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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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BEITRÄGE   ZUK   GESCHICHTE 


DER 


DEUTSCHE]^  SPEACHE  TJOT) 
LITERATTJE 


HERAUSÜEGEBEN 


VON 


HEBMANN  PAUL  ukd  WILHELM  BRAUNE. 


m.  BAiro. 


HALLE  VS.  1876. 
LIPPERT'SCHE    BUCHHANDLUNG 

(MAX    NIEMEYER). 


■3 


I  K  H  A  L  T. 


Seite 

Zur  frage   des  ursi)nnigs  der  germanischen  N-declination.    (Nebst 
einer  theorie  über  die  urspriiugliclie  Unterscheidung  starker  und 
schwacher  casus  im  indogermanischen.)    Von  H.  Osthoff.      .     .        1 
Eine  neue  liandschrift  von  Hartmanns  Gregorius  von  B.  Hidber     .      90 

Zur  kritik  des  Gregorius  von  H.  Paul 133 

Untersuchungen    zu  den  beiden  literarhistorischen   stellen  Rudolfs 

von  Ems  von  J.  Schmidt 140 

(Bemerkungen  dazu  von  H.  Paul.) 181 

Zur  Iweinkritik  von  11.  Paul 184 

Zum  Erek  von  H.  Paul 192 

Nachtrag  (zu  s.  3S  f.)  von  H.  Ost  hoff 197 

Untersuchungen  über  die  sogenannte  Völsunga  saga  von  B.  Symons.     199 
cap.  1.    Character  und  entstehungsgeschichte  der  saga  s.  200. 
cap.  2.    Das   Verhältnis   der   saga  zu  den  eddischen  liedern 

in  den  controlierbaren  partien  derselben  s.  215. 
cap.  3.    Die  der  lücke  in  R  entsprechende  partie  der  saga 

s.  253. 
cap.  4.    Die  Vorgeschichte  s.  287. 

Zur  geschichte  der  Gralsage  von  Fr.  Zarncke 304 

Die  suffixform  -sla-,  vornehmlich  im  germanischen  von  H.  Osthoff    335 

Ueber  den  hymnus  Caedmons  von  R.  Wülcker 348 

Geistliche  stücke  aus  der  Berner  Gregoriushandschritt  von  B.  Hid- 
ber und  H.  Paul 358 

Zur  Nibeluugcnfrage  von  II.  Paul       373 

I.    Die  handschrift  A.     s.  374. 
II.    Die  assonanzen    s.  388. 

III.  Ausfüllung  der  Senkung   s.  444. 

IV.  Die  Stellung  der  gruppe  Id  s.  464. 

Das  St.  Trudperter  (Hohenburger)  hohe  Med  von  T.  Hayner    .    .    491 

Ueber  die  quellen  Lagamous  von  R.  Wülcker 524 

Berichtigung  von  H.  ()«thoff 556 


M±  ^/tH.fA.> 


ZUR  FRAGE  DES  URSPRUNGS 
DER   GERMANISCHEN   N-DPXLINATION. 

(Nebst  einer  theorie  über  die  ursprüngliclie  Unterscheidung  starker  und 
schwacher  casus  im  indogermanischen.) 

Als  vor  kurzem  fast  ganz  gleichzeitig  mit  meiner  sclivift 
'zur  gesehichte  des  .schwachen  deutschen  adjectivums'  (forschun- 
geu  im  gebiete  der  indogerm.  nominal,  stammbilduug.  II.  teil. 
Jena  1S76)  das  buch  von  H.Zimmer,  'die  uominalsuffixe  a  und  ä 
in  den  germanischen  sprachen'  (quellen  und  forschungen  u.  s.  w, 
von  Ten  Brink  und  Scherer  XIII.  Strassburg  u.  London  187G) 
erschien,  da  war  es  selbstverständlich  vom  höchsten  Interesse 
für  mich,  sofort  von  den  resultaten  der  letzteren  abhandlung 
notiz  zu  nehmen.  War  mir  doch  hier  alsbald  die  beste  gele- 
genheit  gegeben,  namentlich  auf  grund  des  so  reichhaltigen 
von  Zimmer  gesammelten  materials  die  ergebnisse,  zu  denen 
ich  gelangt  war,  zu  prüfen,  und  Hess  sich  doch  durch  die 
Zimmersche  bearbeitung  eines  so  nahe  an  den  gegenständ 
meiner  Untersuchung  anstreifenden  gebietes  der  germanischen 
nominalen  Stammbildung  für  mich  geradezu  entweder  eine 
völlige  bestätigung  meiner  ansichten  über  die  w-declination, 
oder  aber  beweismomente  zur  Widerlegung  oder  wenigstens 
berichtigung  derselben  erwarten.  Wie  es  mir  nun  scheint,  bin 
ich  vollauf  berechtigt  zu  hoffen,  dass  ersteres  eingetreten  ist. 

Wer  allerdings  rein  äusserlich  Zimmers  darlegung  des  Ver- 
hältnisses der  -a-  und  der  -w-declination  und  seinen  versuch, 
den  historischen  Zusammenhang  zwischen  beiden  zu  erklären 
(s.  170  ff.),  mit  dem  Inhalte  meines  buches  Aergleicht,  der  wird 
freilich  einen  nicht  geringen  abstand  und  eine  kluft  gewahren, 
wie  sie  grösser   kaum  zwischen  den  Standpunkten  zweier,   die 

Beiträge  zur  geschiclile   der  deutsclic-n  spräche,    ill.  ^ 


2  OSTHOFF 

dieselbe  tatsache  zu  crkläicn  suchen,  gedacht  werden  kauii- 
Nur  in  einem  punkte  hersclit,  so  \  iel  ich  selie,  völlige  einigkeit 
zwischen  Zimmer  und  mir,  darin,  'dass  den  germanischen 
sprachen  in  der  periode,  in  der  sie  uns  entgegentreten,  die 
fähigkeit  uomina  agentis  mit  suffix  -a-  zu  bilden  abgehe,  oder 
doch  nur  in  ihren  letzten  Zuckungen  sich  hier  und  da  noch 
zeige'  und  dass  für  -u-  in  einer  ))estimmten  periode  der  spräche 
-an-  als  das  für  nomina  agentis  gebräuchliche  suffix  sich  aus- 
gebreitet hnbe.  Es  ist  nun  ein  entschiedenes  vei-dienst  Zimmers, 
das  ich  auch  als  solches  sehr  gern  anerkenne,  das  verdienst, 
eben  jene  'letzten  zuckungen'  des  -a-,  sich  in  seiner  alten 
Stellung  als  lebendig  gefühlte  nomina  agentis  bildendes  suffix 
zu  behaupten,  vornehmlich  in  der  spräche  der  altnordischen 
poesie  klar  nachgewiesen  zu  haben;  vgl.  s.  41  ö".  181  f. 

lieber  alles  andere  nun  abei-,  ül)er  den  hergaug  der  Ver- 
drängung des  -«-  durch  -an-  gehen  unsere  meinungen  weit 
auseinander.  Ich  habe  es  bereits  in  meiner  kurzen  besprechung 
des  Zimmerschen  buches  im  lit.  centralbl.  19.  febr.  1876,  sp.  246 
tadelnd  hervorgehoben,  dass  die  schwache  declination  bei 
Zimmer  ganz  über  alle  massen  stiefmütterlich  behandelt  werde, 
indem  sie  ihm  überall  als  ein  später,  'unorganischer'  answuchs 
und  demnach  als  ein  reines  nnhängsel  der  -«-declination  er- 
scheine. Und  den  grund  dieser  verkennung  des  richtigen  fand 
ich  darin,  dass  es  dem  Verfasser  nicht  gelungen  sei,  sich  von 
dem  eiutiusse  der  unhaltbaren  hypothese  Scherers  über  den 
Ursprung  der  schwachen  deutschen  declination  loszusagen. 
Wenn  in  den  späteren  perioden  der  deutschen  spräche  die 
schwache  declination  unleugljar  einen  unselbständigen  Charakter 
trägt,  fast  immer  nur  im  gefolge  der  vocalischen,  der  -a-  und 
der  -ä-declination  erscheint,  so  braucht,  wie  mau  mir  im 
princip  gewis  zugeben  wird,  dies  Vasallenverhältnis  nicht  von 
Ursprung  her  bestanden  zu  haben,  sondern  kann  sich  recht 
wol  erst  im  laufe  der  zeit  in  folge  der  Verkettung  von  mancher- 
lei zusammentreöenden  umständen  entwickelt  haben. 

Doch  abgesehen  davon:  hat  etwa  Zimmer  die  behauptung 
Scherers,  dass  von  dem  gen.  plur.  auf  -ünäm  die  folgeiung 
eines  -äw- Stammes  ausgieng,  welche  er  s.  174  'höchst  wahr- 
scheinlich' findet,  durch  irgend  welche  weitere  momente  ge- 
stützt? Ich  behaupte;   nein.     Durch  einen  blossen  machtspruch 


N-DECLINATION.  3 

Zimmers  aber  wird  die  kühne  construction  seines  lehrers  eben 
so  wenig  ZAir  gewisheit,  wie  etwa  der  ganz  älinliche  macht- 
sprucli  des  Jüngers,  eine  andere  erklärung  des  Ursprunges  der 
nominalthemen  auf  -U  als  diejenige  Scherers,  dass  es  erstarrte 
locative  seien,  sei  'noch  nicht  gegeben  und  wol  schwerlich 
möglich'  und  dadurch  erhalte  auch  die  erklärung  des  suffixes 
-«-  als  eines  ursprünglichen  locativsuffixes  eine  kräftige  stütze 
(Zimmer  s.  239  f),  diese  ansichten  des  meisters  irgendwie  'zAir 
evidenz  erhebt'.  Durch  niachtsprüche  wird  überhaupt  in  der 
Wissenschaft  nichts  entschieden. 

Was  es  mit  dem  indogermanischen  genitivsuffixe  -näm  auf 
sich  habe,  dass  es  ein  reines  phantasiegebilde  sei,  glaube  ich 
s.  2  tf.  meiner  schrift  genügend  gezeigt  zu  haben.  Die  easus- 
endung  von  skr.  devanäm,  abaktr.  daevanam  muss,  wie  ich  jetzt 
glaube  (meine  in  den  forschungen  11  darüber  geäusserte  an- 
sieht modificierend) ,  unzweifelhaft  so  angesehen  werden,  dass 
man  sie  schlichtweg  für  eine  form  Übertragung  von  den  w- stam- 
men, also  von  skr.  rä'jnäm,  täkshnäm,  abaktr.  acmm  u,  a.  hält. 
In  der  späteren  sanskritischen  declination  herscht  unverkennbar 
das  bestreben,  den  stamm  des  nomens,  von  dem  die  Inder  be- 
kanntlich ein  deutliches  und  richtiges  bewustsein  hatten,  nicht 
durch  Verschmelzung  mit  vocalisch  anlautenden  casussuffixen 
unkenntlich  werden  zu  lassen.*)  Daher  denn  auch  die  soge- 
nannten 'einschiebungen',  welche  meiner  ansieht  nach  sammt 
und  sonders  durch  statuierung  von  form  Übertragungen  erklärt 
werden  müssen.  Auch  das  y  in  den  femininen  gen.  und  dat. 
sing,  äcväyns,  äcvmjai  scheint  mir  nirgends  anders  herzukommen 
als  davon,  dass  in  den  formen  der  -//ä-stämme,  nom.  sing,  -i, 
welche  bekanntlich  so  häufig  als  exponenten  der  femininbil- 
dungen  dienten  und  darum  füglich  als  die  feminina  xar  e^oxr/v 
gelten  konnten,  dass  in  formen  wie  gen.  sing,  devyas,  dat. 
devyäi,  instr.  devya  von  devt  'göttin'  die  ausgänge  -yäs,  -yai 
und  -yä  schlechtweg  als  die  endungen  dieser  casus  aufgefasst 
und  dann  auch  an  den  stamm  äcvä-  ohne  weiteres  bedenken 
angefügt  wurden.    Ein  gen.  plur.  äcvä?n,  wie  die  tatsächlich 


*)  Diesen  grxindziig  in  der  sansliritischen  nouiinaldecliuation  er- 
kannte gelegentlich  scliun  Bopp,  wie  z.  b.  seine  bemerknng  ki-it.  grauim, 
d.  sanskritspr.^  §  142  anm.  s.  95  zeigt. 

1* 


I  OSTIIOFF 

ältere  forniation  dieses  casus  ist,  vou  äcm-  oder  dcvä,  ein  gen. 
dat.  iiistr.  sing-,  wie  äcvas,  ücvai,  äcvä  vom  fem.  äcvä-  nach  der 
tats  ä  elllich  und  anerkannt  älteren  bildungsweise  aller 
dieser  casus  hatten  auf  die  dauer  für  das  indische  Sprachgefühl 
etwas  zu  wenig  charakteristisches,  da  z.  b.  äcvdm  mit  dem  aec. 
sing,  fem.,  der  gen.  sing.  fem.  äcvds  mit  dem  nom.  acc.  plur.,  der 
instr.  sing,  dcvd  mit  dem  nom.  sing,  desselben  Stammes  äcva- 
/Aisammenfielen.  Darum  griff  man  zu  formübertragungen  und 
gewann  so  die  consonantischen  'euphonischen'  (wie  man  sie 
früher  nannte)  einschiebsei.  Jedenfalls  muss,  wer  sich  l^erech- 
tigt  hält,  -näm  für  ein  casussuffix  der  'arischen'  grundsprache 
zu  proelamieren ,  ein  solcher  folgerichtig  auch  -Jos,  -jäi,  -ja 
als  gruudsprachliche  casussuffixc  für  den  gen.  dat.  instr.  sing. 
der  weiblichen  -ä- stamme  gelten  lassen. 

Was  das  -öno  von  ahd.  ^gJowo  u.  s.  w.  anbetrifft,  so  begreift 
diese  harmlose  westgermanische  formübertragung  gewis  selber 
nicht,  wie  sie  zu  der  ungeahnten  ehre  kommt,  einerseits  in 
einen  solchen  adelsstand  erhoben  zu  werden,  dass  man  in  ihr 
den  erhaltenen  typus  einer  ganz  eigenartigen  bildungsweise  des 
indogermanischen  gen.  plur.  sieht,  andererseits  zu  dem  urelter- 
vater  einer  fast  wie  der  sand  am  meere  zahllosen  nachkommeu- 
schaft,  der  ganzen  germanischen  «-declination  nemlich,  gestem- 
pelt zu  werden.  Wir  aber  unsererseits  begreifen  nicht,  wie 
man  angesichts  der  factischen  erscheinung,  dass  das  alte 
schlichte  -Tim  bei  den  femininen  -«-stammen  in  unzweifelhaften 
resten  auf  westgermanischem  boden,  im  angelsächsischen,  alt- 
friesischen, altsächsischen  und  selbst  im  althochdeutschen  noch 
angetroffen  wird  (Sievers  in  diesen  beitr.  I,  489,  Zimmer  selbst 
'ostgerm.  und  westgerm.'  Strassburger  inauguraldissert.  1876, 
s.  32  f.),  noch  immer  nicht  davon  ablassen  will,  dem  -ono  von 
gehono  eine  solche  hohe  altertümlichkeit  zu  vindicieren.  Zimmer 
begeht  neuerdings  sogar  (a.  a.  o.)  den  fehler  zu  behaupten:  die 
ehemalige  existenz  des  -näm  auch  im  ostgermanischen  dürfe 
man  wol  direct  aus  der  Weiterbildung  der  -ä- stamme  mit  n-, 
aus  got.  tuggon-  und  seinen  genossen,  folgern.  Das  nennt 
man  doch  idem  per  idem  oder  circulus  vitiosus  in  der  spräche 
der  logik.  Grcrade  zm-  erklärung  der  nasalen  Stammerweiterung 
in  got.  titggon-  u.  s.  w.  hat  man  die  ganze  hypothese  von  dem 
genitivsuffixe  -nUm  im  germanischen  erst  erfunden:    wie  kann 


N-DECLINATION.  5 

man  nun  umgekehrt  widerum  jenes  tuggon-  etwas  für  das  an- 
gebliche -nUm  beweisen  lassen? 

Mit  demselben  kunststück  übrigens,  mit  welchem  Scherer 
und  Zimmer  die  gesammte  « -  declination  aus  dem  fruchtbaren 
urei  des  gen.  plur.  der  -a-  und  -«-stamme  hervorkriechen 
lassen,  mache  ich  mich  anheischig,  zur  not  die  ganze -ö-decli- 
nation  aus  der  -ö7i-declination  entstehen  zu  lassen.  Nehmen 
wir  an,  die  spräche  habe  den  dat.  und  acc.  plur.  got.  hanam 
und  hanans  nach  der  analogie  von  halgl-m,  halgi-ns  oder  von 
sunu-m,  sunu-ns  aufgefasst,  also  unbewust  hana-m,  hana-ns 
analysiert,  so  gelangte  sie  dadurch  zu  der  'folgerung  eines 
-«-Stammes'  und  so  entsprang  nach  und  nach  die  gesamte  -a- 
declination  im  deutschen.  Ja  ein  solcher  Ursprung  der  -a-decli- 
nation,  wenn  man  ihn  behaupten  wollte,  würde  in  der  tat  noch 
bedeutend  viel  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben,  als  die 
entsprechende  entgegengesetzte  herleitung  der  n  -  declination  aus 
der  declination  der  -«-stamme:  denn  erstens  würde  man  hier 
doch  wenigstens  zw^ei  casus  haben,  von  deuen  die  folgerung 
des  neuen  Stammes  ausgehen  konnte,  und  zweitens  lauteten 
diese  zwei  casus  notorisch  vor  alters  und  im  ganzen  germani- 
schen Sprachgebiete  wirklich  einmal  so,  wie  sie  factisch  im 
gotischen  vorliegen,  und  man  brauchte  nicht  erst  den  früheren 
besitz  derselben  in  solcher  form  und  gestalt  einem  teile  des 
germanischen  sprachganzen,  hier  etwa  dem  westgermanischen, 
künstlich  zu  octroyieren.  Im  altnordischen  wird  ja  wirklich, 
wie  wir  sehen,  der  anfang  zu  einem  solchen  verfahren  g-emacht 
wie  wir  es  hier  hypothetisch  für  den  Ursprung  der  -«-declina- 
tion im  germanischen  fingieren:  der  formale  zusamnienfall  des 
dat.  und  acc.  plur.  hönnni,  liana  mit  dögum,  üaga  bewirkt  für 
das  nomen  hani  die  analogiebilduugen  nom.  plur.  lianar,  gen. 
plur.  hana  wie  üagar,  daga\  also  gänzliche  «-declination  im 
plural  oder,  w^enn  man  will,  die  folgerung  eines  -«- Stammes 
für  diesen  numerus  tritt  ein  bei  dem  -«;i- stamme  lianan-.  Aber 
wol  gemerkt:  das  altnordische  hätte  schwerlich  so  verfahren 
können,  Avenn  es  nicht  bereits  eine  zahlreich  ent- 
wickelte -«-declination  besessen  hätte,  wenn  es  sich 
dieselbe  durch  den  genannten  Vorgang  erst  von 
grund  auf  hätte  neu  erschaffen  müssen. 

Für  Zinirncr  ist  nun  aber,  wie  es  scheint,  jeder  masculinc 


6  OSTHOFF 

-(//i- stamm  im  germanischen  ein  ' luiorganisclier '  und  auf  die 
beschriebene  weise  aus  dem  paradigma  der  -a-declination  ent- 
wickelt, mit  ausnähme  des  einzigen  7(hsan-,  dem  er  doch  die 
'organische'  natur  nicht  absprechen  mag;  vergl.  s.  177.  Als 
ursprüngliche  neutrale  germanische -an -stamme  darf  man  nach 
ihm  ansehen  ebend.  s.  17():  ^vatan-,  hertan-,  axujan-,  ausan-\ 
die  beiden  ersten  waren  sicher  arisch.'*)  Ich  würde  anneh- 
men, dass  zwischen  vatan-  und  hertan-  durch  ein  versehen 
naman-  ausgelassen  sei,  wenn  es  nicht  zu  vermuten  stünde, 
dass  Zimmer  dieses  absichtlich,  es  für  einen  -wm>i -stamm  an- 
sehend, bei  Seite  gelassen  habe.  Wenn  demnach  Zimmer,  wie 
es  offenbar  scheint,  mit  Fick,  wörtcrb.  I^  47  den  -a?i- stamm 
von  hertan-  durch  abaktr.  zarezdan-  als  indogermanisch  erwie- 
sen halten  sollte,  so  muss  ich  gegen  diese  ansieht  entschiedenen 
protest  einlegen.  Ich  halte  diese  identificieruug  Ficks  aus  ver- 
schiedenen gründen  für  verwerflich.  Erstens  kommt  jenes 
zendwort  nur  einmal  (als  acc.  nach  Justi)  vor  in  der  form 
zarezdä-cä,  es  steht  also  über  den  stamm  desselben  niclit  das 
geringste  fest.  Zweitens  wird  mau  doch  nicht  so  leichten 
kaufes  mit  dem  z  von  zarezdä  fertig,  wie  Fick  es  meint,  der 
dasselbe  für  'eingeschoben'  erklärt.  Drittens  endlich  ist  wol 
zarez-dd-  am  wahrscheinlichsten  als  eine  der  im  altbaktrischen 
nicht  gerade  seltenen  nominalbildungeu  durch  Zusammensetzung 
eines  nomens  mit   der  wurzel  da-,   skr.  dhd-   zu   erklären,  in 


*)  Man  mag  über  die  treffendste  bezeichmmg  der  sprachen  iinseres 
Stammes  denken  wie  man  will.  Jedenfalls  aber,  wenn  man  so  darüber 
denkt  wie  Zimmer,  der  erklärt  s.  5  anm. :  '  er  bediene  sich  des  ausdrncks 
arisch  statt  indogermaniscli  oder  indoeuropäisch,  ohne  jedoch  damit 
sagen  zu  wollen,  er  sei  richtiger  als  jene,  kürzer  und  bequemer  sei  er 
jedenfalls':  unstreitig  ist  dann  der  gebrauch  des  termimis  'arisch'  für 
eine  nicht  zu  billigende  laune  zu  halten.  Es  klingt  ungefähr  gerade  so, 
als  wollte  jemand  anstatt  'germanische  sprachen'  den  ausdruck  'teuto- 
nische' in  Vorschlag  bringen,  nicht  deshalb  etwa,  weil  dieser  richtiger 
sei  als  jener,  sondern  weil  er  hübscher  laute!  Nach  einer  einheitlichen 
terminologie  in  der  benennung  unseres  sprachstammes  muss  nachgerade 
doch  gestrebt  werden;  und  da  haben  von  allen  benennungen,  objectiv 
geurteilt,  doch  nur  entweder  'indogermanisch'  oder  'indoeuropäisch 
aussieht  auf  dauer.  Wem  'indogermanisch'  zu  lang  ist,  der  kann  ja, 
namentlich  in  einem  driickwerke,  abkürzungcn  gebrauchen:  -'indog.' oder 
gar  'idg.' 


N-DECLINATION.  7 

der  art  wie  maz  -  da  u.  a.  Das  erste  glied  wird  wol  ein  nomen 
za7^ed  4ierz'  =  skr.  hrd  sein,  so  dass  dem  abaktr.  zarez-dd 
ein  wol  denkbares  sanskr.  hrd-dhd  gleich  stehen  würde;  der 
zusammeustoss  von  d  +  d  ergibt  Ja  bekanntlich  im  altbaktri- 
schen  die  lautgruppe  zd.  Vergl.  Hübschmann,  ein  zoroastr.  lied 
s.  78.  Mithin  steht  es  um  die  gleichuug  germ.  hertan-  = 
abaktr.  zarezdan-  in  jeder  weise  1)edenklich.  Ich  habe  eine 
andere  Vermutung  über  die  bildung  des  germanischen  neutrums 
hertan-  odei-  kann  wenigstens  neue  momente  beibringen,  um 
eine  ansieht  Sclierers  über  dasselbe  zu  stützen.  Scherer  zur 
gesch.  d.  deutsch,  spr.  s.  431  f.  glaubt,  dass  die  eintracht  neu- 
traler -i-  und  -an-  stamme  in  solchen  Wörtern  wie  skr.  äkshi- 
und  akshän-  'äuge',  ästhi-  und  asthän-  'knochen',  säkthi-  und 
sakthän-  ' schenke!'  u.  a.,  welche  sich  zu  einer  gemischten  de- 
clination  so  zusammensetzen,  dass  die  sogenannten  schwächsten 
casus  von  den  -««-themen  gebildet  werden  (Bopp,  krit. 
gramm.''  §  170,  s.  114),  wol  bereits  der  indogermanischen  zeit 
angehören  müsse.  Stimmen  wir  Scherer  darin  bei,  so  erklären 
sich  offenbar  sehr  hübsch  die  -«w- stamme  germ.  augan-  und 
ausan-  gegenüber  den  /-stammen  aljulg.  oci  neutr.  dual.,  skr. 
(ikshi  n.,  abaktr.  ashi  n. ,  gr.  ooöt  neutr.  duah  aus  ■'^<r/cj-t,  lit. 
ak\-s  fem.  (anstatt  früheren  neutrums)  '^auge'  und  gegenüber 
abulg.  u!<i  neutr.  dual,  (über  oci  und  usi  vergl.  Leskieu,  haudb. 
d.  altbulg.  spr.  §  65),  lit.  aim-s  f.,  lat.  auri-s  f.  'ohr':  das  -an- 
thema  der  schwächsten  casus  ward  verallgemeinert  nach  der 
analogie  der  ächten  alten  neutralen  -««-stamme  vatan-  und 
naman-  und  so  die  alten  formen  vom  /-stamme  völlig  ver- 
drängt. Vergl.  mit  germ.  augan-  auch  den  -«?z- stamm  armen. 
akn.  Würde  sich  dasselbe  oder  doch  etwas  ähnliches  auch 
für  das  letzte  der  urgermanischen  neiitra  auf  -an-,  für  hertan- 
zeigen  lassen,  so  wäre  damit  bewiesen,  dass  überhaupt  in  ur- 
germanischer zeit  die  neutrale  -/-declinatiou  in  der  -a?i-decli- 
nation  untergegangen  sei.  Sclierer  wüste,  selbst  zweifelnd,  nur 
gr.  TcaQÖ'ia  und  sanskr.  lir  daija-m  als  unsichere  stützen  für 
einen  -/-stamm  indog.  kardi-  anzuführen.  Aber  ein  solcher 
proethnischer  -/-stamm ,  und  zwar  ein  neutraler,  hat  sicher 
existiert,  wie  sich  aus  anderen  von  Scherer  noch  ül)ersehenen 
momenten  ergibt.  Skr.  härdi-  Hicrz'  aus  ^härdi-  wie  parshni- 
aus  *pärshni-  (Joh.  Schmidt  z.  gesch.  d.  indog.  vocal.  It  238) 


8  OSTHOFF 

war  masc,  häufiger  aber  in  der  älteren  spräche  und  im  rgveda 
ininier  neutrum;  vcri;i.  Petersb,  wörterb.,  Grassniann  wörterb. 
z.  rg-v.  Das  primitivum  des  neutralen  deminutivuni  abulg. 
sndt-ce,  ein  abulg.  *sridt-,  muss,  wie  Miklosich  vergleichende 
staninil)ildungsl.  d.  slav.  spr.  (A'ergl.  gramni.  d.  i>\n\.  spr.  II, 
Wien  1875)  einleit.  s.  XXIII  angibt,  ebenfalls  neutrum  ge- 
wesen sein,  gemäss  dem  im  slavischen  wie  anderwärts  gelten- 
den gesetz  über  das  geschleclit  der  deminutiven  Wörter.  Be- 
treffs des  lit.  szirch-s  bemerkt  Fick,  wörterb.  P  47  mit  recht: 
'das  feminin  vertritt  älteres  neutrum.'  Dasselbe  gilt  von  dem 
-/-stamme  armen,  sirt ,  gen.  sing,  srti  (Hübschmanu,  zeitschr. 
f.  vergl.  sprachf.  XXIII,  32  f.):  jetzt  geschlechtlos,  muss  es 
vordem  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  neutrum  gewesen  sein. 
Mit  einem  iwAo^.  *  kardi-  ntr,,  das  auch  Fick  so  ansetzt,  einem 
urdeutschen  *lierti-  ntr.  kommen  wir  aber  auch  für  hertan- 
voUkommen  aus.  Man  braucht  nur  anzunehmen:  ein  solches 
urgermanisches  neutrum  ^herti-  hatte  sich  der  raischdeclination 
der  neutra  "^  augi-  augan-,  *ausi-  ausan-  angeschlossen  und 
—  mit  gefangen,  mit  gehangen  —  verlor  es  in  folge  dessen 
so  gut  wie  diese  späterhin  seine  dem  -/-thema  entsprossenen 
casusformen. 

Kehren  wir  nach  dieser  abschweifung  zu  unserem  aus- 
gangspunkte  zurück,  so  erkennen  wir:  mit  den  -««-stammen 
wird  die  Scherer  -  Zimmersche  ansieht  doch  nicht  ganz  auf  ihre 
weise  fertig,  da  sie  einen  rcst  derselben  (wenigstens  uhsan- 
und  vatan-)  als  ursprünglich  überkommenes  sprachgut  stehen 
lassen,  als  'organisch'  anerkennen  muss. 

Wie  nun  aber  für  die  eigenartige  form  und  declination 
der  -««-stamme,  so  verrät  Zimmer  auch  für  eine  ursprünglich 
irgendwie  selbständigere  und  eigenartige  function  des  -an- 
sufiixes  wenig  oder  gar  keinen  sinn.  Das  zeigt  sich  deutlich 
an  mehreren  einzelheiten ,  welche  uns  in  seinem  buche  be- 
gegnen. So  decretiert  er  s.  52.  294,  dass  altu.  arf-r  'das 
erbe'  und  arfi  'der  erbe'  und  desgleichen  sonstiges  germani- 
sches arbja-  n.  'das  eibe'  und  arhjan-  ni.  'der  erbe'  natürlich 
dassell)e  wort  sind:  '1)  activ  der  erbende,  2)  passiv  das  ge- 
erbte.' Was  würden  wir  wol  sagen,  wenn  jemand  die  ])ehaup- 
tung  aufstellen  wollte:  ^oi.hokaf.  'buch'  und  hokarja-  m.  'der 
büchermann,   schriftgelehrtcr'    seien  ganz  dasselbe  wort  V    Gar 


N-DECLINATION.  9 

nicht  anders  wie  dieses  hokarja-  zu  hoka  verhalten  sich  germ. 
arbjan-,  altn.  arfmi-  geg-enUber  arbja-^  altn.  nrfa-:  wie  dort 
das  siiffix  -arja-,  so  hat  hier  das  suffix  -an-  diejenige  eigen- 
tümliche function,  welche  ich  durchgeheuds  mit  dem  ausdruck 
'individualisierende'  function  bezeichnet  habe.  Vergl.  speciell 
über  arhja-  und  arhjan-  forschungen  II  109.  S.  117.  245  bei 
Zimmer  wird  die  Verschiedenheit  des  altn.  femininen  -^-Stammes 
ösk  Svunsch'  von  dem  entsprechenden  masculinen  -a- stamme 
ags.  vüsc,  ahd.  nihd.  wunsc  hervorgehoben  und  dann  liehauptet: 
^O'skl  ein  beiname  OÖins  kann  aber  beweisen,  dass  auch  altn. 
ein  masc.  bestand.'  Dass  auch  altn.  ein  masculiner  -a-stamm 
*vo)iska-  bestanden  habe,  mag  aus  anderen  gründen  wahr- 
scheinlich sein;  sicher  ist  es  auch  noch  nicht  wiegen  der  ge- 
nauen correspondeuz  von  altn.  ösk  mit  skr.  vänchä,  in  anbe- 
traclit  deren  doch  auch  vielmehr  das  aufgeben  des  alten  femi- 
ninen geschlechts  im  westgermanischen  (ags.,  ahd.,  mhd.)  an- 
genommen werden  kann.  Sicher  ist  aber  jedenfalls  das,  dass 
altn.  O'skl,  st.  *voHskan-  schlechterdings  nichts  für  einen  ihm 
zu  gründe  liegenden  masculinen  -«-stamm  beweisen  kann. 
Wie  ist  es  denn  mit  got.  stauan-  m.  'richter'  gegenüber  stana 
f.  'gericht'?  mit  ahd.  stiuro  m.  ' Steuermann'  gegenüber  stiura  f. 
'Steuerruder'?  wie  ferner  mit  lat.  nugrm-,  fabulön-  gegenüber 
den  femininen  grundwörteru  nugae,  fahula  und  zahlreichen 
anderen  fällen  eben  derselben  art?  Sollen  wir  da  etwa  auch 
annehmen,  dass  das  -«n-thema  regelmässig  ein  masculines 
-a-thema  voraussetzen  heisse?  Das  wird  doch  selbst  Zimmer 
nicht  wollen.  Vielmehr  konnten  mit  dem  -an-  als  secundär- 
suffixe  von  individualisierender  kraft  augenscheinlich  ebensowol 
von  femininen  und  neutralen  ])rimitivis  als  von  masculinen  ab- 
leitungen  gemacht  werden.  Altn.  O'ski  bezeichnet  den  OÖin 
nicht  schlechthin  als  'wünsch',  sondern  als  'person  oder  Indi- 
viduum, das  es  mit  dem  wünsche,  ösk,  zu  tun  hat',  als  den 
'wünsch gott'.  Ebenso  sind  auch  nicht  altn.  Bragi ,  stamm 
Bragan-  'gott  der  dichtung'  und  brag-r  m.  'gedieht',  stamm 
braga-,  'natürlich  dasselbe  wort',  sondern  ebenso  verschieden 
als  Wortbildungen  wie  im  lateinischen  curiön-  'Vorsteher  der 
curie'  und  curia,  cenlurion-  'Vorsteher  der  centurie'  und  cen- 
inrUi  und  mnnche  andere.  Ebenso  wird  mit  dem  volksnameu 
alid.  Sahsnn.    schw.  m.    dieser   stamm   nicht   etwa    schlechtweg 


10  OSTHOFF 

mit  dem  appellativbegriffe  'messer'  idcntificiert,  vielmehr  als 
die  'mcsseiinännei'  charakterisiert;  vcrgl.  ^\tn.  Järnf;axa  schw. 
fem.  =  das  'cisenmesserweib',  d.  i.  die  'riesin  mit  dem 
eisenmesser'.  Dass  in  recht  vielen  fällen  andererseits  die 
Weiterbildung-  durcli  den  nasal  für  den  -«-stamm  gar  keine 
Veränderung  der  bedeutung  herbeiführt,  ein  Vorgang  rein  for- 
maler natur  ist,  wie  bei  got.  svaihran-  im  vergleich  zu  ahd. 
sfvehur,  ist  bekannt  und  soll  niclit  geleugnet  werden.  Aber  so 
viel  steht  doch  fest,  dass  man,  um  den  Ursprung  des  -an-  und 
die  ausbreitung  der  n  -  declination  zu  ergründen,  nicht  von  den 
fällen  ausgehen  muss,  wo  die  bedeutung  desselben  eine  so 
gänzlich  verblasste  ist,  vielmehr  von  denen,  wo  sich  das  suffix 
in  lebensvoller  function  und  bedeutung  zeigt.  Nur  so  können 
die  grundlinien  der  geschichte  der  schwachen  declination  mit 
Sicherheit  gezogen  werden. 

Zimmers  'gescliichte  des  primärsuffixes  -«-',  s.  167  —  205 
seines  buches,  ist  aber  nicht  nur  in  bezug  auf  das,  was  der 
Verfasser  über  das  Verhältnis  der  «-declination  zu  der  «-decli- 
nation lehrt,  für  verfehlt  zu  halten:  auch  noch  in  einem  an- 
deren punkte,  der  die  «-declination  für  sich  allein  betriift, 
scheint  mir  seine  Untersuchung  so  gut  wie  resultatlos  geblieben 
zu  sein.  Ich  gebe  zu,  dass  die  frage,  ob  sich  etwa  bestimmte 
gesetze  auffinden  lassen  über  die  gestaltung  des  wurzelvocals 
bei  der  stammbildung  mit  primärem  -«-suffixe  im  deutschen 
keine  sehr  leicht  zu  beantwortende  ist.  Aber  bei  Zimmer  ver- 
misst  man  sogar  die  berücksichtiguug  des  einzigen,  was  ihm 
irgend  wie  einen  sicheren  massstab  zur  entscheidung  dieser 
frage  hätte  bieten  können.  Griech,  g:tQco  :  (fogog,  slaw.  teka 
:  tokü,  lit.  tekk  :  täka-s  und  zahlreiche  fälle  derselben  art  in 
diesen  sprachen  1)eweiseu,  dass  wenigstens  in  der  europäischen 
Sprachengemeinschaft  ein  gesetz  über  die  formation  des  wurzel- 
vocals bei  einer  nominalbilduug  mit  })rimärem  -a-  bestand; 
ein  gesetz,  das  selbst  im  lateinischen  noch  seine  spuren  hinter- 
lassen hat,  wie  die  entsprechungen  precor  :  procu-s,  rego 
:  rogu-s  (Curtius  grundz.^  uo.  153),  teyo  :  toga  zeigen.  Im 
deutschen  stimmen  solche  beispiele  wie  got.  vrika  :  vrak-s, 
ags.  vinda  :  vanä  'maulwurf  (Zimmer  s.  38  f.)  hierzu,  während 
allerdings  hfiufig  das  geimanische  die  alte  regel  ebenso  ver- 
lassen hat,  wie  das  lateinische  miiluci - fero -  gegenüber  griech. 


N-DECLINATION.  11 

tpcoo-cpoQo-  und  in  vielen  anderen  fällen.  Bei  Zimmer  nun 
ist  in  dem  abschnitte  über  die  'gescliichte  dos  primärsiiffixes 
-a-  dieses  alten  gesetzes  mit  keinem  worte  gedaclit;  nur  ein- 
mal vorher,  s.  143,  wird  es  ganz  gelegentlich  berührt.  Dass 
der  allmählich  immer  mächtiger  werdende  und  die  spräche 
immer  tyrannischer  beherschende  regelmässige,  'pedantische' 
Verbalablaut  (um  einen  ausdruck  Joh.  Schmidts  zu  gebrauchen) 
aucli  hier,  auch  in  der  nominalen  stammbildung  der  germani- 
scheu sprachen  manches  ursprüngliche  zerstören  muste,  liegt 
klar  am  tage  und  lässt  sich  von  vornherein  kaum  anders  er- 
warten. Dennoch  zweifeln  wir  nicht,  dass  es  mit  Zuhilfenahme 
jenes  soeben  angedeuteten  gesichtspunktes  wenigstens  einiger- 
masseu  und  annähernd  hätte  gelingen  müssen,  das  unursprüng- 
liche von  dem  ursprünglichen  zu  sondern.  Allermindestens 
hätte  eine  solche  sonderung  an  der  hand  jenes  gesetzes  zu 
versuchen  durchaus  in  dem  plane  des  l)uches  gelegen.  Da- 
gegen wäre  vielleicht  eine  festhaltung  au  den  kategorien:  no- 
mina  agentis  mit  suffix  -a-  und  uomina  actionis  mit  suffix -«-, 
die  Zimmer  unserer  ansieht  nach  überhaupt  viel  zu  strenge 
auseinander  zu  halten  sucht,  bei  der  entscheidung  dieser  frage 
wol  erlässlich,  wenn  nicht  gar  geboten  gewesen. 

Es  kann  nun  meine  aufgäbe  hier  nicht  sein,  was  Zimmer 
für  das  suffix  -a-  unterlassen  hat,  meinerseits  nachzuholen. 
Ich  werde  es  vielmehr  versuchen,  der  kategorie  der  alten  mit 
dem  primärsuffixe  -an-  gebildeten  germanischen  nomina  agen- 
tis, deren  patronatschaft  ich  gewissermassen  übernommen  habe, 
feste  regeln  ihrer  ursprünglichen  formation  nachzuweisen.  Und 
zwar  wird  im  einzelnen  zu  handeln  sein:  erstens  über  die 
ursprüngliche  betonung  derselben  primären  nomina  agentis  mit 
-an-,  zweitens  im  unmittelbaren  anschluss  daran  über  die  ur- 
sprüngliche gestaltung  des  wurzelvocals  bei  solchen  bildungen, 
drittens  über  die  allerälteste  declination  dieser  nomina  in  der 
indogerm an i seilen  grundsprache  und  über  die  Veränderungen 
derselben  in  den  einzelnen  spraclien.  Dieser  dritte  punkt  wird 
die  aufstellung  und  bcgründung  einer  neuen  theorie  über  die 
ursprüngliche  untersclicidung  sogenannter  starker  und  schwacher 
casus  im  sanskrit  und  in  den  indogermanischen  sprachen  über- 
haupt nötig  machen.  An  vierter  stelle  endlich  gedenke  ich 
über   das  Verhältnis   des  femininen  -an-   im    germanischen   zu 


12  OSTHOFF 

dem  masculinen  -an-  eine  kurze  auseinandersetzung:  folgen  zu 
lassen,  welche  vornemlich  den  zweck  haben  soll,  eine  notwen- 
dige bericlitigung  meiner  früher  über  diesen  punkt  geäusserten 
ansichten  zu  geben.  Aus  allen  unseren  erörterungen  al)er  wird, 
so  lioffe  ich,  als  völlig  uneischütterliches  resultat  die  hohe  alter- 
tünilichkcit  und  ursprünglichkeit  dieser  bildungsweise  im  ger- 
manischen und  die  ehemalige  absolute  Selbständigkeit  und  Un- 
abhängigkeit der  -M-declination  von  der -a-declination  hervor- 
gehen, und  demgemäss  unsere  zw^eifellose  berechtigung,  in  eben 
jenen  primären  nomina  agentis  mit  suffix  -an-,  wie  wir  es 
getan,  den  allerältesten  bestand  der  gesammten  schwachen 
deutschen  declination  zu  sehen  und  gerade  sie  zum  ausgangs- 
punkt  für  die  erklärung  der  form  des  sehwachen  adjectivums 
zu  wählen. 

Während  doch  gemeinigKch  der  moderne  Sprachforscher 
froh  ist,  wenn  es  ihm  gelingt,  eine  zu  erklärende  bildung  bis 
in  die  indogermanische  urzeit  zurück  zu  verfolgen,  hat  über 
unserem  primärsuffixe  -an-  im  germanischen  insofern  ein  eigen- 
tümlicher Unstern  gewaltet,  als  man  gerade  ])ei  diesem  jene 
sich  darl)ietende  günstige  handhabe  verschmähen  zu  müssen 
geglaubt  hat.  Dieses  misgeschick  des  -an-  ist  um  so  ver- 
wunderlicher zu  nennen,  da  man  doch  nicht  gewagt  hat  und 
billiger  Aveise  nicht  hat  wagen  können  zu  bezweifeln,  dass  in 
germ.  uhsan-  'ochse'  ==  skr.  ukshän-  ein  treu  erhaltenes  erbteil 
eines  uomen  agentis  mit  suffix  -an-  aus  indogermanischer  zeit 
offenkundig  vorliege.  Anstatt  nun  einzuräumen,  dass  das  ur- 
germanische eben  solcher  bildungen  wie  uhsan-  noch  mehrere 
besessen  haben  oder  nach  dem  muster  der  vorhandenen  andere 
gebildet  haben  könne,  hat  man  sich,  wie  wir  gesehen,  lieber  zu 
den  gekünsteltsten  annahmen  verstiegen,  um  die  'Weiterbildung' 
von  -a-stämmen  durch  den  nasal  zu  erklären.  Bildungen  wie 
urd.  hudan-  'böte',  drupan-  'tropfe'  (Fick,  wörterb.  IIP  155), 
hanan-  'bahn',  flutan-  'der  fliessende',  lugan-  'der  leugner', 
/Juffan-'dev  fliegende',  got.  nutan-  'fänger',  urgerm.  vHan-  'der 
wissende',  geban-  'geber',  aAö/öw- 'Schuldner',  ahd.  e^;?ö  ' esser', 
urgerm.  faran-  'der  fährt',  stapan-  'der  schreitet',  valdan-  'der 
herscht',  ahik.truyo  'der  träger'  u.a.*)  verfielen  dem  unerbittlichen 

*)  Mehreies  von  dciu   im  lolgenden  verwerteten  material   verdanke 


N-DECLINATION.  13 

Schicksal,  als  'unorganische'  -m« -stamme  abgefertigt  und  in  das 
Schlepptau  der  -«-declination  genommen  zu  werden.  Es  lässt 
sich  nun  aber  aus  mehr  als  einem  gründe  wahrscheinlich 
machen,  dass  alle  solche,  wenn  auch  wol  nicht  von  gleichem 
alter  wie  uhsan-,  so  doch  von  gleich  ursprünglicher  bildungs- 
\wise  sind  wie  dieses  aus  proethniseher  zeit  überkommene 
wort.     Zunächst  aus  gründen  der  betonung. 

Schon  Längst  hatte  sich  mir  die  Vermutung  aufgedrängt, 
ob  nicht  etwa  die  regelmässige  ursprüngliche  accentuation  der 
mit  dem  primären  suffixe  -an-  gebildeten  nominalstämme, 
nicht  bloss  der  masculina  sondern  auch  der  neutra,  ursprüng- 
lich die  gewesen  sei,  dass  der  wortton  auf  der  bildungssilbe, 
nicht  auf  der  wurzel,  geruht  habe.  Eine  durchsieht  der  von 
Grassmann  in  dem  anhange  zu  seinem  rgveda-wörterbuch  sp.  1 730 
verzeichneten  nominalbildungen  mit  dem  suffixe  -an-  ergab  mir 
das  resultat,  dass  allerdings  von  den  im  rgveda  vorkommenden 
substantivis  mit  suffix  -an-  die  erhebliche  mehrzahl  jener  accen- 
tuation folge,  nemlich  etwa  zwei  drittel  von  allen;  das  nähere 
wird  weiter  unten  verzeichnet  werden.  Für  die  deutschen 
primären  nomina  agentis  mit  suffix  -an-  daraus  unmittelbare 
Schlüsse  zu  ziehen,  wagte  ich  jedoch  nicht. 

Nachdem  nun  ganz  neuerdings  Karl  Veruer  in  der  zeitschr. 
f.  vergl.  sprachf.  XXIII  97  flf.  den  glänzenden  nachweis  gelie- 
fert hat,  dass  im  deutschen  die  alte  mit  der  sanskritischen 
übereinstimmende  wortbetonung  noch  bis  über  die  erste  laut- 
versehiebung  hinaus  bestanden  hat  und  dass  sich  nur  unter 
dieser  Voraussetzung  bestimmte  Unregelmässigkeiten  im  conso- 
nantismus  der  germanischen  sprachen  genügend  erklären,  ist 
mir  jene  Vermutung  über  die  ursprüngliche  regelmässige  beto- 
nung der  alten  germanischen  nomina  agentis  mit  suffix  -an- 
zur  gewisheit  geworden.  Verners  gesetz  stellt  es  mit  evidenz 
fest,  dass  überall  da,  wo  die  indogermanischen  tenues  k,  t,  p 
bereits  auf  der  stufe  der  ersten  lautverschiebung  bis  zur  tönen- 


ich  gütigen  nachweisen  des  herrn  professor  E.  Sievers  in  Jena.  Der- 
selbe war  so  freundlich,  da  er  ebenfiills  nach  den  altgermanischeu  pri- 
mären uonüna- ;igentis-bil(1(ingeii  mit  -an-  Umschau  gehalten  hatte,  mir 
seine  Sammlungen,  namentlich  aus  dem  angelsächsischen,  zur  Verfügung 
zu  stellen. 


14  OSTHOFF 

den  explosiva  (oder  richtiger  tonenden  spirans  nach  Pauls 
tlieoric  der  hiutverseliielning),  bis  y ,  d,  h  juistatt  h .  p,  /"  ver- 
scli<)l)en  wurden  und  wo  bereits  im  urgcnnanischen  die  alte 
tonlose  spirans  .v  auf  dci-  Vorstufe  des  rhotacismus  angelangt, 
zu  tönendem  z  erweicht  \\'orden  war,  dass  überall  da  der  ur- 
s[)rUngliche  wortaccent  auf  einer  anderen  silbe  als  der  dem 
betreffenden  consonanti sehen  laute  unmittelbar  vorhergehenden 
gestanden  haben  müsse.  Insbesondere  wird  durch  die  auf- 
deckung  dieses  gesetzes  das  ganze  rätsei  des  sogenannten 
grammatischen  wechseis  in  der  germanischen  starken  conjuga- 
tion  überzeugend  gelöst.  Man  weiss  jetzt,  auf  welchem  gründe 
es  beruht,  wenn  schon  'm\  urgernumischen 

sldlia  slöh,  aber  slögum  slagans, 
leuha  tauh,  aber  tugum  tiigans, 
Itpa  laip,  aber  lit^imi  lit^mis, 
kvepu  kvap,  aber  kvübum  kvetimis, 
Iceusa  kauti,  aber  kuzu?n  kuzans, 
dreusa  draus,  abei"  druzum  druzans, 
leusa  laus,  aber  luzimi  Inzans 
im  verbalablaut  neben  einander  standen. 

Vollständig  auf  derselben  stufe  aber  wie  der  pluralis  ])er- 
fecti  und  das  participium  praet.  zeigen  den  schliessenden  wurzel- 
eonsouanten  die  alten  primären  nomina  agentis  mit  suff.  -an-\ 
mit  anderen  Worten:  diese  ncmünalbilduugen  machen  den  gram- 
matischen Wechsel  mit.  Das  zeigt  sich  deutlich  an  folgenden 
beispielen  von  denselben  sieben  wurzeln,  deren  ablautsreihen  wir 
soeben  erwähnten:  \\\i\.  "" slugan-  'der  schlägt,  erschlägt'  in  ags. 
slaga  'necator,  interfector'  (Grein,  EttmüUer  s.  699),  ahd.  man- 
slago  (Graff  VI,  775);  urd.  "^  tugan-  'führer'  in  altn.  her-togi, 
ags.  here-loga,  folc-ioga,  alts.  heri-logo,  folk-logo,  ahd.  heri- 
zogo,  maga-zogo,  mhd.  her -zöge  (vergl.  Verner  a.  a.  o.  s.  100); 
urd.  *lit)a.n-  'der  geht,  fährt'  in  ags.  Uda  'nauta',  s(e-/fda 
sund-lida,  yt)-Hda  'see-,  sund-,  w^ogengänger '  gegenüber  dem 
infin.  ags.  lt^an\  urd.  *kvet)an-  'qui  dicit'  in  ahd.  wär-quelo 
'veridicus',  w'idar-queto  ' widersprecher'  (Graff  IV,  648)  gegen- 
über dem  infin.  ahd.  qnedan\  urd.  "^ kuzan-  'der  Wähler,  kürer' 
in  ags.  vitier -cora  'rebellis,  apostata  (EttmüUer  s.  389)  und 
altn.   Jal-keri    'qui    homines    in    pugna  caesos  eligit,    0?5iu' 


N-DECLINATION.  15 

(Eg-ilsson  lex.  poet),  d.  i.  eigentlich  -kfiri  (Wiramer,  altuord. 
gramm.  §  12)  und  dieses  entstanden  aus  -*kozi*)  gegenüber 
dem  infin.  ags.  ceösan,  altn.  kj6sa\  grundf.  *  druzan-  'das 
tröpfelnde'  =  altn.  ämri  'blut'  (Egilsson,  Cleasby -  Vigfuss.) 
gegenüber  dem  .v  in  got.  (1rinsan\  grundf.  *luzan-  ' der  verliert, 
verlustig  geht'  in  ags.  hleöv-lora  'tutelae  expers'  (Grein)  gegen- 
über dem  infin.  ags.  for  -  leösan.  Auch  ahd.  rito  m.  'das  zittern, 
fieber'  (Graif  II,  475  f.),  welchem  ein  starkes  verb  urd.  "^rlfxi 
raip  ribnm  ri^ans  nicht  zur  seite  geht,  wol  aber  das  schwache 
ahd.  ridon  'zittern',  fügt  sich  dieser  regel. 

Es  war  also  nicht  richtig,  wenn  ich  forschungen  II,  102. 
104.  105.  dem  zweiten  und  dritten  dieser  noraina  agentis 
die  urdeutsclie  gestalt  *  ^MÄ«n-  und  *  lipan-  gab.  Vielmehr  ist, 
wenn  im  althochdeutschen  neben  man-slago  auch  fater-slalw, 
leod-slalio  'bardus'  (wörtl.  'liedschläger',  Graff  VI,  775),  neben 
lieri-zogo  und  maga-zogo  auch  heri-zoho  und  maga-zoho  er- 
scheinen, wenn  neben  ags.  Uda  im  gotischen  us  -  lipa  steht  (altn. 
Vtbi  'gefolgsmann'  entscheidet  bekanntlich  mit  seinem  fi  nichts), 
dies  offenbar  so  zu  erklären,  wie  Verner  die  überall  nicht  aus- 
gebliebenen Störungen  des  grammatischen  wechseis  und  beson- 
ders a.  a.  0.  s.  108  die  tatsache  erklärt,  dass  das  gotische  in 
der  coDJugation  jene  ditfereuzierung  des  consonantischen  wurzel- 
auslautes  überhaupt  gar  nicht  kennt:  'die  häufiger  vorkommen- 
den präsensformen  haben  den  sieg  über  die  praeteritumsformen 
davon  g-etragen  und  ihnen  ihren  wurzelconsonanten  aufge- 
drungen'. Ebenso  dürfen  wir,  da  ohne  zweifei  auch  die  nomi- 
nalbildungen  mit  primärem  -an-  vermöge  ihrer  function  als 
damals  noch  lebendige  nomina  agentis  immerfort  im  sprach- 
bewustsein  enge  fühlung  mit  den  entsprechenden  verben  hielten, 
unbedenklich  voraussetzen,  dass  den  ahd.  fafer  -  s/aho  und  /eod- 
slaho,  heri-zolio  und  maga-zoho  ihr  h  anstatt  g,  dem  got.  us- 
lipa  sein  p  anstatt  d  durch  das  h  und  p  der  verba  ahd.  slahan, 
ztohan,  got,  leipan  späterhin  von  neuem  'aufgedrungen'  wor- 
den, nicht  ihnen  von  Ursprung  an  erhalten  ist.  Wenigstens 
klärt  sich  so  allein,  so  viel  ich  sehe,  das  sach Verhältnis  genü- 


*)  Ueber  den  /-niulant,  den  im  altnordischen  regelmässig  das  aus  s 
(z)  enistandeue  r  wirkt,  vcn-gl.  Verner,  zeitschr.  f.  vergl.  spracht.  XXIII 
113  anm.  und  die  dort  ansrefiihrte  literatur. 


1(5  OSTIIOFF 

g-eiul  auf;  während  andererseits,  wenn  man  '■''•  luhan-,  *///>««-, 
'''sldhiüi-  als  die  iivgevniaiiisclien  formen  ansetzt,  kaum  einzu- 
seiien  ist,  wie  daraus  die  formen  der  anderen  dialecte  altn. 
-togi,  ags.  -toga,  alts.  -logo  und  wie  daraus  ahd.  -zogo,  mhd. 
-zöge  selbst,  wie  ferner  üni>'*/ipan-  das  agii.  Uda,  aus  *a7öä«w- 
das  ags.  slaga  und  das  ahd.  slago  geworden  sein  sollten.  Für 
eine  anlehnung  an  die  lautgestalt  des  präsensstammes  des  ver- 
bums ist  es  demnach  auch  zu  halten,  wenn  im  althochdeutschen 
hetti-riso  (Graft"  II,  542),  mhd.  hette-rise  'der  aufs  bette 
niedergesunkene,  bettlägerige,  kranke',  mhd.  helle- rise  'der  in 
die  hölle  hinabgefallene,  der  teufel'  (mhd.  wörterb.  II  1,  727) 
begegnen,  das  nomen  agentis  also  in  der  form  risan-  anstatt 
'^rizan-  gebildet  erscheint. 

Die  tatsache  selbst  also,  dass  das  primäre  nomen  agentis 
mit  Suffix  -a7i-  ursprünglich  den  grammatischen  Wechsel  mit- 
machte, da  wo  solcher  im  verbum  statt  hatte,  dürfte  wol  nach 
dem  vorhergehenden  als  festgestellt  zu  betrachten  sein.  Diese 
tatsache  an  sich  war  mir  auch,  als  ich  den  abschnitt  meiner 
forschungen  II,  101 — 106  niederschrieb,  keineswegs  entgangen; 
es  bot  sich  mir  nur  damals  noch  keine  erklärung  dar  für  die 
auftauende  erscheinung,  dass  z.  b.  die  nomina  ags.  suncl-Uda, 
yb-Uda  im  cousouantismus  mit  dem  participium  Uden  gehen, 
anstatt  das  Ö  des  präsensstammes  und  des  infinitivs  Iit5a7i,  so- 
wie des  perfect.  sing.  lä<3  zu  teilen.  Jetzt  aber,  glaube  ich 
kann  die  erklärung  die^  er  erscheinung  gegeben  werden.  Nach 
Verners  glänzender  beweisführung  und  auf  grund  derselben 
sind  wir  vollauf  berechtigt  zu  behaupten:  es  hiess  darum  ur- 
germ.  ^slagan-,  '^tugan-,  *liban-,*  kvet5-an-,*  kuzttn,*druzan-, 
*luzan-,  nicht  *slahan-,  *'iuhan-,  *Upan-,  * kvepan-,  *kusan-, 
*drnsan-,  * lusan-,  weil  in  einer  vor  dem  später  aufkommen- 
den germanischen  l)etonungssystem,  aber  selbst  nach  der  ersten 
lautverschiebung  fallenden  zeitperiode  jene  uominalstämme  der 
regel  nach  auf  der  suffixsilbe,  nicht  auf  der  Wurzelsilbe  den 
wortaccent  hatten. 

Dieselbe  ursprüngliche  accentuation  nun  aber,  die  wir  an 
der  band  des  Vernerschen  gesetzes  für  die  vorhergehenden 
beispiele  unserer  nomina  agentis  erschlossen  haben,  werden 
wir  auch  bei  den  anderen  uominalbildungeu  von  ganz  dersel- 
ben art  als  die  frühere  regelmässige  in  auspruch  nehmen  dürfen, 


N-DECLINATION.  17 

auch  da  nemlich,  wo  uns  der  consonantismus  der  germanischen 
sprachen  keine  so  positiven  handhaben  bieten  kann,  um  das- 
selbe alte  betonung-sverhältnis  zu  constatieren.  Ueberhaupt 
müssen  ja  dergleichen  inductive  Verallgemeinerungen  in  der 
Sprachwissenschaft  wie  in  jeder  empirischen  Wissenschaft  immer- 
fort erlaubt  sein  und  können  so  lange  giltigkeit  beanspruchen, 
als  sich  keine  Instanz  dagegen  erhebt  und  für  die  dauer  gel- 
tend zu  machen  weiss.  In  unserem  falle  also  dürfen  wir 
sagen:  auch  in  wortstämmen  wie  urgerm.  hudan-,  drupan-, 
flutan-,  got.  nutan-,  urgerm.  vitan-,  geban-,  skolan-,  hanan-, 
faran-,  stapan-  war  die  ursprüngliche  wortbetonung  die,  dass 
die  Suffix-,  nicht  die  Wurzelsilbe  den  accent  hatte :  also  buddn-, 
driipän-  u.  s.  w.  Für  germ.  uhsän-  'ochse'  konnte  diese  ehe- 
malige betonung  schon  von  vornherein  durch  den  accent  des 
sanskr.  ukshdn  -  als  gesichert  betrachtet  werden.  Allein  für 
die  ganze  kategorie  aller  ebenso  gebildeten  nomina  agentis 
mit  -an-  scheint  mir  aus  den  angegebeneu  gründen  eine  hohe 
Wahrscheinlichkeit  vorhanden  zu  sein,  dass  ihre  wortstämme 
in  urgermanischer  zeit  ebenso  regelmässig,  wenigstens  in  der 
überwiegenden  mehrheit  der  fälle,  oxytona  waren,  wie  dies  bei 
ihren  altindischen  verwanten  im  rgveda  nachweislich  der 
fall  ist. 

Nachdem  dies  festgestellt  ist,  können  wir  nun  nach  der 
regel  fragen,  welche  etwa  ursprünglich  im  deutschen  hinsicht- 
lich der  gestaltung  des  wurzelvocales  bei  der  bildung  eines 
primären  nomen  ag-entis  mit  -an-  gegolten  habe.  Ich  bemerke 
zuvörderst,  dass  es  mir  forschungen  II,  105  f.,  wo  ich  über 
diesen  punkt  handelte,  eigentlich  bloss  gelungen  ist,  bei  den 
ablautenden  (den  nicht  reduplicierenden)  /-  und  m- wurzeln 
das  richtige  bildungsverhältnis  zu  erkennen.  Dass  bereits 
Amelung  in  der  zeitschr.  f.  deutsch,  altert.  XVIII,  208  f.  es 
versucht  hatte,  bestimmte  regeln  über  den  wurzelvocal  bei 
diesen  nominalbildungen  zu  gewinnen,  war  mir  damals  leider 
entgangen.  Ich  kann  jedoch  auch  in  einem  punkte,  wie  sich 
zeigen  wird,  den  resultaten  Amelungs  nicht  beistimmen;  im 
grossen  und  ganzen  sind  sie  unzweifelhaft  für  richtig  zu  halten. 

Gehen  wir  wider  aus  von  unserem  befunde  der  ursprüng- 
lichen betonung  der  primären  mit  suff.  -an-  gebildeten  nomina 
agentis.     Zu   dem   system   des  verbalbaues  der  starken  verba 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    III.  2 


IS  OSrilOFK 

gehölt  eine  iioniinnHorni,  von  der  wir  mit  Sicherheit  wissen, 
dass  sie  nrs]»riinglich  die  bihlungssilbe,  nicht  die  wurzel,  be- 
tonte: das  partic.  praet.  mit  dem  suffix  -anä-.  Vergl.  Verner, 
zeitsfhr.  f.  vergl.  sprachf.  XXIII,  112.  Da  bei  diesem  verbal- 
uomeu,  dem  i)articip,  also  die  betouungsverhältnisse  so  ganz 
dieselben  sind  wie  bei  unseren  nomina  agentis  mit  -mi-  und 
eben  in  folge  dieses  gleichen  betonungsvcrhältnisses,  wie  wir 
gesehen  haben,  auch  schon  die  teilnähme  an  dem  grammati- 
schen Wechsel,  wo  dieser  eintritt,  dem  uomen  agentis  auf  -mi- 
mit  dem  participium  auf  -anä-  gemeinsam  ist;  in  anbetracht 
dieser  umstände  dürfen  wir,  glaube  ich,  a  priori  wol  die  regel 
aufstellen:  unsere  nomina  agentis  musten  ursprünglich 
durchaus  auch  in  der  gestaltung  des  wurzelvocals 
mit  den  entsprechenden  participien  praet.  gehen.  In- 
sofern nun  das  particip  mit  suft".  -anä-  ^ganz  regelmässig  den 
schwächsten  unter  denjenigen  vocalen,  die  in  den  tempus- 
stämmen  des  stamm  verbums  zum  Vorschein  kommen'  zu  gründe 
legt,  was  ja,  wie  man  weiss,  ebenfalls  nur  eine  folge  der  alten 
betonung  der  endsilbe  ist:  insofern  besteht  allerdings  Amelungs 
hauptregel,  dass  auch  die  primären  nomina  agentis  mit  -än- 
es  so  machten,  ganz  in  ihrem  rechte.  Doch  wir  haben  unsere 
regel  rein  theoretisch  erschlossen;  sehen  wir  nun  zu,  in  wie 
weit  sie  an  der  praxis,  an  den  tatsachen  der  spräche  bestäti- 
gung  findet. 

Bei  i-  und  w- wurzeln  der  ablautsreihen  urgerm.  t,  ai,  i, 
i  und  eu,  au,  u,  u  ist  alles  in  schönster  Ordnung,  nemlich  so, 
wie  wir  es  nach  Amelungs  und  unserer  regel  erwarten  dürfen. 
Wir  haben  in  der  ?- reihe  die  schon  genannten  bildungen:  urd. 
vitan-,  Man-,  ahd.  hetü-rlso,  ahd.  rito  (das  nomen  actionis  ge- 
worden ist).  Wir  haben  ferner  ahd.  e-cislizo  4egirupio'  von 
sUzan  (Graflf  VI,  819);  namentlich  aber  zahlreiches  material 
im  altnordischen,  wo  die  primären  -aw- stamme,  wie  selbst 
Zimmer  zugeben  muss,  nominalsuft".  a  und  a,  s.  205,  ganz 
'regelmässig  den  von  Amelung  geforderten  vocal  zeigen'.  Als 
beispiele  dienen:  altn.  -hiti,  'qui  mordet'  in  höl-^  kvern-,  legg- 
biti]  altn.  -dri/i,  'qui  spargit'  in  hring-drifi\  altn.  -ribi,  'qui 
vehitur,  equitat'  in  den  comp]),  at-,  hall-,  hlakk-,  eind-,  hlör-, 
mund -  tibi. 

In  der  m- reihe  bestätigen  unsere  regel  ausser  den  bereits 


N-DECLINATION.  19 

genannten  urd.  tjudmi-,  drupan-,  fhigan-,  flutan-,  tugan-,  kuzan-, 
luzan-,  g-ot.  nutan-  solche  wie  urd.  bugan-  'bogen'  =  ahd.  hogo 
pogo,  ags.  hogu,  altn.  hogi\  urd.  sprutan-  Sspross'  =  ahd.  sprozzo, 
ags.  sprola,  altn.  sproti'^  urd.  lugan-  'leugner'  in  ags.  loga 
'mendax'  (EttmüUer  s.  177)  und  compp.  «Ö-,  treöv-,  vter-,  vord- 
loga,  alts.  treu-,  war- log o\  urd.  kluban-  'kloben'  =  altn. 
klofi ,  ahd.  cloho  chlobo'^  urd.  lukan-  '  verschliesser ,  ver- 
schluss' in  altn.  Loki  'gott  des  weitendes'  und  ags.  loca  'clau- 
sura,  claustrum'  nebst  zahlreichen  compositis  (Grein);  urd. 
lugan-  'flamme,  lohe'  in  altn.  logi,  mhd.  lohe  schw.  m.  Das 
primäre  verbum  zu  dem  zuletzt  genannten  beispiel  muss  ur- 
germanisch *  leuha  *  lauh  *  lugum  *  lugans  gelautet  haben,  vergl. 
Fick,  wörterb.  IIP  274;  also  in  altn.  logi  herscht  wider  regel- 
recht der  grammatische  Wechsel,  während  mhd.  lohe  mit  seinem 
h  sich  an  lluhten,  lieht  anlehnt.  Die  altnordische  poesie  bietet 
ebenso  regelmässig  ^vie  vorhin  bei  i- wurzeln  so  hier  bei  u- 
wurzeln  den  reinen  wurzelvocal  dar  in  solchen  -  an  -  bildungen, 
welche  als  zweite  compositionsglieder  gebraucht  werden:  altn. 
-botii  'qui  offert'  in  el-,  eld-,  fang-,  hold-,  hljöm-,  hold-,  hregg-, 
hritS-,  hyr-,  regn-,  vebr-bot^i]  altn.  -broti  'qui  frangit'  in  aub-, 
hang-,  eld-,  hring-,  men-,  seim-,  vell- broti;  altn.  -roft  'qui  rum- 
pit,  violat'  in  eib-,  frib-,  hit-,  oi^ti-rofi. 

Mit  allen  diesen  vergleiche  man  nun  diejenigen  nomina 
agentis  mit  suff.  -«-,  welche  Zimmer  s.  41  —  45  seines  buches 
als  fortlebende  reste  dieser  frühzeitig  aussterbenden  bildungs- 
weise in  der  altnordischen  poesie  nachgewiesen  hat.  Die  altn. 
«-Stämme  -bitr  'qui  mordet',  -drifr  'qui  spargit',  -gi-ipr  'qui 
rapit',  -n'Ör  'qui  vehitur,  equitat'  von  e- wurzeln,  bjö^r  *qui 
oifert',  brjötr  'qui  frangit',  hljötr  'potitor,  possessor',  hrjötSr 
'qui  vastat,  vastator,  bellator',  kljüfr  'qui  findit,  dissecat',  njötr 
'qui  utitur,  habet,  possidet',  7^j6t5r  'qui  rubefacit'  von  ablauten- 
den ?^- wurzeln  zeigen  mit  ganz  dersel])en  regelmässigkeit  und 
ohne  ausnähme  gerade  so  constant  den  wurzelvocal  auf  der 
ablautsstufe  des  präsensstammes,  d.  h.  die  Steigerungen  urgerm. 
t  und  eu,  wie  die  classe  der  -m^- bildungen  den  reinen  wurzel- 
vocal darbietet.  Insbesondere  confrontiere  man  mit  einander: 
altn.  -Wir  und  -biti ,  altn.  hring -drifr  und  hring -drifi,  altn. 
at-rt<5r  und  at-rit)i,  altn.  eld-hjöt^r,  regn-bjotir  und  eld-bohi, 
regn-botsi ,  altn.  auh -brjötr,  hring -brjötr,  vell- brjötr  und  auti- 
broti,   hring -broti,   vell -broti,  endlich  altn.  njötr  und  got.  nuta. 


20  OSTHOFF 

Also  ein  festes  gesetz  flir  beide  kategorien  der  iiomina  agentis 
und  ein  wesentlicher  uuterscliicd  in  der  bildungsweise  beider 
bestand;  das  lässt  sich  gar  nicht  leugnen.  Und  dass  nicht 
bloss  im  altnordischen  dieses  gesetz  herschte,  das  beweist  ge- 
legentlich auch  eine  andere  spräche,  z.  b.  das  althochdeutsche 
mit  seinem  nider-rls  'diabolus',  eigentlich  'der  hernieder- 
gefallene' bei  Notker  (Graff  II  541;  eben  durch  das  vorkom- 
men des  Wortes  bei  Notker  ist  die  quantität  gesichert)  gegen- 
über hetü-riso. 

Zimmer  nun  aber  kann  sieb  nicht  enthalten,  über  die 
Amelungsche  regel  betreffs  der  bildungsweise  der  -«w- stamme 
in  die  ungläubige  ekstase  auszubrechen:  'Ein  wunderbares 
Verhältnis!  Während  die  nomina  agentis  auf  a,  deren  nach- 
kommen [??]  und  Vertreter  die  auf  an  sind,  nach  regel  1  ge- 
steigerten vocal  haben,  findet  bei  ihnen  das  gegenteil  statt. 
Fast  sollte  man  glauben,  es  sei  das,  was  das  suffix  an  äusserm 
umfang  gewonnen,  dem  vocale  der  wurzel  abgezogen  worden.' 
Alsdann  versucht  es  Zimmer  s.  203  f.  die  regel  Amelungs  durch 
solche  gegenbeispiele  zu  entkräften,  bei  denen  ein  nomen 
agentis  mit  -an-  ebenso  wie  die  auf  -a-  von  der  gesteigerten 
Wurzel  gebildet  werde.  Solche  sind  ihm  unter  anderen  die 
ahd.  llho  =  ags.  Ufa,  ahd.  /ora-lido,  leito,  scribo,  rido  'tremor', 
reito  'auriga',  ags.  viga,  visa,  ahd.  hiogo,  diozo ,  ags.  hreöba, 
beäda.  Was  beweisen  denn  aber  diese?  Heben  sie  wirklich 
jene  regel  über  die  - «« -  bildungen  auf?  Nicht  im  entferntesten. 
Eben  hier  werden  wir  teils  die  'unorganischen'  -an -stamme, 
die  alten  -«-bildungen,  welche  in  die  schwache  declination 
übergetreten  sind,  haben;  teils  sind  offenbar  eine  anzahl  der- 
selben beispiele  gar  nicht  primäre  bildungen,  sondern  seeun- 
däre  und  mit  'individualisierendem'  suffixe  -an-  aus  zu  gründe 
liegenden  substantivischen  primitivis  abgeleitete  nomina.  So 
ist  ganz  unzweifelhaft  das  ags.  vlga  auf  das  nomen  vig  'kämpf 
als  bildung  mit  individualisierendem  secundäreu  suffixe  -an- 
zurückzuführen ;  vergl.  forschungen  II,  110.  Ganz  ebenso  sind 
doch  ahd.  lello  'führer'  und  reito  'wagenlenker'  unverkennbar 
nur  an  die  substantiva  leita  'führung'  und  reita  'wagen'  anzu- 
knüpfen. Auf  diese  weise  aber  erklären  sich  alle  von  Zimmer 
als  gegenbeispiele  gegen  Amehmg  ins  feld  geführten  nominal- 
bildungen.     Selbst  auch  Substantivierungen  alter  adjectivischer 


N-DECLINATION.  21 

-a- Stämme  mittels  -an-  mögen  darunter  sein  wie  beispiels- 
weise vielleicht  ags.  heäda  'suasor,  Imperator,  der  gebieter' 
(Ettmiüler  s.  300)  nur  die  Substantivierung  eines  adjectivs  ags. 
*  beäd '  gebietend '  (fast  =  altn.  iyöör)  sein  kann,  wie  wol  sicher 
ags.  m«  'dux'  nichts  anderes  ist  als  die  Substantivierung  des 
adject.  ms  ^prudens,  peritus'  (Sievers,  Jenaer  literaturztg.  1.  april 
1876,  s.  216).  Als  Substantivierung  mittels  secundären  Suffixes 
-an-  vermag  z.  b.  got.  liutan-  'heuchler'  von  liuta-  adj.  'heuch- 
lerisch' gar  nicht  mit  dem  anspruche  aufzutreten,  mit  nutan- 
'fänger'  in  der  frage,  welches  bei  der  primären  nomina-agen- 
tis  -  bildung  durch  -an-  die  ursprüngliche  gestaltung  des  wurzel- 
vocals  sein  muste,  rivalisieren  zu  wollen.  Zimmer  hat  sich 
offenbar  gegen  Amelung  seine  sache  sehr  leicht  gemacht.  Und 
wenn  derselbe  s.  204  bekennt:  'Das  eine  ist  zuzugeben:  durch 
die  germanischen  sprachen  geht  die  neigung,  die  neuen  an- 
themen  mit  dem  schwächsten  vocal,  der  in  den  tempusstämmen 
zum  Vorschein  kommt,  zu  bilden',  so  müssen  wir  doch  dagegen 
bemerken,  dass  es  eine  sonderbare  sprachentwickelung  consta- 
tieren  heisst,  wenn  man  annehmen  will,  es  seien  aus  den  alten 
nomina  agentis  mit  -a-  auf  'unorganischem'  wege  zu  irgend 
einer  zeit  die  -aw- stamme  hervorgesprossen,  diese  'unorgani- 
schen' producte  aber  hätten  es  dann  später  'in  einer  bestimm- 
ten periode'  der  germanischen  spräche  zu  solcher  Selbständig- 
keit ihres  wesens  gebracht,  dass  sie  ganz  eigene  wege  betreffs 
der  wähl  des  wurzelvocals  einschlagen  konnten  und  dann  ge- 
rade eine  solche  stufe  des  verbalablautes  wählten,  welche 
wahrlich  dem  lebendig  gefühlten  nomen  agentis  nicht  sehr  nahe 
lag.  Wie  leicht  aber,  wenn  das  Verhältnis  so  war  wie  wir  es 
uns  denken,  die  Vermischung  der  alten  und  ursprünglichen 
'organischen'  primären  nomina  agentis  mit  -an-  mit  den  aus 
«-Stämmen,  sei  es  durch  individualisierendes  (substantivieren- 
des) -an-  oder  durch  einfachen  übertritt  in  die  schwache 
declination,  hervorgehenden  jungen  -««-bildungen  geschehen 
konnte,  mag  ein  einziges  beispiel  aus  dem  altnordischen  zeigen. 
Altn.  brjötr  mit  -an-  substantiviert  ergab  hrjöti  und  erscheint 
so  Snorr.  Edda  I,  282,  I,  658,  2,  an  letzterer  stelle  vell-hrjöli 
'fractor  auri':  da  nun  auch  hroti,  vell-broli,  das  alte  normale 
'organische'  nomen  agentis  mit  -<iu-,  ganz  dieselbe  bedcutung 
liat  wie  jene  Substantivierung,   so  war   die   confusion  da   und 


22  OSTHOFF 

konnte  Veränderungen  in  der  bildung  der  nomina  agentis  mit 
-an-  aus  verbalwurzeln  herbeiführen.  Auf  dieselbe  weise  er- 
klärt sich  die  Vermischung  von  altn.  r/;-/);7  M)lut'  (s.  oben  s.  15) 
mit  dreyri,  d.  i.  dem  sei  es  substantivierten  sei  es  schlichtweg 
in  die  n  -  declination  hinübergefiihrten  a  -  stamme  urgerm. 
'^  drttusa-  ==  ags.  äreor ,  alts.  dror,  mhd.  tror  (Fick,  wörterb. 
1113  155).  Beispiele  solcher  jüngeren  bildungen  wie  ahd. 
scribo  'Schreiber',  in-sl%hho  Invasor',  blint-sUhho  'caeculus', 
ags.  ofer-llfa  'superstes'  (Ettmüller  s.  185),  ahd.  diozo,  ags. 
heäda,  ahd.  giozo  'rivulus,  fretum',  ags.  geöta,  ä-geota 
fusor,  effusor'  können  darum  gar  nicht  verwundern,  selbst 
dann  nicht,  wenn  man  nicht  geneigt  sein  sollte,  hierin  Sub- 
stantivierungen zu  gründe  liegender  adjectivischer  -a- stamme 
oder  einfache  Übertritte  solcher  in  die  schwache  declination  zu 
sehen,  und  vielmehr  unmittelbar  aus  dem  verbum  gebildete 
nomina  agentis  darin  erkennen  will. 

Amelungs  regel  oder  unsere  fassung  derselben,  das  primäre 
nomen  agentis  habe  ursprünglich  in  der  vocalisation  der  wurzel 
mit  dem  particip.  praet.  zu  stimmen,  ist  ferner  in  voller  rich- 
tigkeit  in  allen  den  fällen,  wo  das  participium  praet.  des  star- 
ken verbums  dieselbe  ablautsstufe  wie  der  praesensstamm 
zeigt,  mit  anderen  Worten:  wo  der  im  präsensstamme  her- 
schende  wurzelvocal  keiner  Schwächung  in  der  conjugation 
unterliegen  oder,  falls  der  vocal  des  präsensstammes  selbst 
eine  Schwächung  ist,  keiner  weiteren  oder  anderen  Schwächung 
unterliegen  darf.  Specialisiert  sind  dies  die  folgenden  fälle  der 
primären  verbalbildung :  1)  die  ablautsreihe  urgerm.  got.  a,  ö, 
ö,  a  {fara  for) ,  2)  alle  im  gotischen  noch  reduplicierendes 
perfectum  bildenden  verba,  3)  die  ablautsreihe  urgerm.  e,  a,  ä, 
e,  got.  i,  a,  e,  i   (got.  giha  gaf  gehum  gihans). 

Beispiele  der  nomina  agentis  mit  primärem  -an-  sind  für 
den  fall  1):  urd.  '•^- faran-  kler  gehende,  fahrende',  ViX^.* sakayi- 
'der  streitende',  urd.  '-^-stapan-  'der  schreitende,  wandelnde',  urd. 
* skapan-  'Schädiger,  feind',  urd.  *banan-  'töter,  m Order',  urd. 
*slagan-  'interfector';  die  belege  für  diese  als  urgermanisch 
aufgestellten  wortstämme  siehe  forschungen  II,  102.  104,  für 
'■''slagan-  oben  s.  14.  Ferner  gehören  hierher:  got.  ufar-svara 
'der  meineidige,  falsch  scliwörende ',  ags.  män-svara,  -svora 
'perjurus'  (Grein),  ahd.  (rago  'träger'  in  swerl-trago,  goU-trago, 


N-DECLINATION.  23 

ia-trago  'legifer',  pogo- trage  'arcitenens',  ahd.  spann  'suadus' 
(Graff  VI,  341),  ahd.  angar-gnago  "deterior  equus',  wörtl.  'den 
anger  benagend'  (Graff  II,  1014). 

Beispiele  für  den  fall  2),  für  die  bildung  des  primären 
nomen  agentis  mit  -an-  bei  ursprünglich  und  im  gotischen 
noch  redu])licierenden  verben  sind:  urd.  '*uaMan-  'der  wal- 
tende, Walter,  herscher'  (forschungen  II,  104),  ahd.  c-halto 
'pontifex',  hurg-halto  'Mars  Quirinus'  (Graff  lY,  907),  got. 
faura- gagga  ' Vorgänger,  Vorsteher',  ahd.  urchnäo  'cognitor', 
horn-hläso  'hornbläser',  säio  'sator',  hloufo  ' Cursor',  iroiim- 
sceido  'interpres  somnii',  Ä^em-mmo  *  Steinmetz',  Rgs.  sculd  -  häta 
'exactor,  lictor,  tribunus'  (Grein)  =  ahd.  scult-heizo  'executor', 
obgleich  letzteres  an  sich  auch  wol  eine  -^aji  -  bildung  sein 
könnte,  wie  got.  dulga-haitjan-. 

Ehe  wir  dazu  übergehen,  für  den  fall  3)  beispiele  aufzu- 
zählen, müssen  wir  an  das  unmittelbar  vorhergehende  einige 
bemerkungen  anknüpfen,  nemlich  folgende. 

Die  bildung  des  primären  nomens  mit  -«w-,  speeiell  die 
gestaltung  des  wurzelvocals  bei  der  bildung  eines  solchen  no- 
men agentis  hat  in  diesen  fällen  an  und  für  sich  nichts  auf- 
fallendes. Wenn  Zimmer  s.  204.  ahd.  suohho  'sucher',  in  den 
compp.  gelt-suocho  'exactor',  sculd-suohho  'exactor,  funerator, 
creditor',  werah-suacho  'exactor'  (Graff  VI,  86  f.)  vorliegend, 
als  die  regel  Amelungs  vernichtend  anführt  und  dies  ahd. 
suohho  in  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  got.  sakan  sok 
'streiten'  bringen  will,  so  ist  das  falsch;  denn  ahd.  suohho  ist 
secundäre  bildung  mit  individualisierendem  -an-  von  suahha 
'die  suche,  suchung'  in  hüs-suacha,  mhd.  suoche.  Auch  ahd. 
uoho  'colonus',  Christ -uobo  'Christicola'  bei  Notker  (Graff  I, 
71)  kann  nichts  gegen  Amelungs  regel  beweisen:  uobo  als  pri- 
märes nomen  agentis  gefasst  gehört  doch  wol  zu  dem 
schwachen  verbum  uoh{j)an  oder  ist  bildung  mit  secundärem, 
individualisierendem  -an-  aus  einem  nomen,  entweder  ahd.  uoha 
f.  oder  mhd.  wo/;  m.  'das  üben,  treiben,  landbau'  (mhd.  wörterb. III, 
191).  Ein  starkes  y&vhvim*  aban,*noh,  an  das  Zimmer  wahrschein- 
lich gedacht  hat,  ist  und  bleibt  doch  immer  nur  ein  grammatisches 
präparat.  Zimmers  drittes  und  letztes  beispiel  endlich,  ahd.  huozo 
in  scuoh-bnozo  'schuhbesserer,  Schuhmacher'  (Graff  III,  228) 
ist  widerum  ganz  nichtig,  da  es  ebenfalls  wider  entweder  als 


24  OSTHOFF 

secundäre  bilduug  mit  individualisierendem  -an-  zu  dem  nomen 
ahd.  huoza  'besserung,  Verbesserung'  gehört,  wie  ganz  ebenso 
auch  das  mit  -arja-  aus  der  gleichen  quelle  abgeleitete  und 
synonyme  scuoh-buozari,  oder  aber />?<y>?o  geradezu  i\X\  buoz{J)o 
steht  und  nomen  agentis  zu  dem  schwachen  verbum  huoz{j)an 
ist.    Vergl.  forschungen  II,  114. 

Also  die  regel  steht  fest,  trotz  der  auch  hier  versuchten 
einreden  Zimmers.  Doch  galt  es  für  uns  weniger  dies  hier  zu 
erhärten,  als  vielmehr  auf  folgenden  umstand  hinzuweisen. 
Bei  solchen  starken  verbis,  bei  denen  der  im  präseusstamnie 
erscheinende  vocal  der  reine  ungeschwächte  wurzelvocal  ist 
und  nirgends,  auf  keiner  ablautsstufe  in  der  conjugatiou 
Schwächung  erfahren  kann,  muss  natürlich  auch  das  nomen 
agentis  mit  suffix  -«-  die  im  präsensstamme  herschende  voca- 
lisation  der  wurzel  zu  gründe  legen.  Es  kann  somit  hier  kein 
unterschied  in  der  ablautsstufe  zwischen  dem  primären  nomen 
agentis  auf  -an-  und  demjenigen  auf  -a-  stattfinden.  Wenn 
wir  somit  neben  einander  haben  urgerm.  valda-  und  urgerm. 
valdan-  'der  waltende',  altu.  sowol  -valdr  als  auch  -valdl  in 
zahlreichen  compositis  als  deren  zweites  glied  (vergl.  Zimmer 
s.  42.  205),  wenn  ferner  ebenso  altn.  fasi-haldr  und  ahd.  e- 
halto,  hurg-halto,  mit  ganz  gleicher  bedeutung  des  schluss- 
gliedes  neben  einander  stehen:  was  haben  wir  alsdann  von 
dem  Verhältnis  des  -riM-stammes  zu  dem  -a-stamme  zu  halten? 
Muss  jener  die  'unorganische'  erweiterung  von  diesem  sein? 
Ich  glaube,  nicht.  Vielmehr  hindert  in  solchen  fällen  nichts, 
sowol  die  -a?i-bildung  als  auch  die  -«-bildung  für  gleich  ur- 
sprünglich oder  für  gleich  'organisch'  zu  halten.  Aber  offen- 
bar leuchtet  so  viel  auch  hier  sofort  ein,  dass  auch  diese  er- 
scheinung  wider  ihrerseits  eine  Veranlassung  zur  Vermischung 
beider  ])ilduugsweisen  werden  konnte  und  ein  anstoss  für  die 
spräche,  nomina  agentis  mit  -  an-  späterhin  ebenso  und  in  der- 
selben weise  zu  bilden  wie  solche  auf  -a-,  kurzum,  eine  an- 
zahl  'unorganischer'  -«w- stamme  ins  dasein  zu  rufen.  Zu- 
sammeufall  der  bedeutung  zweier  bildungskategorieu,  wenn  zu- 
fällig auch  noch  an  irgend  einem  punkte  formaler  zusammen- 
fall stattfindet,  pflegt  sehr  häufig  in  der  Sprachgeschichte  ver- 
hängnisvoll für  die  eine  der  beiden  kategorien,  öfter  sogar  für 
beide   zugleich   zu  werden.     In   unserem   falle   waren    zumeist 


N-DECLINATION.  25 

die  -««-bildungen  der  leidende  teil  oder  diejenige  bilduugs- 
kategorie,  welche  zu  gimsten  der  anderen  ihre  alten  bahnen 
verliess  und  bei  gegebener  gelegenheit  in  das  geleise  der 
functionsgleicben  nachbarin  allmälig  hinübertrat. 

Für  die  bildung  des  primären  nomen  agentis  mit  -an-  bei 
der  ablautsreihe  got.  /,  a,  e,  i,  für  den  von  uns  als  3)  bezeich- 
neten fall,  seien  als  beispiele  genannt:  urd.  "* geban-  'geber 
(belege  siehe  forschungen  II,  104),  urd.  *rekan-  'rechen,  harke' 
vertreten  durch  ahd.  rccho  rehho,  mhd.  reche,  altn.  reka  f.,  als 
der  'ansammelnde,  häufende'  von  got.  rika  rak  (vergl.  Fick, 
wörterb.  \\\^  249,  wo  lat. //^ön-  ansprechend  verglichen  wird). 
Ferner  nenne  ich:  ahd.  ezzo  'esser'  und  compos.  man-ezo 
(Graff  I,  528),  leso  'lector',  ana-seho  'anseher',  ana-sezzo 
'assessor'  (vergl.  lat.  as-sedön-),  ahd.  wär-queto,  widar-queto 
(oben  s.  14);  endlich  altn.  -reki  'qui  pellit,  persequitur,  qui 
obit'  von  reka  =  got.  vrikan  in  den  corapp.  el-,  eijrend-,  fisk-, 
hjarti-,  kmd-,  lest-,  naut-,  sauti-,  snar-reki  (Egilsson,  Cleasby- 
Vigfuss.).  Wenn  man  also  nicht  darauf  ausgeht,  in  Zimmers 
weise  durch  solche  oftenbar  secuudäre  Wortbildungen  mit 
-an-  wie  ahd.  eban-säzo,  himil-säzo  (von  dem  Substantiv  mhd. 
sdze  f.  'sitz'  abgeleitet,  vergl.  mhd.  Wörterbuch  II,  2,  339)  die 
regel  Amelungs  über  die  primären  nomina  agentis  erschüt- 
tern  zu   wollen*),   und   wenn  man   überhaupt   ursprüngliches 


*)  Wie  wenig  überhaupt  Zimmer  der  doch  über  andere  forscher  so 
leicht  den  stab  zu  brechen  geneigt  ist,  wie  wenig  er  selbst  es  überhaupt 
versteht,  von  dem  priucipiellen  unterschiede  piimärer  und  secundärer 
Wortstammbildung  sich  überall  die  nötigen  klaren  Vorstellungen  zu 
machen,  dafür  könnte  ich  zahlreiche  belege  aus  seinem  buche  anführen. 
Ich  will  aber  nur  auf  ein  eclatantes  zeugnis  für  diese  meine  behanptung 
hier  aufmerksam  machen.  S.  23  seines  buclies  wählt  Zimmer,  um  den 
an  sich  richtigen  satz  zu  beweisen,  dass  ein  und  dasselbe  suffix  zur  bil- 
dung secundärer  sowol  wie  auch  primärer  nomina  verwendet  werde, 
ein  sehr  unglückliches  beispiel,  das  suffix  indog.  -tu-,  got.  -du-  und  -pu-. 
In  got.  (laupu-,  kustu-,  so  heisst  es,  sei  -pu-  {-tu-)  primär,  in  mannis- 
kodu-,  gabaurjopu-  dagegen  secundäres  stammbilduugsmitfel.  Wie  will 
Zimmer  das  o  in  diesen  beiden  letzteren  Wörtern  erklären,  wenn  er  sie 
als  secuudäre  bildungen  mittels  -du-,  -pu-  aus  den  themen  manniska-, 
gahaurja-  herleitet?  Mit  diesen  gotischen  bildungen  auf  -odu-,  -oftti- 
verhält  es  sich  accurat  ebenso  wie  mit  den  etymologisch  genau  entspre- 
chenden lateinischen  auf  -ätu-.     Unter  den  letzteren ,    den  lateinischen 


26  OSTHOFF 

von  uniirFiprüng;liclicm  und  späterem  nachwuchs  zu  trennen 
weiss:  so  wird  man  sich  auch  hier  widerum  nur  mit  Amehing 
einverstanden  erklären  können.  In  einem  punkte  Jedoch,  zu 
dem  wir  nun  übergehen,  ist  Amelung,  wie  wir  glauben,  nicht 
zu  dem  richtigen  resultate  gekommen. 

Ueberall  da,  wo  die  ablautsreihe  urgerm.  e,  a,  ä,  e  in  den 
einzelnen  sprachen  ungestört  fortbesteht,  da  ist  das  Verhältnis 
des  primären  nomen  agentis  mit  -an-  zu  dem  verbalablaut 
völlig  klar:  jenes  hat  die  schwächste  stufe  des  wurzelvocals, 
die  im  präsensstamme  herschende,  die  aber,  wie  ich  ausdrück- 
lich hinzufüge,  zugleich  diejenige  des  partic.  praet.  ist.  Da 
aber,  wo  Störungen  dieser  selben  ablautsreihe  eingetreten  sind, 
z.  b.  im  althochdeutschen  hei  den  verben  sprehhan  und  brehhan 
mit  ihren  participien  sprohhan  und  hrohhan,  da  zeigt  auch  so- 
fort das  nomen  agentis  Schwankungen  im  wurzelvocal.  Wir 
haben  zwar  ags.  spreca  'Sprecher'  (Grein)  und  ahd.  sprehho 
'locutor'  (Graff  VI,  389  f.),  wir  haben  auch  ahd.  hüs-prehho, 
aber  neben  letzterem   zugleich  scef-procho  'naufragus'   (Graff 


auf  -ätu-,  haben  solche  wie  cousulätu-s,  tribunätu-s,  magistratu-s,  patro- 
nätu-s  ein  gleichstämmiges  verbiim  der  -ä-conjugation  'wenigstens 
ideell  zur  Voraussetzung',  wie  es  Pott  etymol.  forschungen  11'-^  1015  sehr 
richtig  ausgedrückt  hat;  vergl.  auch  Corssen,  krit.  beitr,  s.  339.  So 
werden  wir  auch  für  got.  manniskodu-  s ,  gabaurjopu-s  zunächst  abge- 
leitete verba  *manniskon,  * gabaurjon  'wenigstens  ideell'  construieren 
müssen,  und  so  tut  es  Leo  Meyer  got.  spr.  s.  U3.  623  für  gabaurjopa-s. 
Aber  construieren  wir  solche  verba,  dann  sind  offenbar  jene  nominal- 
stämme  -xvii -o-du-,  -o-fni-  keine  secundären  mit  suffix -rf?<-,  -^m- mehr 
Man  kann  aber  auch,  in  abweichung  von  Pott,  bei  lat.  consulätii-s,  tribu- 
nätti-s  u.  s.  w.,  bei  got.  manniskodu-s,  gabaurjofni-s  von  den  ideell  vor- 
auszusetzenden verben  *  consula -re ,  *  tribunä  -  re ,  got.  *  mannisko  -  n, 
* gabaurjo-n  ganz  abstrahieren  und  sagen,  es  habe  sich  im  lateinischen 
das  -ätu-  von  solchen  bildungen  wie  judicätu-s ,  comitätu-s  (vergl.  Leo 
Meyer,  vergleich,  gramm.  II,  377  f.),  im  gotischen  das  -odu-  von  solchen 
wie  auhjodu-s,  vratod^i-s  aus  als  selbständiges  suffix  im  sprachbewust- 
sein  constituiert  und  sei  dann  auch  als  solches  schlechthin  an  nominale 
wortstämme  wie  lat.  consul-,  tribuno-,  magistro-,  patrono-,  got.  manniska-, 
gabaurja-  angefügt  worden.  Auf  keinen  fall  also  sind  die  got.  7nannis- 
kodu-,  gabaurjopu-  mit  Zimmer  für  secundäre  wortstammbildungen  mit 
dem  Suffixe  -  du-,  -pu-  zu  halten ,  sondern  entweder  für  primäre  mittels 
-du-,  -pH-  von  den  verbis  *  mannisko-n,  *  gabaurjo-n  oder  für  secundäre 
mittels  -odu-,  -opu-  von  den  nominalstämmen  manniska-,  gabaurja-. 


N-DECLINATION.  27 

in,  268.  270).  Und  dasselbe  schwanken  liegt  dann  auch  vor 
bei  den  beiden  letzten  uns  noch  übrig  bleibenden  ablautsreihen 
urgerm.  e,  a,  ä,  o  (got.  i,  a,  e,  u:  nima  numans)  und  urgerm.  c, 
a,  0,  0  (got.  /,  a,  u,  u:  drigka  drugkans)  und  zeigt  sich  hier 
über  mehrere  sprachen  verteilt.  Ich  gebe  erst  die  belege  füi* 
die  zu  diesen  verbalclassen  gehörigen  nomina  agentis. 

Urd.  horan-  Präger,  bringer'  in  ags.  hora  'qui  fert,  rex', 
miind-hora ,  rccd-hora,  vceg-hora,  horn-hora,  sveord-bora,  vcepen- 
hora  u.a.,  alts.  mund-boro,  Sihd.  eli-po7'o  'alienigena'  mit  passi- 
vischem sinne  des  -poro,  ahd.  munt-poro ,  arunt-poro  (vergl. 
forschungen  II,  l'>4);  aber  auch  heran-  in  altn.  hjälm-heri 
'helmträger',  Öl-beri  'bierträger'  und  ahd.  horno-bero  'horn- 
träger,  hornisse',  öde -her o  '  glückbringer ,  der  storch,  adebar' 
(Girraff'  III,  155.  157).  —  Urd.womaw-  'nehmer'  in  ags.  yrfe-numa 
(Ettnüiller  s.  29)  und  ahd.  arpi-nomo  erpi-nomo  'erbe',  sigo- 
nomo;  aber  neman-  in  ahd.  mcv/^o  'susceptor',  aba-nemo  'abneh- 
mer';  meta-nemo  'mercenarius',  not -nemo  'raptor',  sige-nemo 
' Sieger',  wara-nemo  'wahrnehmer'  (Graft'  II,  1073  f.).  —  Dazu 
kommen  noch  aus  dem  angelsächsischen:  ge-hola  'celator, 
tutor'  (Grein)  von  helan,  ge-borga  in  leöd-geborga  'tutor 
populi'  (Grein)  \on  beorgcm;  aus  dem  gotischen :  ga-taura  'riss' 
von  ga-tairan. 

Ausser  in  diesen  fällen  nun  aber,  ausser  boran-,  nomau-,  ags. 
-hola,  -borga,  got.-taura,  entscheidet  sich  das  primäre  nomen 
agentis  mit  -an-  bei  weitem  häufiger  und  regelmässiger  für  die 
vocalstufe  des  präsensstammes  in  den  beiden  hier  in  rede  stehen- 
den ablautsreihen,  so  dass  wir  antreifen:  got.  vilva  'räuber', 
ags.  helle-hinca  'höllenhinker,  teufel'  (Grein)  vom  starken  verb. 
ahd.  hinchan  hanch,  ags.  vinna  'bellator',  inber-vinna  'hostis, 
rebellator'  (Ettmüller  s.  125),  ahd.  widar-winno  dann.,  ags.hver/^a 
hveorfa,  ahd.  iverbo  'der  wirbel'  (Ettmüller  s.  513,  Graft"  IV, 
1237),  ags.  steorfa  'lues,  pestis'  (Ettmüller  s.  731)  =  ahd. 
sterbo,  lilm-sterbo  (Graft"  VI,  715),  alts.  man-slerho,  ferner  ahd. 
bremo  premo  'bremse'  von  breman  bram  'fremere,  rugire' 
(Graft"  III,  303  f.),  scero  'talpa'  (Graff  VI,  534),  swero  'dolor' 
(Graft' VI,  888),  ahd.  irincho  'potator',  sUndo  slinto  'vorax,  ganeo', 
uber-springo  'transsiliens',  /indo  'rcpertor',  klingo  'torrens' 
(Graff  IV,  563  f.),  swelgo  swelco  'giuto',  felaho  'conditor'  (zu 
ahd.  felahan  =  got.  /rlhan),  got-scelto  'blasphemus'  (Graft'  VI, 


28  OSTHOFF 

488),  swello  Humor'  (Graff  VI,  874),  helfo,  ga-helfo  'helfer' 
(Giaflf  TV,  921  f.)  und  manche  andere.  —  Was  endlich  den 
Wechsel  zwischen  ahd.  -qucmo  und  -como,  ags.  cyma  ciina  (d.  i. 
'^cema)  und  ama  anbetrifft  (forschungen  II,  102),  so  ist  dies 
beispiel  augenscheinlich  hier  aus  dem  spiele  zu  lassen,  da  be- 
kanntlich })ei  dem  verbum  kommen  der  vocal  o  (ii)  sich  in 
allen  altg-ermanischen  sprachen,  ausgenommen  im  gotischen, 
frühzeitig  auch  im  präsensstamme  zeigt,  anstatt  des  alten  c 
nemlich  und  zufolge  der  vorwärts  wirkenden  assimilation  des 
ehemaligen  anlauts  kv-. 

Was  ist  nun  von  dem  schwanken  der  spräche  zwischen 
horan-  und  heran-,  noman-  und  neman-  als  nomina  agentis, 
zwischen  aM.  scef-procho  und  hüs - prehho  zu  halten?  Welcher 
der  beiden  formationen,  der  mit  o  oder  der  mit  e,  erteilen  wir 
den  preis  der  höheren  altertiimlichkeit?  Amelung  ist,  wie  ge- 
gesagt, über  diese  frage  nicht  ins  reine  gekommen,  woran  un- 
verkennbar der  umstand  schuld  war,  dass  er  überhaupt  das 
Verhältnis  der  vocale  e  und  o  als  Schwächungsstufen  in  «-wur- 
zeln nicht  richtig  beurteilte.  'Dass  das  deutsche  o  :u  als  ab- 
laut  dem  ii  völlig  gleichwertig  ist',  ergibt  sich  aus  diesen  no- 
minalbildungeu  doch  nicht,  wie  es  Amelung  will.  Und  wenn 
Amelung  weiter  sagt:  'wie  dort  [im  verbalablaut]  immer  das 
0  gegen  das  c  im  fortschreiten  ist  {hrohhan,  troff  an,  sprohhan 
u.  s.  w.),  so  werden  wol  auch  hier  [bei  den  nomina  agentis 
mit  -««-]  in  ältester  zeit  bildungen  mit  c  ursprünglich  häufiger 
gewesen  sein',  so  ist  dieser  annähme  zunächst  das  chronolo- 
gische Verhältnis  unserer  beispiele  nicht  günstig.  Ahd.  scef- 
procho  und  hüs  -prehho  sind  beide  gleich  alt  und  gleich  früh- 
zeitig belegt:  in  den  Keron.  gloss.  der  St.  Galler  und  der 
Pariser  handschrift  (gl.  K.,  Fa.,  8.  jahrh.).  Ahd.  -nomo  und 
nemo  sammt  ihren  compositis  treten  uns  widerum  gleich  früh- 
zeitig in  der  literatur  entgegen,  wie  die  belegsteilen  bei  Graff" 
erweisen.  Aber  während  -nomo  bemerkenswerter  weise  nicht 
über  die  ältesten  deukmäler,  die  gl.  K.,  Pa.,  Ra.,  hinabgeht, 
erscheint  nemo  späterhin  desto  häufiger :  Notkers  Schriften  z.  b. 
kennen,  nach  Graft'  zu  schliessen,  nur  nemo  und  bieten  dieses 
ziemlich  häufig  dar.  Auch  lebt  mhd.  wol  ein  erbe-neme  fort, 
nicht  aber  ein  erhe-nome\,  vergl.  mhd.  wörterb.  II,  1,  370.  Auch 
von  den  ahd.  compositis  mit  -hero  lässt  sich  keineswegs  sagen, 


N-DECLINATION.  29 

dass  sie  älteren  datums  seien  als  die  mit  -poro ,  welche  letz- 
teren widerum  den  ältesten  quellen,  den  Keronischen  glossen 
vornehmlich  und  den  gloss.  Junii  (8. — 9.  jahrh.)  angehören. 
Dies  alles  scheint  doch  nicht  dafür  zu  sprechen,  dass  in  diesen 
nominalbildungeu  'das  o  gegen  das  e  im  fortschreiten  begriffen 
ist',  vollends  bei  nemo  und  nomo  ist  vielmehr  doch  ganz  unver- 
kennbar die  form  mit  o  vor  der  anderen  mit  e  auf  dem  rück- 
zuge  begriffen. 

Dass  in  der  tat  dem  o  in  diesem  falle  die  priorität  ge- 
bührt, werden  wir  gar  nicht  bezweifeln,  wenn  wir  folgendes 
erwägen.  Angenommen  es  hiess  früher  heran-,  neman-,  ahd. 
preliho  und  erst  später  seien  daneben,  ganz  wie  es  Amelung 
meint,  auch  die  formen  hör  an-,  noman-,  ahd.  procho  aufge- 
kommen :  so  ist  alsdaun  gar  nicht  einzusehen,  wie  die  spräche 
dazu  gekommen  sei,  durch  solche  neuschöpfuugen  wie  die  letz- 
teren die  frühere  concordanz  des  nomen  agentis  mit  der  form 
des  präsensstammes  preiszugeben.  Dass  ein  nomen  agentis, 
wenn  es  im  wurzelvocal  von  Ursprung  an  mit  dem  vocal  des 
präsensstammes  übereinstimmte,  jemals  veranlassung  nehmen 
sollte,  von  dieser  Übereinstimmung  ohne  zwingende  gründe  ab- 
zugehen, wäre  ein  so  unerhörter  hergang,  dass  mir  kein  ein- 
ziges beispiel  dafür  aus  irgend  einer  unserer  sprachen  bekannt 
ist.  Dass  aber  umgekehrt  das  mit  der  gestalt  des  präsens- 
stammes ursprünglich  nicht  übereinkommende  nomen  agentis, 
wenn  ihm  nur  die  möglichkeit  dazu  geboten  wird,  jederzeit 
bereit  sein  wird,  den  anschluss  an  die  lautgestalt  des  präsens- 
stammes zu  gewinnen,  speciell  sich  dessen  wurzelvocal  anzu- 
eignen: dieser  sprachliche  hergang  ist,  dünkt  mich,  aus  nahe 
liegenden  gründen,  eben  weil  das  nomen  ag-entis  nomen  agentis 
'st,  so  überaus  natürlich,  dass  wir  dafür  beispiele  anzutreffen 
füglich  nur  erwarten  können.  Also  müssen  wol  horan-,  noman- 
ahd.  procho  für  die  Überreste  der  älteren  formationsweise  ge- 
halten werden.  Eine  möglichkeit  aber,  anstatt  ihrer  die  zum 
präsensstamme  stimmenden  späteren  heran-,  neman-,  ahd.  prehho 
zu  erlangen,  war  für  die  spräche  allerdings  gegeben;  nemlich 
durch  die  analogie  der  zu  der  ablautsreihe  urgerm.  e,  a,  ä,  e 
gehörigen  primären  nomina agentis  \mi-an-.  Da  die urd. ^efe«n-, 
ahd.  ezzo,  leso,  -seho,  -queto,  -sezzo,  altn.  -{v)reki  (oben  s.  25) 
von  jeher  im  wurzelvocal  mit  dem  präsensstamme  harmonierten 


•M\  OS'l'HOFF 

uud  auf  ganz  natüilichein  wcge  zu  dieser  harmonie  gekommen 
waren,  nemlich  weil  ja  in  der  ablautsreihe  ihrer  stammverba 
auch  zwischen  dem  präsensstamme  und  dem  partic.  praet.  keine 
difterenz  des  wurzelvocals stattfand:  so  wurden  nun  diese  ^efe««-, 
ahd.  ezzo  u.  s.  w.  die  Veranlassung,  dass  nach  ihrer  analogie 
auch  die  nomina  agentis  got.  vilva,  ags.  helle-hhica,  ags.  hverfa 
hveorfa  =  ahd.  rverho,  ahd.  hremo,  srvelgo,  trincho  u.  s.  w.  (s.  27  f.) 
mit  anlehnung  an  den  präsensstamm  sich  bildeten,  dass  bildungen 
wie  ags.  ge-hola,  ge-borga,  got.  ga-taura  hinfort  nicht  mehr  vorge- 
nommen wurden,  dass  den  archaistisch  werdenden  urd.  horan- 
und  noman-,  ahd.  proclio  die  jüngeren  heran-,  tieman-'*)  und 
prehho  sich  an  die  seite  drängten.  Dass  dieses  rechenexempel 
aber  richtig  ist,  beweist  schlagend  die  gegenprobe,  die  wir 
darauf  mit  einem  sehr  lehrreichen  beispiele  machen  können. 
Bei  dem  zu  dem  praeterito  -  praesens  got.  skal,  plur.  skulum 
gehörigen  nomen  agentis  urd.  ^Ao/aw-  'Schuldner'  war  ein  prae- 
sensstamm,  der  mit  seiner  lautgestalt,  seinem  wurzelvocale  e 
hätte  ansprach  machen  können,  nicht  vorhanden  oder  richtiger 
nicht  im  gebrauche.  Daher  hielt  sich  denn  auch  das  o  (got.  u) 
in  jenem  nomen  agentis,  uud  keine  der  altdeutschen  sprachen 
hat  anstalten  gemacht,  dasselbe  zu  verdrängen:  got.  skula,  ags. 
ge-scola,  alts.  skolo,  ahd.  scolo,  mhd.  ge-schol  schw.  m.,  gelt- 
schol,  selp-schol  (mhd.  wörterb.  112,  182  f.). 

Die  bisherige  Untersuchung  ergibt  uns  somit,  wenn  uns 
nicht  alles  täuscht,  das  sichere  resultat,  dass  unsere  a  priori 
geschöpfte  Vermutung  nach  allen  selten  hin  bestätigung  findet, 
dass  wirklich  die  mit  dem  alten  primären  suffixe  -an-  gebil- 
deten nomina  agentis  hinsichtlich  der  gestaltung  des  wurzel- 
vocales  ursprünglich  durchaus  mit  dem   durch  suffix  -ana-  ge- 


*)  Ich  habe  diese  und  andere  formen  der  kürze  halber  in  ihrer  ur- 
germanischen gestalt  augesetzt  und  sie  öfter  urdeutsch  genannt,  ohne 
damit  sagen  zu  wollen,  dass  sie  wirklich  der  gemeingermanischen  zeit 
entstammen.  Im  gegenteil  ist  es  nach  dem  oben  entwickelten  nunmehr 
durchaus  wahrscheinlich,  dass  nur  hör  an-  und  noman-  als  die  urgerma- 
nischen  formen  dieser  nomina  agentis  zu  gelten  haben,  und  dass  das 
altnordische  mit  seinen  compositis  auf-  heri  und  das  althochd.  mit  seinen 
horno-pero,  öde- her o  selbständig  und  beide  unabhängig  von  einander 
zu  der  form  heran-  gelangten,  sowie  auch  dass  ahd.  nemo  eine  specifisch 
althochdeutsche  neuschöpfung  zu  dem  gemeingerman.  alten  noman-  sei. 


N  -  DECLINATION.  3 1 

bildeten  particip.  pract.  ihrer  stamniveiba  giengen.  Insofeiii 
als  mau  nun  anzuerkennen  hat,  dass  der  ablautsvocal  o  (got.  u) 
in  ö- wurzeln  eine  stärkere  schwäehungsstufe  als  das  e  (got.  i) 
in  denselben  «-wurzeln  sei*),  insofern  kann  man  die  gefundene 
regel  allerdings  auch  ganz  in  der  fassung  stehen  lassen,  in 
welcher  sie  Amelung  aufgestellt  hat:  'die  aus  stark  conjugie- 
renden  verben  abgeleiteten  männlichen  nomina  agentis  auf  -an- 
zeigen ganz  regelmässig  den  schwächsten  unter  denjenigen 
vocalen,  die  in  den  tempusstämmen  des  verbums  zum  vor- 
sehein kommen.'  Der  grund  aber  für  dies  zusammengehen  des 
uomen  agentis  mit  dem  partic.  praet  auch  in  diesem  punkte, 
im  punkte  der  wurzelvocalisation,  ist,  wie  ich  hier  widerhole, 
kein  anderer  als  die  bei  beiden  ursprünglich  herschende  gleich- 
artige betonung  der  suffixsilbe,  hier  -anä-,  dort  -ein-. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  dritten  punkte,  dessen  er- 
örterung  wir  uns  vorgenommen  hatten  (oben  s.  11),  zur  ermit- 
telung  der  ursprünglichsten  declination  der  primären  -«n-bil- 
dungen  in  der  indogermanischen  grundsprache  und  zur  fest- 
stellung  der  im  leben  der  einzelnen  sprachen,  speciell  des  ger- 
manischen, allmälich  vorgegangenen  Veränderungen  und  Umge- 
staltungen der  alten  -  «/i  -  declination. 

Da  auch  im  ältesten  sanskrit,  wie  wir  schon  andeuteten 
(oben  s.  13.  17),  die  häufigere  betonung  der  mit  primärem  suffixe 
-an-  gebildeten  nomina  die  war,  dass  der  accent  nicht  auf  der 
Wurzelsilbe  zu  ruhen  pflegte,  so  müssen  war  ein  paradigma 
wählen,  bei  welchem  auch  diese  betonung  tatsächlich  im  sans- 
krit herscht  (also  keins  der  Wörter,  welche  eine  ausnähme  von 
der  gefundenen  accentregel  machen),  am  besten  das  paradigma 
indog.  uksim-  'ochse'.  Betreffs  der  auszuwählenden  casusformeu 
aber  dürfen  wir  uns  auf  die  in  den  meisten  sprachen  überein- 
stimmend in  ihrer  eigenen  form  erhaltenen  casus  nom.,  gen., 
loc.  (dat.),  acc.  sing,  und  plur.  beschränken,  um  so  mehr,  da 
sich  an  eben  diesen  alles  zu  zeigende  zur  genüge  zeigen  lässt. 
Den   sanskritacceut   aber   nehmen   wir    unbedenklich    als   den 


*)  Vergl.  über  diese  frage  die  neuerdings  vorgetragenen  beachtena- 
werten  auseinanderaetzungen  und  neuen  gesichtspunkte  von  K.  Yerner 
in  seinem  artikel  'zur  ablautsfrage \  zeitschr.  f.  vergl.  sprachf.  XXUl, 
131  ff. 


32  OSTIIOFF 

indog:ernianiachen  in  unsere  paradiymcnformen  mit  auf;  denn 
dass  er  wirklich  im  ganzen  und  grossen  auch  der  proetlinische 
accent  war,  das  dürfte  wol  eine  tatsache  sein,  an  welcher  nach 
den  neuesten  einsehneidenden  Untersuchungen  Karl  Verners 
keine  zweifei  mehr  gestattet  sind. 

Im  indogermanischen  declinierte  der  nominalstamm  uksän- 
in  nachstehender  weise: 

sing.  nom.  uks'Ä'n{-s)        plur.  nom.  uks(m-as 
gen.  uksm-äs  gen.  uksan-ajn 

loc.  uksan-l  dat.  uksa-hhjänu 

acc.  uksfm-am.  acc.  uksan-ds  (europ.  nksA7i-as)\ 

und  die  auf  dieselbe  w'eise  mit  suff.  -au-  gebildeten  ueutra, 
z.  b.  indog.  vaddn-  'wasser'  stimmten  in  den  mit  dem  mascu- 
linum  gemeinsamen  casusformeu  —  auf  die  übrigen  kommt  es 
liier  nicht  an  —  ganz  mit  der  decliuation  von  uksän-  übereiu ; 
also : 

sing.  gen.  vadan-ds  plur.  gen.  vadan-am 

loc.  vadan-i  dat.  vada-hhjdms. 

Welche  entwickelungen  an  den  formen  dieses  paradigmas 
in  grauer  vorzeit  gleichsam  im  keime  schlummerten,  das  habe 
ich  am  einfachsten  sogleich  durch  den  druck  kennzeichnen  zu 
müssen  geglaubt.  Das  kleine  «  bezeichnet  den  suffixvocal, 
welcher 

1)  zwar  sich  rein  erhalten  kann,  als  «;  aber  auch  zufolge 
seiner  Stellung  in  der  tieftouigsten,  de*'  iler  accentsilbe  unmittel- 
bar vorhergehenden  wortsiibe, 

2)  in  eine  Schwächung  ausweicht;  endlich 

3)  ganz  ausfallen  kann. 

Das  fett  gedruckte  «a  dagegen  bezeichnet  denselben  suffix- 
vocal in  denjenigen  lagen,  wo  er 

1)  zwar  unverändert,  als  reines  kurzes  «,  bleibt, 

2)  aber  auch  teils  durch  den  eintiuss  des  darauf  ruhen- 
den wortaccentes ,  teils  durch  die  Wirkung  des  nasalklauges 
des  nachfolgenden  w  (Job.  Schmidt,  z.  gesch.  d.  indog.  vocal. 
I,  39  f.)  dehnung  zu  ä  erfährt. 

Der  kürze  halber  werde  ich  diese  fünf  verschiedenen 
stufen,  welche  das  a  des  suffixes  -an-  in  der  deelination  durch- 
laufen kann ,   im  folgenden   durch   die  typen  «  ^,  « -,  « ^^  a  ^,  a  - 


N-DECLINATION.  33 

darstellen.  Die  stufen  « '  und  ji "  sind  quantitativ  nicht  ver- 
schieden: selbstverständlich,  da  sie  die  ausgangspunkte  des 
ursprünglich  einheitlichen  a  nach  beiden  selten  der  eutwicke- 
lung,  einerseits  bis  zur  Schwächung  («-)  und  zum  schwund  (a^), 
andererseits  bis  zur  dehnung  (a-j  hin,  bezeichnen. 

Sehen  wir  nach  diesen  einleitenden  und  orientierenden 
theoretischen  bemerkuugen  nun  zu,  Avas  die  praxis  dazu  sagt, 
in  welcher  weise  die  verschiedenen  entwickelungsstufen  an 
unseren  -«w- stammen  in  den  einzelnen  sprachen  sich  dar- 
stellen. 

Das  spätere,  classische  sanskrit  mit  seinem  zum  vollen 
System  ausgebildeten  'kanon'  der  sogenannten  starken  und 
schwachen  casus  (wie  ihn  Delbrück  passend  genannt  hat)  zeigt 
uns  von  allen  hier  möglichen  entwickelungen  in  der  regel  die 
extreme,  d.  h.  die  stufen  a-*  und  a-.  Daher  die  casusformen: 
gen.  sing,  akshn-ds,  ucln-ä.s,  loc.  ukshn-l,  udn-'i,  gen.  plur. 
%ikslin-äm,  udn-am,  aber  acc.  sing,  ukshän-am,  nom.  plur. 
uksliän-m.  Aber  dass  dies  alles  erst  allmälich  und  im  laufe 
der  zeit  so  consequent  geworden,  nicht  von  allem  anfange  au 
so  fest  ausgeprägt  war,  das  beweisen  die  vielen  Schwankungen 
namentlich  der  älteren,  der  vedischen  spräche;  Schwankungen 
nemlich  vor  allen  dingen  zwischen  dem  a  und  dessen  dehnung 
in  den  starken  casus,  also  zwischen  den  stufen  a*  und  a-^. 
Vergl.  zum  beweise  dessen  den  vedischen  acc.  sing,  ukshän-am 
mit  dem  späteren  ukshan-am,  den  nom.  plur.  ved.  ukshdn-as 
mit  dem  clsiss.- ssiuskr.  ukshan-as  (Benfey,  vollständ.  sanskrit- 
gramm.  s.  331,  III,  i).  Der  stamm  püshän-  hat  immerfort  im 
sanskrit  sein  kurzes  a  in  den  starken  casus,  also  die  stufe  a*, 
bewahrt  (Bopp,  krit.  gramm.  d.  sanskritaspr.^  §  193);  jedoch 
belegt  das  Petersb.  wörterb.  einmal  auch  den  acc.  sing,  püshän- 
um.  Alles  dies  und  noch  anderes  der  art  hier  nicht  genanntes 
beweist,  dass  der  Wechsel  zwischen  a^  und  a-  im  sanskrit  be- 
sonders in  der  älteren  spräche,  aber  nicht  nur  in  dieser,  immer- 
fort ein  facultativer  von  hau.--e  aus  war  und  teilweise  auch 
verblieb,  was  ja  auch  hinlänglich  bekannt  ist. 

Andererseits  gewinnen  wir  durch  die  metrik  der  vedischen 
lieder  auch  sichere  aufschlüsse  darüber,  dass  in  den  schwächsten 
casus  der  -an -stamme  das  in  der  schrift  erloschene  a  des  suf- 
iixes   noch   häufiger    als    silbe   bildend    gelten   muss.     So   gibt 

Beiträge  zur  geschieht^  der  deutschen  spräche.    111.  3 


:m  osthoff 

GrassiLianu ,  wörterb.  z.  rgv.  sp.  ;l(>17,  725.  1158  un,  dass  die 
ini<tr.  8ing. /?/«/««-«',  nä'mn-d,  rajn-d  an  den  stellen  rgv.  IV  2,  1. 
X6,  7.  X77,  8.  X97,  22  dreisilbii;',  als  mahan-ä ,  na  man- ä, 
räjan-d  zu  lesen  seien.  Hier  treffen  wir  somit  den  suffixvocal 
noch  anf  einer  Vorstufe  vor  seinem  völligen  späteren  Schwunde 
an:  mahn-ä  ist  =  mahan-a.  Ol)  diese  Vorstufe  aber  unsere 
stufe  « 1,  das  noch  rein  gesprochene  a ,  oder  bereits  die  Schwä- 
chung' « -  in  der  indischen  ausspräche  gewesen  sei,  lässt  sich 
natürlich  nicht  entscheiden.  —  Ueber  die  Wurzelbetonung  in 
nämn-ä,  räjn-d  handeln  wir  liernach. 

Der  nom.  sing,  masc,  da  er  bekanntlich  durch  frühzeitig 
eintretende  ersatzdehnung  zu  langem  a  gelangte,  bedarf  wegen 
dieser  exceptionellen  Stellung  keiner  weiteren  besonderen  be- 
merk ung,  wol  aber  bedürfen  einer  solchen  drei  andere  casus, 
der  loc.  sing.,  acc.  plur.  und  dat.  plur. 

Wenn  im  loc.  sing,  neben  einander  galten  sowol  skr. 
ukshn-i  als  auch  ukshdn-i  (vergl.  Max  Müller,  sanskrit  grammar 
for  beginn.2  §  191,  s.  *87.  §  201,  s.  91),  so  ist  wol  daraus  zu 
schliessen,  dass  dieser  casus  im  sanskrit  wenigstens  noch 
keine  ganz  feste  Stellung  in  dem  System  der  starken  und 
schwachen  casus  gewonnen  hatte.  Das  locativsuffix  -/  erfor- 
derte noch  nicht  durchweg  die  oxytonierung,  wenngleich  diese 
doch  schon  überwiegend  herschte.  In  dem  falle  nkshän-i  aber 
muss  der  locativ  offenbar  zu  den  starken  casus  gerechnet  wer- 
den und  der  suffixvocal  befindet  sich  alsdann  auf  unserer  stufe 
a  i,  von  der  er  sich  wol  deshalb  nicht  herunter,  nicht  auf  stufe 
a-  nemlich,  wagen  mochte,  um  sich  von  der  nebenliegenden 
und  allmälich  im  sprachgebrauche  das  übergewicht  erlangenden 
schwesterform  ukshn-l  nicht  noch  weiter  zu  entfernen.  Es  ist 
aber  dabei  nicht  ausser  acht  zu  lassen,  dass  eben  diese  loca- 
tive  auf  -än-i  statt  -n-l,  wie  udän-l  und  andere,  dem  veda- 
dialect  geläufig,  eben  auch  im  veda  selbst  die  eigentümlichen 
als  locative  gebrauchten  formen  auf  -an,  also  dem  reinen 
stamme  gleiche  formen,  z.  b.  udän  rgv.  I,  104.  3,  ferner 
mürdlidn,  drslum  und  andere,  neben  sich  haben.  Vielleicht 
waren  es  auch  nur  diese  letzteren  formen,  welche  eine  aus- 
weichung  des  alten  regelrecht  zu  erwartenden  iidn-i  in  udän-i 
bewiikten,  so  nemlich  dass  sich  an  die  locativform  udän  noch 
das  -i  von  udn-i  anfügte.    Wie   es   aber  auch  immer   um  die 


N-DECLINATION.  H5 

erklärung  dieser  specifisch  sanskritischen  eigentiimlichkeit  stehen 
mag  —  sie  ist  dieselbe  wie  im  locativ  der  -tor- stamme,  skr. 
pitär-i  gegenüber  gr.  jihtq-i  ,  got.  fadr{-i)  (Bopp,  vergl.  accen- 
tuationssvst.  s.  24)  — :  dass  sie  eine  solche  besonderheit  der 
sanskritsprache  ist  und  dass  für  die  übrigen  sprachen  (vergl. 
selbst  das  abaktr.  ac)t-l  loc.  von  acan-)  eine  dem  ukshn-i  udn-i 
entsprechende  locativform  als  die  älteste  vorausgesetzt  werden 
muss,  wird  nicht  wol  zu  bezweifeln  sein. 

Etwas  anders  scheint  mir  die  sache  mit  dem  acc.  plur. 
masc,  (fem.)  zu  liegen.  Die  sanskritgrammatik  stellt  bekannt- 
lich die  regel  auf,  dieser  casus  sei  bei  den  geschlechtigen  Sub- 
stantiven, bei  masc.  und  fem.,  in  ansehung  der  betonung  als 
starker,  in  formaler  beziehung  als  schwacher  casus  zu  be- 
trachten. Vergl.  Bopp,  krit.  gramm.  ^  §  175,  s.  119.  Da 
die  in  den  verschiedenen  casus  variierende  wortbetonung, 
meiner  Überzeugung  nach  und  wie  aus  der  ganzen  folgen- 
den darstellung  hervorgehen  wird,  das  eigentliche  agens 
gewesen  ist,  welches  den  ganzen  unterschied  starker  und 
schwacher  Stammformen  ursprünglich  hervorgerufen  hat,  so  ist 
es  an  und  für  sich  ein  unding  zu  nennen,  dass  ein  casus 
seiner  accentuation  nach  zu  den  starken,  seiner  themaform 
nach  zu  den  schwachen  zu  zählen  sei.  Auch  gibt  es  genug 
nomiua  im  sanskrit,  welche  einen  offenbaren  einklang  der  bei- 
den in  betracht  kommenden  momente  im  acc.  plur.,  d.  i.  schwache 
Stammform  bei  gleichzeitiger  oxytonierung  des  casussuffixes 
zeigen,  und  welche  alle  man  nun  als  ausnahmen  von  der 
obigen  regel  aufführen  muss.  Solche  acc.  plur.  sind  die  skr. 
ap-äs  'gewässer',  dat-äs  'zahne',  div-äs  'himmel',  pad-äs  'füsse', 
putns-äs  'männer',  path-äs  'wege',  math-äs  'rührstäbe'  im  ver- 
gleich zu  den  starkformigen  und  nicht  oxytonierten  nom.  plur. 
ap-as,  *däni-as,  dijav-as,  pad-as,  pümäms-as,  pänthan-as, 
mänthän-as.  Zu  ihnen  gehören  ferner  die  acc.  plur.  aller  so 
wie  tuddnt-  tudat-  flectierenden  und  accentuierenden  participia 
praes.:  acc.  plur.  tudal-äs,  aber  nom.  plur.  tudänt-as,  acc.  plur. 
hrhal-äs,  mahat-äs ,  aber  nom.  plur.  brhänt-as,  mahänt-as  (stufe 
a^);  ferner  solche  wie  yqü.  prafic-äs ,  anüc-äs  (rgv.  III,  30.  0) 
neben  den  nominativen  jtratyänc-as ,  anväiic-as.  Im  accent 
stimmen  auch  noch  als  oxytoua,  ohne  eine  geschwächte  oder 
andere  themagestalt  als   der  nom.  plur.    zu  gründe  legen   zu 

3* 


36  OSTHOFF 

können,  die  acc.  plur.  >c(l.  (hir- äs  'thürcn',  nic-f/s  'näelite', 
mds-üs  'niondc,  nionate',  rdij-äs  \u'iiter,  reiehtünier',  hrd-ds  von 
lird- 11.  'herz'  im  schlussgliede  eines  geschleclitigen  compositums, 
z.  b.  su-hrd-as  acc.  plur.  ne])en  su-hr'd-as  nom.  plur.  Vergl.Bopp, 
krit.  gramm;*  §  175,  anm.  3,  s.  1'21;  §  179,  s.  123  f.;  §  185,  s.  127. 
Max  Müller,  sanskrit.  gramm.  for  beginn.-  §§  181.  182.  185.  186. 
Dass  alle  diese  beispiele  der  ursprünglichen  regel  folgen,  ist  mir 
gar  nicht  zweifelhaft.  Stehen  wir  hier  vor  der  frage,  ob  die  acc. 
plur.  skr.  väc-as  =  gr.  ox-ac  und  gr.  .Trod -«>-•,  oder  etwa  der 
acc.  plur.  sauskr.  päd- äs  seinen  accent  verschoben  habe,  so  ent- 
scheiden wir  uns  unbedenklich  zu  Ungunsten  der  ersteren  for- 
men, der  m'«;-«*^^  oji-aq,  :!r6d-cu.  Die  ganze  neigung  unserer 
si)rachen  geht,  wie  wir  unten  näher  sehen  werden,  zu  allen 
Zeiten  und  in  den  verschiedensten  Sprachperioden  unverkennbar 
dahin,  den  hochton  von  den  endsilben,  wenn  er  auf  diesen  ur- 
sprünglich stand,  zu  entfernen.  Darum  hat  a  priori  immer, 
wenn  zwei  verschiedene  accentuationen  einer  und  derselben 
wortform,  sei  es  in  derselben  spräche  oder  in  zweien  verschie- 
denen sprachen  neben  einander  liegen,  wie  z.  b.  eben  in  dem 
falle  skr.  pad-äs  gegenüber  gr.  jidö-ag  —  es  hat  alsdann  im 
allgemeinen  immer  die  oxytonierte  form  den  g:rösseren  anspruch 
auf  altertümlichkeit.  Sichere  beispiele  von  accentzurückziehun- 
gen  auch  im  sanskrit  werden  uns  alsbald  mehrere  begegnen. 
Der  acc.  plur.  gehörte  also  von  hause  aus  entschieden  zu 
den  schwachen  casus.  Und  der  individuelle  grund,  w^arum 
gerade  dieser  casus  frühzeitiger  als  die  übrigen  ebenfalls 
schwachen  das  bestreben  zeigt,  den  früheren  accent  aufzugeben, 
ist  nicht  schwer  zu  finden:  auf  die  formale  angleichung  an 
den  nom.  plur.,  seinen  nächsten  casusbruder,  zielte  der  acc. 
plur.  hin,  und  die  spräche  trachtete  darnach,  ein  ebenmass  her- 
zustellen zwischen  dem  Verhältnis  des  nomin.  und  acc.  im  plural 
und  dem  des  nomin.  und  acc.  im  Singular,  welche  letzteren 
beide  starkformig  von  jeher  waren.  Daher  gr.  ji6d-aq  aus 
*jtod-ä<;  =  skr.  pad-äs,  daher  skr.  vä'c-as  aus  *y«c-«^,  weil 
die  acc.  sing.  Jt66-a,  väc-am  zu  dieser  Veränderung  aufforderten, 
weil  z.  b.  im  griechischen  die  abwechselung  in  der  betonung 
der  singularcasus  jtoö-o^,  jroö-i  und  .Tod-a  im  plural  gleichsam 
von  selbst  die  herstellung  einer  Symmetrie  jrud-ojr,  jro-ol  und 
jc66-ag  nahe  legte.    Nähme  man   einmal   an,   gr.  jiod-uq   und 


N-DECLINATION.  37 

skr.* päd -as  sei  die  ursprünglichere  betonung,  so  wäre  eben  gar 
nicht  einzusehen,  wie  die  sanskr'itsprache  dazu  veranlasst  wor- 
den sei,  die  bestehende  eintracht  mit  der  accentuation  des  nom. 
plui-.  skr.  pd'd-as  je  zu  trüben;  denn  allerwärts  in  der  spä- 
teren sprachengescliichte  treffen  wir  nur  auf  versuche,  diese 
beiden  sich  so  nahe  stehenden  casus  formal  an  einander  zu 
assimilieren,  niemals  auf  solche,  dieselben  zu  differenzieren. 
Diesen  hergang  beweist  auch  dasjenige  nomen  selbst,  welches 
wir  als  indogermanisches  paradigma  aufgestellt  haben,  mit 
seinem  acc.  plur.  im  sanskrit:  skr.  ukshdn-.  Während  von  dem 
masc.  mürdhäu-  im  rgveda  nur  erst  die  form  mürdlm-äs  als 
acc.  plur.  rgv.  IX  73,  1  (vergl.  Grassmann ,  wörterb.  sp.  1 053), 
ebenso  von  raj'an-  nur  erst  räjn-as  rgv.  VI  51,  4,  letzteres  in 
wenigstens  schwacher  form,  wenn  auch  mit  bereits  A^erschobe- 
nem  accent,  vorkommen:  liegen  in  demselben  rgveda  bereits 
neben  einander  als  acc.  plur.  ukshn-äs  und  ukshän-as  (vergl. 
das  Petersb.  wörterb.  und  Grassmann,  wörterb.  sp.  245):  jenes, 
ukshn-cts,  ist  die  ältere,  vom  nom.  plur.  noch  erheblich  ab- 
stehende, dieses,  ukshän-as  (rgv.  X  86,  13),  die  dem  nomin. 
ved.  ukshän-as  völlig  gleich  gemachte  form. 

War  dies  aber  das  Verhältnis  des  acc.  plur.  im  casus- 
system  der  indogermanischen  grundsprache,  so  müssen  wir 
doch  wol  anerkennen,  dass  das  europäische  bereits  davon  ab- 
gewichen sei  und  die  versuchte  annäherung  dieses  casus  an 
den  nom.  plur.  bereits  an  seinem  teile  frühzeitig  vollzogen 
habe.  Diejenigen  declinationen  nemlich,  welche  in  den  euro- 
päischen sprachen  den  alten  unterschied  starker  und  schwacher 
casus  wahrten,  zeigen  den  acc.  plur.  übereinstimmend  bereits 
unter  den  starken  casus;  z.  b.  das  griechische  in  jrartQ-aq, 
wofür  niemals  *  jcazQ-dg  oder  auch  *  jraTQ-aq  angetroffen  wird, 
und  ferner  auch  das  germanische  in  der  n-declination  bildet 
den  acc.  plur.  got.  auhsan-s,  der,  wie  im  weiteren  verlaufe  un- 
serer Untersuchung  sich  ergeben  wird,  unzweifelhaft  nur  auf 
eine  grundform  gerni.  *  uhskn-as  =  ved.  nksJiän-as,  nicht  auf 
ein  urgerm.  *  uhsan-äs  =  ved.  ukshn-äs  zurückgehen  kann.  So 
rechtfertigt  sich  unsere  ansetzung  einer  europäischen  Variante 
uksAn-as  neben  dem  indogerm.  ukson-äs  für  den  acc,  plur.  un- 
seres obigen  grundsprachlichen  paradigmas. 

Zwei  ganz  vereinzelte,   aber   auch   ganz  unsichere  spuren 


38  OSTHOFF 

von  der  früheren  stellnng*,  welche  der  acc.  plur.  im  casussystem 
der  consonantist'hen  declination  hatte,  werden  uns  auf  euro- 
päischem spraciiboden  gegen  den  schluss  unserer  ahhandhing 
in  den  griech.  7cvr-ac,  aQv-aq  entgegentreten.  Dagegen  sehe 
ich  in  einem  anderen  momente  eine  sicherere  hindeutung  dar- 
auf, dass  der  acc.  plur.  ursprünglich  sich  so  vom  nom.  plur. 
durch  seine  betonung  unterschied.  Dass  auch  bei  consonanti- 
schen  stammen  das  casussuffix  des  acc.  plur.  ursprünglich  -ans 
gewesen  sei,  ist  eine  noch  ziemlich  allgemein  geteilte  annähme 
an  der  wol  hauptsächlich  wegen  des  griech.  -aq  und  seiner 
lautlichen  Verschiedenheit  von  dem  nominativischen  -tc  festge- 
halten wird.  Mir  scheint  diese  annähme  unbegründet  zu  sein, 
denn  erstens  weist  nichts  im  sanskrit  mit  irgend  welcher 
Wahrscheinlichkeit  auf  die  frühere  geltung  des  -as  von  pad-äs, 
ap-f'is  u.  s.  w.  =  urspr.  -  üms  hin ,  im  sanskrit ,  wo  doch  der- 
gleichen spuren  durchaus  zu  erwarten  wären.  Zweitens  aber 
st  es  für  die  accus,  plur.  sämmtlicher  consonantischen  stamme 
im  gotischen,  also  für  die  formen  wie  auhsan-s,  yiusjand-s, 
menop-s ,  naht-s,  haurg-s ,  wenn  man  nicht  das  consonantische 
sovvol  wie  das  vocalische  auslautsgesetz  einfach  umstossen 
will,  geradezu  ein  ding  der  Unmöglichkeit,  den  rest  ihres  casus- 
suffixes,  das  -s,  aus  ursprünglichem  -ans  zu  deuten;  und  in 
allen  diesen  fällen  einfache  Übertragungen  der  formen  des  nom. 
plur.  anzunehmen  geht  eben  deswegen  nicht  au,  weil  sich  aus 
einer  doch  mit  der  sanskrit.  und  altbaktr.  übereinstimmenden 
grundform  -as  das  gotische  -.v  recht  wol  ableiten  lässt.  Auch 
der  litauische  acc.  \Am.  diikler-es  (Schleicher,  lit.  gramm.  §  87, 
s.  193)  duldet  unmöglich  eine  herleitung  aus  einer  grundform 
* dhughtar-a}is.  Wäre  es,  wie  gesagt,  nicht  dem  griech.  -ag 
von  ji66-a^  zu  liebe  geschehen,  so  würde  man  niemals  auf  die 
behauptung  einer  grundform  -ans  als  casussuffix  für  den  acc- 
plur.  consonantischer  stamme  verfallen  sein.  Dieses  griech.  -ac 
aber  lässt,  wie  mich  dünkt,  auch  recht  gut  eine  andere  erklä- 
rung  zu,  nemlich  folgende.  Der  annähme  einer  sehr  frühen, 
vielleicht  schon  gemein- europäischen  Schwächung  des  -as  des 
nom.  i)lur.  zu  -es  steht  von  keiner  seite  in  keiner  spräche 
etwas  im  wege.  Nimmt  man  nun  an,  dass  diese  Schwächung 
bereits  geschehen,  als  noch  eine  geraume  zeit  hinterdrein  der 
acc.  plur.  in  alter  weise  die   casusendung  betonte,  dass   man 


N-DECLINATION.  39 

also  im  urgriechischen  bereits  jrod-fc  oder  *  .Trad-cc  sprach,  als 
man  immer  noch  ^jtod-fic  oder  *jcaÖ-c(c  ])etoute,  und  dass 
dann  in  einer  folgenden  sprachperiode  die  acceutzuriickziehung 
im  accus,  plur.  geschah,  *jtod-ccc:  zu  jrod-ag  gemacht  ward  — 
nimmt  man  dies  an,  so  löst  sieh  das  rätsei  des  griech.  -ag  und 
seiner  Verschiedenheit  von  -tu  sehr  einfach:  das  -«c  des  acc. 
plur.  ist  ==  früherem  hochbetontem  -äs,  das  -tc  des  noni.  idur. 
=  früherem  immer  tieftonigem  -as. 

Bei  der  ausetzung  des  dat.  plur.  indog.  uks<i-hhjäms  end- 
lich bin  ich  allerdings  von  der  betommg  des  skr.  ukshä-bliyas 
abgewichen.  Ich  halte  nemlich  in  diesen  und  den  ihm  ähn- 
lichen casus  den  vorliegenden  überlieferten  sanskritaccent  nicht 
für  den  ursprünglichen,  was  ich  hier  nur  vorläufig  zur  Verstän- 
digung andeute,  weiter  unten  aber  ausführlicher  begründen 
werde. 

Nach  diesen  notwendig  vorherzuschickendeu  erörterungen 
über  die  form,  in  der  Avir  unser  indogermanisches  paradigma 
ansetzten,  wenden  Avir  uns  nunmehr  zur  betrachtung  der  thenia- 
veränderung  innerhalb  der  declination  von  uksän-. 

Wir  erklären  also,  wie  bereits  angedeutet  ward,  die  deh- 
uung  von  -an-  zu  -cm-  in  der  declination  unserer  nominalstämme, 
der  -««-Stämme,  aus  dem  zusammenwirken  zweier  factoren: 
erstens  des  auf  dem  suffixvocale  ruhenden  wortaccentes  und 
zweitens  der  einem  nachfolgenden  nasale  innewohnenden  fähig- 
keit,  vorhergehende  vocale  zu  dehnen.  Diese  Wirkung  der 
nasale  auf  die  vocalquantität  hat  Joh.  Schmidt,  z.  gesch.  d. 
indog.  vocal.  I,  39  f.  gerade  auch  mit  rücksicht  auf  unseren 
fall,  auf  die  ausbildung  der  starken  casus  der  -«m -declination 
im  sanskrit,  zu  erweisen  gesucht.  Ick  kann  nun  diesem  ge- 
lehrten in  seiner  behauptung,  dass  'selbst  ein  frei  zwischen 
vocalen  stehendes  n  leicht  ebenfalls  dehnung  bewirke',  nicht 
unbedingt  beistimmen,  glaube  aber  damit  der  eigenen  auf- 
fassung  Schmidts  im  princip  gar  nicht  fern  zu  stehen.  Schmidt 
selbst  erkennt  ja  widerholt,  besonders  vocal.  I,  166,  an,  dass 
der  einfache  zwischen  vocalen  stehende  nasal  die  gleiche  (hier 
vocalfärbende,  wir  glau1)en  aber  auch  hinzunehmen  zu  können: 
vocaldelinende)  kraft  nicht  hat,  'dass  sein  vocalischev  klang 
nur  in  anlehnuug  an  folgende  consonanten  sich  kraftvoll  zu 
entwickeln  pflegt.'    In  eben  denjenigen  fällen,  in  welchen  nach 


40  OSTHOFF 

Schmidt  ein  solcher  frei  zwif^chen  vocalen  stehender  nasal  jene 
Wirkung-  der  quantilätsxcränderung  zeigen  soll,  ist  meistenteils 
auch  der  andere  von  Scliniidt  noch  nicht  berücksichtigte  factor 
im  spiele:  der  auf  dem  betreffenden  vocale  ruhende  hochton-, 
wenige  abweichende  dürften  sich  leicht  als  analogiebilduugen 
zu  anderen  erklären.  Die  meisten  der  von  A.  Kuhn,  bcitr.  z. 
verg-l.  sprachf.  III,  465  ff.  für  diese  vocaldehnung  aus  dem 
rgveda  angeführten  beispiele,  auf  welche  Schmidt  sich  stützt, 
und  g-röstenteils  die  von  Schmidt  selbst  hinzugefügten  sind 
von  der  art,  dass  der  vor  dem  nasale  stehende  und  gedehnt 
werdende  vocal  zugleich  auch  der  träger  des  wortaccentes  ist: 
Jänu  aus  "^janu  =  yorv,  lat.  (/enu,  sanu  aus  '■^smiu,  nom.  plur. 
und  dual,  ksham-as  und  kshäm-ä  von  kshum-  ^erde'  =  gr.  yrQ^ov- 
gegenüber  dem  instr.  sing,  ksham-a,  auf  unsere  stufe  «',  dem 
abl.  gen.  sing,  kshm-äs,  auf  stufe  «^  befindlich;  ferner  die 
nach  Kuhn  als  jäna-,  jani-,  sUnili-,  sanitär-,  nr-münas-, 
mmiHS-,  mm  zu  lesenden  Jana-,  jäni-,  sänitl-,  sanitär-,  nr- 
manas-,  mänus-,  änu.  Dies  spricht  doch  wol  zunächst  dafür, 
dass  in  der  regel  der  hochtoii  als  wesentliches  moment  mit 
hinzukommen  muste,  wenn  einfache  nasale  in  einer  solchen 
Stellung,  ohne  von  einem  anderen  darauf  folgenden  consonan- 
tischen  laute  begleitet  zu  sein,  vocaldehnende  kraft  auszuüben 
im  Stande  sein  sollten. 

Aus  einem  anderen  gründe  aber  ergibt  sich  sogar,  dass 
in  der  tat  der  hochton  als  das  wesentlichere  der  beiden  zu- 
sammenwirkenden moment e  angesehen  werden  muss.  Denn 
unstreitig  ist  in  nicht  wenigen  anderen  fällen  der  hochton  es 
ganz  allein,  der  solche  Aocaldehnungen  im  sanskrit  hervorzu- 
bringen weiss:  in  päd-am,  pad-as,  päd-au  gegenüber  griech. 
jiö6-a,  :ji66-^q,  jroö-t  und  gegenüber  dem  eigenen  sanskr.  y^a^?- 
in  den  sonstigen  casus  pad-äs,  pad-i  u.  s.  w. ,  ferner  in  np-as 
nom.  plur.  'gewässer'  aus  *äp-as  kann  doch  dem  folgenden 
consonanten  als  explosivem  verschlusslaute  keine  mitwirkuug 
an  der  vocaldehnung  zuerkannt  werden.  Auf  alleinige  rech- 
nung  des  hochtons  ist  es  meiner  ansieht  nach  auch  zu  schrei- 
ben, wenn  das  sanskritische  perfectum  von  a -wurzeln  mit  ein- 
facher schliessender  consonanz  in  der  1.  und  3.  pers.  sing., 
hier  obligatorisch,  dort  facultativ,  gedehntes  wurzelhaftes  n 
griechischem  o  (in  Tt-rox-a,  xt'-x/o^c-rc),  germanischem  kurzem 


N-DECLINATION.  41 

a  (in  got.  sat,  hlaf  =  xt-xXo<p-a)  entgegenstellt:  pa-pac-üy 
pa-pät-a,  sa-sad-a  =  got.  sal  u.  s.  vv.,  nicht  etwa  bloss  ja-gäm-a 
=  got.  qam  vor  einem  nasal,  ha-bhär-a  =  got.  hnr  vor  einer 
liquida.  Aber  wenn  demnach  im  sanskrit  (und  im  altbaktri- 
schen,  das  hierin  meistens  zum  sanskrit  stimmt)  der  hocliton 
an  sicli,  wie  die  vorhergehenden  beispiele  unwiderleglich  zei- 
gen, vocaldehnende  kraft  ausübt,  so  ist  es  nicht  zu  verwun- 
dern, im  gegenteil  nur  sehr  natltrlich,  dass  er  vor  nasalen  und 
liquiden  (für  die  letzteren  vergl.  als  beispiele  skr.  daru  aus 
*  däru  =  gr.  6Öqv ,  dvnra-tn  aus  *dvära-in,  vd'ri  aus  '*väri, 
Id'r-as  2iM%'*{s)tär-as  u.  andere  allermeist  ebenso  vor  der  liquida 
hochbetonte  bei  Joh.  Schmidt,  vocal.  II,  241)  jene  kraft  ganz 
vorzugsweise  zu  betätigen  pflegt. 

Aber  wenn  wir  nun  bei  so  betonten  -a^i- stammen  wie 
ukskän-  und  udän-  allerdings  zwar  ganz  mit  unserer  theorie 
von  dem  Ursprünge  der  starken  und  der  schwachen  casus  aus- 
kommen, wie  werden  wir  mit  solchen  fertig,  welche  jene  be- 
tonung  nicht  haben,  mit  masculinis  wie  täkshan-,  vr'shan-, 
rajan-,  neutris  wie  ähmi-,  ü'dhan-  u.  a.?  Diese  flectieren  ganz 
so  wie  jene,  mit  derselben  regelmässigen  abwechselung  der 
einzelnen  casusformen  zwischen  den  stufen  a-  und  a^,  zeigen 
ebenfalls  in  der  älteren  spräche  dieselben  spuren  des  früheren 
-an-  anstatt  des  späteren  -an-  in  den  starken  casus,  also  ein 
nebeneinander  von  ved.  täkshan-am  und  takshdn-am,  vr'shan-am, 
vr'shan-as  und  vrshdn-am,  vr'shan-as,  und  bei  alledem  weicht 
der  aecent  nicht  von  seiner  stelle,  nicht  von  der  Wurzelsilbe. 
Die  richtige  antwort  auf  diese  frage  zu  finden  ist  dennoch  nicht 
schwer:  hier  hilft  uns,  wie  ich  gar  nicht  zweifle,  die  ana- 
logie  aus. 

Ich  zähle  im  rgvcda  mit  hilfe  des  treiflich  angelegten 
Grassmannschen  Wörterbuches  (sp.  1730)  au  masculinen  und 
neutralen  -aw- stammen  von  solcher  betonung  wie  ukshän-  und 
udan-  im  ganzen  18  beispiele.  Die  nur  als  Schlussglieder  von 
compositen  erscheinenden  -««-stamme  habe  ich  dabei  natürlich 
aus  dem  spiele  lassen  müssen,  da  composita  ihrer  eigenen  be- 
tonungsweise folgen.  Ferner  habe  ich  von  einigen  mir  nicht 
ganz  sicher  und  hinreichend  verbürgt  erscheinenden  -an-h\\- 
dungen,  die  Grassmann    mit  auttnhrt,   absehen  zu  müssen  ge- 


42  OSTHOFF 

glaubt.*)  Andererseits  ergeben  mir  die  Grassmannschen  Samm- 
lungen an  niasculinis  und  neutris  auf  -an-,  welche  der  beto- 
nung'sweisc  von  Inkshan-  und  ähan-  folgen,  sammt  einem  ein- 
zigen feraininum  (j/oshan-)  nnd  mit  hinzunahme  des  neutruras 
näm-an-,  das  ich  in  abweichung  von  Grassmann  für  einen 
-a«-8tamm,  keinen  -//?««- stamm  halte**),  im  ganzen  ein  con- 
tingent  von  nur  10  beispielen.  Das  numerische  Verhältnis  der 
dem  ältesten  sanskritdenkmal  angehörigen  einerseits  das  suffix, 
andererseits  die  wurzel  betonenden  nominalen  -ön-bildungen 
ist  also  unserer  annähme  durchaus  günstig.  Ich  trage  daher 
auch  gar  kein  bedenken ,  diese  annähme  nunmehr  dahin  zu 
formulieren,  dass  ich  sage:  nachdem  sich  zuerst  bei  solchen 
masciüinis  wie  ukshan-,  mürdhdn-,  püshdn-,  neutris  wie  uddn-, 
cirshdn-,  yakdn-  unter  dem  wesentlichen  einflusse  des  variie- 
renden, bald  auf  die  casusendung  bald  auf  die  suffixsilbe  tre- 
tenden wortaccentes  der  constante  unterschied  einer  geschwäch- 
ten und  einer  verstärkten  themaform  herausgebildet  hatte, 
schlössen  sich  alsdann  alle  übrigen  -«m- stamme,  die  mit  fest- 
bleibendem hochton  auf  der  Wurzelsilbe  nemlich,  masculina 
wie  tdkshan-,  vr'shan-,  neutra  wie  dhan-,  ndman-  schlichtweg 
an  die  analogie  jener  an,  und  so  entstand  der  ^kanon'  der 
starken  und  schwachen  casus  im  sanskrit. 

Dass  sich  ganz  der  nemliche  entwickelungsgang  auch  für 
die  -/«;•- stamme,  sowol  für  die  alten  verwantschaftswörter  als 
auch  die  nomina  agentis  mit  -kir-,  wahrscheinlich  machen 
lassen  wird,  ist  mir  an  meinem  teile  keinen  augenblick  zwei- 


*)  Solcher  art  sind  <;üshän-  und  ^maoä/i-.  Die  form  cüshäni  rgv.  X, 
93,  1  ist  infin.  aor.  von  (;ü-,  wie  sie  vom  Petersb.  wörterb.  unter  1.  <;ü- 
und  von  Grassmann  selbst  sp.  141 U  angesehen  wird.  Der  nom.  sing. 
cma(;.a  rgv.  X  1()5,  l  kann  auch  zu  einem  femininen  ^/- stamm  gehören; 
vergl.  Petersb.  wörterb.  VII,  .323  und  Grassmann  selbst  sp.  1415.  —  Die 
angäbe  der  betonung  vrshän-  in  Grassmanus  Verzeichnisse  beruht  auf 
einem  druckfehler. 

**)  An  die  immer  noch  nicht  aufgegebene  etymologie  naman-  von 
wurzel  gnä-  yi-yviö-axc»  vermag  ich  nicht  zu  glauben,  weit  eher  an  das, 
was  Windisch,  zeitschr.  f.  vergl.  sprachf.  XXI,  422  f.  dagegen  aufgestellt 
hat.  Fast  ist  man  versucht,  auf  jene  alte  etymologie,  die  sich  noch 
immer,  trotzdem  sie  allen  lautgesetzen  fast  jeder  spräche  höhn  spricht, 
eines  weit  verbreiteten  anseheus  erfreut,  das  wort  des  dichters  anzu- 
wenden: sie  erbe  sich  wie  eine  ewige  krankheit  fort. 


N-DECLINATION.  43 

felhaft.  Die  Verschiedenheit  in  der  gestaltung  des  Stammes 
zwischen  skr.  dat.  sing,  pitr-e,  mdtr-e,  duhifr-e,  ddtr-e,  instr. 
pilr-fX ,  mäfr-a ,  duhitr-ä ,  dCür-ä  und  ace.  pUar-am,  mdlar-am 
duhitär-am  (stufe  a^),  dätär-am  (stufe  a-,  vergl.  Joh.  Schmidt, 
z.  gesch.  d.  indog.  vocal.  I,  40.  II,  241),  zwischen  gr.  .naxQ-o^, 
jiarQ-i  und  acc.  jr«rf(>-a*),  got.  /'adi^{-a')s,  fadr{-f)  und  acc. 
fadar{-am)  findet  sicher  in  letzter  instanz  ihren  allein  zu- 
reichenden erklärungsgrund  an  dem  uralten  Wechsel  des  wort- 
accentes  in  diesen  casusformen.  Und  wenn  nun  skr.  bhraiar- 
und  svasar-  mit  ihren  casusformen  bhrätr-e,  svdsr-e,  bhrätr-ä, 
sva'sr-d  und  bhra  tar-um ,  svasdr-a?n  (stufe  a^)  sich  nicht  ebenso 
unmittelbar  rein  lautgesetzlich  erklären  lassen,  so  bedarf  es 
dessen  auch  gar  nicht :  der  bruder  und  die  Schwester  s-chlugen 
ohne  anstand  denselben  weg  ein,  auf  welchem  ihnen  vater  und 
rautter  und  auch  die  tochter  vorangiengen.  Ebenso  richtete 
sich  im  urdeutschen  und  gotischen  die  declination  von  bröpar- 
=  skr.  bhrätur-  unmittelbar  nach  dem  vorgange  der  stamme 
faddr-  =  skr.  pitu'r-  und  moddr-  =  skr.  nidtdr-  ein,  ohne 
sich  von  der  ursprünglichen  Verschiedenheit  der  accentverhält- 
nisse  an  diesem  anschlusse  hindern  zu  lassen.  Vergl.  Verner, 
zeitschr.  f.  vergl.  sprachf.  XXIII,  117. 

Derselbe  hergang  bei  der  ausbildung  des  'kanons'  der 
starken  und  schwachen  casus  lässt  sich  ferner  besonders  evi- 
dent an  der  declination  des  sanskritischen  präsensparti- 
cips  mit  suffix  -ant-,  in  den  schwachen  casus  -at-,  nach- 
weisen, Vergl.  darüber  Bopp,  krit.  gramni.'  §§  185.  528. 
Die  classe  III  der  specialtempora  mit  ihrem  participium 
kommt  nicht  in  betracht,  da  die  verba  dieser  classe,  im  prae- 
sens eine  reduplicationssilbe  annehmend,  eben  'wegen  dieser 
belastung  am  anfange  das  suftix  -at-  des  part.  praes.  act.  auch 
in  den  starken  casus  stets  in  seiner  geschwächten  form  zeigen, 

*J  Auch  das  >■  in  diesem  gr.  nuxiQa  beweist  wol,  dass  K.  Verner, 
zeitschr.  f.  vergl.  sprachf.  XXIIl ,  Uli  ff.  recht  haben  kann,  wenn  er 
meint,  das  gemeinsame  e  der  europäischen  sprachen  gegenüber  dem 
arischen  und  indogermanischen  a  könne  in  hochbetonten  siiben  wol 
eigentlich  durch  annähme  einer  tonerhöhung  zu  erklären  sein.  In  gr. 
nuTiQu  sowie  in  aar}  (leq  und  anderen  ist  in  dem  f  sicher  keine  Schwä- 
chung des  alten  a  zu  sehen :  der  hochton  stand  niemal.s  auf  einer  anderen 
silbe  als  auf  welcher  er  sich  immerfort  gehalten  hat. 


44  OSTHOFF 

daher  z.h.  dddat  6idovg,  dddatam  dtdovra.'  Boppebend.  §  186. 
Von  den  übrigen  neun  classen  aber  bilden  sechs,  die  classen 
II,  V,  VI,  Vll,  VllI,  IX,  die  starken  casus  ihres  particips  mit 
-auf-,  die  schwachen  mit  -af-  regelmässig  so,  dass  die  -ani- 
form  zugleich  immer  den  hochton  auf  diesem  -ant-  zeigt,  mit 
dem  eintritt  der  -«/-form  aber  ständig  zugleich  herabsinken 
des  accentes  auf  die  casusendung  stattfindet;  z.  b.  sing.  acc. 
tuddnt-am,  aber  gen.  abl.  tndat-ds-,  loc.  tudat-i,  dat.  tudaf-c, 
instr.  ludat-d,  dagegen  wider  plur.  nora.  tnddnt-as.  Das  ist 
so  weit  ein  rein  lautlicher  Vorgang  zu  nennen:  vor  den  den 
wortaccent  für  sich  fordernden  casussuffixen  verklingt  in  der 
unmittelbar  vorhergehenden  silbe,  weil  sie  tieftonig  wird,  der 
nasal  des  suffixes,  wie  ebenso  z.  b.  auch  in  skr.  pathi-  ^weg' 
aus  ^panlhi-  =  lat.  ponti-,  abulg.  pafi.  Diesen  regelmässig 
eintretenden  formenwechsel  empfindet  die  spräche  dann  als 
gesetz,  und  so  müssen  auch  diejenigen  participia  sich  ihm 
fügen,  welche  eine  lautliche  veranlassung  dazu  niclit  hatten, 
die  participia  der  classen  I,  IV,  X;  daher  z.  b.  sing.  acc. 
hhdrant-am  neben  gleich  betontem  gen.  abl.  hhdrat-as ,  loc. 
hhdrat-i  u.  s.  w.  —  Ueber  die  formen  mit  den  consonantisch 
anlautenden  casussuffixen,  welche  vorläufig  dieser  theorie  zu 
widersprechen  scheinen,  da  sie  auch  in  hochbetonter  suffixsilbe 
nicht  -ant-,  sondern  die  Schwächung  -at-  zeigen:  tuddd-hhis, 
ludd d-hhijas ,  tuddd-hhyäm,  tuddt-su,  über  diese  wird  weiter 
unten  die  rede  sein. 

