, wie der Dichter seinen Odysseus mit
seiner immer besonnenen Selbstbeherrschung auch dem treuen
Thier gegenüber geschildert, aber zugleich durch den Contrast
zu dieser Treue des Thieres, die in Melanthios vorher, in Andern
nachher erscheinende Schlechtigkeit der Menschen hervorgeho-
ben hat.'^) So gilt das Urtheil bei Gernnus Gesch. 1, 101.
24) Der Dolios, dessen Kinder Melanthios und Melantho genannt
werden (17, 212. 18, 322) kann er derselbe sein, den Penelope aus dem
Vaterhause initbekomnien hat (4, 735)? Wie dies in Fr.ige stellt, so auch
ob der Dolios des 24. Gesanges derselbe mit dem Sklaven der Penelope
und wiederum auch Vater jener so abtrünnigen und so gestraften Ge-
schwister sein künnc. Es sind in Homers Gcdiciiten viele Beispiele gleicher
Namen doch zu unterscheidender Personen. Der genannte Fall ist von
J. Bekker in Monatsber. d. Berl. Ak. 1842. S. 131 neben andern, aber in
unslaltbafter Weise besprochen. Dass Meianlhios mit der Schwester nicht
zusammengeführt erscheint, wem kann das auffallen, der die Lage Beider
bedenkt? Und wenn sich der Dolios des 24. mit dem des 4. Gesanges ver-
eimgen liisst, gcliört jener doch dem uneclilen Tbeile der Odyssee an.
Der Dichter dieses unechten Schliisstlieils bildete den Sklaven der Pene-
lope weiter aus.
25) Nägelsbacb. Münchencr g. Anz. 1842. Nr. 41. S. 335. Unbedacht
las auch Sengehusch, N. Jahrb. f. Pbilol, ß. 07. 3. S. 244 und, wie
er von Lachmann erzählt, auch dieser. ISicIil, als Odysseus den Hund er-
blickt und einen Augenblick von Eumäos abgewandt, sich eine Thräne
abwischt, stirbt das treue Thier, sondern wie der Diciiler sie langsam
durch den Hof scbreitcn lässt, und si(! über dasselbe ein Gespräch gehabt
haben, ist erst gesagt, was zur Handlung gehört, Eumäos sei voran in
das Haus gegangen. Dann fügt der Dichter zwei Verse ein , welche be-
sagen, gleich nachdem Argos seinen Herrn wieder erkannt, im 20. Jahre
nach dessen Auszug, sei er gestorben. Die Möglichkeit solcher Lebens-
dauer wird von Aristoteles Thierg. 6, 20, 4 nicht ganz in Abrede gestellt,
von Aclian Thierg. 4, 40 ohne so abgewogene Wissenscliafl ein Didilcr-
spiel Homers genannt. Uebrij^ens möclite aucli Arisloicics die Angabe zu
den Unwabrsclieinlicbkeilen gezähll haben, welche Itei Homer durch
318
4. Die in b e i d e n E p o p ö e n g 1 o i c li e D a r s t e 1 1 u n g s - ii n d
Redeform des Homer in der einzelnen Durchfüh-
rung seiner Pläne.
So bat sieb der individuelle Dichter in dem Gemütb, das
seine Bihhmgen ])eseeU, ofi'enbart und zwar in den spreebendslen
Beispielen, wäbrend ein humaner Sinn und Kennlniss der Men-
scbennatur im dicliterisch mannigfachen Wechsel der Gestalten
überall empfunden wird.
Zeige sieb nun auch der erfindsam bildnerische Geist, und zwar
zuerst im Einzelnen, in der gleicbmässigen Darstellungs- und Rede-
form. Wie wir immer uns zuerst empfänglich verhalten, mögen
wir auch hier zunäcbst diejenigen Eigenschaften vernehmen,
welche der homerischen Poesie von den alten Schriftstellern
nachgeridunt werden, ihrem Stil im Ganzen und ibren einzelnen
Darstellungsmitteln und Weisen.
Das höchste Lob und der schlagendste Beweis für das von
Grund aus nationale Wesen der homerischen Poesie ist, dass
der Dichter ganz in seinen SagenstofT ein und seine Person da-
rin aufgebt. Das nationale Wohlgefallen an den homerischen Ge-
dichten bei den Vortragenden wie dem hörenden Volk beruht zurii
grossen Theil auf der dramatischen Darstellung als der spezifischen
Eigenschaft, welche Aristoteles dem Homer (wohl nur zu ausschliess-
lich) nachrühmt (Poet. 24, 7). Und dazu kommt über seine
Form das höchste Lob, das dem Genie werden kann, dass näm-
lich seine Darstellung mit aller Kraft sowohl als Anmuth ihres
Inhalts den Eindruck des ohne alle Mühsamkeit Klaren und Leich-
ten mache, im Gegensatz des Mühevollen und Errungenen bei
Antimachos.'^'') Dabei gebe Homer in einziger Weise regungsvolle,
energische Bezeichnungen.") INicbts also ist müssig, wo er mit
Mehrem beschreibt. Diese Woblbemessenheit, diese Unterschei-
dung nach der Bedeutung für die Handlung war der leitende
Grundsatz für die Kritik z. B. bei der Ausstattung der Götter
mit ilnen Werkzeugen ; Hermes braucht hier seine Schwungsoblen
tausend Vorzüge verdeckt wiinlon , wie er Poet. 24, 8 und 10 zwei An-
gaben honrlhcill. Snniniariscli etwa lial der birliler diese 20 .laiire ulTen-
bar nicht gemeint. Od. 2, 175. 10, 206. 21, 20S u. a.
20) Piut. Timol. 30.
27) Aristol. bei Plnl. de and. poet. 4.
319
(Od. 5.), (lorl (11. 24) seinen Schlaf bewirkenden Zauberslab;
Athene ergreift wohl, 11. 5, 745 f., die männerbändigende Lanze,
wo sie ihren Schützlingen beizustehn auf das Schlachtfeld zu
gehn in Begriff ist, aber nicht zur Berathung des Telemach, Od.
1 , 99., und ergreift dort ebenfalls die Aegis als Schild, aber 8,
385—387 ist die Beschreibung derselben auffallend.^®) Diese Kri-
tik war völlig begründet durch Homers sonstiges Verfahren. Er
beschreibt Waffen und Bewaffnung der Personen oder ihre Ge-
stalt oder auch innere Eigenschaften, wo sie bedeutend eintreten
und wirken sollen oder wollen, so Nestor, den süssredenden drei-
altrigen, 11. 1, 248 — 252., Agamenuion mit seinem Scepler, II. 2,
101 — 109., Thersites, den Ausbund an Ilässlichkeit des Leibes wie
der Seele, als Sündenbock des Aufruhrs daselbst 21 2 — 222, Paris
vor dem Zweikampf, 3, 328 — 338, aber nicht auch Menelaos, 339,
des Pandaros Bogen, 11.4, 105 — 112, den V^orkämpfer Diomedes,
5, 1 — 8, Aias, den erwünschten Gegner desHektor und seinen Schild,
7, 206 — 223., Agamemnon als Vorkämpfer, 11, 15—46, Poseidon,
wo er als Zeus unachtsam geworden, den Achäern zur Hilfe geht,
13, 17- — 31., den sich hervorthuenden Idomeneus, 13, 240 bis
245. In allen diesen und ähnlichen Fällen ist die beflissene
Schilderung der Bewaffnung oder überhaupt der kommenden Er-
scheinung einer Person die hebende Farbe dieser Erscheinung
im Fortgang und Zusammenhang mit dem Ganzen. Der betonte
Anfang kündigt nicht einen für sich gemeinten Theil mit Ab-
schluss an. Dabei entgeht keinem achtsamen Leser, wie der be-
wusste Dichter das Maass dieser eigenen Schilderungen nach dem
Grade der Bedeutung der hervortretenden Person abstuft, und wie
er dies in beiden Gedichten gleichmässig Ihut, immer doch
mehr energisch durch die Handlung charakterisirend als mit sei-
nen Worten. Diese Abstufung findet sich auch im Gebrauch
der in gleichen Worten wiederholten Angaben wie z. B. des An-
kleidens (Od. 4, 307 Menelaos, nicht auch Telcmach, durch
Weiteres gehoben bei Telemach, 2, 2—5. 10—13) oder der gast-
lichen Bewirthimg, II. 9, 206—220. Dieselbe Abstufung belhätigt
der Dichter in beiden Gedichleu beim Einlriü bedeutender Per-
sonen oder entscheidender Momente, in der Blas z. B. bei Pa-
28) Sagenp. l^l vgl. niil 81.
320
troklos' und vollends Achills Ilcrvoilreten, in der Odyssee in der
Erzählung von Penelopes Gang nach dem Bogen und in der
Schilderung dieser Waffe (Ges. 21 z. A.).
Patroklos Sendung an Nestor ist das Bindeglied, >vodurch
die gespaltene Handlung Achills und des Griechenheeres wieder
zusammengeht. Aher seine Rückkunft zu Achill und die von
diesem ihm gegehene Weisung, so charakteristisch für Achills
Ehrsucht (16, 1—47. 48—90), sie motivirt im voraus des Patro-
klos Erscheinen in seiner Bedeutung für die Haupthandlung. Die
folgenden Momente sind noch mehr hervorgehoben. Mit einge-
fügter Andeutung der wachsenden Gefahr und des Eindrucks, den
diese auf Achill macht (112 — 129), \\ird des Patroklos Auftreten
nicht hlos durch das gewohnte Detail der Bewaffnung hervorge-
hoben, sondern auch durch die ausführlichste Schilderung der
aus der Unthätigkeit erlösten Myrmidonen, ihrer fünf Züge und
fünf Anführer, wie der jetzt tragisch werdende Achill sie eifrig
ordnet und vermahnt, und dann den Freund und diese seine
Leute mit feierlichster Lihation und brünstigem Gebet entlässt,
233 ff. Da werden das Gespann, das sonst Patroklos (17, 427.
477. 19, 401), jetzt wie nach jenes Fall Automedon (9, 209)
führte (16, 145. 219), die drei ersten Führer (175—195), der
Becher und das Hervorlangen desselben (221 — 230) genau be-
schrieben.
So dieser Auszug, aber vollends das Hervortreten und die
Bewaffnung des Achill, nachdem dieser tragische Held die Trauer-
kunde vernommen hat (18, 20): „Unser Patroklos fiel, schon
kämpfen sie dort um den Leichnam, Nackt wie er ist; ihm
raubte die Wehr der gewaltige Hektor". Schon durch
die Reihe der vorigen V^orkämpfer, denen Achills unthätigkeit
Raum gegelien, ist seine Erscheinung auf das Glänzendste vorbe-
reitet. Nun aber nutzt der Dichter den Verlust der Waffen dazu,
mittels der Hilfe der göttlichen Mutter die neue Rüstung wie vor
den Augen des Hörers in ihrem Werden unter den Händen des
Gottes darzustellen. Und als der Held die so energisch geschil-
derten Waffen von Thetis empfängt, wird bei der lebendigen Be-
schreibung des Anlegens, 19, 368 — 383, durch drei, eigentlich
einen Vers und Zug, der wahrste, eigenste Kriegsheld gezeichnet,
nämlich der, welcher wie der echte Reiter mit seinem Pferd, und
321
der grosse ^Fnsiker mil seinem Instrument, so mit seiner Bewaff-
nung wie Ein Wesen ist, 384 — 386, er versuchte sich seihst in
den Waffen
Ob sie Itequem anschlössen und leicht sich heweprteii die Glieder.
Und {gleich Fittigen waren sie ihm, sie hohen den Fiiislen.
Wir werden alsbald anderer Beispiele ähnlicher Art gedenken.
Das Hervorholen des Bechers mit seinem Detail hat sein
Ehenhild in dem Holen des Bogens in der Odyssee, aber wie
dieser Bogen noch Aveit liefere Bedeutung hat als jener Becher
zur Libation , so ist auch das Detail dort noch grösser und der
langsame Fortschritt als malte er die Aviderstrehende Stimmung
der Penelope.
Nach Maassgahe der Bedeutung für die Handlung Averden
also von der echten Epopöe die Erscheinung der Helden und
ihre Werkzeuge mehr oder weniger ausführlich beschrieben, wie
es Lessing (Laokoon 2, 270 — 278. Berlin Ausg. in 12) an den
homerischen Beispielen zeigt. Die Helden selbst Averden in ihrer
Kraft und ihrem ganzen Wesen in lebendiger Handlung gezeichnet,
oder es Avird durch einen genial gefundenen Zug die Phantasie
des Hörers angeregt, sich selbst das Bild zu schaffen, und be-
sonders fein geschieht dies mittels des Widerscheins aus dem
Gemüth und der Bede Anderer.
Achills Gestalt und Statur Avird nirgends für sich in Worten
des Dichters hingestellt (nur durch den Eindruck auf Priamos
II. 24, 624 f.), aber indem der telamonische Aias an stattlicher
Erscheinung und Thaten über alle Andern gesetzt AAird nach
Achill (U. 17, 279. Od. 11, 469.), sind damit Beide ins Licht
gesetzt, und Aias' Waffen könnten dem Achill allein passen (II. 18,
193), die Lanze Pelias' aber kann nur Achill, kein Anderer, auch
Patroklos nicht, sclnvingen (16, 140 f). Den Aias zeichnet vor-
nehmlich das Auftreten gegen Hektoi' im 7. Gesänge der Ilias. Wie
er, der vom Heer vor Allen gewünschte (7, 179 f. 182 f.), Lächeln
im furchtbaren Antlitz mit weiten Schrillen dahersclireilet den
Seinen zur Freude, den Troein zum Beben (7, 211—215^ und
Avie dem Heklor selbst das Herz klopft. Der hier weiter aus-
führlich beschriebene Schild hat im nachmaligen Kriegsgang
durch die böse Zeit hin bedeutenden Dienst (8, 267. 11, 485.
545. 17, 132) und gehört wesentlich zum Helden der Avidcrhal-
Nitzscli, Gesch. d. griech. Ejios. 21
322
tigen Tapferkeit dem sogeiiainiteu Haag, der inäcliligen Welir
der Achäer (II. 3, 229. 7, 211). Wie er, wenn nicht ganz ent-
schieden, doch nach der erregten Vermuthung als dem Ilelvtor
in etwas üherlegen erscheint, ofl'enhart sich weiter hin dies
denUicher (14, 412). Hektor, der erste Troerheld mit Aeneas,
wird wie zum Maassstab auch der übrigen Grieclienhehlen. Me-
nelaos und Antilochos meiden den Kampf mit ihm ; den ihm
schwerlich gewachsenen Agamemnon wahrt Zeus absichtlich vor
der Begegnung (11, 185), Diomftdes scheut ihn zwar als Ares
neben ihm (5, 596), Ihut ihm aber nachher fast wie später Aias
(11, 346).
So schildert die Handlung Odysseus schon in der Ilias zwar
als klugen Vermittler mehr als durch Tapferkeit hervorragend,
nur nicht untapfer. In der Odyssee dagegen offenbart die Hand-
lung seine noch rüstige Heldenkraft mehr und mehr in drei be-
sonders lebendigen Scenen. Bei den Wettspielen der Phäaken
schleudert der Gekränkte einen schweren Üiskos unerreichbar
weit (8, 186 — 192); in seinem Haus als unerkannter Bettler be-
sieht er den langen aber nervlosen Iros im Faustkampf, wobei
seine Gestalt zumal in den Gesprächen der Freier gar lebendig
hervortritt (18, 66 — 76ff.); endlich im 21. Gesänge, als Pe-
nelope den Wettkampf mit dem Bogen, ehedem des Eurytos, an-
stellt, vermag er diesen zu spannen (415 — 423), von den Freiern
aber keiner (253 f.).
Jene jungen Herren sind neben Odysseus ein schwächeres
Geschlecht, eben wie die gemeinen Krieger vor Troia neben ihren
Führern.*^) Den Biegel am Zelühor des Achill vermag dieser allein
zuzuschieben, wozu sonst drei Myrmidonen erforderlich sind.
Andere Helden handhaben behend , was zwei Männer des Volks
oder zwei von Homers Zeitgenossen nicht im Stande sind. Und
selbst der greise Nestor hebt einen Becher mit Leichtigkeit, den
ein gemeiner Pylier nur mit Mühe von der Stelle bringt (II, 636 f.).
Die Bauten der Menschen oder die Beize der Natur werden
gleicherweise im Gange der Handlung geschildert. Die Pi-acht
oder Anmuth derselben tritt in der Bewunderung der zu ihnen
Kommenden hervor. Führt der Dichter selbst auf, so ist sein
29) II. 5, 303. 12, 381. 445. 20, 285.
323 ^
Rericlit zur Charakteristik von Personen beseell, oder dient als
passende P'olie einer lebendigen Scene. Die Pracht im Palaste
des Menelaos verlantet in den Worten Telemachs Od. 4, 44. 69 f.
und sie Merken dabei Gespräch ; die annuithige Grotte der Ka-
lypso, die den Odysseus nicht fesseln kann, der nur nach der
Heimath sich sehnt, sie erscheint in der Bewunderung des Her-
mes, 556 — 577; die Wunder im Palaste des Alkinoos und die
offenbar den ionischen nachgebildete Phäakenstadt wird auf dem
Gange des Odysseus und nach seiner Wahrnehuumg gezeichnet, 7,
44 ff. 82 fr. In besonders sinnig gedachter Weise lässt der Dich-
ter den Odysseus sein eignes Haus beschreiben, wie er in seiner
Bettlerrolle, aber er, der endlich Heimgekehrte, doch zuerst es
wiedersieht (17, 260—277 vgl. mit 18, 333—336). Nur eben
als Folie für Hektors Begegnung und Gespräch mit der ,, huld-
reich spendenden" Mutler zeichnet die Erzählung das Königshaus
des patriarchalischen Herrschers Priamos, 11.6, 241 — 251 ff. Da-
hin, zu ihrem Haus, zu dem sie eben die Tochter herbeigeführt,
gehört diese ja, wie sie denn dem allgemeinen Liebling (22, 54 ff.)
und dem Hort des Reichs auch sogleich müUerliche Vorsorge
erweist.^")
Ganz inmitten lebendiger Charakteristik des treuen Eumäos ist
dessen Gehöft bei der Ankunft des Odysseus zu Anfang des 14. Ge-
sangs der Odyssee beschrieben. Und nachdem die so beseelte Schil-
derung auch vier gewaltige Hunde erwähnt hat, wird deren An-
stürmen gegen den Ankommenden in einfacher Selbstfolge Anlass,
den frommgasllichen Sinn des Hirten zu offenbaren ; erst Vers 55
bei der Erklärung dieses seines Sinnes wird der Eigenname
Eumäos genannt, nicht früher (13, 404 If. 14, 3 f.).
Des Hirten frommen Sinn noch sprechender zu betonen.
30) Was sie dort vom Weine rühmt, ü, 261, ist nebon einfacheu
Beiwörtern und dem schlichton Aiischuck, II. 9, 705f. Od. 10, 4C0f., der
einzige besondere LoJispruch auf den Wein, <\o,v sich in Homers Gedichten
findet, hei all dem häufigen Gehraucli als des gewnlmliclicn GcUänks, II. 7,
407—475. Od. 2, 340—343. 349. 352. Slräniclic Rüge des rel.crmaasses
im Genuss hcgognnt öfters, in etwas schon 11. 8, 23011"., mehr im Sciiimpf-
worl II. 1 , 225, und vom Srliwiicldiiig Elpenor, Od. 10, 552 — 555, und
vollends im Schcllworl des Telcmach, 18, 400f., endlich in der Schimpf-
rede des Antinoos und der auf Odysseus angewandten Sage vom Ken-
lauren Eurytion, 21 , 203—302.
21*
324
dient weiterhin die eigenthümlich variirte Erzälilung von dem
dargebrachten Opfer, 14, 414—438. Anderwärts werden die un-
ansbleiblirben Opferbandbingen in stehenden Ausdrücken berichtet,
niclit so bei dem, welches Nestor der Atliene zum Dank für den
Besuch l)ei seinem Volksfeste darbringt, 3, 418—472, Für sol-
chen Besucli heischte der Nalionalsinn, der eben auch am Ilonu.'r
den beredten Sprecher hatte, jedenfalls eine recht bellissene Aner-
kennung, Noch dazu aber galt dieses Opfer der Göttin, welche der
Dichter der Epopöe von ihrem erklärtesten Lieblinge zur Bewegerin
der ganzen Handlung gemacht hatte. Doch auch Nestor und sein
Haus in diesem frommen Werk zu zeichnen, gehörte zu den Mo-
tiven der Dichtung, ihn, der sich dem Odysseus so eng verbunden
bekennt und von ihm ein so rühmliches Zeugniss ausspricht,
3, 120 — 129. 218 — 222.
Dies die Belege zu dem Urtheil , es giebt bei Homer nichts
Müssiges noch Unbeseeltes, auch in seinen Episoden mnd Bei-
werken nicht.
5. Fortsetzung. Homer, der immer neiie.
Sehen wir nun, wie sich ein anderes von den Alten aner-
kanntes Lob ebenfalls bewährt, da er der immer neue und zu
frischer Anmuth ergiebige heisst.^') Immer neu sind freilich
beide Epopöen hauplsächlich durch die Mannigfaltigkeit und IJm-
fänglichkeit ihres Inhalts, als Weltgemälde, welche Götter- und
Menschenwelt, Nähe und Ferne, derzeitige Handlung und ältere
Sagen umfassen. Diese Mannigfaltigkeit aber wird zunächst doch
durch die in einem folgenden Abschnitt anzugebenden Weisen
der grossen Composition bewirkt, und ist in gewissem Sinne eine
innerliche, da, bei der Menge der die Handlung bewegenden Cha-
raktere, die vorwaUcnd dramatische Darstellung die verschieden-
sten Phasen der Gemüthsrcgungcn abbildet.
Jedoch die Erfindsamkeit, welche immer Neues zu geben
weiss, bewährt sich am unzweifelhaftesten und sichtlichsten ge-
rade im Gebrauch der epischen Darstellung. Eine Menge Thal-
sachen und Begriffe haben in dieser, da ihr als Bericht eine ge-
31) Plutarch von der Geschwätzigkeit 5. „Von dem, was über den
Dichter gesagt worden, ist das Alierwalirsle, dass allein Homer allem
Uebenlruss entging, er ael xaivog cov y,al TCQog läqiv cmiid'^cov".
325
Avisse Iiulie luul Gleiclinuissigkeit eignet, in Sprache und Versform
den gleichen Ausdruck. UnzähUge Verse oder Versglieder kehren
oftmals unverändert oder mit nur einzelnem Tausch der Aus-
drücke wieder. Wie Homers Sinn und Takt die Erwähnungen der
gemeinen Bedürfnisse oder stehenden Bräuche nach dem Obigen
nicht variirte, so überkam oder bildete er, und sanctionirte
als Muster der Gattung zahlreiche Formeln für das oft Wieder-
kehrende, zumal in der Erzählung der Kämpfe, also in der Uias.
Die parodische Poesie von Margites an, und in ihrer Weiterbil-
dung durch Ilipponax u. A. trieb ihr Spiel eben mit diesen For-
meln der ältest erhaltenen, und allbekannten Poesieen.^^) Der Bild-
ner der epischen Sprechweise gab die unausbleiblich oft gleichen
Phasen der einzelnen Kämpfe, natürlich oft ganz mit denselben
Worten , so das Anstürmen oder Weichen oder ängstliche Um-
schaun, das sich berühmende Prahlen, das „er vermochte nicht,
noch mehr zu erbeuten, denn er ward bedrängt von Geschossen",
das von bleicher Furcht Ergriffenwerden einzelner Krieger,
oder den einzelnen Stand des gesammten Kriegslooses, vollends
den Sturz eines zum Tode Getroffenen.
Daneben hatte er als Individuum auch seine beliebte Aus-
drucksweise. Er sagt gern mit Verneinung aus: und nicht unfolg-
sam erwies sich, und nicht entflog ihr das Gesprochene, und nicht
unwirksam entflog das Geschoss, und er peitschte die Pferd' und
nicht unwillig sie flogen u. dgl. m. In der dramtischen Form,
wie das zu seiner beseelenden Art gehört, charakterisirt er gern vor-
her oder hinterher ein Gesprochenes.^^) Wie sollte da also das:
„wohlrathend sprach er, mit freundlichen W^orten trat er an, mit
zornigen Worten schalt er" — nicht in beiden Gedichten öfter
vorkommen'!' Wie sollte nicht oftmals Einer zu einem Gölte beten
und der Dichter die günstige oder ungünstige Wirkung des Gebets,
oder das Zusammentrelfen eines solchen juit einem Vorzeichen (II.
13, 821. Od. 17, 525] auch gleichmässig angeben? Auch im Be-
sonderen die den Personen in den Älund gegebenen Worte wieder-
holen sich, wie die gleichen Anlässe, so die gleichen Aeusserungen
(IL 16, 440 ff. 22, 178 ff.). Bei alledem erweist sich Homer als
32) Peltzer, de parodica Graecoruni pocsi et de llijipoiiactis, llcge-
monis, Matronis parodiaruni fraguicnlis. Monasterii, 1855.
33) Schoi. zu II. 1 , 105. riul. de aiulieud. pect. 4-
der immer neue gerade bei dem stehenden Gebrauch derselben
Formehl oder Verse, wenn es auch bisweilen mehre sind. Die
Umstände der sich wiederholenden Tlialsache, die vorher oder
nachher gegebene Schilderung des einzelnen Falles bringt Mannig-
faltigkeit. Wer die Umgebungen mustert, unter welchen die in
der Ilias so häufige Formel: „Tosend stürzt er in Slauh und
über ihm dröhnte die Rüstung", oder „und schauriges Dunkel
umfing ihn", wiederkehrt, der wird den immer neuen Dichter
wohl finden.''^) Wenn die Angaben der verschiedenen Verwun-
dungen des Dichters Kennlniss des Menschenkörpers zu bewun-
dern geben, so kommen freilich auch gleiche Fälle vor. In-
dessen auch, wo eine Verwundung gleicher Art zweimal in ihrem
Hergang mit mehren gleichen Versen beschrieben wird, wie
4, 459—461 und 6, 9 — 11, dann 5, 40—43 und 11, 449-504
oder 13, 671 f., wie 16, 606 f., variiren doch die Umstände und
Wirkungen. So wendet der Dichter auch dasselbe Gleichniss
vom fallenden Baum (bei besonders hochgewachsenen Helden)
zweimal an, aber mit w eiterer Ausführung an der zweiten Stelle
(13, 389—393. 16, 482— 4S6.), indem er hier das „knirschend"
durch ein zweites Gleichniss ins Licht setzt. Solcher Paare
gleicher Stellen giebt es mehr, gleich nahe bei einander II. 5,
31 6 f. und 345 f. und 13, 371 fl\ wie 396 ff. mit kleiner Variation,
wo die Gleichheit an sich natürlich; dann von Hektors Erschei-
nung mit der elfeiligen Lanze, 6, 318 — 320 und 8, 493 — 495, von
der Wunderstärkung eines Gottes, 5, 122 und 13, 61; bei ganz
gleichen Situationen derselben Person, wie Hektors als Oberfeld-
herr, 5, 494 ff. 6, 103 ff 11, 211 ff., des Agamemnon, II. 6, 62 f.
und 7, 1 20 f., des Achill, 2, 772 und 7, 230 f., zweier Personen,
Od. 14, 361 f. und 15, 486f, ; beim Gange zum Keller in gleicher
Absicht, II. 6, 288ff'. und Od. 15, 105 — 108. In allen diesen
Stellen kann die Gleichheit, von eigenthümlicher Gestaltung um-
geben , dem Leser nicht auffallen.
Und haben wir doch in all dieser Poesie die Bestimmung
für den lebendigen Vortrag zu beachten. Jede Stelle musste
34) In mehren Stellen der Ilias kommt der Ausdruck dazu: und er
sank in den Staub und griff mit der Hand nach der Erde; in beiden auch,
wie unsere Sprache „in's Gras beissen" braucht, die Formel: und erfasst
mit den Zidinen den Boden.
327
mit eigenem Leben nm" in ihrem Zusammenhange passen, und,
wenn sie AYohi eingereihet, guten Fortgang gab, so fand eine über-
zählende Vergleichung mit andern nicht statt. Indess eben der
Zusammenhang und Fortgang, wie ihn die homerische Dichtungs-
weise nach ihrer Eigenheit verlangt und giebt, liess und lässt bei
achtsamer Leetüre viele Wiederholungen als Einschiebsel der
Rhapsoden erkennen. Besonders ist es gar oft geschehn, dass ein
nicht unpassend wiederholter Vers von der andern Stelle das sich
dort Anschliessende im Gedächniss der Rhapsoden sich nachzog,
bisweilen auch gegenseitig Verse gemischt wurden. ^^)
Der Satz: „bei Homer nichts Müssiges" bestimmt unser Ur-
lheil, wie er das der Alexandriner beslinunte. Es fehlt übrigens
noch die rechte Achtsamkeit, um so viel als erreichbar und ge-
hörig ist, doch wenigstens an den meisten Stellen über richtige
und unrichtige Wiederholung zu entscheiden.^") Umfänglichere
Einschiebsel lassen sich leichter nach dem Zusammenhang beur-
theilen, wie dass Od. 18, 39U-392 dort vorher 330—332 un-
gehörig sind, was Aristarch schon sah, wie Vieles dergleichen.
Ganze Episoden wurden, wie der epische Stil dazu verführte, von
den Rhapsoden mehrfach eingeschoben, aber an Unpasslichkeit
in den Fortschritt oder Störung des Tons und Zuges auch un-
schwer als Einschiebsel erkannt, wovon ein späterer Abschnitt
Belege geben wird. Wenn das Urtheil der heutigen Leser über
die einzelnen Interpolationen zur völlig allgemeinen Ueberein-
slimmung nun wohl nie gebracht werden wird, so ist doch so
viel gewiss, mit ganz wenigen Ausnahmen wird durch die Aus-
scheidung die Einheitlichkeit gewinnen und somit der individuelle
Dichtergenius nur noch mehr ins Licht treten. ^^)
35) Sagenp. 150—153.
36) Od. 13, 427 r. ganz goliüriy, aber 15, 31 f. IjcsoihIois deslinll)
ungeliörig, weil Athene 33 CT. den Rath giebt, durch dessen Befolgung der
Plan der Freier ohne Weiteres vereitelt wird. Od. 20, 318 f. richtig, aber
16, 108 unrichtig, denn dies Spezielle weiss Odysseus nicht einmal.
37) Gerade aber der oltjoctivste (irund, die Abweichung von allem
homerischen Sprachgebrauch, scheinl einzelne Verse anstössig zu machen,
weiche ihrem Inhalte nach ihrer Stelle vorlrefllich passen. Die Adverbien
{tkxXlv cxvTig), welche hei llunier sonst überall zurück, wie der be-
deuten, slehn 11. 2, 276 anscheinend im erst nachhomerischen Sinne noch-
mals wieder. Wer sie gellen lassen will, wird sie mit II. 5, 257 und
328
Doch Mir lialjcn lUe bedeutendsten Darstellungsweisen Ho-
mers erst nocli hinzu zu fügen; zunächst die bereits in der
Einleitung bezeichneten Gleichnisse, wie sie aus allen Sphären der
Natur oder Menschenwelt aus einem wie allgegenwärtigen Welt-
bewusstsein Bilder geben, aber eben ein Kunstmittel des dar-
stellenden Dichters sind.
6. Fortsetzung. Die Gleichnisse Homers.
Die allgemeine Eigenschaft, welche in den homerischen
Gleichnissen als maassgebend anerkannt wird, ist, dass sie aus
der lebendigen Anschauung bekannter Erscheinungen genommen
sind.^-) Der Reichthum und die jMannigfaltigkeit derselben ent-
steht daher theils aus der allgegenwärtigen Dichterphantasie, theils
aus der Lebendigkeit, mit welcher die verschiedenen Phasen im
Leben derselben Gegenstände erfasst werden. Erweitert hat der
Dichter seinen Bilderkreis und Vorratb noch dadurch, dass er
Manches zum Gleichniss heranzog, was erst seine Zeit an Fer-
tigkeit oder ^Yerkzeugen kannte, die Trompete, das Viergespann
für Wettrennen, das Reiten und Reiterkünste, da der Führer
eines Viergespannes von einem Pferde auf das andere springt.^'*)
AVo nun und wie der Dichter Gleichnisse anwendet, dies
Od. 16, 456 nicht hinliinglich belegen. Vielmehr müssen wir die zwei
Verse als geschickten Zusatz eines Rhapsoden betrachten. Dagegen, Od.
17, 218, wird, da die gewöhnhche Bedeutung des ag, wie, in der zweiten
Stelle allerdings nicht naturlich ist, die Lesart dg anzunehmen sein,
wie sie Homers Sprachgebrauch sehr wühl gestattet. Spilzner Excurs
35 zur lUas.
38) So Aristot. Tojiik. VIII. 1 a. E. „Zur Verdeutlichung sind
Beispiele und Gleichnisse anzuwenden, aber den Dingen Eigenes und aus
Bekanntem, wie Homer und nicht wie Cliörilos". Aristarch im Sehol.
zu 11. 16, 364. ,, Homer bildet seine Aehnlichkeilcn immer von dem sich
Kundgebenden". Eustath. zu 11. 2, 87. „Die Vergieichung ist der Tag
für Tag geschehenden Dinge Lehrerin, zur Anschaulichkeit wirksam und
erpicht auf reiche Erfahrung. Ihr Werk ist, die vorliegenden Gegenstände
recht vernehmbar aufzuweisen (ro öi,8c'coxeiv aQidtjkcüg).
39) S. II. 18, 219. Od. 13, 81 und II. 22, 162. — II. 15, 680 und
Od. 5, 371 sämmtlich mit Scliol. und Erklärern. — Andererseits ist Beides
unecht, wo die Erzählung ausserhalb der Gleichnisse etwas Dergleichen
bringt, wie das Viergespann, II. 8, 185, und wo einem gewöhnlichen Her-
gang im Gleichniss ein der Sitte widerstreitender Zug eingefügt ist, wie
Od. 8, 526 — 530, nämlich das Einsperren.
329
beruht auf seinem genialen Belieben und organischen Gedanken
ebenso wie die Anwendung, Mischung und der Wechsel seiner
verschiedenen Darstellungsmittel überhaupt. Ein Ueberblick lehrt,
dass die 3Ienge der angewendeten Gleichnisse in den beiden Dich-
tungen und ihren einzelnen Partieen eine sehr ungleiche ist. Im
Ganzen verhält sich die Gesammtzahl der Gleichnisse in der Odyssee
zu denen in der Ilias nur wie 1 zu 5 (Bernhardy: ungef. 40 zu 200).
Gar keine finden sich in der Ilias 1 und in 9 und Od. 1 — 3. 11.
14. 15 und 18. Dagegen in kleiner Partie zwischen solchen, in
welchen gar keine, sehen wir mehre Gleichnisse. Auch in der
Odyssee hat der 5. Gesang, wo der Dichter nur selbst erzählt, deren
fünf: 51. 368. 394. 432. 487., von 249. abgesehn; II. 18. in den
kleinen Zwischenstellen, welche vom fortgehenden Kriege erzählen,
doch drei: 161. 207. 219. Ueberhaupt ist im Ganzen zu erkennen,
dass die Gleichnisse bei weitem vorherrschend vom Dichter bei
eigener Erzählung angewandt werden, dagegen wo er nach sei-
ner dramatischen Weise Personen sprechen lässt, entweder sel-
ten oder mehr nur in der schlichten Art blosser Vergleichung
erscheinen. Da heisst es: scharf wie ein Beil, zitternd wie ein
Reh, wie des Laubes Dauer, des Pardels oder Löwen oder Ebers
Wildheit nicht so gross (IL 17, 20), zu schimpfen wie Weiber
(das. 20, 252), wie zwischen Löwen und Menschen, Wölfen und
Lämmern keine Eintracht (das. 22, 262). Wo aber Personen
in ausgeführteren Bildern sich aussprechen, wird es immer eine
Heftigkeit des Gemüths sein , w elcher sie nun eben diese Form
geben, was nicht häufig vorkonmit.^")
So wird alle richtige Ansicht von des Dichters Anwendung
oder Nichtanwendung immer die einzelnen Stofle und Stoffpar-
tieen seiner Darstellung zu beachten lutben. Es sind eben die
Stoffe der Odyssee, welche die seltnere Anwendung veranlassen.
In den ersten drei, fast vier Büchern, da das letztere erst, und nur
zwei Gleichnisse enthäU (335. Menel. 791), im 14. 15. und 18. Ge-
sang, welche gar keins haben, hu 7., «o nur das kurze 36, im 8.,
wo nur 523 sich eines findet, in allen diesen Partieen hält der Gang
der Erzählung den Hörer durcli sich selbst b st, und bringt die Ge-
40) 11.12, 1G7— 171. 13, 102—104. 24, 41—43. Od. 4, 335 l»is
339. (17, 120). 19, 518—523. 20, 00 ff. was mehr Beispiel aus der Sage.
330
sprächsform das Leben, welches vom Dichtergeiiiiis kommt. In
der Erzählung von seinen Irren 9 bis 1 2 wie sollte da Odysseus
ausser den häufigen Maassvergieichungen (gleich einem Berge, 190,
frass wie ein Löwe, 292., lang wie ein Mastbaum, 322., süss wie Nek-
tar und Ambrosia, 359) weiter zu Bildern veraidasst erscheinen als
liei der Ausführung der List, 384. und 391? Wie nicht ebenso im
10. bei dem Drange der Wunderbogebenheiten neben den ein-
fachen, 124. und 216, nur (gleich dem in 8, 523) das einzige
410 durch den Anlass besonders motivirt sein? Im 11. versteht
sich das Fehlen wie von selbst. Im 12. giebt die Instruction der
Kirke und die folgende Reihe der das Interesse fesselnden Todes-
gefahren dem Erzähler nur Ein seiner Seele besonders gegen-
wärtiges Bild zu heben, die wie Fische an der Angel zappelnden
Gefährten 251. Dazu die Zeitbestimmung 430. So erklärt sich
die gewöhnlich bildlose Darstellung in den zunächst folgenden
Büchern einfach aus der Dichlerweise und Weisheit, welche den
Ilöi'cr durch den diängenden Fortschritt oder das dramatische
Leben der Handlung ohne weiteres Zuthun fesseln mochte. Die-
selbe Beschaffenheit der selbstredenden Handlung war der Grund,
weshalb wir im ersten und neunten Gesänge der Ilias Gleich-
nisse gar nicht angebracht sehen.
Der Uebei'blick lässl überhaupt die an Gleichnissen reichen
Partieen und andere unterscheiden, wo ganz wenige oder einzelne
auf nur Einzelnes ein hebendes Licht werfen. — Es sind die
Theile der Ilias, welche den Gang des eigentlichen Kriegs schil-
dern, in denen der Dichter Gleichnisse reichlicher eingewebt
liat, die um so häufiger erscheinen, je mehr Einzelkämpfe im
Fortschritt auftreten. Nach diesem Verhältniss häufiger oder sehr
häufig schon im 5., 8., 11., 12. Gesänge, und genau gezählt
im 13. bei 837 Versen 14, im 15. bei 746 Versen 15., im 16.
bei 867, 17, im 17. bei 761, 18. Dagegen im 6. nur jenes
vom Staatsrosse 506, im 7. nur zwei, Vers 4 und 63, im 14.
bei dem vielen Bericht von Here fast nur Eins, 16, da 394
einfache Maassvergleichung und 414 vielleicht unecht ist.
Mehre in Einem Zuge gereihet oder nah bei einander, wer-
den nicht anders bemerkt, als wo die grössere Bedeutung des
I^rzählten den Dichter zur beflisseneren Hebung jedes Mo-
ments anregte, das heisst, zum Malen mit leuchtenderen Far-
331
ben.'*') Denn es erscheinen nach Homers Kunstart meistens so viel
Bilder als Momente, indem jedes ßild in diesen Fällen eben nm*
Einen Zug meint. Dieser Art sind nicht \yenige und zu ihnen zählen
auch diejenigen , wo zwei Subjecte in einem Akte erscheinen,
wie Od. 9, 384. Meisler und Gesellen, II. 11, 67. Troer und
Achäer gleich zwei 3Iähern, 13, 198., die zwei Alanten, 22,
139. Achill und Hektor wie Habicht und Taube. Die Eigenheit
der Subjecte konnut aber öfters gar nicht in Vergleichung, son-
dern die Lage, das Charakteristische, die Seele der Erschei-
nung, wie wenn Aias mit dem störrigen Esel (11, 556), Menelaos,
Avo er aushält mit der unabtreiblichen fliege (17, 570), Her-
mes mit der Möwe (Od. 5, 51) verglichen werden, Odysseus
unter einer Schütte von Laub liegt wie ein glimmender Brand
unter der Asche (Od. 5, 488). Und wenn nicht blos der kla-
gende Ton gemeint wäre, wie könnten die Herzenslaute des Odys-
seus und Telemach beim Wiedersehn mit dem Ton der Vögel
verglichen werden, denen ihre Jungen geraubt sind? und wie
würde ein Löwe Gegynbild zur Penelope sein (Od. 4, 791 f.),
wenn die Aehnlichkeit nicht in der umschliessenden Gefahr und
41) Am gehäuflesten erscheinen sie 11. 2, 455 — 483, wo beim ersten
Ausziehn des Griechenhecres eine Reihe von fünf Gleichnissen : den WafTen-
glanz, das Gedröhn der Tritte, das dichte Gediiingc der 3Ienge, das Ord-
nen der einzelnen Führer, den hervorragenden Fcldlierrn nacli einander
malen. S. Nägelsbach. — Der zweite Auszug : 4, 422 Griechen, 433 Troer,
452 ihr Zusammentreflen. — Des durch Zeus gesehreckten Aias innerlich
widerwilliges, äusserlich slörrisches Weichen II. 11, 555 f. 502. lleklor,
wie er die Troer antreibt und in eigener Erscheinung, 11, 292 und 297 f.
Desselben schwerer Ansturm gegen die standhaften Griechen, 15, 618.
624. 630. Das Wegtragen der Leiciie des Patroklos , II. 17, 725. Gruppe
der verfolgenden Troer und des rückschlagcnden Aias, das. 137. 747. 755.
andere Momente. — Achills Mordbahn, um den Patroklos zu rächen,
II. 20, 490 und 495 und wiederum 21, 12 und 22, dann 21, 252 und 257,
endlich 22, 22 und 26. — Der Freierniord, als Athene die Aegis hervor-
Ihut, Od. 22, 299—301 und 302—306. — Des Odysseus Fahrt nacli Ilhaka,
13, 81 und 80. S. Hoffmann in Lüneburg, Progr. Lüneb. 50.
Prüfung des von Lachmann über den letzten Gesang der Ilias gefällten Ur-
theils. S. 6. „Abgesehen von der Verschiedenheit des Gegenstandes, —
kommt hier noch der Umstand in Detracht, dass, wo einmal eine auf-
fallende Menge von Gleichnissen erscheint, regelmässig ein bedeutender
Abschnitt in der Erzählung gemacht wird, und dabei ein glülienderes
poetisches Coloril ganz gerechtfertigt ist".
332
dein Sinnen auf einen Aus\veg lüge? Wo aber Menelaos scharf
umherblickt nach dem Anlilochos ^\ie ein Adler nach dem Hasen
(11. 17, 674), wird ausser dem Scharfblick, der sein Ziel erreicht,
offenbar Nichts verglichen.
Wir sind hiermit in die Kunstweise der Gleichnisse einge-
gangen und es gilt das richtige Geschmacksurtheil über Stoff,
Fassung und Gliederung derselben. Einzelne mögen uns nicht
gefallen, ob wir schon die soeben besprochene Unterscheidung
anerkennen, wie wenn II. 17, 389 — 397. Griechen und Troer
den Leichnam des Patroklos Jiin- und herzerren, wie die Leute
des Gerbers ein mit Fett getränktes Leder, oder Odysseus, Od,
20, 24 — 28, sich auf seinem Lager hin- und herwälzt, wie ein
Mann eine 3Iagenwurst im Siedekessel hin und her umdreht,
dass sie schnell brate. Andere entzücken uns, wie jenes schon
in der Einleitung gegebene II. 6., sodann die mehren, durch
Avelche wie schrittweise das Hervortreten des Hauplhcklen der
Ilias, des Achill zum Rachekampf wegen Patroklos, in glänzendes
Licht gesetzt wird.
Nachdem erst sein wundervoll leuchtendes Haupt, 18, 207.,
und seine entsetzliche Stimme, das. 219., dann sein rachedursti-
ges Gestöhn bei Patroklos' Leiche, das. 318 ff., in treffenden Bil-
dern 'gezeichnet sind,*^) wird seine erste Begegnung mit einem
Feinde, dem Aeneas, durch das über alle andern Löwen- und
Jagdbilder schöne Gleichniss verherrlicht, 20, 164ff.
Jenseits drang der Peleide heran, wie der reissende Löwe,
Welchen zu lödten verlangend die ländlichen Männer, ein ganzes
Volk ausziehen geschaart; er schreitet zuerst mit Verachtung
Trotzig daher; doch sobald mit dem Speer ihn ein rüstiger Jüngling
Traf, dann knäuelt er sich mit geöffnetem Rachen zusammen,
Triefend die Zähne von Schaum, er slölml aus muthigem Herzen,
Gcissclt sich dann mit dem Schweife zugleich zur Rechten und Linken,
Ribben und Hüften umher, und entflammt sich selbst zu dem Kampfe,
Funkelnden Rlickes fährt hin er in Wulli, dass einen der Männer
Tödt' er, oder auch selber er stürz' im Vordergetümmel.
Also drängte die-Kraft und der männliche Muth den Achilleus,
Külin sich entgegen zu werfen dem tapferen Helden Aeneas.''^)
42) Lattmann de poclt. Or. compar. Gott. 52 p. 17 hat bei seiner
spitzfindigen Deutung die parallelisirenden Ausdrücke des Dichters selbst
übersehen.
43) Hegels Aesthct. I. S. 534. Iloffmann Progr. S. 9. Sagcnp. 12.
333
ferner das von seiner Verfolgung des Ilektor 22, 139 — 144:
Wie im Gebirge der Falk' , der behendste unter den Vögeln,
Leicht im gewaltigen Schwünge der schüchternen Taube sich nachstürzt;
Seitwärts ilüchtet sie bang , dicht hinter ihr stürmt er ])eständig
Nach mit hellem Geschrei, und er brennt vor Begier sie zu haschen.
So flog jener im Schwung grad aus; bang flüchtete Hektor
Unter der Mauer dahin, die gelenkigen Füsse bewegend.
Nicht minder schön nach mehrstimmigem Urtheil das frühere
vom Agenor dem Achill gegenüher, 21, 573 — 580.
Wie wenn etwa ein Panther hervor aus tiefem Gesträuche
Wider den jagenden Mann anstürzt, und mit nichten im Herzen
Zagt, noch furchtsam entflieht, nachdem er das Bellen vernommen.
Sondern ob jener ereilend im Stoss oder Wurf ihn getrofl'en,
Gleichwohl, selbst von der Lanze durchbohrt schon, lässt er vom
Kampf nicht,
Bis er im Streit auf ihn sich gestürzt hat oder dahinsank.
Also Antenors Sohn, des erlauchten, der edle Agenor,
Nicht kam Lust ihm zu fliehn, bis er mit Achill sich gemessen.
An diesen und noch mehren andern Beispielen gerade aus
diesen Büchern 18 — 22, welche den um eigenen Leides willen
hervorgetretenen Ilaupthelden in seinen Fahrten schildern, gieht
sich die Kunstweise Homers deutlich zu erkennen. Wie Alles
hei ihm Leben, und am liebsten concretes Lehen hat, so wer-
den die Bilder immer zu einer deullichen Anschauung mit be-
stimmtem Gehalt ausgeprägt, und wird in die concrete Gestalt
gern ein beseelender Zug eingewebt. Diese letztere Eigenschaft
stellen wir mit den poetischen Angaben räumlicher Maasse oder
Tageszeiten zusammen. ''^) Besonders feine Bezeichnungen s. II,
23, 517 und noch mehr 760. Und wie auch da die Würfe
beseelt erscheinen (z. B. 11. 16, 589), so die Bezeichnungen des
Mittags, II. 11, 86—89., und Abends, Od. 12, 439 f. Ebenso
nun die Gleichnisse, deren Bilder zwar vielfältig ihrem Haupt-
inhalt nach beseelt sind, da sie selbst ein Gemüthsverhältniss
ins Licht zu setzen dienen, aber ausserdem gar oft vom Dichter
durch einen besondern Zusatz das Gefühl ansprechen. Wenn
der Glanz von Achills Schild. II. 19, 395, in einem Gruppenbilde
mit dem Hirtenfeuer verglichen wird, welches Schiffern leuchtet.
44) Ausser dem Wurf des Speers oder Steines oder der Wurfscheibe
(II. 3, 12. 15, 358. 23, 431), die allgemein gebräucblicli (auch Tiiuk. 5, 05).
334
„indem ein Orkan sie weil von dcM ilucn liinwejilreibl", so ist
das Beseelung der concreten Geslalt. So dient das Bild von der
Pnrpnrfarberin, II. 4, 141., die einen elfenbeinernen Pferde-
schmuck rölhet, eigentlich nur durch die Farbe, aber es wird
durch den Zusatz beseelt: der Reisigen viele u. s. w.
II. 3, 10. giebt zum Staub das Bild: ein Nebel unwillkommen
dem Hirten, aber dem Dieb lieber als das Dunkel der Nacht. II. 12,
433 ff. wird das Gleichniss der gleichhängenden Waagschale durch
die ehrliche Wollspinnerin beseelt, die für ihre Kinder den küm-
merlichen Lohn erwirbt. II. 21, 345 ff. trocknet Hephästos den
Boden, wie der Wind die neugenetzte Tenne (weder Saalflur noch
Garten), die eben auf dem olTenen Felde angelegt wird, und es
freut sich der, welcher sie zur Ernte brauchen will. Es las-
sen sich diesen noch manche andere Beispiele hinzufügen^-') und
dazu eine Reihe, da das durch ein Bild zu Verklärende selbst
ein Gefühl ist."«)
Wenn nun die Gleichnisse vom Dichter eine sehr verschie-
dene Ausführung erhalten haben, so gilt es, den Grund dieser
Verschiedenheit in den poetischen Gedanken zu erkennen. Die
kurzen von zwei oder drei Versen, wie 13, 62. 102. 198. 57 J.
587. 18, 161. 219. 600."") bringen zu dem Erzähllen allerdings in
ihrer Knappheit ein ganz trefl'endes und lebendiges Licht. Andere
von vier oder fünf Versen 13, 471. 703. 12, 146. 167. 15, 624.
23, 760. Od. 6, 130. zeigen sich ofl'enbar bei gleicher Angemessen-
heit nur nach dem gewählten Phantasiebilde etwas mehr aus-
geprägt. Noch bei sechs bis acht oder neun Versen ist das
nicht sofort anders. Die W'ahl der Bilder führt den Dichter
45) II. 4, 455. 13, 493. 18, 212. Od. 22, 306. Es wirkt hier das
Dichtergemülh, was von Mehren verkannt ist, vorzüglich von Jul. Latt-
niann, de poet. Gr. compar. p. 14 f.
46) Es erfreut die Wiedorersclicinung des Hektor wie der aufgellende
Fahrwind, II. 7, 4, es umdrängen den Odysseus seine Gefährten wie die
K;ill)cr ilae Mütter, Od. 10, 410, und Iiat Odysseus, Od. 5. 395, solche
Freude, als er die nahe Küste der Pliäaken sieht , wie Kinder über den
genesenen Vater. Menelaos aber ward erfreut, als er den Paris sah, wie
ein hungriger Löwe, der ein grosses Wild gepackt hat, II. 3, 23, Paris
dagegen fuhr entsetzt zurück, wie ein Mann, der eine Natter sieht, 33.,
Kioniedes wich vor dem Ares zurück, wie ein Wanderer ralhlos sieht an
dem Rande des Stroms, der reissend ins Meer stürzt, II. 5, 598.
47) Ebenso 20, 490. 495. 21, 12. 22, 22.
335
zu melirer oder minderer Aiisfüluiiclikeit. Sie, aus dem beweg-
ten Leben der Natur und der Mcnsrlienwelt in grosser Mannig-
faltigkeit entnommen, sollen eigenthümlich charakterislisch sein,
um der jedesmaligen Vergleichung zu dienen. Schon dies er-
fordert hin und ^vieder der Züge mehre, aber die bildnerische
Vergegenwärtigung und seelische Belebung nimmt auch ein eige-
nes Recht in Anspruch.
Genug es ist die Poesie selbst, welche zu den wechselnden
Situationen besonders der Kämpfe in den an diesen reicliern Ge-
sängen, also dem oben genannten 11., 12., 13., 16. und 17. der
Ilias, neben jenen kürzeren mehre Gleichnisse von 6 — 9 Versen
zum Theil nach ihrem eigenen Recht hervorbringt. Gerade die
als die vielleicht unter allen schönsten hervorgehobenen, von des
Paris Auszug und Achill dem Aeneas gegenüber (II. 6, 503. 20,
164.) umfassen über 6, ja 9 Verse, und wie diese, so ist das
gleich lange, 12, 278, eben nur durch die poetische Malerei (wie
auf dem Schilde, II. 18, 579ff.) so ausgedehnt, und tritt aus die-
ser doch der Ilauptzug hell hervor. jNicht anders bei denen von
8 Versen, den oben angeführten, II. 21, 753, und den beiden
Gruppenbildern, 11, 474 und 548, so wie denen von 7, 15. 630.
11, 113, 17, 61 und auch 18, 207, indem der wundervolle Glanz
des Achill in hellester Farbe erscheinen sollte. Wie jene acht-
zeiligen Gruppenbilder, so zeichnen auch mehrfach fünf- oder
sechszeilige anmuthige Hergänge mehrer Momente, besonders
17, 53«".*«)
In all dergleichen Ausführungen haben wir aber eben auch
den Charakter des Epos zu erkennen, das nimmer für ungedul-
dige Hörer erzählt. Nach dem Obigen zählen wir die Menge
der Gleichnisse, da sie vom Dichter genieiiiliin in eigener Person
eingewebt werden, in den Schilderungen der Kämpfe zu den
Mitteln , durch w eiche der Dichter noch mehr aller Ermüdung
vorgebeugt hat, als er, der immer neue, es schon durch den
möglichsten Wechsel der Scenen gethan. Er hat dabei noch
andere Mittel, die Schilderung der Kämpfe vor aller Einförmigkeit
zu wahren, doch die Anzahl der kürzer gefassten Gleichnisse ist
auch in den daran reichsten Partieen überall weit die über-
48) II. 15, 271. G79. 17. 725. 18, 318. 257.
336
wiegend e.'"') Wenn nun diese kürzeren der Ilias gar Avohl ein
Bild voll concreten Lebens geben können und geben,^") so ist es
unstatlbafl diese Eigenscbaft der Gleichnisse, welche sich in der
Odyssee finden, anders herzuleiten als aus dem Belieben des
bildnerischen Geistes. Wenn von den Bildern der Odyssee ausser
dem einen des unechten Zusatzes verdächtigen (8, 423.) nur 1
zu 6 (19, 518) und 3 bis 5 (5, 335. 6, 130. 12, 251) die
übrigen nur 2, 3, 4 Verse füllen, so haben wir darin doch nur
dieselbe Weise zu erkennen, die er auch in der Ilias vorherrschend
befolgt hat, und wenn er hier einzelne Bilder ganz einfach nur
nennt, welche er in der Ilias ausgeführter giebt, wie 5, 371.
„und sass wie ein Reiter zu Rosse" verglichen mit II. 15,
679 und 7, 36. „Schnell sind jenen die SchifTe wie Fittige
oder Gedanken", vergl. mit II. 15, 80, so hat er dergleichen
neben einander auch in der Ilias. Einfache Metaphern werden
Bilder 4, 342. 17, 737, und wir Averden darin immer nur die
Wahl dessen, was für jede Stelle passte, finden müssen. Es blei-
ben wohl einzelne Fälle übrig, wo die Rhapsoden wie in andern
Formen so in den Gleichnissen hinzugethan haben, was der
Dichter weder zur concreten Ausprägung noch zur Beseelung
seines Bildes eingewebt hatte. ^') Allein die Verschiedenheit,
da dem Dichter in der einen Stelle der ganz einfache Ge-
brauch eines Wahrgenommenen zur Vergleichung beliebt, in
der andern dasselbe in concreter Gestalt erscheint, in einer
dritten er es zum charakterisirlen Bilde ausführt, diese Verschie-
40) Das 12. Buch hat in 471 Versen 9 Gleichnisse, von denen 4 zu 3,
1 zu 4, 1 zu 0 Versen; also nur 3 ])ereits crwäluite umfassen 8 oder 9
Verse; das 13. von 837 Versen mit 14 Gleichnissen hat darunter 9 zu nur
2 oder 3 Versen, von den übrigen fünf 3 zu 5, 2 zu 6 Versen; das 15. in 740
Versen mit 15 Gleichnissen, unter diesen 10 zu nur 3 oder 2, und dazu
1 zu 5, 3 zu 6, 1 zu 7; das 10. in 807 Versen 17 Gleichnisse, von denen
12 zu 1^2 bis 3%, 2 zu 4, die drei übrigen zu 0, 7, 9; das 17. in 761 Versen
18 Gleichnisse, davon 12 zu nur 1 bis 4 Versen, die andern 6 zu mehr.
So enlhallen dieRhapsodieen 18 — 22 in der Zahl von 27GleicIuussen, deren
8 zu 2 und 10 zu 3 Versen, also nur den dritten Tlicil zu mehr, und unter
diesen sehen wir gerade so iu'rrliclie. S. Progr. von Lüneburg Ost. 1850.
II offmann, Prüfung dos von Lacbmann über die letzten Gesänge der
Ilias gefällten Urliieils.
50) II. 15, 80. 302. 16, 7—9. 17, 133. 547. Od. 5, 51. 328.
51) Wie Od. 8. 526—529. 11. 15, 411 f.
337
denheit ist an gar vielen Beispielen aus Ilias wie Odyssee nach-
gewiesen.^^)
Alle nähere Betrachtung hiess uns sonach die Gleichnisse
der nnisfergilligen episclien Darstellung als einen besondern Er-
weis des plastischen Vermögens und Willens auffassen, und zwar
wie es sich im zugleich gemüthreichen Dichter kundgiebt. Da
Ihut sich aber zuerst und zumeist in dessen Erfindsamkeit das
hervor, was wir das Weltbewusstsein der grossen Dichter nennen,
oder sagen wir populärer, ihre aus Natur- und Menschenwelt
anschauungsreiche Phantasie. Dies bringt auch in dieses Gebiet
den Reiz des immer Neuen. Znm Beweise dient zuvörderst die
Seltenheit einer Wiederholung, trotz der so vielfältigen Anwen-
dung von anregenden und fesselnden Bildern. Wir können kaum
drei Fälle zählen. ^^) Sodann sind dieselben W\Thrnehmungen,
doch mannigfach gewendet, die um höchste Höhen sich sanmieln-
den W^olken (11.5, 522. 16, 297 und 3G4), der unaufliallsame
Strom (II. 4, 452. 5, 87 und 11, 492), ein W^aldbrand (II. 2, 455
und 11, 155), der Löwe im Lager des Hirsches, der Hirsch in
dem des Löwen (II. 11, 113 und Od. 4, 335), die kleinen und
die Raubvögel (II. 16, 482. 17, 755. 22, 139. Od. 22, 302), Fisch-
fang (II. 16, 406. Od. 10, 124. 22, 3S4), die Fliegen um den Milch-
eimer (II. 2, 469. 16, 641 ), der Leitbock (II. 3, 196 und 13, 492),
52) S. Rcmacly, de cümp.'iralioiiilius Homer, disp. Paiiic. III. pag.
36 bis 41.
53) II. 11, 548 — 555 und 17, ('i57 — 064, wo man erkennt, dass das
Bild zunächst für die erslere Sielle gedielitel ist, wo ein zweites Cdeicli-
uiss zu dem inneren Wideislrelien des Aias die äussere ßesliiligung, das
scliriltweise Weichen, hinzuriigt, wie Beides znsamnien schon durcii 547
vorbedeulet ist. II. 13, 389—391 und 10, 482 — 484. Hier folgt an der
zweiten Stelle ein zw^eiles Gleichniss unmiltelhar. das das „stöhnend" ins
Licht setzt. Es scheint aber der Vers, welcher dieses enthält, von dieser
Stelle her, 13, 393, ungehörig wiederholt zu sein. — Das dritte Beispiel
ist an der zweiten Sielle kritisch verdächtig; prächtig sieht II. (i, 500 bis
511, wo die drei folgenden Verse die d(i]ipelte Beziehung auf des Paris
Erscheinung uiul aul seine slreheude Eile so deiillich aussprechen. In der
andern Stelle, 15, 203 — 208, aber passl seihst der Zug der Eile nicht
recht in den Verlauf, jedo( h hat Arislarch , indem er die Verse 205 — 20S
in beredter Auslegung allein für die ersterc Stelle gedichtet erklärte, die
beiden vorhergehenden hier gelassen. Ein für Ileklor in diesem Zeitpunkt
passendes (lleichniss folgt weiter hin, 271 — 270, wo denn aucii, 27711"., die
trellende Anwendung folgt. S. Sagenp. S. 15Sf.
Nitzscli, Gesell. .1. griech. Epos. 22
338
die Schneeflocken (II. 12, 156. 278—286. 19, 357. 3, 222), die
Wespen (II. 12, 167. 16, 259), Mutter und Kind (II. 4, 130. 8,
271. 16, 8), Liebe der Thiere zu ihren Jungen (II. 16, 259 bis
265. 17, 4. 133. Od. 16, 217 f. 20, 14), wie der Kälber zu ihren
Müttern (Od. 10, 410—417). An der letztgenannter Stelle wird
die Freude der Gefährten beim Erblicken des Odysseus mit der
der Kälber verglichen, wie sie ihren Müttern entgegenspringen.
Die Liebe erscheint hier ganz als ISaturgefühl , das in den Men-
schen dasselbe ist wie in den Thieren. Dazu kommt die sich
dort anknüpfende Weckung der Heimathsliebe. Wenn nun das
Gleichniss 5, 394, als Odysseus nach seinem mehrtägigen ümber-
schwimmen von der Welle gehoben das Ufer Phäakiens er-
blickt, lautet:
Wie wenn herzlich erwihischt das gerettete Leben des Vaters
Kindern erscheint, w-enn dieser erlag schwer drückender Krankheit,
Lang abzehrend an Kraft, ihn quält ein entsetzlicher Dämon.
Doch zur herzlichen Freude erlösten ihn Gölter vom Elend;
So zur Freud' erschien dem Odysseus Ufer und Waldung,
so erkennen wir in diesem Gleichniss allerdings einen unser
Gefühl noch mehr ansprechenden Ausdruck. Aber Homer nimmt
hier das Gefühl jedweden Kindes und nicht etwa nur gewisser
wohlgearteter. In diesem und in dem Gleichniss 8, 523 liegt also
nur das überhaupt Naturgemässe der Kinder- und der Gattenliebe,
und so findet es sich ganz unläugbar bei ihm, wozu Anlass ist,
ganz gleichmässig, wenn auch nach Maassgabe der erzählten Ver-
hältnisse verschieden ausgedrückt. In diesen Naturgefühlen ist
am allerwenigsten irgend eine Unterscheidung der Ilias und
Odyssee auch nur zu versuchen, ^^)
54) Dies gegen Fäsi, Einleitung zur Odyssee. S. XIV. Die in jenem
Gleichniss verlautende Freude iilicr die Rettung des Vaters von schwerer
Kranklieit sollen wir sie als dem Achill seihst fremd helrachlen? Er, dem
hei üherhaupt lebendigem Andenken an denselben (11. JG. 14— l(i), das
Denk an den Vater zurück (24. 504), das Herz so zur Sehnsucht nach
diesem und damit zur Menschlichkeit erweicht (507 — 511); soll er nicht
ebenso empfunden haben? In der Ilias kämpft der Streiter für ilas Vater-
land zuerst für seine Eltern (II. 21, 587. 6, 446), eben in ilu' verlautet
wiederholt das Bedauern, dass ein im Kampf gefallener .lüngling den
Eltern den Erziehungslohn nicht hahe abtragen köiuien (4, 4771". 17,
301 f.). Die Liehe zu den Eltern ist Maassstah der Liebe zu Andern (15,
339
Nach dem Dargelegten darf man nichts Anderes als die Er-
findsamkeit des einigen Dichters in all der Verschiedenheit er-
kennen, welche Mir im Gebrauch der Vergleicbungen durch beide
Epopöen hindurch wahrnehmen. Ob sie eintreten oder nicht, ob
sie blos als adverbiale Beisätze, oder einfach mit Subjecl und Prä-
dicat angereiht, oder zu Perioden ausgeführt erscheinen, darüber
entscheidet der dichterische Gedanke, der sie an ihrem Ort im
Wechsel mit seinen andern Mitteln verwendet. Sie sind von ihm
nicht gebraucht, wo entweder der D^ang der erzählten Tliatsacben
oder das beseelte Gespräch für das den Hörer bei einzelner An-
schauung Festhaltende Bildern keinen Platz gab. Bei gleichartigen
Hergängen dagegen, wie bei Kampfesscenen der Ilias, wusste er
den Hörer noch durch andere Darstellungsmittel zu befriedigen.
Dass die Gründe der Anwendung oder Nichtanwendung in
der Ilias nicht anders als in der Odyssee wirkten, zeigen besonders
sprechend das 6., 7. und 14. Buch. Hier nehmen besonders
charakterisirte Akte der Handlung den meisten Raum ein, da-
neben aber wird der fortgehende allgemeine Kampf durch eine
Reihe einzelner Tödlungen versinnlicht. Hier halten die einzel-
nen Fälle durch die Mannigfaltigkeit der Wunden oder durch
Charakteristik der Gefallenen nach Herkunft oder andern Eigen-
heiten das Interesse fest; dazu kommen manche besonderen
439. 19, 322) und bei den Eltern einen betheuern, erscheint (15, 600 Itis
665. 22, 339) gewiss doch nicht minder als andriiigh'cher Anruf, als es
in der Odyssee sein würde. Soll da also in ihr ein anderes Gefühl gelten?
Soll etwa das Gefühl der Vaterlandsliehe auch erst in der Odyssee in
seiner Stärke vorhanden sein, w'eil ihr Held sie darstellt? Und nun die
Klage einer Frau um den gefallenen Galten — ist denn Androniache nicht.
Audromaclie (22, 452. 466. 483. 6, 454 f.)? Und lesen wir nicht 17, 36 f.
18, 122 — 124 und vollends 5, 412fr. die böse Erwartung vom Leid der
Aegialeia, der Gattin des Diomedes? Wenn aber im Gleicluiiss der Odyssee,
8, 523 — 530, jener Gelehrte eine höiierc Hlüliie der Gallenliehe, ein
anderer eine unhomerische Weichlichkeit (Lallmaun S. 14) ausgedrückt
findet, ein dritter (Ameis zur St.) zur Barbarei, mit der hier die iliren
Todten umarmende Frau mit dem Speer geschlagen und in Gefangenschart
oder in ein Gefängniss ahgefülu't wird, ihe idudiche in II. 6, 58 f. ver-
gleicht, welche das Kind im Mullerleihc nicht verschont, so erkeimen wir
gewiss richtiger in den Versen 526 — 529 ein Einscliiehsel, eine über-
treibende Ausmalung der Scene, wie die Rhapsoden an mehren Stellen
gelhan, Sagenp. 132, wo n, 97 — 100 zu lesen statt |. Die Stellen sind
meistens schon von alten und neueren Kritikern notiit.
22*
340
fesselnde Zwischenfälle, so 6, 1—65 und 14, 440 — 522, wie öfters
auch anderwärts 5, 380". (Verwundungen) daseihst 60 ff. 69 ff.
77. (Verwundung und Beschreihung der Erlegten) 15, 338 — 345.
Nur eintretendes Bedeutendere wird durch Gleichnisse in diesen
Büchern hetont, so in 6 durch das so schöne, der zum Kampf
strebende Paris 506, in 7 die Freude der Troer, 4 und 63 die
wogenden Schaaren der Troer, als sie vor dem Zweikampf sich
setzen. Das 14. schildert 16 ff. Nestors hin- und hergehende Er-
wägung bis zu einer Entscheidung durch ein Gleichniss; aher
die folgende Erzählung, vollends die von Heres Listen und Be-
thörung des Zeus gab dazu keinen schicklichen Anlass. Erst als
der durch Heres Botschaft angefeuerte Poseidon (362 f.) die
Griechen zum Kampf antreibt, wird (394) der Lärm der zusammen-
stossenden Heere in der Satzform gehäufter einfacher Ver-
gleichungen (wie 17, 20 und 22, 262) hervorgehoben. Dann ist
der Fall des Ilektor vom gewaltigen Wurf des Aias (409 fr.) durch
seine zwei Momente, erst das Drehen, dann den Sturz, betont.
In dem bereits besprochenen folgenden Theil nehmen wir noch
einen andern Zug der belebenden Darstellung wahr, der wiederum
auch in mannigfaltiger Gestalt vorkommt, den Wechsel sarkasti-
scher Reden bei den rächerischen Thaten (454. 471. vgl.
16, 745).
So sehn wir den Dichter seine reichen Mittel verwenden.
An andern Stellen (4, 457 — 539) beliebte ihm, in einer Reihe
geschilderter Einzelkämpfe auch theils einfache Vergleichungen
(462, 471), theils ein volleres Gleichniss anzubringen, 4S2 — 487,
Die rege Erfindsamkeit des immer Neuen, die Mischung
und der mannigfach gewandte Gebrauch der verschiedenen Dar-
stellungsweisen ist am sichtlichsten in den Gleichnissen , die der
Jagd und überhaupt dem Tbierleben entnommen sind. Zum
Zeichen der Zeit und des Landes begegnen wir da oft der länd-
lichen ihre Ileerden gegen Löwen schützenden Revölkerung.
Diese Klasse zeugt von der lebhaften Vergegenwärtigung einer
Fülle von Beobachtungen'^) ganz vorzüglich. Von den 18 oder
17 Gleichnissen des 16. und 17. Gesanges sind je 5 — 6 Jagd-
55) Die allen Erklärer maclien öfters auf die Rioliligkeil aufmerksam,
Euslalh zu 11. 2, 87. Seh. A. zu II. 17, 725 vgl. 8, 340.
341
oder Wiklbikler 16, 156. 352. 487. 752. 756. 826. 17, 61. 133. 281.
657. 725., im 12. und 15. 4: 12, 41. 146. 299. 324. 15, 271.
323. 586. 630., im 5. mul 11. je 3: 5, 136. 161. 554. 11, 113.
173. 292., im 13. 2: 198. 471. Und es kommen noch einzelne
in andern Gesängen hinzu, wie das schon oben ausgezeichnete
20, 156 und 8, 338. 3, 21; aber ausser dem einen, als wieder-
holt bemerkten, sind sie alle eigenthümlich gestaltet, und auch, wo
die gleiche Situation zu vergleichen war, lautet das Gruppenbild
verschieden, 11, 474 — 481. 15, 271. im Einzelnen wechseln
diese Thierstücke mit den mannigfachsten Bildern aus andern
Sphären. Man sehe in 17 neben den Jagdbildern 434. 520.
570. 674. 737. 742. 747. 755. in 12, 132. 278. 421. 433. 451.,
in n, S6. 147. 155. 269.
So wäre wohl diese glänzende Erweisung des Dichtergenius
hinlänglich belegt.^^) Je mehr wir uns aber an ihr erfrcun, um
so weniger übersehn wir die mehren einzelnen Fälle, welche
einen Ansloss geben können. Gäbe ihn die Ausführlichkeit, die
Fülle des Details, dann hätten wir erst uns zu fragen, ob wir
auch die epische Weise der Gleichnisse, ob wir die homerische
Genre- Zeichnung und concrete Beseelung genugsam erwogen.
Der heutige Leser, auch der deutsche, versteht an sich die
epische Ruhe wenig. Es ist dem Epiker theils um Anschaulich-
keit, theils um concrete Beseelung des Bildes öfters mehr zu
thun, als nach dem Maasse unseres Geschmacks der Moment zu
gestatten scheint. So sind die Wölfe, denen die Führer der Myr-
midonen gleichen, 16, 157—163, doch in allen sieben Versen
als die im Blut schwelgenden Thiere gemalt. Und wenn, 12, 278
bis 283, ein dichter Schneefall hinlänglich dargestellt scheinen
kann, darf man doch nicht behau{iten, der Dichter habe die drei
folgenden , da er an den Anblick von Küstengegenden gewöhnt,
gehörigcrmaassen weglassen müssen. Wie sich ferner 12, 41 fl".
ganz natürlich ausgeführt verhält, so gilt dies auch von 12, 299
bis 306, obgleich diese Stelle einer Interpolation angehört.
50) C. Fr. llcruiaim Cullurgcsch. S. 03. — „Es liegt sowohl diT Ver-
knüpfung im Ganzen als den Gleichnissen so echter üichlcrgeist zu
Grunde, dass auch die zahlreichen Discrepanzen ina Einzelnen uns nicht
an (lern dichterischen Berufe und der grossen Persönlichkeit des Mannes
irre machen dürfen".
342
Schon ein Anderes ist es, wo ein so Einfaches, Avenn auch
nicht Unbedeutendes, die allgemeine Flucht des Troerheers, zu
vergleichen ist 16, 393: ,,also losten gewaltig die lliehenden
Rosse der Troer". Wird da nicht hlos das Gegenhild einer
tosenden Ueberschwemmung auf das Lebendigste ausgemalt —
das wäre ganz in der Weise der epischen Poesie — sondern
wird da vielmehr dieses Bild noch wortreich beseelt durch den
motivirten Zorn des Zeus, 386 — 388., dann mag man wohl meinen,
das Bild thue zu viel, so interessant der Zug an sich ist. Die
Structur der Periode, nach der das rdv 389 auf vöcoq zu 385
zu beziehen ist, sie macht wahrscheinlich, diese drei Verse seien
eingeschoben.
So dürften die ausgeführten Prädicate zu beurtheilen sein.
Aber wo in einfacher Vergleichung und wie in der All von
Metaphern einfach charakterisirte Subjecle eintreten, da giebt es
mehrfach ein Problem, An des Dichters allgegenwärtige Phan-
tasie sind wb* zwar gewöhnt, so wie an das Erfassen derselben
Prädicate bei den an sich ungleichen Subjecten. So wird, wer
in Gebirgsgegenden die mehre Tage lang feststehenden Wolken-
schichten gesehn bat, das Gleichniss zum standhaltenden Heer
5, 522 — 526 recht wohl verstehn, neben dem ihm dann wohl
12, 433, die Mannigfaltigkeit der Anschauungen zeigt. Anderer-
seits gefällt auch die bewegte Verwendung desselben Subjecls,
wenn in 16, 365. die Wolke, welche sich gern an Bergkuppen
anlehnt, beim Sturm sich aus der Höhe in die Weite verbreitet,
und zum Bilde des sich von den Schiffen verbreitenden Lautes
wird, oder die entgegengesetzte Erscheinung das. 297., dass der
Gott die bisher die Höhen verhüllenden Wolken davon wegtreibt,
so dass der lichte Aether sie alle umieuchtet. Dieser Wandel
bildet die Freude der Achäer ab, als Patroklos die Troer mit
ihren Bränden von den Schiffen verjagt hat.^^)
Doch einige Stellen sind schwerer zu deuten, ja bilden ein
kaum zu lösendes Problem. So 13, 754: „Sprach es, und
stürmte von dannen, dem schneeigen Berge vergleichbar
— und flog durch die Troer dahin". So lauten die Worte
genau wiedergegeben. Hier sind die an sich gezwungenen Er-
57) Die Verse 299 und 300 geliören nur hierher, nicht auch 8,
557 und 558.
343
klärungen der Alten, da Hektor wegen seiner ragenden Gestalt
(also wohl wie Polyphem) einem Berge gleichen soll, ganz un-
statthaft, weil das „stürmte" voransteht. Die einzig mögliche
Erklärung scheint, dass mit den ^yorten eine Lawine angedeutet
wäre, deren Anschauung den Bewohnern Asiens freilich nicht
so leicht heizulegen ist.
Ein andre Schwierigkeit hat die Stelle II. 4, 75 — 84. Hier
wird eine Lufterscheinung des Sternenhimmels zum Gleichniss
für das Herabkommen der Athene am lichten Tage gebraucht.
Ein solches Herabkommen eines Gottes wird in andern Stellen
nach seiner Schnelligkeit natürlich verglichen; 15, 10, wie
Schnee oder Hagel, das. 237. und 19, 350 f. , wie ein schneller
Vogel. Dort nun kann man auch nicht eine eigentlich nächt-
liche Erscheinung eben nur als Bild für die auch vom Himmel
niederfallende Göttin fassen. Wir werden belehrt und wissen
iwar von Feuerkugeln, welche am hellen Tage fielen und auch
Funken sprühten,^^) aber der genau übertragene Text spricht von
einem Stern und von Funken, welche von ihm sprühen, so
dass wir Sternschnuppen zu verstehn bewogen werden. Diese
sieht man aber nur in der Nacht, und doch heisst es hier solchem
glänzenden und Funken sprühenden Stern gleich sei Athene zur
Erde geschossen, mitten hinein, und Staunen habe Troer und
Achäer befallen. Sie deuten es als ein göttliches Vorzeichen,
gutes oder schlimmes, wie der Dichter es gleich zuerst ein
Zeichen {tSQag) genannt hat. Ein solches, eine ausserordent-
liche Erscheinung, ist demnach jedenfalls gemeint und zu ver-
stehn, und z\>ar ein bei Tage gesehenes Meteor. Sagt nun
unsere Naturkunde nur Feuerkugeln oder s. g. Meteorsteine
kämen bei Tage vor, so ist das Problem dieses: entweder der
Dichter hat verschiedene Meteore verwechselt, oder wir haben
seinen Ausdruck Stern, welcher Funken sprüht; da er im wei-
teren Sinne gebraucht, zu eng gefasst. Die letztere Erklärung
vird durch die schon viel verglichenen mehren Stellen der Al-
tm, in denen eine solche Erscheinung bei Tage stattfindet, un-
terstützt. Dabei ist wahrzunehmen, dass das Volk nicht die
58) Gchlers Physik. Wörter!). IV. 215. 228. und Benzenberg, die
Stü-nschniippen S. 45. Auch die Scliol. zur St. erklären Sternschnuppen
Gr öiaTTOvTEff uaxeQBg, wie bei Flut. Lysand. 12.
344
Athene, sondern das niederfallende Meteor sieht, Alhenc aher,
sobald sie herabgekoninien, die Gestall des Laodokos amünmit.^")
Der unbefangene Leser erkeiuit übrigens in diesem Gange der
Athene, um den Pandaros zu verführen, ein Moment der Handlung,
da in Folge des treulosen Schusses der Gcsammtkrieg nun wirk-
lich beginnt.
So viel über die homerische Darstellung in ihren einzelnen
Gestalten und Eigenheiten.
7. Die liomerische Darstellung in D u rchf ülirung uud
Gliederung der umfassenden Anlage, und in Ge-
staltung der T h e i 1 6 , wie sie den e in z e 1 n e n P ar -
ticen eine gewisse Selbständigkeitgiebt, dies aber
eben z ii r schönen epischen und für mündlicheu
Vortrag gearteten Kunstform gehört. Der Epo-
» pöe eigenthümliche Formen und Weisen der Glie-
d e r u n g.
Wir wenden uns nun zu dem allgemeinen Charakter der
echt epischen, duich Ilonser für die Gattung mustergiltigen Dar-
stellung. Nach ihrem Grundwesen als Erzählung und ihrem weit-
greifenden Inhalt besteht ihre eigenste Eigenheit in der mählichen
Forlbewegung durch zwar organisch verbundene, sämmtlich aus
einander heraus wachsende Theile, aber von der Beschaflenheil,
dass der einzelne sein eignes entwickeltes Wesen hat und ein
nicht zersplittertes, sondern auf eine hervortretende Person oder
einen charakterisirten Akt bezügliches Interesse gewährt, daher
auch für sich ansprechend und im einzelnen Vortrag geniesshar
Iirfunden ward. Anders nämlich als das gelesene, muss das ge-
hörte Werk in jedem Theile auch für und durch sich verständ-
59) Hymn. a. den Pylh. Ap. 263 (441). „Jetzt eutschwang sich dem
Schiffe flcr Fürst, FenilrefTer Apollon, gleichend dem Stern, der mittel
am Tage scheint, und es enlstieben Funken die Menge von ihm". Apoll
Rhüd. 3, 1377 m. Schob vgl. Aen. 5, 527 f. So ist die Auffassung 1)0
A. Jacol), Entsl. der Ilias S. 199 ff. , irrig; am unrichtigsten die Benioi-
i.ung : „Eben so wenig kann Athene hier erst als Ilimmelszeiclien gedeul;l
sein sollen, nachdem sie schon die Gestalt des Laodokos angenoninien
hat". Das Staunen betrilfl ausdrücklich das Ilimmelszoiclicn, welches dis
Volk sieht, wie 5, 8G4f. Diomedes den Ares als diclile Wolke; Atheic,
wie oben gesagt ist, nimmt unten angekommen die Gestalt an.
345
lieh sein, und durch seinen Inhalt anziehn. Die kleinen Lieder
der vorhonierischen Sänger sind kurz genug für Einen Vortrag
zu denken. Sie hatten also zumal bei ihrer ^vahrscheinlich ro-
manzenarligen Form (Ahsclin. 23 letzt. Th.) diese BeschalTenhcit
meistens schon durch ihre Gegenstände, Abenteuer Einzelner
oder Nachbarfehden mit einem Haupthelden. Die umfänglicheren
LiederstofTe vom älteren Geschlecht, die Abenteuer des Herakles
und die Argonautenfahrt, schieden sich entweder leicht selbst in
mehre Vorträge oder mögen in Akte getbeilt bei wiederholten
Zusammenkünften gegeben worden sein. Homer nun halte, wie
Mir sahen, in den Sängern der Völkerkämpfe des jüngeren Ge-
schlechts Vorgänger in Dichtung umfassenderer Stolfe, und die
besonders umfängliche Sage vom troischen Kriege war vor ihm
in Liedern aus allen Theilen besungen. Als in Akte theilbar er-
kennen wir auch diese Stoffe, wie die von den beiden Heerfahr-
ten gegen Theben ''"j, so den von der troischen. Gerade die
Argonautenfahrt wird als schon vor Homer viel besungen bezeich-
net; sie erscheint in der Rückfahrt schon bei Hesiod umfänglich,
dann kommen zu dieser und den Abenteuern des Herakles jene
viellheiligen Heerfahrten. Wir müssen also annehmen, dass schon
damals die Orte und Gelegenheiten, wo die Sänger eine Gesell-
schaft durch ihre Lieder vergnügten, für eine Reihe von Vorträgen
bei wiederholten Zusammenkünften geeignet waren, sei es bei den
Gastmahlen der Edlen oder bei Versammlungen in den Sprech-
hallen und Gemeinhäusern. Diesen Brauch fand Homer vor; was
die Sänger in den einzelnen V'orträgen absangen, war hnmer
ein kleines Ganze, eben ein Lied und mussle ein solches sein.
60) Der erste Zug der sieben Ilelilen, obgleicli auch als Ganzes nicht
ilbergross, theilt sich etwa in folgentle Parlieen: die Werbungen und
daneben die AbinaJinungen des Aniphiaraos bis die beslocliene Eiiphyie
ilin zum Auszug nöthigle; eine andere the Semhiiig des Tydeus au Kleo-
kles, nach seiner Aljweisung sein Wellkauijif inil säninillichou Gäslcn, nach
seinem Siege über sie der Ilinleriiall, dessen Ueherwälligung; weiter ihe
Partie des Ilaupikampfes mil des Kapancus Sturz und dem lödllichen
Zweikampfe der feindlichen Brüder bis zur Fluclit des Adrastos. Vom
Zuge der Söhne (Epigonen) und seinem Erfolge erscheint wahrsclieiniieh,
er sei in Homers Zeit übrigens nur in der Vulkssagc gewesen, ausge-
sungen nur die Scldachl bei Glisas (Paus. 9, 5, 13 f. 9, 9, 4). Später
erst dürfte der SlofT so ausgesponnen sein, dass die nacldiomcrischc
Epopöe 7000 Verse umfasseu konnte.
346 _
Jedes wurde von einem merklichen Anhub zu einem entweder
tlialsächlichen Erfolge oder überhaupt einem Ruhepunkte geführt,
wenn nicht eine Hemmung (wie z, B. durch Penelope Od. 1,
340 f.) eintrat. So allein konnte es den Hörern wohlgefällig und
verständlich sein. Zum Theil mögen wir uns die Fassung der
einzelnen Lieder aus der troischen Sage vorstellen, welche wir
oben von Homer, dem liederkundigen, benutzt sahen. Des Achilles
Streifzüge mochten ein Lied geben, ebenso der erste Gesang des
Demodokos, der Wortstreit des Achilleus und Odysseus über die
zur Eroberung wirksamste Eigenschaft (Od. 8, 73 oben Buch 2
§. 12). Und wie oben a. a. 0. gezeigt ist, lassen sich die auf
Hektors Tod folgenden Begebenheiten weiter in einzelne Lieder
gefasst vermuthen. Aber wie wir diese und alle ausser der Ilias
und Odyssee liegenden Parlieen des troischen Kriegs aus den
einzelnen durch beide Gedichte zerstreuten Stellen zusammenge-
stellt haben, und der Dichter sämmtliche anderweitige Lieder-
sloffe seinen Organismen in lebensvollster Weise einverleibt hat; so
sind gerade die kleinen Lieder, die ihm zu seinen beiden
Schöpfungen das nöthige Material gaben, eben weil er sie neu
bildete und beseelte, in ihrer vorigen Gestalt nicht völlig wieder-
zukennen. Gewisse Spuren nur ihres Ursprungs sind in aller
Auffassung der nationalen Epopöe der Griechen anzuerkennen.
Die ganze Kunstweise derselben, ihre Composition wie ihre Satz-
gestaltung hat sich unter Wirkung jenes Ursprungs und ihrer
Bestimmung für mündlichen Vortrag geartet. Ihre Vorzüge, aber
auch manche Mängel sind eben daher zu erklären. Solche
Mängel sind eine geringere Umbildung als das Ganze nun ver-
langte, Gedächtnissfehler, ja einzelne Widersprüche. Auch schrei-
bende Verfasser umfänglicher Dichtungen haben dergleichen be-
gangen. Immer muss uns bei der Betrachtung der Ilias und
Odyssee hinsichtlich ihrer Einheitlichkeit jener Ursprung aus be-
reits bekannten Gesängen und dabei die dem sie neu beseelen-
den Dichter offenbar eigene Anschauung und Stimnmng gegen-
wärtig bleiben, da er mehr um innere als um äussere Einheit
bemüht, die Grundverhältnisse genau verfolgt und einhält, und
gerade dazu Eigenes einfügt, das Ueberkommene neu gestaltet,
al)er nicht in allen Einzelheiten. Eben diese beseelende Motivirung
ist das ihm Eigenste, das Ueberlieferte wird bisweilen belassen.
347 __
>vie es \var. **) Sonach tlurfte nicht die Erkenntniss jenes Ur-
sprungs und die Wahrnehmung jener Spuren der benutzten klei-
nen Lieder, namentlich die hebende Beschreibung des Eintritts
sich hervorlhuender Streiter, so missverstanden und missbraucht
werden, dass man auf Hersteüung jener Lieder ausging. Es er-
wies sich freilich die Ungehörigkeit des Verfahrens bei ihm selbst.
Das Entscheidende, den Ausgang und selbst den Gang des vor-
ausgesetzten Liedes konnte man nur durch ge\^altsame Ausschei-
dungen und Umstellungen bewerksteUigen , und gelangte selbst
damit oftmals zu keinem Ziele. ^^) Der Meister der griechischen
Epopöe, der mittels einer durchherrschenden Idee grosse Ganze
schuf, hatte eben durch seine Neubildung jene Elemente ganz
oder zum Theil unkenntlich gemacht; bald hatte er mehr den
Ausgang, bald den Anfang umgebildet und mit neuen Gliedern in
jenes Ganze verwebt. Dies d. li. der Dichtergenius ist auch jetzt
besser erkannt und jenes Verfahren (das lachmannische) wird
bald als überwundener Standpunkt gelten. ^^) Betrachten wir
so, welchen Gebrauch Homer von den überkommenen Liedern
machte.
8. Beschaffenheit der Tlieile der Epopöe.
Auch Homer konnte seine neuen Gebilde nur für münd-
lichen Vortrag bestinnnen und einrichten, als er die Partie vom
Zorn wählte und seinen umfassenden Plan entwarf. Fand er im
Gebrauch der Sänger und dem Wohlgefallen ihrer Zuhörer klei-
nere Vorträge mit Hauptfiguren oder Einzelakten, so sagte ihm
sein Genius, dass die Theile seiner grössern Pläne, um vorgetra-
61) S. Receiis. (Weisse in Leipzig) in Bliill. f. lilter. Unterli. 1844.
Nr. 129. S. 514 und 515. Gedächtnissfelilcr Pyläniencs II. 13, (558 nach
5, 576 und Antiphüs Od. 17, 68. der Sului stall des Valers Aogyptios ge-
nannt, 2, 15—19.
62) Bäumlein, Zeitschr. f. All. 1850. S. 161 und mit Bezug darauf
S. 166: „Wir hallen also liier wieder die hei den laclimaniiisclien Liedern
wiederholt bemerkte Erscheinung, dass sie ohne schickiiclien Anfang,
ohne passenden Schluss, ohne eine hesondere Handlung zu Ende geführt
zu haben, des Charakters selhsländigcr Lieder enthehren. Wie viel nnilor.s
in den Eddaliederu, die doch jedenfalls auf einer niedrigeren Kunslslufe
stehn. S. die Edda ühers. von Simrock. Stutig. 1855. hcs. die Gudrun-
heder S. 226— 240.
63) Der oben genannte Recens. ia Blätl.f.htter.Unterh. 1844. ^'r. 129.
348
gen und gern gehört zu werden, an unver^^ickclter Weise und con-
centrirlem Interesse den kleineren Vorträgen es gleich thun oder
ihnen sich annähern müssten. Sein genialer Kunstverstand oder
bildnerischer Trieb und Takt für das dem Epos und seinem Vor-
trag Passende hiess ihn also den auf einander folgenden Theilen
der Epopöe eine gewisse Selbständigkeit verleihen, damit sie
auch für sich wohlverständlich und durch ihren eigenen Inhalt
annehmlich würden. Andererseits fand er für die einheitliche
Gestaltung seiner reicheren Stoffe einige bildnerische Mittel und
Weisen , welche die einfach grade fortgehende Handlung der
Einzellieder nicht bedurft und nicht gebraucht hatte. Paralleles
in der Zeit, was in verschiedenen Scenen von verschiedenen
Personen geschehn, kam erst hier zu erzählen, konnte aber, da
der Dichter kein Maler, das Gedicht kein Bild fürs Auge ist, nur
Eins nach dem Andern (öfters im Wechsel) gegeben werden/*)
Sodann ergab sich bei Ausführung der grossen Entwürfe
eine zwiefache Klasse von Bestandlheilen nach zwiefachem Grade
der Zugehörigkeit. Die einen waren wesentlich für die Ver-
folgung des Grundgedankens, die anderen dagegen förderten die
vom gewählten Motiv her fortschreitende Handlung nicht un-
mittelbar, sondern fügten nur zum Noth wendigen gleich-
sam eine liberale Fülle, gaben den Orten, Personen und
einzelnen Momenten der Handlung, kurz dem ihr anhängenden
Apparat concreteres Leben, sinnlichere Breite und Anschaulich-
keit oder tiefere Empfindbarkeit.
Der Epiker unterscheidet sich vom Tragiker in Verfolgung
der durchzuführenden Idee. Jener verfolgt nämlich nicht minder
als dieser ein Motiv, aber während der Tragiker in der Reihe
seiner Akte stracks auf sein Ziel hinstrebt oder hinstreben soll,
liebt der Epiker es, wie er ein Wellbild im Sinne hat, seinen
Fortscbiitt von einem vorgesteckten Stadium zum andern auf
Umwegen, oder mit Ruhepunklen, Rück- und Umschau zu voll-
ziehn. Er flicht also in die wesentlichen Theile solche ein,
welclic, in natürlicher Weise mit jenen Ilaupttheilen verknüpft,
den Inhalt des Ganzen bereichern, und seinen Reiz und seine
64) Die Scholieii säiiiinllicli, A au der Spitze zum Aufaug der 12.
Rhaps. ötacpöijovg ya^ 7iQäi,£tg iv evl ^elvai xcuqm aövvatov und
die Dipl. zu Vers 2. orj xa aiia yevoiiira ov dvvazai a^a i^ayyskkuv.
349^
Sinnigl<oit meliren und lieben, oline fliicli dir Sliiligkoit des Forl-
schriUs zu stören. Es sind dies die Episoden, die eben erst
der Epopöe eignen, in ihr eine grosse Rolle spielen, ja ihr We-
sen erst zu einer Blüthe bringen. Ist aber ihr Gesetz von der
Theorie bestimmt genug dahin aufgestellt, dass sie, als Tbeile dem
Ganzen angebörig, aus ihm entsprossen sein sollen, so reicht
das doch keineswegs immer aus. Die Unterscheidung dieser
Tbeile von den wesentlichen bleibt in einzelnen Fällen schwan-
kend und das Urtheil über manche Episoden der homerischen
Gedichte unter den prüfenden Lesern streitig. Die Unthunlicb-
keit jener Unterscheidung bat ihren Grund im Dichtergeist und
seinem überkommenen Stoffe selbst. Die Tlieorie verfährt abstract,
wenn sie auch als das von ihm Ausgeführte ein allgemeines Ver-
bältniss des Menschenlebens angiebt; der Sagendichter dagegen
überkam und fasste in seine Anlage ein concretes Ereigniss.
Daher ist es insofern nicht zweifelhaft, dass des Aristoteles Ge-
brauch des skelettirten Plans als Maassstab zur Unterscheidung
der episodischen Tbeile unstatthaft ist; nach Homers Entwurf
gehörte, da er Ueberkommenes d. h. Individuelles gestaltete, Mebres
zu den wesentlichen Theilen, ist also Wenigeres zu den Episoden
zu reebnen, als der Philosoph ihnen zuweist. Obgleich er den
Entwickelungsgang und das Verbältniss der beiden Ilauptarten
der Sagenpoesie recht wohl kannte, wie aus den epischen Stoffen
die Tragödien hervorgingen (Poet. 4, 10 oder 13) und er der
Ilias und Odyssee nur die bei ihrer Entstehungsart mögliche Ein-
heitlichkeit beilegt (Poet. 2G oder 27 g. E. cog evdexBtac^''') aQiara),
so war ihm doch das Dichten zu sehr eine begrifi'licbe Geistes-
Ihätigkeit. Wir müssen urtbeilen, sein für die Unterscheidiuig
der Episoden gegebener Maassstab dient wohl, die Einheitlichkeit
des Planes zu prüfen, aber nicht die Gliederung des von dem
Dichter angelegten Mythus nach seinen den Fortschritt bildenden
Akten zu bestimmen, welche doch für die wesentlichen Tbeile
der einzelnen Poesie gelten müssen. In 17, 2 oder 5 giebt Arist-
toleles die Regel: der Dichter müsse seine Entwürfe im Allgemeinen
anlegen, darnach dann sie in Episoden ausprägen und ausdehnen.
65) DerAus(lniL'kii'öf;(frfa, licet, nicht polcsl, fiilui;itiftli('s<'l)<Mil um
so wie die Sache sellisl.
350
Dann nach der Bemerkung, dass die Epopöe durch Episoden
ausgedehnt werde, heisst es, §.5 oder 10: ,,Der Entwurf (Plan
^oyog) der Odyssee ist kurz: indem Jemand viele Jahre vom
Hause abwesend ist und von Poseidon überwacht wird, und zwar er
ohne Gefährten, während daheim es so steht, das seine Habe von
Freiern verzehrt und seinem Sohne nachgestellt wird: kommt
er selbst nach ausgehaltenen Stürmen zurück, greift, nachdem
er Gewisse erkannt. Jene an, bleibt selbst erhalten, die Feinde
aber vernichtete er. Dies also ist das Wesentliche, das Andere
sind Episoden". Aristoteles gab hiermit in bewundernswürdiger
Präzision die begrifflichen Grundzüge der Odyssee, aber nicht
ihre poetischen. Und wenn er aus der Ilias, welche ihm nach
8, 3. ebenfalls für vollkommen einheitlich gestaltet galt, 23, 3. ge-
rade bei der Belobung der Wahl des Stoffs den Schiffskalalog als
Beispiel der Episoden nennt, welche zur Gliederung der Ilias
dienten, dann sehn wir darin seinen weiteren Begriff. Der Ent-
wurf der Ilias, in gleicher Weise wie jener der Odyssee ge-
fasst, würde etwa so lauten:®") In einem Kriege der Griechen
gegen ein blühendes Beich zieht sich der Hauptheld, vom Ober-
feldherrn schwer gekränkt vom Kampfe zurück und soll von
Zeus Genugthuung erhalten. Deshalb verleitet dieser den Ober-
feldherrn durch einen Traum zu der Schlacht, in welcher ihm
der Sieg verheissen ist. Aber nach kurzem Erfolge werden die
Griechen in steigende Noth versetzt und bis zu ihrem Schiffs-
lager zurückgedrängt; der Gekränkte lässt sich nicht versöhnen
und dem Heere droht die grösste Gefahr. Da erlangt der Dienst-
mann und Freund des Erzürnten, dass er ihn zur Hilfe sendet. Er
treibt die Feinde zurück, erliegt aber dem feindlichen Oberfeld-
herrn. Nun endlich zieht der Zürnende zur Rache aus, erschlägt
Jenen, bestattet seinen Freund und giebt zuletzt des getödteten
Feindes Leiche den Seinigen zurück.
Auch dieser begrifTliche Entwurf kann uns nicht als die
dichterische Anlage gelten. So wie wir nach heutiger Theorie
in der Skizze des Planes diejenigen Tlieile als die wesentlichen
ansehn, welche die concrele Gliederung geben und die eine
Ö6) Vgl. Aug. J.icoi), Eiilsl. der Ili.is und der Odyssee. S. 151. Seine
weiteren Folgerungen werden liei Darlegung dos diclilerisciien Planes lie-
urlheilt werden.
351
Wendung der fortschreitenden Handlung bringen, so erkennen
wir für Episoden nur solche Parlieen, welche einzelne Momente
reich ausführen, die in dem Forlgang eintretend doch seihst die
Handlung nicht weiter führen.
Diese Unterscheidung in Einzelnen zu betliätigen, wird spä-
ter die geeignete Stelle sich finden. Hier ist zur weiteren Cha-
rakteristik der epischen Darstellung zunächst zu erklären, wie
wir in beiden Arten, den Episoden und den wesentlichen Partieen,
denselben Charakter der unverwickelten für sich geniessbaren Selb-
ständigkeit finden. Derselbe nnn allen Theilen der Epopöen
gemeinsame Charakter war es auch, der den sie vortragenden
Declamatoren es erleichterte, Einschiebsel einzufügen. Die Mu-
sterung der echten und unechten Episoden*) wird erforderlich
sein, um die Pläne der beiden Epopöen, wie sie von Homer in
der ihm eigenen Dichtungsweise durchgeführt sind, aufzuweisen.
Vorerst aber wird, um die falsche Auffassung jener dem Epos
eigenen Darstellungsform durch ein recht sprechendes Beispiel
überzeugend zu berichtigen, es dienlich sein, die am meisten
missdeuteten Erscheinungen, die Hervorhebung einzelner Streiter
in den Schlachtgemälden, in das rechte Licht zu stellen; und
da aus der irrigen Deutung des der Epopöe mit den kleinen
Liedern gemeinsamen Verfahrens auch ein wesentlicher Irrthum
über den Sinn der Ilias hervorgegangen ist, so muss auch dar-
über das Gehörige schon hier gezeigt werden.
9. Fortsetzung. Die Ilias in gewissem Sinne das Hel-
denbuch des griecbiscb en Volks, aber ihre Be-
stimmung mit Verberrlicliung des Achill nicht
richtig bezeichnet.
Der Genius, der den Homer bei der Wahl seiner beiden
Stoffe leitete, hatte ihn in der Partie vom Achillszorn auch den
Sagentheil wählen lassen , der in seiner grösseren Hälfte , wäh-
rend der erste Held fehlte und vermisst wurde, den andern
so viel Raum gab, wie kein zweiter. Insofern also die Dichtung
sich bei ihrem der Gennithswelt entnonuncnen ITauplgcdaidien
*) Diese schon olicii Hiicli .3 §. 1 a. E. angekündigte Miislening der
Episoden fehlt leider. D. H.
352
(locli zum Ilcldeiilmcli dci' griocliisrlicn Stäninir, jn bcidor V'öl-
ker, gestalten konnte inid sollte, war dieser Stoü' der geeignetste.
Und so führt die Ilias allerdings in ihrer bewussten Anlage und
ihrem wechselvollen Fortgange für das Nationalinteresse eine
Gallerie einzelner Helden fast aus allen Stämmen auf, die in ver-
schiedener Weise hier und da in den Vordergrund treten, da
denn ihr Eintritt, wie Buch 3 §. 4 besprochen worden ist, seiner
Bedeutung gemäss durch Beschreibung gehoben wird. Ueber-
scbaun wir diese gewaltige Reihe!
INachdem der erste Gesang die Verzürnung und Absonderung
des Ilaupthelden Achill erzählt hat, und in den drei nächsten die
Erregung des vollen Kriegs geschehn ist — wo in andrer AVeise
besonders charakterisirte Personen oder Akte auf einander folgen
— sehen wir die beiden nächst Achill grössten, den Diomedes
im 5., den Aias im 7. sich in ihrem Wesen offenbaren, wie dies
weiter sich bewähren und zur Wirkung kommen soll. Dann im 11.
den dritten unter den nächsten (7, 179 f.), den Agamemnon. Und
nachdem in demselben Gesänge Agamemnon, Diomedes und
Odysseus jeder nach tapferem Kampfe verwundet zu ihren Zelten
gefahren, im 12. des Aias widerhallige Tapferkeit dem Ilektor
gegenüber zuerst recht hervorgehoben ist, so tritt im 13. der
Griechengott Poseidon wie ein menschlicher Führer hervor, und
es erscheinen wiederum die beiden Alanten, weiter bin Idomeneus
und sein jMeriones, im 15. neben dem weiteren Werk des Aias
dessen Bruder Teukros, Menelaos und Antilochos. Jetzt, gegen
Ende dieses Gesanges und im Anfang des 16. erreicht die Nolh
der Griechen schon den dritten Grad (Annäherung an die Schiffe
selbst). Der vom bereits aufmerksamen Achill zu Nestor gesen-
dete Palroklos kommt, nach Verweilen beim verwundeten Eury-
pylos, zum Achill zurück. Dieses Freundes (tragische) Abseudung
mit Achills Waffen und Leuten bildet den Anfang des zweiten
riaupttheils der Epopöe (16. Ges.). Nach des Patroklos kurzen
Erfolgen und allbedauertem Fall durch Ilektor erscheint dann
im 17. beim Kampf um seine Leiche der jetzige Oberfeldherr,
Menelaos (246 ff.), und der grosse Aias — von Andern abgesehen
— der wieder vor Allen gegen ITektor Stand hält. Doch dem
Ilektor gewährt Zeus die Vollendung seiner Siegesbahn, mu" dass
er (269 — 363) die Leiche des l'atroklos ihn nicht ei'beuten Hess.
353
Mpiiclans und Meriones (717) nnlimon sie auf ihre SclmUcrn
und trugen sie, wälireiid die Aianleii von den üiirigen Aeliiiern
fast allein die nachdrängenden Troer aufhielten, zu Achill, an
den Antilochos, sein zweiler Palroklos, mit der Trauerholschaft
ahgesandt war. Nach allen den Genannten und jetzt erst tritt
Achill hervor.
So grade sollte es erfolgen nach dem Gedanken des erfind-
samen Pichters, in ^vclchenl er die üherkommenen Lieder zum
Nationalepos , zum Gedicht von den [leiden und der Heerfahrt
aller Stämme und von der ganzen Gölterwell gcslaltete. Allerdings
leuchtet nun in den Gesängen vom IS. an Achill allein auf der
Scene hervor, alle andern Helden des Achäerheers verschwinden.
Aher diese unzweifelhafte Thalsache konnte nur dann auffällig
erscheinen, wenn man die Wahl gerade des Sagentheils vom Zorn,
und damit die Wahl des Ilanplhelden der Iroischen Sage, nicht
erwogen und ehen so A\enig das nationale A'erhältniss der Dich-
tung gewürdigt halte. Alles dieses aher war niu* möglich in
Folge einer vorgefasslen Ansicht, welche von Haus aus d(;n Willen
und Sinn henahm, die Idee und Gestaltung des Ganzen aehtsani
zu verfolgen, und hesonders in diesem Sloff (vom Zorn und
seinen Folgen) den sittlichen Geist zu erkennen. '^^) Es wirkte zu
dieser Nichtheachtung freilich jener irrige Grundhegrill" vom
Gegensatz einer Volkspoesic zur Kunstpoesie, und die Avundcrsame
Vorstellung, die echtere und schönere Poesie sei in den vor der
llias geweseneu kleinern Liedern zu suchen.
1 0. Z u r genaue r e n B e s t i in ni u n g des Geistes der 1 1 i a s.
Aher um so mehr hat Lacliniann. der Uiheher dieser nega-
tiven Ansicht, zur Darlegung der wahn^n lieschall'enheit angeregt,
seihst hei einem sonst mehrfach einstimmigen Verfasser.*"*) Wir
werden hier ähnlich Avie ohen (lUich 3 ^. 1) in den .\eusserungen
07) Laeliniann, Ik'lraclilniigoii ühov die Ili.is. Nr. XXIX. |iag. 5*.l f.
oder wiederholt von Haupt, IJerliii 1847. S. 80.
08) II o rfni an n , IM'ügi'. Lüncliing. Ost. IS.">(): ,,!' ri'i fii iig des von
L a c h m a n ii i'i li c !• die letzte n G e s ä'ii ge der Mi ;i s g o f ;i II t e ii II r -
llieils". S. 1 f. „\k'V erste dieser rirüiidc ist d.is gänzliehe Veiseliwiii-
den aller griecliiselion Heroen ausser Aeliillos. Hieseni (Innide kann ieli
auch nicht die mindeste Giltigkeit eiiuäuiiien" u. s. w.
Nitzseli, (jesth. ^\. g-iieili. E|jos. 23
354
Fr. Jacobsen's und Bcrnhardy's neben Eingehen in die wölfischen
Zweifel die entschiedenste Anerkennung eines durchgeführten
Planes, ja des homerischen Dichtergeistes finden. Es heisst dort:
„Dürfen wir annehmen, dass dem, was wir jetzt Ilias nennen, eine
umfassendere poetische Anlage zu Grande liegt — , so kann diese
offenbar nichts Anderes beabsichtigen als die Verherrlichung (?)
des Ilauptheldcn der Griechen". — „Es versteht sich von selbst,
dass das ganze Gedicht nur dann grossartig werden und er-
greifend wirken konnte, wenn die Grundlage desselben eine sitt-
liche war, wenn das Gefühl des Rechts und Unrechts in Anspruch
genommen, und eine solche Kränkung des Gefühls persönlichen
Werthes dem Ganzen unterlegt wurde, das.<5 es genügend gerecht-
fertigt erschien, wenn der grösste Held sich von der nationalen
und deshalb heiligen Sache in stolzer Unbeugsamkeit zurückzog.
Jene Verherrlichung al)er ist einestheils so zu sagen negativ,
anderntheils positiv von dem Dichter durchgeführt. Denn in den
ersten siebenzehn Rüchern hat der Dichter, wie Goethe treffend
bemerkt, die schwierige Aufgahe gelöst, seinen Helden durch
nichts Anderes als dessen Unlhütigkeit in's helle Licht zu stellen ;
und — so viel bleibt gewiss, dass die ganze Anlage des Gedichts
darauf hingehen musste, die Tapferkeit der übrigen Helden her-
vorzuheben , gerade um ihre Fruchtlosigkeit im Vergleiche mit
Achilleus Heldenkraft um so schlagender nachzuweisen. Dabei
findet denn jeder griechische Hauplheld Spielraum für eine Ari-
steia (Auszeichnung im Vorderkampfe), und eben dadurch wird
das Ganze ein nationales Gedicht, in dem fast jede griechische
Landschaft einen ihrer Heroen gefeiert fand". Man sehe weiter,
wie Achills Erscheinen nothwendig geworden, wie auch, wenn
die Verwundungen des Agamemnon, Diomedes, Odysseus nicht
statt gehabt, der Dichter sie und die andern hätte müssen ver-
schwinden lassen. Jene Aristeien Aviesen alle auf Achill hin und
verhielten sich zum Auftreten des Hauptlielden wie eine Menge
schöner Ströme, welche einer nach den) andern ihre Gewässer
einem majestätischen Hauptslrome zuführten, der auch ihre Na-
men hinwegnehme.
Diese Zurechtweisung giebt bei allem Recht gegen Lachmann
in der Zeichnung der poetischen Anlage und der Angabe der
Absicht des Dichters nicht das Trefl'ende. Die anerkannte sitt-
355
liehe Grundlage miisste conoretcr verfolgt und der verderb-
liche Zorn des Achilleus nach den äussern Hergängen und
den Wandlungen im eigenen Gcmüth eingehender dargelegt wer-
den. Das herechtigte Selbstgefühl und der berechtigte Groll
^varen abzugrenzen und die Hauptperson der Epopöe in ibrem
Wandel zu beachten. So erst würde der wahre Grund jenes Ver-
schwindens der Andern, die eigene Büssung der „stolzen Unbeug-
samkeit" durch den Tod des Freundes und die nun ül>er allen andern
Kampf gegen die frevele Stadt geltende Rache für dessen Tödtnng
hervorgetreten sein. Durch Verherrlichung des Ilauplbel-
den und Hervorheben der Tapferkeit der übrigen
Helden, um ihre Fruchtlosigkeit im Vergleich mit
Achilleus Ileldeukraft nachzuweisen, sind der Gang des
Gedichts und vollends die sittliche Grundlage desselben nicht an-
gemessen bezeichnet.
Der Sinn, in welchem Homer den Zorn des Achill gesungen,
ist tiefer zu fassen. „Es war dieser nicht gleich in seinem er-
sten Ausbruch, noch schon in seiner Verderblichkeit für das Heer
ein Gegenstand für eine Dichtung, deren tragische Schön-
heit alte Zeilen und Völker bewundern sollten; son-
dern er ward dies erst durch seine Maa sslosigkeit.
Die Schilderung dieser I\I a a s s 1 o s i g k e i t also, aus wel-
cher sich nachher einfach und naturgemäss, mit der
Bestrafung des Achilleus durch den Fall des Patro-
klos die ganze weitere Dichtung wie aus ihrem Kerne
V o n s e 1 b st e n t w i c k e 1 1 e , war eine der wesentlichen
Aufgaben, und ihr bat sie (zuerst) durch ihre Darstel-
lung im neunten Gesänge genügt."'"') Denselben tragi-
schen Achill erkannte bei so manchem Älissgrin' luul manchem
Mangel an }»oetischem Verständniss doch auch Gepperl an: Ur-
sprung der homerischen Gesänge 1 , 224.^")
Die obige Berichtigung Hoilinaiuis gi(!bt in soMeit den so
genannten Aristeieu die richtige Stellung als sie sie der Hau])l-
handlung einfügt und dadurch die andern sich hervorlliuenden
Helden dem Haupthelden unterordnet; auch ist die eigenthüm-
G9) Worte A. ,l;icol.'.s in Eiilsl. dor llias und der Odyssee. S. 235.
70) Die gröiislon Vcisclicii ricjtperl's luil IS';igclsl»;icli (icl. Anz. clor
bayor. Akad . 1842. Kr. 40. S. 321 — 320 auf- und ajigewiesen.
23*
356
lirlie BeschafTenheil des goAviilillcn Sa gen Stoffes und der ihn aus-
prägenden Anlage ganz richtig henierkt , da der llauptheld im ganzen
ersten Theile Ges. 1^ — 16. hei seiner (zürnenden) Abwesenheit und
durch sie als solcher dargestellt wird. Die Grösse und Bedeu-
tung eines Menschen wird, wie in allen Lehensverhältnissen, wo
ein gemeines Maass an Thatkraft oder Geist nicht ausreicht, so
in der darstellenden Poesie auch da und nicht am wenigsten
ndil])ar, wo er fehlt und vermisst wird.