Bei  den  noch  übrigen  nominalsuffixen  des  sanskrit,  bei 
-man-  {-?ndn-)  und  -van-  {-van-),  -man/-  {-mut-)  und  -vant-  {-vat-) 
z.  b.  und  bei  dem  suffix  der  partic.  perf.  act.  -vams-  {-väms-, 
-ush-,  -vat-),  und  der  comparative  -yams-  {-lyäms-,  -iyas-)  die 
ausbildung  des  'kanons'  in  derselben  eingehenden  weise  ein- 
zeln zu  erörtern,  würde  mich  hier  viel  zu  weit  führen.  Es  be- 
darf dessen  auch  gar  nicht.  Denn  angenommen  selbst  den 
ungünstigsten  fall,  wir  vermöchten  nicht  bei  jedem  einzelnen 
dieser  suffixe  eine  hinreichend  grosse  anzahl  solcher  stamme 
aufzuweisen,  bei  welchen  sich  der  Wechsel  zwischen  der  star- 
ken (verstärkten)  und  der  schwachen  (geschwächten)  Stamm- 
form auf  rein  lautgesetzlichem  wege  erklärt:  so  würde  das 
immer  noch  nicht  durchaus  unsere  sache  gefährden.  Es  können 
ja  doch,    wie   mir  jeder   für   das  wirken  der  analogie   in  der 


N-DECLINATION.  45 

sprachentwickeliiuy  sinn  und  Verständnis  habende  mitforscher 
bereitwillig  zugeben  wird,  es  können  die  mit  den  suffixen 
-man-  und  -van-  gebildeten  nomina  sich  einfach  nach  der  decli- 
uatiou  der  reinen  -aw- stamme  gerichtet  haben,  nachdem  bei 
diesen  der  unterschied  zwischen  starken  und  schwachen  casus 
als  flexionsgesetz  zum  durchbruch  gekommen  war;  es  können 
ferner  auch  nach  dem  unmittelbaren  nuister  der  participialen 
-««^-stamme  sowol  die  -mant-  als  die  -mw^- stamme  ihr  decli- 
natiousparadigma  geformt  haben.  Der  ungünstigste  fall,  den 
wir  angenommen  haben,  tritt  ja  wol  bei  dem  comparativsut^xe 
skr.  -hjams-  ein,  da  die  mit  diesem  gebildeten  comparative,  wie 
bekannt  (vergl.  Bopp,  krit.  gramm.^  §  226 j,  regelmcässig  den 
ton  so  weit  wie  möglich  zurückzuschieben,  auf  die  erste  silbe 
des  Stammwortes  zu  verlegen  pflegten.  Aber  gerade  bei  diesen 
bildungen  mit  -yämn-  kann  die  analogie  der  participia  perf. 
act.  mit  -va/ns-,  von  denen  ich  aus  sogleich  anzugebenden 
gründen  nicht  zweifle,  dass  sie  auf  dem  wege  acht  lautgesetz- 
licher entwückeluug  zu  der  Unterscheidung  starker  und  schwacher 
Stammformen  gekommen  sind,  massgebend  gewesen  sein.  Die 
ähnlichkeit  aller  der  fälle,  in  welchen  überhaupt  im  sanskrit 
der  kanon  der  starken  und  schwachen  casus  sich  festgesetzt 
hat,  liegt  ja  überdies  auf  der  band.  In  allen  ist  ja  die  affi- 
cierte,  sei  es  geschwächte,  sei  es  verstärkte  suföxsilbe  auch 
wirklich  von  der  art,  dass  sie  lautgesetzlich  schwächbar  oder 
verstärkungsfähig-  war:  sintemal  in  den  meisten  der  fälle  die 
nasalis  n  als  zur  vocaldehnung  oder  auch  andererseits  zum 
verklingen  fähiger  laut,  in  einem,  bei  suff.  -iar-,  die  suffixale 
liquida  r,  bekanntlich  ein  ebenfalls  zur  dehnung  vorhergehen- 
der vocale  geeigneter  laut,  im  spiele  war. 

Eine  consequenz,  von  der  man  nach  allem  vorhergehenden 
erwarten  muss,  dass  ich  sie  zu  ziehen  verpflichtet  sei,  ist  fol- 
gende. Hat  sieh,  wie  ich  behaupte,  der  spätere  durchgreifende 
unterschied  starker  und  schwacher  casus  anfänglich  so  ent- 
wickelt, dass  er  bei  den  die  suffixsilbe  betonenden  nominal- 
stämmen  zuerst  rein  lautgesetzlich  eintrat,  so  müssen,  wenig- 
stens bei  eben  diesen  stammen,  alle  diejenigen  casus,  welche 
eine  geschwächte  form  des  stummes  zu  gründe  legen,  ur- 
sprünglich stets  die  endung  betont  haben.  Zu  dieser  conse- 
quenz verstehe  ich  mich  aber  auch.    Das  gesetz,  das  im  grie- 


46  OSIUOFF* 

chisülieu  die  einsilbler  (jrod-6c,  jTod-i ,  Jind-a"))')  und  nicht 
bloss  diese,  sondern  auch  die  r-stäuinie  der  verwantschafts- 
wörter  {jtc(tq-Öq  .  TtcrQ-i ,  d  vyazQ-oc ,  -ßv/arit-i),  ferner  ver- 
einzelte andere  (yiunux-og ,  yiwaix-i,  yvraix-cöv)  gewahrt 
haben,  eben  dieses  gesetz  werden  wir  durch  die  treue  Über- 
einstimmung des  griechischen  mit  dem  sanskrit  als  das  beto- 
nungsgesetz  dieser  casus  in  der  Ursprache  anzusehen  vollauf 
berechtigt  sein.  Also  die  casussuffixe  iudog.  -as  (gen.  sing.), 
-/  (loc.  sing.),  -ui  (dat.  sing.),  -ä  (instr.  sing.),  -am  (gen.  plur.), 
und  dazu  -as  (acc.  plur.)  pflegten  im  indogermanischen,  wie 
wir  zuversichtlich  zu  behaupten  wagen,  beim  antritt  an  oxy- 
tonierte  consonantisch  auslautende  nominalthemen  —  weiter  ver- 
allgemeinern wir  unsere  beobachtung  einstweilen  noch  nicht*) 
—  regelmässig  den  wortaccent  auf  sich  herabzuziehen. 

Die  richtigkeit  unserer  annähme  von  der  ehemaligen  exi- 
stenz  eines  solchen  betonungsgesetzes  bestätigt  zum  überfluss 
auch  noch  das  litauische  mit  der  betonung  der  ihm  gebliebenen 
reste  consonantischer  declination.  Von  dem  stamme  lit.  ahnen-, 
nom.  sing,  akmu ,  =  skr.  acma'n-  (Petersb.  wörterb.  I,  516) 
lautet  der  gen.  plur.  akmen-ü  =  indog.  '*akman-am.  Der  gen. 
sing,  aktnhi-s  weist  nach  speciell  litauischen  betonungsgesetzeu 
auf  eine  grundform  indog.  * aknmi-äs  zurück,  während  dem 
gegenüber  der  nom.  plur.  nkmen-s  ebenso  regelrecht  einer  grund- 
form indog.  *  akmkn-as,  skr.  acmä'n-as  (stufe  a^)  entspricht. 
Ebenso  ist  von  lit.  vandfi ,  stamm  vanden-  =  skr.  uda'n-,   der 


*)  Lediglich  aus  vorsieht  habe  ich  oben  im  texte  mehrfach  an- 
schlüsse  baiytonierter  nominalstämme  an  die  analogie  und  declination 
der  oxytonierten  angenommen.  Ich  möchte  aber  schon  jetzt  nicht  zwei- 
feln, das8  sich  bei  weiter  dringender  erforschung  dieser  frage  diese  an- 
nähme als  überflüssig  erweisen  wird.  Man  wird,  wie  mir  wenigstens  wahr- 
scheinlich ist,  sagen  dürfen:  überhaupt  zogen  ursprünglich  die  casus- 
suffixe der  schwächsten  casus  regelmässig  den  wortaccent  auf  sich,  auch 
beim  antritt  an  nicht  oxytonierte,  consonantisch  auslautende  nominal- 
themen. Auch  die  gen.  sing,  namn-as,  bhärat-as,  svadhjas-as  werden 
früher  *  nämn-ds,  *hharat-äs ,  *  svädlyas  -  as  betont  gewesen  sein.  Wie 
diese  stamme  viel  eher  dazu  kommen  konnten,  das  alte  betonungsver- 
hältnis  aufzuheben  und  in  den  schwachen  casus  gemäss  der  analogie 
der  starken  formen  der  Wurzelsilbe  den  hochton  zurückzugeben:  das 
wird  alsbald  der  weitere  verlauf  unserer  obigen  daratellung  einleuchtend 
machen. 


N-DECLINATION.  47 

gen.  smg.  vanden-s  =  im\og.'^vadan-as,  nkr.  udn-o!s  (stufe  o'). 
Ebenso  sind  ferner  bei  den  verwantschaftswörteru  die  gen.  plur. 
lit.  moter-ü,  dukter-n  =  indog.  -^  mähr -am,  *  dJmghtar-am,  die 
gen.  sing",  moter-s,  dukter-s  =  indog.  *  mä(ar-as,  *dhughtar-as^ 
gr.  fir/TQ-ög,  f^vyaxQ-oq  (stufe  «*);  aber  der  nom.  plur.  lit. 
möter-s,  dukter-s  =  iudog.  */wä^är-a^,  *  dhughtkr-as ,  '^x.  mätär- 
as,  duhitdr-as,  gr.  firjxtQ-tc;,  B-vyartQ-tQ.  Vergl.  auch  noch  die 
betonung  der  casusforinen  von  anderen  consonan tischen  stam- 
men im  litauischen:  gen.  plur.  dmit-ü,  debes-ü  bei  Schleicher, 
lit.  gramm.  s.  192,  welche  der  alten  regel  treu  bleiben,  wäh- 
rend andererseits  bei  den  gen.  plur.  dever-u  'levirorum',  dur-ü 
'portae'  bereits  die  analogie  der  betonung  der  zugehörigen 
nominative  plur.  dever-s,  durys  massgebend  gewesen  ist. 

Eine  solche  betonung  aber,  dass  die  stimme  noch  gegen 
das  ende  des  Wortes  hin,  wo  sie  doch  zur  ruhe  zu  kommen 
strebt,  gleichsam  von  neuem  sich  aufraffen,  sich  noch  zur  kräf- 
tigsten articulation  aufschwingen  muss,  eine  derartige  betonung 
erfordert  zugestandenermassen  eine  grosse  kraftanstreugung 
der  Sprachorgane.  Als  ein  vielfach  wahrzunehmender  phone- 
tischer zug  unserer  sprachen  tritt  uns  demnach  die  erscheinung 
entgegen,  dass  sie  in  ihren  späteren  lebensperioden  austalten 
treffen,  derartige  endbetonungen  der  Wörter,  das  lästig  wer- 
dende erbteil  aus  früheren,  den  stärkeren  articulationen  weniger 
abgeneigten  urperioden,  nach  und  nach  abzuschaffen.  So  weit 
man  bis  jetzt  mit  Sicherheit  die  historisch  eingetretenen  accent- 
veräuderungen  hat  beobachten  und  feststellen  können,  hat  sich 
als  übereinstimmendes  resultat  auf  vielen  Sprachgebieten  er- 
geben, dass  der  accent,  wo  er  sich  verändert,  da  regelmässig 
sich  so  verändert,  dass  er  von  den  endsilbeu  aus  immer  mehr 
in  das  innere  der  Wörter  sich  zurückzieht.  Die  endsilben 
werden  entlastet,  um  das  ausruhen  der  stimme  am  wort- 
schlusse  vorzubereiten.  Aber  die  lautgestaltungen,  welche 
der  vormals  auf  der  endsilbe  gestandene  hochton  bedingt,  die 
laiitveränderungeu,  die  er  in  den  vorhergehenden  silben  hervor- 
gerufen hatte,  bleiben  gewöhnlich  bestehen  und  sind  nun  gleich- 
sam die  überlebenden  zeugen  für  den  ehemaligen  vor  dem  zu- 
rücktreten  des  accentes  bestehenden   laut-  und  formenzustaud. 

In  der  decliuatiou  und  conjugation  findet  die  spräche  ein 
mittel,    sich   des    hochtons   auf  den  endsilben    zu   entledigen, 


48  OSTHOFt' 

leiclit  darin,  dass  sie  nacli  der  analogie  derjenigen  formen  des 
noniens  und  des  verbums,  welche  von  jeher  den  accent  nicht 
auf  der  endsilbe  hatten,  den  accent  der  urs}»rüng-lich  oxyto- 
nierten  formen  verändert.  So  ist  •/..  1».  im  gi-iechischen  der 
jjlural  i'iihv  'wir  gehen'  unter  dem  eintiuss  der  accentuation 
des  Singulars  hi-ui  zum  paroxytonon  geworden;  die  Verschie- 
denheit der  vocalstufen  i  und  £t  aber  erklärt  sich  nur  unter 
beriicksichtigung  der  früher  herschendeu  im  sanskrit  beibehal- 
tenen betonung:  e-mi,  aber  i-mds.  >So  hat  unzweifelhaft  auch 
schon  das  sanskrit  in  seiner  declination  in  einigen  fällen,  dem 
dränge  der  spräche  nach  erleichterung  der  endsilben  nacli- 
gebend,  den  alten  accentunterschied ,  nachdem  ihm  derselbe 
sein  System  der  starken  und  der  schwachen  casus  eingetragen 
hatte,  später  wider  verwischt.  Betreö's  des  acc.  plur.  nahmen 
wir  schon  vorhin  die  erscheinung  wahr,  dass  sich  dieser  casus 
frühzeitig  der  accentuation  des  zugehörigen  nom.  plur.  wider  an- 
schloss.  Wir  nehmen  dasselbe  streben  ferner  wahr  bei  den 
-w«»- stammen:  der  gen,  sing,  hrahmä u- as ,  ätmdn-as  und  der 
dat.  hrahmd)i-e,  äfmdn- e\on  hrahmdn-,  ätmdn-,  für  welche  man 
\\Q\me\i\*brahmmi-äs,  '*  ät7nan-ds,  *brahman-e,  ^ähtum-e  (stufe  «^, 
hier  festgehalten  aus  gründen  der  sprechbarkeit  der  wortformen) 
erwartet,  verdanken  ihren  veränderten  accent  der  aualogie  des 
acc.  sing",  brahmdn-am,  ätmdn-am  und  des  nom.  plur.  brahmdn- 
us.  Dasselbe  muss  angenommen  werden  bei  den  stammen  mit 
dem  Suffix  -vams-,  den  participien  perf.  act.:  mit  dem  gen.  sing-. 
rurudüsh - as ,  loc.  rurudüsh-i  gegenüber  dem  acc.  sing',  rurud- 
vdms-am  und  dem  nom.  plur.  rurudvd ms  -  as  steht  es  genau 
ebenso  wie  im  griechischen  mit  der  verbalferm  l-^tj'  gegen- 
über d-^i.  Nehmen  wir  eine  frühere  betonung  *rurudnsh-dii 
und  *  ruriidush  - 1  für  den  gen.  und  loc.  sing,  und  spätere  Um- 
änderung derselben  nach  dem  muster  des  accentes  der  starken 
casus  an,  so  haben  wir,  so  viel  ich  sehe,  eine  in  jeder  hinsieht 
befriedigende  erklärung;  nehmen  wir  dies  nicht  an,  so  stehen 
wir  vor  einem  phonetischen  rätsei.  Denn  etwa  glauben  zu 
wollen,  es  habe  sich  in  hochbetoiiter  silbe  die  condensierung- 
des  Suffixes  -vams-  zu  der  lautgestalt -/<i'7^-  vollziehen  können, 
wird  niemand,  der  nicht  geradezu  an  dinge  der  Unmöglichkeit 
glaubt,  in  den  sinn  kommen.  Derselbe  hergang  der  acceut- 
zurückziehung  ist  dann  auch  wol   in   der  declination   des  skr. 


N-DECLINATION.  49 

cmn-  'liund'  anzunehmen,  das  seine  schwächsten  casus  aus 
cün-  bildet,  dabei  aber  immer  die  Stammsilbe  betont.  Vergl. 
Bopp,  krit.  gramm.3  §  192.  Die  g-i-iechische  betonung  ist  hier 
einmal,  in  y.v)'-6c,  xvv-i,  xvr-on'  nemlicli  gegenüber  skr. 
cün-as,  cmi-i,  cün-äm,  für  die  ursiHÜnglichere  zu  halten,  denn 
nur  unter  der  herschaft  jener  konnte  es  zu  der  constituierung 
der  geschwächten  Stammform  indog.  kun-  aus  kudn-  kommen. 
Das  litauische  mit  seinem  gen.  sing,  szün-s  beweist  hier  nichts, 
da  es  sowol  auf  eine  grundform  *szun-m  (vergl,  oben  s.  46  f.), 
als  auch  auf  *  szun-as  zurückgehen  kann. 

Also  sichere  beispiele  dafür,  dass  auch  schon  das  sanskrit 
versuche  der  entlastung  der  cndsilben  von  dem  hochtou  machte, 
können  nicht  geleugnet  werden.  Dies  festzustellen  war  hier 
nötig,  um  das  Verständnis  für  das  folgende  vorzubereiten. 

Es  handelt  sich  nemlicli  jetzt  darum,  die  Stellung  der  mit 
den  consonantisch  anlautenden  casussuffixen  skr.  -hhijus,  -bhis, 
-hhyüm,  -su  gebildeten  casusformen  in  dem  System  der  starken 
und  schwachen  casus  zu  bestimmen.  Ich  glaube  nun,  um 
meine  ansieht  kurz  und  bündig  voranzustellen:  1)  ursprünglich 
erforderten  aucli  diese  casussuffixe  unter  denselben  bedingungen 
wie  die  vocaliseh  anlautenden  -ds  (gen.  sing.),  -/,  -e,  -d ,  -dm, 
-ds  (acc.  plur,),  d,  i.  bei  dem  antritt  an  consonantische  oxy- 
tonierte  nominalstämme,  durchaus  den  üochton  für  sich; 
2)  dieses  Verhältnis  aber  hörte  bei  ihnen  im  sanskrit  unter 
dem  obwalten  besonderer  lautlicher  umstände  frühzeitiger  auf 
als  bei  jenen,  bei  den  hochbetonten  vocaliseh  anlautenden  Suf- 
fixen -ds,  -1  u.  s.  w.,  indem  dort  frühzeitiger  als  hier  entlastung 
der  endsilben,  zurücktreten  des  wortaccents  stattfand. 

Wären  überall  die  Verhältnisse  so  klar  wie  z.  b.  bei  dem 
deciinationsparadigma  des  sanskritischen  Stammes  pralydnc- 
und  der  ihm  gleich  gebildeten  Wörter  (Max  Müller,  sanskr. 
gramm,  for  beginn,-  §  ISl,  s,  81  f.),  so  hätten  wir  leichtes 
spiel  mit  dem  beweise  für  unsere  behauptung.  Bei  pratydnc- 
haben  wir  sowol  den  acc,  sing,  pratydnc-am  und  den  nom. 
plur.  pratydnc-us,  als  auch  den  gen.  sing,  pratic-ds  u.  s.  w., 
als  endlich  drittens  auch  die  plural-  und  dualcasus  (die  soge- 
nannten ^mittleren'  casus)  itralyak-shü,  pratyay-hhis,  pratyag- 
hhyds,  pratyuy-bhyum\  und  alle  die  verschiedenartigen  formen- 
verhältnisse   erklären  sich   aus  dem  wechselnden  accent   aufs 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutbchen  spräche,    lU.  4 


50  OSTHÜFF 

beste.  Aber  es  lässt  sich,  g-laube  ich,  zeig-en,  dass  aucli  anders- 
wo alles  einmal  so  war  wie  bei  der  declination  dieses  uominal- 
stammes.  Zunächst  haben  wir  dieselbe  betouung  der  iA-suffixe 
und  des  locativischeu  -su  als  die  regel  auch  bei  den  eiusilblern 
im  sauskrit:  väk-shü,  väg-bhis ,  väg-hhyds,  väg-hhyäm,  pat-sü, 
pad-hhis,  pud-hhyas,  pad-bhyäm  u.  s.  w.;  und  hier  bestätigt 
sie  wenigstens  für  den  locativ  plur.  auch  das  griechische  als 
alt:  otpt  =  skr.  väk-shü,  jto-oi  =  skr.  pat-sir,  und  widerum 
mit  eiuschluss  eines  mehrsilbigen  Stammes:  gr.  yvi'ai§L  Wie 
wir  nun  schon  einmal  sahen  (oben  s.  46),  dass  die  einsilbler 
im  Vorzug  Aor  anderen  nominalstämmen  im  griechischen  und 
im  Sanskrit  eine  altertümlichkeit  in  der  casusbetonung  bewahr- 
ten, so  könnte  ebendasselbe  recht  wol  auch  hier  der  fall 
sein.  Ein  fernerer  beweis  kommt  aber  aus  dem  litauischen 
hinzu,  wo  wir  eben  jene  casussuffixe  ganz  regelmässig  den 
hochton  auf  sich  herabziehen  sehen.  An  den  consonantischen 
stammen  ist  dies  allerdings  nicht  zu  belegen,  da  diese  alle  in 
jenen  casus  im  litauischen  unursprüuglich  geworden,  in  die 
analogie  der  /-stamme  übergetreten  sind;  dagegen  wol  an  den 
vocalischen.  Man  vergleiche  die  casus  plur.  loc.  aki-se,  iustr. 
aki-mis,  dat.  ak\-tns  aus  *aki-mas,  dual.  dat.  instr.  aUi-m  von 
ak\-s  'äuge';  plur.  loc.  smm-se,  instr.  sunu-mis,  dat.  sunu-ms  aus 
*sunu-?nas,  dual.  dat.  instr.  sunii-m  Yon  sunü-s  ^ 8ohn\  Ja  eine 
spur  derselben  ursprünglichen  betonung  der  M-suffixe  wage 
ich  sogar  im  slawischen  zu  erkennen:  die  unursprüngliche  deh- 
nung  des  /  in  dem  suffix  des  instr.  plur.  abulg.  -?ni,  d.  i.  grundf. 
*-fnJs  =  lit.  nüs,  indog.  sanskr.  -bhis,  z.  b.  in  sym-mi  =  lit. 
sumi-tms  (vergl.  Job.  Schmidt,  z.  gesch.  d.  indog.  vocal.  I,  13) 
erklärt  sich  w^ol,  wenn  man  annehmen  darf,  sie  sei  unter  dem 
einfluss  des  früheren  hochtons  auf  dem  casussuffixe  entstanden. 
Also  anzeichen  genug  sind  da ,  dass  es  mit  den  casus- 
suffixen  skr.  -sn,  -bhis,  -bhyas,  -hhyäm  betreffs  der  betonung 
ursprünglich  gerade  so  stand,  wie  unter  den  gleichen  bedin- 
gungen  mit  den  entsprechenden  vocalisch  anlautenden  -a's,  -i, 
-e,  -a ,  -am,  -äs.  Unter  derselben  Voraussetzung  aber  lösen 
sich  die  noch  übrigen  Schwierigkeiten,  welche  uns  der  'kanon' 
der  starken  und  schwachen  und  der  mittleren  casus  noch  be- 
reitet, so  viel  ich  sehe,  genügend.  Betoute  man  anfänglich 
*pitr-shu,  '•^' pitr-bhyä s  u.  s.  f.,   *luda{-sü,  '*  tudad-hhyäs  u.  s.  f., 


N-DECLINATION.  51 

so  erklärt  sich  alsdann  erstens  die  geschwächte  gestalt  des 
Stammes  (pitr-  anstatt  pita'r-,  tudat-  anstatt  tuda'nt-),  zweitens 
aber  der  spätere  riicktritt  des  accentes  zwpitr'-shu,  pitr'-hhyas, 
tudat -m,  tuddd-bhyas  ebenso,  wie  beide  ganz  analoge  Vor- 
gänge in  dem  gen.  sing,  rurudüsh-as  a.\i8*rurudush-as,  *rnrud- 
vams  -  a's. 

Es  lässt  sich  nun  aber  auch,  gerade  wie  oben  bei  dem 
acc.  plur.,  der  individuelle  grund  finden,  warum  in  diesen 
casus  mit  den  />ä- Suffixen  und  mit  dem  locativsuffixe  -su  das 
zurücktreten  des  accentes  zum  zwecke  der  entlastung  der  end- 
silben  von  dem  gewichte  des  hochtons  früher  geschah  als  in 
dem  entsprechenden  falle  bei  den  ursprünglich  hochbetonten 
vocalisch  anlautenden  casussuffixen,  warum  es  z.  b.  im  sanskrit- 
paradigma  pitr'-hhyas ,  tuddd-bhyas  mit  bereits  zurückgezo- 
genem accent  und  im  dat.  instr.  sing,  pitr-e,  pitr-d,  im  gen. 
loc.  sing,  tudat-ds,  tudai-i  mit  noch  ursprünglicher  accentuation 
neben  einander  hiess.  Die  casus  mit  den  hh  -  Suffixen  und  der 
loc.  plur.  auf  -su  lieben  es  ja,  wenn  ihnen  die  wähl  frei  steht 
zwischen  zweien  graduell  verschiedenen  Schwächungsformen 
des  nominalthemas,  nicht  die  äusserste  Schwächung,  sondern 
die  sogenannte  'mittlere'  Stammform  zu  gründe  legen.  Beispiel: 
pratyag-hhyds  von  pralyak-,  aber  gen.  sing,  pratlc-ds  von 
pratlc-  aus  pratyanc-.  Diese  erscheinung  gibt  uns  auch  den 
Schlüssel  zur  beantwortung  unserer  frage.  Es  war,  um  es  rund 
heraus  zu  sagen,  nicht  die  äusserste  Schwächung  des  Stammes 
möglich  vor  den  mit  hh  beginnenden  casussuffixen  und  vor 
dem  locativbildenden  -su,  einmal  deshalb  nicht,  weil  der  cou- 
sonantische  stammauslaut  und  der  consonantische  anlaut  des 
Casussuffixes  in  ihrem  zusammenstoss  der  themabildenden  silbe 
trotz  ihrer  ursprünglichen  tieftonigkeit  immerhin  wenigstens  die 
positionslänge  sicherten.  Eben  diese  ihr  gewahrte  positions- 
länge  Hess  es  nicht  zu  gänzlicher  Schwächung  oder  wol  geradezu 
nicht  zu  gänzlicher  tieftonigkeit  der  betreifenden  silbe  kommen. 
Wir  müsteu  wol,  wie  mir  scheint,  um  völlig  genau  die  ur- 
sprüngliche accentuation  zu  treffen,  etwa  die  bezeichnungen 
tudat-sü,  tudad-bhis,  tudad-hhyds,  tudad-hhydm  in  an  Wendung 
bringen:  den  silben  vor  -sü,  -bhis,  -bhyds,  -bhydm  war  wegen 
ihrer  Stellung  in  der  position  immer  wenigstens  ein  nebenton 
garantiert.     Um  so   leichter   offenbar  begreift  es  sich   und  um 

4* 


52  OSTHOFF 

so  eher,  wenn  späterhin,  sobald  das  streben  autkani  die  end- 
silben  vom  hochton  zu  entlasten  und  den  wortacceut  zurück- 
zuziehen, el)en  jene  silbon  leichter  weise  und  früher  als  die 
entsprechenden  immer  g-anz  tieftonig  bleibenden  in  den  formen 
iuclät-as,  iudäf-i  den  ursi)rünglichen  acceut  des  nominalstammes 
zurück  empfingen.  Vielleicht  ist  noch  hinzuzunehmen,  dass 
-bhyas,  -hhyäm  und  früher  auch  -su,  so  lange  es  nemlich  als 
-sva  galt,  eigentlich  zweisilbig  waren  und  -bhia's,  -Miiä'm,  wie 
im  veda  noch  häufiger,  ferner  -sua  gesprochen  wurden:  bei 
solcher  auss})rache  stand  dann  die  zu  schwächende  silbe  gar 
nicht  einmal  an  der  allertieftonigsten  stelle,  nicht  unmittelbar 
vor  dem  hochton. 

Aber  selbst  da,  wo  die  positionslänge  in  den  mittleren 
casus  nicht  zu  stände  kam,  wie  bei  unseren  -««-stammen,  den 
-7)ian-  und  den  -w«?  -  stammen ,  in  welchen  der  suffixale  nasal 
nicht  stand  hielt,  selbst  auch  da  konnte  es  zu  der  äussersten 
Schwächung  des  Stammes  nicht  kommen.  Sollte  in  einer  grund- 
form  indog.  "^uksan-hhjdms  die  mittlere  sill)e  als  die  tieftonigste 
geschwächt  werden,  so  konnte  aus  gründen  der  sprechbarkeit 
des  wertes  die  Schwächung  nicht  so  ausfallen  wie  die  der  ent- 
sprechenden silbe  in  *nksan-ds  =  skr.  nkshn-ds]  vielmehr 
konnte  "^  nksayi-hhja'/ns  nur  eine  solche  Schwächung  erleiden, 
wie  die  grundform  "^panlh'i-  und  gen.  sing.  '^  dalani-us  sie  er- 
litten, indem  sie  zu  path!-  und  tuüal-ds  wurden  (vergl.  oben 
s.  44),  wie  sie  ferner  stattfand  in  skr.  caUbn,  gr.  t-xcaöf  aus  indog. 
*  kauf  am  und  anderwärts.  Mit  anderen  Worten:  im  kämpfe  um 
das  dasein,  der  sich  in  *uksm-hhja')/is  zwischen  dem  vocal  a 
und  dem  nasal  des  Stammes  entspann,  konnte  entschieden  nur 
der  nasal  weichen;  der  vocalische  eigenton  der  mittleren  silbe, 
und  damit   also  unsere  stufe  «^,  muste  gerettet  werden. 

Dasselbe  ist  der  grund,  warum  in  iikr.  /li fr -bhi/as,  pitr-shu 
aus  ^pHr-lihyds,  ^pitr-shn  die  Stammsilbe  vocalisch,  mit  dem 
r-vocale  erscheint,  gegenüber  dem  consonantischen  /-  im  dat. 
sing,  pitr-e,  instr.  pitr-u.  Das  griech.  qo.  in  jictTQa'-oi ,  mit  dem 
man  sich  so  vielfach  ohne  erfolg  abgequält  hat  (vergl.  Allen 
in  Curtius'  stud.  III,  366,  Meister  ebend.  IV,  219,  Siegis- 
mund  ebend.  V,  167  fi\,  Brugman  ebend.  V,  330  f.),  stelle  ich 
unmittelbar  dem  sanskr.  r  von  pHr-slui  gleich.  Mit  andern 
werten:  ich  fasse  jenes  qu  als  eine  art  griechischen  r-vocals, 
als  ein  r,  aus  welchem  sich   in  der  zwar  geschwächten,  aber 


N-DECLINATION.  53 

notwendig  ihr  vocalisches  element  beibehaltenden  silbe  der 
stimmton  der  liquida  entwickeln  miiste,  sich  aber  als  a  ent- 
wickelte wegen  der  r/- färbe  des  griech.  q]  vergl.  Briig- 
raan  a.  a.  o.  Es  verhalten  sich  genan  skr.  -far- : -tr- :  -tr- 
==  griech.  -rtQ- :  -tqcc-  :  -tq-.  Natürlich  mnss  angenommen 
werden,  dass  auch  gr.  jicctq/c-öi  vordem  einmal  *  jrarQa-oi  be- 
tont gewesen  sei;  denn  sonst  sieht  man  schlechterdings  nicht 
ein,  weshalb  es  überhaupt  zu  einer  Schwächung,  wenn  auch 
nur  zu  der  mittleren,  kommen  muste,  weshalb  nicht  ein  von 
jeher  auf  der  inneren  silbe  hochbetontes  gr.  '^jrccTtQ-oi  und 
skr.  *pltar-shu  unangefochten  so  hätte  fortbestehen  können. 
Die  formen  vidöi  und  dgrä-öi  können,  wie  ich  noch  hinzufüge, 
diese  uns^ere  auftassung  nicht  stören:  sie  sind  ihrerseits  offenbare 
analogiebildungen  nach  dem  dat.  plur.  der  verwantschaftswörter. 
In  den  mittleren  casus  also,  in  denjenigen,  deren  en- 
dung-  mit  einem  consonanten  anfängt,  dient  auf  die  angege- 
bene weise  dieser  consonant  'dem  thema  gleichsam  als  schutz- 
wehr und  bewahrt  dasselbe  vor  der  äussersten  Schwächung', 
wie  Bopp  krit.  gramm.-*  §  176  ganz  passend  sich  ausdrückt. 
Wie  aber  auf  eine  stammhafte  silbe,  in  welcher  die  äusserste 
Schwächung  unterbleiben,  der  vocalische  eigenton,  bei  den  -ab- 
stammen speciell  unsere  stufe  «'  sich  erhalten  muss,  wie  auf 
eine  solche  stammhafte  silbe  der  dem  nominalstamm  als  solchem 
ursprünglich  eigene  accent  zufolge  des  strebens  nach  entlastung 
der  endsilben  und  befriedigung  dieses  strebens  durch  die  ana- 
logie  der  starken  casus  leichter  zurückkehrt,  das  können  uns 
die  oben  (s.  48)  angeführten  beispiele  von  -f/ian  -  stammen 
lehren:  hrahman-m,  dtman-as  2i\\^*hrahman-ds ,  *ätman-as, 
während  bei  der  einmal  angenommenen  möglichkeit  einer 
Stammschwächung  *  hrafunn-,  *  ntmn-  (stufe  "^j  sicher  die  beto- 
ming  "^brahmn-a'i-,  * dfmn-as  im  gen.  sing,  herschen  würde. 
Unsere  -«/z- stamme  erlangten  also  auf  die  besprochene  weise 
ihre  mittlere  stanmiforni  durch  ganz  normales  verklingen  des 
uasallautes  in  ursprünglich  tieftoniger  silbe  und  damit  band 
in  band  gehendes  festhalten  der  stufe  «^  des  suffixvocales, 
welche  stufe  -«^  nun  wirklich  als  die  in  der  tat  ^mittlere'  zwi- 
schen a'-  der  stärksten  und  «■'  der  schwächsten  casus  liegt. 
Somit  erkennt  man  auch,  wie  die  annähme  eines  nebenstammes 
uksha-,   mit   welcher  man   zuweilen   (Gust.  Meyer  z.  gesch.  d. 


54  OSTHOFF 

indogerm.  stammbild.  u.  declin.  s.  84)  die  sanskritischen  casus 
uksha-sH ,  nkshd-bhyas  u.  s.  w.  zu  erklären  sucht,  wie  diese 
annähme,  ganz  abgesehen  von  dem  fehler,  der  darin  steckt  (es 
hätte  doch  *)iksheshu,  '* ukshebhyas  von  einem  -«-stamme  zu 
lauten),  auch  unnötig  wird,  Avenn  man  nur  zugibt,  dass  *  uksha- 
sü,  *  nksha-hhyds  die  ursprüngliche  betouung  gewesen  sei,  was 
ich  hier  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben  glaube. 

Dies  System  der  Unterscheidung  starker  und  schwaciier 
casus  in  der  decliuation  gewisser  consouantisch  auslautender 
nominalstämme,  von  dessen  Ursprung  und  ursprünglichem  zu- 
sammenhange mit  der  ältesten  casusbetonung  ich  die  vorher- 
gehende neue  theorie  entworfen  habe,  dies  System,  im  sanskrit 
so  treu  bewahrt,  halte  ich  für  uralt  und  ein  ehemals  allen  indo- 
germanischen einzelsprachen  mitgegebenes  erl)teil  aus  der 
muttersprache.  Wo  eine  einzelne  spräche  davon  abweicht,  da 
beruht  dies  auf  späterer  entwickelung  und  auf  dem  aufgeben 
einer  ursprünglichen  formationsweise.  Bei  den  /•  -  stammen,  den 
verwautschaftswörtern ,  ist  dies  Verhältnis  ja  auch  längst  an 
der  genauen  Übereinstimmung  des  sanskrit,  griechischen  und 
germanischen  erkannt  und  das  hohe  alter  ihrer  eigentümlichen 
declination  allerseits  anerkannt.  Den  -«w- stammen  aber  wird 
diese  hohe  ursprünglichkeit  bis  jetzt  nur  teilweise  und  nicht 
so  allgemein  zuerkannt;  in  wie  weit,  das  ersieht  man  aus  Scherer, 
z.  gesch.  d.  deutsch,  spr.  s.  432.  Ich  glaube  aber,  auch  den 
n- Stämmen  und  ihrer  declination  darf  ihr  volles  recht  nun- 
mehr nicht  länger  vorenthalten  werden.  Dies  nachzuweisen^ 
die  aus-  und  Umgestaltung  der  alten  w- declination  in  den  ein- 
zelnen sprachen  und  besonders  im  germanischen  zu  verfolgen, 
wird  im  folgenden  meine  aufgäbe  sein.  Um  aber  unseren  auf- 
stellungen  eine  feste  basis  und  ein  sicheres  fundameut  zu  sub- 
struieren,  habe  ich  es  für  unumgänglich  notwendig  gehalten, 
an  der  sanskritischen  nominaldeclination  im  vorhergehenden  so 
ausführlich  wie  ich  es  getan  meine  grundansichten  über  das 
Zustandekommen  des  'kauons'  der  starken  und  schwachen 
casus  zu  entwickeln. 

Das  altbaktrische  bietet  uns  betreffs  der  -au-  {-man-,  -van-) 
declination,  von  einem  sogleich  zu  besprechenden  punkte  abge- 
sehen, nicht  viel  neues :  hier  liegen  die  Sachen  im  grossen  und 
ganzen   noch   fast   gerade    so    wie    in    dem    nahe    verwanten 


N-DECLINATION.  55 

Sanskrit.  Vergl.  Spiegel,  graram.  d.  altbaktr.  spr.  s.  152  ff., 
Ju8ti,  bandb,  d.  zeudspr.  s.  392.  Auch  Schwankungen  zwischen 
unseren  stufen  a  -  und  dem  älteren  a '  zeigen  sich ;  z.  1).  acc. 
sing,  airyaman-em,  nom.  plur.  karapan-o.  Und  wenn  ich  for- 
schungen  II,  180  f.  in  dem  acc.  sing,  hazanhanem-ca  und  in 
dem  uom.  plur.  mäthranac-ca  Verkürzung  des  suffixalen  hier 
individualisierende  function  übenden  -an-  zu  -an-,  veranlasst 
durch  die  schwere  der  Wortzusammensetzung  mit  dem  enkliti- 
schen -ca,  gesehen  habe,  so  ist  diese  auffassung  nicht  aufrecht 
zu  erhalten.  Vielmehr  steht  der  acc.  sing,  hazanhmi-em  mit 
seinem  kurzen  -an-  ganz  auf  derselben  stufe  mit  ved.  ukshdn- 
ain  anstatt  des  späteren  ukshän-am  =  abaktr.  ukhshän-em> 
ferner  mit  gemeinsanskr.  püshdn-am\  der  nom.  plur.  mäthran- 
ac-  befindet  sich  ganz  auf  dem  niveau  von  ved.  ukshdn-as 
anstatt  des  s})äteieu  skr.  ukshdn-as  =  abaktr.  ukhshdn-d] 
vergl.  oben  s.  33.  Es  hat  also  umgekehrt  die  zusammen- 
rückuug  mit  -ca  die  ursprüngliche  kürze  (die  stufe  a^)  ge- 
rettet, ganz  wie  nach  Hübschmanns  beobachtung  z.  casusl. 
s.  284  f.  die  Verbindung  mit  -cit  eine  alte  kürze  wahrt  in 
katarac-cit,  kaiarem-cit  gegenüber  sonstigem  A«-?«/-«-. —  Als  bil- 
dung  aus  der  mittleren  Stammform  ist  u.  a.  belegt  im  altbaktri- 
schen  der  dat.  abl.  plur.  däma  -  byö,  was  also  dieselbe  formation 
dieses  casus  wie  im  sanskrit  verrät. 

In  einem  punkte  aber  weicht  die  altbaktrische  spräche  be- 
reits in  bemerkenswerter  weise  vom  sanskrit  ab.  Es  begegnen 
nemlich  auch  die  casusformen  gen.  sing,  ukhshdn-o  (im  nom. 
propr.,  neben  appell.  ukhshn-d,  vergl.  Justi  u.  d.  w.),  mäthrdn-ö, 
marctdn-ö,  hdvandn-ö,  dthwydn-d  oder  dfhwyän-o;  ferner  die 
dat.  sing,  mäthrdn-e,  licdn-e,  puthrdn-e.  Vergl.  Hübschmann, 
ein  zoroa^^tr.  lied  s.  62,  meine  forschungen  II,  180  f.  Dies  ist 
etwas  unursprüngliches,  nemlich  Verallgemeinerung  der  suffix- 
form -an-,  der  stufe  a-,  von  den  starken  casus  aus:  das  alt- 
baktrische befindet  sich  auf  dem  wege  zur  uniformierung  seiner 
-«w-declination,  demselben  wege,  auf  dem  wir  alsbald  mehrere 
der  europäischen  sprachen  antrelfen  werden.  —  Von  einer  an- 
deren unursprünglichkeit,  der  neigung  der  altbaktrischen  -an- 
und  besonders  der  -man-,  auch  der  -mw- stamme,  in  die  -a- 
declination  überzugehen,  brauchen  wir  hier  nicht  zu  reden; 
vergl.  darüber  Spiegel  gramm.  s.  155  f. 


56  OSTHOFF 

Die  arischen  sprachen  verlassend  und  Europa  betretend 
wenden  wir  uns  spornstreichs  nacli  dem  heinii'^elien  sprach- 
boden  unserer  germanischen  sprachen.  Denn,  wie  sich  bald 
zeigen  wird,  findet  sich  die  -aw-declinatiou  auf  den 
ältesten  sprachstufen  des  deutschen  in  einer  sehr 
ursprünglichen  gestalt  wider;  Ja  wie  das  endergebnis 
unserer  Untersuchung  herausstellen  wird,  überragt  das 
älteste  germanisch  in  diesem  punkte,  in  der  conser- 
vierung  jener  declination,  weit  seine  sämmtlichen 
europäischen  Schwestern  und  stellt  sich  unmittell)ar 
seinen  beiden  ältesten  Schwestern,  der  indischen  und 
der  iranischen  spräche,  an  die  seite.  Selbstverständlich 
aber  kann  dies  nur  von  der  flexion  der  masculinen  und  neutra- 
len -a«- Stämme  gesagt  werden,  nicht  zugleich  von  der  femininen 
schwachen  declinatiou,  welche  weiter  unten  ihren  platz  auf 
einer  erheblich  tieferen  stufe  dei'  sprachentwickelung  ange- 
wiesen erhalten  wird. 

Aus  dem  indogermanischen  paradigma  von  uksdn-  (ol)en 
s.  32)  mit  der  europäischen  Variante  uksdn -as  im  ace.  plur. 
ist  im  urgerraanischen  folgendes  geworden  (diejenigen  endsilben 
oder  ihre  bestandteile,  welche  opfer  der  späteren  auslauts- 
gesetze  wurden,  sind  in  klammern  eingeschlossen): 

sing.  nom.  uhsd{n)  plur.  nom.  uhsdn-{(i)s 

gen.  uhsen-{d)s  gen.  ulisn-d {j)i) 

loc.  uhsen{-i)  dat.  uhsa-)n{ds) 

acc.  uhsd n  {-(Uli)  acc.  u/isdn-{a)s. 

Für  das  neutrum  in  den  ihm  eigentümlichen  casusformen 
müssen  wir  wol  als  urgermauisch  ansetzen: 

nom.  acc.  sing.  v(dd{n),  plur.  va/dn-ä\ 
von  denen  sich  die  erstere,  die  singularform,  auf  die  forsch.  11, 
163  f.  angegebene  weise  erklärt.  Da  die  formen  mit  accen- 
tuierter  Stammsilbe,  wie  wir  jetzt  wissen,  die  norm  vfurden 
für  die  ganze  declination  der  w- stamme,  so  löst  sich  nunmehr 
die  Schwierigkeit  des  germo  -  litu  -  sla vischen  -an  im  nom.  acc. 
sing,  neutr.  (abulg.  im-e,  lit.  randu)  wol  am  l)esten  wider 
durch  das  vereinte  zusammenwirken  des  hochtons  auf  der 
endung  und  des  vocaldehuenden  schlussnasals.  Die  zweite  ur- 
germanische form  des  neutrums,  die  pluralform  vatdnä,  ist  bei 
dem    stamme   vaian-    sell)st   sowie    bei   naman-   wenigstens  im 


N-DECLINATION.  57 

ostgermanischen  durch  eine  neubildung  nach  der  «-declination 
ersetzt  worden,  durch  ostgerm.  vabm,  momiTi,  d.  i.  got.  valna, 
namna ,  altn.  vötn,  m/n\  zu  welcher  neubildung  <ler  gen.  plur. 
vatna{ni),  }iamnä{m),  wia  jufcä{m)  aufgefasst,  veranlassung  gab 
Dieselbe  'falsclie  folgerung'  eines  -a- Stammes  rief  im  gotischen 
dann  aucli  noch  die  dative  vatna-m,  namna-m  hervor  (Scherer 
z.  gesell,  d.  deutsch,  spr.  432)  und  schuf  im  altnordischen  be- 
kanntlich überhaupt  die  beiden  neutralen  -«n- stamme  vatan- 
und  naman-  ganz  in -?ia- stamme  um.  Vergl.  Wimmer,  altnord. 
gramm.  §  34b.,  Zimmer,  anzeiger  f.  deutsch,  altertum  I,  110. 
Bei  den  anderen  neutralen  -on- stammen,  bei  hertan-,  augan-, 
ausan-,  sind  aber  die  grundformen  des  nom.  acc.  plur.  */'?6Tto>w, 
*auganä,  *  ansmiä  frühzeitig  in  *hertmiü,  ^augänä,  ^ausäm, 
got.  hairtona,  augona,  ausona  umgewandelt  worden,  sei  es  durch 
den  einfluss  des  Singulars  heriä ,  avgä,  ausU  mit  langem  ä 
(for^^chungen  11,  164),  sei  es  durch  frühzeitige  eiuwirkung  der 
schwachen  feminindeclination  (Delbrück,  zeitschr.  f.  deutsch, 
philol.  II,  401.   Paul,  Germania  XX,  106). 

Auch  im  masculinum  ist  durch  falsche  folgerung  eines 
-na- Stammes  aus  dem  gen.  plur.  müisne,  ahne  von  ahan-  der 
dat.  plur.  ahna-m  entsprungen.  Lautete  es  got.  auch  *auhsna-m, 
wie  man  gemeiniglich  vermutet  (belegt  ist  die  form  nicht),  so 
würde  diese  form  natürlich  ebenso  zu  beurteilen  sein;  ursprüng- 
lich wäre  sie  nicht,  das  ursprüngliche  kann  nui'  *auhs<i-m  im 
dat.  plur.  sein,  so  dass  die  gewöhnlichen  formen  dieses  casus, 
z.  b.  hmia-m  und  im  neutrum  halrta-m,  allerdings  höhere  an- 
spräche haben  für  das  alte  zu  gelten,  als  (ibna-m  und  das  ge- 
mutmasste  *auhi;na-m,  als  vaina-m,  namna-m  im  neutrum. 

Im  altnordischen  ist  im  plural  des  masculinums  eine  dop- 
pelte, eine  von  zwei  verschiedenen  punkten  ausgehende  bewe- 
gung  wahrzunehmen.  Erstens  eine  mit  dem  gotischen  über- 
einstimmende, so  dass  wir  diese  wol  für  die  ältere  halten  und 
ihre  anfange  in  die  zeit  ostgermanischer  Sprachgemeinschaft 
verlegen  dürfen:  xom  gen.  })lur.  gnmna  ausgehend  gelangte  man 
zu  der  declination  noni.  gumnar,  dat.  gumnu-?n,  acc.  gumna, 
demnach  zur  folgerung  eines  -na- Stammes.  Altn.  uxi  (oxf) 
brachte  es  ebenso  vermittels  seines  gen.  plur.  //av<a  [fixna)  nicht 
nur  zu  dem  dat.  yxnn-m  {ftxnn-m),  sondern  selbst  zu  einem 
neutralen  nom.  acc.  plur.  yxn  (/ixn).     Vergl.  Wimmer,  altnord. 


58  OSTHOFF 

granim.  §  64,  anm.  3.  §  68.  Ein  anderer  anstoss  gieng,  dieser 
speciell  im  altnordischen  spracbleben,  von  dem  dat.  und  acc. 
plur.  altn.  höwi-m,  hana  aus,  welclie  formen,  wie  wir  oben 
sahen  (s.  5),  veranlassung  wurden  zur  folgerung  eines  -«- 
Stammes,  zur  nachbildung  eines  nom.  und  gen.  plur.  liannr,  hana. 

Wir  musten  hier  mit  diesen  ostgermanischeu  analügie- 
1)ildungen  sofort  aufs  reine  kommen,  um  unser  urgermanisches 
paradigma  zu  rechtfertigen ;  denn,  wie  der  kundige  weiss,  herscht 
leider  bis  jetzt  noch  immer  nicht  die  nötige  klarheit  über  diese 
dinge.  Die  Wahrheit  dieser  behauptung  erhellt  u.  a.  aus 
Zimmers  ansetzung  einer  europäischen  (!)  grundform  ■^nämna- 
bhi/m,  anzeig.  f.  deutsch,  altert.  I,  HO  (vergl.  auch  ostgerm.  u. 
westgerm.  s.  82)  und  aus  Bezzeubergers  lehre:  'schwund  des 
6  findet  sich  im  nom.  plur.  namna,  vatnd  üb.  d.  «-reihe  d.  got. 
spr.  s.  60.  Auch  Heyne,  kurze  laut-  u.  flexionsl.  d.  altgerm. 
sprachst.^  §  90,  s.  243.  §  125,  s.  296  spricht  von  einer  'rettung 
des  thematischen  n'  in  den  dat.  plur.  got.  ahnain,  vainam,  natn- 
nam  und  will  sogar  'metathesis  von  früher  vorauszusetzen- 
den *auhsan-m,  '^ naman-m  eta.'  annehmen,  'die  in  diesen  fällen 
eintrat,  während  in  anderen  das  n  untergieug'! 

Gehen  wir  nun  näher  auf  unser  paradigma  urgerni.  uhsdyi- 
ein,  so  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  sich  unsere  berechti- 
gung,  gerade  eine  solche  accentuation  anzusetzen,  aus  dem  er- 
gibt, was  wir  im  ersten  teile  unserer  Untersuchung  (vergl.  be- 
sonders oben  8.  13  ft'.)  über  die  ursprüngliche  betonung  der  pri- 
mären mit  Suffix  -an-  gebildeten  germanischen  nomina  agentis 
als  das  wahrscheinliche  ermittelt  haben.  Dieselbe  berechtigung 
ergibt  sich  aber  ferner  auch  aus  den  oben  s.  41  f.  über  den 
accent  der  sanskritischen  -an -bildungen  gegebenen  nachweisen. 
Denn  Scherers  tretf lieber  gruudsatz,  den  er  an  die  spitze  der 
ergründung  des  deutschen  verbalbaues  setzt,  z.  gesch.  d.  deutsch, 
spr.  8:  'den  sanskritischen,  verbalaccent  für  eine  ältere  periode 
des  germanischen  überall  dort  vorauszusetzen,  wo  der  tatsäch- 
liche lautbestand  einer  germanischeu  verbalform  sich  aus 
jenem  accente  ungezwungen  erklärt',  dieser  selbe  grundsatz 
ist  auch  auf  unseren  fall  aus  der  nominalflexion  vollkommen 
anwendbar.  Diejenigen  -«n-bildungen,  welche  nicht  so  Avie  die 
Stämme  urgerm.  nJisdn-,  vata'n-  accentuierteu,  schlössen  sich 
ohne   zweifei   dem   gesetze   der   analogie  gemäss  —  es  waren 


N-DECLINATION.  59 

die  wenigeren  —  an  die  flexion  jener  an.  Dies  gilt  besonders 
von  dem  neutrum  urgerni.  na  man-  =  skr.  na  man-]  siehe  oben 
8.  42,  doch  verg].  auch  ?<.  46  anm. 

Der  variierende  casusaccent  also  war  es,  der  auch  im 
germanischen  die  seheidung  der  starken  und  schwachen  casus 
zu  wege  brachte.  Bis  jetzt  hat  man  bloss  die  gen.  plur.  got. 
auhsne  u.  s.  w.  als  die  einzige  spur  jenes  uralten  Verhältnisses 
gelten  lassen.  So  Scherer  z.  gesch.  d.  deutsch,  spr.  432,  so 
auch  Zimmer  ostgerni.  u.  westgerm.  s.  82  f.,  der  dies  noch  zu 
einem  characteristicum  des  ostgermanischen  gegenüber  dem 
westgermanischen  machen  konnte.  Der  einzige,  der  auch  bei 
dem  sing.  gen.  auhsin-s ,  dat.  aiihs'm  an  die  heranziehung  des 
sanskrit  mit  seinen  formen  ukshn-äs,  ukskn-i  überhaupt  ge- 
dacht hat,  ist  meines  wissens  Delbrück  gewesen  zeitschr.  f. 
deutsche  philol.  II,  399  f.  Ich  halte  Delbrücks  Vermutung,  bei 
ihm  allerdings  noch  nicht  klar  präcisiert,  für  das  alleinige 
mittel,  welches  uns  das  rätsei  des  /  im  gotischen  gen.  dat. 
sing,  und  im  ahd.  hanin  zu  lösen  vermag,  es  aber  auch  ecla- 
tant  löst.  Und  dass  sich  auf  dem  von  Delbrück  betretenen 
wege  wol  die  richtige  erklärung  finden  lassen  werde,  darin 
ward  ich  durch  ein  gespräch  mit  prof.  Sievers  bestärkt,  das 
ich  im  Januar  dieses  Jahres  zu  Jena  mit  ihm  hatte  und  in  wel- 
chem er  seinerseits  die  Vermutung  hinwarf,  der  unterschied  von 
^ot.  auhsin-s,  auhsin  und  acc.  auhsan  könne  wol  im  letzten  gründe 
mit  den  früheren  betouungsverhältnissen  zusammenhängen. 

Zunächst  steht  es  fest:  das  /  in  got.  hanins,  hanin,  ahd. 
hauiji  war  kein  eigentliches  von  Ursprung  an  achtes  /,  sondern 
vielmehr  ein  urgerm.  e  oder,  wenn  mau  will,  ein  vocal  von 
irrationaler  klangfarbe.  Diesen  charakter  des  i  beweist  uns 
evident  das  {ilthochdeutsche,  wo  dasselbe  in  weitaus  der  regel 
der  regel  der  fälle  keinen  umlaut  gewirkt  hat.  Vereinzelt  vor- 
kommende formen  mit  umlaut  wie  ahd.  henin,  nemiti,  scedin 
(Heyne  kurze  laut-  u.  flexionsl.  d.  altgerm.  spr. '  s.  26,  Scherer 
z.  gesch.  d.  deutsch,  spr.  436)  besagen  nur,  dass  sich  hier  und 
da  in  althochdeutschen  mundarten  frühzeitig  die  klangfarbe 
jenes  irrationalen  vocals  in  der  bestimmteren  geltung  als  Maut 
festgesetzt  hatte.*) 


*)  Die  alleinige  erwägung  dieses  momentes  hätte  für  Gust.  Meyer 


60  OSTHOFF 

Die  einzige  differenz  zwischen  dem  sing.  gen.  und  dat.  urd. 
>/hsen-ns,  uhscn-l  und  dem  plur.  gen.  }ihsn-am  und  der  grund, 
warum  man  in  jenen  formen  oder  vielmehr  in  ihren  gotischen 
und  althochdeutschen  abkömmlingen  den  Charakter  als  schwacher 
casus  bisher  verkannt  hat,  liegt  darin,  dass  wir  in  uhsm-äs,  uhsen-i 
nur  scliwächung  des  themavocals  in  tieftonigster  silbe,  in  uhsn- 
n/n  dagegen  völligen  schwund  desselben  haben;  in  unserer 
weise  gesprochen:  dort  liegt  stufe  "'^j  hier  aber  stufe  «'^  vor. 
Ich  zweifle  nicht,  dass  an  dieser  Verschiedenheit  nur  das  noch 
schwerere  gewicht  der  pluralendung  -am  gegenüber  den  -a's, 
-1  des  Singulars  schuld  war.  Vielleicht  ist  die  Ähnlichkeit  zwi- 
schen dem  got.  gen.  plur.  auhsn-e  und  und  dem  skr.  ukshn-am 
gar  nicht  einmal  so  gross  als  man  sie  sich  gewöhnlich  denkt. 
Vielleicht  ist  eben  die  grundsprachliche  Vorstufe  beider  nur 
indog.  nksan-am  (stufe  «-),  und  jede  der  beiden  sprachen 
schritt  selbständig  für  sich  bis  zu  der  weiteren  und  letzten 
Schwächung,  bis  zur  stufe  «^  vor:  eine  Vermutung,  für  welche 
man  selbst^  allerdings  als  ganz  unsicheres  beispiel,  abaktr« 
ddman-äm  =  skr.  dhamn-am  anführen  könnte,  mit  grösserer 
Sicherheit  aber  auf  die  oben  s. 34  erwähnten  rgvedischen  le- 
sungen  der  intr.  sing.  /m(h»n-a,  nänian-d,  rajan-ä  sich  beru- 
fen darf. 

Die  starken  casus  unseres  urdeutschen  paradigmas,  vor- 
nemlich  der  acc.  sing.  uhs(in{-am)  und  der  nom.  plur.  nhsfm-{a)s, 
erscheinen  auf  der  stufe  a',  übereinstimmend  mit  den  ent- 
sprechenden vedischen  formen  (oben  s.  33),  aber  in  abweichung 
von  denen  des  späteren  sanal?:rit,  welche  stufe  a"^,  das  gedehnte 
-än-y  haben.  Diese  lautentsprechuug,  dass  ein  ursprüngliches  a  im 
germanischen  durch  die  Wirkung  des  auf  ihm  ruhenden  hochtons 
als  reines  ungeschwächtes  a  verbleibt,  im  sanskrit  dagegen 
durch  dieselbe  Wirkung  des  hochtons,  zumal  wenn  dazu  noch 
die  Stellung  vor  einem  nasal  (einer  liquida)  hinzukommt,  ge- 
dehnt erscheint,  lässt  sich  häufiger  beobachten.  Die  regelrechte 
entsprcchuug   des  sanskr.  a   und  des  germanischen  a    im  pcrf. 


hinreichen  müssen,  um  den  sonder l)aren  einfall,  in  dem  genitiv  got.  hani-n-s 
könne  ein  «-stamm  enthalten  sein,  an  den  suff.  -n{a)-  getreten  sei  (z.  gesch. 
d.  indog.  stammhild.  u.  declin.  s.  S6),  sofort  zu  unterdrücken.  Vergl. 
meine  Bemerkung  in  der  .Jenaer  literaturzeitg.  l*>.  sept.  1875.  s.  fiHfi. 


N-DECLINATION.  61 

sing-,  der  piimäien  vcrba  erwähnten  wir  schon  oben:  s.  40 f.  Man 
vergleiche  auch  noch  die  wurzelvocale  in  germ.  näman-  und 
sanskr.  nd'ma)i-,  grundf.  indog,  *nüman-,  nicht  *  na  man-. 

Was  endlich  drittens  noch  den  mittleren  casus,  den  dat. 
plur.,  angeht,  so  stehen  got.  *auhsa-m,  hana-ni,  halrta-7n  mit 
ihrem  themavocale  ganz  auf  derselben  stufe  wie  die  sanskr. 
vkshd -hhyas ,  udd-hhyas,  auf  der  stufe  «i;  vergl.  oben  s.  32. 
s.  52  f.  Gerade  auch  durch  die  so  schlagende  Übereinstimmung 
in  der  bildung  dieses  casus  zwischen  dem  germanischen  einer- 
seits und  den  beiden  arischen  sprachen  andererseits  wird  das 
erstere,  das  germanische,  mit  seiner  w-declination  auf  eine  so 
sehr  hohe  rangstufe  der  altcrtümliclikeit  hinaufgertickt.  Alle 
anderen  europäischen  sprachen  sind  hier  in  die  analogie  voca- 
lischer  dedinationen  ausgewichen;  das  griechische  in  die  der 
o-decliuation:  hom.  xoTvhj6ov-6-^iv,  das  lateini?(che,  slawische 
und  litauische  in  die  der  «-declination:  lat.  homin-i-hus,  abulg. 
kamen-i-imi,  lit.  akmen-\-ms.  Alle  diese  formen  der  anderen 
europäischen  spraclien  überragt  das  got.  hana-m  in  derselben 
weise  an  ursprüuglichkeit  der  bildung,  wie  das  skr.  mätr'-shu 
und  das  griecli.  fOjT()ä-ot  vor  den  slaw.  mater-~t-chü,  lit.  mo- 
ter-i-sh  (dieses  nur  im  accent  den  übrigen  voran  stehend)  den 
Vorzug  hal)en;  vergl.  oben  s.  52  f.  Gust.  Me^er  z.  gesch.  d.  indog. 
stammb.  u.  decl.  s.  S5  f.  scheint  es,  'als  ob  im  dat.  plur.  hana-m, 

hairta-m  nicht,   wie   man   gewöhnlich    annimmt,   v<tr   der 

endung  in  das  auslautende  n.  des  Stammes  ausgefallen  sei,  was 
doch  ein  eigentünüicher  lautvorgang  wäre'.  Wir  hoften  durch 
unseren  nach  weis  der  ursprünglichen  betonung  der  ///<-suffixe 
(oben  s.  49  ff.)  diesem  hiutvorgange  seine  'eigentümlichkeit'  be- 
nommen zu  haben. 

Es  scheint  mir  auch,  um  das  hier  einzufügen,  als  wenn 
die  r-declination  der  verwantschaftsnamen  in  allen  altgermani- 
schen sprachen  genauer  besehen  dieselbe  ursprünglichkeit  der 
bildung  des  dat.  plur.  zeige  wie  die  ?i-declination,  als  wenn 
got.  bi'opru-fn,  dauhiru-m  mit  hana-m  im  letzten  gründe  auf 
derselben  stufe  stehe.  Wie  nendich  als  mittlerer  casus  got. 
'^ auhsa-m  aus  *  anhsa-mas  'au  i^auakv.  vkahd- hhyas ,  S(t  verhielt 
sich  ein  urgerm.  '^- brojjr-m,  *  duhlr-m  aus  ^' bropt^-tnas ,  *duhtr- 
mas  zw  i^Sin^kr.  bhrd fr- hhyas,  duhitr -hhyas.  Germ.  '*b7^opr-m, 
"^duhlr-m   aber  entwickelten   sich  mittels   des   notwendig   zur 


()2  OSTHOFF 

entfaltuDg  kommeuden  stinimtoues  der  «-farbig-eii  liquida  zu 
hn>pr-u-m,  *fluhtr-u-m  =  got.  dauhfr-n-m  (vergl.  Job.  Sclmiidt  z. 
gesch.  d-  iudog-.  vocal.  II  229.),  wie  analog  im  griechischen  bei 
der  a-farbigen  griechischen  liquida  q  die  giund formen  '*jturQ-o'i, 
*  thvyo.T{t-6'i  zu  *  7raT{>a-ol  jxaTQa-öt,  '"'•  H-üyarga-cA  d^vyarQa-öi 
wurden :  oben  s.  52  f.  Der  auf  rein  lautlichem  wege  zu  der  form 
bropr-u-tn,  dauhtr-ii-m  gelangte  dat.  {)lur.  aber  ward  der  keim 
zu  <ler  neuen  pluraldecliuation  der  verwantschaftswörter  im 
gotischen:  hropr-u-m,  dauhtr-u-m  traten  in  die  analogie  des 
gleich  auslautenden  dat.  plur.  der  /<-declination,  in  das  ge- 
leise  von  sunu-tn  ein ;  was  offenbar  um  so  leichter  geschehen 
konnte,  als  ja  eben  dieses  sunu-g  seinem  begrifle  nach  auch 
ein  verwantschaftswort  und  dazu  seiner  form  nach  gerade  das 
hauptsächlichste  und  ohne  zweifei  gebräuchlichste  nomen  der 
masculinen  ?<-declination  war.  So  bildete  man  denn  alsbald 
zu  dem  misverstandenen  dat.  plur.  bropr-u-m  die  w-formeu  got. 
uom.  hroprju-s,  acc.  hropru-ns  hinzu,  welche  die  alten  ächten 
pluralformen  allmälich,  im  gotischen  mit  ausnähme  des  gen. 
plur.  hropr-e,   verdrängten. 

Der  individuelle  beweggrund  aber,  weshalb  gerade  nur  der 
uom.  und  acc.  plur.  im  gotischen,  nicht  auch  der  gen.  plur.,  zu 
dem  übergange  in  die  ?<-declination,  zu  welcher  ihnen  der  dat. 
hropru-m  den  weg  bahnte,  sich  entschlossen,  liegt  unmittelbar 
auf  der  band.  Bedenkt  man,  dass  die  grundform  für  beide  casus, 
nom.  acc.  plur.,  *hropar-as  bei  regelrechter  fortentwickeluug 
im  gotischen  zunächst  zu  *hropar-s  und  dann  endlich  zu  *hropar 
werden  muste,  wie  der  nom.  sing,  "^anpar-s  aus  *  unpara-s 
schliesslich  in  anpar  endigte :  so  sieht  man,  dass  der  nom.  und 
acc.  im  plural  der  verwantschaftswörter  mit  dem  nom.  und 
acc.  sing,  hropar,  dauhtur  u.  s.  w.  lautlich  zusammengefallen 
wäre.  Da  war  grund  genug  vorhanden  zu  differenzieren  und 
dem  dativ  hropru-m  jene  formen  hroprju-s,  hropru-ns  nach- 
wachsen zu  lassen.  Einige  der  altgermanischen  sprachen,  das 
angelsächsische  und  althochdeutsche  nemlich,  haben  denn  auch 
jenen  formalen  zusammeufall  des  nom.  acc.  plur.  mit  dem  nom. 
und  acc.  sing,  nicht  durchweg  gescheut,  das  altsächsische  vollends 
hat  gar  keinen  anstoss  daran  genommen.  Vergl.  nom.  acc. 
plur.  ags.  hrötior,  ahd.  hruoder,  beide  =  grundf.  *  hropar-as  und 
lautlich  mit  dem  nom.  acc.  sing.  (ags.  auch  noch  mit  dem  gen. 


N-DECLINATION.  63 

sing.,  ahd.  sogar  mit  allen  siugularcasus)  identisch,  neben  jün- 
gerem ags.  broboru  nach  der  u-,  ahd.  bruodieya  nach  der 
ö-declination ;  vergl.  ferner  alts.  nom.  acc.  plur.  brdbar  hrober 
=  *bropar-as  ohne  unurspriingliche  nebenform  und  ebenfalls 
ohne  formale  Unterscheidung  vom  ganzen  singular.  Sonnenklar 
aber  wird  die  von  uns  behauptete  priorität  des  dat.  plur. 
urgerm.  got.  hropru-m  vor  den  anderen  w- formen  des  plurals 
eben  dadurch  bewiesen,  dass  dieser  dat.  plur.  auf  -u-m  überall 
in  jeder  der  altgermanischen  sprachen  angetroffen  wird,  auch 
da,  w^o  er  keine  uachbildungen  nach  der  ?<-declination  wach 
gerufen  hat;  so  voruemlich  im  altsächsischen:  brotiru-n,  im 
altnordischen:  brcebru-m,  iketru-jn.  Weiteren  beweises  dafür, 
dass  diese  form  selbst  ursprünglich  nichts  mit  der  ?<-decliuatiou 
zu  schaffen  gehabt  habe,  bedarf  es  nicht. 

Treffen  wir  aber  mit  dieser  auffassung  von  bropr-u-fn 
das  richtige,  so  stützen  sich  offenbar  die  dat.  plur.  broj>ru-m 
und  '^auhsa-m  (hana-m)  gegenseitig  in  ihrer  eigenschaft  als 
erhaltene  und  so  treu  als  möglich  mit  den  entsprechenden 
sanskritischen  übereinstimmende  casusbilduugeu  von  der  mitt- 
leren Stammform.  Es  verhalten  sich  auch  im  deutschen  in 
der  declination  von  bropar-  die  drei  Stammabstufungen  -par- : 
-pru-  :  -/>;•-  genau  ebenso  wie  sauskr.  -tar-  :  -tr-  :  -fr-,  wie 
griech.  -tsq-  :  -tqcc-  :  -tq-.  Die  dativform  got.  bropru-tn,  ags. 
brobru-m,  alts.  bröt)ru-n,  ahd.  bruodru-m  aber  wird  hinfort 
nicht  mehr  mit  Sievers  paradignien  z.  deutsch,  gramm.  bl.  1.  4. 
5.  G.  als  selbst  schon  zu  den  falschen  analogiebildungen  gehörige 
zu  kennzeichnen  sein. 

Um  nun  von  den  Veränderungen  zu  reden,  welche  an  der 
alten  M-declination  in  der  historischen  zeit  der  altgermauischen 
sprachen  allmälich  vorgegangen  sind,  so  kam  eine  zusammen- 
gehörige gruppe  dieser  umwandeluugen  bereits  vorhin  (s.  57  f.) 
zur  spräche:  es  waren  die  von  den  genitiven  plur. got.  (mfisne, 
vatne  im  gotischen  und  ebenso  im  altnordischen  ausgehenden 
analogiebildungen.  Wir  würden  hier  von  Verallgemeinerung 
der  schwächsten  Stammform  reden  können,  die  demgemäss,  wie 
sie  vom  gen.  plur.  ihren  ausgang  nahm,  zunächst  auch  nur  im 
plural  platz  ergriff  und  erst  später,  im  altnordischen  beim 
ueutrum,  sich  auch  üljei-  den  singular  verbreitete.  Indessen  ist 
es  nicht  das  allein :  mit  der  Verallgemeinerung  der  schwächsten 


04  OSTIIOFF 

themalorui  ist  iiberg-ang  in  die  a-declination,  stamnierweiterung- 
(lurcii  -ti-  verbunden. 

Andererseits  gewahren  wir  nun  aber  auch  ausdehuun^-  der 
stärksten  themaform  über  ihr  urspriing'liclies  gebiet,  also  die- 
selbe erscheinuug-  wde  im  altbaktrischen  (oben  s.  55).  Das 
gotische  hat  dies  nur  zugelassen  im  gen.  plur.,  aber  bei  allen 
schwachen  mascidinis  und  neutris,  ausser  den  genannten  vier 
altertümlichen  auhsne  u.  s,  w.;  demnach  hanan-e,  hairtan-e,  beim 
adjectiv  blhidan-e.  Eine  schöne  aualogic  findet  dies  verfahren 
des  gotischen  daran,  wie  im  gemeiugriechischen  anstatt  des 
alten  regelrecht  schwachformigen  gen,  plui-.  jcazQ-för  (erhalten 
bei  Homer  Od.  d  687.  t9-  245  im  versschlusse)  sich  jrartQ- ojv 
festsetzt,  ebenso  d^vyartQ-cov  anstatt  des  homer.  und  poet.  i9-r- 
yaTQ-ojv,  ferner  fn/rtQ-cor  anstatt  *  firjTQ-föt^,  offenbar  unter 
dem  unmittelbaren  einflusse  zunächst  des  starken  nom.  plur. 
jraTtQ-f^,  {^ryartQ-fc,  fo/rtQ-tg.  Augenscheinlich  falsch  ist  es 
somit,  wenn  Zimmer  nominalsuff.  a  und  a  s.  175  die  genitiv- 
pluralis-bildung  der  ostgerm.  auhsne,  fixna  geradezu  zum  kri- 
terium  der  'organischen'  -^/«-stamme  macht  und  alle  diejenigen 
für  *  unorganisch'  erklärt,  welche  wie  hanan-e  jenen  casus  bil- 
den. Würde  man  etwa  im  griecliischen  sagen  können,  jiartQ-cov 
gehe  auf  einen  'unorganischen',  das  homer.  jxutq-cTjv  aber  auf 
den 'organischen'  (>-stamm  des  verwantschaftswortes  zurück? 

Anders  als  das  gotische  haben  die  westgermanischen  spra- 
chen, unter  sich  auch  hier  genau  übereinstimmend,  den  alten 
ursprünglichen  gen.  plur.  der  masculina  und  neutra  der  ??-decli- 
nation  ersetzt,  nemlich  durch  herüberuahme  der  endung  des 
schwachen  femininums:  Vi\\Ci.hundno,  herzöno,' i(\i^.  hanono,  her- 
tono,  ags.  hanena,  eäyena,  wie  ahd.  zimgöno,  alts.  lungono ,  ags. 
tnngena.  Im  althochdeutschen  hat  dann  auch  noch  diese  an- 
lehuung  aus  femininum  den  dat.  plur.  haadm,  herzom  wie  zun- 
ydm  nach  sich  gezogen. 

Während  also  das  gotische  mit  seinem  gen.  plur.  hanan-e, 
hairtan-e  ganz  allein  steht  und  selbst  vom  altnordischen  (vergl. 
oben  s.  5.  57  f)  verlassen  wird,  zeigt  sich  wenigstens  dasselbe 
princip  die  w-declination  zu  uniformieren  und  auf  dieselbe  weise 
zu  uniformieren  auch  in  allen  aussergotischen  sprachen,  wenn- 
gleich an  einem  anderen  punkte,  im  gen.  und  dat.  des  Singu- 
lars nemlich.    Hier,  wo  im  urdeutschen  der  suffixvocal  sich  als 


N-DECLINATION.  65 

e,  als  auf  stufe"'-  befiiKllich  auswies  (vergl.  s.  59 f.),  behält  nur 
(las  gotische  und  das  althochdeutsche  jene  ursprüngliche  stufe 
bei  iu  der  form  i:  got.  gen.  himhi-s,  hairtin-s,  dat.  hanin,  huirtin, 
ahd.  gen.  dat.  hanin,  herzin.  Doch  auch  schon  im  althoch- 
deutschen beginnen  daneben  formen  des  gen.  dat.  sing,  auf  -an, 
-on,  -an  sich  zu  zeigen ;  d.  h.  die  starken  casus  mit  ihrer  stufe 
a '  überwältigen  den  ursprünglichen  gen.  und  dat.  sing,  auf 
-m.  Mit  -an  belegt  Graft'  ahd.  Sprachschatz  II,  919  f.  als  gen. 
sing,  aran,  ratan  (von  rado  rata  m.  'lolch,  kornraden',  Graff  II, 
470),  furi-hoüan,  als  dat.  sing,  aran,  cholban\  mit  -on  als  gen. 
sing,  swipogon,  liobon,  heroston,  als  dat.  sing,  änon,  gilonbon, 
niumon,  wm-garton]  mit  -un  als  gen.  sing,  rant-hogim,  heiligiin, 
als  dat.  sing,  willun,  liopun.  Hier  ist  übei'all  dem  gen.  und 
dat.  sing,  die  starke  themaform  aufgedrungen  worden,  und 
zwar  ist  das  zunächst  durch  die  verlockende  analogie  des  acc. 
sing.  masc.  aut  -an,  -on,  -un  geschehen.  Das  ergibt  sich  ganz 
evident  aus  der  interessanten  tatsache,  die  auch  Graff  nicht 
entgieug,  aus  der  tatsache,  dass  im  althochdeutschen  nur  erst 
masculine  substantiva  der  schwachen  declination  von  dieser 
Umgestaltung  des  gen.  dat.  sing,  ergriffen  wurden:  im  neutrum 
endigte  der  acc.  sing,  nicht  auf  -an,  -on,  -un,  sondern  lautete 
wie  der  nominativ. 

In  allen  übrigen  dialekten  aber  ist  dieselbe  uniformierende 
bewegung  weiter  gegangen  und  hat  sich  auch  auf  den  gen. 
dat.  sing,  des  neutrums  erstreckt;  vergl.  die  gen.  dat.  sing.  alts. 
hanan,  herian  {-on,  -im,  -en),  ags.  hanan,  eägan,  altfries.  hona, 
äga,  altn.  hana,  hjarta. 

Umgekehrt  bietet  dann  aber  auch  das  althochdeutsche 
vereinzelt  die  erscheinung  dar,  dass  auch  der  acc.  sing.  masc. 
den  ausgang  -in  des  gen,  und  dat.  sing,  sich  aneignet,  mithin 
nach  der  analogie  der  schwachen  casus  auf  stufe  «-  tritt.  Vgl. 
die  ahd.  acc.  sing,  wahsnmi,  ubelin,  ratin  bei  Graff  II,  921.  470. 
Bei  dem  auch  schon  ahd.  sich  einfindenden,  nihd.  durchdringen- 
den unterschiedslosen  -en  hört  natürlich  jede  möglichkeit  die 
stufe  des  themavocales  zu  bestimmen  auf. 

Zu  den  zuletzt  beobachteten  Vorgängen  der  uniformierung 
haben  wir  widerum  die  schlagendsten  analogien  auf  griechischem 
sinacliboden  in  der  declination  der  (>- stamme  der  verwant- 
schaftswörter.     Wenn   Homer   und   die   epiker   überhaupt  und 

Beitrüge  zur  geschichtp  der  deutscheu  spräche.    111.  5 


(j6  OSrHOFF 

iiiu'li  die  tragischen  und  lyrischen  dichter  es  sich  gestatten,  die 
gen.  und  dat.  sing.  jr<<rt'(>-oc  jrart{>-i,}HirtQ'OJ,  fo/ThQ-i,  d-uyartQ-oq 
{^vyuTt(j-i  zu  biklen  und  neben  den  regelrechten  formen  jt((tq-6c; 
jTaxQ-i  u.  s.  w.  und  vrdlig  proniiscue  mit  diesen  zu  gebrauchen, 
so  ist  das  ganz  die  nendiche  abweichung  vom  ursprünglichen, 
wie  wenn  im  alth(H'hdeutschen  teilweise ,  durchgehends  in 
allen  übrigen  dialekten  mit  ausnähme  des  gotischen  die 
Verschiedenheit  der  themagestalt  zwischen  dem  gen.  dat.  sing, 
masc.  und  neutr.  und  dem  ncc.  sing.  masc.  der  « -  declination 
aufbort.  Und  w^enn  andererseits  im  althochdeutschen,  wie  wir 
sahen,  die  schwache  form  -in  auch  in  den  acc.  sing.  masc.  ein- 
dringt, so  läuft  dem  völlig  parallel  der  homerische  und  p(»etische 
gebrauch  der  formen  sing.  acc.  d-vyiait-a,  })lur.  nom.  B^vyaTQ-tc 
anstatt  der  ehemals  allein  berechtigten,  in  der  gewöhnlichen 
spräche  auch  beibehaltenen  d-vyartQ-a,  d-vyaTtQ-tc. 

Alle  bisher  erörterten  Umgestaltungen  des  ursprünglichen 
urgermanischen  paradigmas  der  -rt>i- stamme  erweisen  sich  als 
so  überaus  einfach,  auf  schritt  und  tritt  veimögen  wir  so  sicher 
von  jeder  einzelnen  Veränderung  uns  rechenschaft  zu  geben, 
die  natürliche  Veranlassung  derselben  nachzuweisen,  dass  mau 
fast  sagen  kann,  es  müste  auffallen,  wenn  es  nicht  so  oder  viel 
anders  gekommen  wäre.  Die  germanischeu  männlichen  und 
neutralen  -aw- stamme,  soweit  sie  primären  Charakters  sind, 
erscheinen  aber  nach  allem  diesem  auch  von  Seiten  ihrer  flexion, 
was  ihr  alter  in  der  Sprachgeschichte  anbetrifft,  in  einem  so 
günstigen  lichte,  dass  wol  kein  zweifei  bleibt:  das  germanische 
sprachidiom  muss  während  der  zeit  seines  noch  nicht  zerrisse- 
nen Zusammenhanges  mit  dem  indogermanischen  ganzen  dieser 
kategorie  von  nomiualbildungeu  ein  besonderes  interesse  abge- 
wonnen und  sie  in  der  periode  seiner  individuellen  vorhistori- 
schen existenz  sorgsam  weiter  gehegt  und  gepflegt  haben.  Und 
nun  sehe  man  zu,  wenn  Zimmer  nomiualsuÖ'.  a  und  ä  s.  179 
die  geschieh te  des  suffixes  -a-  nomina  agentis  bildend  'in 
grossen  zügen'  also  schreibt:  4)  arische  periode  suftix  a,  2) 
germanische  periode  suftix  öm,  3)  hochdeutsche  periode  suftix 
arya\  ob  nicht  diese  'grossen  züge'  ebenso  verzogene  züge  sind 
und  ob  nicht  vielmehr  die  beiden  erstereu  perioden  richtiger 
also  zu  charakterisieren  sind:  1)  indogermaniche  periode  suftix 
-a-  und  Suffix  -an-,  2)  germanische  periode  zurücktreten  des 
a-  und  ausbreitung  des  -an-. 


N-DECLINATION.  67 

Um  das  bild  zu  verYollständig-eu,  miiss  ich  uuii  uocli  eine 
kurze  skizze  entwerfen  von  den  Schicksalen,  welche  die  ?i-decli- 
nation  in  den  übrigen  europäischen  sprachen  gehabt  hat.  Diese 
skizze  mag  uns  gleichsam  als  folie  dienen  filr  die  am  germa- 
nischen gemachten  beobachtungen.  Von  den  -an -stammen 
brauchen  wir  dabei  hinfort  die  -w««-stännne  nicht  zu  trennen, 
da,  was  von  den  einen  gilt,  in  der  regcl  bei  den  anderen  ganz 
sich  ebenso  verhält. 

Dass  im  slawischen  und  litauischen  die  72 -stamme,  wie 
alle  consouantischen  themen,  in  den  meisten  casus  in  die  ana- 
logie  der  /  -  declination  (slawisch  auch  vereinzelt  der  a-,  litauisch 
häufiger  der  -/«- declination)  übergetreten  sind,  ist  bekannt. 
Auf  diese  art  der  unursprünglichkeit  kommt  es  uns  indes  hier 
weniger  an.  Die  bewahrung  des  ursprünglichen  casusaccentes 
in  den  der  consouantischen  flexion  treu  bleibenden  casus  im 
litauischen  ward  bereits  oben  s.  46  f.  zur  spräche  gebracht.  Was 
den  uns  am  meisten  interessierenden  punkt,  die  form  des 
suffixvocals,  anbetrifft,  so  zeigt  ein  blick  auf  die  paradigmen 
abulg.  kamen-  m.  und  imen-  u.  bei  Leskieu  handb.  d.  altbulg. 
spr.  §  53.  und  auf  das  litauische  ahmen-  bei  Schleicher  lit. 
gramm.  §  87.  s.  191  f.,  dass  durchgehends  in  allen  obliquen 
casus  -en-  und  -men-  die  themabildenden  silben  sind.  Die  ver- 
gleichung  des  gen.  sing.  lit.  vandhn-s  mit  skr.  ndn-ds ,  urgerm. 
*vaten-äs,  got.  vutin-s,  sowie  des  gen.  sing,  abulg.  imen-e  mit 
skr.  ndmn-as,  urd.  *namen-as,  got.  namin-s,  ebenso  des  gen. 
plur.  abulg.  imen-n  mit  skr.  nämn-äm,  got.  namn-e  ergibt,  dass 
wir  hier  den  themavocal  in  einer  Schwächung  und  zwar  auf 
unserer  stufe  «"^  vor  uns  haben.  Das  slawolettische  stimmt 
also,  abgesehen  vom  gen.  plur.,  hinsichtlich  der  vocalstufe 
genau  zum  germanischen.  Aber  diese  stufe  ist  nun  verallge- 
meinert, und  so  erscheint  auch  der  nom.  plur.  abulg.  kamen-e, 
lit.  ükmen-s  gegenüber  dem  nom.  plur.  skr.  ukshmi-as  ukxhä'n-as, 
urd.  *  nhsm-as ,  got.  aiihsan-s;  ferner  der  acc.  sing,  abulg. 
kameu-e  gegenüber  daiw  i>kx.  nkshän-am  ukshan-am,  \\x({.* uhsän- 
am,  got.  auhsan.^)    Ein  andenken  aber  an  eine  ehemals  auch 


')  Eine  analogie  zu  dem  uuiloiuiicrciiden  voi'gauge  speciell  im  slu- 
wiöchei»  kann  es  aueli  noch  genauul  weiden,  wenn  im  juitMensötamme 
der  thematischen  verbeu   (nicht  im   aorist)   das   altbulgarische    vor   der 

5* 


68  OSTHÜFF 

voibaiuleue  starke  themaforni  bewahren  diese  sprachen  in  der 
form  des  auslauts  ihres  nom.  sing-,  masc. :  abulg-.  kcuny ,  lit- 
akmu  .  Diese  abulg.  -y,  lit.  -n  gehen  zunächst  auf  -ün,  weiter 
auf  -uns,  endlich  auf  -am  zurück;  vergl.  Schleicher  compend.^ 
§  101.  s.  144.,  Joh.  Sciimidt  z.  gesch.  d.  indog-.  vocal.  I,  177  f. 
Denniach  zeigen  diese  noni.  sing,  kanuj,  aknm  in  der  tat  die 
starke  themaforni  -man-,  nicht  das  geschwächte  -men-.  Auf 
-Im,  also  auf  stufe  a-,  sind  auch  mit  den  got.  namo,  vato  zu- 
rückzuführen die  nom.  (acc.)  sing,  der  neutra  al)ulg.  imc,  lit. 
vandu  (früher  neutr.),  altpreuss.  wundUn  vocab.;  vergl.  forsch. 
II,  1G3  f.,  oben  s.  56. 

Uniforiiiierung  der  themagestalt  ist  im  slawischen  und 
litauischen  auch  bei  den  -/«r- stammen,  den  verwantschafts- 
wörteru,  durchgedrungen,  indem  bei  abulg.  tnater-,  düster-,  lit. 
moter-,  dukter-  die  form  -/^r-  gleichraässig  und  unterschieds- 
los durch  alle  casus  hindurch  geht.  Vergl.  Leskien,  handbuch 
d.  altbulg.  spr.  §  54;  Schleicher,  lit,  gramm.  §  87,  s.  193.  Es 
scheint  mir  jedoch  in  anbetracht  des  griech.  jiartQ-a,  xartQ-tq 
(vergl.  oben  s.  43.  anm.)  nicht,  als  ob  hier  in  dem  slawo-lit.  -/gr- 
eine Schwächungsstufe  des  urspr.  -tar-  gesehen  werden  dürfe. 
Ueberdies  macht  es  die  Übereinstimmung  der  meisten  sprachen 
(sanskrit,  altbaktrisch,  griechisch,  germanisch,  auch  lateinisch) 
wahrscheinlich,  dass  bei  den  verwantschaftswörtern  bereits  die 
grundsprache  die  schwächste  themaform  in  der  gestalt  -tr-, 
also  mit  Schwund  des  vocals,  mit  stufe  «•',  constituierte.  Ist 
dies  richtig,  so  würden  folglich  wol  der  acc.  sing,  abulg.  mater-e, 
der  nom.  plur.  lit.  dukter- s,  nicht  aber  die  gen.  sing,  abulg. 
mater-e,  lit.  dukter-s,  die  gen.  plur.  abulg.  mater-ü,  lit.  dukter-ü 
(vergl.  dazu  vornehmlich  das  got.  bropr-e)  ihre  form  -ter-  zufolge 
alten  erbrechtes  besitzen.  Vergl.  auch  die  oben  s.  60.  erwähn- 
ten griechischen  uniformieruugen  in  der  declination  der  ver- 
wantschaftswörter. 

'Im  griechischen  und  lateinischen  sind  beide  suffixformeu 
{-an-  und  -an-)  insofern,  mehr  aus  einander  getreten  und  haben 
eine  sondere xistenz  zu  führen  begonnen,  als  es  regel  geworden 
ist,   dass   entweder  -««-   oder  -an-  bei   einem   und   demselben 


personalendiing  der  1.  pers.  })lnr.  und  dual,  das  ihr  eigene  o  aufgibt  zu 
gunsteu  des  durchgehenden  e  in  den  übrigen  persouen:  abulg.  nese-mü, 
nese-ve  für  neso-mü,  neso-ve ,  die  der  einfache  aorist  beibehält. 


N-DECLINATION.  69 

uomen  den  stamm  in  allen  casus  formiert;  der  nom.  sing,  ist 
bekanntlich  nur  scheinbare  ausnähme.'  Diesen  satz,  den  ich 
forschungen  II,  154  niederschrieij,  freilich  ohne  damals  im  ent- 
ferntesten das  richtige  Verhältnis  zu  durchschauen,  kann  ich 
hier  Avider  aufnehmen,  um  jetzt  in  einem  anderen  sinne  damit 
im  allgemeinen  die  richtung  zu  bcKcichnen,  in  welcher  sich  die 
geschichte  der  -««-declination  in  den  sprachen  Öüdeuropas  be- 
wegt hat.  Uniformierung  ist  auch  hier  die  gi'undtendenz  ge- 
wesen, welche  die  sprachcntwickelung  geleitet  hat.  Doch 
müssen  wir  griechisch  und  lateinisch  trennen,  da  im  einzelnen 
nicht  so  völlige  Übereinstimmung  zwischen  ihnen  herscht  wie 
im  slawischen  und  litauischen.  Wir  beginnen  mit  dem  lateini- 
schen, weil  hier  die  Verhältnisse  einfacher  liegen. 

Als  Vertreter  der  ursprünglichen  einheitlichen  -an-  und 
-man-  erscheinen  im  lateinischen  einerseits  -en  -In-,  -men  -min-, 
andererseits  -ön-,  -mön-.  Beispiele  für  -in-,  -min-  sind:  pecten 
pecün-is,  cardo  cardin-is  masc,  nomen  nomin-is  neutr.,  asper go 
asper{/in-is  fem.,  agmen  agmin-is  neutr.;  für  -ön-,  -mön-:  edön-, 
rapön-,  sei-mön-,  tcmön-. 

Dass  -en  -tn-,  -men  -nun-  unsere  stufe  «"-  sei,  mithin  die- 
jenige form  des  suffixes,  welche  von  den  schwachen  casus  aus 
in  die  ursprünglich  starken  eindrang,  werden  wir  nicht  ver- 
kennen können.  Wenn  noch  Zimmer,  anzeiger  für  deutsches 
altert.  I,  110.  umgekehrt  beliauptete,  in  lat.  nomin -um,  altsl. 
imen-h  sei  die  themagestalt  der  starken  casus  (nom.,  acc.)  auf 
die  schwachen  tibertragen,  so  beruhte  das  auf  der  bisher 
immer  geltenden,  aber  nunmehr  aufzugebenden  irrigen  Voraus- 
setzung, zu  dem  wesen  eines  schwachen  casus  gehöre  notwendig 
völliger  vocalausfall  in  der  stammbildenden  sill)c ;  eine  Voraus- 
setzung, zu  welcher  eine  zu  einseitige  rücksiclilnahme  auf  das 
Sanskritparadigma  verfiüirt  hat.  Das  lat.  jecin-  von  Jecin-or-is 
ist  principiell  gar  nicht,  nur  graduell  verschieden  von  dem 
sanskr.  yakn-  des  gen.  sing,  yakn-ds,  denn  auch  dies  skr. 
yakn-äs  entstand,  wie  wir  wissen,  aus  einer  Vorstufe  *yakan-äs. 
Vergl.  auch  noch  ncuumbr.  nomn-er,  nomn-c  (stufe  «s)  = 
lat.  nomiji  -  is ,  nomin  -  i  (stufe  a.'^).  Wenn  also  der  Lateiner 
im  acc.  sing,  pectin-em,  cnrdin-em,  (urhin-em ,  asjicryin-cm, 
compagin-em  sagte,  so  steht  das  völlig  auf  gleicher  linie 
mit    dem     eindringen     des    -in     in     den     nemlichen     casus, 


70  OSTHOFF 

welches  althochdeutsche  beispiele  wie  ratin,  rvahsmin  zeigen: 
oben  «.  65. 

Auch  bei  den  verwantschaftswörtcrn  hat  das  lateinische 
in  allen  obliquen  casus  die  schwache  themagestalt  über  die 
starke  obsiegen  lassen  :  es  legt  durchgchends  die  stamme  patr-, 
matr-,  frair-  zu  gründe,  ebenso  wie  die  dichtersprache  der 
Griechen  sich  jene  obigen  d-vyaxQ-a,  d^vyaxQ-tq  gestattete. 
Die  nominat.  sing,  pater,  mater ,  fraier  bleiben  a])er  auch 
hier,  ganz  so  wie  abulg.  kamy ,  lit.  akmu ,  auf  der  alten 
starken  themaform  stehen;  denn  wenngleich  Fleckeisens  an- 
nähme einer  messung  palcr  bei  Plautus  immerhin  nicht  sicher 
steht,  so  ist  daran,  dass  patcr  aus  einem  früheren  "^  palcr  ver- 
kürzt sei,  doch  nicht  zu  zweifeln,  trotz  Corssens  tai)ferer  pole- 
mik  ausspr.  voc.  11 2,  502.  anm.*)  Vergl.  Joh.  Schmidt,  z.  gesch. 
des  indog.  vocal.  II,  238.  Ebenso  ist  aber  auch,  wenn  ein 
-«w- stamm  im  lateinischen  in  den  obliquen  casus  durchweg 
das  schwache  -in-  aufweist,  der  dazu  gehörige  nomin.  sing. 
aber  auf  -0  ausgeht,  wie  bei  aspcrgo,  compago  u.  a.,  dieses  -0, 
altlat.  -n  aus  früherem  -ön{s)  zu  erklären;  d.  h.  der  nom.  sing. 
participiert  alsdann  an  der  sonst  durchgeführten  schwachen 
themaform  doch  nicht,  sondern  hält  das  ältere  fest. 

Das  verfahren  des  altsächsischen,  angelsächsischen,  alt- 
friesischen, altnordischen,  wenn  diese  sprachen  in  den  gen.  und 
dat.  sing,  die  form  -an-  eindringen  lassen  (oben  s.  65.)  oder 
auch  des  gotischen,  wenn  es  hanan-c  im  gen.  plur.  bildet  (oben 
s.  64.),  oder  endlich  auch  des  altbaktrischen,  wenn  es  das  ge- 
biet des  -an-  von  den  starken  casus  aus  erweitert  (oben  s.  55.) 
—  dieses  selbe  verfahren  bekundet  das  lateinische  mit  seinen 
durch  alle  casus  hindurchgeführten  suffixformen  -ön-  und  -mön-. 
Dies  ist  weitaus  die  häufigste  gestalt,  in  der  das  alte  -an-  und 
-man-  im  lateinischen  auftreten.  Lat.  ö  (stufe  a^)  vor  einem 
nasal  und  in  hochbetouter  silbe  steht  hier  aber  gerade  so 
einem  sanskr.  «,  urspr,  und  germ.  a  gegenüber  wie  in  nomeM 
=  sanskr.  naman-  =  indog.  und  deutsch  nänian-,  wie  ferner 
auch  in  vöc-  =  sanskr.  vac-,  beide  aus  der  grundform  *vak- 
=  gr.  ojT-. 

Glücklicher  weise  ist  uns,  um  das  vorhergehende  vollends 
zu  bestätigen,  eine  uomiualbildung  mit  -an-  im  lateinischen  er- 
halten, welche  nicht  nur  mit  einer  im   deutschen   vorhandenen 


N-DECLINATION.  71 

etymologisch  genau  übereinstimmt,  sondern  uns  auch  in  einer 
sehr  instructiven  doj)pelilexion  überliefert  ist:  ich  meine  lat. 
Jiomo  =  got.  guma,  altn.  (jonü,  ags.  <juma,  alts.  gumo,  ahd.  gomo. 
Was  zunächst  die  function  des  suffixes  -an-  in  diesem  lat.  homo 
und  urd.  goman-,  sowie  in  altpreuss.  smoij  vocab.,  lit.  zmu  (Fick 
wörtcrb.  I  '  577  f.)  anbetrifft,  so  sehe  ich  darin  eine  diesmal 
bereits  grundsprachliche,  nemlich  italo-germano- litauische  bil- 
duug  mit  seciindäreni,  'individualisierendem'  -an-:  die  grund- 
form  '■^'' gham-an-  stellt  sich  begrifflich  gerade  so  zu  gi*.  X'^jt^«- 
in  ;(;«//«-/,  lat.  humo-  'ordc',  lit.  zeni-  in  zän-skirc  'erd-,  acker- 
scheide', wie  etwa  got.  gauj-an-  'gaubcwohncr'  zu  gauja-  ' gaii', 
abaktr.  vic-an-  'dem  clan  angeliöriges  Individuum'  zu  vlc-  'clan, 
familie';  vergl.  forschungen  11,  112.  182.  Corssen,  krit.  beitr. 
241  ff.  Von  lat.  homo  aber  nun  sind  uns  ausser  der  bekann- 
ten declination,  gen.  homln-is  u.  s.  w.,  im  altlateinischen  auch 
die  casusformen  hcmön-cs,  homön-em  überliefert,  letztere  vor- 
nehmlich bei  Festus  p.  100  und  l)ei  Ennius  annal.  v.  141,  durch 
conjectur  aucli  bei  Plautus  hei"gcstellt.  Vergl.  Corssen  a.  a.  o. 
und  ausspr.  voc.  11-,  259  f.,  wo  auch  die  literatur  über  diese 
altlateinischcn  formen  angegeben  ist.  Auch  das  umbrische  hat 
homon-m  als  dat.  plur.;  siehe  Aufrccht-Kirchhoff  umbr.  sprachd. 
II,  357  f.  Es  ist  mir  unter  so  bewanten  umständen  gar  nicht 
zweifelhaft,  dass  sich  die  declination  des  nomens  lat.  homo, 
ganz  entsprechend  der  des  got.  guma,  ursprünglich  etwa  fol- 
gendermasscn  zusauunengesetzt  habe  (nur  der  stamm  kommt 
dabei  in  betracht,  von  den  Übertritten  in  die  i  -  declination  ist 
abzusehen) : 

sing.  nom.  homö  plur.  nom.  hnmön-es 

gen.  homin-is  gen.         homin-um 

dat.  homin-i  dat.  Iiomin-i-biis 

acc.    homön-em  acc.    homön-es. 

Die  spräche  verlor  aber  allmälich  den  siim  und  das  Ver- 
ständnis für  die  überkommene  verschiedene  formieruug  des 
nominaUhemas  und  ergänzte  ohne  Schwierigkeit  beide  formen- 
reihen, sowol  die  eingerückte  als  die  nicht  eingerückte,  zu 
einem  vollständigen  paradigma;  mit  einziger  ausnähme  davon, 
dass  bei  der  Vervollständigung  der  reihe  homin-is  homin-i  u.  s.  w. 
kein  neuer  nomin.  sing,  hinzu  gewonnen  werden  konnte.  — 
Das  litauische,  wenn  es  die  Weiterbildung  zmön-cs  schafft,  legt 


72  OSTHOFF 

danu  ebenfalls  die  starke  tliemaforra  zmon-  =  lat.  homön-  hemön- 
zu  gründe;  ebenso  in  der  bildung-  der  wortstämme  vnlddn-a- 
=  urd.  valddu-,  raudön-a-  ==  urd.  gol.  raudan-,  lat.  Rn/Tni-, 
Vergl.  forschuiigen  II,  99  f. 

Uniformiert  hat  bei  der  n-declination  auch  die  spräche 
der  Griechen,  -sie,  die  docli  allen  versuchen  ihrer  dichter,  an 
dem  alten  flexiouskauon  ihier  verwantschaftswörter  zu  rütteln 
und  durch  nachbildungen  auf  eigene  faust  diesen  kauon  zu 
erschüttern,  im  ganzen  (bis  auf  den  gen.  plur.)  so  mannhaft 
widerstand  geleistet  hat.  Complicierter  als  anderswo  sind  aber 
hier  die  verschiedenen  färlnmgcn  des  suffixvocales,  und  darum 
ist  nicht  immer  leicht  zu  bestimmen,  auf  welcher  unserer  fünf 
stufen  derselbe  jedesmal  erscheine.  Wir  haben  das  ursprüng- 
liche -an-  erstens  rein  vertreten  durch  -uv-  in  den  adjectivis 
(iiX-av-,  täX-av-.  Ferner  haben  sich,  der  Spaltung  des  «-lautes 
entsprechend,  -an-  und  -man-  im  griechischen  difl'erenziert  zu 
-tv-  -fji'-  und  -ov-  -cov-,  zu  -//fi*-  und  -fiov-  -ficov-.  Es  wird 
vorläufig  schwer  halten,  das  in  diesen  vielfachen  nüancieruugen 
einer  grundform  waltende  gesetz  bestimmt  zu  durchschauen. 
Ich  nenne  als  beispiele  mit  -ti>-  -rjv-  (selten):  ago-tv-,  r^Q-tv- 
adjj.,  Jttvd^-)jV-,  XtLx-rjV-]  mit  -ov-  -cov-:  Ttxz-ov-,  ccQf/y-ov-, 
ald-cov-,  xXvö-(ov-]  mit  -fitv-:  jtoi-idv-,  jivd--(/ev-]  mit  -fiov- 
-ficov-:  ax-fiov-,  yvm-^ov-,  xtv^-ficdv-.  In  demselben  worte  er- 
scheinen -ov-  und  -ojv-  neben  einander  z.  b.  in  Kqov'i-ov- 
(homer.)  und  KqovL-cov-,  in  g:ay-6v-  und  (fäy-cov-. 

Am  leichtesten  werden  wir  ofleubar  mit  den  extremen 
unter  diesen  griechischen  Vertretern  des  alten  -an-  und  -man- 
fertig.  Griech.  jroi-fav-  ist  ja  bekanntlich  =  lit.  pe-mbi-  und 
da  wir  uns  bei  dem  letzteren  betreffs  seiner  suffixform  -tnen- 
für  die  verallgemeinerte  stufe  «-  entschieden  haben  (ol)en  s.  67.), 
wird  uns  für  das  -//fr-  des  griechischen  wortes  nichts  anderes 
zu  tun  übrig  bleiben,  zumal  da  der  einklang  beider  sprachen 
in  dem  c  von  -mcn-  vielleicht  proethnischen  datuuis  ist.  Vergl. 
Joh.  Schmidt  z.  gesch.  d.  iudog.  vocal.  II,  32 i.  Ebenso  muss 
dann  natürlich  auch  das  griech.  aQOtv-  auf  gleiche  linie  mit 
dem  abaktr.  ars/ui-  der  l)elegten  casus  gen.  sing,  nrslvi-ö,  \)\m\ 
arshn-äni  gerückt  werden;  es  ist  nur  die  schwächuugsstufe  im 
griechischen  nicht  auf  ihr  ursprüngliches  gebiet  beschränkt  ge- 
blieben.    Auch   die  formen   -y]v-  und  -ov-  -fwjv-   können  nicht 


N-DECLINATION.  73 

zweifelhaft  sein:  sie  sind  das  verallgemeinerte  -an-,  -man-  der 
starken  casus  im  sanskrit  und  altbaktriscben.  ßclreüs  des 
griech.  -cov-  sprach  schon  Schcrer  z.  gesch.  d.  deutsch,  spr. 
409  das  richtige  aus:  Mhr  langer  themavocal  mag  auf  den 
starken  casus  älterer  <««- stamme  beruhen.' 

Das  -ov-  von  ttxr-ov-,  dQtf/-6v-,  das  -[wv-  von  icx-fjor-, 
yvoi-(.iov-  unter  den  Schwächungen  unterzubringen  möchte  ich 
nicht  wagen.  Es  entspricht  im  griechischen  häufiger  der  vocal 
0  einem  solchen  urspr.  a,  das  im  sanskrit  teils  auch  als  reines 
a  erscheint,  teils  durch  die  kraft  des  hochtons,  besonders  vor 
folgender  nasalis  oder  liquida,  gedehnt  wird.  So  bekanntlich 
in  Yovv  =  skr.  janu,  "^/ß-öv-  =  skr.  kshäm-  aus  ksliäm-,  in 
6-vofia  =  skr.  Jiaman-,  indog.  und  deutsch  näman-,  in  öÖqv  = 
skr.  dfXru,  in  Ji66-tc,  =  skr.  päd-as,  in  o:it-  =  skr.  vac- ;  fälle, 
die  bereits  sämmtlich  oben  s.  40  f.  s.  60  f.  s.  70.  gelegentlich  zur 
spräche  kamen,  sowie  auch  der  normale  perfectablaut  griech.  o 
=  germ.  d  =  sanskr.  n  an  den  ersten  der  angeführten  stellen 
bereits  erwähnt  ward.  Mithin  stehe  ich  nicht  an,  das  -ov-, 
-f(o}'-  für  die  verallgemeinerte  stufe  a  ^  zu  halten.  Also  sowol 
dem  -rm-  in  dem  acc.  sing.  ved.  täksJmn-ani  als  auch  dem  -än- 
der  gemein  -  sanskritischen  form  täksJidn-am  steht  das  -ov-  in 
TiXTor-  gleich.  In  (fcr/ov-  und  (fc'r/cov-,  in  homer.  KQOvior- 
und  Kqov'iojv-  liegt  uns  dasselbe  schwanken  der  vocalstufen 
a'  und  a-  auf  griechischem  boden  vor,  das  wir  l)ei  ukslmn-am, 
nkshf\n-as  und  ukshän-am,  ukshd'n-as  u.  a.  im  sanskrit,  ferner 
ebenso  in  den  starken  casus  der  altbaktriscben  -a/i- stamme 
vorfanden;  vergl. oben  s.  1^3.  41.  55.  Und  wenn  bei  dem  homeri- 
schen gebrauche  von  KQOviov-oq  (11.  a  247,  Od.  /  620)  die 
prosodische  messung  Kqoi'J'ov-  entsteht,  nii'^tsitt  KQOvtrov-,  so 
ist  darin  nicht  schlechtweg  und  rein  mechanisch  ein  'um- 
springen der  quantität'  zu  erkennen:  vielmehr  wird  bei  dem 
facultativen  eintritt  der  sulfixlbrm  -oi'-  für  -ojv-  die  metrische 
hebung  des  t  notwendig,  und  dieses  i  gewinnt  seine  ])roso- 
disclie  länge  durch  den  sich  aus  ihm  in  der  ausspräche  ent- 
wickelnden halbvocal  j  {Kqovj'ovoc  =  ^Kqovi'jovoc\  der  öfter 
eine  solche  Wirkung,  regelmässig  bekanntlich  im  sanskrit  und 
im  slawischen,  auszuüben  vermag,  ücbcr  griechische  fälle,  wo 
ein  solches  begleitendes  j  vorhergehendes  i  dehnt,  handelt 
Curtius  in  seinen  stud.  z.  griech.  u.  lat.  gramm.  II  1S6  fl". 


74  OSTHOFF 

Sehen  wir  in  allen  diesen  fällen  die  Vertreter  des  ursprüng- 
lichen -an-,  seien  es  dessen  Schwächungen  oder  seine  reine 
gestall  oder  seine  dehnung,  zu  gesonderten  paradigmen  aus- 
einandertretcn,  so  hat  uns  andererseits  aber  auch  das  grie- 
chische selbst  zwei  nominale  u- stamme  erhalten,  deren  declina- 
tion,  wenn  man  sie  genauer  darauf  ansieht  und  einige  daran 
vorgegangene  Veränderungen  in  abzug  bringt,  vollständig  den 
alten  dualismus  der  starken  und  der  schwachen  casus  erlialten 
zeigt.  Freilich  müssen  wir  diese  Überreste  nunmehr  unter  den 
anonialien  der  griechischen  declination  suchen,  aber  unter  den 
anomalien  birgt  sich,  wie  man  weiss,  in  der  späteren  spräche 
häutiger  etwas,  was  vordem  in  einer  früheren  entwickelungs- 
phase  die  norm  und  alleinige  regel  bildete.  Ich  meine  die 
nomina  xvo)i>  und  '^-MQt'jV,  faQv-öc;  vergl.  Curtius,  griech. 
schulgramm.''  §  177.  no.  8.  no.  3. 

Das  indog.  kuän-  'hund'  war  ein  mit  i)rimärem  suffixe 
-an-  aus  der  wurzel  sanskr,  cü-  gebildetes  nomen  agentis,  mag 
man  nun  den  hund  mit  Bcnfey  griech.  wurzellexic.  II,  165. 
(vergl.  auch  Pott,  beitr.  z.  veigl.  sprachf.  III,  290.  und  Curtius 
grundz.*  no.  84)  als  'den  häufig  und  viele  jungen  gebärenden' 
(griech.  jco-i'fo,  Curtius  gruudz.' no.  71))  oder  als  'den  schnellen, 
stark  seienden'  oder  als  'das  nützliche  thier'  (abaktr.  cu- 
' nützen')  auffassen  wollen  oder  endlich  —  eine  etymologie,  an 
welche  auch  schon  gedacht  worden  ist  —  den  hund  als  'den 
brennenden,  leuchtenden'  von  seiner  glänzenden  färbe  (wurzel 
ku-  in  griech.  xaico ,  xav-öco,  skr.  cö-na-  'hochrot,  flammend, 
feuer'  Fick  wörterb.  I'*  61)  benannt  sein  lassen.  Auch  das 
ist  nicht  anders  zu  denken,  als  dass  ein  solches  wort  bereits 
in  der  grundsprache  eine  ganz  bestimmte  und  fest  ausgeprägte 
declination  und  diese  declination  eine  ebenso  bestimmte  und 
fest  ausgeprägte  casusbetouuug  hatte.  Die  abweichungen  von 
der  letzteren  im  sanskrit  stellten  wir  oben  fest:  s.  49.  Im 
übrigen  zeigen  das  sanskrit  und  die  zendsprache  übereinstim- 
mend ein  f(>stes  princip  in  der  casusbildung-  von  skr.  cva,  ved. 
häufiger  cun  (vergl.  die  belege  aus  dem  rgveda  bei  Grassmann 
wörterb.  sp.  1433),  abaktr.  cpd]  das  griech.  xvcov  fügt  sich 
nicht  in  allen  stücken  diesem  princip.  Da  ist  es  doch  durch- 
aus wahrscheinlich,  um  nicht  zu  sagen  sicher,  dass  das  grie- 
chische  an   seinem   teile    in   folge   später  geschwundenen  ver" 


N-DECLINATION.  75 

ständnisses  für  das  alte  princip  änderimgen  vorgenommen  habe. 
Ich  recoustruiere  nun   nach   dem   sauskrit   und   altbaktrischen 
die  ursprüngliche  griechische  declination  von  xvmv  also: 
sing.  nom.  *xvc6v  plur.  nom.  ^-xvov-Eg  {*xvcöV'Eg) 

gen.      xvv-6g  gen.       xvv-on' 

dat.      xvv-i  dat.     '*xv6-0i  (älter  *xvo-oi) 

acc.  *xv6v-a  (*xvojv-a)  acc.  xvv-ac  (älter  *xvv-äg) 
voc.  xvov. 
Alle  historisch  eingetretenen  Umgestaltungen  erklären  sich 
auf  leiclite  weise.  Sie  beschränken  sich  auf  folgende  zwei 
hauptpunkte:  1)  acceutziirilekziehung  im  nom.  sing.:  xvcov  aus 
■''xvcöv  =  sanskr.  ved.  cua  wie  p]T7jq  aus  *{I7jt)'jq  =  sanskr. 
»lata,  lit.  motc,  urgerm.  '*modar  (siehe  oben  s.  43.),  wie 
ferner  {hvyärrjQ  aus  *  i9^i7aT//()  =  skr.  duhitä ,  lit.  duktc]  2)  die 
casusformen  gen.  dat.  sing.,  gen.  acc.  plur.  werden  der  keim 
zu  einer  veränderten  declination,  veranlassen  die  spräche  den 
stamm  als  einsilbler  zu  fühlen:  mau  bildete  zu  xvv-Öq,  xvv-i 
ein  xvv-a,  wie  man  zu  jiod-6c,  jiod-i  Ji66-a  hatte,  ferner  im 
plural  zu  xvr-cöi',  xvv-ac  ein  xvv-ac,  xv-oi,  wie  sich  zu  xod-cöv, 
jc66-c(c  die  pluralcasus  Ji66-ec,  jio-ol  stellten.  So  wurden  die 
alten  formen  acc.  sing.  * xv6v-a  (^^•xvröv-a)  =  skr.  cvan-am, 
abaktr.  cpun-em,  nom.  plur.  '''•xvöv-tc  {*  xvcöv-tc)  =  skr.  cvan-as, 
abaktr.  cj)änac{-ca),  loc.  plur.  ^xvo-oi  aus  *xvo-öi  (vergl,  oben 
s.  49  flF.)  =  skr.  cvä-su  aus  dem  sprachgebrauche  verdrängt. 
Der  homerische  dat.  plur.  xvv-iooi  ist  bekanntlich  eine  noch 
anders  geartete  aualogiebildung.  Den  acc.  plur.  griech.  xvv-a:; 
aber,  obwol  er  an  sich  auch  zu  den  nachbildungen  gehören 
könnte,  dürfen  wir  doch  wol  als  Überrest  der  früheren  schwach- 
formigen  natur  dieses  casus  auf  europäischem  boden  stehen 
lassen,  nur  muss  er  wie  sein  sanskr.  reflex  cün-ns  ehemals  oxy- 
toniert  gewesen  sein;  vergl.  oben  s.  H5  if.    38. 

Von  dem  defectiven  nominalstamme  griech.  H(.qv-  'lamm' 
mit  den  überlieferten  casusformen  sing.  gen.  aQv-öc,  dat.  aQv-i^ 
acc.  aQV-a,  plur.  (CQV-ec,  aQV-cöv,  aQvä-Oi,  ctQV-ac  ist  zwar  be- 
kannt, dass  er  auf  die  wurzel  var-  'bedecken',  von  welcher 
die  Wörter  für  'wolle'  stammen,  zurückgeht,  auch  dass  ihm 
ziemlich  genau  das  skr.  ürana-s  (auch  uräna-s)  'widder,  lamm' 
entspricht.  Vergl.  Leo  Meyer  zeitsciir.  f.  vergl.  spraciif  XV  3., 
Curtius  grundz.4  no.  496,   Fick  wörterb.  T^   212.     Allein    über 


76  OSTHOFF 

die  biklung  von  ccqv-  ist  man  dennoch  bis  jetzt  nicht  völlig 
im  khiicn,  besonders  deshalb  nicht,  weil  man  nicht  weiss,  ob 
das  vocallose  -r-  rest  von  einem  suffixc  -an-  oder  von  einem 
snftixe  -)ia-  oder  -nna-  ist.  Auch  Job.  Schmidt  z.  gesell,  d. 
indog.  vocal.  II,  316  ist  mit  diesem  griechischen  uomen  und 
seinem  Zubehör  nicht  überzeugend  fertig  geworden.  Unstreitig 
aber  weist  uns  liier  das  armenische  garn  'lamm',  das  Hiibsch- 
mann  zcitschr.  f.  vergl.  sprachf.  XXIII,  16.  anm.  1  mit  griech. 
/"«(>;•-  identiliciert  hat,  den  riclitigcn  weg.  Dies  arm.  gaihi  ist, 
nach  weiterer  mündlicher  mittciluug  meines  freundes  Hübsch- 
manii,  ein  reiner  -fm- stamm:  gen.  sing,  gar  in  aus  der  grund- 
form  armen,  "^gar  en-ali ,  d.  i.  indog.  *varan-äs.  Dies  mit  dem 
griech.  Mqv-  combiniert  ergibt  ein  indogermanisches  *varan- 
' Widder,  lamm',  nicht  * varana-,  wie  Fick  ansetzt.  Das  skr. 
nrän-a-  (üran-a-)  ist  also  weitergebildet,  in  die  -«-declination 
übergetreten.*) 

Indog.  *varan-,  um  über  die  bedeutung  und  function  des 
Suffixes  -an-  in  dieser  biklung  zunächst  ein  wort  zu  sagen, 
kann  wol  nicht  gut  auf  primäre  weise  mit  der  wurzel  var-  zu- 
sammenhängen: einen  sinn  'der  bedeckende'  oder  auch  'der 
bedeckte',  wobei  man  'mit  wolle'  ergänzen  müste,  hineinzu- 
bringen würde  doch  äusserst  gezwungen  sein.  Mithin  wird  man 
wol  notwendig  ein  nomen  indog.  *  vara-  'wolle',  das  erhalten  ist 
in  skr.  ura-hhra-s  'widder',  wörtl.  'wollträger',  und  in  griech. 
tv-tQO-Q  'schönwollig',   als  Zwischenstufe  der  Wortbildung  zwi- 


*)  Wie  leicht  und  auf  wclclie  weise  solche  Übertritte  consonautischer 
Stämme  in  die  -a-declintitiou  ergehen,  hat  E.  Kuhn  für  das  pälL  nachge- 
wiesen: der  acc.  sing,  auf  -am,  der  mit  dem  acc.  der  a-declination  äusser- 
lich  identisch  ist,  gibt  den  anstoss  zu  solcher  entwickelung  der  declina- 
tion;  vergl.  dessen  beitr.  z.  päligramm.  s.  GS.  76.  So  führte  auch  im 
sanskrit  der  acc.  sing,  pusimn-a-m  zu  einer  bereits  im  veda  vorkommen- 
den nchcntorm  püshand-  oder  ptishnna-;  vergl.  Petersb.  wörterb.  und 
Grassmann  wörterb.  sp.  848.  So  wird  auch  der  acc.  sing,  sanskr.  urän-a-m 
von  verlorenem  *  i<?-an- =  indog.  *  var  an-  zur  folgerung  eines  «-Stammes^ 
des  historischen  uräna-  (lirana-),  verführt  haben.  So  sind  ferner  auch 
im  altbaktrischen  die  oben  ('s.  55.)  berührten  Weiterbildungen  von  -an- 
themen  zu  -«na-thcmen  zu  erklären:  zu  einem  loc.  sing,  gpänac-ca  von 
gpäua-  'huud'  =  ^pan-  gibt  der  misvcrstandeue  acc.  sing.  (■pan-e-?n, 
zu  einem  gen.  sing,  arshänahe ,  dat.  sing,  (irshnaäi  von  arshana-  = 
arslian-  der  ebenso  misverstandene  acc.  arshän-c-tn  die  veranlassung. 


1 


N-DECLINATION.  77 

sehen  *varan-  und  die  wurzel  var-  treten  lassen  müssen.  Auf 
diese  weise  würden  wir  auch  hier  wider  ein  g-rundsprachliches 
beispiel  für  die  stammbiklung-  mit  secundärem,  'individualisie- 
rendem' -(in-  gewinnen:  der  widder,  das  lamm  ist  also  als 'das 
wolltier'  gedacht,  das  tier,  an  dem  der  begriff  'wolle'  in  die 
individuelle  erscheinung  tritt. 

Weiter  aber  folgt  für  das  griechische  aus  dem  gewonnenen 
indogermanischen  thema  *  vartm-,  dass  die  nach  dem  homer. 
jioXv-QQriv-tQ  (II.  /  154.  296.)  und  nach  einer  bei  späteren  er- 
haltenen wortform  o/y'r  bereits  immer  vorausgesetzte  nominativ- 
fcn-m  des  Singulars  *  faQ7jr  durchaus  richtig  vorausgesetzt  war. 
ich  vermute  denniach  als  die  urgriechische  declination  dieses 
*  fa^/jv,  faQv-6^  folgende  : 

sing.  nom.  "^  fagriv     plur.  uom.  */«(>iJr-£$ 
gen.     fagv-og  gen.    fagv-cov 

dat.       faQv-'i  dat.  *faQi-oi  (?) 

acc.    *fa()fjv-a  acc.    fägv-ag  (früher  */«()r-«^-). 

Zunächst  sei  bemerkt,  dass  sich  (njv-  als  Stammform,  d.  i. 
*/(«)()/;?'-,  historisch  auch  erhalten  hat;  in  Qrjv-Eööi  nemlich 
bei  Apoll.  Rhod.  IV,  1497  und  in  (>/]/'-«  bei  Nicand.  ther.  453. 
Doch  um  abzusehen  von  diesen,  erklären  sich  die  eingetretenen 
Veränderungen  im  paradigma  fagv-  ganz  wie  bei  xvcov  äusserst 
leicht:  aQv-ög,  agv-i  im  singular  führten,  weil  sie  späterhin 
als  von  einem  einsilbigen  stamme  kommend  gefühlt  wurden, 
zu  a(jv-a ,  ebenso  aQV-öJv ,  uQV-ac,  im  plural  zu  ägv-sg.  Der 
dat.  plur.  aQvä-oi  ist  wie  vid-oi  eine  analogiebildung  nach 
:;rccTQ(c-oi ,  iußQÜ-oi  u.  s.  w.,  wie  bereits  oben  s.  53.  angegeben. 
Der  acc.  plur.  fägv-aq  kann  auch  hier  als  solcher  betrachtet 
werden,  welcher  der  ursprünglichen  bildung  dieses  casus  vom 
schwächsten  stamme  treu  blieb,  nuiss  aber  nicht  unbedingt  so 
aufgefasst  werden. 

Mit  der  erschliessung  dieses  paradigmas  aber  gewinnen 
wir  den  Schlüssel  für  mancherlei  bei  faQV-  und  seinen  an- 
verwanten  griechischen  Wörtern  noch  oftene  fragen.  Ausser 
dem  schon  erwähnten  comjjositum  jroXv-QQtjP-eg,  d.  i.  *-f{a)Qijv-Eg, 
und  dem  ebenfalls  homerischen  jioXv-QQrjVo-g  (Od.  X  257.)  er- 
klären sich  auch  die  bei  Curtius  gruudz.^  s.  718  verzeichneten, 
vornehmlich  hesychischen  composita  aQt]vo-ßoox6g,  agsvo-ßocxog^ 


78  OSTHOFF 

eQ()tjro-ßoöx6g,  sowie  die  ableituiigen  (>77i'-/g'scbaffeir  (=  aQvaxiq) 
tukI  'Pt'iv-biu  iii  ihrem  soitlier  tluukeleii  lautlielieu  verliültnisse 
zu  dem  stamme  aQv-:  sie  yelicu  mit  ihrem -///'-  aui'die  tliema- 
forra  der  stärksten  casus  zurück.  So  hrauclien  wir  nicht  mit 
Curtius  bei  dittjvo-  und  iQf^n/i'o-ßuoxoj.  sei  es  an  voealvorschlag 
sei  es  an  vocaleiuschub  zu  dcuken;  tQQtjvo-  aus  *tfQ?jvo: 
fag/jv  =  ivQv-Q:  grundf.  indog.  '*varü-s.  So  brauchen  wir  ferner 
auch  nicht  das  aQj/vo-  von  uQfji'o-i^ooxo^  mit  Job.  Schmidt 
a.a.O.  'dem  verdachte  unterliegen  zu  lassen,  aus  tQQ7jro-  und 
ccQi'o-  coutaminiert  zu  sein.'  Ueberbaupt  erweist  sich,  wie 
man  sieht,  die  ganze  Zuhilfenahme  der  crklärung  aus  svara- 
bhakti  für  das  ?/  in  allen  diesen  Wörtern  als  überflüssig.  Auch 
aQsvo-ßüOxog ,  dessen  echtheit  Job.  Schmidt  anfechten  wollte, 
kann  unangefochten  bleiben ;  denn  oflenbar  verhält  sich  aQtro- 
:  agt/vo-  =  lat.  homin-  :  homön-  =  got.  gum'm-  :  guman-\  das 
compositionsglied  agtro-  zeigt  unsere  stufe  «-,  während  in  uqv- 
der  casus  agv-oc,  agv-i  die  stufe  «^,  völliger  scbwund  des 
themavocales  vorliegt. 

Irgend  eine  schlagende  analogie  dazu,  wie  sich  nach 
unserer  ansieht  die  casusformen  xvv-a,  xvv-eq  und  ccQV-a^  aQi'-eg 
aus  dem  schwächsten  thema  als  nacblnldungen  entwickelten, 
brauchte  ich  hier  eigentlich  gar  nicht  mehr  herbeizuziehen,  da 
wir  genug  dergleichen  fälle  der  Verallgemeinerung  einer  der 
themaformen  im  verlaufe  unserer  Untersuchung  zu  beobachten 
gelegeuheit  gehabt  haben.  Ich  will  aber  dennoch  zum  über- 
fluss  auf  die  declination  des  griech.  avrJQ  hinweisen,  in  welcher 
ganz  ähnliche  Vorgänge  stattgefunden  haben  wie  wir  sie  bei 
xvov-  xvv-  und  f(a)Q7~ji'-  fuQv-  antreflen.  Eigentlich  und  von 
hause  aus  hatte  griech,  avtjQ  =  skr.  ved.  nar-  nichts  mit  den 
verwantschaftswörtern  auf  -q,  jraTyQ  und  genossen,  zu  tun,  und 
die  l)ei  Homer  und  in  der  epischen  poesie  überhaupt  vorlie- 
gende declination  sing.  artQ-og  =  ved.  när-as,  avtQ-i  =  ved. 
när-i"^),  avig-a  =  ved.  när-am,    ])lur.    avtQ-sg  =  ved.  när-as, 


•)  In  diesen  skr.  gen.  loe.  sing,  när-as,  luir-i  liegt,  da  sie  ausnah- 
men von  dem  casusbetunungsgesetz  der  einsilbler  sind,  widerum  eine 
bestätiguug  vor  für  unsere  oben  s.  47  ft'.  aul'gestellte  behauptiing  von 
dem  bestreben  der  spräche,  die  endsiiben  so  viel  als  möglieh  vom  hoeh- 
tone  zu  entlasten:    niir-as  gen.  und  ndr-i  loe.    stellen  sich  in  dieser  be- 


d 


N-DECLINATION.  79 

avt{j-cov  =  ved.  nar-am,  osk.  ner-um ,  avtQ-aq ,  dual.  avtQ-t 
=  ved.  när-ä  i«t  dariun  auch  eutschiedeu  für  die  älteste 
flexionsweise  dieses  nomeus  zu  halten.  Und  bei  einer  eben 
solchen  flexionsweise  ist  ja  auch  das  von  hause  aus  in  g'anz 
ähnlicher  läge  befindliche  gr.  aörrjQ  =  ved.  star-  tatsächlich 
immerfort  stehen  geblieben:  aörtQ-oq,  aoxtQ-i  u.  s.  w.  Da  nun 
aber  a-rt'iQ  im  griechischen  durch  die  prothese  des  «-  zweisilbig 
ward,  so  konnte  es  alsdann  mit  jrarrjQ  und  p'jriiQ  in  ein  und 
dasselbe  declinationsgeleise  eintreten.  Das  geschah  auch  und 
so  kam  es  zu  den  casus))ildungen  av{6)Q-6q,  av{d)(j-i,  ai'{d)^-(äv 
(wie  homer.  jiaTQ-öJv).  Anstatt  dann  aber  ferner  in  eben  die- 
sem geleise  zu  hleiben  und  wenigstens  die  casusformen  avtQ-a 
wie  TTUT^Q-a,  avtQ-tj:  wie  oruTtit-tc,  uvtQ-aQ  wie  jraTt(^>-ac  bei- 
zul)ehalten  >  erfuhr  das  einmal  so  veränderte  dv?]Q  den  anprall 
einer  zweiten  Strömung  in  der  sprachentwickelung  und  wider- 
stand demselben  nicht:  die  casus  drÖQ-o^,  drÖQ-l ,  cw6(j-cöi> 
wurden  als  zu  einem  einsilbigen  stamme  gehörig  gefühlt  und 
veranlassten  so  die  abermaligen  nachbildungen  dvÖQ-a^  drÖQ-ti^, 
i(}'d()-a^.  Das  letztere  sind  durchaus  evidente  und  denjenigen 
\<>llig  analoge  Umgestaltungen  des  i)aradigma  m>SQ-  dvÖQ-, 
welche  wir  bei  unseren  paradigmen  urgriech.  xv6v-  xvv-  und 
faQijv-  faQv-  constatieren  zu  dürfen  glaubten. 

Gibt  man  uns  aber  zu,  dass  mit  recht  in  der  form,  wie 
wir  sie  erschlossen,  die  alte  declination  von  xvcuv  und  agv-og 
A'orausgesetzt  werden  müsse  —  und  ich  denke,  der  wahrschein- 
lichkeitsgründe  sind  genug,  die  dafür  sprechen  — ,  gibt  man 
uns  dies  zu,  so  gewinnen  wir  zwei  vollständige  griechische 
uominalparadigmen,  welche  uns  fast  unmittelbar  noch  aus  der 
form ,  wie  sie  in  den  historischen  griech.  Sprachgebrauch  über- 
giengen,  diegeltuug  des  alten 'kauons' der  starken  und  schwachen 
casus  in  der  ?t-decliuation  auch  für  das  vorhistorische  giiechisch 
unzweideutig  ahnen  lassen.  Selbst  das  armenische,  das  uns 
mit  seinem -aw- stamme  gai-n  nicht  unwesentliche  hilfe  leistete, 
verriet  bei  dieser  gelegenheit  seine  ehemalige  teilnähme  an 
jenem    alten  'kanou',   denn  der    gen.  sing,    armen,  gar  in   aus 

Ziehung-  zu  piu-as  und  cim-i ,  pin-(i ,  ^itn-e  (oben  s.  49.),  während  der 
geu.  plur.  ved.  nar-a  m  seine  alte  und  ursprüngliche  betonung  beibehält. 
Vergl.  Grassmann  wörterb.  z.  rgveda  sp.  749  f. 


80  OSTHÜFF 

ijar  iii-ah  und  weitcrhiu  aus  "^gar  en-ah  documeutiert  sich  augeii- 
lällig-  als  auf  der  JA'lciclicu  v(»cal,sturc  («-)  des  sufti\V(>eales 
stellend  wie  das  uvdcutsehc  * /<//AWi-(/A',  yot.  aalmn-s,  wie  ferner 
das  genau  entsprechende  griech.  a{)tr-  von  aQtv-o-ßooxoc,  wäh- 
rend das  «(>;•-  von  ic())'-(u,  r((>;'-/  allerdings,  wie  schon  bemerkt, 
eine  stufe  weiter  in  der  Schwächung  des  Stammes  vorgerückt, 
wie  skr.  ukslin-äs,  uksfm-i  bis  zu  stufe  «'^  gediehen  ist. 

Nach  dieser  geschichte  der  w-declinatiou  in  den  indo- 
germanischen s[)rachen  gilt  es  nun  noch,  betreffs  des  germani- 
schen, von  dem  wir  ausgiengen,  einen  punkt  zu  erledigen:  die 
bildung  des  schwachen  feminins  mit  -an-,  got.  -on-.  Die  er- 
klärung,  welche  ich  forschungen  II,  151  if.  von  dieser  themeu- 
bildung  gegeben  habe,  kann  ich  natürlich  jetzt  nicht  mehr  auf- 
recht erhalten.  Da  sich  herausgestellt  hat,  dass  ganz  regel- 
recht die  suffixform  -an-  in  den  starken  casus  der  germani- 
schen masculina  und  ursprünglich  auch  der  neutra  dem  skr. 
abaktr.  -an-,  dem  griech.  -mr-,  lat.  -ön-  entspricht,  so  fällt  die 
möglichkeit,  das  feminine  got.  -ön-  mit  dem  -m-  der  verwanten 
sprachen  in  unmittelbare  Verbindung  zu  bringen.  Die  richtige 
erklärung  für  das  feminine  -ön-  habe  ich  selber  bereits  forsch. 
II,  156.  anmerk.  als  eine  auch  mögliche,  mich  für  alle  fälle 
wahrend,  angedeutet.  Zu  ihr  bekennt  sich  auch  mit  vollem 
rechte  der  recensent  meines  buches  im  liter.  centralbl.  1.  april 
1876,  sp.  475,  dessen  worte  ich  am  einfachsten  hersetze:  'Etwas 
unseren  germanischen  femininen  auf  -ön-  entsprechendes  gibt 
es  in  den  verwanten  sprachen  nicht.  Es  müssen  neubildungen 
sein.  Da  ist  es  denn  doch  wol  sehr  einleuchtend,  dass  zu  der 
zeit,  wo  im  germanischen  schon  eine  deutliche  Wechselbeziehung 
zwischen  dem  adjectivum  hlinda-  und  seiner  masculinischeu 
Substantivierung  hlindan-  sich  befestigt  hatte,  dass  da  nach 
dieser  analogie  auch  zu  den  feminiustämmen  auf  -ö-  (blmdö-) 
sich  einfach  nach  diesem  muster  eine  Substantivierung  auf  -ön- 
{hUndön-)  bildete.  Dieselbe  analogiebildung  ergriff  dann  auch 
ursprüngliche  Substantive  auf  -ö-.'  'Dass  -an-  durchaus  unur- 
sprüngliche, specifisch  germanische  stammerweiterung  aus  -ü- 
sei',  war  auch  schon  meine  ansieht  geworden,  als  ich  die  re- 
cension  von  Zimmers  buche  (liter.  centralbl.  19.  februar  1876. 
sp.  246)  niederschriel).  Die  propoi-tion  hlinda-  :  blindan-  = 
blindö-  :  x   ergab    mit    cousequeuz   für    dieses  a-   den  lautwert 


J 


N-DECLINATION.  81 

hlindön-.  Dass  es  aber  solche  coDsequenzen  zu  ziehen  liebt, 
zeigt  (las  germauisehe  sprachidiom  aneikauntermassen  auch 
durch  mauclie  andere  erscheiuuug-en ,  wofür  es  genügt  an 
die  exacte  und  consequente  durchführung  des  Systems  der 
ablautsreiheu  in  der  coujugation  des  primären  verbums  zu 
erinnern. 

Zu  allem  diesem  das  richtige  hinlänglich  feststellenden 
^Vi^e,  ich  hier  nur  noch  folgende  bemerkung.  Es  scheint  nicht 
einmal  nötig  zu  sein  anzunehmen,  die  spräche  habe  mit  der 
Stammerweiterung  substantivischer  -«- stamme  durch  den  nasal 
warten  müssen,  bis  aus  dem  alten  primären  suffixe  -an-  sich 
die  masculinische  Substantivierung  der  adjectiva  fertig  ent- 
wickelt hatte.  Vielmehr  konnten  wol  schon  als  seitenstücke 
zu  eben  jenen  masculinischen  primären  nomiua  agentis  mit  -an- 
femininbildungen  mit  -an-  und  ebenfalls  in  der  fuuction  eines 
nomen  agentis  vorgenommen  werden.  Den  anstoss  dazu  giaben 
solche  fälle,  wo  ein  mit  -an-  gebildetes  nomen  agentis  neben 
einem  ebensolchen  mit  -a-  ohne  jeden  unterschied  der  bedeu- 
tung  bestand.  Existierten  z.  b.  neben  einander  varda-  und 
imrdan-  Svärter',  beide  zwar  gleich  ursprünglich,  aber  das 
letztere  späterhin  von  dem  Sprachgefühl  in  abhängigkeit  und 
in  ein  ableitungsverhältnis  von  dem  ersteren  versetzt  (vergl. 
oben  s.  24),  so  konnte  dann  offenbar  ein  aus  varda-  mo- 
viertes  femininum  varda-  ' Wärterin'  leicht  auch  zu  vardan- 
werdeu.  Darnach  entstanden  dann  überhaupt  derartige  femi- 
nine nomina  agentis  schwacher  declination  wie  ahd.  -hrehha 
in  nuz-hrecha  'nucifraga',  stein- brecha  'saxifraga'  zu  -hrecho, 
-geba  'geberiu'  in  gast-geha  'hospita',  chorn-geba  zu  -gebo,  -iraga 
'gerula'  zu  -trago,  maga-zoha  'nutrix'  zu  maga-zoho,  un-bera 
'eine  unfruchtbare'  bei  Otfr.  I.  4,  9.  IV.  26,  37.  zu  -bero,  kUnga 
'torrens'  zu  kl'mgo  (siehe  oben  s.  27),  singa  'cantrix'  u.  a.;  be- 
sonders aber  zahlreiche  im  altnordischen  wie //w^a 'fliege',  und 
als  zweite  compositionsglieder  -riba,  -bo(3a  u.  a.  Eine  notwen- 
digkeit  freilich,  so  von  dem  teils  symbolisch,  teils  auch  rein 
formativ  gewordenen  nasal  gebrauch  zu  machen,  dass  man 
auch  feminina  auf  -ä  damit  erweiterte,  lag  für  die  spräche 
erst  bei  dem  adjectiv  vor,  besonders  von  der  zeit  an,  wo  die 
Substantivierung  durch  die  schwache  form  kategorisch  ge- 
worden war    und   das  bedürfnis  der  spräche  nach  einer  voU- 

Beiträge  zur  geschlohte  der  deutbchen  apracbe.   III.  g 


82  OSTHOFF 

ständigen  7z-declination  des  adjeetivums  allseitige  befiiediguug- 
heischte. 

LEIPZIG,  18.  april  187G. 


Nil  eil  wort. 

Gerade  noch  zur  rechten  zeit,  während  des  druckes  der 
vorstehenden  abhandlung,  geht  mir  die  so  eben  erschienene 
recensiou  meines  huches  über  das  schwache  adjectiv  durch 
Zimmer  anzeig',  f.  deutsch,  altert.  I,  229  ff.  zu.  Ich  benutze 
die  mir  hier  gebotene  günstige  gelegenheit,  um  einige  der  vou 
Zimmer  mir  gemachten  vorwürfe  und  einwendungen  etwas 
näher  zu  beleuchten. 

1.  S.  230  heisst  es:  'Einen  absolut  neuen  gedanken,  ein 
neues  princip  zur  erklärung  des  schwachen  deutschen  adjee- 
tivums bringt  Osthoff  nicht  bei.'  Ich  halte  es  nicht  für  die  un- 
bedingt notwendige  anforderung  an  einen  forscher,  immerfort 
gerade  nur  'absolut  neue  gedanken'  zu  erzeugen  und  auf  die 
bahn  zu  bringen.  Vielmehr  wird  nicht  selten  dadurch  der 
Wissenschaft  ein  grösserer  dienst  geleistet,  dass  man,  auf  eigene 
neue  gedanken  verzichtend,  früher  aufgestelltes  durch  weitere 
argumente,  wenn  man  solche  gefunden  zu  haben  glaubt,  zu 
stützen  sucht.  Scherers  erklärung  des  Ursprunges  der  w-decli- 
nation,  insbesondere  der  schwachen  adjectivfiexion,  war  gewis 
ein  'absolut  neuer  gedauke';  und  dennoch  würde  Scherer  un- 
streitig der  Wahrheit  näher  gekommen  sein,  wenn  er  in  diesem 
falle  den  ihm  aufsteigenden  neuen  gedanken  unterdrückt  und 
sich  darnach  umgesehen  hätte,  was  etwa  zu  gunsten  des  alten 
bei  Seite  geschobenen  Leo  Meyerschen  gedankens  weiteres  sich 
sagen  Hesse.  Ueberdies :  wie  stimmt  zu  dem  obigen  ausspruche 
Zimmers  die  eine  seite  später  (231)  mir  erteilte  Zurechtweisung: 
nm\  einiger  neuer  gedanken  willen  braucht  mau  nicht 
gleich  ein  ganzes  buch  zu  schreiben'?  und  die  schlussbemer- 
kung  der  anzeige  s.  237:  'Osthofls  schrift  lässt  eine  reihe 
von  fragen  in  einem  etwas  anderen  lichte  erscheinen 
als  sie  gewöhnlich  aufgefasst  werden'?  Im  übrigen  würde 
gerade  Zimmer  gut  daran  tun,  nicht  zu  vorschnell  anderen  den 


N-DECLINATION.    (Nachwort.)  83 

maiigel  neuer  gedankeu  vorzuwerfen:  von  dem  vielen,  was 
dieser  Junge  gelehrte  binnen  so  kurzer  zeit  zusammengeschrie- 
ben und  -recensiert  hat,  erweist  sich  doch  das  allermeiste,  bei 
lichte  besehen,  als  rei)roduetiou  Schererschei'  gedanken,  und 
nur  ein  minimum  verbleibt  als  die  Zimmer  eigentümlichen 
neuen  ideen  und  gesichtspunkte. 

2.  Ich  fusse  auf  unzureichendem  material,  meint  Zimmer; 
'  überhaupt  verrät  die  ganze  arbeit,  dass  nirgends  eigene  Samm- 
lungen zu  gründe  liegen'  (s.  230);  'man  hätte  eine  vollstän- 
dige Sammlung  aller  «??,- stamme,  sowol  der  ursprünglichen 
als  der  unursprünglichen,  nach  kategorien  geordnet,  erwartet' 
(s.  231).  Das  letztere  lag,  wie  ein  billiger  beurteiler  mir  zu- 
geben wird,  entschieden  nicht  in  dem  plane  meines  buches. 
Würde  mir  aber  Zimmer,  was  er  nicht  kann,  nachweisen 
können,  dass  ich  irgend  einen  wichtigen  gebrauch  des  Suf- 
fixes -an-  im  germanischen  übersehen,  so  hätte  er  darauf  mit 
recht  einen  Vorwurf  gründen  können.  Eine  reichlichere  herbei- 
ziehuug  des  angelsächsischen  und  besonders  des  altnordischen, 
die  Zimmer  vermist,  hätte,  wie  ich  fest  überzeugt  bin,  mir  nur 
weitere  bestätiguugen  meiner  ansichten  über  die  schwache 
declinatiou  liefern  kiinnen.  Da  mir  übrigens  von  anderer 
wahrlich  nicht  minder  sachverständiger  seite  gesagt  worden 
ist,  ich  häufe  zu  sehr  und  unnötiger  weise  das  material  und 
ich  pflege  öfter  ein  dutzend  beispiele  sprechen  zu  lassen,  wo 
zwei  oder  drei  genügt  hätten,  so  kann  ich  wol  die  entgegen- 
gesetzte ansieht  Zimmers  als  eine  rein  subjective  auf  sich  be- 
ruhen lassen. 

3.  Die  forschungeu  II,  150.  ganz  nebenher  von  mir  ge- 
äusserte hypothese,  bereits  in  slawo  -  lettisch  -  deutscher  periode 
habe  die  Verwendung  des  durch  -an-  substantivierten  adjectivs 
als  bestimmten  attributs  beim  artikel  begonnen,  ist  eine  völlige 
nebensache  in  meiner  beweisführung,  auf  welche  ich  gar  kein 
gewicht  lege.  Aber  Zimmer  s.  234  f.  schlägt  mit  charakteristi- 
scher taktik  gerade  hieraus  viel  capital  gegen  mich:  beinahe 
zwei  volle  selten  der  im  ganzen  acht  selten  laugen  anzeige 
werden  der  Widerlegung  dieses  puuktes  gewidmet,  und  der 
ahnungslose  leser  muss  natürlich  glauben,  es  handele  sich 
dabei  um  wunders  welchen  cardinalpunkt  in  meinen  argu- 
mentationen.    Ich   kann   nun  eben  jene   hypothese   ruhig  als 

6* 


84  OSTHOFP 

verlorene  position  den  angriften  meines  gcgners  preisgeben, 
ganz  unbeschadet  aller  meiner  sonstigen  aufstelluugen,  nemlich 
ohne  dass  dadurch  im  mindesten  meine  grundausichten  er- 
schüttert würden,  meine  darlegung  des  entwickelungsganges 
der  adjecti  vi  sehen  w  -  deelination  im  deutschen  irgendwie  einen 
stoss  erlitte.  Bei  der  breiten  ausführung  dieses  punktes  fragt 
übrigens  mein  rccensent  einmal  ,«.  234:  'mit  welcher  bereehti- 
gung  setzen  w  i  r  fürs  germanische  einst  eine  flexionsweise  des 
adjectivums  voraus,  wie  sie  im  lit.  und  slav.  ausgeprägt  ist? 
berechtigt  uns  irgend  eine  germanische  form  dazu?'  Diese 
fragestellung  mit  Svir'  hat  natürlich  ungefähr  den  sinn,  wie 
wenn  ein  liebevoller  lehrer  sich  freundlich  zurechthelfend  zu 
seinem  schüler,  der  sich  in  die  Schwierigkeiten  einer  rechen- 
aufgabe  verwickelt  hat,  auf  die  Schulbank  herablässt:  der 
lehrer  fingiert,  sich  mit  auf  den  gedankenirrgängen  des  armen 
Schülers  zu  befinden,  und  redet  per  Svir'.  Zu  dem  'wir'  ge- 
hören mindestens  immer  zwei  personen,  und  da  muss  ich 
herrn  Zimmer  sagen:  wenn  er  auf  mich  dabei  gerechnet  hat, 
so  hat  er  falsch  gerechnet,  sich  an  die  verkehrte  adresse  ge- 
want.  Ich  bin  mir  nicht  bewust,  irgendwo  und  irgendwann 
etwas  dergleichen  behauptet  zu  haben,  wie  es  Zimmer  mir 
unterzuschieben  sucht  in  der  liebenswürdigen  absieht,  mich 
eines  besseren  zu  belehren.  Doch  möge  mein  kritiker,  um  nicht 
ratlos  zu  bleiben,  wo  er  mit  seiner  frage  und  seinem  bedürfnis 
zu  belehren  unterkommen  kann,  wenigstens  von  mir  erfahren,  an 
welche  adresse  er  sich  wenden  muss,  wenngleich  diese  erfah- 
rung  keine  sehr  angenehme  für  ihn  sein  mag.  Er  hätte  eigent- 
lich fragen  müssen:  'mit  welcher  berechtiguug  setzt  Scherer 
u.  s.  w.'  Denn  vergl.  Scherer  z.  gesch.  d.  deutsch,  spr.  4U7. 
Eben  nur  unter  dem  unmittelbaren  einflusse  der  angezogenen, 
übrigens  auch  forschungeu  II,  150  von  mir  ausdrücklich  citier- 
teu  Schererschen  stelle  war  es,  dass  ich  jene  auseinander- 
setzung  des  germanischen  schwachen  adjectivs  mit  dem  com- 
ponierten  bestimmten  adjectiv  der  slawolettischeu  sprachen 
überhaupt  für  nötig  hielt  und  in  folge  dessen  zu  meiner  un- 
haltbaren vernmtung  gelangte. 

Ich  berühre  nun  noch  mehrere  einzelheiten. 

4.    Wenn   got.  stauan-  'richter'   von   Zimmer  s.  233  f   so 
aufgefasst  wird,   als   sei  von  dem  feminin  slauä-  'gericht'   zu- 


N-DECLINATION.    (Nachwort.)  85 

nächst  mit  seeundäveiQ  suffixe  -«-  ein  '*staua-  'lichter'  gehildef 
und  dieses  dann  in  die  schwache  decliuation  auf  die  hekannte 
weise  iihergetreten :  so  müssen  wir  demnach  nuimiehr  wol  auch 
lat.  fahnlön-  und  nugön-  (p,  oben  s.  9)  zu  allernächst  auf  ein 
*fahiUu-s,  '■^•nugu-s  zurückg-eheu  lassen  und  in  diesen  '*•  fahulu-s , 
*nugu-s  secundäres  masculinischcs  suffix -«-  suchen,  mit  denen 
sie  von  den  femininen  grundwöitern  deriviert  sind!  Wie  altn- 
Grbnr  und  kambr  dafür  zeugnis  al)legen  sollen,  dass  man  auch 
im  gotischen  ein  nomen  '*stau-s  'richter'  von  stauä-  mit  secun- 
däreni  -a-  hätte  bilden  können,  begreife  ich  nicht.  Grimr  als 
eigenname  OÖins  und  eines  zwerges  (vergl.  Egilsson)  möchte 
also  Zimmer  mittels  jenes  secundären  -a- Suffixes  von  grima 
f.  Mielm'  herkommen  lassen.  Kann  denn  Grimr  nicht  auch 
eine  abkürzung  eines  vollnamens,  eine  koseform  sein?  vergl. 
altn,  Grim-ülfr,  ahd.  Isau-grim  u.  a.  Muss  etwa  ahd.  Wolf  als 
kosenamensform  durch  ein  secundäres  -a-suffix  mit  dem  appel- 
lativum  wolf  verknüpft  werden?  Und  wenn  altn,  kamhr  'kämm' 
in  der  Edda,  wo  wahrlich  noch  viel  kühnere  bilder  vorkommen, 
kraft  einer  dichterischen  metonymie  (pars  pro  toto)  auch  als 
name  für  den  'hahn'  gebraucht  wii'd,  wozu  die  gekünstelte 
erklärung,  kamh-r  in  der  bedeutuug  'hahn'  enthalte  secundäres 
Suffix -a-V  Mit  gleichem  rechte  würde  man  sagen  können:  nhd. 
esel  figürlich  als  Schimpfwort  für  einen  menschen  gebraucht  sei 
nicht  ganz  dieselbe  Wortbildung  wie  escl,  wenn  es  das  tier  be- 
deutet, sondern  in  jenem  ersteren  falle  stecke  noch  ein  secun- 
däres staminbildungsmittel  in  dem  worte.  Es  könnte  allerdings 
altnord.  der  bahn  auch  recht  wol  mit  individualisierendem 
secundärsuffixc  -an-  kamhi  heissen;  vergl,  gullin- kambi.  Heisst 
er  aber  kamh-r,  so  hat  der  stamm  kamha-  eben  gar  kein  neues 
Suffix  erhalten,  und  wir  haben  offenbar  ganz  dasselbe  Verhält- 
nis, wie  wenn  das  lateinische  mit  rupex,  stamm  rupic-,  ohne 
jedes  neue  suffix  und  einfach  durcli  bild  und  metapher  den 
tölpelhaften  menschen  als  'klotz'  bezeichnet,  in  rn.picmi-  da- 
gegen zu  ebendemselben  zwecke  das  individualisierende  -ön- 
iu  anwendung  bringt;  vergl.  forschungen  11,  81  und  ebend. 
anm,*)  So  lange  also  Zimmer  nicht  durchschlagendere  Zeug- 
nisse beibringt  als  Gritnr  und  kambr,  kann  ich  es  ihm  schlech- 
terdings nicht  glauben,  dass  im  gotischen  von  staaä-  eine  se- 
cundäre  ableitung  *67a?<a-,  nom,  sing.  *A/aM-6',  in  der  bedeutuug 


86  OSTHOFF 

'richter'  zu  bilden  möglich  gewesen  wäre,  und  ebenso  wenig, 
dass  als  secundäre  ableituugeu  von  den  neutris  got.  spül, 
vaurstv  etwa  niasculine  noniina  *iy><7/-i- 'verkündiger',  ^vaurstv-s 
'arbeiter'  überhaupt  nur  denkbar  wären,  an  welchen  letzteren 
dann  der  fortgeträumte  lieblingstraum ,  dass  daraus  mit  hilfe 
des  schönen  genitivsuffixes -www  die  'unorganischen' w- stamme 
spUla-n-,  vaurslva-n-  sich  entwickelten,  hätte  in  scene  gehen 
können.  Ueberhauj)t  hat  Zimmer  nominalsuff.  a  und  d  s.  205  ff., 
auf  welchen  abschnitt  seines  buches  er  wegen  des  angeblich 
nachgewiesenen  secundärsuffixes  -a-  verweist,  mit  der  annähme 
eines  eben  solchen  Suffixes  viel  nusbrauch  getrieben;  ein  urteil, 
welches  nicht  nur  meine  persönliche  subjective  anscliauung 
mir  eingibt,  sondern  auch  der  eiudruck,  den  andere  sachver- 
ständige von  dieser  partie  des  Zimmerschen  buches  bekommen 
haben. 

5.  Wenn  durch  altir.  benim  '  ferio '  wirklich  ein  urgermani- 
sches starkes  verbum  *henan  'morden'  sicher  gestellt  sein 
sollte  (s.  233),  kein  *  banau  etwa,  perf.  */;ö«,  wie  oben  s.  22 
stillschweigend  geschehen,  angenommen  werden  darf,  so  ist 
alsdann  germ.  banau-  'mörder'  (ags.  baua,  alts.  ahd.  bano)  aller- 
dings kein  primäres  nomen  agentis  mit  -an-,  sondern  eine 
secundäre  Wortbildung  mit  dem  individualisierenden -f«i-  von 
einem  zu  gründe  liegenden  nomen  actionis  urgerm.  ■^•bana- 
'mord,  tötung'  =  griech.  <p6vo-q.  Aber  die  regel  über  die  ur- 
sprüngliche gestaltung  des  wurzelvocals  bei  der  bildung  der 
primären  nomina  agentis,  die  durch  germ.  geban-,  ahd.  ezzo, 
germ.  boran-,  ahd.  tiofuo  (oben  s.  25  ff.)  repräsentierte  regel  nem- 
lich,  wird  dadurch  nicht  im  mindesten  aufgehoben,  wie  Zimmer 
bewiesen  zu  haben  sich  einbildet. 

6.  Zimmer  richtet  s.  232  unter  mehreren  anderen  rhetori- 
schen fragen  auch  die  an  mich:  'mit  welcher  berechtiguug, 
fragen  wir  nun,  spricht  er  von  einem  direct  au  die  wurzel  ge- 
tretenen Suffix  an  in  boran-,  wenn  gr.  OaTCSögjOQo-,  oivoffOQO-, 
lat.  signifero-  u.  s.  av.  ags.  sverd-,  vccpenbot^an-,  ahd.  kumpalboran- 
zur  Seite  steht?'  Hier  ist  synkretistische  sprachver- 
gleicherei in  des  Wortes  eigentlichster  und  verwegenster  be- 
deutung  getrieben.  Germ,  -boran-  stammt  weder  mit  lat.  -fero-, 
noch  mit  griech.  -(poQo-,  noch  stammen  andererseits  das  lat. 
-fero-  und  das  griech.  -<poQo-  unter  sich  unmittelbar  aus  einer 


N-DECLINATION.    (Nachwort.)  87 

und  derselben  giundsprachlichen  quelle.  Wie  stimmen  denn 
die  wurzelvocale  zu  einander?  Die  allerältestc  bilduugsweise 
und  sicher  die  eliemals  gemein-europäische  (vcrgl.  oben  s.  10  f.) 
reflectiert  das  griech.  -(poQo-q.  Dem  gegenüber  ist  lat.  -fero- 
ebenso  sicher  eine  jüngere  sonderbildung  dieser  spräche,  wie 
im  slawischen  die  altbulgarischen  uomina  tckü,  u-tekü-  'cursus' 
und  dohro-rekü  'facundus',  verglichen  mit  lokü  und  pro-i'okü 
'propheta'  (Miklosich  vergleich,  stammbilduugsl.  s.  24),  auf 
einem  verlassen  des  alten  bildungsprincips ,  auf  später  üblich 
gewordener  anlchnung  des  mit  primärem  -a-  gebildeten  nomens 
au  den  präsensstamm  beruhen.  Germ,  horan-  aber,  selbst 
wenn  es  eigentlich  bora-n-,  d.  i.  'unorganisch'  erweiterter 
-«-stamm  sein  sollte,  stellt  sich  seinerseits  weder  unmittelbar 
zu  griech.  -q)OQo-,  dem  nur  ein  germanisches  *bara-  gleich- 
kommen würde,  noch  zu  lat.  -/'ero-,  mit  welchem  letzteren 
höchstens  das  jüngere  germ.  heran-  (siehe  oben  s.  29  f.)  in  der 
von  Zimmer  gewollten  weise  in  Verbindung  gebracht  werden 
könnte. 

7.  Zimmer  fragt  weiter  s.  233:  'wie  mag  er  ein  urdeutsches 
vald-an-  ansetzen,  wenn  neben  ahd.  alewalto,  alts.  alowaldo,  ags. 
e<ilvealda  in  altu.  poesic  nicht  nur  valdr  (stamm  valda-)  als 
Simplex,  sondern  auch  in  vielen  compositis  allvaldr  u.  s.  w.  noch 
vorkommt  (QF.  XIII,  42)  ?  wie  ein  haldan-,  wenn  altn.  fasthaldr 
gegenül)er  ahd.  chalio ,  huohhalto  fortbesteht?'  Germ,  valdan- 
*  Walter,  herscher',  haldan-  'halter'  und  ebenso  vardan-  'wärter' 
bin  ich  trotz  der  neben  ihnen  bestehenden  gleichbedeutenden 
-«-stamme  valda-,  halda-,  varda-  ebenso  für  von  hause  aus  un- 
mittelbar aus  der  wurzel  mit  primärem  -an-  gebildete  uomina 
agentis  zu  halten  berechtigt,  wie  im  griechischen  und  lateini- 
schen nichts  mich  zwingt,  etwa  aiO-cov  und  ifäy-(ov  u.  a,,  lat, 
rapön-,  volön-,  in-cuhön-  u.  a.  wegen  der  daneben  liegenden 
aid^-6-q,  (päy-o-c,  -rapu-s,  -volii-s,  in-cubu-s  als  secundäre  Weiter- 
bildungen von  diesen  kürzeren  -o- stammen  anzusehen,  Vergl. 
oben  s,  24;  über  aLß-oxr,  (pdyon' ,  lat,  fapön-,  volon-,  m-cubün- 
forschungen  II,  53  f.  56.  74.  Eine  solche  frage  aber  in  bezug 
auf  germ.  valdan-,  haldan-  und  ihr  Verhältnis  zu  valda-,  halda- 
beweist  mir  nur,  dass  derjenige,  der  sie  an  mich  richtet,  mein 
buch  entweder  gar  nicht  verstanden  hat  oder  nicht  hat  ver- 
stehen  wollen.     Die  alleroberflächlichste  durchblätterung  des- 


88  OSTHOFF 

selben  muste  jedem,  der  überhaupt  sehe»  wollte,  sehr  bald  die 
Überzeugung  beibringen,  dass  es  ein  grundgc danke,  ein 
fundanicnt  meiner  Untersuchung  über  das  schwache  adjectiv 
ist,  überall  und  allerwärts  auf  schritt  und  tritt  von  dorn  nc])cn- 
einanderl)estehen  primärer  durch  -an-  und  durch  -a-  gebildeter 
nomina  agcntis  auszugehen  und  immerfort  diesen  parallelismus 
in  der  stanmibildung  unserer  sprachen  mit  aller  schflrfe  und 
allem  mir  zu  geböte  stehenden  nachdruck  zu  betonen.  Ist 
dies  für  Zimmer  noch  nicht  scharf  und  nachdrücklich  genug 
geschehen,  so  kann  ich  allerdings  leider  nicht  helfen. 