Aber es galt, um die poetische Anlage der Ilias nach dem
wahren Befunde zu bezeichnen, erstens die Einheit der Epopöe,
wie sie von Homer zuerst aus kleinen Liedern gestaltet und an-
ders beseelt worden, zu beachten. Das Göttliche und das Mensch-
liche artete sich in der Epopöe verschieden vom Früheren, wie
in Buch 2. §. 3. a. E. und §. 8. dargelegt ist. In den Liedern
einzelne Helden mit einzelner Schutzgöttcr Beistand, in der Epo-
pöe Völkerkrieg mit den Führern der mehren Schaaren und über
den Kriegsparteien der Menschen und der Gölter das Weltregi-
ment des höchsten Zeus. Dort nach Gegenstand und Sängergeist
der Eine Held in der Bewährung seiner grössern oder geschick-
teren Kraft verherrlicht, hier nach der Sage zumal der troischen
die mehren Helden beider Parteien im Kampf um Fall oder Bet-
tung eines Beichs mit seinen Bundesgenossen. Dort der Eine
Held nur eben ein starkherziger und gottbegünstigter Träger des
Menschenlooses und Better aus iVoth, hier die mehren Helden in
dem aus Frevel entstandenen Krieg, sie abgestuft in ihrer Hel-
denkraft, aber wie auch sie erregbar durch Leidenschaften, so
auch der grösste nicht frei von der Maasslosigkeit der Menschen-
natur. So geht die homerische Epopöe bei ihrem sittlichen
Geiste nicht auf Verherrlichung der lleldenkraft wie die kleinen
Lieder, sondern fasst ihre Aufgabe tiefer. Wie die Leidenschaft
des Frevlers Paris den gerechten Bachekrieg hervorgerufen, aber
der Frevel des Oherfeldherrn durch Kränkung des grössten Hel-
den seinem Heer grosses Leid verwirkt, so hat die Epopöe vom
verderblichen Zorn Achills erst die Hergänge während des ge-
rechten Zorns, daim die tragischen Folgen der Maasslosigkeit
dieses Zorns zu schildern. Dass wie die obige Angabe es dar-
stellt das erregte Selbstgefühl in seinem Grund ein berechtigtes
war, ist für den Charakter des Haupthelden nur der Ausgangspunkt.
357
11. Der g r ö s s t e Held in seiner M e n s c li e n n a t ii r als
Hauptperson der einheitlichen Epopöe.
Der geniale Dichter ist gross hesonders im Verständniss der
Meiis^lieiinatur, und Homer dabei in Verständniss und Darstel-
lung der Seelenart seines Volks nnt seiner Ehr- und Rulnnliehe
imd seinem Begriir vom tüchtigen Manne, der natur^^ahr und
stark in Liebe und Ilass dem Freunde es im Wohlthun und
treuen Dienst, dem Feinde in Schaden und Rache zuvorthun
nmss.^') Ein Älusterhild heider Eigenschaften stellte er im Achill
dar. Daher dessen Wort: 19, 98 — 108. Hören wir darüber
eine andere Stimme:") ,,Es muss sich ja wohl, je inniger man
sich mit dem Gediclite vertraut macht um so klarer die Ueher-
zeugung aufdrängen, dass das Gedicht von dem „verderhlichen
Zorn " recht eigentlich dai'thun soll , wie seihst hei den edelsten
Naturanlagen der Mangel an Mässigung in dem Selhstgefühl und
einem an sich herechtigtcn Pathos unheilvolle Wirkungen hat,
wie die Nemesis die Ueberschreilung des Maasses ahndet". Es
folgen genauere Nachweisungen.
Dieses Selhstgefühl also wie es sich gleich nach der Kränkung
im Auftrage an die göttliche Mutler, 1, 408 ff., offenhart, dann vor
der Gesandtschaft, 9, 37S und 386 f. und 650 ff., und zum Patro-
klos, 11, 609 f., und mit Rückblick auf 9, 650 wieder 16, 52 bis
63. wiederholt, es heischt, unvermögend zu vergessen, die em-
plindlicliste Niederlage der Griechen und dadurch thatsächliche
Demütliigung des Agamemnon als allein genügende Ausgleichung
der ihm angethanen Schmach. Ohne diesen Erfolg werden die
reichsten Anerhietungen für Nichts geachtet und ist alle Freund-
lichkeit dessen, der so achtlos gekrankt hat, nur verhasst (9,
378 ff.).
Von diesem stolzen Zorngefühl erfüllt zeigt der Dichter den Hel-
den, den er so wie er ihn als den grössten in der Sage und
71) Selon, Theognis, Sokrales, Xenophon: Sagenp. 77.
72) Bäuinleiii, Piniol. XI. 3. 417 1". Derselbe über das Verschwiiulen
der andern Holden. Zlsclir. f. Alt. 185U. Nr. 22. S. 109 dass — die übrigen
Helden verschwinden, recIiH'erligt es sich nicht aus der Wahrnelimung,
dass diese — ilire Aristeia bereits erbaltcn haben, und dass die einfache
(vielmehr klare Bilder gebende) Kunst der Ilias überhaupt nur Einen
Helden auf eimiial zu feiern weiss (liebt)?
358
den früheren Liedern überkam, so darstellte und daistellen niusste.
Nur konnte hier nicht das ungebrochen reine Lieht der Verherr-
lichung Avalten. — Nach seiner Weltansicht und Erkennfniss
der Menschennatur musste, wie der Eingang ankündigt, des Be-
gabtesten verderblicher Zorn unter dem Walten des Weltregi-
ments erst Genugthuung, dann die aus seiner Maasslosigkeit her-
vorgehenden Folgen erfahren. Den in diesem Sinne gewähl-
ten Stoff bildete er zu einer Epopöe der, was das innere Grund-
motiv betrifft, vollkommensten Einheitlichkeit aus. Sie lindet sich
da, wo eine von einem Motiv ausgehende Bewegung mit all ihrem
wesentlichen Wandel bis zur Beruhigung — eine ganze Hand-
lung — an Einer Person, der Hauptperson, sich ereignet. Der
Zorn, der durch den Frevelmuth [vßgis 1, 203.214.) des Ober-
feldherrn in der Brust des grössten Helden entstanden, erreicht
in derselben Brust seine Beruhigung. Und derselbe erweist sich
als die Grundlage der ganzen Gliederung des Gedichts. Seine
Entstehung gleich spaltet die Handlung in zwei Stätten und Aus-
gangspunkte, die des zürnenden Achill und die des Griechen-
heers. — Durch die Sendung des Palroklos beginnen sie in Eins
zu gehen (11, 599 ff.). Dazu verursacht er den über der ganzen
Handlung waltenden Bath des Zeus. Die Wirkungen aber des
Zorns bilden zwei Hälften der Handlung. Die erste geht von Gesang
1—15., da das Zorngefühl unerbittlich andauert, Zeus nach
seinem aus der Bitte der Thetis frei gebildeten Plan dem Grie-
chenheer Leid bis zum dritten und vierten Stadium schaflt, indem
er den Troern Sieg gewährt. Diese vier Stadien, welche Zeus
den zu den Schiffen hinstrebenden Hektor durchschreiten lässt,
steigern die Bedrängniss des Griechenheeres von einfachem Gegen-
satz der vorherigen Bangigkeit der Troer vor Achill zur äusscr-
slen Gefahr. Das erste Ilektors Vordringen bis nahe der Mauer,
das zweite die Verwundung fünf bedeutender griechischer Helden
besonders des Agamemnon, Diomedes utul Odysseus, dann des
Arztes Machaon und des Eurypylos, das dritte Durchbruch
der Mauer — worauf ein Intermezzo — und Herstellung des
vorigen Stands, das vierte das Vordringen zu den Schiffen und An-
zünden eines Schiffes. So in Anfang des 16. Gesanges. In dem-
selben beginnt die andere Hälfte. liier wird das Zorn- und
Selbstgefühl tragisch, und wird es in Folge des Berichts und der
359
Anspraclje des Patroklos, der selbst als tragische Person des
Achill halbe Nachgiebigkeit in's Werk setzt und als deren Opfer
fallen soll.
In Achill lebt nämlich allerdings das Gefühl der erfahrenen
Kränkung noch, wie es von Anfang empfindliches Unheil zur
Sühne heischte. Nun sagt er selbst im Gebet an Zeus, 237: „hast
mü- Ehre verlichn und die Danaer sdnnählich gezüchtigt", er erkennt
an, dass man nicht unablässig grollen dürfe (60), und würde
sich vielleicht entschlossen haben, selbst zur Hilfe zu gehn. Schon
ist er auch nicht mehr ohneBesorgniss für die Schilfe — und vollends
als eben eines wirklich aufleuchtet (122). Alier freilich er hat vor den
Abgesandten des Agamemnon (9, 650) seiner Rückkehr zum Heer
einen Termin gesetzt „wenn Hektor zu seinen Schiffen käme" —
der ist noch nicht eingetreten, und ein Achill nimmt Nichts zurück.''^)
Da, in dieser zwiespältigen Stimmung, bringt ihm Patroklos (von
Nestor eingegeben, 11, 796) den Vorschlag eines Mittelwegs, er
möge ihm seine Waffen und Leute geben und so, wenn er selbst
nicht wolle, ihn statt seiner das drohende Verderben abwehren lassen.
Achill geht auf diesen Vorschlag ein, indem er der Gefahr, in
welche er den Freund sendet — tragisch und charakteristisch
für seine Ehrsucht zugleich — durch eine Vorschrift vorzubeu-
gen sucht, wodurch er sich die grössere Ehre wahrt (16, 87
bis 90). Der Freund befolgt sie nicht, denn Zeus hat seinen
Tod beschlossen; er fällt durch Ilektor. Nun erfolgt, was für
den Geist des Gedichts so sprechend ist: Der Unerbittliche tritt
zuerst wieder hervor um der Leiche des Freundes willen (18,
170 f. 503 fr.). Und jetzt da er dem Theuersten ein Hort nicht
73) Unsircitig weist 10, 61 f. auf U, 650 zurück, sowie j;i die friiliere
Gesancllscliafl gerade Lei der Versöluiung, 19, 140 f., ausdnicklich er-
wähnt wird. Das rjzoi scprjv yt mag, wie Aiislarcli im Schuliuu bihvm\%r]v
erklärt, immerhin hier wie 11. 22, 280 niclil anders als Od. 11, 430. 14,
176. 11.20, 348. 22, 331 zu verstehen sein: ich dachte, nicht wie
Nägclsbach zu II. 3, 215 ich sagte; da er denn zuletzt doch nicht selbst geht,
und einen andern Grund, der ihn zurückliielle, nicht hat, da auch giauuna-
lisch das lyroi, freilich oder wiewohl den Gegensalz bildet zu docli
das Geschehene lassen wirruhn; so gilt jener Bezug unläiigbar.
Es wird eben daran, weil er jetzt seinen früheren Gedanken durcii die Tliat
feslliäU, jenes als das damals Gesagte anerkannt. So urllu'ill auch Bä um-
lein, Philol. XI. 3, 423, irrig dagegen Scliömann, M. Jahrb. f. Philol.
B. LXIX. 1. S. 30.
360
gewesen, verwüiiselil er iillcn Zorn der Well, nntl den seinigeu
siunnil dessen Anl.iss, die BriscTs, und h'wXvl niil entseliieden-
sler Selhstonklage dem Ayjiniemnon Versöhnung, 18, 107 — 111.
19, 56 — 60. 67 1'. Nun hat er eigenes Leid zu räehen. Da
tritt er denn wolil in seiner Mäclitigkeit hervor. — Zeus hestä-
tigt sie, indem er das frühere Verhot aufhehend die beiderseitigen
Götter zum Schlaehtleld gehn lässt, damit dem Aehill Sehwierig-
keiten bereitet Averden, und er nicht gar wider die Schieksals-
ordnung seilen jetzt Troia einnehme (20, 36 {!'.). — Aber seine
Hilfe wird von A i a s nicht Ij e i A b ^^ e h r d e s R r a n d e s v o n
den Schiffen, sondern zur Rettung der Leiche seines
Patroklos gewünscht, nur \\ird er, wie Menehios meint, da
Ileklor seine Waflen hat, nicht kommen können (17, 709 f,); erst
mit Göllerliilfe ist es die Stimme des GewaUigen, welche die
Leiche rettet. Der jetzt so eigene rächerische Zorn erreicht
sein Ziel , Achill erlegt den Flektor , aber hier wiederum niaass-
los kounnt er erst durch des Priamos Ansprache und Mahnung
an den Vater zur Anerkennung des menschlichen Looses und zur
Menschlichkeit, 24, 486. 507 f.
Nach diesem Gange des Gedichts wird d(!r grösste Held dar-
in keineswegs im Sinne des reinen Lohpreises nacii seiner Alle
überragenden Held(>ngrösse gedacht und wirksam gezeigt, sondern
der Dichter hat es nicht minder n)it den Schwächen dieser oh
auch begabtesten Heldeunatur als mit ihrer Herrlichkeit zu thun.
Ist die Menschennatur auch berechtigte Empfindungen zu über-
treiben geneigt und schallt sie so Andern und sich selbst Unheil,
so hat der tiefe Kenner derselben das in der Sage und den
früheren Liedern überlieferte Reispiel, dass auch und gerade eine
solche Heldenseele in ihrem Selbstgefühl nicht Maass hielt und
dafür büsste, auf das Sinnigste ausgeprägt.
22. Fortsetzung. Die andern Helden als Neben-
p ersonen.
Ebenso ist die Unterordnung der andern Helden vom Dich-
ter nicht einfach in dem Sinn behandelt, den Hanpthelden zu
heben. Ihre Erweisung in der ganzen Handlung und ihre Stellung
zu der Hauptperson ist nach gleichfalls in den Liedern gegebenen
Verhältnissen wesentlich anders und ebenso mehrseitig ausgeprägt
361
wie tlie scinige. In doni Wandel der Iliindlnng lässl er sie ilire
verschiedenen Cliaraktere In'llKiüyen, nnd nicht sowohl ihre
JMangelliafligkeit als ihre verscliieden gearteten und abgestillten
Stärken, Alles unter Zeus' Walten, erweisen.
Wohl also bildet die Anerkennung der mächtigen Kraft des
Achilleus die allgemeine Grundlage und V\)raussetzung iin ganzen
Verlauf der Dichtung. Sie macht sich in lieiden Ilaupttheilen in
der Lage und dem Verhalten der Besten nach ihm mittelbar
oder unmittelbar geltend; in der lebensvollen Darstellung durch
die Handlung und mittels Reflexes aus dem Bezeigen oder den
Aeusserungen Anderer wird der Ilauptheld und werden die neben
ihm Aufgeführten geschildert. Aber das Thema des Gedichts ist
ja nicht die Sieghaftigkeit des die Andern Ueberragenden, son-
dern der Zorn, der erst dem Griechenheer dann ihm selbst ver-
derbliche Zorn des Ileldengemüths. Es ist also keine richtige
Bezeichnung, wenn man in der Stellung der Andern nur die
Unzulänglichkeit zur Abwendung der Noth hervorhebt. Allerdings
gab der glücklich gewählte Sagenlheil eben zur Aufführimg eines
Aias, Diomedes, Agamemnon u. a. Stamndielden Baum, da es da-
gegen vor dem Eintritt der Pest und der Altsonderung des Achill
einen Gesanuutkrieg und vor Troia selbst noch nicht gegeben
hatte. Aber Homer wusste in seiner Anlage und allmähligen
Ausdichlung dieses Stolfs das Nationalinteresse mit sittlicher und
nationalgläubiger Lebensansicht zu vermählen. In seinem gross-
arligen Plan thateu sich neben Achill Viele rühmlich hervor,
aber ihre ganze wechselnde Theilnahme geschah unter den
Wirkungen jenes obwaltenden Zorns, und so bewährten sie ihre
Tüchtigkeit nach der Verschiedenheit jener Wirkungen auch
verschieden. Wird doch die Noth selbst in den Gesäugen vom
tragischen Achill eine ganz andere, als sie vorher in der Zeit
gewesen, da der Gekränkte sie unbeugsam wachsen Hess, utui ist
llektor nachmals ein anderer, in jener ersten Zeit bis zu den
Schilfen vorzudringen und sie anzuzünden bestreik, in der folgen-
den den Leichnam des Patroklos zu erbeuten. Sonach haben
die andern Helden im ersten Gange iler Handlung die Aufgabe,
dem allgemeinen Unheil des Griechenheers tapfer zu widerstehn,
im zweiten die Leiche zu verlheidigen. Es liegt vor: in der
Epoche des Zorns war der Uachekampf gegen Troia für die
362
Griechen hinghin mehr Verlheidigungskrieg als Angriffskrieg, und
von selbst sagt man sich, dass «ie Charakterkrafl überhaupt im
Unglück, so Tapferkeit in Abwehr und Widerstand sich gar wohl
und besonders erweisen kaini.
Die griechische Sprache hat in Einem Worlstannn die Be-
griffe Aushalten und Wagen vereinigt [rkävai). Sie bezeichnet
den Heldenckarakter im Herakles durch mehre davon gebildete
Beiwörter, und Odysseus führt das eine mit Herakles gemein
{noXvxlag). Homer hat in den Haupthelden seiner zwei Epo-
pöen die zwiefache Art der Tapferkeit dargestellt, aber auch in
der Ilias und in ihrem ersten Theil an den beiden grössten nach
Achill, an Dionjcdcs und Aias, Bilder der Angriffs- und der stand-
haltenden Tapferkeit neben einander gezeichnet, und nachdem
Aias in seiner Art die widerhaltige bewiesen, tritt Achill in der
angreifenden hervor.
Hierbei kommt bei der Auffassung der Ilias als Nationalge-
dicht ein Anderes gar sehr in Betracht, das Walten der höhereu
Mächte überhaupt, und hier bei dem in seiner Grundursache
gerechten Rachekrieg die Darstellung des höchsten Zeus, der in
dem mit seiner Bewilligung unternommenen Heerzuge jetzt den
Anführer des schuldigen Volks langhin siegen lässt. So musste
Homer den Zeus neben der eben zeitweiligen Begünstigung der
J'einde den künftigen Sieg der Griechen berücksichtigen lassen.
Sodann ist Homers Musterepopöe in Bezug auf Haupt- und
Nebenpersonen als solche zu zeigen. Das durchgehende Verhiilt-
niss der andern Helden zu Achill ist ganz deutlich als das ge-
setzmässige der Nebenpersonen zur Hauptperson zu erkennen;
nur ist der Geist der von Homer vollends ethisch beseelten
Epopöe die Voraussetzung, Die Hauptperson verursacht oder
bietet den Stand und die obwaltenden Verhältnisse, unter denen
die IMenschenwelt sich dermalen bewegt. Die Nebenpersonen
müssen in einem Gedicht einheitlicher Handlung immer unter
deni, Einllusse jener Verhältnisse handelnd erscheinen. Eben
dadurch ündet die vollkommenste Einheitlichkeit in einer Epopöe
statt, dass sämmtlichc Phasen des Hergangs im Verhalten, Thun
und Leiden auch der mehren Nehenpersone» in Bezug zu einer
Hauptperson stehn, mithin die Entwickelung des Motivs auch als
Geschichte jener Person gelten kann, Diese Beschalfenheit muss
363
im Sagentlieil begründel sein ; von der troischen Sage gaben sie
nur tlic Stolle der Ilias, der Odyssee und der von Acliills letztem
Lebensakt, der der Aetbiopis.
Nach diesem Bezüge nuisste also Homer die überkommenen
Lieder, welche andere einzelne Vorkämi)fer besungen hatten, für
sein neues Ganze verwenden und undtilden.
Im Verlauf der Handlung, die sich von der Kränkung des
Achill her entwickelt, sehn wir vier auf einander folgende Pha-
sen der Hauptperson und der nationalen Nebenpersonen. Die
erste Gesang 2 — 7 an dem Tage, wo Zeus die Ausführung des
gefassten Plans noch aufschiebt, die Kriegs- und Schutzgötlcr noch
wirken; die zweite 8 — 13 nach dem Verbot Anfang 8 die drei
bis vier Stadien der Noth hindurch; die dritte in 16 und 17 bei
dem Hervortreten und Fall des Patroklos besonders dem Kampf
um seine Leiche; die vierte 18 — 24, als Achill im jetzt rächeii-
schen Zorn in den Vordergrund tritt und allein kämpft. Die
Gestaltung aller dieser ist durch das Verhalten des obwaltenden
Zeus bedingt und gemodelt, vornehmlich hinsichtlich der andern
Helden neben Achill. Zeus mit seiner Hoheit und 3Iacht ül)er
alle Parteien der Götter und Menschen, der Lenker aller Erfolge,
hat der Thetis in der Genugthuung für ihren Sohn durch Be-
günstigung der Troer ein gar schwer Auszuführendes zugesagt.
Die Bitte brachte ihn in Conflict mit Here, mit Athene und Po-
seidon, den Griechengöttern, und drängle ihn, den an Zahl und
tüchtigen Streitern schwächeren Troern (8, 56 f.) Uebermacht
über das Griechenheer zu verleihen. Dieses an Zahl überlegen,
machte, wenn auch der mächtigste Arm fehlte, auch im Einzelnen
durch seine übrigen Helden, wie sie z. B. 7, 16211. und 8, 261 ff.
zu neun sich melden, dem Troischen mit seinen 12, 88 — 104
aufgezählten Besten den Sieg gar sehr streitig. So konnte nur
entschiedene Gunst des höchsten Schadners des Kriegs (4, 84)
dem schwächeren Heer Erfolge sichern. Die Griechengötter mussleii
durch ein Machtgebot von ihren Schützlingen fern gehalten wer-
den, wie 8 z. A. es ausgesprochen wird. Die aus Sage und
Liedern längst ruchtbaren Helden musste der Zeus Homers durch
seine Wetter schrecken oder mittels Fernwirkung ihre ^Va^■en
brechen oder ihren Muth einschüchtern und lähmen. Dies ge-
schieht öfters in der ganzen Zeit, da des Zeus Beistand den Hek-
364
tor iillinälilich l)is in die Niüie, des Achill fi'dirl, und wenn am erslen
(iliickslaj^e des Ilektor am meisten, doch auch spiiter wieder und
selltst (k-m Aias.") Nur erscheinen jene nach der nalurgemassen
Darstellung solcher Helden und des Kriegsj^anges nicht stetig wie
gebannt, sondern sie erweisen sich nach ihren (Jiarakleren liicli-
lig auch in der sciiweren Zeit und in heiden Kämpfen, dem
gegen das allgemeine Unheil und dem lür Patroklos Leichnam;
der natürliche Gang der Schlachten aher ist der, dass die Wen-
dung Zinn Siege der Einen, oder die Entscheidung lür Ilektor
erst nach einer Zeil des noch gleichstehenden Kampfes einlrill.^-)
Der Moment dieser Wendung wird l»ei beiden Ilauptentscheidungen
vom Dichter in der plastischen Form der sinkenden Waagschale
erzidilt (8, 69 vgl. auch die grosse Darstellung 22, 209 — 212).
Hierzu konnnt im Verhalten des Zeus gegen das Griechen-
Iieer und dessen Helden ein Anderes noch, welches aus des Gottes
Gedanken vom ganzen Rachekrieg hervorgehl, der nach seiner
Ursache und allen Umständen zuletzt mit der Eroberung der Königs-
stadt enden nuiss und A\ird. Die vom Achillszorn charakterisirte
Epoche dieses Kiieges hat selber in ihrer letzten Phase ein für
seim-n Erfolg höchst bedeutendes Ereigniss, den Tod des Hektor,
uiul im Hinlergrund der llias steht ja der Untergang Troias.
Es ist als eine Erweisung des Dichtergenius anzuerkennen,
dass gerade Hektor, der Hort Troias, es ist, der das „Einst wird
lionunen der Tag" etc. 6, 448 ausspricht. So liitt auch bei
dessen Gefahr dem Priamos das grause Bild der eroberten Stadt
und seines eigenen Todes vor die Seele, ja beim wirklichen
Falle des Hektor erheben Vater und Mutler und alles Volk Weh-
klage als stände die Stadt schon in Flammen (22, 4081'.). Es
ist das der Sinn und die Arl dieses Dichtergenius, dass er —
freilich nach der Gunst des Stoffes — die Grossen und die Ver-
hältnisse psycliologisch fein componirt. So eben wird das Dild
des Kämpfers für das Vaterland durch den rührenden Zug jenes
Blicks in die Zukunft eigenlbümlicb gehoben.
Die längst besungene Sage von diesem Ausgang des Kampfes
74) 8, 75—79. 133. 170. — 11, 406. 544. 550. — 17, 595 und
97, 625. — WafTen 3, 36311" 15, 461 f.
75) 8, 66 ir. 11, 8411". 336. 12, 436.
365
Avnr dem Dirhter und srinon Ilörorn bcwusst. Naoli allem
Glauben musste Zeus \vie den ganzen Haehekrieg zugelassen, so
die endliche Zerstörung der Stadt und des Reichs gewollt haben.
Wir hören jene Bewilligung in der Verhandlung des Zeus und
der Ilere, im 4. Buche, wo er bei schlauen Hintergedanken mit Ilere
die Fortsetzung des Kriegs vereinbart, den jene zu fiunslen der
Atreiden, er zur Genugthuung für Achill will. Ceberninimt er
aber auch diese Rache, frei im Entschlüsse und stellt er seine Er-
füllung der nur allgemein auf Unglück der Achäer lautenden
Bitte nach Zeitdauer und Umständen fest, so berücksichligl er
doch eben die künftige Wendung zum Siege der Achäer. Nach
aller Sage und Poesie hatte ihr Heer vom Falle Heklors an <lie
Olierband behalten, und wurde, obschon auch Achill das Geschick
ei'reicht und, migeachtet neuer Vorkämpfer auf beiden Seiten,
Troia zerstört.
Der höchste Gott, welcher nach dem Glauben ursprünglich
den Kriegszug bewilligt und all dessen Gang und Wandel bewal-
tet hatte, ist durch die lebensvolle Plastik des Nationaldichlers
vollkommen deutlich in der massvollen Haltung, welche die Par-
teien der Götter und Menschen und die eigenlbümlichen Wechsel
verlangten. Erst durch die Versuche der Griechengötter, imd
namentlich der widerspänstigen Gemahlin, werden seine Er-
klärungen hervorgerufen und treten daher im Verlauf der Ereig-
nisse ein , aber sie setzen der Bedrängniss der Griechen und
llektors Erfolgen eine Grenze. Es soll der gewaltige Heklor
nicht eher rasten vom Streit, „Bis sich erhebt von den Schillen der
flüchtige Renner Achilleus" (8, 470 — 4731.). Was der Streiter
für's Vaterland von Anfang wollte und durch die vier Stadien er-
strebte, das lässt ihn Zeus zur Genugthuung Achills erreichen, zu
den Schiflen vorzudringen und eines in Brand stecken — das
Patroklos dann löscht. Es wird dies öüers nur Vordringen oder
Flucht der Achäer bis zu den SchiHen genannt, 11, IW.i. 15,
61-63:
— Doch die Achäer
Troilt' er (Apoilon) von ncueni ziinick iiiiniiiiinliclie Schrecken erregend,
l>is sie llielionden L.iiir.s ,iiir die limlcrscIiiHe sicli werfen.
Vgl. 11, 311. — denn von der intcrpolirten Stelle sind jen(! Verse
366
(loch wolil pcht.'^) Dassellx^ gicld der dein Ajtollon sellist or-
llieilte Auftrag sanimt einer allgemeinen Andeutung der künltigcn
Wendung 15.' 232-235.
Und so lange belebe die Kraft ihm bis die Acliäer
Fliehend daher die Schiff' und den Hcllespontos erreichen.
Fürder gedenk' ich selbst mit Wort und Tliat es zu ordnen,
Dass sich Achaias Heer von der Arbeit wieder erhole.
Beides, was Zeus in seinem der Thetis Verlangen regelnden
Plan als letztes Stadium des Ilektor bestimmt hat, und das, was
er dann weiter erwirken will, sagt der Dichter, als der Erfolg
ganz nahe bevorsteht, mit eignen Worten, und ])ezeirhnet dabei
das löwenmuthige Vordringen der Troer als Vollzug der Auf-
träge des Zeus: 15, 592 — 604.
Aber das troische Volk, wie beiilcverscblingende Löwen,
Stürmt an die Schiffe liinan, des Zeus Aufträge vollziehend.
Der zu mächtiger Kraft sie weckte, der Scliaar dci- Achäor,
Denn er hatte l)esch]ossen, dem llektor, Priamos Sohne,
Ruhm zu verleilien, dass er ni die bauchigen Schiffe gewalt'ges
Feuer iiinschleudrc zum Brand und ganz ausführte der Thetis
Unheilbringenden Wunsch, denn darauf harite Kronion, .
Leuchtend im Glänze der Flammen ein Schiff auflodern zu sehen.
Darauf wollte der Golt dann Rückwärtsschlag von den Schiffen
Schaffen dem Iroischen Heer, und Kampfglück so den Achäern.
Thetis Wunsch lautete nur allgemein auf Büssung der Achäer
und damit Ehre für ihren Sohn. Zeus gab ihm thatsächliche Ge-
staU, indem er den llektor bis zum Anzünden eines Schiffes gelangen
liess. Eines aufleuchten zu sehen, darauf war er in jenem Zeit-
punkte gespannt und alsbald geschah es so. llektor ist von 15,
76) Beide Stellen, 8, 470 ff. und 15, 56 fl"., erfuiu-cn als durch Zusätze ent-
stellt die Kritik der Alexandriner. Dass 4, 875 und 876 wie nach dem Vorher-
gehenden überflüssig, so nach Sprache und Inhalt unecht sind, hat Fasi
vollends dargelhan. Von der andern Stelle erklärten Arislophanes und
Arislarcli alle die 22 Verse 56 — 77 für eingeschoben; Zenodot (Scli. zu 64)
verwarf nach seiner Gewofudicit die t4 von 64 — 77 durch gänzliches Weg-
lassen. Rekl<er undFäsi lielialtcii alle, Bäumlein davon nur 56 — 60, die folgen-
den nicht. Es dürfte weiter zu untersclieidcn und nurdie64— 77, vorallen
69 — 71, wegen des Neutrum llinn undder unpassenden iS'ennung der einzigen
Athene als unecht zu betrachten sein. Schicklich beschränken wir die Worte
des Zeus auf das, was eben im Werke ist. Der Rhapsode hat an ,,auf die
Ruderschiffe sich werfen" angekiu'i|ill, aber ungehöriger und unrichtiger
Weise. Nur ilie Einschärfun'^ des I'.eab.siclilii'lcn scheint liier antremessen.
367
415 f. an mit seinen Troern im Strelx-n, die ScbilFe anzuznnden
cegren Aias nnd die Seinen ; nachdem erst der Letzlere einen mit
Do
Bränden nalienden Troer getödtet, dann ein allgemeiner AngrifTder
Troer auf die Reihe der Schiffe geschehn ist und es besonders heissen
Kampf gegeben, die Achäer aber weichen müssen — auch hier
Einschiebsel") — geht Heklor auf ein einzelnes Schiff los
und, dessen Spiegel anpackend, ruft er 716 — 718: „Feuer her-
bei! und erhebt in geschlossenen Reihen den Schlachtruf!" Aias
muss auch weichen, aber wehrt ab, was er kann (Ges. 15. a. E.). Im
Fortgang 16, 102 ff. kappt Rektor ihm die Lanze, dass er Nichts weiter
vermag und: „da warfen sie loderndes Feuer doch in das Schiff; bald
schlang sich umher unlöschbare Lohe. Also flammte die Glut um den
Spiegel empor; der Peleide schlug sich dabei an die Hüf-
ten und sprach zu dem Freunde Patroklos: Auf denn!
Schon ja gewahr' ich der Flammen verheerende W u t h
an den Schiffen; „dass sie nicht uns so tilgen die Schiff
unwendbar es werde. Waffne Dich ohne Verzug" etc.
— Wir sehn, hier in dieser drängenden Eile, mit welcher der
bisher unthätig Zusehende jetzt seinen Patroklos und 207 ff. seine
Myrmidonen antreibt, das Unheil abzuwenden, darin geht, was
Zeus 8 , 473. vorbestimmte, das oQ&ai, sich Erheben oder Erregt-
werden des Achill schon im ersten Grade in Erfüllung — solche
Aufregung und vollends eines Achill musste ja erst ihre Ursache
finden und Gestalt annehmen , und diese Ursache steigerte sich.
Im zweiten vollen Grade tritt sie ein, da er die Leiche zu ret-
ten persönlich hervortritt. Und es ist da, 18, 148 ff., nahe daran,
dass die selbstische Bedingung erfolgte, unter welcher Achill, 9,
652., wieder helfen wollte. Rektor geht in Verfolgung der Leiche
wie die Träger dieser ge'^en die Zelte der Mvrmidonen vor.")
77) Am siohllichston in der Soiilciiz dos floktor 498 iiml 400: „Wenn
die Achäer zu Schilf heimziehn in der Väter (lelilde". Die Scliillc soUrn
ja eben vertilgt werden. Aber hei aller Beachtung der classischcn Ruhe
in der Scliilderung und wie der Dicliter das weitere Schlachtfeld itcrück-
sichligt, nuissen wir, um den Fortschritt zu wahren, die ganze Sleiio,
514 — 501, ja, vielleicht auch die Worte des Aias von 501 an, für uncdil
halten, so dass das ganze Einsciiichscl 408 — 501 undassle. Bei der
Musterung (h,-r inlcrpolirlcn Slolh'ii sind die (iründe genauer anzugehen.
78) Die Verinulhung des Rec. in Blätl. f. liüer. Unterh. 44. Nr. 127.
S. 507, die Stelle 18, 148 — -231 von einem l)och die Achäer zum
368
Wiircn nun die ol)if^('n Verse, 15, 69 — 71, statt angenschoin-
licli unecht von Homer selbst, so liälte der Dichter den Zeus
die künftigen Ereignisse sogar über die llias hinaus verkündigen
lassen. So aber giebt seine fortschreitende Ilandhnig selbst nur
weiterhin die Siegeshahn des Achill und als Vorzeichen des künf-
tigen Ausgangs den Fall Ilektors. Doch der Gedanke an die im
Hintergrund stehende Ueberwaltigung Troias hat ihn vermocht,
den obwaltenden Gott schon während der Büssungszeit durch
Ilektor mit Schonung und Mässigung vei'fahren zu lassen.
Es wird damit eine Ausdeutung der Erzählung ausgesprochen
ahcr keine un])egründete. — Zeus sorgt dafür, dass das Heer
in seinem Unglück nicht untergehe, sondern Erholungszeiten ein-
treten und Einzelne zeitweilig glänzende Erfolge haben. Wäh-
rend nebst Achill auch mehre der nächsten dem Heere fehlen,
kann doch der Held der Kampflust, Diomedes, zunächst die schwäch-
lichen Friedensgedanken und allen Kleinmuth abwehren, hleibt
der Held des Widerstandes, Aias, immer wohlbehalten und ersciiei-
nen jene Kampfunfähigen bei nicht tödtlichen Wunden") nach der
schlimmen Zeit alsbald wieder rüstig im Felde. Schon auf dem
ersten Stadium giebt er dem Agamemnon auf sein Gehet ein
deutliches Zeichen, dass er nicht das Aeusscrste will, 8, 245 bis
252; es werden dadurch viele Helden ermuthigt und es folgen
mehre tapfere Thaten, und eine kurze Aristeia des Teukros ;
doch bald verwundet Hektor den Teukros, der zu den Schillen
getragen wird, 333 f., und schon erregt Zeus die Troer wieder.
Eine ähnliche Erhörung eines Gebets des Nestor um Reitung,
von derselben Bedeutung flndet sich 15, 375—378. Doch den
aiidorn wäre eingcscliol)en, k;inn niil dor IJiicksichl auf d'w Erzählung am
Ende des 17. Gesanges, auf 18, 232 und 243 nicht wohl hostclien. Woher
hätten die Troer von Aciiills Wictlorersclieiuen gewusstV
70) Agamemnon am (linken) Unlcrarm gleich unter dem Ellltogen.
11,252, von durchgehendem Lanzenstich; Diomedes am rcclileu PJaliruss
über den Zehen, das. 377, durch einen Pfeil, der durcligelil, aber sofort
ausgezogen wird, 398; Odysscus durch einen Lanzenslich, welcher Schild
und Panzer durchdi'ingl, ;ilter bei Alhene's Einwirkung niciit liefer in die
Haut, das. 430—438; M;irli;ion in die. rechte Scliuller , das. 'MI, vyl. (m7
und 02, 834 f.; Euryiiylos in den rechten Schenkel, das. 5831'. Itie Wun-
den bluten, schmerzen Anfangs zum Theil sehr, aber oh sie gleich zu-
nächst kamjifunfähig machen, ist keine von ihnen gelalirlicii . so dass die
V'erwnndelen alsbald wieder auf dem Platze sind.
369
sprocliensten Fall gicbt der 11. Gesang, dessen von der Anfangs-
parlie bis 279 entnommener Name Arislie des Agamemnon sehon
eineErzählung ankündigt, in der dieser Oberfeldherr sich hervortimt.
Ihm macht Zeus zu diesem Vorkiimpfergang auf das beflissenste
Bahn durch \Veg\veisung Ilektors auf einige Zeit. In dieser
Weisung spricht der Gott seinen wohlbedachten Willen, auch
während def Unglückszeit doch den Führer des Griechenheers
zu erhalten und zu ermutbigen sehr deutlich aus: 187 — 194. Sie
lautet- durch Iris bestellt: ,,So lang als ersähe, dass Agamemnon
im Vordertreffen mordend vorgebe, solle er sich zurückziehen
und andere Troer den Feind bestehn lassen; aber sobald Jener
verwundet seinen Wagen bestiegen, dann will er ihm Stärke ver-
leihen, l)is er mit tödtendem Speer zu den stattlichen Schiffen ge-
langt". Hier ist die baldige Verw undung zugleich vorbeslimmt, wie
sie 252 erfolgt, und kurz darauf die des EHomedes und Odysseus
und noch einiger, was wir das zweite Stadium der ISolh nennen.
Für den Augenblick sind diese Verwundungen ein sehr empfind-
liches Unglück, aber die jetzt Kampfunfähigen erstehen bald wieder.
13. Fortsetzung. Erklärung der Aristie des Agamem-
non aus seinem ganzen Charakter und der »Situ ati on.
Agamemnon ist eben an diesem Morgen als Vorkämpfer des
ganzen Heeres vorangetreten, ganz wie es der streitbare Diome-
des in der Versammlung des vorhergehenden Spätabends mit all-
gemeiner Zustimnumg für das Beste erklärt bat (9, 709 — 711).
Agamemnon wird zu den drei lücbligslen nach Achill gezählt,
sowohl in der Volksslimme, 7, 1791'., als in Aufzählungen der
Kampfbereiten als der Feldherr, der Erste, 7, 162, wo besonders
Anlass und 8, 261. In der Zeichnung des Dichters erscheint er
vorzüglich in der Würde und dem Amte des Anführers; besonders in
Ansprachen, 2, 371—374., bei seiner .Musterung, 4, 223 0". 257 fl'.
336, 340 und daselbst 359 If. 370 f. mit 40011. vergl. das Wort
des Diomedes, 415ff. 8, 278. 286—291. In mehren dieser An-
sprachen schon erkennen wir ein Gemüth, welches, sanguinisch
rasch aufgelegt zu Lob oder Tadel, doch alsbald sich besinnt wie
gegen Odysseus, 4, 336 fl". 35611'. Ein solcbes besedt die slatt-
liche Königsgestalt. Eben ein solches (lemiilli niu- konnle einen
so argen Fehler und heillosen Missgrifl' begehn, durch eiin.> solche
Wilzsch, Gesell. J. grifcli. Ejios. 24
370
hocbfabreiule Beleidigung, wie sie Agamemnon dem Achill anthat,
den anerkannt tapfersten und um das Heer und seine Sache ver-
dientesten Helden zu kränken. Es war auch bei Agamemnon
das Uebermaass eines berechtigten Gefühls, die Unsal [uxy]), was
dazu verführte, es war die Eifersucht des Oberfeldherrn — „dass
Du erkennest wie viel grösser ich sei", 1, 1S6 und 287 — 291.
Der Sünder bekannte diese seine Unsal nachmals nicht minder
als Achill die seinige, 19, 86 — 91 mit leidiger Entschuldigung,
und nicht erst dann, sondern schon früher, 9, 116 f. Der Fehler
im Gemüth des Oheranführers und Ohmannes dieses Heerzugs
war bei ihm um so grösser, da er nicht als feudaler Kriegsherr
gebot, sondern freiverbundene Fürsten (1, 154 — 160) führte.
Er fehlte somit aus der heillosesten Unbesonnenheit, und seinem
Kriegsmuth war also von der andern homerischen Cardinaltugend
der Klugheit Nichts beigemischt. Schon die Sage hatte nun die-
sem des verständigen Beiraths so bedürftigen Charakter an INestor
und Odysseus die begabtesten Gehilfen beigegeben. Nach dem
Brauch der jüngeren Heldenzeit berief der Oberfeldherr die Für-
sten zur Berathung aller Maassregeln und unter den freiverbun-
denen galten die persönlichen Eigenschaften. Vor Allem aber
erwirkte ein erfahrungsreiches Alter mit Bedegabe den edeln
Geist der Scheu, „die freie Dienstbarkeit des Herzens".^) Also
konnte der geniale Bildner der Charaktere jene beiden Helden
der beredten Klugheit und ihre Stellung zum Kriegsobmann fei-
ner ausprägen. ISestor, der süssredende Pylier (1, 248 f.), stand,
jetzt im dritten Menschenalter, mit Söhnen und Enkeln seiner
Jugendgenossen vor Troia, II. 1, 250 f. Od. 3, 245 f. m. Anni. In
ihm, der seine Mahnung durch Berufung auf das eigene thaten-
reiche Leben bekräftigen konnte, halte sich den ihm befreunde-
ten Atreiden ein Heldengreis des berechtigtsten und allgemeinsten
Ansehns angeschlossen, ebenso in Odysseus ein ihnen ergebener,
durch Gewandtheit und Beredtsamkeit den ganzen Krieg hindurch
dienender Genosse. Beide waren gleich beim Aufruf zum Rachezug
thätig geworden, (II. 11, 766). Odysseus hatte den Menelaos vor
dem Angriff nach Troia hegleitet, um die Helena und die ge-
80) Ilesiod Theog. OJ :
„Wie ein Gott rings wird er geehret
Mit sanflfreimdlicher Scheu".
371
raubten Schätze ziirfirkziifordcrn (11. 3, 205 f.). Des allgeelirten
ISestor aclitsamc Wohlbcrathenheit trat in den meisten Fällen ein,
wo Anordnung erforderlich oder dienlich ward ; er wirkte über-
haupt gleichsam als der personificirte Verstand im Griechenheer
statt des Agamemnon.*') Odysseus, als noch kräftigeren Alters
von seiner Schutzgötlin Athene belebt, brachte mit dem Scepter,
das ihm Agamemnon gab, das durch Jenes Missgrifl" aufgeregte
Heer zur Ordnung (2, lS5ff. ); er weckte bei Allen das tapfere
Bewusstsein des Vorhabens (2, 298 IT.), er niass mit Hektor die
Mensur ab (3, 314 f.), er, zum Hauptsprecher der Gesandtschaft
an Achill von Nestor gewähll, fügte Agamemnons ungemessenen Aner-
bietungen die beweglichen Zusätze hinzu (9, 228 — 260.300 — 303).
Diese beiden sind mit einander immer einmüthig. Od. 3,
126fr. Sie rufen und bewegen auch den sanguinischen Agamemnon
zur Besinnung, wo er in der äussersten Verzagtheit ernstlich vom
Aufgeben des ganzen Krieges spricht. Und zwar zuerst 9, 9iY.,
besonders 26 — 28,^^) am Abend des ersten Unglückstages, als die
81) Aligeseheii jetzt von 2, 7(3 fl". und 337 ff. s. das. 344 ff. ])es. 3G2f.
vgl. mit 4, 297 — 309, wo sogar die Ordnung der Schaaren und des Waffen-
gelirauclis von Nestor ausgeht, dann 7, 191. 325 ff. 9, 66. 179 — 181., wo
nach Rüge der Zaghaltigkeit vor Hektor, als sie gefruchtet hat, die An-
ordnung derLoosung, nach dem nicht unblutigen Tage die der Bestattung
(lerTodlcn, weiter die der Nachtwache, dieder Gesandlschaflan Acliill nehst
der Wald der Gesandton und Anweisung der Gewählten Nestors Werk ist.
82) Agamemnon spricht hier, 9, 18 ff., in denseliien Worten, w'elclie
er, 2, 111 — 118, hei seiner verstellten Versuchung des Heers brauchte,
al)er klagt nun den Zeus im Ernst schlimmslcr Täuschung an; diese
Täuschung ist vorhanden und er empfindet sie eben nach seiner Erregbar-
keit auf das Trostloseste. ,.So kann (mag) die Wahl derselben Worte
von Seiten des Dichters nur darum getroffen sein, um an jene in ganz
anderer Hoffnung gesprocbencn Worte zu erinnern uml dadurch die liefe
Demütbigung desselben hervorzulieben". Räum lein. Zeitsobr. f. Alt.
1848. S. 341 und IMiilolog. XI. 421 f. Die drei Verse 23—25 sind als aus
2, 116 — 118 wiederholt nach den alexandr. Kritikern hier unecht und sie
dürften, wenn erst später von dort nach dem Anklang hier angefügt,
doch auch dort und überhaupt unnütz sein. Dagegen ist die Vermulliung
des Rec. in Rlätt. f. litter. Unlcrh. 1844. Nr. 127. S. 500, die Stelle 9, 9 bis
88. sei als unecht auszuscheiden, ebenso gewaltsam, wie nach dem Zu-
sanunenbange unslattliaft. Der Grund wäre doch nur die Wiederbolung.
Aber eine eigene Aensserung des Agamenmon und zwar gleicli zunäcbsl
und nicht erst in dem Fürslenratb in Antwort auf Nestors Rede, llöff.,
ist durchaus zu erwarten.
24*
372
griechischen Fürsten die Lage des TTeeres so gefahrvoll empHin-
den, wie Odysseus sie vor Achill schildert, 9, 229 — 246. Das
andere Mal in 14, als das Leid schon nher das drilte Stadinni
hinans, als Agamemnon nchst Diomedes nnd Odysseus verwundet
ist und Hektor nach Durchhruch der Mauer nun den Schiffen zu-
strebt, also auf der Bahn ist, das Anzünden der SchilTe auszu-
führen, womit er von Anfang drohete. Die beiden Aeusserungen
sind in der planmässigen Darstellung deutlich unterschieden und
durch die fortschreitende Noth motivirt. An der ersteren Stelle
hören wir nach der Klage über des Zeus Täuschung nur den
einfachen Ausdruck der verzweifelnden Stimmung, an der zwei-
ten die bei den dcrmaligen Umständen, welche er schildert, von
ihm ausgedachte Weise der Flucht, 14, 74 — 81. Wir hören ihn
hier, wie er, unbekannt mit den Umständen Nestors, sich einbildet,
dieser habe den Kampf aus Aergerniss über die dem Achill an-
gelhane Kränkung verlassen: 42. 49 — 51 ; denn Nestor hatte seine
Missbilligung ihm zuerst I, 282—284, dann 9, 108—111 erklärt.
Da aber Agamemnon mit dieser seiner irrigen Meinung zugleich
die so bedrohlichen Umstände in äusserster Besorgniss hervor-
hebt, erwiedert Nestor, wie ein Antwortender von einer Mehres
enthallenden Ansprache das Bedeutendere erfasst, nur auf jene
Besorgniss; ,,Wohl, dem ist so, auch Zeus könnte das Geschehene
nicht umschaffen", und beschreibt den unheilvollen Zustand in
den lebhaftesten Farben. Doch der besonnen tapfere Alte endet
mit: Da gilt es denn guten Bath zu finden, ,,wcnn der Verstand
noch Etwas vermag (62), euch rath' ich indess nicht, wieder
in die Schlacht zu gchn; wie könnten Verwundete kämpfen"?*')
Da Agamemnon hierauf seinen Vorschlag heimlicher Flucht aus-
spricht, entgegnet nun Odysseus mit seiner Büge. Neben diesen
83) Er selbst hat verlier ülierlegt, ob er bei derNolh sofort liingebe
zum Kampl'gewiihl, 14, 21, und erscboiut vielfältig auf dorn Scldacblfolile.
Wie er aber da nirgends kämpfend dargestellt wird, sondern mabnend
oder ermunternd (6, 60 If.) bei eigener Gefalir, 8, 80 f., und von Diomedes
gerettet, warnend (8, 137. 151 ff.), auch betend (15, 317 ff.), so gicbt er
hier nach einfach ungekünsteltem Verständniss mit seinem Euch nur den
Verwundeten seinen Ralh, in seinen Worten über sich selbst keine An-
deutung. Dass er immer oder meistens nur als Beralber da wirke, w^ar
also die von ihm gellende Voraussetzung, welche er bei dem Ralh, den
er Jenen K'cbl, slillschweiirend auch als die ibriirc andeulel.
373
beiden Mahnern stellt der Dichter der sanguinischen Muthlosig-
keit des Agauieninon auch den Helden der Kampflust Diomedes
entgegen, dem nach Nestors Urtheil auch Klugheit nicht fehlt (9,
54f.) und dessen Tapferkeit nicht minder standhält. Er hat den
kampfmuthigen Sinn schon in den ersten sieben Gesängen durch
That und Rath (z. B. Abwehr des troischen Antrags, 7, 400),
nachher bei dem Schrecken des Zeus (8, 91. 99fr. 169 f.) be-
währt. Jetzt antwortet (9, 31) er dem Verzagten zuerst mit Mah-
nung an 4, 370, wo jener ihm Verzagtheit vorgeworfen, und
tritt 14, 110 mit dem Rath hervor, wenn sie nicht im Stande
Avärcn, selbst zu kämpfen, doch Andere anzufeuern, 12Sf. *'') Es
tritt hier Poseidon zu ihnen. Dann wird nach der Paralleler-
zählung von Here, 153 — 363, wo Poseidon auf derselben Stelle ist,
angegeben, wie die Drei gewirkt haben, 379 ff.
Wie dem sanguinisch Verzagten in beiden 3Iomenten diesel-
ben Charaktere entgegentreten, so erweist er beide Male auch
seine sanguinische Natur. Ist es ja deren Art, gar leicht ins
Gegentheil umzuschlagen,'^^) und nach leidenschaftlicher Ueber-
treibung sich zu besinnen, ]»ei eintretender Mahnung wohl mit
der Aeusserung, man habe es selbst nicht so gemeint, (14, 105)
auf das Bessere willig einzugehn. Solclien Umschlag in den Ge-
gensalz, die baldige Selbstverbesserung, die daim wieder ins
Unbemessene gehn kann, hat der Dichter vorzüglich im Falle
des 9. Gesanges dem Agamemnon angebildet. Dies hier in Be-
zug auf Beides, sowohl auf die gerügte erste leidenschaftliche
Kränkung des Achill als die Verzagtheit nach dem ersten Un-
glückstage. Eine gewisse Anerkennung seiner Leidenschaftlich-
keit spricht Agamemnon gleich am nächsten Morgen in Antwort auf
Nestors Mahnung aus, 2, 375—378. „ich war Urheber des Streites".
Jetzt auf Nestors scharfen Tadel, 9, 109 f. — ausgesproclien
nach ehrerbietigstem V^orwort, 96 — 102. — und auf des Allen
Aufforderung, durch Gaben und freundliche Worte zu versöhnen,
erfolgte das unverholenste Bekenntniss der Schuld 116fV. Diesem
aber scbliessen sich endlich so ungemessene Anerbietungen und
Zusagen an, dass ein Mehres an Eingesländniss oder reichere Ge-
84) Die geschwätzige Genealogie, 115 — 127 oder 125, mag hier
wohl An-sluss gehen oder lässt sich aiisschcideu.
85) Jacob, Entsteh, der II. 230 f.
374
schenke auch nur zu denken unmöglich ist, so dass das sanguini-
sche Geniüth sich liier wieder oH'enhart. Doch all diese Fülle
erreicht Nichts.
Nestor wie Odysseus, Aias wie Phönix, erwarten zwar ohne
Geschenke keine Versöhnung, jedoch die gebotenen finden sie dazu
vollauf genügend und belegen ihre Abweisung bei der schon drohenden
Gefahr mit schärfstem Tadel (629 f.) — aber ein Achill hat sein
ganz eignes Maass der Ehren und der Gebühr, er weist alle
Anerbietungen und Vorstellungen zurück.
Mit tiefem Schweigen hören die Fürsten in Agameninons
Zelt den Bericht von diesem Erfolg der Gesandtschaft, Diomedes
nur findet das Wort und er, der vor der Sendung den Verzagen-
den so scharf angelassen, dem Zeus, wie er meint, zur Herrschaft
nicht auch Wehrkraft verliehn (38 f.), er spricht jetzt 9, 698 ff.
aus, Agamemnon habe den Achill gar nicht angehn sollen; der möge
bleiben oder gehn nach Belieben; dagegen sei nun sein Rath,
jetzt sich durch Nahrung und Schlaf zu stärken; mit dem Mor-
gen möge dann der Oberfeldherr Schaaren und Kriegswagen
vorwärts treiben und selbst Vorkämpfer sein. Dieser Rath erhält
allgemeine Zustimmung, 710 f.
Reim Aufgang dieses Morgens, 11, 4 f., da Zeus durch die
Göttin der Kampfbegier, Eris, das Heer aufregen lässt, tliut Aga-
memnon genau nach jenem Beschluss. Er ruft seinerseits auf
und ^^alTnet sich. Reisige mit Kriegswagen und Fussgänger
gehn geordnet vorwärts, 47 — 52, Als nach dem eine Zeit lang
gleichen Kampfe die Griechen die geschlossene Reihe der Troer
durchbrachen, begann der Einzelkampf und er hatte jene seine
Siegesbahn, wo ihm Hektor nicht begegnen darf. Die Schil-
derung dieser bedarf mehrfach der Auslegung.
Mancher Irrlhnm voreiliger Deutung dieser Arislie ist schon
in den obigen Erörterungen beseitigt; die den Vorkämpfer aus-
zeichnende Beschreibung seiner Rewaffnung erkennen Avir als der
Epopöe nicht minder gerecht als dem Einzelliede, die Anrufung
der Musen in der Mehrzahl geschieht nicht am Eingang des Ein-
zelliedes, sondern in Fällen, da der Sänger der allen Sagen der
Stärke oder Genauigkeit des Gedächtnisses besonders bedarf
mitten im Verlauf der Erzählung, Aber der Hauptpunkt für
die richtige Auffassung ist der Gegensatz, welchen der Agamem-
375
non dieser Aristie zu jenem verzagten, ganz verzweifelnden bil-
det. Da ist nun freilich zuerst in derselben Person der Ober-
feldherr mit seiner Sorge von dem einzelnen Streiter zu unter-
scheiden. Die vor der Gesandtschaft bezeigte Niedergeschlagenheit
und der spätere Flucbtplan gelin die persönliche Tapferkeit un-
mittelbar nicht an. Agamemnon hat in Helenas Munde, 3, 179.
beide persönliche Eigenschaften als vortrefflicher König zugleich und
auch tapfrer Kämpfer. Dazu nannte ihn jene Volksstimme neben
Aias und Diomedes als dritten der erwünschtesten Gegner Hek-
tors. Beides zeigt uns mit der Nennung in den Aufzählungen
der Kampfbereitesten (7, 167. 8, 261.) seinen altüberlieferten
Leumund. Es ist also auch in dieser Hinsicht aus der vorher
seltenen und kurzen Erwähnung seiner im persönlichen Kampfe
(5, 38. 6, 33.) kein Schluss zu ziehen. Es ist genug, dass sie
nicht fehlt, da der Dichter jedem Helden nach seiner vorherr-
schenden Eigenthümlichkeit seine Rolle giebt, den Agamemnon
aber im Uebrigen hauptsächlich in der des Oberfeldherrn auftreten
lässt. Und was zweifeln wir? einen feigen Fürsten giebt es über-
haupt bei Homer nicht, auch Paris ist kein Feigling überhaupt, '^^)
und die Tapferkeit erscheint nur nach den individuellen Gemüths-
'arten verschieden abgestuft und gemodelt. Agamemnon ist, wenn es
ihn befällt, muthlos in dem Gedanken an das Gelingen des gan-
zen Kriegs, nicht einem Gegner gegenüber untapfer. Seiner
erregbaren Natur nach haben die Verhältnisse grossen Einfluss
auf seine Stimmung und seine Willenskraft. Aus ihr erklärt es
sich gewiss ganz folgerecht, wenn er am nächsten Morgen nach
der Ablehnung seines Versöhnungsantrags in solcher Ritterlichkeit
auftritt.®^) Er hatte an Beweisen seiner Geneigtheit, die Beleidi-
gung zu sühnen und den Beleidigten sich zu befreunden (142
bis 148.), das Aeusserste gethan, und mit der Bestellung seiner
Anerbietungen die von Achill selbst geschätztesten Männer beauf-
86) Gervinus Shalicspcare 4. S. 317. „Dies, ilass bei Sliakespeare
selbst der Weichling im Vergleich mit flauen Uollen der neuen Dioliter
ein starker Charakter wird, lässt sich in aller Dichtung nur mit Homers
Charakteren vergleichen, bei dem auch Paris ein IIolil ist".
87) Bäumlein, Pliilol. XI. 426. „Der ritterliche Mulli, den Agamem-
non im elften Gesang l)cweist, ist nach der missglückten Gesandtschaft
psychologisch zu erklären".
376
tra"t. Dass sie dennoch al)ge>vicsen \>orden, musste ihm in eben
dem Grade emptindlich sein , als er in dieser Abweisung nur die
fortgrollende Schadenfreude erkennen konnte, ^^ eiche abwarten
wollte bis er und sein Heer bei steigender Notb den Beistand
seines stärksten Armes noch schmerzlicher vermisslen. Dies Ur-
theil erzeugt die Thalsache der Ablehnung von selbst, obschon der
kluge Sprecher der Botschaft die Drohung nicht vollständig be-
stellt. Agamemnon — so deuten wir psychologisch — hörte in
der besagten Stimmung des Diomedes Aeusserung, und wurde
durch die in der Abweisung liegende Kränkung zusammen mit
den drängenden Umständen gestachelt, nun mit aller Kraft zu
versuchen, was er ohne den llochmüthigen vermöge. Bei dieser
Auffassung des Hergangs meinen wir, Homer habe dem sangui-
nischen Helden eben weder früher noch später, sondern gerade
in Folge dieser demüthigenden Erfahrung diese Aristie zugelheilt.
Dabei konnte er jenen zwiefachen Plan des Zeus einwirken las-
sen. Während der Siegesbahn des Hektor konnten doch die
Helden des jetzt gezüchtigten Heers im Sinne des Gottes und der
Sage für die künftige Wendung am Leben erhalten werden. Aber
es konnten so auch in der Neudichtung der früheren Lieder von
ihnen ihre den Hörern bewussten Charaktere behalten werden.
Die Anerkenntniss solcher früheren Lieder giebt hiernach mit der
Anerkennung des sie neugestaltenden, fortschreitenden Dichter-
geistes zusammen, allein den richtigen Standpunkt für die Auffas-
sung. Wir finden in der so mannigfach bedeutenden Erzählung
der vom Anfangstheil benannten elften Rhapsodie die sprechendsten
Beweise für die Zusammenfügung, aber wir erkennen hier auch,
wie schwer es ist, von der Geschichte des uns jetzt vorliegenden
Ganzen uns eine Vorstellung zu verschalTen. Zu einer solchen
Geschichte gehört aber auch die Dichtung von Episoden und die
spätere Einfügung solcher in das schon vorher vorhandene Gedicht.
An keiner zweiten Stelle der Ilias ist das irregehende Bemühn,
das zusammengefügte Gedicht und die vorherigen Einzellieder
wieder aufzulösen thätiger gewesen, als an dieser, an keiner aber
auch eigenwilliger und gewaltsamer.*") Die Gewaltsamkeit lag
88) Die gereclilc und umsichtige Würdigung dieses Verfahrens voU-
zoK Bäumleiu in Zcilschr. f. Alterlh. 1850. Nr. L9. S. 145—148. Ruhigere
377
besonders darin, dass die poetische Erfindung, durch welche der
Dichter den Anfang der Annäherung des Ilaupthehlen zum Grie-
clienhccr geschehen Hess, dass der Anlass, wodurch diese An-
näherung vermittelt wird, die Sendung des Patroklos und die
Wegführung des Ai'zles Machaon durch Nestor, dass, sagen wir,
diese allerdings in ihrer Ahsichtlidikeit unverkennbare Erfindung
.verkannt und verkehrt ward. Es ward damit eine Auflösung des
Organismus in einzelne Stücke versucht, Avelche in der äussern
Geschichte der Gedichte die Rücksicht auf das Bezeugte, in der
innern Prüfung die Willigkeit zu empfänglichem Eingehn ver-
säumt und ein Relieben eigener Voraussetzungen dafür geltend
macht.*^) Später erst können wir die Angemessenheit der orga-
nischen Erfindung nachweisen, welche durch die Verwundung
des Machaon die Sendung des Patroklos an Nestor und damit
jene Annäherung vermittelt. Betrachten wir zunächst das Vcrhält-
niss der Aristie des Agamemnon im Verlauf der Handlung und
die Beschaffenheit der Partie des Gedichts, wie sie vorliegt.
Wir empfinden, meine ich, bei dem thatsächlichen An-
schluss des Morgens, wo Aganuumion hervortritt, an den vor-
hergehenden Abend, wo Diomedes angerathen hat, was Jener
ausführt, also den des elften Gesanges an den neunten, einen
Vermiss an deutlicher Molivirung. Nach der homerischen Dar-
stellungsweise muss man bei diesem so grossen und bedeutenden
Umschwung erwarten, dass der Dichter den Agamemnon seinen
erregbaren Charakter nicht blos durch seine Ermannung im
thatsächlichen Erfolg bewährend dargestellt habe, sondern auch den
Wandel erzählt und an ihm selbst habe erscheinen lassen. Wie
die zum Gegenthcil umschlagende Natur in jenen beiden Scenen
diesen Umschlag selbst ausspricht, so erwarten wir, dass hier der
Eindruck, den die Abweisung auf dieses Geniüth macht, durch die
fortgehende Handlung nnt eigener Aeusserunof anschaulich "e-
IJelrachtuiig, die aber bei der unabw^eisliclici) Anerkennung dos Diclilor-
gciiius (loci) Aiistössen zu viel llauiii giebt, s. bei A. Jacob: lieber Kiilsleli.
der llias und Odyssee. Berl. 185Ü. S. 247 — 252.
89) Wie der niehrbezeicbnete Boridiardy IL, 1. 134 erkennl: ,,Ks ist
unmöglicb, so weit auseinander gelegte Stücke, wie manclic versuclilen
(z. B. 8, 1 — 51 mit B. zu Anf. Renn. S. ü3 oder wie Lachuiann 11, 557
mit 14, 402), zu verkitten".
378
macht Morden sei. Naturgemäss erfolgten da zwei Stufen; erst
verniullilich Niedergeschlagenheit mit Aergerniss gemischt, dann
in Beachtung des vernommenen Rathes und der Lage des Heers
Ermannung und nicht stumme. Die jetzt dazwischen folgende
Erzählung zeigt den Agamemnon in der Nacht, wie er schlaflos
nach der entsetzlichsten Aufregung sich aufmacht, den Nestor zu
suchen, und wie ehenso Menelaos in Sorgen ihm entgegen kommt
und man ausser mit Nestor mit andern zusammengerufenen Hel-
den ])ei den ausgestellten ^Yächtern eine Berathung hält, Mas zu
thun sei. — In dieser allerdings sehr lebendigen Erzählung hören
wir auch Etwas, was wir im Sinne des Dichters verlangten, Aga-
memnon spricht seine Besorgnisse um das Heer gegen Nestor
— nur freilich wieder zu stark — aus, 93 — 95., Nestor aber er-
wiedert zwar ganz in seinem bewährten Charakter mit seinem
besonnenen Vertrauen, Zeus werde dem Hektor gewiss nicht alle
seine Gedanken erfüllen, sondern dieser werde gewiss noch in
Leid verfallen, zumal wenn Achill seinen Groll aufgebe.
Mit dem Letzteren aber spricht er ein Vertrauen aus, zu dem die
jüngste Erfahrung nicht im Entferntesten stimmt, und ebenso
wenig wirkt auf die Lage des Heers oder Stimmung des Agamemnon
das, was nun weiter nach dem jetzigen Texte geschieht, und (in
Episode) durch das nächtliche Abenteuer des Diomedes im Bunde
Odysseus erzielt wird. Da ergiebt sich denn das von Vielen aus-
gesprochene Urtheil als richtig, dass die Episode ein späteres Ein-
schiebsel, und die Einfügung, welche auch erst den Redactoren des
Peisislratos zugeschrieben wird, eine ungeschickte sei."") Dass dem
90) Bernhardy, Gr. Litter. II., 1. 1.33 unten. Rilschl Alex. Bibl.
S. ()2. A. Jacob, Ueber die Entsich. der Ilias. S. 143f. 147. G. Cur-
lius, Alldeut, über den Stand der lioiner. Frage. Wien. 1854. S. 28.
Düntzer in Philol. XII. 41 — 59, der auch die von Bäuniloin versuchte
Vertheidiguiig (Zeitschr. f. Allerlh. 48. S. 341—343. vgl. Philol. XI. 3.
420) W'ideilcgt und überhaupt die Unmöglichkeit der Echtheit auf das
Eiiigcliciulste darlliut. Er iiiucht dabei auch vom Urtheil des Verfassers,
Sagenp. 224f. , Gebrauch, indem er den 10. Gesang ohne Weiteres aus-
scheidet; aber was er der hier wiederholten Erwartung mehrer Motivirung
enlgegensclzt, halte ich nicht für richtig, nämlich: „Anzudeuten, wie
diese Reden auf Agamcmnons Gemülh gewirkt, liegt nicht in homerischer
Weise; es gnflgt diesem kurz auziigclten, wie eine Rede die Versammlung
ergreift; dass Agaiuemnoii Nichts zu crwiedeni hat, deutet auf dessen Zu-
stimmung , die 9, 710 und 711 in der allgemeinen Bezeichnung mit ein-
379
Feinde durch den üeberfall des thrakischen Lagers Schaden ge-
schehn und ein Paar sehr vorzüglicher Pferde erbeutet \var, also
das Abenteuer in so weit einen glücklichen Erfolg hatte, dies
bedeutete für den Stand des Heeres gegen Hektor Nichts, und
die moralische Wirkung, welche nicht einmal ins Licht tritt,
kann die Nichtübereinstimmung mit dem Fortgang der Erzählung
nicht übertragen. Auch wenn man das Gesetz, welches der
Dichter bei seinen Episoden befolgte, bis zum losesten Zusam-
menhang lockert, wie es Zimmermann Begr. d. Epos 119. zuläs-
sig zu finden scheint, oder die Aufnahme vorhandener Einzellie-
der sich so unbemessen vorstellt, wie Bäumlein thut: immer
überwiegt die Nichtsnutzigkeit des Erfolgs und die Verwirrung der
Umstände in der Erzählung. Eher kann man den Mangel der
Motivirung nach der bei andern Stellen gemachten Bemerkung
erklären (Jacob 100): „Der epische Dichter habe, wie der dra*
matische, nicht überall die Verpflichtung, die Beweggründe oder
die Folgen der Handlungen seiner Personen ausdrücklich anzu-
geben, sondern ihm genüge eine solche Darstellung derselben,
dass sich aus ihr jene von selbst unzweifelhaft erkennen lasse".
Im vorliegenden Falle hätte der Dichter diese Weisung blos durch
die Stelle gegeben, wo er die sich hervorthuende Tapferkeit gerade
des Oberfeldherrn eintreten lässt. Bei der umittelbaren Folge
der Ausführung auf den Rath durfte der Hörer, um den Beweg-
grund hinzuzudenken, sich nur den sanguinischen Charakter des
Agamemnon und die ihn aufregenden Umstände vergegenwärtigen.
Aber man denke sich die 10. Rhapsodie auch ganz weg; es
dürfte doch dieser so Itedeutende Umschwung und Charakter
nach Homers Art eine Oflenbarung in Worten erwarten lassen;
sie ist also wohl durch das Einschiebsel verdiängt.
geschlossen zu deukcn ist". Es ist nur zu erinnern: die niögliciicn Ilechl-
lerligungsgründe, wie, dass diese Tluaker nach 434 und 558 kürzlich
erst angckoininen und die irülieren Führer, welche, 2, 882, Ireiüch alleiu
genannt werden, Peiroos, 4, 527—536, Aknnias, 6, 8, schon voriier ge-
fallen sind, von den neuen Rhesos, hier 10, 495 und 559, gelödlel wird,
so dass inu- llipiiolaon ührig hlcii)t; d.iss forner das 4301'. 550 f. so ge-
rühmte Gesp.iiui doch dem göUhcher Ahkunft chen so nachgeslamion
liabe, wie andere von Diomcdcs crheulele, sie sind an sich sciiwacli,
Wtcgen aber die wescnlliclien Verwerfungsgründe gewiss nicht auf.
3S0
14. Fortsetzung. Die Verwebung der Aristeien, und
die Benennung der R li a p s o d i e e u .
Dlt sich liervorlliiicnde Agamemnon wird, wie es Zeus dem
Heklor nach seinem IMan ausdrücklich veraussagt (1911.), bald
verwundet. • Dieser nur zeitweilige Erfolg konnte als eine Ari-
steia benannt werden. Wie das Zeitwort {aQiöTSveiv) nur den
Sinn persönlicher Auszeichnung hat, da vielfältig ein so sich Ilervor-
Ihuender, ^^ährend dessen getödtet \\ird, so findet der Begrifl" des
Hauptworts seine Anwendung ebensowohl auf eine dem Falle
vorhergegangene kürzere BeN\;ihrung, als auf eine vom hervor-
leuchtenden Helden vollständig ansgcführle Grosstliat."') Im er-
steren Sinne haben die Gi'iechen drei Partieen der Ilias als Ari-
steien ausdrücklich bezeichnet; des Diomedes, des Agamemnon,
das 3Ienelaos Aristie sind die Bencinnmgen des 5., 11. und 17,
Gesanges. Gerade an ihnen erkennen wir aber Beides, sowohl
dass dergleichen Hervortreten Einzelner der Partie der Erzählung
zwar ein concentrirtes Interesse und die oben besprochene Selb-
ständigkeit giebt, als dass sie dabei so in den Fortgang der Hand-
lung rückwärts und vorwärts verwebt sind, dass es sich ganz
unthunlich erweist, sie jetzt noch als blos eingereihete Einzel-
lieder zu betrachten, welche man wieder abheben und ohne Willkür
aus ihrem Zusammenhang lösen könnte. Es sind ja hier Heere,
sind ^^echselnde Phasen des Völkerkriegs. Der Kriegsbrauch der
Heldenzeit brachte schon an sich viel Einzelkämpfe mit sich,
Massenkämpfe entbehren der Klarheit. Daher erscheint Homers
bildnerische Kunst eben in der Anschaulichkeit und Durchsich-
tigkeit der Kriegsscenen wie er, wenn die Heere einander entge-
gen rücken und der allgemeine Kampf sich erhebt, zuerst dieses
Allgemeuic mit lichten Zügen schildert, dann beim Zusaujinenstoss
eine Anzahl von Helden in Einzelkämpfe so zu sagen in mannig-
91) Das Zeitwort: II. 7, 00. 11, 50G. 15, 400. und nach den In-
halten der nachliomerischen Epoiiöen wurde bei solclier Erweisung Pcn-
thesileia von Achill, Eurypylos von NeopLulcuios erlegt. Das Hauptwort
im zweiten Sinn fand stall bei den Känijd'en des iilloren Ilcldengescliloclils,
und wo sonst in Poesie untl Gcscinciile Kricgslielden dergleichen nach-
zurühmen war. So werden Aristeien der Lyder, des Pillakos, des Scipio
genannt und sind preiswürdige Thatcn. Die erste Bedeutung, welche
gerade für Homer gilt, verabsäumlc der Verfasser ehedem. Pi'iif. Me-
let. n. XIV.
38t
fache Scene setzt und erst ans deren j^lilte den Einen sich Hervor-
thuenden hervortreten lässt. Am Ende verläuft dann die hesonderc
Partie in den- allgemeinen Forlschrilt oder es geht der eine Zeit
lang Hervorragende in die andere Menge zurück. Auch giebt es
leicht andere Uehergänge, auch Parallelhandlungen etwa olympi-
scher und irdischer Geschichte, was Alles zu jener Verwebung
gehört, lieber dem Ganzen aber schwebt die Idee, ^velche die
Handlung beherrscht. Jedoch fragt es sich auch in solchen Par-
lieen, ob nicht Einschiebsel geschehn sind, so wie in der Aristie
sich wohl Spuren älterer Darstellungsweise finden können, als
die eigentlich homerische.
a. Die Aristie des Agamemnon.
Die Aristie des Agamemnon hat, als zweitweiliger Vorkämpfer-
gang eines einzelnen Helden betrachtet, einen so glänzenden
Eingang wie keine andere, abgesehn natürlich von dem Hervor-
treten des Patroklos und vollends des Achill, welches ja Beides
als dem tragischen Zorn und der Annäherung des Achill ange-
hörig nicht in Vergleichung kommt. Allein dieser einzelne Held
ist eben der Oberfeldherr, und ist damit und durch die Lage der
Dinge der Vordermann des ganzen an diesem Morgen neu und
mit besondrer Heftigkeit ausbrechenden Krieges. Eben daher
wird sie durch die Maassregel des Zeus eingeleitet, wie er die
Heere durch den Dämon des Streits selbst mit Kampfbegier er-
füllen lässt — die Verse 13 und H aus 2, 453 f. Dos ganze
Heer der Achäer wird von dem Feldherrn in die streitbare Be-
wegung gesetzt, Zeus aber giebt das Vorzeichen eines blutigen
Tages. ^^) So erkennt der unbefangene Leser auch in der so
reichen Schilderung der Waffen und der Bewaffnung jenen oben
erläuterten Gebrauch Homers, das Mehr oder Weniger der Be-
schreibung nach der Bedeutung für die Handlung abzumessen.
Er hat diese seine Weise hier in der Verwenduns der älteren
92) 11, 53, sowie 10, 450 Rhilrogcn, „mit dorn liier Zeus die Er-
eignisse der zweiten grossen Sclilaclil sclirockcnvoll vorliedculcl". Niigels-
b.'ich, Iloni. Theol. 149. Die Roniorknng bei Jacob S. 243. Zeus lässt —
oltonein, ohne dass .Tcniand Etwas davon merkt oder sagt — Blnl roj^ncn,
sin darf man unljognindot nennen ; die p]rz;ildung will in manchen Zügen
nicht materiell, sondern dcutsam verslanden sein.
382
Kloinoren Lieder befolgt. Diese Arisleien tragen die Spuren ilu'er
friilieren Existenz als Einzellied noch an sich; der Anfang, die
ausführliche Beschreibung, erscheint herübergenomnien. So
gewiss nun als diese bebende Färbung des Auftretenden als solche
hier ganz an ihrer Stelle ist, so hat sie doch einen andern Ton
und Geschmack, in den gehäuften Zahlen der Metallstreifen und
der Mannigfaltigkeit dieser ein grobsinnlicheres Streben als dem
Homer beizumessen richtig scheint. Sind aber selbst die Verse vom
Panzer, dem gewiss prächtigen Gehenk, doch wohl niclit später
erst eingeschoben, geschweige die vom Schilde, so hat der Dich-
ter diese Schilderung eben beibehalten.'*^) Nach der Angabe des
beiderseitigen Vorrückens, 47 — 66, und des anfänglich gleich
stehenden Kampfes, 84 fr., dann der von den Achäern durchbroche-
nen Schlachtordnung der Troer, 90, also einer dermalen für die
Achäer glückliche Wendung folgt, 91 — 180, das Vorgehen des
Oberfeldherrn. Da folgt erst eine Reihe gar lebensvoll gezeichneter
einzelner Erfolge, worauf mit kurzer Bezeichnung des allgemeinen
Kampfes, 148 — 157, als Gesammtwirkung des sieghaften Helden
die Flucht der Troer gegen die Stadt hin erzählt wird. Dies ist
der Gang der wirklichen Aristie, es ist ihre Höhe erreicht, das
Weitere wird in eigener Weise gestaltet von 181 an. Die fliehen-
den Troer, zwei Haufen, deren einer sich schon weiter gerettet
bat und sich jetzt ordnet, der andre hinter diesem nocli vom
Agamemnon gejagt, sie 'sind noch etwas von der Stadtmauer ent-
fernt, die Letztern fliehen ihr noch erst zu. Da könnte nun eine
Wendung und in der Sprache eine Satzform eintreten, wie wir
sie 1 1, 310. 6, 73 ff. 8, 217, 5, 679 f. und öfter finden. Der Sieges-
lauf des Agamemnon konnte, da ihm die Schaaren folgten, wenn
nicht wie der des Patroklos die Gefahr der ^^ irklichen Einnahme
93) Den Schild des Againomnoii s. niif dem ivaslen des Kypselos,
Paus. 5, 19, 4. — Das Urllioil, welches Jacob S. 242f. vgl. iiiil S. 205
fällt, ist aus zu wenig Unisiclil und Bcaclilimg der hier in Bolraclil
kommenden Momente hervorgegangen. Der Schild des Acliilles im 18. Ge-
sänge stellt und entstellt uiiler gänzlich verschiedenen Uinstäiiden der
Handlung und der Darstellung. Es hat dieser Verfasser sogar die Dedeii-
tung der ausführlichen Besclireihungeii nicht erkannt, die Anrufung der
Musen, welche auf Treue des Gedächtnisses geschieht: „wer zuerst",
ungenau gelesen, überliaupt vorschnell geurllicilt.
383
(16, 698), doch die bringen, dass die Troer wieder wie vordem
in die Älaueru eingepfercht wurden und die Stadt mit Ilungers-
noth heimgesucht (18, 286 — 292). Der Hort der Stadt und
Führer ihres Heers, Hektor, stand da dem Dichter und seinen
Hörern vor der Seele als der, welcher diese Gefahr wahrnehmen
und dem Agamemnon entgegentreten müsse, und seinem Sinne
nach werde er also herbeieilen, da er vorher von Zeus wegge-
führt ist, 11, 163,^") durch Fernwirkung (?). Aber es kommt
eben in diesem Äloment Zeus (182 f.) auf die Höhen des Ida und
sendet eben jetzt das Geheiss an Hektor, sich so lange fern zu
halten, wie Agamemnon im Vorderkampfe sei. Wie der gcslachehe
Agamemnon jetzt so gewaltig ist, will Zeus nach seiner Absicht
dem Hektor Aveiteren Erfolg zu geben, ihn nicht gefährden, so
wenig als beim Vorbehalt für die Zukunft den Agamemnon. Also
nach der Parallelangabe von Zeus, 182 — 210, thut Hektor das-
selbe wie 5, 399 ff. und 6, lOSlT., er waltet anregend umher —
dann, wie wir zu verstehen haben, geht er eine Weile abseits
(bis 284). Die beiderseitigen Heere jedes sammelt und dichtet
sich wieder, und wieder tritt Agamemnon aus dem achäischen
hervor, ihm aus dem troischen entgegen zuerst Iphidamas, 216
bis 221.
In der Nähe der Stadt ist dieser zweite, kurze Akt der Ari-
stie. Der Dichter ruft die Musen an, wie öfters, weil es beson-
ders treuen Gedächtnisses bedarf, um etwas ganz Bestimmtes
genau anzugeben. ^^) Der Kampf mit dem in diesem Akt zuerst
94) Die V^erse 1G3 und 1G4 sind eigener, wolil Bedenken erregender
Beschaffenheit; wie und wohin hat Zeus seinen Scliülzliiig gefiiln'l? Was
der Schol. B. zu diesen Versen lieinerkl: „Gcscliiekt erzählt ist dies, dass
er dem Agamemnon erläge, würde der Diclilung (dorn Plan des Gediclils),
dass er selbst ihn nu'ede, der KühnlieiL des lleklor entgegen sein; schön
also sagt er, Zeus liahe ihn weggcfiihrl, da er, war er dabei, von dem
Gewaltigen Etwas erlitten hätte". — Dies passt erst auf die ausdnickliclie
Wegweisung, und es fragt sich, wie diese zur Wegfülirung jener Verse
sich verhält. Fäsi fasst beide als eins; wie dies? Ich möchle die Verse
für unecht halten. Der Diaskeuast wollte die Wundcrmacht des rellenden
Zeus recht beredt und stark zeichnen.
95) Wie auch 14, 508. 16, 112. In allen drei Sleilcn gehl die Anrufung
ausdrücklich auf ein: wer zuerst, und elienso auf bestimnile Kinzelne, 2,
701. Hier ist also die Ti'euc der Grund, andiwwärls, wo es eine grosse
_^ 384
l)ogognenden Ipliid.'inias giol)l, den Anlass zu der Verwundung
des Agamemnon, welche ilin nötliigl, vom Kampfplatz zu seinen
Zelten zu fahren. Iphidamas AAird von ihm gelödtet und ge-
plündert. Dessen Bruder Koon aher trifft ihn am Unterarm,
und die hesonders schmerzhafte Wunde macht seiner Ruhmes-
bahn für jetzt ein Ende. Doch zuvor fällt auch Koon noch von
seiner Hand.
Durch die so haldige, für den Augenhlick lähmende, aber
nicht schwere Verwundung des Agamemnon ist des Zeus Be-
stimmung erfüllt. Ilektor nimmt es sofort wahr, und erhebt
wieder seine anfeuernde Stimme, 2S4f. Dann fällt er an und
tödtet zehn kurz genannte Führer und eine Menge Volks, die
ein Gleichniss beschreibt.
Hier treten Odysseus und Diomedes ein, im Fortgang erfol-
gen dann die Verwundungen dieser Beiden mitten im tapfersten
Kampfe. Es ist aber hier zunächst von den andern beiden aus-
drücklich benannten Aristieen zu handeln.
b. Aristie des Diomedes.
Diomedes thut sich nach naiurgemässem Kriegsgang im Ver-
laufe des ganzen Kampfes hervor , w elcher am ersten Tage nach
der Musterung beginnt, 4, 419 fr. An den Ausgang dieser Muste-
rung vom Dichter gestellt, gieht er so zu sagen das Vorzeichen
des beginnenden Kampfes durch seinen Sprung vom Wagen.
Nach der lebendigen Schilderung des Zusamnienrückcns der
Heere, 422 — 456, erscheinen, Jeder mit einigen Zügen, welche
])esonders die Besiegten charakterisiren, gezeichnet, Antilochos,
Vielheit gilt, die Stärke, 2, 484 — 493. Eine ihetorische Formel der Au-
deulung einer grossen Menge ist: wen zuerst, wen zuletzt, 11, 299. 430.
5, 703. 16, 692, aber auch eben den Ersten nur mochte der Dichter nicht
immer mit Anrufung der Musen finden, 8, 273. Jene Anrufungen um der
Treue willen erfolgen immer inmitten einer Erziddung, und es war eine irrige
Meinung, als wären diese Anrufungen noch zu erkennende Anfänge einzel-
jier Lieder, Osann Anecd. Rom. p. 265. Und chenso wenig richtig urlheilt
Fäsi zu unserer Stelle, und noch weniger .Tacoh, Entsteh, der Ilias, 242.
„Darauf werden dic3Iusen angerufen, um die von Agamemnon Erschlagenen
zu nennen, und doch sind dies nachher nur zw'ci". Nicht lun die Er-
schlagenen, sondern den Einen Ersten, und wenn gezählt sein soll,
kommen die zwei zu den vorigen.
385
der lelamonische Aias, Odysseus während Apollon und Athene
beiderseitig einwirken, auch Thoas gegen Peiroos, 518 — 538.
Jelzt — nach der gramniaüschen Ahlheilung zu Anfange des 5.
Gesanges — 5, 1 — 8, die glänzende Erscheinung des Diomedes,
worin wir den Eingang eines früheren Einzellieds erkennen. Er,
von 4, 419 her zu Fuss, I3ff. , besiegt ein Brüderpaar zum
Schmerz der Troer, 27 f. Schlau und im Interesse der Griechen
und besonders des Diomedes beredet Athene den Ares, ruhig
zuzusehen,**^) wie ihn, 355, Aphrodite findet, während ihn erst Apol-
lon, 454, aus dieser Ruhe aufregt. Hierauf wird in Ankündigung
der Wirkung des Folgenden gesagt, die Troer seien den Achäern
gewichen, 37, Dies wird erklärt durch eine Reihe einzelner Tha-
ten, 38 — 42, des Agamemnon, 43 — 48, des Idomeneus, 49 — 58,
des Menelaos, 59 — 68, des Meriones, 69 — 75, des Meges, 76 bis
83, des Eurypylos, d. i. der meistens auch sonst genannten Streit-
barsten, Doch wo ist Diomedes? Ihn beisst es, 85, konnte man
überall sehn, wie ein Waldstrom warf er Alles nieder. Auf den
Daherwüthenden schiesst jener Pandaros seinen Pfeil ab und
trifft ihn an der Schulter nicht ganz leicht, so dass er sich den
Pfeil ausziehn lässt und seine Athene anruft. Von ihr gestärkt
und ermuthigl hat er dreifachen Muth und erlegt nun, 144 — 165
vier Paare, je zwei Kämpfer und Wagenführer, Jetzt gesellen
sich Aeneas und Pandaros und fahren ihm entgegen, eine
Scene voll dramatischen Lebens, 166 — 273, Prahlend wirft
Pandaros seinen Speer auf Diomedes; doch der prallt vom Pan-
zer ab. Dafür schleudert Diomedes sein Geschoss auf ibn, und
dieselbe Athene, welche, 4, 92ff. , den Manu zum treulosen
Schuss auf Menelaos verführt halte, sie lenkt den Wurf (290)
96) Diese Aiigal)e ist ;illor(lings eigonthiimlich. Ares und Athene, die
beiderseitigen Kriegsgöllor, luillen sie nur die erste Anregung gobensollen,
4, 439? Aber Athene ersclioinl sclion 125 — 132 dem Diomedes persön-
lich ; süirkt ihn und giehl ihm Anweisung für die nächste Begegnung mit
Aeneas und Aphrodite. Diomedes verwundet etwas weiter hin die Aphro-
dite, 335 f. Und als sie dies im Olymp klagt, sagt Zeus, der Krieg sei
des Ares und der Athene, nicht ihre Sache. Genug, wir müssen jene
Ueherredung als eine List der Athene erkennen und zwar vornehmlich zu
Gunsten ihres Diomedes. Eiideuciilcnd a])er ist das Verhällniss der beiden
Kriegsgölter in der nacinnaligen Erzählung, wie Athene den Ares bewäl-
tigt, und später im 15. Gesang ilm zurückhält.
Nitzsoh, Gesch. d. gi iech. Epos. 25
_ 386
dass Pandaros stürzt und das Gespann scheuet, 294, welches
nach nachgehrachter ParaUele Kapaneus Sohn erfasst, 319, wie ihn
Diomedes geheissen, 263 fl". Aeneas, bemüht den Leichnam zu
retten , wird von Diomedes mit einem gewaltigen Steine an dem
Hüftgelenk getrofl'en, und wia er in's Knie sank, halte Diomedes
oder ein anderer ihm den Garaus gemacht, wenn die Mutter
Aphrodite ihn nicht gedeckt hätte, 315 — 317.
Jetzt verfolgt Diomedes die den Sohn wegtragende Göttin,
die er nach der ihm von Athene gewordenen Weisung (127 bis
1311.) sich nicht scheut zu verwunden. Beim Stich in den
Arm lässt sie den Sohn fallen; ApoUon zieht ihn empor. Die
hier eintretende Parallelerzählung von der Aphrodite Rückkehr
in den Olymp, ihrer Klage im Schoosse ihrer Mutter und was
von Spott der andern Götter und sonst folgt, 352 — 431, sie unter-
bricht allerdings einen sehr prägnanten Moment. Apollon hat den
Aeneas aufgerichtet vmd hält ihn, indem er ihn unsichtbar macht,
in seinen Händen. In diesem Augenblicke stürmt Diomedes gegen
den Aeneas an, und wohl erkennt er den schirmenden Gott; aber
in der Heftigkeit, mit der er immer erscheint, namentlich den
Donnern des Zeus, 8, 170 f., so schwer weicht, stösst er ihn
hier, wo ihm der Schutzgott den schon Geschlagenen entreissen
will, so lange als hinter einander drei Stösse dauern fort und
scheuet diesen Augenblick lang den grossen Gott nicht; da ruft
ihn Apollon heftig an und nun geht er zurück.*^') In der präg-
nanten Handlung versetzt Apollon den wahren Aeneas in seineu
Tempel, wo er von Artemis und Leto gepflegt wird, auf dem
Schlachtfelde schafft er ein Schattenbild des Entrückten , um das
nun Troer und Achäer streiten.
Jetzt nach der Begegnung mit dem heftigen Diomedes ruft
Apollon, der Stadtgott, den Ares aus seiner Ruhe auf, dass er
jenen hemme, er selbst nimmt auf der Biu'g Platz, 454 — 460.
Ares, der in Thrakien heimische (13, 301), ruft in Gestalt des
thrakischen Akamas (6, 7) die Söhne des Priamos zur tapferen
Abwehr (5, 464 fl'.), zunächst zur Rettung des Aeneas auf als
97) Er vergriff sich zwar nicht nnApollon scihsl, liesssicli al)or (hircli
dessen Nähe auch (diesen Augenblick lang) nicht von weiteren Angrilfen
abhalten; handelte also der Vorsclirifl iler Athene, 130f., (insoweit)
387
wäre er schon gefallen — nach den Scholion nicht in Unwissen-
heit, sondern um noch mehr anzufeuern.
So weit sehn wir guten Fortgaug. Aber statt dass nun die
aufgerufenen Sohne des Priamos sich sofort zeigen sollten, und
zwar in Folge jenes Aufrufs des Ares, erscheint in unserm Text
Sarpedon und spricht gegen Hektor eine Mahnung ganz ähnlichen
Inhalts aus, wie die vorliegende des Gottes. Das kann nicht
vom verständigen Dichter kommen. Eine genauere Prüfung lehrt,
dass in Homers Anlage mehrfache Einschiehsel zu Ehren des Sar-
pedon geschehn sind, und zwei solcher eben in diesem Gesang
hier, 470 — 492, dann 628 — 698.«*) Wir haben nur 493 in den
Anfang des Verses statt Sarpedon Akamas oder Ares gesetzt zu
denken, sonst geht die Erzählung gleichmässig fort. Der d'.irch
die Ausscheidung der beiden Stellen gewonnene Gang zeigt den
Hektor von Ares angeregt, wie er und neben ihm der Gott und
der zur Freude der Troer frisch und gesund wieder erscheinende
Aeneas den Kampf erneuen, während andererseits (519) mehre
achäische Helden, mit denen Diomedes nur genannt wird, und vor-
züglich Agamemnon (528) die (brigen antreiben. So folgt nun ein Bild
des allgemeinen Kampfes anschaulich und l)elebt durch Thaten
Einzelner, von denen auf jeder Seite wieder Einzelne mehr her-
vorgehoben sind, als Andere. Weiterhin hat dem gefährdeten
Menelaos Antilochos sich zugesellt; vor ihnen weicht Aeneas,
751 f. Sie aber erlegen das Heldenpaar eines Wagens. Diesen
Fall erschaut Hektor und führt mit Kriegsruf die Schaareu auf
sie zu, und Ares ist wieder in i übrigster Thätigkeit um ihn
(593 — 595). So sieht ihn Diomedes und weicht vor dem Mann,
dem immer ein Gott zur Seite steht (603), eben dieses Be-
gleiters wegen und gebietet so auch seinen Leuten. Hektor
dringt heran und tödtel zwei. Aias rächt sie und will den
von ihm Gefällten aucli plündern (621 ff.); doch ein Regen
von Pfeilen treibt ihn zurück , so gewaltig er isl. Gerade
dieselbe Lage ist hinter der hier eingeschobenen Episode
vom Sarpedon und Tlepolemos, die Achäer müssen weichen
vor Ares und Hektor (699), die jetzt eine grössere Zahl nieder-
98) (jcnaiier im Progr. von Gisekc: Qiiaorilur, luiiii (|iias lielli Trojaiii
partes Ihtmerus nnn ad veiilahMii iiarrassc viilcaliir. iMtMiiiiigen, 1S54.
S. 5 f. A. Jacoli, Enlslcli. d. II. 2(r,i. Vv. Vieles daliei iiiclit zu Biiligcndes.
25*
388
strecken. Dadurch schmerzlich betroffen (711), machen Here
und Athene sich auf, dem rasenden Ares Einhalt zu thun. Beide
— nach des Dichters Brauch durch Beschreibung gehohen — Here
mit ihrem Wagen, Athene in voller Biistung — sie fahren zunächst
zu Zeus, um dessen Genehmigung ihres Vorhabens (755f.) ein-
zuholen. So autorisirt, den Ares zu zahmen, fahren sie schnell
wie der Gedanke zum troischen Felde (773 — 777). Hier ent-
eilen sie im Schwünge des Taubenfluges zu der Stelle des Griechen-
heeres, wo eine Anzahl der Besten um Diomedes versammelt ist
(781). Here lässt ihre Stimme gleich der des Stentor erschallen zur
allgemeinen Anfeuerung, die sie durch die Hinweisung verschärft,
wie anders jetzt die Troer sich vorwagten, als in der Zeit, da
sie noch des Achill schreckliche Lanze gefürchtet. Athene da-
gegen eilt sofort zu ihrem Diomedes hin (793). Sie findet ihn
jetzt an der Wunde des Pandaros, welche ihre vorige Stärkung
ihm unfühlhar gemacht hatte, wieder mehr leidend; das Schild-
gehenk drückt heiss auf die verwundete Schulter, eben hob er
den Biemen und wischte sich das Blut ab (798). Die Göttin
muthet ihm auch so allen Kampfmuth zu und mahnet ihn so an
seinen Vater.^^) Er erw ledert, gerade aus Gehorsam gegen ihr
Gebot keinem Gott entgegen zu treten ausser der Aphrodite,
er weiche vor Ares zurück. Da heisst ihn die jetzt wider den
wüthigen Gott Aufgebrachte im-Gegentheil, auf Ares das Gespann
zu lenken und loszustossen. Schon bei diesen Worten zog sie
den Wagenlenker Kapaneus herab, stieg auf neben dem Diome-
des, erfasste Zügel und Peitsche und hielt auf Ares. Der Helm
des Aides macht sie auch dem Gott unsichtbar'"") Ares wird n)il thä-
tigster Hilfe der Athene von Diomedes verwundet und schreit wie
neun- oder zehntausend Krieger. Dieses Schreien wird ebenso dem
99) Dass hier die Göttin, in 4, 370 Agamemnon den Diomedes, wo sie
ihm Mangel an Kampfmuth Schuld gehen, ilin durch Mahnung an seinen
Vater aufrufen, ist, zumal hei ganz verschiedenen Wendungen, nur natür-
lich. Eher wäre zu hemerken, wie die Göttin nur kurz an die llauptthal
mit dem Gegensatz ihrer Warnung erinnert.
100) Ohne irgend weitere Untersuchung ül)er (hesc Tarnkappe der
griechischen Sage ist nur gegen A. Jacoh, Entsteh, der Ilias 200 zu he-
merken: Die Vorstellung, ,, Athene hahe üher ihren grossen Helm sicii
den noch grösseren des Hades aufgesetzt", gieht eine unstaltliafte Aus-
deutung. Dieser Hehn will nicht so materiell verstanden sein.
389
Poseidou, 14, 148, beigelegt, ^vo die Hyperbel minder schicklieb
ist, für den Aufruf zum Kriegsmiith als hier, wo es Schrecken
erregt. Denn Züge einer riesigen Natur finden wir in der Dar-
stellung der Gölter öfters.*"') Der verwundete Gott fährt zum
Olymp und hört von Zeus, wie widerwärtig er dem höchsten Gott
mit seinem wilden Charakter ist. Athene und Here kehren,
nachdem sie ihre Absicht erreicht haben, eben dahin zurück.
So ist die zwiefache Siegesbabn des Diomedes zu Ende.
Insofern mm, wenn wir eben nur seine eigentlichen Thaten
rechnen, er in zwei Aristeien nach einander geschildert ist, kann
eine getrennte Behandlung dieser in vorbomerischen Liedern für
möglich gelten. Allein in der vorliegenden Folge steht die zweite
im natürlichsten Zusammenhang mit der ersten. Ares, den Rek-
tor umgebend und um ihn her schaltend, wird Ursache zum Gange
(1er Göttinen und zum Eifer der Athene, indem sie mit ihrem
Diomedes den wilden Gott selbst angreift. Dieser eigenthümlicb
mittelbare Kampf der achäischen Kriegsgöttin gegen den troiscben
Gott wird unstreitig schon älter sein; aber fälschlich fand man
in dem offenen Verfahren der Göttin gegen ihren Betrauten et-
was Abw eichendes.'"^) Es hat die ganze Erzählung ihren moti-
virten Forlgang und dies, wie beim ersten Hervortreten des Vor-
kämpfers, so nach desselben Zurückweichen vor Apollon (443f,) u.
s. w. Der Einzelkampf gegen den Troergott, Ares, ist geendigt
und er vertrieben, nnd auch Here sammt Athene haben die bei-
101) Einzelnes der Art gehört unechten Stellen an; so 21, 407 Ares,
was mit Od. 11, 576 nicht zu rechlferligcn ist, denn die enormen lio-
stalten der Urwelt wurden vom verständigen Dichter nicht auf die Gnltor
übertragen. S. Herrn. Op, IV. 206. Die Slinnne oder die Schrille der
Götter, wie sie sich forlschwingcn (13, 201'. vgl. 14, 227 — 230), sind
ein Anderes als die Gestalt und die Glieder. Bei 14, 272, wo die scliwö-
rende Here den Erdboden mit der einen, das Meer mit der andern Hand
berühren soll, kann der Stand auf der Insel gedacht sein. Ueber das Hun-
dert 5, 744 s. Herrn, a. a. 0. 291 und Fäsi. Anm. zu dieser wie zur vor-
hergehenden Stelle.
102) Das Genauere weiterhin. Die Götter oflcnharen sich nändicli nur
nach ihrem Willen meistens ihren Schützlingen, aber zuweilen und im Zorn
auch den Gegnern. Sie sind an sich weder unsichtbar noch siclitljar, nur
verhüllen sie sich gewöhnlich. Die Vcrlrautheit der Alliene niil Diomedes,
wie die derselben mit Odysseus in Od. 13 ist mit der der Aphrodite und
Helena in II. 3 zu vergleichen.
• 390
den Heere wieder sich selbst überlassen (6, J ). Jetzt aber, wo
Hektor und seine Troer göltlicbe Hilfe nicht mehr haben, bricht
zuerst Aias die Iroische Reihe durch Erlegung des tapfersten
Thrakers Akamas (7); Dioraedes (12) und eine Reihe Anderer
(20. 29 f. 37 ff.) tödten gleicher Weise Viele. Da sind die Troer
in Bedrängniss. Obgleich die mehren andern Helden zu dieser
Bedrängniss mitgewirkt haben, Diomedes, der heute so vor Allen
gewüthet, so Namhafte erlegt oder schwer verwundet hat, er
ist es , gegen den es gilt , göttlichen Beistand zu suchen,
und eben seine Schutzgöttin wird auch in Troia verehrt. So
tritt hier der Seher Helenes ein, dem es nach seiner Be-
gabung besonders nahe liegt , Gottesdienst anzuordnen , wie er
es nur sein konnte, der, 7, 44, das Gespräch der beiden Götter
vernahm. Er also fordert seinen Bruder Hektor und den Aeneas
auf, ihre Schaaren zum Schulze der Stadt zu ordnen und anzu-
regen, dann möge, während die Zurückbleibenden Stand hielten,
Hektor, der troische Befehlshaber, zu seiner Mutter, der
Königin, hineingehn und ihr einen Bittgang zu Athene mit Weih-
geschenk und Gelübde auftragen, dass die Göttin den Diomedes
von Ilios zurückhalte. Der Seher bezeichnet die Eurchtbarkeit
des Diomedes in Vergleichung; selbst den Achill hätten sie ehe-
dem {nota 6, 99.) nicht so gefürchtet. Helenos meint nämlich
die Zeit, da die Troer sich aus Furcht vor Achill in den Mau-
ern hielten und sich nur verstohlen und einzeln herauswagten."*')
Es ist seine persönliche Sprache, dass er den Grad der damali-
gen Furcht durch diese Vergleichung misst. Achill ist der Ty-
pus der Heldenkraft für den troischen Seher wie für Agamemnon
7, 113, wo er den Menelaos vom Kampf mit Hektor abmahnt.
Den Hektor brachte Diomedes und brachte Aias in Todesgefahr
(11, 354-360. 14, 409 — 418.), und in der ganzen Ilias herrscht
neben dem Gedanken an den mächtigen Achill der, dass die
Troer mit all ihren Helden nachstehn, und einst werden unter-
liegen müssen. Nur Zeus' Gunst für Hektor und sein jetziger Plan*"*)
103) 5, 788 f. 9, 352 f. 15, 721. Einzelne gefasst oder verfolgt:
11. 104 — 106. 21, 34 — 37. 20. 89 — 91. — Daneben die Furcht vor
seinem Wiedererscheiuen 18. 261 — 265.
104) Schol. 13. zu 11 Anf. ; „Durch die Geschicke, nicht durch die
Gesinnungen geschah es, dass die Griechen nachstanden".
391
braclile deoi Ilektor solchen Erfolg und den Griechen das
Verhingen nach Achills Beistand. So darf man nicht sagen
jenes Wort, das den Diömedes ja über Achill seihst erhebe,
könne nicht vom Dichter des Zorns kommen. Dieser hat unver-
kennbar die von Diömedes erregle Furcht als 3Iotiv gehraucht,
den Hektor nach der Stadt gehen zu lassen, Hektors Tod ist es
vor Allem, ^vas den Sageiitheil vom Zorn als Thcil der Sage
vom ganzen Kriege charaklerisirt, und wie er in der ersten Partie
als Vorkämpfer und Oberfeldherr ^'*^) geschildert wird, sollte er bei
jenem Besuch sich recht als der Streiter für's Vaterland kundgeben
als der er in der weiteren Handlung nach all ihrem sittlichen
und nationalen Geist erscheint.
In dieser Weise gehl die Arislie des Diömedes in den Gang
des Ilektor aus, den wir wohl ganz als des Dichters Erfindung
zu achten haben. Nach dem Cilat des Ilerodot 2, 116, welcher
die Verse 6, 289 — 293 unter dem Titel Arislie des Diömedes
anführt, mochte vor der Abtheilimg in 24 Rhapsodieen jener Titel
vermuthlich bis 311 bemessen werden.
0. Aristie des Menelaos.
Der 17. Gesang, welcher als die Aristie des Menelaos
betitelt ist, erzählt, nachdem Patroklos im 16. von Hektor unter
Mitwirkung des Euphorbos und des Apollon niedergeworfen ist,
den Kampf um die Leiche dieses Helden. Sein Ende erreicht
dieser Kampf aber erst, wie schon bemerkt, durch Achills Hervor-
treten , seine Erscheinung und a\ undervoll verstärkte Stimme
scheucht erst die Troer und rettet den Leichnam. Hier nun
musste die Botschaft vom Fall des Freundes an Achill gelangt sein.
So sehn wir im 17. Gesänge die verschlungene Parallelcrzählung
vom Kampfe für die Leiche und von der Sorge für Achills Be-
nachrichtigung. Diese Parallele gilt auch in dem Anfan^gstheil
des 18., aber die Ankunft des Boten bei Achill, der hier zum
büssenden und rächerischen wird, liildet aus diesem tiefen Grunde
einen neuen Abschnitt.
Jene Benennung Arislie zeigt sich hier, wie sie auf den
ganzen Verlauf des Gesanges ausgedehnt ist, besonders augen-
105) 3, 76. 86. 324. 6, 104 f. 8, 502 — 525. Im Vcrliältniss zu Puly-
dainas 12, 230 IT. 18, 285 ff. 13, 802. 14, 389 f. 15, 209 f. 306. 48511. 718.
392
fällig so zu sagen als blosse Titelvignette, denn buchstäblich
trifl't sie nur den Anfangstheil, 1 — 69. Es tritt Menelaos sofort
nach Patroklos' Fall für die Leiche ein und dem Euphorbos ent-
gegen. Er besteht diesen siegreich, aber als er ihn plündern
Avill, sieht er den Hcktor mit seinen Schaaren heranstüi'nien.
Da zieht er sich vor dem „von der Gottheit Begünstigten" unter
Worten der Rechtfertigung langsam zurück, und ruft in die
Ferne nach Aias. Die Waffen des Gefallenen hat Hektor schon
erbeutet, 17, 130 f. Die Leiche aber deckt nun Aias mit seinem
Schilde beAvehrt, und neben ihm Menelaos. Hektor, der zuerst
vor Aias gewichen, ^vie des Glaukos Vorwurf (166f. ) und das
eigene Geständniss lehrt, ermannt sich, ruft gewaltig die Seinen
auf, holt die weggeschickte Rüstung des Patroklos zurück , und
thut sie an (119. 210.). So männiglich Andere auffordernd
geht er dem Aias entgegen, und Aias, obwohl zunächst bestürzt,
so dass er Hilfe herbei zu rufen auffordert, er ist und bleibt es
weit mehr als irgend ein Anderer, der Widerstand leistet; seine
Aristie könnte dieser Theil mit fast grösserem Recht heissen.
Menelaos vollbringt zwar, von Athene gestärkt, auch noch einen
Kampf (553 fr. 578.), aber mehr doch besorgt er auf des Aias
Anregung die Benachrichtigung des Achill und hebt mit Meriones
die Leiche auf, sie zu Achill zu tragen.
d. Die Namen der Partieen.
So also verhält es sich mit den drei benannten Aristeien
nach der bedingten Bedeutung des Ausdrucks und ihrer Verwebung
in die Handlung. Ebendaher hätte dieselbe Benennung mehren
Partieen mit gleichem Rechte gegeben werden können. Der
Scholiast B. zum Anfang der Aristie des Agamemnon bezeichnet
die letzte Kampfbahn des Diomedes, etwa von 316 an bis 400,
wo er auch zu den Zelten niuss, und die kurze des Odysseus
ebenfalls als Aristeien. Also nennen Avir nicht unpassend so
auch den Zweikampf des Aias, 7, 206—312, die Erweisung des
Teukros, 8, 278—334, den Kampf des Idomeneus, 13, 361 bis
517, und die sich anschliessenden des Meriones, des Antilochos,
des Menelaos, bis 659, obgleich immer dabei mehre Streiter im
Wechsel eingeführt werden. Weiterhin folgt, nachdem die Er-
zählung zu Hektor übergegangen ist, 674 f., der Kampf (809)
393
des Hektor und Aias und Avieder, 14, 402, avo Aias den Heklor
olinmäclitig macht. Alle die Einzelkämpfe des 13. Gesanges stehn
unter dem allgemeinen Titel: Der Kampf bei den Schiffen.
Das ist denn einer der Titel, an denen wir den eigenthümlich
nationalen Gesichtspunkt erkennen, aus dem eine Reihe dieser
Titel gewählt wurden. Die Gesänge 8, 12, 13, 2ü und 21 sind
als Erzählungen von Kämpfen bezeichnet, der abgebrochene
Kampf, der 3Iauerkampf, der bei den Schiffen, der Götterkampf,
der beim Elusse. "Wie diese Namen in dem Sinn gewählt sind,
nach welchem man die Ilias als Kriegsgedicht betrachtete (Arist.
Frösche 1035 f.) und sie von der Odyssee als Friedens oder
Mussegedicht, oder von dem Werke des Hesiod von Hausgeschäf-
ten unterschied, so erscheinen auch die Aristeien in gleichem
Gedanken benannt. iNeben diesen Namen sehn wir einige Be-
zeichnungen, Patrokleia und Doloneia, von summarischer Bedeu-
tung. Doloneia wechselte mit Nachtwache als Name des
10. Gesanges, jener Episode von des Diomedes und Odysseus
nächtlichem Abenteuer gegen das thrakische Lager, wobei sie den
Späher Dolon fingen. Den Namen Patrokleia hat bei den
Grammatikern nur das 16. Buch, aber unstreitig gehörte das 17.
auch dazu, und wenn der Kampf um die Leiche des Patroklos
erst im 18. endet, so gebot, wie schon bemerkt, die eintretende
Ankunft der Nachricht bei und Wirkung auf Achill, hier einen
neuen Abschnitt zu machen.
Jenem nationalen Gesichtspunkt mag es zuzusehreiben sein,
dass kein Theil der Ilias, auch kein kürzerer, vom Erfolg eines
troischeu Helden den üblichen Namen hat, da doch Hektor und
Sarpedon sich ihrerseits ebenfalls hervorlhun und ihr Eintritt
zum Theil ausdrücklich durch Beschreibung gehoben wird. Hek-
tors erster Siegestag im 8. Gesänge gab dem Dichter freilich Anlass,
viel Parallelhandlung aus dem Olymp zu erzählen, aber hcisst
dessen einer Titel die Götter Versammlung {&£c5v ayogä)
so wäre als zweiter Hektors Drohun g treffender gewesen, als
der abgebrochene Kampf."""') Den 12. Gesang bezeichnete
die poetische Ueberschrift am besten:
12 hat den Kampf um die Mauer, es sprengt sie der glänzende Hektor.
106) 8, 489fr. Abgebrochen zwar wird er wiiklicli (liircli das ein-
tretende Dunkel 500, aber auf das Weitere weist 526 — 541. Uehrigens
394
Doch es wird dioulicli sein, überliaupt genauer nachzuweisen,
wie es sicli niil der Ablheihnig in so genainilen Ilhapsodieen und
nnl den einzehieu Benennungen dieser nach dem Zengniss der
Geschichte verhält.
Abschnitt II.
Ilomers Bedeiitiiiig für die Gesrhichte ilcr Rhapsodie.
15. Fortsetzung. Weder ist die Bezeiclinung derlvlei-
iieu Lieder al ö Rh ap sod ieen geschichtlich, iiocli
können d i e v o m I n h alt e n t n o m in e n e n N a m e n der
Partieen als Kennzeichen selbständiger Lieder
gelten.
Wenn heulige Schriltsteller die Einzellieder der voriioniei-i-
sciien Periode Hhapsodieen nennen,"") so ist dies ein ganz moder-
ner Sprachgebrauch. Er lässt sich mit kurzem Wort als eigent-
lich ungeschichllich darthun. Erst die Grammatiker unter den
Ptolemäern — schon Zcnodol, niclit erst Aristarcli — theilten
die beiden Epopöen nach dem Zahlenalphabet in je 24 Bücher,
urul nannten diese nach blosser Analogie der für die einzelnen
Vorträge geeigneten Partieen Bhapsodieen. In der ganzen Vorzeit
des freien Griechenlands und der Blüthe des lebendigen Vortrags
der homerischen und andern älteren Epopöen wurde eben nur
die epische Poesie vom Standpunkt der Hörer aus nach der Vor-
tragsart im Ganzen Rhapsodie genannt/"*) Dagegen sind wir nicht
im Stande, in jener älteren Zeit eine festbegrenzte Abtheilung der
Ilias und Odyssee, ein anerkanntes System ihrer einzelnen Tlieile
bedeutet xoXog die [idirj niclil wie Eusl. ci klärt, als die kurz beschrie-
bene im Vergleicl) mit dem vorhergehenden Tage in Gesang 4 — 7 und
dem späteren, der sich von 11 — 18 ausdehnt.
107) Goelhe, Briefw. zw. Seh. u. 0. 3. S. 184: „Die unzäldigon
Rliapsudioen , aus denen nachher die beiden Gedichte so glücklich zu-
sammengestellt wurden". Fr. Zimmermann, Begr. d. Epos 13. „Zuerst
pflegen cineReilie vülksthündichcrRhapsodieeu aus dem Sagenkreise voran-
zugehen". Ebenso S. 19. Vi scher, Aeslhet. 111, 2, 1287.
108) Eustath. zur liias S. 6, 23. Plat. Gesetze II. 658 B. und I). VI.
704 E. Staat II., 373B. Straho 1. 18. acp' ov 8i] gaipaölav t ekiyov
Kccl TQccYcpöiciv Kai 7icoficp6i(xv. Der allgemeine Begrifi'Declamation von
Versen , Plato Tim. 21 B.
395
mit be\vussleiii Anfang unil Schluss zu entdecken. Freilich lionnte
Homer selbst seine grossen Epopöen niclit auf einmal hinter-
einander dichten, sondern nur allmählig seine Entwürfe ausführen
und theilweise niittheilen, worüber unten das Nähere (§§. 26 und
27). Und freilich werden Rhapsoden, wie Leser, vor der alexan-
drinischen Theilung die viele tausend Verse grossen Gedichte in
handlicher Weise in Partieen gefasst und diese Partieen zur Orien-
tirung bezeichnet haben. Dies eine, Bezeichnung zur Orientirung
ist uns auch sicher bezeugt. Schon ällerher sind beide Epopöen
in ihren auf einander folgenden Partieen oder kürzeren Stellen
durch Benennungen unterschieden worden, die ihren Inhalt an-
deuteten. Dies ersehn wir aus einer Anzahl derselben, unter
welchen Herodot, Piaton und Aristoteles Verse oder längere
Theile citiren. Eine Reihe anderer werden von den Scholien, welche
uns aus den alexandrinischen Connnentaren berichten, so aufge-
führt, dass sie als aus früherer Zeit überkommen und beibehalten
erscheinen ; "'^) die fehlenden ergänzt Eustathius.