8.    lieber  meine  erklärung   des  Ursprunges   der  suflixform 
-jmi-  im  germanischen    sagt  Zimmer  s.  234:    'die  ansieht  über 
entstehung   der  suffixform  ymi-,   wie   sie   s.  112  ff.  vorgetragen 
wird,  die  fürs  lat.  ihre  berechtigung   haben  mag,   ist  fürs  ger- 
manische abzuweisen.'     So  lange  nicht  der  überzeugende  gegen- 
beweis  geliefert  wird,   weshalb    meine  ansieht   über  -Jan-  ab- 
zuweisen sei,  bin  ich  berechtigt  sie  festzuhalten,  die  angeführte 
äusserung  meines  recensenten  aber   der  zahl  der  Zimmerscheu 
machtsprüche  anzureihen,  welche  nun  einmal  zu  den  berechtig- 
ten eigentümlichkeiten  dieses   forschers   zu  gehören   scheinen; 
vergl.  oben  s.  2  f.   Machtsprüche,  wie  ich  oben  sagte,  beweisen 
in  der  Wissenschaft  nichts,  rcdensarten  aber  noch  viel  weniger. 
Ich  gebe  mich    nicht  etwa   der  Illusion  hin,   als  würde  es 
mir  gelingen,  durch  die  vorstehenden  bemerkuugen  schliesslich 
doch  noch  meinen  gegner  von  der  richtigkeit  meiner  ansichten 
über  die  w-declination  zu  überzeugen.     Der  junge  Strassburger 
doctor,   der  so  bereitwillig   solche  ehrentitel  wie  'vollständiger 
nachtreter'    u.  dergi.   (vergl.  z.  b.   nominalsuff,  a    und  n    s.  3.) 
an  andere  spendet,   hat  sich  bereits  blindlings  und  zu  fest  für 
die  ansichten  seines  lehrers  Öcherer,  sowol  für  die  unrichtigen 
als  für  die  richtigen,  en  bloc  engagiert.     Er  hat  für  mich  und 
wol  noch  für  andere  durch  vieles  hinlänglich  überzeugend  den 
beweis  geliefert,   dass  er  sich   nicht  dazu   zu  erheben  vermag, 
die  leistungen   von  mitforschern   anders   als   durch   die  partei- 
brille  der  Schererschen  schule   zu  betrachten.    Für  einen  com- 
petenten  richter  vermag   ich   ihn   aus   diesem  gründe   nicht  zu 
halten.     Meine  gegenbemerkungcn  gegen  seine  recension  richten 
sich  auch  weniger   an  ihn  selbst,   als  sie  vielmehr  den  zweck 
haben  sollen,  den  lesern  des  anzcigers  für  deutsches  altertum, 


N-DECLINATION.    (Nachwort.)  89 

besonders  solchen,  welche  den  zwischen  Zimmer  und  mir  ver- 
handelten fragen  ferner  stehen,  durch  eine  gründliche  sach- 
liche belcuclitung-  der  an  mir  geübten  kritik  den  beweis  zu 
führen,  dass  "das  von  meinem  buche  durch  Zimmer  entworfene 
bild  ein  entstellendes,  auch  durch  den  farbenton,  in  dem  es  ge- 
halten ist,  den  wahrheits-  und  gerechtigkeitssinn  l)eleidigendes 
bild  ist.  Ich  habe  es  gewagt,  über  den  Ursprung  der  w-decli- 
nation  und  des  schwachen  adjectivums  eine  andere  meinung 
zu  haben  als  Sclierer.  Ich  habe  dies  um  so  eher  wagen  zu 
dürfen  geglaubt,  als  ja  Höherer  selbst  z.  gesch.  d.  deutsch,  spr. 
408  es  aussprach,  dass  er  seine  erklärung  nicht  für  eine  über- 
zeugende und  abschliessende  halte.  Habe  ich  mit  diesem 
Wagnis  in  den  äugen  gewisser  leute  eine  süude  begangen,  so 
will  ich  die  Verantwortlichkeit  gern  auf  mich  nehmen.  War 
es  abei"  an  sich  keine  Verschuldung,  dass  ich  an  die  stelle  einer 
Schererschen  ansieht  eine  mir  besser  scheinende  zu  setzen 
suchte:  so  durfte  ich  auf  billige  und  unbefangene  beurteilung 
meines  Versuches  rechnen,  wie  jeder  ehrliche  forscher  es  darf. 
Eine  unbedingte  anerkeuuung  meiner  rcsultate  in  bausch  und 
bogen  zu  erwarten  wäre  auniassend  von  mir  gewesen;  aber, 
wie  gesagt,  das  anrecht  auf  eine  billige  und  gerechte  kritik 
und  vor  allem  auf  eine  Widerlegung  mit  gründen,  da  wo 
ich  geirrt,  bin  ich  mir  nicht  bewust  verscherzt  zu  haben.  Alles 
dies  ist  mir  in  dem  'anzeiger  für  deutsches  altertum'  nicht  zu 
teil  geworden,  und  das  ist  für  mich  der  grund  gewesen,  an 
dieser  stelle  öffentlich  gegen  ein  derartiges  vielfach  beliebtes 
leichtfertiges  al)urteileu  durch  scheingründe,  verbunden  mit 
einigem  rhetorischen  wortgepränge ,  protest  zu  erheben.  Veri- 
tas  vincet! 

LEIPZIG,  10.  mai  1876. 

H.  OSTHOFF. 


EINE    NEUE    HANDSCHRIFT    VON 
HARTMANNS  GREGORIUS. 


V.    la. 

Dis  ist  die  vorred  von   dem 

buch  dez  guten  herren  sant 

Gregorien  alz  hienach  stät.*) 

Min  hertz  das  hatt  bezwungen 

Gar  vil  vnd  dik  min  zungen 

Daz  si  des  vil  gesprochen  hätt 

Dar  nach  der  weit  lone  stät 

Das  rietent  mir  min  tumben  iar 

Nu  wais  ich  daz  wol  für  war 

Wer  durch  dez  tiifels  rät 

Den  trost  zu  siner  jugent  hat 

Daz  er  dar  vflf  sündet 

Alz  im  sin  mutwill  kündet 

Vnd  er  gedenkt  dar  an 

Du  bist  noch  ain  junger  man 

Aller  diner  missetät 

Wirt  villicht  noch  gut  rät 

Du  bi'issest  es  an   dem  alter  wol 

Der  gedenkt  anders  denn  er  sol 

Er  wirt  licht  entsetzet 

Wond  in  dez  sin  wille  letzet 

2J     Die  gross  vnd  ehaftig  not 

So  der  grymm  bitter  tot 

Den  tÜrgedank  richet; 

Vnd  jm  daz  leben  brichet 

Mit  ainem  snellen  end 

Der  gnaden  eilend 

Hat  denn  den  bösern  tail  erkorn 

Vnd  wer  er  erborn 

Von  Adam  mit  Abei 


V.   28a. 

Vnd  sölt  mit  jm  sin  sei 
Werden  der  sünden  slag 
Vntz  an  den  jüngsten  tag 
So  hett  er  nit  ze  vil  geben 

5      Vmb  daz  ewige  leben 
Das  anvanges  nit  enhät 
Vnd  och  niemer  me  zer  gät 
Durch  dz  wer  ich  gern  berait 
Ze  sprechen  die  warhait 

1(1     Daz  gottez  wille  were 
Vnd  daz  die  gross  swere 
V'nser  süntlichen  bürde 
Ain  tail  ringer  wurde 
3]    Die  ich  durch  mine  missekait 

15     Vff  mich  mit  worten  hän  gelait 
Won  da  zwifel  ich  nit  an 
Alz  v'ns  got  an  ainem  man 
Er  zögt  vnd  bewert  hat 
So  wirt  niemans  mistät 

2ü    In  der  weit  so  gross 

Er  werd  ir  ledig  vnd  bloz 
Ob  si  jnn  von  hertzen  rüwent 
Vnd  si  die  nit  wider  niiwent 
Von  dem  ich  v'ch  nu  sagen  wil 

25    Dez  schuld  wz  gross  vnd  vil 
Daz  si  vil  stark  ze  hören  ist 
Denn  daz  man  si  durch  ain  list 
Nit  verswigen  getar 
Vnd  daz  da  bi  nem  war 

30    Alle  süntliche  gediet 


*)  Diese  r  titel  ist  mit  roter  tinte  geschrieben. 


GREGORroS. 


91 


V.   58a. 

Die  der  tüfel  verriet 

V'ff  den  weg  der  helle 

Ob  ir  dehainer  noch  welle 

Gottes  kinder  mereu 

4J     Vnd  selb  och  wider  keren 

Daz  er  den  zwifel  läss 

Vnd  sich  der  sünden  mäss 

Die  mengen  versenket 

Wer  sich  bedenket 

Höbthafter  misseüU 

Der  er  villicht  menge  hat 

So  tut  er  wider  dem  gebott 

Vnd  verzwiflot  denn  an  got 

Daz  er  ir  nit  ruchet 

Vnd  gn:id  dar  vmb  suchet     [men 

Vnd  niemer  getrüwt  wider  ze  ko- 

So  hat  der  zwifel  jm  benomcn 

Den  Wucher  der  rüwe 

Vnd  sinen  grossen  trüwc 

Die  er  zu  got  sölt  hän 

Biiss  nach  bicht  bestjln 

So  wirt  der  rüwe  süsse 

Vnd  tringt  zu  sinen  fiissen 

Vif  den  gemainlicheu  weg 

Der  enhatt  stain  noch  steg 

5|     Mos  gebirg  noch  wald 

Er  enist  ze  haiss  noch  ze  kalt 

Man  vert  jnn  ab.  äne  dez  libez  not 

Er  laitet  aber  vff  den  ewigen  tot 

Nu  ist  der  seiden  Strasse 
In  etzlicher  masse 
Baide  ruch  vnd  engl 
Die  muss  man  die  lengi 
Wallen  vnd  klimmen 
Watten  vnd  swimmen 
Vntz  daz  si  jnn  hin  laitet 
Daz  si  sich  wol  beraitet 
Vnd  disem  eilende 
Git  ain  vil  si'iss  ende 
Don  selben  weg  geriet  ain  man 
Ze  rechter  zit  er  endran 
Vss  der  morder  gewalt 
Er  WZ  komen  jn  jrn  gehalt 
Da  hatten  si  jn  nider  geslagen 


V.  102a. 
6]    Vnd  jm  freuenlich  entragen 
Gar  alle  die  sinen  klaid 
Vnd  hattent  jm  angelait 
Die  marterlichen  wunden 
5    Es  waz  ze  den  stunden 
Siner  sei  armüt  vil  gross 
Sus  liessent  si  jnn  sigloz 
Vnd  halb  für  tot  ligen 
Do  hatt  jm  got  nit  verzigen 
10    Ainer  gewon liehen  erbarmikait 
Vnd  hat  noch  dise  zway  klaid. 

Gedinge  vnd  och  vorchte 
Die  got  selber  worchte 
Daz  si  ain  schirm  weren 
15    Aller  sünderen 

Die  vorchte  daz  er  sturb 
Gedinge  daz  er  nit  verdurb 
Vorcht  Hess  jnn  da  nit  ligen 
Doch  wer  er  nider  gesigen 
20    ']    *)^nd  ez  gar  verbotten  hat 
Dax  man  durch  kain  mistät 
An  jm  nit  zwifelhaft  beste 
Ez  ist  kain  süude  me 
Man  werd  ir  mit  der  rüwe 
25    Ledig  vnd  och  nüwe 
Schöne  vnd  och  raine 
Nu  der  zwifel  allaine 
Der  ist  ain  mortgalle 
Ze  dem  ewigen  valle 
30     Den  nieman  mag  gesüssen 
Noch  wider  got  gebüssen 
Der  dis  rede  berichte 
Mit  tütschem  getichte 
Daz  waz  von  Offen  Hartman 
35    Hie  hebet  sich  von  erst  an 
Die  seltzeneu  mere 
Von  dem  guten  sünderen 
S]")  Hie  nach  stat  geschri- 
ben  von 
40    Dem  leben  sant  gregorien 
wie  do  ze  ziten  ain  frowe 
lebt  die  waz  sin  mütter  sin 
baz  vnd  6ch  sin  wip  etc. 
Es  ist  ain  welsches  land 


*)  Hier  ist  blatt  6  (      s.  11.12.)  der  hs.  einzuschalten! 
**)  Uiese  Überschrift  ist  mit  roter  tintc  geschrieben. 


92 


HIDBER 


V.  8. 
Equitania  genant 
Vnd  lit  dem  raer  gar  vnverr 
Dez  selben  lanrtez  herr 
Ward  hy  hinein  wip 
Zway  kind  die  an  ir  lip 
Nit  schöner  möchten  sin 
Ain  sun  vnd  ain  töchterlin 
Der  kinden  muter  starb 
Do  si  in  daz  leben  wol  erwarb 
Vnd  do  die  kint  waren 
Komen  ze  zehen  jaren 
Do  begraif  den  vatter  6ch  der  tot 
Do  er  jm  sin  kunft  enhott 
So  daz  er  jnn  gelaitet 
Daz  er  von  siechaitte 
9]    Sich  dez  todes  entstund 
Do  tet  er  alz  die  wisen  tünd 
Ze  band  er  do  besante 
Alle  die  von  dem  lande 
Den  er  getrüwen  solt 
Vnd  jn  beuelhen  wolt 
Sin  sei  vnd  och  die  kind 
Nu  alz  si  für  in  komen  sint 
Mäge  man  vnd  dienstman 
Sine  kind  die  sach  er  an 
Nu  wären  si  gelich 
Vnd  so  recht  wuuenklich 
Geraten  an  jreni  lip 
Daz  ainem  herten  wip 
Ze  lachen  wer  geschehen 
Ob  si  die  hett  an  gesehen 
Daz  machet  sinem  hertzen 
Vil  bitterlichen  smertzen 
Dez  herren  jamer  wart  so  gross 
Daz  jm  der  6gen  regen  floss 
10]     Nider  vflf  die  bett  wät 
Er  sprach  dez  ist  kain  rät 
Ich  müss  von  v'ch  schaiden 
Nu  eölt  ich  mit  v'ch  baiden 
Aller  erst  fröden  walten 
Vnd  wunenklichen  alten 
Der  trost  ist  nu  zergangen 
Mich  hat  der  tod  gevangen. 

Nu  benalcli  er  si  bi  den  banden 
Den  herren  von  den  landen 
Die  dur  jn  dar  warent  komen 


V.  54. 
Da  ward  gross  iamer  vernomen 
Ir  jamer  zii  den  trüweu 
Schftf  daz  grosse  rüwen 
Alle  die  da  warent 
5    Begunden  so  gebären 
Alz  ain  jngesinde  gut 
Vmb  jrn  lieben  herren  tiit 
Vmb  irn  lieben  herren  tut 
llj    Wond  daz  der  gedinge 

10    Machet  jnn  also  ringe 

Daz  er  doch  werbende  sass 
Dar  zu  stärkte  jnn  baz 
Die  gaistlich  trüweu 
Gemischelt  mit  dem  rüwen 

15    Si  tatent  jm  vil  gutes 

Vnd  sübertent  jnn  dez  mütez 
Si  gussent  jn  die  wunden  sin 
Baide  öl  vnd  och  win 
Die  salbe  ist  senft 

20    Vnd  tut  doch  we 
Daz  öl  die  gnäde 
Der  win  die  e 
Die  der  sünder 
Haben  mixss 

25    So  wirt  jm  siechtüms  buss 
Alsus  hub  jnn  mit  siner  band 
Gottez  gnäd  alz  jnn  do  vand 
Vff  ir  miltez  achselbain       [hain 
12]     Vnd  trug  jnn  durch  gnäde 

30    De   wurdent  jm  verbunden 
Alle  sine  verch  wunden 
Daz  er  äne  mäsen  genaz 
Vnd  sit  ain  warer  kempfer  waz 
V'ber  alle  die  cristanhait 

35    Nu  hän  ich  v'ch  nit  gesait 

Welez  die  wunden   sint  gewesen 
Der  er  so  kum  ist  genesen 
Wie  er  die  wunden  emphie 
Vnd  wie  er  sich  der  wunden  ergie 

40    An  dem  ewigen  tod 
Dez  ist  ze  hörcnt  not 
Vnd  ze  merken  in  allen 
Die  da  sint  verualleu 
Vnder  berg  sweren  schulden 

45     Ob  ez  ze  gottez  hulden 
Dannocht  wider  gahet 


GREGORIUS. 


93 


V.    15Ga. 
Daz  jnn  got  gern  emphahet 
Woud  silier  giiäden  ist  so  vil 
Daz  er  dez  nit  enwil 
i;5|     Nu  daz  dise  riehen  kint 
Baidentliall)  verwaiset  sint 
Der  jungherre  sich  vnderwand 
Siner  swester  da  ze  band 
Vnd  phlag  ir  so  er  best  mochte 
Alz  sinen  trüwen  dochte 
Er  voll  zoch  ir  mute 
Mit  lib  vnd  mit  gute 
Si  wert  von  jm  beswert  nie 
Er  phlag  ich  sag  v'ch  wie 
Daz  er  si  nichtes  entwerte 
Wez  si  an  jnn  begerte 
Von  klaidren  vnd  von  gemache 
Si  wärent  aller  sache 
Gesellig  vnd  gemain 
Si  warent  selten  ain 
Si  wonten  zii  allen  ziten 
Ain  ander  bi  den  siten 
Daz  zani  wol  in  baideu 
Si  warent  vngeschaiden 
Ze  tisch  vnd  och  anderswa 
Ir  bette  stundent  also  nach 
14]  Daz  si  mochten  ze  samen  sehen 
Mag  man  in  der  warhait  iehen 
Er  phlag  ir  also  wol 
Alz  ain  getrüwer  bruder  sol 
Siner  lieben  swester 
Noch  waz  die  liebi  vester 
Die  si  jm  da  wider  trug 
Wunen  hatten  si  guug 

Do  nu  dis  wxinn  vnd  gemach 
Der  weite  vigout  sach 
Der  dur  hotfart  vnd  dur  nid 
Gebunden  in  der  helle  lit 
Ir  baider  eren  jnn  verdroz 
Wond  si  dunkt  jnn  so  gross 
Vnd  erzaigt  sin  gewonhait 
Wond  im  ie  wz  vud  ist  laid 
Wa  ieman  kaiu  gut  geschieht 
Vnd  vcrhengt  sin  och  nicht 
Wa  ers  mag  erwenden 
15]    Süss  gedeicht  ers  pfenden 
U-  fröden  vnd  ir  eren 


V.  146. 
Ob  er  möcht  verkeren 
Ir  fröd  vif  vngewinne 
An  siner  swester  minne 
Riet  er  jm  ze  verre 
5     Vntz  daz  der  jungherre 
Verkert  sine  trüwe  gut 
Vif  ainen  valschen  mut 
Daz  ain  waz  die  minne 
Die  jm  verriet  sin  sinne 

10    Daz  ander  siner  swester  schöne 
Daz  dritt  des  tiefels  hone 
Daz  vierd  sin  kinthait 
Die  vft  jnn  mit  dem  tüfel  strait 
Vntz  er  jnn  dar  vif  brachte 

15    Daz  er  benamen  gedächte 
ßi  siner  swester  slaften 
Wolfen  herre  wätfen 
V'ber  der  hellehunde  list 
IG]     Daz  er  v'ns  so  gever  ist 

20     War  vmb  verbeugt  jm  dz  got 
Daz  er  so  mengen  grossen  spott 
Friimt  v'ber  sin  band  getät 
Die  er  nach  jm  gebildet  bat 
Do  er  dur  dez  tüfels  rät 

25     Dise  grossen  mlssetät 
Sich  ze  tun  bewag 
Baide  nacht  vnd  den  tag 
Wond  er  ir  friintlicher  mitte 
Denn  e  werent  sin  sitte. 

30  Nu  waz  daz  ainvaltig  kint 

Au  sölicher  minne  blind 
Wond  die  raine  tumme 
Wüsset  nützit  dar  vmbe 
Wie  si  ir  selbs  hüten  solt 

35     Vnd  verhangt  jm  wz  er  weit 
Nu  begab  si  der  tiefel  nie 
17]     Vntz  daz  gar  sin  will  ergie 
Also  frist  ers  vntz  an  ain  nacht 
Do  mit  släffeu  waz  bedacht 

40     Die  jungfrow  wa  si  lag 
Ir  brfider  slälfeu  uit  phlag 
ff  stü  nd  der  vnwise 
Vnd  slaicb  harte  luise 
Zii  ir  bett  da  er  si  vand 

45     Vnd  hub  daz  ober  gewaud 
Vif  mit  sölichem  ainueu 


94 


HIDBER 


V.  192. 
Daz  si  ez  nit  ward  jnuen 
Vütz  er  dar  vnder  zu  ir  kam 
Vnd  si  an  sinen  arm  nam. 

Owe  waz  wolt  er  dar  vnder 
la  lägent  si  baz  besunder 
Ez  wärent  von  ju  baiden 
Die  claider  gar  geschaiden 
Vntz  an  das  llnlachen 
18]    Do  si  begonde  waclien 
Do  hatt  er  si  vmbuangen 
Ir  mund  vnd  ir  wangen 
Vand  si  gelimet  ligen 
Alz  da  der  tüfel  wil  gesigen 
Nu  begond  er  si  träten 
Me  denn  vor  denn  vor  den  liiten 
Vnd  vor  werint  sin  sitte 
Hie  verstund  si  sich  mitte 
Daz  ez  ain  ernst  sölte  sin 
Si  spracli  wie  nu  bruder  min 
Wes  wiltu  beginnen 
Läss  von  dinen  sinnen 
Waz  betüt  dis  ringen 
Du  wilt  v'ns  dem  tiefcl  bringen 
Also  gedacht  si  lig  ich  uu  still 
So  ergät  dez  tüfels  will 
Vnd  wird  mins  bruder  brut 
19]     Schry  ich  aber  lut 
So  hand  wir  iemer  mere 
Verlorn  v'nser  ere 
Süss  versumpt  si  der  gedank 
Vntz  daz  er  mit  ir  gerang 
Wond  er  gar  stark  was 
Alz  ich  ez  an  dem  buch  laz 
Vnd  si  vil  ze  krangk 
Daz  er  irs  tet  äne  ir  dank 
In  derselben  minne  spil 
Waz  sin  halb  nit  trüwen  vil 
Also  belaib  ez  äne  bracht 
Sus  ward  si  der  selben  nacht 
Swanger  bi  ir  bruder 
Der  tüfel  mit  sinem  liider 
Begond  si  mere  schinden 
Daz  si  sich  mit  den  sünden 
Vast  lieben  begunden 
Si  hal  ez  ze  allen  stunden 
Vntz  sich  die  fröw  verstund 


V.  2:5  G. 
Alz  die  wip  vil  schiere  tünd 
20]     Daz  si  swanger  were 
Do  ward  ir  fröde  swere 
Wond  ez  sturte  sich  nit  ze  gute 
^    Si  schain  in  vnmute 
Vnd  in  kumer  gross 
So  ira  ir  hertz  besloss 

Nu  sige  gewarnot  dar  an 
Ain  ielicher  fromer  man 

1^    Daz  er  swestren  vnd  mtimen  si 
Icht  ze  haimlichen  b}- 
Ez  raitzet  daz  vngefüre 
Daz  man  ez  wol  verswüre 
Also  deV  junge 

'5    Söliche  wandlunge 

Au  siner  swester  gesaeh 
Er  nam  sy  sunder  vnd  sprach 
Vil  liebi  swester  sag  mir 
Du  trurest  wz  gebrist  dir 

'-'^    Ich  hau  an  dir  genomen  war 
21]    Du  schinest  gar  rüwe  var 
Dez  waz  ich  an  dir  vngewon 
Do  begond  si  da  von 
Ersüfzen  von  gantzem  hertzen 

25    Den  angstlichen  smertzen 
Erzügte  si  mit  den  ogen 
Si  sprach  ez  ist  ane  logen 
Mir  si  trurens  not 
Bruder  ich  bin  zwirent  tot 

3Ö    An  der  sele  vnd  an  dem  lip 
Owe  mir  armen  wip 
Warzü  ward  ich  geborn 
Ich  hän  dur  dich  verlorn 
Got  vnd  och  die  lüte 

35     Daz  main  ich  daz  wir  vntz  hüte 
Der  weit  hand  verstoln 
Daz  wil  nit  me  sin  verholn 
Ich  verhüten  vil  wol 
Alz  ich  denn  billich  sol 

40    Daz  ich  ez  nit  sagen 

Aber  dz  kind  dz  ich  trag 
22]  Daz  tut  es  wol  den  lüten  kunt 
Nu  halt  der  bruder  da  ze  stund 
Truren  siner  lieben  swester 

45    Sin  jamer  ward  noch  vester 
An  disem  vngewinne 


GREGORIUS. 


95 


V.  282. 
Erzöigte  trow  minue 
Ir  sweren  gewonhait 
Si  machet  ie  nach  lieb  laid 
Vnd  also  ist  erwallen 
Daz  hong  mit  der  gallen. 

Er  begoiid  sere  wainen 
Vnd  daz  hobt  vnder  laiuen 
So  rüwenklich  mit  der  band 
Alz  döm  ze  sorgen  ist  bewaut 
Ez  stund  vmb  all  sin  ere 
Ie  doch  so  klegt  er  mere 
Siner  swester  arbait 
Denn  sin  selbez  laid 
Die  swester  sach  irn  bn°ider  an 
Si  sprach  gehab  dich  alz  ain  man 
Vnd  läss  din  wiplich  wainen  stän 
Ez  mag  v'ns  laider  nit  vertan 
23]    Vnd  vind  v'ns  etzlichen  rät 
Ob  wir  dur  v'nser  missetät 
A'ne  gottez  huld  müssent  sin 
Daz  doch  v'nser  kindelin 
Mit  v'ns  nit  verlorn  sie 
Daz  der  valle  nit  werden  dr3'e 
O'ch  ist  v'ns  dik  vor  gesait 
Daz  ain  kint  nit  gantz  trait 
Sines  vatters  schulde 
Ja  ensol  ez  gottez  hulde 
Nit  da  mit  hän  verlorn 
Ob  wir  zer  helle  sint  geborn 
Wond  ez  an  v'nser  mistat 
Kainer  band  schulde  hat 

Nu  begond  sin  hertz  wanken 
Gar  jn  mengen  gedanken 
Ain  wil  er  swigende  sass 
Er  sprach  swester  gehab  dich  baz 
Ich  hän  v'ns  fundeu  ain  rät 
Der  v'ns  ze  statten  stät 
24]   Ze  verswigen  v'nser  schände 
Ich  hau  in  minem  lande 
Ainen  vast  wisen  man 
Der  v'ns  wol  geraten  kau 
Den  mir  min  vatter  uch  beschied 
Vnd  mir  an  sin  lere  riet 
Wond  er  och  sins  rätes  i)lilag 
Do  er  an  sinem  tod  lag 
Den  nemin  wir  an  v'nsern  rät 


V.  328. 
Ich  wais  wol  daz  er  trüw  hat 
Vnd  volgent  siner  lere 
So  bestand  v'nser  ere. 

Die  fröw  waz  dez  rätes  fr6 
5     Ir  fröd  schuf  sich  also 
Alz  ez  ir  do  waz  gewant 
Ir  waz  kain  gantz  fröd  erkant 
Die  äne  truren  were 
Wond  si  WZ  äne  swere 

10     Vnd  ir  best  fröd  wz  hie 
Daz  waz  so  si  ir  wainen  lie 
Der  rät  geuiel  ir  vast  wol 
25]    Si  sprach  der  wis  v'ns  raten 
Briider  den  besend  in  zit       [sol 

15    Wond  min  tag  vnverr  lit 
Nu  ward  er  schier  besant 
Der  bott  brächt  jn  ze  band 
Er  ward  vil  schier  emphangen 
Besunder  ward  gegangen 

20    Si  alle  in  ain  kemnaten 
Da  si  jnn  rätes  bäten 

Alsus  sprach  der  Jüngling 
Ich  hän  nit  durch  swachi  ding 
Dich  zii  v'ns  besant 

25    Ich  wais  nieman  der  min  land 
Zu  disen  ziten  buwe 
Dem  ich  so  wol  getrUwe 
Sit  dich  got  also  geerot  hat 
Daz  er  dir  gab  so  wisen  rät 

30    Dez  läss  och  v'ns  geniessen 
Wir  wellent  dir  entsliessen 
Gar  ain  haimliche  sache 
26]    Die  v'ns  nach  vngemache 
Vmb  all  v'nser  ere  stät 

35    Ez  sie  denn  daz  v'ns  din  rät 
Durch  got  da  von  geschaide 
Süss  buctent  si  sich  baide 
Wainent  vff  sinen  fiiss 

Der  lantz  herre  antwUrt  gab  do 

40    Mit  züchten  vnd  sprach  also 
Herre  diser  gutig  gruz 
Ist  so  gar  friintlich  süss 
Vnd  ist  mir  von  v'ch  ze  gross 
Vnd  wer  ich  v'wer  genoz 

45    Ir  buttint  mir  eren  ze  vil 
Mit  warhait  ich  daz  sagen  wil 


96 


HIDBER 


V.  309. 
Dar  vmb  stiind  vff  herr  diir  gott 
So  wil  ich  hören  v'wer  gebott 
Daz  ich  uiemer  zerbreclien  wil 
Nn  gcbont  diser  red  ain  zil 
Viid  sagt  mir  waz  v'ch  wcM-e  5 

Ir  sint  min  geborner  horre 
27]  Ich  raten  v'ch  so  ich  beste  kan 
Dar  an  send  jr  kain  zwifel  hun 
Also  tiitent  si  jm  die  rede  knut 
Do  half  er  jn  baiden  ze  stnnd         10 
Wainen  von  rechtem  laide 
Er  maude  si  baide 
Vnd  troat  si  vast  wol 
Alz  man  den  fründ  nach  laide  sol 
Daz  doch  nieman  erwenden  kan      15 
Der  Jüngling  sprach  zem  Avisen  man 
Ach  herr  nu  vind  v'ns  ain  rat 
Der  v'ns  aller  nechste  gat 
So  v'ns  komet  die  zit 
Daz  min  swester  gelit  20 

Wa  si  dez  kintz  genese 
paz  ir  geburt  verholn  wese 
Vnd  gedenk  ob  ich  wone 
Die  wil  miner  swester  vone 
vsserhalb  dem  lande  25 

28]   Daz  v'nser  zwayer  schaud 
Sie  verswigen  dester  baz 
Der  wis  sprach  so  rat  ich  daz 
Die  v'wers  landez  walten 
Die  jungen  zu  den  alten  3U 

Sind  ir  ze  hofe  gebieten 
Die  v'wern  vatter  rietent 
Gen  den  süllent  ir  v'ch  erbarn 
Daz  ir  ze  hand  wellent  varn 
Durch  got  zem  haiigen  grab  35 

Mit  bett  gewinnent  v'ns  ab 
Daz  wir  der  frowen  swerren 
Dez  wirt  sich  da  nieman  werren 
Daz  si  dez  landes  müsse  phlegen 
Die  wil  ir  sint  vnder  wegen  40 

Vnd  da  biissent  v'wer  sünd 
Alz  v'ch  got  denn  güud 
Der  lip  h:'it  wider  jn  getan 
Den  land  jnn  och  dennzebuss  stan 
Begrift  v'ch  da  der  tod  45 

So  ist  des  aides  vast  not 


V.  415. 
29 1  Daz  si  v'nser  frowe  müsse  sin 
Beuelent  si  vif  die  triiwo  min 
Vor  den  herren  allen 
Daz  uiüss  in  wol  geuallen 
Wond  ich  der  eltost  vnder  in 
Vnd  och  der  mechtigost  bin 
So  nim  ich  si  hain  zu  mir 
Sölich  gemach  schaff  ich  ir 
Daz  si  daz  kind  so  gebirt 
Daz  dez  nieman  jnnen  wirt 

Got  send  v'ch  her  wider  herre 
Dez  getrüw  ich  jm  vil  sere 
Belibent  ir  denn  vnder  wegen 
So  behalt  v'ch  der  gottez  segen 
Zwar  so  ist  nit  min  ri'it 
Daz  si  durch  dise  mistät 
Der  weit  sich  emphliehe 
Vnd  dez  landez  sich  entziehe 
Blibt  si  in  dem  lande 
30]    Ir  sünd  vnd  öch  ir  schände 
Mag  si  so  bass  gebüssen 
Vnd  mag  den  armen  grüssen 
Mit  gilt  vnd  öch  mit  mut 
Gebrist  ir  denn  gutes 
So  hatt  si  nit  denn  dez  mutez 
Waz  mag  denn  ir  mut 
Gefrornen  ieman  äne  gut 
Waz  hilft  ir  mut  dne  gut 
Oder  gut  ane  mut 
Ain  tail  fromet  mut  ane  gut 
Noch  besser  ist  gut  vnd  mut 
Da  von  diinkt  ez  mich  gut 
Si  behab  gut  vnd  mut 
So  mag  si  mit  dem  gut 
Voileziehen  jren  miit 
So  richtet  got  mit  müt 
Mit  Hb  vnd  mit  gut 
Vnd  also  rat  ich  ir  mit  miit 
Der  rat  dücht  si  baide  gut 
Vnd  volgoten  also  getratesinem  gu- 
Sinera  vil  guten  rate      |ten  rate 
31]  Do  nu  die  herren  v'lter  daz  land 
Also  ze  hofe  wurden  besant 
Vnd  si  früntlichen  für  kamen 
Vnd  jren  herren  vernamen 
Siner  bett  ward  gevolget  sa 


GREGORIUS. 


97 


V.  460. 
Dein  alten  emphal  er  da 
Sin  swester  bi  der  hand 
Sus  gedächt  er  rnmen  sin  land 
Der  schätz  den  6ch  ir  vatter  lie 
Der  ward  mit  ir  getailt  hie 
Sus  schiedent  si  sich  baide 
Mit  grossem  hertzen  laide 
Hettin  si  nit  gefurcht  got 
Si  hettint  iemer  der  weit  spott 
Gedult  vnd  gelitten  für  dz  schaiden 
Man  mocht  von  jn  baiden 
Grösser  iamer  hän  gesehen 
Niemer  müsse  mir  geschehen 
Also  grosses  vngemach 
Alz  den  zwain  da  gescbach 
Daz  si  sich  raüsten  schaiden 
32]  Do  waz  in  baiden  fröde  also  tür 
Glich  alz  daz  is  in  dem  für 
Ain  getrüw  Wandlung  ergie 
Daz  si  sich  musten  schaiden  hie 
Ir  hertz  volgote  im  von  dan 
Daz  ir  bestund  bi  dem  man 
Durch  not  tet  in  schaiden  we 
Si  gesahent  ain  ander  niemer  me 

Nu  flirte  diser  wise  man 
Sin  jungfröwen  mit  jm  hin  dan 
In  sin  hus  da  ir  geschach 
Michel  gut  vnd  gemach 
Nu  waz  sin  efrow  ain  wip 
Die  baide  sinn  vnd  lip 
In  gottez  dienst  hatt  ergeben 
Kain  wip  bedorft  bessers  leben 
Die  half  ir  jn  trüwen  stein 
Vnd  irn  grossen  kumor  verheln 
So  wibez  güti  gezam 
Daz  ir  geburt  ain  ende  nam 
33]    Daz  ez  nieman  ward  gewar 
Ez  waz  ain  sun  daz  si  gebar 
Der  gute  sündere 
Von  dem  dise  mere 
Aller  erst  erhaben  sint 
Es  waz  ain  wunnenklichs  kind 
Zu  dez  kindez  geburt 
Waz  nieman  ze  gegenwurt 
Denn  dise  fröwen  zwo 
Der  wirt  ward  dar  geladen  do 

Beiträge  zur  gesohiohte  der  deutschen 


V.  507. 
Vnd  alz  er  daz  kind  ersach 
Mit  den  fröwen  er  dez  iach 
Daz  zu  der  weit  nie  me  keme 
Ain  kint  so  gezeme 
5     Vnd  wurdent  also  getrate 
Vnder  jn  selben  ze  rate 
Wie  ez  verholn  möcht  sin 
Si  sprachent  daz  schön  kindelin 
Wer  schedlichen  verlorn 

10    Nu  wer  ez  aber  geborn 

34]    Mit  also  gar  grossen  sünden 
Es  wölte  in  got  künden 
Daz  si  nit  wissoten 
Mit  allen  jren  listen 

15    An  got  sasten  si  den  rät 
Daz  er  si  aller  missetät 
Bewart  an  disen  dingen 
Do  muss  in  wol  gelingen 
Wond  jm  niemer  misgät 

20    Wer  sich  recht  an  jnn  lät 

Nu  kam  jnen  vast  in  den  müt 
Inen  wer  nüt  so  gilt 
Denn  daz  si  ez  versantint  vff  den  se 
Da  ward  nit  gebaitet  me 

25    Der  wirt  hüb  sich  verstoln 
Vnd  gewan  vil  verholn 
Ain  vesli  gar  gut  vnd  vest 
Vnd  och  darzu  daz  best 
Daz  dekaines  möchte  sin 

30    Da  ward  daz  schön  kindlin 

35]    Mit  mengem  treben  in  gelait 
Vnder  vnd  v'ber  gesprait 
Also  gar  riebe  sidin  wat 
Daz  nieman  kain  bessers  hatt 

35    O'ch  wurden  zu  jm  dar  in 
Gelait  alz  ich  bewiset  bin 
Zwaintzig  mark  von  gold 
Da  mit  man  ez  denn  solt 
Ziehen  ob  ez  ze  lande 

40    Got  iemer  me  gesande 

Ain  tafel  ward  gewunnen  dar 
Der  fröwen  die  daz  kint  gebar 
Die  gut  helfenbain  waz 
Geziert  wol  alz  ich  ez  laz 

45    Von  gold  vnd  von  gestaiu 
Daz  ich  nie  dekain 

spräche.   111.  "j 


98 


HIDBER 


V.  553. 
Also  gute  gewan 
Da  sclu-aib  die  muter  an 
So  si  aller  best  machte 
Von  dez  kindes  achte 
Man  hatt  dez  gedingen 
3(5]  Daz  ez  got  wölt  bringen 
Den  liiten  zu  jren  banden 
Die  gut  an  jm  erkanden 
Dar  an  stund  geschriben  so 
Es  wer  von  geburt  hoch 
Vnd  die  daz  kint  gebär 
Daz  die  sin  baz  war 
Sin  vatter  wer  sin  öhalm 
Vnd  wer  versent  vff  den  se 
Dennocht  schraib  si  jm  me 

Daz  man  ez  noch  tofleu   sölt 
Vnd  ziehen  mit  dem  gold 
Vnd  ob  sin  vinder 
Also  gut  cristan  wer 
Daz  er  jm  den  schätz  merte 
Vnd  ez  die  buch  lerte 
Sin  tafel  er  jm  behielte 
Vnd  jnh  der  geschrilt  wielfi 
Wurdi  ez  iemer  ze  man 
Daz  er  lese  dar  an 
37]    Alle  dise  grossen  geschieht 
So  verhüb  er  sich  nicht 
Wurd  er  aber  so  gut 
Daz  er  durch  got  sinen  mut 
Wenden  vnd  keren  begunde 
So  bi'iste  er  zu  aller  stunde 
Sinez  vatter  missetat 
Durch  sinen  getrüwen  rat 
Vnd  daz  er  der  ze  gut  gedächti 
Die  jnn  zu  der  weit  brechti 
Dez  wer  jn  baiden  sament  not 
Für  den  ewigen  tod 
Im  ward  da  nit  benant 
Weder  lüt  noch  land 
Geburt  noch  haimot 
Daz  waz  jm  verholn  gnot 

Do  nu  die  tafel  waz   berait 
Do  ward  si  schon  gelait 
Zu  jm  in  daz  klaine  vass 
38]    Do  beslussent  si  daz 
Mit  sölicher  gewarhait 


V.  600. 
Daz  kainer  band  laid 
Geschach  dem  kinde 
Von  regen  noch  von  winde 
Noch  von  der  winde  fraise 
5    Vff  der  wasser  raise 
In  zwain  tagen  oder  drin 
Alsus  trugent  si  ez  hin 
Bi  der  nacht  zu  dem  se 
Vor  tag  zit  oder  e 

10  Nu  fundent  si  ain  barche 

Ledig  vnd  starche 
Da  laitent  si  mit  iamer  an 
Disen  klainen  schifman 
Nu  saut  jnn  der  riche  crist 

15    Der  besser  denn  gnedig  ist 
Den  vil  rechten  wünsch  wind 
Si  stiessent  an  hin  floss  dz  kind 
Ir  wissent  wol  daz  ain  man 
39]     Der  deweders  ie  gewan 

20    Recht  lieb  nach  hertzlaid 

Dem  ist  der  mund  nit  so  gerait 
Recht  ze  sprechen  da  von 
So  dem  der  ist  gewon 
Nu  bin  ich  geschaiden 

25     Da  zwüscheut  von  jn  baiden 

Wond  mir  eutweders  nie  geschach 
Ich  gewan  nie  lieb  noch  vngemach 
Ich  leb  weder  v'bel  noch  wol 
Da  von  mag  ich  alz  ich  sol 

30    Der  fröwen  laid  enteken 
Noch  mit  Worten  weken 
Wond  ez  wer  von  ir  schaden 
Thusend  herzen  v'ber laden 
Der  laide  warent  drye 

35    So  die  fröwe  Amelie 

In  dem  hertzen  ainig  trüg 
Der  an  ielichem  were  gnug 
40]  Vil  menges  wibez  smertzen 
Er  trüg  an  sinem  hertzen 

40    Von  dem  v'bel  den  si  begie 
Mit  dem  brüder  der  si  lie 
Der  sichtüm  der  ander  wz 
Daz  si  dez  kintz  genass 
Daz  dritt  was  die  vorcht 

45    So  an  jrem  hertzen  worcht 
Nach  jrem  lieben  kind 


GREGORIUS. 


99 


V.  64G. 
Daz  si  dem  wilden  wind 
Hatt  beuolen  vflf  den  se 
Vnd  wisset  nit  wie  ez  jm  solt  erge 
Weder  ez  genes  oder  leg  tot 
Si  waz  geborn  von  not 
Doch  waz  ez  nit  geschaiden 
Von  disen  drin  laiden 
Vnmeng  tag  ain  cnd  nam 
Vntz  daz  ir  böse  mere  kam 
Vnd  daz  gröst  vngemach 
Daz  ir  zu  ir  leben  ie  besch^,cli 
41]   Daz  ir  bruder  were  tot 
Der  tot  kam  jm  von  sender  not*) 
Do  er  von  siner  swester  schied 
Alz  jnn  der  wis  baiden  riet 

Nu  begond  er  siechen  ze  hand 
Dez  zwang  jnn  der  minne  band 
Vnd  müst  beliben  siner  vart 
Die  er  durch  got  jn  ain  wart 
Sin  jamer  wart  ie  vester 
Nach  siner  lieben  swester 
Daz  er  sich  zu  kainer  stund 
Sich  trösten  kund 
Also  dorret  jm  der  lip 
Wie  man  doch  spricht  daz  die  wip 
Vester  minnint  denn  die  man 
Es  ist  nit  vnd  daz  schain  daran 
Wond  sin  gross  hertz  laid 
42]    Daz  jm  was  fürgelait 
Daz  waz  da  wider  klaine 
Nu  die  minn  allaine 
Die  jm  ain  zil  dez  todez  waz 
Der  hatt  si  vier  vnd  genas 
Sus  ergraif  jnn  die  sende  not 
Vnd  lag  von  hertzen  rüwen  tot 

Dise  sach  ward  ir  kunt  getan 
Do  si  solt  7Ai  der  kilchen  gäu 
Recht  da  vor  drj'e  tag 
Für  si  hin  mit  grosser  klag 
Vnd  begrub  irn  briidervnd  irnman 
Do  si  daz  land  an  sich  gewan 
Vnd  die  sache  vss  erschal 
In  dem  land  v'beral 
Vil  meng  richer  herre 


V.  690. 
Nach  vnd  öch  verre 
Begertent  jr  ze  wibe 
An  geburt  vnd  an  libe 
43]    An  richait  vnd  an  jugent 
^    An  schöni  vnd  an  tugent 
An  zucht  vnd  an  gute 
Vnd  an  allem  jrem  mute 
Waz  si  mannes  wert 
Do  wurden  si  alle  entwert 

lO    Sie  hatt  zu  jr  minne  erweit 
Wais  got  ainen  steten  helt 
Den  aller  türsten  man 
Der  ie  minne  gewan 
Vor  dem  ziert  si  jren  lip 

15    Alz  ain  minnes  wip 
Vff  ainen  biderman  sol 
Dem  si  gerne  geuiele  wol 
Wie  vast  ez  sie  widerm  sitte 
Daz  kain  wip  mannes  bitte 

20    So  lag  si  jm  doch  allez  an 
Wenn  sie  die  statt  gewan 
Mit  dem  hertzen  zu  aller  stund 
Vnd  öch  mit  dem  mund 
44]  Ich  main  den  gnedigen  got 

25    Sit  ir  der  tieften  spott 
Sin  huld  hatt  entworcht 
Daz  hett  si  nu  ser  gevorcht 
Daz  si  fröd  vnd  gemach 
Durch  sin  hulde  versprach 

30    Also  daz  si  nacht  vnd  tag 
Sölicher  vnmi°is  phlag 
Die  dem  lip  vnsanft  tet 
Baide  mit  wachen  vnd  mit  gebett 
Mit  almüsen  vnd  mit  vasten 

35    Liess  si  den  lip  nit  rasten 
Die  war  rüw  waz  da  by 
Die  aller  sünden  machet  frj. 

Nu  waz  da  ein  grosser  herre 
Von  ir  gesessen  vuverr 

40    Der  waz  vil  wol  ir  gelich 
Baide  an  adel  vnd  6ch  rieh 
45]    Der  laite  sinen  fliss  daran 
Daz  si  jn  neme  zu  ainem  man 
Vnd  do  er  sin  red  getett 


*)  Hierauf  folgt  in  der  hs.  nochmals  vers  C51,  aber  durcligestricheu  1 


7* 


100 


HIDBER 


V.  734. 
Mit  botschaft  vnd  mit  bett 
Alz  ors  versuchen  solt 
Vud  si  siu  nit  wolt 
Nu  w.ind  er  si  gewinnen  so 
Mit  krieg  vnd  mit  tro 
Bestund  er  si  ze  liand 
Vnd  zerstört  ir  daz  land 
Er  gewan  ir  ab  die  besten 
Stett  vnd  öch  vesten 
Vntz  daz  er  si  gar  vertraib 
Daz  ir  nicht  me  blaib 
Denn  alhiin  ir  hobtstatt 
Die  waz  also  besäst 
Mit  teglicher  hüt 
Ez  wölte  denn  got  der  gut 
Mit  sinen  gnaden  vnderstän 
Si  müste  och  die  verlorn  han 
46]     Nu  lassen  wir  die  rede  hie 
Vnd  sagent  wie  ez  ergie 
Diser  frowen  kind 
Daz  die  werden  wind 
Ez  wurfent  war  ju  got  gebott 
In  daz  leben  oder  in  den  tot 
V'n^er  herre  got  der  gut 
Vnder  wand  sich  sin  ze  hüt 
Von  dez  gnaden  Jonas 
Der  öch  in  dem  mer  gnaz 
Der  dry  tag  vnd  dr}  e  nacht 
In  dem  wäg  waz  bedacht 
In  aines  visches  wamme 
Er  waz  dez  kindez  amme 
Vntz  daz  er  es  gesante 
Wol  gesunt  ze  lande 
In  zwain  nechten  vnd  aim  tag 
Kam  er  von  der  winden  slag 
Zu  ainem  vil  guten  land 
Alz  es  got  dar  gesant 
47]   Ain  kloster  an  dem  stad  lag 
Dez  ain  gaistlicher  apt  phlag 
Der  gebot  zwain  vischereu 
Daz  si  mit  namen  wereu 
Vor  tag  ze  vischen  vff  dem  se 
Do  tet  in  daz  wetter  we 
Der  wind  ward  so  gross 
Daz  si  klain  noch  gross 
Mochtent  gevaheu 


v.  780. 
Si  begunden  wider  gaben 
In  der  wider  raise 
Funden t  si  vff  der  fraise 
Sweben  dez  kindez  barche 
5     Nu  wundert  si  starke 
Wie  si  dar  komen  were 
Die  barch  so  rechte  1er 
Si  zugen  dar  zu  so  nahen 
Vntz  daz  si  dar  ju  sahen 

10    Ligen  daz  klaine  vass 
Dar  vss  hübent  si  daz 
48]  Vnd  laitentz  in  daz  schif  zfi  in 
Die  barch  ran  1er  dahin 
Daz  windgestöss  wart  so  gross 

15    Daz  si  vff  dem  sew  verdross 
Die  statt  mocht  jn  nit  beschehen 
Daz  si  hettin  gesehen 
Waz  in  dem  vass  were 
Daz  waz  jnen  aber  vnmere 

20  Wond  in  waz  wol  bedacht 
Hettin  si  ez  ze  hus  bracht 
So  besähin  si  mit  gemache 
Die  fundeneu  sache. 

Si   wurfent  dar   v'ber   ir  ge- 

25  [wand 

Vnd  zugent  vast  an  daz  land 
Hie  mit  brach  vff  der  tag 
Der  abt  so  der  zelle  phlag 
Gie  kurtzwilen  vss  zu  dem  se 

aO     Er  allain  vnd  nieman  me 
Vnd  wartet  da  der  vischer 
Wie  ir  vang  vnd  gelük  wer 
49]    Vnd  do  füren  si  iemitten  zu 
Daz  dücht  den  abt  ze  frü 

35    Er  sprach  wie  ist  ez  ergangen 
Hand  ir  icht  genangen 
Si  sprächent  lieber  herre 
Wir  wärent  also  verre 
üevarn  vff  den  wilden  se 

40    V'ns  ward  von  wetter  nie  so  we 
V'ns  waz  der  tod  nach  beschert 
Vnd  hand  den  lip  kum  ernert 
Er    sprach    nu    bind    die    red 
[wesen 

45    Got  lob  ich  daz  ir  sint  genesen 
Der  abt  jm  do  sagen  batt 


GREGORIUS. 


101 


V.  823. 
Do  si  kament  an  daz  statt 
Er  sprach  wz  daz  möcht  sin 
Do  maint  er  daz  vesselin 
Daz  mit  dem  gwand  wz  besprait 
Dise  frag  waz  jn  baiden  lait  5 

50]  Vnd  sprächen  t  wez  ain  herre 
Fragte  also  verre 
Vmb  armer  liiten  sache 
In  baiden  ze  vngemache 
Er  raichte  dar  mit  dem  Stabe  10 

Daz  gewand  stiess  er  dar  abe 
Vnd  sach  daz  klaine  vass 
Er  sprach  wa  nament  ir  dz 
Si  gedachten  meng  lugen 
Wie  si  den  abt  betrugen  15 

Vnd  wolltentz  im  versait  hän 
Vnd  hettint  ez  öch  wol  getan 
Wond  daz  er  sin  ward  jnnen 
Von  v'nsers  herren  minneu 

Do  er  nu  die  frage  wolt  hin      20 
Vnd  wider  in  sin  closter  wolt  gan 
Do  erwainte  daz  kint  lut 
Vnd  kunte  dem  gottez  trut 
Daz  ez  in  dem  vässli  wer 
Do  sprach  der  vil  gewer  25 

51]    Hie  ist  ain  kind  inne 
Nu  sagent  mir  jnn  der  minne 
Wa  irs  habint  genomen 
Vnd  wie  ez  v'ch  zu  sie  komen 
Daz  wil  ich  wissen  sicherlich  30 

Do  bedachtent  si  sich 
Vnd  saitent  do  alz  ich  v'ch  e 
Wie  si  ez  fundint  vff  dem  se 
Nu  hiess  er  ze  band 
Daz  schiff  heften  vff  daz  lant  35 

Vnd  ablösen  die  band 
Waz  im  wölt  werden  bekant 
Do  sach  er  ligen  dar  jnn 
Gar  seltzen  gewinn 
Ain  kint  daz  in  sinem  hertzen  iach    40 
Daz  er  so  schönez  nie  gesach 
Diser  eilend  waise 
Wond  er  kain  fraise 
Gefürchten  künde 

Mit  ainem  süssen  munde  45 

Lachet  ez  den  abte  an 


V.  868. 
52]  Vnd  alz  der  gelert  man 
An  siner  tafel  gelaz 
Wie  daz  kint  geborn  waz 
Daz  kund  er  wol  verswigen 
Ze  gott  begond  er  nigen 
Ze  himel  hub  er  togen 
Daz  hertz  hend  vnd  ogen 
Vnd  lobte  got  dez  fundez 
Vnd  dez  kintz  gesundez 

Daz  kindli  si  do  funden 
Mit  phelor  bewunden 
Gewtirkt  ze  Alexandrie 
Nu  wistent  ez  die  drye 
Ez  ward  och  fiirbaz   nit  gesprait 
O'ch  sait  man  dez  die  warhait 
Von  den  vischern 
Daz  si  gebrüder  wern 
Die  musten  jm  baide 
Mit  trüwen  vnd  mit  aide 
Vil  wol  bestetigen  daz 
53]    Daz  si  ez  mit  saiten  fiirbaz 
Die  bruder  waren  vnglich 
Ain  er  waz  arm  der  ander  rieh 
Der  arm  bi  dem  closter  sass 
Der  rieh  ain  tail  hin  dan  baz 
Wol  v'ber  ainer  mile  zil 
Der  arm  hatt  kinder  vil 
Der  rieh  nie  kains  gewan 
Nu  ain  tochter  die  hatt  ain  man 

Nu  ward  der  abt  in  ain 
Vil  guter  füge  vnder  in  zwain 
Daz  sich  der  arm  man 
Name  dez  kindez  an 
Vnd  ez  da  nach  bi  im  zug 
Vnd  er  den  liiten  also  hig 
Wer  in  dehainer  stund 
Mit  rede  fragen  begund 
Wa  er  daz  kind  hett  genomen 
Daz  ez  jm  were  komen 
Von  sines  bruder  tochter 
54]   Kain  lugi  mocht  er 
Erdenken  so  gefiigen 
Vnd  daz  si  ez  trügen 
Nach  der  messe  zit 
Ze  der  kilchen  nach  cristanlicher 
[sitt 


102 


HIDBER 


V.  915. 
Vnd  man  den  abt  bäte 
Daz  er  so  wol  täte 
Vnd  daz  kind  selber  töfte 
Vnd  daz  er  da  mit  köfte 
Got  vnd  ir  diensthalten  müt 
Der  rat  waz  gefüg  vnd  gut 
Nu  nam  der  abt  da  den  rat 
Daz  gold  vnd  die  sidin  wät 
Vnd  gab  dem  armen  da  ze  band 
Der  sich  dez  kindez  vnder  wand 
Zwo  march  von  gold 
Daz  ers  ziehen  sold 
Dem  andren  aiu  march 
Daz  er  ez  verhele  stark 
Das  ander  trug  er  von  dan 
Der  vil  sälige  man 
55]    Vil  wol  behielt  er  daz 
Daz  ist  war  er  enmocht  bass 
Wond  ers  ze  gewinn  kerte 
Vntz  daz  er  ez  wol  gemerte 
Der  arme  nit  lies 
Er  tett  als  jnn  der  herre  hiess 
Do  nu  der  mitte  tag  kam 
Daz  kind  er  an  den  arm  nam 
Sin  wip  gieng  jm  allez  mitte 
Nach  gebürschem  sitte 
Ze  kloster  da  er  den  abt  vand 
Zu  jm  sprach  er  ze  band 
Herre  v'ch  sendent  dis  kint 
Die  lüt  die  vil  willig  sint 
Mins  brüder  tochter  vnd  ir  man 
Gelöbent  starch  dar  an 
Ob  ir  ez  selb  töifent 
Dem  kind  sie  geköftet 
Da  mit  ain  selig  leben      [geben 
Vnd  geruchent  jm  v'wern  namen 
56]  Die  bett  waz  der  münchen  spott 
Si  sprachent  sehent  so  helf  v'nsgot 
Zii  disem  gebürschen  man 
Wie  wol  er  sin  rede  kan 

Der  herre  emphie  die  rede  wol 
Alz  der  demütig  billich  sol 
Vnd  alz  er  daz  kind  ersach 
Vor  siner  bruderschat't  er  sprach 
Es  ist  ain  so  schön  kind 
Sit  si  dez  gotzhus  sint 


v.  961. 
Zwar  wir  sond  jns  nit  versagen 
Daz  kind  hiess  er  ze  tof  tragen 
Er  töfte  ez  selb  vnd  hiess  ez  sus 
Nach  sinem  namen  Gregorius 
5    Do  daz  kind  den  töf  emphie 
Der  abt  sprach  sit  ich  nu  hie 
Sin  gaistlicher  vatter  bin 
Durch  minez  hailez  gewin 
So  wil  ich  iemer  han 

10    Es  ist  so  sälenklich  getan 

57]  Vil  gern  an  mines  kindez  statt 
Gemechlich  er  do  batt 
Den  sinen  vischer 
Daz  er  flissig  wer 

15    Er  sprach  nu  züch  mirs  schon 
Daz  ich  dirs  iemer  Ion 
Daz  kint  helfent  starche 
Sine  zwo  marche 
Daz  man  sin  dester  baz  phlag 

20    O'ch  lies   der  herr  vnmengen  tag 
Er  wolt  selber  spehen 
Wie  daz  kint  wer  versehen 

Do  nu  der  vischer  vnd  sin  wip 
V'ber  dez  kindez  lip 

25    So  gar  flissig  waren 

Wol  vntz  zu  sechs  jaren 

Der  abt  nam  ez  von  in 

Zu  jm  jn  daz  closter  hin 

Vnd  beklait  ez  mit  sölicher  wat 

30     58]    Die  denn  pfafiflich  anstat 
Vnd  hiess  jnn  die  buch  leren 
Waz  ze  trüwen  vnd  ze  eren 
Vnd  ze  aller  frumkait  zoch 
Lützel  ez  da  von  floch 

35    Daz  ez  äne  slahen  mit  bett 
Sinez  maisters  willen  tet 
Es  lies  sich  nit  betragen 
Es  wolt  gern  fragen 
Ding  die  gut  ze  wissen  sint 

40    Ainem  sölichen  jungen  kint. 

Die  kint  die  vor  drin  jaren 
Ze  schul  gesetzt  waren 
Mit  kunst  er  si  bald  erfflr 
Daz  der  maister  swvir 

45     Er  säch  von  aller  band  tugent 
Nie  so  sinnriche  jugent 


GREGORIUS. 


103 


V.  1007. 
Er  waz  da  lüg  ich  nit  an 
Der  jar  ain  kint  der  witz  aiu  luau 
In  sinem  ainliften  jar 
59]    Do  enwaz  zwar 
Kain  besser  gramaticus 
Denn  daz  kint  gregorius 
Dar  nach  in  den  jaren  drin 
Do  bessrotent  sich  sin  sin 
Also  daz  jm  diuinitas 
Gar  durchlüclitet  waz 
Die  kunst  von  der  gothait 
Waz  jm  der  für  ward  gelait 
Dez  ergraif  er  ie  den  höbtlist 
Daz  lip  vnd  sei  frxim  ist 

Dar  nach  laz  er  von  legibus 
Vntz  daz  er  wart  alsus 
In  dem  selben  liste 
Ain  gar  edler  legiste 
Die  kunst  sprichet  von  der  e 
Er  hett  noch  gelernot  me 
Denn  dz  er  wart  geirrt  dar  an 
Alz  ich  v'ch  wol  sagen  kan 
Es  laid  der  arm  vischer 
60]    Von  armxit  grosse  swer 
Sin  hüben  lagent  vflf  dem  se 
Dez  ward  sinem  lip  dik  we 
Wond  er  sich  alsus  uerte 
Sinen  kinden  werte 
Den  hunger  alle  tag 
Nu  mit  sinem  beiag 
E  daz  er  daz  gold  funde 
O'ch  ward  ze  stunde 
Wol  gesenft  sin  leben 
Do  jm  wurden  geben 
Von  gold  zwo  march 
Dez  bessert  sieh  starch 
Alle  sine  sache 
An  geträgt  vnd  an  gemache 

Nu  Hess  sin  nit  gar  wise  wip 
Nie  gerüwen  jren  lip 
Von  teglicher  trage 
Si  säst  jme  vil  läge 
Ire  liste  kert  si  dar  zu 
61]    Baide  spät  vnd  och  frü 
Wie  si  daz  vernem 
Von  wannen  daz  gold  kem 


V.  1053. 
Mengem  aid  si  jm  swür 
Vntz  daz  si  an  jm  erfür 
Wannen  daz  gold  wer  komen 
Alz  ir  e  hand  ver  nomen 
5  Do  nu  daz  wip  wol  bevand 

Daz  echt  nieman  waz  bekant 
Wer  der  gregorius  wer 
Nu  brächt  si  ez  nit  ze  mer 
Si  trüg  ez  schon  daz  ist  war 

10    Vntz  an  sine  fünfzehen  jar 
Nu  hatt  fröw  selikait 
In  alle  wis  an  jn  gelait 
Ir  vil  starches  march 
Er  waz  schön  vnd  starch 

15    Er  waz  getrüw  vnd  gut 
Vnd  hatt  getultigen  müt 
Er  hatt  gunstez  gnüg 
62]     Vnd  öch  zucht  vnd  füg 
Er  übte  kainer  hand  zorn 

20    Mit  senftem  müt  waz  er  erkorn 
All  tag  er  fründ  gewan 
Vnd  verlor  dar  vnder  nieman 
Sin  fröd  vnd  sin  klagen 
Kund  er  jn  rechter  mäss  tragen 

25    Der  lere  waz  er  vndertän 

Vnd  milte  da  er  si  raocht  hän 
Gnädig  wa  er  solt 
Vnd  ain  zag  wa  er  wolt 
Den  kinden  ze  mässe 

30    VfF  der  witen  Strasse 

Sin  wort  gewan  nie  widerwank 
Er  tet  nüt  äne  fürdank 
Alz  jm  die  wishait  gebott 
Dez  ward  er  nie  schamrot 

35    Von  kainer  siner  getät 
Er  suchte  gnäd  vnd  rät 
Ze  allen  ziten  vmb  got 
Vnd  behielt  vest  sin  gebott 
Gott  erlöbte  den  wünsch  v'ber  ii 

40    63]     Daz  er  lib  vnd  öch  sin 
Maistert  nach  sinem  werde 
Wa  von  öch  vff  der  erde 
Deliain  lob  ieman  beschicht 
Dez  gebrast  im  öch  nicht 

45    Der  wünsch  hatt  in  gemaistert  so 
Daz  er  sin  ze  kind  wz  frö 


104 


HIDBER 


V.  1099. 
Wond  er  an  jm  uit  vergass 
Er  hatt  in  gemaistert  kund  erbaz 

Die  lüte  dem  knaben  iahen 
Alle  die  jnn  da  sahen 
Daz  von  kainem  vischer  5 

Nie  geboren  wer 
Dehain  jungling  glich 
Vnd  so  gar  seldenrich 
Daz  man  jnn  niena  mochte 
Geprisen  von  gesiechte  10 

Vnd  jähen  dez  ze  stäte 
Vnd  ers  von  geburt  hette 
64]     Es  wer  wol  ain  rieh  land 
Zu  siner  frumkait  bewant 
Nu  geuiel  ez  ains  tags  sus  15 

Daz  der  kuab  gregorius 
Mit  siuen  spilgenossen  kam 
Da  in  spilez  gezam 
Nu  beschach  ain  geschieht 
Die  kam  von  sinem  willen  nicht    20 
Er  tet  daz  beschach  nit  we 
Dez  vischers  kint  en  wenig  we 
Daz  es  wainen  began 
Vnd  lüf  also  wainde  dan 
Do  sin  müter  daz  vernam  25 

Daz  ez  wainent  kam 
Irem  kind  si  engen  lieft* 
In  grossen  vusitten  vnd  rief 
Sich  wie  wainest  du  süss 
Do  slüg  mich  gregorius  30 

War  vmb  hatt  er  dich  geslagen 
65]  Muter  ich  kan  dirs  nit  gesagen 
Du  hattest  im  villicht  getan  icht 
Müter  wais  got  ich  tet  im  nicht 
Wa  ist  er  nu  bi  dem  se  35 

We  mir  armen  we  mir  we 
Er  tumber  göch  vil  betrogen 
Hau  ich  daz  an  jm  erzogen 
Daz  er  mir  blüwet  mine  kint 
So  wol  getränt  alz  si  hie  sint  40 

Dinen  fründen  zimpt  nit  wol 
Daz  ich  dis  laster  tulden  sol 
Von  ainem  so  gewanten  man 
Der  nie  fründ  hie  gewan 
Daz  dich  tar  gebliiwen  der  45 

Der  also  verrunnen  ist  her 


V.  1145. 
Daz  ist  mir  iemer  ain  laid    [trait 
Denn  daz  man  jms  durch  got  ver- 
Man  litt  ez  anders  vnlang  trist 
la  wais  hie  nieman  wer  er  ist 
We  mir  waz  ist  gedächt 
Der  tüfel  hatt  jnn  her  brächt 
66]     Mir  zu  ainer  harnschar 
la  erkenn  ich  sin  geuert  gar 
Die  visch  sien  verwässen 
Daz  si  jnn  nit  frässen 
Do  er  vff  den  wilden  se 
Vou  siner  müter  lip  vnd  we 
Also  hin  geworfen  ward 
Er  ergraif  ain  selig  vart 
Daz  er  dem  abt  zu  kam 
Vnd  daz  ers  dinem  vatter  nam 
Vnd  sin  almüsner  ist 
Vnd  also  müss  er  v'ns  wisse  crist 
Anders  vndertän  sin 
Er  müss  vnser  rinder  vnd  swin 
Triben  vss  vnd  jn 
War  tet  sin  vatter  sinen  sin 
Do  er  jnn  mit  frostiger  band 
Vfi'  dem  gemainen  se  vand 
Daz  er  jnn  dem  abt  Hess 
Vnd  er  jm  selben  nit  hiess 
Dienen  durch  allez  recht 
Täte  sin  schalk  vnd  sin  knecht 
67]  Gregorius  do  er  daz  kint  slüg 
Dar  vmb  ward  er  trurig  gnüg 
Vnd  lüff  jm  ze  hus  nach 
Dar  vmb  waz  im  so  gach 
Daz  er  dez  sere  vorcht 
Daz  jm  daz  kind  entworcht 
Siner  ammen  minne 
Nu  hört  er  si  da  jnne 
Schelten  äne  mässen 
Nu  stund  er  an  der  Strassen 

Vnd  do  er  dise  rede  vernam 
Vmwissender  dingen  kam 
Er  ir  an  ain  ende 
Daz  er  verwist  vnd  eilende 
Wer  in  dem  lande 
Wond  si  jnn  dik  nannte 
Sin  fröd  ward  verborgen 
In  disen  nüwen  sorgen 


GREGORIUS. 


105 


V.  1205. 
Er  gedächt  in  grosser  swere 
68J    Ob  nu  dise  rede  were 
Ain  luge  oder  ain  warhait 
Die  sin  amme  hett  gesait 
Vnd  gahet  do  ze  band 
Ze  kloster  da  er  den  abt  vand 
Vnd  nam  den  getrüwen  man 
Von  den  lüten  sunder  dan 
Er  sprach  vil  lieber  herre 
Ich  mag  v'ch  nit  so  sere 
Gedanken  mit  dem  munde 
Alz  ob  ich  denn  künde 
Vnd  vil  gerne  tete 
Nu  blieb  ich  dar  an  stete 
Daz  ich  vntz  an  mins  todea  zil 
Den  dar  vmb  bitten  wil 
Der  kainer  gütät 
Niemer  vngelonot  hit 
Daz  er  v'ch  getrülich  Ion 
Mit  der  himelschen  krön 
69]    Dez  hän  ich  michel  recht 
Daz  ir  mir  eilenden  knecht 
Von  ainem  fundenen  kinde 
Für  allez  v'wer  gesinde 
So  gar  zärtlichen  erzogen 
Laider  ich  bin  dez  betrogen 
Ich  bin  nit  dei"  ich  wand  sin 
Sond  ir  lieber  hei-re  min 
Mir  durch  got  gebieten 
Ich  sol  vnd  muss  mich  nieten 
Not  vnd  angst  daz  ist  recht 
Alz  ain  eilender  knecht 

Mir  hat  min  amme  dez  verleben 
In  ainem  zorn  ist  ez  beschehen 
Daz  ich  funden  bin 
Baide  lip  vnd  sin 
Ich  genis  wol  wil  ez  gott 
So  verr  furcht  ich  den  spott 
Ich  wölt  e  sin  da  nieman  ist 
70]    E  daz  ich  v'ber  dise  frist 
Belib  hie  ze  lande 
la  vertribt  mich  die  schände 
Die  wip  sint  da  vnuerdagt 
Sit  ez  aine  hat  gesagt 
So  wissent  ez  schiere 
Drye  oder  viere 


V.  1259. 
Vnd  dar  nach  alle  die  hie  sint 
Der  abt  sprach  vil  liebez  kind 
Nu  loz  ich  wil  dir  raten  wol 
Alz  ich  minem  übe  sol 
5    Den  ich  von  kinde  erzogen  han 
Got  hat  vil  wöl  zu  dir  getan 
Er  hat  von  sinen  sinnen 
An  lib  vnd  6ch  an  minnen 
Dir  Vernunft  wol  geben 

10    Daz  du  nu  selb  din  leben 
Macht  schöpphen  vnd  keren 
Ze  schänden  oder  ze  eren 
Nu  mustu  disen  selben  stritt 
In  disen  jaren  zu  diser  zit 

15     Vnder  disen  baiden 

71]     Nach  diner  chur  schaiden 
Waz  du  denn  wilt  erwerben 
Gnesen  oder  verderben 
Daz  du  dez  beginnen  solt 

20    Sun  nu  bis  dir  selben  holt 
Vnd  volge  miner  lere 
So  hastu  trüw  vnd  er 
In  ir  laster  vnd  in  ir  spott  verkorn 
Daz  dir  durch  disen  tummen  zorn 

25    Der  werch  werd  so  gach 

Daz  ez  dich  nit  gerüw  darnach 
Du  bist  ain  selig  jungling 
Ze  wünsch  stät  dir  din  ding. 
Din  leben  ist  harte  gut 

30    Die  lüt  tragent  dir  holden  m&t 
Die  jn  disen  landen  sint 
Nu  volg  mir  liebez  kint 
Du  bis  der  pfafhait  gewon 
72]  Dar  vmb  züch  dich  nit  da  von 

35    Du  wirst  der  buchen  wis 
So  bin  ich  der  jaren  griss 
Min  lib  ist  schier  gelegen 
Nu  wil  ich  dir  für  war  segen 
Wenn  ich  vor  dir  stirb 

40     Daz  ich  dir  erwirb 
Vmb  v'nser  samnung 
Alt  vnd  öch  jung 
Daz  si  dich  nement  ze  herren 
Nu  WZ  mag  dich  gewerren 

45     Ainer  törinnen  klaffen 

O'ch  trüw  ich  wol  ze  schaffen 


106 


HIDBER 


V.  1305. 
Daz  die  red  für  dlse  stund 
Nieiner  mc  kunt  für  jrn  miind 

Gregorius  sprach  herre 
Ir  haiid  got  vil  verre 
An  mir  armen  geerot 
Vnd  v'wer  hail  gemerot 
Vnd  nu  daz  beste  für  gelait 
73]  Nu  ist  min  tumbhait 
So  gar  ser  verbolgen 
Si  lät  mich  v'ch  nit  volgeu 
Mich  vertribent  dry  sache 
Zu  minem  vngemache 
Vsser  disem  lande 
Da  ist  daz  ain  die  schände 
Die  ich  von  itwise  hän 
So  ist  daz  ander  so  getan 
Die  mich  6ch  veriaget  hin 
Ich  wais  nu  daz  ich  niena  bin 
Dez  vischers  kint 
Nu  wais  ich  ob  min  vordem  sint 
Von  sölichem  gesiechte 
Daz  ich  werden  möchte 
Ritter  ob  ich  nu  hett 
Den  willen  vnd  daz  gerätt 
Wais  got  nu  waz  ie  min  mut 
Hett  ich  geburt  vnd  gut 
So  wurd  ich  gern  ritter 
Daz  süsse  hong  ist  bitter 
Ainem  ieglichen  man 
74]    Der  ez  nit  gemessen  kan 
Ir  band  daz  siissost  leben 
Daz  got  der  weit  hett  geben 
Wer  ez  ze  recht  hett  erkorn 
Der  wer  ie  sälig  geborn 
Ich  belib  villicht  stett 
Ob  ich  den  willen  hett 
Dez  ich  laider  nit  han 
Ze  ritterschaft  stät  min  wän 
Der  abt  wart  do  gemant 
Mit  Worten  sprach  er  ze  band 
Sun  din  red  ist  nit  gilt 
Durch  got  beker  dinen  mut 
Wer  sich  von  pfatfen  bilde 
Sich  machet  got  wilde 
Vnd  die  ritterschaft  begat 
Der  muss  mit  menger  misstat 


v.  1349. 
Verwürkon  sei  vnd  lip 
AVela  man  oder  wip 
Sich  von  got  wendet 
75]     Der  wirt  da  von  geschendet 
5    Vnd  der  helle  zu  gesellet 
Ich  hatt  dich  erwellet 
Zu  ainem  gottez  kind 
Ob  ich  ez  an  dir  vind 
Dez  wil  ich  iemer  wesen  frö 

lU     Gregorius  antwürt  jm  do 

Ritterschaft  ist  ain  leben 
Der  im  die  mäss  kan  geben 
So  mag  nieman  baz  genesen 
Gottez  ritter  mag  man  gern  wesen 

15    Denn  ain  betrogner  capplan 
Sun  nu  furcht  ich  diu  dar  an 
Du  kanst  zu  ritterschaft  nicht 
So  man  dich  denn  sieht 
Vngefiiglich  ritten 

20     So  miistu  zu  allen  ziten 
Tulden  ander  ritter  spott 
76]   Nu  erwiud  lieber  sun  dur  got 
Herre  ich  bin  ain  junger  man 
Vnd  lernen  dez  ich  nit  kan 

25     War  ich  die  sünd  wenden  wil 
Dez  kan  ich  gar  scliier  vil 
Sun  mii-  sait  vil  menger  mund 
Dem  ritterschaft  ist  kunt 
Wer  ze  schule  belibe 

30     Vutz  er  dai*  jnn  vertribe 
Vngeritten  zwölf  jar 
Der  müss  für  war 
Gebären  nach  den  pfaffen 
Du  bist  vil  wol  geschaffen 

35    Zu  ain.im  gottez  kinde 
Vnd  ze  closter  gesinde 

Die  kutt  gestund   nie  manne 
Herr  nu  versuchent  daz        [baz 
Vnd  gebent  mir  ritterliche  wat 

40    Daz  ist  war  ob  si  mir  misstat 
7  7]  So  gan  ich  ir  wol  aim  andern  man 
Vnd  leg  ich  die  kutten  wider  an 
Herr  v'ch  ist  vil  war  gesait 
Er  bedai'f  wol  gewonhait 

45    Wer  gut  ritter  wesen  sol 
Ich  hän  ez  gelernot  wol 


GREGORIUS. 


107 


V.  1395. 
Von  kind  in  minem  miit  hie 
Ez  kam  vss  minem  mut  nie 
Ich  sag  v'ch  sit  der  stund 
Daz  ich  gedenken  kund 
Baide  v'bel  vnd  och  gut 
So  stund  ze  ritterschaft  min  mi^t 

Ich  ward  nie  mit  gedanke 
Ain  payer  noch  ain  tränke 
Weler  ritter  ze  hagenaig  jm  land 
Ze  asprion  noch  jn  prabaud 
Ze  ars  ie  aller  best  gesass 
So  kan  ich  ez  mit  gedank  baz 
78]  Herre  waz  ich  der  buchen  kan 
Da  geröw  mich  nie  nüt  an 
Vnd  kund  ir  gar  gern  mere 
Ie  doch  so  man  mich  sere 
Da  her  zu  den  buchen  zwang 
So  durch  niete  min  gedank 
So  man  mich  buchen  wente 
Wie  nsich  min  hertz  sente 
Vnd  min  gedank  spilte 
Gegen  ainem  schilte 

O'ch  waz  mir  ie  vil  ger 
Für  den  gritfei  hin  ain  sper 
Für  die  veder  hin  zem  swert 
Daz  ist  dez  ich  ie  begert 
Minem  gedank  ward  nie  bass 
Denn  so  ich  ze  n)ss  sass 
Vnd  den  schilt  ze  hals  nam 
Vnd  daz  sper  ze  hals  alsam 
Vnd  daz  sper  ze  hals  alsam 
79]  Vnd  daz  vnder  den  arm  slfig*) 
Vnd  mich  daz  ross  von  sporn  trug 
So  liess  ich  die  Schenkel   fliegen 
Die  kund  ich  so  gebiegen 
Daz  ich  daz  ross  mit  sporn  slüg 
Weder  in  die  lengi  noch  in  denbfig 
Da  hinder  aius  vingers  brait 
Da  der  furzmagel  ist  gelait 
Nebent  dem  man  flugent  die  bain 
Ob  dem  sattel  ich  scbain 
Recht  alz  ich  wer  gemalot  dar 
Dez  mocht  man  han  genomen  war 
Mit  guter  ^eha^  ich  rait 


V.  U38. 
An  dez  libez  arbait 
Ich  gab  im  so  senften  glimpf 
Alz  ob  ez  wer  min  schimpf 
Vnd  so  ich  mich  mit  sporen  flais 
5     Vft'  ainen  langen  puneis 
So  kond  ich  wol  wenden 
Daz  ross  zu  baiden  henden 
Genist  ich  ie  wider  kain  man 
80]    Da  geviilt  ich  nie  an 

10    Min  merken  ward  wol  bewant 
Zu  den  vier  naglen  bi  der  hant 
Nu  helfent  lieber  herre  mir 
Daz  ich  die  ritterlichen  gir 
Mit  werken  mi'iss  begän 

15     So  band  ir  wol  zu  mir  getan 
Sun  du  hast  mir  gesait 
Vnd  meng  tütsch  wort  fürgelait 
Daz  mich  vil  ser  vmb  dich 
Wundren  miiss  gelob  sicherlich 

20    Wo«  ich  wais  nit  wz  daz  sol 
Ich  erkenn  also  wol 
V'nsern  maister  der  diu  phlag 
Mit  lere  vntz  an  disen  tag 
Von  dem  hastu  nit  vernomen 

25    Wannen  si  dir  zu  sint  komen 
Du  bist  daz  merk  ich  wol  dar  an 
Dez  mutes  nit  ain  kloster  man 
81]  Nu  wil  ich  dich  nit  wenden  me 
Got  geb  daz  ez  dir  wol  erge 

30    Vnd  geb  dir  durch  sin  kraft 
Hail  zii  diner  ritterschaft 
Nu  schuf  er  daz  man  jm  schnaid 
Von  dem  selben  phelor  klaid 
Den  er  by  jm  vand 

35    Ez  kam  nie  bessers  in  daz  land 
Er  sach  wol  daz  jm  waz  gäch 
Vnd  machte  jn  darnacli 
Ze  ritter  alz  jnu  wol  duchte 
So  er  aller  schierost  mochte 

40       Do  nugregorius  ritter  worden  wz 
Do  hatt  jm  der  abt  dennocht  nit 

[gesait  dz 
Vmb  sin  geschriben  tafel  vnd  vmb 
Erwaz  jm  also  stark  hold  fsin  gold 


*)  hs.:   den  urmeu  trug  slüg;    en  trug   durchgestrichen! 


108 


HIDBER 


V.  1481. 
Daz  er  jm  mit  hal  dur  kain  list 
Er  gediiclit  sit  er  uu  ritter  ist 
82]     Vnd  dez  gfitez  nit  enhat 
So  hört  er  licht  rainen  rät 
Vnd  belibt  durch  gut  gmach 
Er  versucht  ez  aber  vnd  sprach 
Noch  belib  lieber  sun  bi  mir 
Daz  ist  war  ich  füg  dir 
Ainen  also  riehen  jurät 
Der  wol  nach  diuem  willen  stät 
Vnd  gib  dir  alle  die  wil  trist 
Daz  du  vil  schon  varent  bist 

Du  hastgewunnen  ritters  namen 
Vnd  must  dich  diner  armvit  scha- 
Nu  waz  tut  din  litterschaft    [men 
Du  hettist  denn  gutez  kraft 
Nu  körnest  du  in  kain  land 
Da  du  ieman  bist  erkant 
So  hastu  nitfründnoch  varnderhab 
Sich  da  verdirbest  du  ab 
Noch  beker  dinen  mut  vnd  plip 

[ez  ist  dir  gut 
8^]     Gregorius  sprach  herre 
Versuchent  ez  nit  mere 
Wölt  ich  gemach  für  ere 
So  volgoti  ich  v'wer  1er 
Vnd  Hess  nider  minen  mut 
Wond  min  gemach  wer  hie  gut 
Nu  tut  ez  mengem  schaden 
Der  der  hab  ist  v'ber  laden 
Der  verlit  sich  durch  gemach 
Daz  dem  armen  nie  geschach 
Der  da  recht  ist  gemiit 
Wond  der  arbait  vmb  daz  gut 
Den  lip  in  mengen  enden 
Wie  mag  er  baz  bewenden 
Denn  ob  er  sich  wirden  kan 
Er  wirt  villieht  ain  selig  man 
Vnd  v'ber  alle  die  land 
Vor  mengem  herreu  erkant 
Daz  ich  haiss  ain  arm  man 
Da  bin  ich  nit  schuldig  an 
leb  trag  si  alle  sament  hie 
Die  hüben  die  mir  min  vatter  lie 
84]    Sit  ez  mir  also  gezühet 
Daz  mich  die  selde  flühet 


V.  1527. 
Vnd  daz  ich  nu  jren  gruz 
Mit  fruuikait  dienen  mfiz 
Daz  ist  war  ich  kan  si  wol  beiagen 
Si  well  sich  mir  me  versagen 
5    Denn  si  noch  ieman  versagte 
Der  si  ze  recht  jagote 
Süss  sol  man  si  erlöffen 
Mit  frumkait  ir  selde  köffen 
Da  zwifelen  ich  nit  an 

10    Wird  ich  ain  frvmer  man 
An  lip  vnd  an  sinne 
Ich  gedien  wol  ir  minne 
Bin  ich  aber  ain  zag 
So  miiss  ich  niemer  dry  tag 

15     Geleben  so  ich  hinnan  ker 
Waz  sol  ich  äne  er 
Gewinn  ich  gut  vnd  er 
Dez  priset  man  mich  ser 
Denn  dem   sin  vatter  wunder  lie 

20    Vnd  daz  mit  schänden  zergie 
Wez  bedarf  ich  me  denn  ich  han 
85]  Mineross  sintgütvndwolgetan 
Min  knecht  sint  biderb  vnd  gut 
Vnd  haud  getriiwen  mut 

25    So  bin  ich  ze  harnesch  wol 
Wa  man  gut  beiagen  sol 
Da  getrüw  ich  wol  genesen 
Dis  sol  ain  ende  wesen 

Herre  v'wern  hulden  si  genigen 

30    Vnd  diser  bette  verzigen 
Daz  ich  lenger  hie  beste 
Sun  so  wil  ich  dich  nit  me 
Sumen  für  dise  frist 
Ich  sich  wol  daz  dir  ernst  ist 

35    Wie  vngern  ich  din  enbir 
Lieber  sun  nu  gang  mit  mir 
Won  ich  wil  dich  sehen  lan 
Waz  ich  dinez  gvites  hän 
Sus  fürt  jnn  der  getrüw  man 

40    Vil  ser  wainende  hin  dan 
Vif  ain  schön  kemnaten 
86]    Die  er  gar  wol  beraten 
Mit  sidiner  wate  vand 
Vnd  gab  jm  die  jn  sin  band 

45    Vnd  sin  tafel  daz  er  laz 
Wie  allen  sinen  dingen  waz 


GREGORIUS. 


109 


V.  1575. 
Dez  war  er  trurig  vnd  frö 
Sin  trureii  schuf  sich  so 
Alz  ich  v'ch  hie  wil  künden 
Er  wainte  von  den  sünden 
Dar  jnn  er  waz  geborn  5 

Dar  vnder  halt  er  jm  erkorn 
Gross  fröd  dar  ab 
Von  hoher  geburt  vnd  richer  hab 
Der  er  e  uit  nit  wiste 

Nu  sprach  der  trüw  vnd  veste     10 
Der  sin  herre  waz  gewesen 
Sun  nu  hastu  wol  gelesen 
Daz  ich  dich  vntz  her  han  verdagt 
Din  tafel  hatt  dirs  wol  gesagt 
Nu  han  ich  mit  dinem  golde  15 

Geworben  alz  ich  denn  solde 
87]    Nach  diner  müter  gebott 
Ich  hab  dirs  in  got 
Gemerot  starche 

Hundert  vnd  fünfzehen  marche        20 
Hand  wir  dir  gewunnen 
Wie  v'bel  wirs  kunnen 
Von  sibenzehenen  sit  den  stunden 
Daz  wir  dich  erst  tun  den 
Ich  gab  jnen  dry  \Tid  nit  me  25 

Den  die  dich  mir  brächten  ab  dem 
Also  vil  ist  diner  hab  [se 

Da  begastu  dich  schon  ab 
Zu  anderm  gewinne 
So  hastu  schöne  sinne  30 

Nu  autwürt  jm  gregorius 
Vil  sere  wainent  alsus 
0  we  lieber  herre 
la  ist  min  begird  mere 
Zu  der  verte  denn  e  35 

s8]    Ich  gerüw  niemer  me 
Vnd  wil  iemer  varende  sin 
Mir  tut  noch  got  gnade  schin 
Von  wannen  ich  sie  oder  wer 
Sun  dez  bewis  dich  der  40 

Der  dich  nach  jm  gebildet  hat 
Sit  du  verwirfest  minen  rat 

Ain  schif  waz  jm  berait 
Da  man  jm  an  lait 
Gar  guten  völlcnklicheu  rat  45 

Sin  syis  sin  gold  vnd  sin  wat 


V.  1641. 
Vnd  do  er  ze  schiffe  gie 
Der  abt  vergab  jm  nie 
Vntz  er  in  daz  schif  getratt 
Alsus  rumte  er  daz  statt 
wie  kum  schiedent  si  die  tngent 
Daz  alter  vnd  die  jugent 
So  ergieng  doch  vnder  ju  baiden 
Ain  jamerliches  schaiden 
Si  enmöchtent  der  ögen 
sy]    Ain  ander  nit  verlognen 
Vntz  si  sich  vor   dem  braiten  se 
Nit  mochtent  vnder  sehen  me 
Nu  bot  der  eilende 
Hertz  vnd  öch  hende 
Ze  himel  vnd  batt  verre 
Daz  jnn  v'nser  herre 
Santte  in  dis  Land 
Da  sin  vatter  wer  erkant 
Kr  gebot  den  marneren 
Daz  si  den  winden  wären 
Nach  jrm  willen  vndertän 
Vnd  daz  schif  liessint  gän 
War  ez  die  wind  lertin 
Vnd  anders  niemant  kertiut. 

Ain  starker  wind  in  do  wate 
Der  belaib  in  do  stäte 
Vnd  wurdent  in  vil  kurtzen  tagen 
Von  ainem  stürm  wind  gesaigen 
90]   Vff  siner  müter  land 
Daz  waz  verhei-gert  vnd  verbrant 
Alz  ich  v'ch  vor  gesagt  hau 
Daz  ir  nüt  mer  waz  verlan 
Nu  allaiu  ir  höbtstatt 
Die  och  mit  kumer  waz  besatt 
Vnd  alz  er  die  statt  ersach 
Zu  den  marneru  er  do  sprach 
Daz  si  dar  zxi  wantin 
Vnd  den  segel  darzii  lantiu 
Do  die  burger  ersahent 
Daz  schif  darzü  gahen 
Sie  sasten  sich  mit  herre 
Gegen  dem  schif  ze  were 
Nu  zaigt  jn  der  eilend 
Mit  siner  früntlicher  hend 
Vnd  fragt  die  burger 
Waz  ir  not  oder  angst  wer 


110 


HIDBER 


V.  1687. 
Dez  nam  si  alle  beaunder 
Ain  gross  luichel  wunder 
A^on  waimeu  der  herre 
Gevarn  wer  also  verre 
91]    Daz  er  dez  nit  enwiste 
Ir  ainer  der  beste 
Der  sait  jm  vil  gar  vast 
Waz  jnen  gebrast 
Vnd  alz  er  ir  not  hatt  vernomen 
Er  sprach  ich  bin  recht  har  kouien 
Daz  ist  dez  ich  got  ie  batt 
Daz  er  mich  brechti  an  die  statt 
Da  ich  zc  tünd  funde 
Daz  ich  min  jungen  stunde 
Nicht  so  müssig  läge 
So  man  v'rliges  phleg. 

Der  edel  vnd  vest  ritter  gut 
Sprach  vss  sim  fryen  mtit 
Begerte  ez  die  fröwe  min 
Ich  wölt  gern  ir  diener  sin 
Nu  sagent  si  daz  er  wer 
Manlich  vnd  lobebär 
An  lip  vnd  an  gut 
Mit  gar  willigem  müt 
92]    Ward  er  geherbergt  do 
Die  fröw  waz  dez  gastez  fr6 
Doch  hatt  si  jnn  nit  gesehen 
Nu  waz  jm  daran  wol  beschehen 
Den  er  ze  wirt  gewan 
Der  waz  gar  ain  fromer  mau 
Der  besten  ainer  von  der  statt 
Waz  er  dem  gebot  oder  batt 
Daz  ergieng  nach  sinem  mut 
O'ch  galt  ers  wol  nit  gut 
Siner  zerung  wz  er  rieh 
Vnd  doch  so  beschaidenlich 
Daz  jm  dar  vnder  nie  gebrast 
Dez  waz  er  ain  werder  gast 

Do  er  nu  vernam  die  mär 
Daz  die  fr6we  wer 
Schön  jung  vnd  äne  mau 
Dar  vmb  si  v'rlig  gewan 
Vnd  ir  die  vngnad  beschach 
Daz  si  den  hertzogen  versprach 
93]  Vnd  daz  si  iemer  ze  stäte 
Alle  man  versprochen  hette 


V.  1731. 
Do  hett  er  si  gern  gesehen 
Wunder  nam  wie    dz  möcht  be- 
A'ne  alle  missewende    [schehen 
De/,  fragt  der  eilende 
5     O'ch  ward  ir  von  jm  gesait 
Die  zucht  vnd  manhait 
Daz  si  jnn  öch  gerne  sach 
Daz  selten  gesten  da  geschach 
Wond  daz  waz  ir  aller  sitte 

1^    Hie  erzögt  si  mitte 
Ir  angstlichen  swer 
Wond  ir  waz  fröd  vnmere 
Er  wer  arm  oder  rieh 
Gast  oder  haimlich 

15    Den  Hess  si  nieman  gesehen 

Ez  müst  zem  miinster  geschehen 
Da  si  stund  an  jrm  gebett 
Alz  si  zu  allen  ziten  tett 
Ez  benam  jm  släf  vnd  mäss 

2t^    94]  Nu  riet  der  wirt  dem  gast  daz 
Er  den  truchsässen  batt 
Daz  er  in  brächti  an  die  statt 
Da  er  si  möcht  gesehen 
Daz  liess  der  truchsass  beschehen 

25     Er  nam  ainer  tag  sit 
Frü  zu  der  messe  zit 
Vnd  fürt  jnn  an  siner  band 
Da  er  si  an  ir  gebett  vand 
Er  liess  si  wol  beschöwen 

•^Ö    Der  truchsass  sprach  zer  fröwen 
Fröw  grüssent  disen  man 
Wond  er  v'ch  wol  gedienen  kan 
Für  ainen  gast  emphie   si  ir  kint 
Nu  waz  sin  hertz  dar  an  pliud 

35     Vnd  jm  vnkund  gnug 

Daz  jn  die  selb  fröw  trug 
Nu  sach  si  in  ernstlich  an 
Me  denn  sie  ie  kainen  man 
Vormälen  ie  getäte 

40    Daz  kam  von  siner  wate 

95]   Do  si  jnn  nu  recht  besach 
Wider  sich  selb  si  do  sprach 
Daz  wer  daz  sidin  gewand 
Daz  si  mit  jr  selbs  haud 

45    Zu  jrem  kind  hett  gelait 
Vnd  daz  dises  gastez  klaid 


GREGORIUS. 


111 


V.  1777. 
Gelich  wereu  garwe 
An  güti  vnd  an  varwe 
Ez  wer  beuamen  daz  selb  gwand 
Oder  aber  von  ainer  band 
Gewürket  weren  baide 
Daz  bedacht  si  an  dem  klaide 

Nu  geviel  jm  die  fröw  wol 
Alz  ainem  man  ain  frow  sol 
Anders  jm  nicht  gebrast 
O'ch  behagte  ir  der  gast 
Baz  denn  ie  kain  man  getät 
Daz  kam  von  sinem  gerät 
Der  och  frow  even  verriet 
Do  si  von  dem  gebott  gotz  schied 
Sus  beualch  jnn  die  gi°ite 
In  dez  truchsässen  hüte 
Vnd  schieden  sich  sa 
Sin  hertz  Hess  er  bi  ir  da 
Vnd  flaiss  sich  dester  mere 
Vff  pris  vnd  och  vff  ere 
Daz  er  si  hatt  gesehen 
Dar  an  waz  jm  wol  beschehen 
Daz  er  sich  dücht  frödenrich 
Nu  vand  er  all  tag  teglich 
Ritterschaft  vor  der  statt 
Wie  dez  mannez  hertz  batt 
Ze  ross  vnd  och  ze  fuss 
Daz  waz  sin  vnmüss 

Dez  wer  nu  schier  mere 
97]     Wenn  die  bürgere 
An  die  vient  kament 
Waz  schaden  si  do  nament 
So  vergieng  jn  selten  daz 
Er  tat  iemer  etzwaz 
Dar  vmb  ward  er  ze  schalle 
Vnd  ze  pris  für  si  alle 
Daz  traip  er  vntz  an  die  stund 
Daz  er  wesen  begund 
Ritter  wie  man  gerte 
Ze  sper  vnd  ze  swerte 
Alz  er  der  kunst  nu  gar  bevand 
Teglichen  mit  siner  band 
Vnd  do  aigenlich  weste 
Daz  er  waz  der  beste 
Vnd  er  hatt  adel  vnd  kraft 
Vnd  gantz  kunst  ze  ritterschaft 


V.  1823. 
Do  ward  erst  sin  freuel  gross 
Wie  lützel  jnn   der  jüst  verdross 
Er  waz  der  vienden  hagel 
9S]    An  jagen  ain  hobt  an  flucht 
5    Nu  waz  diser  römer        [ain  zag 
Von  siner  manhait  mer 
Der  hertzog  der  jnen  daz  land 
Hat  verhergert  vnd  verbrant 
Vll  sterker  denn  ain   ander  man 

10    O'ch  waz  demselben  dar  an 
So  schone  gelungen 
Daz  er  mit  gemainer  zungen 
Zem  besten  ritter  ward  genant 
V'ber  alle   dise  land 

15  Nu  waz  daz  sin  gewonhait 

Daz  er  teglichen  rait 
Spacieren  für  daz  tor 
Da  tet  ers  ritterlichen  vor 
Wond  weler  ritter  gut 

20    Durch  sinen  ritterlichen  müt 
Har  uss  justierte  wider  in 
Den  fürt  er  ie  gevangen  hin 
99]    Zii  der  burger  gesiebt 
Vnd  fürte  si  ze  nicht 

25    Dez  hatt  er  so  vil  getriben 
Daz  jnen  nieman  wz  beliben 
Der  jn  bestünde  mere 
Noch  versiicht  ers  dik  vnd  sere 
Nu  schampt  sich  gregorius 

30    Daz  jnn  ain  man  alsus 
Hatt  gelait  ain  michel  here 
A'n  aller  slächte  were 
Do  gedächt  er  dik  daran 
Nu  sich  ich  wol  daz  ain  man 

35    Der  zauel  sere  minnet 

Wenn  er  daz  gut  gewinnet 
Daz  er  vff  zauel  wägen  wil 
Vindet  er  denn  geliches  spil 
So  dunket  er  sich  hart  rieh 

40    Ist  ez  ioch  ain  tail  vnglich 
Er  bestät  ez  vff  ain  guten  val 
100]  Nu  hab  ich  dez  bispels  ze  wal 
Bin  ich  echt  so  wol  gemilt 
Daz  ich  min  vil  armes  gut 

45    Wäg  wider  so  riebe  hab 
Daz  ich  iemer  dar  ab 


12 


HIDBER 


V.  1S69. 
Geerot  vucl  gericht  bin 
Ob  mir  gevallet  der  gewin 
Ich  bin  ain  vngelobter  man 
Vnd  verzagt  nie  dar  an 
Ich  gedenk  alle  tag 
Wie  ich  die  säld  beiag 
Daz  ich  ze  vollem  lob  beste 
Nu  wais  ich  wie  ez  ergie 

Ich  wäge  dar  vmb  den  lip 
Man  hatt  mich  iemer  für  ain  wip 
Vnd  bin  der  eren  betrogen 
Mag  ich  nu  disen  hertzogen 
Vif  gottez  gnad  bestän 
Nu  wais  ich  wol  daz  ich  hän 
Baide  sterki  vnd  den  müt 
101]  Ich  wil  benamen  dis  arm  gut 
Wagen  vfl'  disem  spil 
Man  klaget  mich  nit  ze  vil 
Ob  ich  von  jm  tod  gelig 
Ist  aber  daz  ich  jm  angesig 
So  bin  ich  der  eren  rieh 
Iemer  me  ewenklich 
Daz  wisse  man  vnd  wip 
Mir  ist  lieber  daz  min  lip 
Beschaidenlicheu  ende  geb 
Denn  daz  ich  lasterlichen  leb 

Gregorius  sich  dez  gar  verwag 
Daz  er  dehainen  tag 
Wölt  fristen  mere 
Durch  got  vnd  durch  ere 
Wölt  er  verlieren  sioen  lip 
Oder  daz  vnschuldig  wip 
Lösen  von  dez  herren  band 
Der  ir  genomen  hatt  ir  land 
Dis  sait  er  nu  ainem  man 
102]    Der  jm  nit  liess  dar  an 
Geschaden  noch  gewerren 
Dem  obrosten  herren 
Er  wolt  ez  nieman  mere  sagen 
Do  es  mornent  begond  tagen 
Do  hört  er  ain  messe  fru 
Vnd  berait  sich  dar  zfi 
Alz  er  ze  veld  wold  komen 
Der  wirt  ward  dar  zu  genomen 
Er  half  jm  vss  für  die  statt 
Mit  grossem  fliss  er  do  batt 


V.  1915. 
Daz  er  dez  war  neme 
Wenn  er  har  wider  käme 
Daz  er  jnn  denn  liesse  in 
Er  brecht  verlurst  oder  gewin 
5  Vnd  alsus  kam  der  gute 

Mit  maulichem  mute 
Geritten  v'ber  ain  veld 
Für  dez  hertzogen  gezelt 
103]    Dar  jnn  er  jnn  wüste 
10     Daz  ersach  der  mut  veste 
Vnd  wafnot  sich  sa 
Vnd  niemant  mere  da 
Alle  die  er  da  hatte 
Die  ruftent  geträte 
IT)     Daz  man  jm  sin  ross  gewunne 
Er  vorcht  daz  er  jm  entrunne 
Alz  jnn  gregorius  komen  sach 
Vil  sinneklich  im  beschach 
Er  begond  jm  entwichen 
20    Vil  harte  karglichen 

Zu  den  sinen  für  daz  tor 
Wol  baite  er  sin  da  vor 
Ob  er  jn  bekumbren  möcht 
Daz  jnn  niena  ducht 
25     Die  helf  von  sinem  herr 

Nu  WZ  die  burgmur  vnd  die  wer 
Volle  ritter  vnd  fröwen 
Die  daz  woltent  seh6wen 
Wederm  da  gelunge 
25     104]  Nu  sumpt  sich  nit  der  tumme 
Ir  ietweder  sich  da  flaiss 
Vff  ainen  langen  puneis 
Nun  ward  in  zu  ainander  ger 
So  schier  alz  si  die  sper 
35     Fru  vnder  die  arm  slügen 
Die  i'oss  si  ze  samen  trugen 

Die  sperwärent  kurtz  vnd  gross 
Dez  ir  dewedren  verdross 
Wond  ir  ietweder  stach 
40    Daz  ez  enzway  brach 
Vnd  daz  si  doch  gesässen 
Wie  lützel  si  dez  vergässen 
Der  swerten  bi  den  siten 
Secht  si  begonde  stritten 
45     Zwen  glich  stark  man 
Der  entwederer  nie  gewan 


J 


GREGORIUS. 


113 


V.  1961. 
Vnredlich  zaghait 
Daz  si  v'ch  für  war  gesait 
Alz  gross  alz  vnib  aiu  har 
105]  Es  luust  da  für  war 
Deu  stritt  vnder  in  baiden 
Kunst  oder  gelük  scbaiden 
Do  ir  ietweder  gnfig 
Mit  deu  swerten  slug 
Do  Itekümbert  jun  alus 
Der  tugentricb  gregorius 
Daz  er  jnn  zömen  began 
Vnd  fürt  jnn  mit  gewalt  hin  dan 
Vast  gegen  dem  bürg  tor 
Daz  waz  jm  dennocht  beslossen 
Ynd  ward  nit  bald  in  verlan  [vor 
Nu  hatte  dez  war  genon 
Dez  hertzogen  ritterschaft 
Vnd  begouden  mit  aller  kraft 
Nach  ir  herrcn  gäben 
Do  daz  die  burger  sahen 
Do  würfen  s  vff  die  burgtor 
Alsus  er  gieng  da  vor 
Der  aller  hertost  stritt 
Der  vor  dez  oder  sitt 
106]    Von  so  uil  lüten  ergie 
Doch  behub  gregorius  hie 
Sineu  gevangnen  mau 
Vnd  bracht  jnn  ritterlich  hin  dan 
Zu  slugen  si  daz  burgtor 
Da  hüben  si  da  vor 
Ainen  stürm  gross 
Daz  waz  vnlang  daz   si  verdross 
Der  sälig  gregorius 
Beiagt  jnen  alsus 
Dez  tags  gross  ere 
Vnd  hatt  von  grossem  ser 
Erlöset  siner  müter  land 
Mit  siner  ellenthaftcn  band 
Vor  dez  wz  sin  pris  so  gross 
Daz  nieman  froraer  daz  verdroz 
Er  spreche  sine  ere 
Nu  hatt  er  ir  aber  mere 
Vnd  hatt  die  fröw  wider   ir  land 
Von  siner  gehulftigen  band 
Alle  ir  not  v'ber  kamen       [men 
107]  Waz  si  schaden  hatten  geno- 

Belträge  zur  geschichte  der  deutbchen 


V.  2007. 
Der  wart  ir  vöUenklich  ersatt 
Wie  si  gebot  vnd  gebatt] 
Vnd  emphie  dez  recht  sicherhait 
Daz  er  ir  kain  laid 
5    lemer  me  getäten 
Daz  Hess  er  vil  stäten 
Do  uu  dis  notige  land 
Sinen  kumer  v'berwand 
Vnd  mit  frid  stund  alz  e 

10    Nu  tet  deu  lantzherren  we 
Die  tegliche  verebt 
Die  jn  der  zwifel  worcht 
Daz  ez  in  also  müst  ergan 
Ob  si  wölten  bestan 

15    Ain  gewaltig  band 

Si  sprachent  ez  wer  dz  gross  land 

Mit  ainem  wip  vnbewart 

Von  rechter  hoffart 

Heften  si  ainen  fromen  herren 

20    So  möcbt  jnen  nit  gewerren 
108]    Vnd  wurden  also  f^eträt 
Vnder  jnen  ze  rät 
Daz  si  die  fröwen  bätint 
Vnd  daz  mit  fliss  tätint 

25     Daz  si  ainen  man  nem 
Der  jn  zu  herren  gezäm 
Daz  wer  in  allen  enden  gut 
Si  wissent  wol  daz  si  den  mut 
Ir  durch  gott  hett  erkorn 

30    Daz  si  hettint  verlorn 

Vnd  enberen  wöltint  alle  man 
Da  missetät  si  an 
Ir  leben  wer  v'bel  bewant 
Ob  si  also  riches  land 

35     Ir  danks  äne  erben 
Sus  wolt  si  verderben 
Dis  wärent  jr  rate 
Daz  si  noch  daz  täte 
Wider  der  weit  vnd  \\ider  got 

40     So  behielte  si  also  baz  sin  gbot 
Ob  si  ainen  man  neme 
109]  Vnd  rechter  erben  bekäme 
Daz  waz  benamen  der  best  rät 
Den  man  geben  kond  oder  hat 

45    Ist  daz  aller  beste  leben 
Daz  got  der  weit  hat  geben 

spräche.   111.  fi 


114 


HIDBER 


V.  2053. 
Da  ir  der  recht  warliait 
Alz  vil  ward  für  gelait 
Si  volget  ir  rät  vnd  ir  bett 
Also  daz  si  ez  in  got  tett 
Vnd  lobt  ze  nemen  aiu  man 
Da  beschech  ir  aller  wille  an 
Nu  rietent  si  daz  v'ber  al 
Daz  man  ir  liesse  den  wal 
Ze  nemen  wen  si  wölte 
Do  nn  daz  sin  solte 
Do  gedächt  die  gute 
Vil  dik  in  jrem  mute 
Wen  si  nemen  möchte 
Dez  si  in  ir  mi'it  düchte 
Denn  der  selbe  man 
110]    Denn  der  selbe  man 
Vnd  geuiel  vil  bald  dar  an 
Den  ir  got  hatt  gesant 
Ze  lösen  si  vnd  ir  land 
Daz  waz  ir  sun  gregorius 
Dar  nach  ward  er  alsus 
Zu  der  e  getan 
Da  ergie  dez  tüfels  wille  an 
Da  si  von  dem  herren  sagte 
Der  ir  da  behagte 

Nu  wärent  si  niemans  vnd  also 
Zii  herren  nament  si  jnn  do 
Ez  wart  nie  wunen  mere 
Denn  die  fröw  vnd  der  herre 
Mit  ainander  hatten 
Wond  si  wären  wol  beraten 
Mit  liebi  in  grossen  trüwen 
Daz  zergieng  mit  rüwen 
Er  waz  ain  gut  gut  richtere 
Von  siner  milten  mere 
111]  Waz  ainem  manne  mag  geben 
Zu  der  weit  ain  wunenklich  leben 
Dez  hatt  er  gar  dez  Wunsches  wal 
Daz  nam  ainen  gäben  val 
Sin  land  vnd  sin  marche 
Fridet  er  so  starche 
Wer  si  mit  arge  rurte 
Daz  er  den  zer  fürte 
Der  eren  vnd  dez  gutez 
Er  waz  so  vestes  m fites 
Hett  ers  nit  durch  got  verlän 


V.  2098. 

Im  müsten  wesen  vndertän 

Waz  in  dem  land  waz  gelegen 

Nu  Wolter  uitwon  diemäss  phlegen 

Durch  die  gottes  ere 
5    So  gert  er  nit  mere 

Wond  daz  jm  dienen  solt 

Fiirbaz  er  nit  wolt 

Die  tafel  hatt  er  alweg 

In  siner  haimiichen  phleg 
10     112]  Verborgen  vff  siner  vesti 

Da  sie  nieman  wüste 

Die  da  bi  im  funden  waz 

An  der  er  teglich  laz 

Sin  tegliche  sache 
15    Den  6gen  ze  vngemache 

Wie  er  geborn  wurd 

Vnd  die  süntlichen  burd 

Siner  müter  vnd  vatters 

V'nsern  herren  batter 
20    In  baiden  vmb  huld 

Vnd  erkant  sich  nit  der  schuld 

Die  vff  sin  selbs  ruggen  lag 

Die  er  nacht  vnd  tag 

Mit  siner  muter  übt 
25     Da  mit  er  got  betrübt 

Es  waz  da  ze  hof  ain  magt 

Endhaft  alz  man  sagt 

Die  verstund  sich  siner  klag  wol 

Alz  ich  v'ch  nu  sagen  sol 
30     113J  Wond  si  der  kemnaten  phlag 

Da  die  tafel  jnn  lag 

Er  hat  genomen  zu  siner  klag 

le  ain  zit  an  dem  tag 

Die  er  niemer  verlag 
35    Nu  markt  die  magt  dz  wol 

Alz  ich  v'ch  sagen  sol 

Wenn  si  jnn  dar  in  lie 

Daz  er  lachende  gie 

Vnd  schied  dar  vss  ain  trurig  man 
40     Mit  roten  6gen  dan 

Nu  flaiss  si  sich  iemer  mere 

Hertzlicheu  sere 

Wie  si  daz  er  sähe 

Wa  von  die  klag  beschehe 
45     Vnd  slaich  jm  ains  tags  mitte 

Do  er  aber  nach  sinem  sitte 


GREGORIUS. 


115 


V.  2143. 
Ze  kemnäten  klagen  gie 
Do  waz  die  jimgfrow  hie 
Vnd  lugt  aigenlich  vnd  ersach 
114]   Sin  kläglich  vngemach 
Vnd  daz  er  an  der  tafel  laz 
Alz  denn  sin  gewonhait  wz 
Do  er  uu  daz  vil  getett 
Mit  wainen  ^Tid  mit  gebett 
Do  trüknot  er  sine  6gen 
Vnd  v/And  ez  sölte  sin  tögen 
Vnd  vor  all  der  weit  bewarn 
Nu  hatt  ez  die  mag  wol  ervarn 
War  er  die  taflen  lait 
Daz  ersach  si  vil  gerait 

Do  nu  sin  klag  ain  ende  nam 
Die  magt  vil  schier  kam 
Zii  der  frowen  vnd  sprach 
Frow  waz  ist  daz  vngemach 
Daz  min  hertz  truret  so 
Daz  ir  mit  jm  nit  sint  vnfro 
Die  fröw  sprach  waz  mainstu 
la  schied  er  nüwlingen  nu 
Von  vns  vil  frölichen  hie 
Wz  mag  er  sit  er  von  mir  gie 
115]  Vernomen  haben  mei-e 
Da  von  er  so  trurig  were 
Wer  jm  sölichs  icht  saget 
Der  solt  ez  hän  vertaget 
Im  ist  ze  wainen  nit  beschehen 
In  trüwen  du  hast  missehen 

Die  jungfröw  sprach  fr6we  ich 
Ich  sach  jnn  hüt  stän        [enhän 
Do  jnn  ain  rüw  beuieng 
Der  mir  au  min  hertz  gieng 
Die  fröw  sprach  daz  ist  ie  din  sitt 
Vnd  hast  mir  da  mit 
Gemachet  meng  swer 
Du  gesaitest  ni  guti  mer 
Noch  baz  du  getagotist 
Denn  daz  du  die  lugi  sagotist 
Die  mir  ze  schaden  gezug 
Fröwe  dis  ist  nit  ain  lug 
la  ist  nit  anders  min  klag 
Denn  daz  ich  war  sag 
IIG]  So  mainstu  ez  doch  so 
In  triiweu  ia  er  ist  vnfro 


V.  2189. 
Ich  wand  ir  wüstin  tz  baz 
Fr6w  waz  mag  wesen  daz 
Daz  ers  vor  v'ch  so  gar  verstilt 
Wond  er  v'ch  anders  nit  verhilt 
5    Zwar  fröw  waz  ez  sy 
Im  wonet  gross  trurep  by 
Ich  hab  sin  wol  war  genomen 
Nu  bin  ich  sin  ze  ende  komen 
Daz  er  so  grossen  kumer  trait 

10    Der  jm  nie  ward  gelait 
Sit  er  die  landez  phlag 
So  Hess  er  nie  kainen  tag 
Er  gieng  ie  wider  den  morgen 
Ainig  vnd  öch  verborgen 

15    In  die  kemnäten 

Die  do  waz  wol  beraten 
Wie  frölich  er  dar  in  gie 
So  schied  er  doch  ze  jungst  ie 
Har  vss  harte  rüwe  var 

20    Dez  nam  ich  nie  recht  war 
117]   Alz  ich  ez  hüt  hab  geta,n 
Do  ich  jnn  sach  dar  in  gan 
Do  stal  ich  mich  mit  jm  hin 
Vnd  verbarg  mich  dar  jn 

25     Vntz  dz  ich  alle  sin  gebärde  sach 
Ich  sach  jnn  gross  vngemach 
Von  manlicher  klag  begän 
Vnd  öch  vor  jm  han 
Ain  ding  dar  an  geschriben  waz 

30    Do  er  daz  sach  vnd  lass 

Do  slüg  er  sich  zen  brüsten  hart 
Dar  an  er  sich  nit  spart 
Vnd  bog  sich  an  sine  knie 
Ich  wil  wol  sagen  wie 

35    Mit  waineinen  vil  dike 
Vnd  mit  mengem  vff  plike 

Ich  gesach  nie  man  mere 
Gewainen  also  sere 
Da  bi  erkenn  ich  wol 

40    Daz  sin  hertz  ist  laidez  wol 
118J   Won  da  zwiflen  ich  nit  an 
Vmb  ainen  so  gehertzen  man 
Wa  dem  ze  wainen  beschicht 
Daz  ist  äne  hertzen  rüwen  nicht 

45    Alz  ich  jnn  hüt  wainen  sach 
Die  fröwen  mit  truren  sprach 
8' 


116 


HIDBER 


V.  2245. 
Ow  mir  armen  wibe 
la  beschach  minem  libe 
Nie  kainer  slacht  gut 
Vnd  och  niemer  getut 
Nu  von  aines  endez  higent 
Waz  mag  jm  zu  siner  jugent 
Also  vil  ze  wainen  sin  geschehen 
Alz  ich  dich  da  hör  ichen 
Nu  tu  mir  etzlichen  rat 
Sit  er  mirs  verswigen  hat 
Wie  ich  sin  laid  ervar 
Daz  ich  mich  an  jm  bewav 
Ich  fürchten  ob  ichmirs  sagen  bitte 
Daz  ich  jnu  verlier  da  mitte 
119]  Ich  wand  weler  lay  sache 
Im  geschäch  ze  vngemache 
Die  ze  sagen  wer  oder  ist 
Verswiger  mir  kain  frist 
Nu  begerte  ich  dehainest  nicht 
Wider  sinen  willen  ze  wissen  icht 
Wond  mir  dur  ainen  llst 
Dis  ze  rechter  not  ze  wissen  ist 
Ob  siner  sweri 
Inant  so  were 
Daz  jm  sin  helf  diichte 
Vnd  jm  si  benemen  mochte 
Daz  mir  ie  dehain  geschieht 
Si  zug  zu  fröden  oder  nicht 
Verswig  dez  wz  ich  vngewon 
Vnd  bin  wol  gewiss  da  von 
Daz  er  mir  dis  vngern  sagt 
Nu  rät  ich  wol  sprach  die  magt 
Daz  ir  ez  wol  ervarent 
Vnd  da  mit  sin  huld  bewarent 
Da  ich  jnn  do  stän  sach 
120]    Klagen  sin  gross  vngemach 
Die  statt  markt  ich  wol 
Alz  ich  v'ch  zaigen  sol 

Do  er  nu  gewainte  gnug 
Vnd  sich  zen  brüsten  slug 
Alz  ers  vor  jm  hatte 
Daz  barg  er  gar  geträte 
In  ain  murloch  v'ber  sich 
Die  selben  statt  markt  ich 
Mügent  ir  dez  erbiten 
Er  wil  paissen  riten 


V.  2291. 
Fröw  so  für  ich  v'ch  dar 
Vnd  zaig  ez  v'ch  so  nement  war 
Waz  dar  an  gesc'n-iben  sie 
Da  erkcnnent  irs  by 
5     Es  ist  nit  äne  daz 
Dar  an  stand  etzwaz 
Geschriben  von  sinen  sorgen 
Die  er  hett  also  verborgen 
121]   Do  er  nu  nach  siner  gewon- 

10    Ze  wald  paissen  rait  [halt 

Do  gieng  si  so  gefrät 
Nach  der  maget  rät 
Da  si  die  tafel  vand 
Vnd  erkant  si  ze  band 

15    Daz  ez  der  selb  wäre 
Alz  man  v'ch  die  mere 
O'ch  da  vor  saite 
Die  si  zu  ir  kind  laite 
Vnd  alz  si  dar  an  gelaz 

20    Daz  si  aber  versenket  waz 
In  den  vi!  tieffen  Sünden 
Tötlicher  sünden 
Do  dücht  si  sich  vnselig  gnug 
Zu  den  brüsten  si  sich  slug 

25    Vnd  brach  vss  ir  schönez  har 
Si  gedächt  daz  si  für  war 
Zu  der  helle  wer  geborn 
Vnd  got  hett  verkorn 
In  hertzlichem  trüwem 

30     122]     Den  si  begieng  mit  trüwen 
Vmb  jr  erren  mistät 
Alz  man  v'ch  gesait  hat 
Sit  si  dez  Hefels  rät 
Aber  so  tüf  versenket  hat 

35     Daz  si  an  der  sünden  grund 
Waz  vernallen  vntz  an  der  stund 
Ir  fröden  sunne  waz  bedacht 
Mit  tot  vinster  nacht 
Ich  wen  ir  hertzen  swaere 

40    Gehrochen  von  der  sach  were 
Wond  daz  ain  kurtz  gedinge 
Ir  mut  tet  so  ringe 
Vnd  stimd  ir  trost  dar  an 
Si  gedächt  ob  minem  mau 

45    Dise  tafel  ist  zu  brächt 

Anders  denn  ich  hän  gedächt 


GREGORIÜS. 


117 


V.  2337. 
Ob  got  miuen  sun  sante 
Gesund  zu  dem  lande 
Etwer  der  in  du  vand 
Der  hett  dis  tafel  vnd  gewand 
Mineiu  herreu  ze  kotfen  geben 
123J    Dez  dingez  wil  idi  geleben 
Vntz  daz  ich  die  red  recht  ervar 
Aiu  bott  wart  gewunnen  dar 
Vnd  sant  jnn  do  bald 
Nach  dem  herren  ze  wald 

Der  bot  gahet  ze  band 
Da  er  siuen  herren  vand 
Zu  dem  sprach  er  alsus 
Gnediger  hertzog  gregorius 
Ob  ir  iemer  min  fröwen 
Wellent  lebent  scliöwen 
So  gahent  vil  gedräte 
Oder  ir  koment  ze  spate 
Ich  liess  si  in  grosser  vngehab 
Nu  ward  gregorius  dar  ab 
Harte  rii\\ig  vnd  vufro 
Er  sprach  gesell  wie  redest  so 
Ich  liess  si  an  diser  stund 
121]     Harte  frö  vnd  wol  gesunt 
Herr  dez  wil  ich  iehen 
Ez  ist  an  diser  stund  beschehen 
Ze  wald  ward  nit  me  geliitten 
Bald  si  ze  huy  ritten 
Da  ward  dez  wil  ich  phlegen 
Nit  vil  sumpt  er  sich  vnder  wegen 
Vntz  daz  er  da  hin  kam 
Da  sin  fröd  ain  end  nam 
Wond  er  must  schöwen 
An  siner  lieben  trowen 
Ain  gar  scre  ogen  waid 
Ir  hiiftel  warent  von  laid 
Ir  rosvarwc  entwichen 
Vnd  gar  vnd  gan(z  verblichen 

Sus  vand  er  si  todcs  var 
Dez  entwaich  jm  sin  fröde  gar 
Vil  gross  iamer  da  ergie 
Wan  zwain  gelieben  nie 
Mannes  ogen  gesach 
12ö|  Der  gut  Sünder  sprach 
Fröw  wie  gehabent  ir  v'cli  so 
Kam  antwürt  si  jm  do 


V.  2383. 
Wond  ir  der  süfze  daz  wort  brach 
Mit  halben  Worten  si  sprach 
Herr  ich  mag  wol  trurig  sin 
Waz  gebrist  v'ch  liel)i  fröw  min 
5    Heri'e  dez  ist  also  vil 
Daz  ich  ez  got  klagen  wil 
Daz  ich  ie  zu  der  weit  kam 
Wond  mir  ist  die  selde  gran 
Verflucht  waz  die  stund 

10    Von  v'nsers  herren  mund 
Da  ich  jnn  ward  geboru 
Vnsälde  hat  vif  mich  gesworn 
Vnd  behalt  vast  vff  mich  den  aid 
Wond  mir  ietz  fusent  laid 

15    Wider  ain  liep  ist  beschehen 
Herr  ir  söUent  mir  dez  iehen 
Von  wannen  ir  gewesen  sitt 
Ez  wer  mir  lang  e  gewesen  zit 
126]  Der  frag  so  ich  nu  begän 

2U    Die  solt  ich  nu  lange   hän  getan 
Frow  ich  wais  w'ol  waz  ir  klaget 
V'ch  hett  etzwar  gesaget 
Daz  ich  nit  sie  ain  edel  man 
Wisset  ich  nu  wer  v'ch  dar  an 

25    Alsus  gelaidigot  hett 
Ez  geleg  niemer  wett 
Bis  vntz  an  minen  tod 
Nu  hell  sich  wol  ez  ist  jm  not 
Wer  er  ist  er  hat  gelogen 

30    Ich  bin  von  ainem  hertzogen 
Von  ainem  edlen  man  geborn 
Ir  sond  mir  volgen  ane  zorn 
Daz  wir  der  rede  hie  getägen 
Ich  mag  v'ch  nit  fürbaz  gesagen 

35     Süss  antwürt  si  jm  do 
Der  rede  ist  nit  also 
la  gesach  ich  den  man 
Niemer  lachent  au 
Der  mir  von  v'ch  sagote 

40    127]    Daz  v'ch  nit  wol  behagote 
Er  fund  hie  nit  gut  antwürt 
la  furcht  ich  hcrr  v'wer  geburt 
Die  sie  mir  also  genossam 
Die  tafel  si  her  für  nam 

45     Von  dem  hie  geschriben  stät 
So  hat  v'ns  dez  tüfels  rät 


118 


HIDBER 


V.  2431. 
Versenket  sei  vnd  lip 
Ich  bin  v'wer  luuter  vnd  v'wer  wi[» 

Nu  sprechent  wie  daz  wer 
Dem  guten  sündev 
Er  waz  in  laidez  gebott 
Sinen  zoru  hüb  er  hin  zu  got  [batt 
Vnd  sprach  dis  ist  daz  ich  ie  got 
Daz  er  mich  brecht  vft'  die  statt 
Da  mir  so  wol  beschäch 
Daz  ich  mit  fröden  säch 
Min  vil  lieben  muter 
Ach  richer  got  vnd  guter 
128]  Dez  hastu  anders  mich  gewert 
Denn  ich  hab  an  dich  gewert 
Ich  begert  ez  jn  minem  mut 
Nach  liebi  vnd  nach  gut 
Nu  hau  ich  si  gesehen  so 
Daz  ich  niemer  wii'd  fro 

Ich  Avais  wol  daz  judaz 
Nit  rüwiger  waz 
Do  er  sich  von  laid  erhie 
Alz  ir  vernomen  hand  wie 
O'ch  entrilrte  dauit 
Nicht  mere  zu  der  zit 
Do  jm  käment  mere 
Daz  er  erslagen  were 
Säl  vnd  6ch  jonathas 
Vnd  absalon  der  waz 
Ain  sunder  schönst  man 
Den  sun  ze  wip  ie  gewan 
Wer  ir  jamer  vnd  ir  klagen 
Voll  an  ain  end  solt  sagen 
Der  müste  wiser  sin  denn  ich 
129]  Ich  wen  ez  wer  vnmuglich 
Daz  ez  v'ch  mit  ainem  munde 
leman  gesagen  künde 
Si  möcht  vnnahe  der  tod 
Eben  massen  sich  der  not 
Den  si  sere  hatt  genomen 
Ze  voller  wirthschaft  komen 
la  warent  die  laide 
An  sei  vnd  an  lip  baide 
Wa  vernam  ie  man 
Oder  ie  wibez  nam 
Dehainer  hand  swäre 
Die  so  gar  were 


V.  2481. 
Do  waz  der  lip  in  baiden 
Bekümbert  vmb  ir  schaiden 
Ez  hat  geschaffet  gottez  kraft 
Ain  misslicli  gesellschaft 
5    Die  doch  sament  belibent 
Vuder  seien  vnd  vnder  leben 
Waz  dem  libe  sanft  tut 
Daz  ist  der  sele  kain  gut     [sen 
i;5ü]  Wa  mit  aber  die  sei  sol  geue- 

10     Daz  muss  dez  libes  kumer  wesen 
Nu  littent  si  baidenthalb  not 
Es  waz  ain  zwifelhafter  tot 

Die  fröw  vss  grossem  iamer 
Wond  si  die  not  an  sach  [sprach 

15    Owe  ich  verfluchtes  wip 

la  bekümbert  menger  den  lip 
Daz  sin  die  sele  wurd  fro 
Dem  beschicht  och  also 
So  bewigt  sich  meng  man  vnd  wip 

20    Der  sele  gar  vnd  dem  lip 
Vnd  lebet  in  der  weit  wol 
Nu  enmag  ich  noch  ensol 
Min  lip  nit  dez  iehen 
Daz  jm  ze  gut  sie  geschehen 

25    Ist  min  sei  nu  och  verlorn 
So  ist  der  hert  gottez  zorn 
So  gar  vff  mich  geuallen 
Alz  vff  die  verfluchten  alle 
Alz  vff  die  verflüchten  alle 

30     131]  Mich  wundert  nach  der  mistat 
Die  mir  der  lip  gefriimt  hat 
Daz  mich  die  erd  gerückt  tragen 
Sun  vnd  herr  ir  mugent  mir  sagen 
Wond  ir  hand  die  bfxch  gelesen 

35    Möcht  aber  dehain  buss  wesen 
V'ber  semlich  grosse  missetät 
Ob  dez  ist  nu  dehain  rät 
Dez  ich  wol  müss  getrüwen 
Ich  muss  die  helle  buweu 

40    Mit  der  ich  verschulde  daz 
Daz  si  mir  doch  etzwaz 
Senfter  denn  mangez  leben 
Der  öch  der  helle  ist  geben 

Ach  müter  sprach  gregorius 

45    Sprechent  niemer  me  alsus 
Ez  ist  wider  dem  gebott 


GREGORIUS. 


119 


V.  2526. 

Nicht  zwiflent  an  got 

Ir  soucl  hart  wol  genesen 

132]  la  hab  ich  ain  tiost  gelesen 

Daz  got  die  wjiven  rüw  hat 

Ze  buss  vmb  alle  misstat 

Vwer  sei  ist  nie  so  vngesiint 

Wirt  v'ch  daz  ög  zii  ainer  stund 

Von  hertzlicher  rüwe  nass 

Ir  sint  genesen  globent  daz 

Belibent  by  v'werm  lande 

An  spis  vnd  an  gewande 

Sond  ir  dem  lip  entziehen 

Gemach  vnd  fröde  fliehen 

Ir  sond  so  nit  halten 

Daz  jrs  wellint  walten 

Durch  kain  weltlich  ere 

Nu  daz  ir  dester  mer 

Got  richtint  mit  dem  gute 

la  tut  ez  wirs  dem  mute 

Der  giitz  lebens  wale  hat 

Vnd  sich  dez  da  begät 

Denn  ob  dez  enbirt  ain  man 

Dez  er  tail  nie  gewan 

Ir  sint  ain  schuldig  wip 

133]  Dez  land  entgelten  v'wern  lip 

Mit  täglicher  arbait 

So  daz  jm  gar  sie  versait 

Der  aller  maiste  ger 

Sus  habent  in  vntz  er 

Ir  der  trüwen  bände 

Daz  gelt  von  v'werm  lande 

Tailent  mit  den  armen 

Die  sond  ir  v'ch  lassen  erbarmen 

Bestiftet  v'wer  aigen 

Wa  v'wern  wisen  zaigen 

Mit  richern  klöstern  dz  ist  gut 

SuB  senftent  sinen  zornigen  mut 

Den  wir  so  gar  erbeiget  han 

Ich  wil  och  ze  büss  stan 

Fr6w  vnd  liebi  muter  min 

Dis  sol  die  jüngste  red  sin 

Die  ich  iemer  wider  v'ch  gctun 

Wir  söllent  ez  bringen  dar  zu 

Daz  v'ns  got  noch  gcliche 

Sament  in  sinem  riche 

134]    Ich  geaich  v'ch  niemer  me 


V.  2572. 
Wir  werint  baz  geschaiden  e 
Dem  land  vnd  dem  gfite 
Vnd  weltlichem  mut 
Dem  si  hüt  widersait 
5    Hin  tett  er  die  riehen  klaid 
Vnd  schied  sich  von  dem  land 
Mit  türftigem  gewand 
Ez  wären  dem  riehen  dürftigen 
Alle  gnäd  verzigen 

10    Wond  daz  er  alle  sin  arbait 
Mit  willigem  mut  laid 
Er  gert  jn  sinem  mut 
Daz  in  got  von  dem  gut 
Sant  in  ain  wüste 

15    Da  er  jnne  müste 

Bussen  vntz  an  sinen  tod 
Spilende  bestixnd  er  dise  not 
Er  schuchte  äne  mässen 
Die  lüt  vnd  die  Strassen 

20     Vnd  daz  bloz  gewilde 
Allez  gegen  dem  geuilde 
135]  Richte  der  arm  sin  wege 
Er  wüt  die  wasser  bi  dem  stege 
Mit  baren  füssen  vngeschucht 

25     Straich  er  wald  vnd  buch 
So  daz  er  sines  gebettez  pflag 
Vngäss  vntz  an  den  dritten  tag 
Nu  gieng  ain  stig  smal 
Bi  ainem  sew  ze  tal 

30    Den  ergraif  der  lieblos  man 
Vnd  volgote  jm  dan 
Vntz  daz  er  ain  hüsli  sach 
Ain  vischer  hat  gehuset  da 
Den  duchte  daz  er  niena  anderswa 

35     Daz  vischen  weger  wer 
Den  batt  der  gut  rüwer 
Der  herberg  dureh  got 
Von  dem  laid  er  grossen  spott 
Denn  er  gewon  wer 

40    Do  in  der  vischer 

Sinen  starken  lip  gesach 
Er  wegt  daz  höbt  vnd  sprach 
136]    la  du  starker  trugner 
Ob  ez  so  were 

45    Daz  ich  der  torhait  wielti 
Daz  ich  dich  fräss  gehielte 


120 


HIDBER 


V.  2619. 
So  neme  dich  gross  gebure 
Der  red  vil  viitüre 
So  ich  entslicf  vud  min  wip 
Daz  du  v'us  Itaidcii  den  lip 
Nemist  vuib  v'user  gut 
0  wie  v'bcl  die  weit  tut 
Daz  die  liit  vnder  in 
Lident  sölichen  vngewiu 
An  so  mengem  vnnützen  man 
Dez  got  nie  er  gewan 
Vnd  wüsten  doch  die  Mite 
Ez  wer  ein  brait  gerüte 
Ze  dinem  armen  wol  bewant 
Ez  gezäme  baz  in  diner  hant 
Ain  höw  vnd  ain  gart 
Denn  ain  vmbuart 
Ez  ist  ain  vnbewantez  brot 
Daz  dir  der  tüfel  tii  den  tod 
137]     Daz  du  trass  swendest 
Wie  du  din  sterke  schendest 
Nu  rum  daz  hus  geträte 
Nu  waz  ez  vil  späte 
Nun  emphieng  der  sünder 
Dis  schelten  äne  swer 
Vnd  mit  lachendem  mute 
Sus  antwürt  jm  der  gute 
Vnd  sprach  in  demüt  do 
Mit  senften  Worten  also 
Herr  ir  habent  war  gesait 
Wer  gilt  gewarhait 
Im  selber  schaffet  daz  ist  sin 
Güter  nacht  wunst  er  jm 
Vnd  schied  lachend  von  dau 
Der  vil  wislos  man 
Hort  gern  disen  spott 
Vnd  lobte  dez  got 
Derselben  vnwirdikait 
Welich  versmächt  vnd  laid 
Sinem  lip  wer  beschehen 
Daz  hett  er  gern  gesehen 
13S]   Hette  der  geborne 
Sieg  vnd  6ch  zorne 
V'ber  sinen  riiggen  geslagen 
.Die  hett  er  jm  geni  vertragen 
Ob  siner  siinden  swere 
Icht  dcster  ringer  were 


V,  2663. 
Dez  v'blen  vischers  wip 
Erbarmot  sich  v'ber  sinen  lip 
Si  duchte  daz  er  were 
Nicht  ain  trugnere 
5    Dez  scheltens  daz  ir  man  tet 
Durch  sin  turftlich  gebett 
Daz  eruollote  ir  die  ögen 
Si  sprach  daz  ist  äue  logen 
Dis  ist  ain  gut  man 

10    Zwar  ich  sich  jms  wol  an 
Got  läss  dichs  nit  entgelten 
Du  hast  getan  ain  schelten 
Daz  dinem  hail  nach  gät 
Du  waist  wol  daz  diu  hus  stat 

15    Den  lüten  so  verre 
Wenn  dich  v'nser  herre 
139]    Diner  seiden  ermant 
Vnd  dir  sinen  botten  sant 
Den  soltest  emphähen  baz 

20    \'nd  vil  wol  bedenken  daz 
Dir  kam  kain  dürftig  nie 
Sit  wir  begundent  husen  hie 
Nu  won  diser  gut  man 
Der  öch  nit  vil  dar  an  gewan 

25    Weler  man  sich  alle  tag 
Begän  müz  mit  beiag 
Alz  du  mit  zwifel  hast  getan 
Der  solt  got  vor  ögen  hän 
Daz  tu  noch  rät  ich  dir 

30    So  helf  dir  got  und  gunne  mir 
Daz  ich  jm  rüffen  müsse 
Sin  vart  ist  vil  vnsüsse 
la  gät  er  nie  so  balde 
Er  benachte  jn  dem  walde 

35    Essent  jnu  denn  wolle  nicht 
Daz  aber  licht  beschicht 
So  miiss  er  vngäss  ligen 
Sit  du  im  herberg  hast  verzigen 
140]    So  läss  mir  daz  ze  gewalte 

40    Daz  jch  jnu  gehalte 

Sus  senftot  si  mit  ir  guti 
Dem  vischer  sin  gemüte 
Daz  er  ir  daz  guud 
Daz  si  da  zu  der  stund 

45     Dem  wislosen  nach  lief 
Vnd  jm  her  wider  rief 


GREGORIUS. 


121 


V.  2709. 
Do  si  jnn  nu  wider  gewan 
Do  waz  dem  vischenden  man 
Sin  abent  essen  berait 
Der  grossen  vnwirdikait 
Die  er  an  aller  slacht  not 
Dem  eilenden  dürftigen  bot 
Der  wolt  jnn  daz  wib  ergetzen 
Vnd  begoud  jm  für  setzen 
Ir  aller  besten  spise 
Dero  wolt  nit  der  wise 
Wie  vil  si  jnn  genote 
Ain  ranft  von  hebrim  brote 
Ward  jm  dar  gewannen 
141]  Vnd  ain  trank  ainez  brimnen 
Sus  sprach  er  wider  daz  wip 
Daz  kum  siu  sündiger  lip 
Der  spis  wert  wäre 
Do  jnn  der  vischere 
Die  spis  essen  sach 
Do  sehalt  er  jnn  vnd  sprach 
Owe  daz  ich  dis  sehen  sol 
la  erkenn  ich  den  trugner  wol 
Vnd  alle  ir  betrognen  wise 
Du  hast  nit  so  kranker  spise 
Dich  vntz  her  begangen 
Ez  schint  nit  an  dinen  wangen 
Weder  turst  noch  hungers  not 
Si  sint  so  wis  vnd  so  rot 
Es  gesacli  nie  man  noch  wip 
Kain  weltlic'ireu  lip 
Den  hastu  nit  gewannen 
Von  In'ot  vnd  von  bruunen 
Du  bist  gemestet  wol 
Din  Schenkel  siecht  din  füsse  hol 
Din  zehen  wol  geformet  lank 
Din  nagel  luter  vnd  plank 
142]  Din  füss  soltent  vudan 
Brait  sin  vnd  zerschruuden 
Alz  ainem  wallenden  man 
Nu  kiis  ich  dinen  schenkein  an 
Weder  vall  noch  stöss 
Si  sint  vnlang  gewesen  ploz 
Diu  arme  vnd  din  hende 
Stand  ane  missewend 
Si  sint  .so  siecht  vnd  so  wiss 
Du  hadt  andern  fliss 


v.  2761. 

An  diner  haimliche  ^ 

Denn  du  hie  tust  gelieh 

Ich  bin  dez  äue  sorgen 

Du  beginnest  dich  am  morgen 
5    Diser  not  ergetzen 

Du  kaust  dich  baz  gesetzen 

Da  du  vaile  vindest 

Daz  du  wol  v'ber  windest 

Wais  got  alle  dine  not 
1(1    Da  dis  vil  dürre  brot 

Vud  das  wasser  were 

Dinem  raund  vnmäre 

143]  Dis  schelten  empfieng  der 

Mit  gar  frölichem  mute        [gute 
15    Vud  wolt  dez  genicssen  wider  got 

Daz  er  laid  so  grossen  spott 

Vnd  also  swacher  gebart 

Er  gab  im  nie  kain  antwürt 

Vntz  vff  die  stund 
20    Daz  er  in  begund 

Fragen  der  mere 

Waz  mannez  er  were 

Er  sjjrach  here  min 

Ich  wil  v'ch  sagent  sin 
25    Ich  bin  ain  man 

Daz  ich  nit  wissen  kan 

Miner  süntlichen  schuld 

Vnd  such  vmb  gottez  huld 

Ain  statt  in  diser  wuati 
30    Vff  der  ich  iemer  müsti 

Bussen  vntz  au  minen  tot 

Vast  mit  dez  libez  not 

Ez  ist  hüt  der  dritte  tag 

Daz  ich  der  weit  verphlag 
35     1 44]  Vnd  allez  nach  der  wilde  gie 

Ich  versach  mich  nit  hie 

Gebuwes  noch  lüte.   Sit  daz  mich 

Min  weg  har  getragen  hat    [hüte 

So  such  gnad  vud  rat 
40    Wisscnt  ir  iendert  hie  by 

Ain  statt  die  mir  geuellig  sy 

Ainen  wilden  staiu  oder  ain  hol 

Dez  bewisent  mich  so  ti'ind  ir  wol 
Der  vischer  antwürt  im  so 
45    Sit  du  dez  gerst  so  bin  ich  fro 

Daz  ist  war  ich  briug  dich  haiu 


122 


HIDBER 


V.  2806. 
Ich  wais  hie  v'na  aiu  stain 
Nüt  verr  v'ber  den  se 
Da  mag  dir  wol  werden  we 
We  wir  daz  erringen 
Vnd  dit'li  dar  bringen 
So  m:ichtu  dich  swereu  tagen 
Dins  kumers  wol  klagen 
Er  ist  dir  gnfig  wild 
145]    Ward  ie  dehain  bild 
Daz  din  mut  ze  rüwen  stät 
So  tun  ich  dir  gantzen  rät 
Ich  hän  ain  jsenhalten 
Nu  lang  her  behalten 
Die  wil  ich  dir  ze  stür  geben 
Daz  du  bestätigt  din  leben 
Vff  dem  selben  staine 
Die  beslüss  vrab  dine  bain 
CTcrüwt  dich  denn  din  dank 
So  müstu  iemer  äne  wauk 
Gantz  dar  vflf  bestan 
Ez  ist  vmb  den  stain  also  getan 
Der  dich  ledig  fusse  hat 
Daz  er  nit  wol  dar  ab  gät 
Sie  dir  nu  ger  dar  zu 
So  släflf  bis  morn  fru 
Die  jsenhalten  nim  zu  dir 
Vnd  sitz  in  min  schif  zu  mir 
So  ich  fru  vischen  var 
146]  Ich  ker  durch  dinen  lip  dar 
Vnd  hilf  dir  vff  den  stain 
Vnd  heft  dir  dine  bain 
Mit  der  jsenhalten 
Daz  du  da  miist  alten 
Vnd  mich  gewerlich 
Vff  disem  ertrich 
Niemer  me  getrangst 
Dez  bin  ich  ane  angst 
Wie  ers  mit  hoffart  täte 
So  warent  dis  die  rate 
Recht  alz  er  wünschen  wolt 
Ob  er  wünschen  solte 
Nu  waz  der  vngiite  man 
Hart  streng  dar  an 
Daz  jm  dehains  gemaches 
So  uil  dez  ober  taches 
In  sinem  hus  gunde 


V.  2852. 
Sin  wip  jm  nie  künde 
Mit  jren  sinnen 
Abgewinnen 

Daz  er  dar  jnn  wer  beliben 
5     147]   Er  ward  in  hundes  wis  vss 
An  den  hof  für  die  tür     [getriben 
Da  gieng  er  frölich  für 
Dez  nachtz  ward  er  gelait 
Wider  sin  gcwonhait 

10    In  aines  armes  hüselin 

Daz  ez  nit  ermer  möcht   sin 
Ez  waz  zeruallen  äne  tach 
Man  schfif  dem  fürsten  sölich  gmach 
Daz  vil  gar  vnmäre 

15     Sinem  buman  were 

Weder  strö  noch  bett  wät 
Er  vand  dar  jnn  swachen  rät 
Im  trug  daz  wip  da  hin 
Ain  lützel  rores  dar  in 

20  Nu  hatt  er  behalten 

Sin  jsenhalten 
Vnd  sin  tafel  dar  zu 
Daz  er  si  fund  morn  fru 
148]  Wie  lützel  er  der  nacht  gelag 

25    Denn  daz  er  sinez  gebettes  phlag 
Vntz  daz  jnn  die  müdi  v'ber  gie 
Ze  släffen  er  sich  He 
Do  waz  ez  nach  by  dem  tag 
Do  für  der  vischer  nach  beiag 

30    Darzu  waz  er  fru  berait 
Nach  siner  gewonhait 

Nu  ruft  er  sinem  gast 
Do  slief  er  so  recht  vast 
Daz  er  sin  ruften  nit  vernam 

35    Alz  ez  von  grosser  müdi  kam 
Do  ruft  er  jm  aber  ze  stund 
Er  sprach  mir  waz  wol  kund 
Daz  disem  trugener 
Der  red  nit  ernst  wer 

40    Ich  gerüff  dir  niemer  me 
Süss  gäbet  er  zu  dem  se 
Do  nu  dis  daz  gut  wip  ersach 
149]    Si  wakt  jnn  vft'  vnd  sprach 
Wiltu  varn  du  guter  man 

40    Da  sumest  du  dich  an 

Min  man  wil  varn  vff  den  se 


GREGORIÜS. 


123 


V.  2898. 
Dar  nach  ward  nit  gebait  me 
Er  vorcht  in  grosser  swere 
Daz  er  versumpt  were 
Vnd  ward  dennocht  wider  do 
Sines  mfttez  harte  frö 
Daz  er  jnu  solt  füren  da  hin 
Alz  verhaissen  ward  wider  jn 
Die  liebi  vnd  och  die  laide 
Die  machotent  baide 
Zu  sinem  gaben  daz 
Daz  er  der  tafel  vergass 
Die  er  zu  allen  ziten 
Trug  bi  siner  siten 
Die  jsenhalten  trug  er  dan 
Vnd  galiet  zii  dem  man 
Er  ruft  durch  got  daz  er  sin  bitte 
Süss  fürt  er  jn  mit  vnsitte 
Vff  ainen  wilden  stain 
150]    Do  besloss  er  jm  die  bain 
Vast  in  die  jsenhalten 
Er  sprach  hie  mustu  alten 
Dich  für  denn  mit  sinen  sinnen 
Der  tiifel  von  hinnan 
Du  kunst  her  ab  niemer  me 
Den  slüssel  warf  er  in  den  se 
Vnd  sprach  ich  waiss  äne  wän 
Wenn  ich  den  slüssel  funden  han 
Vfi  dirre  tieflfen  fünde 
So  bistu  ane  sünde 
Vnd  ain  hailiger  man 
Er  Hess  jnn  da  vnd  für  von  dan 

Nv  lebte  do  alsus 
Der  arm  gregorius 
Vff  dem  wilden  stain 
Aller  gnaden  ain 
Er  hatt  kain  gemach 
Wond  der  himel  wz  sin  tacli 
Er  hatt  kain  schirme  me 
Für  riffen  noch  für  sehne 
151]    Für  wind  noch  für  regen 
Nu  den  gottez  segen 
Im  wärent  klaider  frömd 
Nu  ain  herin  hemd 
Im  wärent  bain  vnd  arm  bloz 
Er  enmocht  die  spis  die  er  noss 
Alz  ich  v'ch  nu  sage 


v.  2944. 
Wais  got  nit  xiiij  tage 
Vor  dem  hunger  nit  geleben 
Im  wer  denn  gegeben 
Der  trost  von  criste 
5    Der  jm  daz  leben  friste 
Daz  er  von  hunger  gnas 
Ich  sag  WZ  sin  spise  Avaz 
Ez  saig  vss  ainem  stain 
Wasser  vil  hart  klain 

10    Dar  vnder  grub  er  ain  hol 
Daz  ward  mit  aim  trunk  vol 
Ez  waz  so  klain  daz  ez  nach  sag 
Zwüschent  nacht  vnd  tag 
Vil  kum  vollez  geran 

15    Daz  trank  der  gnadloz  man 

152]   Süss  lebt  er  sibenzehen  jar 
Daz  dunkt  mengen  nit  war 
Dez  glöben  so  velsche  ich 
Got  dem  ist  nüt  vnmuglich 

20    Ze  tünd  waz  er  wil 

Im  jst  kains  wunders  ze  vil 
Do  nu  der  gnaden  aine 
Vff  dem  wilden  staine 
Sibenzehen  jar  gesass 

25    Vntz  daz  got  an  jm  vergass 
Siner  höbt  schulde 
Vnd  jnn  liess  hän  sin  hulde 
Do  starb  alz  ich  es  laz 
Der  dozemäl  ze  rom  babst  w 

30     Alz  schier  do  er  starb 
Ain  ielich  römer  do  warb 
Besunder  sinem  künne 
Durch  dez  gutes  gewinne 
Vmb  denselben  gewalt 

35    Ir  stritt  ward  so  manigiialt 
Daz  si  baide  durch  nid 
Vnd  durch  der  eren  git 
153]    Beschaiden  nit  enkunden 
Wem  si  dez  stfilez  gunden 

4(1    Nu  rietent  si  daz  v'ber  al 
Daz  si  Hessin  den  wal 
An  v'nsern  herren  gott 
Daz  sin  gnäd  vnd  sin  gebott 
Erzaigte  wer  er  wer 

45     Der  gfxt  wer  zu  ainem  richter 
Dienstes  si  im  gedächten 


124 


HIDBER 


V.  2990. 
Den  si  öch  voUhrachteu 
Mit  aliuiiöeu  vnd  mit  gebett 
Got  do  gut'deuklichen  tett 
Der  ie  vnd  io  daz  best  riet 
Aiuer  nacht  er  bescliied 
Wisen  rümern  zwain 
An  den  so  völlenklicli  achain 
Die  trüw  vnd  waihait 
Daz  ir  wort  waz  äu  aid 
Da  si  besunder  lägeut 
Vnd  gebettez  pblägent 
Die  gottcz  stimm  sprach  jn  zu 
Daz  si  dez  nechsteu  tags  irü 
Die  römer  ze  samen  brächtin 
154]     Vnd  jnen  daz  kunt  tätint 
Vnd  waz  gottez  wille  wer 
Vmb  jrn  rechten  richter 
Er  wer  gesessen  aine 
Vff  ainem  wilden  staine 
Ain  man  jn  equitania 
Den  wisset  nieman  da 
Er  wer  gewesen  da 
Wol  sibenzehen  jar 
Mit  dem  wer  der  stul  wol  bewant 
Vnd  wer  gregorins  genant 
Daz  ers  jn  baideu  tett  kunt 
Daz  maiut  daz  aius  maus  muut 
Nicht  mag  erzügen  wol 
Waz  gross  kraft  haben  sol 
Wond  zwain  den  ist  baz 
Ze  geloben  denn   ain  wissent  dz 
Nu  wist  ir  dewedra  nicht 
Vmb  dez  andren  geschieht 
Daz  jnen  die  rede  baiden 
Dez  nachtes  ward  beschaiden 
Vntz  daz  si  ze  samen  kameut 
155]  Vntz  daz  si  ze  samen  kament 
Vnd  ez  vnder  jnen  vernament 
Vnd  si  ez  also  getätent 
Alz  si  öch  vernumen  hatten 
Do  nu  ainer  sin  red  gesprach 
Vnd  der  ander  der  red  mit  lach 
Do  gelöbent  die  römer 
Vil  gern  dise  mer 
Ze  gott  waren  t  si  frö 
Die  alten  herren  wurdcut  do 


V.  3033. 
Ze  botteu  baidc  gesant 
In  equitania  daz  laud 
Daz  si  den  gottez  mau 
Suchtent  vnd  brächten  juu  herdan 

5  Nu  bekümbert  si  daz 

Den  stain  da  er  vff  sass 
Der  ward  in  nit  genant 
Mit  zwitel  fürent  si  in  dz  land 
Daz  gevor^chotent  si  guüg 

10    Wa  si  ir  weg  hin  trüg 

Nu  kundeut  si  nieman  gesagen 
15G]  Daz  begonden  si  von  hertzen 
Dem  der  jnn  beriiehet      [klagen 
Vnd  gnäd  an  jm  suchet 

15    Nu  sant  jn  got  in  den  sin 
Söltint  si  vindeu  in 
Daz  man  jun  denn  mi'isti 
Suchen  in  der  wiisti 
Sus  begonden  si  gäben 

20    Do  si  daz  gebirge  sahen 
In  die  wilde  zu  dem  se 
Der  zwifel  tet  in  we 
Daz  si  nit  wissen  knndent 
Wa  si  jrn  herren  funden 

25    Süss  für  die  weglose  diet 
Alz  jnen  ir  gemüt  riet 
Irr  vntz  an  den  dritten  tag 
Ain  stig  ane  hüfslag 
Begriffen  si  do 

30    Dez  wurden  si  fro 

Der  grasig  weg  vngezelt 
Trug  si  verr  in  ain  veld 
157]  Da  der  vischer  bi  dem  se 
Sass  vou  dem  ich  sait  e 

35    Der  den  säldenrichen 
So  vngezogenlichen 
In  sinen  dürften  emphie 
Vnd  an  jm  die  v'ble  begie 
Daz  er  jnn  durcli  sin  hass 

40    Saste  da  er  noch  da  sass 
Vff  dem  wilden  stain 
Vnd  jm  da  sine  bain 
Sloss  jn  die  jseuhalten 
Do  die  zwen  alten 

45    Dez  vischers  hUsli  sahen 
Ze  Salden  si  daz  iahent 


GREGORIÜS, 


125 


V.  3081. 
Daz  si  da  nach  ir  vnraacht 
Gevuwen  mfisfen  die  nacht 
Geftirt  hatten  si  mit  in 
Spis  daz  waz  ain  schöner  sin 
Der  si  bedorftent  zer  not 
Baide  win  vud  brott 
Darzii  waz  jnn  dächte 
Daz  man  gefüren  mochte 
Die  empliie  der  vischer 
158]    Mit  fröden  ane  allen  swer 
Die  wol  beraten  geste 
Er  sach  vnd  och  wüst 
Er  mocht  ir  wol  gemessen 
Dez  wolt  jnn  nit  verdriessen 
Er  schuf  jn  rieh  gemach 
Won  er  si  wol  beraten  sach 
Daz  tet  er  mer  durch  dz  gut 
Denn  dur  irn  hübschen  niut 
Er  emphieng  si  liaz  denn  den  gast 
Denn  dez  gutes  gebrast 
Gregorium  den  rainen  man 
Inn  dnnkte  da  nit  nutzes  an 
Do  si  gewunent  gut  gmaeh 
Der  vischer  zu  den  gesten  sprach 
Mir  ist  gar  wol  bescheheu 
Sit  ich  ie  solt  gesehen 
Alz  recht  gut  lüt 
Ich  hän  gevangen  hüt 
Ainen  gar  schönen  visch 
Siiss  ward  er  vfF  ainen  tisch 
159]    Für  die  herren  gehit 
Nu  hat  er  nit  misse  sait 
Won  er  waz  lang  vnd  gross 
Dez  er  vil  gern  gnoss 
An  den  pfenningen 
Da  ward  ain  kurtzes  dingen 
Si  hiessent  jnn  gelten  sa 
Nu  baten  si  jnn  da 
Den  wirt  vnd  sin  gesellen 
Daz  er  jnn  tet  zeruelleu 
Daz  si  ez  alle  sehint  an 
Nu  vand  der  schätz  girig  maii 
Den  slüssel  in  sinem  magen 
Von  den  ir  e  hortent  sagen 


V.  3125. 
Da  er  gregorium  mitte 
Besloss  mit  zornigem  sitte 
Vor  sibenzehen  jaren  e 
Vnd  er  jnn  warf  in  den  se 
5     Si  sprächent  zii  welen  stunden 
Er  den  slüssel  hett  tun  den 
160]  Vsser  dez  merez  v'nde 
So  wer  er  äne  sünde 
Vnd  alz  erjuu  jn  dem  visch  vand 

10     Do  erkant  er  jnn  ze  band 
Vnd  viel  jm  selb  also  bar 
Mit  baideu  henden  in  sin  här 
Vnd  röfte  sich  gar  gniig 
Vnd  sich  zil  den  brüsten  slüg 

15         Do  fragten  jnn  die  herren  mit 
Waz  jm  gebrest  oder  wer     fger 
Do  si  jnn  mit  ernst  horten  klagen 
Do  begond  er  in  sagen 
Vmb  gregorium  sinen  man 

20    Alz  er  ez  denn  kund  oder  kan 
Die  hotten  wurden  vast  frö 
Von  sinen  worten  also 
Wond  si  spurten  an  dem  mer 
Daz  ez  der  selbe  wer 

25    An  den  in  got  selber  riet 
Vnd  jnn  ze  bäbste  schiett 
Do  er  in  baiden  gliche 
Also  recht  offenlichen 
161]  Sine  bichte  tett 

30    Ir  fiiss  sucht  er  mit  bett 
Daz  si  im  etzlichen  rät 
Tätint  für  die  missetat 
Nu  gehiessen  si  jm  daz 
Er  möchte  vil  dester  baz 

35     Komen  von  sinem  maine 
Ob  er  zu  dem  staine 
Dez  morgens  sölt  wisen 
Nu  sahent  si  dem  grisen 
Die  ögen  v'ber  wallen 

40     V'ber  sinen  gTawen  bart  valleu 
Er  sprach  wz*) 

163]    Er  sprach  waz   sol  v'ch  die 
Gern  wisen  ich  v'ch  dar     [vart 
Die  vart  verliern  wir  gar 


*)  Dies  steht  noch  auf  seite  161.  —  Seite  162  ist  leer. 


126 


HIDBER 


V.  3181. 
Ich  wais  wol  er  ist  uu  lang  tot 
Ich  Hess  Jim  in  so  grosser  not 
\'1V  dem  wiklen  stuiu 
Hett  er  der  doch  nu  aiu 
Ez  möcht  kain  lip  gewern 
Ir  durfent  nit  dingen  noch  gern 
Daz  wir  jnn  lebend  vinden 
Wer  er  von  kalten  winden 
Vnd  vor  frost  nit  verderbet 
Der  hunger  hett  jnn  ersterbet 

Nu  erkannten  si  gotte  gewalt 
So  stark  vnd  so  manigualt 
Ob  er  sin  gerüchte  phlegen 
Daz  vast  wol  sin  segen 
In  frist  vnd  schirm  vor  aller  fraise 
Vff  die  vil  kurtzen  raise 
164]    Ward  er  tür  gemant 
Die  lobt  er  jnen  ze  band 
Dez  morgens  vil  frü 
Fiiren  si  zii  der  wilden  flu 
Da  si  mit  grossen  arbaiten 
Die  böm  darzu  beraiten 
Daz  si  vff  den  stain  kament 
Vnd  dez  war  nament 
Wa  gregorius  wer 
Der  lebendig  martrer 
Ain  harte  schöner  man 
Dem  vil  lützel  iendert  an 
Hunger  oder  frost  sehain 
Oder  gross  armut  dehain 
Vor  zierlichem  gerete 
An  lip  vnd  an  gewäte 
Daz  niemer  me  dekaine 
Von  edelem  gestaine 
Von  siden  vnd  von  golde 
Besser  haben  wolde 
Wol  ze  wünsch  geschnitten 
Mit  gar  lachendem  sitten 
165]  Mit  gelwen  ogen  giengen 
Vnd  lieben  fründ  emphiengen 
Mit  golvarwem  har 
Daz  ich  sin  ze  war 
Ze  sehen  lustet  harte 
Mit  wol  geschornem  barte 
In  alle  wis  so  getan 
Alz  er  ze  tantz  solt  gan 


V.  3229. 
Mit  so  gelimptem  bain  gwand 
So  die  weit  beste  vand 
Den  fundent  si  niena  da 
Er  mocht  wol  sin  anderswa 
5    Ich  sag  v'ch  waz  si  fundent 
Do  si  suchen  begundent 
Vff  dem  wilden  staine 
Der  gilt  vnd  der  raine 
Ward  ir  schier  jnuen 

10     Do  wolt  er  entrinnen 

Won  sin  schäm  waz  so  gross 
Er  ward  nakent  vnd  bloz 
Nu  mocht  er  nit  löffen  träte 
Wond  er  gebunden  hatte 

15    166]   An  ietwederm  baine 
Er  viel  zu  dem  staine 
Der  gilt  vnd  der  raine 
Vnd  sprach  Worten  dehaine 
Süss  wolt  er  sich  verborgen  han 

20    Do  er  si  sach  zu  jm  gan 

Do  brach  er  für  die  schäm  ain  krutt 
Also  fundent  si  den  gottez  trut 
Ainen  dürftigen  vff  der  erde 
Ze  got  in  hohenn  werde 

25    Den  lüten  wider  zeme 
Ze  himel  gar  geneme 
Der  arm  waz  zware 
Erwachsen  von  dem  hare 
Vnd  och  zu  der  swarte 

30    An  höbt  vnd  an  barte 
E  waz  ez  ze  recht  raid 
Nu  riisuar  von  der  arbait 
E  warent  jm  die  wangen 
Mit  röti  beuangen 

35    Mit  gemischelter  wise 

Geschaffen  nach  allem  flisse 
Nu  swartz  vnd  vngewicheu 
167]    Daz  antlit  gar  erblichen 
E  warent  jm  für  war 

40    Die  ogen  gelw  vnd  clär 
Der  mund  ze  frödeu  gestalt 
Nu  blaich  vnd  alt 
Die  ögen  tief  vnd  rot 
Alz  ez  der  mangel  gebot 

45    Mit  bräwen  behangen 
ßuchen  vnd  öch  langen 


GREGORIUS. 


127 


V.  3273. 
Gross  ze  den  licleu  allen 
Daz  flaisch  zu  geuallen 
Vntz  an  daz  gebain 
Er  waz  so  glich  klain 
An  bainen  vnd  an  armen 
Ez  möeht  got  erbarmen 
Da  jm  die  jsenhalt  lag 
Baide  nacht  vnd  tag 
Do  hatt  si  jm  ab  dem  tusse 
Daz  flaisch  hart  vnsüsse 
Vntz  an  daz  bain  vernossen 
Daz  si  waren  vergossen 
168]  Mit  plut  zu  allen  stunden 
Von  den  frischen  wunden 
Daz  waz  sin  sweri  arbait 
A'n  ander  not  die  er  laid 
Ich  geliche  in  disen  sachen 
Alz  der  ain  linlachen 
V'ber  die  oren  sprait 
Man  möcht  jm  sament  gerait 
Allez  sin  krankes  gebain 
Baide  gross  vnd  6ch  klain 
Gezelt  hän  durch  sin  hut 
Wie  sere  der  gottez  trutt 
An  dem  libe  were 
Verwandlot  an  der  swere 

Nu  waz  der  hailig  gaist 
Dar  an  gewesen  sin  voUaist 
Also  gar  vnd  gantzlichen 
Daz  jm  nüt  waz  entwichen 
Er  hatt  sin  alten 
Kunst  vntz  her  behalten 
1C9]  Von  Worten  vnd  von  buchen 
Die  jnn  da  fi'irent  stichen 
Do  jnn  die  hattent  gesehen 
Alz  ich  nu  hän  veriehen 
Dez  libes  also  armen 
Nu  begond  er  si  erbarmen 
.So  ser  daz  der  ogen  Hoss 
In  regens  wis  ir  wät  begoss 
8i  beswiireut  jnn  bi  gott 
Vnd  bi  sinem  gebott 
Daz  er  si  wissen  liessi 
Ob  er  gregorius  hiesse 
Do  er  so  tür  ward  gemaut 
Do  tet  er  jneu  bekant 


v.  3319. 
Daz  er  gregorius  wer 
Nu  Saiten  jm  ze  mer 
War  vmb  si  vss  waren  komen 
Alz  ir  e  hand  vernomen 
5     Daz  jnn  got  hatt  genant 
Selb  erweit  vnd  erkant 
Vnd  ze  richter  gesast  vff  erd  an 
fsiner  statt 
170]  Do  er  nu  die  botschaftvernam 

10    Wie  nach  ez  sinem  hertzen  kam 
Do  saigte  der  gottez  werde 
Sin  höbt  zu  der  erde 
Mit  mengen  trehen  er  sprach 
Daz  er  si  nie  angesach 

15    Sint  ir  cristan  lüte 
So  erent  got  hüte 
Vnd  gand  dur  got  von  mir 
W^^nd  ich  der  eren  avoI  enbir 
Daz  mir  die  gnäd  beschech 

20    Daz  ich  ieman  guten  ansech 
Mit  so  süntlichen  ogen 
Got  ist  daz  nit  tögen 
Min  flaisch  ist  so  vnrain 
Daz  ich  billich  ain 

25    Belib  vntz  an  minen  tod 
Daz  mir  der  ewigen  not 
Die  sele  v'ber  werde 
Daz  köft  ich  vft"  der  erde 
Wer  ich  bi  jnen  hüte 

30     171]  Ez  müst  nit  gute  lüte 
Engelten  miner  missetat 
So  gar  hoch  min  schuld  stat 
So  möchten  bom  vnd  grass 
Vnd  Avaz  ie  grüns  bi  mir  wz 

35     Dorren  von  der  grymen 
Miner  vnrain  en  stimen 
Vnd  von  der  vnsüsse 
Miner  sündigen  tussen 
Daz  der  Hechten  sunnen  schin 

40     So  demütig  geriichet  sin 

Daz  er  mich  vöUenkliclieu  an 
Sciiint  alz  ain  andren  man 
Der  gnaden  wer  ich  gar  vnwert 
Daz  er  min  ze  maister  gert 

45    Daz  ist  ain  erdachter  spott 

Ich  hau  vmb  v'nsern  herren  gut 


128 


HIDBER 


V.  :{373. 
Verdient  biider  vcrre  bass 
Sinen  gryiuon  zoru  vnd  liass 
Denn  daz  er  an  mich  kcre 
172]   T>ie  gnäd  vnd  och  die  ere 
Die  ain  babst  haben  sol  5 

Ich  gezim  ze  roui  nit  wol 
V'ch  wer  an  mir  nit  wol  besehen 
Ir  mügent  doch   niinen  ]i\)  sehen 
Der  ist  so  vngenäm 
Den  eren  wider  zem  K) 

Ward  mir  ie  lierren  für  kund 
Der  ist  vergessen  an  diser  stund 
Ir  herren  nu  nement  selb  war 
Mir  sint  verwandlot  gar 
Der  sinn  der  lip  vnd  die  sitte         15 
Die  dem  von  recht  wonent  mitte 
Der  gross  gewaltz  phlegen  sol 
Ich  gezim  ze  babst  nit  wol 
Ir  vil  säligen  löte 

Nu  länd  mir  daz  hüte  20 

Zu  ainem  hail  sin  beschehen 
Daz  ir  mich  band  gesehen 
Vnd  gernchent  v'ch  erbarmen 
173]  V'ber  mich  eilenden  armen 
Vnd  gedenkent  min  ze  gott  25 

Wir  band  von  sinem  gebott 
Wer  vmb  den  süuder  bitte 
Der  löz  sich  selb  mitte 

Nu  ist  zit  daz  wir  v'ns  schaiden 
Waz  frumpt  daz  v'ns  baiden  30 

Ir  erfröwcnt  an  mir  dez  tiel'els  mut 
Min  kurtzwil  ist  also  gut 
Ich  buw  hie  ze  wäre 
In  dem  sibenzehenden  jare 
Daz  ich  nie  menschen  gesach  35 

Ich  furcht  fröd  vnd  gmach 
So  ich  mit  red  mit  v'ch  h<än 
Ich  muss  ir  ze  büss  stän 
Von  dem  der  kain  mistat 
Vngerochen  nit  lät  [dan      40 

Süss  stiiud  er  vff  vnd  wolt  von 
174]  Do  beswiirent  jnn  die  zweu 
Also  verr  bi  gotte  [man 

Vnd  bi  sinem  gebott 
Daz  er  do  stille  sass  45 

Vnd  hört  si  fürbaz 


V.  3421. 
Nu  hatten  si  sich  baide 
Mit  trüwen  vnd  mit  aide 
Der  rede  nölich  sicherliait 
Die  Jm  da  ward  für  gelait 
Daz  er  in  do  gelobte  baz 
Ich  waz  alz  ain  voUez  vaz 
Süntlicher  schänden 
Do  ich  mit  disen  banden 
Bestät  ward  vff  disen  stain 
Die  ir  hie  sehent  vmb  mine  bain 
Nu  ist  nicmans  siind  so  gross 
Dez  gewalt  die  hell  besloss 
Dez  gnad  ist  nu  mere 
Ob  got  v'nser  lieber  herre 
Miner  mengen  missetät 
Durch  sinen  tod  vergessen  hat 
Vnd  ob  ich  rain  worden  bin 
Der  geruch  v'ch  drin 
Ain  wortzaichen  geben 
Oder  sich  mftss  min  leben 
Vff  disem  staine  enden 
Er  well  mir  denn  senden 
Den  slüssel  da  mit  ich  bin 
So  vast  beslossen  in 
Oder  ich  gerum  ez  niemer  me 
Do  viel  der  vischer  an  sine  knie 
Mit  mengem  trehen  für  jn 
Vnd  sprach  lieber  herr  ich  bin 
Der  selb  vnsälige  man 
Der  sich  verwurkte  dar  an 
Ich  armer  vnd  ich  verlorne 
Ich  emphie  v'ch  mit  zorne  [v'ch  bot 
176]  Daz  waz  diebotschaft  die  ich 
Ich  gab  v'ch  schelten  für  daz  brot 
Ich  schauk  v'ch  mit  fliss 
Vnd  mit  mengem  itwis 
Vnd  behielt  v'ch  v'ber  nacht 
Mit  vnwerd  vnd  mit  bracht 
Alsus  waz  jch  worden  alt 
Daz  ich  der  sünden  nie  engalt 
Ez  ist  der  sele  noch  gespart 
Ich  geniess  denn  diser  vart 
Die  ich  herr  mit  trüwen  hän  getan 
So  sol  ich  wol  ze  buss  stau 

Dar  nach  volgot  ich  v'wer  bette 
Wond  daz  ichs  in  zorn  tete 


GREGORIUS. 


129 


V.  3475. 
Ich  l)i'acht  v'ch  vff  disen  stain 
AIsus  hosloss  ich  v'wer  bain 
Vn<l  warf  den  slüssel  in  den  se 
Vnd  gedächt  an  v'ch  nicmcr  mc 
Vnfz  gester  min  sündigi  band 
177]    Den  slüssel   in  ainem  visch 
Daz  sahent  dise  herren  wol  [vand 
Ob  ichs  mit  jn  erzügen  sol 
Er  entsloss  die  jsenhalten 
Nu  iailtcn  die  alten 
Mit  im  ir  pfalflich  gwand 
Vnd  fürten  mit  jn  ze  hand 
Ab  derselben  statt  von  daii 
Disen  sündlosen  man 
Ab  dem  wilden  stain 
Nu  waz  vil  harte  klain 
Sins  armen  libez  macht 
Nu  belibent  si  die  nacht 
Mit  dem  vischer 
Dcx  kumer  waz  vil  swer 
Er  suchte  buss  vnd  rät 
Vmb  die  grossen  missetät 
Die  er  vor  an  jm  begie 
Do  er  jnn  so  hert  emphie 
Nu  wusch  sin  trüwe 
Vnd  sin  gantzer  rüwe 
17S]  Vnd  der  ogen  vnde 
Dem  tlaisch  sine  sünde 
Daz  die  sele  genaz 
Dennocht  gregorius  waz 
In  der  Sünden  gewalt 
Alz  v'ch  da  vor  wz  gezalt 
Do  er  von  dem  sinen  gieng 
Vnd  jn  der  vischer  emphieng 
In  sin  hus  swache 
Vnd  jm  mit  vngemache 
Dez  nachtes  beriet 
Morgens  do  er  dannen  schied 
Vnd  er  der  tafel  vergass 
Die  wil  er  vff  dem  stain  sass 
So  gemüte  jnn  nie  mere 
Dehain  ding  alz  sere 
Nu  gedächt  er  aber  dran 
Vnd  mant  den  vischcnden  man 
Daz  ers  dur  got  tete 
Ob  er  si  funden  hotte 

Beitiiige  zur  Kcscliiclito  dor  tleutsclicn 


v.  3521. 
Daz  si  jm  wider  wurde 
Vmb  daz  siner  sünden  burdi 
Ime  dester  ringer  wer 
17'.)]   Do  gedachte  der  visch(u- 

.j       Laider  icli  gesach  ir  nie 
Sagent  wa  liessent  ir  si  hie 
Oder  wie  vergassent  ir  der  sus 
Ich  Hess  si  sprach  gregorius 
Jn  dem  hüslin  da  ich  slieff 

10     Vnd  man  mir  dez  morgens  rief 
Do  waz  min  angst  swer 
Daz  ich  versumet  wer 
Ich  ersrak  vnd  ilt  v'ch  nach 
Vnd  ward  mir  also  gach 

15    Daz  ich  der  tafel  vergass 

Der  vischer  sprach  wz  hulf  dz 
Ob  wir  si  süchtint  da  si  lit 
Da  ist  si  ful  vor  menger  zit 
0  lieber  herre  min 

20    Do  stund  daz  hüselin 

Nach  v'ch  nit  zwölf  wuchen 
Daz  ez  ward  zerbrochen 
Ich  hab  ez  allez  verbrant 
Baide  tach  vnd  och  wand    [müt 

25     ISO]    Ich  tn°ig  v'ch   do  so  herten 
Vnd  wer  ez  v't  gewesen  gut 
Für  wind  vnd  für  regen 
Ir  werint  dar  jnn  nit  gelegen 
Da  e  daz  hüslin  waz 

30    Da  wachset  vnbederbez  grass 
Nesslen  vnd  vnkrut 
Do  süfzot  der  gottez  trutt 
Got  er  jm  do  helfen  batt 
Er  kem  niemer  von  der  statt 

35     Ob  er  jr  nit  funde.     Nu  giengen 
[si  ze  stunde 
Mit  gablen  vnd  mit  rechen 
Vnd  begunden  hin  vnd  her  trcchen 
Daz  vnkrut  vnd  den  mist 

10     Nu  erzögte  crist 

An  dem  guten  grcgorio 
Ain  gross  zaichen  do 
Daz  L'Y  sino  taicl  vand 
Nu  alz  si  von  siner  liand 

15     Fiir  der  si  do  wurkte 
Fröd  vnd  vorchte 
spräche.    III.  9 


130 


HIDBER 


V.  :{5(17. 
llatfcu  die   <l:iz   salion.     woiul  si 

|(l:iz  i;Uien 
Dis  wer  ain  Lclig  mau.   vnd  da 

llu^cn  si  11  it  an 
Ibl)  Do  dez  morgens  ir  vart 
Gegen  rom  erhebt  wart 
Do  sahent  si  dik  vff  dem  weg 
Daz  die  raine  gottes  plileg 
Des  guten  uianues  plüag 
Alit  Üiss  naclit  vnd  tag 
Si  bcrürtc  vff  der  raise 
Nie  kain  böse  fraise 
Ir  spis  erschos  jnen  so  wol 
Dz  all  zit  ire  vass  warent  vol 
Wie  vil  si  dar  vss  namen 
Vntz  daz  si  gen  rom  kamen 
Von  aineu  gnaden  ich  v'cli  sag 
Vor  ir  kunft  drj-e  tag 
Ward  ze  rom  ain  luichel  schal 
Sich  begundent  v'ber  al 
Die  gloggen  selb  lütcn 
Vnd  täten  daz  betUten 
Daz  ir  rechter  richtcre 
Dar  ze  komen  künftig  were 
Da  markt  wip  vnd  man 
Sin  liailikait  wol  au 
182]    Si  fürent  im  engegen  sa 
Gegen  dem  land  equitania 
Dryc  gut  tagwaide 
Hatten  si  v'ber  die  haide 
Ainen  vil  götlichen  rum 
Si  trugent  vss  ir  liailtinu 
Wullenklich  vnd  barfüz 
Er  horte  gar  willigen  grfiz 
An  sinem  emphange 
Mit  lesen  vnd  mit  gesangc 
Ez  lägeut  vff  der  Strasse 
Siechen  änc  mdsse 
Die  kanicnt  dar  vff  sinen  trost 
Daz  si  da  wurdin  erlost 
Die  erncrt  er  vnder  wegen 
Harte  nicnger  von  sinem  segcn 
Wen  er  da  l)ennte 
Den  man  da  hin  fürte 
Sin  guter  will  oder  sin  hand 
Sine  wort  oder  sin  gewand 


V.  3613. 
Dei-  ward  denn  ze  stund 
183]    Von  sinem  kumer  gcsnut 
Ze  rome  die  mere 
Empliie  jr  richtere 
5     Mit  lachendem  uuite 

Daz  kam  ir  zii  allem  gute 
Er  ward  da  ze  statt 
Zu  ainem  bäbst  gesast 
Der  waz  ain  guter  hailer 

10    Der  wunden  sele  her 
Er  kund  ze  rechte  leben 
Wond  jra  die  mäss  wz  geben 
Von  dez  haiigen  gaistez  lere 
Dez  rechten  hüt  er  sere 

15    Es  ist  recht  daz  man  behalt 
Demütigen  gewalt 
Wond  da  gneseut  die  armen  mit 
Vnd  sol  doch  freuenliche  silt 
Durch  die  vorcht  erzaigen 

20     Vnd  die  mit  recht  uaigen 
Die  wider  dem  rechten  siut 
184]  Ob  aber  ain  dez  tiefeis  kiml 
Durch  die  stol  nit  endii 
Da  gehört  denn  gewalt  zu 

25    Dez  siut  die  zwai  gericht  gut 
Si  lerent  vnd  slahent  hohen  mut 
Dar  vmb  sol  man  dem  silnder 
Nit  geben  biisse  swer 
Daz  jm  der  riiwe  süss 

30    Also  sin  sünde  büss 

Wond  daz  recht  ist  so  swer 
Wer  au  dem  sünder 
Ze  vast  herfc  nach  wil  volgen  jagen 
Daz  mag  der  lip  nit  vertragen 

35    Ich  main  ob  er  gnad  suchen  wil 
So  geb  man  jm  nit  büss  zc  vil 
Villicht  ain  man  davon  verzagt 
Daz  er  sich  aber  got  entsagt 
Vnd  wider  wirt  dez  tüfels  kneclit 

40     185]  Da  von  so  gat  gnad  für  recht 
Stis  kond  er  recht  mäss  geben 
V'ber  gaistlichcs  leben 
Da  mit  der  sünder  genaz 
Vnd  der  gotte  stät  waz 

45     Vou  sincr  starken  lere 
Wuchs  die  gottez  ere 


GREGOmUS. 


131 


V.  3650. 
Siu  mfiter  sin  bas  vnd  siu  wip 
Die  drü  hatten  ainen  lip 
Do  si  jn  dem  land  e([uittiniam 
Von  dem  säligeu  b;i!)st  vernam 
Daz  er  so  gar  werc  5 

Ain  trost  der  sündere 
Do  sucht  si  jnn  durch  rät 
Vmb  ir  höbt  missetat 
Daz  si  der  Sünden  burdi 
Von  jn  entladen  wurde  10 

Vnd  do  si  jnn  gesach 
Vnd  jm  ir  bicht  veriach 
Do  waz  dem  guten  wib 
ISO]     Von  des  bühstes  lip 
Ain  vnkundez  mer  15 

Daz  ez  ir  sun  wer 
O'ch  hatt  si  an  sich  gelait 
Die  trüw  vnd  die  warliait 
Sit  si  sich  schledent  baide 
Daz  ir  der  lib  von  laide  2() 

Entwichen  waz  garwe 
An  schöni  vnd  och  an  varwc 
Daz  er  ir  nit  erkande 
Vntz  daz  si  sich  jm  genande 
Vnd  daz  land  equitaniam  25 

Do  er  ir  bichte  gar  vernam 
Do  veriach  si  jm  anders  nicht 
Denn  der  selben  geschieht 
Die  jm  och  waz  kunt 
Do  erkante  er  si  ze  stund  30 

Daz  si  sin  mftter  wer 
Der  gut  vnd  der  gewer 
Frowte  sich  zu  gotte 
Daz  si  sinem  gebotte 
Also  verr  vnderlag  35 

l  S7J  Wond  er  sach  wol  dz  si  phlag 
Rüw  vnd  rechter  busse 
Mit  willigem  grüsse 
Emphieng  er  sin  müter  do 
Vnd  waz  dez  von  hertzen  fr6  40 

Daz  jm  die  seid  beschach 
Daz  er  si  vor  jr  ende  sach 
Vnd  daz  er  si  alten 
Also  muste  behalten 
Vnd  gcnislichen  rat  geben  45 

V'ber  sei  vnd  v'ber  leben 


V.  3705. 
Dennocht  waz  ir  vukunt 
Gesach  si  jnn  ie  an  der  stund 

Mit  listen  sprach  er  zu  ir 
Fn')\\e  durch  gut  sagent  mir 
Hand  ir  sit  icht  vernomen 
War  v'wer  sun  sie  komen 
Weder  er  sie  lebent  oder  tot 
Do  ersüfzot  si  durch  not 
188]    Si  sprach  herre  nain  ich 
Ich  wais  wol  er  hat  an  sich 
Von  rüwen  sölich  not  gelait 
Ich  veruem  denn  die  warhait 
So  glob  ich  uit  daz  er  leb 
Er  sprach  ob  nu  got  dz  geb 
Vnd  ez  iemer  möcht  beschehen 
Da/,  man  jnn  v'ch  Hess  sehen 
Sagent  wie  getrüwent  ir  doch 
Ob  ir  jnn  erkantint  noch 

Die  frowe  do  sprach 
Vss  jrs  hertzen  vugcmacli 
Mich  betriegen  denn  min  sinn 
Ich  1)ekante  jun  säcli  ich  jnn 
Er  sprach  sagent  dez  ich  v'ch  Ititt 
Weder  wer  v'ch  da  mit 
Liep  oder  laid  beschehen 
189]    Ob  ir  jnn  möclitint  sehen 
Si  sprach  ir  mugeut  nemeu  war 
Ich  hiin  mich  bewegen  gar 
Libcs  vnd  och  gutes 
Frödeu  vnd  och  mutes 
Gelich  ainem  armen  wip 
Mir  möcht  zu  minem  lip 
Kain  fröd  me  geschehen 
Wond  möcht  ich  jnn  gesehen 
Er  si)rach  so  gehabt  v'ch  wol 
Wond  ich  v'ch  von  jm  künden  sol 
Es  ist  vnlang  daz  ich  jn  sach 
Vnd  daz  er  mir  bi  got  iach 
Daz  er  ain  fründin  gehebt  hette 
Ze  trüwen  vnd  ze  stette 
Lieber  denn  sinen  lip 
Gnäd  herr  sprach  dez  wip 
Lel)t  er  noch  ia  er  wie 
Er  gehebt  sich  wol  vnd  ist  hie 
Mag  ich  jnn  gesehen  herr 
10)]    Ia  wol  er  ist  vnverr 
O" 


132 


HIDBER 


V.  :5710. 
Herr  so  lilnd  mich  jn  sehen 
Er  spracli  daz  luaj?  wol  besehen 
Sit  daz  ir  jnn  aehen  weit 
So  ist  not  daz  ir  twelt 

Liebi  müter  nu  selicnt  mich  an 
Ich  bin  v'wer  sun  vnd  wz  v'wer 
Wie  gross  vnd  wie  swär      [man 
Miner  sündeu  last  wer 
Dez  hatt  nu  got  vergessen 
Vnd  alsus  lian  ich  besessen 
Disen  gewalt  von  got 
Es  kam  von  siuem  geholt 
Daz  ich  her  ward  er  weit 
Also  hab  ich  jm  verselt 
Baide  sei  vnd  och  lip 
Sus  ward  daz  gnadloz  wip 
Ergetzet  allez  laides  gar 
Got  sant  in  sin  gnäde  dar 
191]    Ze  fröden  in  baiden 
Sus  wären  si  vngeschaiden 
Yntz  an  den  gemainen  tod 
Alz  gregorius  ir  gebott 
Vnd  ir  ze  büsse  riett 
Do  er  von  jrem  land  schied 
Mit  lib  vnd  mit  gfite 
Mit  betwungnem  mfite 
Daz  hat  si  gelaistet  gar 
Also  daz  ir  nit  dar  an  war 
Waz  si  jaien  sit  vertriben 
Sit  si  ze  rom  beliben 
Die  warent  jn  baiden 
Ze  got  also  beschaiden 
Daz  si  nu  iemer  me  sint 
Zwai  vsserwelti  gottez  kind 
O'ch  erwarb  er  sinem  vatter  daz 
Daz  er  den  stül  mit  jm  besass 
192]  Dem  niemer  fröde  zergät 
Wol  im  der  jnn  besessen  hat 
Bi  disen  guten  meren 
Vnd  von  disen  sünderen 
Wie  si  nach  ir  grossen  schulden 
Erwurbeut  die  gottez  hulde 
Da  sol  nn  niemer  an 
Gedenken  kaiu  sündig  mau 
Vnd  nemen  so  böz  bild 
Vne  in  sim  hertzeu  sin  so  wild 


V.  3795. 
Daz  er  icht  gedenk  also 
Nu  bis  och  freuel  vnd  Iro 
Wie  müchtist  sovngelükhaftwesen 
Sit  daz  dise  sint  genesen 
5    Nach  ir  grossen  missetat 
So  wirt  din  alz  gut  rat 
Ist  daz  ich  genesen  sol 
So  genis  ich  och  also  wol 

Wen  der  tüfel  also  schündet 

10     193]  Daz  er  vff  den  trost  also  sündet 
Den  hat  er  v'ber  wunden 
Vnd  in  sin  gewalt  gebunden 
Ist  ioch  sin  sünde  krank 
So  kunt  der  selb  gedank 

15    Mit  tusent  valter  mistat 
Vnd  wirt  sin  niemer  me  rät 
Da  sol  der  sündig  man 
Ain  selig  bild  nemen  an 
Wie  vil  er  gesundet  hat 

20     So  wirt  sin  vil  gut  rät 
Ob  er  die  rüw  begät 
Vnd  recht  bus  bestät 

Hartmann  der  sin  arbait 
An  dis  buch  hat  gelait 

25     Gott  vnd  v'ch  ze  minnen 

Wer  begert  dar  an  ze  gewinnen 
Daz  er  jm  es  lät  geuallen 
Der  lonet  von  v'ch  allen 
194]    Die  ez  hörent  vnd  leseut 

30    Daz  si  jm  bittent  wesen 
Daz  jm  die  seid  beschech 
Daz  er  v'ch  noch  gesäch 
In  dem  hohen  himelrich 
Dem  senden t  alle  gelich 

35     Disem  guten  sünder 

Ze  busse  vmb  v'nser  swer 
Daz  wir  jn  dem  eilend 
Ain  also  genislich  end 
Nemint  alz  si  nament 

H;     Dez  helf  v'ns  got  amen 

Hie  mit  so  hant  sant  gregorien 
Got  müss  v'ns  allez  v'bel  bencn 
Ain  gut  volkomen  end 
Maria  v'ns  jren  segen  send.  Amen. 

45 


GREGORIUS.  133 

Die  hier  abg-edruckte  handscliiift  des  Gregorius  Hartmaiins 
V.  Aue,  im  besitze  des  henii  a.  Grossratb  F.  Biiiki  in  Bern, 
{'and  ich  im  schlösse  zu  Spiez  am  Thuner  see.  Nach  schrift 
und  spräche  möchte  sie  im  ersten  viertel  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts entstanden  sein  und  zwar  in  der  Schweiz  oder  in 
Öiiibleutscldand.  Sie  ist  in  kleinquart  auf  papier  geschrieben 
und  sehr  gut  erhalten,  mit  ausnähme  der  ersten  seite,  die 
etwas  beschmutzt  ist  und  unten  die  schriftliche  bemerkung 
enthält:  "Heüt  zu  Tag  schril)t  man  nicht  mehr  also.'  Unter  bei- 
hilfe  meines  coUegen  i)rof.  dr,  L.  Hirzel  konnte  ich  ermitteln 
dass  sie  vollständig  ist.  Sie  enthält  97  blätter.  Von  der 
gleichen  band  geschrieben  folgen  sodann  auf  14  blättern  reli- 
giöse lieder  und  gebete*);  letztere  beginnen  auf  der  zweiten 
seile  des  eilften  blattes;  das  erste  scheint  von  einer  andern 
band  zu  sein.  Das  letzte  blatt  ist  etwas  beschädigt,  ohne 
dass  jedoch  die  schrift  wesentlich  gelitten.  Am  Schlüsse  hat 
ein  späterer  Schreiber  ein  heilmittel  'für  dz  grienn'  einge- 
schrieben,  das  allerdings  nicht  vollständig  erhalten  ist. 

Betreffs  der  typographischen  widergabe  der  hs.  ist  zu  be- 
merken, dass  die  zeichen  ä  und  6  einem  a  und  o  mit  über- 
geschriebenem v  entsprechen,  also  die  laute  au  und  ou  dar- 
stellen sollen.  —  ü  entspricht  einem  u  mit  übergeschriebenem 
c  (=  mhd.  tte) ;  ü  dagegen  ist  in  der  hs.  u  mit  einem  häkchen 
darüber  (=  mhd.  ü),  denselben  laut  tt  l)ezeichnet  v',  in  der  hs. 
v  mit  einem  häkchen  darüber.  —  Die  abkürzungen  der  hs. 
sind  aufgelöst  worden.  Es  sind  die  in  deutschen  Schriftwerken 
jener  zeit  gewöhnlichen. 

BEKN.  Dr.  B.  HIDBER,  P.  0. 

Zur  kritik  des  Gregorius. 

Die  vorstehend  auf  den  wünsch  des  auffindcrs  vollständig 
abgedruckte  neue  handschrift  bietet  einen  ziendich  entstellten 
text.  Dennoch  hat  sie  wegen  der  mangelhaftigkeit  der  bis- 
lierigen  Überlieferung  ihren  eigentümlichen  wert.  Die  wich- 
tigste bereicherung ,  die  sie  uns  gewährt,  besteht  in  der  voll- 
ständig erhaltenen  einleitung,  von  der  sonst  nur  die  Erlauer 
hs.   (E)   trümmer    erhalten    bat,    noch   dazu   in    einer    gestalt, 

*)  Oicselben  werden   (Icmuächst  ebenfalls  vcröffentlictit  werden. 


134  PAUL 

aus  der  es  kaum  möglich  war  die  gedankeu  des  dicliters  zu 
crrateu,  geschweige  denn  den  ursi)riuiglichen  text  auch  nur  der 
erhaltenen  verse  mit  einiger  Sicherheit  herzustellen.  Sie  füllt 
die  ersten  sieben  selten  der  hs.;  ausserdem  die  elfte  und  zwölfte, 
die,  wie  man  leicht  sieht,  zwischen  die  sechste  und  siebente 
einzuschieben  sind.  Das  ursprünglich  vierte  blatt  ist  an  stelle 
des  jetzt  fehlenden  siebenten  getreten,  welches  vers  61 — 102 
enthielt.  Unvollkommen  und  unsicher  ist  allerdings  die  Über- 
lieferung. Das  wird  besonders  klar,  wenn  wir  den  weiteren 
text  mit  den  uns  erhalteneu  hss.  vergleichen.  Ich  knüpfe  an 
den  abdruck  der  hs.,  die  wir  mit  1  bezeichnen  wollen,  einige 
versuche  zur  berichtigung  des  textes. 

90^,  13  (10*)  ist  wol  mit  Vermeidung  der  lästigen  wider- 
holung  von  jiigent  in  G  zu  lesen  als  in  sin  muot  schündet.  — 
18  (15")  besser  gehüezest  nach  I  als  gebetest  nach  G.  —  19 
hat  I  wol  ebenso  das  richtige.  —  20  ff.  wird  meine  annähme 
einer  lücke  in  G  hinter  lO'^  bestätigt.  Es  wird  in  engem  an- 
schluss  au  I  zu  lesen  sein  er  rvirt  lihte  entsetzet;  man  in  des 
willen  letzet  diu  groze  und  ehafte  not,  so  der  grimme  bitter  tot 
den  fürgedanc  richet  und  im  daz  leben  br iahet  etc.  —  28  (21=^) 
ist  wol  bcesern,  wie  schon  ßech  vermutete,  das  richtige,  und 
dann  doch  gnaden  in  der  vorhergehenden  zeile  auf  die  gött- 
liche gnade  zu  beziehen.  —  90^^,9  — 15  (31^—39'')  zeigen  sich 
alle  früheren  herstellungsversuche  aus  dem  entstellten  texte 
von  G  als  unzutreffend.  I  scheint  im  wesentlichen  den  rich- 
tigen text  zu  überliefern;  nur  ist  wol  in  10  daz  ez  zu  lesen 
und  14  natürlich  müezekeit.  —  18.  erziuget.  —  23.  und  sich 
niht.  —  29.  Vnd  zu  streichen.  —  Ol'',  12.  wol  zu  lesen  luot 
er  denne  wider  dem  geböte  und  verztvivelt  an  gote\  der  nach- 
satz  beginnt  erst  z.  17.  —  16.  triuwet  wider  komen.  —  19. 
sine.  —  22.  3  vielleicht  so  wirt  der  riurve  unsüeze  gedrungen 
Wider  fiXeze.  —  28.  ab  zu  streichen.  —  37.  da  si  sich  wol 
breitet.  —  91*^,  10.  siner.  —  92^^,  10.  im.  —  39.  begie.  —  45.  er. 

Was  nun  die  weitere  benutzung  der  hs.  betrifft,  so  käme 
es  darauf  au,  ihre  Stellung  zu  den  übrigen  zu  ermitteln.  Hier- 
bei aber  stösst  mau  auf  Schwierigkeiten.  Sie  stimmt  nämlich 
bald  zu  der  einen,  bald  zu  der  andern.  Es  wird  sich  kaum 
behaupten  lassen,  dass  sie  zu  irgend  einer  in  näherer  ver- 
wantschaft  stehe.    Besonders  viele  lesarten  teilt  sie  mit  C,  so- 


GREGORIUS.  135 

weit  diese  lis^.  erhalten  ist.  Auch  mit  E  hat  sie  viele  gemein- 
sam, nicht  selten  g-eii,en  die  Übereinstimmung-  mehrerer  hss. 
oder  entschieden  iehlerhaft.  Wollte  man  aber  daraus  sehliessen, 
dass  I  zur  gruppe  CE  gehöre,  und  zwar  zu  C  in  einem  näheren 
Verhältnis  stünde  als  zu  E,  so  würde  mau  gewis  fehl  gehen. 
Denn  die  fälle,  in  denen  sie  mit  beiden  hss.  stimmt,  sind  nicht 
sehr  zahlreich ;  widerholt  stimmt  sie  zu  E,  wo  C  mit  A  stimmt, 
oder  mit  A  gegen  CE.  Auch  mit  G  teilt  sie  eine  anzahl 
eigentümlicher  lesarten.  Auf  der  andern  seite  aber  trifft  sie 
in  vielen  Fällen  mit  A  zusammen  gegen  EG,  ebenso  wie  sie 
in  sehr  vielen  anderen  mit  den  letzteren  gegen  A  stimmt. 
^]inen  beweis  für  verwantschaft  zwischen  E  uud  G  braucht 
man  darin  keineswegs  zu  sehen,  um  so  weniger,  da  A  und  I 
auch  entschieden  falsche  lesarten  mit  einander  gemein  haben, 
so  535  deheinez  A ,  dekaines  I  =  tjmmer  E ,  da  iener  die  aus- 
gaben; 663  sbier  —  sin  E.  1284  niht  gerirve  AI  =  germve; 
1516  er  =  erz\  2492  zruivelTiafter  ==  zTvivalüger;  2869.  70 
\da  I]  hin  —  dar  in  =  dar  in  —  under  in  E  (ungeschickte 
ändcrung  zur  beseitiguug  des  rührenden  reimes).  3274  fehlt 
nü  (E);  ebenso  fehlt  3273  e,  wo  aber  E  den  fehlerteilt,  indem 
sie  dafür  vil  hat;  ferner  1046.  7.  2988,  wo  dem  französischen 
tcxt  die  lesart  von  E  entspricht.  Besonders  hervorzuheben 
aber  sind  zwei  gemeinsame  lücken  in  AI ,  1 1 48  —  59  und 
3431  —  38.  An  der  ersten  stelle  ist  der  ausfall  durch  abirren 
auf  das  gleiche  reimwort  zu  erklären  und  deshalb  die  Über- 
einstimmung weniger  auffallend.  Schwerlicb  aber  sind  wir 
berechtigt  eine  nähere  verwantschaft  mit  A  anzunehmen.  Viel- 
mehr haben  wir  wol  wider  nur  ein  schlagendes  beispiel  dafür, 
wie  leicht  stark  ändernde  handschriften  sich  in  denselben  än- 
derungen  begegnen.  Wir  haben  keine  einzige  hs. ,  mit  der 
I  nicht  einige  fehler  teilte.  Wir  dürfen  daher,  wo  sie  in  einer 
lesart  zu  einer  hs.  stimmt,  darin  nirgends  einen  sichern  beweis 
für  die  richtigkeit  derselben  sehen,  nur  die  Wahrscheinlichkeit 
der  echtheit  kann  durch  ihre  Zustimmung  verstärkt  werden. 

Im  allgemeinen  wird  durch  I  die  ansieht  bestätigt,  dass 
A  durchaus  nicht  sehr  zuverlässig  ist  und  dass  in  vielen  fällen 
andere  hss.  das  echtere  bewahrt  haben.  Ich  führe  eine  reihe 
von  stellen  auf,  an  denen  die  von  mir  und  zum  teil  schon  von 
Bech  gegen  A  und  Lachmanus  text   aus   anderen  hss.,   beson- 


136  PAUL 

ders  E  und  G  eingesetzte  lesart  durch  I  bestätigt  wird:  9.  10. 
27.  2.S.  11.  112.  123.  131.  13-1.  H<>.  111.  156.  181.2.  221.  247. 
251.  256.  285.  6.  302.  325.  331.  381.  382.  397.  406.  457.  463. 
501.  528.  568.  630.  643.  76(>.  781.  787.  8.  892.  935.  1033. 
1049.  50.  1052.  1066.  1068.  1141.  1205.  1258.  1262.  1271.  1275. 
1276.  1294.  1315.  1320.  1329.  1346.  1352.  1360.  1374.  1411.2. 
1423.  4.  1457.  1476.  U77.  1519.  1534.  1542.  1563.  4.  1595. 
1601.  1602.  1636.  1643.  1657.  1672  {wart  steht  nur  aus  ver- 
sehen in  meiner  ausgäbe).  1678.  1698.  1774.  1777.  1808.  1811. 
1817.  1839.  1860.  1883.  1884.  1886.  1887.  1899.  1902.  1914. 
1936.  1958.  1966  (lies  kunst  oder  gelücke).  *1968.  1972.  1981. 
2000.  2002  (lies  ir  aber).  2025.  6.  2029.  2033.  2037.  2046. 
2068.  2122.  2134.  2136.  2137.  2143.  2159.  2169.  70.  2191. 
2192.  2195.  2201.  2215.6.  2218.  2252.  2274.  2289.2292.  2304. 
2340.  2342.  2344.  2364.  2378.  2400.  2410.  2418.  2420.  2429. 
2438.  2445.  2453.  2473.  2519.  2529.  2540.  2562.  2563.  2585. 
2602.  2622.  3.  2624.  2629.  2651.  2655.  2660.  2665.  2695.  6. 
2770.  2848.  2880.  2881.  2907.  8.  2914.  2919.  2921.  2955.  6. 
2957.  2960.  2978.  3006.  3011.  3039.  3042.  3047.  3064.  3072. 
3143.  3180.  3201.  3241.  3247.  3284.  3319.  3334.  3409.  3471.  2. 
3495.  3586.  3641  —  3.  3665.  3712.  3736.  Auch  sonst  teilt  I 
verschiedene  lesarten  ^q^qb.  A  mit  den  übrigen  vorhandenen 
hss.,  von  denen  manche  in  den  text  zu  setzen  sein  dürften,  so 
15  ouch  diu  EI  =  shüu\  188  harte  EI  ■==  vil  harte]  486  mU 
im  dmi  EI  =  dan\  IQl  einem  EI  =  in  einem  \  768  zuo  eijiem, 
Quoten  lande  EI  =  üz  hin  ze  lande  \  771  ein  EI  =  da  ein]  883 
gehreit  EI  {bespreit  C)  =  geseit]  931  behielt  EI  =  gehielt] 
957  und  (fehlt  C)  als  er  das  kint  ersach  CEI  =  dö  er  daz 
kindelhi  gesach]  993  zaller  EI  =  ze]  1239  funden  BEI  =  ein 
funtkint.  1347  die  ritterschaft  EGI  =  ritterschaft  (AB);  1733 
an  alle  EI  =  äne]  1746  müest  zem  EI  =  möht  ze]  1752  an 
BEI  =  iXf]  1837  nu  EI  {do  G)  =  ouch]  2360  harte  Gl  =  vit 
harte]  2554  habet  EI  =  habt  ir]  2764 — 6  dune  {dw  EI)  beginnst 
dich  morgen  dirre  not  ergetzen.  du  kanst  dich  baz  besetzen  {ge- 
setzen  I)  EI  =  dune  beginnest  morgen  dirre  not  vergezzen.  du 
kanst  wol  haz  gezzen]  29S3  nu  rieten  si  (EI)  =  do  geriete?is] 
299(1  ouch  EI  =  im]  3425  in  EI  =  sl 

Andererseits    aber   spricht  I   auch   an  einer  beträclitlicheu 
aiizahl  von  stellen    zu  ^unsteu  von  A.     So   zunächst   in   meh- 


GREGOßlUS.  137 

reren  fällen,  in  denen  Lachmann  einer  andern  hs.  gefolgt  ist, 
während  ich  zum  teil  schon  in  Übereinstimmung  mit  Bech  und 
mit  andern  kss.  zu  A  zurückgekehrt  bin;  107.  8.  113.  223.  318. 
351.  443.  656.  780.  918.  1173.4.  1414.  1607.  1862.  2027.2028. 
2856.  28S0.  2966.  3234.  5.  3494.  3744.  Ferner  aber  noch  in 
viel  mehr  fällen,  wo  Lachmann  A  gefolgt  ist,  währen d  ich 
meist  nach  EG  und  oft  mit  Bech  davon  abgewichen  bin:  106. 
152.  231.  269.  277.  398.  404.  464.  554.  578.  641.  66L  693.  4. 
727.  744  {lacht  me  I).  958.  961.  1016.  1039.  1054.  1096.  1105. 
112*3.  1252.  1265.  G.  1284.  1289.  1294.  1324  (gegen  BEG) 
1335.  1377.  1386.  1450.1.  1469.  1471.  1473.  1478.  1497.  1513. 
1581.  1665.  6.  1680.  1698.  1704.  1712.  1803.  1848.  1856.  1862. 
1934.  1947.  2016.  2019.  2035.  2065.  2131.  2156.  2157.  2175. 
2182.  2187.  2199.  2208.  2224.  2256.  2264.  2276.  2280.  2300. 
2338.  2367.  2380,  2398.  2421.  2503.  2527.  2540.  2560.  2508. 
2596.  2599.  2608.  2616.  2641.2.  2653.  2762.  2827.  2834.  2860. 
2874.  2884.  2916.  7.  2925.  2947.  2988  (gegen  den  französischen 
text).  3004.  3022.  3053.  3064.  3106.  3118.  3233.  3282.  3389. 
3423.  3426.  3449.  3470.  3475.  3552.  3568.  3569.  3576.  3669. 
3679.  3723.  3725.  3729.  3735.  In  der  Übereinstimmung  von 
AI  liegt,  wie  schon  früher  bemerkt,  kein  entscheidender  be- 
weis für  die  echtheit  der  lesart.  Wo  daher  diese  beiden  zwei 
andern  nicht  verwanten  hss.  z.  b.  EG  gegenüberstehen,  ist  es 
dem  sulyectiven  ermessen  anheimgegeben,  welchem  teile  man 
folgen  soll.  Es  ist  wol  anzunehmen,  dass  sowol  A  und  I,  als 
E  und  G  in  änderungen  zufällig  zusammengetroffen  sind.  Wir 
sehen  daraus  wider,  wie  wenig  absolute  gewisheit  in  der  her- 
stellung  mittelhochdeutscher  texte  zu  erreichen  ist.  In  den 
meisten  fällen  mag  man  allerdings  wol  sicherer  gehen,  wenn 
man  AI  folgt.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  fast  bei  allen 
stärkereu  abweichuugeu  zwischen  A  und  EG,  I  auf  selten  der 
letzteren  steht.  Endlich  stimmt  I  zu  A  auch  in  lesarten,  die 
weder  in  Lachmanns  noch  in  meiner  ausgäbe  aufgenommen 
sind.  Ausser  den  vorher  erwähnten  entschieden  falschen  führe 
ich  noch  folgende  auf,  über  die  sich  meist  nichts  bestimmtes 
eutsclieiden  lässt:  15  der  =  der  selben  nach  E;  192  es  =  des 
E;  285  also  =  alsam  DEG;  722  beide  mit  =  mit]  813  wiest 
ez  =  miestz.iu  CEF;  rede  (so  Bech  mit  recht)  =  visclie  CE; 
901    arme  =  ermer   CE    {plus  pauvre)\    \AT1    die  Schenkel  = 


138  PAUL 

Schenkel  E;  1475  ze  riler  =  ritte7^  EG;  1483  und  =  und  er 
EG;  1557  /m/den  (Jinldc  H)  =  gnaden  E;  1589  rfm«?/«  {dlm  Bccli) 
=  f/cw  EG;  1803  und  =  orfer  E;  1908  do  ez  morgen  ==  morgen 
da  ez  EG ;  2043  dlz  =  6'z  I3E ;  2049—52  7vas  —  /ä^  —  Ml  = 
wä?/-6'  —  wcere  —  hete  E  (die  rede  der  laudheireu  ist  dann  mit 
2048  zu  seldiessen;  so  will  sclion  Egger);  2223  fehlt  in  AHI 
auch  (E);  2281  fohlt  harte  (BE);  2896  fehlt  sich  (EI);  2974 
do  rvarp  =  warp  EG;  3054  fehlt  harle  (EG);  3078  die  =  dise 
E;  3234  fehlt  in  (EG). 

Ich  hebe  noch  einige  stellen  hervor,  an  welchen  die  hs. 
für  die  kritik  von  Wichtigkeit  ist.  G  hat  I  von  dem,  also  ii])er- 
einstimniend  mit  Lachmanns  coujectur,  aber  gegen  den  fran- 
zösischen text.  173  wird  Lachmauns  conjectur  vriuntlicher 
durch  I  bestätigt;  ebenso  2735  durst]  2965  gnaden  eine]  3016 
meinde  daz\  3312  ir  wät.  184.  5  kommt  vielleicht  I  dem  ur- 
sprünglichen am  nächsten,  und  es  ist  zu  lesen  do  mit  sldfe 
was  bedaht  diu  juncfrouwe  da  si  lac.  446  fehlt  in  I  wie  in  A, 
wodurch  die  vermutete  unechtheit  der  zeile  weitere  bestätigung 
erhält.  Dagegen  stehen  zwischen  442  und  443  drei  zeilen,  die 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  echt  sind:  waz  liilfet  ir  muol 
äne  guot  oder  guot  äne  muol?  ein  teil  frumt  muot  äne  guot. 
443  passt  nicht  recht  nach  442.  Entweder  hat  noch  den  sinn 
von  4mmer  noch,  wenigstens  noch',  wie  es  Lachmann  genom- 
men hat,  wodurch  er  veranlasst  ist  mit  E  guot  äne  muot  zu 
schreiben,  was  aber  aus  andern  gründen  nicht  gebilligt  werden 
kann.  Oder  es  muss  vorher  gesagt  sein,  dass  etwas  wenigstens 
einigen  wert  hat,  wie  es  in  der  letzten  von  den  drei  Zeilen 
der  fall  ist.  Der  ausfall  erklärt  sich  leicht  durch  das  abirren 
von  einem  gleichen  ausgange  {äne  guot)  auf  den  andern.  Wo 
sonst  verse  von  I  allein  geboten  werden,  ergeben  sie  sich 
leicht  als  junge  einschiebungen  und  er  Weiterungen ;  vgl.  223. 
275.  365.  369.  857.  1170.  1342.  1702.  2131.  2219.  2782.  3018. 
3244.  3723.  —  810  bestätigt  I  die  tiberlieferte  lesart  gegen 
Lachmanns  conjectur,  ebenso  919.  920.  1019.  1531  (lies  noch 
iemn).  1896.  1927.  8.  1950.  1.  1983.  2022.  2032.  2376.  3513. 
3638.  —  940  gehürschem  I,  Lachmanns  conjectur  gehiurllchem 
nahe  kommend,  bleibt  aber  doch  zweifelhaft.  1081.  2,  die  in 
AC  fehlen,  erhalten  wie  in  E.  1134  7ve  mir  armen,  we  mir, 
we!  vielleicht  richtig.     1297.  8   ist  mit  Gl  und  Lachmanu  der 


GREGORIUS.  139 

ind.  praes.  erwirhe  :  ersürbe  zu  setzen.  1787  denn  ie  kein  man 
ijclät ,  lies  dan  ie  man  getcete  mit  L.ichmann  und  Bech.  1918 
Verlust  wie  E  gegen  fluht  AG.  2483  fehlt  das  von  Lacbmanu 
gestrichene  diu  (ABE),  schwerlich  eine  genügende  bestätigung- 
für  die  auswerfuug.  30G7.  8  saz  vor  da  wie  in  AE  gegen  BG 
und  die  ausgaben.  3204.  5  lauten  wie  in  meiner  ausgäbe 
3429  hat  I  hestat ,  Bechs  Vermutung  bestätigend.  Der  schluss 
3S01 — 34  ist  wie  in  E  erhalten.  Die  lücke  in  E,  die  nicht 
vor,  sondern  nach  3804  fällt,  wird  ergänzt  durch  die  zeile  daz 
er  üf  den  tröst  sündet.  3816  wird  die  lesart  von  E  und  rehte 
huoze  bestät  bestätigt,  welche  Wendung  auch  in  der  einlcitung 
91'^  21  gebraucht  wird. 

FKEIBUßG  i.  Br.,  juui  1876.  H.  PAUL. 


UNTEUSUCIIUNGEN   ZU  DEN  BEIDEN 

LITERAUHISTORISCHEN  STELLEN 

RUDOLFS  VON  EMS. 


Bc 


I. 


►ci  der  ])etiaelitung  und  vergleicliung-  der  i)ekanuten  literar- 
historischen stellen  im  Alexander  und  Wilhelm  des  Rudolf  von 
Ems  bin  ich  bezüglich  verschiedener  fragen,  die  sich  an  die- 
selben anknüpfen,  auf  von  den  bisherigen  ansichten  abweichende 
ergebnisse  gekoujmen,  deren  mitteilung  an  die  facligcnosseu 
nicht  ohne  alles  Interesse  sein  dürfte.  Die  erste  jener  fragen 
l)etriift 

den  Ton  Absalone. 

Einen  dichtei-  dieses  namens  nämlich  hatten  in  unserer 
liteiaturgeschichte  vor  Jacob  Grimms  abhandlung  über  gedichte 
des  M.  A.  auf  könig  Friedrich  L,  Berlin  1844  einer  nach  dem 
andern*)  angenommen,  sicli  gründend  auf  folgende  verse  aus 
Wilhelm  von  Orlenz: 

oder  von  Absalone  (Absolone) 

hfet  er  iuch  also  schöne 

berihtet  als  diu  msere. 

wie  der  edel  Stoufsere, 

der  kaiser  Friderich,  verdarp 

und  lebende  höliez  lop  eiwarp**) 

Erst  Jacob  Grimm  a.  a.  o.  s.  6  zog  diese  meinung  in  zweifei, 
indem  er  geltend  machte,  dass  nicht  nur  von  einem  edelen  ge- 
scldechte  dieses  namens   in  keiner  Urkunde  die  geringste  si)ur 

*)  z.  b.  Docen  im  Mus.  f.  altd.  lit.  u.  kunst  I,  131.  Kobersteiu  in 
den  drei  ersten  auflagen  des  grundr.    Vgl.  die  vierte  seite  221a. 

*')  Sehade,  altd.  Icsob.  Halle  1"^62   p.  2(33 a.     W.  Wackernagel,   altd. 
lescb.  lSf)l  p.  OOO  V.  23  ff. 


RUDOLF  VON  EMS.  141 

sieh  zeige,  sondern  auch  jedem  kcuner  der  mittleren  und 
neueren  g'eog-rajjhie  klar  sein  müsse,  dass  es  einen  ort,  eine 
buig  Ahsalon  weder  gegeben  habe  noch  gebe.  Das  gewicht 
dieser  bedenken  hatte  auch  Lachmauu  (vergl.  Jac.  Grimm  a.  a.  o. 
s.  6)  eingeräumt,  aber  aus  gründen,  die  ich  später  noch  erwäh- 
nen werde,  glaubte  er  wenigstens  so  viel  von  der  bisherigen 
ansieht  aufrecht  erhalten  zu  müssen,  dass  unter  der  verderbten 
lesart  der  handschrift  wirl^lich  der  name  eines  sonst  unbe- 
kannten mittelhochhcutschen  dichters  sich  verberge.  Auch  war 
er  um  eine  Vermutung  über  den  wahren  namen  dieses  dichters 
nicht  verlegen.  Arbon*)  heisst  ein  bekanntes  altes  Städtchen 
am  Bodensee:  davon  sollte  dessen  geschlecht  benannt  gewesen 
sein,  und  Arhone  wäre  also  für  Absalöne  in  der  rudolfinischen 
stelle  zu  lesen.  Dies  stimme  gut  zu  der  tatsache,  dass  Rudolf 
vorzugsweise  dichter  seiner  heimat  und  zwar  auch  sehr  un- 
berühmte aufführe.  —  Grimms  beifall  fand  diese  änderung 
nicht.  Er  stellte  ihr  entgegen,  dass  ritter  oder  adliche  dieses 
namens  nicht  nachgewiesen,  dass  ferner  die  entstehung  dieser 
einmütigen  Verunstaltung  der  handschriftlichen  lesart  Arhönc 
in  Absalöne  kaum  zu  erklären  sei.  Vor  allem  aber  nahm  er 
daran  anstoss,  dass  in  allen  hss.  einstimmig  vor  den  Worten 
von  Ahsalone  das  der  alten  spräche  grammatisch  unerlässliche 
pronomen  der  gebricht.  Er  entschied  sich  deshalb  dafür,  den 
namen  Absalon  vielmehr  mit  dem  Inhalt  eines  verlorenen gcdich- 
tes  zu  vereinbaren,  indem  er  zugleich  vor  dem  betreffenden  verse 
Rudolfs  eine  allen  hss.  gemeinsame  lücke  annahm.  Und  da 
bot  ihm  seine  fruchtbare  phautasie  sofort  wider  mehrere  mög- 
lichkeiten  zur  auswahl:  es  könnte  der  biblische  Absalon  ge- 
meint sein,  der  söhn  könig  Davids,  oder  auch  —  und  das 
dünkt  ihn  bei  weitem  glaublicher  —  der  biscliof  Absalon  von 
Roeskilde,  der  als  freund  und  ratgeber  Waidemars  I.  von  Däne- 
mark in  Friedrich  rotbarts  zeit  eine  grosse  rolle  spielte  und 
auch  mit  diesem  selbst  wie  mit  vielen  anderen  bedeutenden 
münnern  der  zeit  in  persönliche  berührung  kam. 

Des   grossen  manues   einmal   ausgesprochene  ansieht  zog, 


*)  Vgl.  z.  b.  Stalin,  würtemberg.  gesell.  It,  21f;.  —  Die  edelc  l'.aniiiic 
der  von  Kemouiitc  hatte  dort  einen  Lturgsitz,  nnd  Konnidin,  der  Staufer, 
hielt  sich  um  12ü(j  lange  dort  auf. 


142  SCHMID'l' 

vvio  (is  zu  g-chcu  ptlegt,  glcicli«am  mit  ehernem  gewicht  die 
nachfolgenden  in  ihre  bahnen.  Moiitz  Haupt  erkläite  bahl 
(in  den  berichtigungen  und  nachtrügen  zum  armen  Heinrich 
zeitschr.  HI,  275):  'der  vonvVbsalone  wird  aus  der  reihe  der  mhd. 
dichter  zu  streiclien  sein.'  Dies  urteil  eignete  sich  auch  Koljcr- 
stein  au  Grundriss*  I.  s.  221.  Ein  wenig  zurückhaltender  Hess 
sich  der  berichterstatte)'  in  der  neuen  Jeuaschen  L.-Z.  verneh- 
men 1843  s.  866.  Indes  die  von  Grimm  vor  dem  in  rede 
stehendeu  Rudolfschen  vers  angenommene  liicke  erkannte  auch 
er  an  und  verlangte  nur  noch  zur  sicherstellung  der  Grimm- 
schen hypothese  die  auffinduug  einer  die  betreflfeude  stelle  voll- 
ständig bietenden  handschrift  des  Wilhelm  von  Orlenz.  Auch 
diejenigen,  welche  die  kühnheit  der  Grimmschen  Vermutung 
ermässigen  zu  müssen  und  für  neue,  abweichende  vorschlage 
mit  mehr  recht  die  beistiramuug  der  mitforschenden  in  an- 
spruch  nehmen  zu  dürfen  glaubten,  wandelten  doch  in  einem 
sogleich  noch  zu  bezeichnenden  hauptpunkt  in  Jacob  Grimms 
spuren.  Wilhelm  Grimm  nämlich  (abhdl.  der  Berl.  akad.  aus 
d.  j.  1849  s.  334  f.)  beseitigte  erstlich  den  austoss,  der  seinen 
bruder  vornehmlich  mit  zur  annähme  einer  lücke  in  der  hand- 
schrifrliclien  Überlieferung  bewogen  hatte,  indem  er  für  oder 
od  der  von  AhsaJöne  schrieb.  Er  beseitigte  den  anstoss,  denn 
seine  Schreibung  ist  in  der  tat  kaum  eine  änderung  zu  nennen. 
Und  man  bedenke  nur,  was  Jac,  Grimm  selber  bei  seinen  zAvei 
Vermutungen  au  die  stelle  des  Wortes  oder  setzen  wollte,  a)  und 
b)  dicke,  vorschlage,  die  mit  dem  Wilhelm  Grimms  an  leich- 
tigkcit  gar  nicht  zu  vergleichen  sind.  Wenn  nun  damit  der 
letztei-e  wider  mehr  in  Lachmauns  bahnen  einlenkte,  so  wollte 
er  dagegen  für  Ahsalone  Aköne  oder  Akaröne  lesen,  und  es 
sollte  dann  hier  der  dichter  bezeichnet  sein,  von  dem  die  zwei 
abschnitte  in  Vridauks  bescheidenheit  herrührten.  Dieser  habe 
in  Akers  eine  zeit  lang  gelebt  und  da  das  werk,  von  welchem 
jene  bruchstücke  uns  erhalten  seien,  gediclitet.  Daher  die  be- 
zeichuung  der  von  Aköne  oder  Akaröne.  Dass  nämlich  jene 
zwei  abschnitte,  zumal  der  über  Akers,  ursprünglich  nicht  zur 
bescheidenheit  gehörten,  hatte  W.  Grimm  wegen  ihrer  von  der 
lehrhaften  weise  des  übrigen  teils  abweichenden  geschichtlichen 
haltung  sowie  wegen  ihres  Vorkommens  in  nur  wenigen  hand- 
schrifteu   schon  längst  vermutet    (vergl.  a.  a.  o.  s.  333).     Viel- 


RUDOLF  VON  EMS.  143 

mehr  war  er  der  meinimg,-,  dass  wir  in  ihnen  verschieden  aus- 
gewählte brachst iieke  aus  einem  grösseren,  selbständigen,  von 
dem  kreuzzug  Friedrichs  IL  bericlitenden  gedieht  vor  uns 
hätten,  in  welchem  dann  auch  Barbarossas  und  seines  traurigen 
Untergangs  gedacht  worden  sei  (vergl.  Freidank  v.  Willi.  Grimm 
2.  ausg.  IseO,  s.  XVIII). 

Ein  neuer  Verbesserungsvorschlag  wurde  endlich  von 
Franz  Pfeiffer  vorgetragen.  Er  wollte  die  stelle  folgender- 
massen  lesen: 

wolde  iueli  meister  Fridanc 
getihtet  hau,  so  wan-et  ir 
baz  für  komen  danne  an  mir, 
so  der  von  Asealöne: 
haet  er  iuch  also  schone  u.  s.  w. 

Unter  dem  von  Asealöne  sollte  könig  Balduin  III.  von  Jerusalem 
(1142 — 62)  zu  verstehen  sein,  ein  tapferer  Sarazeuenbekämpfer, 
welchem  der  dichter  in  seinem  vornehmlich  über  Friedrich  I. 
hauilelnden  werk  ein  denkmal  gesetzt  hätte  (freie  forsch.  194  a). 
Bei  aller  sonstigen  Verschiedenheit  stimmen  nun  aber  nicht 
nur  Pfeiffer,  sondern  auch  W.  Grinmi  mit  Jacol)  darin  ül)orein, 
dass  sie  den  kurz  vor  jener  stelle  genannten  Freidank  als  den 
Verfasser  jenes  (erzählenden)  gedichtes  über  Friedrich  I.  an- 
sehen. Auch  W.  Grimm,  denn  wenngleich  nach  ihm  zwar 
Rudolf  von  Ems  unter  dem  von  Akaröne  einen  andern  dichter 
als  Freidank  verstanden  hat,  so  erge])e  sich  doch,  meint  er, 
vornehmlich  aus  der  Übereinstimmung  der  spräche  und  des  dich- 
terischen ausdrucks  die  Identität  der  beiden.  In  seiner  lieb- 
lingsmeinung,  dass  unter  dem  dichternamen  Freidank  Walther 
von  der  Vogelweide  sich  verborgen  habe,  lässt  er  sich  durch 
dies  ergebnis  nicht  irre  machen,  vvährend  sein  l)ruder  auch 
liieriu  einen  beweis  erblickt,  dass  Walther,  der  ein  bloss  lyri- 
scher Sänger  war  oder,  nach  Gottfrids  ausdruck,  unter  die 
nachtigailen  gehörte,  eine  andere  person  sei  als  Freidank,  der 
Spruch-  und  aventiurendichter. 

Eine  stütze  für  seine  meinung  sucht  Jacob  Grimm,  von 
dem  oben  schon  gesagten  abgesehen,  erstlich  darin,  dass  lUidolf 
hier  nur  aveniiurendichter  aufzuzählen  beal)sichtige,  also  Frei- 
dank, wenn  er  nichts  gedichtet  als  die  beschcidodieit,  gar  nicht 


14  1  SCHMIDT 

(H  liirre  schar  hätte  ricuiicu  düvfeii.*)  Nicht  einmal  dies  hvaueht 
man  zuzugeltcn;  wiser  Uu(e,  hezzer  melster  will  Rudolf  nennen, 
an  denen  die  avcutiure  von  Wilhelm  von  Orlenz  Imz  für  kamen 
ivccre  danne  an  im.  Sehr  wol  konnte  er  auf  grund  der  ])C- 
Rcheidenheit  sich  das  urteil  gebildet  haben,  dass  meister  Frei- 
dank auch  zur  erzählenden  dichtg-attung  vorzüglich  befähigt 
sei.  Er  sagt  ja  auch  vom  Stricker:  swenne  er  mU,  tnachet  er 
gnotin  mcere  (vgl.  Bartsch,  Karl  d.  Grosse  v.  d.  Stricker  1857 
s.  VII),  ähnliches  galt  vielleicht  nach  seiner  meinung  von  Frei- 
dank, wenn  dieser  auch  noch  nicht  wie  der  Stricker  tatsäch- 
liche beweise  dafür  von  sich  gege])eu.  Unwahr  ist  auch  der 
unterschied,  der  zwischen  den  anführungen  Rudolfs  in  der 
literarhistorischen  stelle  im  Alexander  und  denen  hier  im  Wil- 
helm nach  J.  Grimm  statthaben  soll,  dass  es  nämlich  hier  auf 
die  aventiuren  abgesehen  sei,  die  darum  jedesmal  neben  dem 
nameu  der  meister  genannt  stünden,  dort  die  dichteripche  be- 
gab ung  überhaupt  ins  äuge  gefasst  werde,  angäbe  der  werke 
aber  meist  unterbleibe.  Gleich  bei  dem  ersten  der  im  Wilhelm 
aufgefühi-ten  dichter  ist  wie  im  Alexander  keine  aventlure  ge- 
nannt, ebensowenig,  wenn  wir  von  Freidank  absehen,  bei  dem 
von  Vuozespruunen  und  bei  Albrecht  von  Kemenate.  Auch 
Blicker  von  Steinach  gehört  mit  hierher,  denn  wir  erfahren 
von  ihm  zw^ar  den  titel  seines  hauptwerks,  aber  dieser  be- 
zeichnet keine  aventlure,  und  darauf  kommt  es  doch  an. 
Ferner  ist  gerade  im  Alexander  allein  der  Inhalt  der  dichtung 
Freidauks  näher  bezeichnet.  Vielmehr  wie  Rudolf  im  Wilhelm 
dichter  aufzählt,  mit  deren  hoher  Weisheit  er  sich  nicht  zu 
messen  wagt  und  die  nach  seiner  meinung  die  vorliegende 
aventlure  besser  bearbeitet  haben  würden  als  er  selber:  so  ruft 
er  ähnlich  im  Alexander  aUer  srner  meister  kür  an,  ihm  bei 
seinem  schwierigen  unterfangen  mit  Unterweisung  beizustehen. 
Und  da  ist  es  denn  von  Wichtigkeit,  dass  auch  hier  Freidank, 
indeui  seine  dichtung  ausführlich  charakterisiert  wird,  entschie- 
den nur  als  der  Verfasser  der  bescheideuheit,  nicht  aber  als 
erzählender   dichter   erscheint.     Die   letzte    zeile   dieser   stelle 


*)  Wackernaü:el  L.  G.  ISlia  nennt  es  eine  '  t^cdan  kenlosigkcit ',    ctasö 
der  dichter  beide  male  Freidank,  alao  einen  didakiMker,  nat  einmischt. 
Er  wie  Grimm  haben  schlecht  die  absieht  KudoU's  im  äuge. 


RUDOLF  VON  EMS.  145 

aber:  swaz  er  in  tiuscher  zungen  sprach,  braucht  man  durch- 
aus nicht  so  zu  fassen,  dass  dadurch  dem  dichter  noch  andere 
werke  ausser  der  spruchsammkmg  beigelegt  würden  (vergl 
Jac.  Grimm  a.  a.  o.  s.  9 ;  Wilh.  Grimm  über  Frcidauk,  Berl.  ac. 
a.  a.  0.  333).  Vielmehr  ist  die  allgemeinheit  des  ausdrucks  als 
eine  hindeutung  auf  die  menge  der  sprüche  Freidanks  voll- 
konmieu  begreiflich;  wenn  mau  nicht  etwa  —  was  mir  nicht 
wahrscheinlich  vorkommt  —  darin  eine  auspieiung  des  gelehr- 
ten Rudolf  darauf  sehen  will,  dass  Freidauk  manche  seiner 
Sprüche  fremder  literatur  entlehnt  und  in  die  deutsche  spräche 
übertragen  habe  (vergl.  aber  hierzu  Koberstein  L.-G.^  I,  240). 
—  Wenn  endlich  Jacob  Grimm  noch  geltend  macht,  dass  es 
an  sich  unmöglich  scheine,  Freidanks  grossen  rühm  auf  die 
Sprüche  einzuschränken,  so  ist  zu  erwidern,  dass  tatsächlich, 
wo  nur  immer  in  der  mhd.  literatur  desselben  erwähnung  ge- 
schieht, er  seiner  sprüche  halber  gepriesen  oder  mit  epitheten 
belegt  wird,  die  auf  den  spruchdichter  bezug  haben,  dass  da- 
gegen von  anderen,  erzählenden  gedichten  Freidauks,  die  in 
rede  stehenden  strittigen  stellen  bei  seite  gelassen,  sich  nirgends 
eine  spur  findet  (vgl.  W.  Grimm,  Freidank  1834  p.  XXXIX 
und  182,  p.  CXVI). 

Von  gewicht  ist  ferner,  was  J.  Grimm  selber  gegen  seine 
ansieht  anführt,  dass  in  der  ganzen  voraufgehenden  aufzählung 
Rudolf  von  einem  dichter  zum  andern  gerade  mit  der  partikel 
oder  fortschreitet:  es  scheint  natürlich  die  worte  oder  (bez. 
od  er)  von  Äbsalone  in  demselben  sinne  «u  fassen.  Lachinaun 
(s.  a.  a.  0.),  dem  W.  Grimm  beistimmt,  meinte  dies  damit  fest- 
stellen zu  können,  dass  gleichwie  im  Alex.  Rudolf  jedenfalls 
auch  hier  16  dichter  habe  aufzählen  wollen.  Allein  da  hat 
ihn  seine  sucht  verborgene  zahleuverhältnisse  aufzuspüren,  wider 
einmal  irre  geleitet.  Denn  eine  solche  beziehuug  zwischen  den 
zwei  dichterverzeichnissen  anzunehmen  wäre  doch  nur  dann 
geboten,  wenn  dieselben  ihrem  Inhalt  nach  übereinstimmten. 
Nun  aber  werden  fünf  dichter  nur  in  einem  von  den  zwei 
katalogen  aufgeführt  (Konrad  von  Fussesbvunnen  und  Gottfried 
von  Ploheulohe  nur  im  Wilhelm,  Kourad  v.  Heimesfurt,  Heinrich 
V.  d.  Türlin  und  Wetzel  nur  im  Alex.).  Dasis  übrigens  das  ver- 
zeicliuis  im  Alex,  in  Wahrheit  17,  nicht  1(3  dichternamen  aufweist, 
werde  ich  unten  zeigen. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   III.  10 


146  SCHMIDT 

Gegen  W.  Orimnis  ündevtm.'j,-  sjjricht  zuvöiderst,  dass  Akers 
die  bei  den  älteren  deutschen  tlicbtern  allein  Übliche  form  für 
Aecon  ist,  die  auch  Freidank  in  der  beseheidenheit  ausschliess- 
lich anwendet.  Ferner  lässt  sich  die  entstell ung  der  von  jenem 
als  ursi)iiini;lich  angenommenen  lesart  Acone  oder  Acarone  in 
das  auch  in  den  ältesten  hss.  sich  findende  Ahsaltme  nur  schwer 
erklären  (vg-1.  Pfeifier,  freie  forsch.  194  anm.).  Weiter  macht 
Pfeiffer  gegen  W.  Grimm  insbesondere  die  unbegreitlichkeit 
einer  abermaligen  maskierung  Freidank  -  Walthers  durch  einen 
falschen  namen  geltend  (ebendas.  s.  196,  vergl.  dazu  Jaenicke, 
zeitschr.  f.  d.  gymnasialwesen  1868  s.  29S).  Zu  diesen  grün- 
den füge  ich  neue,  wie  mich  dünkt,  durchschlagende  hinzu. 
Die  zwei  abschnitte  nämlich  von  Kom  und  Akers  in  der  be- 
seheidenheit sehen  gar  nicht  aus  wie  bruchstücke  eines  ge- 
dichtes,  welches  die  Schicksale  Friedrichs  IL  bei  seinem  kreuz- 
zug  erzählte  und  dann  etwa  in  einer  episode  oder  in  der  ein- 
leitung  auch  Barbarossas  und  seines  traurigen  Untergangs  ge- 
dachte. Ja  noch  mehr,  sie  haben  überhaupt  nicht  den  Charak- 
ter der  erzählenden  dichtung.  Allerdings  unterscheiden  sie  sich 
von  dem  übrigen  teil  der  Sammlung,  in  der  sie  uns  überliefert 
sind.  Sie  enthalten,  wie  W.  Grimm  sagt  (Freidank  2.  ausgäbe 
1860,  s.  XVIII),  keine  allgemeinen  sittensprüche,  sondern 
eine  beschreibung  der  zustände  in  Rom  und  Akers,  betrach- 
tungen  über  die  Stellung  des  papstes  in  Rom  und  des  kaisers 
in  Syrien.  Damit  ist  ihre  bedeutung  aber  nicht  erschöpft:  die 
beschreibung,  die  betrachtung  ist  nicht  Selbstzweck  jener  ab- 
schnitte, sondern  sie  wird  von  einer  praktischen  tendeuz  be- 
herscht,  von  der  tendenz  aufzuklären,  zu  warnen,  zu  mahnen, 
eindruck  zu  machen  auf  die  leitenden  persönlichkeiten.*)  Auch 
ist  es  mir  wahrscheinlich,  dass  jenen  abschnitten  ein  ursprüng- 
licher Zusammenhang  überhaupt  nicht  innewohnt,  dass  sie  viel- 


*)  Früher  äusserte  sich  W.Grimm  selbst  ähnlich:  Vridankcs  besehei- 
denheit Gott.  1834  s.  XLII:  'ich  hebe  zuerst  hervor,  was  sich  auf  gleich- 
zeitige begebenheiten  bezieht.  Es  sind  nur  geschichtliche  andeutuugen, 
denn  eine  fortlaufende  erzählung  darf  man  in  einem  gedichte  nicht 
suchen,  das  sich  vorzugsweise  der  betrachtung  ergiebt:  sie 
würde  mit  dem  lehrhaften  wesen  der  Sprüche  nicht  im  ein- 
klang  gestanden  haben.'  Vgl.  auch  Paul  über  die  urspriingl.  an- 
ordnung  von  Freidanks  bescheidenh.  Leipz.  1S70  s.  23  ff. 


RUDOLF  VON  EMS.  147 

mehr  eine  kette  sind  von  einzeln  entstandenen,  nnfiinglieh  ge- 
trcimt  umlaufenden,  erst  später  zusanimeugcreihteu  sprucli- 
perleu,  wie  denn  für  die  ganze  beseheidenheit  'eine  ursprüng- 
liche Unordnung'  als  die  älteste  Ordnung  Paul  in  der  eben  ge- 
nannten abhandlung  mit  recht  aufgezeigt  hat.  Jedenfalls  sind 
die  standi)unktc,  von  denen  aus  die  Verhältnisse  und  die 
mächte  der  weit  betiachtct  und  beurteilt  werden,  an  verschie- 
denen stellen  jener  abschnitte  einander  oft  geradezu  entgegen- 
gesetzt. Höchst  auffallend  wäre  weiter,  dass  das  grosse  er- 
zählende gedieht  über  den  kreuzzug  Friedrichs  IL,  dem  nach 
W.  Grimm  jene  zwei  abschnitte  angehört  haben  sollen,  hier 
von  Rudolf  angezogen  \v'Urde  durch  heraushebung  einer  im  Ver- 
hältnis zum  ganzen  doch  jedenfalls  nur  kleinen,  nebensächlichen 
episode.  Ja,  ist  es  denn  überhaupt  nur  wahrscheinlich,  dass 
ein  gedieht  mit  jenem  hauptinhalt  und  von  nicht  um  lässigem 
umfang  das  leben  {lebende  hohez  lop  erwarp)  und  den  tod 
kaiser  Friedrichs  I,  mit  einer  ausführlichkeit  behandelt  hätte, 
welche  man  wegen  der  hervorhebung  dieser  episode  durch 
Rudolf  notwendig  verlangen  müste? 

Auch  Wilhelm  Grimms  Vorschlag  ist  also  durchaus  zu 
verwerfen. 

Pfeiffer  begründet  seine  änderung  folgendermassen:  'Dass 
das  verlorene  gedieht  ein  rein  historisches  gewesen,  ist  deshalb 
unwahrscheinlich,  weil  Rudolf  an  jener  stelle  nur  aventiuren 
aufzählen  will,  d.  h.  geschichteu  von  liebesleid  und  -lust.  Das 
minnigliche  element  wird  darum  nicht  ganz  darin  gefehlt 
haben  und  nur  dessen  träger  ein  anderer  gewesen  sein  als 
der  eigentliche  held  des  gedichts,  Friedrich  selbst.  Diese  rolle 
möchte  ich  dem  von  Asealone  zuschreiben.'  Indes,  wie  schon 
bemerkt,  handelt  es  sich  für  Rudolf  gar  nicht  darum,  aven- 
tiuren aufzuzählen,  sondern  dichter  wdll  er  nennen,  von  denen 
nach  seinem  bescheidenen  urteil  die  aveutiure  des  Wilhelm 
von  Orlenz  besser  würde  dargestellt  worden  sein  als  von  ihm 
selber.  Dass  ferner  rein  historische  stotfe  von  der  katcgorie 
der  aventiuren  auszuschliessen  und  nur  geschichteu  von  liebes- 
Icid  und  -lust  unter  dieser  bezeichnung  zu  verstehen  seien, 
diese  behauptung  findet  in  den  sorgfältigen  auseinandersetzungen 
ßeneckes    und    Jac.  Grimms    über    den    begriff  der   aveutiure 

10* 


148  SCHMIDT 

keine  stütvo  und  innss  (Inher  nis  nichtig  und  unerwiesen  au- 
jf,esehen  werden.  AVenn  Pfeiffer  sodann  für  seine  Mierstellung-' 
das  lob  in  ansprucli  nimmt,  dass  sie  in  bezug  auf  den  sinn 
eine  ungezwungene  und  ungesuclite  sei,  so  ist  dies  entschieden 
zu  bestreiten.  Anstössig  ist  nämlich  erstens  die  vergleichung 
oder  gegenüberstellung  der  (personificiertcn)  aventinre  (des 
Wilhelm)  und  einer  einzelnen  figur,  ja  noch  mehr,  nel)enfigur 
aus  einer  solchen :  ir  ivceret  ßXr  komen  so  der  von  Ascalone. 
AuiVallend  wäre  ferner,  wenn  zuerst  über  eine  einzelne  neben- 
figur  der  dichtung  Freidanks  ein  lob  ausgesprochen  würde,  das 
dann  sofort  ohne  irgend  eine  gradabstufung  'ind  ohne  eine  an- 
deutiuig  des  Übergangs  vom  besondern  zum  allgemeinen  der 
ganzen  dichtung  gezollt  wird.  In  dei-  tat,  der  Pfeiffersche  text 
würde  auf  einen  unbefangenen  leser  vielmehr  den  eindruck 
machen,  als  ob  Rudolf  zw^ei  verschiedene  werke  Freidanks  an- 
führen wollte,  das  eine  über  den  von  Ascalon,  das  andere 
über  Friedrich  1.  i  reilich  würde  man  dann  noch  vor  den 
Worten  hcel  er  iuch  also  schone  u.  s.  w.  die  })artikel  oder  er- 
warten. Sodann  könnte  könig  Balduin  in  einem  gedieht  über 
Friedrich  I.  doch  nur  kurz  erwähnt  gewesen  sein,  etwa  so  wie 
in  dem  über  die  kreuzfahrt  Ludwigs  des  Frommen  an  der  von 
Pfeiffer  angeführten  stelle.  Eine  längere  episode  über  einen 
von  dem  hauptinhalt  des  gedichts  so  weit  al)liegenden  gegen- 
ständ anzunehmen  ist  sehr  unwahrscheinlich.  Gleicbwol  würde, 
abgesehen  von  den  übrigen  bedenken,  nur  eine  ausführlichere 
darstellung  der  persou  und  der  taten  Balduius  seine  hervor- 
hebung  hier  bei  Rudolf  sowie  seine  eiuführuug  unter  diesem 
namen  (der  von  Ascalone)  begreiflich  machen.  Wenn  also 
Pfeiffers  Verbesserungsvorschlag  sich  auch  graphisch  rechtferti- 
gen lässt  und  weniger  gewaltsam  ist  als  die  seiner  Vorgänger, 
an  'küustlichkeit'  und  'gesuchtheit'  steht  er  ihnen  um  nichts 
nach.  Dies  scheint  denn  Pfeiffer  am  ende  auch  selber  noch 
empfunden  zu  haben,  denn  seine  anfängliche  zuversichtlichkeit 
ist  schliesslich  so  weit  her  abgestimmt,  dass  er  seine  Verbesse- 
rung ausdrücklich  nur  als  eine  Vermutung  gibt  und  von  nie- 
mand verlangt,  dass  er  ihr  glauben  schenke.  Freilich  darf 
man  dann  billig  fragen,  warum  er  sie  nicht  für  sich  behalten. 
Dass  jedoch  alle  bisher  zu  dieser  stelle  im  Wilhelm  ge- 
äusserten   Vermutungen   und    vorschlage    falsch    sind;    dass   in 


RUDOLF  VON  EMS.  149 

jenem  vers  kein  stoff,  kein  gegenständ,  sondern  ein  dichter  be- 
zeichnet ist,  dieser  aber  mit  Freidank  nichts  zu  tun  hat;  dass 
Ähsalöne  weder  in  Acdne  oder  Acaröne  noch  auch  in  Arhöne 
zu  ändern  ist:  dafür  liegt  nach  meiner  Überzeugung  der  klarste 
beweis  vor  in  der  andern  literarhistorischen  stelle  Rudolfs  im 
Alexander.  Es  ist  mir  verwunderlich,  dass  keiner  von  denen, 
welche  beide  stellen  verglichen,  ja  sie  womöglich  hintereinander 
abgedruckt  haben  (wie  Schade),  bisher  dies  bemerkt  hat. 


lludolf  zweifelt,  ob  er  der  darstellung  der  riehen  aventinre 
von  Alexander,  die  er  über  sich  genommen,  auch  wirklich 
gewachsen  sei.  Er  ruft  daher  aller  siner  meister  kür  an,  seiner 
freundlich  wahrzunehmen  und  ihn  ihre  hohe  kunst  zu  lehren. 
Als  eine  erste,  ausgezeichnetere  reihe  derselben  scheidet  er 
Heinrich  von  Veldeke,  Hartmann,  Wolfram,  Gottfrid  ab;  dann 
nennt  er  eine  zweite  reihe  von  meistern,  die  ^alle  rvol  ge- 
gesproclien  hänf.  Und  zwar  gruppiert  er  alle  dichter  und 
stellt  ihre  gesammtheit  dar  unter  dem  bilde  eines  baumes. 
Nachdem  zuerst  Heinrich  von  Veldeke  das  edle  reis  seiner 
Eneit  auf  dessen  kUnsterlchen  stam  gepfropft  hat,  spriesst  in 
rascher  folge  ein  zweig  nach  dem  andern,  will  sagen,  eine 
aventiure  nach  der  andern  an  demselben  auf.  So  hat  einen 
zweig  der  kunst  auch  herr  Fleck  gestossen,  der  Verfasser  von 
Flore  u.  Blanscheflur  und  von  Clies:  auch  von  ihm  will  also 
liudolf  bei  seinem  schweren  unternehmen  beraten  sein.  Es 
wird  gut  sein,  die  stelle  im  Zusammenhang  hierher  zu  setzen: 

ein  zwi  der  kunst  gestözen  hat 
her  Flec  der  guote  Kuonrät, 
daz  ist  oiich  lobebfere, 
dö  er  beschiet  daz  m?ere, 
wie  Floren  unde  Blanscheflur 
was  süeze  und  under  wilen  sür 
ir  liepltche  geselleschalt, 
und  wie  der  strengen  minne  kraft 
Cliescn  twanc:  des  riit  suochich, 
swa,  min  unkunst  süniet  mich. 

Nun  folgen  diese  verse: 

sin  hebete  min  friunt  also  Ion 

an  gcfüeger  si)riiclie  don 

die  sint  genuoc  guot  unde  reht. 


ir,()  SCHMIDT 

Hierüber  haben  sich  bisher,  so  viel  ich  weiss,  nur  E.  Sommer 
und  Pfeirtcr  nälicr  ausgesprochen.  Der  erstere  (Flecks  Flore 
u.  Ülantscliclliir  1846,  's.  XXXI V)  verbindet,  wie  bei  der  bis- 
herigen Schreibung  zu  erwarten,  die  stelle  mit  dem  vorher- 
gehenden und  bezieht  sin.  auf  Konrad  Fleck,  so  dass  sich 
etwa  folgender  gedanke  ergibt:  'um  ihn  erwarb  sich  mein 
freund  verdienst  durch  angemessner  (oder:  zierlicher)  spräche 
weise.'  Unter  diesem  freunde  Rudolfs  aber  versteht  er  Ulrich 
von  Tiirheim.     Von  dem  rühmt  Rudolf  nämlich  im  Wilhelm : 

er  hat  Artuse  einen  mau 

von  Kriechen  ninliche 

gesant  in  siniu  riebe 

mit  so  guoter  sprücbe  kraft, 

daz  ich  mich  der  meisterschaft 

von  der  hohen  wisheit, 

die  er  an  Clies  hat  geleit, 

niht  geliehen  wil  noch  sol. 

Also  wird  ihm  ein  gedieht  über  Clies  zugeschrieben  und 
dasselbe  besonders  wegen  seiner  guten  Sprüche  gelobt.  Da 
auch  von  jenem  freunde,  der  sich  angeblich  um  Kourad 
Flecks  dichterwerke  Verdienste  erworben,  seine  zierlichen  spräche 
hervorgehoben  werden,  so  schliesst  Sommer,  einer  von  Lach- 
maun  ihm  mitgeteilten  Vermutung  folgend,  dass  an  beiden 
stellen  von  demselben  gedieht  die  rede  sei,  vom  Clies.  Er 
nimmt  also  nicht  wie  von  der  Hagen  M.  S.  3.  593  a.  4.  107 
anm.  1  und  197  anm.  8  zwei  besondere  gedichte  über  diesen 
gegenständ  an,  das  eine  von  Fleck,  das  andere  vom  Türheimer 
herrührend,  sondern  der  letztere  soll,  gleichwie  er  Wolframs 
Wilhelm  und  Gottfrids  Tristan  vollendete,  so  auch  Konrad 
Fleckes  Clies,  nachdem  dieser  darüber  hingestorben  war,  zu 
ende  geführt  haben.  Wahrlich  Schlüsse,  die  an  kühnheit  kaum 
ihresgleichen  haben  und  nur  aus  der  völligen  verzweillung 
ihrer  Urheber  an  unserer  stelle  zu  erklären  sind.  Ist  doch  im 
Alex,  gar  nicht  gesagt,  um  welches  der  werke  Flecks  sich 
'der  friunt'  Rudolfs  Verdienste  erworben!  Nur  weil  im  Wilh. 
Rudolf  an  des  Türheimers  Clies  unter  anderm  auch  die  'guten 
spräche'*)  lobt,  soll  auch  hier  vom  Clies  und  vom  Türheimer 


*)  Spruch  ist  hier  gewis  nicht  im  neuhochdeutschen  sinne  z.\\.  ueh- 
mcu,  sondern  bedeutet  ganz  im  allgemeinen  'ausdruck'.    P. 


RUDOLF  VON  EMS.  151 

die  rede  seiu!  Ist  denu  nicht  in  der  tat  jenes  lob  von  so  all- 
gemeiner natur,  dass  es  mehreren  gedichten  mit  gleichem 
recht  beigelegt  werden  konnte?  Und  wie  ungenau  und  sonder- 
bai-  hätte  sich  doch  Rudolf  hier  ausgedrückt :  Fleckes  häle  min 
vrhüd  Ion  an  gcfücger  sprüche  don  für  das  einfache:  Ulrich 
von  Tiirheim  setzte  Fleckes  Clies  in  lobenswerter  weise  fort.  — 
Hatte  nicht  Rudolf  mehrere  freunde?  muste  er  nicht  also  den 
vriunt  hier  näher  bezeichnen?  Muste  nicht  ferner  das  gedieht 
bezeichnet  werden,  das  der  freund  fortgesetzt  haben  soll?  Dies 
ist  nämlich  nicht  geschehen:  die  Übersetzung  von  Pfeiffer,  fr. 
F.  160:  darum  (um  das  gedieht  von  Clies)  hat  sich  auch  .  . . 
mein  freund  verdient  gemacht  —  ist  flüchtig  und  falsch,  sin 
kann  sich  nur  auf  Konrad  beziehen.  Und  klingen  jene  worte 
nicht  vielmehr,  als  solle  eine  Überarbeitung  oder  etwa  die 
bezzerungj  das  überhoeren  eines  merkaere  bezeichnet  werden, 
uicht  aber  eine  fortsetzung  ?  Und  dann  die  worte  im  einzelnen. 
Dass  'jemandes  Ion  haben''  gesagt  werden  könne  für:  verdienst 
um  jemand  haben,  muss  ich  auf  grund  der  im  mhd.  Wörter- 
buch und  bei  Lexer  gebotenen  belegstellen  bezweifeln.  Auch 
der  ausdruck:  gefüeger  sprüche  don  scheint  mir  auf  die  verse 
einer  aventiure  nicht  zu  jjassen.  Und  dann  noch  das  rätsei 
der  rätsei,  der  nodus  difficillimus ,  das  unverständliche  alsd\ 
Dies  wollte  freilich  Pfeiffer  (a.a.O.),  der  Sommers  (Lachmanns) 
ansieht  verfocht  und  weiter  führte*),  einfach  beseitigen,  indem 
er  Uolrlch  dafür  einsetzte.  Aber  wer  wird  sich  ausser  ihm  für 
diesen  gewaltstreich  erwärmen  können?  Und  sollte  endlich 
Ulrich  von  Türheim  in  demselben  Verzeichnis  zweimal  genannt 
sein?  und  sollte  Rudolf  den,  den  er  eben  ganz  vertraulich  als 
seinen  vriunt  Uolrlch  eingeführt  hat,  gleich  darauf  als  hern 
Uolrlch  von  Türheim  nennen  ohne  die  geringste  andeutung,  dass 
es  derselbe  sei? 

Das  alles  glaube  wer  will.  Mich  soll  auch  nur  von  der 
erträglichkeit  solcher  Vermutungen  niemand  überreden,  um 
so  weniger,  als  ein  höchst  einfaches  auskunftsmittel  vorhanden 


*)  Von  Pteiffers  früherem  versuch,  Rudolfs  worte:  und  wie  der 
strengen  minne  kraft  diesen  twanc  u.  s.  w.  einfach  auf  den  Türheimer  zu 
beliehen  (Müuch.  gel.  auz.  1S42,  No.  70),  will  ich  hier  ganz  schweigen; 
dagegen  Sommer  a.  a.  o.  s.  XXIV  und  Koberstein,  Grundr.*  I,  215  anm. 


152  SCHMIDT 

ist,  das  niclit  nur  für  diese  stelle  alle  Schwierigkeiten  der  er- 
kläruiig  beseitigt,  sondern  auch  für  das  Verständnis  der  stelle 
im  Wilh.  V.  Oilenz,  von  der  ich  ausging,  einen  siehern  Schlüssel 
bietet.  Nämlich  die  bisher  getrennt  gelesenen  Wörter 
also  Ion  sind  zusammen  zu  lesen,  Alsolon  ist  der 
name  eines  dichters*),  desselben  dichters,  den  wir 
im  dichterverzeichnis  des  Wilhelm  mit  einer  kleinen 
verschrei bung  als  den  von  Absalöne  (bez.  Absolöne) 
wider  finden.**) 

Auch  ohne  weitere  änderuug  Hesse  sich  nun  die  stelle  im 
Alex,  leidlich  erklären,  wenigstens  besser  als  nach  der  auf- 
fassimg  Sommers  und  Pfeiffers.  Der  gedankengang  würde  fol- 
gender sein:  'Fleckes  rat  suche  ich,  wo  meine  Unfähigkeit 
mich  aufhält;  es  müste  denn  mein  freund  Alsolon  dieselbe  zu 
gefüger  Sprüche  ton  ei-heben'  [s'i'n  hehete  conjuuctiv)  zu  ergän- 
zen: 'denn  dann  brauchte  ich  jenen  nicht.'  Aber  vollkommen 
klar  und  gesund  wird  die  stelle  erst,  wenn  man  für  sin  mit 
leichter  änderuug  sU  (oder  sint)  schreibt:  'darauf  hob',  so 
heisst  es  dann,  'mein  freund  Alsolon  zierlicher  sprüche  Aveise 
an;  die  sind  völlig  gut  und  recht.'  Rudolf  fährt  also  mit  sit 
in  seiner  aufzählung  der  dichter  fort.  Hatte  er  eben  Konrad 
von  Fleck  eingeführt  mit  einer  jenes  bild  des  dichterbaumes 
wider  aufnehmenden  wendung  {ein  ztvi  der  kirnst  gestözen  hat), 
so  braucht  er  hier  zur  abwechselung  wider  einmal  eine  andere. 
Nicht  so  ausführlich  Avie  über  die  früheren  lässt  er  sich  über 
Alsolon  aus,  sondern  widmet  ihm  nur  ein  kurzes  wort  des 
lobes.  Das  kann  uns  indes  nicht  wundern,  denn  wie  er,  so 
werden  alle,  die  von  nun  an  noch  folgen,  mit  zwei  oder  drei 
versen  abgetan.  Den  überschuss  beim  Türheimer  muss  man 
wol  seiner  freundschaft  mit  Rudolf  auf  rechuung  schreiben. 

Auch  in  der  stelle  im  Wilhelm  hat  nun  nach  der  von 
W.  Grimm  gegebenen  unbedeutenden  Veränderung  des  ade?-  in 
od  der  alles  seine  richtigkeit.  Es  ist  nichts  weiter  zu  bessern 
oder  zu  ergfinzen.  Könnte  man  meine  erklärung  noch  be- 
zweifeln wollen  bei  jeder  einzelnen  von  diesen  zwei  stellen,  so 

*)  Dass  in  der  hs.  die  eigennamen  überhaupt  klein  geschrieben 
sind,  brauche  ich  wol  gar  nicht  zu  bemerken., 

**)  Betreffs  der  ausdrucksweise  min  vriunt  Alsolon  (niclit  von  Al- 
soton) vgl.  z.  b.  Wolfram  Wilh.  2SG,  19:  her  Vogehveid. 


RUDOLF  VON  EMS.  153 

wird  man  ihr  doch  beipflichten  müssen  bei  gehörig-er  rüeksicht- 
nahme  auf  beide  zug-leich.  Sie  stützen  und  erläutern  sich 
g-egenseitig-.  Und  da  bemerke  man  denn  auch  noch,  wie  in 
beiden  Verzeichnissen  der  dichter  Alsolon  etwa  die  gleiche 
stelle  einnimmt,  in  ziemlich  derselben  Umgebung  auftritt.  Im 
Alex,  folgt  er  auf  Freidank  und  Fleck,  im  Wilh.  steht  er,  wenn 
wir  von  dem  dort  (im  Alex.)  gar  nicht  berücksichtigten  Konrad 
von  Vussesbrunnen  absehen,  zwischen  Freidank  und  Fleck.  — 
Ueber  den  grund  dieser  kleinen  Verschiedenheit  werde  ich 
nachher  noch  eine  Vermutung  mitteilen.  —  Auch  dürfte  die  art 
und  weise,  wie  Eudolf  den  dichter  einführt,  'der  von  Also- 
löne',  gerade  auf  einen  bekannten,  einen  vertrauten  von  ihm 
besonders  passen. 

Man  wird  mir  etwa  noch  einwenden,  dass  ein  orts-  oder 
Personenname  Alsolon  bisher  nicht  urkundlich  nachgewiesen 
ist.  Indes  das  kann  meine  behauptung  nicht  erschüttern, 
denn  gleiches  oder  ähnliches  gilt  auch  von  vielen  anderen  lite- 
rai'ischeu  persönlichkeiten,  deren  realität  darum  doch  niemand 
l)ezweifelt.  Ich  will  beispielshalber  erwähnen,  dass  ganz  wie 
Alsolon  auch  Fleck  nur  aus  den  beiden  literarhistorischen 
stellen  in  Rudolfs  Alexander  und  Wilhelm  bekannt  ist  (vgl. 
Sommer  a.  a.  o.  s.  XXXII).  Denn  er  selber  hat  ja  seinen 
namen  absichtlich  verschwiegen  (vgl.  7998  ff.).  Auch  ihn  ur- 
kundlich aufzufinden  ist  bisher  nicht  gelungen.  Oder,  um  noch 
ein  etwas  anderes  beispiel  anzuführen,  Konrad  Fleck  nennt 
als  seinen  welschen  gewährsmann  Ruopreht  von  Orbent.  So- 
wol  Orbent  als  Orbent  klingt,  wie  Sommer  (vgl.  a.  a.  o. 
s.  277)  bemerkt,  weder  französisch  noch  deutsch,  so  dass  der 
name  wahrscheinlich  verderbt  ist,  auch  ist  ein  eigenname,  dem 
sich  Fleckes  worte  mit  wahrscheinliclikeit  anpassen  Hessen, 
noch  nicht  aufgefunden  (ebendas.  s.  XI);  trotzdem  zweifelt 
keiner  an  der  existenz  dieser  persönlichkeit.  Auch  Albrecht 
V.  Kemenaten  (vgl.  Haupt  Zeitschr.  1848  VI,  525)  und  Konrad 
von  Vussesbrunnen  kannte  man  lange  zeit  nur  aus  der  erwäh- 
nung  durch  Rudolf  Und  übrigens  —  warum  sollte  nicht, 
nachdem  nun  der  anstoss  gegeben  ist,  ein  ortsname  Alsolon 
im  südwestlichen  Deutschland  wirklich  gefunden  werden  ?  Denn 
wenn  Jac.  Grimm  auch  dafür  der  Zustimmung  jedes  kenners 
der   mittlem    und    neuen   gcographie  Deutschlands   gewis   sein 


154  SCHMIDT 

durfte,  cl;i8s  es  einen  ort,  eine  bürg  Ah.salon,  von  welcher  ein 
e<llcs  gescliiet'lil.  seinen  nanien  gelial)t,  weder  gegeben  liii))e 
nocli  gebe:  so  steht  es  doch  mit  dem  uameu  Alsolon  ganz 
anders.  Die  anah)gie  anderer  ortsuamcn  gibt  sofort  melirere 
möglicldieiten  für  die  etymoh)gische  erkbirung  desselben  a)i 
die  band.  Die  ortsnamen  Lohn  und  Lohne  sowie  die  auf 
-lohn  endigenden  sind  zablreicii  und  kommen  sowol  in  Nord- 
ais Süddeutscldand  vor  (Förstemaun,  altdeutsch,  uamcubuch  IL 
ausg.  1872  II,  1020).  Ob  und  welche  davon  mit  dem  altfries. 
lona,  laua  (via)  oder  niit  ahd.  loh  (lucus)  oder  auch  mit  altfries. 
loch  ags.  loh  (locus)  zusammenzubringen  sind,  ist  noch  uiclit 
entschieden  (ebeudas.  s.  971).  Für  den  ersten  bestandteil  böte 
sich  dann  unter  andern  alhs  =  templum  dar,  so  dass  der 
name  bedeuten  könnte  tempelshain  oder  tempelsstrasse  (a.  a.  o. 
II,  39  ff.).  Näher  liegt  es  noch ,  Alsolon  zu  dem  ahd.  sol  zu 
ziehen,  das  als  letzter  teil  sich  in  vielen  namen  aus  dem  8. 
bis  IL  jahrh.  findet.  Ein  ort  Solon  insbesondere  ist  aus  dem 
IL  Jahrhundert  im  südlichen  Baiern  nachgewiesen  (a.  a.  o.  II, 
i35G):  wie  nahe  liegt  es  da,  auch  einen  ort  Alsolon  (=  Alt- 
solon)  anzunehmen?  Kurz,  die  möglichkeit,  dass  es  einen 
solchen  im  südwestlichen  Deutschland  gegeben,  ist  gewis  nicht 
abzuweisen.  Ihn  wirklich  aufzufinden  will  ich  denen  über- 
lassen, die  mit  dergleichen  aufgaben  vertrauter  sind  als  ich 
und  denen  mehr  hilfsmittel  zu  geböte  stehen,  als  sie  die  hiesige 
universitätsI)ibliothek  bietet. 

Fragt  man,  was  ausser  dem  namen  sich  noch  sonst  etwa 
von  jenem  dichter  feststellen  lasse,  so  ist  zu  sagen,  dass  er  zu 
der  zeit,  wo  Eudolf  von  Ems  seinen  Alex,  verfasste,  grössere 
dichterische  erzeugnisse  vielleicht  nocli  nicht  von  sich  gegeben 
hatte.  Denn  mit  ihm  macht  Rudolf,  wie  schon  angedeutet, 
dort  im  Alex,  den  Übergang  zu  einer  reihe  damals  noch  weni- 
ger berühmter  dichter,  die  er  nur  mit  kurzem  worte  charakte- 
risiert. Auch  die  allgemeinheit  des  ausdrucks  scheint,  beson- 
ders wenn  man  die  stelle  im  Wilhelm  dagegen  hält,  für  diese 
ansieht  zu  sprechen.  Vielleicht  darf  man  aber  sogar  noch 
weiter  gehen  und  auf  grund  der  wendung :  er  hnop  an  gefücger 
Sprüche  don  vermuten,  dass  er  bis  dahin  vornehmlich  sprnche 
d.  h.  lyrische  gedichte  verfasst  hal)e.  Wir  würden  also  in  der 
reihe  von  zumeist  erzählenden  dichtem   doch  noch   einen  lyri- 


RUDOLF  VON  EMS.  155 

sehen  dichter  erhalten  ausser  und  neben  Freidank,  was  gar 
nichts  auflälliges  hätte.  Erst  si)äter  hätte  dann  Alsolon  ein 
»•rösscres  episches  gedieht  über  die  heklentaten  und  den  hchlen- 
tod  Friedrich  Barbarossas  in  angriff  genommen  und  in  der 
zwischen  der  a])tassung  des  Alex,  und  des  Wilh.  v.  Orlenz 
mitten  iune  liegenden  zeit  vollendet.  Auch  stand  Alsolon,  wie 
es  von  seinem  freund  ßudolf  besonders  aus  der  spätem  zeit 
bekannt  ist*),  wol  in  engem  Verhältnis  zu  dem  hohen- 
staufischen  hofe**).  War  die  grosse  epopöe,  die  er  nachher 
dichtete,  der  verherlichung  des  grossvaters  von  dem  damals 
regierenden  kaiser  Friedrich  II  gewidmet,  so  hatte  er  vielleicht 
auch  schon  in  seinen  früheren  dichtungen  die  Interessen  des 
hohenstaufischen  liauses  berücksichtigt  oder  verfochten. 

Wie  Pfeiffer  seine  ansieht  über  die  stelle  im  Wilhelm,  so 
gebe  auch  ich  diese  letzten  bemerk ungen  zumeist  nnr  als  Ver- 
mutungen, aber  nicht  so,  als  ob  mir  das  zustimmende  oder 
verneinende  urteil  anderer  darüber  gleichgiltig  wäre,  sondern 
indem  ich  wünsche,  dass  durch  von  mehreren  widerholte  er- 
wägung  festgestellt  w^erde,  was  davon  glaublich  sei,  was  nicht, 
dass  also  durch  mehrerer  zeugen  mund  die  Wahrheit  kund 
werde.  Mag  dem  aber  sein,  wie  es  wolle,  jedenfalls  steht  so 
viel  fest,  dess  dem  zu  eilig  beseitigten  dichter  Alsolon  ein 
platz  in  der  deutschen  literaturgeschiehte  fortan  wider  einzu- 
räumen ist.  Alle  aufklärungen  und  belehruugen  aber,  welche 
die  von  mir  bekämpften  gelehrten  über  Freidank  in  verschie- 
dener weise  aus  der  bewusten  stelle  Kudolfs  ziehen  wollten, 
fallen  damit  hin. 


*)  Indes  ist  schon  die  widmuug  des  Wilhehu  an  den  schenken  Kourad 
von  Winterstettcn,  diesen  hochangesehenen,  treiien  anhänger  der  Stanter 
(vgl.  Stalin,  würtemb.  gesch.  II,  besonders  s.  167.  614.  771)  ein  zcugnis 
von  Ivudolfs  hineintreten  in  die  hohenstaufischen  kreise. 

**)  Von  den  übrigen  hier  genannten  dichtem  stehen  auch  Ulrich 
von  Türheim  und  Gottfrid  von  Hohenlohe  zu  den  Staufern  in  mittel- 
barer (durch  Konrad  von  Winterstettcn)  oder  unmittelbarer  beziehung; 
auch  von  Albrecht  v.  Kemenat  ist  dies  wahrscheinlich  (vgl.  Stalin  a.  a.  o. 
II,  216  f.  771).  Das  hohenlohische  geschlecht  stand  schon  vom  12.  jahrh. 
her  in  engster  Verbindung  mit  den  Staufern  (vgl.  Stalin  a.  a.  o.  II,  5  lu  tf.). 


156  SCHMIDT 

IL 

Die  zweite  frage,  zu  deren  Untersuchung  mich  die  ver- 
gleichung  der  binden  litcrarlustorischcn  stellen  Rudolfs  von 
Ems  veranhisst  liat,  l)etiifl't 

die  abfassiingszeit  des  Alexander  und  des  Wilhelm 

in  ihrem  Verhältnis  zu  einander.  Nachdem  nämlich  Docen 
1809  das  erscheinen  des  Alexander  ungefähr  ins  jähr  1230 
(altdeutsch,  mus.  I,  158),  den  Wilh.  um  1242  angesetzt  hatte 
(ebcudas.  s.  461  f.),  sprach  zuerst  Moritz  Haupt  1840  in  der 
vorrede  zum  guten  Gerhard  s.  X  f.  die  ansieht  aus,  Rudolf 
möchte  seineu  Alex,  später  als  den  Wilh.  gedichtet  haben.  In- 
dessen erklärte  er  bald  danach  in  den  meist  nus  mitteilungen 
Lachmanns  und  Wackernagels  bestehenden  nachtragen  zu 
seiner  ausgal)e  (zeitschr.  I,  p.  199.  1841)  diese  Vermutung 
selbst  für  falsch.  Und  zu  diesem  urteil  bekannten  sich  denn 
auch  Lachmann  (1843)  zum  IweinS  s.  500  und  Wackernagel 
literaturgesch.  s.  171  anm.  9  und  s.  185  (1848—51),  ausserdem 
unter  andern  Jac.  Grimm  z.  b.  ged.  des  mittelalt.  auf  könig 
Friedr.  L  p.  6  (1844)  und  0.  Schade,  indem  er  in  seinem  altd. 
lesebuche  die  stelle  aus  dem  Alex,  vor  die  aus  dem  Wilhelm 
druckte.  Dagegen  nahm  Fr.  Pfeiffer  (Miiuch.  gel.  auz.  1842 
no.  70,  vergl.  die  vorrede  zum  Barlaam  Leipzig  1843  s.  XII) 
Haupts  frühei-e  ansieht  wider  auf  und  suchte  sie  mit  gründen 
zu  stützen.  Durch  diese  liess  sich  nicht  nur  Wilhelm  Grimm 
überzeugen  (über  Freidank,  Berlin  1850  s.  13),  sondern  sogar 
der  besonnene  Koberstein,  wenn  er  sich  auch  Grundr.^  s.  203, 
anm.  9  unentschieden  ausspricht,  zeigt  sich  doch  ebendas. 
s.  215  anm.  2*)  Pfeiffers  ansieht  geneigt.  Ja  selbst  Haupt 
scheint  sich  zu  derselben  zurückgewant  zu  haben  zeitschr.  6, 
525.  Neuestcns  hat  K.Bartsch,  der  schon  1857  in  seiner  aus- 
gäbe von  des  Strickers  Karl  s.  VII  auf  Pfeiffers  seite  getreten 
war,  gelegentlich  einer  Untersuchung  über  Wetzeis  heilige  Mar- 
garete (germanist.  stud.  I,  s.  3  ff.)  diese  meinung  widerum  ver- 
fochten und  mit  neuen  beweisgründen  zu  sichern  gesucht.  Bei 
dieser  Inge  der  dinge  ist  es  wol  der  mühe  wert  und  nötig,  die 


')  'worauf  der  Wilhelm  imd  der  Alex,  folgten.' 


RUDOLF  VON  EMS.  157 

frage  noch  einmal  mit  niöi;liclist  vollständiger  Würdigung  aller 
dabei  in  betraclit  kommenden  momente  der  erörterung  zu 
unterziehen. 

Ich  führe  zunächst  die  gründe  auf,  welche  für  das  höhere 
alter  des  Alexander  vorgebracht  worden  sind  oder  werden 
müssen,  und  untersuche,  ob  oder  inwieweit  dieselben  durch  die 
erwideruugen  der  gegner  widerlegt  sind.  —  Haupt  gab  seine  erste 
meinung  auf,  weil  er  bemerkte,  dass  im  Alexander  des  Strickers 
als  eines  lebenden  gedacht  wird  {swenne  er  wil  der  Strickcere, 
so  machet  er  guoüu  mcere)^  während  er  im  Wilhelm  gestorben 
und  überhaupt  von  allen  im  Alexander  erwähnten  dichtem 
nur  noch  der  Tiirheimer  am  leben  ist.  So  legten  auch  Lach- 
mann zum  Iwein^  344  und  Wackernagel  a.a.O.  171  anra.  9 
den  dichter  aus.  Denn  des  letzteren  widersprechende,  confuse 
anmerkung  20  zu  s.  278  beruht  wol  auf  einem  versehen.  Wie 
haben  nun  die  gegner  das  gewicht  dieses  grundes  zu  entkräf- 
ten gewust?  Pfeiffer  (Münch.  gel.  anz.  a.a.O.)  erkennt  Haupts 
beobachtung,  so  weit  sie  den  Wilhelm  anlangt,  als  richtig  an, 
dagegen  behauptet  er,  dass  auch  im  Alexander  von  den  im 
Wilhelm  aufgeführten  dichtem  keiner  als  noch  lebend  aufge- 
zählt werde,  denn  die  über  den  Stricker  handelnde  stelle  sei 
verderbt  und  könne  nicht  als  vollständiger  beweis  gelten  (vgl. 
auch  zu  Bari.  s.  XH).  Die  stelle  lautet  in  der  jungen,  an 
grossen  und  kleinen  fehlem  reichen  handschrift:  wan  er  wilde 
Strickere,  so  machet  er  guole  mere.  Jedem  unbefangenen  kann, 
meine  ich,  diesem  texte  gegenüber  Pfeiffers  urteil  nur  als  ein 
auskunftsmittel  der  Verzweiflung  erscheinen.  So  klar  sind  die 
verse,  so  leicht  und  einleuchtend  die  nötigen,  kleinen  Verbesse- 
rungen. Deshalb  hat  sich  auch  Bartsch  in  diesem  punkte 
Pfeiffer  nicht  angeschlossen,  vieiraehr  benutzt  er  jene  stelle, 
um  aus  der  art  und  weise,  wie  sich  da  Rudolf  über  den  Stricker 
;iussert,  einen  anhält  für  die  ungefähre  feststellung  der  Chrono- 
logie der  dichterlaufbahn  des  Strickers  zu  gewinnen  (Karl  der 
grosse  von  dem  Stricker  1S57  s.  VI).  Mit  welchem  recht  er 
trotzdem  Pfeiffers  ansieht  über  die  abfassungszeit  des  Wilhelm 
und  des  Alexander  im  wesentlichen  festhalten  zu  dürfen  meint, 
darüber  hat  er  sich  erst  elf  jaiire  später  in  der  angefiiiirten 
stelle    der    germanistischen    Studien    geäussert.      Da    nämlich 


158  SCHMIDT 

Pfcirrcis  von  der  stelle  iui  AhN.-uidei'  aus  nntevnoimiieiiev  aii- 
ii-rift'  auf  die  Tlauptsclie  <)eweisf(ii)i'iinfi:  mishm^eu  war,  so  ver- 
sucht er,  indem  er  auf  die  aus  dem  Wilhelm  entnommenen 
folo-erunsren  stürm  läuft,  jene  7ai  erschüttern.  ^Dass  der  Stricker', 
sagt  er  (a.  a.  o.  s.  3  f.),  'vor  1243  iiestorlxn  war,  jj-eht  aus  der 
stelle  im  Wilhelm  nicht  hervor:  sie  l)eweis1  nur,  dass  schon 
vor  1213  dieser  dichter  sich  von  der  epischen  poesie  al»-  und 
der  lehrhaften  zug-ew' endet  hatte:  darauf  auch  hczieht  sich  die 
eigentümliche  erwähnuug  im  Alexander: 

swenn  er  wil  der  Strickfere 
so  machet  er  giiotiu  maire. 

d.  h.  er  kann  wol  ein  grosses  epische,;  gedieht  liefern,  wie  er 
im  Danipil  von  ßluniental  (nach  Rudolfs  meiuung)  bewiesen, 
aber  er  will  nicht  mehr,  er  hat  sich  von  dieser  richtung  ab- 
gewendet. Eine  Verderbnis  mit  Pfeiffer  anzunehmen  haben 
wir  danach  nicht  nötig.'  Beachten  wir  zuvörderst  den  charak- 
teristischen ausdruck  dieser  letzten  werte.  Also  die  not  trieb 
nach  Bartschs  eigenem  geständnis  ihn  wie  Pfeitfer,  genötigt 
fanden  sie  sich  zur  bekämpfung  jener  an  sich  einfachsten, 
naheliegendsten  Schlussfolgerung  Haupts.  Wie  gewichtig,  wie 
entscheidend  müssen  da  nicht  die  gründe  sein,  die  sie  für  ihre 
ansieht  geltend  zu  machen  haben!  Nun,  wir  wollen  sie  später 
betrachten.  Für  jetzt  haben  wir  erst  gegen  Bartschs  auffassung 
der  stelle  in  Rudolfs  Wilhelm  den  entschiedensten  einspruch 
zu  erheben.  Auf  die  auflforderung  der  Aventiure  an  den  dichter, 
ihre  bearbeitung  zu  ende  zu  führen,  verweist  derselbe  sie  auf 
eine  reihe  von  meistern,  die  nach  seiner  Überzeugung  besser 
als  er  sie  würden  ausgeführt  haben,  und  an  die  sie  sich  des- 
halb hätte  wenden  sollen.  Die  Aventiure  entgegnet,  zu  der  zeit 
{dö  hl  den  tagen),  wo  dies  möglich  gewesen  wäre,  wo  sie  sich 
an  jene  hätte  wenden  können  (gegen  diese  ergänzung  wird 
auch  Bartsch  nichts  einzuwenden  haben),  sei  sie  unter  der 
hülle  der  französischen  spräche  verborgen  gewesen  bis  eben 
zu  der  gegenwärtigen  zeit,  wo  Rudolf  sie  zu  dichten  ange- 
fangen habe  (iinze  nü  an  dise  seihe  zit  vgl.  Orl,  leseb.  605,  14 
irnze  nü.  Iw.  105.  176  U7iz  an  die  zit).  'Warum  aber',  ant- 
wortet da  Rudolf,  'liessest  du  dich  dann  nicht  von  dem  Tür- 
heimer  l)enrbeiten  (rillten),  der  gute  geschichten  meisterlich 
darzustellen  versteht?'     'Zu  dem  gehe  ich  nicht',   erwidert  die 


RUF'OLF  VON  EMS.  159 

Aventiiire;  'da  ich  einmal  zu  dir  gekommen  bin  und  du  meine 
bearbeitung-  über  dich  genommen  hast,  so  vollende  mich  nun 
auch.'  —  Fest  steht  hiernach,  dass  zur  abfassungszeit  des 
Wilhelm  der  Ttirheiraer  gleichwie  Rudolf  die  darstcllung  dieser 
aventiure  hätte  tibernchmeu  können,  nicht  jedoch  jene  aiuleren 
dichter.  Den  grund,  weshalb  nicht,  sagt  nun  aber  Bartsch, 
brauche  man  bei  dem  Stricker  nicht  darin  zu  suchen,  dass  er 
damals  schon  tot  gewesen  sei,  sondern  er  könne  in  seiner  ab- 
wendung  von  der  ei)ischen  poesie  zum  moralischen  und  didak- 
tischen gebiet  bestehen.  Die  stelle  im  Wilhelm  habe  densel- 
ben sinn  wie  die  entsi)rechende  im  Alexander.  Diese  besage: 
'der  Stricker  kann  wol  ein  grosses  episches  gedieht  liefern, 
aber  er  will  nicht  mehr;  er  hat  sich  von  dieser  richtuug  ab- 
gewaut.'  Jedoch  dies:  'er  will  nicht  mehr'  ist  eine  Verdrehung 
und  Vergewaltigung  dei-  worte  des  dichters.  Rudolf  sagt  nur: 
der  Stricker  kann  gute  erzählende  gedichte  macheu;  der  ein- 
schränkende zusfitz  swenne  er  wil  mag  andeuten  sollen,  dass 
er  gegenwärtig  andere  dichtungsarteu  pflege.  Die  möglichkeit 
einer  riickkehr  aber  zur  erzählenden  dichtung  schliesst  derselbe 
absolut  nicht  aus,  wie  denn  ein  solcher  gedanke  auch  an  sich 
höchst  unnatürlich  wäre.  Mit  diesem  erschlichenen  'aber  er 
will  nicht'  fällt  auch  Bartschs  ganzer  Widerspruch  gegen 
Haupts  auffassung  der  stelle  im  Wilhelm  in  nichts  zusammen. 
'Auch  der  Stricker',  heisst  es  da,  'würde  euch  besser  darge- 
stellt haben  als  ich,  hätte  er  euch  so  dichten  wollen  wie  den 
Daniel  von  Blumental'.  Davon,  dass  er  dies  gegebeneu  falls 
nicht  gewollt  haben  würde,  dass  also  eine  darauf  bezügliche 
autforderung-  der  Aventiure  an  ihn  vergeblich  gewesen  sein 
würde,  steht  nichts  da.  Und  welchen  Widersinn  würde  das 
auch  ergeben!  'Du  tor',  würde  die  Aventiure  da  Rudolf  haben 
antworten  müssen,  'du  sagst,  ich  hätte  mich  lieber  an  den 
Stricker  wenden  sollen  als  an  dich,  obgleich  du  weisst  und 
selber  hinzufügst,  dass  das  vergeblich  gewesen  wäre?'  Nein, 
vielmehr  Rudolf  setzt  voraus,  dass  der  Stricker  früher  zur 
darstellung  der  Aventiure  vielleicht  hätte  bewogen  werden 
können;  war  dies  zur  abfassungszeit  des  Rudolfiidschen  ge- 
dichts  nicht  mehr  möglich,  so  ergibt  sieh  daraus  als  einzig 
wahrscheinliche  folgeruiig,  dass  der  Stricker  mittlerweile  ge- 
storben war.  —  Nach  Bartschs  auslegung   würde   der  Stricker 


ICO  SCHMIDT 

volikoiuiueu  auf  einer  lluie  fetelieii  mit  dem  Tliilieimer.  Sich, 
da  kuni  ich  niht  an!  würde  die  Aventiuro  von  beiden  sagen 
können.  Wir  würden  unbedingt  erwarten,  dass  der  Stricker 
neben  dem  Türlieimer  genannt  wäre.  Denn  andernfalls  hätte 
liudolf  mit  demselben  rechte  wie  nach  Bartsch  den  Stricker 
auch  Ulrich  von  Türheim  schon  unter  der  ersten  dicliterreihe 
nennen  können,  da  auch  er  ja  sicher  schon  vor  der  abfassung 
des  Wilhelm  gedichtet  hatte.  Und  endlich,  für  die  menge  der 
übiigen  hier  genannten  dicliter  wird  wol  Bartsch  Haupts 
schluss  nicht  bestreiten  wollen.  Soll  sichs  nun  mit  dem 
Stricker,  der  mitten  darunter  steht,  allein  anders  verhalten  als 
mit  den  übrigen  ? 

Hiermit  glaube  icli  die  bisher  gegen  den  in  rede  stellen- 
den l)eweisgrund  für  das  höhere  alter  des  Alexander  erhdbenen 
einweudungen  scharf  und  schlagend  widerlegt  zu  haben. 

Indes  ich  darf  noch  nicht  weitei-  gehen.  Ein  aufmerk- 
samer leser  könnte  bezüglich  der  eben  beendeten  erörterung 
noch  an  den  versen  in  der  Wilhelmstelle  anstoss  nehmen,  in 
welchen  Albrechts  von  Kemenate  gedacht  wird.     Sie  lauten : 

ouch  hsete  iuch  mit  wisheit 

her  Albrecht  baz  dann  ich  geseit, 

von  Kemenät  der  wise  man, 

der  meisterlichen  tihten  kan. 

Die  stelle  für  sich  allein  betrachtet,  ist  es  möglich,  ja  — 
ich  gebe  zu  —  am  natürlichsten,  das  präsens  kaji  so  aufzu- 
fassen, dass  hier  von  dem  Kemeiiater  als  einem  noch  lebenden 
dichter  gesprochen  werde.  Nötig  ist  dies  aber  durchaus  nicht. 
Denn  gleichwie  wir  noch  heute  beispielsweise  sagen:  Gröthe 
kann  die  eindrücke  der  natur  auf  seine  seele  wie  kein  anderer 
zum  ausdruck  bringen,  oder:  Euripides  versteht  sich  auf  psy- 
chologische motivierung  und  dergl.  mehr,  so  kann  man  über 
jeden  Schriftsteller  älterer  zeit,  so  konnte  auch  Rudolf  über  den 
bereits  verstorbenen  Albrecht  im  praesens  sprechen.  Dies  erst 
noch  durch  belegsteilen  zu  beweisen  halte  ich  für  überflüssig. 
—  Von  den  beiden  an  sich  möglichen  auffassungen  aber  nun 
ist,  wenn  man  die  stelle  im  Zusammenhang  betrachtet,  eben 
einzig  und  allein  die  letztere  zulässig.  Das  lehit  einen  jeden, 
für  den  der  kritische  grundsatz  feststeht,  dass  man  einem 
schriftsteiler  nicht  ohne  not  widerspräche  und  unsinn  aufbürden 


RUDOLF  VON  EMS.  161 

dürfe,  die  gleich  folgende,  soeben  Bartsch  gegenüber  in  ihrer 
bedeutung  Aon  mir  aufgezeigte  stelle.  Fragen  könnte  man 
höchstens,  ob  nicht  in  derselben  weise  wie  hier  dies  kan  auch 
in  der  stelle  des  Alexander  über  den  Stricker  das  präseus 
aufzufassen  sei,  so  dass  die  daraus  gezogene  Schlussfolgerung, 
der  Stricker  habe  zur  abfassungszeit  des  Alexander  noch  ge- 
lebt, ungerechtfertigt  wäre.  Indes  diese  frage  ist  entschieden 
zu  verneinen.  Denn  erstens  würde  sonst  Eudolf  dort  über  einige 
maere  des  Strickers  einen  entschiedenen  tadel  ausdrücken,  in- 
dem er  ihnen  das  prädikat  guot  abspräche.  Das  aber  ist  nicht 
glaublich:  er  wird  seinen  dichterbaura  niaht  mit  schlecliten  rei- 
sern  s;  himpfieren.  —  Zweitens  aber  steht  auch  aus  andern 
gründen  fest,  dass  von  den  im  Alexander  aufgeführten  dichtem 
ein  teil  als  noch  lel)end  gedacht  wird.     Davon  nachher  mehr. 

Noch  ein  zweiter  anstoss  ist  zu  beseitigen.  Bei  Stalin, 
w^ürtemberg.  gesch.  11,  544  {\'^.  s.  764)  heisst  es:  ^Gottfried 
(\'on  Hohenlohc)  gesellte  zu  seinen  übrigen  Verdiensten  auch 
den  rühm  des  dichters:  die  ritter  des  Artus  insgesammt  waren 
der  Stoff  eines  ausgezeichneten  gedichtes,  welches  er  verfasste. 
Im  jähre  1254  oder  1255  verschied  dieser  herr.'  Wird  hier- 
durch nicht  alle  die  mühe,  die  ich  eben  auf  Bartschs  Wider- 
legung verwant  habe,  zu  sclianden?  Steht  es  nun  nicht  fest, 
dass  die  in  rede  stehenden  im  Wilhelm  aufgeführten  dichter 
zu  dessen  abfassungszeit  noch  nicht  alle  tot  waren?  konnte 
nicht  also  auch  der  Stricker  noch  unter  den  lebenden  sein? 
—  Nur  keine  bange,  6  xQmaaq,  y.ai  idaszai :  derselbe  Stalin 
setzt  a.  a.  o.  541  A2  auseinander,  dass  Adelheid,  die  mutter 
der  mit  Sicherheit  von  1219  an  in  Urkunden  vorkommenden 
sechs  hohenlohischen  geschwister,  keinen  der  bisher  bestimmt 
ermittelten  grafen  von  Hohenlohe  zum  gatten  gehabt  haben 
könne.  Er  schliesst  daher,  entweder  sei  der  name  dieses  ge- 
raals  der  frau  Adelheid  ganz  verschollen,  oder  es  sei  der 
Gottfi-icd  von  Hohenlohe  gewesen,  der  in  der  von  P^riedrich  II. 
12 IS  für  die  stadt  Bern  erlassenen  goldenen  bulle  (vgl.  Schöpf- 
lin,  historia  Zaringo -Badens.  4.,  146  fi'.)  vorkommt.  —  Letz- 
teres anzunehmen  ist  un))edingt  notwendig.  Der 
älteste  söhn  Adelheids,  der  Gottfried  von  Hohenlohe,  den  Stalin 
für  den  von  Rudolf  von  Ems  erwähnten  hält,  war  damals 
offenbar  noch  zu  jung,   um  mitten   unter  zwei  bischöfen,  von 

ßeitrü^'c  zur  geschichte  der  deulbchen  spräche.   lU,  1 1 


162  SCHMIDT 

deueii  der  eine  Friedrichs  kanzler  Avar,  unter  liofräten,  notar, 
reicbssehenk ,  reichstriichsess,  i;ewis  lauter  älteren  niänncru, 
als  zeu^e  (praesens  et  anuuens)  au%elnlirt  zu  werden.  Seine 
mutter,  deren  tocliter  Kunigunde  damals  sicher  noch  minder- 
jährig war,  kommt  1219  als  die  gattin  des  Konrad  von  Lol)en- 
hausen  (==  grafen  von  Werdeck,  s.  Stalin  a.  a.  o.  530)  vor. 
Gottfried  von  Hoheulohe,  Adelheids  erster  gatte,  wird  ende 
1218  (oder  anfang  1219)  gestorben  sein.  Die  auf  die  Hohen- 
lohes  bezüglichen  Urkunden  vom  jähre  1219  f.  (siehe  Stalin 
a.  a.  0.  552  &.),  die  von  dem  eintritt  zweier  von  den  fünf 
briideru  in  den  deutschen  orden  und  von  zahlreichen  besitz- 
veräuderungen,  vergleichen,  Verfügungen  hinsichtlich  der  hohen- 
loheschen  guter  künde  geben,  erwecken  ganz  den  eiudruck 
einer  nach  dem  abieben  des  bisherigen  familieuoberhauptes 
vorgenommenen  erbschaftsteiluug.  Und  dazu  kommt  nun  eben 
noch  das  zeugnis  des  Rudolf  von  Ems,  das  uns  zwängt,  wenn 
wir  nicht  diesen  dichter  zu  einem  unlogischen  schw^ätzer  machen 
Avollen,  einen  Gottfried  von  Hoheulohe  anzunehmen,  der  zur 
abfassungszeit  des  Wilhelm,  jedenfalls  lange  vor  1254,  schon 
tot  war.  Also  kurz  und  noch  einmal  —  der  erste  gatte  Adel- 
heids graf  von  Hoheulohe  hiess  w'irklich  Gottfried,  und  dies 
war  der  von  Rudolf  erwähnte  Verfasser  des  gedichtes  über  die 
Artusritter.     Danach  ist  Stalin  zu  verbessern. 

Zu  dem  bisher  allein  beigebrachten  beweise  für  das  höhere 
alter  des  Alexander  vermag  ich  andere,  nicht  minder  gewich- 
tige hinzuzufügen.  Der  Stricker  ist  nämlich  nicht  der  einzige, 
der  in  dem  dichterverzeichnis  des  Alexander  klar  als  noch 
lebend  bezeichnet  ist.  An  der  spitze  der  zweiten  dichterreihe 
steht  Konrad  von  Heimesfurt,  der  dichter  von  Maiiae  himmel- 
fahrt  und  von  der  Urstende  {der  wol  von  gole  getihtet  hat). 
Von  ihm  sagt  Rudolf:  den  darf  riuwen  niht  shi  werc.  Dass  er 
diese  wendung  nur  von  einem  noch  lebenden  gebrauchen 
konnte,  liegt  doch  wol  auf  der  band.  Eine  auslcgung  des 
praesens,  wie  wir  sie  eben  in  den  versen  über  den  Kemeuater 
aus  dem  Wilhelm  möglich  und  nötig  fanden,  ist  hier  nicht  mög- 
lich. Nun  ist  aber  der  anordnungsgi-uud  in  Rudolfs  dichterver- 
zeichnissen  im  allgemeinen  und  wesentlichen  der  chronologische.*) 


•)  Ich   atimme  in  bezug  auf  diesen  puukt  völlig  iibeiein  mit  der 


RUDOLF  VON  EMS.  163 

So  kommen  wir  zu  dem  ergebnis,  dass,  als  Rudolf  den  Alexan- 
der dichtete,  die  ganze  zweite  reihe  der  hier  genannten  dichter 
von  Konrad  von  Heimesfurt  an,  so  viel  er  Avuste,  noch  am 
leben  war.  Damit  wird  der  erste  beweisgruud  bedeutend  ver- 
stärkt. Wer  aber  diese  ansieht  zuzugeben  vor  der  band  nicht 
geneigt  ist,  der  wird  wenigstens  den  Konrad  von  Heimesfurt 
nicht  in  die  mitte  des  13.  Jahrhunderts  zu  setzen  wagen,  wohin 
er  gehörte,  wenn  wirklich  der  Alex,  nach  dem  Wilh.,  zwischen 
1240 — 45,  verfasst  wäre  (vgl.  Bartsch,  germ.  stud.  I,  5).  Bartsch 
selbst  lässt  ja  jenen  vielmehr  im  zweiten  Jahrzehnt  des  13. 
Jahrhunderts  dichten  (Germ.  VHI,  327).  Dass  übrigens  die 
ganze  zweite,  mit  Konrad  von  Heimesfurt  beginnende  reihe  der 
in  der  Alexanderstelle  aufgeführten  dichter  wirklich  der  gegen- 
wart  Rudolfs  ang-ehört,  diese  behauptung  wird  bestätigt  durch 
die  art  und  weise,  wie  der  letztere  die  vier  ersten  grossen 
meister  von  den  übrigen  absondert,  ihnen  gegenüberstellt.  Denn 
das  urteil,  dass  nieman  nü  so  giiotes  iht  gesprechen  kan,  so 
man  dö  sprach,  als  Veldekc,  Hartmann,  Wolfram,  Gottfried  die 
edlen   reiser    ihrer    gedichte    dem   künste   riehen   stamm    auf- 


beraerkung  Haupts  zu  den  'liedern  und  büchlein  u.  s.  w.  von  Hartmann 
V.  Aue',  Leipz.  IS  12  s.  XL  An  diejenigen,  welche,  wie  Pfeifier  (freie 
torgchung  s.  156)  von  der  chronologischen  anordnung  gar  nichts  wissen 
wollen,  ist  einfach  die  frage  zu  richten,  welches  anordnungsprincip 
Eudolf  denn  sonst  in  den  Verzeichnissen  befolgt  haben  soll.  Denn  die 
planinässigkeit  der  aufzählung  wird  durch  die  auffallende  Übereinstim- 
mung der  beiden  Verzeichnisse  im  grossen  iind  ganzen  bei  kleinen  ab- 
weichungen,  welche  die  annähme  sklavischer  selbstcopierung  ausschliessen, 
gewährleistet.  Das,  was  anderweitig  über  die  zeit  der  betreffenden 
dichter  mit  Sicherheit  ermittelt  ist,  spricht  durchaus  nicht  gegen  die 
behauptung  der  chronologischen  reihenfolge  unserer  cataloge.  Was 
Wackernagel  literaturgesch.  s.  153  a.  in  dieser  beziehung  geltend  macht, 
stützt  sich  zum  teil  auf  unsichere,  keineswegs  genügend  bewiesene  an- 
nahmen und  ist  daher  unschwer  zu  widerlegen.  Die  abweichungen  in 
beiden  Verzeichnissen  mögen  teils  in  einer  vielleicht  durch  genauere 
kenntnisnahme  herbeigeführten  wandelung  des  ästhetischen  Urteils  Ru- 
dolfs, teils  in  der  lösung  früherer  imd  der  anknüpfuug  neuer  persönlicher 
beziehungen  zu  einzelnen  dichtem  ihren  grund  haben.  Ausserdem 
könnte  vielleicht  im  Alexander,  zu  dessen  abfassungszeit  der  gröste  teil 
der  angeführten  dichter  noch  lebte,  mehr  der  beginn  oder  auch  der 
höhepimkt  ihrer  dichterischen  tätigkeit,  dagegen  im  Wilhelm  auch  die 
zeit  ihres  todes  für  die  anordnung  mit  in  betracht  gezogen  sein. 

11* 


1 04  SCHMIDT 

pfropften,  bezieht  sich  klärlich  auch  auf  die  meister,  von  denen 
Rudolf  in  zweiter  linie  lehre  sucht,  und  über  die  er  in  deut- 
lichem gegensatz  zu  dem  überschwängliclieu  lob,  das  er  jenen 
gespendet  hat,  sich  begnügt  zu^jelien:  sie  haut  gesprochen  alle 

wol' Auch  hindert   nichts  von  dem,    was  sonst   über  diese 

dichter  bekannt  ist,  ihre  lebenszeit  bis  ins  dritte  Jahrzehnt  des 
13.  Jahrhunderts  auszudehnen. 

Einen  dritten  beweis  dafür,  dass  der  Alexander  vor  dem 
Wilhelm  gedichtet  ist,  enthält  der  schluss  der  literarhistorischen 
stelle  aus  ersterem  gedieht.  Eudolf  bittet  da  gott,  indem  er 
zurückgreift  auf  das  oben  besprochene  bild  des  dichterbaumes, 
zu  helfen,  dass  die  von  ihm  genannten  grossen  meister  seinen 
zweig  nicht  herabwerfen  möchten,  den  er  aufgestossen  habe, 
als  er  den  guten  Gerhard,  dann  Barlaam  und  Josaphat  und 
endlich  St.  Eustachius  dichtete.  Unter  dieser  Voraussetzung 
nemlich  wolle  er  es  wagen,  das  einmal  begonnene  maere  von 
Alexander  fortzusetzen.  Offenbar  will  hier  Rudolf  alle  seine 
bisherigen  dichtimgen  nennen,  durch  die  er  auf  einen  platz  in 
der  reihe  der  besseren  dichter  einen  ansprach  zu  haben  glaubt. 
Dass  er  also  die  lügelichen  maere,  von  denen  er  im  Barlaam 
spricht,  kleinere,  unbedeutendere  Jugendarbeiten,  hier  übergeht, 
kann  uns  nicht  wunder  nehmen.  Dass  er  dagegen  den  Wil- 
helm unerwähnt  gelassen  haben  sollte,  ist  auf  keine  weise 
glaublich  zu  machen,  vielmehr  erhellt  daraus  aufs  deutlichste, 
dass  er  ihn  eben  noch  gar  nicht  gedichtet  hatte.  Pfeitfer  frei- 
lich (Münch.  gel.  anz.  1842  sp.  564),  der  daraus,  dass  des 
Alexander  im  Wilhelm  mit  keiner  silbe  gedacht  werde,  auf 
dessen  höheres  alter  Fchliessen  will,  erhebt  den  verdacht,  dass 
diese  stelle,  wo  ein  ganz  unbekanntes  gedieht  von  Eustachius 
beinahe  mit  denselben  worten  wie  im  Wilhelm  der  Barlaam 
erwähnt  werde,  verderbt  und  hier  ursprünglich  vom  Wilhelm 
die  rede  gewesen  sein  möge.  Indes  mit  so  luftiger  kritik 
wird  sich  ein  besonnener  forscher  schw^erlich  befreunden  können. 
Man  bedenke  doch  nur,  dass  beispielsweise  nach  Pfeiflers 
eigener  angäbe  der  ganze  Rudolf  ausser  von  ihm  und  seinem 
fortsetzer  von  niemand  erwähnt  wird  (Münch.  gel  anz.  1842 
no.  72).  Und  doch  ist  der  umstand,  dass  wir  von  dem  St.  Eu- 
stachius Rudolfs  bisher  nichts  weiter  wissen,  der  einzige 
grund  von  Pfeitfers  Verdächtigung.     Denn  dass  im  Wilhelm  bei- 


RUDOLF  VON  EMS.  165 

nahe  mit  denselben  Worten  vom  Barlaam  die  rede  ist,  hat 
gar  nielits  befremdliches.  Vielmehr  ist  es  begründet  durch 
die  factische  gleichhcit  des  Inhalts  in  bezug  auf  diesen  punkt. 
Man  vergleiche  doch  das  über  den  Barlaam  und  den  Eustachius 
in  der  Alexanderstelle  selbst  gesagte.  Ich  kann  mir  demnach 
Pfeiöers  urteil  nur  so  erklären,  dass  er  selbst  das  gewicht 
dieser  stelle  für  die  der  seinen  entgegengesetzte  ansieht  em- 
pfand und  deshalb  auf  irgend  eine  weise  mit  ihr  sich  abzu- 
finden oder  einer  künftigen  benutzung  derselben  von  selten  der 
gegner  im  voraus  die  spitze  abzubrechen  das  bedürfnis  fühlte. 
Natürlich  muste  jeder  versuch,  ungewisheit  und  dunkelheit  zu 
erzeugen,  wo  alles  so  fest  und  klar  ist  wie  hier,  mislingen.  — 
Aber  immer  gespannter  werden  wir  hiernach,  die  gründe  zu 
vernehmen,  welche  Pfeiffer  und  Bartsch  zu  ihrer  ansieht  über 
die  ganze  frage  und  damit  zu  der  unglücklichen  Opposition 
gegen  die  gründe  der  gegner  geführt  haben.  Wie  entscheidend 
müssen  sie  sein,  wenn  sie  den  genannten  männern  gegen  jene 
einfachen  Zeugnisse  den  blick  verdunkeln  konnten!  Nun  wir 
wollen  sie  mustern. 

Pfeiffer  in  den  Münch.  gel.  anz.  1842  No.  70  weist  zur 
begründung  seiner  behauptung  erstens  darauf  hin,  dass  nach 
dem  Wilhelm  Ulrich  von  Türheims  Clies  erst  neulich  ge- 
dichtet worden  sei  {der  hat  Artuse  einen  tnan  von  Kriechen  niu- 
liche  gesant  in  siniu  riche),  während  im  Alexander  dasselbe 
gedieht  als  ein  schon  bekanntes  hingestellt  werde.  Ich  staunte, 
als  ich  diese  bemerkung  las,  denn  ich  fand  in  der  Alexander- 
stelle wol  die  notiz,  dass  Konrad  Flecke  das  maere  beschie- 
den habe,  wie  der  strengen  minue  kraft  diesen  zwang, 
aber  über  einen  Clies  des  Türheimers  vermochte  ich  trotz 
eifriger  bemühung  nichts  zu  entdecken.  Indes  nach  Pfeiffers 
meinung  sollen  die  woite:  und  wie  der  strengen  minne  kraft 
diesen  twanc  u.  s.  w.  nicht  von  Konrad  Flecke,  auf  den 
jeder  unbefangene  sie  1)eziehen  wird,  sondern  von  Ulrich  von 
'J'ürheim  zu  verstehen  sein!  Nur  weil  im  Wilhelm  Ulrich  von 
Ttirheim  als  darsteller  der  Aventiure  von  Clies  genannt  ist, 
muss  —  nach  Pfeiffer  —  auch  hier  von  ihm  die  rede  sein, 
und  Konrad  Fleck  kann  nicht  denselben  stoff  behandelt  haben, 
wennschon  es  der  klare  Wortlaut  dieser  stelle  erfordert.  Eine 
exegetische  Ungeheuerlichkeit,   die  Pfeiffer  später   auch    selber 


lee  SCHMIDT 

eingesehen  hat.*)  Denn  in  dem  schon  oben  erwähnten  aufsatz 
ul)er  Konrad  Fleck  bezieht  er,  wie  es  nicht  anders  möglich 
ist,  die  angeführten  wortc  auf  ein  Flecksches  gedieht  und  be- 
gnügt sich,  in  Sommers  spuren  wandelnd,  in  die  folgenden 
verse  hineinzulesen ,  dass  Ulrich  von  Türheim  Konrads  Klies 
fortgesetzt  habe.  Dass  es  auch  damit  nichts  ist,  habe  ich 
schon  gezeigt. 

Zweitens  führt  Pfeiffer  gegen  das  höhere  alter  des  Alex, 
den  umstand  ins  feld,  dass  im  Wilhelm  des  Alexander  mit 
keiner  silbe  gedacht  werde.  Indes  auch  des  guten  Gerhard 
und  des  St.  Eustachius  geschieht  dort,  so  viel  ich  weiss,  nicht 
erwähnung,  und  trotzdem  steht  doch  wenigstens  des  ersteren 
frühere  abfassung  fest.  Es  gibt  aber  noch  eine  viel  einfachere, 
handgreiflichere  Widerlegung  dieses  Pfeifferschen  beweises:  wir 
können  ihn  mit  den  eigenen  waöen  schlagen.  Denn  im  Alex, 
wird  der  Wilhelm  eben  so  wenig  erwähnt  wie  in  diesem  jener, 
und  demungeachtet  behauptet  Pfeiffer  seine  priorität.  Man 
sieht,  wie  es  um  Pfeiflers  beweise  bestellt  ist.  Der  unglück- 
liche versuch,  durch  Verdächtigung  einer  vollkommen  klaren 
und  gesunden  stelle  im  Alexander  die  möglichkeit  einer  er- 
wähnung des  Wilhelm  in  jenem  gedieht  zu  behaupten,  ist  vor- 
hin beleuchtet  worden. 

Ferner  sucht  Pfeiffer  die  mehr  oder  minder  auffallende 
künstliclikeit,  mit  der  Kudolf  nach  einer  damals  viel  befolgten 
sitte  seineu  namen  in  seinen  gedichten  angebracht  hat,  zur 
bestimmung  des  alters  derselben  zu  verwenden.  Im  Gerhard, 
sagt  er,  nenne  der  dichter  seinen  namen  versteckter  weise 
und  noch  nicht  im  akrostichon,  dies  tue  er  schon  im  Barlaam, 
auffallender  zu  anfang  im  Wilhelm,  am  auffallendsten  im 
Alexander.  Man  erkenne  also  darin  einen  stufenweisen  fort- 
gang.  Nun,  die  tatsache,  dass  die  Alexandreis  in  diesem 
punkt  die  anderen  gedichte  übertrifft,  bin  ich  weit  entfernt  zu 
leugnen.  Mau  darf  sich  die  sache  nun  aber  nicht  so  vorstellen, 
als  sei  Rudolf,  von  gedieht  zu  gedieht  die  künstlichkeit  stei- 
gernd und  gleichsam  sich  selbst  darin  zu  überbieten  bestrebt, 
endlich    an   diesem    gipfelpunkte    angelaugt.     Vielmehr  ist   es 


•)   Vgl,  dagegen  auch  Sommer  a.  a.  o.   s.  XXXIV  und  Koberstein, 
grundriss''  I,  215  anm. 


RUDOLF  VON  EMS.  167 

nach  den  g-eschichtlichen  verliältuisseu  an  sicli  recht  wol  denk- 
bar, dass  er  schon  in  einem  seiner  frühesten  gedichte  den 
zopiigen  geschmack  der  zeit  in  so  vollkommener  weise  zu  be- 
friedigen sich  abgemüht  habe.  Denn  der  eingang  des  Alexan- 
der in  aller  seiner  künstlichkeit  ist  ja  im  wesentlichen  weiter 
nichts  als  eine  nachahmung  des  anfangs  von  Gottfrids  Tristan, 
den  Rudolf  von  allen  meisterwerken  jener  zeit  am  höchsten 
schätzte.  Auch  da  ergeben  die  anfangsbuchstaben  einer  reihe 
von  tetrastichen  den  ersten  buchstaben  von  dem  eigenen  namen 
des  dichters  und  dann  den  seines  g-önners  Dieterich  (vgl.  Mass- 
manu,  Tristan  s.  L).  Nur  in  den  reimen  übertritft  Rudolf  sein 
Vorbild  noch  an  künstlichkeit.  Denn  während  sich  bei  diesem 
die  reime  der  beiden  ersten  zeilen  des  tetrastichs  in  den  zwei 
letzten  widerholen,  verändern  sich  im  Alexander  die  einsilbigen 
substantiva  der  ersten  beiden  reime  in  den  zwei  folgenden  in 
verba,  oder  sind  jene  schon  verba,  so  ändern  sie  sich  in  einen 
andern  modus:  die  zwei  ersten  reime  sind  männlich,  die  letzten 
weiblich  (s.  Docen  im  altd.  Mus.  II,  268).  Es  spricht  also 
durchaus  nichts  dagegen,  dass  Rudolf,  der  ja  so  wie  so  kein 
origineller  gcist  war,  nachdem  er  in  einem  frühereu  gedieht 
in  der  künstlichen  anbringung  seines  namens  mit  den  höchsten 
bisherigen  leistungen  gewetteifert,  es  darin  noch  weiter  zu  trei- 
ben aufgab  und  bei  einem  späteren  gedieht,  bei  dem  ihm  viel- 
leicht auch  au  schnellerer  bewältigung  de:^  Stoffes  gelegen  war, 
sich  mit  einfacheren  akrostichen  begnügte.  Dazu  kommt,  dass 
ja  auch  die  weltchronik  an  künstlichkeit  des  eingangs  hinter 
dem  Alexander  zurücksteht,  und  doch  liai  Pfoiöer  daraus  einen 
ähnlichen  schluss  für  ihre  abfassungszeit  zu  ziehen  wie  für  den 
Wilhelm  sich  wol  gehütet. 

Endlich  macht  Pfeitfer  noch  die  überhaupt  im  Alexander 
wahrnehmbare  gesteigerte  künstelei  als  ein  zeichen  abnehmen- 
der Schöpferkraft  für  seine  ansieht  geltend.  Ich  habe  sowol 
aus  dem  Alexander  als  aus  dem  Wilhelm  nur  einige  stücke 
gelesen,  kann  also  nicht  genügend  beurteilen,  ob  und  wie  weit 
der  erstere  wirklich  den  letzteren  an  künstelei  übertrifft.  So- 
fern sich  aber  Pfeiffers  behauptung  auf  solche  äusserlichkeiten 
gründet  wie  jene  akrostichen  — ,  deren  übrigens  noch  viel 
mehr  im  Alexander  vorhanden  sind  als  man  bisher  nachgewie- 
sen hat  — ,   insofern  verweise  ich   auf  das  zum  vorigen  punkt 


168  SCHMIDT 

g-eg-en  jenen  gesagte.  In  einer  zeit,  wo  künstelei  allgemeiner 
gesehmaek  ist,  kann  das  höchste  ruass  von  künstelei  bei  einem 
künstler  sehr  wol  auch  den  höhepunkt  seines  Schaffens  iiber- 
haui)t  bezeichnen.  Ausserdem  mache  ich  darauf  aufmerksam, 
wie  subjectiv,  wie  problematisch  alle  solche  urteile  sind,  sofern 
sie  sich  auf  den  allgemeinen  Charakter  eines  kunstwerkes 
beziehen.  Wie  oft  findet  nicht  der  eine  jugendliche  lebhaftig- 
keit  da,  wo  der  andere  die  schwäche  des  alters  zu  sehen 
glaubt!  Jedenfalls  sind  derartige  gründe  nicht  im  stände,  so 
handgreifliche,  concrete  beweise  wie  die  für  das  höhere  alter 
des  Alexander  oben  von  mir  beigebrachten  zu  erschüttern. 

Damit  ist  aber  auch  die  ganze  summe  dessen,  w\as  Pfeiffer 
für  seine  ansieht  vorzubringen  hat,  erledigt,  und  man  kann 
nun  ermessen,  welcher  mut  dazu  gehört,  auf  solchen  rückhalt 
gestützt,  gründe  wie  die  für  meine  ansieht  sprechenden  in 
solcher  weise  zu  bekämpfen,  wie  es  Pfeiffer  getan  hat. 

Und  die  von  Bartsch  etwa  noch  hinzugefügten  beweise 
für  die  Pfeiffersche  behauptung  halten  eben  so  wenig  stich.  In 
der  vorrede  zu  des  Strickers  Karl  s.  VII  schliesst  er  aus  den 
allgemeinen  ausdrücken,  in  denen  dieses  dichters  in  Rudolfs 
Alexander  gedacht  wird,  dass  er  zur  zeit  der  abfassung  des 
letzteren  sich  bereits  von  der  epischeu  gattung  abgewant  und 
seine  grösseren  erzählenden  gedichte  vor  dem  jähre  1241  ver- 
fasst  habe.  Und  aus  eben  diesem  gründe  ist  er  geneigt  die 
abfassung  des  Alexander  später  zu  setzen  als  die  des  Wilhelm. 
Um  von  der  formellen  fehlerhaftigkeit  dieser  beweisführung 
abzusehen,  hat  denn  Bartsch  aber  in  dem  Wilhelm  auch  nur 
die  geringste  spur  aufgewiesen,  die  darauf  deutete,  dass  zur 
zeit  seiner  entstehung  der  Stricker  noch  mit  epischen  dich- 
tungen  sich  beschäftigte?  Allerdings  wird  im  Wilhelm  des 
Strickers  Daniel  von  Blumeutal  namentlich  erwähnt,  wäh- 
rend im  Alexander  ihm  allgemein  die  fäliigkeit,  gute  maereu 
zu  verfassen,  zugesprochen  wird.  Aber  wenn  daraus  überhaupt 
eine  derartige  folgerung  gezogen  werden  soll,  muss  man  dann 
nicht  natürlicher  weise  folgern,  dass  zur  abfassungszeit  des 
Alexander  die  maere  des  Strickers  allen  noch  so  frisch  im  ge- 
dächtnis  waren,  dass  Rudolf  sie  zu  nennen  nicht  für  nötig 
hielt,  während,  als  er  den  Wilhelm  dichtete,  die  späteren, 
andersartigen  dicht iingen   des  Strickers   die  erinueruug   an  die 


RUDOLF  VON  EMS.  169 

epeu  seiner  jugeudzeit  schon  so  sehr  in  den  hintergrund  ge- 
drängt hatten,  dass  Rudolf  ausdriicklieh  auf  den  Daniel  von 
Blumental  hinweisen  zu  müssen  giauhte?  Indes  alle  zweifei 
hierüber  sind  ja  so  wie  so  erledigt,  nachdem  festgestellt  ist, 
ist,  dass  zur  ahfassungszeit  des  Alexander  der  Stricker  noch 
lebte,  dagegen  zu  der  des  Wilhelm  bereits  gestorben  war. 

Weiter  hat  Bartsch  für  die  entscheidung  unserer  Streitfrage 
auch  davon  nutzen  ziehen  wollen,  dass  er  für  das  l)ruchstück 
eines  lebens  der  heiligen  Margarete,  in  welchem  er  das  werk. 
Wetzeis,  des  freundes  von  Rudolf  von  Ems  vermutet,  die  jähre 
1235—40  als  ahfassungszeit  ermittelt  hat  (germ.  stud,  I,  3  ff.). 
Aber  erstens,  worauf  stützt  sich  denn  Bartschs  Vermutung, 
dass  dies  bruchstück  aus  Wctzels  werk  herrühre?  Die  aller- 
dings auftallige,  auf  gegenseitige  abhäugigkeit  deutende  Über- 
einstimmung der  stelle  im  Barlaam,  wo  Rudolf  von  seinen 
weltlichen  jugendarl)eiten  spricht  (Jügeliche  mcere)  mit  dem 
eingang  dieser  Margarete  (s.  Bartsch  a.  a.  o.  s.  7)  bietet  wahr- 
lich dafür  keinen  genügenden  beweis.  Sehr  wol  konnte  auch 
ein  beliebiger  anderer  dichter  Rudolf  oder  dieser  jenen  nach- 
ahmen.*) Und  die  aus  der  darstell ung  zu  schliessende  etwaige 
gleichzeitigkeit  des  dichters  mit  Rudolf  reicht  bei  der  beliebt- 
heit  der  Margaretenlegende  in  jener  zeit,  bei  der  menge  der 
bearbeitungen,  die  damals  von  ihr  sicherlich  existiert  haben 
(vergl.  Bartsch  a.  a.  o.  s.  1),  zur  begründung  von  Bartschs  Ver- 
mutung nicht  aus.  Aber  zugegeben  selbst  —  was  in  Wahrheit 
mindestens  sehr  zweifelhaft  ist  —  Wetzel  sei  wirklich  der 
Verfasser  dieses  gedichts,  so  ist  es  doch  auch  um  Bartschs  be- 


*)  Die  stelle  in  der  Margaretenlegende  hat  mit  der  bei  Rudolf  nur 
sein-  entfernte  ähnlichkeit.  Sie  ist  nicht  dieser,  sondern  der  einleitung 
zu  Hartmanns  Gregor  nachgeahmt,  welche  auch  das  muster  für  Rudolf 
gegeben  haben  wird,  nur  dass  der  Verfasser  der  Margarete  sich  viel 
enger  an  sein  Vorbild  angeschlossen  hat.  Vgl.  Greg.:  Min  herze  lud 
hetwungen  vH  dicke  mhie  zungen ,  daz  si  des  vü  gesprochen  hat  daz 
nach  der  werlde  Urne  stät.  daz  rieteti  mir  nun  tumhiu  jär  mit  Marg.: 
Mm  herze  ist  leider  so  verzaget  daz  mm  zunge  selten  saget  diu  mcere 
diu  von  gote  sint.  ich  hin  gewesen  da  her  ein  kint ,  daz  mich  der  mcere 
haz  gezam  da  von  ich  muot  der  weite  nam  etc.  und  Greg.:  diu  gröze 
swcere  miner  süntlichen  bürde  .  .  .  die  ich  durch  mhie  müezekeit  üf  mich 
mit  warten  hm  gelcit  mit  Marg.:  ul  der  ?vorte  .  .  .  diu  ich  allez  nun 
leben  durch  müezikeit  gesprocheti  hän.    P. 


170  SCHMIDT 

weis,  dass  letzteres  in  deu  jähren  1235 — 40  verfasst  sei,  recht 
schlecht  bestellt.  Warum  kann  Wetzel  nicht  vor  1218  d.  i. 
vor  der  verwittwung  und  gefangennehuiung-  Cleniendes  von 
Zaering-en  gedichtet  haben?  Bartsch  sagt,  es  sei  dies,  wenn 
er  ein  freund  Rudolfs  war,  zu  früh  angenommen.  Wie  so? 
Wenn  Rudolf  seinen  Alexander,  wie  ich  vorläufig  einmal  an- 
nehmen will,  um  1230,  seinen  guten  Gerhard  zu  anfaug  der 
zwanziger  jähre  vollendet  hat,  warum  kann  nicht  sein  viel- 
leicht um  ein  paar  jähre  älterer  freund  die  Margarete  um  1217 
bearbeitet  haben?  Ferner  sagt  Bartsch,  der  dichter  würde, 
wenn  Berthold  V.,  der  gemal  seiner  gönnerin  Clemende,  noch 
am  leben  war,  ihn,  den  wir  als  dichterfreuud  kennen,  schwer- 
lich unerwähnt  gelassen  haben.  Auch  dagegen  muss  ich  ein- 
spruch  erheben.  Bartsch  selbst  sagt,  der  herzog  sei  den  freu- 
den  des  w^eltlebens  geneigt  gewesen.  Sehen  wir,  wie  die  Zeit- 
genossen über  ihn  urteilen.  Der  bischof  Berthold  von  Lausanne 
sagt  in  einer  Urkunde  aus  dem  jähre  1219  (s.  Schöpflin  a.  a.  o. 
IV,  151),  der  herzog  hätte  'in  possessiones  ecclesiac  rapinas, 
incendia,  homicidia,  lesiones,  membrorum  mutilaciones,  non  so- 
lum  in  laicis  sed  in  clericis  et  sacerdotibus'  verübt  und  sei 
darum  'malicie  sue  meritis'  kinderlos  gestorben.  In  Alberici 
Chron.  zum  jähre  1218  heisst  es:  'moritur  Bertholdus,  de  cuius 
interitu  multa  referebantur  auditu  liorribilia.'  Sein  eigener 
neä'e.  Berthold,  abt  des  klosters  Tennenbach,  hat  erzählt,  dass 
er  ihn  auf  schloss  Freiburg  gefunden  habe  'cum  suis  ministris 
et  militibus  .  . .  iucundum  et  hilarem  . .  .  ludo  et  aleis  quibus- 
dam  deditis,  aliis  vero  ehoreas  ducentibus  et  ad  vocem  organi 
cantantibus'  (Schöpflin  ebend.  143).  Derselbe  hat  ihm  ins  ge- 
siebt gesagt:  'domiue,  vobis  .  .  .  plane  imponitur  macula  infide- 
litatis  et  tyrannica  rabies,  per  quam  longe  lateque  belligeratis 
committendo  saeva  per  oppressionem  indebitam  viduarum  et 
pupilloruQi',  worauf  ihn  der  herzog  unter  seinem  und  seiner 
dienstmannen  geschrei:  abbas  de  Tennenbach  pessimus  haere- 
ticus  est!  aus  seinem  schlösse  jagen  Hess  (ebendas.  144).  Jeden- 
falls enthalten  diese  urteile  der  von  Berthold  mannigfach  ge- 
schädigten geistlichen  starke  Übertreibungen,  indes  so  viel  wird 
man  daraus  entnehmen  dürfen,  dass  wol  Berthold  von  Heibolz- 
heim  mit  seinem  Alexanderlied  (vgl.  Rudolf  im  Alex,  bei  Mone, 
bad.  archiv  1, 49),  kaum  aber  der  gegen  weltliches  wesen  eifernde 


RUDOLF  VON  ICMS.  171 

herold  der  heiligen  Margarete  von  dem  edelen  Zeringcere  shier 
hulden  solt  zu  gewiuueu  hoöeu  durfte.  Es  hatte  also  guten 
grundj  wenn  jener  nicht  dem  herzog  ^  sondern  nui-  der  wahr- 
scheinlich frömmeren  Clemende  seine  dichtung  widmete. 

Dazu  kommt  noch,  dass  es  sehr  fraglich  ist,  ob  nach  dem 
tode  ihres  gatteu  Clemende  von  Zaeringeu  überhaupt  jemals 
wider  in  die  läge  gekommen  ist,  gönneriu  eines  dichters  sein 
zu  können.  Allerdings  hat  Friedrich  II.  1235  auf  dem  reichs- 
tag  zu  Mainz  ihre  freilassung  und  widereinsetzuug  in  das  von 
Egino  von  Urach  ihr  geraubte  wittum  verfügt,  allein,  dass 
seinem  wahrspruch  folge  geleistet  worden  sei,  ist  damit  nicht 
gesagt.  Ich  für  meine  person  bezw^eifie  es.  Bartsch  hätte  nur 
die  stelle  aus  Schöpflins  historia  Zaeringo- Badensis,  die  er 
citiert,  zu  ende  lesen  sollen.  Dort  heisst  es  freilich:  Caesar 
pro  dementia  prouunüavit.  Aber,  fügt  Schöpflin  vorsichtig 
hinzu:  ^quem  effectum  sententia  liabucrit,  non  liquet. 
Id  liquet,  quod  ab  A.  1218  ad  k.  J235  adeoque  per  totos  XVIt 
annos  dementia  fuerit  captiva,  adeoque  dotalicium  eius  omne 
per  tempus  illud  usurpaverit  Egeno,  Comes  Friburgi,  Zaringi- 
carum  in  Brisgovia  terrarum  lieres.'  Schöpflin  hatte  grund 
sich  so  vorsichtig  zu  äussern.  Schon  könig  Heinrich  VII.  hatte 
1224  von  Bern  aus  eine  ganz  ähnliche  Verfügung  erlassen  wie 
1235  kaiser  Friedrich,  sein  vater.  Indes  die  mächtigen  grafen 
von  Urach  hatten  deiselben  offenbar  mit  erfolg  getrotzt.  Dass 
die  Staufer  es  mit  diesen  nicht  verderben  wollten,  dafür  zeugen 
zahlreiche  beweise  ilircr  huld,  die  sie  ihnen  bis  zum  jähre  1235 
zu  teil  werden  Hessen  (vgl.  Stalin  a.  a.  o.  II,  469  Reg.  z.  jähre 
1230,  1234  febr.  15.  1234  juli  14.).  Auch  konnte  sich  Egeno 
gegen  die  Verfügung  von  1235  mit  einem  gewissen  recht  auf 
die  von  Friedrich  im  jähre  1219  ausgestellte  Vergleichsurkunde 
berufen,  wo  es  heisst:  Traeterea  quidquid  tam  nos  quam 
predictus  Comes  de  bonis  pie  memorie  Bertoldi  ducis  Zeringie 
in  praesentiarum  ol)tincnuis  —  Egeno  hatte  damals  schon  das 
Wittum  Clemcndcns  occupiert  — ,  id  uterque  nostrum  pacilice 
po^sideat'  (vergl.  Schöpflin  a.  a.  o.  IV,  159).  Auch  hatte  Fried- 
rich 1235  besontlers  Ursache,  sich  nicht  so  mächtige  fürsten  zu 
feinden  zu  machen,  denn  er  brauchte  ja  ihre  hilfe  l)ei  dem  be- 
vorstehenden, gefährlichen  kämpfe  gegen  die  lond)ardischen 
Städte.     Wirklich   dauert   auch    ihr   freundliches  Acrhältnis   zu 


172  SCHMIDT 

Friedricli  über  das  jähr  12r)5  hinaus  fort.  Rudolf  und  Bertold 
von  Urach  (Egino  V.  f  1236)  wurden  sogar  1239  wegen,  ihrer 
anluinglichkeit  gegen  die  Staufer  in  den  bann  getan;  erst  1240 
verpfiicliteten  sie  sich,  von  der  päpstlichen  partei  mit  geld  be- 
stochen, Friedrich  in  Zukunft  keine  hilfe  mehr  nach  Italien  zu- 
zuführen (vgl.  Stalin  a.  a.  o.  II,  461  f.,  dazu  s.  191  u.  471). 
Endlich  aber  scheint  mir  auch  aus  einer  stelle  jenes  bruch- 
stücks  von  der  heiligen  Margarete  selbst  klar  hervorzugehen, 
dass  dies  gedieht  vor  der  unglücklichen  wendung  in  Clemeu- 
dens  leben  verfasst  ist.  V.  62  ff.  nennt  der  dichter  als  dritten 
umstand,  auf  den  vertrauend  er  dieses  werk  zu  verfassen  sich 
erkühne,  die  freigebigkeit  Clemcndens.  Er  habe^  sagt  er,  ihrer 
freigebigen  band  schon  so  oft  zu  danken  gehabt,  dass  er  sicher 
sei,  sie  w^erde  ihn  (auch  jetzt)  nicht  auf  der  Strasse  umkommen 
lassen.  —  Wäre  das  gedieht  erst  nach  der  —  freilich  überhaupt 
unwahrscheinlichen  —  befreiung  der  herzogin  aus  ihrer  lang- 
jährigen haft  verfasst  worden,  so  würden  wir  unbedingt  hier 
eine  anspielung  auf  dies  ereiguis  und  die  wechselvollen  Schick- 
sale der  herzogin  im  allgemeinen  erwarten.  Denn  erst  ihre 
befreiung  und  widereinsetzung  in  ihren  besitz  hätte  ihr  die 
durch  die  zeit  ihrer  gefangenschaft  unterbrochene  gönnerische 
Unterstützung  des  dichters  wider  ermöglicht. 