Dergleichen Titel also haben die Grammatiker den so ge-
nannten Rhapsodieen beigesetzt, aber mit Auswahl. Ueberblicken
wir sie in ihrer sehr ungleichen Beschafl'enheit, so erkennen
wir, dass mehre allgemein und an sich ohne Bezug auf ge-
rade die Rias oder Odyssee lauten, wie Od. 3, das in Pylos,
4, d a s i n L a-k e d ä m o n, 24 , das a u f d e m La n d e (Vorgehende),
109) Der bereits angefühlte Herodot, 2, IIG, die besproclicne
Aristie desDiomedes, ausgedolnit liis 6, 289—293. Plato zweimal
die Bitten d. i. Ges. 9, da die GcsaiitUsfh.ift an Achill wohl besonders
wegen 502 — 512 so benannt wird. EralsocilirlKl. Hipp. 30-1 E. die Verse 308
bis 314. Kralyl. 428 G. die Verse 644 und 045. Derselbe ■Jun593A. unter:
der Mau erkämpf die Stelle II. 12. 200—207, das. 537 A. unter: das
Pferderennen zu Ehren des Palroklos II. 23, 335. Aus der Odyssee:
Plato Staat X. 614 B. der Apolog bei Alkinoos d. i. Gesang 9 — 12
die Erzählung der Irren des Odysseus. Denselben Titel braucht in seiner
Ausdehnung Aristot. Bhet. 3, 10, 7 und Poet. 16, 5 oder 8, wo er schon
8, 521fr. dazu rechnet. Die Stelle Poet. 16, 3 oder 5 nennt das Fuss-
bad d. i. Gessng 19 (24, 9 ist walirscbeinlich unecht). Der Titel {vin-
TQu) mit vielen andern bei Aclian Verm. Gesell. 13, 14. Vgl. die Schollen
zur Ilias zu den ersten Versen der Gesänge 5, 8, 9, 10, 12. Ausserdem
bei Verweisung von einer Stelle auf die andere, wie zu 1, 177, wo, da auf
5, 891 verwiesen wird, Aristeia statt Odysseia zu lesen ist. Dann zu 5,
231 u. a.
396
andere nur die Anfangstlieile andeuten, oder ein darin vorkom-
mendes l]edeutenderes , wie II. 17, jene Aristie des Menelaos,
14, Täuschung des Zeus, 15, die Fluchtumkehr, 20, den Götter-
kampf, noch andere jetzige Rhapsodieen zwei 'oder noch mehr
Titel haben. So sehn wir, die meisten sind von Solchen gewählt
und für Solche nur verständlich , denen der Verlauf der ganzen
Gedichte nicht unbekannt ist. Daher erscheinen sie eigentlich
alle eben nur zur Orientirung angebracht, zumal bei der Kürze
der Stellen, auf welche mehre hindeuten.^"') Aber auch die
umfänglicheren lassen nie einen bestimmt bemessenen Theil er-
kennen; wie weit sie reichen, ist öfters, von der grammatischen
Rhapsodieenzählung abgesehn, nicht zu wissen.
Sonach können sie uns an sich über die Einzelvorträge der
Rhapsoden nicht genügend belehren, sondern wir müssen uns
über diese, ihren Anfang, wie über den zum Ausheben passenden
Inhalt, endlich über die Motiven der Wahl eine Vorstellung selbst
bilden. Die richtige Ansicht hierüber ist für die ganze homeri-
sche Frage von entscheidender Redeutung.
Es leuchtet dem Achtsamen bei der Uebersicht der Titel
ein, dass es irrig ist, in ihnen ursprünglich für sich gedichtete
Theile finden oder auch die vor der Sammlung des Peisistratos
und der attischen Redaction vereinzelten Partieen als ursprüng-
lich suchen und mit ihrer Renutzung herstellen zu Wollen, Die
denkbare Vorstellung von den vereinzelten Partieen ist nur die
solcher, welche die Rhapsoden zum Einzelvortrag geeignet fan-
den, und vorzutragen pflegten. Dabei war, wie wir sehn werden,
HO) Ein Verzeichniss der den Rhapsodieen der Ilias beigesetzten s.
b. Heyne Th. 8. 787 f. Dies ist aber mehrfach unvollständig und ebenso
die von den Herausgebern der Texte vorgesetzten. Aber namentlich ist,
um sie als der Orientirung dienend zu erkennen, die gleiche Gewohnheil
beim Citircn kurzer Stellen zu beachten: Thucyd. 1 , 9, 3 „ in der Ver-
erbung des Scepters" d. i. II. 2, 102 — 108, wegen 108. Aristot.
Thiergesch. 9. 22: „im Ausgang des Priamos" mit II. 24. 316.
Straho 1, 17: „in der Versuchung" nach II. 2, 73. Die Stelle 2,
HO ff. bes. wegen 246 ff. und 284 ff. Ders. dort: „in der Gesandt-
schaft" mit Citat der Verse H. 3, 221—223, also die Stelle 3, 205—224.
Paus. 8, 37, 5: „im Eidschwur der Here" mit Verw. auf 11. 14, 278
und 279. Ders. 7, 25, 12: „in der Rede der Here" aus 8, 201 bis
207. Vers 203.
397
ihre Fassung, sowie ihr Bereich ein verschiedener, und nur zum
Theil passten die inhaltliclien Titel zur Bezeichnung der Einzel-
vorträge, sowie mehre auch längere Stellen nur im Gesammt-
vortrag vorkommen konnten. Die richtige 3Ieinung, welche in
der Geschichte der epischen Poesie den Homer als den Schöp-
fer der von einem Grundmotiv durchherrschten Epopöe sieht,
kann nicht umhin, von Anheginn beide Formen des Vortrags ne-
ben einander bräuchlich zu denken, den Vortrag der ganzen
Gedichte in der Folge ihrer Uaupttheile, und den der einzel-
nen Theile.
16. Die Einzel vor träge und die Sammlung des Pei-
sistratos zur Berichtigung.
In den Zeugnissen, welche diese zwiefache Art der Rhaps-
odie berichten und als Inhalt der Einzelvorträge eine bunte
Reihe jener Titel aufzählen, haben wir unabweislich mehrfache
Unrichtigkeit und besonders in der Angabe von der Sammlung
des Peisislratos eine einseitige, der historischen Uebersicht baare
Beschränktheit anzuerkennen. Alle diese Zeugnisse, ihrer Zeit
nach sehr spät und jung, geben ihre Berichte in einer Fassung,
welche sie nach der Ueberlieferung schon durch viele Hände
endlich erhalten hatte. Die oben in Buch 2 §§. 15 — 17 ange-
führten Beweise von der längst vor Peisistratos anerkannten Aus-
zeichnung des Dichtergenius und seiner einheitlichen llias lassen
uns an der schon früheren doppelten Rhapsodie nicht zweifeln.
Und dass die alexandrinischen Kritiker, indem sie nirgends eine
attische Ausgabe erwähnen, eben aus dem Grunde so verfahren
wären, weil sie jene als die allgemeine Grundlage betrachtet hät-
ten, es ist wohl behauptet worden, aber nach irrthümlicher Deu-
tung der „gemeinen" oder ,, nachlässigem" Ausgaben, da
diese vielmehr nur zu den kritisch genauen und namentlich ari-
starchischen den allgemeinen Gegensatz bilden.'")
Hierin ist also kein Beweis eines den Kritikern bewussten
111) Jene Annalinie bei Rilscld, Aloxnndr. Biltliolliok 1838. S. 60 f.
und W. Ribbeck, Philol. 8, 470. Das wahre Verhältniss ist vom Verfasser
ausfülirlidi in Melel. de hisl. Houi. 11, 4 <lo Pisislralo Homoricoiiini car-
niinuiii inslauralore. Kiel 1839. p. 20 — 31 dargelegt; kürzer Anni. zui' Od,
Th. 3. S. 337—339.
398
Gemeinlextcs von der attisclien Ausgabe her gegehen. Wir können
nach (leiTi, \vas uns vorliegt, nur so annehmen, dass Jene tlie
Ausgaben, welche von dort her stammten, von andern nicht mehr
zu unterscheiden vermochten. Und gewiss ist es wenig glaub-
lich, dass die Ausgaben von Cliios, Argos, Massilia, von Kyp-
ros, von Sinope, deren in den Scbolien Erwähnung geschieht,
sämnitlich eben nur von Athen ihren Ursprung gehabt^'') Da
uns alle die Kennzeichen des einigen Dichters, welche im Obigen
angegeben sind, den Glauben an den Schöpfer der umfänglichen
Compositionen bestätigen, können wir das, was durch die Beauf-
tragten des Peisistratos geschehn, nicht für so wesentlich, ihre
Herstellung der rechten Folge nicht für eine Leistung dichteri-
scher Erfindsamkeit halten. Was von Einschiebseln und Erwei-
terungen der Partieen im Fortgange die Rhapsoden sich erlaubt
hatten, es war geschehn. Man sammelte eben Alles, was Homers
Namen trug, und es fügte sich im Ganzen wie von selbst in die
zwei Werke. War es doch ein Unternehmen für die Bibliothek
des Peisistratos. Die für die organische Anlage und Gliederung
wesentlichen Theile hatten in ihrem nicht kleinen Umfang schon
ihre eben vom Dichter ihnen gegebene Fassung. In der Ilias
sah man zum Beispiel aus der Sendung und Verhandlung des
Patroklos mit Nestor, dass die Verwundung der drei bedeuten-
den Helden vorhergegangen; der Kampf der Heere, das war
klar, war neben Patroklos' Verhallen fortgegangen, der Mauer-
kampf gab sich bei all seiner Abrundung doch offenbar als ein
eben hier folgendes Stück zu erkennen, und wie der Durebbruch
der Mauer und der für Hektor damit gebahnte Weg zu den Schiffen
selbst zu dessen von Anfang ausgesprochener Absicht, die Schiffe
anzuzünden, gehörte, so wies er auch vorwärts. In der Odyssee
hatte der Dichter dem Odysseus die Erzählung von seinen vor-
112) Bemerkenswcrlli sind besonders folgende Angaben: die ar-
golisclie erscheint ausdrücklich allein zu den empfoiilensten [laQUOTurcug)
gezählt, zu 3, 51, wie Arislarch ihrer rein ionischen Lesart mehrfach
folgte. Dieselbe gab, 13, 303, einen ganz ihr eigenlln'iniliclien Halbvers;
sie halte das Verzeichnis? der Nereiden, 18, 39 — 4'.), welches die Kritiker
wegen des hesiodisclien Charakters für uneciit orkiiirlon, ganz wegge-
lassen. . Die niassiliscbe und cbiiscbe slinmiten mebrfacii mit einander
iiberein , so II. 19, 76 inid 77 in der eigentbiinilicben Fassung und 24, 109.
Die chiische halte die Verse 17, 134 — 136 nicht, so wie Zenodol,
399
liergegangenen Irrfalirlen in den Mund gegeben, und der Held
sprach sie im Palaste des Alkinoos.
Die Folge der Parlieen ^var in beiden Epopöen unschwer
zu erkennen.*") Die einzelnen umfänglichen müssen aber gewiss
als nicht blos aus dem Munde, sondern öfters nur aus den Händen
der Rhapsoden zusammengebracht gedacht werden, als schon
früher aufgezeichnet. Kann doch des Hesiod bei den Allen so
vorwiegend genanntes Werk, der Katalog der Heldenmülter, da
es die Heldengescblechter von ganz Hellas umfasste,"^) nicht durch
Umfrage, sondern mittels Sammlung aufgeschriebener Genealogieen
erzielt sein, muss viehuehr von ihm selbst als Sannnler mehr
denn als Dichter aufgezeichnet gelten. Und ist es doch nicht
verständig, wenn Homers Geist durch Gedächtnisskraft ausge-
zeichnet vorgestellt wird, dieselbe Gedächlnissstärke auch den
den» Homer zunächst folgenden Epikern und sämmtlichen Rhaps-
oden zuzuschreiben. Findet doch ISiemand mehr zwischen auf-
geschriebenen Gedichten und mündlichem Vortrag einen Wider-
spruch und ist hinlänglich bewusst, dass der für mündlichen
Vortrag passende Sprechstil erst ganz spät in der Poesie dem
Schreibstil wich, der zum Vorlesen bestimmt war."*)
113) S. Welcker, Ep. Cycl. 1, 383 f. In den Schol. findet sich meines
Wissens nur bei der Episode von Glaukos und iJiomedes, 6, 119, die
Anmerkung Arislarchs : ,, Diese Zusammenkunft versetzen Einige amlers-
hin". Ist mit dem Versetzen das der ganzen Erziildung an eine andere
Stelle des Gedichts gemeint? Heyne verstand so, gab aber aucli keine
Stelle an. — In unsern Tagen haben wir den sehr ernsllicli gemeinten
Einfall gelesen, die Verse, 1 , 488 bis 604, seien mit Tilgung der Stelle
7, 443 — 404 nach 7, 242 hin zu versetzen: Die Eürbilte der Tlielis.
Mainz. 185G.
114) Marckscbeffcl, llesiodi etc. Fragm. p. 120 — ila ut catalogi
genealogiae non unius aut alterius terrae ralionem baberent, sed lolius
Graeciae stemma fuisse videanlur. Nam rclifiuiae i)erlinent ad diversissi-
mas gentes u. s. w. Die als viertes Bucb oder viertes und fünftes
den dreien des Katalogs nachmals angefügten Eöen eines jüngeren Dichters
enthielten auch mehr als Geschlechter aus Nordgriechenland. Dagegen die
echten Theile des in Odyssee 11 aufgenommenen Verzeichnisses von Hel-
deufrauen mit ihren Söhnen sind nur daher. Unecht: 298 — 304 und 323
bis .325. S. die Aum.
115) Die Pdiapsoden und Schauspieler mochlen lieber den Sprech-
slil; naiürlicb. Aiislol. Übet. 3, 12, 2, der über beide Stile ausführ-
lich handelt.
400
a. Die kürzlicli bekannt gewordenen Zeugnisse von der Sammlung.
Als völlig beseitigt können \vir also die irrige Vorstellung
ansehen, dass die wieder geordneten Gedichte Homers auf Peisi-
stratos Veranlassung zuerst niedergeschrieben 'worden seien.""')
Auch das in einem späten lateinischen Scholion verlautende Lob
jener Veranstaltung, da es ein opus divinum heisst, kann uns
nicht bewegen, den von Peisistratos Beauftragten, dem Onoma-
kritos, Zopyros und Orpheus von Krolon, weil sie Verse macheu
konnten, eine geniale Umgestaltung der homerischen Gedichte
beizumessen. Es war ein erst den Tzetzes (im Ausgang des 12,
Jahrhunderts) benutzender Italiener, der dort spricht,"^) und es
scheint das stolze Prädicat eben von ihm nur zu kommen. Was
wir sonst aus den jüngst erst entdeckten Schollen gelernt haben,
zeigt uns die Fertigung einer vollständigen Ausgabe für die Bi-
bliothek des Peisistratos, die im Vergleich mit der vorherigen Ge-
stalt viel besser zu lesen ist. Hiernach mögen wir dann auch
die Angabe des Suidas verstehn : Homer habe die Ilias nicht
auf Einmal noch hintereinander, sondern in einzelnen Theilen
verfasst, die er umherziehend vorgetragen. Nachmals seien sie
zusammengesetzt und geordnet worden von Vielen, vornehm-
lich aber von Pisistratus. Dieses von Vielen auf vor-
herige ähnliche Zusammenordnungen, wie die in Athen, zu deu-
ten, ist keine unstatthafte Auslegung."®)
116) Ritschi, Alexandr. Bihl. 70. IIulTinann in Allg. Monatssclir. f.
Wiss. u. K. 1852. April. 288, „eine Ansicht, die jetzt wold nur von
Wenigen gelheilt wird".
117) Heinr. Keil, Rh. iMus. 1848. N. F. 6, 127 f. Die früher schon
bekannten Zeugnisse, alle aus verliältnissmässig später Zeit, sie rühmen,
ohne der gestifteten Bibliothek zu gedenken und die Zeitumslände zu be-
rücksichtigen, welche durch bequemeres Material dies damals erst mög-
lich machlcn, den Peisistratos als den Sammler, und unter ihnen spricht
Cicero doch unläug])ar im rhelorisircnden Ton sein Lob unhedaeht aus,
als halle des Peisistratos gelehrte Einsicht die Sache gemacht und ist
namentlich sein primus von Weicker Cycl. 1, 38G richtig heurlheilt.
Welcher Zeit die Inschrift auf Peisistratos und das Bild (? fiKüiv) ange-
höre, weiss Niemand zu sagen, auch Weicker dort nicht; nicht einmal
das ist entschieden, ob das Ganze nicht ein Erzeugniss der Schulühung sei.
118) S. Weicker, Ep. Cycl. 1, 382.
401
b. Die zwei Zeitalter der homerisclieu Poesi«.
Es isl (lies eine Avolilljogründete Folgerung , \vohll)egriin(let
tlieHs durch die von der Geschichte und Analogie gegchene Idee
von Homer als dem ^Meister der Avirkliclien E|)opöe, tlieils durch
die BeschalTenhcil der Theile der Iii;is und Odyssee. Da <lie
eigene Befrachtung der Iteiden Epopöen den pei'sönlichen einigen
Dichfergeist sowohl in dem heseeleiiden Gemülh, als in der
dichtenden Erlindsamkeit unzweifelhaft anerkennt, die Geschichte
ehenso in ihnen den Höhepunkt der epischen Poesie aufweist
und alle Zeichen des nationalen Bildes von Homer nur den Dich-
ter grosser Compositionen gehen: so ist zunächst die Voraus-
setzung solcher Werke nach ihrer urspriniglichen Form heslens he-
gründet. Mit der attischen Zusammenordnung ist die Polemik des
Xenophanes, der in Homer den Hauptsprecher und Vertreter der
vermenschlichenden Darstellung der Gölter hekanipft, gleichzeitig.
Er hildet mit Theagenes von Bhegion, welcher den Homer
in einem prosaischen Werke mittels Allegorie rechtfertigt, ehen.so
den Uehergang von der Periode der naiven Blütlie des allgefeier-
len Nationaldichlers, wie zu der gelehrten und afft-ctirendeuBe-
Irachlung jene attische Bedaclion. Indem diese alli' für Iiomerisch
geltenden Parlieen zu den zwei Epopöen vcrhaiid und herslellle,
und damit von der einheillichen BcsclKifrenhcit der id)er-
konnnenen Theile einen sprechenden Beweiss lieferl, hrachte sie,
den Beginn des Zeitalters, wo diese Epopöen, im Athenäischen
im stricteren Zusammenhang vorgetragen wurden, und danehen
durch Ahschriften in den gewöhnlichen Fnterricht und eine Le-
sewelt kamen. Bei' diesem Verhältniss der heiden Zeilallcr hahcn
wir nun darnach aiuh den Bhapsodenvorhag der vorliergehenden
und der nachfolgenden Zeit nach nalinli( her Deiilnng der vcr-
scliiedenen oiien hesprochenen inliallliclicn Titel zu nntersclicidcn.
Wie seihst die rechten Dichter, indem sie einen Theil der
Sage ziu- Behandlung herausgrilleu, so rechneten die Bhapsoden
auf das ihnui Zuhörern innewohnende Sagenhewusstsein, und rech-
neten hei der \Vahl ihres hesonderen Vortrags auf eine allgemeine
Kennlniss des ganzen Gedichls, dem das ge«ählle Sliick angehörte.
Doch diese Voi'aussetznng hatte ihre, verschiedenen (irade
in den verschiedenen Zeilen und Orlen. Wann luid wo die
homerischen Gedichte schon aneli vcm der .intjend in den Sehn-
Kitzsch, Gesell, d. giiorli. Epos. 20
402
Ion gelernt und aufgeschrieben verbreitet waren, konnlen die
Rhapsoden fast jedweden auch kürzeren Theil herausgreifen, er
wurde doch verstanden, und konnten auf Verlangen aus den
mannigfachsten Theilen auch im Wechsel je das Gewünschte vor-
tragen. So in Athen in der Zeit nach Peisistratos. Denn dass
ein gehörig befähigter Rhapsode die Ilias und die Odyssee voll-
ständig auswendig wusste, und sie mittels der sclirifllicheu
Exemplare gelernt hatte, die er vermöge seines Berufs vor An-
dern in ihren mehren Rollen vollständig besass, dies sagen uns
zwei Stellen des Xenophon."^) Also mochte dort und damals ein
Rhapsode Jon immer in seinen Einzelvorträgen solche affectvolle
Partieen vortragen, wie er dafür die besondere Vorliebe hatte
(Fiat. Jon 535 B.): Achill gegen Hektor anstürmend (22. 312fr.),
Andromaches Wehklage (das. 475fl'. ), Odysseus' Auftreten zum
f>eiermord (Od. 22 Auf.). Auch in Kolophon zur Zeit des
Xenophanes konnten die Rhapsoden wahrscheinlich in ähnlicher
Weise auf allgemeine Bekanntschaft mit den Gedichten rechnen.
Doch nur dunkele Kunde haben \\ir über die Rhapsodie der
weiter zurückliegenden Zeit, in deren Verlauf Homer zu der Gel-
tung als Nationaldichter und dem für Glauben und ältere Ver-
hältnisse kanonischen Ansehn gelangte, welches Xenophanes zu-
erst angriff. Indessen da dieses Ansehn nicht allein in diesem
Widerstreit, sondern auch in einigen andern uns bezeugten Fällen
als bereits feststehend und als vollendete Thatsache vorliegt, so
gewährt uns dies einen sicheren Rückschluss auf die ßlüthe und
Verbreitung der homerischen Rhapsodie, da ohne diese jene
Geltung gar nicht hätte erfolgen können. Dieser Schluss ist so
bündig, dass wir speziellerer Zeugnisse zur Beglaubigung gar
nicht bedürfen. Ein solches käme durch eine Anekdote hinzu,
nach der Fürst Hiero zu Xenophanes gesagt haben soll: Aber
Homer, den Du verhöhnst, giebt Unzähligen Unterhalt (Rhapsoden
und Lehren ). '-") Jedoch es bedarf solchen Zeugnisses nicht.
Nur der viel und weit umher rhapsodirte Dichter konnte zu sol-
cher bevorzugten Bedeutung gelangen, dass Xenophanes ihn, den
119) r.astin. 3, 0. und Dciikwiinligk. 4, 2, 10 vgl. mit 55'. 1. Sagen-
poesie 350.
120) Plut. Spniohe der Könige; ilioro's 4. 11. 8 Tclin.
403
er als den alleren kannte (Gell. 3, 11, 2), als den Urlieber oder
Hauptbildner der vermenscblicbenden Theologie bekämpfte, und
dass zu Solons, wie Peisistralos' Zeil die Streitigkeiten über Sala-
mis und über das Gebiet am Vorgebirge Sigeion durch Homers
Zeugnisse geschlichtet wurden."') Ueberhaupt also sehn ww,
dass Alles, was in Athen durch Solon und Peisistralos und dessen
Sohn auf die homerischen Gesänge Bezügliches geschah, schon die
Wahrzeichen ihres zweiten Zeilalters an sich trägt. Die ganz
ausnahmlos naive Freude an ihnen bei allem Volk liegt i'ück-
wärts. Am harmlosesten treibt noch die I'arodie mit den viel-
gebörten epischen Formeln ihr Spiel (Xenopbanes und Hipponax).
Mil dem Z\\iespall zwischen den ersten philosophischen (physio-
logischen) Systemen und der Poesie (den Plato einen alten nennl
Staat. 10. 607 B), mit der Vcrtheidigung des gerügten Göller-
kampfes (11.20, 67), mit der Schrift des Theagen es von Rhegion
l)eginnt die gelehrte Erklärung und die sächliche Grammatik.'^-)
Diese Vertheidigung dient uns zugleich zum doppellen Anzeichen
einer spätem Zeit, sie verfährt mit Allegorie, also nicht mehr
naiv gläubig, und ist damit um eine Stelle bemüht — II. 20, o4 — 74
und dazu 21, 385 — 514 — die bei achtsamer Lesung als ent-
sdiieden unecht erkannt A\ird,'^^j so dass also das Beispiel, zu
dem noch andere kommen, auch von den Einschiebseln der Rhaps-
oden in der vorhergegangenen Zeil ein sprcrhendes Zeugniss
giebt. AVie nun alle diese Zeichen (hr Zeil eine sehr thälige
Rhapsodie mit Sicberheil voraussetzen lassen, so verlaulet vom
Heraklit, dem mit Homer gleichfalls hadeinden Philosophen ein
Wort, welches den häufigen Vortrag in den rhapsodischen Festspielen
aiisdiücklich besagt. Er verlangte, maij solle die den Homer, d. h.
die Ilias oder Odyssee Vortragenden durch die Diener der Fest-
polizei mit Streichen aus den Feslsjjielcn vertreiben. '^') Die
iSl) Arislul. Kliol. 1, 15, l:j. licrtMl. 5, U4 iiiid 05. ScIk.I. IJ. zu
II. 2, 49G. p. 80. Bckk.
122) Die Grainuialik, welche von Tlieagoncs bis zu Praxijilianes und
Aristoteles datirl wird.
123) S. Sagcnp. 128. Niigelshadi, Nacliliomor. Tlieojdgie S. 128.
II. cp. 385 — 514: ..odenltar ein der Ilias unorganiscii oingcri'iglcr l{e-
slaiidllieil".
124) Diog. V. La. 0,2,1. in rcov «ycoi-cor iy-ßakkscd-ai x.ol ^a-
ni'geG&ai. Sagenp. 304.
26*
404
Festspiele halte also Tleraklit, ober halten aueh schon Xenoplia-
nes und Ilipponax in ihren lleiniathen Ephesos, Klazonienä, Ko-
lophon, doch unstreitig als von früher hcstehcnd gesehn und
Niemand kann glaublich finden, dass in den Festen die Gedichte
lediglich in vereinzelten Tartieen und ^vesentlich anderer Gestalt
vorgetragen worden wären , als es nach Solons Anordnung in
den Festen Attika's geschah, und als die war, welche des Peisi-
stratos Gehilfen gaben.
Es wird von allen Seiten klar: die Geschichte der alteren
Rhapsodie ist die Geschichte der homerischen Poesie und Ho-
mers selbst, nur dass man dabei die hervorleuchtende Trefflich-
keit und Annehmlichkeit für lebendigen Vortrag, wie sie an der
llias und Odyssee oben charakterisirt worden ist, anerkennen
muss. Wir versteim und ersehn aus dem Erfolge, erstens dass in
der Zeit, als die vorhomerischen Einzellieder neben den neuen
Schöpfungen noch bestanden, der Vorzug, den die Vortragenden
den letzteren wegen ihrer sprechsamen und charaktervollen Art ga-
ben, jene iilleren Lieder allmählich in Vergessenheit brachte, zum
andern, dass ehe dies geschehen war, die Rhapsoden aus einzel-
nen jener Lieder von der älteren Ilcldenzeit manche grösseren
Stellen eingeschoben hatten und zum dritten," dass solche Ein-
schiebsel und überhaupt alle, jedes immer an einer dafür geeig-
neten Stelle dieser poetischen Ganzen , eingew ebt oder eben aus
ihr heraus gedacht und gedichtet ist. So unterstützen mehre
sprechende Anzeichen den Glauben an Ueberlieferung der orga-
nischen Ganzen aus der Entstehungszeit, wie er zuerst aus der
Wahrnehmung der individuellen Eigenheit des Dichtergeistes im
empfänglichen Leser entstanden ist.
17. Das Verfahren der Sammler des P eisistrat os.
Die Sammler des Peisistratos haben, sowiel wir erkennen,
das, was als homerisch umging, ohne Prüfung der Echtheit in die
Iteiden Werke geordnet. Eingeschobenes nicht unterschieden.
Dass später noch ein Einschiebsel geschehn, davon ist, von ganz
einzelnen Versen abgesehn, uns Nichts ersichtlich. Dagegen von
der Episode des zehnten Gesanges der llias, jenem näclillichen
Abenleuer des Dioniech's und Odyssens, heisst es, si(! sei erst von
des Peisisiralos (leliiifcn cini^cITii;!. V'on ciniiicn Sicllen, wie
405
nieliicii von Tliescus unol jenen von Minos, die ganz im attisdien
Sinne getlielilet sind, und von einer von des Herakles Vergötlerung
(Od. 11, 602 ff.) niuss dasselbe gelten. Sie sind, die letztere nach
ansdrückliclieni Zeiigniss, die andern nach nahliegender Folge-
rung von jenen so genannten orphischen 31ännern hei Beschaffung
der Handschriften von Homer und Hcsiod und vielleicht noch
anderer Dichter, in den Text gekommen. Da wir das Verhältniss
der attischen Ausgalte zu den über zweihundert Jahre späteren
Arbeiten der Alexandriner, wie gezeigt ist, nicht zu beurthcilen
im Stande sind, können wir darüber uns nur subjective Ansich-
ten bilden. Die; attische für eine Biblioliiek und in der Zeit der
entstehenden Lesewelt verfasst^^^) mag durch hier und da einge-
legte Binde verse geschlosseneren Forlschritt und engere Verkettung
der Theile erzielt haben, wie das Auge des Lesers es verlangt.
Die Alexandriner \\iederum mögen erst in den zahlreichen
Exeniplaren, w eiche ihnen vorlagen, namentlich die Doppelformen
einer und derselben Stelle erkannt haben. ^
\yas uns jetzt näher angeht, die so genannten Orphikcr,
welche seihst ihre von der homerischen abweichende Heligions-
und Götterlehre in Gedichte l'assten, sie wurden oll'eiibar eben
als 31änner, welche mit Poesie und allen Sagen umgingen, zu
dem Geschäft gewählt. Sie nun haben das, was sie als homeri-
sche Dichtung überkamen, in seinem Inhalt und seiner gleich-
n)ässigen Sprache bewahrt, wie es die nationale Geltung gebot.
Sie haben also weder selbst erst die Einzellieder, welche in Ho-
mers Neubildungen aufgegangen waren, für eine von ihnen er-
soiniene Gestallung zerlegt, wie unbedachte Herstellungsversuche
in unsern Tagen annahmen , noch von den Rhapsoden irgend
Partieen empfangen, welche nicht ihre Beziehung und Zugehörig-
keit zu einer der beiden Kunstepopöen deutlich genug an sich
"elragen hätten.
125) Der uns ülirigc spczicllslc Rcriclilerslaller Tzelzos wusslc nur
von stückweiscii Absclirirteii, welche ni Allicii vorerst ziisamiiieu gosclu-ic-
lion, nun Bücher ga])Cii, und ähnlich sein lateinischer Nobonmann, nach doni
die iiümcrischen Gedichte, die vorlicr luu- stückweise und mit Beschwerde
gelesen wurden, in die beiden Werke gc])raclil worden seien. Von den
Rhapsoden wissen Beide Nichts.
406
18. Das li i c li t i g e von der Rhapsodie vor S o 1 o n und
Peis is t r at OS.
So gilt es denn hier, die von Wolf her vielfach verdrehte und
misshrauchte, schon seihst nur halhwalire Angabe des Aelian von
den Einzeh orlrägen der inhaltliclien Titel in das rechte Licht
umzustellen. Es war nämlich die Avundersame Annahme Wolfs
(Proleg. CXLl), vor der solonischen Anordnung der nach dem
Fortschrilt auf einander folgenden Vorträge habe man bei Einem
und demselben Fest die verschiedenen Titelpartieen in he-
liel)iger Folge vortragen gehört z. B. aus der Ilias zuerst die
Leicbenspiele, 23, dann die Waflenbereitung, 18, hierauf die Bit-
ten, 9, zuletzt die Pest, 1 ; oder aus der Odyssee zuerst das Fuss-
bad, 19, darauf den Freiermord, 22, dann das Bild der Unterwelt,
11, nach diesen das, was in Pylos und das, uas in Lakedämon
( bei Telemachs Reise) gesclielin, 3 und 4. In solcher beliebigen
Beihenfolge also, ^vie Aelian 13, 14 andere \villkinliche Folgen
giebt, sollen die Einzelvorträge immer stattgefunden haben, bis
Peisislratos die einzelnen Stücke in Ordnungen zusannnenge-
setzt habe. Wer dergleichen Angaben für geschichtlich hält,
niuss bei den gedachten Hörern das Bewusstsein von der nicht
blos in der Sage, sondern im V^erlauf der Gedichte gegebenen
Folge des Erzählten voraussetzen. Und wenn weder Wolf,
no(h Aelian angeben, ob einzelne Bhapsoden oder die mehren,
welche doch bei Festrhapsodieen gewiss sicli zusammenfanden , so
bunle Beihcn gegeben haben sollen, erscheint uns dies selbst
unter jener Voraussetzung seltsam.*^'') Allerdings hörte man das
schon Bekannte gern wieder, aber selbst die Mehren haben sich
doch selbst wohl lieber nach der den Stücken inwohnenden
Reihe geordnet, statt ihren Hörern ein solches Umspringen ihres
Sagenbewusstseins zuzumuthen. 3Ian vergegenwärtige sich nur
den Hergang einer solchen Rhapsodie, und man wird das Selt-
12G) Unliegreifliche Annaliine der wölfischen Vorstellung gicbl es
.illerdings noch in unscrn Tngon, aber freilich bei einem Verfasser, der
nur der wolliscli-lachniannischen Tradition ohne Weiteres folgt, und dem
(las Prädicat vorurtlicilsfrei nicht zukommen kann; Hennings über die
Tclemachie. Lpz. Teubner. 1858. S. 136. Was S. 141 gesagt ist: Lach-
mann habe 18 ältere, einzeln gesungene Lieder bewiesen, welche von
verschiedenen Verfassern hcrrührlen, charaklerisirt den Verf. hinreichend.
407
same selbst empfinden: Die Leichenspiele zuerst, die Pest und
die Verzürnung zuletzt! Das Fussbad, mo der unerkannte Odys-
seus mit Penelope spricht und von der Amme beim Fussbad an
der Narbe erkannt wird zuerst, dann später erst aus den Irr-
fahrten der Besuch in der Unterwelt und dann von Telemachs
Reise, die mit ihrem Bezüge auf den vermissten Odysseus frei-
lich annehmliche Bilder verbindet, aber in ihrer ganzen Gestalt
und Färbung die Grundsituation des Gedichts an sich trägt.
Die wahrscheinliche, die gesunde Vorstellung von den Ein-
zelvorlrägen und die Deutung dessen, was bei der Sammlung
in Athen geschah, sie stehen in Wechselwirkung eine zu der an-
dern. Die Rhapsoden als die Träger und jedenfalls vorzüglich-
sten Inhaber dessen, was Homers Namen trug, sie lieferten den
Sajumürn das, woraus diese die Ilias und Odyssee zusammen-
stellten. Was sie lieferten, mussten ja doch die Par-
tieen sein, so gefasst, wie sie sie vorzutragen pfleg-
ten. Das einzelne Vorgetragene muss um geeignet
zu erscheinen eine merkbare Selbständigkeit d. h.
einen v e r s t ä n d 1 i c h e n A n h u b und e i n e n S c h 1 u s s d u r c h
den Ausgang eines Aktes gehabt haben. Eine nicht
geringe Anzahl so beschaflener Theile lassen sich in unsern
Texten aufweisen, und zwar grossentheils unter jenen beige-
setzten Titeln und theils genauer, theils anders als in den
Rhapsodieen der Grammatiker bemessen. Doch es treten Stücke
ein, welche zu sehr den Charakter von nur Anfängen, Vorberei-
tungen oder Uebergängcn an sich tragen , also nur dem ganzen
Zusammenhange dienen, daher übrig bleiben. Aber diese müs-
sen, weil sie sonst gar nicht in die Redaction gekommen und weil
sie nicht vorhanden gewesen wären, hätten sie nicht schon
früher ihre Anwendung gefunden, ebenfalls von Rhapsoden,
welche Gesammtvorträgen gedient, beigebracht worden sein, und
dies nicht blos mündlich.
Von jener ersleren Art sind folgende: Aus der Ilias das
erste Burch, die Pest und die Verzürnung mit der Bitte
der Thetis; der griechische Schiffskatalog, 2, 484—779;
die Musterung des Agamemnon, 4, 223 — 432; die Ari-
stie des Diomedes, 5, 1 — (nach Ilcrodot) — 6, 115, oder
verlängert bis 230, wenn eben nur der persönliche Held beach-
408
leL wurde, oder l»is .111; im kürzeron Vorti'iig die Episode
von (ilaiikos und Dio in cd es, 6, 1 19 — 236; llek lors G ang
in die Stadt, 6, 237 — 7, 1; Ilektors und Aias' Zwei-
kampf, 7, 17 — -312; die IJitten, die Gesandtschaft an Achill,
9, 96 bis ans Ende des Buchs; die Doloneia, 10, 203 bis zu
Ende; die Aristic des Agamemnon, genau bemessen 11,
1 — 283. oder der Rhapsode gab nach einigem Ausruhn dazu
auch die Verwundungen des Dionicdes, Odysseus, Machaon und
Eurypylos, also bis 595; die Sendung des Patroklos an
Nestor, n, 597 bis zu Ende; der Mauerkampf, das 12,
Buch; des Poseidon Hilfe, 13, 1 — 239; des Idomeneus
und iAIeriones Aristie 13, 240 — 539; des Zeus Tausch-
ung, 14, 154 — 360; die Fluchtumkehr d. h, Zeus' Herstel-
lung des vorigen Standes, 15, 143 — bis zu Ende 746; die'
Patrokleia, entweder das 16'. Buch mit schon über 800 Vier-
sen oder dazu auch der Kampf um seine Leiche.
Freilich mochte der Dichter- zunächst das Verhalten der
Kampfgenosson erziUilen und damit die so genannte Aristie des Me-
nelaos 17, 1 — eigentlich nur bis 69. Jedoch die Erzählung dieses
Kam[)fes hat den zwiefachen Bezug auf die Vertheidigung der
Lei(hü- liud auf die Benachrichtigung des Achill. Sie ist auch
mit dem Vorhergehenden dadurch verwebt, dass Ilektor gleich
nach dem Fall des Patroklos dessen Wagenführer verfolgt, 16,
864, in 17, 71 — 81 aber von ApoUon in Gestalt eines Bundes-
genossen von diesem Eifer, Achills Gespann zu erbeuten, zur Ver-
theidigung des gefallenen Euphorbos abgerufen wird. Darauf erst
ciilbrennt jener Kampf um die Leiche heisser. Noch mehr rück-
wärts weist auch des Glaukos Bede, 17, 150 — 165., auf Sarpe-
dons Fall, 16, 482. 502, und Plünderung, 663., in dem Glauben,
dessen Leichnam sei in der Gewalt der Griechen, weil ihm, dem
Sterblichen, das, was Zeus und Apollon für diese gethan, unbe-
wusst ist (16, 666(1.). Doch es gehört nicht blos auch der
Kampf um die Leiche des Helden mit der Aristie nnd dem Falle
des' Patroklos zusannnen, jener Kampf geht, wie erst Achills Er-
scheinen ihn en(Hgl, in das 18.' Buch hinein nnd hinaus über
dessen Anfang, wo die Nachricht vom Falle und der Plünderung
seines Patroklos den Achill in Beue und grösslcs Leid versetzt.
Genug die Palrokleia musste bei irgend sinnigeren Rhapsoden und
409
Hörern die ganze Partie von 16, 1 — 18, 355. nnifasscn. Da
bei ihrem Anfang die W»endung des Zorns zum Tragischen ein-
tritt, Avar auch nicht sowohl der Erfolg, den der hervorgesandte
Freund eruirkte, als der Tod desselben des Dichters Hauptge-
danke und umfasst die Patroklie den ganzen Hergang von jener
tragischen Veranlassung des Auszugs bis zur Wirkung auf den
Absender und seiner Klage um den Freund.'-')
Zum kürzeren Vortrag eignete sich die W äffen b er ei -
tung, 18, 369—617; sie enthält in 442—456 die erklärteste
iJeziehung auf die vorherige Handlung, bat aber ihren eigenen
Abschluss; Achills Entsagung alles Zorns nebst Klage um Palro-
klos, 19, 1 — 356. Die andere Hälfte dieses Gesanges bis 424,
die Bewaffnung des Achill und des andern Heers, und die Gölter-
versammlung zu Anfang des 20., \\ekhe zu jener die olympische
Parallele bildet, sie konnten schicklich nur im Sinne des Ganzen
und, wenn das Weitere folgen sollte, hinzugenommen werden.
Doch wir iibergehn die hier folgende Partie, da sie durch Inter-
polation zu sehr verwirrt ist. Aus demselben und anderen Grün-
den lässt sich nach dem Gesichtspunkt der Einzehorlräge auch
über Ges. 21 in der Kürze nicht sprechen.
Es folgt die Erlegung des Hektör, das 22. Buch, in
welchem der tragische Heklor bei dem tiefpoetischeii Selbstge-
spräch, 99—102, auf die Scene mit Polydamas zurückblickt, 18,
243 — 313; die Leicbenspiele zu Ehren des Patroklos, oder die
ganze Bestattung {rcccpos) des Patroklos, 23, 59 bis zu Ende
897. Die Partie von 826 an wurde wegen „zu magerer Kürze"
für unechten Zusatz erklärt; aber es hat die Stelle nicht erst
von 874, sondern der ganze Bogeukampf von 850 an bis 883
die belobte Lebendigkeit, und es gieht auch für die anderen
Kämpfe mit dem Diskos, 826 — 849, und den letzten mit dem Wurf-
spiess, 884 — 897, die Vollzähligkeit der Kamplarten den Hecht-
fertigungsgrnnd ab, sowie die Mannigfaltigkeit der Darstellung
127) Denselben Umfang dcrPatroklio nclinicn Bäunilcin in Z. f. A.
1850. S. 160 nnd Schütz an de I'alrocloae composilionc. Progr. Ankiain.
1854. S. 4j. Dagegen sind die Leiclicnspielc nicht dazu zu uohnieu, sie
sind des Achill Sache, der hier mit seiner Treue auch seine IVeuntllieiic
Milde gegen die Kainpfgeuossen in dem Akte ollenbarle, den die Volks-
silte mit sich brachte.
410
auch diesen kurz geiiisslen nicht fehlt. — Die Auslösung des
Ilekto r, welche der letzte Gesang erzählt, ging von der Entschei-
dung des Zeus aus, der selbst an der Wisshandlung der Leiche
grossen Anstoss nahm. Sie musste im Einzelvortrag den ganzen
Gesang umfassen, nur könnte der Dichter seihst seine Erzählung
uiit des Hermes Rückkehr zum Olymp geschlossen haben, also
mit 694.
Die in diesem Verzeichniss nicht begrilfcncn Stücke, Avie die
V'ersuchung, 2, 1 — 483, das sich dieser, indem über die Troer
urs])rünj;licli nur 7S6 — 818 hinzukam, anschliessende dritte Buch
mit der Herausforderung des Paris, dem Eid vertrag, dem unent-
schiedenen Zweikampf des Paris und Menelaos und der
M a u e r s c h a u daz\^ ischen, dann die olympische Parallele zu Anfang
des vierten Buchs mit ihrer irdischen Folge der Verletzung
des Vertrags, sie gehören dem angelegten Plane so an, dass
sie nur für den Vortrag entweder des ganzen Gedichts oder doch
eines die ganzen vier ersten Gesänge umfassenden brauchbar
gewesen sein dürften. Ebenso verhält es sich mit der zweiten
Hälfte des 7. Buchs, welches die auf Nestors Rath erfolgte Be-
stattung der Todten und den 3lauerbau nebst der Verhandlung
mit den Troern enthält. Auch das 8. Buch gehört zu dieser
Kategorie, da es gleichfalls durch die Verschlingung wechseln-
der theils olympischer, theils irdische Scenen in sich untheilbar
und für das Ganze von grösster Bedeutung ist. Diese Partie von
7, 313 bis zu Ende des 8. Buchs wurde wohl von einem Rhaps-
oden geliefert, der sie mit dem vorhergehenden Zweikampfe
des Hektor und Aias zusammenfasste und so das erste Stadium
der Noth vortrug mit dem Schluss durch den so genannten ab-
gebrochenen Kampf, dessen Erzählung bis 9, 8 reichen konnte.
Es sind dieses Parlieen, wie die der Patrokleia. Wir werden
hier besonders erinnert, wie docli die rhapsochschen \'orträgc
nicht die Kiuze mancher lachmannischer Lieder, sondern grössern
Umfang haben mussten.
19. Die Particen der Odyssee.
Da die Sammler nicht selbst die Erfinder der IMäne waren,
auch nicht viel umgesetzt, nocli mehr als einzelne Bindeverse
hinzugethan haben können , kurz da nicht ein Onomakritos erst
411
eine llias gestaltet hat,'*^) so haben ^vir uns solche grössere
Partleen, wie die Patrokleia, mehrfach von den Rhapsoden ge-
bracht zu denken. Darauf führt vollends die Beschaflenhcit der
die Odyssee bildenden Partieen. Ihre Einheitlichkeit ist gleich
durch die Stellung des Eingangs auf die Heimkunft des Helden
und durch die Gestaltung der früheren Irren zur Episode erzielt.
Auch in den einzelnen Theilen musste sie einfacheren Fortgang
und nähere Zugehörigkeit zum Ganzen bringen. Wohl hat die
Handlung zwei Ausgangspunkte, die Heimath Ilhaka und die In-
sel der Kalypso, wo Odysseus bis dahin festgehalten ist. Aber der
enge Bezug aller Theile auf den Helden giebt doch nur die Ab-
schnitte 1. den Gesang vom abwesenden, vermissten und gesuch-
ten 2. den vom heimkehrenden 3. den vom Rache sinnenden und
4. den vom Rache übenden und mit seinem Volke versöhnten
Odysseus. Diese auf einander folgenden Phasen des Helden uiu1
damit einer Hauptperson im vollesten Sinne bilden eben so viele
Ilauptakte der epischen Handlung. Jeder derselben verläuft im
Forlschritt mannigfacher Scenen , aber obwohl diese Sccncn dem
Hörer für sich ein episch klares und ansprechendes Bild vor-
führen, so macht doch dabei jede immer die Phase des Helden
und Stelle der Handlung wohl hemerklich.
Vorzüglich geschieht dies im ersten Hauptakt durch die zahl-
reichsten Erinnerungen an den lang abwesenden König. Zu
diesen gehört wesentlich ja die Charakteristik der die treue Galtiti
und den Sohn hilflos bedrängenden, für ihn selbst bedrohlichen
Umstände, welche ihn hei seiner hier angekündigten Heimkunft
erwarten. Diese Heimkunft wird in den vier Büchern der Ex-
position durch die Schilderung der heimischen Verhältnisse und
die Erkundigungsreise des Sohns vorbereitet, die Person des
Ilaupthelden durch die Sehnsucht der Seinigen, durch den Lob-
preis Befreundeter (Mentes, Halitherses und Mentor i, und der
128) Suseinihl, N. J.-I5. B. LXXIli. II. 0. S. 599: „Oder soll uns
wirklich die Thorheit aufgebünlel werden, dass Ononiakrilos und seine
Genossen sie ganz nach eigcneui Gulihinkcn in diese beiden grossen Werke
zusammenfiiglon und also den Begrilf einer llias und Odyssee erst sehurenV
Das verlangt die wolf-hicliniannisclie Aiisiciit niclit einiii;d. IJornhardy,
II, I. 122. gegen Lacliiniuiu: „Denn der Einfall, dass wir jenes Wunder dem
Peisistralos und seiner Samndung verdanken, war kauniernsllicli gemeint",
412
Kiinipfgenosscn vor Troia (Nestor und Mcnelaos nebst Helena)
verberrliclit. Wie im Plane der Ilias der in seinem Groll un-
thälige, langhin fehlende Achill so bedeutend ist, ebenso in der
Odyssee der vcrmissle Odysseus. Mögen neuere Leser diese Be-
schafTenheit der einleitenden ßiicber nielit sehen Avollen, dem
Unbefangenen sind sie handgreiflich oder ganz leicht nachweis-
bar.'-'') ■ Der empfängliche Leser, der gestimmt ist, einen liier
angelegten und im Folgenden fortgeführten Plan anzuerkeimen
und zu verfolgen, sieht in der Scbulzgötlin des Helden, Athene,
^vie sie in der olympischen Eingangsscene des Zeus Verwillignng
der Heimkunft (das Motiv der ganzen Handlung) erwirkt, und
darauf nach Ithaka geht, weiter gleich von der Anregung des
Telemach an die Bewegerin und ßewalterin der ganzen Hand-
lung' in allen bedeutenden 3Iömenten, dabei auch in manchen
kleineren Hilfen. Zeus entscheidet zwischen der Scbulzgötlin
und dem mächtigen Poseidon hier gleich, wie in der Ilias zwi-
schen Thetis und seiner Gemahlin. Die Reise des Telemach,
welche die Göttin ihm eingiebt, hat neben der Absicht, in den
amnuthigen Scenen in Pylos und Sparta das Lob des Helden
laut werden zu lassen, einen doppelten für die Handlung wesent-
lichen Zweck. Einmal hat sie den Mordplan gegen den Rönigs-
■sohn zur Folge, sodann und hauptsächlich soll der Sohn bei sei-
ner Rückkehr mit dem endlich heimgelangten Vater in der Hütte
des treuen Eumäos zusammenlreflen und mit ihm das Einverständ-
niss stiften, wie es zur Ausführung der Rache erforderlich ist.
Sonach kann man gewiss nach all solcher Wahrnehmung des In-
halts der vier Bücher darhi nicht irgend ein besonderes Lied
von Telemach finden. Es ist nur eine Partie, welche einer-
seits in Sohn und 3Iutter die heimischen Umstände offenbart,
andererseits den \'ermissten verherrlicht. Der Mordplan gegen
Telemach, welcher die schon ohnedies gcwaltthätigc Werbung
um Pen(dope vollends zum frevelhaften Attentat auf das Rönig-
129) S. 1, 115—117. 1G2— 168. 195—220. 253 — 270. 2, 58—01.
1(33—170. 225 f., in 3 bei Jseslor 83—88. 120—129. 102 f. 219 f., in 1
Helena 240—258., Mcnelaos 209 0". — eniige Verse nncclil — 333 fl". Ancii
die Vergleichung zwischen Oilysscus' Gefahr und Aganieuniuns lleimkunfl,
welche durch das ganze Gedicht sich durchzieht, gehört hierzu; 1, 298
bis 302. 3,232—235. 11,444-^440. 13,183—185.
413
tlinm stempelt, er gehört als sprechendster Zug zur Zeiehming der
heimischen ]\Iissslände, nnd die Erzählung von ihm tritt ehen
so natürlich hier ein als die Reise ihn hervorruft. • Da diese
Reise Telemachs ohne Wissen der Mutter und der Freier gesehehn
ist, Avird sie auf die natürlichste Weise ehen jetzt in Ithaka durch
den Noemon hekannt, der dem Telemach sein Schiff geliehen
hat; er bedarf jetzt des Schiffes und kommt gegen die Ilaupt-
malilzeit des vierten Tages nach der nächtlichen Abfahrt, um sich
nach der Rückkebr des Telemach zu erkundigen (4, 632 f.).
So tritt der Uebergang zu den Freiern in Ithaka (625) ein, nachdem
Telemach von Menelaos Alles und Jedes Aernommen hat, was er
von ihm erfahren konnte, und nun bei allem Behagen doch an
den Heimweg denkt, nur dass er abwarten muss, bis er mit dem
verheissenen Gastgeschenk entlassen werde.
In dieser Weise war von Telemachs Unterhaltung mit Menelaos
hier durchaus Nichts weiter zu »sagen. Auch der Uebergang
nach Ithaka, der durch die Freier vor Odysseus' Hause und ihr
gewöhnliches Vormittagsspiel in einfachster Deutlichkeit geschiehl,
bringt in den Mordplan, der so natürlich aus der Reise hervor-
geht und sammt dieser der Penelope hinterbracht wird, einen
wesentlichen Charakterzug des Attentats gegen das Königtlium,
wie er immer als arge Zuthat erwähnt Avird (gleich 5, 18). So-
nach war aller Anstoss an diesem Uebergange unbedacht.'^")
Der so abgeschlossene einleitende Theil leistet die Voifüh-
rung des Helden und der Grundslluation mit den in der Hand-
lung geltenden Umständen, wie Personen in lebensvoller Darstel-
lung so angemessen und in solchem Maasse, dass nichts küidlig
Redeutendes unerwähnt bleibt, dagegen alle hier zuerst aufge-
wiesenen Verhältnisse oder Cliaraklere im weiteren Gange der
Erzählung ihre Anwendung und Fortbildung finden. Zu Anfang
wird der Held für das Sagenhewusstsein ''") kctmbar aufgeführt,
130) Die Verse, 021 — 021, wclolic die T.igcszcit auch fiir Spart n go-
n.iucr anzeigen sollen — mittels der Ankunl'l der gownliniiclicii Tiscli-
gcnossen — können echt sein, sind aber cnlheiirlici).
131) Daher nicht mit seinem Namen, sondern (huch (he eigensten
Priidicale hezeirlinel; dnrcli das svd'a wird niclil hios die Sitiiatidn des
Odysseus, von der das Ccdiciil ausgeht, sondern zugltMch das Verhi'dtiiiss
zur (icsauuulnil•|^iiellr auijcdcud'l.
414
wie er jetzt nacli Verlust aller Gefährten und naclideni alle An-
dern von Troia heimgelangt sind, noch immer fern von der Hei-
math ist. Darauf zeigt die olympische Eingangsscene die heiden
wirkenden Götter, den im erklärten Zorn der Heimkunft widri-
gen Poseidon (1, 69 — 79) und die durch ihre F'ürsprnche
die ganze Handlung anregende Athene. Diese Fürsprache und
gleichfolgende Erklärung (1, 84 — 88} der Göttin gehen die hei-
den Ausgangspunkte der Bewegung kund, Ithaka und die Insel
der Kalypso, nehst den zwei Hauptträgern derselben, Telemach
in Ithaka und Odysseus, der von den unlieben Aufenthalt zu er-
lösen ist. Odysseus wird schon hier mit seiner heissen Sehn-
sucht nach der Heimath und den Seinigen hingestellt (57—59),
und von seiner Göttin, der idealen Trägerin und Geberin seiner
Tugenden (13, 294 — 299), auch die Sendung an die Kalypso
dem Götterrath aufgegeben, während sie zunächst nach Ithaka
gelin werde, um den Sohn zu kräftigen und anzuregen, dass er
den im Königshause von dessen Heerden zehrenden Freiern vor
einer Volksversammlung dies verbiete, selbst aber zur Erkundi-
gung nach seinem Vater nach Pylos und Sparta gehe.
Sie bezeichnet hier dasselbe als ihre nächste Angelegenheil,
was für die poetische Anlage der Erzählung das Nächste war.
Und wenn es auch denkbar ist, der Dichter hätte gleichzeitig
mit ihrem Abgange nach Ithaka den Zeus schon hier den Her-
mes ihrem Ralh gemäss zur Kalypso enlsenden lassen, so haben
wir doch seine Wahl als die schönere zu betrachten, da er diese
Ausführung erst nachher, erst nach der Schilderung der heimi-
schen Verhältnisse, eintreten lässt. Eineslheils und hauptsächlich
ist sie in Anerkennung des Gesetzes epischer Darstellung gutzubeis-
sen, welches ein mehrfaches Hin und Her durch Scenenwecbsel in
Rücksicht auf den Vortrag und die Hörer gern meidet; sodann
mögen wir auch ein Säumen des Zeus annehmbar finden, da es hier
in der Odyssee der in der Gölterfamilie auch boclisteliende Posei-
don ist, dem entgegenzuwirken er eine gewisse Scheu Irägt.'^*) In-
132) Zeus erkliirl in Ab wcscn lic i l dos Posoidoii seine Tlicil-
nnlime für den frommen Odysseus; und wie er vorher Hin Ji.il seinen, vom
Holden verwirkten Zorn bethäligen lassen, so behandelt er ihn auch nach-
mals rücksichtsvoll, 13, 125 tf. 140 If. 154 (f., wo, da Poseidon nach diesem
nur das Stliid' vorsleincrl, 158 statt fif'y« niil Arislojdi. v. I5yz. im Schob
415
(loni \\\v also dem Zeus eine säumige Ausfiihrunf; beimessen,
hat die durch eine Reihe engverketteter Scenen vollständige
Charakteristik der heimischen Zustände mit allem Recht unsern
Reifall.