Also  auch  die  combinationen ,  die  Bartsch  an  dies  bruch- 
stück  eines  Margaretenlebens  knüpfte,  sind  auf  den  sand  ge- 
baut: ein  windstoss  der  kritik  weht  sie  um. 

Endlich  habe  ich  noch  über  jene  stelle  im  Wilhelm  ein 
kurzes  wort  zu  sagen,  wo  sich  Rudolf  als  einen  knappen  und 
als  dienstmann  zu  Montfort  bezeichnet.  Bartsch  sagt  (nach 
Pfeiffer,  Münch.  gel.  anz.  a.  a.  o.),  unter  einem  knappen  sei  ein 
junger  mann  von  24  oder  30  jähren  zu  verstehen,  und  folgert 
nun,  indem  er  Rudolfs  geburt  ungefähr  um  1200  setzt,  dass 
der  Wilhelm  kurz  nach  1230  entstanden  sein  müsse.  Indes 
wird  in  jener  stelle  nicht  gesagt,  dass  Rudolf  als  knappe  den 
Wilhelm  gedichtet  habe,  sondern  nur,  dass  er  als  knappe  dies 
msere  von  Johannes  von  Ravensburg  kennen  gelernt  habe,  wo- 
mit also  eine  etwas  spätere  abfassung  nicht  ausgeschlossen 
ist.  Uebrigens  verlegt  ja  Bartsch  selbst  die  letztere  in  le1)ens- 
jahre  Rudolfs,  welche  nach  den  von  ihm  angeführten  volks- 
reimen   über  die   altersstufen   schon  zum   mannesalter  gehören 


RUDOLF  ^'0N  EMS.  173 

(treysig  jaur  ein  man);  was  tuts  also,  wenn  wir  noch  um  ein 
paar  jähre  weiter  gehen,  wenigstens  über  1236  hinaus?  (vgl. 
Lachmauu  z.  Iwein^  s.  500).  Auch  das  von  Bartsch  a.  a.  o. 
s.  5  übei-  Konrad  von  Oetingeus  lehenszeit  beliauptete  verbietet 
durchaus  nicht,  den  auf  die  stelle,  wo  dessen  tod  erwähnt  wird, 
folgenden  teil  des  Wilhelm  nach  1238  zu  setzen.  Endlich  aber 
hat  knappe  zuweilen  die  bedeutung  von  diener,  knecht  schlecht- 
hin (vgl.  ]\IHW  knappe  2),  und  besonders  bezeichnet  es  oft 
bloss  den  mann  von  ritterlicher  herkunft,  der  aus  irgend  einem 
gründe  noch  nicht  zum  ritter  geschlagen  ist  (vgl.  Lexer  1643). 
Hiermit  darf  ichs  wol  genug  sein  lassen  und  mich  der 
hoö'nung  hingeben,  dass  für  alle,  die  auf  gründe  hören  und 
nicht  liebgewordene  Irrtümer  durch  küusteleien  zu  verteidigen 
vorziehen,  die  abfassung  des  Alexander  vor  dem  Wilhelm  in 
Zukunft  feststeht.  Damit  fallen  aber  auch  eine  ganze  reihe 
von  chronologischen  bestimmungen,  die  man  in  der  deutschen 
literaturgeschichte  auf  die  entgegengesetzte  ansieht  gegründet 
hat.  Zum  beispiel  der  geschichtliche  abriss,  den  Bartsch  in 
der  vorrede  zu  des  Strickers  Karl  von  der  dichterischen  tätig- 
keit  dieses  meisters  zu  geben  versucht  hat,  dreht  sich,  was  die 
Zeitbestimmungen  anlaugt,  wesentlich  um  das  jähr  1241  (bez. 
1243),  als  um  den  anfangspunkt  der  periode,  in  der  der  Alex, 
verfasst  sein  soll.  Aber  so  ist  es  ja  mehrfach  mit  ßartschs 
literarhistorischen  leistungen:  es  ist  ein  gross  ergötzen  sie  von 
ferne  zu  betrachten;  sie  erzeugen  den  behaglichen  wahn,  als 
wenn  wirs  schon  herrlich  weit  gebracht  hätten  in  der  erfor- 
schung  unserer  alten  literaturgeschichte.  Wenn  man  aber  dem 
blinkenden  schein  näher  zu  leibe  geht,  wenn  man  fest  hinein- 
greift in  die  gespinnste  von  behauptungen  und  folgeruugen,  so 
zerreissen  einem  vielfach  die  fäden  wie  Spinneweben,  so  zer- 
rinnen einem  die  beweise  unter  der  band  wie  schnee. 


111. 

Endlich  will  ich  noch  von  Bliggers  Uiiibehauc  handeln. 
Ueber  diesen  dichter  und  sein   leider  wol    für  immer  ver- 
lorenes hauptvverk   geben  uns   nur   zwei    stellen  anderer  mhd. 


174  SCHMIDT 

dicliter  einige  aufklärung*):  die  eine  in  Gottfrieds  Tristan 
V.  4770  ff.,  wo  dem  Umhehanc  so  holies  lob  gezollt  wird,  dass 
wir  mit  um  so  grösserem  schmerz  seinen  verlust  beklagen,  die 
andere  eben  bei  Rudolf  von  Ems  in  dem  diclitervei'zciclinis  des 
Alexander.  Aus  der  kurzen  erwähnung  im  Wilhelm  ist  nichts 
besonderes  weiter  zu  entnehmen.  Auf  grund  dieser  stellen  nun 
hatte  schon  Docen  im  altd.  Mus.  I,  139  die  ansieht  ausge- 
sprochen, Bliggers  in  rede  stehendes  gedieht  habe  in  der  er- 
kläruug  der  mannigfaltigen  bildlichen  darstellungen  einer  ge- 
wirkten tapete  bestanden;  und  indem  er  ferner  die  sonst  in 
der  deutschen  literatur  jener  zeit  ( — 1215)  wie  er  meinte,  nicht 
nachweisbaren  geschichten  von  Andromache,  Penelope,  Oeuone, 
deren  Thomasin  in  der  bekannten,  vielbehandelten  stelle  ge- 
denkt, auf  den  Umhehanc  zurückführte  (miscell.  2,  295),  schloss 
er  vv^eiter,  dass  derselbe  die  darstellungen  'der  vorzüglichsten 
weiblichen  h eidinnen  alter  und  neuer  zeit'  enthalten  und  also 
mit  den  Eoeen  des  Hesiod  ähnlichkeit  gehabt  habe.  Diesen 
Vermutungen  Docens  schlössen  sich  die  späteren  zum  grösten 
teil  an.  Lachmann  war  der  ansieht  (zu  Iwein^  517),  dass 
auch  die  fabel  von  Pyramus  und  Thisbe  bei  Hartmann  von 
Aue  Er.  7709  nach  einer  bearbeitung  von  Bligger  von  Steinach 
gemeint  sei.  Als  besonders  gesichert  betrachtet  Jaenicke 
(zeitschr.  f.  d.  gymnasialwesen  1868  s.  297)  die  auch  von 
Wackernagel  (literaturgesch.  173)  und  Bartsch  (Koberstein, 
grundr.s  I,  193)  vertretene  behauptung,  dass  der  Umhehanc  ein 
inbegrift'  von  liebesgeschichten  aus  der  antiken  sage  gewesen 
sei.  Am  ausführlichsten  hat  Pfeiffer  den  Bligger  und  sein  ge- 
dieht der  erörterung  unterzogen  (freie  forsch,  s.  55  ff.),  ja  er 
hat  sogar  ein  von  Mone  in  einer  Heidelberger  incunabel  auf- 
gefundenes und  herausgegebenes  bruchstttck  (vgl.  anz.  f.  künde 
d.  deutsch,  vorzeit  4,  314  ff.)  als  aus  dem  letzteren  herstam- 
mend nachzuweisen  sich  bemüht,  lieber  die  innere  einrichtung 
und  den  eigentlichen  Inhalt  des  gedichts  freilich,  sowie  über 
die  rolle,  welche  der  umhang,  von  dem  es  den  namen  hat,  in 
demselben  spielt,   ist  aus  den  beiden  oben  augeführten  stellen 


*)  Die  geringen  erhaltenen  reste  von  Bliggers  lyrischen  gedichten, 
deren  eines  Lachmann  zu  Iwein^  517  zur  feststelhmg  der  zeit,  in  welcher 
der  Umhehanc  entstanden,  benutzt  hat,  lasse  ich  hier  bei  seite. 


RUDOLF  VON  EMS.  175 

nach  seiner  meinuiig  nichts  zu  entnelimen,  denn  er  klagt,  dass 
'auch  die  wenigen  verse  des  bruelistiicks  darüber  keinen  auf- 
scbluss  g-ewäbren'.  Dein  gegenüber  inuss  icli  behaupten,  dass 
eine  sorgfältigere  Würdigung  jener  zw- ei  stellen  Gottfrieds  und 
Rudolfs  allerdings,  wenn  auch  nicht  völlige  klarheit,  aber  doch 
uuverächtliche  belehrungen  bezüglich  dieser  gesichtspunkte  an 
die  band  gibt,  so  wie  sie  auch  zugleich  zur  erkenntnis  vieler 
Irrtümer  und  willkürlichkeiteu  führt,  deren  sich  licsonders 
Pfeiifer  in  der  besagten  abhandlung,  in  minderer  und  weniger 
tadelnswerter  weise  auch  Wackernagel,  Jaenicke,  Bartsch 
schuldig  gemacht  haben. 

Pfeiflers  auseinandersetz ung  über  den  Umhehanc  lässt  sich 
kurz  dahin  zusammenfassen:  Bligger  arbeitete  das  gedieht 
nach  französischer  quelle  (s.  61).  Dasselbe  enthielt  andeu- 
tungen  der  bildlichen  darstellungen  einer  (fertigen)  tapete 
(ebeudas.  u.  s!  63).  Die  bilder  einer  solchen  hatten  zu  der  er- 
zählung  den  stolf  oder  wenigstens  die  auregung  gegeben  (s.  61). 
Und  zwar  enthielt  die  tapete  darstellungen  aus  Ovids  Herolden 
(s.  63).  Das  Heidelberger  bruchstück  ist  eine  frei  erfundene, 
mit  der  bildlichen  darstellung  der  bekannten  sage  des  alter- 
tums  auf  dem  teppich  lose  Acrknüpfte  geschichte  (s.  61  u.  64). 

Diese  sätze  nun  enthalten  nach  meiner  Überzeugung  fast 
nichts  wahres  oder  wahrscheinliches.  Ich  werde  das  jetzt  be- 
weisen. 

Dass  bei  Bliggers  Umbehanc  'die  erfindung  nicht  eigen- 
tum  des  deutschen  dichters,  vielmehr  das  gedieht  nachbildung 
eines  französischen  Originals  sei',  glaubt  Pfeiffer  erstens  des- 
halb annehmen  zu  müssen,  weil  die  in  jenem  bruchstück  vor- 
kommenden namen  auf  französischen  Ursprung  des  stoöes 
deuten.  Indes  gesetzt  auch,  das  bruchstück  wäre  in  der  tat 
ein  Überrest  des  Limbehanc,  so  folgte  aus  der  eben  erwähnten 
tatsache  doch  nur,  dass  Bligger  diese  eine  novelle  einer  fran- 
zösischen quelle  entnonmien  hätte,  nicht  aber  gälte  dies  für 
das  ganze  gedieht  und  den  demselben  zu  gründe  gelegten  plan. 
Zweitens  meint  Pfeiffer,  die  gewirkte  tapete  selbst,  deren  bilder 
zu  dem  gedieht  ent^veder  den  stoft'  geliefert  oder  wenigstens 
die  anregung  gegeben  hätten,  machten  den  französischen  Ur- 
sprung wahrscheinlich.  Denn  die  teppichwirkerei  sei  wol  da- 
mals in  Frankreich,  nicht  aber  in  Deutschland  mit  hoher  kunst- 


176  SCHMIDT 

Vollendung:  betriehen  worden,  letzteres  habe  vielmehr  solche  luxus- 
geg'enstände  besonders  aus  Frankreich  bezogen.  —  Nun,  möchte 
meinethalb  die  tapete,  welche  nach  Pfeiffers  ansieht  zu  dem 
Umbehauc  den  stotf  lieferte,  in  Frankreich  gewirkt  sein,  w^arum 
könnte  sie  nicht  eben  nach  Deutschland  ausgeführt  worden 
sein  und  dort  dem  Bligger  zu  seinem  gedieht  stoff  und  antrieb 
gegeben  haben?  Wozu  in  aller  weit  war  erst  die  Vermittlung 
eines  französischen  dichters  nötig?  Ferner  aber,  dass  auch  in 
Deutschland  die  teppichwirkerei  damals  geübt  wurde,  wenn- 
gleich nicht  mit  so  grosser  kunst  als  in  Frankreich,  gibt  Pfeiffer 
selber  zu.  Weshalb  könnte  also  nicht  auch  ein  in  Deutsch- 
land gefertigter  teppich  Bligger  auf  den  plan  zu  seinem  Um- 
behanc  geführt  haben?  Kommt  denn  in  dieser  hinsieht  so  viel 
auf  die  künstlerische  Vollendung  des  teppichs  an?  Auch  ein 
positiver  grund  lässt  sich  gegen  Pfeiffer  anführen.  Rudolf  von 
Ems  rühmt  Bligger  gerade  vornehmlich  wegen  seiner  erfindung, 
wegen  des  von  ihm  ersonnenen  planes  zum  Umbehauc.  Un- 
möglich konnte  er  das,  wenn  jener  denselben  einfach  von 
einem  französischen  dichter  übernommen  hatte.  Denn  verbor- 
gen würde  dem  gelehrten,  literaturkundigen  Rudolf  dieser  um- 
stand nicht  geblieben  sein,  zumal  ja  überhaupt  die  mhd.  dichter 
die  quellen,  aus  denen  sie  entlehnen,  in  keiner  weise  zu  ver- 
stecken pflegen. 

Weiter  sollen  nach  Pfeiffer  die  bilder  einer  gewirkten 
tapete,  darstellungeu  aus  Ovids  Heroiden,  dem  (französischen) 
dichter  zur  erzählung  den  stoff"  geliefert  oder  wenigstens  — 
wie  er  mit  rücksicht  auf  das  bruchstiick  hinzufügt  — ■  die  an- 
regung  gegeben  haben.  Diese  behauptung  zeigt  deutlich,  dass 
Pfeiffer  die  worte  Rudolfs  über  Bliggers  Umbehauc  nicht  mit 
rechter  aufmerksamkeit  gelesen,  ihre  bedeutung  nicht  gehörig 
erwogen  hat.  Es  heisst  da,  der  von  Bligger  für  sein  gedieht 
ersonnene  plan  {funt)  sei  so  gewaltig,  dass  alle  dichter  iusge- 
sammt  ihn  nimmer  zu  ende  zu  führen  verständen.  Dem  ge- 
dieht sowie  dem  als  dessen  vorbild  gedachten  teppich  kommt 
seinem  plane  nach  Unendlichkeit  zu.  Wie  kann  man  also 
sagen,  dass  irgend  ein  wirklicher,  dem  leiblichen  äuge  des 
dichters  vorliegender  teppich  demselben  zu  seinem  gedichte  den 
Stoff  gegeben  habe?  Vielmehr  der  teppich,  dessen  bilder 
Bliggers    Umbehauc    beschrieb,     hatte    niemals    eine     andere 


RUDOLF  VON  EMS.  177 

existenz  als  in  der  phautasie  des  dichters  und  dann  seiner 
leser.  Es  konnte  denn  auch  das  gedieht  nicht  lediglich  aus 
der  Schilderung  einer  jedenfalls  beschränkten  anzahl  von  Situa- 
tionen aus  Ovids  heroideu  bestehen,  vielmehr  enthielt  es  solche 
darstellungen ,  so  sicher  nur  neben  vielen  anderen,  anderswo 
hergenommenen.  Auch  ist  es  keineswegs  so  ausgemacht,  wie  es 
nach  Pfeiffers  darstellung  scheinen  möchte,  dass  die  geschich- 
ten  "s'on  Penelope  und  Oenone,  wenn  sie  wirklich  im  Umbehanc 
mit  enthalten  waren,  auf  Ovids  heroiden  zurückgingen.  Hin- 
sichtlich der  Penelope  konnte  sich  Bligger  sehr  gut  an  das  an- 
lehnen, was  sich  bei  Herbort  von  Fritslar  troj.  kr.  17759  ff. 
oder  ausführlicher  in  dessen  quelle,  der  destruction  de  Troyes 
von  Benoit  de  Sainte-More  findet  (vgl.  Frommann,  Herbort  von 
Fritsl.  u.  Benott  de  Sainte-More  in  Pfeiffers  Germ.  II,  336), 
um  so  mehr,  als  für  den  weit  ausschauenden  plan  seines 
Werkes  kurze  geschichten  wol  höchst  wünschenswert  und  an- 
gemessen waren.  Ueber  Oenone  findet  sich  allerdings  bei 
Herbort  nichts  und  ebensowenig,  so  viel  ich  aus  den  auszügen 
Frommanns  a.  a.  o.  (vgl.  darüber  Dunger,  die  sage  vom  troj. 
krieg.  Leipz.  1869.  s.  32)  ersehe,  bei  Benoit.  Indes  so  gut  der 
dichter  nach  Ovid  etwa  den  abschied  des  Paris  von  der  Oenone 
darstellen  konnte,  eine  scene  von  ganz  modernem  Charakter, 
die  sich  bei  Konrad  von  Würzburg  troj.  kr.  v.  775  ff.  wirklich 
findet:  ebensogut  konnte  er  nach  dem  damals  viel  benutzten, 
allbekannten  Dictys  die  sage  widergeben,  wie  der  Oenone  beim 
aublick  der  vor  sie  gebrachten  leiche  des  Paris  vor  schmerz 
das  herz  gebrochen  und  sie  zugleich  mit  ihm  auf  einem  Scheiter- 
haufen verbrannt  worden  sei  (vgl.  Fuchs,  de  varietate  fabularum 
Troicar.  quaestiones  Colon.  1830  p.  138  und  Körting,  Dictys 
und  Dares,  Halle  1874  s.  43  f.).  Auch  diese  geschichte  hat 
der  fortsetzer  Konrads  von  Würzburg  mit  hinreichender  aus- 
führlichkeit  zur  darstellung  gebracht,  v.  45623  ff'.  Für  die 
zweite  möglichkeit  ist  aber  nicht  nur  gleiche,  sondern  sogar 
grössere  Wahrscheinlichkeit  zu  beanspruchen,  denn  in  jenem 
bilde  aus  den  heroiden  ist  nicht  sowol  Oenone  als  Paris  der 
handelnde  und  die  hauptperson,  und  überhaupt  dürfte  es  schwer 
halten,  aus  dem  Ovidischen  brief  eine  so  eftectvolle  scene  mit 
Oenone  als  hauptfigur  herauszufinden,  wie  die  ist,  welche  in 
Konrads  von  Wiir/burg  trojan.  krieg  nach  Dictys  erzählt  wird. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutscheu  spräche.    UI.  12 


178  SCHMIDT 

Endlich  urteilt  Pfeiffer  über  das  Heidelberger  bruchsttick, 
es  enthalte  eine  frei  erfundene,  an  die  antike  sage  nur  noch 
durch  den  namen  der  heldin  und  etwa  eine  hauptsituation  er- 
innernde geschichte,  zu  deren  ei-findung  der  dichter  durch  die 
bildliche  darstellung  der  antiken  sage  auf  einem  teppich  ange- 
regt worden  sei.  Indes  diese  auffai^sung  ist  schon  an  und  für 
sieh  betrachtet  eine  höchst  gezwungene.  Die  nach  sehr  be- 
kannten quellen  von  dem  teppichwirker  dargestellte  alte  sage 
muste  auch  dem  dichter  bekannt  oder  wenigstens  erkundbar 
sein.  Wie  sollte  er  darauf  kommen,  wenn  er  die  bilder  des 
teppichs  erklären  wollte,  an  stelle  jener  eine  geschichte  zu  er- 
finden, die  au  sie  in  nichts  erinnerte,  die  mit  ihr,  wie  Pfeiffer 
selbst  sagt  (s.  61),  vielleicht  nicht  mehr  als  den  namen  der 
heldin  gemein  hatte?  Doch  diese  erklärung  ist  ja  schon  gänz- 
lich zu  fall  gebracht,  da  wir  die  grundlage,  auf  der  sie  ruht, 
als  nichtig  erwiesen  haben.  Der  meister,  der  den  Umbehanc 
geschatfen,  ist  ja  gar  nicht  von  den  darstellungen  eines  fertigen, 
wirklichen  teppichs  abhängig.  Unter  diesen  umständen  er- 
scheint es  aber  nun  als  völlig  rätselhaft,  wie  die  Oenone  in 
eine  geschichte  hereinschneit,  die  mit  der  betreffenden  alten 
sage  auch  keinen  einzigen  zug  gemein  hat.  Man  wird  unwill- 
kürlich zu  der  Vermutung  geführt,  dass  hier  ein  misverständ- 
nis  oder  eine  Verderbnis  im  spiel  sei.  Auch  die  Schreibung 
des  namens  A'mune  ist  auffallend.  Dieselbe  aus  dem  griechi- 
schen Ohmvri  herzuleiten,  wie  Pfeiffer  tut,  geht  nicht  an.  Wer 
las  und  verstand  denn  damals  in  Westeuropa  griechisch?  Viel- 
mehr müsteu  wir  unbedingt  die  form  Oenone  erwarten,  welche 
sich  bei  Thomasin  v.  1036  und  beim  fortsetzer  Konrads  von 
Würzburg  a.  a.  o.  findet,  oder  höchstens  Egenoe ,  wie  der  letz- 
tere selber  v.  712.  731.  790  schreibt.  Die  form  Ainune  wäre, 
wenn  sie  wirklich  mit  Oenone  identisch  sein  sollte,  nur  aus 
der  nachlässigkeit  der  abschreiber  zu  erklären.  Doch  wer 
bürgt  uns  dafür,  dass  Mone  den  nur  an  einer  stelle  des  bruch- 
stücks  vorkommenden  namen  ganz  richtig  gelesen  hat  ?  *)  Viel- 
leicht hat  ein  anderer,  vielleicht  gar  kein  eigenname  an  der 
stelle  zu  stehen,  und  das  ende  der  zeile  gehört  schon  zu  der 
rede   der   ungenannten   königin.     Vielleicht   gelingt  es  jemand, 


•)  Die  hs.  des  bruchstücks  ist  jetzt  verschollen. 


RUDOLF  VON  EMS.  179 

wie  ich  in  meinem  ersten  artikel  für  die  zwei  Wörter  also  Ion 
den  eigennamen  Alsoion  hergestellt  habe,  hier  den  eigennanieu 
in  ein  paar  andere  Wörter  aufzulösen.  Auf  jeden  fall  hat  die 
könig-in  Ainune  —  Oenone  mit  der  heldin  der  alten  sage  nichts 
zu  tun,  vielmehr,  falls  das  bruchstück  aus  dem  Uml)ehanc 
stanmite,  so  böte  es  eine  directe  Widerlegung  der  freilich  über- 
haui)t  durch  nichts  bewiesenen  behauptung  Pfeiffers,  Wacker- 
nagels,  Jaenickes,  ßartschs*),  dass  jenes  gedieht  eine  reihe 
antiker  liebesgeschichten  enthalten  habe. 

Durch  das  eben  gesagte  ist  nun  aber  auch  die  von  Pfeiffer 
behauptete,  von  Bartsch  a.  a.  o.  bestätigte  Zugehörigkeit  des 
bruchstiicks  zum  Umbehanc  sehr  i)roblematisch  geworden.  Was 
vornemlich  dafür  zu  sprechen  schien,  war  doch  Oenone  als 
hauptfigur  des  bruchstiicks.  Denn  deren  geschichte  wurde, 
wenn  Docen  mit  seiner  Vermutung  über  die  schon  öfter  er- 
wähnte stelle  Thomasins  recht  hat,  im  Umbehanc  erzählt.  Was 
PfeilTer  sonst  noch  anführt,  um  die  herkunft  des  bruchstücks 
aus  Bliggers  gedieht  wahrscheinlich  zu  machen,  ^vird  allein 
kaum  jemanden  überzeugen.  —  Indes  wenn  Thomasin  die 
Oenone  unmittelbar  neben  der  Penelope  nennt,  so  meint  er 
sicherlich  die  antike,  troische,  die  gattin  des  Paris:  von  dieser 
aber  ist  die  des  bruchstiicks  nach  dem  gesagten  wol  zu  unter- 
scheiden. Ich  trage  daher  kein  bedenken,  mich  energisch 
gegen  diese  von  Bartsch  als  ausgemacht  behandelte  Vermutung 
Pfeiffers  zu  erklären.  Uebrigens  scheint  mir  auch  der  Charakter 
der  darstellung  des  bruchstücks  gegen  die  beziehung  desselben 
auf  den  Umbehanc  zu  sprechen.  Denn  die  erzählung  desselben 
fiiesst  in  breitester  behaglichkeit  dahin  und  macht  ganz  den 
eiudruck,  als  ob  das  gedieht  auf  bedeutenden  umfang  berechnet 
wäre.  Es  ist  aber,  wie  ich  schon  oben  angedeutet  habe,  nicht 
wahrscheinlich,  dass  Bligger  bei  der  menge  von  aventiuren, 
die  er  zusammenfasste ,  so  gar  breit  und  ausführlich  erzählt 
haben  sollte. 

Unter  diesen  umständen  liegt  es  nun  nahe  die  frage  zu 
erheben,   zu  welchem  gedieht  denn   sonst  wol  dies  bruchstück 


*)  Was  Bartscii  in  seiner  ausgäbe  des  Meleranz  v.  Pleier  s.  365 
üljer  das  Verhältnis  dieses  dichters  zu  Bligger  sagt,  ist  ebenfalls  nach 
dem  obigen  zu  berichtigen, 

12* 


180  SCHMIDT 

gehören  möge.  Leider  vermag  ich  dieselbe  nicht  zu  beant- 
worten, aber  den  bei  der  gegenwärtigen  Sachlage  einzig  mög- 
lichen nnd,  dünkt  mich,  erfolg  versprechenden  weg  zu  ihrer 
beantwortung  will  ich  wenigstens  kurz  andeuten.  Eine  haupt- 
pcrson  des  bruchstücks  ist  der  vertraute  der  königin  namens 
Willehalm  de  Punt  v.  143.  Ferner  spielt  die  in  dem  bruch- 
stiick  erzählte  geschichte  wol  auf  spanischem  boden,  in  Gali- 
cien  (v.  43  ff.:  manic  stolz  GaUziün  stuont  da  zühtecliche  vor 
der  küne(jmne  7'iche  vgl.  Pfeiffer  fr.  F.  65).  Ausgehend  von 
jenem  namen  und  mit  beriicksichtigung  dieses  umstände« 
mtiste  es,  mein'  ich,  einem  tüchtigen  kenner  der  mittelalter- 
lichen Sagenkreise  und  aller  darauf  bezüglichen  literarischen 
hilfsmittel  möglich  sein,  über  den  stoff  unseres  gedichts  und 
den  Zusammenhang,  in  den  die  erzäldung  des  bruchstücks  ge- 
hört, aufkläruug  zu  schaffen.  Es  sollte  mich  freuen,  wenn 
diese  bemerkung  dazu  den  anstoss  zu  geben  vermöchte. 

Es  bleibt  mir  jetzt  nur  noch  übrig,  zu  den  beiden  stellen 
selbst,  die  uns  über  Bligger  und  sein  gedieht  auskunft  geben, 
überzugehen  und  was  über  das  letztere  aus  denselben  nach 
meiner  meinung  zu  entnehmen  ist,  darzulegen.  Zunächst  die 
stelle  aus  Rudolfs  Alexander.  Es  scheint  mir  rätlich,  dieselbe 
in  umschreibender  Übersetzung  widerzugeben.  'Einen  plan 
{ßinff,  sagt  Rudolf,  'der  nimmer  zu  ende  geführt  wurde,  hat 
Bligger  von  Steinach  ersonnen.  Der  plan  ist  schön  (reizend  = 
los)  und  so  grossartig,  dass  aller  dichter  talent  ihn  nimmer  zu 
ende  zu  führen  im  stände  ist.  Das  ist  der  schöne  Umhang. 
Wäre  er  auch  5000  eilen  lang,  zu  ende  könnte  man  ihn  ge- 
mäss Bliggers  plan  damit  doch  nicht  bringen.  So  lange  das 
gedieht  fortgesetzt,  von  dem  gedieht  etwas  fertig  wird,  kann 
man  die  geschichte  darstellen,  wie  jede  aventiure  angibt.  In 
folge  dessen  kann  der  umhang  nie  fertig  werden.'  Also  Bligger 
führt  der  einbildungskraft  des  lesers  einen  unermesslich  grossen 
teppich  vor.  Die  bildlichen  darstellungen  desselben  zu  erklä- 
ren ist  die  aufgäbe  seines  gedichtes.  Der  teppich  und  also 
auch  das  gedieht  ist  seinem  plane  nach  unendlich,  kann  nie 
zu  ende  kommen,  der  teppich  kann  nie  ganz  angefertigt  w^erden. 
Das  legt  die  Vermutung  nahe,  dass  ihn  der  dichter,  der  dies 
jedenfalls  ebensogut  und  besser  einsah  als  Rudolf  von  Ems, 
einer  seiner  leser  —  dass  er  den  teppich   als   in  der  anferti- 


RUDOLF  VON  EMS.  181 

gung  begriffen  dargestellt  haben  wird.  Dafür  sprechen  auch 
die  ausdrücke  in  der  stelle  Gottfrieds,  die  wir  sogleich  be- 
trachten wollen.  Bliggers  plan  ging  aber  vielleicht  dahin,  die 
berühmten  liebesgeschichten  aller  zeiten  oder  alle  berühmten 
aA'entiurenstoffe  überhaupt  kurz  darzustellen.  Mit  irgend  welcher 
bestimmtheit  hierül}er  eine  meinung  aufzustellen  fehlt  es  an 
anhält.  Natürlich  konnte  also  Bligger  selbst  das  gedieht  nicht 
zu  ende  führen,  höchstens  dürfte  er  seinem  ins  unendliche 
strebenden  bau  ein  notdach  aufgesetzt  haben. 

Was  endlich  die  stelle  aus  Gottfrieds  Tristan  anlangt,  so 
will  ich  darüber  wenigstens  die  eine  bemerkung  hinzufügen, 
dass  in  den  gleich  zu  aufang  stehenden  versen: 

diu  stniu  wort  sint  lussam 

si  worhten  vrouwen  an  der  ram 

von  golde  und  ouch  von  siden; 
die  form  dieser  auf  einem  vergleich,  einem  bilde  beruhenden 
lobeserhebung  wol  sicher  gewählt  ist  im  hinblick  auf  die  ein- 
kleidung  des  hauptwerks  Bliggers,  auf  den  Umbehau c.  Damit 
erhalten  wir  also  für  das  aus  der  Alexanderstelle  geschlossene 
noch  eine  teilweise  bestätigmig. 

HALLE.  JOHANNES  SCHMIDT. 


An  den  ersten  teil  der  vorstehenden  Untersuchung  knüpfe 
ich  noch  einige  bemerkungen.  Die  versuche,  die  möglichkeit 
eines  deutschen  Ortsnamens  Alsoion  nachzuweisen,  können 
schwerlich  befriedigen.  Ferner  ist  es  bedenklich  nach  der 
einen  jungen  hs.  des  Alexander  die  in  allen  hss.  des  Wilhelm 
überlieferte  form  Absalon  oder  Absolon  zu  ändern.  Vielmehr 
würden  wir,  falls  wir  in  also  Ion  den  namen  des  dichters  zu 
suchen  haben,  umgekehrt  nach  der  Überlieferung  im  Wilhelm 
Absolon  conjicieren  müssen.  Da  wir  darin  unmöglich  einen 
Ortsnamen  erkennen  können,  so  müssen  wir  es  als  personen- 
namen  fassen.  Die  möglichkeit  dazu  eröffnet  sich  ohne  die 
geringste  änderung  der  Überlieferung,  wenn  wir  anders  als 
bisher  construieren.    Die  stelle  lautet  im  Zusammenhang: 

wolde  iuch  meister  Frigedanc 
getihtet  hän,  so  wserent  ir 
baz  für  komeu  danne  an  mir; 
oder  von  Absalöne 


182  PAUL 

Mau  hat  bisher  immer,  was  allerdings  zunächst  liegt,  oder  au 
den  Vordersatz  angeknüpft.  Es  Hesse  sicli  aber  auch  au  deu 
uaehsatz  auschliessen ,  was  allerdings  nicht  streng  logisch  sein 
wurde,  aber  der  natürlichen  redeweise  angemessen,  also  'oder 
von  Absalou  würdet  iiir  besser  zu  stände  gebracht  sein.'  Das 
einzige  störende  dabei  ist  der  Wechsel  in  der  construction  an 
mir  —  von  Absalöne.  Aber  dieser  ist  kein  absolutes  hinder- 
nis,  und  es  bietet  sich  kaum  ein  anderer  weg  aus  deu  Schwie- 
rigkeiten herauszukommen  ohue  die  Überlieferung  anzutasten, 
was  bei  der  reichlichen  anzahl  der  hss.  immer  l)edenklich  sein 
würde.  Der  name  Absalou  ist  wie  andere  aus  dem  alteu  testa- 
mente  im  mittelalter  angewendet  worden,  wenngleich  selten. 
Ausser  dem  bekannten  bischof  Absalou  von  Roeskild  fühieu 
ihn  ein  abt  von  St.  Amand  1124 — 1146,  welcher  in  verschie- 
denen geschichtsquellen  erwähnt  wird  Mon.  ÖS.  VII,  15,  9. 
VIII,  395,  38.  XIV,  558.  XXI,  323,  30;  ferner  ein  abt  von 
Stablo,  der  fünfzehnte  in  der  reihe  der  äbte  dieses  klosters 
nach  dem  Verzeichnis,  welches  Wattenbach  Mon.  SS.  XI,  292 
gibt ;  endlich  eiu  Böhme,  der  nach  dem  Chronicon  veteris  colle- 
giati  Pragensis  (Fontes  rer.  Austr.  SS.  2,  99)  im  jähre  1438 
mit  andern  böhmischen  cdelleuten  von  Deutscheu  gefaugeu  ge- 
nommen und  später  in  Meissen  gesteinigt  wurde.  Vermutlich 
werden  sich  noch  einige  mehr  ausfindig  machen  lassen.  Doch 
lässt  sich  schon  nach  den  angeführten  die  existenz  eines  dich- 
ters  Absalou  im  dreizehnten  Jahrhundert  nicht  als  unmöglich 
von  der  band  weisen.  Hierzu  würde  sich  nun  die  stelle  im 
Alexander  recht  gut  fügen,  ohne  dass  wir  die  immerhin  seltene 
Vertretung  der  person  durch  den  namen  des  heimatsortes  an- 
zunehmcu  brauchten.  Ich  will  indessen  nicht  unterlassen  dar- 
auf liiuzuAveisen ,  dass  sich  vielleicht  nach  einer  ganz  andern 
richtung  hin  eine  möglichkeit  eröffnet,  die  Schwierigkeiten 
dieser  stelle  zu  lösen.  Ich  halte  es  mit  Schmidt  für  unbedingt 
notwendig,  dass  der  friimt  bestimmt  bezeichnet  wird.  Dies 
würde  der  fall  sein,  wenn  wir  interpungieren : 

sin  hebete  min  friiiut  also  Ion 
an  gefüeger  Sprüche  don 
(die  sint  genuoc  guot  unde  reht), 
von  Kemenät  her  Albreht: 
des  knnst  gert  witer  schouwe. 


RUDOLF  VON  EMS.  183 

In  don  müssen  wir  wol  beziehung-  auf  sangbare,  strophische 
dichtungen  erkennen,  und  das  würde  auf  Albrecht  passen. 
Einen  vollkommen  befi-iedigenden  sinn  vermag  ich  freilich  in 
den  ersten  Worten  nicht  zu  finden.  Zweifelhaft  bleibt,  ob  hebele 
von  haben  oder  von  heben  abzuleiten  ist.  Es  Hesse  sich  viel- 
leicht entscheiden,  wenn  uns  Rudolfs  werke  vollständig-  vor- 
lägen, also  müste  jedenfalls  in  dem  sinne  von  ^ebenso'  ge- 
nommen werden  =  alsatn.  Gewöhnlich  sagt  man  allerdings 
in  diesem  sinne  also  ouch  oder  ouch  also.  Doch  auch  das 
das  einfache  also  oder  als  genügt,  wie  folgende  stellen  zeigen, 
die  im  nihd.  wb.  II  ■^,  463  a.  42  if.  mit  andern  untermischt 
stehen:  Walth.  35,  19  st  sehent  mich  bi  in  gerne,  also  tuon  ich 
sie.  Parz.  716,  6  du  soll  im  sin  ungemach  wenden  :  also  sol  er 
dir.  Nib.  1106,  1.  Trist.  12032.  Iw.  4260.  MF.  10,  2.  Stricker 
kl.  ged.  8,  31  und  bei  Rudolf  selbst  Bari.  17,  31  er  sagete  mir, 
er  wolde  sich  münechen.  db  besanle  er  mich  und  bat  mich  daz 
ich  tcete  also.  Will  etwa  der  dicliter  sagen:  dafür  (d.  h.  fin- 
den rat,  den  er  mir  erteilt)  würde  mein  freund  gleichfalls  lohn 
haben,  dank  ernten? 

FREIBURG  i.  Br.  H.  PAUL. 


ZUR  IWEINKRITIK. 


üerr  professor  Zacher  hat  neulich  in  seiner  Zeitschrift 
VII,  175  ff.  bei  gelegenheit  der  besprechung  einer  stelle  in 
Hartmanns  Iwein  veranlassung  genommen,  sich  gegen  die  kritik 
zu  ereifern,  die  ich  in  diesen  beitragen  I,  288  ff.  gegen  Lach- 
manns ausgäbe  gerichtet  habe.  Als  ich  dieselbe  veröffentlichte, 
war  es  meii>  eifrigster  wünsch,  dass  sie  auch  von  entgegen- 
gesetzter Seite  besprechung  linden  möchte,  damit  dadurch  die 
widersprechenden  ansichten  geklärt  und  gesichtet  würden  und 
die  Wahrheit  für  das  unbefangene  urteil  an  das  licht  käme. 
Solchem  wünsche  scheint  nun  Zachers  aufsatz  entgegen  zu 
kommen.  Aber  er  scheint  es  nur,  wie  sich  bei  näherer  be- 
trachtung  zeigt.  Er  unternimmt  es  nicht,  den  von  mir  vorge- 
brachten argumenten  nachzugehen  und  ihr  gewicht  durch  trif- 
tige gegengründe  zu  entkräften,  sondern  er  begnügt  sich  an 
einem  nach  seiner  meinung  einleuchtenden  beispiele  recht 
weitschweifig  zu  zeigen,  wie  sehr  ich  mich  mit  meiner  kritik 
verritten  habe,  um  sich  dann  in  gemeinplätzen  gegen  mich 
zu  ergehen.  Wie  es  scheint,  meint  er  damit  meine  anfech- 
tungen  von  Lachmanns  ausgäbe  abgetan  zu  haben. 

Sehen  wir  uns  einmal  die  stelle  an,  um  die  es  sich  zu- 
nächst handelt.  Es  ist  die  Schilderung  der  verschiedenen  Ver- 
gnügungen an  Artus  hofe  gleich  zu  anfang  des  gedichts.  Die 
hier  für  uns  in  betracht  kommenden  verse  lauten  in  Lach- 
manns erster  ausgäbe: 

männeclich  im  die  vreiule  nam 

der  in  do  aller  beste  gezam, 

dise  sprächen  wider  diu  wtp,  65 

dise  banecten  den  11p, 


ZUR  IWEINKRITIK.  185 

dise  tantzten,  dise  siingen, 

dise  liefen,  dise  Sprüngen, 

dise  horten  scitspil, 

dise  schuzzen  zuo  dem  zil,  70 

dise  retten  von  seneder  arbeit, 

dise  von  grözer  manlieit. 
In  der  zweiten  ausg-abe  hat  Lachmanu  retten  in  z,  71  nach  A 
gestrichen  gegen  die  Übereinstimmung  aller  ti))rigen  [ßDabcd, 
wozu  noch  die  Rostocker  und  Dresdener  papierhandschrift 
kommen),  und  dann  die  reihenfolge  von  69.  70,  welche  in  A 
fehlen,  mit  bc  umgekehrt  gegen  BDad  und  die  Rostocker  und 
Dresdener  hs.  Ich  habe  den  text  der  ersten  aufläge  recon- 
struiert,  nur  dass  ich  ausserdem  auf  grund  der  handschrift- 
lichen Überlieferung  vermutet  habe,  grozer  in  z.  72  möchte  ein 
späterer  zusatz  sein.  Also  die  wideraufnahme  der  ursprüng- 
lichen herstellung  Lachmanns  ist  das  grosse  verbrechen,  wegen 
dessen  Zacher  sich  für  berechtigt  hält  meine  ganze  kritik  zu  ver- 
urteilen. Zacher  spricht  mir  eine  richtige  Würdigung  der  motive 
ab,  durch  die  Lachmann  in  der  zweiten  ausgäbe  zu  seiner 
änderung  geführt  ist,  und  beschuldigt  mich  s.  185,  seinen  eigent- 
lichen und  wahren  beweggrund  verschwiegen  zu  haben,  näm- 
lich den  metrischen  anstoss  in  z.  71.  Ich  weiss  nicht,  ob  da- 
mit gesagt  sein  soll,  dass  ich  so  einfältig  gewesen  sei  den- 
selben nicht  zu  sehen,  oder  so  unredlich,  absichtlich  darüber 
hinwegzugehen.  Icli  habe  natürlich  keinen  meiner  leser  für  so 
unfähig  gehalten,  dass  er  erst  auf  diesen  grund  müste  auf- 
merksam gemacht  werden,  und  habe  daher  hier  so  wenig  wie 
an  den  meisten  übrigen  stellen  etwas  über  die  metrisclien  mo- 
tive Lachmanns  bemerkt.  Zacher  dürfte  auch  keine  bemer- 
kungen  darüber  vermissen,  wenn  er  von  der  einleitung  zu 
meiner  al)handlung  auch  das,  was  er  nicht  citiert,  gelesen  hat. 
Denn  da  ist  doch  auf  s.  290  deutlich  genug  gesagt,  dass  es 
meine  absieht  wäre,  zunächst  unbekümmert  um  die  metrischen 
regeln  durch  kritische  si(?litiing  der  Überlieferung  und  erwäguug 
des  vom  zusammenhange  geforderten  sinnes  den  wahrschein- 
lich echten  text  zu  ernnttoln,  dass  ich  mir  aber  eine  nicht 
bloss  auf  den  Iweiii  eingeschränkte  prüfung  der  gesammten 
Lachmannschen  metrik  für  eine  spätere  zeit  vorbehielte,  die 
dann  wider  zur  bestätigung  meines  kritischen  Verfahrens  dienen 
sollte.    Es  ist  mir  durch  die  umstände  noch  nicht  vergönnt  ge- 


186  PAUL 

wesen  mein  damals  gegebenes  wort  einzulösen,  aber  ich  habe 
mein  vorhaben  keineswegs  aufgegeben,  und  man  wird  leicht 
in  meiner  Gregoriusgabe  und  den  seitdem  in  diesen  beitragen 
erschienenen  kritischen  aufsätzeu  vorarbeiten  dazu  erkennen. 
Ich  gedenke  dann  seiner  zeit  auch  eine  hinlängliche  anzahl 
gut  beglaubigter  aualogieen  für  die  kürzung  i^ettn,  wenn  man 
es  graphisch  bezeichnen  will,  beizubringen.  Dass  gerade  das 
nämliche  wort  in  dieser  kürzung  noch  einmal  vorkomme,  wird 
niemand  als  notwendig  beanspruchen.  Weder  vier  hebuugeu, 
noch  Vereinfachung  der  consonanz  in  retten  noch  sogenannte 
schwebende  betonung  nehme  ich  au,  welche  drei  eventualitäten 
Zacher  als  unmöglich  zu  erweisen  sich  bemüht. 

Ich  konnte  mich  mit  der  lesart  der  zweiten  ausgäbe  nicht 
einverstanden  erklären,  weil  sie,  abgesehen  davon,  dass  sie 
etwas  gekünstelt  ist,  in  zwei  punkten  von  der  entschieden 
bestbeglaubigten  Überlieferung  abgeht.  Zacher  will  sich  nun 
bloss  in  dem  einen  punkte,  der  tilgung  von  retten  an  die  zweite 
ausgäbe  anschliessen ,  behält  dagegen  mit  den  meisten  hss. 
die  Stellung  v.  z.  69.  70  aus  der  ersten  bei.  Durch  eine  neue 
erklärung  glaubt  er  erst  das  richtige  verstäudnit;  für  die  stelle 
gewonnen  zu  haben.  Nämlich  von  in  z.  71.  72  ist  causal  zu 
fassen;  im  vorhergehenden  sind  die  teilnehmer  des  festes  in 
zwei  gruppen  geteilt,  welche  abwechselnd  je  in  einer  zeile 
vorgeführt  werden,  die  eine,  welche  der  neuen  aus  Frankreich 
gekommenen  mode  der  höfischen  Unterhaltung  huldigt,  was 
Hartmann  durch  senediu  arbeit  bezeichnet,  die  andere,  welche 
grösseres  gefallen  findet  an  der  altheimischen  pflege  des 
Waffenhandwerks,  was  der  dichter  durch  groziu  manheit  aus- 
drückt. Zacher  malt  die  Symmetrie,  welche  die  ganze  periode 
durchziehen  soll,  bis  ins  einzelste  aus.  Er  wundert  sich,  dass 
ein  so  scharfsinniger  kritiker  wie  Lachmann  nicht  schon  auf 
dieselbe  idee  gekommen  ist.  Ich  muss  gestehen,  so  wenig 
respect  vor  Lachmann  mir  auch  Zacher  zutrauen  mag,  so  viel 
habe  ich  gewis,  dass  ich  mich  über  das  gegenteil  wundern 
würde.  Denn  erstens  müsten  die  beiden  gruppen,  wie  es  auch 
im  nhd.  nicht  anders  sein  kann,  unbedingt  durch  Verschieden- 
heit des  pronomens  {dise  —  jene)  geschieden  sein,  da  sonst  die 
gliederung  und  insbesondere  die  beziehung  der  causalbestim- 
mungen  auf  diese  gliederung  gar  nicht  zu  erkennen  ist.    Zwei- 


ZUR  IWEINKRITIK.  187 

tens,  wenn  das  aueh  nicht  notwendig-  wäre,  so  würden  wenig- 
stens z.  67  und  68  jede  für  sich  eine  gegenüberstelluug  der 
beiden  grui^pen  enthalten,  also  dise  tantzten  und  dise  liefen 
der  seneden  arbeit,  dise  siingen  und  dise  sprungen  der  grbzen 
manheit  entsprechen.  Zachers  annähme  verlangte  dise  lanzten 
unde  (oder)  sungen,  dise  (oder  vielmehr /ewe)  liefen  mide  {oder) 
Sprüngen.  Drittens  passt  senediu  arbeit  gar  nicht  als  motiv  für 
die  erste  gruppe.  Der  ausdruck  kann  durchaus  nichts  anderes 
bedeuten  als  'liebespein'.  Nun  bezieht  sich  aber  von  den  vier 
aufgezählten  beschäftigungen  eigentlich  nur  die  erste  auf  die 
liebe.  Um  am  tanzen,  am  gesang,  am  anhören  von  saitenspiel 
vergnügen  zu  linden,  In-aucht  man  doch  nicht  verliebt  zu  sein. 
Und  besonders  merkwürdig  ist,  dass  man  vor  liebesweh  tanzen 
soll.  Ich  fasse  hier  nui-  in  bestimmte  worte,  'was,  meine  ich 
ein  einfaches  gesundes  gefiihl  einem  jeden  unbefangenen  sagen 
wird,  dem  Zachers  erklärung  vorgeführt  wird.  Wenn  aber  die 
echte  kritik  etwas  anderes  lehrt,  so  verzichte  ich  auf  diese 
kunst. 

Es  ist  mm  aber  auch  noch  ausserdem  zweierlei  gegen 
Zacher  und  für  meine  auft'assung  zu  bemerken.  Nemlich  ein- 
mal widerspricht  der  französische  text.  Zacher  weist  zwar 
eine  heranziehung  desselben  zur  vergleichung  zurück,  weil  der 
dichter  sich  hier  ganz  frei  bewege.  Aber  wenn  Hartmann 
auch  Clirestiens  Schilderung  aus  eigener  phantasie  erweitert 
hat,  so  bleibt  diese  doch  immer  die  vorläge,  von  der  er  aus- 
gegangen ist,  und  es  liegt  kein  grund  vor,  was  wir  im  deut- 
schen entsprechendes  finden,  nicht  auch  daraus  abzuleiten. 
Und  so  ist  es  doch  mindestens  in  hohem  grade  wahrschein- 
lich, dass  die  worte  dise  rettn  von  seneder  arbeit,  dise  von 
\grdzer]  manheit  diesen  versen  Chrestiens  entsprechen: 

li  un  vecontoient  noveles, 
li  autre  parloient  d'amors, 
des  angoisses  et  des  dolors  etc., 

gerade  wie  die  vorhergehenden  Zeilen 

eil  Chevalier  s'atropelerent 
la  Oll  dames  les  apelerent 
ou  dameiseles  et  i^iiceles 

frei  und  abkürzend  widergegeben  sind  durch  dise  sprächen 
tvider  diu  wip.    Zweitens  aber  ist   eine  andere  auft'assung  der 


188  PAUL 

liicke  in  A  möglieh.  Laehmann  gibt  in  den  Varianten  zur 
ersten  ausgäbe  an:  69.70  fehlen  A.  71  reiten  fehlt  A,  sodass 
also  zwei  litcken  angesetzt  werden.  Wir  können  statt  dessen 
aber  auch  sagen:  hörten  69  —  retten  71  fehlt,  so  dass  wir 
nur  eine  liicke  haben,  deren  anfang  und  schluss  nicht  mit  an- 
fang  und  schluss  eines  verses  zusammenfällt.  Von  dieser  art 
nun  sind  die  meisten  lücken  in  A,  wie  ich  s.  292  bemerkt 
habe,  wo  die  einzelnen  fälle  aufgezeichnet  sind.  Bei  der  m ehr- 
zahl ist  das  überspringen  von  einem  gleichen  worte  auf  das 
andere  die  veranlassung,  einige  male  aber  hat  die  auslassung 
auch  ohne  einen  solchen  grund  stattgefunden;  4388 — 9.  4793 — 5. 
7194.  5.  Es  ist  daraus  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  zu 
schliessen,  dass  das  original  von  A  noch  die  verse  nicht  ab- 
gesetzt hatte.  So  hätten  wir  also  eine  befriedigende  erklärung 
für  das  fehlen  von  retten  in  A,  und  es  ist  um  so  weniger  ge- 
wicht darauf  zu  legen. 

Was  nun  die  weiteren,  nicht  auf  die  erklärung  dieser 
stelle  bezüglichen  bemerkungen  Zachers  betrifft,  so  enthalten 
sie  eine  polemik  höchst  bedenklicher  art.  Statt  auf  die  sachei 
um  die  es  sich  handelt,  einzugehen,  berufen  sie  sich  immer 
wider  ganz  im  allgemeinen  auf  die  Vollkommenheit  der  Lach- 
mannschen  methode,  verlangen  also  blinden  autoritätsglauben, 
der  auf  die  prüfung  des  einzelnen  verzichtet.  Für  Zacher 
scheint  Lachmann  immer  der  eine,  absolut  consequeute  und 
unfehlbare  zu  sein,  bei  dem  sich  nicht  wie  bei  gewöhnlichen 
menschenkiudern  ivrtum  mit  der  Wahrheit  mischen  kann.  Daher 
kann  er  es  nicht  begreifen,  wie  man  ihn  einen  grossen  kritiker 
nennen  kann  und  doch  viel  au  ihm  auszusetzen  findet.  Daher 
sieht  er  die  einleitenden  bemerkungen  zu  meiner  abhandlung, 
die  sich  doch  nur,  soweit  dies  nicht  ausdrücklich  bemerkt  ist, 
auf  die  Iweinausgabe  beziehen,  seltsamer  weise  so  an,  als 
hätte  ich  damit  eine  Charakteristik  der  gesammten  kritischen 
tätigkeit  Laehmanns  geben  wollen.  Ich  muss  ihm  da  ent- 
gegenhalten, dass  ich  (und  nicht  ich  zuerst  und  allein,  sondern 
viele  andere  vor  und  mit  mir)  in  Lachmanns  verfahren  nicht 
so  durchgängige  consequenz  finde,  sondern  manche  Wider- 
sprüche, die  beseitigt  werden  müssen.  Ich  sehe  in  Überein- 
stimmung mit  der  gewis  bei  den  klassischen  philologen  allge- 
meinen ansieht,   die   hauptbedeutung  Lachmanns   für   die  ent- 


ZUR  IWEINKRITIK.  189 

Wickelung  der  pliilologie  darin,  dass  er  gegenüber  der  subjec- 
tiven  conjekturalkritik  und  dem  willkürlichen  eklekticismus  die 
richtige  Würdigung  der  objectiven  grundlagen  und  die  metho 
dische  benutzung  der  handschriften  durch  lehre  und  beispiel 
in  den  Vordergrund  gestellt  hat.  Aber  das  ist  nicht  das  ein- 
zige moment  in  Lachmanns  kritik.  Es  kommen  natürlich  auch 
für  ihn  beobachtungen  des  sprach-  und  versgebrauches,  logische 
und  ästhetische  erwägungen  in  bezug  auf  sinn  und  Zusammen- 
hang in  betracht.  Es  fällt  mir  nicht  ein  zu  leugnen,  dass 
Lachmann  auch  nach  dieser  seite  hin  grosse  Verdienste  hat 
und  insbesondere  um  unsere  deutsche  philologie  das  unschätz- 
bare, die  erste  anregung  zu  aller  eigentlich  kritischen  Über- 
legung gegeben  zu  haben.  Aber  ich  kann  seiner  tätigkeit  in 
dieser  richtung  nicht  dieselbe  unbedingte  anerkennung  zollen 
wie  den  von  ihm  aufgestellten  grundsätzen  für  die  benutzung 
der  handschriftlichen  unterläge.  Und  nun  haben  die  subjec- 
tiven  demente  in  seiner  kritik  da,  wo  sie  in  widersprach  ge- 
rieten mit  der  objectiven  grundlage,  nicht  selten  den  sieg  da- 
von getragen,  so  dass  er  seinen  eigenen  principien  untreu  ge- 
worden ist.  Das  ist  vor  allem  in  der  Iweinausgabe  der  fall. 
Das  war  es,  was  ich  zu  zeigen  versucht  habe.  Zacher  braucht 
nur  mit  den  in  der  anmerkung  zu  s.  204  gegen  mich  citierten 
äusserungen  Lachmanns  die  kritischen  maximen  zu  vergleichen, 
die  ich  selbst  in  meiner  abhandlung  ausgesprochen  und  durch- 
zuführen versucht  habe,  und  er  wird  die  vollkommenste  Über- 
einstimmung finden,  dagegen  Widerspruch,  wenn  er  Lachmanns 
eigenes  verfahren  dagegen  hält.  Hier  wie  anderwärts  ist  es 
mein  bestreben  gewesen,  die  objectiven  grundlagen  der  kritik 
gegen  subjective  willkür  zu  verteidigen,  und  keine  Verdächti- 
gung meiner  motive  wird  mich  abhalten,  diesem  bestreben  treu 
zu  bleiben.  Zacher  dagegen  scheint  nur  gerade  das  subjective 
in  Lachmanns  kritik  zu  schätzen.  Er  spricht  s.  202  mit  Ver- 
achtung von  meiner  ' Variantenstatistik',  mit  der  der  kritiker 
ebensowenig  einen  kranken  text  heilen  könne  wie  der  arzt  mit 
einer  Statistik  der  physiologischen  zustände  den  kranken  men- 
schen. Dieser  nicht  gerade  sehr  passende  vergleich  ist  recht 
unglücklich  gewählt.  Denn  ich  könnte  im  bilde  bleibend  ant- 
worten: aber  diese  Statistik  ist  die  notwendige  Vorbedingung, 
nach   welcher    erst    das   heilverfahren   gefunden  werden  kann, 


190  PAUL 

uiul  die  erfülluug  dieser  vorbeding-iiüg-  ist  von  Laehmann  ver- 
absäumt worden  und  er  hat  deshalb  auch  nicht  den  richtigen 
weg  zur  lieilung  einschlagen  können.  Und  wenn  Zaclier  die 
Wahrheit  gesteheu  will,  so  wird  er  zugeben  müssen,  dass  ich 
nicht  bloss  eine  äusserliche  Statistik  gegeben  habe,  dass  ich 
auch  bemüht  gewesen  bin,  auf  den  sinn  des  dichters  einzu- 
gehen, dass  ich  gegen  Lachmanns  metrische  conjecturen  und 
bevorzugung  einzelner  hss.  nicht  bloss  das  handschriftenverhält- 
nis  geltend  gemacht  habe,  sondern  ebenso  gedankenzusammen- 
hang,  vergleichung  mit  dem  französischen  texte  u.  s.  f.,  und 
dass  ich  innere  und  äussere  kriterien  in  Zusammenhang  und 
Übereinstimmung  zu  bringen  versucht  habe.  Etwas  anderes 
wäre  es,  wenn  Zacher  zeigte,  dass  meine  Überlegungen  und 
Zusammenstellungen,  die  ich  keineswegs  als  durchgängig  sicher 
hingestellt  habe,  nicht  richtig  gemacht  wären,  dass  ich  zwar 
von  unzweifelhaft  auch  nach  Lachmanns  sonstiger  lehre  rich- 
tigen principien  ausgegangen  wäre,  dieselben  aber  falsch  au- 
gewendet hätte,  dass  es  doch  noch  eine  von  mir  übersehene 
möglichkeit  des  verwantschaftsverhältnisses  der  hss.  gäbe,  wo- 
nach Lachmanns  verfahren  sich  rechtfertigen  Hesse.  Aber  zu 
einer  solchen  sachlichen  behandlung  der  frage  hat  Zacher 
auch  nicht  den  geringsten  versuch  gemacht,  und  daher  weiss 
ich  nicht,  inwiefern  ich  meine  ansieht  durch  ihn  in  irgend 
welcher  weise  erschüttert  sehen  könnte. 

Eine  eingehende  erörterung  der  metrischen  Streitfragen 
verspare  ich,  wie  bemerkt,  auf  eine  spätere  gelegenheit.  Hier 
nur  noch  ein  paar  bemerk ungen  über  Zachers  Verteidigung  der 
Lachmannschen  regeln.  Dass  dieselben  nur  aus  verhältnis- 
mässig wenigen  willkürlich  ausgewählten  werken  geschöpft 
seien,  erklärt  er  für  eine  ganz  falsche  behauptung.  Aus  der 
gesammten  alt-  und  mittelhochdeutschen  poesie  habe  Lachmann 
seine  metrik  gezogen  (also  wol  auch  aus  demjenigen  teile  der- 
selben, den  er  noch  nicht  kannte  und  nicht  kennen  konnte?). 
Zum  beweise  dafür  führt  Zacher  an,  dass  Lachmann  bereits 
im  jähre  1822  die  reime  von  29  mittelhochdeutschen  werken 
ausgeschöpft  hatte.  Ich  möchte  wol  wissen,  was  diese  nach 
andern  selten  sehr  verdienstliche  arbeit  Lachmanns  mit  den 
von  mir  bekämpften  regeln  für  den  Innern  vers  zu  tun  hat. 
Ich  habe  ferner  nicht  behauptet,  dass  Lachmann  sich  um  den 


ZUR  IWEINKRITIK.  191 

Versbau  selir  vieler  ihm  zugänglichen  werke  gar  nicht  geküm- 
mert habe,  sondern  nur,  dass  er  eine  sehr  beschränkte  zahl 
als  mustergiltig  aufgestellt  hat.  Zum  beweise  meiner  behaup- 
tung  brauche  ich  nur  die  in  diese  zahl  aufgenommenen  dichter 
oder  gedichte  aufzuführen:  Hartmann,  Wolfram,  Walther,  Nibe- 
lungenlied, Klage,  Wigalois  und  zwei  dichter  sehr  untergeord- 
neten ranges,  Ulrich  v.  Zatzichoven  und  Ulrich  von  Türheim. 
Schon  nicht  ganz  correct  ist  Konrad  Fleck.  Dabei  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  Wolfram  zwar  im  übrigen  die  complicierten 
regeln  sorgfältig  beobachten  soll,  aber  in  bezug  auf  kürzungen 
ziemlich  unbeschränkt  ist,  so  dass  dergleichen  metrische  roh- 
heiten, wie  sie  Zacher  in  reWi  sieht,  bei  ihm  massenhaft  zu 
finden  sind.  Auch  andern  von  den  erwähnten  dichtem  wird 
darin  manches  nachgesehen.  Dagegen  sind  z.  b.  Heinrich  von 
Veldeke  und  Gottfried  von  Strassburg  in  der  metrik  arge 
Stümper  und  auch  Rudolf  von  Ems  und  der  so  peinlich  genaue 
Konrad  von  Würzburg  lassen  sich  vieles  zu  schulden  kommen. 
Ist  das  nicht  willkür?  Sehr  kühn  endlich  ist  die  behauptung 
Zachers,  Lachmanns  regeln  seien  nichts  anderes  als  eine  ge- 
ordnete Zusammenstellung  der  metrischen  tatsachen.  Wenn 
die  Sache  so  einfach  wäre,  so  wüste  ich  nicht,  wo  ich  das 
verdienst  Lachmanns  sehen  sollte,  ausser  in  dem  sammelfleiss. 
Ist  denn  nicht  auch  l^ei  ganz  sicher  und  richtig  überliefertem 
texte  in  unzähligen  fällen  noch  die  möglichkeit  zu  einer  ver- 
schiedenen auflfassung  des  Versbaues?  Da  liegt  nichts  auf 
flacher  band.  Da  bedarf  es  der  umsichtigen,  durch  keine  vor- 
gefasste  meinung  getrübten  erwägung  aller  möglichkeiten ,  der 
sorgfältigen,  wolmotivierten  Scheidung  von  zufall  und  absieht, 
an  der  es  Lachmann  ganz  hat  fehlen  lassen.  Und  nun  kommt 
noch  die  Unsicherheit  und  das  schwanken  der  Überlieferung, 
welche  es  dem  metriker  sehr  erleichtert,  alles  nach  seinen 
regeln  zu  zwängen,  zumal  wenn  er  sich  gestattet,  die  sonst 
geltenden  kritischen  grundsätze  mit  füssen  zu  treten.  Wahr- 
lich, es  ist  noch  nicht  zeit,  auf  den  lorbeeren  Lachmanns  träge 
auszuruhen,  was  freilich  das  bequemste  wäre.  Es  fehlt  noch 
viel  daran,  dass  wir  es  so  herrlich  weit  gebracht  hätten,  wie 
es  nach  Zacher  der  fall  sein  müste. 

Doch  ich  habe  vielleicht  mit  dieser  erwideruug    schon  zu 
viel  papier  verschwendet,   mehr  als  ich  vor  den  leseru  dieser 


192  PAUL 

beitrüge  verantworten  kann.  Es  ist  zu  besorgen,  dass  Zacher 
mit  einer  solchen  Verteidigung-  der  Iweinausgahe  seiner  sache 
einen  schlechten  dienst  geleistet  hat  und  dass  er  auch  bei 
denen  wenig  dank  ernten  wird,  die  mit  ihm  an  Lachmanns 
autoi-ität  unerschüttert  festhalten. 

FREIBUKG  i.  Br.,  Juni  187Ö.  H.  PAUL. 


ZUM  EREC. 


44    daz  getwerc  enwolte  ir  niht  sagen 
unde  hiez  si  stille  dagen 
uude  daz  si  in  vermite : 
si  enweste  war  nach  si  rite. 

Die  letzte  zeile  ist  sinnlos.  Durch  Bechs  weglassung  von 
nach  wird  nichts  gewonnen.  Er  scheint  nach  seiner  erklärung 
die  zeile  nicht  mehr  zur  rede  des  zwerges  zu  ziehen.  Wenn 
aber  si  enweste  hauptsatz  wäre,  könnte  nicht  fortgefahren  wer- 
den diu  magst,  wodurch  offenbar  ein  neues  subject  hervor- 
gehoben wird.  Ich  glaube  es  ist  ez  enweste  zu  lesen,  auf 
den  zwerg  bezogen.  Es  entsprechen  doch  wol  die  worte 
Chrestiens  205  ca  ne  sai  ie  qu'ä  faire  aiez,  wozu  noch  zu  ver- 
gleichen ist  165  qu'alez  vos  ceste  pari  querant. 

76  er  sprach  'nü  mugt  ir  mir  gesagen.  Hinter  ir  hat  die 
hs.  weniger  man,  was  von  Haupt  aus  metrischen  gründen  ge- 
strichen ist.  Aber  bei  Chrest.  redet  Erec  den  zwerg  an  nains 
enuions.  Man  vergleiche  ausserdem  119  ein  sus  wenec  man. 
Wenn  man  eine  metrische  nachhülfe  für  nötig  hält,  so  ist 
jedenfalls  die  ausstossung  von  nü  w^eniger  bedenklich. 

80     iwern  herren  sult.  ir  mir  nennen: 
min  frouwe  wolde  in  erkennen 
und  daz  schoene  magedln. 

Ich  weiss  nicht,  ob  Haupt  und  Bech  magedln  als  subject 
oder  als  object  genommen,  auf  die  Jungfrau  der  königin  oder 
die  gefährtin  des  fremden  ritters  bezogen  haben.  Ersteres 
würde  man  aus  den  werten  am  natürlichsten  herauslesen,  letz- 
teres wird  nach  26  erwartet:  7ver  der  ritter  müge  sin  und  sin 
geverte  daz  magedln.  Es  wird  das  kolon  hinter  80  zu  streichen 
und  81  in  klammer  zu  setzen  sein. 


ZUM  EßEC.  193 

121  und  ich  im  daz  muoz  vertragen.  Die  hs.  m,ust\  es 
liegt  gar  kein  grund  zur  ändevung  in  das  praes.  vor, 

;}62.  3.  Besser  wol  der  punkt  hinter  phlac  und  hinter  Lac 
ein  komma. 

372     mit  samite  bezogen; 

dem  daz  golt  was  unerlogen 

daz  daz  bette  ein  man  nie  möhte  erwägen. 

dem  soll  nach  Haupt  und  Bech  auf  heite  bezogen  werden. 
Ich  glaube  kaum,  dass  dies  möglich  sein  wird,  wenn  man 
nicht  mit  Bech  das  erste  daz  gegen  die  hs.  streicht.  Aber 
wozu  das  ?  Kann  man  nicht  einfacher  dem  auf  samite  beziehen  ? 

417    und  swä  si  der  habe  misten, 
ir  not  si  bedahten 
mit  ziihten  swä  st  mähten. 

Das  doppelte  swä  ist  störend.     Man  lese  statt  des  zweiten  srvie. 

705  sin  welle  diemüete  j'ehen.  Statt  dieser  conjectur  Lach- 
manns hat  Bech  gewis  mit  recht  in  näherem  anschlusse  an 
die  hs.  gesetzt  esn  wellen  in  die  Hute  jehen,  wenn  man  auch 
nicht  sicher  sein  kann,  daran  gerade  den  genauen  Wortlaut  des 
ursprünglichen  textes  zu  haben.  Nur  muss  die  zeile  zum  vor- 
hergehenden und  niclit  zum  folgenden  gezogen  werden.  Es 
kann  nicht  davon  die  rede  sein,  dass  es  von  dem  belieben  der 
leute  abhängt,  ob  der  kämpf  stattfindet  Vielmehr  ist  die 
meinung,  dass  die  leute  dem  Yder  den  sperber  zugestehen, 
wenn  sie  ihn  als  sieger  im  kämpfe  erkannt  haben. 

728.  9,  Der  ausdruck  gewinnt  sehr,  wenn  man  statt  da 
— sä    dö — so  setzt. 

797.  Besser  vielleicht  schoene  statt  schöne,  so  dass  dann 
auch  gar  als  adj.  zu  fassen  ist. 

1259.  e7-n  müeze  der  wärheite  jehen  kann  nicht  heissen 
Svoferu  er  die  Wahrheit  sagen  will',  sondern  nur  'es  sei  denn, 
dass  er  die  Wahrheit  sagt',  was  an  dieser  stelle  widersinnig 
ist.  Die  hs.  hat  er  muss.  Vielleicht  muoz  er  vgl.  muoz  ich 
leben  Parz.  590,  30.    Wh.  210,  6. 

1359.  60.  Besser  hinter  war  ein  punkt,  hinter  guotes  ein 
komma.  Wir  haben  dann  die  beliebte  gegentiberstellung  von 
guot  und  muot. 

1386.  Statt  der  conjectur  Imäin  ist  die  handschriftliche 
lesai-t  Ein  man  wider  lierzustellen.     Der  dichter  will  doch  nicht 

Beiträge  zur  geschichte  der  dcut&cheii  spräche.    111.  1<J 


194  PAUL 

sagen,  dass  Imain,  der  die  kosten  zur  bewirtung  gab,  sieh  be- 
t<ondcrs  amüsierte,  sondern  ein  jeder,  de)b  fr  enden  nie  verdräz, 
d.  li.  der  empfänglicli  war  für  freude. 

1516.  Lucdns  der  schenke  in  der  schar.  Die  hs.  hat 
schein  hinter  schenke  ^  welches  von  Pfeifler  und  Haupt  ledig- 
lich aus  metrischen  gründen  gestrichen  ist.  Aber  nach  dem 
?■  /u  des  französischen  erwartet  man  ein  verbum ,  und  schinen 
in  der  bedeutung  'sich  zeigen',  überhaupt  'vorhanden  sein'  ist 
Hartmann  geläufig  cf.  Greg.  240  si  schein  in  unmuote;  Iw.  3120 
der  nietider  in  den  siten  schein;  vgl.  auch  Iw.  3956.  4280. 

1525.     Für  daz  ist  wol  da  zu  lesen. 

1567.  Das  überlieferte  mil  mantele  behangen  brauchte  wol 
nicht  geändert  zu  werden. 

1606    s6  was  üzer  strite 
diu  frouwe  Enlte 
diu  aller  schoeneste  magt. 

Schwerlich  kann  üzer  strite  =  äne  strit  gebraucht  werden. 
Wenn  wir  nun  beachten,  dass  1607  statt  diu  die  hs.  bietet  es 
was  die  und  dazu  die  von  Haupt  angezogene  stelle  des  Wig 
vergleichen,  so  ergibt  sich,  dass  der  ursprüngliche  text  wol 
lautete:  so  was  ez  üzer  strite  :  ez  was  diu  etc. 

1730.  31.  Besser  das  ausrufungszeichen  nach  nam  und 
ein  komma  nach  gezam. 

1810  und  1820  hat  die  hs.  U  sinem  boten,  während  Haupt 
ohne  not  den  plur.  slnen  herstellt.  Die  richtigkeit  des  sing, 
beweist  1470  swenn  im  sin  böte  quoinie. 

1811  ist  vielleicht  besser  in  klammer  zu  setzen,  dahinter 
ein  komma  und  das  kolon  hinter  hüs  zu  streichen,  so  dass 
zwene  souincere  apposition  zu  guot  ist. 

1884.  Die  verschiedenen  besserungsversuche  sind  unbe- 
fi'iedigend;  vielleicht  vor  dem  da  von  {von  dem  da  die  hs.). 

2266.  7  sind  wol  zu  lesen:  swaz  aber  im  des  gebrast,  daz 
meinde  (daran  war  schuld),  er  was  da  ein  gast  {Er  maynet  dass 
er  was  da  ein  gast  die  hs.). 

2309.  Man  kann  sich  nicht  vorstellen,  wie  die  buckel 
zerbreit  sein  soll.  Dies  epitheton  kommt  den  buckelstäben  zu. 
Daher  ist  das  kolon  hinter  zerbreit  zu  streichen  und  ein  komma 
hinter  ris  zu  setzen. 

2484.     Ich  möchte  vorschlagen,  mit  möglichstem  anschluss 


ZUM  EREC.  195 

an  die  hs.  7a\  lesen  des  wart  grcezliche  gejehen.  im  was  des 
ähents  geschehen,  da  von  er  pris  bejagte. 

3017.     Wol  ir  vor  dienest  einzuscliieben. 

3110.  Die  klammer  ist  zu  streichen,  davor  ein  komma, 
daliiiiter  ein  punkt  zu  setzen.  Erec  will  doch  auch  schon  am 
tage  nach  aveniim^e  wäne. 

3222.  Was  berechtigt  zu  der  conjectur  kei^i  antwurten  bot 
statt  kein  antwurt  enbot  {empot  die  hs.)? 

3303.  Diese  zeile  ist  doch  wol  nur  deshalb  für  schlecht 
erklärt  und  verworfen,  weil  sie  metrischen  anstoss  erregte. 
Von  selten  des  sinues  ist  nichts  an  der  Überlieferung  auszu- 
setzen. 

4187.  Bech  hat  wol  mit  recht  die  Überlieferung  wider 
hergestellt.     Nur  wird  ein  iu  hinter  si  einzuschieben  sein. 

Nach  1317  ist  eine  lücke  anzunehmen  und  in  4318.  19  ist 
dadurch  die  Überlieferung  gestört.  Es  muste  geschildert  wer- 
den,  auf  welche  weise  Erec  mit  dem  Guivreiz  zusammentrift't, 
wie  ihn  Enite  zueist  erblickt  und  ihren  mann  warnt,  was  aus- 
führlich im  französischen  texte  berichtet  wird  3651 — 3750. 
Nach  der  Überlieferung  ist  es  eine  starke  Zumutung,  er  in  4318 
auf  Erec  zu  beziehen.  Die  werte  als  si  in  gewarnet  hcete  setzen 
doch  wol  voraus,  dass  diese  warnung  bereits  erzählt  wor- 
den ist. 

4348.  durch  sinen  spot  ist  jedenfalls  falsch ,  denn  Erec 
spricht  ganz  ernsthaft.     Eher  könnte  man  äne  spät  erwarten. 

4636.  gevieret  ist  conjectur  für  gemeret.  Bech  erklärt  es: 
Vierfach  geteilt  oder  vierfach  zusammengesetzt,  vier  verschie- 
dene selten  zeigend,  nämlich  treue  und  untreue,  kühnheit  und 
feigheit.'  Aber  kann  man  das  wol  als  vier  einander  coordi- 
nierte  eigenschafteu  fassen,  welche  dem  herzen  eines  mannes 
anhaften?  Der  dichter  will  doch  sagen,  dass  sich  in  Keiis 
herzen  grosse  gegensätze  vereinigten,  dass  er  eine  doppelseitige 
natur  Avar;  er  will  eine  Zweiteilung,  nicht  eine  vierteilung  be- 
haupten. Haupt  selbst  scheint  nach  den  angezogenen  parallel- 
stellen gevieret  als  ^beständig,  unwandelbar'  zu  fassen.  Das 
passt  aber  doch  nicht  auf  den  gerade  sehr  wandelbaren  Cha- 
rakter Keiis.     Vielleicht  ist  geparrieret  zu  lesen. 

4717.  Statt  Haupts  conjectur  snelle  ist  das  überlieferte 
seine  wider  herzustellen:  wiewol  er   das  allerbeste  ross  hatte, 

13» 


196  PAUL 

kehrte  er  doch  so  langsam  zurück,  dass  Ercc  folgen  konnte 
(auch  ie  für  m  4719  wird  heizubchalten  sein;  besser  wäre 
allerdings  uoch  Bechs  coujectur  er  ervolget).  In  Haupts  texte 
erkennt  man  weder  einen  gegensatz,  der  doch  durch  doch  in 
4714  bezeichnet  sein  muss,  noch  begreift  man  wie  es  eine 
folge  der  Schnelligkeit  Keiis  sein  kann,  dass  Erec  ihm  folgt. 
Bech  ändert  zu  gewaltsam. 

5175.  An  der  Überlieferung  so  fuor  si  hin  und  schein  doch 
sä  wird  nichts  zu  ändern  sein  {doch  da  Haupt,  dort  sä  Müller, 
Bech 2):  'sie  fuhr  fort  und  zeigte  sich  doch  alsbald',  d.  h.  'sie 
kehrte  alsbald  zurück'.  Diesen  sinn  verlangt  5169—72^  wozu 
hier  nur  eine  weitere  erläuteruug  gegeben  wird.  Haupts  con- 
jectur  würde  nach  seiner  erklärung  auf  dasselbe  hinauskommen, 
aber  er  muss  erst  eine  künstliche  deutung  hinzufügen,  die 
schwer  aus  den  Worten  herauszubringen  ist. 

5437.     Besser  wol  iu  statt  iuch,  von  leide  abhängig. 

5812  ist  statt  im,  welches  von  Müller  und  danach  von 
Bech  in  der  zweiten  ausgäbe  gestrichen  ist,  das  überlieferte 
niht  herzustellen  und  dann  ein  komma  hinter  gezimt  zu  setzen. 
Der  sinn  von  5808 — 14  ist:  'habe  ich  mich  in  irgend  einem 
stücke  gegen  meinen  mann  vergangen  in  ungehöriger  weise, 
und  nimmt  mir  ihn  dann  deine  gewalt,  so  erkenne  auch  ich 
an,  dass  mir  das  gebührt. 

6894.  Der  mäne  bot  in  schmie  naht  der  do  was  unbedaht. 
Die  hs.  hat  der  do  der  wölken  was  bedackht.  Bech  macht  dar- 
aus der  wölken  was  endaht.  Dass  aber  der  entgegengesetzte 
sinn,  wie  ihn  die  Überlieferung  gibt,  richtig  ist,  lehrt  Chrest. 
4965  qu'en  l'ombre  d'une  nue  brune  s'esloit  esconsee  la  lune. 
Es  wird  nur  der  in  von  oder  mit  zu  verwandeln  sein. 

7244.  Statt  vol  ist  wol  nach  der  hs.  herzustellen.  Ebenso 
7293.  8364.     Vgl.  meine  aum.  zu  Greg.  895. 

7361,  Ist  nicht  für  vezzel  das  überlieferte  vizzel  beizu1)e- 
halten?  vgl.  vizzelvech  und  hohevizzelich  im  mhd.  wb. 

7469.  70.    Besser  ein  komma  nach  began  und  nach  meister- 

7691.  Die  frage  ist  sonderbar  affectiert,  und  der  ivlze 
schhi  kann  doch  nicht  veste  vnde  spcehe  genannt  w^erden.  Es 
wird  dar  umbe  zu  setzen  sein  und  die  Interpunktion  davor  und 
dahinter  zu  streichen,  veste  unde  spa^he  ist  dann  auf  rinke  zu 
beziehen. 


ZUM  EREC.  197 

7752.  3.  zwischen  den  gehangen,  guole  goltklangen.  Haupt 
bemerkt,  dass  er  die  reimenden  Wörter  nicht  geändert  habe, 
obwol  er  sie  nicht  nachweisen  könne.  In  der  ersten  ausgäbe 
^st  gehenken  —  goltklenken.  Auch  diese  Wörter  sind  im  mhd. 
nicht  nachzuweisen ;  es  ist  damit  weiter  nichts  gewonnen ,  als 
dass  man  in  gehenke  allerdings  eine  mögliche  und  im  nhd. 
wirklich  vorhandene  bildung  hat,  während  gehanc  wol  kaum 
denkbar  ist.  Aber  einfacher  wird  durch  änderung  der  Inter- 
punktion geholfen:  ein  komma  nach  7751,  der  punkt  hinter 
gehangen  gestrichen  und  hinter  goltklangen  ein  kolon.  gehangen 
ist  i)artic.  und  den  bezieht  sich  auf  die  einlif. 

8329.     Die  Überlieferung  kann  beibehalten  werden. 
FREIBURG  i.  Br.,  Juni  1875.  H.  PAUL. 


NACHTRAG 

(zu  s.  38  f.). 


Bei  der  oben  s.  38  f.  gegebeneu  ausführung  über  die 
indogermanische  eudung  des  acc.  plur.  consonantiseher  stamme 
ist  mir  folgendes  entgangen:  im  kretischen  sind  acc.  plur. 
solcher  stamme  auf  -avq  inschriftlich  überliefert,  nämlich  (poLvix- 
avc,  und  weniger  sicher  tfißaXXovz-avg,  <jrar7]Q-avc,.  Vgl.  Hey 
de  dial.  Cret.  diss.  inaug.  p.  50.  Diese  scheinen  meiner  an- 
nähme, das  gemein -griechische  suffix  -aq  des  acc.  plur.  sei 
nicht  aus  -ans  hervorgegangen,  zu  widersprechen.  Jedoch  ist 
folgender  ausweg  möglich. 

Das  kretische  rettete  in  allen  seinen  Aocalischen  declina- 
tioneu  den  alten  ausgang  des  aec.  plur.  auf  vg :  es  hatte  (UiQvä- 
vq ,  jiQsiyevzd-vc,  t6-i>c,  avro-vg  u.  a.,  die  erhalten  sind,  und 
unzweifelhaft  auch  solche  wie  *jt6Xi-vg,  ''"ly&v-VQ,  die  uns 
nicht  erhalten  sind.  Neben  allen  diesen  acc.  plur.  stand  ein 
entsprechender  acc.  sing,  auf  -v.  Da  nun,  wie  es  Hey  a.  a.  o. 
p.  49  anm.  2  an  einigen  bei  Hcsych  überlieferten  kretischen 
formen  {ytQoix-av,  ölß-av  oder  ölcp-nr)  zu  erkennen  glaubt, 
dasselbe  kretische  in  dem  acc.  sing,  der  consonantischen 
stamme  ebenfalls  das  \olle  alte  nasalversehene  -av  =  urspr. 
-am  noch  wahrte,  so  konnte  dieser  dialekt  leicht  dazu  gelangen, 
dem  -ai>  im  acc.  sing,  der  consonantischen  declination  ein  -avg 


198  OSTHOFF  -  NACHTRAG. 

im  acc.  plur.  gcgeuübci  zu  stellen.  Die  analogic  aller  anderen 
acc.  plur.  mit  ihrem  -rg  gegenüber  singularischem  -v  verführte 
hierzu,  zu  einer  ersetzuug  nämlich  des  alten  -aq  durch  -arq: 
neben  *  (poivlx-cw  trat  g:oivix-avg  an  f^tello  des  alten  (poivlx-ag, 
wie  jiQSLytvT(xvg  neben  '•'•  jiQtiytvtäv ,  rörg  neben  top  u.  s.  w. 
standen. 

Ich  will  jedoch  auch  immerhin  das  äusserste  einräumen 
und  zugestehen,  das  kretische  zeige  uns  wiiklich  in  seinem 
(poivlx-avg  die  ächte  urgriechische  gestalt  des  suffixes  des  acc. 
plur.,  und  gemein -griech.  -ag  müsse  also  dem  oben  s.  38  f.  ge- 
sagten zuwider  lautgesetzlich  auf  -avg  zurückgeleitet  werden. 
Alsdann  aber  bleibt,  wenn  mich  nicht  alles  täuscht,  immer 
noch  die  eine  rettung  übrig,  dass  man  annimmt:  in  solchem 
falle  hat  dann  vielmehr  schon  das  urgriechische  durch  eine 
solche  analogiebildung ,  wie  wir  sie  eben  speeiell  dem  kreti- 
schen zuzuweisen  suchten,  die  alte  indogermanische  endung 
-as  durch  -avg  verdrängt.  Jedenfalls  hat,  wer  mit  mir  -as  als 
das  einheitliche  casussuffix  der  indogermanischen  gruudsprache 
für  den  acc.  plur.  consonantischer  stflmme  verteidigen  zu 
müssen  glaubt,  ein  solcher  veranlassung  nicht  nur,  sondern, 
wie  man  sieht,  auch  gründe  dafür,  um  das  griech.  -ag,  falls 
eben  dieses  den  ansprach  macht  durchaus  aus  -avg  entstanden 
zu  sein,  mit  einem  noii  turbare  circulos  in  seine  schranken 
zurückzuweisen. 

Einmal  im  nachtragen  begriffen,  füge  ich  hier  nun  auch 
noch  folgende  bemerkuug  hinzu.  Bei  der  abfassung  des  obigen 
aufsatzes  über  die  n  -  declination  haben  mir  Benfeys  Unter- 
suchungen über  den  /--vocal  Orient,  u.  occid.  III  1  ff.  192  ff. 
nicht  vorgelegen.  Ich  erfülle  aber  hiermit,  um  misdeutungeu 
vorzubeugen,  eine  pflicht  der  gerechtigkeit  und  erfülle  sie  gern, 
indem  ich  anerkenne,  dass  dasselbe  priucip,  welches  ich  in  an- 
wendung  gebracht  habe,  um  die  entstehung  des  Unterschiedes 
starker  und  schwacher  casus  zu  erklären,  das  princip  des  ur- 
sprünglichen wechselnden  wortaccentes,  bereits  und  zuerst  von 
Beufey  in  den  genannten  aufsätzen  mit  unleugbarem  erfolg  für 
die  erklärung  der  vocalveränderungen  in  der  verbalflexion 
fruchtbar  gemacht  worden  ist. 

H.  OSTIIOFF. 


UNTERSUCHUNGEN  UEBER  DIE  SOGENANNTE 
VÖLSUNGA  SAGA. 


JNachdem  die  wüste  kritiklosigkeit,  die  lange  zeit  das 
gebiet  unserer  heldensage  zum  turamelplatz  grund-  und  zweck- 
loser erklärungsversuehe  gewälilt  hatte,  einer  nüchternen,  klaren 
forschung  hat  weichen  müssen,  als  deren  ausgangs-  und  höhe- 
punkte  wir  noch  immer  die  Untersuchungen  Wilhelm  Grimms 
und  Lachmanns  anzusehen  berechtigt  sind,  ist  eine  heilsame 
weiterförderuug  dieses  Studiums  zunächst  nur  von  der  sorg- 
fältigen prüfung  jeder  einzelnen  quelle  und  ihres  Verhaltens  zu 
andern  zu  erwarten.  Am  meisten  täte  eine  solche  monogra- 
])hische  darstellung  den  s.  g.  eddischen  liedern  not,  die  viel  zu 
lange  als  etwas  zusammengehöriges  sind  angesehen  worden. 
Vielversprechende  anfiiuge  dazu  bietet  die  abhandlung  Jessens  i): 
auf  die  notwendigkeit  der  prüfung  jedes  einzelneu  liedes  und 
der  sagenform  jedes  einzelnen  liedes  ist  denn  auch  neuerdings 
widerholt  hingedeutet  worden.-)  —  Der  jnörekssaga  ist  ver- 
schiedentlich die  aufmerksamkeit  in  neuerer  zeit  zugewant 
worden:  es  mag  hier  auf  die  arbeiten  Dörings^),  Storms*) 
und  Treutiers'*)  hingedeutet  werden.  —  Eine  eingehende 
Untersuchung  über  die  sogenannnte  Völsunga  saga  fehlt  noch, 
und  doch  ist  sie   in  manchen  punkten   unsere   alleinige  quelle 


')  Zs.  f.  deutsche  phil.  III,  1—84. 

-)  Vgl.  Th.  Möhiiis,  zs.  für  deutsche  phil.  I,  AM  ff.  K.  Maurer 
ebentl.  II,  441  ff. 

3)  Zs.  f.  deutsche  i)hi;.  II,   1—79.    265-202. 

*)  Sagnkredsene  om  Karl  deu  störe  og  Didrik  af  Bern  hos  de  nor- 
diske  folk,  Christiania  ls74. 

*)  Zur  ThiÖrekssaga.  Germ.  20,  151  ff'. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   Ul.  14 


^00  SYMONS 

iur  die  älteste  erreichbare  gestalt  der  heldensage.  Die  be- 
dauerusAverte  grosso  liickc  des  codex  Kegius  der  Eddalieder 
versagt  uns  gerade  über  die  schwierigste  i)artie  der  sage  die 
erwünschte  auskiiuft,  ein  verlust,  den  uns  die  kurzen,  verein- 
zelten andeutungen  der  erhaltenen  lieder  und  der  sprunghafte, 
wenig  eingehende  bericht  der  Snorra  Edda  nicht  ersetzen 
können.  Die  Völsunga  saga  allein  erzählt  ausführlich  und 
vollständig  diesen  wichtigen  teil  der  sage.  Ueberdies  bietet 
nur  sie  die  Vorgeschichte  von  Sigurds  ahnen  im  Zusammenhang. 
Skandinavische  gelehrte  haben  allerdings  der  Völsunga  saga 
widerholt  ihre  aufmerksamkeit  zugewant,  namentlich  Peter 
Erasmus  Müller  i),  Rudolf  Keyser'^),  vor  allem  aber  Sophus 
Bu-ge  in  der  musterhaften  einleitung  zu  seiner  ausgäbe  der 
sogenannten  Saemundar-edda^).  Die  anregung,  die  nament- 
lich Bugges  Untersuchungen  mir  gewährt  haben,  hebe  ich  um 
so  lieber  dankbar  hervor,  als  ich  in  vielen,  ja  den  meisten 
punkten  zu  abweichenden  resultaten  gelangt  bin.  —  Alle  diese 
Untersuchungen  aber  sind,  wie  es  die  natur  der  genannten 
Schriften  mit  sich  bringt,  nicht  eingehend  genug,  um  nicht  die 
wideraufnahme  einer  genauen  prüfuug  der  unschätzbaren  quelle 
wünschenswert  erscheinen  zu  lassen. 

Zunächst  werde  ich  suchen,  den  charakter  und  die  ent- 
stehungsgeschichte  der  sogenannten  Völsunga  saga  zu  bestim- 
men, dann  das  Verhältnis  zu  ihren  quellen  in  den  controlier- 
baren  partieen  der  saga  untersuchen,  daran  eine  prüfung  der 
der  lücke  in  R  entsprechenden  partie  schliessen,  an  die  sich 
endlich  eine  betrachtuug  der  ersten  die  Vorgeschichte  behan- 
delnden capitel  der  saga  reihen  wird. 

Erstes  Capitel. 

Charakter  und   entstehungsgeschichte   der  saga. 

Die  Völsunga  saga  ist  uns  überliefert  in  einer  einzigen 
isländischen  pergamenths.  (no.  1824  b.  4")  der  königlichen  biblio- 


0  Sagabibliothek  (SB)  II,  36—108. 

2)  efterladte  skrifter  I,  346—360. 

3)  norroen  fornkvaetJi  etc.     udg.   af  Sophus   Bugge    (Chria    1867) 
s.  XXXIV— XLI. 


VOELSUNGA  SAGA.  201 

thek  in  Kopenhagen.  Der  codex  ist  nach  älterer  vorläge  walir- 
scheiulich  um  den  rchluss  des  14.  Jahrhunderts  geschrieben.!) 
Alle  papierhss.  der  saga  gehen  auf  ihn  zurück.  Der  codex 
enthält  die  Völsunga  saga,  die  saga  af  Ragnari  LoÖbrük  ok 
sonum  hans  und  die  Kräkumäl.  Von  einer  Völsunga  saga  und 
Ragnars  saga  dürfte  aber  streng  genommen  nicht  die  rede 
sein,  denn  man  hebt  auf  solche  weise  aus  der  gesammteu  saga 
einen  teil  heraus,  dessen  selbständige  existenz  doch  nicht  zu 
erweisen  ist.  Der  titel  'Völsunga  saga'  ist  in  keiner  hs.  Ije- 
legt  und  lediglich  ein  später  eingesetzter  name.  Der  cod.  hat 
eine  Überschrift  gehabt,  die  aber  jetzt  gänzlich  unleserlich  ist; 
nur  eine  spur  des  ersten  buchstabens  ist  noch  sichtbar,  dessen 
Züge  Bugge  am  meisten  einem  G  zu  gleichen  schienen.  Nach 
cap.  42  aber,  also  vor  der  einführung  Aslaugs,  hat  der  cod. 
eine  rote  Überschrift:  Sagha  Raghnars  lodhrokar,  ohne  dass  im 
übrigen  irgend  eine  trennuug  zwischen  der  allgemein  sogenann- 
ten Völsunga  saga  und  der  sogenannten  Ragnars  saga  ange- 
deutet ist.  Die  meisten  späteren  hss.  aber  geben  die  für  beide 
sagas  gemeinsam  gültige  Überschrift:  saga  af  Ragnari  Lot)brdk 
ok  mörgum  ötirum  konungum  merkiUgum  (andere:  ok  sonum  lians). 
Die  trennung  beider  sagas  scheint  erst  durchgeführt  zu  sein 
in  ßjörners  ausgäbe.'^) 

Bei  diesem  stände  der  Überlieferung  ist  zwar  gegen  die 
trennung  beider  teile  der  saga  und  wol  auch  gegen  die  be- 
nennung  Völsunga  saga,  soweit  praktische  gründe  dazu  ver- 
anlassten, nichts  einzuwenden:  die  consequenzen  aber,  die  man 
aus  dieser  doch  ganz  secundären  trennung  gezogen  hat,  sind 
völlig  unberechtigt.  Die  beiden  jüngsten  ausgaben  der  Völ- 
sunga saga,  die  Rafus  in  dem  ersten  bände  der  Forualdar  sögur 
norbiiauda  (Koph.  1829),  s.  113  —  224,  und  die  jetzt  allein 
brauchbare  von  Sophus  Bugge  in  'det  norske  oldskriftselskabs 
samliuger.  VIII.  norröne  skrifter  af  sagnhistorisk  indhold.  Chria 
1865.  andet  hefte,  s.  83  — 192'  schliessen  die  Völsunga  saga 
mit  dem  ende  von  cap.  43.  Die  Überlieferung  könnte  höchstens 
dazu  berechtigen,  mit  dem  schluss  von  cap.  42  die  Völsunga 
saga  enden  zu  lassen.  —  Wichtiger  ist,  dass  auch  die  literatur- 


')  Weiteres  über  ihn  s.  Fas.  I,  XIII— XV.  Bugge,  Edda  s.  XXXIV. 
'^)  In  den  Nordiska  kämpadater,  Stockholm  1737. 

14* 


202  SYMONS 

geschiclite  sieh  daran  gewöhnt  hat,  eine  Völsunga  saga  und 
eine  Hagnars  saga  lo^hr.  als  zwei  ganz  verschiedene  denkmale 
zu  betrachten.  P.  E.  Müller  i)  hält  die  Rag-nars  saga  für 
wenig  später  verfasst  als  die  Völsunga  saga,  und  von  der 
Aslaugerzählung  meint  er,  dass  sie  hei  einer  spätem  bearbeitung 
letzterer  aus  der  Ragnars  saga  hinzugefügt  sei.  R.  Keyser-) 
findet  den  ton  der  Ragnars  saga  altertümlicher  als  den  der 
Völsunga  saga  und  vermutet,  dass  der  Verfasser  der  letzteren 
die  Ragnars  saga  bereits  vorfand.  Unsere  Überlieferung  weist 
uns  doch  zunächst  darauf  hin  ,  beide  sagas  als  ein  werk  und 
demgemäss  auch  als  das  werk  eines  Verfassers  anzusehen,  und 
erst  der  beweis,  dass  beide  sagas  nicht  denselben  Verfasser 
haben  können,  würde  im  stände  sein,  diese  fast  selbstverständ- 
liche ansieht  zu  erschüttern.  Ein  solcher  beweis  ist  meines 
Wissens  weder  geliefert  noch  auch  nur  versucht,  würde  auch 
schwer  zu  erbringen  sein.  Dass  der  codex  vor  cap.  43  die 
Überschrift  Ragnars  saga  bietet,  beweist  doch  nicht,  dass  hier 
eine  neue  saga  anfängt,  sondern  ist  nur  aus  dem  streben  des 
Schreibers  (vielleicht  auch  eines  späteren  ])esitzers)  hervor- 
gegangen, den  inhaltlichen  abschnitt,  der  leicht  erkennbar  war, 
zu  markieren.  Dass  diese  markieruug  nicht  einmal  die  rich- 
tige ist,  geht  doch  schon  daraus  hervor,  dass  die  herausgeber 
cap.  43  noch  zur  Völsunga  saga  gezogen  haben.  Mag  man 
nun  aber  mit  cap.  42  oder  c.  43  die  Völsunga  saga  beschliessen, 
die  kenutuis  der  vorhergehenden  erzählung  wird  in  der  soge- 
nannten Ragnars  saga  stets  vorausgesetzt.  Möglich  wäre  indes, 
dass  die  Verbindung  beider  sagas  erst  eine  spätere  wäre,  dass 
es  eine  ältere  Völsunga  saga  gegeben  habe,  an  die  später  die 
Ragnars  saga  geknüpft  sei,  und  bei  dieser  gelegenheit  wäre 
die  Aslaug  in  die  Völsunga  saga  hinein  interpoliert.  Das  ist 
ungefähr  die  ansieht  P.  E.  Müllers.  —  Eine  stütze  für  diese 
ansieht  wäre  auch  darin  zu  finden,  dass  Th.  Möbius^)  eine 
andere  redaction  der  Völsunga  saga  voraussetzen  zu  müssen 
geglaubt  hat.  ßugge  "*)  hat  sich  ihm  darin  angeschlossen. 
Möbius  schliesst  das  aus  einigen  abwcichuugen,   Zusätzen  und 

»)  SB.  11,  97,  482. 

2)  Efterl.  skrift.  I,  394. 

3)  Edda  s.  XII  ff. 

*)  Edda  8.  XXXIV. 


VOELSUNGA  SAGA.  203 

auslassungen  der  auf  den  acht  ersten  capiteln  der  saga  be- 
ruhenden rimur  frä  Völsungi  hiuum  öborna  des  Kälfr  skald 
(vitulus  vates) ').  Diese  annähme  scheint  mir  doch  unnötig. 
Die  einzige  wirklich  in  betracht  kommende  abweichung  ist 
die,  dass  der  rimurdichter  str.  53  im  einklang  mit  Yngl.  s.  c.  9- 
die  offenbar  echte  weibliche  SkaÖi,  die  gattin  des  NjörÖr,  an 
stelle  des  männlichen  namensgenossen  der  saga  einsetzt.  2) 
Nun  hat  aber  nachweislich,  wie  Möbius  selber  zugibt,  der 
dichter  für  seine  ziemlich  confus  präludierende  einleitung  (str. 
1 — 50)  SE  form.  c.  10  ff.  und  Yngl.  s.  c.  5  ff.  oder  aber  eine 
beiden  gemeinsame  quelle  benutzt,  so  dass  doch  die  annähme, 
welche  Möbius  zurückweist,  der  dichter  habe  die  correctur  auf 
grund  der  Yngl.  s.  bewirkt,  weitaus  grössere  Wahrscheinlichkeit 
hat.  Die  andern  ab  weichungen  aber,  die  Möbius  zusammen- 
stellt, sind  ein  paar  ungeschickte  zusätze,  ein  paar  auslassungen 
und  fehlerhafte  namen,  die  gewis  dem  dichter,  nicht  aber 
seinen  quellen  zufallen.  Geben  wir  aber  auch  vollends  diese 
andere  redaction  der  saga  zu,  so  hätte  diese,  abgesehen  von 
der  einen  richtigkeit,  lauter  fehlerhaftes  geboten,  und  zwar 
lauter  fehler,  die  auf  eine  jüngere  zeit  hindeuten. 3)  Diese 
redaction  wäre  demnach  jedenfalls  nur  als  eine  jüngere  anzu- 
seheu.  —  Allein  auch  im  übrigen  ist  die  ansieht,  dass  die  an- 
knüpfung  der  Eagnars  saga  an  die  Völsunga  saga  nicht  die 
ursprüngliche  gestaltung  der  sage  gewesen  sei,  nicht  haltbar. 
Dass  die  einführuug  der  Aslaug  derselben  tendenz  wie  die  an- 
fügung  der  geschickte  Ragnars  und  seiner  söhne  angehört,  ist 
gewis  unbestreitbar.  Eine  widerholung  der  beweisgründe  da- 
für, dass  Aslaug  der  echten  sage  nicht  angehört  haben  kann, 
dass  die  eddischen  lieder  nur  ein  keusches  Verhältnis  zwischen 
Sigurd  und  Biynhild  kennen,  dass  die  einführuug  der  Aslaug 
eine  tendentiöse  erdichtung  ist,   um   die   abstammung  der  nor- 


*)  Her.  in  Möbius  Edda  (Leipzg.  1860)  s.  240—254,  nach  cod.  AM 
604  G. 

2)  Näheres  unten. 

3)  So  z.  b.  wenn  die  heiraten  Sigis  und  Rerirs,  von  denen  der  saga- 
schreiber  nichts  wüste,  näher  bestimmt  werden.  Ersterer  wirbt  um  die 
Schwester  zweier  briider  in  GarÖariki  (str.  72 — 74),  letzterer  wird  durch 
die  ehe  mit  IngigerÖr,  könig  Ingis  tochter,  herr  von  Svia-ok  GarÖariki 
(str.  86 — 94).    Wer  möchte  darin  etwas  sagenhaftes  sehen? 


201  SYMONS 

weyisclieu  köiiigsfamilic  von  deu  Völsungen  zu  ermöglichen, 
glaube  ich  mir  ersparen  zu  köuncn,  indem  ich  auf  die  orte 
verweise,  wo  genügend  darüber  gehandelt  ist.')  Hätte  es  also 
eine  ältere  Völsunga  saga  gegeben,  so  liegt  der  schluss  nahe, 
dass  diese  noch  nichts  von  der  Aslaug  gewust  hat,  und  erst 
bei  gelegenheit  der  Verbindung  derselben  mit  der  Ragnars  saga 
jenes  bindeglied  eingeschoben  ist.  Allein  die  ganze  anläge  der 
Völsunga  saga  zeigt,  wie  tief  die  eiufiihrung  der  Aslaug  sie 
beeinflusst  hat.  Bloss  um  ihretwillen  ist,  wie  später  gezeigt 
werden  soll,  eine  Verlobung  der  Sigrdrifa  mit  Sigurd,  von  der 
die  Edda  nichts  weiss,  eingeschoben;  bevor  ßiynhild  an  Gjukis 
hof  kommt,  übergibt  sie  Heimir  die  Aslaug  zur  erziehung  c.  27 
(ß.  146,  22).  Und  Hesse  sich  auch  das  noch  als  spätere  inter- 
polation  auifassen,  unmöglich  ist  dies  der  fall,  wenn  die  Völ- 
sunga saga  c.  31  (B.  161,  12  f.)  in  der  prophezeiung  der  ster- 
benden Brynhild  die  werte  des  im  übrigen  treu  paraphrasier- 
ten  dritten  Sigurdsliedes  str.  64,  5 — 6: 

]7a  er  öU  farin 

sett  SigurÖar 

ändert  in:  ok  |?ä  er  farin  öll  a3tt  yÖur  (d.h.  der  Gjukunge). 
Die  änderung  hat  natürlich  Aslaug  verschuldet,  da  durch  sie 
Sigurds  geschlecht  nicht  ausstirbt;  sie  ist  aber  so  subtil,  dass 
niemand  sie  einem  interpolator  oder  bearbeiter  wird  zuschrei- 
ben wollen.  —  Es  ist  also  daran  festzuhalten,  dass  Völsunga 
saga  und  Ragnars  saga  ein  ursprüngliches  ganze  bilden,  und 
man  eigentlich  nicht  das  recht  hat,  von  einer  Völsunga  saga 
zu  sprechen,  sondern  nur  von  einer  Ragnars  saga. 2)  —  Ein 
verschiedener  ton  in  beiden  sagas  ist  nicht  wegzuleugnen,  er- 
klärt sich  aber  hinlänglich  durch  die  Verschiedenheit  der  zu 
gründe  liegenden  quellen ;  wo  der  Verfasser  ohne  quelle  schreibt 


')  SB  II,  94  ff,  476  flf.  HS-  355.  Muüch ,  det  norske  folks  historie 
1, 1,  371.  407.  Rassmaun,  die  deutsche  heldensage  I,  191.  Grimdtvig,  udsigt 
over  den  nordiske  oldtids  heroiske  digtniug  (Kbh.  1S67)  s.  37.  —  Munchs 
beliauptung  aber  a.a.O.  371,  emzelue  eddische  lieder  gäben  deutlich  zu 
verstehen,  dass  Sigurd  mit  Brynhild  die  tochter  Aslaug  hatte,  bevor  sie 
mit  Gunnar  vermählt  ward,  ist  durchaus  ungerechtfertigt:  nicht  die  leiseste 
andeutung  darauf  findet  sich. 

2)  Trotzdem  behalte  ich  die  einmal  üblich  gewordene  bezeichnung 
bei,  die  man  ohne  pedanterie  nicht  wird  verdrängen  können. 


VOELSUNGA  SAGA.  205 

—  und  das  ist  nicht  selten  — ,  zeigt  sich  gleiclimässig  eine 
anlelinung  an  den  stil  der  nordischen  romanübersetzungen  des 
13.  Jahrhunderts,  vorzüglich  seiner  zweiten  hälfte.^)  Glaublich 
ist  auch,  dass  die  ereignisse  der  heldeusage  nicht  ohne  einfiuss 
auf  die  darstellung  der  Schicksale  Ragnars  gewesen  sind.  Es 
liegt  wenigstens  nahe,  bei  der  tötung  des  drachen  und  dem 
tod  im  ormgarÖ  an  die  tötung  Fafnirs  und  Gunnars  ende  zu 
denken,  und  es  ist  nicht  unglaublich,  dass  der  gemeinsame 
Verfasser  von  Völsunga  saga  und  Ragnars  saga  diesen  paralle- 
lismus  verschuldet  hat.  Dass  die  Kräkumäl  ersteres  ereignis 
auch  kennen,  spricht  gar  nicht  dagegen,  denn  das  alter  dieses 
gedichts  ist  überaus  zweifelhaft.^) 

Das  mittelglied,  durch  das  dem  sagaschreiber  die  an- 
kntipfung  Ragnars  an  die  Schicksale  des  Völsungengeschlechts 
gelang,  war  Aslaug,  eine  tochter  Sigurds  und  der  Brynhild, 
die  dem  Ragnarr  loÖbrök  vermählt  wird.  Es  ist  von  hohem 
Interesse,  die  entstehung  dieser  Aslaugfiction  etwas  näher  ins 
äuge  zu  fassen,  vor  allem  ihr  alter  zurilckzuverfolgen. 

Munch^)  hat  zuerst  in  lichtvoller  weise  dargetan,  dass 
in  der  Aslaugsage  zwei  verschiedene  elemente  durchaus  zu 
trennen  sind.  Das  eine  ist  entschieden  eine  alte  sage,  die  sich 
in  Norwegen  localisiert  hat.  Sie  erzählt,  wie  in  alten  zeiteu 
eine  goldene  harfe,  in  der  ein  kleines  mädchen  lag,  an  ein 
felsenriflf  in  der  umgegend  von  Spangereid  getrieben  sei;  Aad- 
low  (Aslaug)  habe  das  mädchen  geheissen,  sie  sei  aber  Kraka 
genannt  und  von  ihren  pflegeeitern  zum  hüten  der  schafe  und 
ziegen  gebraucht;  später  jedoch  sei  sie  königin  geworden. 
Diese  erzählung  ward  noch  vor  nicht  langer  zeit  (1847  von 
Asbjörnsen)  im  munde  der  umwohner  von  Spangereid  bezeugt, 
und  wunderbar  ähnliche  züge  kennt  auch  unser  deutsches  mär- 
chen  'die  kluge  bauerntochter'.^)  Diese  sage  nun  weiss  nichts 
von  Ragnar,  nichts  von  Sigurd,  auch  nichts  von  Heimir  zu  er- 
zählen, ist  überhaupt  völlig  unabhängig  von   der  Ragnarsage. 


*)  S.  auch  Munch  a.  a.  o.  I,  1,  359,  anm.  1. 

2)  Jedenfalls  ist  es  christlich   (odda  messu  str.  11).     Vgl.  Jessen 
zs.  f.  deutsche  philol.  III,  28.  anm  4. 

3)  a.  a.  o.  s.  370  f.  407  (in  deutscher  Übersetzung  bei  Claussen,  das 
heroische  Zeitalter  [Lübeck  1S54],  s.  126— 12S.  174). 

*)  KHM  no.  94.  vgl.  dazu  III,  170  ff. 


20fi  SYMONS 

Zwei  dänische  lieder*)  und  ein  fiiiöischcs^)  dagegen  bieten 
nicht  mehr  die  alte  unverfälschte  sage :  sie  singen  von  Aslaug 
und  Raguar.  j\Iunclis  schluss,  dass  diese  sage  später  zur  Ver- 
herrlichung der  geschichte  Ragnavs  angewant  worden  ist,  in- 
dem man  das  arme  mädchen  einmal  zur  tochter  des  berühm- 
testen beiden  der  vorzeit,  des  SigurÖr  Fäfnisbani,  dann  aber 
zur  o-emahlin  des  Ragnarr  lo?5brök  machte,  von  dem  abzustam- 
men die  nachkommen  des  Haraldr  härfagri  sich  zur  ehre  an- 
rechneten, ist  unantastbar.  Die  Übereinstimmungen  mancher 
zlige  in  dem  deutschen  märchen  und  der  norwegischen  sage, 
zu  denen  die  brüder  Grimm  a.  a.  o.  noch  vieles  analoge  bei- 
bringen, zeigen  zur  genüge,  dass  wir  hier  nichts  künstliches, 
sondern  eine  uralte  erfindung  des  volksgeistes  vor  uns  haben. 
Für  uns  aber  ist  die  frage  von  besonderer  Wichtigkeit, 
wie  weit  die  benutzung  dieser  sage  für  Ragnars  genealogie 
sich  verfolgen  lässt.  Dass  die  ganze  geschlechtsreihe  von 
SigurÖr  Fäfnisbaui  bis  auf  SigurÖr  ormr  i  auga  mittelst  der 
Aslaug  und  ferner  mittelst  der  Jüngern  Aslaug  bis  auf  SigurÖr 
hjörtr,  Ragnhildr  und  Haraldr  härfagri  hinab  eine  einzige  künst- 
liche combination  eines  nordischen  hofgenealogen  ist,  um  seinem 
lierrn  nicht  allein  eine  glänzendere  abstammuug,  sondern  auch 
erbausprüche  an  einen  teil  des  Ragnarschen  reiches  neben  den 
königen  von  Dänemark  und  Schv.edeu  zu  verschaffen,  unter- 
liegt keinem  zweifei. 3)  vSehr  fraglich,  ja  eutscliieden  falsch 
ist  aber  die  ansieht,  als  sei  diese  genealogie  in  allen  ihren 
etappen  ein  gleichzeitiges  werk.  Um  das  zu  erweisen,  ist  ein 
tieferes  zurückgreifen  auf  die  quellen  unerlässlich.  —  Gehen 
wir  aus  von  dem  sogenannten  laugfeÖgatal^).  Munch^) 
schreibt  die  aufzeichnung  dieses  geschlechtsregisters  dem  lög- 
maÖr  herra  Haukr  Erlendsson  (f  1334)  zu.  Allein  diese  hypo- 
these  ist  nicht  erwiesen:  jedenfalls  deutet  diese  genealogie  auf 
höheres  alter  und  verdient  volles  vertrauen.  Das  langfeMgatal 
nun  weiss  von  Aslaug  als  gemahlin  des  Ragnar  nichts.  Eben- 
sowenig kennt  sie  eine  andere   unter   dem   titel   'series  runica 


')  Bei  Grundtvig,  Danm.  gamle  folkev.  I,  327  ff. 

2)  Bei  Hammershaimb,  SjürÖar  kvae?5i  s.  59  ff. 

3)  Munch  a.  a.  o.  I,  1,  407. 

*)  Langebeck,  SS.  rer.  dan.  I,  1  ff. 
^)  a.  a.  0.  I,  1,  241.  anm.  2. 


VOELSUNGA  SAGA.  207 

prima'    von   Langebeck ')     mitgeteilte    gesclileclitsreilie.      Sie 

sagt :  '  Tlia  var  Regner  Ivunung  Lodbroglie.    Tliore  liet  Drotning 

bans    ok    anner    Svanletbe.      Tba    var    Sivartli    kunung    suu 

Eegners  Lodbrogbe.' 

In  der  Heimskringla  kommt  Aslaug  nirgends  vor :  die  saga 

Halfd.  svart.2)  bietet  folgende  genealogie: 

Sigur?5r  hringr 

I 
Rai'narr  loÖbrök 

Sigur?5r  ormr  i  auga 

i 

A'slaiig  _.^  Helgi  hin  livassi 

I 
Sigurt5r  hjörtr 

I 
Ragnhildr Hälfdan  svarti 

I  ^ 
Haraldr  härfagri. 

Es  ist  demnacli  die  jüngere  Asiaug  bekannt,  die  ältere 
nicht.3)  Auf  dies  zeugnis  werden  wir  gewicht  legen  dürfen, 
denn,  olme  liier  die  verwickelte  Heimskringiafrage  berübren  zu 
wollen,  mag  nun  die  saga  Halfd.  svart.  Snorris  werk  oder  die 
redaction  eines  compilators  sein^),  ein  blosser  zufall  kann  das 
fehlen  der  älteren  Asiaug  hier  nicht  sein.  Vgl.  auch  Eyrb. 
s.  4.  8f. :  'en  möÖir  lugjalds  var  }>6ra,  döttir  SigurÖar  orms  i 
auga,  Ragnars  souar  loÖbrökar.'  Weiter  geht  diese  genealo- 
gie nicht. 

Die  quellen,  in  denen  der  altern  Asiaug  und  ihrer  ab- 
stammuug  von  Sigurd  erwähnt  wird,  sind  durchweg  jüngere 
und  zum  guten  teil  wenig  verlässige. 

1.  Landnämabök,  ViÖbtettir.  ^)  'SigurÖr  son  Sigmundar 
konungs,  er  kallaÖr  erFäfnisbani,  ok  Brynhildr  Budladöttir  ättu 
dottur   ])ä,   er  A'slaug  het;    hon   var   foedd   meö  Heimi  jarli  i 


')  a.  a.  0.  I,  29. 

2)  Hmkr.  ed.  Unger  s.  42  ff. 

3)  Ganz  so  wird  in  der  Har.  s.  liarf.  c.  14  Asiaug  als  gemahlin  Ra- 
gnars nicht  erwähnt. 

*)  Vgl  indes  K.  Maiu-er,   ahh.  der  kgl.  bair.  akad.  der  wiss.,    phil.- 
hist.  cl.  XI,  s.  651. 

")  Islend.  Sog.  (1S43)  I,  324  f. 


208  SYMONS 

llriiiji-döluni,  )>ar  til  er  liann  var  drepinn  . .  .  Ragnarr  lodbrok 
ütti  siÖar  A'slaugu,  döttur  SigurÖar  Fäfuisbana.'  —  Landnäma- 
bük  selber^  obwol  vcrscbiedentlich  von  Ragnars  gescblecht  die 
rede  ist,  weiss  nichts  von  dieser  genealogie;  die  handschriften- 
gruppe  aber,  die  jene  beilage  enthält,  ist  eine  jüngere,  aus  der 
ältesten  Laudnama  uudHauksbük  zusammengesetzte  recensiou.') 

2.  Der  jüngere,  ausführlichere  prolog  zur  Sverris  saga  aus 
Fläteyjarbök -)  kennt  diese  genealogie,  während  der  ältere, 
kürzere  ^J  nichts  davon  weiss. 

3.  In  der  O'lafs  s.  Tryggv.  findet  sich  die  einführung  nur 
in  der  ausführlicheren  redaction  der  saga,  wie,  mit  einfngung 
verschiedener  J^settir  und  sögur,  die  Fläteyjarbök  und  Fms. 
I  —  III  sie  darbieten.  Die  kürzere  redaction  Snorris  kennt 
sie  nicht. 

4.  Die  FüstbrceÖra  saga,  die  in  Fläteyjarbök  als  teil  der 
O'lafs  s.  h.  helg.  erscheint,  erwähnt  Aslaug  im  eingange  gleich- 
falls.4)  Auch  cod.  AM  132  fol.  aus  der  ersten  hälfte  des  14. 
Jahrhunderts  kennt  diese  genealogie.^)  Allein,  wenn  auch 
Avirklich  die  älteste  recensiou  dieser  vielfach  umgestalteten 
saga  sehr  früh  zu  setzen  ist^j,  gibt  uns  dies  dennoch  kein 
recht,  die  erwähnung  der  Aslaug  dieser  bereits  zuzuschreiben. 
Keinesfalls  ist  uns  die  älteste  recensiou  erhalten:  überdies  — 
und  dies  gilt  auch  für  andere  denkmäler  —  darf  man  bei  is- 
ländischen membranen,  besonders  der  Islendinga  sögur,  auf 
kleine  züge,  wie  die  genealogieu ,  kein  grosses  gewicht  legen, 
da  bei  der  eigentümlich  freien  Stellung  der  abschreiber  ihren 
vorlagen  gegenüber  Zusätze  und  ergänzungen  wie  auslassungen 
und  änderungen  ganz  gewöhnlich  sind.'') 

5.  Fläteyjarbök  kennt  Aslaug  noch  öfter  in  den  genealo- 


0  Vgl.  l'sl.  Sog.  I,  s.  XXXVIII  ff. 

2)  Fiat.  II,  533  ff.    Fms.  VIII,  1  ff. 

3)  Fms.  Vm,  5  ff. 
*)  Fiat.  II,  93. 

5)  Ausg.  von  Gislason  in  den  Nordiske  Oldskrifter  XV  (Kbhv. 
1852)  s.  5. 

0)  SB  I.  153  ff.    Grönlands  histor.  mindesm.  II,  270  f. 

^)  Darüber  vgl.  besonders  Möbius,  über  die  altnordische  phllologie 
im  skandinavischen  norden.  Leipz.  1864,  s.  24  ff. 


VOELSUNGA  SAGA.  209 

gien  des  sogenanuteu  frä  Fornjöti,   die   aber   bekanntlich    bis 
zur  kalmarischen  union  liiuabgehen. 

6.  Floamanua  saga^):  'MüÖir  SigurÖar  orms  i  auga  var 
A'slaug,  düttir  SigurÖar  Fäfnisbana  .  .  .  muöir  A'slaugar  var 
Brynhildr  BuÖladöttir.'  —  Aucli  dieses  zeugnis  ist  nicht  von 
gewicht,  denn  die  Fluamanua  saga  gehört  zu  den  jüngeren 
isländischen  sagas,  die  aus  verschiedenen  gründen  nicht  früher 
als  an  das  ende  des  13. Jahrhunderts  zu  setzen  sind. 2) 

7.  Die  erwähnung  der  Aslaug  im  }>ättr  af  Ragnars  so- 
num^)  erledigt  sich  dadurch,  dass  dieser  auf  die  saga  Ragnars 
konungs  ausdrücklich  bezug  nimmt. 

8.  Bei  weitem  am  beachtenswertesten  ist  die  erwähnung 
der  SE  Skäldskaparmäl  c.  42  4):  'eptir  SigurÖ  svein  liföi 
düttir,  er  A'slaug  höt,  er  fcedd  var  at  Heimis  i  Hlymdölum, 
ok  eru  j>aÖan  tettir  komnar  storar.'  —  Dass,  wenigstens  im 
grossen  und  ganzen,  die  Skäldskaparmäl  Suorris  werk  sind, 
haben  wir  der  allgemeinen  Versicherung  alter  Zeugnisse  gegen- 
über kein  recht,  anzuzweifeln.  Schwer  ins  gewicht  fällt  vor 
allem  die  Überschrift  der  Upsala-edda,  die  etwa  60  jähre  nach 
Snorris  tode  geschrieben  ist,  also  zu  einer  zeit,  da  kaum  an 
eine  absichtliche  oder  unwillkürliche  täuschung  zu  denken  ist. 
Man  wird  demnach  die  ursprüngliche  abfassung  etwa  mit 
R.  Keyser  zmschen  1221  und  1230  zu  setzen  haben:  der  ter- 
minus  a  quo  ergibt  sich  aus  den  dem  Hättatal  zu  gründe  lie- 
genden gedichten,  die  nicht  vor  1221  entstanden  sein  können, 
der  terminus  ad  quem  aus  der  Überlegung,  dass  Snorri  im 
letzten  vielbewegten  decennium  seines  lebens  wol  kaum  die 
müsse  zu  schriftstellerischer  tätigkeit  gefunden  haben  kann. 
Ob  auch  die  Gylfaginning  Snorris  werk  ist,  kann  hier  nicht 
untersucht  werden;  dass  aber  die  ausführlichste  redaction  der 
SE  mit  den  grammatischen  abhandlungen  erst  in  dem  zweiten 
oder  dritten  decennium  des  14.  Jahrhunderts  zu  stände  gekom- 
men ist,  unterliegt  keinem  zweifei. 

Der  bei  den  kenningar  des  goldes  eingefügte  überblick 
der   heldensage   wird  dennoch,   in  der  gestalt,   wie  r  sie   uns 


>)  Fs.  s.  119. 

•')  Fs.  XXIV  ff. 

3)  Fas.  I,  346. 

*)  ed.  AM  I,  370.    ed.  Jönsson  s.  123  f. 


•210  SYMONS 

bietet,  dem  Snorri  nicht  zuzuschreiben  sein.  Zunächst  ist  zu 
l)cacliten,  djiss  die  Upsalacr  hs.  (U),  die  diese  partie  in  weit 
kürzerer  gestalt  bietet,  die  erwühnuug  der  Aslauj^-  nicht  ent- 
hält. Es  ist  nun  freilich  die  herscheude  anschauung,  dass  die 
doch  jedenfalls  der  Überlieferung  nach  ältere  schwedisclie  re- 
daction  keine  weitere  geltuug-  als  die  einer  gekürzten  gestalt 
zu  ])eanspruchen  hat.  Diese  anschauung  beruht  al^er  keines- 
wegs auf  einer  gründlichen  liandschriftenuntersuchung,  die  in 
völlig  genügender  ausdehnung  mit  dem  zu  geböte  stehenden 
material  auch  kaum  auszuführen  wäre.  Indes  auch  nur  für 
das  engere  Verhältnis  von  U  und  r  wäre  die  aufnähme  dieser 
frage  von  hoher  Avichtigkeit:  sie  ist  wol  nur  zurückgehalten 
worden  durch  die  erwartung  des  lang  ersehnten  dritten  bandes 
der  arnamagnäanischen  ausgäbe.  Indem  ich  die  ausführlichere 
erörterung  dieser  frage  mir  vorbehalte,  wage  ich  doch  vorläufig, 
wenn  auch  ohne  beweisgründe,  folgendes  resultat,  das  sich  mir 
bei  selbständiger  prüfung  ergeben  hat,  hinzustellen:  in  U  liegt 
uns  eine  allerdings  gekürzte  gestalt  vor,  die  aber  auf  eine  vor- 
läge zurückgeht,  der  ein  unbedingter  Vorzug  vor  der  uns  in  r 
vorliegenden  gestalt  zuzuerkennen  ist.  Nichts  hindert  uns  an- 
zunehmen, dass  U  auf  eine  dem  ursprünglichen  werke  Snorris 
sehr  nahe  stehende  hs.  zurückgeht ,  die  allerdings  bereits  eine 
bearbeitung  erfahren  hatte,  z.  b.  die  zusetzung  des  prologs. 

"Wird  es  mir  durch  diese  allgemeine  Überlegung  bereits 
sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  erwähnung  der  Aslaug  der  SE 
ursprünglich  angehört  hat,  eine  weitere  beobachtung  kommt 
hinzu,  diese  annähme  gänzlich  hinfallig  zu  machen.  U  schliesst 
die  bei  gelegenheit  der  kenningar  des  goldes  eingefügte  episode 
mit  dem  tode  HreiÖmars:  das  ist  der  natürliche  schluss  der 
eingeschalteten  erzählung,  zu  einem  vollständigen  überblick 
über  die  heldensage  lag  ein  vernünftiger  grund  nicht  vor.  Diese 
erzählung  in  U  zeigt  benutzung  der  Eddalieder,  ist  aber  im 
übrigen  frei  und  selbständig  gemacht.  Ganz  anders  die  weitere 
erzählung  in  r:  in  ihr  finden  wir  neben  benutzung  erhaltener 
und  verlorener  lieder  und  wol  auch  der  prosa  in  E,  ganz 
augenfällige  Übereinstimmungen  mit  der  Völsunga  saga.  Da 
solche,  in  denen  uns  die  quellen  nicht  zur  vcrgleichung  vor- 
liegen, keine  beweisende  kraft  haben,  begnüge  ich  mich  mit 
der  anführung  einer  längeren  stelle: 


VOELSUNGA  SAGA.  211 

SE  I,  364.  Völs.  s.  B.  178,  5  ff. 

GuTinari  let  hann  kasta  i  orm-  nii  er  Gunnarr  konutigr  settr  i 

garÖ,  en  honiim  var  fengin  leyniliga  einu  ormgarci;  j^ar  väru  margir 
harpa,  ok  sl6  hann  meÖ  tanum,  ]?viat  ormar  fyrir,  ok  väru  [heudr] 
hendr  hans  väru  bun  dnar,  sva  hans  fast  buuduar;  Guörüii 
at  allir  ormarnir  sofnuÖu,  sendi  honum  hörpu  ei  [ua,  eu]  liann 
nema  si'i  naSra,  er  rendi  at  ho-  sy'ndi  sina  list  ok  sl6  börpuna 
num,  ok  hjö  svä  fyrir  flagbrjöskit,  meÖ  mikilli  list,  at  hauu  drap 
at  hon  steypÖi  höfÖinu  inn  i  holit,  strengiua  meÖ  tanum,  ok  lek  svä 
ok  haugöi  hou  a  lifrinni,  )?ar  til  er  vel  ok  afbragÖliga,  at  fair  ])6ttiist 
hann  d(3.  beyrt  hafa  svä  meÖ  höndum  slegit, 

ok  ]7ar  til  lek  hann  ]^essa  ij^rott,  at 
allir  sofnnt5u  ormarnir,  nema 
ein  nac5ra  mikil  ok  illilig  skreiÖ 
til  hans  ok  gr6f  inn  sinum  rana, 
pa,T  til  er  hann  hj6  hans  hjarta, 
ok  l^ar  let  hann  lif  sitt  meÖ  mikilli 
hreysti. 

Diese  stellCj  die  sich  au  vier  yerscliiedenen  orten  zerstreut 
iu  der  liedersamnduug-  findet  (Akv.  31.  Atlm.  66.  Drap  Nifl.  ß. 
264.  28  ff.  Oddr.  32),  lässt  kaum  eineu  andern  sehluss  zu,  als 
dass  die  eine  darstellung-  die  andere  gekannt  und  benutzt  liat. 
Dass  aber  die  saga  die  SE  benutzt  haben  sollte,  ist  doch  ganz 
unglaublich,  wenn  man  bedenkt,  welchen  nutzen  sich  wol  die 
lange,  ausgedolmte  erzählung  der  saga  von  der  mehr  ange- 
deuteten als  ausgeführten  darstcllung  der  SE  hätte  versprechen 
können.  Es  wird  also  die  darstellung  der  Skäldskaparmäl  in 
ihrer  jetzigen  Fassung  ein  später  hinzugefügtes  stück  sein,  das 
neben  den  eddischen  liedern  aucli  die  Yölsunga  saga  gekannt 
und  benutzt  hat.  Dafür  spricht  auch  die  reihenfolge  der  SE. 
AsUiugs  erwähnuug  folgt  als  nachträglicher,  leicht  liingeworfener 
Zusatz,  da  sie  sicli  auch  in  der  Yölsunga  saga  unmittelbar  au 
die  erzählung  von  den  Gludrunsöhnen  anschliesst;  die  bemer- 
kuug  'ok  eru  )>aban  komnar  c^ettir  storar'  weist  avoI  auf  die 
weitere  darstellung  der  Ragnars  saga  hin. 

Die  hier  vorgetragene  ansieht  steht  nun  freilich  in  Wider- 
spruch mit  dem  von  Bugge*)  versuchten  nach  weis,  dass  SE 
die  uns  vorliegende  Sammlung  nicht  benutzt  haben  kann,  dass 
vielmehr  wenigstens  an  einer  stelle  der  sammler  der  lieder  die 
SE  benutzt  hat:    letzteres   hat   iu  weit  ausgedehnterem  masse 

*)  Edda  s.  XXVI  f. 


'212  SYMOKS 

iiamentlicli  Bergmann  angenommen.  *)  ßugges  nachweis  hat 
mich,  wenigstens  für  die  Skäklskaparmäl,  nicht  überzeugt.  Die 
freie,  gewante  prosa  der  SE  sticht  vorteilliaft  gegen  die 
schlechte  der  Sammlung  ab,  und  es  ist  doch  nicht  zu  glauben, 
dass  der  sammler  absichtlich  die  darstcllung,  die  er  vorfand, 
verscldcchtert  haben  sollte.  Im  einzelnen  dies  zu  erörtern, 
würde  weitab  führen;  ich  behalte  mir  den  genaueren  nachweis, 
dass  die  liedersammlung,  die  uns  in  R  vorliegt,  älter  ist  als  SE 
in  der  gestalt,  in  der  r  sie  uns  bietet,  und  dass  wir  die  ver- 
hältnismässig ursprünglichste  fassung  der  SE  in  U  zu  suchen 
haben,  vor.  —  Hier  kam  es  lediglich  darauf  an  zu  zeigen,  dass 
die  erwähnung  der  Aslaug  in  den  Skäldskaparmäl  wahrschein- 
lich auf  kenntnis  der  Völsunga  saga  zurückzuführen  ist,  jeden- 
falls ein  höheres  alter  für  diese  fiction  nicht  zu  erweisen 
vermag. 

Das  sind  die  stellen,  in  denen  mir  eine  erwähnung  der 
Aslaug  und  ihrer  abstammung  entgegengetreten  ist.  Noch  eine 
andcutung,  die  bereits  SB  II,  477  berührt  wurde,  kommt  in 
betracht.  In  der  Njäla  c.  14  2)  ward  von  der  zweiten  ehe  der 
Hallgerbr  mit  Glümr  erzählt.  Da  heisst  es:  'en  um  sumarit 
foeddi  hon  meybarn.  Glümr  sagÖi  henni,  hvat  heita  skyldi 
^hana  skal  kalla  eptir  föÖurmöÖur  minni,  ok  skal  heita  ]?6r- 
gerÖr,  |?vi  at  hon  var  komin  frä  SigurÖi  Fäfnisbana  1  föÖursett 
siuni  at  langfeögatölu.'  —  Die  existenz  der  x\slaugfiction  be- 
weist diese  stelle  noch  nicht.  Allerdings  ist  nach  der  echten 
sage  Sigurds  geschlecht  ausgestorben,  allein  leicht  konnte  es 
einer  geuealogie  einfallen,  den  berühmtesten  beiden  der  vorzeit 
als  Stammvater  zu  nehmen,  ohne  sich  über  die  folgen  rechen- 
schaft  zu  geben.  Dass  der  Njäla  die  Aslaug  selber  noch 
fremd  ist,  ersehen  wir  aus  der  genealogie  der  HallgerÖr  c.  1, 
die  grossmütterlicherseits  hinaufgeführt  wird  bis  Kagnarr  loÖ- 
brök,  aber  nicht  weiter.  Wäre  dessen  Vermählung  mit  Aslaug, 
Sigurds  tochter,  dem  Verfasser  geläufig  gewesen,  hätte  er  gewis 
diese  nicht  zu  nennen  vergessen. 

Es  wird  keine  übermässige  kühnheit  sein,   wenn  ich   als 


•)  Poemes  islandais  s.  174  f. 

2)  Udgivet    af    det    kongelige    nordlske    oldskrift-selskab    (Kbli, 
1875)  I,  65. 


VOELSUNGA  SAGA.  213 

resultat  dieser  Untersuchung  hinstelle,  dass  die  ankntipfung- 
des  Ragnarsclien  g-eschlechts  vermittels  der  Aslaug  au  die 
Völsunge  eine  erfindung  des  Verfassers  der  Ragnars  saga  ist. 
In  der  künstlichen  hofgcncalogie ,  die  den  naclikommen  des 
Haraldr  härfagri  ihre  nicht  übergrosse  legitimität  versüssen 
sollte,  bildet  diese  erdichtung  gewissermassen  die  zweite  stufe. 
Eine  dritte  und  die  letzte  überhaupt  denkbare  folgte  ihr,  wie 
im  A^erlauf  der  darstellung  gezeigt  werden  soll,  indem  dieses 
geschlecht  nun  hinaufgerückt  ward  in  den  götterliimmel.  Dass 
schon  vor  der  kühnen  fictiou  des  sagaschreibers  etwas  dieser 
genealogie  vorarbeitendes  in  der  luft  lag,  ist  gar  wol  denkbar: 
darauf  weist  ja  auch  die  besprochene  stelle  der  Njäla  hin. 
Ihre  wirkliche  literarische  bedeutung  hat  sie  aber  erst  durch 
unsere  saga  erhalten,  aus  der  sie  in  leicht  begreiflicher  weise 
mit  grosser  lebhaftigkeit  aufgefasst  und  verbreitet  wurde.  Auch 
lag  ja  der  anknüpfungspuukt  nahe.  Wie  eine  ältere  Aslaug 
als  gattin  Ragnars  aus  einer  Jüngern  Aslaug ,  der  tochter  des 
SigurÖr  ormr  1  auga  entstehen  konnte,  so  war  auch  anderer- 
seits der  name  SigurÖr  in  der  norwegischen  köuigsfamilie  so 
allgemein  (Sigur(5r  munr,  SigurÖr  sy'rr,  Sigurbr  hris),  dass 
er  zunächst  vermittelst  der  Ragnhildr  auf  SigurÖr  hjörtr  und 
vermittelst  der  Jüngern  Aslaug  auf  SigurÖr  ormr  i  auga,  dann 
aber  weiter  vermittelst  der  altern  Aslaug  auf  SigurÖr  Fäfuis- 
bani  führen  konnte.  Nebenher  mag  auch  die  Zufälligkeit  in 
betreff  des  auges  des  SigurÖr  ormr  i  auga  den  gedanken  an 
den  drachentöter  nahegelegt  haben,  woraus  dann  die  geschäf- 
tige dienstfertigkeit  des  sagaschreibers  das  gegenteil  machte, 
dass  Aslaug  dem  noch  ungeborenen  söhn  diesen  namen  nach 
ihrem  erlauchten  vater  bestimmt,  i) 

Die  grundlage,  auf  der  unsere  saga  basiert,  ist  also  nicht 
derart,  dass  wir  darauf  den  aufbau  einer  naiven  erzählung  er- 
warten können,  sie  trägt  die  tendenziöse  mache  an  der  stirn. 
Es  liegt  nahe,  anzunehmen,  dass  geradezu  eine  königliche  be- 
stellung  sie  beeinflusst  hat:  da  der  ton  der  erzählung,  wo  der 
Verfasser  ohne  quelle  gearbeitet  hat,  ein  weiteres  hinauf- 
rückeu    als    in  die   zweite   hälfte    des    13.  Jahrhunderts   ver- 


')  Kagn.  s.  c.  8  (Fas.  I,  257). 


214  SYMONS 

bietet '),  möchte  man  die  Vermutung  wagen ,  dass  der  könig 
lläkon  ganili  (1217 — 12(33),  dessen  literarisclie  neigungeii  auch 
sonst  bekannt  sind-),  der  abfassung  nicht  fern  gestanden  hat. 
An  und  für  sich  wäre  dadurch  noch  nicht  bedingt,  dass  die 
saga  in  Norwegen  geschrieben  ist,  denn  auch  sonst  spricht 
manches  dafür,  dass  das  genealogische  kunststück,  wenigstens 
in  seinen  anfangen,  auf  Island  zu  stände  gekommen  ist. 3) 
Beachtenswert  ist  aber  die  stelle  der  Völsuuga  saga  c.  43  (B* 
107,  17),  wo  es  von  Heimir  und  Aslaug  heisst,  sie  seien  zu- 
letzt gekommen  'hingat  ä  NorÖrlönd'.  Ich  bezweifle,  dass  ein 
Isländer  oder  doch  wenigstens  ein  Isländer,  der  auf  Island 
schrieb,  so  gesagt  haben  würde.  Bugges  bemerkung,  alles 
spräche  dafür,  dass  der  Verfasser  ein  Isländer  gewesen  sei, 
geht  jedenfalls  zu  weit.  4) 

Diese  künstliche  tendenz  ist  der  eine  gesichtspunkt,  den 
wir  bei  beurteilung  der  darstellung  unserer  Völsunga  saga  fest- 
halten müssen:  er  darf  freilich  nicht  zu  vorschneller  gering- 
schätzung  ihrer  angaben  veranlassen,  berechtigt  uns  aber,  bei 
prüfung  derselben  in  freierer  weise  vorzugehen,  als  dies  bis 
jetzt  der  fall  gewesen  ist. 

Ein  zweiter  gesichtspunkt,  den  zu  betonen  nicht  gleich- 
gültig ist,  muss  der  sein,  dass  wir  es  eben  mit  einer  saga  zu 
tun  haben,  das  will  sagen  einem  zu  unterhaltuugszwecken  be- 
stimmten buche,  das  der  sprödigkeit  seiner  quellen  gegenüber 
nicht  auf  dem  Standpunkte  einer  ungetrübten  widergabe  stehen 
bleiben  konnte.  Diese  quellen  waren  dazu  lieder,  von  ver- 
schiedenem alter  und  verschiedener  sagenform,  mannigfach 
unter  sich  streitend,  nicht  selten  sprunghaft  und  unklar,  ohne 
ein  festes,  geschlossenes  ganze  zu  l)ildcn.    Dem  sagaschreiber 

')  In  betreff  des  einflusses  der  j^iör.  s.  auf  die  datierungsfrage  vgl. 
uuteu  cap.  III. 

-)  Vgl.  Streugleikar  (udg.  af  Keyser  og  Unger  s.  1).  Andere  be- 
lege bei  Maurer,  abh.  der  kgl.  bair.  akad.  a.  a.  o.  s.  699. 

3)  Muuch  a.  a.  o.  I,   I,  407.  anm.  2. 

*)  Edda  s.  XXXV,  Dass  die  erhaltene  pergamenths.  eine  islän- 
dische ist,  kann  dafür  nicht  in  betracht  kommen,  da  sie  ja  nicht  erste 
nieder,-5t;hrift  ist.  Eventuelle  norwegische  indicien  wird  sie  wol  ver- 
wischt haben.  Am  besten  wird  man  an  einen  Isländer  in  Norwegen 
denken  können. 


VOELSUNGA  SAGA.  215 

über  konnte  es  uiclit  in  den  sinn  kommen,  der  nacliwelt  eine 
quelle  für  die  heldeusage  überliefern  zu  wollen,  sondern  ein 
gut  lesbares  buch  herzustellen.  Ein  solcher  zweck  aber  schloss 
ein  sklavisches  auflösen  der  liederworte  in  prosa  aus,  denn 
dadurch  wäre  die  darstellung  überall  so  unlesbar,  oft  sogar 
unverständlich  geworden,  wie  sie  es  an  den  am  treuesten  para- 
phrasierten  stellen  in  Wirklichkeit  ist. 


Zweites  Capitel. 

Das    Verhältnis    der   saga    zu    den   eddischen   liedern 
in   den   controlierbaren  partien  derselben. 

ßugge  ^)  schliesst  seine  Untersuchungen  über  die  quellen 
des  >  erfassers  der  Völsunga  saga  mit  folgendem  resultat :  'Aus 
dem  gesagten  erhellt  demnach,  dass  der  Verfasser  der  Völsunga 
saga  eine  Sammlung  vor  sich  gehabt  hat,  in  der  manche  der 
gedichte  und  erzählungen  über  die  Völsunge  und  die  mit  ihnen 
verknüpften  heroischen  geschlechter,  die  in  R  sich  finden  oder 
fanden,  in  einer  form  aufgezeichnet  waren,  die  auf  dieselbe 
schriftliche  quelle  wie  ß  hinweist.  In  dieser  Sammlung  fehlten 
jedoch  mehrere  gedichte  und  erzählungen,  die  R  enthält,  wäh- 
rend auf  der  andern  seite  der  Verfasser  der  Völsunga  saga 
zum  teil  sagen  und  gedichte  über  die  Völsunge  benutzt  hat, 
die  nicht  in  R  aufgenommen  sind.'  —  Hier  ist  zunächst  auf 
den  ersten  teil  dieser  resultate  rücksicht  zu  nehmen. 

Zweifellos  benutzt  sind  aus  unserer  Sammlung  in  der  saga 
folgende  lieder:  Helg.  Hund.  I.  SigurÖarkv.  I  (Gripisspa). 
Sig.  II  (Regiusmäl).  Fäfn.  Sgrdrfm.  Brot  af  SigurÖarkv.  2) 
Sig.  111.  GuÖr.  IL  Akv.  Atlm.  GuÖr.  hvöt.  HamÖism.  —  Auch 
die  prosa  fra  dauÖa  Sinfjötla  (Sintjötla  lok)  hat  dem  Verfasser 
vorgelegen.  Nach  Bugge  a.  a.  0.  kann  die  darstellung  von 
Sinfjötlis  tod  in  cap.  10  der  Völsunga  saga  nicht  auf  denselben 
quellen  beruhen,  wie  in  dem  prosastück  der  Sammlung:  die 
saga  habe   mehiere  echte   züge,   die   in  R  fehlen.     Und  auch 


')  Edda  s.  XLI. 

-)  So  iat  mit  Bugge  das  früher  sogenannte  Brot  al'  BrynliildarkviÖu 
zu  nennen. 

Beiträge  zur  gescliichte  der  doutauhea  siiraclie.    Ul.  15 


2ltJ 


SYMÜNS 


Keysei'i)  hält  beide  prosten  für  unabhängig  von  einander 
entstanden,  wol  nach  niiindlichem  Vortrag.  Dass  aber  die  eine 
prosa  die  andere  benutzt  hat,  beweist  der  worthiut  unvvider- 
leulich. 


Fi-;i  daiitJ.  Sinfj. 
B.  2ü2,   10  f.  pi\.  bat5  Borghildr  hanu 
fara  a  brott 

2o2,  13  f.  en  at  erfinu  bar  Borg- 
hildr öl 

202,  15fi".  en  er  hann  sa  i  hornit, 
skilt5i  hann,  at  eitr  var 
f,  ok  mselti  til  Sig- 
muudar :  g  j  ö  r  6 1 1  r  e  r 
drykkrinu,  ai!  Sig- 
muudr  tök  hornit  ok 
drakk  af. 

202,  30  f.  hannsagÖi:  lattu  grön 
sia  pi,  sonr! 

202,  32  Sint^ötli  drakk  ok  varÖ 
J^egar  dauÖr 


Völs.  s.  c.  10. 
B.  104,  25       lion  biSr  Sinfjötla  fara 
brott  6r  rikinu 
105,  3  f.      Borghildr  bar  niönnum 

drykk 
105,  5  ff.  hann  tök  vit5  ok  sa  i 
hornit  ok  mselti.  g j  ö  - 
röttr  erdrykkrinn. 
Sigmundr  maelti :  fä 
mer  \>ä !  hann  drakk  af. 


105,  14  Sigmundr  svarar.  lat 
grön  sia,  sonr! 

105,  16  Sintjötli  drekkr  ok  fellr 
j^egar  ni?5r. 


frä  dauÖ.  Sinfj.  B.  202,  1  ff. 


Die  ganze  erzählung  von  Sinfj ötlis  bestattung  (B.  202, 
33 — 43  =  Völs.  s.  B.  105,  16 — 23)  bietet  des  übereinstimmenden 
die  fülle.  Es  kann  aber  nur  die  Völsunga  saga  die  prosa  der 
Sammlung  benutzt  haben,  denn  was  sich  in  dieser  zusammen- 
hängend findet,  hat  die  saga  durch  verschiedene  capitel  hin 
zerstreut,  und  überall  da  augebracht,  wo  es  dem  Verfasser  in 
den  Zusammenhang  passte. 

=  Völs.  s.  c.  VIII  (B.  100,  5  ff.). 

c.  X  (B.  104,  17  ff.). 

202,  9-19    =      „ 

202,  20-24  =      „ 

202,  24-43  =     „ 

„  202,43—203,9=,, 

„  203,  9—13     =     „ 

Dass  einige  echte  züge  in  der  saga  sich  finden,  die  in  R 
fehlen,  die  dreifache  Steigerung  in  Borghilds  und  Sinfjötlis 
Worten,  ist  klar:  es  wird  dies  auf  klarerer  erinnerung  eines 
damals  schon  untergegangenen  liedes  beruhen,  oder  aber  der 
sagaschreiber  mag  wirklich   ein  paar  vereinzelte  Strophen  vor 


c.  X(B.  104,  21—105,  8). 
c.  VII  (ß.  95,  12—14). 
c.  X  (B.  105,  8—23). 

? 
c.  XIII  (B.  110,   18—21). 


>)  Efterl.  skrift.  I,  182  ff.  350.    Beide  stellen  widersprechen  aich  etwas. 


VOELSUNGA  SAGA.  217 

sich  gehabt  haben.  Anderes  aber,  wie  105,  15  'pä  var  ko- 
nungr  drukkinn  mjök  ok  ]>yi  sagÖi  hann  sy4'  oder  105,  24, 
'rekkr  nü  i  brott  druttuingina ,  ok  litlu  slÖar  dö  hon'  halte 
ich  für  einfache  Zusätze  in  des  Verfassers  beliebter  nuinier.  — 
Unbekannt,  behauptet  Bugge,  seien  dem  Verfasser  gewesen: 
Helg.  Hund.  II;  GuÖr.  I,  sowie  die  prosastiicke  Drap  Nifl.  und 
die  einleitung  zu  GuÖr.  IL  Auch  Helr.  lirynh.  GuÖr.  III.  Oddr. 
sind  nicht  benutzt:  hier  liegen  aber  die  gründe,  weshalb  verf. 
sie  gekannt  und  dennoch  übergangen  haben  kann,  nahe.^)  Es 
liesse  sich  darauf  erwidern,  dass  die  andern  nicht  benutzten 
gedichte  dem  verf.  eben  so  gut  bekannt  gewesen  sein  können. 
Helg.  Hund.  II  gibt  in  ihrem  anfang  dasselbe,  was  im  ersten 
Helgilied  weit  klarer  und  zusammenhängender  erzählt  wird; 
die  zweite  eroti.sche  hälfte,  freilich  eine  perle  eddischer  poesie, 
lag  den  zwecken  des  Verfassers  ferner.  GuÖr.  I  S  erweilt  bei 
einem  rührenden  augeublick '  ■'^) ,  ohne  der  erzähluug  einen 
fortschritt  zu  gewähren.  Das  prosastück  'Drap  Nifl.'  erzählt 
nichts  anderes  als  GuÖr,  II  und  die  Atlilreder.  Die  einleitenden 
Worte  zu  GuÖr.  II  führen  den  j-jüÖrekr  ein,  dem  Gudrun  ihr 
geschick  klagt :  einer  zusammenhängenden  darstellung  ziemte  es, 
den  monolog  des  lied^es  in  eine  einfache  erzählung  zu  verwan- 
deln. —  Allein  es  lässt  sich,  ohne  zu  solchen  allgemeinen  Über- 
legungen seine  Zuflucht  zu  nehmen,  leicht  wahrscheinlich 
machen,  dass  Helg.  Hund.  II,  GuÖr.  I,  Helr.  Brynh.,  Oddr.  und 
Drap  Nifl.  dem  Verfasser  wol  bekannt  waren. 

Helg.  Hund.  IL  P.  E.  Müller s)  scldiesst  aus  den 
Worten  am  schluss  von  cap.  9  (B.  104,  13 — 15)  'pat  riki  tök 
Helgi  konungr  ok  dvalÖist  J?ar  lengi  ok  fekk  Sigrünar  ok 
gerÖist  fraegr  konungr  ok  ägietr,  ok  er  hann  her  ekki  siÖan 
viÖ  |?essa  sögu',  dass  der  Verfasser  mehr  von  Helgi  gewust 
habe,  nämlich  den  Inhalt  von  Helg.  Hund.  II,  dass  er  dies 
aber  fortgelassen  habe,  da  es  nicht  mit  Sigurds  und  Sintjötiis 
geschichte  in  Verbindung  stand.*)  Bugge  dagegen  betrachtet 
die  Worte  als  redactionellen  abschluss  der  Helgierzählung.  Gibt 
mau  auch  letzteres  zu  —  allein  auch  das  ist  nicht  wahrscheiu- 

*)  Bitgge  a.  a.  o.  s.  XL. 

2)  HS-  359. 

■')  SB  II,  51. 

*)  So  auch  Jessen  a.  a.  o.  54. 

15* 


218  SYMONÖ 

lieb,  da  uficli  Jessens  richtiger  bemerkiiiig-  das  her  darauf  hin- 
deutet, dass  an  anderer  stelle  anderes  und  mehr  zu  finden  sei 
— ,  so  sprechen  doch  andere  ni(»niente  für  kenntnis  des  iiedes. 

a)  lol,  14  f.  'I^viat  meÖ  eugum  konungi  vilda  ek  heldr 
setr  biia  eu  nieÖ  per'.  Zu  diesen  werten  findet  sich  nichts 
entsprechendes   in  H.  H.  1,   dagegen   eriunern    sie   sehr    an  H. 

H.  II,   17: 

nama  Högna  ma;r 
of  hug  maela, 
hafa  kvazk  hou  Helga 
hylli  skyldu. 

b)  In  den  beiden  Helgiliedern  herscht  schwanken  in  betreff 
der  namen  von  Hundiugs  söhnen. 

H.  H.  I,  U     A'lf  ok  Eyjulf 


Hjörvaiö  ok  HavarÖ 
H.  H.  II,  prosa  vor  14  (B.  193  b,  13). 

A'lf  ok  Eyjölf,  Hjörvar?5  ok  Hervarö. 

Die  Völsunga  saga  scheint  beide  angaben  vereinigt  zu 
haben:  c.  9  (B.  101,  1):  A'lf  ok  Eyjölf,  HervarÖ  ok  HagbarÖO, 
während  dann  Sigurd  c.  17  (ß.  118,  21)  auch  noch  den 
HjörvarÖ  tötet. 

GuÖr.  I.  e.  19  (B.  124,  11)  heisst  es  'ok  eptir  |?etta  etr 
bann  [SigurÖr]  suman  hlut  hjartans  ormsins,  en  sumt  hiiÖir 
bann':  die  Fäfn.  pr.  vor  40  (B.  225b,  2)  bieten  bloss:  }>»ä  at 
bann  Fäfnis  hjarta.'  Zu  der  änderung  hat  den  Verfasser  ,>ol 
nur  die  stelle  der  prosaischen  einl.  zu  GuÖr.  I  bewogen  (B. 
242,  6  ff.):  '|>at  er  sögn  manna,  at  GuÖrün  hefÖi  etiÖ  af  Fäfnis 
hjarta.'  Allerdings  gibt  auch  c.  26  (ß.  143,  29):  'SigurÖr  gaf 
Gubrünu  at  eta  af  Fäfnis  hjarta,  ok  siÖau  var  hon  uiiklu  grim- 
inari  en  äÖr  ok  vitrari':  das  lied,  auf  dem  das  capitel  beruht, 
ist  verloren ;  gewis  aber  hat  sich  diese  bemerkung  nicht  mitten 
in  einem  liede  von  Sigurds  hochzeit  gefunden,  sondern  wird 
auch  da  auf  grund  der  prosaeinleitung  zu  GuÖr.  I  eingescho- 
ben sein. 

Helr.  Brynh.  Dass  wenigstens  die  prosaische  einleitung 
dem  Verfasser  bekannt  war,  ist  unten  -)  im  Zusammenhang 
erörtert. 


*)  Gewis  nur  überlieferungsfehler  für  HävarÖ. 
2)  s.  237. 


VOELSUNGA  SAGA.  219 

Oddr.     Die    keimtnis    dieses   liedes   wird   wahrscheinlich  • 
durch   vergleichung-    von   Oddr.  32    mit  Völs.  s.  c.  37    (B.  178, 
12  ff.)    Andere  gründe  werden  sieh  noch  im  verlauf  der  Unter- 
suchung ergeben. 

Drap  Nifl.  c.  33  (B.  16S,  6  f.)  beruht  auf  Drap  Nifl. 
(B.  261,  16  f.). 

Dr.  Nifl.  ok  kny'tti  i  vargshAr.      Völs.  s.    GuSrün  ristr  rünar,  ok  hon 

tekr    ein  guUhring   ok 
kny't  ti  I  vargshär 

Ebenso  beruht  die  darstellung  von  Gunnars  tod  c.  37  (B. 
178,  5  ff.)  teilweise  auf  Drap  Nifl.  (B.  264,  28—30): 

Dr.  Nifl.  hann  slö  hörpu  ok  svefÖi      Völs.  s.    ok  j?ar  til  lek  hann  jjessa 
ormana ,    eu  uat5ra  stakk  I]7rött,  at  allir  sofnutJu  or- 

hann  til  lifrar.  marnir,    nema   ein   naSra 

mikil  ok  illilig  .  .  . 

An  beiden  stellen  haben  die  Atlilieder  nichts  entsprechendes. 

Uuerweislich  bleibt  demnach  nur  die  kenntnis  der  Gu- 
(5rünarkviÖa  III.  Dieser  wunderliche  wilde  schössling  der  sage 
wird  aber  dem  sagaschreiber  ge\vis  eben  so  gut  bekannt  ge- 
wesen sein,  wie  alle  anderen  heldenlieder  der  sogenannten 
Ssemundar-edda:  ihn  zu  benutzen  hätte  aber  von  grosser  ge- 
schmacklosigkeit  gezeugt.  Der  liederschatz  unserer  Sammlung, 
soweit  er  die  heldenlieder  betrifft,  lag  also  unserm  Verfasser  in 
demselben  umfang  vor,  wie  uns. 

Ferner  aber  lässt  sich  nachweisen,  dass  der  dem  saga- 
schreiber vorliegende  codex  im  wesentlichen  ganz  dieselben 
prosastiicke  wie  E  enthalten  hat,  und  zwar  im  grossen  und 
ganzen  in  derselben  Ordnung-  der  lieder  und  prosastiicke.  Beides 
Avird  folgende  tabelle  veranschaulichen,  in  der  ich  die  folge  der 
einzelnen  lieder  und  prosastiicke  nach  R  gebe  und  die  ent- 
sprechende stelle  der  paraphrase  in  der  saga  ihnen  gegenüber- 
setze. Der  leichtern  Übersicht  wegen  numerire  ich  die  ein- 
zelnen prosastücke  mit  beifügung  von  Bugges  zeileu-  und 
Seitenzahl.!) 


')  Im  allgemeinen  sei  bemerkt,  dass  den  citaten  der  liedstrophen 
Bugges  ausgäbe  zu  gründe  liegt.  Die  prosastiicke  citiere  ich  der  kürze 
halber  in  der  regel  nur  nach  Bugges  selten-  und  Zeilenzahlen. 


220 


SYMONS 


R 

Hcig.  lluud.  1,  ötr.  l— 5(). 

[Helg.  Hund.  IL 

FrädauÖaSinfjötl:i(B.  202,  l-_>0:{,  n). 

iSig.  I.  [Gripisspä]. 

Sig.  II.  prosa  1  (B.  212«,  1-35). 

Sig.  II,  Str.  1—4. 

Sig.  II.  prosa  2  (B.  213a,  i_6). 
Sig.  II.  Str.  5. 

Sig.  II.  prosa  3  (B.  213^  1-9). 
Sig.  IL  Str.  6—9. 

Sig.  IL  prosa  4  (B.  214a,  i_6). 

Sig.  IL  Str.  10.  11. 

Sig.  IL  prosa  5  (B.  214'%  1—7). 

Sig.  IL  Str.  12. 

Sig.  IL  prosa  6  (B.  214«,  1-215«,  2). 

Sig.  IL  Str.  13.  14. 

Sig.  IL  prosa  7  (B.  215%  1—14). 


In  der  Völs.  s.  benutzt 
c.  VIII.  IX.  Bugge  100,  7-104,  13. 

vgl.  s.  217  f.] 
c.  X.   B.  104,    16—105,    26.      Vgl. 

auch  95,   11—13. 
Kurzer  auszug  c.XVI.  B.  126,  .5—12. 
c.  XIIL  B.  HO.  23  f.  111,  21  f.  XIV. 

B.  112,  11—113,  6. 
c.  XIV.   B.  113,  17— IM,  3    [Str.  3. 

4,  unbenutzt], 
c.  XIV.  B.  114,  4—6. 
c.  XIV.  B.  114,  6—8. 
c.  XIV.  B.  114,  8—13. 
c.  XIV.  B.  114,  14—19   [nur   str.  6 

benutzt.] 