Die Athene thut in Itliaka, \vas sie im Olymp angekündigt
liat, und Telemach fühlt in dem Fortgang nach ihrem jelzt erst
die Göttin verrathenden Abschiede ihre Rathschläge aus; im
z^veiten Gesänge die Ansprache und Anklage der Freier vor dem
versammelten Volk, in Ruch 3 und 4 die Erkundigungsreise. Aber
Avie jene Ansprache und diese Resuche in der sprechendsten
Weise an den Langabwesenden mahnen, ja seine Person weit
mehr als seinen Sohn betonen, so ist von den seine Heimkunft
heischenden Umständen seines Hauses erstlich und vorzüglich in
der Versammlung, doch gar wohl auch in Pylos und Sparta die
Rede, Als iSestor seinen redseligen Rericht von dem Ausgang
des troischen Kriegs und der Heimfahrt beendet und erklärt hat,
dass er von dem ihm so betrauten Odysseus Nichts wisse, be-
spricht er mit Telemach das Treiben der Freier und Odysseus'
Heimkimft dazu, 3, 212 fr., und ebenso geschieht es in Spai-ta,
4, 164— 167. und 318 — 346. Telemach nun wird von Nestor
zwar gemahnt (3, 312 — 322), nicht lange von seinem Haus und
dessen übermüthigen Gästen fern zu bleiben, aber zugleich auch
aufgefordert, erst zu Menelaos zu reisen, der zuletzt und nach
vielen Irrwegen heimgekommen sei. Schon am zweiten Tage
seines Aufenthalts bei Menelaos denkt er, wie gesagt, in Erinn-
rung an die Gefährten in Pylos an die Heimkehr. " Aber der
Plan des Gedichts und der künftige Verlauf der Sage oder der
homerischen Erzählung Hess ihn erst nach der Heimkunft des
Vaters wirklich zurückreisen. Hiernach war also der Fortgang
zu gestallen. Es musste nun erst der zweite Hauptakt folgen,
Odysseus musste von Kalypso entlassen zu den Phäaken mul
durch diese nach Ithaka geführt werden. Dauerte dies viele
Tage hindurch, so zählte Homer und zählten die Hörer diese
jUTf herzustellen ist. Muss docli Zeus nach seinem „Wie es mir das Beste
bcdünkl", in Poseidons Absiclil Etwas geändert liaiicn. Das (iiya ist also
irrig wiederholt. Die Erklärung': „Poseidon habe den zweiten Tlieil der
Strafe niclit gleichzeitig auszuführen gebraucht", ist unslalUiafl
und aar nicht Jionierisch.
41G
nicht in Anscliluss an Tclcniaclis Aufenthalt in Sparta. Wie ps
Parallelen zu erzählen gah nnd Glcirhzeitiges nur Eines nach dem
Andern darzustellen war, so hrachle ein Uebergang von einer
Scene zur ~ andern mit andern Personen auch eine neue Zeil-
rechnung. So hat ge^^iss kein Hörer Homers oder der Rhapso-
den die 23 Tage und iNächle, welche nachgezählt die Heim-
kehr des Odysseus von Ogygia nach Ithaka beträgt, mit der Zeit
der Abwesenheit des Telemach zAisamniengerechnet, so dass sie
85 Nächte und 34 Tage gedauert hätte. Odysseus treibt 20 Tage
auf dem Meer zwischen Ogygia und Scheria, 4 Tage hat vorher
sein Schiffsbau gekostet, und der letzte Tag bei den Phäaken ist
ebenfalls nur mit der Sehnsucht nach der Abfahrt ausgefüllt:
so sind es jene 25 Tage ohne andere epische Bedeutsamkeit als
dass sie die Ausdauer des Odysseus cliarakterisiren, welche die
unerwartet lange Abwesenheit des Telemach zu AVege brachten.
Der Hörer behielt nur die V^erfassung im Gedächtniss , in wel-
cher er den Jüngling mit seinem Behagen im gastlichen Hause
verlassen hatte und was ihm der Schlusstheil des einleitenden
Aktes vom Mordplan der Freier mid Penelope's Sorgen erzählt
hattc.'^^) Telemach in Sparta und die gegen ihn auf d(>r Lauer
liegenden, Antinoos mit Genossen, weisen in die Zukunft. Nach-
dem aber die geängstete Mutter einstweilen l)eruhigt war und da
in d(>r fortgehenden Erzählung jene beiden Umstände , der Mord-
anschlag öfters, Telemach seiner Zeit berücksichtigt wurden, so
geschah den Zuhörern Genüge.
Was die einleitende Scenenjeihc an Umständen oder bedeu-
tenden Charakteren aufgewiesen bat, sind eben die im Fortgang
wirkenden. Zuerst Penelopc und Telemach. Beide sind zu An-
fang der Handlung in dem trelfcnden Zeitpunkt gefasst. Jene in
ihrer thränenreichen Sehnsucht wird jetzt, nachdem ihre verzö-
gernde List verrathen ist (2, 93 ff. 106 — 110), von den Freiern
zur Entscheidung gedrängt. Der bisher übersehene Sohn, er-
scheint eben zum Mannesbewusstsein erweckt, und wenn zuerst
durch Athenes Ermulbigung zuversichtlicher, doch son.st noch
schüchtern und sorgenvoll, dabei in unerfahrner Jünglingsart auf
Neues und Prächtiges aufmerksam (4, 71) und durch Erzäh-
133) Aiini. zu Odyssoo 5. S. 1 — 3.
417
lungen ergötzt (4, 596)."*) Wenn einem Hörer der Epopöe in
ihrem Zusammenhange der Gedanke kam, als er den Aufhruch
des Telemach zu Anfange des 15. Gesanges vernahm, es wären
doch seit dem Gespräch, 4, 593 ff. , viele Tage vergangen, dann
konnte und moclite er sich den Aufschub der Abreise sowobj
aus des Jünglings noch nicht festem Charakter und geäussertem
Behagen gegenüber den heimischen Missständen erklären. Nach-
mals aber neben dem Vater nach dem getroffenen Einverständ-
niss in den Büchern vom 17. an haben Mir die feine Schilderung
im Verhalten des noch unfertigen Mannes zu erkennen. Die
treue Penelope ist, wie sie im erste Gesang und im 4. erschien,
nachmals immer dieselbe. Ihre schmerzensreiche Sehnsucht ist
in den gleichen Zügen gezeichnet (16, 850), ihre Lage schon
die, welche nach der Heimkunft des Odysseus und Verabredung
mit Telemach sich zu der Höhe steigert, welche im Gespräch
mit Odysseus von ihr bezeichnet. Od. 19, 524 ff. 571 ff., den Bo-
genkampf hervorruft, „den Anfang des Mordes", 21, 4.
So erscheinen die Götter wie die Menschen ferner nach den
zuerst angegebenen Zügen. Der zürnende Poseidon erkennt, 5,
286 ff., den Beschluss der Götter, thut aber noch, was er kann,
und wahrt sein Ansehn, nachdem die Phäaken den Umgetrjebenen
nun doch so ganz geruhig heimgebracht haben (13, 125 ff.). Die
Erregerin des ganzen Hergangs, Athene, mahnt, 5, 5 ff., den säu-
migen Zeus, indem sie jetzt ihr Anliegen durch Angabe jenes
Mordplans verstärkt, wahrt ihren Schützling beim Sturme des
Poseidon, 5, 382. 437., macht ihm die Phäaken auf alle Weise
geneigt, 6, 2. 13. 24. u. s. w. 8, 7. 193. vgl. 13, 302., empfängt
ihn nach der Landung auf Ithaka, 13, 221 f. 287 ff., beräth ihn
wegen der Freier, 376 ff., beruhigt ihn wegen des Sohnes, 421 bis
427., und verwandelt ihn Behufs des Racheplans mit Versicherung
ihres Beistandes, 393., heisst ihn zu Eumäos gehn und holt, hier
die Doppelerzählung in Eins führend, den Telemach von Sparta,
15, 1., fördert nach Wegsendung des Eumäos (15, 40 f. 16,
130 ) die Erkennung und Verabredung zwischen Vater und Sohn,
134) 4, 155 ff. niniml Pcisislratos, der wohl dem Menelaos bereits
bekannt war, für Telemach das Wurt, und erklärt dessen Schüchternheit
bei diesem ersten Besuche.
Nitzsch, Gesch. d. griech. Epos. 27
418
(16, 155. 168 — 171), betliört nach GöUerart den einmal ver-
hassten Sinn der Freier und selbst der Besseren, 18, 155 und
158, giebt der Penelope den Boyenlvanipf ein, 21, I., und leistet
Beistand beim Freiermord. 22, 205. 224. 256. 297.
Aus der dargelegten Bescbaflenheit der ersten vier Gesänge
ergiebt sich ein Verhältniss zum einheitlichen Ganzen, welches
sie bei all ihren wechselnden Scenen eigentlich für den Gesammt-
vortrag als Vorwort bestimmt zeigt. Insofern sie jedoch die
Schilderung der den Odysseus bei seiner Heimkunft bedrohenden
oder ihn heischenden Umstände zu einem gewissen Abschluss
bringen, und durch die Zusage, welche Penelope über ihren
Sohn erhält, 4, 805 — 807, 825 — 829., hier auch eine gemülh-
liehe Beruhigung stattfindet, konnte die Partie recht wohl einen
längeren Einzelvortrag geben. Die kürzeren Theile aber, wie sie
die inhaltlichen Titel angeben , sind einer mit dem andern in so
engem Anschluss verknüpft, dass ihr Einzelvortrag nur bei einer
Vorkenntniss wahrscheinlich ist, welche aucli Ausgehobenes ver-
ständlich machte.
Ebenso mnfassen die andern Hauptakte jeder eine Reihe von
jetzigen Büchern, wobei sie indess bei ihrer Ausdehnung auch
mehrfach in für den besonderen V^ortrag passende Abschnitte sich
eintheilen Hessen, welche eine Phase der Handlung darstellen.
Der zweite, der heimkehrende Odysseus oder die wirklich
vollzogene Heimkehr, reicht, durch die Episode von den früheren
Irren so ausgedehnt, von 5, 1 — 13, 92, zerfällt aber eben
durch jene Episode, den so genannten A pol og bei Alkin oos,
für den Einzelvorlrag in zwei Partieen , 5, 1 — 8, 520 und 8,
521 — 13, 92. Indem wir den Schluss mit diesem Verse an-
nehmen, stellen wir uns vor, dass die Rhapsoden ihren Vortrag
gern in die Verse ausgehn Hessen, 13, 83 — 92:
So liineilond im Flug durchsclinitl es die Wogen des Meeres,
Tragend den Mann, der rdinlicii unsterbliclicn Göttern an Weisheit.
So viel Leiden zuvor mit Ijokünnnerlem Herzen erduldet.
Während er Schlaciilcn der Männer bestand und das Grauen der Wogen,
Jetzt, sein Leiden vergessend, in ruhigem Scldumnier versenkt lag,
oder in der Folge des Textes nach Voss:
Und nun schlief er so ruhig und all sein Leiden vergessend.
Das Folgende, wie sie ihn auf das Ufer bringen, gehört selbst
419
schon einer neuen Situation an, vorziiglicli aber Hessen sitli die
Verse bis 125 nicht wohl trennen von dem, ^vas über Poseidon
folgt, und (heses hätte doch wohl keinen guten Schluss abgegeben.
rsach der angenommenen Theihing enthielt die erste Partie
1 681 , die zweite 2398 Verse. Aus der letztern konnte des Odys-
seus Ueberlistung des Kyklopen, 9 , 105 — 564. [KvxXcoTCSLa), und
wieder Odysseus' Besuch der Unterwelt, 11, 1—635. [vsxvLa)
zum kürzern Vortrag dienen.
Der dritte Ilauptakt, der rachesinnende Odysseus oder die
Vorbereitung zur Rache, geht von 13, 93 bis zu Ende des 19.
Buches. Theilen Hess er sich in die Partieen von seinem Anfang
bis zu Ende des 16. Buchs mit 1917 Versen und die Bücher
17 — 19 mit 1635. Diese beiden Partieen steHfen jede eine unter-
schiedene Phase der werdenden Rache dar, beide der Gesammthand-
lung noch augehörig. In der ersten der Heimgelangte von Athene
empfangen und berathen und bei Eumäos mit dem zurückgeru-
fenen Sohn zusammengeführt, dem er, nachdem er von ihm
speziell über die Zahl der Freier unterrichtet ist, das geeignete
Verhalten einprägt. Dabei wird der Hirt zur Stadt geschickt,
wo die Freier, nachdem der erste Anschlag gegen den Königs-
sohn von Athene vereitelt ist, einen zweiten fassen, der wie der
erste von demselben Antinoos erdacht, von demselben heimlich
treuen Medon der Penelope verrathen wird (16, 412. wie 4,
677). In einem Gespräch mit Penelope wird der beiden Rotten-
führer, Antinoos' und Eurymachos' Charakter in neuen Erweisen
offenbar, wie er sich gleich im ersten Buche im Bezug auf das
Königthum (383 — 420), im zweiten in ihrer damaligen Stellung
im Volke kundgab und schon dort kundgeben sollte.
In der andern Partie kommt erst Telemach , dann der Lang-
abwesende in sein Haus und unter die Freier. Hier erfährt
der Harrende nun an sich und dem treuen Eumäos und dem
gastlich aufgenommenen Seher die frevele Art der nach einander
auftretenden Freier und ihrer Anhänger in der Steigerung, wel-
che Athene selbst fördert. Am Abend, nachdem Vater und Sohn
bei Alhenes Leuchte die Waffen geborgen, findet das schon 17,
582 f. vorbestimmte Gespräch des Unerkannten mit der Penelope
statt, und dazwischen das Fussbad, wo dieselbe Amme Eurykleia
ihren Herrn an der Narbe erkennt, die uns zuerst 1 , 428 bis
27*
420
435, dann 2, 345 — 380, dann 4, 742 — 757. als die betrauteste
Dienerin des Hauses schon von Laertes her vorgeführt ist, und
welche den Telemach, 37, 31., zuerst bemerkt hat. Penelope
denkt schon auf den Bogenkainpf.
Der vierte Hauptakl hat wiederum zwei Theile, 20, 1 bis
23. 296.: den Freiermord und die Erkennung durch Penelope.
dann den jedenfalls stark interpolirten , von 23, 296 und 24 bis
zum Schluss, Erkennung durch Laertes, Kampf mit den Ange-
hörigen der Freier und Friedensschluss, den wir hier nicht ge-
nauer besprechen können.
Der 20. Gesang leitet den Freiermord, zu welchem nach
Athenes Eingebung der Bogenkampf des 21. die unmittelbare
Gelegenheit bringt, von allen Seiten ein; er bringt alle Zustände
auf die Spitze; zuerst des Odysseus Ingrimm und Rachetrieb und
dabei Bangen vor der Menge der Freier, dann der Penelope
Schmerz bei der unabweislicben Entscheidung, dann der Freier
, Uebermuth gegen Odysseus, den Athene verstärkt, endlich auch
des Telemach Muth ihnen gegenüber, worauf ein Vernünftigerer,
indem er Telemachs Recht anerkennt, die Umstände hervorhebt,
wonach er die Mutter zu einer Wahl anhalten solle. Darauf
treten Wunderzeichen ein, welche der Seher, Telemachs Gast,
deutet, der aber von Eurymachos ausgetrieben wird, so dass auch
der heilige Mann ihren Uebermuth erfährt. Schon Athenes An-
sprache und zwei auf seine Anrufung von Zeus erwirkte Vorzei-
chen haben gleich anfangs den Odysseus ermuthigt, und er har-
ret auf die verheissene Gelegenheit. In Erwartung dieser hat
er, wie dem Eumäos so dem Rinderhirt Philötios, der auch seine
Treue ausgesprochen, mit Eidschwur (226 ff.) die nahe Erschei-
nung ihres Herrn versichert. Diese Hirten sind sammt dem argen
Melanthios mit vielem Vieh für die Freier gekommen zu dem Feste
(156) des Apollon, welches daneben das Volk im Haine begeht
(276ff. ). Unter diesen Umständen und während Telemach still
auf den Vater blickt, wann er denn die Hände gegen die Freier
erheben werde (385), regt Athene die Penelope an, den Bogen-
kampf anzustellen (21, 1) Als dieser im Gange ist. Alle ver-
geblich sich versucht haben, nur Antinoos und Eurymachos noch
übrig sind, gehn die beiden treuen Hirten hinaus, Odysseus folgt
ihnen, giebt sich ihnen zu erkennen und instruirt sie (21, 188 ff. 234
421
bis 241). Alsbald versucht sich auch Eurymachos vergebens,
Antinoos aber findet, heute könne es kein Glück im ßogenschuss
geben, da des Bogengotles Fest gefeiert werde. Sie werden
einig, den Bogenkampf auf den folgenden Tag zu verschieben,
und da nach dargebrachtem Opfer den Kampf zu erneuern.
Während sie sich zum Schmause wenden, bittet Odysseus, ihn
einmal den Bogen versuchen zu lassen. Da diese Bitte den An-
tinoos zur schmählichsten Erwiederung reizt, mischt sich Pene-
lope ein, und, nachdem sie von Telemachos in Ahndung des Be-
vorstehenden veranlasst ist, sich zu entfernen, überbringt Eumäos
nach des jungen Hausherrn kräftiger Entscheidung den Bogen
dem Odysseus. Nach stiller Wahrung der Thüren fasst der Rächer
mit allbewundertem Geschick den Bogen und thut den Meister-
schuss zum bittersten Weh und Schrecken der Freier, Mit hei-
terem Muthe mahnt er sie jetzt, es sei Zeit zum Nachtessen mit
Saitenspiel und Tanz; aber dem Telemach mit den Augen win-
kend, sich zu waffnen, wirft er seine Lumpen ab, und mit dem
Scbuss, der den Antinoos niederstreckt, beginnt er den Freier-
mord, der im 22. Buche geschildert wird. Als er vollbracht ist,
wird Eurykleia gerufen, um die schuldigen Mägde zu nennen,
und sie alle zu rufen. Jetzt werden die Leichname in den Hof
getragen, der Saal gesäubert, die schuldigen Sclavinen aufge-
henkt, Melanthios verslümmelt, und während Odysseus Haus und
Hof mit Schwefeldampf von Unheil reinigt, wird Eurykleia zur so
fest wie nie schlafenden Penelope gesandt, um ihr des Gatten An-
kunft und das an den Freiern vollzogene Strafgericht zu melden.
Es folgen zu Anfang 23 die zwei unvergleichbaren Scenen, die
Eurykleia und die schwergläubige Penelope, und Penelope, die
besonnen zärtliche, dem Gatten und dem Sohn gegenüber, bis
Odysseus durch Beschreibung seines kunstreichen Schlafgemachs
ein unabweisliches Erkennungszeichen giebt und die Getreue ihm
um den Hals fällt, worauf „die Gatten Wandten sich herzlich er-
freut zu des Ehebetts alter Gemeinschaft", 296,
Hier , wo die Grammatiker die echte Odyssee geendigt an-
nahmen, sehn wir, wenn auch der Dichter wahrscheinlich noch
die Erkennung des Laertes berichtet und Beruhigung wegen der
getödteten Fürsten hinzugefügt haben mag, doch die so eng ver-
webte Partie vom Freiermord und der Wiedervereinigung mit
422
Penelope geschlossen. Sie zu vereinzeln , war wohl auch vor
Zuhörern, die ihren Homer kannten, nicht üblich.
Die somit vollzogene Musterung der Odyssee hat im Ver-
laufe der Erzählung fast nur umfassendere Partieen gel'unden.
Die einzelnen Scenen dieser sind eng verknüpft. Wenn daher
eine gehörige Rhapsodie immer ein kleines Ganze zu gegeben hatte,
so ist es hier eine natürliche F'olgerung, dass die Rhapsoden
eben altersher gemeinhin jene umfassenderen Partieen vorgetra-
gen haben, dass sie solche besessen und gewusst und also auch
den Sammlern des Peisistratos solche mitgetheilt haben. Um
diese Folgerung richtig zu finden, hat man sich nur zu vergegen-
wärtigen, was ein Hörer an den vereinzelten Scenen überhaupt,
aber besonders, was er an den Anfangsscenen der verscliiedenen
Hauptakle gehört hatte, wenn der Vortrag abbrach. Es gab ohne
die Fortsetzung ja doch nur Lieblingsstücke, Scenen oder Cha-
raktere, welche die Liebhaber schon kannten und nicht oft ge-
nug hören konnten, wie etwa die pylische Scene und den alten
Nestor, einmal vielleicht auch nur die Resclireibung seines Opfers,
3, 404 — 476, oder die Kyklopenmär, oder die Wäsche der Wau-
sikaa, auch wohl um der Helena willen, nach 4 bis Vers 619, gleich
Telemachs wirkliche Entlassung, 15, 86 — 183. — Die Beschrei-
bung des Bechers fiel hier oder dort weg.
Weiter nun hat dieselbe Musterung jene mehre Bücher um-
fassenden Partieen als Stufen und Akte einer fortschreitenden
Handlung wahrnehmen und eine diese beseelende sittliche Idee
inne werden lassen. Diese Motivirung wohnt nicht von selbst in
der Sage,^^^) welche nur Personen und Thatsachen überliefert,
die Beseelung kommt von den Dichtern; gerade in der durch
jede der beiden Poesieen Homers gehenden Beseelung des Gan-
zen, wie der einzelnen Scenen, offenbart sich die PersöniicIiKeit,
das eigenthümliche Dichtergemüth. Ajles dieses, wie es in der
Odyssee sich noch fühlbarer macht, führt auf den Bildner der
135) 0. Müller Proleg. S. 108 f. „Den Dichtern von Homer an
war durchaus das psychologische Moliviren der Begolienheilen
überlassen. Was Aganiemnon und Acliill gedacht, sngle die Tradition
nicht, es war genug, wenn sie vom Zorn der Fürsten , und wie dadurcli
Verderben über die Griechen kam, meldete. Jene Motiviruiip ist d.ilier
auclj bei verscliiedenen verschieden".
423
grossen Compositioneii und drängt zu der Voraussetzung, dass
er für diese grossen Ganzen eine geeignete Weise des lebendi-
gen Vortrags zu finden und ins Werk zu setzen gewusst liabe.
In der Odyssee also und in den Epopöen, ^velclie nach dem
V^organge der beiden homerischen Gebilde ähnliche grösseren
Umfangs darstellten , liegt uns guter Grund vor, es als unzweifel-
haftes Postulat anzuerkennen, dass die immer für den lebendigen
Vortrag bestimmten nationalen Kunstepopöen der Griechen , von
Homer bis Lesches und vielleicht auch Pisander von Rhodos, in
der zwiefachen Weise vorgetragen worden seien, theils als Ganze
in ihrem Fortgange vollständig, theils vereinzelt [otioqccöyiv) in
ausge\vählten Partieen.
20. Begründung und genauere Erörterung des Vor-
trags der wirklichen Epopöen.
Indem wir beide Arten der Rhapsodie, die theihveise und
die ganzer Epopöen als vor Solon und Peisistratos schon lange
üblich darthun wollen, sehn wir vorläufig aus später ersichtli-
chem Grunde ab von der Frage über die Möglichkeit der Dich-
tung und Ueberlielerung so grosser Gedichte für Homer selbst.
Aber wir vergegenwärtigen uns alle die im Vorigen gegebenen
geschichtlichen oder logischen Sätze, welche die Existenz
grosser epischer Ganzen bewahrheiten. Der stärkste und unmit-
telbarste liegt in der Odyssee, welche so wenig als die Gudrun
anders für kleinere Vorträge theilbar ist, als in solche Akte
oder Scenen, welche ihren Bezug auf den Plan der Epopöe und
seinen Fortschritt deutlich an sich tragen. Wer die Ilias ihr an
Einheitlichkeit auch ganz und gar unähnlich fände, wer ihr auch
in solcher Verkennung wie W. Wackernagel, weil Zeus die Ge-
nugthuung für den Gekränkten in die Hand nimmt, die einheit-
liche Durchführung ihres Motivs abspräche, '^^; er müsste doch
durch die Odyssee sich gedrungen fühlen, eine Form der Rhaps-
odie älterher vorauszusetzen und in der Ueberlieferung aufzu-
suchen, durch welche eine Epopöe von vielen tausend Versen
zum Vortrag habe konmien können.
Was die Form dafür betrifft, so haben wir schon bei zwei Lie-
136) Schweiz. Mus. 2. 83.
424
derstoffen des älteren Heldengeschlechts, der Argonaulenfahrt
und den Arbeiten des Herakles, die Durchführung mittels mehrer
Zusammenkünfte % auf einander folgenden Tagen erforderlich er-
kannt und dieselbe Weise, umfängliche Gedichte durchzuführen,
zeigt Welcker als ganz natürliche, wie schon für Homers Vor-
gänger, Demodükos und Phemios, so für die Ilias und Odyssee: Ep.
Cycl. l, 371 , wo er aus dem Schol. zu Od. 3, 261. die Angabe
mehrtägiger Vorträge beibringt.
Diese Weise der nicht in Einer, sondern in wiederholten
Zusammenkünften vollzogenen Rhapsodie der ganzen Epopöen,
sie erscheint als Brauch der ersten Zeit am glaubhaftesten. Dies
zumal, wenn der Dichter in seiner allmähligen Ausdichtung der
entworfenen Pläne zunächst nur die Hauptmomenle ausgeprägt
hatte. Die Hörer, für die er dichtete, erkannten auch ohne
Schritt für Schritt gegebene Uebergänge doch den Fortschritt von
einem Moment zum andern.'")
Doch eine Form der vollständigen Rhapsodie der Ilias und
Odyssee wird uns in drei mit einander wohl übereinstimmenden
Zeugnissen dahin angegeben, dass eine Anzahl von Rhapsoden die
ganzen Epopöen durchdeclamirten, so dass jedem sein Stück so
zu sagen seine epische Rolle zugewiesen war, indem der Fol-
gende, wenn er den Stab empfing,'^®) da fortfuhr, wo der Vor-
gänger geendigt hatte. Wie Alles, was von gymnastischen oder
poetischen und musikalischen Fertigkeiten Tlieil einer Festfeier
wurde, sich alsbald nach dem Ehrlriebe des griechischen Volks-
geistes zum Wettstreit, zum Agon, gestaltete, so auch diese
vertheilte Rhapsodie, daher denn jeder alte Schriftsteller diese
agonistische Vortragsweise versteht, wenn er von dem Vor"
137) Der sinnige Recens. in den Bl. f. litler. Unterh.1844 sagt Nr. 29.
S. 515. : „gar woid könne ein Cyclus geist- und inhaltvoller Lieder, wie die
vom Zorn des Achill — auch wenn sie sich nicht vollständig zu einem
künstlerischen Ganzen zusammenfügen W'Ollten, doch von einem und dem-
selben Dichter herrühren". Und wenn wir dies auf das Fehlen der über-
führenden Verbindungen ermässigen , gilt das Obige um so mehr.
138) Die intonirende Zitter war nach Welckers Erörterung Cykl. 1.
358 f. und Bergks Untersucimng über das älteste Versmaass gegen den
Stab verlauscht, den die Declamirenden wie die Sänger der Skolien,
Tischlieder , gleich dem Sprecher in der Versammlung führten , und den
einer dem andern überreichte. Welcker, Proleg. zu Theogn. XCVII.
425
l^rag ganzer Gedichte spricht, ihm also der Einzelne ein Ago-
nist heisst.
Der eine Zeuge, der Scholiast des Pindar (zu Neni. 2, Anf.),
belehrt uns ohne allen speziellen Bezug ganz im Allgemeinen
über beide Arten der Rhapsodie. Die eine Art sei gewesen
(die vereinzelnde) da die Absingenden (Declamatoren) je nach Be-
lieben irgend einen Theil vorgetragen hätten, die andere, wenn
eine der beiden Epopöen (vom Festordner) in den Agon' einge-
führt worden und dann die Agonisten die Theile zusammen-
gereiht und so die ganze Dichtung durchrecitirt hätten. Die
beiden Andern sprechen von den P'esten Attikas , und hier wieder
der eine von einem allgemeinen Gesetz des Gesetzgebers Solon
ohne Angabe bestimmter Feste, der andere von dem Hauptfeste
des Staates, den Panathenäen: Von Solon heisst es:''^) er gab
das Gesetz, man solle die homerischen Gedichte nach Anw eis ung
vortragen lassen, so dass, wo der Erste aufgehört, von da der
Folgende beginne. Der Ausdruck „nach Anweisung" bildet eben
den Gegensatz zu der beliebigen Wahl, nach der man ausser den
Festen auf den Plätzen oder in den so genannten Sprechhallen
(Leschen Buch 1, Anm. 53 J selbstgewählle Stücke hörte. Die
Anweisung, welche das Gesetz vorschrieb, hatten die Festordner
bei eintretenden Festfeiern zu vollziehen, wie wir im dritten Zeug-
niss einen solchen finden werden. Da zu jedem Fest immer
mehre Rhapsoden sich einfanden, war diesen erstlich die Ilias
oder die Odyssee, und dann jedem einzeln seine Partie aufzuge-
ben. Die im Zeugniss hinzugefügte Erklärung: ,, nämlich wo
der Eine aufgehört, sollte der Andere anfangen", hat das Selt-
same, dass sie, wie im Sprung, die mittelbare Folge des Gesetzes,
die beabsichtigte Wirkung der Anweisung angiebt, aber sie giebt
das der Sache Gemässe.
Solon musste schon bestimmte Feste vor Augen haben, und
er konnte das der brauronischen Artemis , vielleicht auch Diony-
sien älterer Form meinen."") Dagegen hatten die Panathenäen
139) Diog. V. Laerl. 1, 57 und Suidas: vnoßoX'rj. Beide aus der-
selben älteren Quelle: ZoXmv ra 'Ofxrjijov i'^ vnoßokrjg Ey^aipe ^ai/^w-
ötloQai. oiov, onov v TiQcoTog skr]^tv SKet\}ev ÜQ^^a^cci vov d(Jx6^evov.
lieber die Formel 1^ Jjto^o/l^Jg s. Sagenp. 413 — 418.
140) S. Meyer, Panathenäen S. 285 in Allgem. Hall. Encycl. 111, 10:
426
zur Zeit seiner Gesetzgelning die nachmals so hocligeloble Rhaps-
odie des Homer noch nicht. Während er auf seine lü Jahre
von Athen abwesend war, 571 — 561,'^^) geschah es noch erst,
so viel wir sehn, dass (566) unter dem Archon Hippokieides den
i'rüheren Pferderennen zunächst nur gymnasiische Wettkämpfe
hinzugefügt wurden, woran vielleicht Peisistratos Verdienst hatte,
der aber erst 560 zum ersten Mal die Herrschaft gewann. Hätte
er schon während dieser, überhaupt vor der dritten, neben anderem
Schmuck der Panalhenäen auch die Rhapsodie eingeführt, so wäre
dies vor der Gründung seiner Bibliothek und vor seiner Sammlung
der homerischen Gedichte geschehn. Dies anzunehmen, haben wir
keinen sicheren Anhalt. Dagegen gilt uns das dritte Zeugniss
aus dem wenn auch sehr rhelorisirenden Pseudo- Piaton. Hipp-
arch, 228 B., so viel als es von diesem Sohne des Peisistratos
sagt: ,,Er hielt die Rhapsoden an, homerische Gedichte mittels Ue-
bernahme von Vorgänger — in Aufeinanderfolge — nach der Reihe
durchzugehn, durchzudeclamiren". Der hier gebrauchte Ausdruck
verhält sich zu dem des solonischen Gesetzes sprachlich wie ein
bezügliches Verhalten oder sich Aeussern zu einem Massgebenden,
concret sachlich wie Ausführung und spezielle Anwendung zu einer
Vorschrift. Hipparch handelte als Festordner wie er später in gleicher
Thätigkeit seinen Tod fand (Thuk. 1, 20, 3. 6, 57. 2.).'«) Wenn
man vielfältig geneigt ist dem Vater Peisistratos, an dieser Einführung
in die Panathenäen einen Antheil zuzuschreiben, so steht dem
das Zeugniss von Solon entgegen, wo nach der gewiss richtigen
Die Dcclamirübungen aiijden Apaluricn bei Plato Tim. 21 B. passen jedoch
nicht. An den Brauronien wurde nach Ilcsych. die llias vorgetragen, von
der früheren Rhapsodie der Dionysien giehl Athen. VII. z. A. Zeugniss;
sie machte vcrmulldicli durch Peisistratos den drauiatisclien Gattungen Platz.
141) Westermann hinter Plut. Solon: de actatc Solonis p. 87. Die
Panalhenäcnrhapsodie : Lykurg geg. Lcokr. c. 26. S. 209 Rsk. Isokrates
Panegyric. 42. Plalons Jon z. A. Sie bezeugen: nach allem Braucii wür-
den Homers Gedichte und sie allein bei den grossen Panalhenäen recitirt,
kein irgend anderer Epiker, und zwar im Wetlkampf, so dass die Preise
gewonnen würden. Dass sie Redner von dem bericliten , was noch in
ihren Tagen statt fand, ist nicht zu zweifeln.
142) Es heisst: rjvdynaas Tovg Qa^p(p8ovg nava&i^vaiotg e^ vno-
A> t/'fwg icpe'E,'rjg avrcc 6t.eivai, agneQ vvv hi oXde tiüiovOi. Der
ganz gleichbedeutende Ausdruck xar« riva nsgioöov i^ vnodo'ji^rjg wird
vom Gesang der Skolien gebraucht; Mclet. 2. 135.
427
Herstellung Ritschis'") gesagt ist, dem Solon sei wohl eher ein
Verdienst um die V'erhreitung der Bekanntschaft und des Ruh-
mes der homerischen Gedichte beizumessen, als dem Peisistratos,
der dessen Gedichte nur gesammelt und einige Stellen habe
einschieben lassen. Also Solon ordnete Recitation bei öflentlichen
Festen an, Peisistratos schuf nur Exemplare zu Abschriften und
dies nicht ohne Fälschung. Und wenn Solons Regel die auf
einander folgenden Partieen nur in ihren Forlschritt brachte,
mochte Hipparch die Rhapsoden auf Abschriften der redigirten
Ausgabe verweisen, da denn der Anschluss des Einen an den
Andern nie enger war.
So also geschah die Einführung der vollständigen Rhapso-
die der Jlias und Odyssee in die Feste Attikas und namentlich
in die grossen Panathenäen, welche in jedem dritten Olympiaden-
jahr vier Tage hindurch begangen wurden (Meier S. 279.). Eine sol-
che Festrhapsodie war etwas Besonderes und Neues, vor dessen
Stiftung die homerischen Gedichte, wie anderwärts, so in Attika
schon längst durch Einzelvorträge bekannt waren. Die obige
Darlegung der in den Gedichten selbst gegebenen Fassung die-
ser Einzelvorträge lässt einsehn, dass die Rhapsoden nicht etwa
viel umzulernen hatten, als sie die redigirten Exemplare bekamen.
Sie hatten ja eben geliefert, was die Sammler redigirten. Eben
dieser Umstand und diese Beschaffeuheit des in Attika bis da-
hin vereinzelt Vorgetragenen beseitigt jede Vorstellung von einem
wesentlich Andern, was durch die Veranstaltung des Peisistratos
erwirkt sei. Rein besonnenes Urtheil kann anders hierüber lau-
ten als das Schömanns:'") „Dass jene Composition (der llias) vor
Peisistratos gar nicht vorhanden gewesen sei , ist — zuletzt von
Grote — mit so schlagenden Argumenten widerlegt, dass unseres
Erachtens diese Meinung für immer abgethan ist. Alles stimmt
vielmehr dafür, dass eine llias als Ganzes schon vor den ältesten
Cyclikern, also vor dem Anfang der Olympiaden, vorhanden ge-
143) Rilschl Alex. Bibl. 65. Das cpcotiaai hodculcl aber iJluslmre,
in luce et celebritjile poiiere, oder iniiulcslcns ovulgaro, was von den be-
reits vorhandenen Gocbolilcn gilt nnd ist niclil mit Aeiians anitpiivs rijv
'ikiaSa zu vergleichen, was ilire Gcslallung bezeiclincl; cxbibnit.
144) Rcc. m. Sagen]), in N. Jahrb. f. Phil. u. Pädag. B. 09. S. 3Ü.
428
wesen, und es ist gar kein Grund, anzunehmen, dass dieses v^e-
sentlich von der unsrigen verschieden gewesen".
21. Das Allgemeine von den nach st homerischen
Epopöen als rhapsodirt neben den homerischen.
Indem die Anordnungen des Solon und des Peisislratos, «ie
seines Sohnes, uns Beides als bereits aus langer Vorzeit voriian-
den und üblich annehmen heissen, sowohl die von dem Bildner
der wahren Epopöe gedichteten Ganzen, als die zur Darstellung
dieser Ganzen geeignete Rhapsodie, so gemahnen sie uns an alle
Anzeichen, welche uns die Geschichte der nationalen Geltung die-
ser Gedichte gewährt. Zuerst daran, dass mit des Peisislratos
Unternehmen, woneben Xenophanes und Thcagenes stehen, die
zweite Periode jener nationalen Geltung der homerischen Gedichte
beginnt, die nicht mehr naive, sondern reflectirende neben der
fortwährend volksthümlichen. Vor Allem aber gedenken wir der
Epopöen, welche sich an Ilias und Odyssee anreihen. In ihren
Vei'fassern Arklinos, Stasinos, Kreophylos, Agias, Lesches, haben
wir, insofern keiner von ihnen den Sagentheil der Ilias oder
Odyssee berührt, selbst Zeugen für die ihnen bereits bewusste
Behandlung jener beiden Sagenlheile erkannt. Mehre von ihnen,
namentlich Arktinos, Stasinos und Agias lassen nach den uns vor-
liegenden Inhaltsanzeigen nicht undeutliche Bezüge auf die bei-
den Musterepopöen erkennen. Waren sie doch wahrscheinlich
von deren Vortrage zur eigenen Dichtung der andern Sagen-
lheile fortgeschritten. Mehr und einfachen Beweis giebt die
Vergleichung der Religion jener Nachfolger mit der des Homer.
Die religiöse Sühne des Mörders, die Apotheose der Heroen, die
prophetische Begeisterung, die Erscheinung Verstorbener bei
ihren Gräbern bilden eben so viele sprechende Anzeichen eines
veränderten religiösen Glaubens. Mancher Wandel in der Volks-
sage, den die Aethiopis des Arktinos, die Kyprien des Stasinos
und die Nosten des Agias enthalten, kommt nur zum Ueberfluss
hinzu. Die schon bei ihnen giltige Unterscheidung der religiö-
sen Vorstellungen von den homerischen giebt bei den Sammlern
des Peisistratos wiederum Zeugniss wie von ihrem Verfahren, so
von ihrer Gebundenheit hinsichtlich des Ueberlieferten.
Es zählen zu den nächsthomerischen noch die zwei namen-
I
429
losen aus der thebanischen Sage, die Thebais und die Epigonen,
welche wir einerseits — wohl durch die rhapsodirenden Homeri-
den — dem Homer zugeschrieben sahen, andererseits als aus-
drücklich bemessen mit je 7000 Versen kennen. Sonach ver-
stärken diese ursprünglichen Epopöen, 8 an Zahl, das Postulat
einer Rhapsodie , welche für den Vortrag der schon vor ihnen
gedichteten beiden um ein Bedeutendes länger erforderlich
war."^) Mögen diese, die Ilias und Odyssee, seit Arktinos, Kreo-
phylos u. s. w. noch ansehnlich durch Einschiebsel ausgedehnt
sein ; die in Attika erst spät eingeführte vollständige Rhapsodie
mit vertheilten Parlieen halten wir jedenfalls als alther und ganz
natürlich gefunden fest, mögen wir auch nicht wissen, wann und
wo dieselbe zuerst als Akt eines Festes eingerichtet worden. Es
geschah wohl so, wie Volkssitten unter ähnlichen Bedingungen an
mehren Orten zugleich sich bilden. Der Charakter und die Art
der Festage als Volkszusammenkünfte (Panegyren), bei Feiern der
Stammgemeinschaften (Amphiktyonien) oder überhaupt geweihten
Freudentagen, führte sehr natürlich auch die epischen Erzähler
dahin , und eine Mehrzahl dersellien zur geordneten Rhapsodie.
Es ist da nur zu bemerken, dass nicht der Charakter des Got-
tes entschied. Das Fest des Asklepios in Epidaurus hatte auch
die agonistische Rhapsodie (Plat. Jon z. A.), wenn es auch das
apollinische Gesammtfest auf Delos die Delia sind, bei welchem
uns nach dem Hymnus an Apoll, 165 ff., angeblich Homer selbst
seinen und seiner Gedichte Ruhm verkündet, und wo also diese
Chorgedichte auch vorgetragen wurden. Wie hier der persön-
liche Dichter statt der seine Gedichte vortragenden Homeriden
genannt ist, so hat sich vielfältig in der Sage das Leben der
Gedichte d. h. ihr Vortrag durch Rhapsoden zum Lehen des Ho-
mer selbst gestaltet. So nahmen wir schon oben wie von Chios
so von Kolophon, von Samos, von Kypros und andern Orten an.
Freilich um allen diesen Orten Etwas, was eine Rhapsodenschule
145) Das viel zu siiiiiinarisclie Urtlieil Bcrnhardy's, 2, 1. 188 — 190,
das diese Epiker fast nur als den Cyklos bildend auffasst, kann uns niclit
abhalten, ihre Epopöen als für öffentlichen Vortrag bestimmt und ge-
braucht zu nehmen. Gedichtet dafür haben sie jedenfalls, in wie weit
ihnen dies gelungen, oder im andern Falle sie nur gelesen worden, darüber
fehlen die Nachrichten.
430
heissen dar!', niiUliniaasslich beizulegen , muss man einmal den
Vorzug anerkennen , welchen die homerischen beiden Epopöen
vor allen andern, besonders in der sprcchsamen Form behauptet
haben; sodann darf man nicht nach Welckers Annahme mit sei-
nem appellativen Verständniss des Namens Homeros, der homeri-
schen Poesie die ganze Reihe von Epopöen beizählen, durch
deren Zusanmienfügen der epische Cyclus gebihh't wurde.'"'*)
Vielmehr ist unter jener vorleuchtenden Idee vom Dichtergenius
Homer das volksthümliche Leben seiner beiden Schöpfungen in
der sich verbreitenden lUiapsodie zu erkennen. In den einen
Orten wurden selbst dichterische Geister durch Vortrag und gei-
stige Befreundung mit jenen Mustern zu eigenen Dichtungen,
wenn auch keineswegs ohne heimathliche Anregungen , geführt,
an andern standen eben nur die homerischen Werke in be-
sonderer Anerkennung und Bliithe. Die überlieferte Mannig-
faltigkeit der Sagen sowohl von Homers Heimathen oder bleiben-
deren Aufenthaltsorten, als von den ihm als drittes oder viertes
hier und da zugeschriebenen Gedichten, kann so allein richtig
gedeutet werden. Das, was durch innere und äussere Gründe
als das Unveräusserlichste zu gelten hat , der Vorzug und die
Geltung der Uias und Odyssee und ihres Dichters bleibt vor allen
gewahrt, und man vermeidet den Widerspruch, der zwischen
140) Welckers Annahme beruhcle auf falsch gedeuteten Citalen,
welche er als Belege für den appellativen Gel)raiich des Namens Homer auf
andere f]popüen bezog, die aber alle statt dessen auf die Ilias oder Odyssee
verwiesen. S. besonders Sagenp. 330 ■ — 341 , dann S. 349 Kap. X. und
S. 352 Kap. XI. , S. 355 und 309 Kap. XV. Der sonst verdiente Verfasser
einer historia eritica Homeri, welche der 4. Ausgabe des Teubnerschen
Homer beigegeben ist, Sengehusch, bat ohne Prüfung die Welckersclie
Ilypotliese wiederholt, und die Berichtigungen der Sagenpocsie nicht be-
achtet , bes. Sagenp. 398. So sagt er Diss. 2. 14. : Aeschylus universa
carmina cyclica (ad Ilomerum retulit). Dass nämlich Aeschylos einst seine
Tragödien Stücke (zerlegte) vom grossen Mahle des Homer genannt haben
soll , deutete Welcker Gr. Tr. 1. S. 4. daliin , Aeschylos habe den ganzen
epischen Cyclus in seiner Poesie erschöpft. Aber Aeschylos meinte sein
Wort gar nicht so, und konnte es nicht so meinen. Dass er einen Cyclus
von Epopöen gekannt und homerisch genannt, davon haben wir kein Zelig-
niss, und seine Trilogien konnten gar nicht die Epopöen alle so verwenden.
Aber wohl hat er aus der Ilias und Odyssee eine Trilogie gestaltet. Ob
er nun hierauf anspielte oder mit Homer nur die epische Gattung als mit
ihrem Haupt bezeichnete, das lässt sich nicht entscheiden. S. Sagenp. 541 f.
431
dem genialen Dicliter der neuen Gattung und neuen Periode
statlfindel, welcher die neben ihm fortbestehenden früheren Lie-
der in Vergessenheit bringt, und der verflachenden Verallgemei-
nerung seines Namens, nach der jeder Nachbildner auch Homer
genannt worden sein soll. '")
Es wäre dieses Beides, jene hervortretende epochemachende
Auszeichnung und diese Verflachung seines Namens nur denkbar,
wenn die Vorzüge und Reize der homerischen Poesie erst spät
empfunden und anerkannt worden wären. Dass dem al)er nicht
so gewesen sei, dass dieselben schon frühzeitig gewirkt haben,
ist durch zwei thatsächliche Erfolge von der Geschichte bezeugt.
Während bei der Entstehung vieler jener Gedichte einzelne
Lieder bestanden und neben ihnen fortbestanden, was zum Theil
durch aus diesen geschehene Einschiebsel sich auch ausdrücklich
kundgiebl, sind sie schon in älterer Zeit durch ihre Vorzüge
d i e V 0 r h a n d e n e n ältesten e r s t g e \a o r d e n. Später dann, wo
ihre nationale Geltung durch des Xenophaues Tadel und des
Theagenes allegorische Vertheidigung, wie durch Anwendung in
politischen Streitfällen i'uchtbar wird, erkennen wir aus der Wir-
kung, aus dem bestehenden Ansehn der Gedichte, dass
eine grosse Verbreitung und Blüthe durch eine sehr be-
flissene Rhapsodie hervorgegangen ist.
Zu diesen nur summarischen Beweisen blühender Rhapsodie
und zwar auch Gesammtrhapsodie vor der Sammlung des Peisi-
stratos, welche das Gesetz des Solou schon voraussetzen heisst,
kommt auch das spezielle Zeugniss des Herodot, 5, 67, wo der
Tyrann Klislhenes von Sikyon, der Schwiegervater des Peisistra-
tos, die festlichen Vorträge der Rhapsoden untersagt ,,der home-
rischen Epen wegen". Sein Grund , weil sie die Argeier so viel
und all überall priesen, kaim nicht ohne Bezug auf die llias ge-
meint sein; die Thebais, die Epopöe von dem ersten unheilvollen
147) Sagenp. 371. „Weicker halte, indem er den Namen Homer
attributiv als den Zusammcnfiigcr gedeutet, mit der Ilias oder mit Iloiiier
ein zweites Zeitaller epischer Poesie, d. h grosser Conil)iiialionen be-
ginnen lassen; so musste er allein mit der letzleren Vorstellung und An-
nahme verfahren, was er aber weder in jener Erklärung noch ülier-
liani>l nachmals befolgt , vielmehr weiterhin die erslere Annahme allein
walten lässl".
432
Zuge gegen Theben zu verstehn, hat weder von Seiten des In-
halts noch nach des Herodot Persönliclikeit Wahrscheinlichkeit,
der die homerischen Epen schwerlich so genannt hat."*)
Derselbe Grund, der den Klisthenes (um 558 vor Chr.) ge-
gen Homer missstimmte, machte diesen den geschichtlichen Argei-
ern theuer wie das Epigraunn der Statue angiebt, welche ihm in
Argos mit heroischen Ehren gewidmet war."^) Hierzu kommt
eine andere Nachricht zwar aus späten Schriftstellern, doch
eben beglaubigt durch die Uebereinslimmung mit den eigen-
thümlichen Bräuchen. Die Argeier sollen den Homer über alle
andern Dichter geschätzt, ihn bei ihren (besonders den Dorern
und dem Apollon eigenen) Theoxenien, mit Apollon zusammen-
geehrt und zu seinem fünfjährigen Opferfest auf Chios eine so
genannte Theorie gesandt haben. '^°) Die einer solchen Schätzung
entsprechende Rhapsodie werden wir doch weder erst nach Athens
Vorgange, noch erst spät zur vollständigen eingerichtet zu
denken haben. Einen dem Homer naclxlichtenden Epiker ken-
nen wir in dortiger Umgegend im Verfasser der nachhomerischen
Nosten, dem Agias von Trözen. So wie wir nun die in den ioni-
schen Städten alther übliche agonistische Rhapsodie des Homer aus
jener strafenden Aeusscrung des Heraklit anzunehmen hatten,
und sie uns als die der Feste gilt, so konnte sie auch allein die
Epopöen jener, dem Vorgang des Homer folgenden Epiker zum
vollständigen Vortrag bringen.
Aber auch bei diesen haben wir die zwiefache Rhapsodie,
Einzelvorträge und Gesammtvorträge anzunehmen. Jene in der
148) Grote verstand diese. Aber weder ist dem Herodot bei seinen
Aeusserungen über die Meinungen von den Epigonen und den Kyprien
die schlichte Annahme von der Thehais als homerischem Gedicht so leicht
beizumessen, noch trifft jener Grund auf diese mehr als auf die Ilias; im
GegenLheil das Gedicht vom unghicklichen Kriegszug mit dem fliehenden
Adrast am Ende eignet sich wenig, während die Ilias bei dem Vollsinn
der Namen Argeier und Argos, der Stellung des Agamemnon, den Erfolgen
und der ganzen Bedeutung des Diomedes gewiss reich ist an Verherrlichung
der Argeier, Eustalh. zu II. 2, 568 S. 288, 44. Sagenp. 305 und 316. Was
aber Klisthenes dort gegen den Heros Adrastos thut, ist ausdrücklich als
ein von jener 3Iaassregel Verschiedenes bezeichnet.
149) Bruncks Anal. III. 265. Jacobs Deduct. S. 84 Nr. 15 aus dem
Agon des Homer und Hesiod §. 18.
150) Aelian V. G. 9, 15. Agon des Homer und Hesiod §. 18.
1
433
Ilias so viel bemerkte DarstellungsAveise, da theils hervortretende
Vorkämpfer und Einzelkämpfe, theils andere Akte eigenthümlichen
Charakters den auf einander folgenden Patieen ein seihständiges
Interesse i;ehen, nnd diese dadnrch znm Einzelvortrag eignen,
dieselbe können wir in den Inhaltsanzeigen der ISachfolger nach-
weisen.'^') Es ist hier nnr der Unterschied in ihrer Einheitlich-
keit zu beachten, der durch die Beschaffenheit des Sagenstoffs
seihst bedingt war. In dem Maasse als die Handlung ihre ein-
heitliche Entwickelung hatte, und diese an einer Hauptperson
vorging, bewog die Epopöe selbst zum Gesammtvortrage, wobei
immer die unverwickelte Folge von Einzelakten daneben Einzelvor-
trägen dienen konnte. Zumeist die über alle andern sowohl einheit-
liche, als an den schönsten Motiven reiche und der Ilias beziehent-
lich ähnlichste Aethiopis des Arktinos.'"^) Die Einheitlichkeit der
Handlung, welche vom Anfang bis zum Schluss den Achill zum
Mittelpunkt hat , eignete diese Epopöe gar sehr zum Gesammt-
vortrag, und sie gab eben deswegen dem Aeschylos eine Trilogie
mit vollständigen drei Tragödien. '^^) Diese zum Gesammtvortrag
führende Einheitlichkeit machte sich um so fühlbarer, als es innere
seelische Motiven sind, welche mit einander verkettet den einen
Theil mit dem andern verweben, wie oben genauer nachgewiesen ist.
151) Von vielen, welche Weicker aufführte, ist wegen zu dürftiger
Kunde abzusehen. Er räumte der Condjination und Muthniaassuug zu viel
ein. Von der Danais, der Oedipodee, aucii der Titanüinaciiie wissen wir
zuwenig; Siigcnp. 20 — 35. Die Deutung zw^eier Titel auf Eine Epopöe
ist hol einigen iiinlnnglich begründet, die Kosten und der Alrcidon Rück-
kehr sind (inssolI)O, die Thebais und des Aniphiaraos Ausfidu-t, Occhalias
Einnahme und Ilerakloe ebenso ; dagegen dass mit Alkmäonis die Epi-
gonen, mit Minyas die Phokais, mit Aniazonia die Atthis, als Erziddung
von des Theseus Kampf mit den Amazonen, benannt sei, beruht auf ge-
waltsamen Deutungen und Combinationen ; Sagenp. 22f. Bernliardy, Gr.
Litter. IL, 1. 2. A. S. 205. 206. 209. 213. Die nach der Zeit des blühen-
den Epos gedichtete Telegonie, die Fortsetzung der Odyssee , liegt uns
zwar auch in dem Inhalte vor, alter eben als an sich reizloses Gediciit,
welches schwerlicii je die Rhapsoden ]»escli;ifligl hat; Bernhardy 214.
152) S. Sagenp. 614 ff. bes. ^g. 146 und 148. und ölten Buch 2 §. 19.
Auch hat den Gang der Epopöe Aethiopis, die ihren Namen von einem
Haupttheil hat, der VerL in Meletem. 2, 49 — 51 angegeben.
153) Wie schon früher gesagt ist , gaben eben nur die drei Epo-
pöen, welche in ihrem Fortschritt an einer Hauptperson hielten, zu allen
drei Acten einer Trilogie den Stoff.
Nilzsch, üfiscli. i1. gricch. Eiios. 28
434
22. Fortsetzung. Die Einnahme Oecli alias des Kreo-
pliylos nncl die Thebais.
Dieselbe Eigenschaft persönlicher Einheitlichkeit, welche die
Aethiopis mit der Ilias nnd der Odyssee gemein hatte, empfahl
auch die Epopöe des Kreophylos zum ficsannntvortrag durch
sich ablösende Rhapsoden. Man könnte zwar meinen, ein Lied
von des Herakles Fehde gegen Enrytos in Oechalia auf Euhöa
(s. Buch 2, Anni. 3.) sei Avohl nur des massigen Umfangs gewe-
sen wie die vorhomerischen; aber die Sagen von dem Kreophy-
los auf Samos oder los,'^*) wie er den Homer einst gastlich
aufgenommen und zum Dank jene Epopöe zum Eigenthum erhal-
ten habe — sie machen den Kreophylos zum Epiker homerischer
Art und lassen nur ein Werk anneimien, das die Ausdehnung und
Entwickelung einer wirklicluMi Epopöe gehabt hat.'^-') Auch ist
es undenkbar, dass darin nichl auch mehrfache Einwirkung der
Götter dargestellt worden wäre. War es kein Völkerkampf, an
dem die Götter sich wie die Streiter in Parteien theilten, und
Zeus entschied, so ward dieser erstlich doch gewiss von seinem
Sohn angerufen als Rächer gegen den wortbrüchigen Eurytos,
uml ausser ihm konnte der Bogengott ApoUon kaum unbetheiligt
lib'iben, den Eurytos wohl erzürnt halte, und der dem Herakles
daher beistand.'-*) Endlich wird Aphrodite bei der Liebe des
Herakles zur lole nicht unerwähnt geblieben sein.
Es war ein Heerzug mit gesannnelten Schaaren (So[di.
Tiach. 258 f.) zur Eroberung der Stadt, nicht ein Einzelkampf,
und zwar ein von Anfang auf die Vernichtung des Treubrüchi-
gen abgesehener. Eurytos hatte früher um die Hand seiner
schönen Tochter lole einen Bogenkampf ausrufen lassen, wer
ihn und seine (2) Söhne darin übertrofl'en , der sollte sie heim-
154) Da wohnt Kreo])hylos nach dem Agon §.49 g. E. S.45. Westorni.
und Proklos, S. 25 das. Sonst wird er nnd sein Gescldochl nach Sanios
gesetzt, wo Lykurg von seinen Nachkommen die homerischen Gedichte
empfängt.
155) So auch Wclcker Cycl. 2, 481 r. Derselhc iiandciL /msCiihrlich
liher ilas Gedicht im 1. Hände, wo er jedoch 2U) den N.imon Kreophylus un-
riclilig deutete, indem er auch Pinto missversland. Sagenp. 02 — (14 und
das. die weitere Auslegung der Nachrichten vom Verhällniss dieses Epikers
und seines Geschlechts zu den homerischen Gedichten.
150) Od. 8, 220—228. 0. Müller, Dor. 1, 413 f.
435
führen. Herakles war dem Rufe gefolgt und halle üher Alle den
Sieg ge^vonnen, aber Enrytos dann nichl Wort gehalten, ja den
Sieger mit Schim[)f aus seinem Hanse gewiesen (Traehin. 263).