Nicht  uumittelbar  benutzt.  Den 
wesentlichen  iuhalt  von  prosa  4. 
5   gibt   c.  XIV.   B.  114,    20—26. 


c.  XV.    B.   115,    5  —  116,    1.     Noch 
andere  quellen '? 
Sig.  IL  Str.  15.  c.  XV.  B.  116,  1—2.   XVI.   B.  116, 

12—15. 
Sig.  IL  prosa  8  (B.21515,  1—216%  2).      c.  XVIL  B.  116,  16—117,  2. 
Sig,  IL  Str.  16—18.  c.  XVIL -B.  117,  2—16 

Sig.  IL  prosa  9  (B.  216S  1—3).  c.  XVIL  B.  117,  6—17. 


Sig.  IL  Str.  19—25. 

Sig.  IL  prosa  10  (B.217b,  1— 218^1,2). 

Sig.  IL  Str.  26. 

Sig.  IL  prosa  11  (B.  218^^,  1—3). 

Fäfn.  prosa  1  (B.  219»,  1  —  14). 

Fäfn.  Str.  1. 

Fafn.  prosa  2  (B.  219b,  1—5). 

Fafn.  Str.  2—22. 

Fäfn.  prosa  3  (B.  223»,  1—4). 

Fäfn.  Str.  23—26. 

Fäfn.  prosa  4  (B.  223",  1—5). 

Fäfn.  Str.  27—31. 

Fäfn.  prosa  5  (B.  224.  1—11. 

Fäfn.  Str.  32—39. 

Fäfn.  prosa  6  (B.  225,  1—5). 


Unbenutzt. 

c.  XVIL  B.  US,  3  ff.    Weiter  aus- 
gedehnt ! 

Unbenutzt. 

e.  XVIL  B.  118,  26—29. 

c.  XVIII.   B.  119,  .3—120,  2.     Noch 
andere  quellen? 

c.  XVIIL  B.  120,  2—4. 
Unbenutzt. 

c.  XVIIL  B.  120,  4—122,  8. 

c.  XIX.  B.  122,  9.    16  f. 

c.  XIX.  B.  122,  10—16  [Str.  24— 26 
nicht  benutzt]. 

c.  XIX.  B.  123,  5—6. 

c.  XIX.  B.  123,  7— S.  122,  17—123,  3. 

c.  XIX.  B.  123,  8-13. 

c.  XIX.  B.  123,  13—20.  124,  2—9. 

c.  XIX.  B.  124,  9—12. 


VOELSUNGA  SAGA. 


221 


Fäfn.  Str.  40—44. 

Fäfn.  prosa  7  (B.  226,  1—13). 

Sgrdrf.  prosa  1  (B.  227,  1  —  18). 

Sgrdrf.  Str.  1.  2. 

Sgrdrf.  prosa  2  (B.  228,  1—4). 

ygrdrf.  Str.  3.  4. 

Sgrdrf.  prosa  3  (B.  229,  1—21). 

Sgrdrf.  Str.  5—292. 

Lücke. 

Brot  af  Sig.  [1  — 19J. 

Fra  dautJa  Sigur?5ar,  prosa  (B.  241, 

1—15). 
Gu?5r.  I.  prosa  1  (B.  242,  1—10). 
Gut5r.  I.  Str.  1—27. 
GuSr.  I.  prosa  2  (B.  246,  1—9). 
Sig.  III.  Str.  1—71. 

Helr.  Brynh.  prosa  (B.  260,  1—9). 
Helr.  Brynh.  str.  1—14. 
Drap  Niflunga  (B.  264,   1—30). 
GuSr.  II.  prosa  (B.  265,  1—5). 
(4uÖr.  II.  Str.  1—44. 

Gu?5r.  III.  prosa  (B.  274,  1—5). 
Gu?5r.  UI.  Str.  l— 11. 
Oddriinargr.  prosa  (B.  276,  1 — 18). 
Oddrünargr.  str.  1 — 34. 
Akv.  prosa  1  (B.  282,  1—6). 
Akv.  Str.  1—43. 


Akv,  prosa  2  (B.  291,  1.  2). 
Atlamäl  str.  1  —  105. 


c.  XIX.  B.  123,  20—124,  2.     Stark 

gekürzt! 
c.  XIX.  B.  124,  12—23. 
c.  XX.  B.  124,  24—125,  7. 
c.  XX.  B.  125,7—14.  Stark  geänd.! 
c.  XX.  B.  126,  3—4. 
c.  XX.  B.  126,  1—2. 
c.  XX.  B.  125,  14—22. 
c.  XX.  B.  126,  5—132,  7.    XXI.  132, 

8—133,  1. 
fc.  XXI.  B.  133,  2  —  c.  XXIX.    B. 

155,  5]. 
c.  XXXI.  B.  159,  16—160,   4    [nur 

str.  15 — 19  benutzt]. 
Unbenutzt. 

Unbenutzt  [vgl.  aber:  s.  218]. 

I     Unbenutzt. 

c.  XXX.    B.   155,   6—156,  7.     157, 
15—159,  8.  XXXI.  B.  160, 5—162,1. 

[     Unbenutzt. 

Unbenutzt  [vgl.  aber:  s.  219J, 
Unbenutzt. 

c.  XXXII.  B.  162,  15—166,  17. 
XXXIII.  B.  167,  1—17. 

[     Unbenutzt. 

[     Unbenutzt  [vgl.  aber  s.  219]. 

Unbenutzt. 

c.  XXXIII.     B.    168,     14—169,    3. 

XXXV.  B.  171,  21—172,  3.  18, 
173—2.  XXXVII.  B.  175,  16—22. 
177,  1—178,  7.  XXXVIII.  B.  182, 
3—6. 

Unbenutzt. 

c.  XXXIII.  B.  167,  21  —  168,  13. 
169,  3—8.  15  —  17.  XXXIV.  B. 
169,  18—171,  7.  XXXV.  B.  171, 
8—21.    172,   3—18.     17.^,  2— (1. 

XXXVI.  B.    173,    12—1/5,    9. 

XXXVII.  B.  175,  10—11.  24— 
177,  1.  178,  7  —  10.  XXXVIII. 
B.  178,  15—182,  3.     182,  6—8. 


222  SYMONS 

<!ll^^.  hvöt  pvosa  (B.  .'^11,  1—18).         c.  XXXIX.  B.  182,  16—22. 
Gtu>r.  hvöt  Str.  1—21.  c.  XLl.  B.  184,  19—185,  2:^. 

HamÖismäl  str.  1—31.  [c.  XLIl.  B.    18(5,  4—7.    16—22. 

187,  2—0]. 
HamÖisnial  prosa  (B.  323.  1.  2).  Unbenut/.t. 

Einzelne  abweicliungen  in  der  Ordnung  der  benutzung  nind 
folgende.  Der  kurze  auszug  der  Gripisspä ^)  ist  in  die  pnra- 
plirase  der  Eeginsmäl  eingeschoben.  Das  ist  die  natürliclie 
Ordnung  der  ereignisse :  der  verf.  lässt  Gripirs  Weissagung  erst 
nacli  dem  sclmiieden  des  Schwertes  eintreten ,  in  übereinstini- 
rauug  mit  Grip.  str.  9.  Die  paraphrase  der  letzten  Strophen 
(15 — 19)  des  Brot  af  Sig.  ist  in  die  der  SigurÖarkviÖa  III  ein- 
geschoben, wie  die  der  Akv.  in  die  der  Atlm.,  da  au  beiden 
stellen  wesentlich  paralleldarstellungen  vorlagen.  —  An  ein- 
zelnen orten  findet  sich  in  kleinigkeiten  gewis  eine  bessere 
Ordnung  in  der  Völsunga  saga  als  in  R :  so  hat  bereits  Bugge-) 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  in  dem  anfang  der  Sigrdrl- 
fumäl  die  Ordnung  der  Völsunga  saga  c.  20  (B.  125,  14 — 126,4) 
gewis  die  ursprünglichere,  dagegen  die  in  R  verderbt  ist.  Auch 
in  der  Ordnung  der  Reginsmäl  vermute  ich,  dass  die  Völsunga 
saga  an  einzelnen  stellen  das  richtige  hat. 

So  viel  geht  wol  aus  einer  vergleichuug  der  benutzung 
wie  vor  allem  der  Ordnung  dieser  benutzung  mit  bestimmtheit 
hervor,  dass  Bugges  aufstellung,  die  sannnlung,  die  dem  saga- 
schreiber  vorlag,  habe  mehrere  gedichte  nicht  gekannt,  die  K 
enthält,  unhaltbar  ist.  Die  kenntnis  eines,  vielleicht  auch 
mehrerer  lieder,  und  einiger  prosastücke  ist  allerdings  uner- 
weislich: da  sich  aber  ihre  nichtbenutzung  aus  dem  ganzen 
Charakter  derselben  genügend  erkl.-irt,  sonst  die  Übereinstim- 
mung in  der  benutzung  der  lieder  und  ])rosastücke  wie  in 
ihrer  reilienfolge  geradezu  schlagend  ist,  haben  wir  allen  grund 
zu  der  annähme,  dass  die  Sammlung,  die  dem  sagaschreiber 
vorlag,  keine  andere  als  unsere  fälschlich  sogenannte  Sj^emun- 
dar-Edda  war. 

Dass   die   vom    sagaschreiber   benutzte   hs.  der  Sammlung 


')  Gripisspä  mit  langer  erster  silbe  schreibe  icli  nach  dem  Vorgang 
Zupitzas  zs.  für  deutsche  phil.  IV,  445,  dem  sich  auch  Hüdebrand  in 
seiner  ausgäbe  angeschlossen  hat. 

2)  Zu  Sgrdrf.  2. 


VOELSUNGA  SAGA.  223 

und  R  auf  dieselbe  vorläge  xuiUckgehen,  lässt  sich  iiidit  er- 
Aveisen,  ist  aueli  kaum  wahrseheinlich.  Gewis  aber  ist,  dass 
an  manchen  stellen  die  hs.  des  Verfassers  besser  war  als  R, 
es  scheint  glaul)lich,  dass  manche  dieser  fehler  und  auslassungen 
nicht  dem  Schreiber  von  R,  sondern  bereits  seiner  vorläge  zu- 
zuschreiben sind.  Manche  liicken  in  ß  finden  sich  in  der  Völ- 
sunga  saga  nach  besserer  vorläge  widergegeben,  die  letzte 
halbstrophe  von  Fäfn.  3  fehlt  R;  Völs.  s.  c.  18  (ß.  120,  8  f.) 
hat  sie  gekannt  und  gibt  sie  wider.  Nach  At!m.  str.  26  fehlt 
die  correspondierende  strophe  Gunuars  in  R,  die  Völs.  s.  c.  34 
(ß.  170,  13  f.)  erhalten  scheint.  Die  zweite  halbstrophe  von 
Sgdrfm.  8  fehlt  R,  aber  nicht  Völs.  s.  (ß.  no.  11).  Auch  ein- 
zelne lesarteu  dci-  dem  Verfasser  vorliegenden  hs.  sind  wol 
bessere  gewesen.     So  Fäfn.  9: 

heiptyrÖi  ein 

telr  ]ni  |H'r  i  hvivetna. 

Dafür  findet  sich  Völs.  s.  c.  18  (ß.  120,  24):  heiptyrÖi 
tekr  ]n\  livetvetna  jnii),  er  ek  mseli.  Letzterer  sinn  passt 
ungleich  besser  in  den  Zusammenhang.  Freilich  ist  die  mog- 
lichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  äuderung  des  sagaschreibers 
hier  vorliegt.  Jedenfalls  will  mich  bedünken,  dass  ßugge  in 
der  Verwertung  der  saga  für  die  textkritik  der  Eddalieder  viel 
zu  weit  gegangen  ist:  es  wird  sich  noch  im  verlauf  der  dar- 
stellung  zeigen,  dass  der  sagaschreiber  sich  auch  im  Wortlaut 
gern  selbständige  änderungen  erlaubte. 

Es  ist  nun  die  art  der  benutzung  genauer  ins  äuge  zu 
fassen. 

Die  erste  spur  einer  benutzung  lässt  sich  vielleicht  c.  7 
(ß.  95,  11  ff.)  nachweisen,  wol  ]}eruhend  auf  frä  dauÖ.  Sinfj. 
Indes  ist  die  Übereinstimmung  nicht  so  gross,  dass  wir  not- 
wendig benutzung  annehmen  müssen.  —  Mit  c.  8  (ß.  100,  5) 
beginnt  dann  nach  einer  kurzen  aus  Sinfj.  lok  genommenen 
Orientierung  eine  paraphrase  des  ersten  Helgiliedes,  die  bis 
zum  schluss  von  c.  9  geht.  str.  1.  2  sind  ganz  kurz  wider- 
gegeben, str.  3  —  7,  als  unwesentlich  für  den  fortgang  der  er- 
zählung,   ganz   übergangen.      Die  aufzählung   der  städte,    die 


0  Vielleicht  ist  nach  Bugges  Vorschlag    zu  lesen:    hvetvetna  ]>nt 
oder  hvervetna  i  J?vi. 


2-24  SYMONS 

Helgi  str.  8  von  Sigmund  als  erbe  erhält,  ist  gekürzt,  von  den 
sieben  n<anicn  nur  zwei  behalten.  Es  scbliesst  dann  c.  8  mit 
den  Worten  (100,  IG  f.):  ^var  Helgi  konungr  yfir  li<5inu ,  en 
Sinfjötli  var  lenginn  til  meÖ  honum ,  ok  reöu  bäÖir  liöi':  die 
erwälinung  Sinfjötlis  findet  sich  nicht  im  liede,  war  aber  nötig 
wegen  des  folgenden  zaukgesprächs  zwischen  Sinfjötli  und  Gu?5- 
mundr.  —  Im  folgenden  wird  dann  der  kämpf  Helgis  mit  den 
Tlundingssöhnen  kurz  nach  str.  10  — 14  geschildert,  die  aus- 
maluug  der  schlackt  ist  aber  ein  zusatz  in  der  beliebten  weise 
des  sagaschreibers.  Die  namen  der  von  Helgi  getöteten  Hun- 
dingssöhne  sind  etwas  abweichend. *)  Wichtiger  aber  ist,  dass 
Str.  14,  7—8: 

farit  haf?5i  hann  allri 

?ett  geirmimis  [Hundings] 

übergangen  ist,  da  nach  anderer  darstellung  (Sig.  II,  26)  Sigurd, 
aber  auch  Sigmund,  noch  kämpfe  mit  den  Huudingssöhnen  zu 
bestehen  hat.  Wir  finden  hier  das  erste  beispiel  für  das  stre- 
ben des  Verfassers  nach  ausgleichuug  sich  widersprechender 
sagenformen.  —  Es  folgt  die  begegnung  mit  Sigrün,  die  ganz 
modernisiert  ist:  mit  recht  wird  SB.  II,  49  bemerkt,  dass  die 
valkyrie  zur  einfachen  prinzessin  geworden  ist,  die  mit  ihren 
Jungfrauen  spazieren  reitet.  Das  gespräch  zwischen  Helgi 
und  Sigrün  ist  wesentlich  nach  str.  16 — 20  widergegeben:  die 
Avorte  (B.  101,  14  ff.)  ']?viat  meÖ  engum  konungi  vilda  ek  heldr 
setr  büa  en  meÖ  ]?er '  aber  haben  nichts  entsprechendes  und 
scheinen,  wie  bemerkt,  auf  Helg.  Hund.  II,  17  zu  beruhen.  — 
Wenn  str.  18  es  im  liede  heisst: 

en  ek  hefi,  Helgi! 
HöSbrodd  kve?5lnn 
konung  öneisan 
sem  kattar  son, 

und  dafür  in  Völs.  s.  c.  9  (B.  101,  11  f.)  eintritt  'en  ek  hefi 
pxi  heitit,  at  ek  vil  eigi  eiga  hann,  heldr  en  einn  kräkuunga, 
so  zeigt  dies  das  streben  des  Verfassers,  ihm  ungeläufige  Wen- 
dungen durch  geläufigere  widerzugeben.2)    Das  folgende,  Helgis 

1)  Vgl.  s.  218. 

2)  Dass  kräka  und  kräkuungi  bezelchnungen  für  etwas  verächt- 
liches sind,  belegt  Biigge  zu  H.  H.  I,  18,  7  aus  Yngl.  s.  c.  31  und  Fms. 
VIII,  241.     Vgl.  auch  Aslaug  als  Kräka. 


VOELSUNGA  SAGA.  225 

seesturm,  Sinfjötlis  zank  mit  Gii(^mundr  und  der  kämpf  mit 
den  GraumarssüliEen  scliliessen  sicL  in  gekürzter  darstellung  an 
das  erf^te  Helgilied  au.  In  den  namen  sind  abweiclumgen  : 
dass  statt  GuÖmuudr,  Hodbrodds  bruder,  Graumarr,  Hodbrodds 
vater,  deu  zank  mit  Siufjötli  führt,  mag  blosser  abschreiberfehler 
sein.  Im  einzelnen  ist  überdies  manches  geändert.  Für  Ylfin- 
gar  Str.  34  sind  Völsungar  eingetreten,  wie  denn  überhaupt 
der  Verfasser  ersteren  namen  vermeidet.  Str.  36 : 
J7Ü  hefir  .    .    . 


.     .     broe?5r  j^inum 
at  bana  oröit 


ist  geändert  in  ^ok  broeÖr  |?lna  drepit'  (102,  24),  da  ja  nach 
der  früheren  darstellung  Siufjötli  zwei  söhne  des  Siggeirr 
tötet.  —  Auch  Zusätze  finden  sich:  so  die  worte  102,  24  ff. 
'ok  er  kynligt,  er  ]ni  porh  at  koma  1  her  meb  göÖum  mönnum'. 
Ueberhaupt  ist  im  grossen  und  ganzen  die  darstellung  eine 
ohne  kenntnis  des  liedes  oft  unverständliclie  geworden.  —  Die 
letzte  Strophe  des  liedes  scheint  unbenutzt  zu  sein,  dagegen, 
wie  bemerkt,  der  schlusssatz  von  c.  9  auf  kenntuis  des  zwei- 
ten Helgiliedes  zu  deuteu. 

c.  X  gibt  in  etwas  erweiterter  darstellung  die  prosa  frä 
daub'a  Siufjötla  (B.  202  f.)  wider.») 

c.  XI  und  XII  (Sigmunds  Vermählung  und  fall,  Hjördis 
zweite  vermähluug  mit  Alfr)  beruhen  nicht  auf  quellen  unserer 
Sammlung:  ihre  sagenhafte  gewähr  'kann  erst  später  erörtert 
werden. 

c.  XIII  (Sigurds  geburt  und  erziehung  durch  ßeginu,  Gra- 
uis  erkiesuusO  beruht  gleichfalls  nicht  durchweg  auf  nachweis- 
barer  quelle.  —  Allein  ich  halte  dies  capitel  nicht  für  die 
widergabe  eines  verlorenen  liedes,  sondern  für  ausweitung  der 
prosaischen  einleituug  zu  den  Eeginsmäl  (SigurÖarkviÖa  II). 
Für  diese  annähme  spricht  zunächst,  dass  alle  in  c.  10  erzähl- 
ten begebenheiten  in  jener  prosa  angedeutet  sind:  dass  Sigurd 
von  Regln  erzogen  wird,  die  erkiesung  eines  rosses  und  Regins 
aufreizung.  Ueberdies  findet  sich  mitten  im  capitel  eine  wider- 
gabe des  Siufj.  lok  (B.  203,  7—13). 

')  Vgl.  s.  215  ff. 


226  SYMONS 

Völs.  s.  110,   15—17.    19—21.  Sinfj.  lok  B.  20:5,  7—13. 

tVa  lionum  sogja  ullir  oitt,  ;itt  um  öx  SigurÖr  j^ar  upp  i  barna^sku. 

atferö  ok  vöxt  var  cni^i  lians  niaki  Sigmuiidr  ok  allir  synir  luins  väni 

lanf^t  uinfram  alla   menn   atira   um 

ok   jni  er    nefndir    eru    allii"    hinir  all  ok  vöxt  ok  hug  ok  alla  atgervi. 

agseztu  menn   ok  konungar    i   for-  SiguiÖr  var  ]?6  allra   framarstr  ok 

uum  sögum ,   ]>k  skal  SigurÖr  fyrir  hann  kalla  allir  menn  i  fbrnfroe?5um 

gaiiga  um  afi  ok  atgervi ,   kapp  ok  um  alla  menn   fram  ok  göfgastan 

lu-eysti,  er  hann  liefir  hat't  um  livern  herkonunga. 
mann    framra    aunarra   i    norÖrälfii 
heimsins.    SigurÖr  öx  pur  upp  meÖ 

Hjalpreki 

Die  ganze  darstellung  des  capitels  zeigt  das  bestreben, 
einzelne  andeutuugen  zu  einer  zusammenhängenden  erzälüung 
zu  verknüpfen,  die  für  die  saga  notwendig  war.  Dass  Sigurd 
überhaupt  geboren  und  erzogen  wird,  konnte  jedes  lied  als 
selbstverständlich  übergehen,  die  saga  muste  es  ausdrücklieh 
erzählen.  Auch  solche  züge  wie  40,  12  f.,  dass  Hjalprek  sich 
über  Sigurds  leuclitende  äugen  freut,  stehen  zwar  ganz  im  Zu- 
sammenhang der  sage,  werden  aber  zu  oft  in  den  liedern  an- 
gedeutet (vgl.  Fäfn.  5),  um  die  Voraussetzung  einer  quelle  not- 
wendig ZU  machen.  —  Wichtiger  ist  das  eingreifen  Odins  bei 
Granis  erkiesung,  das  gerade  hier  am  wenigsten  auflallendes 
hat.  Nach  der  prosaischen  einleitung  zu  Sig.  II  ist  Odin  bei 
diesem  akte  nicht  tätig.  Ob  in  der  tat  Odins  eingreifen  hier 
alte  sagenüberlieferuug  ist,  wird  sich  erst  später  besprechen 
lassen:  vorläufig  ist  nur  zu  sagen,  dass  dies  jedenfalls  nicht 
auf  einem  liede  zu  beruhen  braucht,  sondern  auch  mündlicher 
Überlieferung  seine  entstehung  verdanken  kann.  Die  dann  fol- 
genden aufreizungen  Regins  zur  tötung  Fäfnirs  finden  sich  an 
verschiedenen  stellen  des  zweiten  Sigurdsliedes  angedeutet. 
Diese  Überlegungen  machen  es  mir  höchst  wahrscheinlich,  dass 
c.  13  nicht,  wie  Bugge  a.  a.  o.  s.  XXXVII  will,  auf  einem 
verlorenen  liede  beruht,  sondern  freie,  durch  den  sagastil  ge- 
botene erweiterung  des  Verfassers  ist,  die  an  manchen  stellen 
an  Volksüberlieferung  angeknüpft  haben  mag. 

Mit  c.  XIV  beginnt  eine  ziemlich  wörtliche  widergabe  der 
prosaischen  einleitung  der  Sig.  II,  die  freilich,  nach  des  Ver- 
fassers weise,  breiter  angelegt  ist.  Wenn  Bugge  aus  der  wider- 
holung  112,  15  f.  ^Otr  ....  var  jafnan  i  änni  ok  bar  upp  fiska 


VÜELSÜNGA  SAGA.  227 

meÖ  muDni  ser'  —  und  113,  4  'Otr  broÖir  minn  for  jafnaii  i 
}?enna  fors  ok  bar  upp  fiska  i  munni  ser'  auch  liier  auf  be- 
uutzung-  zweier  quellen  scWiesst,  so  ist  das  nicht  nur  ganz  un- 
nötig-, denn  beides  besagt  gar  nicht  dasselbe  —  die  erste  stelle 
spricht  nur  von  Otrs  wesen  überhaupt,  die  zweite  von  Andva- 
rafors  und  Otrs  aufenthalt  in  demselben  — ,  sondern  wol  ge- 
radeswegs  undenkbar,  denn  wie  hätten  zwei  verschiedene  quellen 
wörtlich  gleich  lauten  können?  —  Sig.  II,  1.  2  werden  auge- 
führt, 3.  4  sind  nicht  benutzt,  da  sie  überhaupt  nicht  in  den 
Zusammenhang  hinein  passen.  Dagegen  sind  str.  5,  sowie  die 
vorhergehende  und  folgende  prosa  (ß.  2i3a,  1 — 6  213b,  1—9) 
im  ganzen  genau  widergegeben  und  str.  6  citiert.  -—  Eine  ab- 
weichung  ist  hier  jedoch  von  inleresse:  114,  6  wird  Andvaris 
fluch  widergeg-eben :  'at  hverjum  skyldi  at  bana  verÖa,  er 
J>ann  guUhring  setti,  ok  svä  allt  gullit.'  Dem  entspricht 
Sig.  II,  5: 

]7at  skal  gull, 

er  Gustr  ätti 
u.  s.  w. 

Möglicherweise  hat  der  Verfasser  doch  noch  gefühlt,  dass 
der  fluch  Andvaris  ursprünglich  an  den  ring  sich  knüpfe, 
und  hat  diesen  deswegen  eingesetzt:  wahrscheinlicher  aber  hat 
er  eine  doppeldeutigkeit  seiner  quelle  beseitigt,  da  an.  gull  ja 
auch  speciell  'goldring'  bedeutet.  —  Der  schluss  des  capitels 
fasst  die  weitläufigere  darstellung  des  liedes  str.  7 — 14  zusam- 
men: eine  Überleitung  zum  schmieden  des  Schwertes  bildet 
das  ende. 

Es  folgt  nun  c.  15  die  erzählung  vom  schmieden  des 
Schwertes  Gram,  viel  ausführlicher  als  in  der  prosa  vorstr.  ir> 
der  Reginsmäl  (ß.  215  a,  1 — 14):  dass  indes  diese  prosa  zum 
schluss  benutzt  ist,  beweist  eine  einfache  vergleichung  des 
Wortlautes : 

115,  25  ff.  Sig.  II.    B.  215,  6  ü. 

SigurÖr  lijü  i  stet5jann  ok  klaut"  Reginn  gerÖi  Siguröi   sverö,    er 

mt5r  i  fotiim,  ok  brast  eigi  ne  brot-  Gramr  het;   j^at   var  svä  hvast,   at 

naÖi;   liann    lofaÖi  njjük   sverti   ok  hauu  bra  pvi  otan  i  Rin  ok  let  reka 

for   til   arinnar   lueÖ    uUarlagö    ok  ullaiiag(5  (yr  straumi,  ok  tok  i  siindi- 

kastar   i   gegii   straumi,    ok   tok  i  lagÖiun     sem     vatuit.      pvi    sverÖi 

sundr,  er  hanu  brä  viö  svert5inu;  klaut" SigurÖr  i  suudr  steÖjaKegins. 
gekk  SigurtJr  )?a  glaÖr  heim. 


22S  SIMONS 

Ebenso  ist  der  schluss  des  capitels  eine  widergabe  von 
8ig.  II,  15.  —  Der  anfang  aber,  dass  Regin  erst  da  ein  scbwert 
zu  stände  bringt,  das  für  Sigurd  taugt,  als  dieser  die  stücke 
des  zerbrochenen  Odiuscbwertes,  welcbc^;  Sigmund  geführt  batte, 
herbeiholt,  ist  ein  ganz  neuer  zug.  Den  zug  selber  halte  leb 
für  echt,  ohne  dass  dem  Verfasser  dennoch  hier  eine  verlorene 
quelle  vorgelegen  zu  haben  braucht.  Es  war  c.  12  erzilblt. 
wie  Sigmund  die  stücke  seines  vor  Odins  ger  zerschellten 
Schwertes  der  Hjördis  übergibt,  dass  sie  sie  für  Sigurd  be- 
wahre: offenbar  beruht  jene  stelle  auf  einem  verlorenen  liede, 
bestätigt  wird  sie  durch  eine  spätere  stelle  der  saga  c.  25  (B. 
141,  2  ff".),  und  auch  Hyndl.  2  erhält  Sigmund  von  Odin  das 
Schwert.  Die  not\\ endige  consequeuz  muste  sein,  dass  diese 
scbwerttrümmer  nun  aucb  für  Sigurd  neu  gescbmiedet  werden ; 
die  Vermutung  wird  deshalb  erlaubt  sein,  dass  der  sagaschrei- 
ber  hier,  ohne  nähere  quelle,  die  consequenzen  jener  früheren 
stelle  gezogen  und  in  die  parapbrase  des  zweiten  Sigurdsliedes 
sich  einen  einschub  erlaubt  hat. 

c.  XVI  ist  ein  ganz  kurzer  auszug  der  Grlpisspä  (SigurÖar- 

kviÖa  I,    die  der  Verfasser   in  ihrer  ganzheit    natürlich    nicht 

brauchen  konnte,    'en  litlu  slÖar,  en  sverÖit  var  gert'  (116,  6) 

ist  eine   Zeitbestimmung,   die  selbständig  hinzugefügt  ist,   aber 

sieb  in  Übereinstimmung  mit  Sig.  I,  9  als  die  verständigste  ergab. 

Auch   iu  der  erzählung   des  c.  XYII   (Sigurds   kämpf   mit 

den    Hundingssöbnen)    lässt    sich   nur    eiue    erweiterung    von 

Sig.  II  erblicken.     Mit  der   dürftigen  erwähnung    der  prosa  B. 

215b,  1 — 216a,  2  konnte  ein  zusammenhängender  bericht  sieb 

nicht  zufrieden  geben,  falls  die  darstellung  nicht  eine  einfache 

protokollierung   von  factis   werden  sollte.     Dass   aber  wirklich 

jenes  prosastück  benutzt  ist,  ergibt  sieb  aus  dem  Wortlaut: 

171,  1  f.  Sig.  II,  B.  215b,  3  f. 

or    eu    j^eir    sigldu    Iram    fyrir  ok  beittu  fyr  bergsnüs  nakkvaia. 

bergnüs  nökkiu-a. 

Dass  wir  ferner  zur  annähme  weiterer  quellen  keine  be- 
recbtigung  haben,  zeigt  11(3,  2S  f.:  "eigi  baÖ  SigurÖr  svipta 
seglunum,  J^tt  rifuuÖu,  heldr  baÖ  bann  b?era  sctja  eu  äbr.'  — 
Es  ist  das  nämlich  eine  reminiscenz  an  den  seesturm  Helgis 
c.  9  (B.  102,  5):  'Helgi  baÖ  ]ni  ekki  üttast  ok  eigi  svipta  seg- 
lunum, heldr  setja   hvert  bsera  en  aÖr.'     (Vgl.  H.  H.  I,  29). 


VOELSUNGA  SAgA.  -229 

Auch  die  erwähnung  des  roten  meeres  (116,  28)  kann  wol 
nicht  gut  einem  liede  entnommen  sein,  —  Die  besänftigung- 
des  Sturmes  durch  Hnikarr-O'Öinn  beruht  auf  Sig.  II,  16.  17 
und  der  prosa  vor  str.  19  (ß.  216  b,  1 — 3):  str.  18  wird  citiert. 
Im  liede  folgen  dann  lange  Weisheitsregeln  Odins,  die  der  saga- 
schreiber  ausgelassen  hat.  Dafür  gibt  die  saga  eine  ganz  aus- 
führliche kampfschilderuug  (117,  19 — 118,  25),  der  im  liede 
nur  wenige  prosazeilen  (ß.  217b,  1 — 218a,  2)  und  str.  26  ent- 
sprechen. Dass  hier  ein  einfacher  zusatz  vorliegt,  ergibt  sich 
daraus,  dass  die  ganze  langatmige  Schilderung  aus  frühem 
kampfesschilderungen  c.  9  und  11  armselig  zusammengelesen 
ist.  Als  charakteristicum  für  des  Verfassers  arbeitsweise  setze 
ich  die  vergleichung  ganz  hierher,  ohne  vorläufig  entscheiden 
zu  wollen,  ob  in  c.  11  die  analoge  Schilderung  auf  quellen 
beruht. 

c.  XVII  (118,  5  ff.).  c.  XI  (107,  G  ff.), 

tekst  l>ar  in  hartJasta  orrosta  tekst  j^ar  nü  hör?5    orrosta, 

me(5  )7eim-,  mätti  'pur  älopti  sja  ok  f'ott  «igmundr  vseri  gamall,  j^ä 

mart  spjöt  ok  örvar  margar,  baröist  lianu  m'i  hart  ok  var  jafuan 

öxi  hart  reidda,   skjöldu  klofua  ok  fremstrsinnamanna;  heizt  hvärki 

margan    mann   steypast   til  jart5ar.  viÖ  honum   skjöldr  ne  bryuja, 

Ok  er  orrostan  hefir  svä  sta-  ok  gekk   liau  jafnau  i  gegnum 

?5it    njjök    langa    hrit5,    soekir  Hö  üvina  sinna  a  j^eim   degi,   ok 

Sigur?5r  framm  um  merkin   ok  engl  matti  sja,  hversu  faramundi 

hetir  1   hendi  sverÖit  Gram;    hann  j;eira  i  millum;    mart  spj6t  var 

höggr    bseöi    menn    ok   hesta    ok  j^ar   a   lopti    ok   örvar,    en  sva 

gengr  1  gegnum  fylkingar  ok  hlifÖu  honmn  hans  spadisir,  at  hann 

hefir  baÖar  hendr  blöÖgar  til  varÖ  ekki  sarr,    ok  engi   kuuni 

axlar,  ok   stökk  undan  fölk,   ]?ar  töl,   hversu  margr   maÖr  feil 

sem  hann  for,  ok  heizt  hvarki  fyrir  honum;    hann  hafÖi  ba- 

viÖ  hjalmr  n6  brynja Öar  hendr  blöÖgar  til  axlar; 

teil  )?ar  svä  ok   er   orrostan    haftSi    staÖit 

mart    fyrir    Hundingssouum,  um    hrid,   pk  kom  maÖr  i  barda- 

at  engi  maör  vissi  tö!  ä.  gann  metJ  sitJan  hött  etc. 

c.  IX  (100,  20  ff.). 
)?ar  tekst  orrosta  me?S  )7eim, 
ok  gengr  Helgi  fast  framm,  ok 
ly'kst  meÖ  ]?vi  sjä  bardagi  .... 
l^eir  eiga  harÖa  orrosta,  ok 
gengr  Helgi  i  gegnum  fyl- 
kingar l^eira  brceÖra  ok  aoikir 
at  merkjum  sona  Hündin gs  ko- 
nungs  .... 


23Ö  -     SYMONS 

Es  scliliesst  daun  das  caj)itcl  mit  einer  auf  der  schlussprosa 
der  IkCginsiiiäl  (B.  21Sb,  1 — o)  beruhenden  erneuten  aufreizung 
Kegins. 

Ueberblicken  wir  die  benutzung-  des  zweiten  Sigurdsliedes, 
so  charakterisiert  sie  des  Verfassers  arbcilsweise  deutlich:  ^vas 
benutzt  werden  konnte,  ward  benutzt,  kurze  andeutungen  aus- 
gedehnt, eine  widerliolung  eigener  werte  nicht  vermieden,  gar 
zu  hxngweiliges  ausgelassen,  widersprechendes  vereinigt.  Eins 
aber  wird  dadurch  unleugbar  erreicht,  eine  verständliche,  gut 
lesbare  erzählung,  die  zwar  wenig  darstellungstalent  verrät, 
ihrem  zweck  jedoch  völlig  entspricht. 

c.  XVIII  und  XIX  erzählen  die  tötung  Fäfuirs  und  Kegins. 
Der  eingang  ist  bei  w^eitem  ausgedehnter  als  in  R:  unverkenn- 
bar ist  jedoch,  dass  die  prosaeinleitung  zu  den  Fäfnirsmäl  (ß. 
219,  1 — 14  dem  Verfasser  bekannt  war. 

Vüls.  s.  119,  3  ff.  Fafn.  B.  219,  1  ff. 

er  Fafuir  var  vanr  at  skri(5a  slöÖ  Fäfnis,  pk  er  liann  skreiÖ  til 

vatns 

SigurÖr  gerÖi  gröf  eina  l^ar  göröi  Sigurör  gröf  mikla 

hann  fny'sti  eitri  alla  leit5  fyrir  sik  bles  kann  citri,  ok  kraut  ]mt  fyr  ofan 

frainm  hötuÖ  SigurÖi 

ok  er  ormrinn   skreiÖ   yfir  gröfina,  eu  er  Fäfnir  skreiÖ  yfir  gröina,  ]:>a 

l^a   leggr    SigurÖr    sverÖinu    undir  lagöi  SigurÖr  kann  meÖ   sveröi  til 

boexlit  hjarta. 

]>i  bleypr  SigurÖr  upp   ör  gröfinni  SigurÖr  kljop  ör  grüfinnl 

Indes  ist  ein  ganz  neuer  zug  in  die  darstelluug  hinein- 
gekommen, widerum  ein  eingreifen  Odins,  der  den  tückischen 
absiebten  Regins  gegenüber  Sigurd  rät,  mehrere  gruben  zu 
graben,  damit  das  blut  des  drachen  besser  abfliesse  und  Sigurd 
nicht  ertränke.  Man  könnte  geneigt  sein,  hier  eine  verlorene 
quelle  wirklich  anzunehmen.  In  feiner  weise  sucht  Bugge^) 
diese  ansieht  zu  stützen  durch  eine  halbstrophe  der  Sverris 
saga  c.  164  2): 

üUkr  ertu 

yÖrum  niöjum 

}?eim  er  framraÖir 

fyrri  varu, 

die   dort  ohne   quellenaugabe  citiert  wird:    kurz  darauf  wird 


')  a.  a.  0.  s.  XXXVIII. 
2)  Frns.  VIII,  409. 


rOELSUNGA  SAGA.  231 

f  äfn.  8tr.  6,  4 — 0  angefülirt.  in  dieser  halbstrophe  nun  sieht 
ßugge  (las  bruchstiick  eines  Sigurdsliedes ,  das  dem  saga- 
schreibev  an  unserer  stelle  vorlag.  Jene  angeführten  zeilen 
sollen  widergegeben  sein  119,  13  f.:  'eigi  mä  )?er  räÖ  räÖa,  et' 
]?ü  ert  viÖ  hvatvetna  hrseddr,  ok  ertu  ülikr  |nnum  frsendum 
at  hughreysti.' 1)  —  So  geistreich  diese  Vermutung  ist^  zwin- 
gende kraft  hat  sie  keineswegs:  die  halbstrophe  hat  keine  so 
prägnante  färbung,  dass  sie  sich  nicht  auch  auf  andere  ähn- 
liche Situationen  beziehen  könnte.  Es  bleibt  überhaupt,  wie 
meiner  ansieht  nach  Jessen  '^)  mit  recht  bemerkt  hat,  fraglich, 
ob  auch  nur  die  halbstrophe  aus  den  Fafn.  aus  diesem  Hede 
in  die  Sverr.  s.  übergegangen  isu     Gar  wol  mögen  diese  worte 

farr  er  hvatr 

er  hroerast  tekr, 

ef  bann  er  i  bernsku  til  blauör 

ein  Sprichwort  gewesen  sein,  das  aus  dem  volksmunde  in  das 
lied  und  in  die  saga  unabhängig  überging;  nicht  zu  übersehen 
i.st  dabei,  dass  die  Schwankungen  in  der  Überlieferung  nicht 
unbeträchtlich  sind. 

Trotzdem  ist  hier  die  annähme  einer  verlorenen  quelle 
nicht  ganz  von  der  band  zu  weisen ,  es  wird  hier  die  erörte- 
ruug  über  Odins  eingreifen  von  gewicht  sein.  —  Das  gespräch 
zwischen  Sigurd  und  dem  sterbenden  Fafnir  (120,  2 — 122,  8) 
ist  durchweg  ein  genauer  auszug  aus  Fäfn.  str.  1 — 22.  Einige 
male  findet  sich  dabei  das  bestreben,  unvermittelt  auftretende 
gedanken  zu  erklären,  wodurch  nicht  selten  ein  falscher  sinn 
hineinkommt,     str.  7,  3 — 6: 

nü  ertu  haptr 

ok  hernuminn, 

fe  kveÖa  bantlingja  bifaz 

wird  widergegeben  (120,  19  if.):  'en  j^etta  er  meiri  furÖa,  er 
einn  bandingi  hertekinn  skal  ]?orat  hafa  at  vega  at  mer,  |>viat 
für  hernuminn  er  froekn  til  vigs.'  In  dieser  reiheufolge  ist  der 
sinn  der  Völsunga  saga  unrichtig.  —  Merkwürdig  wird  auch 
str.  11  mitgespielt;  die  etwas  schwierige  Strophe  besagt  kurz 
'trotz  aller  vorsichtsmassregeln   entgeht  keiner   seinem  schick- 


»)  Vgl.  auch  c.  Di  (ß.  112,  2  flf.). 
■*)  a.  a.  0.  48,  anm.  2. 

Beiträge  zur   geschichte  der  deutschen  spräche.  III.  16 


232  SYMONS 

ssul';  der  Verfasser  ändert  das  (121,  1  f.)  in  die  j;ute  lehre, 
beim  stürme  nicht  aufs  meer  zu  fahren,  sondern  lieber  am 
lande  auf  windstille  zu  warten.  —   Str.  120; 

ok  kjösa  moe?5r  fra  mögum 
ändert  der  Verfasser  in  den  gewöhnlicheren  ausdruck  'ok  kjosa 
niögu  frä  ma'Örum.' i)  —  Zwischen  die  paraphrase  von  str.  15 
und  16  ist  die  von  str.  22,  1 — 3  eingeschoben:  weshalb,  weiss 
ich  nicht  zu  sagen.  —  str.  19  nicht  benutzt.  —  122,  2  —  4: 
'riÖa  muntu  ]>ar  til,  er  pn  finnr  svä  mikit  gull,  at  gert  er  um 
l^iua  daga,  ok  |>at  sama  gull  verÖr  ]?inn  bani,  ok  hvers  annars, 
er  |>at  ä'  ist  eine  erweiteruug  aus  str.  20,  4 — 6: 

it  gjalla  gull 

ok  it  glöÖrauÖa  te, 

per  veröa  ]?eir  baugar  at  bana. 

Durch  den  zusatz  'ok  hvers  annars  er  J>at  ä'  soll  der  fluch 
Fafnirs  mit  dem  Andvaris  in  Verbindung  gesetzt  werden. 

Das  XIX.  capitel  setzt  die  paraphrase  von  Fäfn.  fort,  auch 
die  prosastücke  sind  oft  wörtlich  benutzt.  Ein  zusatz  ist  122, 
13  f.:  'nü  stendr  Eeginn  ok  ser  ni(5r  i  jörÖina  langahrlÖ'  und 
noch  einige  andere  harmlose  zusätze  finden  sich  (122,  20  f.  'ok 
vissir  .  .  .  jörÖ;  122,  23  f.  ok  eigi  hefÖir  .  .  .  annarra).  — 
Wenn  es  123,  5  heisst:  'pä  skar  Sigurb'r  hjartat  ör  orminum 
meÖ  }>vi  sverÖi,  er  Rib'ill  het',  so  ist  SigurÖr  wol  nur  Schreib- 
fehler für  Eeginn.'-)  —  Die  ratschlage  der  adleriunen  sind  ab- 
gekürzt: sehr  beachtenswert  ist,  dass  schon  hier  für  Sigrdrifa 
(str.  44,  5)  Brynliild  eingesetzt  ist  (124,  1):  der  zusatz  'ok  mun 
bann  nema  pa.Y  mikla  speki'  anticipiert  den  Inhalt  von  Sigrdri- 
fumäl.  —  Die  tötung  Regins  und  der  erwerb  des  hortes  stützen 
sich  auf  str.  39,  die  prosa  B.  225,  1  f.  und  die  schlussprosa 
ß.  226,  1 — 13;  letztere  ist  erweitert.  —  Interessant  ist  noch 
die  bereits  oben  auf  kenutnis  der  eiuleit.  prosa  zu  GuÖr.  I 
zurückgeführte  änderung,  dass  Sigurd  nur  ein  stück  von  Fafnirs 
herz  isst,  das  andere  aber  aufbewahrt,  um  es  später  Gudrun 
geben  zu  können.  Solche  züge  zeigen  deutlich  das  bestreben 
des  Verfassers,  widersprechende  angaben  zu  vereinigen,  und  es 


')  Man  braucht  nicht  mit  Grimm  liecler  der  alten  Edda,   s.  1S7  die 
lesai-t  von  R  nach  Völs.  s.  zu  bessern.     Vgl.  zu  Sgrdrfra.  9. 
2)  Vgl.  Fäfn.  B.  223  b,  1  ff.    SE  I,  35ö,  lö. 


VOELSUNGA  SAGA.  233 

lässt  sich  gerade  dieses  bestreben   nicht  scharf  genug  betonen, 
da  es  die  ganze  composition  der  saga  erklärt. 

Wie  in  K  folgt  auch  in  der  saga  unmittelbar  in  c.  XX 
auf  die  schlussprosa  der  Fäfn.  die  einleitende  prosa  der  Sigrdri- 
fumäl.     Beide  lieder   sind   in  R   überhaupt   nicht    getrennt.  — 

124,  24 — 125,  7  widerholt  jene  anfaugsprosa  nahezu  wörtlich: 

125,  7—14  aber  ändert  str.  1  sehr  stark.     Str.  1  spricht  Sigr- 
drlfa,  aus  dem  zauberschlafe  erwachend: 

hvat  belt  brynju? 
hvi  brä  ek  svefni? 
hverr  feldi  af  mer 
fölvar  nauÖir? 
und  Sigurd  erwidert: 

Sigmundar  burr, 
sleit  fyr  skömmu 
hrafns  hrsehmdir 
hjörr  SigurSar. 

Dagegen  heisst  es  in  der  saga:  'hon  spuröi,  hvat  svä  var 
mättugt,  er  beit  brynjuna,  „ok  brä  minum  svefni:  eÖa  man  her 
kominn  SigurÖr  Sigmundarson ,  er  hefir  hjälm  Fäfnis  ok  hans 
bana  i  hendi?"'  Sigurd  bestätigt  das  dann  in  den  landläufig- 
sten phrasen.  Es  braucht  nicht  der  Versicherung,  dass  die  Si- 
tuation der  saga  ungleich  novellistischer  dadurch  geworden 
ist.  Damit  steht  in  engem  Zusammenhang,  dass  auch  hier 
Sigrdrifa  zur  Brynhild  wird,  und  das  ganze  mit  einer  formellen 
Verlobung  endet.  Auf  die  ganze  schwierige  frage  nach  der 
Identität  von  Sigrdrifa  und  Brynhild  wird  später  ausführlich 
einzugehen  sein:  hier  gentige  es,  die  änderung  des  Verfassers, 
durch  die,  wie  ich  glaube,  der  inhalt  unserer  sage  bedenklich 
zerstört  wird,  ausdrücklich  hervorzuheben.  —  Die  Ordnung  der 
Völsunga  saga  ist  eine  andere,  wie  die  in  R :  allein  ich  möchte 
hier  mit  Bugge  ^)  annehmen ,  dass  sie  in  R  verderbt  ist,  Sie 
ist  wenigstens  in  der  saga  unweit  klarer  und  verständiger:  für 
das  einzelne  darf  auf  Bugges  bemerkung  verwiesen  werden. 
—  Wie  wenig  übrigens  dem  Verfasser  Sigrdrifas  valkyriennatur 
noch  verständlich  war,  zeigt  die  bescheidene  ablehuung  (125, 
22  tf.):  'hon  svarar:  |>er  munuÖ  betr  kunna'  u.  s.w.,  von  der 
das  lied  nichts  weiss.  —   Die  Strophen  5.  6.  10.  12.   7 — 9.  11. 

')  S.  228. 

16* 


234  SYMONS 

\[i,  1— ^>.  15 — 21  werden  citiert  mit  mannigfaclieu  textlichen 
tibweichungeu,  die  kaum  alle  auf  andere  handselulftliche  iiber- 
lielerunj^  oder  auf  Schreiberwillkür  deuten:  manche  möchte  ich 
dem  verfiisser  zuschreiben,  ich  komme  darauf  zurück. 

In  cap.  XXI  wird  die  paraphrase  von  Sigrdrifas  weisheits- 
regeln  fortgesetzt,  die  nur  zu  der  bemerkung  veranlassung  gibt, 
dass  nicht  immer  die  reihenfolge  der  stro})hen  innegehalten 
ist.  Mit  den  Worten  Sgrdr,  29  -:  ]?ütt  meÖ  seggjum  fari  sehliesst 
für  uns  vorläufig  die  vergleichung.  Nach  diesen  Worten  tritt 
die  lücke  in  R  ein,  der  schluss  der  Öigrdrfm.  findet  sich  nur 
in  papierhss.  Die  erörterung  der  echtheit  dieses  Schlusses 
wird  sich  besser  im  Zusammenhang  der  betrachtung  jener 
partie  der  saga,  die  der  lücke  in  R  entspricht,  vornehmen 
lassen. 

Erst  mit  dem  anfang  von  cap.  XXX  (B.  155,  6)  werden 
wir  wider  in  den  kreis  der  erhaltenen  lieder  geführt. 

155,  6—156,  7  beruht  auf  SigurÖ.  Fäfn.  III,  6—20:  die 
ersten  Strophen  des  liedes  sind  nicht  widergegeben,  da  sie  eine 
jedenfalls  jüngere  Übersicht  über  vorangegangenes  enthielten, 
—  Str.  14.  15.  16  haben  eine  gute  correctur  erfahren ;  während 
nach  dem  liede  Gunnar  erst  Högni  ruft,  dann  str.  15.  16  zu 
ihm  spricht,  lässt  der  Verfasser  ihn  den  inhalt  von  str.  15  für 
sich  sagen,  dann  Högni  rufen  und  ihm  den  entschluss,  Sigurd 
zu  töten,  mitteilen.  Wir  haben  aber  wol  nicht  das  recht,  wie 
Grundtvig  nach  Bugges  Vorschlag  getan  hat,  danach  die  reihen- 
folge der  Strophen  zu  ändern.  —  155,  19  f.  ^segir  [Gunnarr] 
at  hann  vill  drepa  SigurÖ,  kvaÖ  hann  hafa  velt  sik  i  trygÖ' 
seheint  misverständnis  aus  dem  freilich  doppelsinnigen 

vildu  okr  fylki 

tll  Qär  vela  (str.  16   i-  2), 

wo  indes  das  folgende  beweist,  dass  okr  subjectsacc.  ist.  — 
156,  3  f.  'ok  hennar  räÖ  koma  oss  i  mikla  svivirÖing  ok  skaÖa' 
ist  Zusatz. 

Es  folgt  nun  ein  längeres  stück,  das  nichts  entsprechendes 
hat  (156,  7  — 157,  15).  Bugge  i)  statuiert  auch  hier  eine  ver- 
lorene quelle.    Dazu   aber  liegt  eine  notwendigkeit  kaum  vor. 

')  a.  a,  o.   s.  XL.  251. 


VOELSUNGA  SAGA.  235 

Das  lied  geht  ausserordentlich  sprunghaft  vor.  Es  heisst 
Str.  21: 

dfelt  var  at  eggja 

(^bilgjarnan, 

stöÖ  til  hjarta 

hjörr  Sigur{5i, 

also  ganz  ohne  Überleitung  wird  von  Gunnars  entschluss,  Sigurd 
zu  töten,  zum  morde  geschrittten.  Mit  recht  bemerkt  W.  Grimm  i) 
'wie  unzulänglich  für  epische  entvvickelung  und  doch  wie 
})oetiscb  anschaulich!'  Was  aber  an  einem  liede  als  eine  der 
alliterationspoesie  eigentümliche  darstellung  erträglich  ist,  wäre 
es  nimmermehr  für  eine  prosaerzählung  gewesen.  Sie  stellt 
darum  die  Vorbereitungen  zum  morde  etwas  ausführlicher  dar, 
wesentlich  mit  anlehnung  an  das  Brot  af  Sig:  ja  die  citierle 
Strophe  (bei  Bugge  no.  26)  ist  geradezu  aus  Brot  4  entlehnt, 
wenn  auch  in  stark  verderbter  form.  Dies  schliesst  schon  an 
und  für  sich  die  Wahrscheinlichkeit  einer  weitern  quelle  aus. 
Der  zug,  dass  Sigurds  scharfe  Völsungsaugen  den  mörder  zwei- 
mal zurückschrecken,  macht  einen  sehr  poetischen  eindruck, 
wnrd  aber  allgemeiner  auch  Brot  4  augedeutet,  ist  überdies 
gerade  im  augenblick  des  Schlafes  kaum  ganz  passend.  Ueber- 
haupt  ist  bemerkenswert,  dass  Sigurds  glänzende  äugen,  die 
Fäfn.  5  (inn  fräneygi  sveinn)  angedeutet  werden,  vom  Verfasser 
an  den  verschiedensten  stellen  erwähnt  werden  (so  liO,  13. 
134,  12.  182,  14):  sie  mögen  wol  am  ersten  in  der  tradition 
fortgelebt  haben.  Seine  äugen  heissen  fast  immer  snör,  wozu 
der  dänische  Sivard  Snarensvend  zu  vergleichen  ist. 

Die  erzählung  von  Sigurds  ermordung  und  letzten  Worten 
(157,  15—158,  20)  folgt  wider  Sig.  III,  22—28.  Die  letzten 
hierher  gehörigen  worte  (158,  17 — 20)  sind  zusatz,  nach  ge- 
wöhnlicher annähme  aus  }?idr.  s.  c.  347  (Unger  301,  22 — 25. 
27 — ^30)  entlehnt:  es  wird  später  im  zusammenhange  gezeigt 
werden,  dass  diese  ansieht  nicht  das  richtige  trifft.  —  Auch 
158,  11 — 13:  ok  nü  er  }>at  .  .  .  viö  sköpum  vinna  ist  zusatz.  — 
158,  21 — 159,  8  ist  paraphrase  von  Sig.  III,  29 — 33,  im  ganzen 
treu:  den  schluss  des  capitels  bildet  abermals  ein  ganz  allge- 
meiner zusatz  (159,  8 — 15),  worte  Högnis  und  Gudruns,  die  der 

>)  HS  2  373, 


236  SYMONS 

der   Situation   einen  passenden  abschliiss  geben  sollen.    Nach 
einer  quelle  für  sie  wird  niemand  suchen  wollen. 

Das  XXXI.  capitel  beginnt  mit  einer  eingeschobenen  para- 
phrase  der  schlussstrophen  des  Brot  af  Sig.  (str.  15 — 19):  die 
vorhergehenden  Strophen  desselben  waren  für  den  Verfasser 
nicht  zu  brauchen,  da  sie  in  einer  ganz  andern  sagenform, 
Sigurds  ermordung  im  freien,  stehen.  Diese  wenigen  hat  er 
nicht  unpassend  in  die  widei-gabe  des  dritten  Sigurdsliedes 
eingeschoben,  da  sie  einen  beredten  ausdruck  für  JJrynhilds 
schmerz  geben.  —  Merkenswert  ist  160,  2:  ok  let  [SigurÖr] 
]>ik  [Gunnar]  fremstan  vera,  nämlich  indem  er  Brynhild  nicht 
berührte;   Brot  af  Sig.  17  liest 

er  hann  fremstan  sik 
finna  vildi. 

Wenn  nicht  mit  Bugge  nach  Völs.  s.   zu  ändern  ist,   wäre  die 
besserung  des  sagaschreibers  sehr  verständig. 

Es  lenkt  dann  das  cap.  160,  4  'ok  snemma  reÖu  per  til 
saka  viÖ  hann  ok  viÖ  mik'  (viÖ  hann  ist  überleitender  zusatz) 
in  die  paraphrase  von  Sig.  III,  34  über;  das  lied  Avird  bis 
zum  schluss  benutzt  (160,4 — 162,2).  In  betreff  der  benutzung 
ist  noch  folgendes  zu  ])emerken :  str.  36 — 41  (Brynhilds  er- 
zwungene heirat)  werden  ganz  kurz  widei'gegeben,  da  dasselbe 
schon  c.  29  (B.  150,  o  if.)  nach  anderer,  durch  die  lücke  ver- 
lorener quelle  erzählt  war,  —  160,  11  'ok  eigi  mun  yt)Y  farast 
J>ütt  ek  deyja'  nimmt  str.  53  5— S; 

muna  y?5vart  far 

alt  i  sundi, 

|>6tt  ek  hafa 

öndu  latiÖ 

vorweg.  —  160,  12 — 26.  Brynhilds  tod  ist  vermenschlicht.  Es 
zeigt  sich  hier  derselbe  Verständnismangel  für  die  valkyrien- 
natur  derselben,  wie  bei  Sigrün.  An  stelle  der  Weigerung  der 
mägde,  mit  der  herrin  in  den  tod  zu  gehen  und  der  stolzen 
antwort  der  valkyrie  (str.  5J.  52)  setzt  verf.  den  lahmen  satz: 
'allir  )?ögbu.  Brynhildr  ma^lti:  |>iggiÖ  guUit  ok  njötiÖ  vel!'  — 
161,  2  f.  'sa;ttast  muuu  ]-'it  Gudrun  brätt'  beruht  auf  str.  54, 
allein  'meÖ  räÖum  Grimhildar  eunar  fjölkungu'  ist  zusatz,  auf 
kenntnis  von  Gudr.  II,  17  ff.  fussend.  —  IGl,  11  'ok  gipt  Jör- 
munreki  konungi'  ist  zusatz.  —  161,  12  f.  'ok  pk  er  farin  öll 


VOELSUNGA  SAGA.  2B7 

sett  yÖur'  yÖur  kaun  sich  uatiirlicli  nur  auf  die  Gjukungc 
beziehen.    Str.  64  5.  6; 

pk  er  öU  farin 

Jett  SigurÖar. 

Der  grund  zur  äuderuug-  war  die  eiiiführung  Aslaugs,  durch 
die  Sigurds  geschlecht  nicht  ausstirbt,  i) 

Das  capitel  schliesst  (1G2,  3  — 10)  mit  der  Verbrennung 
von  Sigurds  und  Brynhilds  leichen.  Diese  erzählung  ist  aber- 
mals ein  Zusatz,  und  zwar  ein  höchst  bezeichnender.  Die  ein- 
leitende prosa  zu  Helr.  Brynli.  (B.  260,  1 — 9),  die  in  K  un- 
mittelbar auf  den  schluss  der  Sig.  III  folgt,  ist  hier  vom  Ver- 
fasser umgemodelt  worden.  Jene  prosa  widersprach  dem  ge- 
rade vorher  Sig.  III,  65  fl".  ausgesprochenen  letzten  wünsch  der 
Brynhild,  ein  Widerspruch,  den  der  sagaschreiber  nicht  dulden 
konnte,  vielmehr  in  pietätvoller  beachtung  der  letzten  wünsche 
der  toten  löste.  Anstatt  aus  dieser  änderung  den  schluss  zu 
ziehen,  dass  der  Verfasser  Helr.  Brynh.  in  dem  von  ihm  benutzten 
codex  der  Sammlung  nicht  vorfand,  ist  man  weit  eher  berech- 
tigt, gerade  das  gegenteil  anzunehmen.  Die  prosa  findet  sich 
an  derselben  stelle  in  R  und  in  Völs.  s.,  die  änderung  des  Ver- 
fassers gibt  abermals  einen  beleg  für  seine  tendenz,  sich  wider- 
sprechende sagenformen  zu  verschmelzen.  —  Dass  Brynhild 
Sigurds  dreijährigen  söhn  töten  liess,  ist  ein  zusatz,  der  sieh 
aus  Sig.  III,  12  ergab;  das  nochmalige  anbieten  des  goldes 
endlich  (162,  7  ö'.)  ist  eine  übel  erfundene,  für  den  Verfasser 
aber  ganz  charakteristische  ausraalung. 

c.  XXXII  hebt  an  mit  einer  Verkündigung  von  Sigurds 
weltruhm  (162,  11 — 15),  die  nichts  entsprechendes  in  den  lie- 
dern  hat,  aber  zu  l?idr.  s.  c.  348  (Unger  s.  302,  19  —  23) 
stimmt.2) 

Es  folgt  dann  eine  widergabe  der  GuÖrünarkviÖa  II  (str. 
19  9—12.  22.  23  citiert).  Nach  der  einleit.  prosa  zu  diesem 
liede  (B,  265,  1 — 5)  klagt  Gudrun  den  ganzen  Inhalt  desselben 
dem  J-»jöbrekr.  Der  Verfasser  hat  dies  geändert:  die  ersten 
Strophen  lässt  er  Gudrun  in  ihrem  gemache  klagen,  das 
weitere  von  str.  i)  an   behandelt   er  als  erzählung.    Wie  aber 


»)  Vgl.  8.  204. 

=")  Vgl.  unten  cap.  III. 


238  SYMONS 

ßugge ')  daraus  scbliessen  kann,  die  cinleit.  piosa  sei  ilnn  un- 
bekannt g-ewesen,  ist  niclit  recht  vcrständlicli :  was  sollte  in 
einer  zusannnenhäugenden  crzäblung-  die  klägliche  einführunj; 
des  Dietrich  als  stumme  persou,  die  geduldig  der  vita  der 
Gudrun  lauscht?  Bekanntlich  steht  Gu?5r.  II  in  der  anscbauung 
von  Sigurds  ermordung  im  freien  (str.  4 — 12);  alles  darauf  be- 
zügliche bat  der  Verfasser  sorgfältig  vermieden,  da  er  einmal 
die  ältere  sagenform  von  Sigurds  tod  angenommen  hatte. 
Granis  trauer  behält  er  zwar  bei,  fügt  sie  aber  durch  den  Zu- 
satz: ^pk  er  bann  sä  säran  sinn  länardröttin '  (162,  22)  obne 
allen  widersprucb  ein. 

In  betreff  des  einzelnen  sind  indes  ein  paar  bemerkungen 
notwendig.  163,  9  f.  ^ok  J?at  bvröu  I>?er,  er  peir  börÖust  Si- 
garr  ok  Siggeirr  ä  Fjöni  suÖr'   str.  16: 

]7at  er  |7eir  bört5uz 

Sigarr  ok  Siggeirr 

suÖr  ä  Fi  vi. 
Für  die  vergessene  schottische  landschaft  Fife,  eine  remi- 
niscenz  an  die  vikingerzeiten^),  setzt  der  Verfasser  das  bekanntere 
Fünen  ein.  —  163,  15 — 22  ist  ein  einfacher  zusatz,  ganz  im 
Stil  der  ritterromane,  der  sich  in  nichts  von  dem  angeblicb  aus 
]?ibr.  s.  entlehnten  cap.  22  unterscheidet.  —  163,  23  ff.:  ']>SiY 
var  Valdamarr  af  Danmörk  ok  EymöÖr  ok  Jarisleifr.  ]?eir 
gengu  inn  i  höll  Hälfs  konungs;  |>ar  väru  LangbarÖar,  Frakkar 
ok  Saxar.'  Im  liede  str.  19  findet  sich  nicht  Valdamarr,  son- 
dern Valdarr.  3).  Valdamarr  war  wol  der  bekanntere  name. 
Dann  ist  im  liede  19  "'  langbarÖs  liÖar  doch  wol  appellativisch 
zu  fassen  als  leute  des  langbärtigen  Atli,  der  seine  boten 
sendet,  um  um  Gudrun  zu  werben :  der  Verfasser  verwandelte  das 
in  die  Langobarden,  denen  er  zur  Vermehrung  des  glanzes  nocb 
Franken  und  Sachsen  hinzufügte.  —  164,  13  ff.:  'sä  drykkr 
[der  Vergessenheitstrank,  den  Grimhild  der  Gudrun  reicht]  var 
blandinn  meÖ  jarbar  magni  ok  sje  ok  dreyra  sonar  hennar, 
ok  pvi  i  hornu  väru  ristnir  hverskyns  stafir  ok  roÖnir  meÖ 
blöÖi'   beruht   auf  str.  21.  22,  jedoch   mit   zwei   auffallenden 


3)  a.  a.  0.  s.  XL. 

2)  Vgl.  K.  Maurer,  zs.  f.  deutsche  phil.  II,  467. 

'■>)  Vgl.  Hervar.  s.  c.  16  (Fas.  I.  490):    Valdarr  Donum. 


VOELSUNGA  SAGA.  239 

misverständnissen:  ok  sunar  (sonö  R)  dreyra  (21  8)^  d.i.  'dem 
sonnenstrom '  ^)  bat  der  Verfasser  verstanden  als  'dem  blut 
ihres  sohnes'^),  und  'ok  roÖnir  meÖ  blöÖi'  ist  gleicbfalls  falsch 
aufgefasst  aus  str.  22: 

väru  i  horni 

hverskyns  staflr 

ristnir  ok  roÖnir, 

d.  h.  die  runen  erschienen  durch  das  getränk  hindurch  gerötet. 
—  165,  15.   Grimhild  bietet  Gudrun    'dy'rliga  iiringa  ok  ärsal 
hy'nskra  meyja'.    "Was  'ärsal  hy'nskra  meyja'  heissen  soll,  ver- 
stehe ich  nicht.     Licht  bietet  das  lied  str.  25  7.    26  i : 
25,  7     ärsal  allan 

at  jöfur  fallinn. 
26     Hünskar  meyjar, 

Jjfer  er  hlaÖa  spjöldum 
ok  göra  guU  fagrt. 

Es  hat  also  der  Verfasser  zwei  getrennte  dinge  zu  etwas  un- 
verständlichem zusammengeworfen:  man  müste  denn  mit  Ett- 
müUer  ärsal  =  dienersaal  (von  ärr  =  got.  airus)  =  diener- 
schaft  fassen,  was  mir  aber  ganz  unglaublich  ist.  —  Auch  freie 
Zusätze  finden  sich  ein  paar  mal:  165,  18  f.  ok  lät  eigi  .  .  . 
sem  ver  biöjum;  166,  2  bann  var  öllum  frerari;  166,  10  hennar 
or(5  .  .  .  ganga.  —  166,  14  ff.  dauert  Gudruns  reise  in  Atlis 
land  3  mal  4  ==  12  tage;  nach  GuÖr.  II,  35  dagegen  3  mal  7 
=  21  tage,  sjau  ist  an  allen  drei  stellen  das  ursprüngliche, 
Avie  der  reim  sjau  :  svalt  erweist.  Das  berechtigt  aber  noch 
nicht,  wie  Bugge  tut,  auch  in  der  Völsuuga  saga,  die  überall 
Qora  hat,  sjau  in  den  text  zu  setzen.  Dem  Verfasser  mag  die 
fahrt  von  21  tagen  gar  zu  ermüdend  geschienen  haben,  viel- 
leicht dachte  er  sich  auch  eine  bestimmte  localität  unter  Atlis 
reich,  für  die  eine  zwölftägige  reise  passender  Avar.  —  Es 
schliesst  das  capitel  mit  einem  zusatz  166,  16 — '21,  der  ganz 
notwendig  für  die  erzäldung  war:  er  deutet  die  Vermählung 
Atlis  und  Gudruns  an,  die  das  lied  als  selbstverständlich  über- 
gehen konnte,  da  ja  hier  Gudrun  selber  dem  Dietrich  an  Atlis 
hof  erzählt. 

cap.  XXXIII  (167,  1  — 18)  paraphrasiert  den  schluss  von 


'>  Vgl.  Hyndl.  38,  4. 

^)  Bugge  zu  Völs.  s.  104,  13. 


240  SYMONS 

Gu(lir.  II,  Atlis  träume  und  ihre  deutuug  durch  Gudrun.  Die 
letzten  Strophen  43.  44  liaben  gewis  nicht  bloss  uns,  sondern 
scliou  dem  Verfasser  schwierig-keiten  i>-emacht.  Str.  43  hat  er 
gar  nicht  verstanden  und  deshalb  einen  wenig  passenden  sinn 
hineingebracht.  Str.  44  fand  er  ganz  ebenso  unvollständig  vor, 
wie  K  sie  uns  bietet:  deshalb  fügt  er  einen  ungefähren  ab- 
schluss  hinzu:  'ok  vfcri  räÖinn  bani  niinn'.  Nu  liör  }?etta,  ok 
er  |>eira  samvista  fälig. 

Nach  kurzer  Überleitung  (167,  17  —  21)  lenkt  dann  der 
sagaschreiber  in  eine  paraphrasieruug  der  Atlilieder  ein.  Die 
Paralleldarstellung  der  AtlakviÖa  und  der  Atlamäl  ergänzt  sich 
gewissermassen ;  beide  lieder  heben  nur  einzelne  lichtpunkte 
der  darstellung  heraus,  merkwürdiger  weise  aber  durchaus  ver- 
schiedene. Die  sageuform  der  AtlakviÖa  ist  die  jüngere,  die 
gewis  unter  erneutem  deutschen  einflusse  steht  ^) ,  w^enn  auch 
wahrscheinlich  das  lied  selbst  älter  ii^t  als  die  Atlamäl.  Der 
sagaschreiber  hat  es  nun  versucht,  beide  darstellungen  zu  einem 
gesammtbilde  zu  verschmelzen:  seine  versuche  erstrecken  sich 
bis  auf  die  episoden  und  einzelzüge  der  darstellung.  Im  all- 
gemeinen Avird  man  seinem  streben  die  anerkennung  eines  ge- 
wissen geschicks  nicht  versagen  dürfen:  manchmal  aber  läge, 
auch  wenn  die  vergleichung  der  quellen  nicht  zu  geböte  stände, 
die  flickarbeit  auf  der  Oberfläche.  Wesentlich  hält  sich  der 
Verfasser  an  die  ausgedehntere  und  voraussetzungsfreiere  dar- 
stellung der  Atlamäl.  Ihre  lücken  ergänzt  er  durch  die  Atla- 
kviÖa; lagen  nach  seiner  ansieht  in  beiden  liedern  Sprünge  vor, 
so  ergänzt  er  sie  auf  eigene  band.  Ich  will  das  im  einzelnen 
auszufühi-en  versuchen. 

Die  verhängnisvolle  botschaft  Atlis  und  Gudruns  an  die 
Gjukunge  wird  167,  21  —  169,  17  aus  Akv.  3  —  8  und  Atlm. 
1 — 9  zusammengefügt:  gelegentlich  wird  auch  einmal  (168,  7) 
die  prosa  Drap  Niflunga  B.  264,  17  flf.  benutzt. 2)  Der  böte 
heisst  in  Akv.  KnefruÖr,  in  Atlm.  Vingi:  letzteren  namen  be- 
hält der  Verfasser  bei.  Eine  änderung  ist  interessant;  Akv.  6 
sagt  Gunnar: 


«)  Vgl.  HS  2  12. 
s)  Vgl.  8.  219. 


VOELSÜNÖA  SAGA.  241 

Gull  vissa  ek  ekki 
a  GDitaheiÖi, 
^at  er  vit  aettima 
annat  slikt. 

Nach  dieser  stelle  erscheint  also  das  gold  der  Gnitaheide 
im  besitz  Atlis,  was  wider  alle  sonst  bekannte  sage  streitet: 
der  dichter  dieses  liedes  hat  keinenfalls  das  gold  der  Gnita- 
heide für  gleichbedeutend  mit  dem  hört  der  Niflunge  (hodd 
Niflunga  26,  7)  gehalten,  der  doch  noch  SE  I,  360  auch  mälmr 
GnitaheiÖar  heisst.  Diesen  Widerspruch  hat  der  sagaschreiber 
gefühlt  und  die  sage  ins  richtige  gleichge wicht  gebracht  (168, 
20  K):  'en  enga  konunga  veit  ek  jafnmikit  gull  eiga  sem  okkr 
[Gunnar  ok  Högna],  |?viat  vit  höfum  j?at  gull  alt,  er  ä  Gnlta- 
lieiÖi  lä.'  —  169,  9 — 13  ist  ein  stärkerer  zusatz;  Vingi  bietet 
den  Gjukungen  die  regentschaft  über  Atlis  land  bis  zur  mtin- 
digkeit  von  dessen  söhnen  an.  Der  zusatz  war  vorbereitet 
durch  Akv.  5  und  findet  sich  in  der  |?idr.  s.  c.  360  (Unger  309. 
9 — 13)  wider.     Ich  komme  darauf  zurück.') 

c.  XXXIV  behandelt  Kostberas  träume  und  ihre  deutung 
durch  Högni  nach  Atlm.  7  5 — 20.  Auch  hier  hat  sich  der 
Verfasser  einzelne  abweichungen  erlaubt.  Ein  träum  (170,  5 — 6) 
ist  combiniert  aus  Atlm.  17  2  und  26  1-2;  ein  anderer  (170, 
10 — 12)  wird  Atlm.  26  der  Glaumvör  in  den  mund  gelegt,  und 
Högnis  antwort  (170,  13 — 14:  '}?ar  munu  renna  akrar,  er  )>ii 
hugÖir  äna,  ok  er  ver  göngum  akrinn,  neraa  opt  störar  agnir 
foetr  vära'  fehlt  ganz  im  liede;  letzteres  ist  indes  wol  nur 
schuld  der  Überlieferung.  Mit  recht  nimmt  Bugge  nach  str.  26 
eine  lücke  an,  reconstruiert  sogar  die  strophe  nach  den  worten 
der  Vöisunga  saga.  Was  übrigens  den  Verfasser  zu  diesen 
änderungen  veranlasst  hat,  ist  schwer  zu  sagen.  Vielleicht  be- 
weg ihn  bloss  die  isländische  Vorliebe  für  träume,  ihre  anzahl 
um  einen  zu  vermehren. 

In  c.  XXXV  folgen  dann  die  träume  Glaumvörs  und  ihre 
deutung  durch  Gunnar  (171,  8—20),  nach  Atlm.  21 — 29,  so- 
dann der  aufbruch  der  Gjukunge  und  ihre  reise  in  Atlis  land 
(171,  21—173,  11)  nach  Atlm.  30—41  und  Akv.  10—14.  Un- 
passend schiebt  der  Verfasser  die  scene  der  Akv.,  wie  Gunnar  in 
trotziger  todesverachtung  den  boten  den  abschiedstrunk  reichen 


')  Vgl.  unten  c.  III. 


242  SYMONS 

lässt,  unmittelbar  vor  den  aufbruch.  Die  schöne  strophe  11 
der  Atlakvi<:ia  wird  ganz  nmg-estaltet  (171,  24  ff.):  'ok  nü  mun 
enn  gamli  ülfrinn  komast  at  gullinii,  ef  v6r  deyjum,  ok  svä 
björninn  mun  eigi  spara  at  bita  sinum  vigtönnum.'  Nach  Akv. 
wird  die  reise  ins  land  der  Budlunge  als  landreise,  nach  Atlm. 
als  Seereise  dargestellt:  indem  Verfasser  beides  vereinigt,  lässt 
er  die  Gjukunge  erst  zu  wasser,  dann  zu  lande  reisen.  —  Auch 
ein  paar  besserungen  im  ausdruck  sind  hier  anzumerken. 
173,  1  tr.:  'JM  miclti  Vingi  :  };ctta  mattir  pii  vel  ügert  hafa', 
verglichen  mit  x4tlm.  39: 

ort5  kva?5  Ipä  Vingi, 

|>az  an  vaeri. 

Ganz  ähnlich  173,  7  ff.:  'Högui  svarar:  eigi  munu  ver  fyrir 
]>er  vjcgja,  ok  litt  hygg  ek,  at  ver  hrykkim  |>ar,  er  menn 
skyldu  berjast',  verglichen  mit  Atlra.  40: 

orÖ  kvat5  hitt  Högni, 

hug?5i  litt  vaegja, 

varr  at  Vcettiigi, 

er  vart5  at  reyna. 

Es  ist  möglich,  dass,  wie  Bugge  glaubt,  dem  Verfasser  der 
beiden  stellen  andere  lesarten  vorgelegen  haben,  indes  nicht 
notwendig,  da  der  oft  dunkle  und  schwierige  ausdruck  der 
Atlilieder  ihn  nicht  selten  zu  selbständigen  änderungen  oder 
misverständnissen  geführt  hat. 

c.  XXXVI  ist  ganz  nach  Atlm.  42  —  57  gegeben.  Zwei 
Zusätze,  ein  grösserer  und  ein  kleinerer,  sind  indes  zu  beachten. 
173,  14 — 20  fragt  Atli,  bevor  er  zum  kämpfe  schreitet,  die  Gju- 
kunge in  gute,  ob  sie  den  schätz  ausliefern  wollen.  Als  Gunnar 
das  verweigert,  motiviert  Atli  den  angriff  durch  den  wünsch, 
Sigurd  zu  rächen.  Finn  Magnussen  ^)  nimmt  eine  vollständigere 
redaction  der  Atlm.  an.  Ein  selbständiger  zusatz  scheint  mir 
auch  hier  glaublicher,  da  er  ganz  und  gar  in  des  Verfassers 
weise,  spriinge  der  quelle  zu  glätten,  begründet  ist.  Ueberdies 
ist  die  motivierung  von  Atlis  verrat  durch  das  bestreben,  räche 
zu  nehmen  für  Sigurds  ermordung,  der  sage  ganz  und  gar 
nicht  angemessen.  —  174,  22  'ok  verÖr  hvild  ä  bardaganum.' 
Diese  pause  im  kämpf  ist  an  und  für  sich  beiden  darstellun- 
gen,  der  Akv.  und  den  Atlm.,   fremd.     Allein  sie  ist  ganz  wol 


')  den  «Idre  edda .  .  .  oversat  og  forklared  (Kbhv.  1821—1823)  IV,  168. 


VüELSUNGA  SAGA.  243 

begreiflich.  Nach  Akv.  findet  der  kämpf  im  saal,  nach  Atlm. 
im  freien  statt:  treu  seiner  weise,  vereinigt  der  Verfasser  beides. 
Seine  darstellung  lautet  nun  so:  zuerst  liudet  der  kämpf  im 
freien  statt;  als  das  häuflein  der  Gjukunge  stark  gelichtet  ist, 
entsteht  eine  pause;  es  folgen  die  reden  Atlis  und  der  Gu- 
drun i)  nach  Atlm.  54 — 57.  Darauf  reizt  Atli  von  neuem  zum 
kämpf  (mit  anlehuung  an  Atlm.  58  i-  ^■),  und  derselbe  zieht 
sich  nun  in  den  saal  (c.  37.  ß.  175,  11 — 16).  Diese  einfache 
Überlegung  macht  sowol  die  annähme  Magnüssons  2),  dass  zwi- 
schen Atlm.  58  und  59  ein  bedeutenderes  stück  ausgefallen 
sei,  als  Bugges  Vermutung,  dass  die  darstellung  der  Völs.  s. 
teilweise  auf  Jndr.  s.  c.  384  beruhe^),  völlig  unnötig.  Letztere 
speciell  wäre  auch  dann,  wenn  nicht  überhaupt  das  quellen- 
verhältnis  zwischen  Völs.  s.  und  )?iÖr.  s.  anders  zu  beurteilen 
wäre,  unerlaubt,  da  die  AtlakviÖa  in  ihrer  darstellung  des 
kampfes  gleichfalls  auf  dem  boden  der  deutsehen  sage  steht; 
eine  bestätigung  von  W.  Grimms  beobachtung  ^) ,  dass  dieses 
lied  bekanntschaft  mit  einer  neuen  fortbildung  der  deutschen 
sage  verrät. 

c.  XXXVII  ist  wider  ganz  zusammengeflickt  aus  Akv.  und 
Atlm.  Zuerst  wird  die  episode  des  Hjalli  175,  23 — ^176,  17 
nach  Atlm.  erzählt,  dann  die  schöne  abweichende  darstellung 
der  Akv.  20—30  nachgeholt  (177,  1—178,  4).  Nirgends  deut- 
licher als  hier  zeigt  sieh  die  combinationslust  des  sagai^chrei- 
bers.  Indes  ganz  so  unverständig,  wie  manche  diese  Vereini- 
gung finden  5),  ist  sie  in  der  tat  nicht.  Der  Verfasser  hat  sich 
vor  Widersprüchen  gehütet:  die  diener  entschliessen  sich  zuerst 
auf  Högnis  trotzige  bitte,  den  furchtsamen  Hjalli  freizugeben; 
als  aber  Atli  Gunnar  täuschen  will,  indem  er  ihm  statt  Högnis 
tapferen  herzen  das  noch  leblos  zitternde  des  knechtes  vor- 
legen lässt,  wird  er  dennoch  getötet. 

Die  erzählung  von  Guuuars  tod  im  ormgarÖ  ist  combiniert 
aus  Akv.  31.    Atlm.  66  — G7.    Drap  Nifl.  (ß.  264,  28—30)  und 


*)  In  der  saga  wird  Högni    str.  57  zugeteilt,    iu  R  fehlt  die  Über- 
schrift.   Allein  schon  Lüning  teilte  sie  mit  recht  der  Gudrun  zu. 

2)  a.  a.  o.  IV,  172. 

3)  z.  Atlm.  58  (8.  301). 
'*)   HS  2  4.  12. 

^)  z.  b.  von  Liliencrun,  über  die  uibelungenhs.  C,  s.  87  ff. 


244  SYMONS 

Oddr.  32.     Als  charakteristisches  beispiel  für  des  sagaschreibers 
arbeitswcise  lasse  ich  die  vergleich ung-  dieser  partie   folgen: 

Völs.  s.  US,  5—14 

ni'i  er  Gunnarr  konungr  settr  i  Akv.  'M    lifanda  graiu 

einn    orragarÖ;    )?ar    väru    margir  lagÖi  i  gaiÖ  j^ann, 

ormar     fyrir,     ok    varu     [hendr]  er  skriÖiim  var 

hans   fast  bundnar;    GuÖri'in  sendi  

honum  hörpu  [eina,  an]  hann  sy'ndi  inuau  ormum. 

sina  list  ok  slö  hörpuna  met5  mikilli  Atlm.  66   hürpu  t6k  Gunnarr 

list,    at  hann    drap    strengina  meÖ  hroeröi  illkvistum, 

tänum,  ok  lek  svä  vel  ok  atbragö-  giä  hann  sva  kunni, 

liga,  at  fair  j^öttust  heyrt  hafa  sva  at  snötir  gretu; 

me?5  höndum  slegit,  ok  pav  til  lek  klukku  J^eir  karlar 

hann  )5essa  ij^rött,  at  allir  sotnut5u  er  kunnu  görst  heyra 

ormarnir,  nema  ein  nat5ra  mikil  ok  jy>     ^^^   g   264,  28-30 

iUilig  skreiö  til  hans  ok  gröf  inn  j^^^^  ^j^  ^.^^.^^  ^^  ^^^^^.  ^^.^^^^^ 

sinum   rana,    pav  til   er   hann    h)ö  ^^  ^^g^.^  ^^^j^^  ^^^^  ^jl  j.^-.^^^.^ 

hans  hjarta,  ok  ]7ar  let  hann  sitt  hf 

met5  mikilli  hreysti.  '  , 

pa  kom   .     .    . 


ok  Gunnari 
gröf  til  hjarta 
Bemerkt  sei  noch  dazu,  dass  die  Atlilieder  vom  einschlä- 
fern der  schlangen  überhaupt  nichts  wissen;  dass  Gudrun  dem 
Gunnar  die  harfe  sendet,  ist  ein  prosaischer  zusatz,  der  erklä- 
ren soll,  wie  Gunnar  plötzlich  im  besitz  derselben  ist.  Dass 
diese  combinierte  darstellung  höchst  wahrscheinlich  von  einfluss 
auf  die  der  SE  I,  364  gewesen  ist,  wurde  oben  gezeigt.^) 

Die  weitere  erzähhmg  in  c.  XXXVIII  von  Gudruns  räche 
beruht  völlig  auf  Atlm.  68 — 104,  die  hier  im  wesentlichen  zwar 
weit  ausführlicher  sind  als  Akv.,  aber  keine  abweichenden  züge 
bieten.  Nur  zum  schluss  hat  das  streben  nach  ausgleichung 
eine  grobe  geschmacklosigkeit  zur  folge  gehabt.  Nach  Akv. 
tötet  GuÖrun  den  Atli  und  weiht  darauf  die  ganze  bürg  mit 
ihren  Insassen  der  Vernichtung.  Das  ist  gewis  der  acht  tra- 
gische schluss,  der  der  ursprünglichen  sage  zukommt.  Der 
zweifellos  christliche  dichter  der  Atlamäl  lässt  Gudrun  sich  mit 
dem  sterbenden  Atli  versöhnen,  ihn  ehrenvoll  bestatten  und 
darauf  selber  den  tod  suchen.  Der  sagaschreil)er  hat  nun  auch 
hier  beides  vereinigt,  und  Gudrun  bestattet  zunächst  pietätvoll 

»)  8.  210  f. 


VOELÖUNGA  SAGA.  245 

cien  toten  gemahl,  dann  lässt  sie  feuer  an  die  halle  legen. 
Tröstlich  für  den  Verfasser  kann  es  sein,  dass  Rassmann  i)  bei 
seiner  reeonstruction  des  'alten  epos'  diese  fiiekarbeit  wirklich 
als  ächte  darstellung-  adoptiert  hat. 

Auch  in  diesem  capitel  liegt  häufig  misverständnis  von 
liedworten  oder  zusatz  einzelner  sätze  vor.  So  sollen  die 
Worte  179,  2  ff.:  'ok  sü  mun  erföin  leogst  eptir  lifa  at  ty'na 
eigi  grimdinni,  ok  mun  |?er  eigi  vel  ganga,  meÖan  ek  lifi'  wol 
Atlm.  str.  69  5—8  widergeben,  sie  sind  aber  nahezu  unver- 
ständlich. —  179,  23:  ^en  j?er  er  skömm  1  at  gera  )?etta'  ist 
ein  misverständnis  aus  Atlm.  str.  78  7.  8: 

skömm  mun  ro  reit5i, 
ef  pü  reynir  gerva. 

Die  Worte  180,  12  f.:  'verra  hefir  ]?ü  gert,  en  menn  viti 
dcemi  til '  gehören  der  Gudrun  und  sind  in  der  saga  unrichtig 
dem  Atli  in  den  mund  gelegt.  Diese  beispiele  Hessen  sich 
vermehren. 

Es  schliesst  c.  XXXVIII  (B.  182,  8  —  11)  mit  einem  all- 
gemeinen rühm  der  Völsunge  und  Gjukunge,  einem  zur  ab- 
schliessung  dieser  hauptpartie  der  sage  ganz  geeigneten  zusatz. 
Mit  c.  XXXIX  geht  der  Verfasser  zu  dem  letzten  teil  der 
sage,  Svanhilds  und  ihrer  brüder  Untergang,  über.  Dieses 
capitel  ist  teilweise  aus  eddischen  und  eigenen  reminiscenzen 
zusammengeflickt,  teilweise  eine  widergabe  der  einleitenden 
prosa  zu  GuÖrünar  hvöt  (ß.  311,  1—18).  —  182,  13  ff.:  'hon 
var  allra  kveuna  vanst  ok  hafÖi  snör  augu,  sem  faÖir  hennar, 
svä  at  fär  einn  |?or8i  at  sjä  undir  hennar  bry'nn'  vgl.  c.  22 
(B.  134,  12):  'augu  haus  [SiguiÖar]  väru  svä  snör,  at  fär  einn 
}->orÖi  at  lita  undir  hans  briin.  —  182,  15  ff.:  'hon  bar  svä 
mjök  af  öbrum  konum  um  vsenleik,  sem  söl  af  öÖrum  himin- 
tunglum'  vgl.  Sig.  III,  55  =  Völs.  s.  161,  4: 

sü  mun  hvitari 

enn  inn  heiÖi  dagr 

Svanhildr  vera, 

solar  geisla. 
182,  16 — 22  ist  aus  GuÖr.  hv.  prosa  (B.  311,  1 — 8)  genommen, 
vielleicht    auch    mit    anleimung    an    die    paralleldarstelluugen 
GuÖr.  hv.  13.    Sig.  III,  62.   —    Dass   Gudrun    steine    in   den 

0  I,  208. 


246  SYMONS 

schooss  legt,  um  sicherer  den  tod  zu  finden,  ist  ein  ung-eschick- 
ter  Zusatz,  der  fast  aussieht,  als  h-itte  der  Verfasser  die  sage 
ironisieren  \Yollen.  Die  einführung  der  Svanhild  aber  war 
nötig,  um  ihr  plötzliches  auftauchen  in  Jonakrs  land  zur  mög- 
lichkcit  zu  machen. 

FUr  c.  XL  (Svanhilds  Vermählung  und  tod)  ist  eine  quelle 
nicht  nachweisbar.  Die  tatsachen  werden  allerdings  in  der 
prosaischen  einleitung  zu  Gubr.  hvöt  (ß.  311,  9  tf,)  erzählt,  und 
an  andern  stellen  (Gu?:>r.  hv.  2.  16.  HamÖ.  3.  öig.  111,  63.  64) 
wird  darauf  hingedeutet.  Dennoch  darf  man  das  capitel  nicht 
als  eine  einfache  erweiterung  jener  kurzen  angaben  l)etrachten. 
Das  verbieten  die  offenbar  sagengemässen  züge  bei  Randvers 
und  Svanhilds  tod,  und  ihr  widerauftreten  in  abweichender, 
zum  teil  achterer  gestalt  in  SE  1,  366  f.  Es  liegt  nahe,  eiu 
verlorenes  lied  als  quelle  hier  anzunehmen  i):  indes  ist  doch 
zu  überlegen,  ob  nicht  für  dieses  capitel  wie  für  c.  42  (Hamdir 
und  seine  brüder),  soweit  dieses  nicht  auf  den  HamÖismäl  be- 
ruht, Volksüberlieferung  vorliegt.  Zumal  die  züge  in  letzterem 
capitel  sind  teilweise  so  verwirrt  und  gleichsam  in  ein  halb- 
dunkel  getaucht,  dass  es  schwer  wird,  an  eine  weitere  schrift- 
liche quelle  neben  den  HamÖismäl  zu  glauben.  Es  ist  aber 
unleugbar,  dass  gerade  jene  unursprünglichste  partie  der  helden- 
sage  im  norden  eine  überaus  grosse  Volkstümlichkeit  erlangt 
hat.  Yngl.  s.  c.  39  in  einer  Strophe  des  }>jü(^ölfr  aus  Hvin 
heisst  der  stein  'Jonakrs  bura  harmr'  und  ähnliche  kenningar 
finden  sich  O'lafs  s.  Tryggv.  c.  42  wie  anderwärts.'-)  Es  wird 
demnach  wol  erlaubt  sein,  dass  wir  annehmen,  der  sagaschreiber 
habe  dem  Inhalt  seiner  quelle  was  er  sonst  von  einzelnen,  oft 
verworrenen  zügen  wüste,  hinzugefügt, 

c.  XLI  ist  ein  genauer  auszug  des  GuÖr.  hvöt  str.  2 — 19. 
Missverständnis  ist  185,  4  f.:  'ok  gaf  j^eim  at  drekka  af  sto- 
rum  kerum',  beruhend  auf  str.  7  3 — l: 

ktimbl  konunga 

ör  kerum  valdi. 

Bugg-e  vermutet,  der  Verfasser  habe  sumbl  für  kumbl  gelesen.  — • 

1S5,  20  tf.:    Mier    sitr   nü    eigi   eptir    sonr   ue   döttir,   mik  at 

hugga':  GuÖr.  hv.  hat  str.  18  snör  ne  döttir,  gewis  richtiger. 


0  So  SB  II,  84  f.    Bugge  a.  a.  o.  s.  XL, 
^)  Vgl.  J.  Glimm,  Haupts  zs.  III,  154. 


VOELSUNGA  SAGA.  247 

c.  XLII  erz'ihlt  die  räche  von  Gudruns  söhnen  für  Svan- 
hilds  ermordung-  an  Jörmunrekr,  teilweise  nach  den  Hamftis- 
mäl,  von  denen  str.  28  l— ^  citiert  wird.  Ueberdies  scheinen 
Str.  12.  13.  15  (186,  4—7),  wol  auch  str.  25  (187,  2—6)  benutzt. 
Allein,  wie  schon  bemerkt,  es  finden  sich  züge,  die  bei  aller 
Verworrenheit  doch  sagenmässig-  sind,  zumal  der  zug  vom 
straucheln  Sörlis  und  Hamdirs  (186,  7 — 13),  der  sich  etwas  ab- 
weichend SE  I,  368  widerfindet.  Eine  weitere  schriftliche 
quelle  machen  sie  indes  kaum  notwendig.  —  Die  einführung 
Odins  187,  2  if.  aber  halte  ich  für  falsches  Verständnis  von 
HamÖ.  25.  Im  liede  selber  wird  die  annähme  der  erscheinung 
Odins  nicht  wirklich  notwendig.  Am  ungezwungensten  wird 
inn  reginkunngi  stets  auf  Jörmunrek  selber  bezogen  i) ,  und 
seine  einführung  str.  22  liat  erst  J.  Grimms  conjectur  2)  Hroptr 
glaÖr  für  das  überlieferte  hrofn-  glö|>3)  bewirkt:  weder  SE  I, 
370  noch  Bragis  dräpa  (SE  I,  372 — 374)  nennen  Odin.  Wenn 
allerdings  bei  Saxo  (Müller  s.  415)  wie  in  unserer  saga  Odin 
den  rat  erteilt,  so  mag  dies  eine  spätere  verirrun^-  sein.  Jeden- 
falls sind  innere  gründe  gegen  eine  ursprüngliche  einmischung- 
Odins,  der  hier  ja  geradezu  feindlich  gegen  des  Sigurd  geschlecht 
auftritt,  seine  Vernichtung  vollendet ;  zur  erklärung  dieses  Wider- 
spruchs zu  betonen,  dass  Hamdir  und  Sörli  nicht  eigentlich 
zum  geschlecht  der  Völsunge  gehören*),  heisst  die  Sachlage 
verkennen.  Hamdir  und  Sörli  sind  die  rächer  des  letzten 
Sprosses  des  Völsungengeschlechts,  in  der  tat  also  richtet  sich 
der  götter  Ungunst  gegen  dieses:  das  aber  vermag  ich  nicht 
als  in  der  sage  begründet  anzusehen. 

Mit  Hamdirs  und  Sörlis  Untergang  schliesst  die  darstellung 
der  heldensage.  Die  einführung  der  Aslaug  in  c.  XLHI  ist 
oben  ausführlich  besprochen  worden.^)  Die  weitere  erzählung 
der  saga  von  Ragnar  und  seinen  söhnen  ins  äuge  zu  fassen, 
ist  a])er  nicht  der  zweck  dieser  a])handlung. 


')  Vgl.  HS  2  390. 

-)  Haupts  zs.  III,  154. 

3)  Freilich  würde  die  einführung  von  Jörmunreks  mutter  ebenso 
wunderlich  sein,  als  die  seines  kebsweibes  (Egilsson,  lex.  poet.  75a). 
Ganz  gewis  trift't  Bugges  schöne  Vermutung  (tilkeg  og  rettelser  s.  440) 
das  richtige. 

*)  So  Lüning,  Edda  s.  409.     ^)  s.  203  ff. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  Spruche.     III.  1 7 


24b  SYMON.^i 

Diese  übersieht  über  die  bcnutzun,:^:  der  quellen  in  der 
Völsunga  saji'a,  die  honentlicli  nichts  wichtiges  übergangen  hat, 
gewährt  einen  einblick  in  des  sagaschreibers  arbeitsweise. 
Sein  streben  war  otfenbar,  einen  gut  lesbaren  i)rosaroman  her- 
zustellen: irgendwie  künstlerisclie  absiebten  haben  ihn  keines- 
wegs dabei  geleitet.  Seinen  quellen  gegenü])er,  einer  Samm- 
lung von  liedern  verschiedenen  alters,  die,  oft  sprunghaft  und 
nur  einzelne  hauptpunkte  scharf  hervorhebend,  oft  auf  Voraus- 
setzungen fnssend,  die  nur  dem  sagenkundigen  bekannt  waren, 
bald  Paralleldarstellungen  des  gleichen  ereignisses  bietend,  bald 
ganz  verschiedene  sagenformen  unvermittelt  neben  einander 
hinstellend,  im  grossen  und  ganzen  durchaus  keine  einheitliche 
darstellung  gaben,  war  dadurch  der  weg  vorgezeichnet.  Wo 
Paralleldarstellungen  vorlagen,  suchte  der  Verfasser  zunächst, 
sie  zu  combinieren,  so  die  darstellung  der  Akv,  und  Atlm.,  so 
Brot  af  Sig.  und  SiguiÖarkviÖa  III.  Widersprüche  suchte  er 
ins  gleichgevvicht  zu  bringen;  Sigrdrifa  und  Brynhild  wer- 
den ohne  bedenken  identificiert;  die  Verbrennung  von  Sigurds 
und  der  Brynhild  leichen  wird  Brynhilds  letztem  wünsche  ge- 
mäss dargestellt;  der  fluch  Andvaris  wird  mit  dem  Fäfnirs  in 
Verbindung  gebracht;  Sigurd  muss  ein  stück  von  Fafnirs  herz 
aufbewahren,  um  es  Gudrun  geben  zu  können;  die  verschie- 
deneu angaben  über  die  Hundingssöhne  werden  vereinigt.  — 
Auch  negativ  zeigt  sich  dieses  streben  nach  Vereinigung  sich 
widersprechender  sagenformen.  Von  den  Überlieferungen  über 
Sigurds  ermordung  wird  die  eine  recipiert,  alles  auf  die  andere 
bezügliche  sorgfältig  vermieden;  der  name  Niflungar  für  die 
Gjukunge,  der  sich  in  den  Jüngern  liedern  findet  i),  wird  eben- 
so vermieden,  wie  der  name  Ylfingar^)  für  die  Völsunge.  Die 
probe  des  Schwertes  Gram,  die  nach  der  prosa  der  Keginsmäl 
(B.  215b,  8)  im  Rhein  gemacht  wird,  lässt  die  saga  115,  27 
einfach  im  ström  vor  sich  gehen:  für  die  heimat  der  Gjukunge 
behält  sie  den  Rhein  bei  (139,  1). 

Die  eigentümliche  beschafienheit  der  quellen  erklärt  aber 
auch  zahlreiche  grössere   und  kleinere  Zusätze,   die  die  härten 


»)  Brot  af  Sig.  16.    Akv.  11.  17.  27.    Atlm.  47.  52.    Hodd  Nifliinga 
Akv.  26. 

2)  Helg.  Hund.  I,  34. 


VOELSUNGA  SAGA.  249 

der  darstellung-  glätten,  ihre  spriiug-e  ausfüllen,  halb  verständ- 
liches deuten  sollen.  Dabei  hat  den  Verfasser,  zum  glück  für 
die  kritik  der  sage,  seine  erfinduugskraft  oft  so  im  stiche  ge- 
lassen, dass  er  sich  an  mehreren  stellen  geradezu  selbst  aus- 
schreibt. —  Viele  alte  sagenziige  erscheinen  im  modernisierten 
gewande:  die  begegnung  Helgis  und  Sigruns  ist  völlig  in  den 
Stil  der  ritterromane  übersetzt,  dieser  wie  der  Brynhild  valky- 
riennatur  waren  dem  sagaschreiber  völlig  unverständlich.  — 
Treue  in  einzelheiten  ist  ihm  nicht  nachzurühmen,  nanien  sind 
nicht  selten  durch  bekanntere  ersetzt,  zahlen  sind  beliebig  ge- 
ändert. —  Eins  ist  hier  noch  kurz  ins  äuge  zu  fassen,  die 
äussere  benutzung  der  paraphrasierten  lieder,  ihrer  spräche  und 
ihres  verses. 

Eine  wirklich  genaue  widergabe  der  liedworte  findet  sich 
nur  da,  wo  dialog  vorhersehend  ist');  wo  ereignisse  einfach 
widererzählt  werden,  entfernt  sich  die  widergabe  weiter  vom 
ausdruck  der  lieder.  Im  ersteren  falle  aber  sind  wir  in  der 
tat  durchweg  im  stände,  den  ausdruck  der  lieder  noch  unter 
dem  prosagewande  durchzufühlen.  Das  schliesst  jedoch  nicht 
aus,  dass  der  sagaschreiber  versucht  hat,  den  oft  bis  zum  un- 
erträglichen gesteigerten  ausdruck  seiner  quellen  in  den  saga- 
stil  umzuwandeln,  dessen  eigentümlicher  reiz  ja  gerade  die 
schmucklose  einfachheit  ist.  Freilich  erreicht  er  niemals  den 
naiven  adel  der  ausdrucksweise,  der  mancher  der  I'slendinga 
sögur,  etwa  der  Eyrbyggja  oder  der  Njäla  den  Stempel 
der  classicität  aufdrückt.  Alle  kenningar  und  sonstige  aus- 
schmückung  der  lieder  vermeidet  er.  Als  beispiel  mögen  die 
eingangsstrophen  der  Fäfuismäl  dienen,  die  mit  am  treuesten 
paraphrasiert  sind : 

Fäfn.  Str.  1.  Völs.  s.  c.  Ib  (B.  120,  2  ff. 

sveinn  ok  sveinn!  —   —   — 

hverjum  ertu,  sveinn,  um  borinn?      hverr  ertu  e?5a  hverr  er  )?inn  fat5ir, 
hverra  ertu  manna  mögr?  eÖa  hver  er  aett  l?in, 

er  ]>ü  ä  Fafui  rautt  er  ]>ü  vart  sva  djarfr,  at  ]m  ]7or5ir 

]nnu  inn  t'rana  maeki,  at  bera  vapn  a  mik? 

stöndumk  til  hjarta  hjörr  —   —   — 

—   —   —  aett  min  er  mönnum   i'ikunnig  [vgl. 

Str.  2.  Str.  4  i-  2] 

göfugt  dyr  ek  heiti,  ek  heiti  göfugt  dy'r, 


»)  Vgl.  auch  Bugge  a.  a.  o.  XXXVI. 

17* 


^50 


SYMONS 


or  ek  genji^it  hefk 
iun  muömhuisi  mögr; 
föÖur  ok  äkku 
sem  fira  synir, 
geng  ek  einn  saman. 

Str.  3. 
veiztii,  ef  füt5ur  ne  ättat 
sem  fira  syuir, 
af  hverju  vartu  undri  alinn? 

(Fehlt  eine  halbstrophe.) 


\ 


ok  ä  ek  engan  föÖur  nemötJur; 
ok  einn  saman  hefi  ek  farit 


ef  )ni  att  engan  feÖr  ne  moÖur, 
af  hverju  undri  ertu  {^a  alinn? 

ok  l'ött  ]ni  segir  mer  eigi  j^itt 
nafn  a  banadoegri  minu,  Jn'i 
veiztu,  at  \>\\  ly'gr  ni'i. 


[vgl.  120,  -4  flf.] 


ek  heiti  SigurÖr,   en  faSir  minn 
Sigmundr. 


Str.  4. 
aetterni  mitt 

kveÖ  ek  )'er  okunnikt  vera 
ok  mik  själfan  it  sama; 
SigurtJr  ek  heiti, 
Sigmundr  het  minn  faöir 
er  hefk  )7ik  vapnum  vegit. 

Auch  ein  paar  worte   über   den   Stabreim.     Von  beibehal- 
tener alliteration  kann  nur  da  wirklich  die  rede  sein^  wo  etwa 
die  hälfte  eines  IjüÖahättr   oder  drei  stäbe  einer  viertelstrophe 
im  starkaÖarlag-  übereinstimmen.     Also  etwa  in  fällen  wie: 
121,    10    hve  Äeitir    sa    /iolmr,    er      Fäfn.  14   hve  sa  7«olmr  Aeitir, 


blanda  //jörlegi  Surtr  ok  ?esir 

^aman. 
122,  7     en  \>ü,  i^afnir,   ligg  i  /jör- 

brotum,  l^ar  er  j^ik  Hq\  /«afi. 
oder: 
107,  7     si(5an  väru  ]?eir  nfnir  upp 

me(5  rötum   ok  ?-oÖnir  i  blöÖi, 

ok  fcornir   ä  &ekki   ok   ftoÖnir 

mer  at  eta 


er  blanda  Ajörlegi 
5urtr  ok  assir  *aman. 
Fafn.  21    en  ]7U,  i^afnir,  ligg 
i  /jörbrotum, 
l'ar  er  l^ik  ^el  /<afi. 


171,  13     ok  <?mjut)u  »Ifar  ä  baÖum 
6'ndum  svert5sins 


Guör.II,  40    Hfnir  meÖ  rötum, 
?-o5nir  i  blöSi, 
ftornir  a  &ekki, 
fteÖit  mik  ät  tyggva 

Atlm.  24  <?mjuÖu  lilfar 

ii  6'udum  bäÖum 

Derartiger  fälle  habe  ich  aber  in  der  ganzen  controlier- 
baren  partie  der  saga  nicht  mehr  als  etwa  12 — 15  angemerkt. 
Weit  häufiger  findet  sich  ein  reimwort  beibehalten,  das  andere 
aber  vertauscht;  im  ganzen  ist  eine  tendenz  zur  Vermeidung 
der  alliteration  unverkennbar,  ganz  ebenso,  wie  derjenige, 
welcher  gereimte  poesie  in  prosa  auflöst,  die  in  der  prosa  das 
ehr  beleidigenden  reime  möglichst  umgehen  wird.  Die  stellen, 
in  denen  reimstäbe  sich,    für    das  ohr   deutlich  wahrnehmbar, 


VOELSUNGA  SAGA.  251 

gehalten  haben,  —  vocalische  alliteration  kann  hier  natürlich 
nicht  in  betracht  kommen  — ,  sind  höchst  selten  und  wol  nur 
wider  willen  des  sagaschreibers  stehen  geblieben.  Jedenfalls 
ist  es  ein  gar  unsicherer  boden,  das  zufällige  vorkommen  von 
reimstäben  in  der  prosa  als  kriterium  für  eine  poetische  quelle 
zu  benutzen.  Wie  sehr  hier  der  zufall  einem  schlimme  streiche 
spielen  kann,  mögen  ein  paar  beliebig  herausgegriifene  bei- 
spiele  zeigen,  die  sich  leicht  vermehren  lassen.  102,  4  in  der 
Schilderung  von  Helgis  seesturm,  stehen  die  werte:  'er  &ylgjur 
guüÖu  ä  /;orÖunum,  sem  |>ä  er  öjörgiim  iy'sti  saman.'  Unwill- 
kürlich glaubt  man  an  beibehaltenen  Stabreim :  sieht  man  aber 
die  Worte  der  quelle  H.  H.  I,  20  an,  so  finden  sich  ganz  an- 
dere reimworte.  —  104,  10.  123,  17.  132,  19.  133,  15  u.  ö. 
findet  sich  ganz  ähnliches.  —  Unter  diesen  umständen  wird 
man  gewis  am  besten  tun,  vom  Stabreim  ganz  abzusehen,  wo 
es  sich  für  die  teile,  deren  quellen  wir  nicht  besitzen,  um  wahr- 
scheinliche feststellung  derselben  handelt. 

Nicht  ohne  Interesse  ist  endlich  noch  eine  vergleichung 
der  wörtlich  citierten  Strophen.  Es  sind  dies  im  ganzen,  so 
weit  unsere  quellen  reichen:  Sig.  11,  1.  2.  6.  18.  Sgrdrf.  5.  6. 
10.  12.  7—9.  11.  13—21  [13  7-10  und  14  fehlen].  Brot  af 
Sig.  4  (?).  GuÖr.  II,  19  9-12.  22.  23.  HamcJ.  28  1-4.  Einzelne 
abweichungen  sind  nicht  selten,  zumal  stilistische:  die  Strophen 
sind  häufig  in  Völs.  s.  salopper  und  unpoetischer  gebaut.  Ein 
jiaar  mal  findet  sich  in  ihr  at  als  negationspartikel  für  a  in  R, 
ein  paar  mal  aut'Ugung  des  postpositiven  artikels  gegen  E. 
Alles  dies  wird  man  dem  Schreiber,  sei  es  nun  der  von  Völs.  s. 
benutzten  hs.  der  Sammlung,  sei  es  des  cod.  der  saga  resp. 
seiner  vorläge  zuzuschreiben  haben.  Einige  lesarten  erwecken 
aber  den  verdacht,  dass  sie  vom  sagaschreiber  herrühren. 
Sig.  II,  2  Andvari  ek  heiti,  Cod.  der  Völs.  s. 

O'inn  het  minn  faöir  0(5inn 

O'inn   ist   als  zwergname   erwiesen   durch  Vspä  11  lo.     Es  ist 
nicht  unmöglich,  dass  der  sagaschreiber  seine  verliebe  für  Odin 
auch  auf  diese  stelle  ausgedehnt  hat. 
Sgrdrf.  58    gamanrüna  gamanroeÖna 

62    sigr  hafa  snotr  vera 

12  7.  8   ä  j^vi  />ingi  ä  ]>y\  ^ingi 

er  p}()t)v:  skulu  er  menn  skulu 

Der  Stabreim  ist  zerstört. 


252 


SYMONS 


R  Cod.  der  Völs.  s. 

81   füll  skal  Signa  öl  skaltu  signa 

War  Ml  =  der  volle  l)echer,  unverstäudlich  ?  vgl.  GuÖr.  II,  21: 
fcerÖi  m6r  Grimildr  füll  at  drckka  =  Völs.  s.  c.  32  (B.  164, 
10  f.):  slÖau  foer^i  Grimliildr  lieiini  ineiiisaniligau  drykk. 

8  3   ok  verpa  lauki  i  lüg  lauk 

verpa  in  der  Edda  uur  c.  dat.  (Vspä  5  Vaf)>.  7.  Sig.  III,  29 
II.  ü.).     Vgl.  Luud,  Ordföjuingsbiere  s.  99. 

9~  ef  jni  bjarga  vilt  ef  j'ii  vilt  Itorgit  ta 

13^^  geÖsvinuari  guma  geÖhoskari  (1.  horskari)  guma 

15  1  ä  skildi  kva9'  [sc.  O'ÖinnJ  ä  skildi  vdru  ristnar 
ristnar 

Die  änderung  ist  hervorgerufen  durch  auslassuug  von  str.  14, 
wodurch  kvaÖ  beziehungslos  wurde.  Die  änderung  beweist 
aber  absichtliche  weglassung. 

15  7  a  Sleipnis  tonn  um  a  Sleipnis  taumum 

Str.  17  ist  ganz  geändert;  die  änderung  ist  sehr  übel  und  zer- 
stört sogar  den  bau  der  Strophe: 


a  gleri  ok  ä  guUi 

ä  gleri  ok  a  gulli 

ok  ä  gumna  hellhim, 

ok  ä  göÖu  silfri, 

i  vini  ok  virtri 

i  vini  ok  i  virtri 

ok  vilisessi, 

ok  a  völu  sessi, 

a  Gungnis  oddi 

i  guma  holdi 

ok  ä  Grana  brjösti, 

ok  Gaupnis  (1.  Gungnis)  oddi 

ä  noruar  nagli 

ok  a  gy'gjar  brjosti, 

ok  ä  uefi  uglu 

ä  nornar  nagli 

ok  ä  nefi  uilu. 

ok  niaetar  meginrünav 

maerar 

öll  eru  mein  of  metin 

mal 

Die  Strophe  des  Brot  af  Sig.  (4)  ist  ganz  abweichend  im  text, 
aber  doch  wol  dieselbe. 

Gut5r. II,  199  skreyttar  brynjur  stuttar 

Unverkennbar  hat  in  allen  angeführten  fällen  R  die  ältere 
lesart.  Da  aber,  wie  früher  bemerkt  wurde,  der  Verfasser  der 
Völsunga  saga  eine  hs.  der  Sammlung  benutzt  hat,  die  in  nicht 
wenigen  fällen  lücken  in  ß  ausfüllt  und  bessere  lesarten  bietet, 
kann  man  die  abweichuugen  in  den  stroj)hen  nicht  wol  der 
vorläge  des  Verfassers  zuschreiben.  Es  kann  sich  nur  fragen, 
ob  sie  dem  Verfasser  oder  dem  Schreiber  zufallen:  der  Schrei- 
ber unseres  cod.  ist  zwar  im  ganzen  sorgfältig,  aber  seine  vor- 


I 


VOELSUNGA  SAGA.  253 

läge  könnte  sie  ja  bereits  gehabt  babeu.  Es  wird  sieb  diese 
frage  deswegen  nicbt  entscheiden  lassen:  eine  aufmerksame 
beobaebtung  lehrt  freilich,  dass  die  änderungen  ganz  im  geist 
der  sonstigen  arbeitsweise  des  Verfassers  sind. 

Mag  man  nun  über  diesen  letzten  punkt  denken,  wie  man 
will,  so  viel  wird  die  bisherige  Untersuchung  gezeigt  haben, 
dass  die  ganze  art ,  wie  der  Verfasser  gearbeitet  und  seine 
quellen  benutzt  hat,  uns  überall  das  recht  gibt,  diesen  angal)en 
gegenüber  kritik  zu  üben,  und  von  diesem  Standpunkte  aus 
soll  der  versuch  gemacht  werden,  jetzt  an  die  partien  der  saga 
hinanzugehen,  die  uns  die  vergleichung  mit  ihren  quellen  nicht 
gestatten. 

Drittes  Capitel. 

Die  der  lücke  in  R  entsprechende  partie  der  saga. 

(Cap.  XXI,  B.  133,  1— XXIX,  B.  155,  5). 

Dass  die  lücke  in  R  eine  läge  von  acht  blättern  betroifen 
hat,  scheint  zweifellos.  R  besteht  jetzt  aus  45  blättern  oder 
aus  sechs  lagen,  deren  fünf  erste  jede  8  blätter,  die  sechste  5 
enthalten,  ßl.  32b  ist  bis  zum  ende  beschrieben,  bl.  33a  be- 
ginnt oben.  Beim  einbinden  der  hs.  ist  nach  bl.  32  b  eine  läge 
von  acht  unbeschriebenen  blättern  eingelegt. i)  Es  kann  dem- 
nach kein  zweifei  sein,  dass  eine  läge  von  acht  blättern  fehlt: 
da  jede  seite  von  R  31—35  zeilen  enthält-),  so  haben  wir  den 
A^erlust  von  etwa  528  zeilen  zu  beklagen,  die  seite  zu  durch- 
schnittlich 33  Zeilen  gerechnet.  Ihnen  entsprechen  in  der 
Yöls.  s.  595  der  Buggeschen  normalzeilen.  Wollen  wir  einiger- 
massen  das  Verhältnis  überblicken,  so  haben  wir  uns  an  fol- 
gende zahlen  zu  halten.  Die  benutzten  stücke  (H.  H.  L,  fr. 
dauÖ.  Sinfj.,  Sig.  I.,  Sig.  II.,  Fäfn.,  Sgrdrfm.  —  Sig.  IIL,  Gu&r.  IL, 
Akv.,  Atlm.,  GuÖr.  hv.,  HamÖ.)  ergeben  in  R  1219  zeilen:  in  der 
Völs.  s.  entsprechen  ihnen  1303.  Diese  berechnung  macht 
natürlich  keinen  anspruch  auf  genauigkeit :  einige  dieser  lieder 
sind  nur  teilweise  ausgezogen,  dafür  aber  bietet  die  saga  oft 
Zusätze  und  führt  strophen  wörtlich  an.    Im  giossen  und  ganzen 


0  Bugge  I.  IV. 
2)  Bugge  II. 


254  SYMÜNS 

ergibt  sich  dasselbe  Verhältnis:  528  K  :  595  VS  =  1219  E 
:  1303  VÖ. 

Es  beginnt  die  Iticke  in  R  nach  str.  29  -  )-»ütt  nie}-»  seggiom 
fari  der  Sigrdrifuuiäl:  die  hs.  beginnt  wider  mit  saka  unuit 
Brot  af  Sig.  [1].  In  der  Völsunga  saga  fehlt  also  für  c.  21 
(B.  133,  1)  bis  mit  c.  29  (B.  155,  5)  die  vergleichung  der 
quellen.  Wir  betrachten  die  einzelnen  hierher  gehörigen  capitel 
in  ihrer  reihenfolge.  —  c.  XXL  B.  133,  1  — 15.  Diese  zeilen 
beendigen  die  lehren  der  Sigrdrifa  (Brynhild)  und  schliessen 
mit  der  Verlobung  derselben  mit  Sigurd.  Die  schlussstrophen 
der  Sigrdrifuuiäl,  die  K  nicht  mehr  enthält,  sind  uns  in  papier- 
handschriften  aufbewahrt,  deren  älteste,  cod.  AM  738  und  cod. 
AM  166  b  nach  Buggei)  aus  der  zweiten  häli'te  des  17.  Jahr- 
hunderts stammen.  Da  nun  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
alle  papierhss.  auf  R  in  seinem  defecten  zustande  zurück- 
gehen'-), diese  Strophen  aber  wesentlich  mit  der  paraphrase 
der  Vöisuuga  saga  übereinstimmen,  so  lag  gewis  die  annähme 
recht  nahe,  dass  ein  gelehrter  Isländer  sie  der  saga  nachge- 
dichtet hat.3)  Bugge*)  hat  jedoch  innere  gründe  für  die  ächt- 
heit  vorgebracht,  die  vielfach  Zustimmung  gefunden  haben  =), 
und  deren  gewicht  mau  sich  in  der  tat  nicht  wird  entziehen 
können.  Immer  freilich  bleibt  es  noch  sehr  merkwürdig,  dass 
uns  unter  solchen  umständen  von  den  verlorenen  liedern  nicht 
mehr  erhalten  ist.  Indes  kann  das  offenbar  sehr  junge  ge- 
dieht ß),  das  seines  didaktischen  Inhalts  wegen  wol  besonders 
beliebt  war,  auch  in  einzelüberlieferungen  im  umlauf  gewesen 
sein.  —  Für  unsern  zweck  ist  die  frage  nach  der  ächtheit  jener 
Strophen  jedenfalls  von  sehr  secundärer  Wichtigkeit:  dass  ihre 
paraphrase  in  der  Yölsunga  saga  auf  ächte  Strophen  zurück- 
geht, kann  gewis  nicht  zweifelhaft  sein.  Sie  weicht  in  nichts 
von  der  widergabe  der  in  R  erhaltenen  Strophen  ab. 

Ganz  anders   aber  verhält   es  sich   mit  den  Schlussworten 


»)  S.  324. 

2)  Vgl,  indes  Bugge  s.  LI. 

3)  So  z,  b.  Munch,  seldre  edda  s.  XI. 
')  S.  235  und  L  f. 

5)  Vgl,  Möbius,  zs.  für  deutsche  phil.  I,  394  und  Vorwort  zu  Hilde- 
brands Edda  (Paderb.  1876)  s.  IV. 
*'")  Vgl.  Jessen  a.  a.  o.  48. 


VOELSUNGA  SAGA.  255 

des  capitels  (B.  133,  11 — 15);  SigurÖr  majlti:  'engl  finnst  per 
vitrari  maÖr,  ok  |>ess  sver  ek,  at  |>ik  skal  ek  eiga,  ok  ]>ü  ert 
viÖ  mitt  ceÖi'.  Hou  svavar:  '|>ik  vil  ek  heizt  eiga,  ]?6tt  ek 
kjösa  um  alla  menn';  ok  )>etta  buudu  J>au  eiÖuni  meÖ  ser.  — 
Da  diese  worte  für  die  ganze  auflassuug  des  Verhältnisses 
Sigurds  und  Brvuhilds  von  einschneidender  Wichtigkeit  sind, 
ist  ein  weiteres  zurückgreifen  auf  diese  partie  der  sage  uner- 
lässlich.  In  den  liederu  der  Edda  herscht  ein  schwanken  in 
bezug  auf  dieses,  welches  eine  schärfere  sonderung  der  einzel- 
nen angaben  unbedingt  nötig  macht.  Die  hauptfrage  ist  die: 
waren  in  R  bereits  Sigrdrifa  und  Brynhild  identificiert,  wie  sie 
in  der  Völsuuga  saga  es  sind? 

Am  schluss  der  Fafnismäl  (str.  40  ff.)  geben  die  adlerinnen 
Sigurd  ratschlage.    Die  eine  singt  (str.  40): 

mey  veit  ek  eina 
miklu  fegrsta, 
gulll  goedda, 
ef  pü  geta  maettir. 

Und  diesen  orakelhaften  werten  folgt  dann  sogleich  die  Weis- 
sagung von  Sigurds  Vermählung  mit  Gudrun  (str.  41).  Ob  unter 
jener  Jungfrau  in  str.  40  Gudrun  oder  Brynhild  gedacht  ist, 
bleibt  unentschieden ,  ist  vielleicht  absichtlich  schwankend  ge- 
lassen. —  Dann  aber  (str.  42)  hebt  die  Weissagung  ganz  von 
neuem  au:  auf  Hindarfjall  in  feuerumloderter  bürg  schläft 
Sigrdrifa,  von  Yggr  (OÖinn)  mit  dem  schlafdorne  gestochen. 
Sigurd  soll  sie  erwecken.  Von  einer  Verlobung  ist  nicht 
die  rede. 

Unmittelbar  anschliessend  an  den  prosaischen  schluss  der 
Fäfuismäl  erzählt  dann  die  dürftige  prosaeinleitung  zu  den 
Sigrdrifumäl  (B.  227,  1  tf.):  Sigurd  reitet  hinauf  nach 
Hindarfjall,  sieht  ein  grosses  licht  'sva  sem  eldr  brynni',  und 
als  er  näher  kommt,  eine  schildburg:  er  tritt  ein,  erweckt  die 
schlafende  Jungfrau,  die  sich  Sigrdrifa  nennt  (prosa  zwischen 
Str.  4  und  5,  ß.  229  a,  1  ff.).  O'Öinn  hat  sie  in  schlaf  ver- 
senkt, da  sie  den  gefällt  hat,  dem  der  gott  sieg  verheissen; 
sie  soll  sich  dem  vermählen,  der  sich  nicht  fürchten  kann.  Sie 
reicht  Sigurd  die  minnisveigi),  lehrt  ihn  runen  und  weisheits- 


')  Die  überseczung 'mmnetrank'  (Grimm,  Simrock,  Rassmann)  sollte 


256  SYMONS 

regeln.  Der  ganze  ton  des  gediclites  zeigt,  dass  von  einer 
Verlobung  am  Schlüsse  nicht  die  rede  gewesen  sein  kann :  auch 
die  Strophen  der  papierhss.  wissen  nichts  davon.  Wenn  aber 
die  älteren  Eddaausgaben  am  schluss  der  Sgrdrfm.  jene  schluss- 
worte  der  Völs.  s.  eingesetzt  haben,  so  ist  das  in  hohem  grade 
bedauerlich.  Denn  wenn  sogar  ein  forscher,  dessen  gewissen- 
hafte, liebevolle  Sorgfalt  sich  bis  auf  die  kleinsten  einzelheiten 
erstreckt,  sagt 2):  'nach  der  erzälilung  der  Edda  reitet  Sigurd 
von  r>riinhilden,  die  er  aus  dem  zauberschlaf  geweckt  und  sich 
durch  eide  verbunden  hat,  weg  an  Giukes  hof,  so  ist  dies 
eine  tatsächliche  Unrichtigkeit,  die  niemand  Grimm  zur  last 
legen  wird,  sondern  eben  jener  aufnähme  eines  eingeflickten 
Stückes  der  saga  in  die  Überlieferung  der  Edda. 3) 

Eine  Verlobung  Sigrdrifas  und  Sigurds  ist  demnach  nir- 
gends in  jenen  beiden  liedern  angedeutet:  ausdrücklich  wird 
dies  bestätigt  durch  die  zwar  junge,  aber  auf  älteren  gedieh ten 
beruhende  Gripisspä  fSigurÖarkviÖa  I).  In  ihr  ist  gleichfalls 
von  einer  ideutiiicieruug  Sigrdrifas  und  ßrynhilds  nichts  be- 
kannt, noch  w^eniger  von  einer  verlo])ung  Sigurds  mit  ersterer. 
Allerdings  glauben  Bugge*)  und  Jessen 5)  mit  ihm,  dass  Gri- 
pisspä 11  — 18  nur  auf  Fäfn.  und  Sgrdrfm.,  wie  wir  sie  jetzt 
haben,  beruhen  soll:    diese  ansieht  wird  aber  durch  str.  15: 


vermieden  werden,  da  sie  leicht  misverstanden  werden  kann.    Minnisveig 
ist  der  erinnerungstrank,  das  Symbol  für  die  runeu  und  Weisheitsregeln 
wie    öminuisveig   (Drap  Nifl.   B.  264,  7)     der   Vergessenheitstrank,    der 
Gudrun  ihres  harms  vergessen  macht.    Dass  unter  minnisveig  kein  liebes- 
trank  zu  verstehen  ist,  zeigt  deutlich  Sgrdrfm.  str.  5: 
bjor  fceri  ek  ]>er, 
bryn)7ings  apaldr! 
magui  blandinn 
ok  megintiri ; 
fullr  er  hann  IjöSa 
ok  liknstafa, 
göÖra  galdra 
ok  gamanrüna. 
2)  HS  2  358. 

•■')  Noch  Lüning  bemerkt  mit  keinem  worte ,    dass  das   stück   aus 
Völs.  s.  entnommen   ist.     Erst   in   Möbius    ausg.    ist   es   fortgeblieben 
Bugge  (s.  236)  verwirft  es  völlig. 
')  s.  LXX.  415. 
^)  a.  a.  0.  s.  49. 


VOELSÜNGA  SAGA.  257 

sefr  ä  fjalli 
fylkis  döttir 


eptir  bana  Helga 

bedenklich,  wenn  man  sieh  nicht  dazu  entschliessen  mag,  mit 
Bugge  diese  auf  abweichende  Überlieferung  deutende  eigentüm- 
lichkeit  durch  ziemlich  umfängliche  conjectur  zu  beseitigen. 
Aber  auch  diese  annähme  zugestanden,  Avürde  doch  der  dichter 
der  Gripisspä,  falls  er  Sigrdrifa-Brynhild  fiir  dieselbe  person 
gehalten  hätte,  zur  beseitiguug  dieses  Zwiespalts  dieselbe  re- 
medur  angewant  haben,  wie  die  späteren  prosaerzähler. 

Das  charakteristische  für  Sigrdrifas  geschick  ist  demnach 
Odins  einwirkung,  weniger  für  dasselbe  von  bedeutung  ist  der 
vafrlogi,  den  die  Gripisspä  gar  nicht,  die  prosa  der  Sgrdrfm. 
nur  unsicher  kennt. 

Was  uns  von  andeutungen  über  das  Verhältnis  Brynhilds 
zu  Sigurd  in  den  erhaltenen  eddischen  liedern  geboten  wird, 
ist  leider  sehr  dürftig.  Eins  aber  steht  völlig  fest :  nicht  Odins 
ratschluss  zwingt  Brynhild  zur  Vermählung,  sondern  ihrer  ver- 
wanten  wille,  und  schwankend  ist  nur,  ob  der  vater  Budli 
oder  der  bruder  Atli  sie  zur  verhassten  ehe  nötigt  (Sig.  III 
35  ff.  GuÖr.  I,  25.  Oddr.  16  ff.  Völs.  s.  c.  29,  B.  150,  3  ff.) 
Der  vafrlogi  aber  ist  hier  durchaus  unentbehrlich. 

Ein  einziges  lied,  HelreiÖ  Brynhildar,  hat  beide  Überliefe- 
rungen verschmolzen,  aber  so,  dass  man  die  fuge  der  zusam- 
menkittung  noch  erkennt.  Es  lautet  die  erzählung:  Brynhild 
würd  in  Hlymdalir  in  den  diensten  des  jungen  Agnarr  gedacht, 
dem  sie  wider  Odins  willen  den  sieg  verleiht:  der  erzürnte 
gott  schliesst  sie  in  Skatalund  mit  Schilden  ein  und  lässt  feuer 
die  schildburg  umlodern.  Den  heisst  er  sie  befreien,  der  Fäfnirs 
gold  ihr  bringe.  Sigurd  reitet  hin,  aber  nicht,  wie  man  erwar- 
ten sollte,  durch  die  lohe,  sondern  (str.  11): 

]?ars  föstri  minn 
fletjum  sty'rtJi, 

also  zu  Heimir  oder  Atli  oder  Budli  oder  Agnarr  (?).  Die  an- 
nähme Grundtvigs  und  Bugges,  dass  Helr.  Brynh.  str.  7 — 10 
aus  den  ursprünglichen  Sigrdrifumäl  fälschlich  hineingekommen 
sind,   scheint  mir  denn  doch  kein  blosser  'einfall',    wie  Jessen 


258  SYMONS 

Avill.'j  Indes  an  die  notwendigkeit  dieser  annähme  glaube  ich 
gleichtalls  nicht;  ich  halte  dieses  gedieht  von  ßrynhilds  todes- 
fahrt,  das  Eassmann-)  für  eins  der  ältesten  erklärt,  für  gleich 
jung  nach  sagenform  und  darstclluug.  Die  sage  ist  arg  ver- 
Avirrt;  in  lllynidalir  wolmt  der  junge  Agnarr,  während  nach 
allen  andern  quellen  lieimir  dort  lebt;  Brynhild  kommt  auf 
ihrem  ritt  in  die  unterweit  af  Vallandi,  das  sich  zwar  auch 
sonst  findet  3),  aber  auf  späte  sagenform  hindeutet.*)  Für  die 
späte  eutstehung  des  liedes  selber  aber  sprechen  die  ganz  un- 
motivierte einkleidung,  die  weiter  keinen  zweck  hat,  als  Bryn- 
hild wider  einmal  gelegeuheit  zu  einer  kurzen  recapitulation 
ihrer  vita  zu  geben,  sowie  manche  kenningar  schlimmerer  art 
(vär  gulls  str.  2,  harr  herr  alls  viÖar  str.  10).  Sigurd  heisst 
vikingr  Dana  str.  1 1 ,  eine  nach  zwei  selten  hin  verdächtige 
bezeichnung. 

Es  könnte  diese  erörteruug  glauben  machen,  dass  ich 
Sigrdrifa  und  Brynhild  für  ursprünglich  getrennte  wesen  halte. 
Das  liegt  mir  durchaus  fern;  gewis  sind  sie  ursprünglich  eine 
und  dieselbe  mythische  gestalt.  Allein  soweit  wir  auf  quellen 
zurückgehen  können,  ist  eine  Spaltung  in  der  tat  eingetreten, 
die  sich  als  sehr  alt  durch  feststehende  charakteristische  züge 
erweist.  Die  scheinbare  ursprünglichkeit  der  Helr.  Brynh.  ist 
nichts  weiter,  vorausgesetzt,  dass  wir  an  der  Überlieferung  fest- 
halten dürfen,  als  ein  ganz  verfehltes  mittel,  zwei  scheinbar 
sich  Avidersprechende  sagenformen  zu  Acreinigen.  Auf  diesem 
Avege  sind  die  prosaerzählungen  weiter  gegangen,  sie  alle  iden- 
tificieren  Sigrdrifa  und  Brynhild:  Völs.  s.  c.  19  (ß.  124,  1), 
c.  20  (B.  125,  14),  SE  I,  3(30  und  }>ättr  af  Norn.  c.  5  (B.  65,  4). 
So  erklärt  es  sich  auch,  dass  mehrere  papierhss.  den  Sigrdrl- 
fumal  den  titel  'Brynhildarkvi^a  hin  fyrsta'  vorsetzen. 

Wenn  nun  aber  gar  an  der  stelle,  von  der  wir  ausgingen, 
die  begegnung  in  der  Völs.  s.  zwischen  Sigrdrifa  und  Sigurd 
mit  einer  Verlobung  schliesst,  so  ist  dies  eine  fälschung  der 
sage,   die,   wie  Bugge  a.  a.  o.   mit  recht  bemerkt,  der  sagen- 


')  a.  a.  0.  48. 

2)  I,  172. 

3J  Härbart5slj.  24.     Völund.  B.  163,  17. 

*)  Vgl.  K.  Maurer,  zs.  für  deutsche  phil.  II,  467. 


YOELSUNGA  SAGA.  259 

form  der  Sigrdrifuinäl  geradezAi  ins  gesiebt  schlägt.  Diese  liebes- 
erklärung  in  ihrer  romanhaften  trivialität  ist  einmal  eine  folge 
jeuer  idenlifieation,  dann  aber  auch  gewis  zur  Vorbereitung  für 
die  einführung  der  Aslaug  bestimmt.  Denn  es  heisst  Ragn.  s. 
loÖbr.  c.  8  (Fas.  I,  257):  'sem  J>au  hittust  a  fjallinu  SigurÖr 
ok  Brynhildr,  ok  hon  var  byrjut):  ok  er  Brynhildr  varÖ  lettari, 
var  mer  nafn  gefit,  ok  var  ek  kölluÖ  A'slaug.' 

Es  fragt  sich  nuu  aber  weiter:  erlauben  uns  die  zerstreu- 
ten angaben  der  erhaltenen  lieder,  uns,  ohne  hinzuziehung  der 
Völs.  s.,  ein  bild  von  dem  Verhältnis  Sigurds  und  der  Brynhild 
zu  machen?  Allerdings  ist  dies  möglich.  Zwei  verschiedene 
sagenformeu  sind  hier  zu  trennen,  eine  ältere  und  eine  jüngere. 
Letztere  steht  unter  der  Voraussetzung  einer  Verlobung  Sigurds 
mit  Brynhild,  bevor  jener  in  Gunnars  gestalt  den  trug  an  ihr 
verübt.  Diese  darstellung  ist  der  mehrzahl  der  lieder  eigen. 
Sig.  III,  3: 

unz  l^eir  Brynhildar 

biÖja  föru, 

sva  at  Ipeim.  SigurÖr 

reit5  i  sinni, 

Völsungr  uugi 

ok  vegakunni.') 

Dass  vega  acc.  plur.  ist  (=  der  wegkundige),  vermutet 
Bugge  2)  mit  hinweis  auf  J^idr.  s.  c.  226  (ünger  s.  208,  24)  mit 
grund.3)  Die  Gripisspä  beruht  völlig  auf  der  Voraussetzung 
einer  vorverlobung  bei  Heimir.  Aus  Helr.  Brynh.  geht  bei  aller 
Verworrenheit  doch  ein  aufenthalt  Brynhilds  in  Hlymdalir 
hervor.  Gestützt  wird  diese  vorverlobung  durch  stellen  der 
Völsunga  saga,  die  unleugbar  auf  verlorenen  gedichten  beruhen: 
der  Vergessenheitstrank,  den  Grimhild  Sigurd  reicht,  erhält  nur 
durch  diese  Voraussetzung  ihre  bedeutung.  Bugges  bemerkung*), 
dass  ohne  die  frühere  bekanntschaft  Sigurds  und  der  Brynhild 
das  richtige  poetische  Verständnis  der  sage  unmöglich  sei,  hat 
wenigstens  für  die  mehrzahl  der  lieder  ihre  volle  gültigkeit. 


')  vega  kendi?  Zupitza,  zs.  für  deutsche  phil.  IV,  446. 

2)  S.  419. 

3)  Die  stelle  der  }ndr.  s.  ihrerseits   beruht  wol  auf  Nib.  Liu.  367, 
Z.  58,  2. 

*)  S.  XXXIX. 


26Ö  SYMONS 

Dennocli  ist  diese  sageiiform  nicht  die  ursprüngliche:  der 
ganzen  grossartigen  gestalt  der  valkyrie  Brynhild  kommt  es 
zu,  duss  sie  sich  getäuscht  sieht,  ohne  den  Ijereits  zu  kennen, 
der  ihr  den  truff  bereitet.  Dass  alsdann  mit  dem  schmerz, 
sich  getäuscht  zu  sehen,  wilde  eifersucht  gegen  die,  die  ihr  den 
nur  ihr  selbst  zukommenden  mann  entzogen  hat,  in  ihr  auf- 
lodert, ist  psychologisch  tief  begründet.  Eine  frühere  Verlobung 
ist  nur  ein  späterer  motivierungsversuch ,  wie  deren  die  sage 
so  viele  kennt,  durch  die  aber  der  herliche,  tieftragische 
grundgedanke  der  sage  den  beigeschmaek  der  intrigue  erhält. 
Rein  und  lauter  hat  noch  die  Snorra  edda  diese  ursprünglich- 
keit bewahrt:  nach  ihr  wird  Brynhilds  zorn  nur  daher  ge- 
leitet, dass  sie  sich  betrogen  sieht.')  Dass  an  der  bewahrung 
dieser  altertümlichkeit  nur  die  kürze  des  referats  in  SE  schuld 
sei,  ist  unwahrscheinlich:  werden  doch  einzelne  züge,  wie  der 
zank  der  königinnen,  recht  lebhaft  ausgemalt.  —  Aber  auch 
in  den  erhaltenen  liedern  scheint  zum  teil  die  ächte  sagenform 
noch  dunkel  durchzuschimmern.  Dass  das  dritte  Sigurdslied 
(die  sogenannte  SigurÖarkviÖa  in  skamma)  in  der  uns  vorlie- 
genden gestalt  nichts  ursprünglich  zusammengehöriges  bietet 
ist  wol  unbestritten.  Möbius'-)  fragt:  'sollten  in  diesem  liede 
nicht  zwei  lieder,  das  'kurze'  und  ein  anderes  ungehöriger 
weise  vereinigt  sein?'  Die  fünf  ersten  Strophen  zunächst  haben 
gewis  nicht  ursprünglich  zu  dem  liede  gehört;  sie  geben  einen 
orientierenden  überldick  auf  vorhergehende  ereignisse  3) ;  der 
ganze  schluss  ist  wider  eine  der  beliebten  Weissagungen,  die 
alles  kommende  in  nuce  zusammenfasst,  sogar  die  offenbar 
ganz  späte  Oddrunepisode  bereits  kennt.  Ohne  den  müssigen 
versuch  einer  herausschälung  des  ächten  liedes  machen  zu 
wollen,  lässt  sich  doch  der  kern  glücklich  durchempfinden. 
Dieser  ist  Bigurds  und  Brynhilds  tod  und  hat  gewis  das  ur- 
sprüngliche lied   gebildet.    Dieser  kern   ist,   neben   teilen   der 


')  Vgl.  Lachmann,  kritik  s.  450  [anm.  zu  den  Nib.  s.  341]. 

2)  Zs.  für  deutsche  phil.  I,  399. 

^)  Vgl.  Lüning  s.  386.  Trotz  Kölbings  Widerspruch  (Germ.  21,  92) 
mu88  ich  daran  festhalten,  dass  diese  sti-ophen  ganz  dem  bau  der  eddi- 
schen lieder  entgegen  sind,  die  ohne  langes  präludieren  auf  ihren  gegen- 
ständ losgehen.  Das  gilt  natürlich  nur  von  den  älteren,  wirklich  volks- 
tümlichen derselben. 


VÜELSUNGA  SAGA.  ^61 

Reginsmal  und  der  Fäfnismäl,  )?iymskviÖa  und  Skirnismäl  viel- 
leicht das  älteste,  das  uns  in  den  eddischen  liedern  vorliegt, 
von  wahrhaft  epischer  grosse,  einfacher  und  doch  kühner 
diction:  wilde  leidenschaft  durchzieht  den  kern  des  gedichts, 
den  ich  etwa  bis  str.  52  rechnen  möchte,  ohne  alles  zwischen- 
stehende für  gleich  alt  zu  halten.  —  Der  sagenform  dieses 
eigentlichen  kurzen  Sigurdsliedes ,  das  auch  die  ältere  darstel- 
lung  von  Sigurds  ermordimg  kennt,  scheint  nun  auch  die  Vor- 
aussetzung einer  früheren  Verlobung  Sigurds  und  der  Brynhild 
fremd  zu  sein.  Nirgends  findet  sich  darauf  eine  hiudeutung; 
das  treibende  niotiv  bei  Brynhild  ist  der  zorn  über  ihre  schniach 
und  rasende  eifersucht  wider  Gudrun.  Freilich  verlaugt  sie, 
Sigurd  zu  besitzen,  aber  niclit  sentimentale  ]iel)e  treibt  sie 
dazu,  sondern  der  gedanke,  dass  nur  ihr  der  herrlichste  mann 
gehören  soll.  Ihrer  liebe  soll  Gunnar  nur  dann  sich  erfreuen, 
wenn  er  sich  als  den  herrlichsten  erweist  (str.  11): 

nema  l>ii  SigurÖ 

svelta  latir 

ok  jöfurr  ü?5rum 

oet5ri  ver(5ir. 

Den  grimmen  nornen  wird  das  unheil  zugeschrieben  (str.  7). 
—  Solche  Worte  wie  str.  6: 

hafa  skal  ek  SigurÖ 

eöa  ]>6  svelta, 

mög  frumungan 

mer  ä  armi 
oder  str.  9: 

vän  geng  ek  vilja, 

vers  ok  beggja, 

verÖ  ek  mik  gcela 

af  grimmum  hug 

stehen  noch  ganz  auf  diesem  alten  Standpunkt  der  sage.  — 
Auch  das  erste  Gudrunlied  steht  vielleicht  noch  auf  diesem 
boden.  Jessen  i)  macht  sich  mit  unrecht  über  dieses  lied  lustig. 
^\'enn  auch  nicht  alles,  was  das  lied  jetzt  enthält,  alt  sein 
mag,  die  grundlage  ist  gewis  acht  und  schön.  Wenn  Brynhild 
str.  27  feuer  aus  den  äugen  sprüht  und  gift  schnaubt,  so  ist 
es  entschieden  unerlaubt,  diesen  zug,  in  dem  ihre  valkyricn- 
natur  hervortritt,  für  willkür  zu  halten.    Aus  Übereinstimmungen 

')  a.  a.  0.  s.  52  f. 


262  SYMONS 

mit  andern  liedern  auf  ein  cxccrpt  aus  denselben  zu  schliessen, 
ist  schon  deshalb  mislieh,  da  das  gerade  entgegengesetzte  sich 
eben  so  gut  glaublich  machen  Hesse.  Jessen  ist  hier  wie  an- 
derwärts aus  dem  extrem  der  übermässigen  Schätzung  der 
Eddalieder,  meiner  Überzeugung  nach,  in  das  andere  der  über- 
mässigen geringschätzung  gefallen,  während  doch  auch  ohne 
dieses  übermass  der  trefiflich.e  aufsatz  seine  reinigende  kraft 
nicht  verloren  hätte.  Die  zu  gründe  liegende  sagenform  der 
Gu(5rünarkvi?5a  I  ist  entschieden  alt :  auch  hier  wird  Sigurd  im 
bette  ermordet  gedacht,  auch  hier  ist  Brynhilds  groll  nicht  die 
folge  getäuschter  liebeshoflfnung ,  sondern  wilden  schmerzes 
über  den  ihr  zugefügten  höhn.  Ein  verlorenes  lied  aber,  in 
cap.  27  der  Völs.  s.  benutzt,  glaube  ich,  stand  noch  weit  ent- 
schiedener auf  diesem  alten  Standpunkt  der  sagenentwicklung, 
was  ich  später  zu  stützen  suchen  werde.  —  Nicht  zu  über- 
sehen ist  auch,  dass  die  deutsche  gestalt,  NL  und  J?idr.  s.,  das 
schwanken  teilt.  0 

Eine  frühere  bekanntschaft  Siegfrieds  und  der  Brünhild 
im  Nibelungenliede  fällt  gänzlich  weg,  wenn  man  die  stelle 
Lm.  480,  4;  Z.  78,  Q^  der  Interpretation  Zarnckes  gemäss 
deutet.2) 

Diesen  drei  für  sich  bestehenden  sagenformen  gegenüber: 

1.  Sigurd  und  Sigrdrifa; 

2.  Sigurd  und  ßrynhild; 

a)  frühere  Verlobung  unbekannt, 

b)  frühere  Verlobung  vorausgesetzt, 

war  die  arbeitsweise  des  Verfassers  der  Völsunga  saga  keine 
andere,  als  die  wir  in  den  controlierbaren  teilen  kennen  lernten : 
das  streben  nach  Vereinigung  sich  widersprechender  sagen- 
formen. Was  in  der  ihm  vorliegenden  Sammlung  ein  neben- 
einander einzelner  sagenformen  verschiedeneu  alters  war,  wurde 
bei  ihm  zum  nacheinander,  und,  indem  er  Sigrdrifa  mit  Bryn- 
hild  identificierte  und  mit  Sigurd  sich  verloben  liess,  entstand 
jene  zwei-  oder  gar  dreifache  Verlobung,  die  der  schrecken  der 
sagenforschung  geworden  ist. 

')  Vgl.  HS 2  86. 

2)  Beiträge  etc.  in  den  berichten  der  königl.  sächs.  ges.  der  wiss. 
phil.-hist.  classe  VIII,  227-234. 


VOELSUNGA  SAGA.  263 

Kehren  wir  nun  \  on  diesem  ianj^-en  excurs,  der  aber  ii,'anz 
ununigänglieli  war,  zur  priifung'  der  einzelnen  capitel  zurück, 
wobei  es  hauptsäclilicli  darauf  ankommen  wird,  die  inneren 
und  äussern  gründe  der  ächtheit  oder  unächtheit  zu  erörtern, 
ohne  eine  widerholung-  einzelner  punkte,  die  namentlich  P.  E. 
Müller  oder  Rassmann  vorgebracht  haben,  ängstlich  zu  ver- 
meiden. 

Eine  ganz  eigentümliche  Stellung  nimmt  c,  XXII  ein,  das 
eine  Schilderung-  von  Sigurds  rüstung  und  aussehen  enthält:  es 
stimmt  nahezu  wörtlich  zu  c.  185  der  |?iÖr.  saga.  ßugge  i) 
hat  die  ansieht  aufgestellt,  dass  dieses  capitel  wie  die  übrigen 
in  beiden  sagas  übereinstimmenden  stücke  aus  der  j^iör.  s.  in 
die  Völs.  s.  tibergegangen  sind,  und  diese  ansieht  scheint  jetzt 
sllgemein  adoptiert  zu  sein.-)  Diese  annähme  scheint  mir  je- 
doch unhaltbar,  vor  allem  durch  die  resultate  von  Treutiers 
Untersuchungen  über  die  |>iÖrekssaga  3) :  c.  1S5  der  |?idr.  s. 
fällt  völlig  aus  dem  rahmen  der  erzählung.  Der  etwas  ver- 
wickelte Sachverhalt  ist  dieser:  c.  200  wird  Sigurd  zuerst  er- 
wähnt; von  seiner  Vorgeschichte  war  nichts  bekannt.  Um  die- 
sen mangel  abzustellen,  schob  der  Schreiber  no.  III  der  mem- 
brane  (M)  und  eigentliche  redactor  der  saga  die  geschichte 
von  Sigurds  geburt  und  Jugend  (c.  152  — 168)  zwischen  blatt 
5  und  6  der  achten  läge:  ausserdem  fügte  er  eine  beschrei- 
bung  aller  der  kämpen  Dietrichs  bei  (c.  172 — 184),  Da  unter 
diesen  auch  von  Gunnarr  und  Högni  die  rede  war,  muste 
c.  170,  in  dem  von  der  einladung  derselben  erzählt  wird,  und 
das  sich  dem  anschliessende  c.  171  vorgestellt,  also  deren 
frühere  niederschrift  durch  no.  II  auf  bl.  5.  6  gestrichen  werden. 
Vor  beide  stellte  aber  no.  III  die  erzählung  von  Gunnarr  und 
seinem  geschlecht  (c.  169).  Auf  den  eingeschobenen  10  blät- 
tern folgen  aber  noch  weitere  4  capitel,  an  die  sich  erst  c.  189 
der  zug  nach  Bertangaland  anschliesst.  In  c.  185  wird  Sigurds 
aussehen  und  rüstung,  in  c.  186  Sifkas  aussehen,  in  c.  187 
Hildebrands  schlagfertigkeit,  in  c.  188  geschildert,  wie  |>idrek 


')  a.  a.  0.  XXXIV  ff. 

2)  Vgl.  Mübius,  zs.  für  deutsche  phll.  I,   417.     Döring   ebend.  II, 
75  f.    Jessen  ebend.  III,  54. 
»)  Germ.  20,  151  ff. 
Beiträge  zur  geschichte  der  deutbchea  spräche.   lU.  jg 


204  SYMÜNS 

zu  .seinem  hengst  Falka  gekommen  ist.i)  Dass  jene  vier  ca- 
pitel,  deren  inlialt  weder  inuern  Zusammenhang  zeigt,  noch  auch 
nur  leidlich  passend  ist  (was  soll  die  Schilderung  von  Sigurds 
waÖenrüstuug,  da  Sigurd  gar  nicht  bei  Dietrichs  gesellen  ist?), 
nur  ein  lästiger  notbchclf  zur  füliung  der  eingeschobenen  10 
blätter  sind,  bedarf  keiner  weitereu  erörterung.  Die  vorläge 
von  M  kann  wie  so  manclies  andere  auch  jene  vier  capitel 
nicht  enthalten  haben  -),  sondern  sie  sind  dem  Schreiber  no.  III 
und  eigentlichen  redactor  der  saga  zuzuweisen.  Gibt  man 
dies  zu  —  und  das  scheiut  doch  unumgänglich  — ,  so  scheitert 
Bugges  annähme,  dass  c.  185  der  |>iÖr,  s.  von  dem  Verfasser 
der  Völs.  s.  benutzt  sei,  au  einfachen  chronologischen  bedenken. 

M  der  }ä(5r.  s.  ist  frühestens  um  das  ende  des  13.  jahrh. 
geschrieben.^}  Die  eutstehung  der  Völs.  s.  aber  in  der  vorlie- 
genden gestalt  wollte  Müller-*)  bereits  iu  den  anfang  des  13. 
Jahrhunderts  setzen,  Keyser^)  und  Bugge*^)  wenigstens  nicht 
über  die  zweite  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  hinaus.  Auch 
wenn  Bugges  beweismittel  wegfällt,  die  priorität  der  |n(5r.  s., 
wird  man  doch  aus  andern  gründen '')  an  seiner  datierung  fest- 
halten müssen. 

Kann  also  c.  185  der  |?iÖr.  s.  nicht  die  quelle  für  c.  22 
der  Völs.  s.  gewesen  sein,  so  bleibsn  nur  drei  möglichkeiteu : 

1.  c.  22   ist   von   einem  spätem  abschreiber   in  die  Völs.  s. 
interpoliert. 

2.  c.  22  der  Völs.  s.  und  c.  185  der  |?it)r.  s.  gehen  auf  eine 
gemeinsamie  quelle  zurück. 

3.  Der  Schreiber  no.  III  der  membrane  der  |?iÖr.  s.  hat  sein 
eingeschobenes  c.  185  aus  der  Völs.  s.  entlehnt. 

Erstere  ansieht   ist  von  Müller  §)   und  Keyser^)  verteidigt. 

')  Vgl.  Treutier  a.a.O.  s.  171,  dem  ich  in  diesen  orientierenden 
angaben  wesentlich  gefolgt  bin. 

^)  Vgl.  Treutier  a.  a.  o.  s.  173  f. 

^)  Unger,  saga  DiÖriks  konungs  af  Bern,  s.  XII. 

*)  SB  II,  103. 

5)  efterl.  skrift.  I,  360. 

6)  a.  a.  0.  XXXV. 

7)  Vgl.  s.  213. 

8)  a.  a.  0.  s.  106  f. 
'-')  a.  a.  0.  I,  356. 


< 


i 


VOELSUNGA  SAGA.  265 

An  und  für  sich  ist  sie  woi  juögiicli,  denn  die  pergamcutlis. 
der  Völs.  s.,  die  wir  allein  besitzen,  ist  wahrscheinlich  um  das 
ende  des  14.  Jahrhunderts  geschrieben,  also  ungefähr  ein  Jahr- 
hundert jünger  als  M  der  ]?i(5reks  saga.  Allein  ein  anderer 
grund  macht  diese  annähme  unmöglich.  Kassmann ')  und 
Bugge  a.  a.  o.  haben  darauf  hingewiesen,  dass  noch  verschie- 
dene andere  stellen  in  Völs.  s.  und  |nbr.  s.  nahezu  wörtlich 
übereinstimmen,  die  unmöglich  interpoliert  sein  können,  da  sie 
mit  dem  umstehenden  fest  verknüpft  sind.-) 

Die  annähme  einer  gemeinsamen  quelle  hat  Ilassmann  in 
mehr  origineller  als  glücklicher  weise  vertreten:  Rassmann 
vermutet 3),  dass  wir  für  Völs.  s.  und  )>iÖr.  s.  eine  gemeinsame 
altfrauzösische  oder  'wol  vielmehr  normannische' (?)  quelle  an- 
zusetzen hätten.  Aus  dieser  sei  unser  capitel  in  beide  sagas 
gemeinsam  übergegangen,  die  erzählung  von  Sigurds  erstem 
zusammentretfen  mit  Brynhild  dagegen  die  grundlage  der  l-'iör. 
s.,  die  von  seinem  zweiten  aber  die  grundlage  der  Völs.  s.  ge- 
worden. Natürlich  steht  diese  Vermutung  ganz  in  der  luft. 
Dass  die  Normannen  eine  erinnerung  an  die  sagen  ihrer  heimat 
nach  Frankreich  mitbrachten,  ist  ja  glaublich.  Aus  dem  be- 
deutenden mitwirken  der  Normannen  an  der  allerfrühesten 
entwicklung  der  altfranzösischeu  literatur  geht  aber  ihre  völlige 
accomodation  an  die  neuen  bilduugsverhältnisse  zur  genüge 
hervor.  Eine  epische  behandlung  der  Siegfriedssage  in  Frank- 
reich ist  für  jeden,  der  den  gang  der  altfranzösischen  literatur 
kennt,  undenkbar.^)  Die  analogie  des  angeblich  auf  französi- 
scher quelle  beruhenden  Volksbuchs  vom  gehörnten  Siegfried 
hätte  Rassmann,  abgesehen  davon,  dass  dies  nicht  einmal  eine 
analogie  wäre,  nicht  anführen  sollen;  denn  jene  angäbe  des 
Volksbuchs  hält  der  einfachen  vergieichung  mit  dem  Siegfrieds- 


0  I,  9  ff. 

2)  Spätere  abschreiber  haben  allerdings  aus  der  |^it5r.  s.  in  die  Völs, 
8.  interpoliert  (SB  II,  107  anm.). 

3)  1,  174.  II,  XX  anm.  moditiciert  Rassmann  diese  ansieht  etwas, 
aber  in  nicht  begründeterer  weise. 

■*)  Die  HS  2  44  f.  angeführten  Zeugnisse  für  die  heldenaage  aus  alt- 
französischen gedichten  (vgl.  noch  Ferd.  Wolf  in  den  altd.  blätt.  I, 
34 — 47)  bieten  nur  einige  dunkle  anspielungen  auf  die  Wielandssage. 

18* 


266  SYMONS 

licdc  nicht  stich.  ^)  Die  gemeinsame  (juelle  könnte  nur  ein 
lied  gewesen  sein;  class  aber  das  capitel  nicht  auf  einem  liede 
beruhen  kann,  beweist  inhalt  und  darstellung  auf  den  aller- 
ersten blick. 

Demnach  ])leibt  nur  noch  die.  dritte  möglichkeit,  das  c.  22 
gehört  ursprünglich  der  Vüls.  s.  an  und  ist  vom  rcdactor  der 
]nt)r.  s.  in  M  aufgenommen;  ebenso  natürlich  die  andern  iiber- 
einstimmenden  stellen,  von  denen  ich  einstweilen  absehe. 
Zweifellos  wird  diese  annähme  auf  Widerspruch  stossen,  so 
lange  man  die  Völsunga  saga  als  eine  lautere,  durch  nichts 
getraute  widergabe  alter  heldenlieder  ansieht.  Ich  hoffe  aber 
eine  genügende  anzahl  moraente  dafür  beigebracht  zu  haben, 
dass  diese  an  und  für  sich  unwahrscheinliche  annähme  an  der 
einfachen  veigleichung  der  zu  geböte  stehenden  quellen  schei- 
tert. Dem  zweck,  die  saga  zu  einem  angenehm  lesbaren  lese- 
buche zu  machen,  der  eine  eingehende  Schilderung  des  beiden 
forderte,  dient  auch  das  frei  erfundene  c.  22.  Es  ist  an  passen- 
der stelle  eingefügt,  nachdem  Sigurd  durch  erschlaguug  des 
drachen  und  erweckung  der  valkyrie  aus  dem  zauberschlaf 
recht  eigentlich  zum  manne  erwachsen  ist.  Dass  das  capitel 
einen  Jüngern  Charakter  trägt,  als  die  meisten  andern  teile 
der  saga,  ist  unbestreitbar;  dies  erklärt  sich  aber  zur  genüge 
daraus,  dass  die  saga  in  den  meisten  fällen  auf  dem  Wortlaut 
älterer  lieder  beruht.  In  den  fällen,  in  welchen  der  saga- 
schreiber  selbst  zu  worte  kommt,  lässt  sich  ganz  derselbe  ton 
nachweisen,  z.  b.  c.  32  (B.  163,  15  Ö'.)'^),  und  an  manchen  stellen 
der  Ragn.  s.  Und  warum  sollte  nicht  um  die  mitte  des  13. 
Jahrhunderts  dem  Verfasser  dieser  ton  geläufig  gewesen  sein, 
die  blütezeit  der  riddarasögur,  von  denen  ja  viele  unter  der 
regierung  des  königs  Häkon  gamli  (1217  — 1263)  ihre  ent- 
stehung  fanden ?  War  auch  zunächst  das  mutteiland  die  statte, 
die  sich  dem  neuen  geschmack  willig  hingab,  so  steht  doch 
fest,  dass  Häkon  sich  für  manche  übersetzungan  eines  Isländers 
bediente,  und  auch  auf  Island  wird  jene  neue  geschmacks- 
richtung  nicht  zu  spät  eingang  gefunden  haben.'^)     Der  Inhalt 


')  Vgl.  MüUenhoff,  zur  gesch.  der  Nib.  Not  s.  40.    Zarncke  NL^  VII. 

2)  Vgl.  s.  238. 

■^)  Vgl.  auch  K.  Maurer,  abhandl.  a.  a.  o,  s.  5U9  ff.  —   Ist  die  saga 


VOELSÜNGA  SAGA.  267 

des  capitels  gibt  durchaus  nichts  unpassendes  oder  mit  sonstiger 
in  die  saga  nach  älterer  quelle  übergegangener  sage  streitendes: 
manches  ist  sogar  entschieden  sagenhaft  nachgefühlt,  wie  denn 
Jacob  Grimm  1)  in  dem  ritt  durch  das  körn  etwas 'hoch mythi- 
sches, an  einen  gott  gemahnendes'  fand. 