So sammelte Herakles, naehdem er inzwisehen Anderes bestan-
den , in der thessalisehen Trachis eine Sehaar theils I^lalier,
epiknemidische Lokrer aus der Umgegend und Ändere ferner her,
Ibeils einzelne betraute Genossen, den Hippasos, Sohn des Keyx,
bei dem Herakles jetzt wohnte, und die Vetlern Argeios und
Melos. So geschahen mehrfach Einzelkämpfe in der Schlacht,
in welcher jene drei Genossen fielen, die Herakles nachmals be-
stattete. Diese, eine epische Erzählung verrathenden Einzelheiten
giebt Apollodor, 2, 7, 7., aus älteren Sagenschreibern, vermnlhlich
von der Epopöe des Kreophylos her.'''') Weiter geben sie nur den
Erfolg, „dass Herakles Oechalia Vrolicrl, den Enrytos und
seine Söhne gctödtet, die schöne lole gefangen abgeführt". Sie
kam mit mehren (Trach. 283. 299.) — wie die Frauen einer
eroberten Stadl dies Loos halten, während die Männer gefallen
waren (Od. 14, 264 f.) — und kam in stets Ihränender Trauer
(Trach, 325 f.); Herakles aber war, wenn zur Rache, doch auch
aus Verlangen nach lole gegen Enrytos ausgezogen (Trach. nicht
blos 352 ff. , sondern 475). Gerade eine Scene zwischen Hera-
kles und lole bezeugt uns der einzige wörtlich erhaltene Vers
der Epopöe.'^**) Und dass loles Stellung und Antheil an der
ganzen Handlung ein bedeutender war, sagt uns das Epigramm
des Kallimachos bei Slrabo •}'^^)
157) Ilcroiloros ( w.ihrscliciiilicli um 5J0 vor Chr.) im Scliol. zu
Eur. Hipp. 545. Phcrokyilcs Scliol. zu Od. 2] , 23 und zu Sopli. Traoli.
158) Wcicker 2, 557 f. — Die übrigen Citnte au.s Kreophylus hefern
niclits für Konnliiiss des Inhalts Bezeiclinciulores. in IN'i'. 4 liezieht sich
(las yuQ, nändich, zwar nach häufigem Ocltrauch auf das vorher auküii-
(ligcnde ovrag (Matlh. §. ßSOf.), aber aus Kreophylos kann das nicht
alles sein. Noch weniger liissl sicli üher das Citat uiUer dem Namen
Kinälhon enlsclieidcn; Weicker 1. 232 f.
159) 14, ü3y a. K., wo er die Sage von lIünuT als Verfasser mit der
Berichtigung des Kallimaclios anfüliit. Im Iclzlen Verse: yQä(xi.ict Ä^fco-
qpvA.ro, Zev cpiXs , roiTro (leya^ ist offcnhar reine Verwunderung, und
somit das Urtheil deutlich angedeutet, dass ihm eine Vergleichung mil
den Vorzügen Homers um iiclräclitliches zu viel scheine. In dem zweiten
Verse lesen w'ir stall xlc^Uo, icli klage, Kkilco, künde, singe, nach der
unabweislichen llerslelhiii^ Mcinocke's Vimliciao 21 , W'as auch allein als
28*
436
Werk fies Samiers Itin ich, der einst den göltlichen Sänger
Aufnahm; Eurylos Loos sing' ich, was Alles er litt
Und loleia die Blonde. Münierisch nennet der Ruf mich
Traun, von Kreophylos ward damit Grosses hesagt.
Gegenliebe der lole ITii' Herakles ist sonst nirgends her
kennbar, nur bei Euripides im (lliorgesang auf die iMaelit des
Eros und der Aphrodite ( Hippol. 545 — 554) könnte sie gefunden
werden;^*") doch bleibt die Stelle, al gesebn auch von ihrer
Verderbniss und kritischen Unsicherheit immer deshalb dunkel,
weil wir sonst nirgends her ein Bild haben, wie sich lole dem
Herakles persönlich gegenüber verhalten habe. Dagegen ist, dass
Herakles sie für sich erstrebte, weit mehr bezeugt, als dass er von
Anfang in ihr eine Gattin für seinen Sohn Hyllos gesucht habe.'*')
Die Ausgangspartie der Epopöe kann in zwei einzelnen Punk-
ten aus der Nachbildung des Sophokles und aus der Sage überhaupt
vermutbet werden. Der kenäische Zeus, auch von Aescbylos er-
wähnt, war auf dem Vorgebirge EuböasKenäon von Herakles geweiht.
Dieser hatte dort seinem Stammgott, indem er für den gewonne-
nen Sieg dankte, einen Altar und Opfer gestiftet (Trach. 237. 750
bis 754). Dieser Akt war unstreitig in der euböischen Sage, wel-
che Kreophylos ausdichtete, mit enthalten. Sodann nehmen wir
wohlbegründeter Weise an, dass auf den Zug gegen Oechalia als
der letzten That des Herakles die Apotheose des Helden folgte,
und eben diese nach der Weise anderer nJichsthomerischen Epo-
pöen (Aethiopis u. a.) den Schluss der Heldenbahn bildete. Der
Fortgang vom Dankopfer am Kenäon zum Scheiterhaufen auf dem
Oela ist in Dunkel gehüllt."'^) Wie viel also von den tragischen
Begebnissen, weldie der Entrückuug vom Scheiterhaufen zunächst j
allgemeiner Ausdruck vom Epiker passt. Anders Welcker Cycl. 1 , 229
und früher ich seihst, Sagcup. 63.
KiO) Die Stelle hesagt, Aphrodite hahe die lole uiitleu unter den
Gräueln der Eroherung dem Soluie der Alkmene zugefiihrl. Oh sie nun
etwa, nachdem sie Vater und Brüder von Herakles hatte getödtel gesehn,
ihm doch freiwillig folgte? Bei Hygiu 35. .inimo pertinacior parentes suos
ante (coram) se necari est perpessa.
161) ^Velcker 1. 233 f. Schcidewin, Einleit. zu S. Trachin. 11.
162) Ein Ort auf dem Oeta hiess nach der Sage Pyra, Toophr.
Pflanzengesch. 9, 10, 2. Liv. 36, 30. Prellor, Gr. Myth. 2, 177. Die Lage
des Oeta im Ursitz der Doricr scheint Antheil zu haben auch an
437
vorhergingen, schon in jener Epopöe gewesen, lässt sich kaum
irgend ermessen. Deianeir« war zwar in aller Sage hei jenem
Zuge des Herakles Weih. Aher dass diese ihm schon l)ei Kreo-
phylos das mit dem Blut des Nessos getränkte Gewand gesandt
habe, lässt sich wenigstens nicht bestimmt nachweisen. Im Frag-
ment des Aeschylos bei Strabo (447. 9.) schwimmt Glaukos „am
Ufer Euböas längs des kenäischen Zeus Gestaden unterm Grab
des unseligen iäd-Uov) Lichas hin"; da denn das Beiwort des
Lichas, des auf Euhöa sehr ruchtbaren (Str. 426), auf dessen Tod
durch den erzürnten Herakles hinzmveisen scheint, weil der He-
rold Lichas das verderbliche Gewand überhracht hatte (Trachiu.
777-780). Zwischen Aeschylos und Kreophylos lag freilich
eine lange Zeit der webenden Sage und der die epischen Sageii-
stoffe neugestaltenden Lyriker. Die Heirath des dadurch auch
den Aetolern zugeeigneten Herakles mit Deianeira sammt dem
Abenteuer mit Nessos hatte Archilochos schon lehensvoll darge-
stellt.'*^) Ein anderer Tod des Herakles verlautet aber nirgends,
als der auf dem Oeta. In Hesiods Theogonie, 950 — 955, ist
eben nur die Apotheose bezeichnet."'*)
23. Fortsetzung. Die Thebais.
Soviel von der einheitlichen Epopöe des Kreophylos, deren
einzelne Partieen, wie nicht zu zweifeln ist, beim Einzelvortrag
als dem grösseren Ganzen angehörig erkannt wurden. Ebenso
verhielt es sich mit der Thebais, auch die Ausfahrt des Amphia-
raos genannt. Diese Epopöe vom Zuge der Sieben gegen The-
ben, den wir Buch 2 §. 9 in vorhomerischen Liedern schon
reichlich besungen fanden, umfasste, im homerischen Stil ausge-
dieser Sage. Ob der Scheiterhauicri vom pliöiiikischeii Ilerakles auf den
liiehisclieii ülterlnigeii ist (Wclckcr (Ivel. 1, 235), weiss ich iiichl zu oul-
schciden. Ein Fest wurde ihm allerdings in Tyros gowidniel; Uio Chrys
33. S. 23 ilsk. oder 467 Enip.
163) Fr. 146 i>. 569 IJrgk. Scimoidew. Piniol. 1. 148(1. lies. 150.
164) In der Wortfolge liat Voss gewiss richtig das w-ohnt mit bei
den Göttern verbunden, das laln, wohnt, erfordert, wie es den Auf-
enlliall bezeichnet, diese Verbindung. Das Iv f'O-fo aroiui mit ^iya l'gyov
zusammengefassl, könnte keinen andern Sinn haben als bei, unter, vor
den Göttern vollbracht, und nuisstc auf die Venniddung mit der Hebe
gehen. Dies ist für Hesiod unwahrscheiidich, der ober in seiner Wort-
stellung die zwei Momente scheidet.
438
führt, in runrler Zahl 7000 Verse. Der im andern Titel als Haiipl-
person hczcichnele Ainphiaraos ist dies dem schwersinnigen Geiste
der Handlung gemäss. Wie sein Name auf Gebet lautet, ist er
der weise Seher und starke Held in Einem, vor dem vom fluch-
tragenden Polyneikes angeregten unter wiederholten i)öst'n Vor-
zeichen vollführten, unheilvollen Heerzuge, während desselben und
bei seinem Ausgange; er ist der von Zeus und Apollon begabte
Träger und Sprecher des Götterwillens, der auf allen Hauptstadien
des Unternebmens seine Abmahnung erneuert, doch auch in der
abgenöthigten Theilnabme ein bewährter Streiter im WafFenspiel
wie in heissesler Schlacht, und wird bei dem von ihm vorherge-
sagten Ausgange des Zugs, wie in dem eigenen Fall vor Theben
allein von Allen durch Zeus verherrlicht, von dem anderen An-
führer Adrastos durch den anerkennendsten Nachruf gefeiert.
Eben dieser Lobpreis, uns in Pindars Nachbildung aus der
Thebais überliefert, ist uns das sprechendste Beispiel, wie eine
nicht erhaltene Epopöe aus nacbfolgenden Dichtungen oder Stel-
len anderer Dichter als ihre Quelle erkannt wird. In den eige-
nen Versen sind nur die Flüche des Vaters Oedipus, also das
die Handlung beseelende Motiv , und die Flucht des allein ent-
kommenen Adrastos auf dem wunderschnellen Pferde, auf uns
gekommen ; ausserdem bestätigen vereinzelte Citate einzelne Züge
unmittelbar. Hierbei aber zeigt sich gerade an dieser nicht selbst
vorliegenden Epopöe das ganze Verhältniss der Sagenpoesic nach
ihrer Vorgeschichte und ihrer Fortwirkung. Wie die homerischen
und nächstbomerischen Epopöen mittels Neubildung aus älteren
Liedern stammen, geben hier die Buch 2 §. 9 aufgewiesenen Lie-
der vom Zuge der Sieben den bereits gestalteten und beseelten
Sagenstoff, den die nachhomerische Thebais zur Kunstepopöe
ausgeführt und neugebildet bat. liu'e Darstellungen aber ersehn wir
aus den lyrischen und tragischen Poesieen, auch Kunstbilderu,
welchen sie das maassgehende Vorbild war. Die prosaischen
Sagenschreiber belehren uns dann nur über den Verlauf des
ganzen Zuges im Zusammenhange und über die Folge der Ereig-
nisse, ob sie- gleich in einzelnen Angaben die neuernde Volkssage
geben statt der durch die Dichtung bestätigten. ^''^)
165) Paus. 9, 18, 6 vgl. mit Apo'llod.
439
Die beseelten (jiimtizüge und liervoitieleiulen llauptbeweger
dei' Ilaiullnng nehsl den völlig gleich geschilderten Charakteren
säniniüicher Helden geben Pindar in njehren Oden, besonders in
Ol. 6 und INem. 9, Aeschylos in den Sieben, Euripides in den
Phönissen, Sophokles im Oed. a. Kol.,"") dazu die Lyriker
Mininermos und Bakchylides, und der Epiker Anliniachos, end-
lich Knnstbilder Einzelnes. Indem wir auf Welckers ausführliche
Besprechung der Zeugnisse und weiteren Ausflüsse der alten
Dichtung verweisen, genügt es für unsern Zweck mit Andeutung
der bereits Buch 2 §. 9 gegebenen Vorgeschichte, den dadurch
bedingten Anhub der Epopöe, dann nur die bedeutendsten Vor-
gänge zu verzeichnen, welche die Stadien der unheilvollen Hand-
lung bilden. Sie eben boten neben dem durch den einheitlich-
sten Eortschritt empfohlenen festlichen Gesammtvortrag, einzelne
Partieen für die ausserfestliche Rhapsodie.
Die epische Gestalt der Sachlage, von welcher die Handlung
ausging, war also folgende: die beiden Söhne des Oedipus
von der Euriganeia, der altere Eteokles und der jüngere
Polyneikes (der haderreiche), sind bereits entzweit. Polyneikes
zum zweiten Mal nach Argos gekommen, hat von Adrastos, der
ihm schon bei der ersten Aufnahme als Flüchtling seine Tochter
Argeia znm Weibe gegeben, die Zusage, ihn und zwar zuerst in
seine Heimath und seine Rechte zurückzuführen. Ihnen schliesst
sich zunächst Tydeus an, der aus Aetolien flüchtig, mit Polynei-
kes von Adrastos aufgenommen, das gleiche V^ersprechen erhalten
KXi) Pindar Nein. ".», Irt oder 30 (f. singt, wie nnclidcni der verlier
vom übermächtigen Amjdiiaraos verlrieiiene Adrastos jenem zur V'er-
sölinung seine Schwester Eriphyle, die .Mannl)ezwingerin , als ßundes-
pfand zum Weibe gegeben, sie nachmals ein Heer zur siebenlhorigcn
Thcbä gefülirl, nicht die Bahn glückbringender Vögel und nicht
Zeus mit seinem Blitze die von Ibius Forlrascndcn zum Zuge antrieb, vicl-
meiir abstellen liiess vom Streben. Wie in siclitliclies l'nlioil zu geralhen,
die Schaar eilerle mit ehernen Walfen und Bossgescbirr. Doch au den
Ufern des Isnienos verwirkten sie die süsse Heimkehr und verilam|d'lou
ihre Leiber. Sieben Sclieilcrliaurcii verzehrten die jugondkräfligen Maimcr,
dem Aniphiaraos aber spaltete Zeus mit seinem Donnerkeil den Erdgrund
und barg ihn sammt seinem Gcspaim, ehe noch des Periklymenos Lanze,
des Fliehenden Rücken Ircllend, seinen streitbaren Mulli beschimpfte.
Aesch. 358 und 377 Tydeus, 404 Kapaneus, 439 Eteokles, 408 Hi|)ponic-
don , 528 Parlbenopiios , 550 Amphiaraos, 022 P(dyneikes.
440
hatte, aber zuvor gegen Theben mitzuziehn mit all seiner Ram-
pfeslust bereit war. Aus Argo^ selbst rüsteten sich Kapaneus,
dessen Schwager Eteokles und Hippomedon. Die andern Theil-
nehmer warben Polyncikes und Tydeus (U. 4. 476 fl".).
All dieser Rüstung und Kampflust, vornehmlich des Tydeus,
trat also der Seher und Held Amphiaraos entgegen. Unstreitig
waren die Opfer, die man angesichts des baldigen Auszuges dar-
brachte, schon in Argos ungünstig wie nachmals (Aesch. 360
oder 79), und es eiferte der wilde Tydeus schon da vor Allen ge-
gen die Abmahnungen des Sehers, .\lsbald aber nöthigte die
eigene Gattin Eriphyle den Propheten trotz seinen Vorhersagun-
gen Mider Willen selbst mitzuziehn. Sie war bei der Versöhn-
ung des Amphiaraos mit Adrastos für Streitfälle zur Schieds-
lichterin bestimmt. So gab Iphis, der Vater des Etcoklos und
der Gattin des Kapaneus dem Polyneikes den Gedanken ein, die
Eriphyle durch das goldene Halsband zu gewinnen, so dass sie
für Adrastos' Plan entschied. Dies die Grundverhältnisse der
Epopöe, des Amphiaraos Ausfahrt geheissen.
Der erhaltene Anfangsvers kündigt ein Lied vom unheilvollen
Kriegszuge an, der von Argos ausging. Wie die ersten Verse
der Ilias das Lied vom verderblichen Zorn, die der Odyssee das
von Odysseus allgemein ankündigen, so wurde hier das Thenja durch
das vielgeschlagene {■JioXvdCi'iov) Argos angekündigt. Diese Stellung
und Bedeutung des Beiworts als Ankündigung lässt keinen Zwei-
fel, dass die Form ursprünglich ohne Ö noKvtipLov lautete, wie
dies die allen Erklärer auslegen zu der einzigen Stelle, wo es
in der Ilias und überhaupt noch vorkommt. Er kam ohne Zwei-
fel in jene einzige Stelle aus dem vorhomerischen Liede von
demselben Kriegszuge, und hatte da dieselbe Form ohne das 8
und denselben Sinn.'®^) Das Beiwort vieldurstig ist selbst auffal-
167) Es hat diese Deutung des jioXvöiipiov als Tiolvtil^iov {nokv-
ßkaßeg öia Tt]v rjTrav, Scliol. zu II. 4, 171 ) freilich das Bedenken, dass
es melire Composila gichl, nül jtokv und einem i ohne d {lazwisclien.
Dies lässt alter nur schlicsson, es muss jene Aussprache mit ö aus einer
Umdoulung hervorgegangen sein. Nun aber ist diese das durstige,
wasserlose .\rgOB aus der zuerst positiven Volkssagc mittels Rück-
dichtung hervorgegangen, die den Wasser- und Qucllenreiclithum des
Landes Argos von Danaos und den Danaiden herleitete. Da sollte denn
natürlich vorher dieser Landstrich wasserlos gewesen sein , und ein
441
lentl als Ausdruck und \vasserlos hat das Land Aigos in der Zeit
des blühenden Epos scbAverlich nach verbreiteterem Gebrauch
geheissen. Man hat also zu übersetzen : Arges singe mir, Göttin, das
unheilvolle (vielgeschlagene) woher einst zogen die Fürsten. —
Weiler wird das Proöuiiou den Ort und den Krieg, in den man
auszog, allgemein charakterisirt, besonders aber und schon durch
die nächsten Verse das böse Beiwort erklärt haben „nicht fol-
gend den vielen Warnungen des gottvollen Sehers. Denn es
wehrte Zeus, viel unheildrohende Zeichen sendend, nicht zu
ziehn mit den Fluchtragenden. Doch sie folgten nicht und gin-
gen unter durch die eigene Thorheit".
Nach solcher Ankündigung wird die Exposition des ersten
Buches nach der Vorgeschichte episch die schon versannnelten
Helden haben auftreten lassen, und die Entscheidung des dem
Auszug vorhergehenden Streites, in welchem Amphiaraos allein
allen den Uebrigen gegenüberstand, am heftigsten und nicht ohne
Schmähung von Tydeus überschrien wurde, in lebendigster Scene
geschildert haben. Während nun sprechende Fragmente aus der
Thebais des Anlimacbos ein von Adrastos angestelltes Gastmahl
als auch vom älteren Dichter gewählte Form erkennen lassen, um
die versammelten Helden charakteristisch aufzuführen,'^) hat die
Auslegung einer Sloschischcn Gemme '^^) die aus der Thebais her-
zuleitende Scene dahin ermittelt, dass Amphiaraos im Hause
späterer angojjüch hesiodisclier Vers nannte das Land so. Nach alledem
hatte Straho mit seiner Bourliieilmig des Beiworts 8. 370, 7. nicht ganz
Unrecht.
168) Anliniachos lunfasste in seiner Tiiebais erstens lieide Heerziige
gegen Theben (Stoll. Antini. rel. p. 8f.), sodann hatte er die Begeben-
heiten mit saniml der Vorgeschiciite in der niaassloscsten Weilschwoifig-
keit erzählt. In dieser Weise hatte er, wie die Forschung Iclirl, in den
ersten vier Büchern (h'c erste Aidamft (\os Polynoikcs um! Tydens hei
Adrastos geschildert und Beide den Hergang ihrer Vcrlreihung von den
ersten Ursachen lier erzählen lassen. Dann erst im fiinflen erschienen die
Vorhereitungeji zum Zuge der Sieben, und hier hesciuieh er das Gastmahl,
das er, der nirgends seihst erfinderisch erscheint, ganz unstreitig der
älteren Thebais entnahm; Stoll, Antimachi reliqu. p. 10. Woicker Cycl.
2. 327. Ilie Urlheile liher tien Bichler Benih. 2, 1. 285 288. der aber
hyperkritisch vcrlahrl.
im] Wehker Cycl. 2. 332. Anm. 25, lies, aber Oveiheck (iailerip
1. 81f. und Tafel 3, 2*
442
des Adraslos vor diesem und Polyiieikes im IJeiseiii auch des
Tydeiis und des Partlu'rioi)äos, seiue drohend ahniahnende Wahr-
sagung ausspricht, ^velche dermalen auf jene beiden Angeredeten
eine niederschlagende Wirkung ausübt. Beide werden alshald ihren
streitbaren Zorn gegen den Seher ausgelassen haben, namentlich ist
dies von Tydens anzunehmen. Ueber dem in der Geberde des
Nachdenklichen sitzenden Polyneikes steht Tydeus, Lanze und Schild
wie kriegsbereit haltend, mit dem Blicke nach Amphiaraos, Par-
thenopäos gleichfalls aufrecht mit Speer und Schild sieht scharf
nach Adrastos hin. Hierauf folgte dann wohl die weitere Gegenwir-
kung durch Iphis und seinen Anhang, zumal Kapaneus, den auch
besonders wüthigen; Polyneikes bestach die Eriphyle, und diese
entschied den Auszug auch ihres Galten. Wer die Flüche des
Oedipus erzählt und wo, ist nicht zu entscheiden, nur mussten
sie in der Exposition verlauten.*™) Die Scene des Aufbruchs,
da Amphiaraos vor seinem Hause den Ivriegswagen besteigt, war,
ohne Zweifel nach der Thebais, an dem Kasten des Kypselos,
Paus. 5, 17, 7, zu sehn, wovon es heisst: Dann ist das Haus
des Amphiaraos gebildet, davor steht eine Alte mit dem kleinen
Amphilochos auf dem Arm, daneben Eriphyle mit dem Halsbande
und neben der Mutter die Töchter Eurydike und Demonassa, auch
der nackte Knabe Alkmäon. Baton, des Amphiaraos W^agen-
lenker, hält in der einen Hand die Zügel, in der andern eine
Lanze. Amphiaraos, mit dem einen Fuss schon auf dem Wagen,
ist mit gezücktem Schwert gegen die Eriphyle gewandt, indem
er vor Zorn sich kaum enthalten kann , sie niederzustossen,
doch enthält er sich.'^')
Das erste bedeutende Ereigniss und folgenreiche Abenteuer
auf dem Zuge begab sich bei INemea. Die Sagenschreiber '")
erzählen den Hergang so: Nach Nemea gekonmien, wo Lykurgos
König war, suchten sie Wasser. Hypsipyle, welche den Ophel-
tes, den kleinen Sohn des Lykurgos und der Eurydike war-
170) Vgl. Welcker 2, 3:U.
171) Overb. Gall. 02, wo (laraul' mehre Bilder vom Auszug des
Amphiaraos mit nur variirler Darstellung aufgewiesen werden, wogegen
(las Bild des Kypscloskastcns als das echtere erscheint.
172) Apollod. 3, G, 4. Paus. 2, 15, 2 und 3. Vgl. Welcker 2. 350.
Ovcrb. r.allcric 107 f. Prcllcr Gr. Mylli. 2, 247.
443
tele/") legte das Kind ins Gras und fiihrln sie zu einer Ouelle. Wäh-
rend dessen wird das Kind von einer Sehlange getödlet. Die lier-
beikommenden Helden erlegten die Schlange und beslatteten das
Kind. Da verkündet Ampliiaraos, dies Ereigniss sei ein Vor-
zeichen des kommenden Geschickes, und nannte das Kind Arche-
moros d. i. Beginner des Todesgeschicks. Die Melden slilleteu
nun zu seinem Andenken die nemeischen Wettkämpfe (Find.
Nem. 10, 28. 8. a. E.). Es siegten damals Adraslos mit seinem
Ross, Eleokles im Stadion, Tydeus im Faustkampf, Amphiaraos
im Wagenrennen und Diskosvvurf, Laodokos mit dem Wurfspiess,
Polyneikes im Ringen, Parthenopäos im ßogenschuss.
Dieser schichten Erzählung wird durch die zahlreichen Kunst-
bilder, welche die Phasen des den Archemoros trelVenden Ge-
schicks darstellen, manches einzelne Moment hinzugefifgt, das
schon der alten Epopöe angehören kann.''^) Wahrscheinliche Aus-
schmückung ist es, wenn Opheltes nicht als Kind, das die Wär-
terin ins Gras gelegt, sondern sei es als ein Knabe, der Blumen
sucht, oder gar jünglingshaft erscheint; nur das Kind war in der
echten Dichtung. Dass ein Schrei des umschlungenen Kindes
die Hypsipyle und die Helden herbeiruft, dass sie es, da es von
Einem Riss getödtet war, todt aber umschlungen fanden, und
der mehrfach ' erkannte Kapaneus oder ausser ihm Ilipponiedon
die kleine Leiche inn- von den Ringeln des Drachen befreien und
diesen so tödten, dies wären Züge einfach genug, und die sich
gut an das Bild dfes Kastens anschlössen; mögen also aus der
Thebais sein. Nachdem das Unglück geschehn, war natürlich
die Hypsipyle vom Schmerz und Zorn der Eltern des Kindes be-
droht. Von mehren Gestallungen auch dieses Moments wählen wii'
wiederum die einfach lebensvollere. Auf einem Bihh; am amy-
kläischen Thron, Paus. 3, 18, 7, (12), sah man den Adrastos
und Amphiaraos, wie sie die in einem Kampfe begrinenen Tydeus
und Eykurgds zur Ruhe bringen. Der Vater des Kindes, Lykiu'gos,
wollte nändich in der Wuth des Schmerzes die Hypsipyle um-
173) Sie war von den inüniicriiinriliMKleii Fr'.iiicii ;nif bemnns, weil
sie ihren V.iler gerettet, vertrichoii : A|i()ll(ui. Uli. 1 , (CO. Aiutiludor. I,
9, 17 iniil :^. 6, 4. S.igenp. (J57r.
174) Overl». nailcrie 107-113. Weleker 2. S. ,351 f.
444
bringen; il;i sliirnite Tydeus auf iliri ein, doch Adrastos und Am-
|)liiaiaos liiellen ilin durcli kiiUligc Mahnung zurück."^)
Eine andere Sceue, avo vor der Mutter Eurydike, die iln-
„.süsses Kind" heueiul, Ilypsi|iyh,' in demüthigster Sleihnig sieht,
während Anipiiiaraos aucli hier Trost spricht, erhält durch eine
auf sie lautende Stelle des Simonides (Fr, 52) eine' gewisse Ge-
währ, dass auch sie der The])ais entnommen sei.*'")
Die nächste selbständige Partie beschrieb die Sendung deS
Tydeus vom Asopos her an den Etcokles nach Theben mit Ver-
gleicbsverträgen , wie sie drei Stellen der Uias eizählen, sie
also in einem vorliomcrischen Licde besungen war. Nach dem,
was Buch 1 § 9 davon berichtet ist, mag nur zur Charak-
teristik der Epopöe hier bemerkt sein, einerseits dass bei dieser
Grossthat des Tydeus sich der trotz des gegen Geschick unter-
nommenen Zuges präsente Beistand der Athene zuerst recht sicht-
lich hervorthat, andererseits dass die Sendung dem Dichter Ge-
legenheit gab, die Verhältnisse in Theben und die Charaktere
der thebaniscben Helden im Voraus zu zeichnen. Speziellere Züge
dieser Partie in poetisch lebendigen Bildern aus der Thebais vor-
zuführen, ist nirgendsher möglich. Doch auf Grund der ho-
merischen Stellen, ja der rsalur der Sache lässt sich voraus-
setzen, dass die Verhandlung mit Eleokles dramatisch dargestellt
war, und die Schilderung der Wettkämpfe des Tydeus mit den
hei Eteokles versammelten thebaniscben Helden in homerischer
Weise eine Beschreibung dieser Helden durdi Handlung gab.
Das indess weiter gezogene Heer gelangt an den Fluss Is-
menos, welcher nahe vor Thebens Nordseite vom Osten nach
Westen die Ebene durchströmte. Als der Uebergang über den
Fluss l)evorstaud, da opferte der Seher Amphiara'os, und, da hier
wieder unheilkündende Zeichen erschienen, mahnte er zum dritten
Mal von dem Vorhaben ab (Aescb. 359 f. oder 78 f.). Slinmisch
eiferte Tydeus dagegen und mit Schimpfreden, als spräche der
Seher aus Feigheit. Die Verbündeten hielten jedoch alle in Kampf-
lust zusammen uiul verj)flic]ileli n sich heilig, die Stadt zu cr-
175) Dies die epische Gestall des Vorfalls, die uns jetzt nur in
Statins Thebais 5, 600 ff. vorliegl. Man erkciinl daraus vollends, dass
Pausanias die >'an)en Tydeus und Anipiiiaraos irrlJuunlicl) unjstcllle.
17t)) Overbeck S. 114 f. Nr. 20.
445
obern , oder die Erde mit ihrem Blute zu tränken."^) So kam
es zur Sciilaclit, und die Stieiter von Argos jagten die Thebäer
in ihre Mauern. Die nun beginnende Belagerung verslanden sie
wenig wirksam zu machen, vielmehr lödteten die Thebäer Viele
der belageinden Schaar durch Würfe von den Mauern herab
(Paus. 9, 9, 2 und 3\ Au die sieben Thore waren sieben der
angreifenden Hauptlielden mit ihien Leuten getreten, denen Eteokles
sieben seiner Mitkämpfer mit je Begleitern entgegenstellte, woher
überhaupt eben die Siebenzahl ruchtbar wurde. Die epische
Erzählung hiervon mochte die Bilder der Helden, namentlich
ihrer Schilde und Waffen geben, wie Aeschylos und Euripides sie-
dem Epos nachdichteten. In einer ruhigeren Zeit war die Schwester
der feindlichen Brüder, Ismeue, aus der Stadt zu einer Quelle
gegangen, um Wasser zu holen. Da stand sie im Gespräch mit
einem Theoklymenes, als Tydeus sie fand, und, wie Mimnermos'^*)
erzählte, sie auf Antrieb der Athene tödtete, wonach die Quelle
Ismenes Namen erhielt.
Es wurde an allen Thoren gekämpft, und überall ward von
den Belagerten mit Pfeilen und geworfenen Steinmassen den Fein-
den viel Leid angethan. Da rufen (nach Euripides) Tydeus und
Polyneikes: 0 Danaer! — Was zaudert ihr zu stürmen in die
Thore ein? (Phon. 1145). Da stürmt man denn, und Viele von
beiden Seilen fallen. Parlhenopäos seines Orts stürmt gar
drohend mit Doppelhacke zum INiederreissen und Feuer wie ein
Sturmwind an, aber Periklymenos — so die Thebais Paus. 9.
1 S , 6 — wälzt von der Brustwehr ein Felsstück herab und zer-
malmt ihn; von Tydeus und seiner Leute Speeren werden die
Vertheidiger von der Mauer weggeUi(;beu , da denn Eteokles sie
zum Posten zurückführt. Doch das Bedrohlichste, aber durch
Zeus selbst auch zur Bellung Mächtigste geschieht beim elek-
trischen Thor von und an Kapaneus. Auf von ihm erfundener
177) Dies nach Aescli. 43 — 51 im feierlichsten Briiucli, indem sie
ihre Illinde in Opforhlul lauciilon, ilalici auch Andenken (Vir die Ihrigen
daheim auf des Anführers Adraslos Wagen legten.
178) Argum. der Anlig. d. Soph. u. Pherek. im Sciiol. zu Eur. Phü-
niss. 53. hie Kunstbildcr der Scene Üvcrb. fiallerie 122 — 124. Wird Tlieo-
klymenes von Welckor andershor als aus der Odyssee 15, 25G u. a. als
ein Seiler ar'MvisrIier Herkunft bezeichnet?
446
Slurmlt'iter steigt dieser Riesengrosse mit tollstem Pralilon, wieder-
holend die schon frühere Drohung, er werde die Stadt verderben,
ob die Gottheit wolle oder nicht, und auch Zeus' Blitze und
Donnerkeile möchten fallen, sie seien nur Mittagsschwüle — so
steigt er zur Mauer empor unter allen Steinwürfen; an der Zinne
aber trifll ihn des Zeus Blitz beim Krachen des Donners, und
mit zerrissenen Gliedern und brennend stürzt er hernieder, ''"j
Als Adrastps an diesem Gericht des Zeus dessen Abgunst
so deutlich erkannte, führte er das Argeierheer aus dem Graben
(I*hön. 1187 f.), und die Thebäer dringen vor. Doch Eteokles ruft
von der Mauer, man solle nun die Entscheidung einem Zwei-
kampf der Brüder anheimgehen (das. 1236—1241).''^} So be-
ginnen die feindlichen Brüder wuthenlhrannl den Kampf, dessen
Gang Euripides freilich nach den Künsten und Gewandtheiten
seiiu'r Zeit, nicht nach der heroischen schildert, aber ihre Ge-
bete, des Polyneikes an die Here, des Eteokles an die Pallas,
nnd der Fortgang erst mit der Lanze, dann mit dem Schwert,
iiaben ihre Vorbilder gewiss im alten Epos gehabt.'*^') Auch der
spezielle Gang und namentlich der Ausgang mag insow eit daher ent-
nommen sein, wie Beide zuerst zwar mit schlauen Lanzenstössen
('S versucht, aber alsbald Beide ohne Lanze sind, dann zu den
Schwertern greifen, Eteokles den Bruder lödtlich trifl't und schon
siegsgewiss die Waffe wegwirft, doch Polyneikes mit Ictzler Kraft
gegen Eteokles den Todesstoss führt. So liegen Beide und un-
entschieden ist der Sieg (Phon. 1424).
179) Am elektr. Thor Acsch. 404 oder 422 Eur. Pli. 1129. Seine
frühere Droliung Aesch. 407 fr., die jetzige Prahlerei und sein Sturz, Enr.
Plitiu. 1172—1186 und ders. Schutzfleh. 496 0".: „Dass der Leih (k^s Ka-
p.ineus vom Blitz verdampft, auf hoher Leiter stehend, stürzt, dor an das
Thor anstürmend, auszutilgen schwur die Veste, woll' es nun die fioltheil
oder nicht". Kunslbildcr Overb. Gallcrie 120—128, auch Wclcker 2, 300.
180) Die epische Sage wusstc, da lokasle wie Oedipus schon vorher
gestorben sind. Nichts von lokastes Versuch, die Söhne zu versöhnen in
der Stadt, noch von ihrem, der 3Iutter Gange zum Kampf der Söhne. Es
sind dies Erfindungen des Euripides,, so wie der von Teiresias vorlangte
Opfertod des Menökeus. Dagegen mag die Euryganeia als gegenwärtig
l)ei dem Wechselmord ihrer Söhne auf dem Rihio des Onasias (nicht Ona-
tas ) hei Paus. 9, 5, 11 vgl. mit 4, 2, wohl der Tliehais naeligeliildet sein.
181) II. 10, 335 — 341. 20. 283. 21, 109 und 73. 22, 289 f. 300
und 311 f.
447
Die Heere geriethen in Hader, ob einer und wer der Sie-
ger sei ; al.sbald aber entbrannte aucli der Krieg von neuem
(Phon. 1460 IT.)', wobei die Tbebäer die noch nicht Gerüsleten
liberfallen (1466 f.). Jetzt fielen von den Ärgeiern alle die, welche
nicht schon fräher gefallen , so dass nur Adrastos sich rettete.
Von einzelnen Siegern und Besiegten gie])t sonst nur ApoUodor
ein«' Reihe i'"-! hervor hebt sich die Hauptscene von Amphiaraos
und Tydcus' Untergang, die Apollodor nach Plierekydes "^^} aus-
ITdirlich eizälilt und sie, wie der ganze Ausgang, hat an mehren
Stellen des Pindar lebendiges Zfugniss und zuar nicht ohne
Angabe der Thebais als Quelle in den Schollen.
Beim neu entbrannten Kampf thnn sich auf thebanischcr
Seite die Sühne des Abakos hervor; Ismaros (nicht Ismeros,
Welcker) erlegt den Hlppomedon, Leades den Eteoklos, Melanip-
pos aber lödtete erst den Meneslheus, dann aber verwundet er
den Tydeus lödllicli. Da eilt Athene zum Zeus und verlangt von
ihm ein Ileilkraut, um ihn unsterblich zu machen.''^') Auf dem
SchlacbtCelde wird unterdessen Melanippos von Amphiaraos ge-
fällt, und es schlägt dieser dem Gefallenen das Hauj)! ab und
reicht es dem Tydeus.*-") Ob nun Amphiaraos durch den Sieg
über 3ielanippos mächtiger als Tydeus erschien, und das Ab-
scl)neiden des Kopfes wie im Sinne desselben wilden Helden ge-
schehn aussiebt, des Sehers Empfindung ist beim Letzteren nicht
klar. Tydeus nun spaltet den empfangenen Schädel und schlürft
das blutige Hirn.'*'^) Bei diesem Anblick hielt Albeiu' ihr tJe-
schenk zurück und Hess den AYüthigen sterben (11. 14. 114).
182) Apollod. 3, 6, 8.
1831 IMiorok. im Schob zu 11.5. 126.
184) Unkchylides Fr. 54 li. ScIi. zu Ar. Vüi;. 1530. Er scheint ein
anderes Symbol der UtisleiLlicIikoit Itezeichiicl zu li.ilioii sl.ill des llcd-
krautes, welches Apollodor angiolit.
185) Amjdiiaraos tödtet zuerst den iMelanippos iiacli Plieiek. dort
und Paus. 9, 18, 1. iSacli Apoilod. aus eigenem Antriebe und eigentlich
aus Ingrimm wolil zur Aufreizung; nach dem Scliol. zu Pind. 12. 10, 12.
lliat er Beides auf Bitten des Tydeus, der, üher (he Winnie eri^iinniil. zu
Beiden! aufforderte.
ISO) Das Scidürfen des Hirns liezeugen ausser den Sagens« lireihern
Sopjiokles unl). Fr. 720, 5 f. S. 242 Nck. und Fiu'. Melea^i-. Iiei Seliol.
zu Pind. N. 10, 12. V^l. hei Wcleker Cyel. II, 301. Parallelen. — Kunst-
bildcr Overh. 129 fr.
448
Dass der Sterbende die Göllin gebeten, statt seiner seinem Dio-
medes künftig ihre (iabe zu verleihen, erscheint als Kombination.
Alsbald ward auch Amphiaraos in die Flucht gescheucht
von Periklyraenos — ,,denn beim Schrecken des Dämon fliehen
der Gottheit Söhne auch" — aber ehe noch tler geworfene Speer
seinen Rücken erreichte, spaltete Zeus mit seinem Blitz den Bo-
den, dass er den Helden mit Zwiegespann und Wagenführer ver-
schlag, da er hinfort denn als propbetischei' Heros waltete. ^^'')
Mit dieser Entraffung des Amphiaraos bezeichnete der höchste
Zeus selbst den Ausgang des unheilvollen Krieges, und erfüllte
.sich des Sehers eigene Vorhersagung (Aesch. Siel)en, 68 — 7(1),
dass ihn Thebens Boden bergen werde. Nun ist uns die Stelle
selbst erhalten, da der allein überlebende Adrastos auf dem
wunderschnellen Boss Areion entkommt bei Pausanias 8, 25, 8,
,,in der Thebais wie Adrastos aus Theben floh. Er im Trauer-
gewand mit Areion, dem dunkelbemähnten"; und ebenso des Anli-
machos. Fr. 33: ,,Ihn, Adrastos, allein errettet das Boss noch
Areion", und des Pindar, Isthm. 6 (7), 10. „Oder da den Adra-
stos Du aus dem gewaltigen Schlachtruf entsandtest, entblösst
der unzähligen Genossen zum reisigen Argos."'®^)
Hierneben giebt es einen ungelösten Zweifel. Adrastos ist
alther als Typus der gewinnenden Rede ruchtbar, schon bei Tyr-
läos. '^'') Wenn nun Pindar in einer dritten Stelle sagt: nach
Amphiaraos Verschwinden, als sieben Scheiterliaufen"") erbaut
wurden, liabe Adrastos ein Lob des Amphiaraos gesprochen (Ol. 6,
13fl.):- „Ich vermisse den Augstern unsers Heers, Beides, den
Mann wohlkundig der Zukunft, wohl des Spcerkanipfs" — so mögen
wir damit eine Bestattung der aus der siejjen Führer Schaaren
Gefallenen verstehn und in der Thebais, aus welcher Pindar
187) Pind. N. 9, 23 f. 10, 8 f. Kunstbildcr Üverb. 144 ff. Es sescliah
(lies und befand sich das frühere Orakel in der Nähe von Theben in Knopi.i,
Paus. 1, 34, 2. Strabo 9, 399 und 404. mit den unlj. Fr. des Soph. 870
Nck., sjiäter ward das Orakel in Oropos Ijeriihmt. S. Preller, Ber. d.
Sachs. G. d. W. 1852. S. 166 ff.
188) Dass das Ross Areion liei Pindar, Pylh. 8, 4811'., nicht weissage,
ja gar nicht genannt sei , ist schon Anm. 175 nachgewiesen worden.
189) Tyrt. 12, 8. ykco66av 6' 'ASQi]a-ov fisdix6y>]()xn' e'ioi, Hält'
er des Adrastos freundlich gewinnenden 3Iund.
190) Sieben Scheiterhaufen (hui auch Keni. 9, 24.
449
iiaoli Zeiigniss scliöprie. eine längere Rede zur Feier der C.e-
lalleiien jinnelinieii , Avobei Aniphiar.ios vor Allen licrvorgeliolien
AMirdc , immer fehlt uns der natürliche Fortschrid ziu' Flucht
des Adrastos und inuner bleibt hier die Frage, ob im Epos
'Adrastos seine Woblredenheit nicht in einer Verhandlung mit den
Thebäern ül)er die Bestattung seiner Genossen , ül)erhaupl als
Kraft der Ueberredung beAvahrt habe. In der neueren tragischen
(i estalt der Sage nimmt Adrasos die Athenäer und den Theseus
dazu zu Hilfe, und dessen Beredtsamkeit bewirkte das Cewünschte
(IMut. Thes. 29 )J^') Anzunehmen ist nach allen Vorstellungen
und Bräuchen der Griechen und ihres Natioualepos , doss die
Bestattung der Todlen in der Erzählung nicht unerledigt blieb,
mid vor Allem die der im Wechselmord gefallenen Brüder. Auch
über Polyneikes musste entschieden werden und Antigone mag
schon in der Epopöe ihre Rolle gehabt haben, wie in Aeschylos
Sieben und in Sophokles Antigone, nur eine einfachere, da Is-
mene gar nicht mehr am Leben war.
Die andere Epopöe aus der thebanischen Sage, die Epigouoi,
war ZAvar schon durch ihren Stofl' einheitlich und lässt sich nach
ihrem allgemeinen Verlauf und ihren Hauptpartieen wohl erken-
nen ;^^*) allein wie sie als eine in unglaublicher Weise schwache
wiederholende, gewiss viel spätere Nachbildung der Thebais er-
scheint, kann man nicht geneigt sein, sie in Rechnung zu bringen,
wenn von dem nationalen Leben der Epopöen durch Rhapsodie
die Rede ist. Sie wird meistens nur gelesen und als Ouelle be-
nutzt worden sein; zu Kunstbildern soviel kenntlich auf uns ge-
kommen, wenig. ^^^)
24. Die H a u p t s t ä 1 1 e u d er li h a p s o d i o w n d die R h a p s -
odenzünfte an mehren Orten. Nach §. 21. das Genauere.
Es sind in den nächstvorhergehenden Paragraphen den bei-
den homerischen JMiisterepopöen, deren einheitliche l'arliec u
durch die Rliapsoden, wie sie dieselben vorzutragen pflegten.
ini) Die. Vcrmittolung Wclckers, Cyel. 2, 300. avo .iiif jeiio Traiicr-
cäremoiiio uiimillolh.ir die Fliiolit des Adrastijs im Traiierg('w;iiid(> tolgl,
ersrlieint mir unzulässig.
102) Welckcr Cyel, 2, 380—38811".
103) Ovorheck fi.illerie 158—103.
Nilzsch, Gesch. (I. gpiiech. Epos. 29
450
den Sammlern des Peisislratos zukamen, noch drei vor andern
einheitliche hinzugefügt. Diese ihre umfängliche Einheit ward
hier geflissentlich hervorgehohen , um es recht zu betonen,
in wie natürlicher und gebietender Wechselwirkung die epi-
sche Darstellungsweise und ganze poetische Oekonomie mit?
dem lebendigen Vortrag der Rhapsoden standen. Sie eben,
die Aetbiopis, die Einnahme Oechalias und die Thehais zeigten
sich in gleicher Weise wie die Ilias und die Odyssee für beider-
lei Art und Gelegenheit des Vortrags, den ausserf estlichen Ein-
zel- und den festlichen Gesammtvortrag, geeignet und gedichtet.
Hiernächst ist aber vorzüglich der Gesammtvortrag der bei-
den homerischen umfänglichen Epopöen zu ermitteln wie er von
sich ablösenden Rhapsoden nach den obigen drei übereinstim-
menden Zeugnissen vor sich ging und üblich war. Da die Zeug-
nisse nur die formale Beschreibung geben und nur auf Attika
nach Peisistratos zu lauten scheinen, so gilt es nun, für die
frühere Zeit ihn in seiner thatsächUchen Ausführung und als
gerade älterher von Homer selbst ausgehenden Brauch aus den
geschichtlichen Anzeigen darzulegen.
Zu diesem Zweck sind die bekannten Stätten der Rhapsodie
zu unterscheiden und die Orte zu beachten, wo die sagenhaften
Angaben Homers Heimath oder bleibendere Wirksamkeit hin-
setzen. Wie wir aber dabei das Wesen der Sage überall erkennen,
ist es uns ein maasssebendes Gesetz bei der Vielheit dieser An-
gaben Verschiedenes zu beachten. Erstens kommt der Fortgang
der Zeit, der Lauf der Jahrhunderte von Homers Lebens- und
Dichtungszeit bis zu Lesches, dem letzten organischen Epiker, in
Betracht, dann ist die andere Entwickelung besonders wichtig,
wo vor Peisislratos die andern Gattungen der nationalen Poesie,
die iambische, elegische, die mannigfache lyrische sowohl das na-
tionale Interesse, als auch den Raum für die Vorträge neben der
Rhapsodie in Anspruch nahmen. Wo so viele andere Poesieen
zu den Agonen der Feste gebracht wurden, musste dieser Um-
stand, wie sich von selbst ergiebt, theils die Rhapsodie aus man-
chen Festen ganz verdrängen, theils den Raum für epische
Gesammtvorträge benehmen , ja mitunter nur Einzelvorträge,
selbst in Festakte bringen. Dies also wirkte gerade zu der
rhapsodischen Vereinzelung der Partieen und dies wieder gab
451
Veranlassung zur Samnilnng, welche mit unscliwerer Mühe,
wie oben gezeigt, den Zusammenhang herstellte, nur mit-
tels einzelner Zubildung oder durch ßindeverse , möglicherweise
in einzelnen Fällen mittels Entscheidung zwischen verschiedener
Form einzelner Stellen.
Wie nun überhaupt die UeberKeferung über die vorpeisi-
stratische Zeit das Wichtigste in der Geschichte der homerischen
Poesie ist, so handelt es sich wiederum mehr um die ältere
Hälfte, die Blüthezeit der Kunstepopöe bis Lesches und um die
Form der nationalen üeberlieferung dieser von Homer, dem Stifter
und Meister, selbst an. Die Frfrage, ob und wie der Stifter und
Bildner umfänglicher Epopöen, und so umfänglicher, zumal Bei-
der nach einander, solche geschaffen habe, und habe denkbarer
Weise schaffen und überliefern können und mögen, steht ja
zuerst zu beantworten. Sie ist ein schwieriges, aber ein von
aller Geschichte nicht blos des Homer bei den Griechen, son-
dern der Epopöe der Griechen gegebenes und der Forschung aufge-
gebenes Problem. Noch hat es Niemand eingehend genug bespro-
chen, auch Welcker nicht, noch ein Anderer der Vielen, die wir
in der Anerkennung einheitlicher Gestaltung beider Werke ein-
stimmig gehört haben. Die beiden Muster der Gattung haben
gerade einen so grossen Umfang, wie keine zweite nationale
Epopöe der Griechen, denn von den uns durch die freilich sehr
dürftige Kundgebung genannten Verszahlen sind die höchsten
9100, dann 7000, während die Ilias und Odyssee, wenn auch im
Fortgang durch die verschiedenen Einschiebsel je um einige
Tausend gewachsen, doch ursprünglich nach ihrem ausgeführten
Plane zu der mehr als doppelten Länge in Vergleich mit jenen
Zahlen anzunehmen sind."*^) Dieser grosse umfang wird freilich
nicht blos von dem des indischen Epos, sondern auch von dem
iranischen des Firdusi noch weit übertroffen. Sein Schahname
umfasst 60000 Doppelverse. Doch einmal hatte er, der im 10.
Jahrhundert der chiistlichen Zeitrechnung dichtete, den vollen
Gebrauch der Schrift, so wie die in der Handlung selbst vor-
kommenden mehren Briefe auch den Personen diesen Gebrauch
194) Nacli <ieni lÜx-rlicrrTtoii Texte uiiilassl die Ilias ülior IVinfzeliii,
die Odyssee liltcr zwölf Tan>;i'ii(lo von Vorst'n : 15509. 12396.
29*
452
beilegen. Sodann kann, wenn denn das Seliahnanie mit dem griechi-
sclien Epos narli Anlage und Umfang soll verglichen werden, dieser
Vergleirli ni(Iil mit der Ilias zulässig erscheinen, sondern allenfalls
nur mit tler ganzen epischen Poesie der troischen Sage. Nur mit
einzelnen Partieen kann die Ilias verglichen werden. Die in
dem Schahname herrschende Einheit ist die umfassendere eines
durch viele Menschenalter und Jahrhuiidi rie fortwirkenden Kam-
pfes, des Kamjifes des iranischen lleldenthums gegen die Mächte
der Finsterniss; „in ihm hat sich das ganze reiche Leben der
Begebenheiten von Jahrhunderten concentrirl".^*^)
25. Homers grosse Corapositioiien ein Problem von
der Geschichte g- es teilt, durch Anerkennung des
Dichtergenius zu lösen.
Ganz anders der Meister der griechischen Epopöe. Er traf
zuerst eine Auswahl aus dem umfassenderen Sagenkreise vom
troischen Kriege. Er wählte von den sechs Partieen, in welche
der Stoff sich selbst scheidet, diejenigen zwei, welche ebenso-
wohl für persönliche Einheit als für Durchbildung zum Weltge-
mälde die günstigsten waren, Die Empfehlung und der Kunst-
werth, den die Einheitlichkeit hat, der des beseelten und über-
sehbaren Organismus , ist ja keineswegs blos durch die geniale
Dicbterkraft , sondern gar sehr dinch die Beschaffenheil des Sa-
genstoffs bedingt. Hierbei ist aber auch die Vorstellung zu ver-
werfen , als habe die wachsende troische Sage sich um Achill
und Odysseus gruppirt. Der Stoff war inmier ein überkommener,
nicht neugedichteter. Für seine Ausprägung ist die von dem
Grundmotiv beherrschte Ausführlichkeil an sich eben das Ge-
hörige, das Schöne. Der epische Stil selbst führt auf umfäng-
liche Dichtungen. Allerdings ist es eine viel verbreitete Ansicht,
195) S. Fr. V. Schack, IleMonsagen von Firdusi, Berl. 1851. S. 71
])is 76, wo es heissl; „Eine grössere Gewalt erhält die rirumlaclion ferner
(ladurcii, dass der Streit des iranischen lleldeiilliuiiis mit den M;irh-
len der Finsterniss zugleich als Streit des guten AVeilitriiizips mit dem
bösen dargestellt wird" u. s. w. Eine Art von Recapilulation des Ganzen
d. h. der Reilic der Ilaiiplklimpfe geben die Partieen im andern Werk von
Schack: Epische Diclilungen aus dem Persischen des Firdusi. Berl. 1853.
B. 2. S. 375—379 und S. ,389.
453
dass der Diditei'geist das Maass der Aiisfülirimg seines Plans,
den Zorn des Achill zu besingen, von den für den Vortrag ge-
gebenen Umständen habe abhängig machen müssen. Dem \\ider-
sprechen aber so\\ohl die Geschichte anderer Dichtungsarten und
der Dichter- Agonen selbst, als auch die maassgebenden Be-
griffe selbst.
Die Ungehörigkeit der Schlussfolgerung aus den Vorträgen
bei den Fiirstenmahlen in der Odyssee ist schon oben mit Lehrs'
und Andrer Worten bemerkt. Bedurften die Sänger oder Rhaps-
oden der Zeit und der Gelegenheiten zu ihren Vorträgen, so ist
es doch voreilig, zu urtheilen wie nach Wolf G. Hermann und
andere Stinmien wiederholen. Da heisst es „eine Unglaublichkeit
ist es, dass maii in Zeiten, wo die Poesie durch mündlichen Vor-
trag mit dem Leben verwebt war, und wo man nicht Bücher
las, den (Tedanken gefasst habe, Gedichte von einem Umfange
zu verfertigen, der für den Gebrauch ganz zwecklos ge-
wesen wäre", oder: „Wo keine Gekgenheit für das Publikum
der Dichter vorhanden \^ar, so grosse Ganze zu geniessen, da
war auch für den Dichter selbst, so scheint es, kein Anlass, die-
selben zu schaffen,"^) Dieser Einwand ist in seinem Vordersatz
irrig, so wie nach der Geschichte, wie gesagt, unrichtig. In dem
Verhältniss der dichterischen Schöpfungen zu den Gelegenheiten
des Vortrags sind jene für diese das Maassgebende gewesen, nicht
umgekehrt. Die Geister haben die Umstände beherrscht und die
erforderlichen Institute erwirkt. Wenn Terpandros uns als der
erste Sieger bei den in der 26. Ol. gestifteten Karneien in Sparta
bezeugt ist, so erkennen wir, dass seine bereiten Poesieen den
Anlass zu der Stiftung des musischen Agon gaben. Bei aller
Dürftigkeit und Zufälligkeit der iNacbricbten leuchtet uns feiner
ein, dass in Athen die vier Tage hinter einander, wo der Schau-
spieler Polos, obscbon 70 Jahre alt, in acht Rollen spielte (Plut.
an seni c. 3 a. E.), erst für tragische Aufführung beslinunt wur-
den, als die reiche Zahl der Triigikcr mit ihren Telralo-iiecn
196) C. HoriiiJimi Op. VI. 81. Suseiiiilil, Roc. in N. Jalirb. f. Phtlol.
und Päd. Md. LWIII. 11.9. S. 6001'. (Dicsor Roconsont hedcissigl sich
dos umsichtigen Uillioils, ist aber weder von fafsclien Angaben oder Mis.s-
versländnissen noch von Widcrs]>rüclion frei.) Wuldeni. Ribbeck in IMiil.
8. S. 465.
454
zusammenkamen, um das Publikum zu vergnügen. Maassgebend
war dem freien Dichtergcisl nur das SagenbeAvusSlsein und natio-
nale Interesse seiner Zuhörer. Die Zeit und der Ort für die
Vorträge fand sieb. Wie die wahre Epojiöe der Griechen nir-
gends anders hergeleitet werden kann, als von Homer und seinen
beiden Mustern, nicht von Arktinos oder sonst Jemand, so hat
jener Dichtergenius von allen Seiten her geistige Anregung ge-
habt, die Sagentheile von den beiden ausgezeichnetsten Helden
des Troerkriegs mittels Neudichtung und verknüpfender Ergän-
zung zu den grossen Weltgemälden auszuprägen.