Einige  andere  gründe  für  die  priorität  der  Völs.  s.  kommen 
bestätigend  hinzu.  Die  Ordnung  in  beiden  sagas  ist  eine  ver- 
schiedene: in  der  Völs.  s.  geht  die  beschreibung  der  rüstung 
SigLirds  der  seines  aufseheus  vorauf.  In  der  |>iÖr.  s.  ist  das 
umgekehrt.  Hätte  die  Völs.  s.  das  capitel  heriibergenommen, 
so  wäre  ein  gruud  zur  Umstellung  absolut  nicht  vorhanden  ge- 
wesen. Ein  sehr  triftiger  aber  lag  für  den  redactor  der  |>iÖr.  s. 
vor,  da  bei  allen  vorher  geschilderten  kämpen  Dietrichs  2)  zuerst 
das  aussehen,  dann  die  rüstung  beschrieben  war.  In  der  ]?iÖr. 
s.  wird  Sigurds  hornhaut  eingefügt,  von  der  die  Völs.  s.  nichts 
Aveiss.  Hätte  letztere  sie  vorgefunden,  so  hätte  sie  sie  beibe 
halten  können,  da  einen  anfang  von  der  Völsunge  Unverletz- 
barkeit sowol  die  prosa  frä  dauÖa  Sinfjötla  (ß.  202  tf.)  als 
auch  Völs.  s.  c.  7  (13.  95,  1 1  ff.)  kennt.  Der  |?iÖr.  s.  aber  war 
Sigurds  hornhaut  seine  ^vichtigste  eigenschaft,  sie  wurde  des- 
lialb  hinzugefügt.  —  Die  erzählimg  der  |?i8r.  s.  ist  in  der  mitte 
des  capitels,  die  dem  ende  des  capitels  in  Völs.  s.  entspricht, 
ausführlicher  als  die  der  Völs.  s.:  die  zusätze  sind  oberfläch- 
lich und  spiegeln  die  not  des  Schreibers  von  M  wider,  seine 
eingeschobenen  blätter  nur  ja  voll  zu  bekommen. 

BcAor  einige  allgemeinere  bemerkungen  hieran  geknüpft 
werden  können,  sind  zunächst  die  übrigen  übereinstimmenden 
stellen  beider  sagas  ins  äuge  zu  fassen.    Es  sind  drei: 

I.   Völs.  s.  c.  30  (B.  15S,  17—21).  l^iSr.s.  c.347  (U.301,22— 25.  27— 30). 

ok  cf  ek  hetöa  vitat  j^etta  fyrh*  ok  \>ä,  luaelti  Sigur?5r  sveinn,   er 

ok  stig.a  ek  ä  luina  t'cjetr  ineÖ  luin  hann  fekk  lagit  ....  ok  et'  j^etta 

vapn,  ]}k  skyldu  margir  ty'na  sinu  vissa  ek,  ]?ä  er  ek  stoÖ  upp  a  inina 

liti,   äör  en  ek  fella,  ok  allir  J^eir  loeti-,  aSr  )7Ü  jnmv  j^etta  verk  at  ta 

bru'ör  (Irepuir,  ok  torveldra  mundi  mer  banasar,  )?ä  vferi  minn  skjöldr 

in  Norwegen  geschrieben  (vgl.  s.  214  f.),  so  stösst  diese  annähme  noch 
auf  geringere  sehwierigkeifen. 

')  Myth.^^  359. 

2)  Abgesehen  von  Dietrich  selbst  und  Hildebrand,  deren  aussehen 
bereits  c.  14.  15  ausführlich  erörtert  war. 


2G8  SYMONS 

j'cim  at  (Irepa  iiiik  ou  cnn  mcsta  brotinn  ok  hjdlrar  spiltr  ok  niitt 
visiind  eÖa  villigölt.  sverÖ  skort56tt,  ok  meiri  von,   äSr 

l^etta  vasri  gort,  at  allir  ]?er  tjörir 
vaeri  daiiÖir.  Ok  her  eptir  deyr  nü 
SigurÖr  sveinn.     Ni'i  mjelti  Högni 

en  Uli   a   litilli  riÖ  hefi   ek 

veitt  einsaman  einn  bjorn  eÖa  einn 
visund.  ok  verra  vaeri  oss  Ijörum 
at  scekja  SigurÖ  svein,  et"  hann 
vaeri  viÖ  buinn,  en  at  drepa  bjorn 
eÖa  visimd,  er  allra  dy'ra  er  frce- 
knastr. 

Das  capitel  der  Völs.  s.  gibt,  weseutlicli  nach  Sig.  III,  eine 
besclireibung  von  Sigurds  ermorduug.  Unmittelbar  nach  der 
paraphrase  von  Sig.  III,  28  folgen  dann  die  angeführten  worte 
der  sterbenden  Sigurd.  Aehulich  ist  die  Situation  in  der  an- 
dern saga,  nur  dass  dort  die  worte  der  Völs.  s.  unter  Sigurd 
und  Högni  verteilt  sind.  Ein  stricter  beweis  für  die  priorität 
der  Völs.  s.  lässt  sich  hier  nicht  führen.  Zu  beachten  ist  frei- 
lich, das  die  wenigen  kräftigen  worte  der  Völs.  s.  in  der  ]?i8r. 
s.  breitgetreten  sind.  Als  ab?chluss  sind  sie  in  jener  wol  am 
platz,  zumal  Sig.  III,  28  für  eine  ruhige  erzählung  einen  doch 
gar  zu  hastigen  bot.  Am  schluss  des  c.  30  (B.  159,  8  — 15) 
findet  sich  ein  ganz  ähnlicher  zusatz,  eine  klage  der  Gudrun, 
für  den  wol  niemand  nach  einer  quelle  suchen  wird: 

IL    Völs.  s.  c.  32  (B.  162,   11—15).  jMÖr.  s.  c.  348  (U.  302,  19—23). 

nü  segir  ]?at  hverr,  er  |?essi  tiÖendi  ok   er  |^essi  tiSiudi  spyrjaz,  at 

heyrir,  at  engi  ma(5r  mun  ]ni\ikv  eptir  Sigui-Ör  sveinn  er  drepinn,  ]ni  segir 
i  veröldunni,  ok  aldri  man  siÖan  ^g^t  hverr  mat5r,  at  engi  mun  eptir 
borinn  slikr  ma(5r,  sem  SigurÖr  var  üfa  i  veroldinni  ok  aldri  si(5an  mun 
fyrir  hversvetna  sakar,  ok  haus  borinn  verÖa  f^vilikr  ma?5r  firir  sa- 
nafn  man  aldri  fyrnast,  i  )7y'Svers-  kjr  »fls  ok  reysti  ok  allrar  kurteisi, 
kri  tungu  ok  ä  NorÖrlöndum,  me-  kaps  ok  mildi,  er  hann  haföi  um- 
Öan  heimrinn  stendr.  fVam  hvern  mann  annarra.   Ok  hans 

nafn  mun  aldrigi  ty'naz  i  py  övers- 
kri  tungu  ok  slikt  sama  meÖ  NorÖ- 
mannom. 

An  beiden  stellen  ist  dies  nicht  unpassend  eingeschoben: 
beachtenswert  ist  aber,  dass  in  der  |?ibr.  s.  ein  ganzer  ab- 
schnitt damit  schliesst.  Dass  in  der  Völs.  s.  gesagt  wird,  Si- 
gurds name  lebe  auch  in  Deutschland  fort,  kann  nicht  weiter 
auöallend   oder  unpassend  erscheinen.      Wird   doch  schon  in 


VOELSUNGA  SAGA.  269 

der  Schlussprosa  zu  dem  Brot  af  Sig.  (frä  dauÖa  SigurÖar  B. 
241,  6)  auf  die  erzähluug-  deutscher  männer  rücksicht  ge- 
nommen. Diese  prosa  hat  zwar  Völs.  s.  nicht  benutzt,  aber 
gewis  eben  so  gut  gekannt,  wie  den  ganzen  inhalt  des  cod. 
Eeg.  ]]enutzen  konnte  sie  sie  im  übrigen  nicht,  da  sie  ab- 
weichende sageugestaltuugen  referiert,  die  die  Völs.  s.  ja  gerade 
vermeiden  wollte. 

III.    Völs.  s.  c.  33   (B.  1G9,  9—13).  ]nt5r.  s.  c.  360  (ü.  309,  9—13). 

Konungar  gerÖust  allmjök  dnik-  Attiia  koni;ngr  er  nü  gamall  ok 

nir;  p'dt  finnrVingi  ok  maelti:  'ekki  ]7ungferr  mjök  at  sty'ra  sinu  riki, 

er  J7vi  at  leyna,   at  Atli    konungr  en  bans   ungi  sun  Aldrian  er  enu 

er  jjungfcerr  mjök  ok  gamlatJr  mjök  fara  vetra  gamall.    Nü  liz  oss  sem 

at  verja  sitt  riki,   en    synir    hans  ]?er  munitS  vera  bezt  til  komnir  at 

ungir   ok   til  engis  foerir;    nü    vill  stjörna    ]?essu     riki     meS    yt5rum 

hann  gefa  j^tir  vald  yfir  rikinu,  me-  frfenda   hans   m6i5urbroet5r   (?),    }ni 

öan  |?eir   eru    svä   ungir,   ok  ann  riö  er  hann  hefir  ei  själfr   aldr  til 

y?^r  bezt  at  njöta.'  at  geta  sins  rikis. 

Diese  stelle  ist  ganz  entscheidend  für  die  priorität  der 
Völs.  s.  Für  sie  war  das  anerbieten  der  regentschaft  im 
wesentlichen  vorbereitet  durch  Akv.  5: 

voll  lezk  ykkr  ok  mundu  gefa 
viSrar  GnitaheiÖar 


ok  stat5i  Danpar, 
bris  ]?at  it  moera 
er  met5r  MyrkviÖ  kalla. 


Leicht  konnte  diese  stelle  dem  sagaschreiber  anlass  geben, 
zur  niederkämpfung  aller  bedenklichkeiten  der  Gjukunge  das 
anerbieten  noch  zu  steigern.  Der  deutschen  sage  dagegen  ist 
auch  die  leiseste  andeutung  eines  solchen  anerbietens  fremd, 
entspricht  auch  ganz  und  gar  nicht  der  Ökonomie  derselben, 
da  Etzel  ja  an  und  für  sich  gar  kein  grosses  Interesse  au  dem 
kommen  der  Wormser  könige  hat,  Etzels  alter  und  schwäche 
ist  überdies  der  darstellung  der  J>iÖr.  s.  c.  423  ganz  zuwider. 
Döring  i)  glau'ot  deshalb,  die  ]nt>i:  s.  habe  hier  aus  Akv.  5  ge- 
schöpft, hält  aber  im  übrigen  au  der  priorität  der  }>iÖr.  s.  fest. 
Dadurch  ergibt  sich  ein  resultat,  das  mir  ungeheuerlich  scheint: 
die  Völs.  s.,  die  im  übrigen  den  Atliliedern  schritt  für  schritt 
folgt,  hat  hier  eine  stelle  aus  der  J?i(5r.  s.   entlehnt,   die  diese 

')  Zeitschr.  für  deutsche  phil.  II,  16. 


270  SYMONS 

ihrerseits  aus  den  Atliliedern  entiioriimen  hat.  Die  Wider- 
legung eiucs  derartigen  Schlusses  erspare  ich  uiir. 

Bugge ')  führt  dann  noch  eine  vierte  stelle  an,  die  aus  der 
])it)Y.  s.  in  die  Völs.  s.  übergegangen  sein  soll: 

Vüls.  s.  eil  (B.  106,  4  f.).  ]nÖr.  s.  c.  153  (U.  15S,  25  fl".). 

Sigmund!  kouungi  var  hvarvetna  ok  Isetr    [NiÖungr  Sigmundi   ko- 

sett  torg  ok  annarr  farargreiÖi.  uuugij    alt    (allstat5ar   B,    fehlt  A) 

setja  torg  ok  veizlur  |?ar  (hvar  B) 
sein  hann  ferr. 

Es  wird  erlaubt  sein,  diese  Übereinstimmung  in  die  kategorie 
der  zufälligen  zu  verweisen. 

Bugges  Vermutung  endlich,  dass  c,  37  (B.  175,  il — 13) 
auf  pit)Y.  s.  c.  384  beruhe,  ist  bereits  zurückgewiesen.-) 

Unser  resultat  ist  demnach :  die  )nÖr.  s.  hat  aus  der  Völs. 
s.  geschöpft,  d.  h.  niclit  die  alte,  einfachere  ]>iÖrekssaga,  deren 
aussehen  wir  nur  noch  zu  reconstruieren  vermögen,  sondern 
jenes  bunte  gemisch  von  alter  sage  und  willkürliclien  Zusätzen, 
das  in  M  uns  vorliegt,  und  als  dessen  Urheber  wir  den  Schrei- 
ber no.  Ill  anzusehen  haben.  Wie  c.  22  der  Völs.  s.  in  M 
hineinkam,  ist  besprochen;  die  drei  übrigen  entlehnten  stellen 
aber  gehören  nicht  der  schreii)arbeit  des  Norwegers  no.  III, 
sondern  der  Isländer  no.  IV  und  V,  die  indes  unter  anleitung 
von  no.  III  gearbeitet  haben,  uud  zwar  höchst  wahrscheinlich 
nach  seinem  dictat.^)  Der  redactor,  einmal  mit  der  Völs.  s. 
bekannt,  hat  bei  passender  gelegenheit  vereinzelte  stellen  aus 
ihr  in  das  von  ihm  redigierte  werk  hineinbringen  lassen.  Das 
hat  nichts  auftallendes ,  denn  auch  sonst  ist  nicht  zu  leugnen, 
dass  nordische  namen  (Gramr,  Giani),  nordische  sagenzüge 
(das  Verständnis  der  vögelsprache,  das  sieden  der  stücke  des 
drachen)  und  nordische  sitte  eingang  in  die  }nbreks  saga  ge- 
funden haben.  Dass  diese  einflüsse  von  den  eddischen  liederu 
oder  deren  verwanten  ausgegangen  sind,  glaubte  schon  P.  E. 
Müller  und  haben  Dörings  sorgfältige  Untersuchungen  festge- 
stellt: Storm^)  hat  das  nicht  zu  entkräften  vermocht.    Vielleicht 


1)  a.  a.  0.  XXXV. 

^)  Vgl.  s.  243. 

3)  Vgl.  Unger  a.  a.  o.   s.  XVII.     Storm,  sagnkredsene  om  Karl  den 
Store  og  Didrik  af  Bern  s.  !ül.     Treiitler  a.  a.  o.  s.  15S. 
*)  a.  a.  o.  s.  116. 


VOELSUNGA  SAGA.  271 

ist  die  Vermutung-  nicht  unerlaubt,  dass  jene  nordischen  namen 
und  sagenzügc  durchweg"  auf  kenntnis  der  Völs.  s.  beruhen. 
Mindestens  findet  sich  der  name  von  Sigurds  schwert  Gramr 
und  der  zug  vom  Verständnis  der  vögelsprache  in  jenem  nach- 
weisbar benutzten  c.  22  der  Völs.  s.  Den  rat  der  adlerinnen 
(|-»ibr.  s.  c.  166.  Unger  s.  168,  6  tf.)  finden  wir  freilich  so  gut 
in  den  Fäfnismäl,  wie  in  der  Völs.  s.  —  An  der  datierung 
der  beiden  sagas,  hinsichtlich  deren  ich  mich  Unger  und  Bugge 
anschliessen  möchte,  ändert  diese  abweichende  ansieht  von 
ihrem  gegenseitigen  Verhältnis  nichts,  da  jene  einflüsse  der 
Völs.  s.  die  vorläge  von  M  nach  Treutiers  für  mich  beweisen- 
den auseinandersetzungen  i)  noch  nicht  berührt  hatten. 

In  dieser  aufstellung  bestärkt  mich  endlich  auch  ein  nega- 
tives resultat.  Wie  hätte  der  Verfasser  der  Völs.  s.,  hätte  er 
die  jnÖr.  s.  gekannt,  sich  wol  von  den  einflüssen  der  völlig 
umgestalteten  sage  fernhalten  können,  zumal  er  den  Dietrich 
schon  aus  seiner  quelle  kannte  (GuÖr.  IL  B.  265,  1  ff.;  III, 
B.  274,  1  ff.  Str.  2.  3)?  Und  ist  es  glaublich,  dass  er  aus 
dem  immensen  stoff  gerade  ein  paar  nichtssagende  bemer- 
kungen  aufgenommen  hätte,  die  völlig  entbehrlich  waren? 
Schon  diese  allgemeine  Überlegung  widerspricht  aller  Wahr- 
scheinlichkeit, während  die  hier  vorgetragene  annähme  auf 
keinerlei  Schwierigkeiten  stösst 

c.  XXIII.  XXIV  (Sigurds  aufenthalt  bei  Heimir  und  Ver- 
lobung mit  Brynhild).  Durchgängig  sind  diese  capitel  als  eine 
erweiterung  der  sage  durch  den  sagaschreiber  angesehen  wor- 
den.-) Bugge  sieht  in  ihnen  die  paraphrase  eines  liedes,  das 
in  R  den  Sigrdrlfumäi  folgte.^)  Die  bedenken  gegen  den  In- 
halt der  capitel  richteten  sich  teils  gegen  die  ^zweite'  Ver- 
lobung an  sich,  teils  gegen  den  ton.  Die  einwendung  gegen 
die  sagenhafte  gewähr  der  beiden  capitel  verschwindet,  sobald 


')  Vgl.  vor  allem  s.  ITT  ff.  Auü'alleuder  weise  ist  Treutier  auf  die 
Übereinstimmung  mit  der  Völs.  s.  mit  keinem  einzigen  worte  einge- 
gangen, die  doch  für  seine  aufstellungen  wesentliche  Stützpunkte  ge- 
boten hätte. 

2)  SB  II,  m  ff.  HS 2  35S  ff.  Keysei-,  efterl.  skrift.  I,  356  ff". 
W.  Müller,  versuoli  einer  mythologischen  erklärung  der  Nibelungen- 
sage s.  51. 

3)  a.  a.  0.  s.  XXXIX. 


272  SYMONS 

miiLi  (lur  sonderung  Sigrdrifas  und  Brynhilds  zubtimmt.  Nach 
der  darstellung-  der  sag-a  wird  allerdingB  eine  zweite  Verlobung- 
geschildert,  das  zu  gründe  liegende  licd  hat  aber  gewis  die 
begegnung  und  Verlobung  als  erste  dargestellt.  Diese  erste 
Verlobung  aber,  sahen  wir,  macht  die  sp:itere  eutwicklung  der 
sage,  wenigstens  für  die  luehrzahl  der  lieder,  durchaus  not- 
wendig. Bugges  ansieht,  dass  in  der  Sammlung  unmittelbar 
auf  die  Sigrdrifuraäl  ein  lied  folgte,  das  Sigurds  besuch  bei 
Heimir  besang,  und  auf  dem  e.  23.  24  beruhen,  bestätigt  die 
Gripisspä,  die  sogleich  nach  der  erweckung  der  valkyrie  fort- 
fährt (str.  19): 

j?ii  mimt  hitta 

Heimis  bygtiir. 

SE  kennt  jene  begegnung  nicht,  allein  sie  kennt  überhaupt 
keine  frühere  Verlobung. i) 

Gegründetere  bedenken  erregen  der  ton  des  capitels,  die 
zierlich  conventionelle  art  des  gesprächs,  die  mit  einer  Stickerei 
beschäftigte  dame  im  türm.  Es  bleibt  nichts  anderes  übrig? 
als  mit  Bugge  anzunehmen,  dass  das  zu  gründe  liegende  lied 
bereits  einen  erotischeren  Charakter  getragen  hat,  der  ja  auch 
sonst  den  eddischen  liedern  nicht  ganz  fremd  ist,  wie  die 
zweite  partie  des  zweiten  Helgiliedes,  partien  der  Völundar- 
kviÖa  und  des  Oddrünargrätr  dartuu,  und  dass  der  saga- 
schreiber  diesen  erotischen  ton  ins  rittermässig- romantische 
übersetzt  hat.  Jedenfalls  wird  das  lied  zu  den  allerj  üngsteu 
gehört  haben. 

Daraus  nun,  dass  der  sagaschreiber  in  dem  Hede  die  be- 
gegnung mit  Brynhild  als  erste  dargestellt  fand,  er  aber  wegen 
der  eingeflickten  frühern  Verlobung  sie  als  zweite  schildern 
muste,  erklären  sich  einzelne  Widersprüche  in  unsern  capitelu. 
Denn  wir  werden  im  ganzen  wol  P.  E.  Müller'-)  zugeben 
müssen,  dass  Sigurd  hier  dargestellt  wird,  als  sehe  er  Bryn- 
hild  zum  ersten  male,  der  ton  des  gesprächs  klingt  entschieden 
so.  An  einzelnen  versuchen  aber,  seine  darstellung  mit  der 
frühern  in  eiuklang  zu  bringen,  hat  der  Verfasser  es  nicht 
fehlen  lassen. 


')  Vgl.  s.  260. 
2)  SB  II,  67. 


VOELSÜNGA  SAGA.  273 

c.  24.    B.  136,  15:  pk  vav  Leim  komin  til  Heimis  Bryn- 
liildr,  föstra  lians.*) 
B.  136,  24:    ok  kennir,  at  pur  er  Biynliildr. 
B.  138,  4:   SigurÖr  maelti:  nü  er  l^at  framm  komit, 

er  |>er  lietuÖ  oss.^) 
B.  138,  25:   ok  svörÖu  nü  eiÖa  af  ny'ju. 
Wir  werden  das  recht  haben,  diese  reminiscenzen  an  die  frühere 
begeguung"    und    Verlobung    für  vermittelnde  zusätze   des   Ver- 
fassers zu  halten  und  sie  dem   zu  gründe  liegenden  Hede   ab- 
zusprechen. 

Bugge  a.  a.  o.  hat  an  einzelnen  beispielen  gezeigt,  dass 
der  ausdruek  unserer  capitel  trotz  alles  conventioneilen  nicht 
selten  an  eine  poetische  quelle  gemahnt;  ich  füge  diesen  bei- 
spielen noch  folgende  hinzu: 

c.  24.  B.  136,  17  ff.:    hon  lagÖi   sinn  borÖa   meÖ  guUi  ok 
saumaÖi  a  )>au  stormerki,  er  SigurÖr  haföi  gert:  dräp  ormsins 
ük  upptöku  fjärins  ok  dauÖa  Kegins.     Vgl.  GuÖr.  II,  16  5—8: 
byr(5u  vit  a  boröa 
]?at  er  peh-  bört5usk 
SigaiT  ok  Siggeirr 
siiöi"  a  Fivi. 

B.  137,  3  ff.:    haukar  |?inir  huipa  ok  svä  hestrinn  Grani, 
ok  l^essa  fäm  ver  seint  bött.     Vgl.  GuÖr.  II,  5  i—^: 
hnipaaSi  Grani  pi, 
drap  i  gras  höft5i. 

c.  XXV  (Gudruns  träume  und  ihre  deutung  durch  Bryn- 
hikl).  —  B.  138,  28  — 139,  11  ist  offenbar  ein  orientierender 
Zusatz  des  sagaschreibers ,  der  dem  leser  über  die  Verhältnisse 
der  Gjukunge  klarheit  verschaffen  solh  Auf  liedworten  beruht 
dieses  stück  gewis  nicht:  die  angaben  aber  stimmen  zu  allem, 
was  wir  sonst  wissen.  Nur  zwei  punkte  geben  zu  bemerkungen 
veranlassung: 

139,  1  f :  hann  ätti  }^rjä  sonu,  er  svä  hetu :  Gunnarr, 
Högni,  Guthormr. 


0  Weshalb  es  sich  widersprechen  soll,  dass  Brynhild  hier  Heirairs 
föstra  genannt  wird  (ebenso  c.  27,  B.  146,  16.  Sig.  I,  29 '),  c.  23,  B.  135, 
16  aber  seine  Schwägerin,  wie  Müller  a.  a.  o.  will,  ist  nicht  einzusehen. 

-)  Die  beziehung  dieses  'er  J^er  hetuö  oss'  ist  mir  allerdings 
nicht  klar. 


271  SYMONS 

Nach  Ilyiidl.  27  uiul  SE  I,  360  war  Gutliorinr  Gjiikis 
Stiefsohn:  die  Völs.  s.  erwähnt  das  nicht  ausdrücklich,  ttber 
er  wird  doch  c.  30  (B.  150,  6)  =  Sig.  III,  20  den  andern  söhnen 
als  nicht  gleichberechtigt  gegen ühergcstellt. 

139,  5  f.;    Gjüki  ätti  Grimhildi  ona  fjölkungu 
vgl.  c.  32  (B.  161,  3):    met)  rübum  Grindiildar  ennar  fjölkunngu 
(ohne    entsprechung   der  Sig.  III).  i)     Allein    als   zauberkundig 
erscheint  Grinihild  aucli  GuÖr.  II,  17  tl",  überhaupt  deutet  der 
Vergessenheitstrank  auf  diese  eigenschaft. 

i\lit  131),  11:  eilt  sinn  segir  GuÖriin  u.  s.  w.  beginnt  jeden- 
falls die  widergabe  eines  liedes,  das  Gudruns  träume  und  ihre 
deutung  besang,  und  der  schluss  des  capitels  wird  auch  der 
schluss  des  liedes  gewesen  sein, 2)  Dass  in  diesem  capitel  un- 
verfälschtes sagengut  vorliegt,  beweist  die  merkwürdige  Über- 
einstimmung von  Gudruns  erstem  träume  mit  dem  der  Kriem- 
hilt  im  NL  (Lm.  13 — 17;  Z.  3,  1 — 5).  Gudruns  zweiter  träum 
(B.  141,  14  tf.)  deutet  unverkennbar  auf  Sigurds  ermordung 
auf  der  jagd,  wie  die  deutsche  gestalt  der  sage  sie  kennt.  Ob 
beide  träume  Spaltungen  des  einen  traums  der  Kriemhilt  sind, 
oder  aber  beide  ursprünglich  der  sage  angehören,  wird  sich 
kaum  entscheiden  lassen.  Ein  jüngerer  einfluss  des  späteren 
deutschen  souderle])6ns  der  sage  ist  aber  auch  bei  dem  liede, 
das  diesem  capitel  zu  gründe  liegt,  nicht  von  der  band  zu 
weisen.  Aus  der  prosaischen  form  können  wir  soviel  doch  er- 
kennen, dass  das  lied  zu  den  jüngeren  gehört  haben  muss.'-^) 
Audi  der  grossenteils  retrosjjective  oder  prophezeiende  Inhalt 
legt  diese  Vermutung  nahe. 

Was  ßrynhild  141,  2  ff.  von  Sigmunds  tod  erzählt,  stimmt 
zu  dem  früher  in  Völs.  s.  mitgeteilten.  Nur  ein  unterschied 
ist  von  Wichtigkeit:  als  grund,  weshalb  Sigmund  die  teiluug 
von  der  band  weist,  heisst  es  einfach:   'en  bann  kvezt  of  ga- 


')  Vielleicht  aber  ist  Sig.  III,  54  3—6  stark  verderbt,  und  die  wortc 
der  Völs.  s.  richtig  widergegeben  nach  der  ursprünglichen  lesart.  Vgl. 
Bugge  und  Hildebraud  z.  d.  stelle. 

2)  Vgl.  SB  II,  68.    Bugge  a.  a.  o.  s.  XL. 

^)  Ausdrücke  wie:  'margir  hafa  spurt  af  y(5rum  v<enleik,  vizku  ok 
kurteisi',  'nökkurs  konungs  son  mun  biÖja  j^in '  oder  'sa,  er  Ipii  faer, 
man  vera  vel  mentr,  ok  muntu  unna  honum  mikit',  sowie  der  ganze 
empfang  bei  Brynhild  deuten  darauf. 


VOELSUNGA  SAgA.  275 

mall  siÖan  at  berjast'  u.  s.  w.  O'Öinn  ist  hier  also  milje- 
kauut.  Vgl.  dagegen  c.  12  (ß.  108,  8  ff.):  'vill  O'Öiuu  ekki, 
at  ver  bregbum  sverdi,  siöau  er  im  brotnaöi;  liefi  ek  haft  or- 
rostur,  meÖau  lionum  likaÖi.'  Es  mag  bereits  hier  auf  diese 
abAveicliuug  hingedeutet  werden. 

Die  anspielung  auf  die  taten  Hakis  und  HagbarÖs  und 
Sigars,  der  ihre  schwester  heimführte,  steht  in  zu  entferntem 
Zusammenhang  mit  unserer  heldensage,  um  hier  erörtert  zu 
werden.  1) 

Es  kommen  endlich  vielfache  anklänge  an  eddische  aus- 
drucksweise hinzu,  die  die  ächtheit  des  capitels  bestätigen. 
B.  139,  16  f.:  pviat  jafnan  dreyrair  fyrir  veÖrum  vgl.  GuÖr.  II, 
39  und  Atlm.  18.  —  B.  141,  5  f.:  ok  var  ]?ä  spä  spaks  geta 
[vgl.  Forspjallslj.  20:  spür  eÖa  spakmäl].2)  _  ß.  141,  15  f.: 
hann  bar  langt  af  öÖrum  dy'rum  vgl.  GuÖr.  II,  2: 

sva  var  SigiirÖr 
of  sonum  Gjüka 

sem 

eOa  hjöi'tr  liäbeinn 
\\m  livössum  dy'rum. 

Die  Völs.  s.  c.  32  (B.  162,  16  ff.)  gibt  das  wider:  svä  bar  hann 
....  sem  ....  eÖa  hjortr  af  öÖrum  dy'rum.  —  B.  141,  19  f.: 
siÖan  gaftu  mer  einu  ülfhvelp,  sä  dreifÖi  mik  blöÖi  brtiudra 
minna.  Aehnliches  vgl.  Atlin.  19.  Sig.  III,  12.  GuÖr.  hv.  4. 
HamÖ.  7.  —  ülfhvelpr  bei  Cleasby-Vigfüsson  (p.  668  b)  nur 
an  unserer  stelle  belegt,  also  nicht  dem  prosaischen  Wortschatz 
angehörend.  —  B.  141,  23:  Grimhildr  gefr  honuui  mciuulan- 
diun  mjöÖ.  meinblaudinn  ist  in  prosa  nur  au  unserer  stelle  be- 
legt (Cl.-V.  422b),  dagegen  vgl.  Sgrdrfm.  8  (j;  'meinblaudinn 
mjöbr',  Lokas.  3  6;   ok  blcud  ek  }?eim  svä  meini  mjöÖ. 

c.  XXVI  (Sigurds  aukunft  bei  Gjuki  und  Vermählung  mit 
Gudrun).    Auch  dieses  ca])itel    erweckt   nirgends  den  verdacht 

')  Vgl.  über  diese  sage  Gnindtvig,  Danm.  gamle  folkev.  I,  25s  if- 
Rassmann  I,  ISO. 

2)  Ich  brauche  kaum  zu  bemerken,  dass  ich  damit  die  Forspjallsljoö 
(hratnagaldi-  0't5ins)  nicht  als  altes  lied  hinstellen  will  (vgl.  Keyser  efterl. 
skrift.  I,  2G2.  Maurer,  zs.  für  deutsche  phil.  1,  59),  allein  der  Wortschatz 
des  liedes  ist  darum  doch  der  epische,  üebrigens  findet  sich  auch  in 
der  prosa  spiilchwürtlicii:  spä  er  spaks  geta  Fms.  XI,  154  '*.  Grett. 
s.  72  20.     Vgl.  Möbius,  au.  glossai-,  s.  102. 


^76  SYMONS 

einer  Verfälschung-:  fast  alle  darin  erwähnten  einzelheiten  lassen 
sieh  auch  sonst  bestätigen.  —  IJ.  143,  1  if.  Der  vergcsscnheits- 
trank  wird  in  den  liedern  nicht  geradezu  erwäliut,  allein  Sig. 
I,  33  11".  beruht  doch  auf  dieser  voraussetzuni^-.  —  B.  143,  4  f.: 
ok  niunu  |n'i  eigi  yÖrir  jafningjar  fast.  Diesem  gedanken  gibt 
Högni  Sig.  III,  18  ausdruck. —  B.  143,  10:  gipt  houum  döttur 
|>iua  meÖ  miklu  fe.     Vgl.  Sig.  III,  2: 

mey  but5u  häniiiu 
ok  ruetöraa  fjöld.  — 

B.  143,  22:  }>eir  sverjast  nii  i  broeÖralag,  sem  |?eir  se  sambor- 
nir  broeör.  Darauf  wird  gedeutet  Sig.  I,  37.  III,  1.  17.  Brot 
af  Sig.  2.  17.  GuÖr.  I,  21.  Besonders  genau  entspricht  SE  I, 
360 :  en  Gunnarr  ok  Högni  sürust  i  broeÖralag  viÖ  SigurÖ.  — 
B.  143,  24:  drekkr  SigurÖr  nü  brüÖlaup  til  GuÖriinar.  Nach 
Sig.  l,  43  geht  die  Vermählung  Sigurds  und  Gunnars  an  dem- 
selben tage  vor  sich,  was  auftauend  zum  NL  stimmt.  —  B. 
143,  26  ft\:  l?eir  föru  nü  vl?5a  um  lönd  ok  viuna  mörg  frseg- 
Öarverk,  dräpu  marga  konungasonu  u.  s.  w.  Auf  diese  heer- 
züge  Sigurds  und  der  Gjukunge  wird  auch  Atlm.  98.  99  (vgl 
Völs.  s.  c.  38.  B.  181,  13  if.),  in  etwas  dunkler  weise,  ange- 
spielt, i)  —  B.  143,  29  ff.:  SigurÖr  gaf  GuÖrüuu  at  eta  af  Fäf- 
nis  hjarta,  ok  siÖan  var  hon  miklu  grimmari  eu  aÖr  ok  viirari. 
Wahrscheinlich  haben  wir  hier  einen  zusatz,  der  aus  der 
einleit.  prosa  zu  GuÖr.  I  (B.  242,  6)  hergenommen  ist.'-)  — 
B.  143,  31:  |?eira  son  het  Sigmundr.  Dem  entspricht  GuÖr.  II, 
28.  SE  I,  362.  364.  —  B.  143,  32  ft'.  Auch  nach  Sig.  I,  35 
gibt  Grimhild  Gunnarr  den  rat  zur  Vermählung.  —  Die  dar- 
stellung  dieses  capitels  trägt  nicht  gerade  viele  spuren  der 
widero-abe  dichterischer  worte:  es  teilt  aber  diesen  mangel  mit 


')  Ob  der  im  )?attr  af  Norn.  c.  6  (Biigge  65,  7)  erwähnte  kämpf 
Sigurds  und  der  Gjukunge  mit  den  Gandalfssöhnen  hierher  gehört  (vgl. 
HS-  1S5.  Rassmann  I,  1S4),  ist  wol  bei  der  willkürlichen  compilation 
dieser  quelle  höchst  zweifelhaft.  MüUenhoff  (nordalb.  stud.  I,  191  ff.) 
identificiert  ihn  mit  dem  Völs.  s.  c.  29  (B.  152,  24  ff.)  erwähnten  krieg 
der  Gjukunge  mit  dem  Dänenkönig  und  Budlis  bruder,  allein  Rassmann 
macht  mit  recht  geltend,  dass  dieser  kämpf  ja  gerade  den  taten  Sigurds 
entgegengestellt  wird,  während  es  sich  im  ]>.  af  Norn.  um  gemeinsame 
taten  Sigui-ds  und  der  Gjukunge  handelt. 

'^)  Vgl.  s.  218.  232. 


VOELSUNGA  SAgA.  ^77 

allen  partien  der  saga,  in  denen  einfache  erzäliliiug  vorherseht. 
Dennoch  sind  einzelne  ausdrücke  auch  hier  anzufTihren ,  die 
auf  eddische  worte  hindeuten.  ■ —  B.  142,  12:  ek  heiti  SigurÖr» 
ok  eni  ek  son  Sigmundar  konungs.     Die  quelle  bot  uol: 

Sigtirt5r  ek  heiti 

boriun  Sigmuudi  (Sig.  I,  3)  oder: 

SigurÖr  ek  heiti, 

Sigmimdr  het  minn  faÖir  (Fafn.  4). 

B:  142,  15:  ok  väru  allir  lägir  hja  honum  vgl.  GuÖr.  I,  18: 
sva  var  minn  SigurSr 
hjä  sonum  Gji'ika, 
sem  vaeri  geirlaukr 
ör  grasi  vaxinn, 

und  fast  wörtlich  ebenso  GuÖr.  II,  2.  —  B.  142,  23:  sä  ok, 
hvert  traust  at  honum  var.  vgl.  Völs.  s.  c.  30  (B.  155,  22):  er 
oss  ok  mikit  traust  at  honum,  freie  widergabe  von  Sig.  III, 
18.  —  B.  143,  8  vgl.  Sig.  III,  42. 

c.  XXVII  (Gunnars  brautfahrt  und  hochzeit).  —  In  diesem 
capitel  liegt  eine  naive  widergabe  eines  liedes  wol  kaum  vor. 
Weder  P.  E.  Müller  noch  Bugge  machen  freilich  bedenken 
gegen  dasselbe  geltend,  Eassmann  i)  hat  alle  Überlieferungen 
nach  seiner  weise  zusammengeworfen  und  damit  dem  Verständ- 
nis einen  sehr  schlechten  dienst  erwiesen. 

Die  erzählung  lautet:  Sigurd  und  die  Gjukunge  bringen 
die  Werbung  um  Bryuhild  beim  könig  Budli  an,  dieser  sagt 
zu,  falls  seine  tochter  ja  sage:  ^ok  segir,  hana  svä  stora,  at 
J^ann  einn  mann  mun  hon  eiga,  er  hon  vill.'  —  Darauf  reiten 
sie  nach  Hlymdalir  zu  Heimir,  Brynhilds  pfleger:  auch  dieser 
sagt,  Brynhilds  wähl  läge  ganz  in  ihrer  band:  'ok  kvazt  )>at 
hyggja,  at  j>ann  einn  mundi  hon  eiga  vilja,  er  riöi  eld  bren- 
nanda,  er  sleginn  er  um  sal  hennar.'  —  Sie  kommen  nun  zur 
llammenumloderten  bürg,  vergebens  sucht  Gunnar  auf  seinem 
wie  auf  Sigurds  rosse  den  vafrlogi  zu  durchreiten.  Sigurd 
nimmt  Gunnars  gestalt  an,  reitet  durch  die  lohe  und  findet 
Brynhild  im  saale  sitzend,  gepanzert  und  mit  dem  heim  auf 
dem  haupte.  Drei  nachte  ruht  Sigurd  neben  ihr,  durch  das 
nackte  schv^ert  von  ihr  getrennt.  Am  vierten  morgen  nimmt 
er  ihr  den  Andvaranaut  und  gibt  ihr  dafür  einen  andern  ring 

')  I,  185  ff. 


278  SYMONS 

von  Fäfnirs  erbe.  Dann  reitet  er  /Airöck  zu  seinen  genossen; 
Sig-urd  und  Gunnar  wechseln  wider  die  g-estalten  und  bringen 
botschaft  nach  Hlynulalir.  An  demselben  tage  geht  ßrynliild 
zu  Ileimir,  erzählt  ihm,  was  geschehen  ist,  mit  dem  zusatz,  sie 
habe  gesagt,  nur  Sigurd  könne  die  waberlolie  durchreiten,  dem 
sie  eide  geschworen  habe  auf  dem  berge.  Dann  empfiehlt  sie 
Heimirs  schütze  Aslaug,  ihre  und  Sigurds  tochter.  Die  könige 
reiten  nun  heim,  Brynhild  dagegen  zu  ihrem  vater:  die  Gju- 
kunge  rüsten  ein  grosses  festmahl,  zu  dem  Budli,  Atli  und 
Brynhild  kommen.  Als  das  mahl  zu  ende  ist,  erinnert  sich 
Sigurd  aller  eide,  die  er  Brynhild  geleistet  hat,  stellt  sich  aber 
ruhig.  Brynhild  und  Gunnar  sitzen  in  kurzweil  und  trinken 
guten  wein. 

Dass  dem  kerne  dieses  capitels  ein  lied  zu  gründe  liegt, 
kann  freilich  gar  nicht  zweifelhaft  sein:  zwei  Strophen  im 
starkabarlag  (Bugge  s.  145,  no.  22.  23)  werden  angeführt,  die 
uns  einen  ungefiihren  einblick  in  die  beschaffenheit  des  liedes 
gestatten.  Es  wurde  offenbar  der  ritt  durch  den  vafrlogi  darin 
mit  grosser  lebhaftigkeit  geschildert.  Al)er  auch  die  prosaii^che 
auflösung  zeigt  noch  an  manchen  steilen  die  zu  gründe  liegende 
dichtung: 

B.  144,  16:    Gunnarr  reiÖ  Gota,   en   Högni   Hölkvi.     Ein 

uns  in  SE  I,  484  erhaltenes  rossregister  aus  den  Alsvinnsmäl^ 

schliesst: 

Högni  Hölkvi  [reiÖ] 


Gunnarr  Gota 

en  Grana  SigurÖr. 

B.  145,  25  f.:  hon  svarar  af  ähyggju  af  sinn  sseti  sem  alpt 
af  baru.-) —  B.  146,  2:  ok  väru  väpn  vär  lituÖ  1  mannablöSi, 
ok  ]?ess  girnumst  ver  enn.     Vgl.  Helr.  Brynh.  2: 

]7ii  hetir,  vär  gulls! 
ef  ]nk  vita  lystir, 
mild  af  höndum 
manns  bloÖ  J^vegit. 

Einleitung   und  schluss  des   capitels   sind   aber   ganz  ent- 
schiedene Zusätze.     Die  doppelte  Werbung  bei  Budli  und  Heimir, 


')  Richtiger  Kaifsvisa.    Bugge,  Edda  s.  333, 
^)  Vgl.  Myth.''^  399. 


VOELSUNGA  SAGA.  279 

der  Widerspruch,  dass  ßudli  von  einer  zu  durchreitenden  waber- 
lohe gar  nichts  erwähnt,  Heimir  dngeg'en  die  A^ermähking  da- 
von abhängig"  macht,  die  geradezu  i-atioualistische  art,  wie 
abermals  die  lohe  durchritten  werden  soll,  das  alles  macht  zu- 
nächst die  einleitung  höchst  verdächtig.  Die  audeutungen  aus 
Brynliilds  munde  selber,  die  wir  Sig.  III,  35  ff.,  GuÖr.  I,  25 
N'üls.  s.  c.  29  (B.  150,  4  ff",)  über  ihr  geschick  erhalten,  sowie 
die  kurze  aber  verständige  darstellung  der  SE  I,  3GÜ  schliesseu 
ein  eingreifen  Heimirs  hier  völlig  aus:  ein  schw^auken  tindet 
sich  nur,  ob  Budli  oder  Atli  den  bestimmenden  einfluss  auf 
Brynhilds  geschick  ausüben  i),  und  dieses  schwanken  teilt  auch 
die  Völs.  s.  Wenn  sie  Heimir  hier  hineinbringt,  so  will  sie 
dadurch  die  widersprechenden  sagenformen  vereinigen,  die  bald 
eine  frühere  bekanntschaft  Sigurds  und  der  Brynhild  Aoraus- 
setzen  und  damit  auch  ein  auftreten  Heimirs,  bald  ausserhalb 
dieser  Voraussetzung  stehen:  dass  letzteres  für  das  hier  zu 
gründe  liegende  lied  anzunehmen  ist,  zeigt  recht  deutlich  die 
erzählung  vom  ringe,  auf  die  wir  sogleich  zu  sprechen  kommen. 
Ferner  aber  war  Heimir  für  uusern  Verfasser  eine  sehr  wich- 
tige figur,  da  ihm  alsbald  Aslaug  zur  erzieh ung  übergeben  wer- 
den soll.  Dass  ferner  der  ritt  durch  den  vafrlogi  in  dem  zu 
gründe  liegenden  lied  als  erster  dargestellt  wurde,  bedarf  keines 
beweises.  Unser  Verfasser  aber  ist  sich  über  die  Widersprüche, 
die  sich  durch  die  identificierung  von  Sigrdrifa  und  Brynhild 
ergaben,  nirgends  recht  klar  geworden.  Ob  er  sich  c.  20  bei 
der  erweckung  der  Sigrdrifa  -  Brynhild  bereits  die  durchreitung 
der  waberlohe  gedacht  hat,  ist  gar  nicht  klar  zu  ersehen,  denn 
er  schreibt  dort  nur  die  unklare  prosa  der  Sigrdrifumäl  aus, 
die  nur  von  einem  grossen  licht  spricht,  das  wäe  ein  feuer 
aussieht.  An  unserer  stelle  aber  sieht  kein  mensch  den  gruud 
ein,  weshalb  denn  Brynhild  sich  widerum  von  feuer  hat  um- 
lodern lassen,  zumal  sie  nicht  als  schlafend  dargestellt  wird. 
Diesen  Widerspruch  hat  der  sagaschreiber  wol  gefühlt,  des- 
wegen aucii  seine  ganze  erzählung  in  einem  heildunkel  ge- 
halten, das  aber  die  llickarbeit  noch  genügend  erkennen  lässt. 
Die  darstellung  der  durchreitung  des  vafrlogi,  der  begeg- 
nung  mit  Brynhild   und   des  keuschen  beilagers   gehört   gewis 


')  Nach  Oddr.  14  starb  Budli,  als  Oddrun  fünf  jähre  alt  war. 

Ueiträge  zur  gescliiclite  der  Ueutsuheu  .siiruche.     lll.  jy 


280  SYMONS 

(Icni  iii-spriiiiii;licben  Hede  an:  letzteres  wird  vielfach  bestätigt. >) 
Wie  lange  Sigurd  neben  Bryubild  ruhte,  scheint  früh  geschwankt 
zu  haben,  nach  Helr.  Brynh.  12  acht  nachte,  nach  SE  1,  302 
nur  eine  nacht.  Sigurds  einwand,  ihm  sei  der  tod  bestimmt, 
falls  er  Brynhild  berühre,  erwälmeu  zwar  die  lieder  an  keiner 
stelle:    diese  Vorstellung  ist  aber  altgermauisch.-) 

Nun  folgt  die  erzälilung  vom  Wechsel  der  ringe.  B.  146, 
11  fl".:  'bann  tök  ]m  af  henni  hringinu  Andvaranaut,  er  bann 
gaf  henni,  en  fekk  henni  nü  annan  bring  af  Fäfnis  arfi.'  In 
der  ÖE  I,  362  heisst  es:  'en  at  morui,  pii  er  bann  atöt)  upi) 
ok  klseddi  sik,  pä  gaf  bann  Brynbildi  at  linfe  gullbauginn, 
]?ann  en  Loki  baföi  utt  af  Audvara,  en  tök  af  henni  annau 
baug  til  minja.'  Also  das  gerade  gegenteil.  —  Einen  anhalts- 
punkt  zur  beurteilung  gibt  uns  Völs.  s.  c.  28  (ß.  147,  17  ff'.): 
die  königinnen  streiten  sich,  zornig  sagt  Gudrun:  'ok  bann 
[SigurÖr]  lä  hjä  |?er  ok  tök  af  hendi  |>er  bringinn  Andvara- 
naut, ok  mtittu  nü  her  bann  kenua.  Brynhildr  ser  nü  ]>enna 
bring  ok  kennir.'  An  der  entsprechenden  stelle  erzflhlt  SE  I, 
362,  364:  'sä  a^tla  ek  at  geugi  i  rekkju  hjä  per,  er  mer  gaf 
gullbaug  }>enna;  en  sä  gullbaugr,  er  }ni  hefir  ä  hendi  ok  ]?ü 
|>ätt  at  linfe,  bann  er  kallaör  Andvaranautr,  ok  setlak  at  eigi 
sötti  Gunnarr  bann  ä  GnitaheiÖi.'  Also  widerum  das  gerade 
gegenteil:  nach  Völs.  s.  hat  Gudrun,  nach  SE  Brynhild  beim 
zank  den  fluchbringenden  ring  Andvaris  an  der  band;  und  in 
der  brautnacht  nimmt  nach  der  Völs.  s.  Sigurd  der  Brynhild 
den  Andvaranaut,  nach  SE  erhält  sie  ihn  erst  da.  —  Man 
könnte  hier  an  doppelte  Überlieferung  denken;  richtiger  und 
besser  nehmen  wir  Ijewuste  änderung  des  sagaschreibers  au 
Der  ring  Andvaris  ist  das  symbol  des  Üuclies,  der  sich  an  das 
gold  knüpft:  die  sage  verlangt  es,  dass  in  jener  verhängnis- 
vollen brautnficbt  Brynhild  ihn  von  Sigurd  empfängt,  und  da- 
durch den  fluch  an  sich  kettet.  Sie  gil)t  ihm  einen  andern 
dafür,  den  Sigurd  später  Gudrun  gibt,  und  welcher  Brynhild 
die  gewisheit  des  truges  verleiht.  Nimmermehr  aber  kann  es 
für  Brynhild  beweisend  sein,  wenn  Gudrun  ihr  den  ring 
Andvaris   zeigt,    den    Sigurd    von  jeher   besessen   hat.  —  Die 


')  Sig.  I,  41.    III,  4.     Brot  af  Sig.  19.     Helr.  Brynh.  12. 
2)  RA  168. 


VOELSUNGA  SAGA.  281 

erste  stelle  der  Völs.  s.  sielit  überdies  sehr  gemacht  aus:  von 
eiuem  auderu  ringe  aus  Fäfnirs  erbe  wissen  wir  nichts.  Was 
bewog-  aber  den  sagaschreiber  zur  änderung?  Der  grund  liegt 
nahe.  Das  lied,  auf  dem  der  kern  des  c.  27  beruht,  setzte  eine 
frühere  bekanntschaft  zwischen  Sigurd  und  Brynhild  nicht  vor- 
aus: nach  dem  lied  von  der  begegnung  bei  Heimir  hatte  aber 

der   Verfasser   c.  24   (B.  138,  25)   erzählt:    'Sigur?)r gaf 

henni  gullhring.'  Folglich  muste  hier  geändert  werden :  Öigurd 
nimmt  den  früher  ihr  geschenkten  ring,  unter  dem  der  saga- 
schreiber  sich  den  Andvaranaut  dachte,  fort,  und  gibt  ihr  einen 
andern.  Diese  änderung  aber  hatte  eine  weitere  c.  28  im  ge- 
folge :  während  gewis  nach  dem  dort  vorliegenden  liede  Gudrun 
der  Brynhild  jenen  zweiten  ring  zeigte,  den  diese  Sigurd  in 
der  brautuacht  gegeben  hatte,  änderte  der  Verfasser  das  dahin 
ab,  dass  Brynhild  den  Andvaranaut  au  Gudruns  band  er- 
blickt. Zweifellos  wird  die  richtigkeit  dieser  auflassuug  durch 
eine  spätere  stelle  der  Völs.  s.  c.  29  (B.  150,  3  ff.):  nach  dem 
zanke  mit  Gudrun  fragt  Brynhild  Gunnar:  'hvat  gerÖir  ]>ü  af 
bring  J-'eim,  er  ek  selÖa  j.'er,  er  BuÖli  konungr  gaf  mer'  .... 
Es  kann  nur  der  ring  gemeint  sein,  den  Brynhild  dem  ver- 
meintlichen Gunnar  in  der  brautuacht  gegeben  hat,  den  sie 
aber  nun  an  Gudruns  band  hat  erblicken  müssen.  Eben  durch 
die  höhnische  erwähnuug  des  ringes  will  sie  ihn  an  den  ver- 
übten betrug  erinnern.  —  Damit  aber  stimmt  nur  die  erzähluug 
der  SE  I,  362:  en  tük  af  henni  annan  bring  til  minja,  nicht 
aber  die  sich  widersprechende  der  Völs.  s.  Es  ist  eben  dem 
Verfasser  hier  eine  iuconcinnität  entgangen. 

Endlich  halte  ich  den  schluss  des  capitels  für  einen  übel 
erfundenen  zusatz.  Nach  SE  I,  362  reiten  die  Gjukuuge  mit 
Brynhild  zu  Gjukis  bürg  zurück.  Das  setzt  auch  Sig.  I,  43 
voraus.  Das  ist  offenbar  das  richtige  und  sachgemässe.  In 
der  saga  wirkt  dagegen  die  erzählung  fast  lächerlich:  Sigurd 
und  Gunnar  reiten  zu  Heimir,  ebenso,  aber  getrennt  von  ihnen 
gedacht,  Brynhild,  die  ilnn  die  Aslaug  übergibt.  Dann  reiten 
die  könige  heim,  Brynhild  aber  zu  ihrem  vater:  mit  ihm  und 
Atli  kommt  sie  dann  endlich  an  Gjukis  hof.  Ich  kann  mir 
die  Situation  nicht  anders  vorstellen,  als  dass  die  könige  und 
Brynhild  sich  widerum  unterwegs  getroffen  haben  müssen.  — 
Der  ganze  abschiedsbesuch  Brynhilds  bei  Heimir  hat  doch  nur 

19« 


282  SYMONS 

den  alleinigen  zweck,  ihm  die  Aslaug-  /Air  ciziehung  zu  über- 
geben. Die  ganze  stelle  lässt  sieb  nur  so  verstellen,  dass 
Aslaug  bisher  nicht  bei  Heimir  war:  also  nuiss  sie  mit  Bryn- 
hild  \on  der  waberlohe  umschlossen  gewesen  sein.  ]\Ian  sieht, 
zu  welchen  absurditäten  der  ganze  zusatz  führt.  —  Dazu  kom- 
men noch  andere  bedenken:  Krynhild  erzählt  (146,  19  ff.)  dem 
Heimir,  was  sieh  zugetragen  hat,  und  fügt  hinzu:  ^en  ek  sagc^a, 
at  )nit  mundi  SigurÖr  einn  gera,  er  ek  vann  eiÖa  ä  fjallinu, 
ok  er  bann  mimi  frumverr.'  Es  kann  sich  höchstens  in  Bryn- 
hild  ein  verdacht  geregt  haben :  diesen  verdacht  auszusprei^hen 
wagt  sie  erst,  als  sie  die  gewisheit  erhalten  hat.  Die  eide  auf 
dem  ])erge  können  natürlich  dem  liede  nicht  angehört  haben, 
die  bezeichnung  Sigurds  als  Bryuhilds  frumverr  streitet  völlig 
gegen  die  annähme  aller  eddischen  lieder  und  soll  nur  die 
einführung  der  Aslaug  motivieren.  —  Dann  heisst  es  zum 
schluss  des  capitels  (l47,  1}  ff.):  'ok  er  lokit  er  j^essi  veizlu, 
minnir  SigurÖ  alba  eiÖa  vi(5  Brynhildi,  ok  Isetr  pö  vera  kyrt.' 
Allerdings  heisst  es  auch  in  der  Gripissi)a  str.  45: 

minnir  j^ik  eiÖa, 

müttu  l'egja  ]>6, 

antii  GuÖrünu 

goÖra  raÖa, 

und  auch  nach  den  zweifellos  auf  liedworten  beruhenden  stellen 
der  Völs.  s.  c.  29  (B.  153,  20  ff.,  154,  6  f.)  ist  es  die  anschau- 
ung  der  sage  gewesen,  dass  Sigurd  sich  widerum  der  Brynhild 
geleisteten  eide  entsinnt.  Das  in  diesem  capitel  benutzte  lied 
aber  hat,  wenn  unsere  Vermutung,  dass  ihm  eine  frühere  be- 
kanntschaft  zwischen  Sigurd  und  Brynhild  unbekannt  war, 
richtig  ist,  diese  andeutung  nicht  enthalten.  • —  Es  beruht  also 
c.  27  zwar  in  seinem  kerne  auf  einem  liede,  schluss  und  an- 
fang  sind  aber  zusätze  des  Verfassers,  die  teils  dem  streben 
nach  ausgleichung  sich  widersprechender  sagenformen,  teils  der 
einführung  der  Aslaug  ihre  entstehung  verdanken. 

c.  XXVIII.  XXIX.  Buggel)  hat  die  ansprechende  Ver- 
mutung geäussert,  dass  alles,  was  die  saga  c.  2S.  29  erzähle, 
in  demselben  Sigurdsliede  besungen  gewesen  sei,  von  welchem 
c.  29   (B.  154,  no.  25)   eine  strophe  angeführt  wird    (svä  segir 

')  a.  a.  o.  s.  XL.  247. 


VOELSUNGA  SAGA.  283 

i  8iguröarkvi(^iii),  und  dessen  schluss  uns  im  Brot  af  Sigur?^ar- 
kviöii  erhalten  sei.  Dieser  schluss  ist  um  so  ansprechender, 
als  dadurch  der  name  '  Sig-urÖarkviÖa  hin  skamma',  mit  wel- 
chem der  prosaische  schluss  von  GuÖr.  I  (B.  246,  9)  auf  das 
unmittelbar  folgende  dritte  Sigurdslied  hindeutet,  aufs  Ijefriedi- 
gendste  erklärt  würde.  Denn  gar  wol  könnte  ein  derartig 
langes  gedieht,  wie  dieses  von  Buggc  vermutete,  SigurbarkviÖa 
Hiin  langa'  genannt  worden  sein. 

Dass  beide  capitel  überhaupt  auf  ein  lied  oder  auf  lieder 
zurückgehen,  beweist  ausser  den  angeführten  stropheu  die  fast 
dui-chweg"  gehobene  diction.  An  keiner  stelle  der  lücke  erhält 
man  so  sehr  das  gefühl  von  prosaisch  aufgelöster  dichtung."^) 
Von  zahlreichen  belegen  hierfür  seien  mir  einzelne  angeführt: 
c.  28.  B.  147,  12:  'enn  }>inn  böndi  var  |>r;ell  Hjälpreks  konungs' 
vgl.  Fäfn.  7.  Der  Vorwurf  fehlt  auffallender  weise  SE.  — 
B.  148,  15:  'ok  ek  ann  per  eigi  hans  at  njöta  ne  guUsins 
mikla'  vgl.  Brot  af  Sig.  3  5.  6;  fyrman  hon  GuÖrünu  göÖra 
rä5a.  —  B.  149,  10:  'hon  veldr  öllum  upphöfum  }>ess  böls,  er 
oss  bitr  (Grimhildr).'  Ebenso  Sig.  I,  51:  veldr  |?vi  Grimildr.  — 
B.  149,  13:  njöti  |>er  svä  SigurÖar,  seni  }>er  hafiÖ  mik  eigi 
svikit.  Die  ausdrucks\veise  ist  ganz  dem  stil  der  eddischen 
lieder  gemäss:  GuÖr.  I,  21.  Akv.  30.  —  B.  149,  19:  'ok  hendum 
eigi  heiptyrÖi'  vgl.  Atlm.  88  ■< :  Mienduz  heiptyröi'.  Fäfn.  9.  In 
prosa  bei  Gl.- V.  (252  b)  nur  belegt  SE  77  (Egilsson).  — 
c.  29.  B.  150,  22:  'nü  erum  ver  eiÖrofa'  vgl.  Brot  af  Sig.  1612 
Helr.  Br.  5.  —  B.  150,  26:  'mörg  fla3r5'aror5  hefir  pii  mailt.' 
flserbarstafir  Sgnlrf.  32.  In  prosa  nur  hier  (C1.-V.  163  a).  — 
B.  151,  6  ff.:  'hon  (Brynhildr)  svarar:  hirÖ  eigi  f>at,  J>viat  aldri 
ser  pii  mik  glaÖa  siÖan  i  J>inni  höll  eÖa  drekka  etc.'  Ganz 
ähnliclie  gedanken  äussert  Brynhild  Sig.  III,  10.  11.  —  B.  151, 
10  f.:  'hon  (Brynhihlr)  settist  upp  ok  sl6  sinn  borÖa,  at  suudr 
gekk  .  .  .  Hier  tritt  Brynhilds  valkyriennatur  hervor  wie  GuÖr. 
I,  27.  Brot  af  Sig.  10.  —  B.  152,  20  f.:  'ok  eigi  galt  bann 
mer  at  mundi  feldan  val.'  fella  val  findet  sich  kaum  in  prosa 
(Cl.-V.  151a).     Dagegen   val   ny'feldum   liäv.  87  4.     Vgl.   auch 


')  Dann  geliürto  natürlich  aucli  die  c.  2s  (B.  148,  no.  21)  angeführte 
Strophe  diesem  liede  an, 
2)  S.  auch  SB  II,  72. 


284 


ÖYMONS 


Orinm.  :>:).  llain^i.  HO.  lliirb.  lO.  Rigsm.  37.  Si^.  III,  37  ii.  ö.  — 
1>.  153,  ()  r. :  '\>ai  er  iiier  särast  iiiiuua  lianiia'  vgl.  Gn<1r.  hv. 
\(\:  '])Sit  er  mer  liarMast  liariua  niiniia.'  —  B.  153,  •.)  f.: 
'skaiiit  imm  at  hih'a,  ii()y  hitrt  svcr?5  man  staiida  i  iiiinu 
lijavta'  vi;l.  Fäfn.  1:  'stönduiuk  til  lijarta  lijürr'.  Sig-.  Ill,  21: 
'ijtüÖ  til  lijarta  hjörr  Siguröi.'  V»i)ä55:  Mtetr  hann  . .  .  standa 
lijör  til  lijarta.' 

Dass  wenigstens  das  c.  29  zu  gründe  liegende  lied  kein 
anderes  war ,  als  das,  dessen  scliluss  uns  im  Brot  af  Sig.  er- 
halten ist,  ist  in  hoheni  grade  walirsclieinlieli.  Ihr  Inhalt  und 
ihre  sagenform  stimmen  vortrefflich  zusammen:  diese  sagenform 
ist  eine  jüngere  als  die  in  Sig.  III  vorliegende.  In  dem  so 
reconstruierten  liede,  das  wir  SigurÖarkviÖa  hin  langa  nennen 
dürfen,  wird  Sigurd  drausseu  im  freien  ermordet,  ein  früheres 
Aerlöbnis  mit  Brynhild  überall  vorausgesetzt,  sogar  der  name 
Niflungar  taucht  sporadisch  einmal  auf  (Brot  IG  t<»).  In  Sig. 
III  dagegen  findet  Öigurd  im  bette  neben  Gudrun  den  tod,  und 
die  annähme  eines  früheren  Verhältnisses  scheint  für  den  kern 
des  licdes  nicht  statthaft.^) 

Auffallend  ist  eine  längere  stelle  in  c.  29  (B.  150,  2—16), 
die  bemerkenswerte,  oft  wörtliche  Übereinstimmungen  mit  Sig. 
III,  35 — 41  zeigt.  Brynhild  erzälilt  Gunnar  von  ihrer  erzwun- 
geneu Vermählung : 


at  ek  mimda  )?ciin  verÖa  at  gip- 
tast,  sera  bann  vildi,  eÖa  vera 
äu  alls  tjär  ok  hans  vinattu. 


}'a  hug8a?>H  ek  nieÖ  iner,  hvart  ek 
skylda  |hly'(5a]  hans  vilja  e(5a 
drepa  margan  mann. 


ok  ])'Ar  kouo,  at  ek  hetuinst  |?eira, 
er  riÖi  hestinum  Graua  incö 
Fätuis  arfi. 


Sig.  III,  3():    at  hvärki  lezk 
liötnum  deila 
gull  ne  javöii, 
nema  ek  gefask  letak 
ok  engi  lut 
auÖins  tjar. 
..     ..     oT:  ]nl  var  a  hvörfum 
hugr  niiun  um  j^al, 
hvart  ek  skykla  vega 
et5a  val  fella 
böU  i  brynju 
um  brö(5ur  sök 
,,     „     39:   l^eim  hetumk  j^a 
]>j6(5kouuiigi 
er  nieö  gulli  sat 
ä  Graua  bögura. 


0  Vgk  s.  260  flf. 


VOELSUNGA  SAGA.  285 

Die  verrautung-  lie.^t  ualie,  cla.ss  liier  Sig.  III  dem  Verfasser 
als  quelle  vorgelegen  liabe,  allein  sie  ist  nicht  haltbar.  Denn 
einmal  werden  in  der  paraphrase  von  Sig.  III  (c.  30.  31)  auch 
unsere  strophen  widergegeben  (ß.  160,  8  ff.).  Ueberdies  aber 
hat  unsere  stelle  eigentilniliche  züge:  Budli,  nicht  Atli,  Avie  in 
Sig.  III,  36  zwingt  Brynhild  zur  Vermählung:  die  Gjukunge  i) 
drohen  im  Verweigerungsfalle  mit  heerzug  und  brand;  der  die 
waberlohe  durchreitet,  soll  Brynhild  eine  wahlstatt  von  evschla- 
genen  (vgl.  B.  152,  21)  zur  morgengabe  bringen.-)  Das  lied, 
das  unserm  capitel  zu  gründe  liegt,  muss,  wie  Bugge  gleich- 
falls glaubt  (zu  Sig.  III,  36),  einige  Strophen  enthalten  haben, 
die  fast  wörtlich  mit  dem  dritten  Sigurdsliede  übereinstimmten. 
—  Aebnliches  bietet  sich  ja  auch  in  andern  liedern  der  Edda: 
Helg.  Hund.  I,  35,  45  f.  =  Helg.  Hund.  II,  20.  23  f.;  GuÖr.  I, 
18  =  GuÖr.  II,  2;  GuÖr.  hv.  4  =  HamÖ.  6;  Baldrs  draum.  1 
=  |n-ymskv.  14.3) 

Ob  auch  c.  28  nach  Bugges  Vermutung  aus  demselben 
licde  wie  c.  29  geschöpft  hat,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Indes 
ist  es  Avol  wahrscheinlich,  dass  ein  besonderes  lied  von  dem 
zank  der  köuiginnen  in  die  Sammlung  übergegangen  war.  Das 
gedieht,  das  den  inhalt  von  c.  29  und  Brot  af  Sig.  umfasste, 
kann  immerhin  lang  genug  gewesen  sein,  dass  ihm  eine  Si- 
gurÖarkviÖa  hin  skamma  vom  Sammler  entgegengesetzt  werden 
konnte. 

Mit  dem  anfang  von  c.  30  tritt  die  vergleichung  mit  den 
erhaltenen  liedern  wider  ein.'*)  Die  resultatc  dieses  teils  un- 
serer Untersuchungen  sind  folgende: 


')  Bugge  liest  Gjükiingar ,  der  cod.  aber  GJiiki  koniiiigr,  und  das 
wird  richtig  sein;  Gjüki  ist  der  eigentliche  künig,  in  seiner  band  liegt 
krieg  und  friede. 

2)  Es  erinnert  dies  an  die  darstellnng  des  Oddr.  IS  und  )nÖr.  s. 
c.  108,  nach  der  Sigurd  beim  eintritt  in  Brynhilds  bürg  kämpfe  zu  be- 
stehen hat,  und  deutet  wol  gleichfalls  auf  jüngere  sagenforiu. 

^)  Zur  Vermutung  Hildebrands  (ältere  Edda  s.  227),  dass  Sig.  III, 
'M — 11  vom  Sammler  aus  jenem  Hede,  das  c.  20  der  Völs.  s.  zu  gründe 
liegt,  eingeschoben  sind,  liegt  eine  notwendigkeit  nicht  vor.  Der  verf. 
der  Völs.  s.  hat  jedenfalls  die  Sig.  IIl  nicht  anders  vorgefunden,  als  R 
sie  uns  bietet:  er  übergeht  eben  den  inhalt  von  str.  37  —  41,  da  er  ihn 
schon  vorher  mitgeteilt  hatte. 

'')  Vgl.  s.  234  ff. 


286  SYMONS 

I.  Im  i;rossen  und  pinzcii  bietet  ums  die  {»artic  der  Völs.  s., 
die  der  lüeke  des  Cod.  Rey.  eutsi)iiclit,  einen  annähernd 
treuen  ersatz  für  die  durch  sie  verlorenen  lieder. 
II.  Ein  streben  nacli  ausgleichung-  sich  widers])rccliender 
safi'en formen  hat  den  sa^-asehvciber  indes  auch  bei  diesem 
teil  seiner  arbeit  geleitet  und  mannigfache  zusätze  und 
änderungen  verursacht.  Aus  dem  unvcrknüpften  ne1)en- 
einander  der  lieder  ist  ein  zusammenliängendcs  nach- 
einander der  saga  geworden,  in  dem  wir  einen  naiven 
niederschlag  unverfälschter  sage  niclit  erkennen  dürfen. 

III.  Aus  der  priifung  dieser  erzählung  ergil)t  sich  eine  l)estä- 
tigung  der  auch  durch  die  erhaltenen  lieder  wahrschein- 
lichen annalime,  dass  die  verlorenen  eddischeu  lieder  in 
der  darstellung  des  Verhältnisses  Sigurds  und  der  Bryn- 
hild  bald  auf  älterer,  bald  auf  jüngerer  stufe  der  sagen- 
entwicklung  standen,  deren  erstere  eine  frühere  verlojjuug 
nicht  voraussetzte. 

IV.  e.  XXII  (Sigurds  aussehen  und  waffenrüstung)  ist  freie 
erßnduug  des  sagaschreibers  und  aus  ([er  Völs.  s.  in  die 
membrane  der  }>iÖr.  s.  übergegangen. 
V.  Den  cc.  XXIII  —  XXIX  lagen  wahrscheinlich  fünf  resp. 
sechs  lieder  zu  gründe,  deren  erstes  Sigurds  besuch  bei 
Heimir  und  Verlobung  mit  ßrvnhild  (c,  23.  21),  das  zweite 
Gudruns  träume  und  ihre  deutung  durch  Bryuliild  (c.  25), 
das  dritte  Sigurds  ankunft  zu  Gjuki  und  vermäldung  mit 
Gudrun  (c.  26),  das  vierte  Sigurds  ritt  durcli  die  wa])er- 
lohe  in  Gunnars  gestalt  und  aufentlialt  ])ei  Bryuliild 
(c.  27)  enthielten.  Ob  der  zank  der  königimien  (c.  28) 
und  Brynhilds  härm  (c.  2<J)  in  einem  und  demselben  Hede 
oder  in  zwei  verschiedenen  licdern  besungen  war,  lässt 
sich  nicht  entscheiden.  Jedesfalls  ist  uns  der  schluss  des 
letzten  in  dieser  partie  benutzten  liedes  im  Brot  af 
SigurÖarkviÖu  erhalten. 

VI.    Ueber    den    wert    wahrscheinlicher   Vermutungen    hinaus 
lassen  sich  diese  resultate  allerdings  nicht  erheben. 


VOELSUNGA  SAGA.  287 

Viertes  Capitel. 

Die    V  o  r  y-  e  s  c  h  i  c  h  t  e. 

(c.  1  — VIII,   B.  100,  4;    c.  XI.  XII.) 

Unsere  betrachtuiig  rückt  vor  zu  der  anfangspartie  der 
Völsimga  saga,  die  uns  die  gcscliichte  von  Sig'urds  ahnen,  die 
anlange  des  Völsungcngcsclilcchts  erzählt.  In  vielen  punkten 
iist  sie  für  uns  die  einzige,  in  andern  eine  durch  wenige  dürf- 
tige andeutungen  gestützte  quelle  eines  grossen  teils  unserer 
heldensage,  der  als  ein  ursprünglich  integrierender  teil  der- 
sell)cu  allgemein  gegolten  hat.  Die  forschung  hat  diese  ])artie 
aus  leicht  erklärlichen  gründen  vernachlässigt,  denn  so  bunt 
das  gcwirr  der  einzelnen  züge  in  andern  partien  der  ^age  ist, 
und  so  sehr  dies  die  forschung  erschwert,  immerhin  ist  dieses 
quellenübeiinass  bei  aller  Verschiedenheit  des  wertes  der  ein- 
zelnen ein  günstiger  umstand  gegenüber  der  dürre  liier,  die 
einer  trostlosen  Ode  gleicht,  in  der  dem  Wanderer  keine  labende 
quelle  zur  erfrischung  sich  bietet.  Wie  verschiedenaitig  aber 
auch  die  Standpunkte  der  einzelnen  sagenforscher  waren,  moch- 
ten sie  Deutschland  oder  auch  den  skandinavischen  norden 
als  den  ursitz  der  sage  betrachten  oder  die  sage  in  ihren 
grundzügen  als  ein  gemeinsames  eigentum  beider  auflassen, 
ein  zweifei  an  der  sagenhaften  gewähr  der  Vorgeschichte  ist 
nicht  aufgekommen.  Hier  ist  aber  in  den  meisten  fällen  sage 
und  die  erzählung  der  saga  eins  und  dasselbe,  und  es  ist  kein 
unerlaubtes  unterfangen,  dieser  quelle  gegenüber  auf  strengere 
kritik  zu  dringen,  als  sie  bisher  geübt  ist,  zumal  wenn  es  sich 
um  so  tiefgreifende  dinge  handelt  wie  einen  gesammten  teil 
unserer  heldensage.  Nicht  in  gläubiger  liinnahme  aller  an- 
gaben einer  quelle,  deren  nicht  selten  zweifelhafter  wert  uns 
vielfach  schon  entgegentrat,  sondern  in  besonnener  prüfung 
derselben  zeigt  sich  die  pietät  für  eine  der  schönsten  bluten 
germanischen  geistes.  Wenn  ich  den  versuch  einer  solchen 
prüfung  hier  vorlege,  so  bin  ich  mir  der  Unzulänglichkeit  des- 
selben wol  bewust;  er  soll  nicht  eine  Untersuchung  abschliessen, 
sondern  einen  andern  Standpunkt  in  ihr  gewinnen  helfen. 

Eine  Übersicht  über  den  Inhalt  unserer  saga  in  iiiren  hier- 
her gehörigen  teilen  lasse  ich  vorangehen. 


288  SYMONS 

c.  I.  Sisi.  Odins  soliii ,  /,ielit  mit  BrcÖi,  .Skaftis  kneclit,  auf  die 
jaj;(l,  enuurdet  ihn  aus  ncid  über  sein  grösseres  Jagdglück  und  ver- 
scharrt den  leichnara  unter  einen  Schneehaufen.  Als  der  mord  ruchbar 
wird,  niuss  Sigi  die  hcimat  verla.^scn,  durch  Odins  hülfe  erlangt  er  schiffe 
und  uiannschatt:  siegreich  erwirbt  er  sich  ein  weil)  und  die  herschaft 
über  llünaland.  Sein  söhn  ist  Ilerir.  Der  alte  Sigi  fällt  im  kämpfe  vor 
den  vorwanten  seiner  frau,  Ecrir  rächt  ihn  und  ero!)ert  land  und  gut 
der  mörder  seines  vaters.  Kerir  erwirbt  sich  ein  weih ,  allein  lange 
bleiben  nachkommen  ihnen  versagt,  bis  auf  ihre  dringenden  bitten  Frigg 
und  Odin  ihnen  Odins  wunsehmädchen ,  HljöÖ,  die  tochter  des  riesen 
Hriranir,  senden,  die  der  königiu  einen  fruchtbringenden  apfel  bringt. 

c.  2.  Rerir  fällt  im  kämpfe,  die  künigin  kann  nicht  i;ebären,  und 
der  Söhn  Völsungr  wird  aus  dem  mutterleib  geschnitten:  vor  ihrem  tod 
küsste  er  die  mutter.  Vöisung  wächst  auf,  vermählt  sich  mit  Hljö(5,  die 
dem  Rerir  Odins  apfel  brachte.  Sie  haben  zehn  söhne  und  eine  tochter: 
Sigmundr  heisst  der  älteste  söhn,  Signy'  die  tochter.  Vöisung  lässt  eine 
grosse  halle  bauen  mit  einem  mächtigen  bäume  in  der  mitte,  dessen 
zweige  das  dach  der  balle  umranken. 

c.  3.  Siggeir,  könig  von  Gautland,  wirbt  um  Signy,  widerwillig 
wird  sie  seine  gattin.  Beim  hochzeitsmahle  erscheint  Odin,  bis  zur 
Unkenntlichkeit  vei mummt,  und  stösst  ein  schwert  bis  zum  griff  in  den 
bäum  der  halle.  Nur  Sigmundr  vermag  es  aus  dem  stamme  zu  lösen 
dem  Siggeir,  der  es  von  ihm  erwerben  will,  schlägt  er  es  ab,  und  Siggeir 
sinnt  auf  räche. 

c.  1.  Siggeir  fährt  mit  der  widerwilligen  Signy  in  sein  reich,  nach- 
dem er  vorher  Vöisung  mit  allen  seinen  söhnen  zu  einem  feste  geladen 
hat,  das  nach  drei  monaten  in  Gautland  stattfinden  soll.  Vöisung 
sagt  zu. 

c.  5.  Vöisung  und  seine  söhne  leisten  zur  bestimmten  zeit  dem 
gastgebot  folge.  Mit  trüben  ahnungen  empfängt  sie  Signy  und  rät  ihnen 
zur  heimfahrt,  um  erst  mit  grösserer  mannschaft  zurückzukehren.  Stolz 
verweigert  das  Vöisung.  Am  folgenden  tage  beginnt  der  kämpf:  nach 
tapferer  gcgenwehr  fällt  der  könig  Vöisung  und  seine  mannschaft.  Seine 
söhne  aber  werden  gefesselt  und  im  wald  in  einen  stock  gesetzt.  Jede 
nacht  kommt  Siggeirs  mutter  in  gestalt  einer  ylgr  und  verzehrt  nacht 
für  nacht  einen  der  brüder.  Nur  Sigmund  rettet  sich  mit  Signys  hülfe, 
durch  eine  list  weiss  er  die  elk  zu  täuschen  und  zu  töten,  sich  aber 
aus  dem  stock  zu  befreien. 

c.  fi.  Sigmund  und  Signy  planen  nun  die  räche  an  Siggeir:  sie 
sendet  dem  bruder  ihre  söhne,  um  sie  zur  räche  vorzubereiten ;  als  diese 
eich  zu  furclitsam  erweisen,  tötet  sie  Sigmund  auf  Signys  rat. 

c.  7.  In  der  gestalt  eines  zaubcrweibes  kommt  Signy  zum  bruder 
und  zeugt  mit  ihm  einen  sehn  Sinfjötli,  den  Sigmund  auf  die  probe 
stellt  und  für  geeignet  zur  räche  befindet. 

c.   8.    Sigurd  und  Sinfjötli  leben  als  wehrwölfe  im  walde  und  vol] 


VOELSUNGA  SAGA.  2S9 

fuhren  freveltaten.  Dann  schreiten  sie  zur  räche,  verbergen  sich  in 
Siggeirs  bürg,  Siggeir  entdeckt  ihre  anwesenheit  durch  seine  kinder,  die 
Sinfjötli  auf  Signys  betreiben  tötet.  Vater  und  söhn  werden  überwältigt 
und  gefangen  gesetzt;  durch  das  odinisciie  schwert,  das  Signy  ihnen 
heimlich  zusteckt,  befreien  sie  sich.  Sigmund  aber  und  Sintjötli  legen 
feuer  au  die  halle,  Siggeir  verbrennt,  Signy  aber  folgt  dem  ungeliebten 
gemahl  in  den  flauimeutod,  nachdem  sie  dem  Sinfjötli  das  geheimnis 
seiner  geburt  verraten  hat. 

[c.  8  B.  100,4  —  schluss,  c.  'J.   10  erzählen  die  gcschichte  Helgis  und 
Sinfjötlis  tod.] ') 

c.  11.  Sigmund  wirbt  um  lljördis,  Eylimis  tochter:  um  sie  wirbt 
auch  Lyngi,  Hundings  söhn,  lljördis  gilit  dem  älteren  aber  berühmteren 
Sigmund  den  vorzug.  Eine  fehde  zwischen  Sigmund  und  Lyngi  ist  die 
folge;  lange  ist  Sigmund  siegreich,  bis  Odin  erscheint  und  ihm  seinen 
ger  vorhält,  an  dem  Sigmunds  siegreiches  schwert  zerschellt.  Eylimi 
fällt  im  kämpfe. 

c.  12,  Nach  der  Schlacht  kommt  Hjördis,  die  Sigmund  im  nahen 
walde  verborgen  hatte,  auf  die  wahlstatt;  Sigmund  will  sich  nicht  heilen 
lassen,  da  Odin  ihm  den  sieg  versagt  hat:  sterliend  aber  übergibt  er 
der  Hjördis  die  stücke  des  zerbrochenen  Schwertes  und  legt  ihr  die 
sorge  für  den  söhn  ans  herz,  den  sie  gebären  werde.  Ihm  soll  sie  aus 
den  zersprungeneu  stücken  das  schwert  Gramr  schmieden  lassen.  Dann 
stirbt  Sigmund,  lljördis  aber  wird  von  A'lfr,  dem  söhne  Iljalpreks  von 
Dänemark,  geraubt:  sie  hat  die  kleider  einer  dicnerin  angelegt,  allein 
durch  eine  list  erkennt  sie  Alf  daheim.  Nach  Sigurds  geburt  vermählt 
sich  Alf  mit  Hjördis. 

Manches  in  dieser  erzählung  wird  uns  durch  kurze  an- 
deutung-en  der  erhaltenen  lieder  bestätigt.  Dass  Sigmund  von 
Odin  ein  scliwert  erhielt,  bietet  uns  Hyndl.  2.-)  Auf  die  wolfs- 
abenteuer  Sinfjötlis  deutet  Helg.  Hund.  I,  36.  Auch  das  ver- 
beigen in  Siggeirs  bürg,  die  tötung  des  bruders  kennt  dieses 
lied:  Sinfjötli  heisst  str.  41  stjüpr  Siggeirs.  Ueberdies  ist  uns 
dieser  zug  der  sage  auch  durch  die  freilich  dunkle  stelle  des 
Beövulf  V.  876  ff.  bestätigt.^)  Dass  Sigmund  im  kämpfe  vor 
den  Hundingssöhnen  fällt  und  Eylimi  mit  ihm,  Sigmunds  Ver- 
mählung mit  Hjördis  und  deren  zweite  che  mit  A'lf,  Hjäl])reks 
söhn,   erzählt  uns  die  prosa  frä  dauÖ.     Sinfj.  (vgl.  auch  Sig.  I, 


')  S.  oben  s.  22:!  ff. 

-)  Ob  freilich  der  sagaschreiber  das  Hyndlulied  gekannt  hat,  ist 
fraglich,  da  das  gedieht  bekannth'ch  nicht  in  unserer  Sammlung,  sondern 
ganz  nur  in  Flateyjarbok  überliefert  ist. 

•■*)  Vgl.  HS  2  13  ff.    Jessen  a.  a.  o.  s.  18  ff. 


290  SYMONS 

'.).  II,  ir>).  —  Den  ]iamen  Völsim^T  als  Siginuuds  vater  geben 
llyudl.  20  (auch  Eylimi),  11.  H.  II,  prosa  (B.  J90,  1)  und  Sinfj. 
lok  (B.  202,  1),  überdies  die  Skäldski).  c.  Ol  (SE  1,  522).  — 
Wichtig  ist  endlich  noch  als  bestätigendes  zcugnis  Skäldskp. 
c.  61  (SE  I,  522):  ^]^at  er  tctt  Siggeirs,  er  var  nu'igr  Völ- 
sungs.'  —  Letzteres  verwantschaftsverhältuis  kennt  auch  f'rä 
Fornj  öti ') :  '  Sigarr  var  faÖir  Siggeirs,  er  ixtti  Signy'j  u,  dottur  Vol- 
sungs  konungs.'  Wirklichen  wert  hat  freilieh  dieses  zeugnis 
nicht,  da  jene  genealogien  zusammengeflickt  sind  aus  einer 
menge  von  verschiedenen  quellen  und  gevvis  nicht  die  beach- 
tung  verdienen,  die  namentlich  Keyser  ihnen  geschenkt  hat: 
reichen  sie  docli  bis  zur  kalmarischen  union. 

Weiter  als  Völsung  reichen  diese  spärlichen  andeutungen 
niclit:  von  Sigi  und  Rerir  und  ihrer  abstammung  von  Odin 
wissen  uns  alte  quellen  nichts  zu  erzählen.  In  jüngeren  quellen 
begegnet  uns  freilich  auch  diese  genealogie,  allein  in  höchst 
verdacht  erregender  weise;  d(n-  prolog  zur  SE  c.  10  (I,  26) 
nennt  drei  söhne  Odins:  Vegdegg,  der  über  Austr-Saxaland, 
Beldegg  (=^  Baldr),  der  über  Vestfal  herscht,  und  Öigi.  Von 
letzterem  heisst  es:  'Siggi  (Sigi  WUS),  hans  sou  Yerir  (Rerir 
W,  Jerir  S,  Uerir,  faÖir  Volsungs,  er  Volsungar  eru  frä  konmir 
U).  peiv  langfeÖgar  reÖu  )>ar  fyrir,  er  nü  er  kallaÖ  Frakklaud, 
ok  er  )?aban  sü  lett  komin,  er  köllu(^  er  Volsungar. 

Der  jüngere  ausführlichere  pi'olog  der  Sverris  s.  aus  der 
Fläteyjarbük-)  führt  die  genealogie  des  Haraldr  härfagri  mütter- 
licherseits über  die  beiden  Aslaug  und  SigurÖr  Fäfnisbaui  hin- 
auf bis  zu  Sigmundr,  Völsungr,  Sigi,  Rerir,  OÖinn,  dann  weiter 
bis  zu  Adam.^')     Dann  findet  sich  eine  wider  etwas  abweichende 

genealogie   in   der  Flöamanna  saga^):    ^möÖir öigurÖar 

Fäfnisbaua,  Sigmundarsonar,  Volsungs  sonar,  ßerssonar,  Sigars- 
sonar,  O'Öinssonar.' 

Alle  drei  Zeugnisse  können  auf  grossen  Nvert  keinen  au- 
spruch  erheben.     Der  prolog,   den   SE   hat^),   wird   seine   an- 


')  Fas.  II,  10. 

2)  Fiat.  II.  533  f.    Fms.  VIII,  l  ff. 

3)  Die  niitteiluDg  dieser  Stammtafel   in   myth.'   anh.  XXI    und   bei 
Rassmann  I,  418  ist  nielit  genau. 

*)  Fs.  119. 

*)  Dass  der  prolog  der  SE  nicht  von  Snorri  herrühren  kann,  leuchtet 


VOELSÜNGA  SAGA.  291 

gäbe,  wie  schon  SB  II,  38  bemerkt  ward,  aus  der  saga  her- 
genommen haben;  die  genealogie  der  Sverris  s.  ist  dem  kür- 
zern altern  prolog ')  unbekannt;  für  die  Flöamanua  saga  ist 
auf  Fs.  XXIV  ff.  und  das  oben  s.  209  gesagte  zu  verweisen. 

Von  weit  grösserem  gewicht  als  das  vorkommen  dieser 
genealogie  in  offenljar  abgeleiteten  quellen,  ist  jedenfalls  ihr 
fehlen  in  alten  und  ursprünglichen.  Das  gcschlecht  der  Völ- 
sunge  hat  den  Stammvater,  der  ilini  eigentlich  gebührt,  im  nor- 
den ganz  verloren.  Der  ?jqco^  tjicörviiog  des  geschlechts  wird 
naturgemäss  auch  der  Stammvater  desselben  gewesen  sein. 
Einen  blick  in  das  richtige  Verhältnis  gewährt  uns  noch  der 
Beövulf,  in  dem  Sigemund  Wailsing  oder  W^elses  eafora  heisst.'-) 
Ob  Wielse  als  Sigemunds  vater  oder  auch  nur  als  Sigemunds 
fernerer  ahn  gedacht  wird,  ist  wol  gleichgültig.  Bestätigt  wird 
durch  die  ags.  Überlieferung  jedenfalls,  dass  Völsungr  als  name 
von  Sigmunds  vater  eine  nordische  Verwirrung  der  sage  ist. 
Der  Stammvater  des  geschlechts  kann  in  der  alten  sage  nur 
Vals  geheissen  haben.  —  Als  wirklich  sagengemässe  genealogie 
kann  demnach  die  der  Völs.  s.  nimmermehr  gelten:  immerhin 
aber  wäre  denkbar,  dass  sie  auf  älterer  Überlieferung  beruht. 
Auch  dies  wird  einmal  schon  dadurch  zweifelhaft,  dass  keine 
ältere  quelle  etwas  von  Sigi  und  ßerir  weiss,  ihre  verschwei- 
gung aber  in  rein  genealogischen  gedichten  wie  dem  Hyndlu- 
lied  nicht  zu  erklären  wäre.  Sodann  aber  tragen  die  erzäh- 
lungeu  von  Sigi  und  Rerir  einen  zwar  altertümlichen,  aber  so 
aus  dem  rahmen  der  heldensage  hinausfallenden  grundzug,  dass 
ihre  ursprüngliche  Verknüpfung  mit  den  Schicksalen  des  Völ- 
sungengeschlechts  höchst  zweifelhaft  erscheinen  muss. 

Ganz  eigentümlich  ist  die  erzälilung  von  Sigi,  Ska(5i  und 
BreÖi.  SkaÖi  erscheint  als  mann,  BreÖi  als  sein  knecht,  den 
Sigi  tötet.  Die  Yugl.  s.  c.  9  erzählt:  'NjörÖr  fekk  konu  peirar, 
er  SkaÖi  het;  hon  vildi  eigi  viÖ  hann  samfarar,  ok  gij)tiz  siÖan 


Jedem  ein,  der  seine  wirre  fabclei  mit  dem  prolog  der  lleimskriiigla  iiud 
seiner  geradezu  bewundernswerten  kritisclien  Überlegung  des  quellen- 
materials  vergleicht. 

')  Fms.  VIII,  5  f. 

-)  Vgl.  HS-  IG.  J.  Grimm,  Haupts  zs.  I,  3  ff.  Muneb,  det  norske 
lulks  historie  I,  1,  225  ff.    Jessen  a.  a.  o.  18  f. 


292  SYMONS 

O'bni,  ättii  )>iiu  marga  sonu.'i)  Diese  weibliche  SkaMi  er- 
scheint aber  wider  iu  deu  auf  der  Völs.  s.  beruheuden  riniiir 
fV:'i   Völsuiijii  liinmu  öborua  str.  53: 

Uli  rö?i  stofna  NjarÖar  kvau 
iiitiuug  veizlu  eina, 
8kaöi  hct  sja  skikkju  ran. 
at  skenkja  viuit  hreina. 

Dass  die  rimur  hier  keine  alte  richtigkeit  behalten,  son- 
dern nur  eine  correctur  auf  grund  der  Yngl.  s.  bewirkt  haben, 
ist  oben  s.  203  bemerkt.  Der  männliche  SkaÖi  iu  unserer 
saga  ist  aber  sehr  bedenklich,  seine  ganze  anwesenheit  ist 
völlig  überflüssig.  BreÖi  ist  SkaÖis  kuecht:  weshalb  zieht  er 
dann  mit  Sigi  auf  die  jagd?  Und  wenn  Sigi  einen  knecht  er- 
mordet, kann  das  nicht  sein  eigener  sein?  Lässt  es  sich  über- 
haupt denken,  dass  die  sage  einen  solchen  ausgangspunkt  ge- 
habt hat,  dass  der  Stammvater  eines  sagenberühmten  heldeu- 
geschlechts  mit  der  hinterlistigen  ermorduug  von  eines  andern 
kuecht  seine  heldenlauf bahn  eröffnet  ?  Dass  eine  derartige  sage 
bestanden  hat,  ist  leicht  möglich,  vielleicht  eine  alte  localsage, 
die  sich  an  die  erkläruug  des  Schneehaufens  anlehnte,  worauf 
BreÖafönn  hindeutet.  Dass  sie  aber  in  irgend  welcher  Ver- 
bindung mit  unserer  sage  von  den  Völsungen  gewesen  ist,  be- 
vor es  dem  Verfasser  einfiel,  sie  zu  benutzen,  scheint  unglaub- 
lich. Vielleicht  ist  der  name  Sigi,  der  an  Sigmundr  und  Si- 
gurÖr  erinnerte,  der  anknüpfungspunkt  gewesen,  und  dunkle 
eriunerungen  an  einen  oder  eine  SkaÖi  spielten  mit  hinein- 
Aber  es  kann  auch  umgekehrt  der  name  Sigi  eine  erfundene 
anlehnung  an  die  namen  Sigmundr  und  SigurÖr  sein.  Weder 
iu  Deutschland  noch  im  norden  hat  sich  eine  spur  von  dieser 
sage  erhalten:  Rassmanns  schneeweisse  strumpfraütze,  die  4m 
sächsischen  und  fränkischen  Hesseugau'  brede  heisst^),  kann 
man  auf  sich  beruhen  lassen.  —  Wenn  dann  ferner  Sigi  Hüna- 
land  erobert,  so  steht  das  mit  allen  quellen  iu  Widerspruch^ 
denen  Frakkland  das  stammland  der  Völsunge  ist  (Sinfj.  lok 
B.  202,  1  ff.,  SE  form.  c.  10    [I,  26J,   Sküldskp  c.  64  (I,  522), 


1)  Vgl.  auch  Lokas.  pr.  B.  113,  12:  ']?ar  var  Njört5r  ok  kona  hans 
SkatJi';  Gylfag.  c.  23  (1,  92):  'Njört5r  ä  Vä  konu,  er  SkatJi  heitir,  döttir 
)?jassa  jötuns. 

2)  a.  a.  0.  1,  52. 


VOELSUNGA  SAGA.  293 

Norn.  ]).  c.  4,  B.  58,  18  if.).  Das  Hünalaud  der  sag-a  ist  ge- 
wis  correctur,  da  Sigiird  in  den  liedern  vielfach  danach  be- 
zeichnet wavd.i)  Offenbar  herscht  ja  in  bezug  der  Hünen  iu 
den  liedern  schwanken  und  Verwirrung  2) ,  denn  nach  Akv. 
heisst  durchweg-  Atli  könig  der  Hünen.  Ueberdies  fand  der 
sagaschr eiber  Frakkland  in  der  einleit.  prosa  zu  Sgrdrfm.  als 
Wohnort  der  valkyrie:  letzteres  behielt  er  bei,  machte  aber 
Hünalaud  zum  reiche  der  Völsunge.  Atlis  reich  Hess  er  in 
blanco,  wie  fast  alle  lieder  ausser  Akv. 

Auch  Rerirs  Schicksale  bieten  wenig,  was  sich  unserer 
heldensag-e  nähert.  Dennoch  mag  auch  hier  eine  unabhängige 
Überlieferung  vorgelegen  haben,  die  vom  Verfasser  zur  anknüp- 
fung-  benutzt  ward.  Ebensowenig  wie  von  Sigis  heirat  war 
von  Rerirs  etwas  bekannt,  denn  nicht  einmal  die  namen  wer- 
den genannt.  Dass  Odin  auf  Rerirs  bitten  dessen  unfruchtbarer 
gattin  einen  fruchtbringenden  apfel  sendet,  und  zwar  durch 
sein  Wunschmädchen  Hljob,  des  riesen  Hrlmnir  tochter^)^  mag 
gar  wol  eine  für  sich  bestehende  sage  in  anderm  Zusammen- 
hang gewesen  sein.  Es  kommt  hinzu,  dass  die  ganze  erzählung 
von  Sigi  und  Rerir  unmöglich,  dem  ganzen  tone  der  darstel- 
lung  nach,  auf  einem  Hede  beruhen  kann.  Auch  R.  Keyser-^) 
und  Bugge^)  kommen  über  die  annähme  einer  vo-lkssage  iu 
ungebundener  form  nicht  hinaus.  Aber,  wenn  diese  volkssage 
von  anfang  an  ein  teil  der  heldensage  war,  warum  konnte  sie 
denn  keinen  sänger  zum  dichten  bewegen,  wie  ihre  andern 
teile?  Denn  die  annähme,  es  habe  lieder  gegeben,  die  aber 
weder  der  sammler  noch  der  sagaschreiber  gekannt  habe,  die 
vielleicht  schon  verloren  waren,  ist  nicht  glaublich:  anspielungen 
auf  diese  lieder,  irgend  etwas  an  sie  erinnerndes  würde  sich 
doch  erhalten  haben. 

Der  grund,  der  den  sagaschreiber  zu  diesem  sagenzuwachs 
bewog,  liegt  sehr  nahe.    Es  war  der  wünsch,  die  odiuische  ab- 

')  Gut5r.  I,  20,  Sig.  III,  4.  18,  Atliu.  100.     Vgl.  GuÖr.  II,  15. 

2)  Vgl.  axich  Jessen  a.  a.  o.  s.  Vi. 

3)  Iliiumir  als  jütenname  auch  Skirn.  28,  Hyndl.  32.  Ueber  'un- 
geborne'  heUlen  vgl.  myth,^,  361  f. 

.    *)  efterl.  skrift.  I,  348. 
*)  a.  a.  o.  s.  XXXVI. 


294  SYMONS 

slaimiiimg-  von  Sigurds  oder  vielmehr  Rag-nars  gescbleclit  zum 
riilimc  dei-  norwegisclien  köiiiysfiimilie  zum  ausgang-spunkt  der 
siige  7Ai  iiuielicu.  Diese  tendenz  der  saga,  die  die  cinfiilr.ung 
der  Askiug  versclmldct  hat,  hatte  auch  die  hinaufrcihuug  des 
Völsungengeselileclits  bis  auf  O'^iiini  im  gefo]ge ,  so  dass  der 
\\u\  königliclie  l)esteller  der  sn-a  von  0'?)inii  l)is  auf  llarahlr 
härfagri  einen  zusammenhängenden  über])li('k  ii])er  sein  ganzes 
angebliches  geschlecdit  fand.  Da  aber  der  Aerfasser  als  ältesten 
erreichbaren  aha  des  Stammes  Völsung  in  seinen  ((uellen  Vor- 
land, musteu  noch  einige  Zwischenglieder  eingeschoben  werden, 
denn  eine  solche  göttliche  abstammuug  muste  dem  brauche 
nach  weiter  zurückliegen:  es  durfte  nicht  0'?^inn  bereits  als 
Aslaugs  ururgrossvater  erscheinen. 

War  aber  O'Öinu  einmal  als  stanmivater  des  geschlechts 
eingeführt,  so  lagen  die  consequenzen  nahe:  er  muste  auch 
tätig  eingreifen  in  die  geschicke  des  von  ihm  entspriessendeu 
Stammes.  Diese  beständige  einwirkung  Odins  auf  die  geschichte 
des  geschlechts  in  der  Völs.  s.  ist  eine  der  schwierigsten  fra- 
gen auf  dem  gebiete  der  beiden  sage.  Bereits  W.  Grimm  i)  hat 
sich  ihr  gegenüber  bedenklich  gezeigt.  Das  ist  gewis  unver- 
kennbar, dass  sie  in  der  saga  bis  zur  unnatürlichkeit  gesteigert 
ist.  Die  erhalteneu  eddischen  lieder  wissen  nur  ein  einziges 
mal  von  dieser  einwirkung  Odins  zu  erzählen.  Sig.  II,  16  ff. 
erscheint  er  als  Hnikarr,  besänftigt  den  Sigurd  bedrohenden 
seesturm  und  gibt  ihm  gute  lehren.  Dass  diese  partie  des 
stark  zusammengestöppelten  liedes  jung  ist,  beweist  abgesehen 
von  allem  andern  schon  die  häufung  der  kenningar  (in  zwei 
stro})heu  allein  vier  für  'schiff':  Kfevils  hestar,  seglvigg,  sa^tre, 
hlunvigg).  üeberdies  erscheint  Odin  in  der  prosa  frä  dant). 
Sinfj.  als  tätig  bei  Sintjötlis  bestattung.  Das  augebliche  ein- 
greifen Odins  in  den  HamÖismiil  bei  der  Steinigung  der  söhne 
Gudruns  ist  oben "-)  erörtert :  für  die  darstellung  der  Edda  kann 
ich  hier  ein  vorkommen  Odins  nicht  anerkennen.  SE  kennt 
überhaupt  keine  einwirkung  des  gottes  auf  Sigurds  geschick 
In  unserer  saga  dagegen  finden  wir  Odin  nicht  weniger  als 
zehn  mal:   Er  ist  der  Stammvater  des  geschlechts  (c.  1),  rettet 


0  HS  2  389. 
2)  Vgl.  s.  247. 


VOELSUNGA  SAGA*  295 

Sigi  (c.  1),  verleiht  Sigmund  das  siegbringende  schwert  (c.  3), 
sendet  Eerirs  gattin  den  fruclitbringenden  apfel  (c.  4),  ist  be- 
biilflich  bei  öinfjötlis  bcstattung  (c.  10),  wendet  von  Sigmund 
den  sieg  (c.  1 1),  unterstützt  Sigurd  bei  der  erkiesung  des  rosses 
Grani  (c.  13),  besänftigt  den  Sigurd  bedrohenden  stürm  (c.  17), 
rät  Sigurd,  bei  der  tötung  Fafnirs  mehrere  gruben  zu  graben 
(c.  18):  endlich  treibt  er  Jörmunrek  an,  die  Sigurds  tochter 
rächenden  briider  mit  steinvviirfen  zu  töten  (c.  42).^)  In  allen 
diesen  fällen  erscheint  Odin  typisch  als  alter  einäugiger  manu 
mit  tief  in  das  äuge  gedrücktem  hut  und  blauem  mantel :  einen 
besonderen  uamen  führt  er  ausser  an  der  aus  Sig.  II  genom- 
meneu stelle  nirgends.  Es  muss  auffallen  —  und  auch  daran 
hat  W.  Grimm  a.  a.  o.  anstoss  genommen  — ,  dass  dieses  ein- 
greifen Odins  sehr  ungleichmässig  verteilt  ist,  denn,  da  Sigurd 
der  hülfe  des  gottes  am  meisten  bedürftig  ist,  bleibt  dieser 
fern.  An  manchen  stellen  ist  auch  die  einwirkung  des  gottes 
nicht  einmal  passend.  Odin  warnt  vor  der  tötung  des  drachen 
Sigurd  vor  Regins  heimtücke:  dennoch  muss  er  ganz  wie  in 
den  Fafnismäl  erst  die  ratschlage  der  adlerinnen  empfangen 
bevor  er  die  bösen  absiebten  seines  erziehers  durchschaut.  Am 
auffallendsten  aber  ist  das  eingreifen  des  gottes  Sigmund  ge- 
genüber, dem  er  durch  vorhalten  seines  geres  den  sieg  wendet. 
In  der  tat,  man  sieht  nicht  weshalb.  HS^  389  bemerkt 
Grimm,  der  grund  sei  wol  vorhanden  gewesen,  in  der  Über- 
lieferung aber  schon  vergessen.  Rassmann  -)  hat  sich  die  er- 
klärung  freilich  bequem  gemacht  durch  den  grundgedanken, 
den  er  der  ganzen  sage  unterlegt,  dass  Odin  sich  nur  so  lauge 
dem  beiden  aus  dem  von  ihm  entstammten  Völsungeu- 
geschlechte  huldvoll  erweist,  als  dieser  das  durch  ihn  von  dem 
friedlosen  abn  erworbene  erbe  treu  bewahrt.  Dieser  'gruud- 
gedanke'  aber  beruht  meiner  ansieht  nach  auf  verkennung  des 
Wesens  der  sage,  die  sich  nicht  einem  festen  principe  nach 
gestaltet,  deshalb  auch  das  hineininterpretieren  einer  leitenden 
idec  verbietet.  Ueberdies  hat  auch  Rassmann  diesen  gefun- 
denen grundgedanken   nicht   einmal    consequent  durcbzuführen 


')  Letzteres  eiugreiteu  des  gottea  auch   bei  Siixo  Gramm.   (Miillei' 
u.  Velöchüw  s.  415). 
-)  I,  23. 

Beiträge  zur   geschiclite  der  deutschen  spräche.  III.  20 


296  SYMONS 

versucht:  warum  muss  z.  b.  Sigurds  schuldloser  junger  sohu 
fallen,  bevor  er  überhaupt  die  gelegenheit  hat,  sieh  iu  der  be- 
wahrung  des  erbes  treu  zu  zeigen  ?  —  P.  E.  Müller  ^)  findet 
den  zug  von  Sigmunds  tode  so  poetisch,  dass  er  aus  einem 
verloreneu  alten  Sigmundsliede  genoninicn  sein  wird:  er  ver- 
weist auf  II.  n,  791  fi".  Trotzdem  glaube  ich,  muss  man  auch 
hier  der  darstelluug  der  saga  gegenüber  vorsichtig  sein.  An 
den  verschiedenen  stellen,  an  denen  von  Sigmunds  fall  in  den 
liedern  die  rede  ist,  findet  sich  nichts  von  einer  einwirkuug 
Odins,  und  an  einer  spätem  retrospectiven  stelle  der  saga  c.  27 
(B.  141,  4),  die  in  die  lücke  der  Sammlung  fällt-),  Avird  als 
grund,  weshalb  Sigmund  die  heilung  verschmäht,  einfach  an- 
gegeben: 'eu  bann  kvezt,  of  gamall  siÖan  at  berjast.'  —  Dass 
es  schwer  ist,  an  allen  stellen  das  vorkommen  Odins  als  Will- 
kür des  Sagaschreibers  aufzufassen,  ist  zuzugeben:  noch  weit 
schwerer  ist  es  aber  unleugbar,  dieser  quelle  an  allen  stellen 
der  einfacheren  darstellung  beider  edden  gegenüber  den  Vorzug 
treuerer  Überlieferung  zuzusprechen,  zumal,  wie  bcmcikt,  ihrer 
ganzen  tendeuz  ein  zeitweiliges  hervortreten  Odins  sehr  zu- 
sagen muste.  Allerdings  bietet  ja  die  Edda  anfange  dazu, 
gerade  dadurch  aber  konnte  der  sagaschreiber  zu  weiterer 
häufung  verleitet  werden.  Dass  dieses  eingreifen  des  gottes 
so  ungleich  verteilt  ist  und  manchmal  geradezu  unpassend  er- 
scheint, fände  seine  erklärung  in  der  gebundenheit  des  Ver- 
fassers, der  nur  wenige  steilen  finden  konnte,  an  denen  er 
den  gott  einzuführen  im  stände  war,  ohne  die  darstellung  der 
lieder  völlig  abzuändern. 

Zu  entscheiden  aber  wage  ich  diese  scliwierige  frage 
nicht:   es  mag  genügen,   das  für  und  wider  erörtert  zu  haben. 

Anders  als  der  geschichte  Sigis  und  Rerirs  sind  wir  dem 
folgenden  gegenüber  gestellt.  Was  liier  erzählt  wird,  ist  in 
den  tatsächlichen  grundzügen  an  manchen  der  liederstellen  an- 
gedeutet. Ob  aber  der  Zusammenhang  der  erzählung  alt  und 
acht  ist,  stösst  gleichfalls  auf  grosse  bedenken.  Es  ist  zunächst 
unmöglich  zu  verkennen,  dass  die  ganze  erzählung  von  Signy 
und  Siggeir  eine  wunderbare  ähniichkelt  mit  der  \on  Gudrun 


')  SB  II,  48. 
2)  Vgl.  s.  74  f. 


VOELSUNGA  SAGA.  297 

und  Atli  zeigt.  Wie  Siggeir  zur  Vollstreckung  seiner  raclie  die 
briider  seiner  gattiu  zu  einem  gastmaLl  ladet,  so  Atli  die  Gju- 
kunge:  hier  wie  dort  ist  der  Untergang  der  geladenen  die  folge, 
hier  wie  dort  rächt  die  Schwester  der  brüder  ermordung  am 
verhassten  gemahl  und  sucht  den  tod,  als  ihre  räche  er- 
füllt ist.  Beiden  teilen  der  sage  sind  sogar  einzelzüge  ge- 
meinsam. Wie  Signy  das  leben  ihrer  kinder  nicht  scliont  zur 
Vollstreckung  ihrer  räche,  so  Gudrun;  die  elk,  die  Siguys  brü- 
der tötet,  ist  Siggeirs  mutter,  wie  nach  Oddr.  32  Atlis  mutter 
in  uattergestalt  Gunnar  ans  herz  schreitet.  Signy  warnt  die 
nahenden  Völsunge,  rät  zur  rückkehr  und  Sammlung  grösserer 
Streitkräfte:  ganz  so  Gudrun  in  Akv.  15.  16.  Die  gestaltcn- 
vertauschuug  zwischen  Signy  und  dem  zauberweib  erinnert  an 
die  Sigurds  und  Gunnars.  Wenn  endlich  zur  räche  ein  neuer 
Völsung  geboren  werden  muss  in  blutschänderischer  elie,  so 
ist  schon  nach  Atlm.  ein  söhn  Högnis  Hniflung  das  Werkzeug 
von  Gudruns  räche,  und  in  Jüngern  quellen  wird  auch  diesem 
eine  ähnliche  geburt  beigelegt,  i) 

Dass  die  eine  der  sagen  unter  dem  einfluss  der  andern 
zu  Stande  gekommen  ist,  liegt  nahe.  In  der  tat  hat  auch 
Svendt  Grundtvig'-)  diesen  parallelismus  nicht  unbeachtet  ge- 
lassen, a])er  ihn  zu  einem  Schlüsse  benutzt,  der  nur  durch  den 
eigentümlichen  Standpunkt  des  geistvollen  Verfassers  einiger- 
massen  begreiflich  wird.  Nach  Grundtvig  beweist  dieser  pa- 
rallelismus die  unursprüngliche  hiuzufügung  der  Gjukungeu'- 
sage  zur  Yölsun gensage;  seiner  ansieht  nach  ist  die  ganze 
sage  von  dem  Untergang  der  Gjukunge  und  Gudrun;-  räche  an 
Atli  im  gründe  eine  widerholung  der  altern  Völsungensage 
Dass  diese  ansieht  Grundtvigs  in  Dänemark  so  ziemlich  die 
herschcnde  ist,  zeigt  unter  anderm  die  einleitung  zu  einer  dä- 
nischen Übersetzung  der  Völsuiiga  saga^),  die  im  übrigen  kaum 
etwas  neues  bietet,  die  ansieht  Grundtvigs  aber  als  unanfecht- 
bar hinstellt.^)     Verständlich  wird   sie  im   Zusammenhang   von 


')  )7i5r.  s.  c.  ',VXi  (Ung-er  s.  a:):\,  11  ft'.),  auch  in  der  hvonscheu 
Chronik  und  den  fjiröisehen  liedern.     Vgl.  HS-  124.  310.  332. 

^)   Udsigt  over  den  nordiske  oldiids  lieroiske  digtning,  s.  3G  ft". 

■'O  Sagaeu  oiu  \^/>lsungcine  o verbat,  elter  det  islandake  af  V.  Ull- 
uiaun,  Köbh.  1873. 

')  a.  a.  o.  8.  '\. 

20* 


298  SYMONS 

Gruii(ltvii>-s  art  der  sagenbctraclitung-  überhaupt  i),  die  im  gegeu- 
satz  zu  der  mytliisierendeu  und  historisiercndou  deutuiig'  die 
sage  lediglich  als  erzeugnis  des  dichtenden  volksgeistes  hin- 
stellt. Allein,  so  sehr  diese  auftassung  für  die  weitere  ent- 
wicklung  der  sage  gewis  das  allein  richtige  trifft,  sie  darf 
nimmermehr  so  weit  gehen,  die  wirklich  greifbaren  historischen 
ausgangspunkte  hiuwegzuleugueu.  Dass  dieser  aber  für  die 
Gjukuugensage  in  dem  sattsam  erörterten  ereignisse  der  bur- 
gundi sehen  geschichte  liegt,  wird,  wenigstens  in  Deutschland, 
kaum  geleugnet  werden.  Damit  aber  steht  und  fällt  Grundt- 
vigs  ansieht.  —  Bereits  weit  früher  hat  Max  Kieger  in  seinem 
aufsatz  'die  Nibelungeusage ' -)  den  parallelismus  beider  sagen 
zu  einem  ähnlichen  schluss  benutzt.  Rieger  hält  natürlich  au 
der  geschichtlichen  basis  der  Gjukuugensage  fest,  glaubt  aber 
mit  Lachmann 3),  dass  die  deutsche  gestalt  darin,  dass  Kriem- 
hilt  als  rächerin  des  gatten  die  katastrophe  der  Burgundcn 
herbeiführt,  das  ursprünglichere  bewahrt  hat.  Die  nordische 
gestalt  aber  hat,  unbeschadet  einzelner  achterer  züge,  ihre  dar- 
stellung  fehlerhaft  mit  der  geschichte  der  altern  Völsuuge,  Signys 
und  Siggeirs,  vermischt.  Riegers  ansieht  wie  Grundtvigs  fällt 
durch  ihre  unrichtige  Voraussetzung.  Hatte  schon  W.  Grimm  ^) 
aus  guten  gründen  die  nordische  darstellung  von  der  Burgiin- 
den  Untergang  für  die  ältere  gehalten,  die  Untersuchungen 
MüUenhoft's ^)  haben,  wie  ich  meine,  in  betreff  dieses  puuktes 
jeden  zweifei  beseitigt.  Die  historischen  ankuüpfungspunkte, 
die  Mülleuhoff  nachgewiesen  hat,  sind  in  der  tat  evident:  da 
aber  die  ganze  sage  vom  Untergang  der  Burgnnden  unbedingt 
historischen  Ursprungs  ist,  so  ist  notwendig  auch  diejenige 
fassung  die  ältere  und  achtere,  die  der  geschichte  näher  steht. 
Das  ist  aber  in  diesem  falle  die  nordische.  —  Hält  man  nun 
an  der  geschichtlichen  basis  der  Gjukuugensage  und  an  der 
grössern  ursprüuglichkeit  ihrer  fassung  im  norden  fest,  so  kann 
diese  selbstverständlich  keine  nachahmung  der  altern  Yölsuugen- 


•)   Ein  eingehenderes  referat  über  Grundtvigs  schrift  lindet  sich  in 
Möbius  'altnordischem  literaturbericht'   (zs.  für  deutsche  pliil.  l,  42(j  Ö'.). 

2)  Germ.  III,  163  ft'. 

3)  Kritik  s.  4G3  [=  anm.  zu  den  Nib.  s.  Ms], 
^)  HS-  309  f. 

••)  Haupts  zs.  X,  14(j  ü'. 


VOELSUNGA  SAGA.  299 

sage,  es  niuss  vielmehr  das  umgekehrte  der  fall  sein.  In  der 
traditiou  des  Volkes  aber  kann  sich  nicht  wol  eine  sage  ge- 
bildet haben,  die  schritt  für  scliritt  einer  andern  einfach  nach- 
geformt war.  So  unproductiv  erweist  sich  der  dichtende  volks- 
geist  nicht,  der  vielmebr  neue  ziige  hinzusetzt  als  alte  wider- 
holt. Wie  gerade  durch  neue  motivierung  sich  eine  sage  aus 
der  andern  entwickelt,  zeigt  deutlich  das  Verhältnis  der  Gudrun- 
sage zu  der  Hildeusage. 

Ganz  wahrscheinlich  fällt  der  Zusammenhang  der  Sigmund- 
snge  —  so  bezeichne  ich  der  kürze  hal])er  die  erzählung  von 
der  Völsuuge  Untergang  und  Signys  räche  —  ausschliesslich 
dem  sagaschreiber  zu.  Andeutungen  fand  er  in  seiner  quelle 
vor,  der  liedersammlung,  die  uns  in  R  vorliegt.  Daneben  wird 
er  auch  einzelne  lieder,  wahrscheinlicher  liederfragmente  ge- 
kannt haben.  Eins  oder  das  andere  mag  sich  auch  im  volks- 
munde  erhalten  gehabt  ha])en.  Aus  diesen  vereinzelten  stücken 
machte  der  sagaschreiber  ein  zusammenhängendes  ganze.  Zu 
eigener  erfindung  reichte  aber  seine  kraft  und  productivität 
nicht  aus,  und  so  griff  er  zu  einer  nachbildung  eines  andern 
teiles  der  sage.  Dazu  mag  er  veranlasst  worden  sein  durch 
einzelne  zufällige  Übereinstimmungen,  die  er  bereits  vorfand, 
wie  wenn  Sinfjötli  ihn  an  den  Hniflung  der  Atlamäl  erinnerte. 
Uebcraus  schwer  ist  es  natürlich  zu  bestimmen,  an  welchen 
••stellen  nun  eine  paraphrase  von  liedworten  vorliegt.  Jeden- 
falls ist  es  zu  viel  behauptet ,  wenn  Keyser ')  die  angeführte 
halbstrophe  (B.  no.  1,  s.  99,  6  tf.) : 

risttt  af  magni 

mikla  helhi 

Sigmixndr  hjürvi 

ok  Sinfjötli 

für  das  einzige  hielt,  das  zu  der  zeit,  als  die  saga  verfasst 
ward,  noch  im  gedächtnis  gewesen  sei.  Ganz  viel  liedermate- 
rial  wird  aber  der  sagaschreiber  wol  nicht  vorgefunden  haben; 
sonst  hätte  er  mehr  citiert  als  diese  vier  Zeilen.  Dass  das 
gesin-äch  zwischen  Völsung  und  Siguy  vor  der  Schlacht  in  c.  .5 
(B.  90,  12  ff,),  vor  allem  aber  das  gespräch  zwischen  Sigmund 
und  Hjördis   auf  der   wahlstatt   in    c.  12    (B.  108,  6  ff.)    eine 


')  efterl.  skrift.  I,  348, 


300  SYMONS 

widergabe  von  licdwoitcn  sind,  vcrmntct  Bnggc ')  \v<»l  niit 
recht.  Ebenso  ninss  sich,  wie  die  ang-cfiihite  licdstroj)lic  be- 
weist, etwas  von  einem  liede  über  Siggeirs  räche  erhalten  ge- 
habt ha1)en.  Anderes  aber  zeigt  keine  spur  von  einer  poeti- 
sclien  ([nelle,  so  die  erzählung  von  der  elk,  von  Sigmunds  und 
Sinfjötlis  wolfsabentcuern ,  auch  wol  von  Hjördis  raub  durch 
Alf.  r.  E.  Müller'-^)  vermutete,  dass  ein  jetzt  verlorenes  lied, 
das  unter  dem  namen  VölsungakviÖa  hin  forna  in  Helg.  Hund. 
II  (B.  193,  19)  citiert  wird,  die  Schicksale  von  Sigmunds  vor- 
fahren enthalten  habe.  Der  Inhalt  jener  VölsungakviÖa  wiid 
aber  wol  nichts  anderes  gewesen  sein,  als  eben  der  gröste  teil 
des  sogenannten  zweiten  Helgiliedes  (ausgenommen  str.  19  bis 
24).-')  Am  glaul)lichstcn  erscheint  es,  dass  ganze  lieder  über 
diese  begebenheiteu  überhaupt  nicht  mehr  vorhanden  Ovaren, 
sondern  nur  noch  liedtrümmer,  die  in  ihrem  v^erkümmerten  zu- 
stande der  aufnähme  in  die  liedersammhmg  nicht  mehr  für 
würdig  erachtet  wurden.  *)  ■ —  Die  erzählung  von  den  wolfs- 
abenteuern  Sigmunds  und  Sinfjötlis  wurde  schon  SB  II,  18  für 
eine  auswcitung  der  audeutungeu  in  Helg.  Hund.  I,  36.  39.  41 
angesehen,  und  das  ist  wahrscheinlicher,  als  dass  hier  ein  be- 
sonderes lied  vorlag,  auf  das  nichts  in  der  davsteilung  hin- 
deutet. Dass  es  einmal  alte  lieder  gegeben  hat  über  diese  ge- 
genstände, soll  damit  nicht  geleugnet  werden:  darauf  deuten 
auch  die  erwähnung  im  Beüvnlf  und  die  dräpa  auf  Eiriki% 
blöÖöx.»)  —  Auch  die  darstellung  des  raubs  der  Hjördis  nach 
Sigmunds  tod  durch  Alf  und  ihrer  erkennung  beruht  wol  nur 
auf  den  andeutungcn  der  erhalteneu  quellen  des  Aerfassers. 
Dass  Hjälprek,  der  vater  des  Alf,  könig  von  Dänenuirk  heisst 


')  Edda  s.  XXXVl  f. 
2)  SB  II,  41. 

•■*)  Zarncke  ('Zum  zweiten  Ilelgiliede'  iu  den  berichten  der  königl. 
sächs.  ges.  d.  wiss.  phil.-hist.  cl.  XXII,  195)  ist  geneigt,  nnr  str.  14--18 
als  jener  VölsungakviÖa  eutlelmt  anzusehen,  da  der  sannnler  das  lied 
sonst  wol  schon  früher  genannt  hätte.  Allein  er  hielt  die  nennung  des 
liedes  vielleicht  erst  hier  für  notwendig,  um  die  abweieliende  lassung 
gegenüber  der  H.  H.  I,  15—20  zu  bekräftigen. 

*)  Vgl.  Jessen  a.  a.  o.  s.  ()o  I'. 

•■)  In  Möbius  Edda  s.  231  f. 


VOELSUNGA  SAGA.  301 

c.  12  (B.  108,  26)  entgegen  andern  quellen  i),  ist  kaum  ur- 
spriing'lich ,  sondern  wol  nur  der  combinationslust  des  saga- 
schrcibers  entsprungen.  Da  Gubr.  II,  13.  14.  I,  B.  246,  1  ff. 
crzäldt  wird,  Gudrun  habe  nach  Sigurds  tod  in  Dänemark  bei 
}>öra,  der  gemahliu  des  Hälfr,  Zuflucht  gesucht  und  gefunden 
(=  Vüls.  s.  c.  32,  B.  103,  4),  hat  vielleicht  der  sagaschreiber 
jene  |^öi-a  für  die  zweite  gemahlin  desselben  A'lfr  oder  Hälfr 
gehalten'-),  mit  welchem  lijördis  vermählt  war,  und  darum 
auch  schon  an  der  friiliern  stelle  Dänemark  als  A'lfs  und 
Hjälpreks  land  eingesetzt.  —  Den  talisman,  der  Hjördis  an  das 
aufstehen  erinnert  (B.  110,  1  ü'.),  bezog  P.  E.  Müller^)  auf  eine 
uhr,  die  in  einem  altern  liede  wol  keinen  platz  hatte.  Die 
ganze  darstellung  von  dem  raube  der  lijördis  ist  so  sehr  eine 
erzähluug  von  einem  vildngszuge,  dass  sie  so  wol  keinem 
liede  angehört  haben  kann.  Es  deutet  zwar  auch  in  den  er- 
haltenen liedern  manches  auf  die  vikingszeit,  vor  allem  in  den 
Helgiliedern  und  Atlm.  str.  98.  99,  aber  nirgends  in  solcher 
abgeschlossenheit  wie  an  dieser  stelle  der  saga. 

Einige  mehr  äusserliche  beobachtungen  bestätigen  die  an- 
nähme, dass  der  sagaschreiber  an  den  meisten  stellen  der 
Vorgeschichte  ohne  quellen  gearbeitet  hat.  Ueberall,  wo  der 
A^erfasser  nachweisbar  liedern  folgt,  erzählt  er  ohne  weiteres 
bestätigen  seiner  glaubwitrdigkeit,  es  sei  denn,  dass  er  gerade- 
zu citate  einflicht.  Ganz  anders  in  dieser  ersten  partie.  Fort- 
während hält  er  es  hier  für  nötig,  seine  angaben  resp.  sein 
schweigen  zu  bestätigen,  annarr  mab'r  er  nefndr  til  sögunnar 
83,  3.  ekki  er  |?ess  getit  89,  12.  skjott  er  }?ar  frä  at  segja 
92,  9.  en  j?at  er  sögn  sumra  manra  92,  26.  ok  |>arf  j>ar  eigi 
sögu  um  at  lengja  93,  28  u.  ö.  Diese  angaben  weisen  in  ihrer 
offenbaren  vorsiltzlichkeit,  gegenüber  dem  sonstigen  fehlen  dei'- 
selben,  eher  auf  das  fehlen  von  quellen  als  auf  deren  be- 
nutzung  hin.     An   manchen   stellen   findet   sich   die    eigentüm- 


')  Sintj.  lok  nennt  das  land  nicht,  SE  I,  350:  Hjcälpreks,  konuugs 
ä  l'jöÖi,  Norn.  p.  c.  3  (B.  55,  4)  Frakkland. 

-)  Vielleicht  richtig?  auch  Kassmann  I,  96  und  Lüning  edda  s.  417 
meinen  dasselbe.  —  Auch  Gautland  als  Siggeirs  reich  ist  sonst  gänzlich 
unbekannt  und  kaum  sagenhaft. 

■^)  SB  II,  57. 


302  SYMONS 

liehe  |)]iraHeolo2:ie  des  sagaselueibcrs,  die  überall  da  widerzii- 
kclireii  i)flcgt,  Avo  quellen  feliltcn.  So  hat  er  eine  ganz  beson- 
dere art  der  schlaehtennuilerei,  und  die  grosse  Schilderung  von 
Sigmunds  und  Lyngis  kämpf  c.  11  (B.  107,  6  ff.)  stimmt  fast 
wörtlich  zu  der  ähnlichen  c.  17  (B.  118,  4).  i)  —  Wenn  es 
endlich  bei  l)etrachtung  der  sagapartie,  die  den  durch  die 
Ittckc  in  R  verlorenen  liedcrn  entspricht,  gelingen  konnte,  viel- 
fach anklänge  an  eddischen  ausdruck  und  dem  prosaischen 
Sprachgebrauch  fremde  Wendungen  nachzuweisen,  sind  für 
diese  erste  partie  der  saga,  abgesehen  von  den  vereinzelten, 
unzweifelhaft  auf  liedworten  beruhenden  stellen,  alle  meine 
versuche  in  dieser  richtuug  fruchtlos  gewiesen.  Der  auffallende 
unterschied  in  der  diction  kann  niemandem  entgehen,  wenn 
sich  auch  derartige  dinge  mehr  nachfühlen  als  streng  beweisen 
lassen. 

Diese  ersten,  die  Vorgeschichte  behandelnden  capitel  un- 
serer saga  sind  also  —  dies  ist  das  resultat  unserer  Unter- 
suchung —  nicht  als  reine,  ungekünstelte  niederschrift  eines 
Stückes  alter  sage  aufzufassen,  sondern  als  ein  conglomerat 
von  halb  zerstörten  liederresten ,  dunkler  Überlieferung  ver- 
schiedenster einzelsagen,  ausgeweiteten  andeutungcn  der  Edda- 
lieder und  tendenziöser  erdichtung.  Für  die  kenntnis  der 
ältesten  gestalt  unserer  heldensage  sind  sie  im  grossen  und 
ganzen  ohne  gewicht,  denn  das  ächte,  das  sie  bieten,  ist  uns 
in  den  hauptsächlichsten  punkten  auch  anderwärts  überliefert; 
ihre  eigenen  angaben  aber  unterliegen  dem  berechtigtsten 
verdachte. 

Dieses  resultat,  mit  dem  wir  vorläufig  unsere  betrach- 
tungen  beschliessen  müssen,  ist  wenig  trostreich  und  wol  ge- 
eignet, den  überaus  hohen  wert,  den  man  der  Yölsunga  saga 
beizumessen  sich  gewöhnt  hat,  einigermassen  abzuschwächen: 
allein  es  ist  nicht  im  stände,  ihn  ganz  für  uns  verschwinden 
zu  lassen.  Die  immer  noch  unschätzbare  bedeutung  dieser 
quelle  liegt  in  der  partie,  die  uns  die  lücke  der  Eddatiberlie- 
ferung ersetzen  muss:  zwar  auch  sie  hat  sich  der  eigentüm- 
lichen arbeitsw^eise    des    sagaschreibers    anbequemen   müssen: 

')  Vgl.  8.  229. 


VOELSUNGA  SAGA.  303 

mit  hülfe  der  erhaltenen  liedcr  und  der  Snorra-edda  .sind  wir 
jedocli  immerhin  im  stände,  die  alte  ächte  sagenform  aus  ihr 
herauszulesen. 

Die  preisten  dienste  wird  aber  die  darstellung  der  Völ- 
sung-a  saga  dann  und  nur  dann  leisten  können,  weini  es  ge- 
lungen sein  wird,  jetles  einzelne  eddische  lied  und  die  sagen- 
form jedes  einzelnen  liedes  ihrem  relativen  alter  nach  an- 
nähernd zu  l)estimmen.  Die  saga  hat  lediglicli  eine  bestäti- 
gende kraft,  auch  in  den  durch  sie  allein  vertretenen  partien, 
nicht  aber  den  wert  einer  gleichberechtigten  quelle.  Erst  wcini 
jener  für  unsere  forschung  älteste  erreichbare  i)unkt  l^ritiscli 
gesichtet  ist,  wird  eine  sichere  grundlage  für  eine  entwick- 
lungsgeschichte  der  sage  und  ihrer  literarischen  niederschlage 
hergestellt  sein,  zu  der  diese  Untersuchung  ein  bescheidener 
beitrag  sein  will. 

LEIPZIG.  B.  SYMONS. 


ZUR  GESCHICHTE  DER  GRALSAGE. 

I. 

V  011  einer  geschiclite  der  Gralsage ,  d.  li.  einer  vor- 
gescliielite  dersel])en  bis  zu  ihrem  auftreten  in  den  werken  der 
]K)esie  gegen  ende  des  12.  Jahrhunderts,  kann  eigentlich  gar 
nicht  geredet  werden,  denn  die  sage  wie  der  nanie  treten  erst 
in  diesen  auf,  und  es  muss  weitergehender  Untersuchung  über- 
lassen Ideiben,  ob  etwa  eine  analyse  jener  werke  noch  mo- 
mente  für  die  Vorgeschichte  zu  geben  vermag.  Zur  zeit  ist 
eine  solche  Untersuchung  noch  nicht  angestellt,  und  es  hängen 
alle  in  die  vorgeschickte  gewagten  behauptungen  daher  noch 
ganz  in  der  luft.  Es  sind  besonders  zwei  annahmen,  die  ihre 
Vertreter  gefunden  haben  und  noch  finden. 

Die  eine,  die  wol  gegenwärtig  in  Deutscliland  ziemlich  all- 
gemein adoptiert  ist,  ward  zuerst  von  Fauriel  ausgeführt,  der 
in  seiner  Histoire  de  la  poesie  provencale  II,  435  ff.  die  sage 
als  in  Spanien  local  annimmt  und  sie  sich  von  dort  aus  durch 
die  Provence  verbreiten  lässt.  Aber  diese  localisieruug  beruht 
allein  auf  dem  j  ungern  Titurel,  denn  keins  der  andern  gedickte 
und  romane,  weder  in  Frankreich  noch  in  Deutschland,  ver- 
legt die  Gralsburg  nack  Spanien.  Der  gelelirte  fortdichter  des 
Titurel  aber,  der  Monsalvcesche  fälschlich  als  mons  salvatus 
fasste,  war  durch  diesen  namen  an  die  in  Nordspanien  häufi- 
gen Ortsbenennungen  San  Salvador,  Salvaterra  u.  a.  erinnert 
worden,  die  durch  die  Jacobspilger,  auf  die  er  sieb  ausdrück- 
lich ])erufti),  auch  in  Deutsckland  bekannt  waren,  und  so  ver- 

')  Tit.  Ilalm  MOli:  Swer  in  GaUtt  ist  (jcwcsen,  der  tveiz  wol  San 
Salvator  und  Salvaterre.  D.-uirit  vgl.  die  Jacobslieder,  z.  b.  Uhland 
Volks!.  2,  Sü2:  Den  ßnslern  stcrn  ((Jap  Finisterre)  wellen  wir  Um  stan 
und  wellen  zu  Salvator  ein  gan,  yross  wunderzeichen  an  schatven. 


GRALSAGE.  305 

legte  er  dortliiu  die  bürg.  Diese  Verwendung  der  jüngsten  ge- 
stalt  einer  sage  zur  construction  ihrer  ältesten  gestalt  wider- 
spricht so  sehr  aller  mcthode,  dass  sie  nur  eiuigcrniassen  er- 
klcärt  und  entschuldigt  werden  kann  durcli  die  annähme ,  von 
der  man  dabei  ausging,  der  jüngere  Tituvel  habe  den  angeb- 
lichen Proveucalen  Kyot  als  quelle  ])enntzt,  und  diese  seine 
quelle  habe  bereits  jene  angäbe  enthalten.  Aber  eine  aualyse 
des  Jüngern  Titurel  wird  mit  leichtigkeit  diese  bchauptung 
widerlegen  können;  der  verfasse-  dieses  gedichts  stoppelte 
sein  werk,  wie  ebenso  der  erste  fortsetzer  des  Willehalm, 
Ulrich  von  dem  Türlin,  das  seinige,  aus  den  andeutungen  in 
Wolframs  gedichten  zusammen,  die  er  aus  dem  schätze  seines 
gelehrten  wissens  gar  nicht  ungeschickt  zu  ergänzen  verstand; 
er  wüste  auch  von  der  Gralsage  etwas  mehr  als  Wolfram, 
aber  das  werk  des  Kyot  haben  wir  in  seinem  gcdichte  am 
wenigsten  als  grundlage  zu  vermuten,  trotzdem  er  es  liebt, 
sich  auf  ihn  zu  berufen,  auch  darin  Wolfram  nachahmend. 
In  Spanien  selber  hat  sich  keine  bestätigung  für  jene  annähme 
ei-geben;  die  Gralsago  ist  diesem  laude  fremd  und  dorthin  erst 
durch  die  französischen  romane  im  14.  oder  15.  Jahrhundert 
gelangt.  Vgl.  Ferd.  Wolf  in  Hollands  buch  über  Chrestieus 
von  Troyes  1854.  s.  208  fg.  anm.  —  Für  die  Provence  wird 
dann  zunächst  eben  jener  ivvot  augeführt.  Aber  wir  werden 
jedesfalls  gut  tun,  eine  so  zweifelhafte  Persönlichkeit  wie  dieser 
uordfrauzösisch  schreibende  Proveneale  ist,  über  den  w^eiterhin 
noch  die  rede  sein  soll,  nicht  zu  weitergehenden  Schlüssen  zu 
l)enutzcn.  Wenn  dann  noch  von  Fauricl  angeführt  wird 
(11,  444),  was  man  oft  und  blindlings  nachgesprochen  hat, 
es  fänden  sich  in  der  provencalischen  lyrik  anspieluugeu, 
die  nur  mittels  der  gestalt  der  sage,  wie  sie  bei  Wolfram  und 
im  Jüngern  Titurel  erscheint,  verständlich  seien,  so  verschwindet 
diese,  unleugbar  schwer  wiegende  behauptung  bei  genauerer 
nachforschung  durchaus.  Fauiiel  hat  es  nicht  für  nötig  ge- 
halten, ein  citat  hinzuzufügen;  die  mir  bekannten  stellen  aber 
bestätigen  nicht  nur  nicht  seine  behauptung,  sondern  wider- 
legen sie  vielmehr,  vgl.  z.  b.  ßayuouard,  Choix  II,  310,  wo  iu 
dem  gediente  des  Rambaud  de  Vaqueiras  die  frage  Parzivals 
die  erkundigungsfrage  des  Chresticns,  nicht  die  ethisch -teil- 
nehmende Wolframs   ist.     Jedesfalls  müssen  wir  sagen,   dass 


306  ZARNCKE 

für  den  spnnis('li-})r(>vcnralisclien  ausg-ang  der  sage   etwas  be- 
weisendes niclit  \  orge))ra{'lit  ist. 

pjine  zweite  annalinie  ist  ]icsonders  nnd  öfters  vertreten 
worden  von  Villemarqne.  Dieser  l)elian})tet  für  die  Gralsage 
ebenso  wie  für  die  Artussage  keltisclien  nrspvung.  Unter  andern 
sind  ihm  neuerdings  Heinrieh'),  Iluclier-j  und  Potvin^)  beigetreten. 
Aber  was  diese  sämmtlich  für  ihre  ansieht  ])eigebracht  haben, 
entbehrt  ebenfalls  der  beweisenden  kraft.  Der  uamc  Gral  ist 
nirgends  im  keltisclien  nachweisbar,  man  bringt  diesen  mit  dem 
keltischen  per,  einer  art  hexenkessel,  in  beziehung.  Aber  ver- 
geblich sehe  ich  mich  nach  einem  umstände  um,  der  die  Iden- 
tität der  beiden  gefässe  w^ahrscheiulich  macheu  könnte;  einen 
hexenkessel  kennt  auch  Göthes  Faust,  und  doch  wird,  niemand 
diesen  mit  dem  Gral  in  Verbindung  bringen  wollen.  Nicht 
besser  steht  es  mit  dem  augeblichen  gefäss  in  dem  tempel  der 
göttiu  Koridwen,  das  poesie  und  erkenntnis  der  zukunft  ge- 
währt haben  soll.  Dann  siud  es  die  wallisischen  barden- 
gesänge,  in  denen  des  Grals  andeutend  erwähuung  geschieht. 
Aber  man  gestatte  mir,  so  lange  nicht  ein  gründlicher  philo- 
loge  diese  gesänge  einer  kritischen  Untersuchung  unterzogen 
und  wenigstens  das  ächte  vom  unächten  zu  sondern  versucht 
hat,  ihre  eutstehung  vor  dem  12.  Jahrhundert  als  unbewiesen 
und  wenig  wahrscheinlich  anzunehmen.  Folgt  das  Mabinogi 
von  Bran  dem  gesegneten*),  das  uns  in  haudschriften  des  15. 
Jahrhunderts  erhalten  ist.  Hier  hat  das  gefäss,  das  speisen 
gewährt,  wunden  heilt  und  wider  zum  leben  erweckt,  allerdings 
manches  an  den  Gral  erinnernde.  Aber  abgesehen  davon, 
dass  ähnliche  wunschgefässe  doch  auch  sonst  vorkommen,  und 
dass  es  diesem  geftisse  an  jeder  speciellen  berührung  mit  der 
sage  vom  Gral  gebricht,  ist  auch  noch  der  umstand  in  erwä- 
gung  zu  ziehen,   dass    eine  gestalt  der   sage,   die  wir   später 


')  E'tude  sur  le  Parzival  de  W.  v.  E.     Paris  1S55. 

■■')  Le  St.  Graal,  Le  Maus  ii.  Paris  1875. 

3)  Perccval  le  Gallois  II  partie ,  toiue  V,  Mons  IsTl,  introduction 
s.  II  fg.  —  Die  behauptungen  dieses  gelehrten  sind  zum  teil  von  im- 
erhürter  flüclitigkeit. 

')  In  den  Mabinogion  der  lad}^  Charlotte  Gucst  III,  103;  bei  Ville- 
marqne in  den  Contes  populaires  des  anciens  Bretons  I,  195;  bei 
Heinrich  s.  50  fg. 


GRALSAGE.  307 

keimen  lernen  werden  und  die  keltischen  Ursprung  ausdriick- 
licli  abweist,  als  liiiter  des  Grals  einen  Hehron ,  gewölmlieli 
Bron  genannt,  kennt,  dessen  abgeblasstes  bild  möglicherweise 
in  jenem  Mabinogi  hervortritt.  —  Nicht  beweisender  ist  das 
bekannte  Älabinogi  von  Peredur.  Meine  schon  früher  ausge- 
sprochene ansieht!)  hat  sich  mir  immer  mehr  bestätigt,  dass 
die  wallisisehen  Mabinogion  ableitungen  aus  den  französischen 
gedichten,  nicht  deren  quellen  sind."-)  Ueberdies  kommt  gerade 
im  Peredur  gar  kein  Gral  vor,  und  das  gewicht,  das  mau 
früher  auf  den  namen  zu  legen  suchte,  ist  sehr  zusammeu- 
geschiumpft.  Villemarque  trat  anfangs  mit  der  behauptung 
auf,  Peredur  bedeute  'der  sucher  nach  dem  gefäss'.  Wenn 
das  der  fall  war,  so  würde  es,  trotzdem  dass  in  dem  Mabinogi 
eben  der  Gral  nicht  vorkommt,  immerliin  bei  der  sonstigen 
übereinstinmiuug  der  fabel  von  bedeutung  gewesen  sein.  Aber 
Villemarque  ist  einen  bedeutenden  schritt  zurückgetreten.  Das 
wort  soll  jetzt  nur  noch  compagnion  du  hassin  bedeuten  und  zu- 
sammengesetzt sein  aus  dem  schon  besprochenen  pe?-  und  kedur 
{keä  =  con,  ur  ^=  gwr  =  vir,  dessen  g  in  der  Zusammen- 
setzung schwindet) ;  aber  gründliche  kenner  des  keltischen  ver- 
sichern mich,  dass  der  ausfall  des  k  {Peredur  =  Perkedur) 
ohne  analogie  seij  also  werden  wir  auch  diese  etymologie  wol 
bei  Seite  lassen  müssen.  Bleibt  Chrestiens  von  Troyes,  der 
für  den  Gral  wenigstens  keine  andere  heimat  andeutet  als  die 
seiner  sonstigen  beiden,  die  ihren  ausgangspunkt  sicherlich  in 
der  keltischen  sage  haben.  Aber  als  ein  positiver  beweis  ist 
auch  Chrestiens  werk  nicht  anzusehen,  denn  bekanntlich  hat 
derselbe  sein  gedieht  nicht  vollendet;  dieses  bricht  vielmehr 
schon  vor  der  stelle  ab,  wo  der  dichter  veranlassung  gehabt 
haben  würde,  sich  über  die  uatur  und  herkunft  des  Grals  aus- 
zusprechen, über  den  er  bis  dahin  dem  Interesse  seines  ge- 
dichts  gemäss   schweigen    beobachtete.    Aber  schon  der  inter- 


>)  Eberts  Jahrbuch  V,  249. 

-)  Erst  im  vorigen  jähre  habe  ich  in  crlahrung  gebracht,  dass 
Haupt  derselben  ansiclit  war.  Er  schreil)t  am  ;{1.  december  lb40  an 
Ferd.  ^V()11■:  '  Ueber  die  Mabinogion  teile  ich  Ihnen  einmal  meine  ansieht 
mit.  Sie  sind  aus  dem  französischen  zurückgebracht,  nicht  die  ursprüng- 
lichen (luellen.'  Briefe  von  HoÜ'm.  v.  Fall.  u.  M.  Haupt  an  Ferd.  Wolf, 
herausgeg.  von  Ad.  Wolf,  Wien  ISTI,  s.  bT. 


308  ZARNCKE 

polator  des  Monscr  manuseripts  und  ebenso  ClireBticn«  fovt- 
sctzer  und  deren  intevpolatorcn  kennen  alle  übereinstimmend 
den  Gral  nicht  als  ein  stück  der  keltischen  sage,  sondern  der 
legende.  Wenn  man  schliesslich  noch  die  in  wallisischeu  lie- 
dern  und  sagen  erwähnte  lanzo,  bei  der  man  sich  gegen  die 
germanischen  Unterdrücker  zur  räche  verschwor,  herbeigezogen 
hat,  so  liegt  es  auf  der  band,  dass  die  beziehung  dieser 
lanze  zu  der  der  Gralsage  völlig  in  der  luft  hängt.  Also  ein 
überzeugendes  gev^icbt  besitzen  auch  die  momente  nicht,  die 
mau  für  den  keltischen  Ursprung  der  Gralsage  geltend  ge- 
macht hat. 

Keine  rücksicht  nehme  ich  auf  die  behauptuug,  die  Gustav 
Oppert  uns  zweimal  aufgetischt  hat^),  dass  Gral  =  Coralle  sei; 
denn  was  Gral  bedeutete,  dariiljer  sind  wir  durch  Helinaudus, 
der  die  bekauute  stelle  um  1200  schrieb  und  der  direct  den 
Gral  der  romane  meinte,  völlig  authentisch  unterrichtet."^) 


1)  Der  presbyter  Johannes  etc.  von  G.  Oi3pert,  Berlin,  Springer, 
1864:  u.  1S70.  Wenn  G.  Oppert  die  Templeisen  von  Monsalviüsche  mit 
den  rittein  von  Salvatierra  zusammenbringen  will,  so  irrt  er  auch  darin; 
denn  Monsalvcesche  wird  von  Wolfram  noch  nicht  mit  salvare  /ai- 
sammengebracht,  und  Salvaterre  hat  er  gar  nicht.  Ob  dem  Verfasser  des 
Jüngern  Titurel  etwas  von  jenen  rittern  bekannt  war,  wissen  wir  nicht; 
glaublich  ist  es  nicht,  er  würde  es  uns  deutlicher  zu  erkennen  gegeben 
haben. 

-)  Da  ich  auf  diese  stelle  auch  später  noch  zu  sprechen  komme,  so 
möge  sie  hier  noch  einmal  einen  platz  finden:  Hoc  teiiipore  (717/719)  in 
Britanniu  culdam  heremUae  demonsirala  fu'ü  mirabüis  quaedam  visio 
per  angelum  de  Josejy/i  decurione  noMli,  qui  corpus  domini  deposuü 
de  cruce ,  et  de  catmo  illo  vel  parapside ,  in  quo  dominus  ccenavit  cum 
discipulis  suis ,  de  quo  ab  eodem  heremita  descripia  est  hisioria,  quae 
dicilur  gradalc.  Gradalis  autem  vel  grudale  gallice  dicilur  scutella  lata 
el  aliquantulmn  profunda,  in  qua  yrcciosae  dapcs  divitibus  solent  apponi 
f/radatim ,  unus  morsellus  post  ah'um  in  diversis  ordinibus.  Dicitur  et 
vulgari  no7nine  greal,  quia  grata  et  acceptabilis  est  in  ea  comedenti,  tum 
propter  continens,  quia  forte  argentea  est  vel  de  alia  preciosa  materia, 
tum  proiiter  contentum  A.  ordinem  multiplicem  dapiwn  preciosarum. 
Hanc  historiam  latine  scripitam  invenire  non  potui,  sed  tantum  gallice 
sci'ipta  habetur  a  quibusdatn  proccribus ,  nee  facile,  ut  aiunt,  tota  inve- 
niri  polest  Tissier,  Biblioth.  Cisterciensis  VII,  s.  73  fg.  (z.  jähre 
717/719).  Vgl.  auch  Skeat,  Jos.  of  Arimathia  (1871)  s.  XXX.  Die  Chro- 
nik des  Helinandus  reicht  bis  1204.  Er  schrieb  zu  Froidmont  in  der 
diöcese  Beauvais  in  Nordfrankreich. 


GRALSAGE.  309 

Gerade  nach  der  seile  hin,  wohin  uns  die  literarhistori- 
sclien  tatsaclien  leiten,  hat  man  die  forschuug,  in  Deutschland 
wenigstens,  bisher  am  wenig'sten  gewant.  Jene  tatsachen  aber 
verweisen  den  Gral  in  die  legende  von  Joseph  von  Arimathia. 
Freilieh  auch  in  ihr  können  wir  ihn  nicht  früher  nachweisen 
als  innerhalb  der  französischen  romane. 

Wir  haben  in  der  legende  zwei  stufen  zu  unterscheiden. 
Die  erste  wird  dargestellt  durch  die  Gesta  Pilati  (bei 
Tischendorf  s.  203)  und  die  Nar ratio  Josephi  (das.  s.  436). 
Sie  erzählt,  wie  Joseph  von  Arimathia  am  abende  des  kreuzi- 
guügstages,  nachdem  er  den  leichnam  Christi  beigesetzt,  von 
den  Juden  gefangen  genommen  und  eingekerkert  wird.  In  der 
nacht  vom  sabbath  zum  sonntag,  nachdem  Christus  auferstan- 
den, erscheint  er  ihm,  umstrahlt  von  lichtglanz,  hebt  ihn  aus 
seinem  kerker  und  entführt  ihn  in  seine  wohnung,  in  der  er 
sich  bis  nach  der  himmelfahrt  zurückhalten  muss.  Dann 
kommt  er  wider  zum  Vorschein  und  legt  nun  zeugnis  für 
Christus  ab.  Eine  zweite  stufe  repräsentiert  die  Vindicta 
Salvatoris,  die  nach  P.  Paris  i)  in  manuscripten  des  8.  Jahr- 
hunderts erhalten  ist,  nach  dem  herausgeber  der  angelsächsi- 
schen bearbeitung  wenigstens  älter  als  das  11.  Jahrhundert 
sein  muss.-)  Diese  legende  ist  eine  rohe  coutamination  zweier 
sagen,  der  von  der  heilung  des  Tiberius  und  der  von  der 
heilung  des  Titus  oder  Yespasian.  Alle  drei  regieren  hier  zu- 
sammen, ersterer  in  Eom,  letztere  in  Libyen.  Als  diese  nach 
Jerusalem  kommen,  wird  ihnen  als  zeuge  von  Christus  auch 
Joseph  von  Arimathia  vorgeführt  und  dieser  erzählt  seine  da- 
malige gefangenschaft.  Trat  somit  Joseph  unter  Titus  auf,  so 
war  von  dieser  erzählung  nur  noch  ein  schritt  zu  der  andern, 
den  Joseph  gleich  bis  zur  zeit  des  Titus  gefangen  halten  und 
erst  durch  letzteren  befreit  werden  zu  lassen.  In  dieser  langen 
gefangenschaft  von  c.  40  jähren  konnte  er  dann  nur  durch  ein 
besonderes  gnadeumittel  am  leben  erhalten  werden.  So  finden 
wir  die  legende  in  den  französischen  Gralromanen. 

Ob  aucli  eine  Verwechselung  mit   dem    geschichtsschreiber 
Josephus  dazu  getreten  ist,    der  ja  unter  Titus  und  Vespasian 

'J  Komauia  I,  -16.  P.  Paris  liält  die  legeude  für  die  heiuuat  der  Graiaage. 
-)  Vgl.  'i'ischendorf  vorr.  LXXXl. 


;}10  ZARNCKE 

lebte  und  mit  ihnen  befreundet  war  und  den  num  der  partei 
der  Christen  zurechnete,  ^vill  ich  dahini^'estellt  sein  lassen. 
Uebcreinstininiende  niomente  könnten  sich  wol  i^-eltend  machen 
lassen;  andererseits  halte  ich  eine  solche  annähme  mindestens 
nicht  für  nötig-. 

Zwischen  der  Yiudicta  salvatoris  und  den  französischen 
romaneu  ist  bis  jetzt  ein  den  Gral  selbst  betreffendes  mittel- 
g'lied  nicht  nachge wiesen. i)     Wir  wenden  uns  zu  letzteren. 

Ueber  sie  liat  die  philologische  Untersuchung  kaum  be- 
gonnen.2)  Sie  sind  uns  nur  in  haudschriften  erhalten,  deren 
älteste  der  zweiten  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  angehören,  zum 
teil  sind  sie  bereits  in  cyklische  Verbindung  unter  einander  ge- 
setzt, und  der  ve.  dacht  liegt  nahe,  dass  sich  Überarbeitung  und 
interpolation  schon  geltend  gemacht  haben.  Diese  Unter- 
suchungen sowie  die  zwecks  genauerer  datierung  können  nur 
in  Paris  unter  den  schätzen  der  dortigen  bibliothek  angestellt 
werden.  Für  feinere  fragen  ist  daher  das  material,  wie  es  jetzt 
vorliegt,  kaum  verwendbar,  aber  für  die  gröberen  lineamente, 
auf  die  es  uns  hier  nur  anzukommen  braucht,  wird  es  ausreichen. 

1.  Le  petit  St.  Gral.  Dies  jedenfalls  älteste  werk  der 
Gralsage  ist  von  Robert  de  Boron.  Wir  besitzen  es  in  poeti- 
scher und  prosaischer  form,  in  ersterer  herausgegeben  von  Fr. 
Michel  (Bordeaux  1841)  und  vonFurnivall  im  anhange  zu  der 
quartausgabe  des  heiligen  Grales  von  Lonelich  (für  den  Rox- 
burghe-club  18G1),  in  letzterer  von  Ilucher  (Le  Saint  Graal,  I, 
s.  209  fg.  277  fg.,  Le  Maus  und  Paris  1875);  eine  neufranzö- 
sische analyse  bietet  P.  Paris,  les  romans  de  la  T.  ß.,  Paris 
1808,  L  s.  123  f.  Hucher  hat  neuerdings  behauptet,  die  prosa 
sei  das  ursprüngliche,  das  gedieht  aus  dieser  umgesetzt;  aber 
darin  irrt  er,  und  noch  mehr  darin,  wenn  er  seine  analyse 
s.  105  fg.  nach  einem  grob  interpolierten  texte  aufstellt.  Mehr 
zu  überlegen   ist   seine  behauptung,    den  Verfasser   urkundlich 


')  Denn  auch  der  schluss  von  Anselmi  interrogatio  (herausgegeben 
von  0.  Schade,  Königsberger  prograium  1S7(I)  der,  übereinstimmend  mit 
einigen  der  romane,  eine  gattin  und  einen  gleiclniamigcn  söhn  des  Joseph 
erwähnt,  ist  jünger  als  die  romane  und  wird  unter  deren  eintiuss  stehen. 
—  Ueber  die  erwähnung  des  Joseph  von  Arimathia  bei  Wilh.  v.  Maimes- 
bury  wird  weiterhin  in  111  gehandelt  werden. 

-)  In  aussieht  gestellt  ist  sie  von  P.  Paris. 


GRALSAGE.  311 

nacliweisen  zu  können.  Ist  der  von  ihm  nachgewiesene  Robert 
wirklich  der  Verfasser  unseres  gedichts.  so  hätten  wir  damit 
für  dieses  eine  sehr  frühe  entsteh ung  sicher  gestellt,  denn  da 
jener  Robert  zwischen  1164  und  1169  gestorben  ist,  so  würde 
es  wol  um  1160  zu  setzen  sein.  In  annähernd  dieselbe  zeit 
hat  übrigens  bereits  P.  Paris  das  gedieht  verwiesen.  Hier  wird 
Joseph  erst  nach  der  himmelfahrt  gefangen  gesetzt,  und  er 
bleibt  eingemauert  bis  zur  ankunft  des  Titus.  Um  ihn  am 
leben  zu  erhalten,  hat  ihm  Christus  den  Gral  gebracht,  d.  i. 
die  abendmahlsschüssel;  diese  wird  vollständig  als  abend- 
mahlskelch  behandelt  ^).  Sie  versieht  Joseph  mit  licht  und  nah- 
rung.  Nach  der  Zerstörung  Jerusalems  geht  Joseph  mit  seiner 
Schwester  und  seinem  schwager  Hebron  oder  ßron  und  einigen 
andern  in  eine  ferne  gegend,  wo  dem  Bron  12  kinder  er- 
wachsen. Den  Gral  führt  Joseph  mit  sich.  Nach  einiger  zeit 
tritt  missernte  ein;  auf  gebet  an  den  Gral  erklärt  Christus, 
dass  sich  unreine  zwischen  ihnen  befänden,  die  sie  aussondern 
müsten.  Zu  dem  zwecke  fängt  Bron  einen  fisch,  den  er  neben 
den  verhüllten  Gral  auf  den  tisch  legt.  Alle,  die  einen  lieb- 
lichen duft  von  ihm  ausgehen  spüren,  sind  rein,  die  andern 
unrein ;  sie  müssen  sich  entfernen,  und  man  tut  ihnen  zum  ab- 
schiede nur  noch  den  namen  des  Gral  zu  wissen.  Zwischen 
Joseph  und  Bron  ist  ein  platz  unbesetzt  gelassen  (ojßfenbar  der 
des  Judas),  den  erst  ein  enkel  des  Bron  einnehmen  soll. 
Moses,  der  ihn  einzunehmen  versucht,  wird  von  der  erde  ver- 
schlungen. Es  wird  nun  ein  förmliches  service  du  greal  ein- 
gerichtet, zu  dem  man  alle  tage  zusammenkommt.  Die  12 
söhne  Brons  sollen  sich  dann  vermählen;  nur  Alain  weigert 
sich,  und  er  wird  nun  von  Joseph  zum  priester  geweiht.  Dann 
kommt  eine  botschaft  von  gott,  sie  sollen  hingehen  aux  vaux 
(VAvaron  (doch  wol  Avalon,  s.  u.),  um  die  Völker  dort  zu  bekehren. 
Joseph  allein  bleibt  zurück.  Bron,  der  den  namen  le  7-iche 
pecheur  angenommen  hat,  soll  den  Gral  mit  nach  dem  occident 
nehmen  und  dort  seinen  nachkommen  erwarten,  der  der  letzte 


')  Ganz  entsprechend  dem  teile  der  messe,  die  dem  Joseph  von 
Arimathia  gewidmet  ist.  Vgl.  Honorius  Augustod.  bei  Migne  Patrologia 
lat.  bd.  172,  s.  55S  (Gemma  animae  1,  47  de  Joseph),  wozu  man  halte 
Rob.  de  Boron  v.  901  fg.  und  die  prosa  bei  Hucher  I,  226. 

Beitrage  zur  geschichte  der  deutbcheii  spräche,   lU.  21 


312  ZARNCKE 

hütcr  des  Grals  auf  erden  sein  soll.  Nachdem  diesen  drei 
hiitcr,  entsprechend  der  drciciuigkeit,  g'ehal)t  haben,  soll  er 
von  der  erde  entrückt  werden. 

Man  sieht,  wir  befinden  uns  mitten  in  einer  christlichen 
legende,  und  auch  der  schluss,  das  warten  auf  den  neuen  dem 
Gral  bestimmten  hiiter,  dieser  dauernd  für  die  Gralsage  cha- 
rakteristisch gebliebene  zug,  sieht  nicht  nach  einer  volkssage, 
sondern  nach  einer  mystisch  -  christlichen  erfindung  aus. 

2.  Le  grand  St.  Gral,  in  prosa,  in  vielen  handschriften 
und  in  zwei  drucken  vom  jähre  1516  und  1523  erhalten; 
herausgegeben  durch  Furnivall,  zu  anfang  imd  am  rande  von 
Louelichs  englischer  Übersetzung  (für  den  Roxburgheclub  1S61); 
die  englische  Übersetzung  auch  in  der  Early  English  Text  So- 
ciety 1S74  ig.,  Extra -Series.  Ein  auf  diesem  romau  beruhen- 
des altenglisches  alliterierendes  gedieht  ist  herausgegeben  von 
Skeat  (Joseph  von  Arimathia,  London  1S71,  s.  1  fg.);  eine 
analyse  liefert  P.  Paris  Les  romans  etc.  I,  173.  Der  Verfasser 
der  ausführlich  die  gründe  angibt,  weshalb  er  seineu  namen  nicht 
genannt  habe,  beruft  sich  auf  ein  lateinisches  buch,  das  im 
jähre  717  ein  eremit  in  England  nach  einem  ihm  von  Christus 
selbst  eingehändigten  original  abgeschrieben  habe.  Hierauf 
bezieht  sich  die  oben  in  der  aumerkuug  mitgeteilte  notiz  des 
Helinandus  i),  der  hinzufügt,  dass  er  nur  das  französische,  nicht 
das  lateinische  werk  habe  finden  können.  Auch  nach  ihm  ist 
es  niemandem  geglückt  es  aufzutreiben.  Wir  werden  es  getrost 
für  eine  erfindung  des  romanschreibcrs  erklären  dürfen.  An- 
fangs stimmt  das  werk  so  genau  mit  dem  des  Robert  de  Boron, 
dass  man  schwerlich  eine  benutzung  dieses  wird  von  der 
band  weisen  können,  nur  in  nebensachen  weicht  es  ab,  und 
zwar  zeigt  es  offenbare  correcturen  aus  gelehrter  kenntnis  der 
geschichte  und  der  legende.  Bei  Josephs  befreiung  aber  ver- 
ändert sich  die  erzähluug.  Es  tritt  nun  eine  frau  Josephs  und 
ein  söhn  Josephe  auf;  dann  begibt  sich  Joseph  nach  Sarras 
und  verhilft  hier  dem  könig  Evalac  zum  siege  über  Tolome 
von  Aegypten,  wobei  der  schild  des  Joseph   eine   rolle    spielt 


*)  Selbst  seine  etymologie  entnimmt  er  dem  französischen  werke, 
worin  es  heisst:  greul,  furcequil  agre'e  ä  tous  auxquels  il  est  donne 
de  le  voir. 