Der Sagentheil vom Zorn des Achill gehörte ja dem nationalsten
Völkerkampfe an, und gab da)nit einerseits Gelegenheit, das Götter-
regiment darzustellen, anders als Lieder vom älteren Heldenge-
schlecht mit den nur einzelnen Schutzgöttern. Eben dadurch ward
Homer der Hauptzeuge für die Theologie der Griechen. In jenem
Theile traten die Parteien der Götter, die griechische und tro-
ische so lebendig wie in keinem andern sich entgegen; aber be-
sonders gab andererseits kein zweiter solche Anregung und Ge-
legenheit, den höchsten Zeus in seinem Walten über den Parteien
der Götter und der Menschen zu schildern und zu verherr-
lichen. Schon dies führte also auf Darstellung des Verlaufs der
Wirkungen und Folgen des Zorns.
Aber dieser selbe Stoff gab auch wie kein anderer den Raum,
für das allgemeinere Interesse die andern grossen Helden in gut
epischer Weise hervortreten zu lassen. Dass aber der schöpfe-
rische Neubildner damit nicht blos ältere Lieder von den einzel-
nen Vorkämpfern zusammengereiht habe, ist durch die obige Nach-
weisung, wie die Arisleien mit dem Ganzen verwebt sind, dargethan.
Vornehmlich aber ist es an den vielen Partieen erkennbar,
welche, wie sie noch weniger für blos gesonderten Vortrag ge-
artet sind, entschieden dem Fortschritt des Ganzen dienen und
ohne Frage eben erst vom Schöpfer dieses ganz neu gebildet sind.
Hieran schliesst sich das für die Persönlichkeit Sprechendste,
weil Eigenste, das Gemüthliche, womit und wie der Dichter die
Handlung seiner Gedichte durch Motiven und die' sie tragenden
Charaktere der Menschen und Götter beseelt hat. Hierdurch, durch
die Seele, die er seinen Gedichten eingeflösst, und besonders hier-
durch hat Homer die neue Periode der epischen Poesie geschaffen.
455
Lleberhauiil isl zu erkennen, dass es niclil die Eigenschaften
des Einzelliedes allein sind, welche das Wohlgefallen und die
Werthschätzung des Nalionaldichters erzeugt haben. Das dra-
niatische Lehen, und die iuuner frische und wie anschaulich
durchsichtige so nirgends 31ühe verrathende Darstellung, diese
Eigenschaften zeugen für den einigen Dichtergenius nur, insofern
sie durchgehend vorhanden sind. Wo sie fehlen, erkennen wir
spätere Entstellung des Ursprünglichen. Was den Ruhm und
die hohe Würdigung dieses einzigen Nationaldichlers hervorrief,
waren stofflich Gesanimteigenschaften, seelisch die inneren das
grössere Ganze durchdringenden und wie verbindenden so bemessen-
den Eigenschaften. Als stoffliche Gesammteigenschaften bewähren
sich die fast alle Stämme umfassenden Heldenbilder und die Jlannig-
faltigkeit der theils aus den alleren Liedern meistens als Rede-
stoff eingewehten Sagen, theils (in den Gleichnissen) die aus
allen Sphären der NStur und des Menschenlebens angebrachten
Bilder, endlich in der Erzählung selbst der Wandel und Wechsel
derselben, da in grösserem Maasse in der Odyssee aber auch in
der Ilias der Wechsel der Scenen, der Personen, der Lebens-
und Weltbilder den grössten Reiz übt. Als innere Eigenschaft
haben wir erstens die durchherrschende Gleichheit der Charak-
tere zu zählen, wo ausser ihrer Haltung in der Ilias besonders
die Gleichheit derer in Betracht kommt, welche beiden Epopöen
gemeinsam sind, indem weder hei Helena, noch bei Odysseus,
geschweige bei Menelaos und Nestor eine Ungleichheit, vielmehr
nur die sinnigste Durchführung gefunden wird. Aber noch
entscheidender ist ein anderes Moment innerer Eigenthündichkeit
für die gemüthreiche Sinnigkeit und die schöpferische Erfind-
samkeit des seltenen Genius. Wir meinen die gewählten und
durchgeführten Motive des Zorns in seinen Wirkungen und der
Heimkunft und Rache des Odysseus.
Dass ein solcher einheitlicher Gedanke von einem Dichter habe
gefasst, ein solcher Plan ausgeführt werden können, wird von
den Gegnern der antiken einheitlichen Auffassung aus mehr als
Einem Grunde noch heute geläugnet. Den ersten Einwurf,
den man von den fehlenden Gelegenheilen entnahm, wies Welcker
Cycl. 1, 348) seihst in seiner ersten Instanz als unzurei-
chend nach.
456
Der zweite EinvMur ist der, dass ein so leiu angelegter Plan
wie vollends der der Odyssee nur die spätere Frucht allmäldi-
ger dichterischer Uebung und auf einander folgender Beispiele
sein könne. Das Aeusserste dieses Unheils in der Beziehung auf
die Dichtergabe als Naturgabe war, dass man den Homer, wie
Wood (Originalgen. S. Uff.), als Naturdichter fasste. Diese Auf-
fassung hat sich zu der Anerkenntniss berichtigt, dass das Genie
die Einheit von Natur und- Kunst nach seinem \Yesen darstelle,
indem eben sein Wirken unmittelbar das Kunstverfahren zuerst
vorbilde (Nägelsb. Ilom, Theol. Iff.). In der Sprache der Theorie
drückte man das so aus, dass den Griechen und ihnen allein in
ihrem Homer das Glück geworden, ihr National -Epos zu voll-
enden in dem Momente, da eben die naive Poesie die Vortheile
der Kunst in sich aufnimmt und die Kunstpoesie den ganzen
Vorlheil der Naivetät geniesst (Vischer Aesthet. 3, 2. 1287 vgl.
oben mit Buch 2 Anm. 98).'^')
Die Geschichte des griechischen »Epos lässt uns diesen Her-
gang zumal bei dem Lichte der Vcrgleicliung des Epos anderer
Völker genugsam erkennen. Beides wird uns klar, sowohl, was
es war und wie es geschah, dass die naive Posie in das Werk
und Wesen der Kunst überging, als das Andere, wodurch das
griechische Epos zu seinem Vorzug vor den grossen Composi-
tionen anderer Völkerstämme gelangte.
Es ist schon Buch 1 §. 13 der Gegensalz von Volks- und
Kunstdichtung in gewisser Beziehung als unrichtig bezeichnet.
Die jedenfalls zum Dichten erforderliche besondere Begabung,
die nur Einzelne auszeichnende Stärke des erlindsam bildnerischen
Vermögens ist kein Gemeingut, sondern immer Vorzug besonders
begabter Sänger. Bei keinem Volke hat Jedweder vermocht, wo
Anlass gewesen, nicht blos sein Gefühl von Freud' oder Leid,
sondern die Sagen der Vorzeit seines Stamms zu singen. Wenn
die Sänger alle als Behälter und Bewahrer des Sagenschatzes
erschienen, zeichneten sich Einzelne als annehmliche Erzähler
besonders aus (gleich dem Pheniios der Odyssee, 22, 347). Es
197) Inwiefern weder das indische, noch das iranische grosse Flpos
diese glückhchc Vereinigung erreicht hajje, zeigt Vischer das. wu joncni
S. 128G, von diesem S. 1293.
457
war die Gabe der lebendigen Vorgegenwärtigung des früher Ge-
sciieheneu, der liandelnden Personen sannnt der Scene, durch
>\ eiche die vor andern berufenen Erzähler gefielen. Nun machten
aber die LiedersloHe selbst verschiedene Anforderungen an das
Talent des Sängers. Die meisten friUicrcn Lieder hatten nur
eine einfache einzelne Handlung erzählt. Sie also, uie sie Buch
2 §§. 4 und 5 einzeln verzeichnet sind, hatten von den vorho-
merischen Aöden nur das Talent anschaulicher Erzählung und
ßeschreibung verlangt, auch die Gemiithserregungen waren ein-
fachen Wesens. Und selbst die vorhomerischen Einzellieder aus
den Sagen des jüngeren Heldengeschlechts, die vom Heerzuge
gegen Theben und die aus dem Troerkriege, hatten zum Thcil
denselben einfacheren Charakter, wie das von Tydeus Sendung vor
der Ankunft des Heeres in Theben und das von den Streifzügen
des Achill vor der Zeit des Zorns, Gab es hier auch unifäng-
lichere Stoffe, wie wir sie in der Odyssee dem Phemios und dem
Demodokos beigelegt gefunden haben, und hatten diese auch die
Buch 2 §. 8 charakterisirten lieferen Motive, so bildeten sie doch
nur auch hierin den Uel»ergang zu den Schöpfungen des Homer,
indem sie und selbst jene JEinzellieder nicht umhin konnten, die
ihrem Ganzen innewohnenden tieferen Motive zu berühren.
Es ist aber das ^eue beim Beginn der zweiten Periode der
epischen Dichtkunst, dass darin alle bewegenden Ursachen ethischer
Natur sind, und dass die Handlungen unter dem das Thun der
Menschenwelt überwahenden Götterregimenl slehn. Im tieferen
Sinne ethischer Natur siiul sie, als auch die Lieder und kleinereu
Ganzen der ersten Periode, nach dem griechischen Sprachge-
brauch des Worts , ethisch bewegt d. h. eine Sirebung
schildernd, welche bei der Heldenkraft durch Kampf ihr Ziel er-
reicht. Das gicbt überhaupt nur ein durchgeführtes Motiv, wie
alles Epos die thatlebendigen Menschen schildert und jedes epi-
sche Ganze durch ehie entstandene und (hn'chgeführte Strebung
darstellt.
Gegen diese ältere, auch ethische Motivirung ist es etwas Neues,
wenn die handelnde Menschenwelt unter die nationalen Sllteiigcsetze
gestellt erscheint, wenn ganze Völker und j^rosse Verliällnisse,
durch die Leidenscliaflen der Menschenbrust in Kampf imd Con-
flicte gebracht, dargestellt werden, w(!nn Kriegsparteien der
458
Menschen und Götter einerseits von Beiden eine zahlreiche Reihe
verschiedener Charalitere zu schildern geben, wenn andererseits
das Menschengemiith auch in den Tüchtigsten seine der Leiden-
schaft ausgesetzte Natur erwiesen hat, und wenn der Glaube,
den die Sänger mit ihrem Volke theilen, über aller dieser Bewe-
gung den höchsten Gott waltend denkt. Um ein solches Welt-
bild zu gestalten, da mnss wohl ein grosser Geist eintreten.
Homer, der es war, halte eine liederreiche Vorzeit. Die
spezielle Sage vom troischen Kriege war in vielen Liedern be-
sungen und ihm also bekannt. Die von ihm getrofl'ene Aus\^ahl der
zwei Theile dieser Sage und vornehmlich die des Achillszorns
mag wohl auch den Grund gehabt baben, dass dieser Theil mit
dem Kampfe der beiderseitig grössten Helden den Hauptakt des
gesammlen Krieges bildete; allein so gewiss auch die Erzählungen
vom Zorn von ihm als ein Stück der Erzählung vom Kampfe
um Troia behandelt ist und behandelt werden musste, der Inhalt
des Stolfes, die Handlung selbst und alle ihre Ausführung ist eine
so charaktervolle, von Erregungen und mannigfachen Aeusserungen
der Menschenseele so durchdrungene, dass diese Eigenheit, d. h.
die Fähigkeit dazu, an welcher kein anderer Sagentheil ihr
gleichkommt, der besonders anziehende Grund der Wahl gewe-
sen zu sein scheint. Der Centralpunkt dieser Anschauung war
die Seele des Achill mit seinem Selbslbewusstsein und seinem
in allen Affecten gewaltigen Gemüth, wie der Dichter es auffasste.
Die Wahl eines Sagenstoffs und der ihm angehörigen älteren
Lieder war immer Wahl des ihnen innewohnenden Motivs, der
sie beseelenden Idee. Nun ist es eben das Wesen eines Kunst-
werks, dass es eine Idee ausprägt und durchführt (s. oben Buch
1 §§. 11 und 13). Sonach übte Homer Kunst, indem er die
Idee des Achillszorns zur Seele seiner Epopöe machte, und, da
dieser Sagentheil der bezeichneten seelenvollen Art war, eben
diesen Charakter des Stoffs in schöner Entwickelung ausführte.
Es halten die von Homer vorgebildeten Epopöen durch ihren
ethisch religiösen Geist eben sämmtlich Motive, welche das Ganze
tiefer durchdrangen.
Homers Poesie hatte und bewahrte dabei das Wesen der
Naivetät. Er stand eben noch ganz auf dem Standpunkte, wo,
wie es in der Einleitung dieser Schrift gezeichnet ist, die Phan-
459
tasie in den Geistern über alle anderen Kräfte oblierrschte, und
wo dalier beim Dichter Dichten und Denken, bei seinen Hörern
Wissen und Glauben noch ununlerschieden ^varen. Wenn der
Dichter das Erzählte vergegenwärtigte, als sei er selbst bei Allem
gewesen, so galt die poetische Wahrheit der Wirklichkeit gleich.
Als von der Muse gelehrt, hatte er nicht blos nach dem Glauben
seiner Zuhörer Beruf und Befähigung, von den Göttern, von der
Unterwelt, von den fernen Phantasiegebieten zu erzählen,
sondern er selbst dichtete in dem Glauben, das Leben und We-
sen der Götter sei so und ihre Thaten seien so erfolgt, wie er
es sich vorstellte.
Ebenso nun und vollends bei der Darstellung der Helden-
charaktere. Das Verhältniss des Dichtergeistes zu den vom Volks -
geist überlieferten Personen und. Vorgängen war längst nicht
mehr das uranfängliche. 3Iochte eine Heldengestall ursprünglich
mittels einer Personification erdacht sein oder den wirklichen
Ahn eines Fürstengeschlechts darstellen, unzählige solche Rei-
hen'"^) lebten längst im Bewusstsein der Stämme und eine Fülle
von Liedern hatte jenen Gestalten bereits die individuellen Züge
angeeignet, welche, dem hörenden V^olke bewusst, auch in aller
Neudichtung gewahrt werden mussten. Kein Epiker that anders,
aber durch Homers seelenvolle und namentlich dramatische Dar-
stellungsweise wurde das persönliche Wiesen der ihm zugekom-
menen Helden und Götter vollends so durchgebildet, dass sie
nach seinen Bildern im Glauben fortlebten und als Typen des
Menschenlebens gebraucht wurden.
In dieser Weise wirkten Naivetät und geniales Kunstvermö-
gen bei Homer zusammen. Sein bildnerischer Kunstgedanke
hatte eben schon den Stoff ergriffen, der ihm neben den reiche-
ren Anlässen zur Seelenmalerei die schöne Gelegenheit bot, seine
198) S. üben Buch 1, §§. 12 und 13. Höchst verwunderlich ist es,
(lass der Gedanke, noch in Homers Nekyia lasse sich Odysscus als ur-
sprünglich agrarischer Gott erkennen, auch bei gewiegten Forschern ent-
stehen konnte; Sengehusch, Rec. in N. Jahrh. B. 67. H. G. S. 031. Da
wird der Etymologie Alles geopfert, und nachdem alles individuelle Leben
von den Sagengestailen abgestreift ist, die übrig blfMliomleii dürren
Skelette eigenmächtig gedeutet. Es kommt auf die ganze Sage an und
auf das allmäblige ^^'e^dcu der vorliegenden Gestalt; davon ist Nichts er-
klärt. .Denn dies ist durch dicHinwcisung auf dieKephallcncn nicht gelhan.
460
iil)t'i- di'u l'arteien stehende HimianiÜU zu oireuljaren. Eine
wirkliche Epopöe nationalen (Sagen-) Stoffs konnte nur zur V^)r-
irellllchkeit yedeihn, nenn ein vorlreniicher Stoff, und eine vor-
trellliche Dichlerkraft in Eins wirkten. Der Voi'zug, den die
Ilias und Odyssee vor den grossen Conipositionen anderer Völ-
ker hahen , beruht ebenso\vohl auf den concentrirenden Stoffen,
als auch den mannigfachen Erweisungen der Dichterkraft.
Die Wahl des Stoffs ist immer auch heute das erste Werk
der Erfindsamkeit und speziellen Erfindung. Aber der antike
Nalionalepiker uar ge\viesen, nur aus überkommenen Sagenkrei-
sen, und Tlieile von diesen zu wählen. Nothwendig waren es
Lieder, in welclien dem Homer die verschiedenen Akte des Troer-
kriegs überliefen vorlagen, sonst wären es nur einzelne^ Data
sewesen.''*^)
199) Dieser Umstand wurde von raanclicii ßeurtheilern der Gedichte
nicht beachlel, und irriger Weise die Verschmelzung kleinerer Lieder zu
einem umfänglicheren Ganzen als eine unschnere, kaum raeiir als die
Ueljung in Vorsbildung verlangende Leistung liozcichnet. Oder aber es
ward in so weil treffend gcurlheiU, da alle Kuiisl in ihrer Jugendzeit stets
etwas Traditionelles sei, und nur d.ulurcli sichere und rasche Fortschritte
mache, so müsse die epische schon hedeulend ausgebildet gewesen sein,
ehe ein Homer habe auftreten können. Dieses Letztere setze nun eine
Schule voraus, und wenn Homer seine Schule vorzugsweise auf den Kreis
der Ilias hingewiesen habe, so müsse auch vor ihm schon in diesem Kreise
gedichtet sein.*) Der vortrelfliche Verfasser dieser Betrachtung isl bei
lachniannischer Grundansicht doch dahin vorgeschritten: „in der Ilias,
selbst in der jetzigen Gestalt, einen im grossen Ganzen echt künst-
lerisch angelegten Plan zu erkennen, S. 277., dem er nur (im Lüneb.
Progr. ), unrichtig grade hier, die Verherrlichung des Achill zur Seele
gab, wie oben gezeigt isl. — Aber er gebt dann noch W'eiter; er legt
nun eben im lachmanniscben Sinne einerseits dem Volksgeiste die Bildung
der schon gestalteten Sage bei (278 f.), statt dass auch hier ältere Sänger
genannt sein sollten. Indem er die Motivirung, die Beseelung übersieht,
findet er darnach Homers Thäligkeil nicht so bedeutend, dass sie nur eui
einziger Dichter besessen haben konnte; er übersetzt andererseits die
Vorstellung von der Unenlbehrlicbkcit der Schule für die epische Kunst
in die Annahme von Sängerinnungen, wie die der Ilomeriden. Endlich
nimmt er, 287, mehre solcher Jenen ähnlicher an, und schon von dieser
Annahme aus, bei der die Sage und die ganze dichterische Production
der episLlien Zeit ihre Giltigkeil behalte, erscheint ihm die künstlerische
''') HolTniaiins nmfassende Ahliandl., der gegenwärtige Stand der Unlors.
liber die Einlieit der Ilias iu der Allg. Monatsschr. f. W. u. K. Halle 1852.
April. S. 279.
461
Aber Homers Genius lialle doch gewiss nicht hios zusani-
nienzureihen. Er iiherkani freilich in den Liedern vielleicht
schon folgendes Alles, die Entstehung des Zorns und Abson-
derung des grössten Helden von der Sache seines Volks und —
wie jede Sagengestaltung ihn gegeben haben muss — den den-
noch erfolgten Ausbruch des Kriegs in Troias Nähe, einzelne
Aristeien , langhin fortdauerndes Grollen des gekrankten Helden,
wachsende Notli der Griechen, bis Patroklos von ihr gerührt
den zürnenden Freund anging und von ihm mit den Myrmidonen
und den geliehenen Waffen entsandt vurde, Hektors Kampf mit
dem Freunde Achills und Sieg über ihn bis zur Erheuluni! der
Abruiidung der Uias und Odyssee völlig unerklärlich. In allen diesen
IiofTniannsclien Sülzen dürfte gerade das Wesen der Dichlcrgahe nicht
richtig erwogen sein.
Zuerst fehlt hier (hc Unterscheidung dessen , was der Volksgeist ge-
dichtet, von der Ansdichtung zu Liedern durcli die von den Musen begali-
len Sänger. Wer al)er diese durch alle Erfahrung an der 3Icnschcnnatur
gebotene Unterscheidung anerkannt hat, wird solchen Innungen oder Ge-
scldechtern, wie die Ilomeriden ein Geschlecht heissen, nicht als gemein-
same Eigenschaft die Sängergahe ])eilegen. Nennt er sie Schulen, so kann
er damit nichts Anderes meinen, als das Lernen und Vortragen fertiger
Gedichte und die damit gegebene Uel)ung zum Vershjiden, durch welche
Bescliäfligung einzelne Begabtere zu eigener Dichtung angeregt wurden.
Es erhelten sich nämlicii hier Zweifel und Fragen, wie sclion jjci
Grote's ähnlicher Hypothese (Abschn. 32): Die Vennullienden bekeiuien
sich zu einem uns undenkbaren Hergang, als könne ein Gedicht durch
Mehre nach Eines ßegalitern Plane, wie ein Bau durch Meister und Ge-
sellen, zu Stande gekommen sein. Uns gemahnt das nur an eine andere
schiefe Parallele und Deutung, wenn Mancher mehre Dichter der einheit-
liclien (ianzen, die ilomeriden stall des Einen Ihmier, nnt Dädalos und den
Dädaliden vergleichen mag. Die Bildner in Holz brachten in der rolifii
Kunst, (he des Dädalos Kamen trägt, jeder inuncr Ein Ihdzl)d([ hervor,
und ein Holzbild schnitzen isl ein Anderes als eine homerische Epopöe
dichten. Und keines der patronymiscb benannten Geschlechter mit einein
geglaubten Urvater und Namengeber an ihrer Spitze giebl zu den als
Werkmeister der Ilias und Odyssee gedachten Ilomeriden eine trelTende
Analogie, auch die Euneidcn in Atlika nicht, die bei den 0|)feihandlungcn
verschiedene Dienste leisteten (Melelem. I. 128. 172).
Dagegen im i'iclitigen Verstände und in ihrer iiezcughm Thäligkeit
gefasst, iiahcn die Ilomeriden allerdings an (]om Eun<Mden ein vergleich-
bares Beispiel. Wie jene, indem sie die Gedichte Homers vortrugen, zu
ihren Vorträgen sogenannte Proönncn dichteten, so gab es unter den
Euneiden welche, die hei den Opfern, ausser andern Diensien, auch tlie
462
Waffen , Kampf um des Patroklos Leiche und den bitteren Um-
stand, dass der durcli alle Notli der Seinen nicht zur Versöhnung
Bewogene, nun zuerst %vieder hervortreten musste oder liervor-
trat, um des Freundes Leidmam aus der Troer Händen zu retten;
ferner gcAviss den Kampf des zur Rache gespornten Helden mit
dem Hort Troias, und dessen Fall, die Misshandlung seiner Leiche,
die Leichenspiele, bei fortgeheiider iMisshandlung der Leiche des
Hektor der Streit der Götter darüber bis Zeus entscheidet, und
den Priamos beauftragen lässt, den Leichnam auszulösen und
nun Achill und die Handlung endlich zur Ruhe kommt.
Mögen alle diese Momente schon in der Sage gelegen inid
mehre derselben, schon ganz lebendig in den Liedern ausgeprägt.
Hvniiien zur Laute absangen, auch deren Einzelne, welche seihst der-
gleichen dichteten, was Kratinos bezeugt.*)
Der Versuch nun, zwei verschiedenen so genannten Sängerinnungen
oder Scliulen der einen die llias, der andern die Odyssee als Erzeugniss zu-
zutheilen, er ist wohl gemacht worden, aber ganz niisslungen. Da sollten
die Ilomeriden auf Chios die IHas, das Geschlecht des Kreophylos auf
Samos die Odyssee gedichtet haben , was durch die sprechendsten Gründe
als verfehlt erwiesen ist. **) Und wenn dieUelierlieferung dcrliomerischen
Gedichte durch das Geschlecht der Kreophyher unzweifelhaft l)ezeugt ist,'
so hatte ja doch Kreophylos sell)st die Einnahme Oechalias gedichtet.
Sollte etwa die Fabrikarbeit Vieler an Einer Epopöe sich auf Samos gar
zweimal begeben haben?
Wir haben das W^ahrsclieinliche schon Abschn. 35 — 37 des breiteren
cbarakterisirt. Iliei" mögen um der bedeutenden Gegner willen nur die
Hauptmomente des Problems noch prägnanter gefasst werden.
Die Gestaltung der llias aus früheren kleineren Liedern darf ebenso
wen ig wie es ein statthaftes Begiimen war, sie in der früheren, eben vor-
Iiomerische Fassung wiederherstellen zu wollen, in ihrer vorhegenden
Verbindung als eine wenig Poesie und individuelle Genialität verlangende
*) Sein Vers aus der nacli ihnen benannten Komödie: Meinecke I.
S. 19 oder 11. S. 57. TEKXovsg svnuXäfioav vfivwv bezeichnet sie als Dicli-
ter. während sie sonst bei dem Glossogr. nur xi&aQadoi, ngog tag
IsQOVQyiag ■Kagixovxig xrjv xqsiuv, also Sänger zur Laute heisscn. welche
die den sagenhaften oder sicher bekannten Dichtern zugeschriebenen Hymnen
absangen, wie von den drei Hauptarten der Dichtkunst jede ihre vortragen-
den Gehilfen hatte; Plato Staat. II. 373 B. Ges. VI. 1Ö4CD.
**) Lauer, Gesch. d. homerischen Poesie. Berl. 1851. S. *242. Eine
Hauptstelle war zu corrigiren (Sagenp. 358), denn obgleich sie selbst in
der historia critica von Sengebusch, üiss. 1 , 03, ohne Anstoss aufgeführt
wird, das: ,,die von Homer geschilderten fidxag singen, beginnend von
der Odyssee" ist doch Unsinn. Aber wie die nationale Beziehung für
Samos gerade viel eher die llias wahrscheinlich hätte machen können, in
der die saniische Hauptgöttin, Here, eine solche Bolle spielt u. s. w. , dies
hat Scuj'ebusch in der Rec N. .lahib. B. 07. 11. ß S. (ififf. dargethan.
I
463
dem Homer gedient haben, so dass namentlich in den Momen-
ten der letzten Bücher eine ursprüngliche Verkettung staltfand:
immer blieb dem Dichtergenius Viel in dem Gegebenen der An-
lage oder des Reizes oder alicr der vollen Freiheit zu eigen-
thümlicher Bethätigung seiner Darstellungsgaben und Mittel. Es
genügt an dieser Stelle nur auf die Bedeutendsten für die Oeko-
nomie hinzuweisen.
Die Ilias erhielt gleich durch die Entstehung des Zorns zwei
Ausgangspunkte, Achill in seinen Zelten und das Achäerheer un-
ter Agamemnon. Da nun der Sage nach der gekränkte erste
Held nicht eher und nicht durch andern Grund zur Rückkehr
zum Kampf seines Volkes bewogen war, als durch des Freundes
Tod und den Kampf um dessen Leiche, so musste Patroklos
ohne Achill vorgegangen sein , musste es also geschehn sein , dass
die Niederlage des Heers der Griechen einen hohen Grad er-
reichte, und sie so den Patroklos ohne Achill zum Kampfe zog,
in Folge dessen der Freund fiel. Dieser so verkettete Hergang,
die gesteigerte Noth, des Patroklos alleiniges Eintreten zu ihrer
Abwehr, sein Fall und in Folge dessen der Kampf des Achill,
des grössten Helden der Achäer , mit dem grössten der Troer, diese
unlösbare Kette zeigt sich unverkennbar als alliier überliefert.
Die Patrokleia mit ihren beiden Theilen, da er, nachdem er die
~ Troer zurückgescheucht, durch Hektor fällt, und der Kampf um
seine Leiche zeigte sich uns schon als ein grösseres Lied. Aber
dieses in seiner engsten Zusammengehörigkeit mit dem Rache-
kampf zwischen Achill und Hektor nötbigt nun , hier ein umfäng-
licheres Ganze als schon vorhomerisch anzunehmen; und es war
hier die Motivirung und Charakteristik der Helden und der Füh-
rung des Zeus, welche die Neudichtung brachte. Diese führte
Geistesar])eit geschätzt wonlcii. Das Beseelen des Sagenstofls, das Moti-
viren der rortsclireitciidon llandhing isl das Werk des den erkorenen SlolT
nusfiihrenden Dichlergoislos. Je nachdem dicsoui Ueljerkommcnen seihst
schon eine für die thälige oder leidendhchc Bewegung drastischere Be-
schaffenheit inncAvohnt — was eben durch die Wald desselhon hechngt
ist — wird der ausdichtende Geist mehr oder minder der beseelenden
narsl(dlung seihst zu leisten halten. Da der zur Ilias gewählte und ansge-
fiihrle SlolT jener zwiefach drastischen Art war, so lag alleidnigs in ihm
schon ein gutes Theil (h^i- heseeileii Kigeidieil des von Ildiiier ansgeffdir-
len (lediehls.
464
itber zu zAvei anilern MaassnalniK'H flcr Verl<eUung und ilostal-
Uiiig eines grossem Ganzen, inid damil zur Dielitung von Par-
tieen, welche vorher als Einzeliieder zu denken hei ihrer aus-
drüeklichen Berechnung auf Wen Zusammenhang unstatthaft ist.
Diese Partieen gilt es hauptsächlich wahrzunehmen.
liier also kommt die Erfindung und Motivirung zu heaehten,
durch welche Homer die vorher in zwei Ausgangspunkte ge-
trennte Handlung in feinstem Torlschritt allmählig zusammen-
gehen lässt. Zugleich werden aher juittels Parallelhandlung die
vier Stadien der Noth ins Licht gesetzt, an welchen die schaden-
frohe Widerhaltigkeit des gekränkten Ehrgefühls im Achill sich
olfenhart. Wie scheinhar unbedeutend noch wird erst, 11, 510,
Nestor angeregt, den verwundeten Arzt Machaon vom Kampfplatze
wegzufahren, und erscheint darauf, das. 599 f., Achill auf einer
Warte neugierig und schadenfroh nach u^m Gange des Kampfes
ausschauend. Hier wird Patroklos unter des Dichters Vorher-
sagung, 604, „der Anfang seines Verderbens" — durch die Sen-
dmig an Nestor der Vcrnüttler der vorher getrennten Handlung,
der Wiederannäherung des Achill an den Kampf des Heeres.^"")
Mau hätte die schmerzvolle Aeusserung des Patroklos bei seiner
Rückkunft zu Achill nicht falsch auffassen sollen (16. z. A. ),
welche, zuerst durch Nestors Mittheilung und ganze Auslassung
angeregt (11, 660. 790.), während er bei der Heilung des Eury-
|)ylos (12. z. A. ) dem weiteren Gange des Kampfes zusieht, dahin
gesteigert ist. Sie würde auch nicht verkannt worden sein, wenn
man nicht in zweifelnder und verneinender Stimmung unterlassen
hätte, den erfinderischen Dichtergenius im Einzelnen und die
von seinem ethischen Geiste durchgeführte Handlung im Ganzen
zu verfolgen.
Eben der 11. Gesang war in seiner feinen Motivirung zu
erkennen; sodann der 16., wie da der Zorn des Achill tragisch
wird , was dem Unbefangenen so deutlich entgegentritt.
Als die wesentUchen Maassnahmen des Dichters zur beseel-
ten Gestaltung der Epopöe erkennen wir also: jene Sendung des
200) Die Vormiilhung, wolclie l?crgk als Tlicsi.s aufslolll, Pliilol.
XII. 597. Nr. 25, erst durcii Ildnicr sei Nestor in die Iroisclie S;ige ge-
koininoii, Itodarf des Beweises in lioliciii Mansso, ii.inicnlliili wogen seiner
f(anzon Slellnns zn Affanienmoii
465
Patroklos, die vier Stadien der Noth, die iMotivirung des Ueber-
gangs des Achill aus berechtigtem Zorn und gerechtfertigter Ent-
fremdung von der Griechensache in das selbstische Uehermaass,
vor allem Andern aber die das Ganze verbindende Führung des Zeus
und die Charakteristik derselben. Von Heldencharakteren zeugen
die des Achill, des Hektor und des sanguinischen Agamemnon
in ihrer völlig harmonischen Hallung am sprechendsten für die
organische Dichtung.
Alle diese die ganze Handlung durchziehenden und beniessen-
den Charaktere mit ihrer ethisch beseelten Eigenheit werden in
den ExpositJonsgesängen d. h. im Anschluss an die im ersten
erwähnte Grundursache nebst der Trennung in zwei Stätten der
ferneren Bewegung, in den Gesängen 2 — 7, welche nur Einen
Tag enthalten, mit epischer Breite nach dem Stand des bisherigen
Kriegs vollständiger gvzeichnet. Es ist eben hier des Dichters
ganze Eigenthümlichkeit in der Fassung und Beseelung seines
Werks in seinem nationalen, aber dabei humanen Sinne anzuer-
kennen. Er dachte den Sagentheil vom Achillszorn mit seinen
Wirkungen als besonders charakterisirten Theil der Sage vom
Völkerkampfe um das troische Reich, und legte ihn so an. Er
erzielte dies durch eine Neubildung gerade in den die Folgen der
Verzürnung vorbereitenden Theilen, für die er auch grössere Par-
tieen selbst erst einfügte. Die Exposition, welche im Epos immer
die Grundverhältnisse zu zeichnen hat, von welchen die Hand-
lung ausgeht,^"') und zwar die göttlichen und menschlichen, sie
schildert hauptsächlich den Alles bewegenden höchsten Gott in
seinen schlauen Maassregeln.
Er war, nachdem er der iMutter Achills eine seiner Gattin
Here widrige Zusage gegeben, darüber mit der letzteren in lief-
tigen Zwist gerathen, der aber durch den naiven Hephästos in
olympische Heiterkeit ausging. Auf diese olympische Ausgangs-
scene konnte der Dichter, das ist klar, unmöglich sofort die
im Eingang des 8. Gesanges folgen lassen , wo Zeus den beider-
201) Schiller an Goollic im Hriefwecliscl 3. Br. 298. S. 85 und 80
iinlorscheidel zu scharf zwischen doni Epos und dem Drania. Dip Be-
stimmung der Exoposition ist die obige in beiden , nur giebl es im Epos
breitere Grundlüge der zugleich golllichen und menschlichen Verhältnisse
mit ihren Trägern aufzustellen.
Nilzsch, Gesch. d. griech. Epos. 30
466
seitigen Schutzgöttern — iinparleiiscli Jjeiden — alle persönliche
Hilfe mit den heftigsten Bedrolinngen untersagt. Nein, vielmehr
was er dem Vorwurf der Here hei jenem Zwist entgegnet hatte,
sie dürfe nicht alle seine Gedanken wissen wollen (1, 545 — 550),
und der ihm wohlhekannte Sinn dieser heisshlütigen Griechen-
freundin (1, 520 f.) Itewogon ihn zur schlauen Verheimlichung
des zur Verwirklichung seiner Zusage an Thetis erst von ihm
gefassten Planes.
Wohl hedurfte es zu dessen Ausführung ehenso des vollen
Kriegs von Heer gegen Heer, wie ihn Here als Patronin der
Atreiden auf Troias Untergang hin schon längst heischte, des
Kriegs um den Königssitz seihst. Seit Kurzem waren die Streif-
züge, wobei Ghryseis und Briseis gefangen winden, beendet, und
waren die Achäer im Schiflslager beisammen. Da hatte sie, wah-
rend die Troer aus Furcht vor Achill sich in ihren Mauern hiel-
ten, in Folge der Abweisung des Ghryses die Pest -heimgesuc^hl,
und war die Kränkung des Achill erfolgt. Die Entfrenidiing und
Abwesenheit dieses grössten Helden wird nun in diesen Gesängen
2 — 7 oftmals erwähnt, ja sie gilt im ganzen Gange des jetzt an-
geregten vollen Krieges als Voraussetzung, so dass so gut wie
Nichts von dem was wirklich geschieht, erfolgen könnte, wenn
Achill beim Griechenheere wäre.^°-) Die Troer nun haben im
jetzigen Text einen Späher sitzen, der aussehen muss, ob das
202) Bäumlein über Grote Piniol. XI. 3. S. 412 und 413. Sagenp. 193
bis 195. S. die Stellen 2, 239 f. 375—378, im Schiil'skatalog 689—694.
769—779. Achill ist auch nicht unter den Geronlen, 2, 404 — 408, nicht
unter den Helden, welche sich 7, 161 — 169 melden, ,,w'0 er gewiss zu erwar-
ten war", vom Oherfeldlierrn hei seiner Runde, 4, 231 If., natüriicii niclil ge-
trolfen, noch in der Mauerschau, 3, 101 ff., gesehen. Ferner als abwesend
vom Ih^er ausdrücklich bezeichnet von Apoll, 4, 512f. , von Here, 5, 512,
von Aias, 7, 229, von Ilelenos, 6, 99, als ehedem gcfürchlel vergliclicn,
sowie andererseits, 7, 1J3, Achill vor llektor sicherlich nur hei erster
Begegnung in der Landungsschlacht erschrocken w-ar, wie solcher erste
Eindruck auch die Tapfersten im Laufe der Erzählung mehrfach IrilU.
VVelcker Cycl. 2, 125. Also giebl diese Stelle, zumal da dort der be-
sorgte Bruder abmahnt d. b. es einer starken Instanz bedarf, keinen rich-
tigen Linwand, Schömann, Bcc. der Sagciij). in N. Jahrb. Bd. 69. II. 1.
S. 16, und wenn jene so zu sagen rlictorisclie Bescluideniieil der IJcdc
vom Bec. selbst aiicikannt wird, er aber andere Stellen .iniüliit , welche
schon trübere Scidacliten der Gosammllieere ])ewiesen, so werden wir
alsbald die crerinse Beweiskraft ersehen.
467
Griechenheer elwa von) Schiffslager gegen die Stadt heranzieht.
Dessen Gestalt nimmt die Botin des Zeus, Iris, jetzt an, da sie
von Zeus ohne wörtlichen Auftrag nach des Dichters Ausdruck
mit (für die Troer, wie sie zur Zeit en)pfanden) trauriger Mel-
dung des Anzugs der Griechen abgesendet wird (2, 786 — 795).
Sie meldet ganz natürlich das und nur das, was der Späher ge-
sehen hat und wissen konnte- — von Achill konnte der Späher
weder Etwas gesehen haben, noch Etwas melden. — Die Be-
schreibung, wo und wie sie die Troer gefunden, musste gegeben
werden. Priamos verhandelt eben vor seinem Palaste niit seinem
versanmielten Volke wie im liefen Frieden, also ganz im Gegensatze
zu den wirklichen Umständen. Diese, des Griechenheeres Anzug,
möchte nun Iris als Späher in den lebhaftesten Ausdrücken schil-
dern, aber sie, als Sohn des Priamos, tadelt den Vater wegen der
unzeitigen Sorglosigkeit — und allerdings in unehrerbietigem
Ausdruck — und ruft den Bruder Hektor, den Oberanführer,
auf, sofort zu waffnen. Dies gab dem Aristarch Anstoss, und
wohl nicht ohne Grund, ^"^j nur ist's mit Verwerfung der fünf,
von der angenommenen Gestalt sprechenden Verse 791 — 795 nicht
gethan; die Erinnerung an früher gesehene Heere, 798 — 799,
passt schwerlich für Iris, die Botin des Zeus.
203) NachSchol.A. verwarf er die fünf Verse erstens aus d(Mn Grunde:
,,Gall es die Voraukündigiing des Anzugs der Griechen, dann war Poliles
hinreichend, sollten aber die Troer, die vorher zu gehen, nicht
den Muth gehabt, dazu angeregt und ermuthigt werden, dann musste
Iris in eigener Gestalt eintreten. Denn Homers Brauch ist, dass die Götter,
wo sie eine fremde Gestalt angenommen haben , heim Weggehen ein
Zeichen der Erkennung hinterlassen. (Sodann) auch ihe Reden sind nicht
gestaltet als die des Poliles zu seinem Vater, sondern zornerregt und vor-
wurfsvoll. Endlich das: „Hektor Dich vor Allen heauflrage ich", ist für
Pohtes unpassend, für Ins vielmehr passt das Beauftragen". Hiervon ist
das von den Göttern Gesagte richtig, sie werden in der angenommenen
Gestalt immer an etwas Sichtlichem erkannt. IL 13, 66 ff. 3, 396 ff. Od. 1,
322 f. 3, 372 ff. Hier soll Hektor aus den Reden die Golllieil merken 807.
wo Aristarch das '^yvobjasv als vom Diaskeuasten missverslaiiden <hirch
arci&ijOEv erklärt. Vgl. 1, 537. 13,28. Üd. 5, 78, liess nicht unbemerkt
nicht sich entgclien. Aber der Anstoss an den Reden ist durch die Auf-
fassung des Gegners im Schob R. zu 706 nicht zu hesoiligon, der gerade
in dem Tadel des Vaters den Poliles erkennt, indem er ihis Piädicat der
Reden, ßxpiroi, für unzählig versieht, ohwold die Erklärung aucii von
Thersites' Schwatzen, 2, 246, ungemessen builei.
30*
468
Man mag verniuthen, die ganze Stelle habe Umbildung er-
f'aliren , da alsbald der entschieden unechte und jüngere Katalog
der Troer folgt. Verlheidigen lässt sich die jetzige Gestalt durch
die Annahme, dass der Sohn des schwachen Priamos eben solcher
Sprache sich erkühnt, und den Bruder Ilcktor eben nur auf sein
Beiden bevvusstes Amt hingewiesen habe, Hektor aber mag immer
im ungewöhnlichen Falle ohne sichtliches Kennzeichen eine gött-
liche Stimme empfunden haben.
Wie der Dichter hier das Verl'ahren des Zeus bei Ausführung
des gefassten Plans gedacht und geschildert habe, das verstehen
wir gut und mit Befriedigung. Nachdem er das Feindesheer zum
Angriff auf die Stadt angeregt hat und es anrückt, sorgt er da-
für, dass die Troer ebenfalls walTnen und ausziehn , damit es
eben den erforderlichen Krieg gebe.
Den obwaltenden Beweggrund der Ermuthigung, weil Achill
jetzt nicht mehr zu fürchten sei, hat er der Iris bei ihrer Ab-
sendung nicht aufgetragen, dergleichen geschieht nur an Einzelne.
Wie er aber in der besungenen Sage war, d. h. im Bewusstsein
der Hörer, und den erzählten Ereignissen zu Grund liegt ,-°*) so
Hess der Dichter erst, als die Heere zusammengetroffen waren, nach-
dem die Kriegsgötlei', Athene und Ares u. a., den Krieg enltlannnt
liatlen (4, 439 ff.), den Stadtgott Apollon jenen Umstand zur An-
feuerung aussprechen (4, 512), wie er Alles dergleichen energisch
204) Es mag wegen sich wiederliolciulen Widerspruchs hier nach
(lern Buch 2 §, 14 Angclüliilen nocli hoslinmiler dargelhan werden, dass
hislier die Troer sicli in den Manciii geliallen hatten, und entweder nur
verstohlen einzeln sich lierausgewagt h;iUen (20, 91), oder Hektor, der
Kühne, einen Versuch machte (0, 351 — 355), es ist in einer Reihe
Stellen als der vorherige Stand bezeichnet. 3IitNennung des Achill vonHere
(5, 787-^791), mit Vorwurf für Agamemnon von Poseidon (13, lOOfl'.),
und der Umstand kommt bei den verschiedenen Stadien der Noth des
Griechenheeres zur Spraclie, beim ersten, wie oben, und beim späteren,
beidemal aus Achills eigenem Munde, 16, 69 f. Dass nun dagegen, nach-
dem Achill zürnend in seinen Zellen sitzt, jetzt am ersten Tage für beide
Theile ein neuer Zustand eingetreten , besagen die vorhin in der Anmer-
kung bezeichneten Slelh^n von Achills Abwesenheit. Dies sieht man er-
kannt, aber sehr hastig beurtheilt von Köcbly de lliadis carminibus diss.
III. p. 7. Die vom Verfasser schon früher vorgetragene Meinung ward
getheilt von ßäumlein commenlat. de conipos. II. et Od. pg. 11 und Piniol.
XI. p. 415. vgl. auch Fäsi, Einl. zu II. 18.
469
im Verlauf der Handlung erwähnt. Das griechische Heer, als es
nach seinen Streifzügen im Schiflslager zusammen war, ^var auch
während der I^est von den Troern gar nicht angegriffen uorden,
und die ganze Kriegsmannschafl der Troer hatte sich in der
Stadl hefunden, so dass sie auch Tags zuvor nicht im freien
Felde gekämpft hatten. Der Erfolg des Hektor am ersten Tage
des ihm von Zeus gewährten Sieges wird daher besonders als
Gegensatz zum vorherigen Stande des Kriegs charakterisirt. Hek-
tor ist im ersten Stadium ganz nahe bis zu der Mauer ge-
drungen und hat da ausserhalb der Stadt sein Lager (8, 54111.).
Eben dieser Gegensatz lässt die Griechen jenen Erfolg so schmerz-
lich empfinden, wie des Odysseus Worte zu Achill, 9. 229 fl.,
es beschreiben, während Achills Erwiderung darauf, das. 352,
die Thatsache aus seiner Abwesenheit erklärt. Konuuen daneben
Stellen vor, welche von vorherigen Kämpfen beider Heere zu
sprechen scheinen, so stellen diese allerdings ein Problem, aber
kein der Erklärung unlösbares. ^"^)
Die Stellen sind in jedem Verständniss nur allgemeinen Inhalts
ohne jeden speziellen Bezug. Einzelne Thatsachen aus Schlachten
205) Schömann, Roc. der Sagenp. in N. Jahrh. 1859. H..1. S. l«f.
stellt sie entgegen. Aber 1 , 344 bezeichnet „bei den Sclullen" eben nur
das Schiflslager und das Seldachlfekl überhaupt, wie 2, 725. 16, 272.
(17. 105.) 22, 89 nicht ganz concret die Nähe wie 13, 123 u. a. — 1.
520 kann, ja nuiss, was Zeus sagt, llere beschuldige ihn so innncr, „er
helle den Troern im Kampfe", von der ganzen bisherigen Leitung ver-
slanden werilen, da llerc die Eroberung und Zerstörung der Sladt heischt;
er hat die Troer begüustigt, indem er die Griechen ab und gogen die Um-
gegend gewandt, denn wo verlautete sonst irgend etwas von vorherigen
Erfolgen der Troer? Beim Auszuge gegen die Stadt, hin erwarten die
(iriechen freilich wohl, dass die darin eingesciilossenen ihnen entgegen-
treten werden, aber jeder solcher Angrilf geschah in der Absicht der
Eroberung, sowie Hektor bei allem Vordringen die Absicht hatte, die
Scbifl'c in Brand zu stecken. Es kommt nur auf den vorhin besprochenen
.Mulh der Troer an und auf die Erregung des Krieges durch Zeus. —
2, 132 sagt Agamemnon in seiner verstellten Anrede an sein Heer, nach-
dem er die Ueberzahl imd Maclit desselbtui liber die weil wenigeren Troer
witzig dargelhan hat, „aber die Bundesgenossen, die aus vielen Städten
dabei wären, (nach den Krit. ist zu lesen «vöjjfc heiGiv, auch war ülter
den Ort, ob in oder ausser der Sladt, gar nichts bestimmt ) fifya Tikd^ovai
na) üvx iiwg e^skovra , sie lenkten ihn von seinem Plane ab und ver-
slallelen ihm nicht, seinem Verlangen gemäss, Troia zu zerstören". Ohne
470
beider Heere vor dem verführerischen Traum finden sich nir-
gends, und die Annahme uns verlorner Parlieen, \\ eiche davon
erzählt hätten, worauf kann sie sich stützen? Wie alle Beute-
stücke vor der Zeit des Zorns aus den Streifzügen, so sind alle
erwähnten früheren Todesfälle aus der Landungsschlacht; üher-
haupt giebt es keine Spur eines vorhomerischen Liedes über
andere angenommene Kämpfe vor der Stadt; endlich das Bedeu-
tendste, die Rypria, die Epopöe von dem Ursprung und der dem
Zorn vorhergehenden Periode des Troerkriegs, sie weiss Nichts
von andern Kämpfen; nur dass Stasinos die seit Homer entstan-
dene Volkssage von der verfehlten Fahrt und dem Kampf in
Mysien eingewebt hat. Obgleich sein Grundmotiv, die Absicht
des Zeus, das Menschengeschlecht durch diesen Krieg zu decimi-
Weiteres verstanden , geben diese Worte nur eine Willenserklärung aus
Rellcxion über die beiderseitigen Streitmächte, durchaus nichts coucrel
Tliatsächliclies. Er sagt: Obwulil die für sich so viel geringere Hecres-
niaclit der Troer von seinem Uocr zu viberwälligcn sein würde, die Stärke,
welclic dassellie durch dieBundesgcnossen erlange, bewege ihn, von seinem
Wunsche und PlaJie abzustehen. Ein solches Gewicht konnte aber Aga-
memnon, wenn er im Ernst und mit Kunde sprach, die er doch als Ober-
leldlierr haben musste, auf die Bundesgenossen und ihre Zahl nicht in
Wahrheit legen. Es kam nicht auf die Zahl überhaupt, sondern auf die
Vorkämpfer an, und deren meiste und tüchtigste waren im Feindeslieer.
Die Troischen , 12, 88 f., Heklor selbst redet, 17, 220, zwar die „un-
zähligen Stämme" l)euacbl)arter Bundesgenossen an, bedeutet sie aber,
,, nicht die Menge suchend noch ihrer bedürftig", habe er sie ge-
sammelt, sondern damit sie ihm die Frauen und Kinder der Troer retten,
il.h. durch tapferen Mulb, also zur grösseren Sicherheit des Gelingens. Wir
sehn, Agamemnon macht seinen Antrag in Verstellung, er will des Heeres
Stimmung prüfen (Bäumlein, Philol. 7, 232 f.), wie er dem Ratb der Alten
angekündigt hat. .■
Wenn nun Agamemnon in den beiden ganz gleichlautenden Stellen,
2, 110 — 118 und 9, 17 — 25, sagt: ,,nacbdem viel Volks ich verloren", da
kommt es erstens auf das ürtheil über diese Wiederholung an. Gehn wir
nämlich auf den Zweifel des Zenodot ein, und sind die Verse 111 — 118
in der ersten Stelle zu tilgen, was das yaQ nach Homers Brauch die
Gründe voranzustellen (Classen Beob. 1) erlaubt, dann umfasst die
Aeusserung seines Verlustes in der zweiten Stelle die Niederlage des vor-
hergegangenen Tages. Umgekehrt die zweite Stelle für unecht zu nehmen,
ist schon früher als unstatthaft besprochen. Indessen , wenn auch Aga-
memnon schon im früheren Moment über Verluste geklagt hat, sie concret
airzugeben sind wir nicht im Stande, nur dass auch die Slreil'züge und
überhaupt die 10 Jahre deren gebracht haben müssen.
471
ren, gerade besonders darauf ausging, jeden Akt verderblichen
Zusammenstosses hervorzuheben, so erzählte er doch nach der
Landungsschlacht, wo Protesilaos und dazu ein dem Homer unbe-
kannter Kyknos gewiss auch Troilus und Mcstor fielen, nur des
Achilleus Begegnungen mit Einzelnen, die er in Gärten oder bei
den Heorden traf oder bei den unter seiner Führung stattfnv
denden Streifzügen.
Auf Grund dieses ihm in aller Sage angegebenen Standes
des Ivriegs^"^) vor der Pest und Entzweiung der ersten Helden
entwarf und gestaltete der Dichter der Ilias die Expositionsge-
sänge vom 2 — 7, welche sich, wie wir gesehn haben, durch viele
Erinnerungen an den gekränkten Achill eng an den ersten Ge-
sang anschliessen. Er gestaltete sie in mehrfacher Hinsicht so,
als käme es Oberhaupt erst jetzt zum Kriege zwischen den bei-
den Heeren. Wenn nun Beides klar ist, einerseits, dass im
jetzigen Zeitpunkt Etwas kommen musste, was einen üebergang
von der heiteren olympischen Scene am Schlüsse des ersten Ge-
sanges zu der zu Anfang des 8. vermittelte, und irgend wie der
von Zeus so feierlich gegebenen Zusage Folge gäbe, sodann dass
diese Gesänge, für sich betrachtet, in keiner Weise selbständig
erscheinen können, so findet der achtsame Leser oder Hörer in
ihrem Inhalt und Gange nicht blos die Bindemittel, welche
jenen öebergang passend gewähren, sondern des Zeus Verbalten
und überhaupt die im Fortgang bedeutenden Verhältnisse und
Charaktere der Menschen oder Gölter in ihrer Eigenheit vorge-
führt, besonders aber die seelischen Motiven der künftigen Hand-
lung für ihre Wirkung im Hörer vorbereitet und in diesem
Allen den Dichtergeist offenbart, wie er mit seinem Volke empfin-
det, aber dabei human und sinnig über den Kriegsparteien waltet.
Allerdings ist es eine eigenthümliche Darstellung, wenn man
sie ohne Weiteres und vereinzelt empfindet, dass erst im 10.
Kriegsjahr das Heer der Griechen beschrieben wird im Katalog
des 2. Gesanges, und ebenso Priamos in der Mauerschau erst
200) Der Grioche Prolesilaos, 15, 705. 2, 008—702. Die Söhne des
Priamo.«!, Meslor und Troilos, 24, 257. — Andere: Doniokoon fälll gleicli.
4, 499, aber Lykaon , 21, 35—37. 100. Isos und .\iili|.lius. 11, 101 — 100,
die im Lauf der Ilias golödlol werden, halte Achill in der ersten Sclireckens-
zeil einzeln in der Flur ahscfanKcn gehabt.
472
sich von Helena die Heerführer beschreiben lässl. Aber der
Schiffskalalog ist in seiner ganz unpoetischen Gestalt und Ein-
schiebun» als ein für sich , wenn auch auf dem Standpunkt der
Zeit des Zorns gedichtetes Einzellied anerkannt, das dem Dichter
der Ilias nicht angehört.-"') Die Erklärung der iMauerschau aber
ist in die gesammte Rechtfertigung der Expositionsscenen zu
fassen, wie sie von den)selben Gelehrten vollzogen ist, der Grote's
Scheidung der Ilias in eine Achilleis und in eine Ilias wider-
legte.'"'*) In seinem Sinne, glauben wir, ist des Dichters Gedanken
und seine Vorbereitung des mit dem 8. Buch beginnenden
Ganges aufzufassen, wenn auch die fruchtlosen 10 Jahre uns
wohl ein nicht ganz erklärtes Problem bleiben, aber dies nur
ebenso wie schon den Ahen nach des Thukydides, versuchter
Erklärung, 1, 11. Es fehlten von jeher die Lieder zur vollstän-
digen Aufklärung
207) Wenn von Lachmann (V. a. E.) in seinem Sinne, so auch von
Vielen 'der mehr oder minder einheilüclien Ansicht als ein für sich ge-
dichtetes Stück anerkannt; Schömann , Gr. Allerlli. 1, 22. A. Jacob, Ent-
steh, d. Ilias 184.
208) ßäumlein, Recens. der lachmannischen Bolrachl. Z. f. A. 1848.
S. 333 f., wo er Lachmanns Urlheil i'ihcr die Mauersciiau als allein unter
der Vorausselznng kleiner Lieder richtig erklärt, und in Pliilol. XI. tirole
ülier die Ilias S. 409—413, endlich auch Philol. VIl. 22511'. über die Com-
posilion der zweiten Rhapsodie der Ilias mit Bezug auf Köcidy. Auch
ßernhardVs Urtlieil ülicr die fraglichen Bücher zeigt die Unlhunlichkeit
der Trennung, obwohl mit widerstrebender Stimmung für Grotc 2, l.
S. 114. „Dagegen sind in die Mitte zwischen Eingang und die Akte der
Achillcis mehre Bücher, 2 — 7 10., eingeschoben, reich an Erfindiuig und
hohen Schönheilen , welche mit dem ursprünglichen Plan weder zu-
sammenhängen, noch den Verlauf der Erzählung in seinem Sinne fördern,
a her selten eine Spur hinterlassen, die a u f j li n g e r e Zeiten
oder verschiedene K u n s t s c li u 1 e n de u l e l.
0)
ü
CO
•H
Ph
(U
Vi
0)
(D ü
^
U P Q>
o tq ^
0) (ü o
U bo
O tcsJ Vi
Vi (D
O 0) (D
CO CQ »H
N ra
♦H O
a pH
w ^
• to
Vi tO
O t>
iJ :2:
University of Toronto
Library
DO NOT
REMOVE
THE
CARD
FROM
THIS
POCKET
Acme Library Card Pocket
LOWE-MARTIN CO. LIMITED
f^hW^
rU
U:t€'
¥