GRALSAGE.  313 

Darauf  übergibt  er  auf  befehl  eines  engels  den  Gral  seinem 
söhne  Josephe ,  der  fortan  in  erste  linie  tritt.  Christus  selbst 
weiht  ihn  zum  bischof.  Zum  ersten  male  wird  eine  messe  ge- 
feiert, wobei  die  transsubstantiation  durch  Christus  persönlich 
und  körperlich  vollzogen  wird,  indem  man  ihn  in  den  kelch 
eintauchen  sieht.  Evalac  und  sein  schwager  Seraphe  werden 
getauft  und  nehmen  die  namen  Mordrein  und  Nascien  an. 
Josephe  führt  die  seinigen  wunderbar  auf  seinem  ausgebrei- 
teten hemde  über  meer  nach  Grossbritannien.  Die  geschichte 
von  Bron  und  Moses  v\'ird  hier  ebenfalls  erzählt  (doch  wird 
letzterer  hier  durch  die  luft  entführt),  desgleichen  von  Alain, 
welcher  hier  le  riche  pecheur  genannt  wird  (doch  herscht  in 
diesem  punkte,  wie  es  scheint,  Verwirrung;  auch  Mordrein 
kommt  unter  diesem  namen  vor,  wenigstens  in  no.  3).  Nach 
vielen  abenteuern  verbinden  sich  Mordrein  und  Nascien  wider 
mit  ihnen.  Das  land  wird  zum  Christentum  bekehrt,  die  könige 
desselben  vermählen  ihre  töchter  mit  den  fremdlingen,  und  so 
entstehen  die  dynastien  von  Northumberland,  Wales,  Norgales, 
Logres  und  Orcanie,  die  fortgeführt  werden  bis  zur  zeit  des 
Artus.  Eine  reihe  episoden  werden  eingeflochten  und  geben 
dem  roman  eine  ausserordentliche  ausdehuung.  Schliesslich 
ster])en  beide  Joseph  und  werden  in  der  abtei  „de  Glare  eu 
Ecosse"  beerdigt.  Der  Gral  wird  dem  Alain  übergeben,  der 
Schild  dem  Mordrein ;  jener  wird  in  einem  tiefen  walde 
Northumberlands  aufbewahrt,  wo  ihn  ein  reiner  Jüngling, 
Galaad,  der  söhn  des  Lanzelot,  finden  soll,  womit  das  ver- 
bleiben des  Grales  auf  erden  und  zugleich  das  Zeitalter  der 
abenteuer  sein  ende  erreichen  werde. 

Hier  also  sehen  wir  die  legende,  unter  beibehaltung  ihl*er 
grundzüge  und  auch  des  legendenhaften  tones,  doch  factisch 
fil)ergegangen  in  den  abenteuerroman,  und  die  Verbindung  mit 
der  Artussage  vorbereitet,  ein  verlauf,  der  für  jene  Zeiten  einer 
besondern  motivierung  nicht  bedarf. 

3.  La  quete  du  Saint  Gral.  Meistens  in  den  hand- 
schiiften  mit  no.  2  verknüi)ft,  wie  ebenso  in  den  drucken  von 
1516  und  1523.  Herausgcg.  von  Furnivall  für  den  Roxburghe- 
club;  es  ist  mir  aber  nicht  möglich  gewesen,  ein  exemplar 
dieser  ausgäbe   zu  erlangen.     Sodann    hat   dieser   roman   auf- 

21* 


314  ZARNCKE 

nähme  gefunden  in  den  grossen  prosaroman  Lc  grand 
Art  US  ^),  der  von  Thomas  Mah)rY  ins  Englische  übersetzt  und 
1485  durch  Caxton  und  seitdem  öfter  gedruckt  ward ;  neu  heraus- 
gegeben unter  dem  titel:  The  histor}^  of  the  renowned  Prince 
Arthur,  London  18 IG  in  12"  (welche  ausgäbe  ich  benutzt  habe, 
no.  3  macht  in  ihr  buch  III,  c.  29— 104,  d.i.  bd.  II,  s.  20G— 333 
aus),  und  1817  in  4".  Auch  hat  no.  3  eine  Übersetzung  ins  walli- 
sische erhalten,  Y  seint  Graal,  jetzt  herausgeg.  von  Williams, 
London  1874 — 76,  mit  englischer  Übersetzung.  —  Am  Schlüsse 
dieses  romans  wird  gesagt,  Arthur  habe  die  ganze  wunderbare 
geschichte  sofort  durch  seine  gelehrten  niedersclireiben  lassen, 
und  dies  lateinische  werk  sei  sodann  im  archive  zu  Salis])ury 
niedergelegt.  Aus  diesem  habe  es  später  Gautier  Mapes  ent- 
nommen und  für  Heinrich  II  (f  1189)  ins  Französische  über- 
tragen. Gewöhnlich  ist  man  geneigt,  auf  diese  schlussschrift 
hin  und  wegen  der  engen  Zusammengehörigkeit  von  2  und  3 
beide  dem  Walther  Mapes  zuzuschreiben. 2)  Meines  erachtens 
tun  wir  am  besten,  wenn  wir  sowol  von  dieser  autorschaft  wie 
von  der  existenz  des  lateinischen  Werkes  absehen,  auch  beide 
werke  nicht  zusammenwerfen,  die  ja  beide  verschiedene  quellen 
nennen.  Der  Inhalt  ist  dieser.  An  Artus  hof  verbreitet  sich 
das  geriicht,  dass  sich  der  Gral  wider  sehen  lasse  und  nun- 
mehr die  zeit  seiner  erlösuug  da  sei.  Auch  sehen  ihn  die  ritter 
selber  leuchtend  durch  die  halle  schweben.  Man  macht  sich 
nun  auf,  ihn  zu  suchen.  Galaad  erscheint,  nimmt  den  gefähr- 
lichen sitz  ungestraft  ein  und  legitimirt  sich  dadurch  als  der 
für  die  Gralfindung  prädestinierte  reine  Jüngling ;  ihm  wird  der 
Schild  Josephs  gereicht.  Es  folgen  Gaweins,  Parzivals,  Lanze- 
lots und  Galaads  abenteuer  bei  der  suche.  Lanzelot  kommt 
bis  an  die  schwelle  des  Grals,  aber  nur  Galaad  gelingt  es  ihn 
zu  erlangen.  Der  roi  pecheur  stirbt  freudig,  als  er  Galaad 
gesehe  auch  Moses  scheint  durch  ihn  aus  den  flammen  ge- 
rettet zu  werden,  ferner  wird  ein  lahmer  könig  geheilt.     Nicht 


1)  Ein  französischer  druck  vom  jähre  1488  befindet  sich  in  Dresden. 
Alberner  weise  wird  dieser  roman  öfter  citiert  als  Le  morte  Arthur, 
welcher  titel  zwei  anderen  gedichten  zukommt. 

2)  Dieser  ansieht  ist  z,  b.  P.  Paris ,  aber  ich  gestehe,  dass  ich  auch 
den  austührungeu  dieses  verehrten  mannes  gegenüber  meine  bedenken 
nicht  aufgeben  kann. 


GRALSAGE.  315 

alles  ist  ganz  klar.  Christus  taucht  persönlich  aus  dem  kelch 
empor,  erteilt  dann  das  abendmahl.  Der  Gral  soll  nach  Sarras 
zurückgofiihrt  werden.  Dies  geschieht.  Galaad  nimmt  Parzival 
und  Bohors  als  begleiter  mit.  Als  er  stirbt,  sieht  man,  wie 
Speer  und  Gral  gen  himmel  entführt  werden.  Parzival  wird 
einsiedler  und  stirbt  auch  bald  nachlier  in  Palästina.  Bohors 
kehrt  nach  Europa  zurück  und  berichtet  dem  Arthur  und  seinem 
hofe,  worauf  dieser  die  erzählung  niederzuschreiben  befiehlt. 

4.  Hier  wird  nun  Chrestiens  von  Troyes  Conte  du  Gral 
einzureihen  sein.  Stimmten  die  bisherigen  romane  im  ganzen 
überein  (von  dem  überschuss  des  einen  abgesehen),  so  weicht 
die  darstellung  bei  Chrestiens  gerade  in  wesentlichen  momen- 
ten  ab.  Ich  will  versuchen,  die  hauptsächlichsten  zusammen- 
stimmungeu  und  abweichungen  vorzuführen.  Uebereinstimmend 
ist  z.  b.  die  gäbe  des  Grals,  speise  und  trank  zu  gewähren 
(nicht  in  no.  1  hervortretend,  durchaus  aber  in  no.  3),  die  auf- 
])ewahrung  desselben  in  entlegener  w^ldnis,  le  riclie  peeheur, 
der  lahme  könig,  der  durch  das  blut  der  lanze  geheilt  wird^), 
endlich  die  Vorausbestimmung  des  Gralfiuders,  der  ein  nach- 
komme des  Gralhüters  und  zugleich  ein  reiner  Jüngling  sein 
soll.  Ganz  wesentlich  aber  sind  die  abweichungen.  Von 
Joseph  von  Arimathia  ist  bei  Chrestiens  keine  andeutung  zu 
finden,  der  Gralfinder  heisst  nicht  Galaad,  sondern  Parzival, 
auch  sonst  sind  uamen  und  Verhältnisse  der  personen  wesent- 
lich abweichend.  Nicht  mehr  der  Gral  und  sein  aufenthalt  auf 
erden  sowie  das  geheimnis  der  transsubstantiation  sind  der 
eigentliche  mittelpunkt,  sondern  die  Schicksale  jenes  reinen 
Jünglings,  der  ihn  zu  finden  bestimmt  ist.  Das  legendenhafte 
ist  fast  ganz  abgestreift.  Es  fehlt  der  gefährliche  sitz,  der  den 
Gralfinder  zu  erproben  bestimmt  ist,  es  sind  der  lahme  könig 
und  der  riebe  peeheur  identisch,  die  in  no.  3  verschiedene  per- 
sonen zu  sein  schienen.  Besonders  wichtig  ist  der  eintritt  eines 
ganz  neuen  dementes,  die  forderung  einer  frage  von  selten 
des  Jünglings,  die  gcwissermassen  an  die  stelle  des  gefährlichen 
Sitzes  als  zu  leistende  probe   getreten  ist.    Diese  ist  bei  Chre- 


1)  Nach  Schmidt  in  den  Wiener  Jahrbüchern  29,  89  anm.  hat  ihn 
die  lanze  verwundet,  weil  er  eine  Jungfrau  am  altare  mit  wolgefallen 
angeschaut  hatte. 


316  ZARNCKE 

sticiis  eine  einfache  erkimdiguugsfragc,  die  verlangt  zu  werden 
selieint,  um  bei  dem  künftigen  liüter  wenigstens  ausreichendes 
intcresse  für  das  ilnn  anzuvertrauende  gut  zu  bekunden. 

Chrestiens  beruft  sich  auf  ein  buch,  das  ihm  der  graf  von 
Fhindern  (f  1191)  verschafft  hatte.  Enthielt  dies  bereits  jene 
ab  weichungen  ?  Ich  meinerseits  AvQrde  auch  vor  der  annähme 
nicht  zurückschrecken,  dass  Chrestiens  selber  sich  den  stoff 
zurechtgelegt,  dass  er  aus  dem  gedieht  vom  Gral  ein  gedieht 
von  Parzival,  aus  der  legende  einen  ritterroman  gemacht  habe. 
Was  wir  sonst  von  dem  gestaltuugsverraögen  der  französischen 
dichter  jener  zeit  wissen,  lässt  diese  annähme  keineswegs  un- 
glaublich erscheinen. 

Jedesfalls  hat  auch  diese  gestalt  der  sage  ihren  ausgang 
von  der  legende  genommen.  Das  beweist  der  auch  für  sie 
wesentliche  roi  pecheur,  der  nur  in  der  legende  seine  berecli- 
tigung  hat.  Der  fisch  ist  das  symbol  Christi,  er  wird  mit  fug 
und  recht  verwant,  wo  es  gilt,  den  ersten  gottesdienst  für 
Christus  einzuführen  und  die  reinen  von  den  unreinen  zu  son- 
dern; der  diesen  fisch  fangende  bekommt  mit  fug  uud  recht 
den  namen  Je  rlche  peclieur.  So  ist  alles  innerhalb  der  legende 
von  Joseph  von  Arimathia  wol  zusammenhängend,  von  ihr  los- 
gelöst erscheint  der  roi  pecheur  unverständlich  und  fremd. 

5.  Die  fortsetzer  und  iuterpolatoreu  des  Chrestiens. 
Dass  sie  den  Gral  mit  der  legende  von  Joseph  von  Arimathia 
zusammenbringen,  ist  erwähnt  worden. 

6.  Desgleichen  natürlich  die  prosabearbeitung  des 
Chrestiens   und    seiner  fortsetzer,   die    1530  gedruckt  ward. 

7.  La  petite  quete  du  St.  Gral,  aus  einer  handschrift 
vom  jähre  1301  durch  Hucher  a.  a.  o.  s.  415  herausgeg.  Sie 
kennt  den  Joseph  von  Arimathia,  ist  aber  in  der  zweiten  partie 
wesentlich  uacli  Chrestiens  und  seinen  fortselzern  gearbeitet. 
Parzival  ist  hier  söhn  des  Alain. 

8.  Perceval  li  Gallois,  nach  dem  Monser  manuscript 
lierausgeg.  von  Potvin,  Mons  1866;  auch  ins  wallisisclie  übersetzt 
und  von  Williams  (s.  o.)  mit  herausgeg.  Ich  steile  ihn  hierher, 
obwol  Potvin  für  ihn  ein  höheres  alter  beanspruchen,  ja  ihn 
an  den  anfang  der  entwicklung  der  sage  stellen  möchte.  Meines 
erachtens  ist  dies  nicht  zutreffend  uud  namentlich  wird  die 
gestalt,  die  die  fabel  bei  Chrestiens  hat,  hier  als  bekannt  vor- 


GRALSAGE.  317 

ausgesetzt.  Die  frage  ist  aiicli  hier  eine  erkundigungsfrage. 
Der  grundgedanke  des  werkes  ist  die  Verbreitung  des  Christen- 
tums mit  feuer  und  schwert.  Der  Verfasser  beruft  sieh  auf  ein 
lateinisches  buch,  das  Joseph  selbst  auf  die  stimme  eines  engeis 
hin  niedergeschrieben  habe  und  das  in  Glastonbury  {ille  cfAvalon) 
gefunden  worden  sei.  Auch  diese  angäbe  verrät  anlehnung  an 
behauptungen  oben  genannter  romane  i)  und  die  erwähnung 
von  Glastonbury  erhöht  nicht  gerade  das  vertrauen  zu  dem 
alter  dieser  darstellung  (s.  u.  in  III). 

Aus  dem  bisher  entwickelten  dürfen  wir  wol  den  schluss 
ziehen,  dass  der  Gral  seinen  Ursprung  in  der  legende  von 
Joseph  von  Arimathia  hatte  und  dass  die  auf  uns  gekommenen 
französischen  werke  dies  noch  direct  und  indirect  bezeugen; 
dass  Chrestiens  gedieht  die  legende  nicht  erwähnt,  konnte  aus- 
reichend dadurch  erklärt  werden,  dass  sein  werk  unvollendet  ist. 

Nur  ein  französisches  gedieht  würde  den  Gral  nicht  in 
Verbindung  gebracht  haben  mit  der  genannten  legende,  trotz- 
dem dass  es  vollendet  war,  das  wäre  das  nicht  auf  uns  ge- 
kommene französische  gedieht  des  Proven^alen  Kyot  gewesen. 

IL 

Wir  wissen  von  diesem  bekanntlich  nur  durch  Wolfram 
und  den  Verfasser  des  Jüngern  Titurel,  die  es  als  ihre  quelle 
nennen.  Freilich  die  unzuverlässigkeit  dieser  angäbe  bei  letz- 
lerem tritt  klar  hervor;  denn  schliesslich  weiss  der  jüngere 
Titurel  wirklich  von  Joseph  von  Arimathia  und  von  der  abend- 
mahlsschüssel,  wovon  Wolfram  keine  ahnung  hat,  wovon  also 
selbstverständlich  auch  Kyot  nicht  erzählt  haben  kann. 

Nehmen  wir  die  angal)en  Wolframs  als  correct  an  und 
verbinden  wir  sie  mit  dem,  Avas  wir  über  das  Verhältnis  seines 
Werkes  zu  dem  des  Chrestiens  wissen,  so  muss  das  gedieht 
des  Kyot  eine  Umarbeitung,  fortsetzung  und  ergänzung  des  un- 
vollendet geljliebenen  werkes  des  Chrestiens  gewesen  sein. 
Denn  Kyot  als  älter  anzunehmen  und  Chrestiens  von  ihm  in 
seiner   darstellung   mit   Überlegung   abweichen    zu   lassen,    ist 


')  Meines   cniclitcns   fallen  die  drei  von  den  romauen  no.  2,  no.  3 
lind  uo.  s  behaupteten  lateinischen  vorlagen  mit  einander. 


318  ZARNCKE 

nicht  glaublich,  da  Wolfram  827,  1  ausdrücklich  sagt:  Oh  von 
Troys  mcister  Christjän  disem  nucrc  hat  unrehte  gclän,  daz  mac 
7vol  zürnen  Kyot ,  er  also  andeutet,  dass  sich  Kyot  über  Chre- 
stiens  tadelnd  aufgehalten  habe.  Auch  würden  Avir  bei  dieser 
auifassung  für  Chrestiens  ein  bild  so  untergeordneter  dichteri- 
scher tätigkeit  gewinnen,  dass  es  absolut  nicht  passen  würde 
für  den  anerkannten  meister  der  französischen  höfischen  poesie 
am  ende  des  12.  jahrh.  Völlig  unglaublich  auch  erscheint 
es,  dass  Chrestiens  alle  die  züge,  namen  u.  s.  w.,  die  Kyot  über 
ihn  hinaus  gehabt  haben  müste,  sollte  aufgegeben  haben. i)  Es 
muss  also  Kyot  als  ergänzer  und  fortsetzer  Chrestiens  aufge- 
fasst  werden,  und  so  würden  ihm  zuzuweisen  sein  die  Vorge- 
schichte von  Gahmuret,  der  schluss,  die  Umwandlung  der  frage 
aus  einer  erkundigungsfrage  in  eine  frage  teilnehmenden  mit- 
gefühls,  eine  unzahl  eigennamen  und  mannigfache  specialisie- 
rungen  der  haudluug,  die  figur  des  Klinsor,  die  anknüpfung 
des  Lohengrin  und  die  herbeiziehung  des  priester  Johannes 
u.  s.  w.  Gar  wol  für  einen  Provencalen  passen  würde  die  ein- 
führung  der  Talfine  von  Graswaldane. 

Das  ist  allerdings  des  eigentümlichen  so  viel,  dass  man 
nicht  leugnen  kann,  räum  wäre  für  die  annähme  einer  von 
Chrestiens  abweichenden  und  ihn  ergänzenden  quelle  aus- 
reichend vorhanden.    Aber  es  treten  doch  auch  bedenken  ein. 

Das  nächste  und  bedeutendste  ergibt  sich  aus  dem  bisher 
entwickelten.  Ist  es  denkbar,  dass  innerhalb  Frankreichs  ein 
dichter  die  Gralsage  habe  definitiv  darstellen  können,  ohne  sie 
mit  der  legende  von  Joseph  von  Arimathia  in  Verbindung  zu 
halten?  Ich  meine  nach  dem  oben  ausgeführten,  dass  es  nicht 
denkbar  ist.    Und  au  dies  hauptbedenken  lehnen  sich  andere. 


')  Wenig  klar  erscheint  mir  die  annähme ,  die  auch  wol  aufgestellt 
worden  ist,  dass  Wolfram  neben  dem  von  ihm  benutzten  Chrestiens 
das  werk  des  Kyot  herbeigezogen  habe.  Jedesfalls  muss  man  dann  die 
zxiverlässigkeit  der  angaben  Wolframs  fahren  lassen,  da  dieser  den  Chre- 
stiens als  seine  quelle  ausdrücklich  nicht  nennt.  Aber  abgesehen  da- 
von, wie  soll  dann  das  werk  des  Kyot  ausgesehen  haben?  Entnahm  aus 
ihm  Wolfram  z.  b.  nur  seine  eigennamen  und  die  von  Chrestiens  ab- 
weichenden züge  seiner  handlung,  so  muste  immer  das  werk  des  Kyot 
sich  zug  für  zug  an  die  erzählung  des  Chrestiens  anschliessen,  und  es 
wird  die  annähme  einer  mitbenutzung  des  Chrestiensschen  Werkes 
überflüssig. 


GRALSAGE.  319 

Bei  lichte  besehen  ist  es  doch  eine  wunderliche  geschichte, 
die  uns  "Wolfram  Yon  den  quellen  seines  werkes  vorträgt.  In 
Toledo,  dem  typischen  orte  der  geheimwissenschaften^),  findet 
Kyot  in  einem  arabisch  geschriebenen  1)uche  etwas  über  den 
Gral,  d.  h.  er  hört,  dass  in  jenem  buche  etwas  davon  stehe, 
denn  um  den  Inhalt  kennen  zu  lernen,  muss  er  nun  erst  ara- 
bisch lernen.  Beim  Verständnis  kommt  ihm  sein  Christentum 
zu  hülfe;  das  ist  eigentlich  wunderlich,  da  doch  ein  beide  das 
l)uch  geschrieben  hatte.  Was  kann  nun  jenes  buch  an  so  be- 
deutendem Inhalt  geboten  haben,  dass  es  sich  Aerlohnte,  um 
seinetwillen  eine  fremde  spräche  zu  lernen?  Vergebens  sehen 
wir  uns  im  Parzival  danach  um.  Es  beschränkt  sich  eigent- 
lich alles  darauf:  er  jach  ez  hiez  ein  dlnc  der  gräl  454,  21: 
(laz  ?vas  ein  dlnc,  daz  hiez  der  grdl  235,  23.  Denn  von  der 
Gralfamilie  kann  in  jenem  buche  nichts  gestanden  haben,  und 
auch  die  mitteilung,  dass  die  neutralen  engel  den  Gral  getra- 
gen hätten,  wird  schwerlich  in  dem  heidnischen  buche  zu  lesen 
gewesen  sein ;  zum  Überflusse  nimmt  Wolfram  diese  behauptung 
auch  später  direct  zurück.^)  Gewis  war  auch  von  der  taube, 
die  alle  charfreitage  eine  oblate  bringt,  nichts  bei  dem  beiden 
zu  finden.  —  Nun  macht  sich  Kyot  daran,  in  Chroniken  nach 
dem  geschlechte  zu  suchen,  das  jenen  Gral  behütet  habe.  In 
der  tat  ein  vertrauensseliges  beginnen.  Er  studiert  die  Chroni- 
ken der  verschiedensten  Völker;  in  einer  chronik  von  Anjou 
ist  er  so  glücklich  was  er  wünscht  zu  finden.  Das  nennen  wir 
allerdings  glück  haben;  auffallend  nur,  dass  auch  die  ge- 
naueste spätere  nachforschung  nicht  eine  spur  einer  solchen 
chronik  nachzuweisen  im  stände  gewesen  ist.  Wir  stossen  bei 
Kyot  eben  auf  lauter  Verluste:  das  buch  des  Flegetanis,  die 
chronik  von  Anjou,  das  werk  des  Kyot,  der  dichter  selbst! 

Das  alles  ist  möglich,  aber  auch  wahrscheinlich? 

Und  nun  macht  sich  der  Proveneale  an  die  arbeit  und 
schreibt  —  nordfranzösisch.  Auch  das  mag  ja  nicht  unglaub- 
lich sein.     Auch  dass  die  erzählung   eine  gestalt  gewann,    die 


*)  Quaerunt  clerici  Parisii  aries,  Aureliani  auctores ,  Bononiae  co 
die  es ,  Salcrni  pijxides ,  Toleti  daemones ,  der  mönch  von  Froidmont  bei 
Tissier,  Biblioth.  Cisterciensis  7,  257. 

-)  Paiz.  79S,  II — 22,  die  in  den  Zusammenhang  an  unrechter  stelle 
hineingeraten  7A\  sein  scheinen. 


320  ZARNCKE 

von  der  in  Frankreich  sonst  bekannten  nnd  verbreiteten  durchaus 
abwich,  dass  er  Joseph  v.  Ar.  ganz  perhorrescierte ,  obwol  er 
doch  ziige,  die  zu  ihm  wesentlich  gehörten,  mit  aufnahm;  es 
ist  mir  zwar  undenkbar,  aber  unmöglich  mag  ja  auch  das 
nicht  sein.  Aber  auffallend  ist  es  doch,  dass  seine  Studien 
in  allem  tatsächlichen  ihm  genau  dieselbe  geschichte  eintrugen, 
die  Chrestiens  bereits  vorgetragen  hatte.  Denn  vom  dritten 
bis  ins  dreizehnte  buch  stimmt  ja  alles  tatsächliche  bei  Wolf- 
ram mit  Chrestiens.  Und  wie  haben  wir  uns  nun  die  Verbrei- 
tung seines  werkes  zu  denken?  Unleugbar  übertraf  die  von 
Kyot  gelieferte  ergänzung  des  Chrestiens  weitaus  die  ergän- 
zungen  der  auf  uns  gekommenen  fortsetzer.  Dennoch  hat  sich 
von  jener  in  Frankreich  keine  spur  erhalten,  keine  handschrift 
—  das  kann  ein  zufall  sein  — ,  aber  auch  keine  andeutung,  keine 
einwirkung.  Von  allem,  was  Wolframs  werk  über  Chrestiens 
hinaus  hat,  von  der  Vorgeschichte  des  Grals,  von  Titurel,  Fri- 
mutel,  Aufortas,  von  Gahmuret,  von  den  Talfinen  von  Graswal- 
dane u.  s.  w.,  von  dem  allen  findet  sich  in  der  provengalischeu 
und  französischen  literatur  auch  nicht  eine  andeutung.  Wir 
müssen  nicht  nur  annehmen,  dass  das  alles  geheimste  kenutnis 
oder  eigenste  erfindung  Kyots  gewesen  sei,  sondern  wir 
müssen  auch  annehmen,  dass  sein  werk  in  Frankreich  völlig 
unbekannt  geblieben  ist.  Gleich  die  erste  reinschrift  muss  von 
einem  Deutschen  aufgekauft  und  über  die  französiche  grenze 
gebracht  sein.  Hier  benutzte  sie  Wolfram,  andere  nicht;  nur 
der  fortsetzer  Wolframs  hatte  50  jähre  nach  dessen  tode  das 
glück,  dies  exemplar  für  sein  werk  verwenden  zu  können.  Das 
war  unter  den  obwaltenden  umständen  ein  glück,  das  sich  mit 
dem  glücklichen  auffinden  der  chronik  von  Anjou  durch  Kyot 
vergleicht. 

Möglich  ist  das  alles,  aber  auch  wahrscheinlich? 

Sollten  wir  nicht  wenigstens  bei  so  bewanter  Sachlage  die 
frage  in  Überlegung  ziehen  dürfen,  ob  nicht  vielleicht  AVolfram, 
dem  das  werk  des  Chrestiens  unvollendet  zukam,  selber  in  der 
notlage,  in  der  er  sich  befand,  das  hinzugetan  habe,  was  bei 
ihm  über  Chrestiens  hinausgeht  ?  Nur  schüchtern  stelle  ich  diese 
frage,  auch  höre  ich  bereits  ein  entschiedenes  Nein!  mir  ent- 
gegentönen. 

Nein?   und    warum   Nein,   ehe  noch  weiter   überlegt  ist? 


GRALSAGE.  321 

Weil  Lachmanu  gesagt  hat,  dass  der  mittelalterliche  dichter 
niemals  erfunden,  sondern  stets  nur  dargestellt  habe.  Die  sage 
entstehe,  wachse  und  treibe  ihr  geheimnisvolles  wesen  für  sich; 
dem  dichter,  dem  Verfasser  einer  einzelnen  poetischen  erzählung 
gehöre  von  der  fabel  nichts  wesentliches  eigentümlich  an.i) 
Dieses  dictum  Lachmanns  gilt  im  bereiche  der  schule  noch 
heute  unbedingt,  MüUenhoff  z.  b.  behauptet,  im  Nibelungenliede 
sei  jeder  hieb,  jede  wunde,  jedj  bewegung  durch  die  sage  ge- 
geben gewesen,  nichts  falle  dem  dichter  zu 2),  und  Haupt  er- 
klärt es  für  ganz  unerLaubt,  bei  Wolfram  auch  nur  die  ge- 
ringste abweichuug  von  Kyot  zuzugeben,  selbst  die  ganz  locale 
anspielung  auf  die  Gandiue  bei  Pettau  und  den  Eohitscher 
berg  soll  bei  Kyot  gestanden  haben.  3)  Wie  das  freilich  mit 
den  Tollensteiner  kaufweibern  und  der  markgräfin  auf  dem 
Heitstein  zu  reimen  sei,  vermag  ich  nicht  einzusehen,  die  paar 
meilen  entfernung  verschlagen  hier  doch  wahrlich  nichts. 
Lachmann  selber  sprach  jenen  sehr  anfechtbaren  und  nicht 
ganz  logischen  satz  gar  nicht  so  allgemein  aus,  sondern 
verstand  ihn  'besonders  von  der  volksmässigen  poesie'.  Er 
ist  auch  auf  diese  nicht  ganz  zutreffend  und  beruht  auf  einer 
unklaren  Vorstellung,  die  man  sich  von  dem  'selbständigen' 
leben  der  sage  entworfen  hatte,  die  doch  nur  durch  menschen 
fortleben  kann.  Die  consequenz  jenes  ausspruches,  ein- 
seitig gefasst,  ist,  dass  alle  geniale  und  zweckmässige  erfin- 
duug,  an  der  die  poesie  des  mittelalters  doch  wahrlich  reich 
ist,  dem  unbewusten  triebe  unkla,rer  widererzählung  zugewiesen 
wird,  niemals  der  zweckmässigen  erfmdung  der  dichter  selbst. 
Diese  standen  an  bänden  und  fassen  gefesselt  da.  Wie  man 
hiernach  gedichte  wie  den  Biterolf,  wie  die  mannigfaltigen  dar- 
stellungen  der  kämpfe  im  rosengarten  u.  s.  w.  erklären  will, 
verstehe  ich  nicht.  In  Wirklichkeit  wird  beides  stattgefunden 
haben,  sowol  die  unbewuste  änderung  bei  schwindender  er- 
inner ung  und  wechselnder  auffassung,  wie  die  zweckgemässe 
neugestaltung  unter  den  bänden  begabter  dichter,  und  meines 
erachtens  werden  wir  gut  tun,  wenn  wir  die  uns  künstlich  an- 


0  Uebei-  das  llildebrandslicd  s.  1. 

-)  Kudrun  s.  12o. 

3)  Zeitschr.  f.  d.  alt.  11,  48. 


322  ZARNCKE 

geleg'tcn  spanisclien  sticfcl  wider  aufziehen,  wenn  wir  auf- 
hören, unsere  mittelalterlichen  dichter  grundsätzlich  zu  kastrieren, 
und  uns  das  recht  wahren,  von  fall  zu  fall  zu  entscheiden. 

Von  diesem  rechte  mache  ich  im  vorliegenden  falle 
gehrauch. 

Allgemein  wird  Wolfram  für  einen  der  tiefsten  und 
eigentümlichsten  dichter  des  mittelalters  erklärt;  auch  wer 
seinen  anschluss  an  Kyot  noch  so  enge  annimmt,  weiss  seine 
hervorragenden  eigenschaften  zu  rühmen.  In  der  tat  zeugen 
auch  seine  nur  beiläufigen  hemerkungen  und  Schilderungen 
von  so  gedankenvoller  combination,  von  so  viel  Überlegung, 
von  so  scharfer  beobachtung,  dass  man  das  bild  eines  ebenso 
kühneu  wie  tief  denkenden  und  scharf  blickenden  geistes  em- 
pfängt, der  nirgends  naiv  darauf  los  tappt,  sondern  überall 
reflectiert  und  berechnet.  So  oft  man  auch  den  Parzival  ge- 
lesen haben  mag,  man  wird  ihn  nie  widerum  in  die  band 
nehmen,  ohne  neue  beobachtungen  zu  machen,  ohne  beziehungen 
kennen  zu  lernen,  über  die  man  früher  hinweg  gelesen  hatte. 
Ich  meine,  gerade  ein  geist  wie  der  Wolframs  war  ganz  dazu 
angetan,  das  unvollendet  überkommene  werk  des  Chrestiens 
in  solcher  weise  auszuführen,  zu  ergänzen  und  combinierend 
umzugestalten,  wie  es  in  unserm  Parzival  vorliegt.  Wo  finden 
wir  einen  dichter,  dem  wir  die  anfügung  der  schwanrittersage, 
die  auf  tiefer  combination  beruht  (vgl.  Parz,  818,  24  fg.),  lieber 
zutrauen  möchten,  als  Wolfram?  Nicht  anders  steht  es  mit 
der  herbeiziehung  des  priester  Johannes,  der  besonders  in 
Deutschland  die  köpfe  beschäftigte  und  ja  im  Jüngern  Titurel 
noch  tiefer  mit  der  erzählung  vom  Gral  zusammengewachsen 
ist;  nicht  anders  mit  Klinsor;  nicht  anders,  wenn  wir  die  er- 
kundigungsfrage  nach  der  bedeutung  der  reliquien  umgewan- 
delt sehen  in  eine  teilnehmende  frage  nach  dem  leiden  des 
kranken.  Und  die  einführung  der  masse  von  eigennamen  und 
Ortsnamen,  wem  steht  sie  besser  an  als  einem  dichter,  der  uns 
überall  sein  bestreben  zeigt,  seine  bilder  bis  ins  einzelnste  in 
den  schärfsten  umrissen  zu  gestalten?  Auch  wissen  wir  ja, 
dass  sich  Wolfram  ganz  freie  abweichungen  von  seinen  quellen 
erlaubt  hat.  Das  ganze  achte  buch  des  Willehalm  ist  seine 
eigene  freie  erfindung.  Warum  soll  ihm  da  nicht  auch  die 
Vorgeschichte    zum    Parzival    zugetraut   werden?    Ich    scheue 


GRALSAGE.  323 

nicht  melir  den  Svolfeilen  und  haltungslosen  einfall',  dass  von 
den  deutschen  namen  in  der  Vorgeschichte  in  einer  vorläge 
Wolframs  nichts  gestanden  habe. 

Auch  die  einfiihrung  der  Talfine  von  Graswaldane  kann 
nicht  gegen  Wolfram  zeugen.  Dass  sie  einem  proven^alischen 
dichter  besonders  nahe  gelegen  haben  würde,  ist  nicht  zu 
leugnen.  Aber  so  fem  lag  sie  auch  Wolfram  nicht.  Man  hat 
sich  neuerdings  ganz  entwöhnt,  sich  daran  zu  erinnern,  dass 
das  östliche  Rhonegebiet  damals  ein  glied  des  deutschen  reichs 
war,  dass  die  kaiser  im  12.  Jahrhundert  mehrfach  in  der  Pro- 
vence und  in  Burgund  sich  auf  längere  zeit  aufgehalten  haben, 
dass  eine  burgundische  prinzessin  lange  den  deutschen  kaiser- 
thron teilte.  Selbst  die  kenntnis  der  proveucalischen  spräche 
werden  wir  von  den  deutschen  höfen  nicht  ganz  ausgeschlossen 
zu  denken  haben.  Wenn  auch  die  nordfranzösische  spräche 
in  Deutschland  natürlich  die  geläufigere  wird  gewesen  sein, 
einige  kenntnis  auch  der  abweichenden  südfranzösischen  formen 
werden  wir  immerhin  als  verbreitet  annehmen  dürfen.  So  be- 
irrt es  mich  auch  nicht  in  meiner  annähme,  wenn  sich  in 
einigen  beuennungen,  namentlich  eigennamen,  die  Wolframs 
erfindung  zufallen  würden,  provengalische  anklänge  finden.^) 
Ja  es  würde  Wolfram  ganz  angemessen  erscheinen,  wenn  er 
sie  gesucht  hätte.  Fast  scheint  es ,  als  haben  ihn  jene  gegen- 
den  Frankreichs  auch  sonst  beschäftigt.  Auf  sie  muss  ich  z.  b. 
beziehen,  was  er  im  Parzival  4,  29  von  dem  gelten  französi- 
schen rechts  auch  auf  deutschem  boden  sagt.  Man  vergleiche 
Ottos  von  Freising  Gesta  Friderici  II,  29,  wo  es  von  jenen 
gebieten  heisst:  Mos  in  iUa,  qui  paene  in  omnihus  Galliae  pro- 
vinciis  servaiur ,  remansit,  quod  semper  seniori  fratri  eiusque 
liberis,  seu  marihus  seu  foeminis,  paternae  hereditaüs  cedat  aucto- 
riias,  caeteris  ad  illum  ianqiiam  ad  dominum  respicientibus. 

Auch  die  localisierung  des  Gahmuret  und  Parzival  in  Anjou 
verliert  das  auffallende,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  damals 
die  familie  Anjou  auf  dem  englischen  throne  sass,  und  dass  sie 
eng  verwant  war  mit  dem  mächtigen  geschlechte  der  Weifen 


0  Vgl.  den  lehrreichen  aufsatz  von  Bartsch  in  den  germanistischen 
Studien  II,  114  fg.,  der  freilich  in  betroff  seines  letzten  zieles  mich  durch- 
aus nicht  überzeugt  hat. 


324  ZARNCKE 

in  Novddcutschland,  das  seinen  gewichtigen  einfliiss  höchst 
dcntlicli  his  nacli  Thüringen  hinein  und  weiter  erstreckte. 

Aufs  beste  endlich  würde  sich  durch  meine  annähme  er- 
klären, dass  Wolfram  vom  Gral  selber  so  wenig  weiss,  und 
sich,  wie  verlegen,  mit  allgemeinheiten  al)zufinden  suchen  muss. 

Aber,  Wolfram  sollte  uns,  seinen  treuen  lesern,  mit  so 
scheinbar  ehrlicher  raiene  ein  so  schnöde  ausgesonnenes  mär- 
chen  aufgebunden  haben?  Ich  verkenne  das  schwerwiegende 
dieses  einwurfes  nicht.  Aber  wir  dürfen  dabei  die  eine  seite 
in  Wolframs  poetischem  Charakter  nicht  ausser  acht  lassen,  die, 
dass  er  es  so  gerne  liebt,  den  schalk  hervorzukehren.  Er  hatte 
es  besonders  abgesehen  auf  das  grosstun  mit  gelehrsamkeit; 
höchst  anmutig  fertigt  er  Hartmann  ab,  er  selber  geberdet  sich, 
als  habe  er  keine  grössere  angst  als  die,  man  möge  sein  werk, 
das  doch  einen  respectabeln  umfang  besitzt,  für  ein  'buch' 
halten.  Konnte  er  nicht  auch  im  stillen  seinen  spass  an  der 
schwäche  seiner  Zeitgenossen  gehabt  haben,  sich  auf  quellen  zu 
berufen  (meist,  wo  eine  berufung  am  wenigsten  angebracht  war) 
und  quellenangabe  zu  verlangen  ?  Konnte  ihn  nicht  der  schalk 
gestachelt  haben,  je  mehr  er  grossenteils  ganz  ohne  quelle  ar- 
beiten muste,  ein  um  so  künstlicheres  gebäude  von  quellen 
zusammenzustellen  ?  Und  sollte  er  nicht  vielleicht  den  kennorn 
des  unvollendeten  Chrestiensschen  werkes  gegenüber  eines 
Schildes  bedurft  haben?  Fast  scheint  es  so,  denn  warum 
sonst  die  undankbare  ausdrückliche  Zurückweisung  des  Chre- 
stiens?  Beugte  er  dem  vorwürfe  freier  selbständiger  erfindung, 
der  bei  der  unfertigkeit  des  Chrestiensschen  werkes  doppelt 
nahe  lag,  nicht  vor,  so  konnte  vielleicht  sein  werk  discreditiert 
werden,  denn  die  ritterlichen  kreise  waren  wol  geneigt,  diesem 
aus  der  ferne  hergebrachten  und  mit  grossem  nimbus  umklei- 
deten stofi",  der  dem  rittertum  eine  neue  religiöse  färbung  zu 
geben  schien,  eine  gewisse  massgebende,  über  das  bloss  poeti- 
sche Interesse  hinausgehende  bedeutung  beizulegen. 

Es  ist  nicht  meine  meinung,  mit  diesen,  absichtlich  nur 
kurz  skizzierten  bemerkungen  eine  so  wichtige  und  eingreifende 
frage  abgetan  zu  haben.  Sie  sollen  nur  plänkelnd  die  dis- 
cussion  eröffnen.  In  nebensacheu  werden  kleine  berichtigungen 
nicht  ausbleiben,  denn  ich  habe  hie  und  da  durch  trübe  brille 
sehen   müssen,     in   allem  wichtigen    hoöe  ich  das  tatsächliche 


GRALSAGE.  325 

g'cnau  widergegeben  und  erwogen  zu  haben.  Eines  tut  uns 
vor  allem  not  und  icb  denke,  diesem  bedüvfnis  wird  bald  ent- 
sprochen werden:  eine  genaue  Zusammenstellung-  der  verschie- 
denen darstellungen ,  die  die  Gralsage  in  den  gedichten  des 
mittelalters  gefunden  hat.  Nur  und  allein  aus  ihr  wird  noch 
ein  riickschluss  auf  die  vorgeschickte  der  Gralsage  gewonnen 
werden  können. 

III. 

Es  ist  oben  gesagt  worden,  dass  zwischen  der  Vindicta 
Salvatoris  und  den  französischen  romanen  ein  mittelglicd  nicht 
nachweisbar  sei.  Das  ist  auch,  soweit  es  den  Gral  selber  be- 
trifft, unanfechtbar.  Was  aber  seineu  träger  angeht,  den 
Joseph  von  Arimathia,  so  glaubte  man  bisher  ein  datierbares 
mittelglied  zu  besitzen,  das  schon  vor  den  französischen 
romanen  seine  Übersiedelung  nach  England  bekundete. 

Es  ist  dies  die  bekannte  stelle  in  dem  buche  des  Wil- 
helm von  Malmesbury  De  antiquitate  ecclesiae  Glastonieusis, 
auf  die  schon  öfter,  namentlich  aber  von  R.  Wülckeri)  auf- 
merksam gemacht  ist. 

Jene  erwühnung  durfte  als  ein  wichtiger  fingerzeig  für  die 
fortentwicklung  der  sage,  ja  vielleicht  sogar  als  ein  nicht  un- 
wesentlicher anstoss  zu  dieser  fortentwicklung  angesehen 
werden. 

Wilhelm  von  Malmesbury,  ein  Zeitgenosse  des  Gottfried 
von  Monmouth,  hatte  sich  durch  bedeutende  werke  zur  eng- 
lischen geschichte,  wie:  De  gestis  poutificum  Anglorum,  De  rebus 
gestis  regum  Anglorum  u.  a.  bei  seinen  Zeitgenossen  einen  her- 
vorragenden namen  als  historiker  seines  landes  geschaften  und 
auch  die  neuere  historische  kritik  hat  seine  hohe  bedeutung 
als  zuverlässiger  und  gründlicher  geschichtsschreiber  vollauf 
anerkannt.  Im  auftrage  des  abtes  von  Glastonbury  schrieb  er 
dann,  etwa  ums  jähr  1135,  sein  werk:  De  antiquitate  ecclesiae 
Glastonieusis,  und  hier  ist  es,  als  ob  ihn  sein  genius  ganz  ver- 
lassen habe.  Statt  nüchterner  Überlegung  finden  wir  hier  eine 
häufung  wunderbarer,   durch  nichts  begründeter  behauptungeu, 

')  Das  evangelium  Nicodeiiii  iu  der  abendländischen  literatur  (1S72) 
seife  74. 


326  ZARNCKE 

die  ev  selber  in  seinen  früheren  werken  versclimälit  hatte, 
tiuden  berufung-  auf  Urkunden,  die  sein  kritischer  sinn  yevvis 
nicht  als  vertrauen  ^  erdienend  anerkannte  u  s.  w.  Wir  können 
den  mann  kaum  wider  erkennen. 

Der  gTund  ergibt  sich:  er  schrieb  sein  werk  auf  bestellung 
eines  grossen  des  reiches  und  dieser  bestellcr  hatte  politische 
zwecke  im  äuge;  diesen  muste  der  Schriftsteller  wol  oder 
übel  dienen.  Es  verlohnt  sich,  einen  blick  auf  jene  zwecke, 
und  wie  das  werk  ihnen  zu  entsprechen  suchte,  zu  werfen. 

Zwei  momente  begannen  im  anfange  des  12.  Jahrhunderts 
die  politik  der  normannischen  herscher  in  England  zu  be- 
stimmen. Einmal  der  wünsch,  fühlung  zu  gewinnen  mit  den 
resten  der  keltischen  bevölkerung  in  England,  um  mit  dieser 
gemeinsame  sache  gegenüber  der  angelsächsischen  nationalität 
zu  machen,  und  dann,  zur  erhöhuug  des  königlichen  ansehens 
die  englische  kirche  von  ßom  unabhängig  zu  stellen.  Dies 
letztere  bestreben  muste  wesentlich  unterstützt  werden,  wenn 
man  für  England  das  Vorhandensein  einer  apostolischen  kirche 
nachweisen  konnte. 

Zu  letzterem  zwecke  scheint  man  das  kloster  Glastonbury 
ausersehen  zu  haben.  Ob  dieser  ort  vielleicht  eine  alte  kel- 
tische cultusstätte  gewesen  ist,  mag  dahingestellt  bleiben.  Ein 
beweis  dafür  lässt  sich  nicht  beibringen,  unmöglich  ist  es  nicht, 
lieber  dieses  kloster  wurde  im  jähre  1126  Heinrich  graf  von 
Blois  zum  abt  ernannt.  Er  war  ein  nefife  des  regierenden 
königs  Heinrich  I  (1100  — 1135),  ein  bruder  des  nachfolgers 
desselben,  Stephan  (1135  — 1154).  Im  jähre  1129  ward  er 
bischof  von  Winchester,  aber  er  gab  darum  die  abtei  nicht 
auf,  die  also  fortan  einen  bischof  und  ein  glied  der  königlichen 
familie  zum  abt  hatte.  Grosse  Privilegien,  die  ihr  erteilt  wur- 
den, Hessen  die  fruchte  der  vornehmen  protection  deutlich  her- 
vortreteu.i)  Um  die  zeit,  als  der  bruder  desselben.  Stephau, 
zur  regierung  gelangte,  scheint  Wilhelm  von  Malmesbury  den 
auftrag  zur  abfassuug  des  obengenannten  buches  erhalten  zu 
haben.    Der  bischof- abt   versah  ihn   mit   soi  disant  Urkunden 


»)  Vgl.  Dugdale,  Moiiasticou  Aiiglicanum ,  London  1S46,  bd.  I,  eine 
freilich  ziemlich  unkritische  arbeit,  doch  das  einschlägliche  material 
bietend. 


GRALS  AG  E.  327 

und  der  geschiclitssclireiber  machte  sich  ans  werk.  Das  fertige 
buch  widmete  er  dem  bestellenden  gönner'),  der  erwartung 
directen  ausdruck  gebend,  dass  er  nun  auch  den  lohn  für  seine 
arbeit  einheimsen  werde.^) 

Das  gewünschte  hat  er  in  vollem  masse  zu  leisten  ge- 
sucht, historische  methode  immerhin  auch  dabei  noch  verratend. 
Zunächst  die  gewinnung  einer  apostolischen  kirche.  Aus  Fre- 
culfs  chronik^^,  geschrieben  gegen  830,  kannte  er  die  angäbe 
(II,  2.  4,  vgl.  ßibl.  P.P.  Lug-dunens.  14,  1151):  Philippus  (der 
apostel  ist  gemeint)  hie  Gallis  praedicat  Christum  harharasque 
gentes  vicinasque  tenehris  et  iumenti  oceano  coniunctas  ad  scien- 
tiae  lucem  fideique  portum  deducit.  Den  letztem,  allgemein  ge- 
halteneu ausdruck  übertrug  er  mit  einigem  schein  auf  England 
und  Hess  nun  den  apostel  Philippus  seine  schüler  nach  Eng- 
land senden.  Bis  dahin  hatte  man  von  einem  solchen  ereig- 
nisse  nichts  gewust;  weder  die  Acta  Philipp!  (vgl.  bei  Tischen- 
dorf) noch  des  Aldhelm  (f  709)  Toema  de  avis  Mariae  et 
XII  apostolis'  hatten  davon  erzählt.  Gildas  sagt  nur,  schon 
vor  Diocletian  seien  viele  Briten  Christen  geworden,  Beda  und 
ihm  nach  Nennius  verlegen  die  einführung  des  Christentums  in 
die  mitte  des  2.  Jahrhunderts  und  lassen  den  könig  Lucius  den 
papst    Eleutherius    um    missionäre     angehen.      Gottfried    von 


')  Bei  Gale,  Historiae  Britann.  Script.  I,  291  ist  für  Henrico  Linco- 
tiiensi  episcopo  natürlich  zu  lesen   Vintomensi. 

2)  Accipite,  quaero ,  devotionis  meae  mimus ,  sedulitatis  pignus ,  et 
agite,  ne  fructu  tahoris  excidam.  Ädestote  igitur,  si  om/wio  jjlacet, 
et  attendite,  dum  per  successionum  seriem  antiquitatem  ecclesiae  tentabo 
susjncionibus  eruere ,  quantum  ex  strue  moidmentoi'um  vestroruin  potui 
corradere,  bei  Galel,  292.  Die  gesperrt  gedruckten  worte  möchten  fast 
die  Vermutung  erregen,  dass  der  bischot  im  auftrage  eines  andern,  etwa 
des  königs  (Heinrich  I  oder  Stephan?),  das  werk  bestellt  habe.  —  Bei 
neuern  englischen  Schriftstellern  finde  ich  angegeben,  dass  Wilhelm 
ßibliothecarius  in  Glastonbury  gewesen  sei,  ich  weiss  nicht,  ob  mit  recht. 

3)  Freculf  selber  hat  die  stelle  entlehnt  aus  Isidor,  de  ortu  et  obitu 
patrum,  wo  sie  in  cap.  LXXIII  steht:  Philippus  a  Bethsaidu  civitate, 
unde  et  Petrus,  Gallis  u.  s.  w.  Es  ist  recht  auffallend,  dass  Wilhelm 
dieses  werk  des  Isidor  nicht  gekannt  zu  haben  scheint.  —  Wider  zu  der 
angäbe  des  Isidor  scheint  Usser  in  den  Britannicarum  ecclesiarum  anti- 
quitates  (Dublin  1G;j10  s.  15  die  quelle  zu  kennen.  Er  nennt  als  solche: 
in  Hieronymiano  Martyrotogio  ms.  {ex  quo  pleraque  omnia  in  librum 
smim  de  patribus  N.  Teslamenti  transscripsit  Isidorus)  habetur  u.  s.  w. 

Beiträge  zur  gescliiclite  der  deutsclien  spräche.    III.  22 


328  ZARNCKE 

Monmouth  weiss  das  mit  seiner  regen  pliantasie  ins  einzelne 
auszumalen,  er  kennt  auch  die  nameu  der  missionäre :  Faganus 
und  Duvianus  (Damianus,  Deruvianus,  die  handschriften  Gott- 
frieds und  spätere  erwälmungen  schwanken  sehr  bei  diesem 
nameu).  Gottfrieds  werk  war  damals  eben  erschienen,  seine 
angaben  hatte  Wilhelm  keinen  grund  zu  verleugnen. 

So  coustruiert  er  denn  die  folgende  geschichte:  Sanctus 
Philippiis  .  .  .  volens  verhum  Christi  dilatari ,  duodecim  ex  disci- 
pulis  elegit,  ad  praedicandam  incaniaüonem  Jesu  Christi  et 
super  singulos  inanum  dextram  devotissime  extendit  et  ad  evangeli- 
zandum  verhum  vitae  misit  in  Britamiiam  u.  s.  w.  In  Glastou- 
bury  fassen  sie  festen  fuss  im  jähre  63  nach  Christi  geburt 
und  gründen  eine  kapeile  der  Maria.  Aber  bald  gerät  hier 
das  Christentum  wider  in  verfall  und  an  der  stelle  der  kirche 
entsteht  eine  wildnis.  Da  kommen  um  166  Phaganus  und 
Deruvianus,  dringen  auch  in  jene  wildnis  ein,  finden  noch  die 
reste  der  kapelle  und  auch,  damit  gar  kein  zweifei  übrig  blei- 
ben könne,  eine  schrift,  in  der  alles  haarklein  erzählt  worden 
war.  Eine  Urkunde  des  heiligen  Patricius,  des  apostels  der 
Iren,  der  in  seinem  alter  ebenfalls  abt  von  Glastonbury  ge- 
wesen sei,  aus  der  zeit  nach  433  wird  wörtlich  mitgeteilt,  in 
der  dies  alles  bezeugt  wird.  Man  kann  noch  zwischen  den 
Zeilen  lesen,  wie  dem  historiker  das  gewissen  schlug,  als  er 
diese  Urkunde  als  historisches  beweismaterial  verwante:  Haec 
autem,  sagt  er  s.  297  bei  Gale,  ita  veraciter  se  habere  testimonio 
scripturae  vetustissimae  similis  cum  relationihus  seniorum  compro- 
havimus.  So  war  also  für  England  die  existeuz  einer  aposto- 
lischen kirche  nachgewiesen. 

Auch  die  cousequeuzen  Rom  gegenüber  suchte  der  Schrift- 
steller selbst  noch  anzudeuten,  indem  er  folgende  mysteriöse 
anekdote  in  sein  werk  einflocht:  Ad  comprohandam  antiquitatem 
ecciesiae,  de  qua  praefali  sumus ,  paululum  digrediamur.  Mo- 
nachus  quidam  Glastoniae ,  Godefridus  nomine,  de  cuius  epistola 
et  hoc  et  quod  suhiungemus  capiiulum  assumsimus ,  tempore  hoc 
Blesensis  abbatis  Glastoniae  (eben  des  Heinrich  von  Blois)  cutn 
in  pago  Parisiensi  apud  Sanctum  Dionysium  (St.  Denis,  die 
mutterkirche  Frankreichs)  moraretur,  senior  quidam  ex  monachis 
ijiterrogavit  cum:  'Quo  genus,  unde  domo?'  Respondit  'Äormannus, 
Britanniae  monasterii,  quod  Glastingeta  dicitur,  monachus.'   'Pape' 


GRALSAGE.  329 

inquit,  'au  adhuc  stal  Hla  perpetuae  virginis  et  misericordiae 
tnatris  vetusta  ecclesiu?'  ' Stai'  inquit.  Tum  ille  lepido  attactu 
Caput  Godefredi  Glastoniensis  demulceus ,  diu  silentio  suspensum 
tenuit,  ac  sie  demum  ora  resolvit  '  Haec  gloriosissimi  martyris 
ecclesia  et  illa,  de  qua  tu  asseris ,  eandain  privilegii  dignitatem 
habent ,  ista  in  Gallia,  illa  in  Bi^itannia  uno  eodemque  tempore 
exortae,  a  sunmio  et  magno  pontifice  consecratae.  Uno  tarnen 
gradu  illa  supere?)iinet,  Roma  etenim  secunda  i)  vocatur.'  Cumque 
ah  ore  viri  penderet,  ille ,  cui  provincia  suscipiendorum  fratrum 
est  commissa,  invitos  ab  hivicem  non  revisuros  separavit.  Sed 
haec  hactenus. 

Aber  nicht  bloss  für  die  eihebung  der  britischen  kirche 
zu  einer  apostolischen  war  sorge  getragen.  Zugleich  war  das 
interesse  der  keltischen  bevölkerung  auf  das  lebhafteste  mit  in 
anspruch  genommen. 

Die  glänzende  gestalt  des  königs  Arthur  sollte  auf  der 
Insel  Avaloü,  Avallonia  verschwunden  sein.  Von  da  erwartete 
die  keltische  nation  die  einstige  widerkehr  ihres  beiden ;  offen- 
bar dachte  man  sich  ursprünglich  unter  jener  insel  eine  insel 
im  oceau,  eine  art  insula  fortunata.  Jene  hoffnung  zu  befesti- 
gen, konnte  nicht  in  der  absieht  der  normannischen  herscher 
liegen,  tot  muste  Arthur  sein,  also  gestorben  auf  Avalon.  Aber 
sein  grabmal  zu  besitzen,  das  konnte  ein  mächtiger  anziehungs- 
punkt  für  die  keltische  nation  werden.  Wilhelm  wüste  aus- 
hülfe, er  machte  kühn  Glastonbury  zu  Avalon.  Bei  Gale  295: 
Haec  itaque  insula  {!)  I'niswytrin  a  Britonihus  dicta,  demum  ab 
Anglis  terram  sibi  subiungentibus ,  interpretato  priore  vocabulo, 
dicta  est  sua  lingua  Glastynbinj  vel  de  Glasteing,  de  quo  prae- 
tnisimus  etiam,  insula  Avallonia  celebriter  nominatur.  Als  insel 
wird  der  mitten  im  lande  gelegene  ort  motiviert,  weil  er  durch 
sümpfe,  Wälder  und  dorngesträuch  unzugänglich  gewesen  sei. 
Und  das  grabmal  des  königs  Arthur  kannte  W.  ganz  genau, 
bei  Gale  306:  Quantum  autem  Glastoniae  ecclesia  fuerit  etiam 
/iritnatibus  patriae  venerabilis  et  ad  sepulturam  desiderabilis  .  .  . 
muUa  sunt  indicio,  quibus  pro  cautela  fastidU  abstineo :  praeter- 
mitto  de  Arturo  inclyto  rege  Britonwn,  in  cimiterio  monachorum 


')  Hier  scheint  in  der  antwort,   deren    tendenz   doch  klar  bleibt, 
etwas  in  Unordnung  zu  sein. 

21* 


330  ZARNCKE 

inter  duas  pijramides  cum  sua  conjuge  tumulalo ,  de  miiltis  etiam 
Britonum  principihus  u.  s.  w. 

Früher  hatte  Wilhelm  von  alledem  nichts  gewust.  In  den 
Gesta  pontificum  Anglorum  (herausgegeben  von  Hamilton  1870 
in  den  Rer.  Brit.  medii  aevi  Scr.)  s.  196  handelt  er  ausführlich 
von  Glastonia,  aber  weder  von  der  hisula  Avallonia  noch  von 
rnisrvyfrm,  noch  von  Artliur  und  seinem  grabe  war  dort  die 
rede  gewesen,  ja  in  lib.  III  de  gestis  regum  Anglorum  sagte 
er  noch :  Arturis  sepulcrum  nusquam  visitm^,  iinde  antiquitas  nae- 
niarum  adhuc  eum  venturum  fabulaiur.  Der  fromme  betrug  liegt 
auf  der  band. 

Die  politik  hat  fortan  nicht  aufgehört,  die  gewonnene 
basis  auszunutzen.  Die  bemiihungen,  auf  Glastonbury  hin  be- 
sondere rechte  und  freiheiten  für  die  englische  kirche  in  au- 
spruch  zu  nehmen,  gehen  bekanntlich  bis  ins  15.  Jahrhundert 
hinein.  Im  jähre  1178  nahm  Heinrich  II  Glastonbury  in  eigene 
Verwaltung,  1189  ward  widerum  ein  abt  von  königlichem  ge- 
blüte  eingesetzt,  Henry  de  Swansey,  und  nunmehr  war  man 
nicht  mehr  damit  zufrieden,  das  grabmal  des  Artus  im  kloster 
zu  wissen,  man  wollte  auch  seinen  sarg  haben.  Der  abt  Hess 
den  ganzen  kirchhof  durchwühlen,  und  der  pia  fraus  gelang  es 
auch  wirklich,  den  Sarkophag  des  Artus  und  seiner  gattin  auf- 
zustöbern. Feierlich  wurden  beide  in  der  kirche  vor  dem  altare 
beigesetzt^)  und  dem  Artus  die  grabschrift  gewidmet: 

Hie  jacet  Arthurus,  flos  regiiin,  gloria  regni, 
Quem  morum  probitas  commenclat  laude  perenni. 

Es  wurde  viel  aufhebens  davon  gemacht,  wie  wir  daraus  er- 
sehen, dass  die  Chroniken  mit  grosser  emphase  dieses  ereig- 
nisses  zu  gedenken  pflegen.  Grosse  neue  Privilegien  wurden 
für  das  kloster  gewonnen,  in  dem  1186  der  Jungfrau  Maria 
eine  neue  kirche  geweiht  worden  war. 

In  jenem  werke  des  Wilhelm  von  Malmesbury  wird  nun 
auch  des  Joseph  von  Arimathia  erwähnung  getan.  Er  sei  mit 
den  Schülern  des  Philipp  nach  England  gegangen.  Bei  Gale 
292:  dmdecim  ex  suis  discipuUs  (das  weitere  s.o.)  misit  in  Bri- 


*)  Wie  die  richtung  der  politik  in  jener  zeit  war,  dafür  ist  noch 
ein  interessanter  beleg  das  factum,  dass  ein  enkel  Heinrichs  II,  der  1204 
wider  starb,  den  namen  Ai'tltur  erhielt. 


GRALSAGE.  331 

tanniam,  quibus,  iit  ferunt,  carissimum  amicum  suum  Joseph  ab 
Arimathia,  qui  et  Dotnhmm  sepelivit,  prae/ecH.  Au  sich  kann 
diese  notiz  gar  kein  bedenken  erreg-en.  Wir  brauchen  auch 
auf  den  beisatz  ut  ferunt  kein  gewicht  zu  legen;  von  einem 
solchen  gerächte  wüste  Wilhelm  schwerlich  etwas,  sonst  hätte 
er  schon  in  seinen  frühern  werken,  wo  er  von  Glastonbury  han- 
delte, dessen  erwähnt;  es  könnte  füglich  nur  als  eine  fa^on  de 
parier  angesehen  werden ,  deren  er  sich  bediente,  da  er  sich 
hier  nicht  mehr  auf  Freculf  berufen  konnte.  Und  für  die  fort- 
entwicklung  der  sage  würden  wir  in  jener  erwähnung  die 
willkommenste  erklärung,  das  willkommenste  mittelglied  be- 
grüssen  können.  Jeder  weiteren  grübelei,  wie  Joseph  von  Ari- 
mathia  nach  England  gekommen  sei,  wären  wir  überhoben: 
Wilhelm  von  M.  sali  sich  nach  irgend  einem  noch  nicht  ganz 
vergebenen  namen  um ;  einen  stattlicheren  beiden  als  den  Joseph 
von  Arimathia,  der  den  herrn  beerdigt,  konnte  er  schwerlich 
finden.  So  wären  durch  seine  freie  erfindung  Arthur  und 
Joseph  von  Arimathia  in  Glastonbury  verbunden  gewesen,  und 
so  wäre  es  ausreichend  vorbereitet  gewesen ,  wenn  nun  die 
Phantasie  beide  auch  auf  dem  gebiete  der  poesie,  der  sage,  noch 
näher  mit  einander  zu  verbinden  trachtete.  Es  lägen  die 
schwierigsten  probleme  der  sagengeschichte  leicht  gelöst  und 
klar  vor  uns  da. 

Dennoch  scheint  der  tatbestand  uns  zu  zwingen,  auf  dieses 
willkommene  mittelglied  in  der  geschichte  der  sage  zu  ver- 
zichten.   Denn  der  verdacht  der  Interpolation  haftet  an  ihm. 

Von  Joseph  ist  nämlich  nur  an  jener  stelle  die  rede. 
Wäre  dies  denkbar  bei  einer  darstellung,  die  der  Verfasser  von 
vornherein  mit  Überlegung  und  berechnung  entwarf?  Konnte 
Wilhelm  den  einzigen,  den  er  mit  namen  einführte,  und  gerade 
den,  der  den  herrn  bestattet  hatte,  so  ganz  wider  fallen  lassen? 
Aber  er  wird  nicht  wider  genannt.  Von  der  zwölfzahl  ist 
mehrfach  noch  die  rede:  duodecim  sanctl  memorati,  und  ohne 
sie  saucti  memorati ;  Joseph  wird  nicht  wider  erwähnt.  Als  später 
Faganus  und  Deruvianus  die  kapelle  in  der  wilduis  wider  ent- 
decken, heisst  es  (bei  Gale  294):  Omnem  etiam  narratlonem  in 
antiquis  scriptis  invenerunt,  qualiter  sanctis  apostoUs  per  Univer- 
sum orbem  dispersis  sanctus  Philippus  aposlolus  cum  nmltiludine 
discipulorum  in  Franciam  veniens  duodecim  ex  ipsis  Brita^miam 


r»;V2  ZARNCKE 

misit  ad  praedicandum.  ijui  //raedic(am  capellam  angelica  docti 
revelatione  construxernnt.  quam  postmodnm  /Hins  altissiml  in  hono- 
rem suae  mairis  dedicavit ,  ipsisque  duodecim  tres  reges,  licet 
pagani,  12  portiones  terrae  dederunl  ad  sustentatio7iem.  Nach 
dem  vorbilde  jener  12  wird  denn  auch  die  ganze  neue  Stiftung 
auf  12  socii  angelegt.  Und  in  der  erwähnten  Urkunde  des 
heiligen  Patricius  heisst  es,  er  habe  in  bänden  gehabt  scripta 
sanctorum  Phagani  et  Deruviani,  in  quibus  continebatiir,  quod  Alf 
discipiili  sanctorum  Philippi  et  Jacohi  ipsam  vetustam  ecclesiam 
construxerant  u.  s.  w.  Auch  wo  ferner  jenes  ältesten  ereig- 
nisses  noch  gedacht  wird,  nirgends  tritt  Joseph  von  Arimathia 
wider  mit  auf.  Auch  ist  die  frage  wol  erlaubt,  konnte  Joseph 
eigentlich  ein  schiiler,  ein  discipulus  des  apostels  Philippus  ge- 
nannt werden? 

Wir  können  uns,  scheint  mir,  der  annähme  nicht  entziehen, 
dass  jene  angäbe  später,  als  die  sage  von  Joseph  von  Arima- 
thia allgemein  bekannt  geworden  war,  an  jener  einen  stelle 
eingefügt  worden  ist;  die  übrigen  stellen  damit  in  Überein- 
stimmung zu  setzen,  unterliess  der  interpolator  nach  interpola- 
torenweise. 

Für  die  Interpolation  spricht  auch  sonst  noch  einiges. 
Von  den  französischen  romanen  nennt  erst  no.  8,  der  meines 
erachtens  jüngste,  eine  in  Glastonbury  gefundene  lateinische 
quelle,  no.  2  lässt  den  Joseph  sogar  noch  in 'Glare  en  Ecosse' 
beerdigt  werden.  Noch  wichtiger  ist,  dass  die  Glastonburyer 
Chronik  vom  Jahre  1259  ebenfalls  nur  die  12  schüler  des  Phi- 
lippus, nicht  aber  den  Joseph  erwähnt.  Vgl.  die  werte  bei 
Usser,  Brit.  eccles.  antiquitates  (Dublin  1639)  s.  18.  Ferner 
der  Catalogus  Sanctorum  in  Anglia  sepultorum  und  der  Libellus 
de  reliquiis  in  Glastoniensi  raonasterio  repositis,  der  zur  zeit 
Heinrichs  III  abgefasst  wurde,  erwähnen  beide  den  Joseph 
nicht.  Vgl.  Usser  s.  27.  Es  mag  dies,  nebenbei  bemerkt,  zu- 
gleich den  besten  beweis  liefern,  wie  ganz  aus  der  luft  ge- 
griffen der  verdacht  von  P.  Paris  ist,  die  mönche  von  Glaston- 
bury hätten  den  leichnam  des  Joseph  von  Arimathia  aus 
Moyenmoutier  gestohlen  (vgl.  Romania  I,  458.  462  i^).  Erst 
1345  stellte  man  nachforschungeu  nach  seinen  gebeinen  an. 
Das  königliche  crlaubnisdekret  teilt  Usser  s.  27  mit  und  fügt 
hinzu:  Quem  habuerit  eventum  ista  inquisitio,  non  invenio:  ab 


GRALSAGE.  333 

liis  ffimen,  qui  Glastoniense  monasteiiuni  videmnt,  est  prodi- 
tum,  et  sacellum  ibi  Joseplii  uomiui  dedicatum  et  tumulum 
etiam  positum  fuisse,  hoc  inseriptum  epitaphio: 

Ad  Britones  veui,  postquam  Christum  sepelivi, 
docui,  requievi. 

Dagegen  behauptet  Guilielmus  Goode  (bei  Usser  ;>.  28),  der  im 
10.  jahrliimdert  in  Glastoubury  erzogen  wurde:  Nemo  tamen 
monachoruni  unquam  scivit  certum  locum  sepulchri  huius 
Sancti  vel  dcsiguavit.  Recouditum  abditissime  dixerunt.  — 
Auch  die  capelle  für  Joseph  von  Arimathia  ist  oifenbar  erst 
ganz  spät  gestiftet  worden,  vielleicht  nicht  vor  dem  ende  des 
13.  oder  wahrscheinlicher  erst  im  14.  Jahrhundert. 

Auch  treten  wir,  wenn  wir  jene  stelle  als  interpoliert  an- 
nehmen, der  ältesten  fassung  der  sage  nicht  ferner,  sondern 
näher.  Denn  das  gedieht  des  Robert  de  Boron  lässt  den  Joseph 
ausdrücklich  in  Syrien  zurückbleiben.     Z.  3-455  heisst  es: 

3455     Ainsi  Joseph  se  demoura 

Li  boens  Pescherres  s'en  ala 

(Dont  furent  puis  meiutes  paroles 

Contees,  Kl  nc  sunt  pas  foles) 

En  la  terre  lau  11  fu  nez 
3460    Et  Joseph  si  est  demourez. 

Die  beziehung  von  v.  3459  macht  einige  Schwierigkeit,  aber 
so  viel  ist  klar,  dass  Joseph  im  Orient  zurückbleibt.  Die  pro- 
sen,  die  sämmtlich  vielfach  und  so  auch  hier  spätere  Interpola- 
tionen aufweisen,  haben  doch  noch  richtig  (bei  Hucher  I, 
275) :  Ens'mc  se  dcparth'ent,  si  s'an  ala  U  riches  peschierres  dont 
maintes  paroles  furent  puis  [en  la  grant  Bretaigne  interp.]  et 
ensinc  remest  Joseph  et  fina  en  la  terre  et  ou  pais  oii  il  fut  en- 
volez  de  par  Jhesu  -  Crisl,  und  (bei  Hucher  I,  207) :  Ensuite  ils 
separent.  Le  riche  pecheur  s'an  alla  [dans  la  Grande  Bretagne] 
oii  depuis  il  en  fut  souvenl  questitm.  Joseph  resta  et  finit  en  la 
'  terre  et  au  pays  alt  il  fut  envoyc  par  Jesus  -  Christ.  Erst  die 
späteren  romane  lassen  aucli  den  Joseph  nach  England  über- 
fahren, aber  auch  sie  nur  als  begleiter  seines  sohnes.  Und 
diese  führen  nun  auch  den  Philippus  auf,  freilich  nur  als  den, 
der  den  Joseph  getauft  habe,  bei  Furnivall,  St.  Graal  1861,  4*», 
s.  36:  Au  matin  bien  main  se  leva  Joseph  et  rechut  crestiente  de 
la  main  saint  Phelippe  ki  dont  estoit  euesrpie  de  Jherusalem. 


;i34  ZARNCKE  —  GRALSAGE, 

Also  nicht  der  ausg-angvspunkt  für  die  sage  von  Joseph 
von  Ariraatbia  in  England  ist  Glastoubury,  sondern  erst  ziem- 
lich spät  scheint  er  dort  localisiert  worden  zu  sein. 

Ob  die  von  mir  genmtmasste  interi)olation  sich  auch  noch 
urkundlich  wird  feststellen  lassen,  vermag-  ich  nicht  zu  sagen. 
Wilhelms  werk  ist  bis  jetzt  dreimal  herausgegeben,  zuerst  bei 
Gale,  bist.  Brit.  Scr.  I,  291  fg.,  dann  von  Th.  Hearne  zusam- 
men mit  Adam  Domersham,  Oxford  1727,  bd.  I,  endlich  von 
Migne  in  der  Patrologia  bd.  179,  s.  1682  fg.  Aber  diese  aus- 
gaben beruhen  sämmtlich  auf  derselben,  offenbar  interpolierten 
Cambridger  handschrift  (ex  membranis  vetustis  bibl  Trin.  Coli, 
apud  Cantabrigienses) ,  die  z.  b.  bei  Gale  s.  303  ein  ereignis 
erwähnt,  das  nach  der  eigenen  dort  angestellten  rechnung  erst 
1184  fallen  kann.  Wir  haben  eine  ganze  anzahl  von  haud- 
schriften,  von  denen  die  wichtigsten  Hard}-  aufzählt  in  dem 
Descript.  Catalogue  of  Materials  1865,  II,  s.  157,  no.  218,  der 
auch  von  dem  zum  abdruck  gebrachten  text  sagt:  from  a 
manuscript  avoiedly  interpolated.  Noch  gründlicher  scheint 
Hamilton  (s.  o.)  in  seinen  Untersuchungen  eingedrungen  zu 
sein,  der  die  ansieht  aufstellt,  wir  hätten  zwei  ausgaben  un- 
seres Werkes  zu  unterscheiden,  eine  vom  jähre  ca.  1125,  die 
andere  von  ca.  1140.  Ich  bin  nicht  in  der  läge,  die  einschlä- 
gigen untei-suchungen  anstellen  zu  können;  für  unsere  stelle 
ist  eine  vergleichung  der  handschrifteu  noch  nicht  vorgenommen. 

LEIPZIG,  august  1876.  FE.  ZARNCKE. 


DIE  SUFFIXFORM  -SLA-, 
VORNEHMLICH  IM  GERMANISCHEN. 


JDie  nachfolgenden  Zeilen  haben  den  zweck,  eine  von 
mir  aufgestellte  und  neuerdings  bedrohte  ansieht  über  den  Ur- 
sprung der  suffixform  -sla-  mit  neuen  beweisgründen  zu  stützen. 
Die  recension  des  ersten  teiles  meiner  'fovschungen  im  geb.  d. 
iudog.  nomin.  stammbildg.'  durch  H.  Zimmer  in  dem  'anzeiger 
für  deutsches  altert,  und  deutsche  lit'  I,  111  ff.  hat  mich  auf 
eine  lücke  in  meiner  beweisführuug  über  das  suffix  -sla-  forsch. 
I,  190  ff.  aufmerksam  gemacht.  Diese  lücke  gilt  es  hier  aus- 
zufüllen. 

Die  alte  ansieht,  dass  das  i'  des  -6:/« -Suffixes  (sowie  in- 
gleichen das  von  -st7^a-  in  got.  huUslr)  von  - «6- -stammen  her- 
rühre, an  welche  sich  ein  weiteres  suffix  -la-  angefügt  habe, 
war  auch  mir  keineswegs  unbekannt  geblieben.  Beiläufig  ge- 
sagt, hat  übrigens  diese  ansieht  über  -sla-  nicht  Scherer  zu 
ihrem  Urheber,  dem  sie  Zimmer  durch  ein  'suum  cuique'  in 
der  anmerkung  s.  115  a.  a.  o.  zu  vindicieren  sucht,  sondern  sie 
ist  beinahe  schon  so  alt  wie  die  Sprachwissenschaft  selbst: 
längst  vor  Scherer  hat  sie  meines  wissens  zuerst  Bopp  schon 
in  der  i.  auf!,  seiner  vergleich,  gramm.  VI.  abteil.  §  933.  s.  1379 
ausgesprochen,  und  darnach  haben  auch  andere  forscher,  zu- 
nächst Schweizer -Sidler  zeitschr.  f.  vergleich,  sprach  f.  III,  381, 
widerholentlich  Leo  Meyer  zeitschr.  VI,  9.  VII,  130  f.,  got.  spr. 
s.  513,  ferner  Ascoli  zeitschr.  XVI  197  und  gewis  noch  andere 
zu  derselben  auffassung  sich  bekannt.  Wenn  ich  es  nun  unter- 
liess,  auf  diese  ansieht  sie  bekämpfend  einzugehen,  so  geschah 
das  in  der  stillschweigenden  Voraussetzung,  als  würde  sie  durch 
meinen  nachweis   über  den  Ursprung  des  -sla-  von  selbst  hin- 


336  OSTHOFF 

fällig-  werden.  Diese  erwartuiig  hat  sich  nicht  eifitllt,  vielmehr 
hat  Zimmer  die  friilicre  ansieht  eingelicndcr  zu  begründen 
gesucht.  Ich  sehe  mich  darum  genötigt,  mein  Versäumnis  hier 
nachzuholen. 

Der  hauptgrund,  weswegen  die  zuriickführung  des  -sla- 
auf  -«i- stamme  äusserst  unwahrscheinlich  ist,  ist  der,  dass  es 
nur  mit  ganz  kiiustlicheu  mittein  gelingt,  genügend  viele  alte 
-ö!6^-stämme  aufzutreiben,  aus  denen  im  germanischen  die  selb- 
ständige suffixform  -sla-,  -isla-  erwachsen  sein  könnte.  Das 
got.  svartizla-  neben  svartis  ntr.  ist  im  gründe  das  einzige  bei- 
spiel,  bei  dem  sich  der  -«.«?- stamm  ungesucht  und  ohne  zwang 
darbietet.  Die  mir  je  einmal  vorkommenden  ved.  jnäs  und 
ä-jMs  (vergl.  Petersb.  wörterb.)  liegen  schon  bedenklich  weit 
ab,  um  für  alts.  knosl  etwas  irgend  sicheres  beweisen  zu  können. 
Für  urd.  '*viksla-  (altn.  vlxl,  ahd.  wehsal)  muss  Zimmer  seinen 
-«*- stamm  erst  aus  lat.  viclssim  künstlich  erschliessen.  Wer 
möchte  es  aber  für  nur  irgend  wahrscheinlich  halten,  dass  lat. 
clämor  und  lat.  torques  'halskette,  wirbel,  kreis'  auch 
nur  im  entferntesten  dazu  angetan  seien,  um  über  das  suffixale 
s  von  ahd.  hruomisal  'ostentatio'  und  got. /^mÄ^/ 'bedräng- 
nis'^)  irgend  überzeugende  aufschlüsse  zu  geben?  Zugegeben 
einmal,  dass  es  mit  der  natur  solcher  lateinischer  nomina  wie 
torques,  sordes  als  echter  alter  -a*^- stamme  durchaus  so  seine 
richtigkeit  habe,  wie  Zimmer  will.  Vollends  gar  wer  würde 
wol  jemals  zur  erklärung  der  bildung  von  ahd.  wegislo  ^affli- 
ctio',  st.  wegisljä-,  auf  das  griechische  ueutrum  xo  o^oc, 
'currus'  (!)  verfallen,  wer,  als  eben  nur  ein  solcher,  der  mit 
gewalt  darauf  ausgeht,  -öa^ -stamme  bei  den  haaren  herbeizu- 
ziehen ? 


')  Wenn  Zimmer  s.  114  gegen  mich  bemerkt,  zu  goi,  preihsl  gehöre 
nicht  nhd.  drangsal,  welches  ein  junges  wort  sei,  so  hat  er  darin  recht: 
unmittelbar  würde  zu  prcihsl  nur  ein  nhd.  *  drbujsal  stimmen,  denn  got. 
preihun  ist  =  ags.  pringan,  alts.  thringan,  ahd.  drmgan ,  nhd.  dringen. 
Joh.  Schmidt  vocal.  I,  53.  Eben  so  wenig  aber  lässt  sich  andererseits 
mit  Zimmer  das  got.  preihsla-  unmittelbar  zu  den  ahd.  drähsil  'torna- 
rius',  drähsil  'toreuma'  stellen,  denn  diese  ahd.  Wörter  schliessen  sich 
doch  zunächst  nur  an  das  schwache  verbum  ahd.  dräli{j)an  'drehen' 
an.  Ueber  die  bedeutungsdiffereuzierung  dieses;  druhan  von  den  nasa- 
lierten formen  dringan  u.  s.  av.  siehe  Joh.  Schmidt  vocal.  II,  454. 


SUFFIXFÜRM  -SLA-.  3^7 

Mau  braucht  die  wurzelverwantscliaft  aller  dieser  Wörter 
durchaus  nicht  in  frage  zu  stellen;  man  muss  aber  folgendes 
festhalten.  Die  bedeutungen  einer  und  derselben  wurzel 
können  sich  zugestandenermassen  in  den  verschiedenen  sprachen 
in  ganz  individueller  richtung  entwickeln.  Ist  aber  dies  der 
fall,  wie  denn  z.  b.  bei  gr.  oioi^  und  ahd.  wegislo,  so  ergibt 
sich  für  den  grammatiker ,  der  keine  spränge  machen  will  in 
seinen  schlussfolgerungeu,  als  pflicht,  dass  er  zunächst  jedes 
einzelne  wort  jeder  einzelnen  spräche  im  zusammenhange  mit 
der  ihm  zunächst  stehenden  Wortsippe,  welche  von  der  gleichen 
Wurzel  in  derselben  spräche  ausgegangen  ist,  betrachte.  Got. 
preihsl ,  ahd.  hruomisal ,  ahd.  wegislo,  alts.  herdisli  (Monac. 
herdislo)  'kraft,  Widerstandsfähigkeit'  gesellen  sich  nun  doch  zu 
allernächst  zu  den  deutschen  verben  got.  pi-eihan  '  drängen '^ 
ahd.  hruomjan  'rühmen',  ahd.  rvegjan  =  got.  vagjan  'agitare', 
alts.  herdian  'fest  machen,  stärken,  Aviderstaudsfähig  machen'. 
D>araus  folgt,  dass  jede  solche  erklär ung,  die  es  vermag,  die 
biidung  aller  dieser  nomina  im  unmittelbarsten  anschluss  an 
die  im  germanischen  selbst  direct  daneben  liegenden  verba 
einigermassen  überzeugend  zu  deuten,  damit  eo  ipso  den  Vor- 
zug verdient  vor  einer  andern  erklärung,  welche  jene  nomina 
aus  ihrer  nächsten  verwantschaft  losreisst,  um  dann  auf  Um- 
wegen, an  die  gemeinsamkeit  der  wurzeln  tark-,  kram-,  vagli-, 
kart-  appellierend,  zu  den  -ai:-stämmen  lat.  iorques,  clämor,  gr. 
oxoq,  xQaroq  zu  gelangen,  in  denen  sich  zumeist  dieselben 
wurzeln  in  einer  ganz  anders  entwickelten  bedeutung  zeigen. 
Zumeist  dieselben  wurzeln,  sage  ich;  denn  im  einzelnen  ist 
selbst  dies  noch  zweifelhaft.  'Dass  gor.  hardus ,  alts.  herd, 
ahd.  hartl,  herti  dem  griech.  xaQTVc,  xQarvg  gleich  sei,  wird 
von  niemand  bezweifelt',  sagt  Zimmer  s.  114.  Doch  wol;  von 
Joh.  Schmidt  z.  b. ,  der  hardus  mit  abulg.  crcdü  'firmus'  ver- 
wantschaftsverhältn.  s.  41,  vocalism.  II,  33.  77,  sowie  mit  ir. 
crödaiu  'durities'  vocalism.  II,  370  vergleicht.  Wer  Joh. 
Schmidt  darin  beistimmt,  der  wird  auch  schon  aus  diesem 
gründe  Zimmers  allzu  sicgesgewis  vorgetragene  Schlussfolgerung 
nicht  unterschreiben  können,  die  folgerung  nämlich:  'el)en  so 
sicher  ist  aber  auch  ein  germ.  liardis-  mit  dem  homcr.  ro 
xaQxoQ  'kraft,  stärke'  identisch,  alts.  herdisli,  herdislo  d.  h. 
hcrdis-ljä-  'stärke,  widerstandskrjtft'  ist  einfache  Weiterbildung.' 


338  OS'J'HOFF 

Doch  selbst  davon  ganz  abgesehen,  so  liegt  xaQtog  offenbar 
immer  noch  zu  erheblicli  weit  al),  als  dass  man  sofort  mit  bei- 
seitelassuug  des  altsächs.  verbums  herdian  an  jenen  griechi- 
schen -OS -stamm  behufs  einer  erklärung  der  bildung  von  her- 
disljä-  sich  wenden  dürfte.  Ebenso  wird  ferner,  wenn  ich  ahd. 
uohisal  n.  'cultus,  exercitium'  passend  und  ungezwungen  als 
bildung  aus  dem  stamme  des  verburas  uohjan  selbst  zu  erklä- 
ren weiss,  es  jedermann  für  unnötig,  wenn  nicht  für  unmetho- 
disch halten,  erst  nach  lat.  opus  einen  -a^- stamm  ahd.  ^uobis 
zu  construieren.  Auch  aus  ahd.  uoberbn  'exercere'  folgt  noch 
nicht  die  existenz  eines  solchen  -a^f-stammes  ^iiobis,  der  ohne- 
hin in  der  quantität  des  wurzelvocals  von  lat.  opus,  skr.  äpas 
al)weicheu  würde.  Zimmer  wählt  freilich  nicht  dies  gut  be- 
zeugte und  sicher  uralte  skr.  äpas,  um  es  zu  ahd.  uoheron  zu 
stellen,  sondern  das  nur  sehr  schwach  beglaubigte  skr.  ä'pas  n. 
'eine  religiöse  handluug',  das  Böhtliugk-Roth  nur  mit  einer 
stelle,  Un.  4,  209,  belegen.  Dass  die  verba  auf  -isön  (got. 
-ison  -izon,  ahd.  -ison  -eron)  allerdings  von  denominativis  der 
-a^- stamme  ausgegangen  sind,  wie  ohne  zweifei  got.  hatiz-on 
von  haiis,  ahd.  heilis-d7i  von  ags.  hälor,  altn.  sigr-a  'vincere', 
ahd.  itbar-sigir-on  'ti-iumphare'  (Graff  VI,  132)  von  got.  slgis, 
will  ich  natürlich  nicht  bezweifeln,  aber  ahd.  uoberon  und 
harmlsön  selbst  können  recht  wol  nur  analogiebildungen  nach 
anderen,  solchen  wie  hatizon,  sein.  Jedenfalls  zeigt  sich  auch 
hier  wider,  wie  mislich  und  problematisch  es  im  einzelnen  um 
die  -rt5- Stämme  steht,  die  Zimmer  erschliessen  will. 

Wenn  ferner  Zimmer,  um  die  Wahrscheinlichkeit  der  her- 
kunft  des  -sla-  von  -«^-stammen  zu  vergrössern,  auf  skr.  ianiis- 
-ra-  n.  'dunkel,  eine  dunkle  nacht'  neben  tämas  'finsternis, 
dunkel'  verweist,  so  muss  ich  das  treffende  dieser  analogie 
entschieden  in  frage  stellen.  Das  secundärsuffix  -ra-  bezeichnet 
ziemlich  häufig  den  mit  der  sache  begabten;  vgl.  Bugge  Kuhns 
zeitschr.  XX,  28,  meine  forschungen  I,  78.  So  sind  auch  un- 
leugbar skr.  tamis-ra-  n.  und  tämis-i^ä  f.  eigentlich  nur  zum 
Substantiv  erhobene  adjectiva  und  bedeuteten  von  hause  aus 
nur  'das  mit  dunkel  versehene,  die  mit  dunkel  versehene 
(nacht)'.  Die  deutschen  nomina  ahd.  dinstar  adj.,  ags.  peöster 
n.  'finsteruis'  betrachte  ich  in  Übereinstimmung  mit  andern 
forschem,  z.  b.  A.  Kuhn  in  seiner  zeitschr.  XV  238  f.  und  Joh. 


SÜFFIXFORM  -SLA-.  339 

Schmidt  z.  g-escli.  d.  indog-.  vocal.  I,  168,  als  uumittelbar  und 
ganz  dem  skr.  tamisra-  gleich  gebildet  imd  halte  das  t  für 
den  so  häufig  erscheinenden,  den  Übergang  zwischen  s  und  r 
vermittelnden  eiuschub.  Ich  sehe  also  in  ahd.  dinstar  u.  s.  w. 
kein  suffix  -tra-,  wie  Zimmer  tut  s.  115,  wenn  auch  als  die 
germanische grundform  dieses  adjectivs  allerdings  Gm*pems-t-ra- 
anzusetzen  ist.  Als  passende  parallele  zu  dem  offenbar  pri- 
mären -6'/a- Suffixe  im  germanischen  kann  ich  somit  jenes  skr. 
tamisra-  nicht  gelten  lassen. 

Endlich  spricht  wol  auch  das  noch  gegen  Zimmers  ansieht, 
dass  er,  um  seine  meinung  aufrecht  erhalten  zu  können,  auf 
eine  einheitliche  erkläruug  aller  -i/a-bildungeu  im  germani- 
schen verzieht  leisten  muss.  Für  die  lateinischen  nominal- 
stämme  mit  -sla-  räumt  er  nämlich  ein  (s.  113),  dass  ich  das 
richtige  getroffen  habe.  Ebenso  glaubt  er,  dass  alts.  ahsla  = 
ahd.  ahsala  und  ahd.  dehsala  möglicher  weise  unter  dieselbe 
erklärung,  die  ich  für  das  -sla-  im  lateinischen  aufgestellt  habe, 
fallen.  Er  muss  also  diese  Wörter  von  den  übrigen  -sla -hi\- 
dungen  trennen,  z.  b.  ahsla  von  urd.  *viksla-  ' Wechsel'.  Wo 
er  die  litauischen  nomina  mit  -sla-  :'mdk-sla-s  'lehre',  pa-veik- 
sla-s  M)eispier,  zai{d)-sla-s  'spiel',  kn{t)-sla-s  'brocken,  abfall', 
mi-sle  'rätsel',  welche  in  ihrer  bildung,  bedeutung  und  in  ihrem 
ableitungs Verhältnis  zu  den  nebenstehenden  verben  so  schön  zu 
den  deutschen  -^/ö - bilduugen  stimmen,  unterbringen  will,  ob 
unter  meiner  erklärung  oder  bei  seinen  -«5- stammen,  erfährt 
man  von  Zimmer  gar  nicht. 

So  viel  zur  abwehr  der  -«^-stamme.  Ein  letzter  grund  für 
die  unhaltbarkeit  dieser  bisher  noch  nie  kritisch  geprüften 
hypothese,  zu  deren  Verfechter  sich  Zimmer  aufgeworfen  hat, 
wird  sich  uns  erst  w^eiter  unten  ergeben.  Jetzt  zur  weiteren 
befestigung  meiner  eigenen  ansieht  über  das  -sla-. 

Zimmer  tut  mir  offenbar  unrecht,  wenn  er  s.  114  behauptet, 
es  gelte  doch  in  svarti-z-la-,  huU-s-tra-  ausser  dem  s  auch  noch 
das  i  zu  erklären.  Ich  meine  doch  s.  192  meines  buches  deut- 
lich genug  gesagt  zu  haben,  dass  ich  svarti-z-la-,  huU-s-tra-  von 
den  schwachen  verben  '^svarljan,  huljan  herleite.  Eine  diiecte 
ableitung  aus  den  adjectiven  got.  svart-s,  *hul-s  ist  mir  nicht 
in  den  sinn  gekommen,  und  darum  trifft  mich  auch  der  Vor- 
wurf,  den   ich   gegen  Corssen   richtete    (Corsseii   scheide  nicht 


34Ö  OSTHOFF 

streng  genug  zwischen  primärer  und  sccundärcr  wortstamni- 
bildiniü'),  so  \\  eit  icli  sehe,  nicht  im  geringsten.  Mir  gelten  alle 
nomina  mit  äen  suffixen  -sla-  und  -isla-  als  rein  primäre  l)il- 
dungen,  und  es  verhält  sich  gut.  svartl-zla- :  ?i\\(\.  suarzjan  = 
praet.  got.  sola- da  oder  partic.  soki-p-s  :  sokjan.  Damit  ist, 
dünkt  mich,  das  /  von  -i-sla-  ganz  hinreichend  erklärt.  Dass 
aber  eben  diese  auifassung  von  dem  i  des  suffixes  -i-sla-  die 
richtige  ist,  wird  ganz  evident  durch  folgende  regel  bewiesen, 
die  wir  aufstellen  dürfen:  die  suffixform  -i-sla-  erscheint 
ganz  gesetzmässig  nur  da,  w^o  auch  ein  schwaches 
verbum  auf -7««  vorhanden  ist.  —  Alle  etymologisch  klaren 
beispiele  namentlich  der  althochdeutschen  spräche,  die  ahd. 
Wörter  auf  -i-sal  bei  Jac,  Grimm  gramm.  II  s.  100  ff.  des 
Schererschen  abdruckes,  aber  dazu  auch  die  mittelhochdeutschen 
und  altsächsischen  bildungeu  derselben  art  bestätigen  diese 
regel  oder,  besser  gesagt,  verlangen  dieselbe:  ahd.  ähti-sal  n., 
mhd.  cehte-sal  'persecutio'  neben  ähtjan  ^persequi',  ahd.  brutte- 
salm  f.  'terror'  neben  hrutten  schw.  vb.  'erschrecken',  cleihe-sal 
4imus'  neben  kleil){j)an  'giutinare',  deche-sal  u,  'opertorium' 
(Graff  V,  104),  mhd.  deck-sal  ^^  mittelniederl.  dek-sel  neben 
decchan,  vesi i-sal  n.  'muuimentum'  neben  alts.  fastan  festan 
/eA^//a« 'befestigen',  fuoti-sal  n.  'pastio'  neben  fuottan,  got.  fodj'an 
'pascere',  fluzze-sal  n.  'fluentum'  neben  fluz{j)an  'lubricare, 
flössen',  gi'uoni-sal  n.  'germen'  neben  * gruonjan  =  mhd. 
grüenen  (Schade  altd.  wörterb.2  s.  355),  gruozl-sal  n.  'molestia' 
neben  gruozjan  'excitare,  agitare',  höni-saln.  'fastigium'  neben 
hdn{j)an  'illudere',  irri-saln.  'scandalum'  neben  i?T{j)an  'solli- 
citare,  impedire',  got.  airzjan  'irre  führen',  marri-sal  n.  ^Xueüo' 
neben  marrjan  =  got.  marzjau  'hindern,  ärgern',  neizi-sal  n. 
'afflictio'  neben  neizjan  'affligere',  renni-sa,l  n.  'coagulum' 
neben  rennjan  'rinnen  machen',  truobi-sal  n.  'tribulatio,  trübsal' 
neben  truohjan  'trüben',  werre-sal  u.  'confusio'  bei  Otfr.  IV, 
18,  25  neben  ir-werr{J)an  'confundere',  werti-sal  n.  'corruptio', 
wie  die  Freisinger  hs.  an  der  eben  genannten  Otfridstellc  als 
Variante  hat,  neben  tvartjan  'corrumpere';  mhd.  hruote-sal 
hrüete-sal  n.  'fomentum'  neben  brüeten,  ahd.  ^ pruotjan  pruottan 
'brüten',  mhd.  derre-sal  n.  'ariditas'  neben  derren  =  ahd. 
^darrjan  derran  'dörren',  rahd.  irre-sal  n.  'error'  =  ahd.  irri-sal^ 
mhd.  velle-sal  n.  'was  zu  boden  wirft'   (vgl.  mhd.  wörterb.  IIl^ 


SUFFIXFORM  -SLA-.  341 

227)  neben  vellen,  Silts.  felllan,  ahd.  feliau  ^  fä\len\  mhd.  müeje-sal 
n.  'miilisal'  neben  fiiüejen  'mühen';  alts.  ddjn-sl-i  {-slja-Bt.)  n. 
'ttiufe'  neben  doplan  kaufen',  alts.  ahd.  inendi-sl-o  {-sljä-^i)  f. 
'freiide'  neben  mendian  'sich  freuen',  2i\%^.hurgi-sli  'grab'  (Heyne 
kleinere  altniederd.  denkm.  glossar)  neben  ags.  l)yrgian  hyrigan 
'begraben',  altn.  hyrgja,  dem  intensivum  zu  dem  starken  alts. 
bergan,  ags.  heorgan,  altn.  hjarga.  Und  ganz  ebenso  ist  es 
denn  auch  bei  den  oben  bereits  genannten,  von  Zimmer  mit 
-OÄ- stammen  in  Verbindung  gebrachten  alts.  herdi-sll  lierdi-slo, 
ahd.  hruomi-sal,  liarmi-saL  uohi-sal.  —  In  den  übrigen  alt- 
deutschen dialecten  ist  das  i  meist  verloren  gegangen,  zeigt 
aber  am  umlaut,  wo  es  möglich  ist,  sein  ehemaliges  dasein ;  so 
in  altn.  herm-sl  u.  'luctus'  =  ahd.  harmi-sal ,  kenn-sl  n.  'notio' 
=  ahd.  '*  kemii-sal ,  spemi-sl  n.  'a  clasp'  (Cleasby- Vigf.)  von 
spenn-a  'spannen',  vesl  n.  'oberkleid'  d.  i.  *vasi-sla-  von  got. 
vasj-an  'kleiden'  (Fick  wörterb.  IIP  300),  heyg-sl  n.  'zäum'  und 
vielen  andern ;  ferner  in  den  altn.  beyg-sla  =  heyg-sl  u.,  foeb-sla 
'alimentum',  fcer-sla  'ductus',  geym-sla  'custodia',  kernt- sla 
(=  kenn-sl  n.),  pen-sla  'expansio',  vörb-sla  'tutela',  die  in  die 
declination  der  schwachen  feminina  übergegangen  sind.  Grimm 
gramm.  II,  103.  Der  umlaut  kann  nicht  hervortreten  in  den 
bildungen:  altn.  skir-sl  n.,  skir-sla  f.  'ordalium'  von  skir-a  'rei- 
nigen', in  üt-hreib-sla  f.  'divolgatio',  leib-sla  f.  'ductus'.  Wo 
ausnahmsweise  eine  -^/a-bildung  das  -i-  oder  den  umlaut  des 
wurzelvocales  zeigt,  ohne  dass  das  stammverbum  ein  schwaches 
ist  wie  in  ahd.  räti-sU  u.  'propositio,  problema'  (Graff  II  469), 
mhd.  rcet-sal  'aenigma'  von  rätan,  raten  (Zimmer  könnte  an 
den  -«i-- stamm  skr.  rädlias  'woltat,  liebesgabe'  erinnern),  in 
dän.  fäng-sel  'carcer'  von  fangen:  da  dürfen  wir  getrost  an- 
nehmen, dass  eben  nur  die  analogie  der  vielen  von  schwachen 
verben  abstanmienden  nominalbilduugen  mit  -sla-  in  solchen 
ausuahmefällen  sei  es  ein  i  zwischen  wurzel  und  suffix  einge- 
schmuggelt, sei  es  kurzweg  unorganischen  umlaut  in  der  wurzel 
hervorgerufen  habe.  —  Zugleich  zeigt  aber  auch  die  bedeutung 
aller  dieser  hier  besprochenen  nomina  (sie  sind  allermeistens 
pure  nomina  actionis),  dass  sie  eben  schlechterdings  nur  als 
rein  primäre  Wortbildungen  aus  den  stammen  der  neben  ihnen 
liegenden  verba  aufgefasst  werden  können.  Auch  war,  wie 
wir  unschwer  erkennen,   eben   dieses   ableitungsverhältnis   der 


342  OS'l'llOFF 

-.9/ö-])il{lunii-cii  nocli  vom  Standpunkte  des  altgerraanisclieu 
Sprachgefühls  selbst  ein  so  lebendig'  gefühltes  und  unmittelbar 
bewustes,  dass  allein  schon  deshalb  die  ganze  bildungsweise 
als  eine  verhältnismässig  junge  anzuerkennen  ist  und  die 
mittel  zu  ihrer  erkläruug  nicht  so  ohne  alle  vermitteluug  aus 
weitester  vorgermauischer  vorzeit  hergeholt  werden  dürfen. 
Das  l  von  -i-sla-  ist  also  =  dem  j  der  schwachen  verba  und 
weist  im  entferntesten  nicht  auf  irgend  etwas  anderes ,  etwa 
auf  das  a  des  suffixes  -as-,  zurück.  Ich  werde  demnach  auch 
ein  recht  haben,  das  i  von  got.  svat^ti-zl  ganz  ebenso  anzusehen 
und  zu  glauben,  dass  nur  rein  zufiillig  neben  diesem  svarti-zlu- 
die  gleichbedeutende  -isa-  oder  ursprünglich  -«A^-bildung  svarlis- 
stehe,  die  uns  ebenfalls  in  den  Yulfilauischen  texten  überliefert 
ist.  Meines  erachteus  ist  sie  die  alleinige  irre  führende  ver- 
anlasseriu  gewesen ,  dass  man  auf  die  Zerlegung  des  stanmi- 
bildenden  ausgauges  -i-sla-  in  die  beiden  suffixe  -as-  und  -la- 
überhaupt  verfallen  ist. 

Auch  für  eine  andere  erscheinung  noch  vermögen  wir  nun 
an  dieser  stelle  die  erklärung  zu  geben.  Das  suffix  -sla-,  ahd. 
mhd.  nhd.  -sal,  früher  rein  primäres  bildungsmittel,  wird  später- 
hin auch  secuudäres  suffix,  so  dass  sogar  die  spräche,  nach 
Grimms  feiner  beobachtung  gramm.  II,  101  des  neuen  abdrucks, 
ein  zweites  compositionsglied  darin  fühlen  und  so  das  a  von 
-sal  gegen  alle  lautgesetze  bis  auf  unsern  tag  rein  erhalten 
konnte.  Secuudär  ist  -sal  z.  b.  offenbar  in  mhd.  twmic-sal, 
ge-twanc-sal  ^zwang,  eiuschränkung,  bedrängnis'  (mhd.  wörterb. 
III,  165),  secuudär  auch  in  nhd.  clrang-sal.  Im  althochdeutschen 
begegnet  -sal  auch  schon  vereinzelt  in  dieser  neuen  geltung- 
z.  b.  in  gehucte-sal  'memoriale'  von  gahuctl  'memoria',  bei 
Grafif  IV,  794  aus  einer  spätalthochdeutschen,  eigentlich  schon 
mittelhochdeutschen  quelle  (Windsberger  psalt.,  12.  jahrh.)  be- 
legt. Wie  diese  Veränderung-  der  grammatischen  Stellung  des 
-sal  vor  sich  gegangen  ist,  ist  gar  nicht  schwer  zu  durch- 
schauen. Neben  einigen  unserer  von  schwachen  verbis  abge- 
leiteten bildungen  auf  -i-sla-  lagen  substantivische  -ja-  oder  -Jä- 
stänune,  mit  denen  der  stammhafte  bestandteil  des  mit  -sla- 
gebildeten  nomens  lautlich  zusammenfiel.  So  im  althochdeut- 
schen gruoni  adj.  'grün'  neben  gruoni-sal,  vesti  adj.  'fest'  neben 
vesli-sal,  honi  adj.  'humilis,  infamis',  tontumeliosus ",  mhd.  hrene 


SUFFIXFORM  -SLA-.  343 

'hochfahrend,  übermütig'  neben  Mni-sal,  irri  adj.  'irre'  neben 
ir7n-sal,  truohi  adj.  'trübe'  neben  truoU-sal,  decha  oder  decchi 
f.  {-Ja- 8t)  'decke'  neben  deche-sal,  mendi  L  'freude'  neben  ahd. 
alts.  mendi-slo]  im  mittelhochdeutschen  müeje  f.  'mühe'  =  ahd. 
mohi  neben  müeje-sal.  Diese  fälle  gaben  veranlassung,  die  bil- 
dung  mit  -sal  als  secundäre,  von  dem  jedesmal  nebenliegenden 
nominalen  -ja-  oder  -jä-stamme  abgeleitete  zu  fühlen,  was  ja 
die  bedeutuug  der  Wörter,  wie  man  sieht,  auch  recht  wol  zu- 
liess.  So  entsprangen  alsdann  die  nachbildungen  alt-mhd. 
geliucte-sal,  mhd.  twanc-sal,  nhd.  drang-sal,  in  denen  -sal  in  der 
tat  als  secundäres  suffix  verwendet  erscheint  oder  wol  gerade- 
zu, worin  jeder  sein  eigenes  Sprachgefühl  zu  rate  ziehen  kann, 
uns  eine  art  von  zweitem  compositionsgliede  zu  sein  dünkt. 

Nachdem  wir  nun  aber  das  vorhin  zweifellos  festgestellt 
haben,  dass  das  i  des  stammbildenden  ausgauges  -isla-  immer 
Umlaut  des  wurzelvocales  bei  umlautsfähigkeit  desselben  be- 
wirkt, ergibt  sich  uns  hier  endlich  noch  ein  letzter  negativer 
beweis,  warum  an  eine  combiuation  mit  dem  suffixe  -as-  gar 
nicht  zu  denken  ist.  Das  suffix  -as-  in  seiner  germanischen 
gestalt  ist  nämlich  weit  davon  entfernt,  durchgängig  den  /-um- 
laut  in  der  Wurzelsilbe  des  wortes  hervorzurufen.  Dies  sehen 
wir  an  den  altnordischen  beispielen  mit  -as--.  altn.  liatr  n., 
genit.  hatr-s  =  got.  hatis,  st.  hat-is-a-,  altn.  harr  m.  =  got. 
*  har-iza-  in  hariz-ein-s.  Der  grund  dieses  mangelnden  umlauts 
ist  aber  wol  kein  anderer,  als  weil  das  alte  neutralsuffix  -as- 
offenbar  noch  gar  nicht  durchweg  zur  zeit  des  /-umlautes  im 
germanischen  zu  -Is-a-  geworden  war,  wie  es  im  gotischen 
lautet.  Mit  unrecht  setzt  Ficks  Wörterbuch  als  die  urdeutschen 
Stammformen  ag-is-a-,  rem-is-a-,  seg-is-a-  an;  richtig  dagegen 
hat-es-a-  III  ^  60.  Vgl.  Zimmer  selbst  anz.  f.  deutsch,  altert.  I, 
101  über  urgerm.  seges-  in  Seges-tes.  Das  urgerm.  -es-  steht 
ja  auch  in  gutem  einklange  zu  der  entsprechenden  stammbil- 
denden silbe  in  griech.  7fcV-6(ö)-o^^,  Isit  gen-er-is,  ahulg.  slov-es-e, 
lit.  deb-es-is.  Ferner  weist  gleichfalls  Zimmer  selbst  in  seinem 
buche  'die  nominalsufi'.  a  und  a'  s.  218  sehr  hübsch  nach,  dass 
die  Weiterbildung  des  alten  -«.?- Suffixes  mit  -a-  im  germani- 
schen zu  verschiedenen  zelten  geschah:  teilweise  vor  dem 
wirken  des  vocalischen  auslautsgesetzes,  wie  in  got.  agis,  hatis, 
riqis,  rimis,  sigis,  teilweise  nach  demselben,  wie  bei  got.  ahs, 

Beiträge  zur  geschiclite  der  deutscheu  spräche.  III.  23 


344  osrnoFF 

veihs.  Die  altn.  harr,  rökr  und  sigr  (und  vermutlich  wol  auch 
hair,  von  dem  er  hier  nicht  spricht)  stellt  er  unter  die  letztere 
kategorie.  Wenn  das  nun  aber  auch  gerade  hei  diesen  Wör- 
tern doch  zweifelhaft  ist,  dass  es  schon  das  vocalische  aus- 
lautsgesetz  war,  welches  den  vocal  in  der  suffixsilbe  -es-  ver- 
tilgte (die  genaue  correspoudenz  mit  den  entsprechenden  goti- 
schen Wörtern  spricht  dagegen,  und  derselbe  vocal  konnte  recht 
wol  erst  im  sondcrleben  des  altnordischen  schwinden,  als  die 
betrefienden  stamme  längst  -«-stamme  geworden  waren),  so 
ist  doch  wol  folgendes  sicher  und  Avird  auch  von  Zimmer  nicht 
bezweifelt  werden  können.  In  den  altnordischen  Wörtern  hatr 
und  harr  war  der  vocal,  welcher  ursprünglich  vor  dem  letzten 
stammhaften  ;•  =  *■  stand,  vorausgesetzt  dass  er  auch  im  alt- 
nordischen wie  im  gotischen  bereits  zu  i  geworden  sei,  dann 
unstreitig  jedesfalls  vor  der  zeit  des  eintretens  des  i-umlautes 
ausgefallen.  Wenn  aber  in  hatr  und  harr,  so  müssen  wir 
consequenter  weise  dasselbe  auch  in  allen  andern  altnordischen 
nominibus  von  der  gleichen  bildung  annehmen,  beispielsweise 
auch  in  sigr  und  rökr.  Folglich  —  das  ergibt  sich  aus  dem 
vorhergehenden  mit  notwendigkeit  —  dürften  die  altnordischen 
-5/a -  bildungen  durchaus  keinen  /-umlaut  des  wurzelvocals 
haben,  wenn  nämlich  dieses  -sla-  wirklich  aus  einer  combina- 
tion  des  secundärsuffixes  -la-  mit  -«^-stammen  erwachsen  wäre. 
Der  regelmässige  i-umlaut  der  wurzelvocale  erklärt  sich  bei 
der  annähme  vorausliegender  -a^-bildungen  in  keiner  Aveise. 
Nur  auf  eine  solche  bildung  wie  altn.  öxl,  st.  ahslü-  =  alts. 
ahsla  würde  demnach  die  Zimmersche  erklärung  zutreffen; 
aber  für  eben  diese  räumt  er  mir  ja  ein,  dass  es  wol  nach 
meiner  weise  zu  erklären  sei. 

Nach  diesen  auseinandersetzungen  nun  kann  ich  meine 
früher  entwickelte  ansieht  über  den  Ursprung  und  die  ausbrei- 
tung  der  suffixform  -sla-   folgendermassen  genauer  präcisieren. 

Das  -sla-  entstand,  indem  sich  von  solchen  nominibus,  die 
vermittels  des  sutfixes  -Ja-  aus  wurzeln  mit  dem  wurzeldetermi- 
nativ s  gebildet  waren,  durch  falsche  analogie  das  a-  mit  los- 
riss.  Wenn  mir  von  zwei  selten  entgegengehalten  worden  ist, 
dass  das  'wurzeldeterminativ'  s  ursprünglich  selbst  ein  suffix 
gewesen  sei  und  dass  darnach  wol  meine  darlegung  von  der 
entstehung  des  -sla-   etwas   zu  modificieren   seiiF  dürfte  (Gust. 


SUFFIXFORM  -SLA-.  345 

Meyer  Jen.  literatiirztg.  29.  mai  1875.  s.  387  f.,  Brugmau  zs. 
f.  d.  östeiT.  gymuas.  jahrg-.  1875.  s.  763  f.),  so  muss  icli  da- 
gegen bemerken,  dass  mir  eine  modificierung  meiner  ansieht 
deswegen  durchaus  nicht  notwendig  erscheint.  Dass  das 
wurzeldeterminativ  s  ursprünglich  ebenfalls  ein  suffix,  etwa 
-sa-,  gewesen  sei,  kann  recht  wol  sein  und  es  erscheint  das 
sogar  auch  mir  wahrscheinlich.  Trotzdem  würde  es  falsch 
sein,  nämlich  auf  eine  chronologische  Verwirrung  hinauskommen, 
wollte  man  sagen,  das  suffix  -sla-  bestehe  aus  den  beiden 
Suffixen  -sa-  und  -la-.  Nicht  als  eigenes  suffix  -sa-  ist  das  s 
mit  dem  suffixe  -la-  zu  der  selbständigen  doch  verhältnismässig 
sehr  jungen  suffixform  -sla-  zusammengeflossen,  sondern  einzig 
deshalb,  weil  durch  falsche  analogie  ein  stück,  das  wurzel- 
erweiternde s  aus  dem  fleische  des  radicalteiles  des  wortes 
mit  losgetrennt  wurde.  Die  liebhaber  der  zerschneidung  un- 
serer breiteren  suffixformen  in  mehrere  pronominalstämme  (hier 
etwa  -sa-  und  -la-)  finden  also  bei  unserem  suffixe  -sla-  für 
ihre  theorie  augenscheinlich  keinen  boden.  Von  einem  suffixe 
-san-  in  skr.  täkshan-  und  griech.  1\q,ov-  zu  sprechen  wird  nie- 
mand einfallen,  und  eben  so  wenig  etwa  von  einem  suffixe  -si- 
in  lat.  axi-s,  abulg.  osi,  lit.  asü-s]  sondern  das  s  wird,  mag  es 
in  einer  weit  früheren  sprachperiode  vielleicht  auch  selbst  ein 
suffix  gewesen  sein,  nunmehr  doch  ganz  notwendig  nur  zu  dem 
radicalteile  der  Wörter  geschlagen  werden  können.  Gustav 
Meyer  und  Brugman  übersahen,  als  sie  mir  obiges  entgegen- 
hielten, dass  ein  und  dasselbe  formative  dement  im  laufe  der 
Zeiten  ganz  seine  fuuctiouelle  uatur  ändern  kann  und  dann 
zuletzt  gar  nicht  mehr  den  uamen  verdient,  der  ihm  ursprüng- 
lich zukam.  Mag  auch  im  letzten  gründe  das  zweite  -a-  der 
indogermanischen  verbalform  bhar-a-ti  'er  trägt'  eben  so  gut 
ein  nominalsuffix  sein  wie  das  entsprechende  -a-  von  bhar-a-s 
'träger':  würde  es  nicht  dennoch  verfehlt  sein  zu  sagen,  in 
einer  bildung  wie  griech.  qtQ-t-xQo-v  habe  sich  das  nominal- 
suffix -tra-  an  das  ebenfalls  nominale  suffix  -a-  angehängt? 
Ich  beharre  demnach  bei  meiner  auffassung  von  dem  a-  als 
'wurzeldeterminativ '. 

Nachdem  nun  auf  die  von  uns  forsch.  I,  207  fl'.  näher  be- 
schriebene weise  das  -sla-  ein  selbständiges  suffix  geworden  war, 
fügte  es  sich  als  nominalstammbildend   dann   auch   an  andere 

23* 


346  OSTHOFF 

wiirzelu  oder  stamme  primärer  verba  an,  denen  von  hause  aus 
kein  wurzeldeterniinativ  s  zukam:  lat.  vcla-m  aus  ''"veh-slu-tn  (so 
fasst  jetzt  auch  Joh.  Schmidt  vocal.  II,  409  diese  bildung-  auf), 
\\i.  pa-ve'ik-sla-s,  ^oi.preih-sl ,  svum-sl,  altu.  yi.r/ ^  ahd.  weh-sal 
vom  stamme  des  starken  verl)s  altn.  vik-ja  (prüsensbiklung-  wie 
g'ot.  hid-ja:  perf.  altn.  veik),  ahd.  mc7<-aw  Sv eichen',  &\i'&.knd-sl 
=  ahd.  knno-sal.  Auf  dieser  stufe  blieb  aber  das  germanische  nicht 
stehen,  sondern  verwendete  das  einmal  gewonnene  suffix  -sla- 
alsbald  auch  zu  ableitungen  primärer  nomina  von  den  stam- 
men schwacher  verba,  und  so  entstand  im  deutschen  der 
suffixale  ausgang  -isla-. 

Um  betreffs  des  lateinischen  eine  ähnliche  Vermutung  zu 
wagen,  die  Vermutung  nämlicb,  dass  auch  hier  nach  einem 
verbalthematischen  vocal  die  suffixform  -sla-  gebraucht  worden 
sei,  so  möchte  ich  glauben,  dass  auch  solche  nomina  wie  lat. 
luela  'bilssung',  querela,  loquela,  fugela,  sequela  (Leo  Meyer 
vergl.  gramm.  II,  203)  das  suffix  -sla  enthalten.  In  der  be- 
deutung  als  nomina  actionis  würden  sie  schön  zu  den  germa- 
nischen Wörtern  auf  -sla-  sich  fügen.  Querela,  luela  wären 
dann  aus  *  quere- sla,  ''''lue -sla  entstanden  und  enthielten  den 
verbalthematischen  vocal  c\  die  mittelstufe  von  der  ursprüng- 
lichen form  sl  zu  einfachem  /  mit  vorhergehender  ersatzdehnung 
würde  in  der  assimilation,  welche  die  Schreibung  querella,  luella 
(Lucret.  III,  1013),  loquella,  medella  zeigt,  "'.orliegen.  Bei  den 
ableitungen  von  verbalstämmen  der  <~  -  conj  ugation,  bei  Wörtern 
wie  candela,  n'itela,  medela,  suadela  konnte  das  schwindende  s 
natürlich  keine  weitere  umgestaltende  Wirkung  auf  den  vorher- 
gehenden ohnehin  schon  langen  vocal  ausüben.  Aber  die 
Schreibungen  mit  II,  die  sich  auch  bei  diesen  Wörtern,  bei 
medella,  ntiella  finden  und  von  Lachmann  zu  Lucret.  p.  203  f. 
überall  für  die  besseren  erklärt  werden,  beweisen  dafür,  dass 
man  auch  bei  diesen  bildungen  aus  verbalstämmen  der  zwei- 
ten conjugation  nicht  schlechtweg  mit  der  annähme  eines  ein- 
fachen Suffixes  -la  auskommt.  Die  feminine  gestaltung  des 
Suffixes,  die  form  -slä  in  lat.  quere-lla,  findet  ihre  analogien  an 
den  vorhin  (s.  341)  genannten  altnordischen  schwachen  femi- 
ninen und  zeigt  sich  vereinzelt  auch  im  hochdeutschen,  z.  b. 
in  dem  starker  feminiudeclination  angehörenden  ahd.  rüm'i-sala 
Jactantia'  bei  Graft'  IV,  1140  neben  dem  mehrfach  erw^ähnten 


SUFFIXFORM  -SLA-.  347 

iieiitriim  Itruoml-sal  und  ferner  in  mlid.  riuwe-sal,  ebenftxlls  st. 
f.  'reue,  bekümmernis ' ;  vg-1.  das  mlid.  wörterb.  II,  1,  751,  wo 
das  gesclilecht  dieses  riuwe-sal  auifalleud  genannt  Avird.  Joli. 
Sclimidt  Tocal.  II,  360  anm.  erklärt  lat.  querella,  quercla  aus 
''^- quere- tla]  aber  dem  widerspricht,  dass  sonst  im  lateinischen 
die  lautgruppe  tl  erweislich  nur  entweder  zu  tul  oder  zu  cl, 
cul  wird. 

Ueber  das  s  der  suffixform  -slra-  (got.  huü-str)  habe  ich 
jüngst  an  einem  andern  orte,  in  der  ' Zeitschrift  für  vergleich. 
Sprachforschung'  XXIII,  s.  313  if.,  meine  ansieht  ausführlicher 
kund  gegeben.  Hinsichtlich  des  resultats  meiner  dort  geführten 
Untersuchung  über  dieses  -stra-  sei  hier  die  recapituliereude 
andeutung  gestattet,  dass  auch  bei  ihm  die  angebliche  her- 
kunft  des  s  von  -aA-stämmen  so  unwahrscheinlich  wie  nur  mög- 
lich ist,  und  dass  ich  dagegen  eine  weit  probabelere  erklärung 
desselben  s  gegeben  zu  haben  zuversichtlich  überzeugt  bin. 

LEIPZIG,  im  jannar  1876.  H.  OSTHOFF. 


UEBER  DEN  HYMNUS  CAEDMONS. 

Jbiitkleidct  man  die  bekannte  crzählimg-,  welche  Beda  in 
seiner  kirclieugcscliiclite  IV,  24  über  Caedmon  und  dessen 
dichtuugeu  berichtet,  ihrer  legendenhaften  umhüllnng,  so  bleibt 
als  kern,  dass  vor  Bedas  zeit  ein  dichter  in  Nordhumbrien 
lebte,  welcher  stoffe  aus  der  bibel  und  aus  sonstigen  frommen 
Schriften  in  seiner  muttersprache  besang.  Da  Beda  selbst  ein 
Nordhumbrier  war,  zu  Wearmouth  lebte,  also  nicht  weit  vom 
kloster  Streaneshalh  (Whitby),  wo  Caedmon  gedichtet  haben 
soll,  auch  nur  ein  menschenalter  später  i),  so  ist  kein  grund 
vorhanden  zu  glauben,  Beda  habe  sich  von  den  mönchen  eine 
aus  der  luft  gegriffene  geschichte  aufbinden  lassen,  erfunden, 
um  dem  kloster  Streaneshalh  grössern  glänz  zu  verleihen'-), 
sondern  wir  dürfen  annehmen,  dass  Caedmon  wirklich  lebte 
und  dichtete.-^)  Besonders  spricht  noch  für  letztere  annähme, 
dass  Beda,  selbst  so  vertraut  mit  der  vaterländischen  literatur. 


')  Beda  wurde  672  oder  673  geboren,  Caedmon  soll  iim  CSO  gc- 
orben  sein. 

-)  Diese  ansieht  wird  angedeutet  von  Isaac  Disraeli  in  seinen  Amen- 
ities  of  Litcrature,  im  aufsatze  'Caedmon  andMilton'  p.  38.  Ich  citiere 
nach  der  New  Edition  ed.  by  his  son.  London,  F.  Warne  and  Co. 

^)  Die  ansieht,  wie  der  name  Caedmon  entstanden  sei,  die  Disraeli 
p.  40  anführt:  es  wäre  dem  dichter  der  Genesis  dieser  name  von  Beda, 
der  hebräisch,  wol  auch  chaldäisch  verstanden  habe,  gegeben  worden, 
weil  'the  initial  word  of  Genesis  in  Chaldee  and  printed  in  Hebraic 
characters  exhibits  the  presumed  name  ofthe  Saxon  monk  (d.h.  b'Cadmon), 
ist,  wenn  sie  auch  Morley,  first  Sketch  of  English  Literature  (p.  IS)  an- 
nimmt, zu  scharfsinnig,  um  glaublich  zu  sein.  Ueber  die  bedeutung  des 
namens  =  nauta,  pirata  vgl.  Grimms  gramm.  II,  507  und  Bouterwek,  de 
Cedmone  poeta  Anglo-Saxonum  vetustissimo.  Elberfeld  1845. 


HYMNUS  CAEDMONS.  349 

vom  Caedmon  urteilt  a.  a.  o. :  Et  quidem  et  alii  post  illuni 
(sc.  Caedmoucm)  in  geilte  Aiigloruin  icligiosa  poeniata  facerc 
teiitabant,  sed  niülus  eum  aequiparare  potuit. 

Er  führt  dann  auch  noch  die  eingangsverse  der  Caedniou- 
schen  diclitung  von  der  Genesis  an.i)  Alles  dies  spricht  da- 
für, dass  Beda  genau  von  Caedmon  wüste  und  mit  dessen 
dichtungen  vertraut  war.  Weiter  wird  ])ericlitet  von  diesem 
dichter: 

Canebat  autem  de  creatione  mundi  et  origine  huniani  ge- 
ncris  et  tota  Genesis  liistoria,  de  egressu  Israel  ex  Aegypto  et 
iugressu  in  terram  repromissionis.  De  aliis  plurimis  Sacrae 
Seripturae  historiis,  de  incarnatione  dominica  ac  passioue  et 
resurrectione  et  ascensione  in  coelum,  de  adventu  Spiritus 
sancti  et  apostolorum  doctrina.  Item  de  terrore  futuri  judicii 
et  horrore  poenae  gehennalis  ac  dulcedine  regni  coelestis  multa 
carmina  faciebat;  sed  et  alia  perplura  de  beneficiis  et  judiciis 
divinis,  in  quibus  cunctos  homines  ab  amore  scelerum  abstra- 
lierc,  ad  dilectiouem  vero  et  solertiam  bonae  actionis  excitare 
curabat. 

Es  wäre  sonderbar,  wenn  bei  der  grossen  liebe,  welche 
die  Ags.  für  ihre  dichtungen  hegten,  die  werke  eines  so  frucht- 
baren dichters  gänzlich  verloren  gegangen  wären.  Nichts  war 
daher  natürlicher,  als  dass  man  nach  den  werken  dieses  alt- 
vaters  der  christlich -angelsächsischen  dichtung  suchte,  vom 
augenblicke  an,  wo  das  Interesse  für  das  ags.  wider  in  Eng- 
land auflebte.  Als  dann  erzbisch of  Usher  dem  Franciscus 
Junius  eine  ags.  hs.  schenkte,  worin  eine  dichtung  über  Genesis 
und  Exodus  und  ähnliche  gegenstände  sich  fand,  trug  letzterer 
kein  bedenken,  dieselbe  als:  Ccedmonis  paraphrasis  poetica  Ge- 
nesios  ac  praecipuarum  sacrae  pafjinae  historiarum  1655  lieraus- 
zuge1)en. 

Viel  ist  seitdem  hin  und  her  gestritten  worden,  ob  wir  in 
der  erhaltenen  Genesis  wirklich  die  des  von  Beda  crwälmtcn 
Caedmon  vor  uns  haben   oder  nicht.     Hickcs  verwirft   die  au- 


')  Die  angeführten  vcrse  sind,  nach  Beda,  der  anfang  der  Genesis. 
Dies  geht  hervor  aus  den  werten :  At  ille  (angelus):  Cauta,  inquit,  piin- 
cipium  creaturarum.  Quo  accepto  statim  ipse  coepit  cantare  in  iaudeiu 
dei  conditoris  versus  (luos  nimquam  audierat,  quorum  istc  est  sensus: 
Nunc  laudare  debemus  etc. 


350  WULCKER 

sieht  des  Junius.^)  Genauer  spricht  er  sich  dann  über  diesen 
puukt  in  einem  bricfe  au  seinen  freund,  biscliof  Nicolson  -)  aus : 
As  for  Junius  's  Caedmon,  I  cannot  yet  believe  it  to  be  of 
the  truc  Caedmon's  composure.  First,  because  the  fragment  in 
Bede,  which  was  the  beginning  of  the  true  Caedmon,  is  not 
the  same  in  words,  or  order  of  words,  with  that  of  Junius  's 
Caedmon;  but,  being  the  same  in  seuse,  it  seems  to  shovv  that 
the  author  of  Junius  's  Caedmon  wrote  in  imitation  of  the  true 
Caedmon,  and  was  not  the  true  Caedmon  himself,  no  more 
than  the  author  of  the  Additament  at  the  end  of  the  book; 
though  it  must  be  confessed  that  the  Additament  hath  a  more 
recent  air,  at  first  sight,  than  the  paraphrase  of  Genesis,  which 
makes  the  first  part  of  the  book.  Ausserdem  findet  Hickes  in 
der  erhaltenen  Genesis  so  viele  Dano-Saxonic  words  and  phrases, 
die  auf  spätere  zeit  der  entstehung  hinwiesen. 

Conybeare  wendet  sich  besonders  gegen  letztern  vorwürfe), 
auch  Thorpe-i)  führt  mit  recht  aus,  dass  sich  in  diesem  werke 
nicht  mehr  dänische  Wörter  fänden,  als  in  der  spräche  Aelfreds. 

Die  andere  behauptung  von  Hickes  ist  aber  ebenfalls 
grundlos.  Beda  sagt  in  der  stelle,  wo  er  den  anfang  von 
Caedmons  paraphrase  anführt: 

Quo  accepto  responso  statim  ipse  (Caedmon)  coepit  can- 
tare  in  laudem  Dei  conditoris  versus,  quos  nunquam  audierat, 
quorum  iste  est  sensus:   Nunc  laudare  etc.  —  Ferner: 

Hie  est  sensus,  non  autem  ordo  ipse  verborum,  quae  dor- 
miens  ille  canebat.  Neque  enim  possunt  carmina,  quam  vis 
optime  composita,  ex  alia  in  aliam  linguam  ad  verbum,  sine 
detrimento  sui  decoris  ac  dignitatis,  transferri. 

Schon  Ettmüller  machte  in  dem  werke,   welches  mit  das 


1)  Hickesü,  Thesaurus  Linguarum  Septentrionalium.  Oxford  1705. 
I,  p.  133. 

-)  Die  briefe  des  bischofs  Nicolsou  wurden  herausgegeben  von 
J.  Nichols,  wo  dieses  schreiben  I,  p.  119  steht.    Vgl.  Thorpe  IX  anm. 

3)  Conybeare,  lUustrations  of  Anglo-Saxon  Poetry.  London  1S26, 
p.  184  ff. 

*)  Caedmon's  Metrical  Paraphrase  of  Parts  of  the  Holy  Scriptures, 
in  Anglo-Saxon,  with  an  English  Translation  etc.  by  Benj.  Thorpe. 
London,  published  by  the  Society  of  Antiquaries  of  London  1832, 
p.  IX  u.  X. 


HYMNUS  CAEDMONS.  351 

Studium  des  agu  iu  Deutschland  bcgTüudeu  half  i),  aufmerksam, 

dass  Beda   also  nur  den  sinn,  nicht   die  Avorte  des  einganges 

geben  will. 

In  Aelfreds  Übersetzung   aber  finden   sich   ags.  verse,   die 

etwas  vom  Latein   abweichen.  Sollten  dies  die   ächten  sein? 

Zum  vergleiche  folgen  beide  texte-): 

1.    Nunc  laudare  debemus  Nu  we  sceolan  herijean 

iuictorem  regni  coelestis,  heofonrices  weard 

potentiam  creatoris  metodcs  mihte 

et  cousilium  illiiis,  aud  his  modjelnxnc 

5.    facta  patris  gloriae ;  wera  wuldorfa^der  (wiildor  ^odes).^) 

quo  modo  ille,  swa  he  wundra  gehwaes 

cum  sit  aeternus  deus,  ece  drillten 

omnium  miraculorum  auctor  ex-  ord  onsteald. 

qui  primo  filiis  homimim    [titit,  he  agrest  scop  eorÖan  bearnum 

10.   coelum  pro  cuhuine  tecti,  heotbn  to  hvofe  haiig  scijppciid 

dehinc  terram  fia  middaujeard 

custos  humani  generis  moncynnes  weard 

omnipotens  ece  (b'ihtne  sefter  teode 

creavit.  ß-um  foldau  frea  a^lmihtij. 

Die  abweichungen  des  ags.  textes  vom  Latein  sind  sehr 
unbedeutend.  Drei  halbzeilen,  die  cursiv  gedruckten,  wurden 
offenbar  des  Stabes  wegen  zugefügt  und  frea  ailmihti^  =  omni- 
potens versetzt. 

Hätten  wir  also  iu  den  Aelfredschen  Worten  den  ursprüng- 
lichen text,  so  wäre  Bedas  bemerkung  und  entschuldigung 
wegen  der  freien  Übersetzung  diü-chaus  unberechtigt. 

Man  könnte  noch  zwei  dinge  dafür  anführen,  dass  wir  bei 
Aelfred  den  ächten  text  hätten.  Beda  sagt:  Hie  est  sensus, 
non  autem  ordo  ipse  verborum,  und  Aelfred  führt  seine  verse 
ein :  pa  on^an  he  sona  sin^an  in  herenesse  godes  and  scyppen- 
des  J?a  fers  and  Öa  word  8e  he  nsefre  ne  ^ehyrde,  |?ara  ende- 


')  Engla  and  Seaxna  Scöpas  and  Böceras ,  Anglo-Saxouum  poetae 
atque  scriptores  prosaici,  quorum  opera  .  .  .  edidit  Lud.  EttmüUerus. 
Quedlinburg  u.  Leipzig  1850.  Band  2S  der  bibliothek  der  gesammten 
deutschen  nationalliteratur  p.  XV  u.  XVI. 

-)  Beide  texte  sind  gegeben  nach  Historiae  ecclesiasticae  Gentis 
Anglorum  libri  V  a  venerabili  Beda  presbytero  scripti;  ab  augustissimo 
veterura  Anglo-Saxonum  rege,  Alfredo  examiuati,  ejusque  paraphrasi 
Saxonica  eleganter  explicati  etc.  editi  opera  et  studio  Abrahami  Wheloci. 
Cantabrigiae  1G44,  p.  328. 

3)  wuldor  jedes  liest  die  Corpus  Christi  College-hs.  zu  Cambridge. 


352  WULCKER 

bynlncssc  pis  is.  —  Eadcbvrdncssc  bedeutet  ja:  Ordnung, 
reilieiilblye.  Man  könnte  daher  l)ehaupten  wollen,  Aelfred  hätte 
das  'cudebyrdncsse'  dem  Miic  est  sensus,  non  autem  ordo' 
i^'egeniiberstellend  ausdrücken  wollen,  er  habe  die  verse  in 
Ordnung  gebracht,  somit  den  waliren  text  Caedmons  gegeben. 
Allein,  wie  schon  gesagt,  sind  die  ander ungcn  Aelfrcds  so  gut 
wie  keine.  Endebyrdnesse  bat  daher  hier  keinen  andern 
sinn,  als;  sie  lauten  wie  folgt,  sie  heissen  folgendermasseu. 
Ein  anderer  einwand  wäre  etwa  noch  der,  dass  jemand  be- 
haupten könne:  Beda  sagt,  er  habe  den  sinn,  aber  nicht  ordo 
verborum  gegeben.  Die  ordo  beziehe  sich  aber  gerade  darauf, 
dass  im  ags.  des  Stabreimes  wegen  die  folge  der  Wörter  eine 
andere  war,  die  im  Latein  nachzuahmen  unmöglich  gewesen 
wäre.  Allein  was  hätte  denn  Beda  gehindert,  statt  seiner 
Wortstellung,  anzuordnen :  Nunc  debemus  laudare  coelestis  regni 
auctorem,  creatoris  poteutiam,  et  illius  consilium,  facta  patris 
gloriae  (werc  Avuldorfieder  ist  wol  das  ursprüngliche,  wera 
aber  leicht  erklärlich).  —  Weit  entfernt,  dass  dadurch  die 
Wortstellung  unlatoinisch  geworden  wäre,  hätten  die  worte  so- 
gar mehr  nachdruck.  Und  warum  hätte  er  die  fehlenden  halb- 
zeilen  nicht  in  den  lateinischen  text  aufnehmen  können? 
Hierauf  also  bezieht  sich  Bedas  bemerkung  non  autem  ordo  ge- 
wis  nicht! 

Bouterwek  ^)  wundert  sich  dann  noch,  dass  Aelfred  die 
worte:  'Hie  est  sensus  —  sine  detrimento  sui  decoris  ac  digni- 
tatis  transfcrri'  (vgl.  oben)  hin  weggelassen,  und  dies  könnte 
vielleicht  jemand  darauf  deuten,  dass  Aelfred  die  ächten  verse 
eingefügt  hätte.  Allein,  wenn  i\.elfred  aucli  nur  die  lateinischen 
worte  ins  ags.  zurück  übertrug,  so  hatte  die  angeführte  bemer- 
kung keinen  sinn  und  wäre  sogar  den  lesern  ganz  unverständ- 
lich geworden.  Die  verse  Caedmons,  die  Aelfred  gibt,  sind 
also  nur  eine  rückübersetzung  des  lateinischen  bei  Beda  und 
enthalten  den  sinn,  nicht  die  worte  des  ächten  Caedmon. 
Was  also  ThorjDe^)   vermutete,  indem   er  sagt:    4he  lines  in 


')  Vgl.  Bouterwek  ,  Ucber  Caedmon ,  den  ältesten  ags.  dichter  und 
desselben  metrische  puraphrase  der  heiligen  schrift.  Programm  des  gym 
nasiums  zu  Elberfeld  1845,  p.  6,  anm.  4. 

2)  a.  a.  0.  p.  XL    (Diese  seite  ist  fälschlich  bei  Thorpe  als  IX  be- 


HYMNUS  CAEDMONS.  353 

questiou  appear  in  Bedas  origiualtext  only  in  a  Latin  trans- 
lation,  whicli  Aelfred  in  Ins  versiou,  iustead  of  giving  tlie  ori- 
ginal fSaxon  as  writteu  by  Caedmou,  seems  to  liave  retraus- 
lated'  ergibt  sich  zweifellos  als  richtig. 

Dieses  endergebnis  wird  aber  von  noch  grösserer 
Wichtigkeit. 

Bedas  Caedmon  war  ein  Nordhumbrier.  Die  verse  bei 
Aelfred  sind  aber  in  Avcstsächsischem  dialecte.  Also  man  niilste, 
'wenn  man  auch  die  ächten  verse  Caedmous  darin  sehen  Avollte, 
jedenfalls  zugestehen,  dass  Aelfred  dieselben  nicht  im  ursprüng- 
lichen dialecte  gebe.  Doch  es  fanden  sich  in  einem  codex  des 
Lateinischen  Beda,  der  nach  Wanley  II,  287,  aus  dem  jähre 
737  stammt,  die  Caedmonschen  verse  in  nordhumbrischem  dia- 
lecte 1)  und  diese  gelten  verschiedenen  gelehrten  für  die  ächten, 
manchen  für  die  einzig  ächten  verse  Caedmons.-)  Zunächst 
mag  das  alter  des  codex  manchen  bestochen  haben.  Aber,  wie 
Conybeare  versichert  3),  ist  der  lateinische  Beda  allerdings  aus 
dem  8.  jahrh.  Dagegen:  Wanley  himsclf  however  has  some 
doubt  whether  the  handwriting  of  this  addition  (for  such  it  is) 
be  coeval  with  that  of  the  entire  MS.  There  a})pcars  to  me 
streng  ground  for  thinking  it  the  work  of  the  11  th  or  12  th 
Century,  and  of  an  inexperienced  scribe. 

Zunächst  mögen  beide  texte,  der  nordhumbrische  und  der 
ags.,  folgen-*): 


zeichnet.)  Pauli  in :  König  Aelfred  und  seine  Stellung  in  der  gescliichte 
Englands,  Berlin  1851,  scheint  auch  p.  233  dieser  ansieht  zu  sein. 

')  Wanley  sagt  in  bezug  auf  unser  gedieht :  Ad  calcem  hujus  codi- 
cia  legitur  (si  non  eadem  saltem  manu  aeque  antiqua)  cauticum  illud 
öaxonicum  Caedmonis  monachi  a  Baeda  in  suae  historiae  ecclesiasticae 
libro  IV,  24  memoratum.  —  Ego  autem  iterum  publicandum  censeo 
tanquam  unmium  quae  in  nostra  lingua  etiamnum  extent  uionumentoruni 
pene  vetustissimuiu. 

2)  Vgl.  Wanley,  vorige  anin.  Bouterwek,  Caedmons  des  Angel- 
sachsen biblische  dichtungen,  I.  teil.  Gütersloh  IS54,  p.  CCXXVII  und 
CCXXVIII. 

^)  Conybeare  a.  a.  o.  p.  6,  anm.  2. 

*)  Beide  texte  sind  nach  Zupitza  (Altenglisches  Übungsbuch  zum 
gebrauche  bei  universitätsvorlesungcn,  mit  wörter!)uch,  Wien  ISTl)  ge- 
geben, p.  1  u.  11,  da  die  dort  gedruckten  texte  auf  den  sorgfältigen 
collationen  Schippers  beruhen. 


354  WÜLCKER 

Nu  scylun  licrstiu  liofa-uricccs  luird,  Nu    \vc    sceulan    berigcau  heotbn- 

rices  wcard, 

uictu(l;os  iiia'cfi  ciid  his  luod^^idanc,  mctodcs  militc  and  bis  luodjef'anc, 

ucrc  uuldurtadur,    sue   lic    uundra  wcra  \vuldorf;vder,  swa  he  wundra 

5iliu;us,  gehwses, 

eci  dryctiu,  or  astelida',  ecc  drihton,  ord  oustealde. 

be  cerist  scop  a^lda  barnum  be  aerest  geseop  eoröan  bearnum 

hebcu  til  hrofc,  halej  scepeu:  beofon  to  hrofe,  balij  scyppend : 

tba  uiiddunjeard  moncyiiuais  uard,  |'a  ruiddanjeard  moncynnes  weard, 

eci  dryctiu,  a^fter  tiadaj  ecc  drihten,  a^ftcl•  teode 

firura  tbldu,  frca  alhnectij.  firum  foldan,  frea  aibuihtij. 

Auf  den  ersten  blick  ergibt  sich,  dass  das  eine  nur  eine 
iibertiag'ung-  des  andern  in  andern  dialekt  ist.  Beides  aber 
sind,  nach  dem  oben  gesagten,  nur  Übersetzungen  der  lateini- 
schen Worte  Bedas  und  da  diese  nicht  die  genaue  widergabe 
des  Caedmonschen  anfangs  sind,  so  haben  die  nordhumbrischen 
yerse  eben  so  wenig  recht  darauf,  eine  ächte  hymne  Caedmous 
genannt  zu  Averden,  als  die  Aelfreds,  Damit  fällt  Ettmiillers 
bemerkung ') :  Codex  denique  Elyensis,  quem  Wanlejus  anno 
p.  Chr.  737  scriptum  affirmavit,  hocce  Caedmouis  Carmen  dia- 
lecto  Anglica  exhibet,  disertisque  verbis  addit:  Primo  cantavit 
Caedmon  istud  carmen.  Quae  cum  ita  sint,  quin  ipsum  Caed- 
monis  carmen  in  somno  factum  ad  nos  usque  pervenerit ,  equidem 
non  duhito.  Auch  Bouterweks  ansieht-):  die  origvnaliiät  des- 
selben (des  nordhumbrisclien  hymnus)  kann  kaum  bestritten  wer- 
den, dazu  ist  die  spräche,  wenn  auch  nicht  rein,  doch  leidlich 
nordhumbrisch.  —  Ferner:  kei7i  gedieht  in  germanischer  zunge  ist 
so  alt,  wie  Caedmons  hymnus,  erweist  sich  als  falsch.  Unhalt- 
bar wird  ferner  das  von  H.  Sweet  gesagte  3) :  The  first  lines  of 
Caedmon  are  preserved  at  the  end  of  a  Ms.  of  Bede's  Ecclesiasti- 
cal  History  of  the  early  pari  of  the  eighth  Century.  They  agree 
very  closely  with  Bede's  translation  of  them  in  the  history,  and 
as  they  are  in  the  old  Northumbrian  dialect  we  may  conclude 
that  in  them  we  have  the  exact  words  of  the  poet.    Es  stellt 


»)  a.  a.  0.  p.  XVI. 

2)  an  den  s.  353,  anm.  2  angeführten  stellen. 

3)  In:  History  of  Poetry  from  the  twelfth  to  the  Close  of  the  six- 
teenth  Century,  by  Th.  Warton.  Edited  by  W.  Carew  Hazlitt.  London 
1871.  Vol.  II,  p.  15,  wo  Sweet  eine  Sketch  ofthe  History  of  Anglo-Saxon 
Poetry  gibt. 


HYMNUS  CAEDMONS.  355 

sich  damit  aber  auch  heraus ,  dass  Zupitza  i)  durchaus  nicht 
berechtigt  ist,  in  seinem  übung-sbuche  die  uordhumbrischen 
Zeilen  als  Caedmons  hymnus  und  als  ältestes  der  in  seiner 
Sammlung  enthaltenen  denkmäler  aufzustellen. 

Obgleich  also  nach  Conybeare  die  uordhumbrischen  verse 
jünger,  bedeutend  jünger  als  der  lateinische  text  sind,  in  wel- 
chem sie  sich  finden,  so  könnte  man  doch  etwa  annehmen,  sie 
seien  älter  als  Aelfreds  Übersetzung. 

Doch  schwer  glaublich  ist  es,  dass  Aelfred  diese  Übertra- 
gung eines  unbekannten  benutzt  habe;  und  dies  müste  jeden- 
falls geschehen  sein,  wenn  der  andere  nicht  Aelfreds  worte  vor 
sich  hatte !  Ettmüller  2)  macht  noch  einen  beachtenswerten  ein- 
wand: er  hält  die  wortformen  für  zu  alt,  als  dass  sie  (nach 
Conybeare)  in  das  11.  oder  12.  jahrh.  gehörten.  Gerne  gebe 
ich  zu,  dass  diese  zeit  vielleicht  wider  etwas  zu  jung  für  un- 
sere verse  ist,  allein  etwa  10.  oder  anfang  des  11.  Jahrhunderts 
anzunehmen,  daran  hindert  uns  nichts. 

Die  uordhumbrischen  glossen  im  sogenannten  Durham 
books),  wahrscheinlich  aus  dem  10.  Jahrhundert,  weisen,  wie 
der  Nordh.  hymnus,  auf:  als  unbetonten  vocal  i  und  »3  =  ags. 
e,  ferner  io  neben  eo.  Von  cousonantischen  abweichungen  fin- 
den wir  A  =  ])]  u,  uu  =  w,  wu;  b  neben  f  im  inlaute. 
Dem  entsprechend  steht  im  hymnus:  ec/,  dryctm,  ser/st  etc.; 
metudöps,  hefseuricöss,  moncynn«?s  etc.;  tiaäsa-,  ferner:  modgi- 
<?anc;  unvd,  werc,  ?«mdra  und  z«ddur;  he&en  neben  he/anrica)s; 
alles  also  eigentümlichkeiten,  welche  den  hymnus  nicht  vom 
nordh.  nach  Aelfreds  zeit  unterscheiden. 

Nur  eines  könnte  älter  erscheinen.  Im  Durham  book 
findet  sich  der  Infinitiv  mit  abgeworfenem  n,  während  wir  im 
hymnus  'hergaw'  lesen.  Abgesehen,  dass  dies  möglicherweise 
durch  den  Schreiber  gekommen,  welcher  den  ags.  hymnus  vor 
sich  hatte,  so  treten  uns  z.  b.  im  uordhumbrischen  priester- 
gesetze  bei  Schmid^)  §  47  Infinitive,  wie  wuröian,  lufiau,  heal- 


')  a.  a.  o.  p.  1. 

2)  a.  a.  o.  p.  25  .inmcrkung. 

^)  Die  vier  evangelien  in  alt-nordhurabrischer  spräche.    Herausgeg. 
von  K.  W.  Bouferwek.    Gütersloh  1S57. 

'0  Die  gcsetze  der  Angelsachsen.    In  der  Ursprache  mit  Übersetzung 


356  WÜLCKER 

dau,  awurpau  entgegen.  Dieses  gesetz,  welches  eine  reihe 
uordhumbrischer  cigentiiuilichkciten  aiifAveist  (vor  allem  hat  es 
kurzes  a  vor  m  und  n  rein  bev/ahrt),  steht  iu  einem  codex, 
welcher  nach  Wanley  der  zeit  Willielms  des  eroberers  auge- 
hört. Mag  vielleicht  auch  die  hs.  des  priestergesetzes  etwas 
älter  sein,  so  dürfen  wir  sie  doch  kaum  über  den  aufang  des 
11.  Jahrhunderts  zurück  datieren.  Das  abwerfen  des  infinitiv-n 
in  nordhumbrischen  denkmäleru  erstreckte  sich  also  wol  nur 
auf  einzelne  teile  Nordhumbriens,  das  beibehalten  desselben 
dagegen  spricht  nicht  für  ältere  abfassungszeit.  Ganz  entschie- 
den aber  scheint  mir  der  gebrauch  des  th  im  hymnus,  statt  \ 
oder  8  (z.  7  tha)  auf  eine  verhältnismässig  junge  zeit  zu 
deuten.  Vor  dem  12.  Jahrhundert  lässt  sich  die  Schreibung  th 
wol  kaum  belegen,  i)  —  Sprachlich  steht  also  gewis  nichts  im 
wege,  anzunehmen,  dass  die  nordhumbrischen  verse  später  ent- 
standen, als  Aelfreds  Übersetzung  der  lateinischen  worte  Bedas 
also  keinenfalls  die  ächten  worte  des  Bedaschen  hymnus  etit- 
halten. 

Es  bliebe  nun  noch  die  frage  übrig:  dürfen  wir  in  der  in 
westsächsischem  dialecte  auf  uns  gekommenen  Genesis  und 
Exodus  eine  Übertragung  des  ächten  Caedmon,  wenn  auch 
stellenweise  sehr  verändert,  interpoliert  etc.  sehen? 

Da  ich  diesen  gegenständ  demnächst  noch  einmal  aus- 
führlicher zu  behandeln  gedenke,  genüge  für  dieses  mal  nur 
die  bemerkung,  dass  mir  die  behauptung  noch  nicht  erwiesen 
zu  sein  scheint,  der  westsächsischen  Genesis  läge  nicht  die 
dichtung  des  Bedaschen  Caedmon  zu  gründe,  dass  ich  mithin 
die  frage  noch  als  eine  offene  betrachte  und  daher  kann  ich 
durchaus  nicht   mit   meinem   freunde   Sievers   übereinstimmen, 


und  erlJiuterungen,  herausgeg.  von  dr.  Reinhold  Schmid.  1 .  ansg.  Leipzig 
18:52,  p.   192  und  LXXXIV,  no.  9. 

')  Meines  wissens  findet  sich  th  statt  j^  oder  Ö  zuerst  in  der  hs.  der 
Soliloquien- Übersetzung,  welche  Aeltred  zugeschrieben  wird.  Obgleich 
dieselbe  jetzt  in  einem  bände  mit  Beowulf  (Cott.  Ms.  Vitellius  A,  XV) 
zusammen  gebunden,  ist  sie  kaum  vor  anfang  des  12.  Jahrhunderts 
zu  setzen. 


HYMNUS  CAEDMONS.  357 

weicher  von  der  westsäclisiscbeu  Genesis  spricht  als  von  ciuer 
früher  dem  Caedmon  zugeschriebenen,  uiithiu  die  frage  als  voll- 
kommeu  erledig-t  ansieht.  1) 

')  E.  Sievers,  Der  Heliand  und  die  angelsächsische  Genesis.    Halle 
a.  d.  S.  1ST5,  p.  6  oben. 

LEIPZIG.  RICHARD  WÜLCKER. 


GEISTLICHE  STUCKE  AUS  DER  BERNER 
GREGORIUSHANDSCHRIFT. 


JJie  von  herrn  iDvofessor  B.  Hidber  in  Spiez  aufgefundene 
hs.,  aus  welcher  im  ersten  hefte  dieses  bandes  (s.  90 — 132) 
Hartraanns  Greg-orius  abgedruckt  ist,  enthält  noch  auf  seite 
195 — 222  eine  anzahl  kleinerer  stücke  geistlichen  Inhalts,  die 
im  folgenden  nach  der  von  dem  auffinder  genommenen  ab- 
schrift  veröffentlicht  werden.  Es  ist  dabei  die  Orthographie 
beibehalten  und  in  derselben  weise  widergegeben  wie  beim 
Gregorius  (vgl  s.  133),  aber  Interpunktion  eingeführt,  Verbesse- 
rungen in  runden  klammern  beigefügt,  überflüssiges  durch 
eckige  klammern  bezeichnet,  ergänzungen  (durch  cursivdruck 
kenntlich)  hinzugefügt.  Wo  mir  etwas  unverständlich  war, 
ohne  dass  ich  eine  befriedigende  besserung  wüste,  habe  ich 
dies  durch  ein  ?  angedeutet. 

Die  beiden  ersten  stücke  haben  gleiche  strophenform  (die 
richtige  absetzung  der  Strophen  ist  nicht  handschriftlich),  rühren 
also  vermutlich  von  demselben  Verfasser  her.  Die  reime  zeigen, 
dass  sie  nicht  viel  älter  sind  als  die  hs.  Sie  bieten  sprachlich 
wie  sachlich  manches  interessante.  In  dem  Marienliede  finden 
sich  neben  den  gewöhnlichen  vergleichen  auch  verschiedene, 
die  sonst,  so  viel  ich  sehe,  nicht  nachzuweisen  sind;  vgl.  be- 
sonders 33.  55  —  58.  73.  85. —  Die  Marienklage  ist  eine  späte 
compilation,  in  der  wenig  selbständiges  ist,  das  meiste  aus 
altern  klagen  entlehnt.  Am  nächsten  schliesst  sie  sich  au  den 
von  Mone  (Schauspiele  des  mittelalters  I,  210  ff")  herausgege- 
benen Spiegel  an.  Die  unter  dem  text  gegebeneu  vergleichungen 
sind  mir  von  herrn  Gustav  Milchsack  in  Leipzig  zugestellt, 
der  mit  eingehenden  Studien  über  die  passionsspiele  beschäf- 
tigt ist. 

FREIBURG  i.  Br.  H.  PAUL- 


GEISTLICHE  STÜECKE.  3r)9 


1.    Lied  von  der  messe. 

195]     Got  in  driualtikait  ainvalt, 

Aue  zwifel  weder  jung  noch  alt, 

Ain  ding,  ain  wesen,  dry  gestalt, 

Der  alle  ding  schuf  mit  gewalt, 

Der  hat  v'ns  cristau  vss  gezalt  5 

Daz  er  v'ns  ewenklich  behalt 

In  siner  engel  chören. 

Got  hat  mit  vil  fignren  schin 
Erzögt  daz  ze  lest  sol  sin 

Daz  wirdig  brot  vnd  och  der  win,  10 

Gemischelt  mit  wasser  clär  vnd  vin, 
Daz  v'ns  ab  tilgot  die  ewig  piu ; 
Wand  ez  ist  aller  seiden  schrin 
Den  die  darzü  gehören. 

Melchisadech  waz  ain  anvang  15 

Dez  höchsten  opphers  sunder  wank: 
Do  Abraham  vier  küng  bezwang, 
196]     Do  brächt  man  im  zu  eren 
Gesegnot  brot  vnd  trank. 

Dar  nach  kam  Moyses  v'ber  lang:  20 

Do  Pharon  in  dem  mer  ertrank, 
Do  wolt  got  wunder  meren. 
Daz  brot  von  himel  her  ab  swang: 
Die  jütschait  sait  jm  klainen  dank. 
Do  Dauit  wart  von  hunger  krank,  25 

Vnd  {lies  er)  sich  dez  brotz  wolt  neren. 

Do  nu  die  sälig  zit  kam 

Daz  er  lösen  wolt  Adam, 

Do  wuchs  ain  seldenricher  stamm, 

Maria,  die  macht  got  so  zam  30 

Daz  er  an  sich  die  menschhait  uam 

Vnd  für  v'ns  starb  alz  ain  lamp 

Vmb  v'nser  huld  ze  erwerben. 

Do  er  vff  erd  bi  siner  schar 
Sich  verwandlen  wolt  so  gar  35 

In  brot  in  win,  die  selig  nar, 
197 J     Er  bot  sich  selb  in  allen  dar: 

Er  sprach  nu  nempt  mins  lidens  war: 

Wie  dik  v'ch  daz  wider  var, 

So  gedenkent  an  min  sterben.  40 

Sin  gnäd  sich  do  zu  v'ns  verbaut: 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   III.  24 


800  HIDBER  UND  PAUL 

Er  sant  v'ns  gar  ain  kostlich  pfant, 

tjich  selber  mit  siner  rechten  haiid 

v'ns  armen  hie  zu  geben, 

Duz  v'ns  die  gewishait  dez  ermant  45 

Besitzen  sius  vatter  land. 

Wer  mit  got  hie  ist  recht  bekant 

Vnd  jm  kan  dienen  eben, 

Der  sech  au  dem  crütz  dz  vaut  {lies  phant) 

Daz  jm  die  ewig  pin  verswant.  50 

Got  wirt  all  tag  her  ab  gesant 

Vmb  v'nser  ewig  leben. 

Versuchen  smekeu  griffen  gesiebt 
Kan  menschlich  kraft  besinnen  nicht: 
Der  glöb  mit  hören  daz  vergicht,  55 

Daz  mit  v.  (l.  den)  worteu  da  geschieht, 
198]     Daz  got  sin  flaich  in  brot  verphlicht; 
Der  win  wirt  zu  plüt  gericht 
Mit  Wandlung  der  naturen. 

Wie  klain  man  tailt  dz  sacraraent  60 

In  meuges  werden  priesters  hend, 
Noch  blibt  die  gothait  vuzertrennt: 
Got  wirt  in  ie  dem  tail  genent 
Gantz  vnd  gar  vnuerwent. 

Wer  daz  ainvaltenklich  bekent,  65 

Dem  ist  ez  gut  für  truren. 

Got  lät  sich  niessen  böz  vnd  gut. 
Wer  sich  selb  halt  in  [in]  hiit 
Und  in  nüsset  mit  rainem  müt, 
Dem  kan  er  fröd  beschaiden.  70 

Wer  aber  lebt  in  Sünden  flüt 
Vnd  an  jm  selb  so  v'bel  tut 
Vnd  nüst  hie  got  vnd  trinkt  sin  plut, 
Dem  müss  er  iedem  (l.  ez  iemer?)  laiden. 
Straft  jnn  nit  hie  die  gottez  rüt,  75 

So  wirt  sin  sei  vnd  lip  verprüt 
Dort  ewig  in  der  helle  ghit 
199]     Alz  Juden  kertzer  vnd  haiden 

Die  loblich  spis  ist  berait 

Ze  trost  der  ainen  cristanhait.  80 

Si  ist  der  eilenden  gelabt, 

Der  Sünden  schain  (/.  schäm)  si  zierlich  klait, 

*********** 

Der  sele  ain  gewiss  gast  gemait  (?), 

Die  ir  die  sach  kan  slichten.  85 


GEISTLICHE  RTUECKE.  361 

Die  eiigel  von  dez  priesters  munt 
Gott  vatter  tiind  daz  oppfer  kunt. 
Ez  wart  och  gesant  hin  ab  ze  grünt 
Den  die  umb  ir  süud  sint  enzunt: 
Die  trösst  ez  zu  aller  stund.  90 

Ez  ist  in  och  hie  vff  er  (/.  erde)  gesunt 
Vnd  kan  in  die  pin  vernichten. 

Die  hailig  mess  daz  vrtail  git: 
Der  mensch  wirt  tailhaft  nach  vnd  wit 
Der  selikait  die  dar  au  lit  95 

Mit  allen  rainen  hertzen. 
So  der  tot  dz  lebeu  hie  ab  schnit 
Sin  güthait  denn  zu  got  vflf  schrit 
200]     Daz  er  helf  an  der  lesten  zit 

Zu  himelschen  schertzen.^)  100 

Mensch  bitt  got  daz  er  dich  beker 
Daz  er  dich  sinen  willen  1er. 
Bedenk  sin  bitter  marter  ser, 
Crütz  nagel  vnd  daz  sper, 
**********  lOb 

Daz  plüt  vnd  wasser  floss  daher 
Da  mit  er  dich  erarnot. 

Wand  weltlich  fröd  ist  laider  sur, 
Der  sei  ain  schedlich  nachgebur  ■^) : 
Ir  süssikait  siecht  alz  der  schür.  liO 

Dar  vmb  vmb  gottez  willen  trur 
Daz  dich  ir  valsthhait  nit  beschur. 
Got  zaigt  dir  all  tag  ir  valsch  figur 
Daz  er  dich  vor  ir  warnet. 

Dar  vmb  sich  diu  got  vnderwint:  115 

Die  wil  man  jnn  ob  alter  vint, 
So  ist  gütig  der  magt  kint 
Gen  cristanlichem  namen. 
201]     Wie  [wol  daz]  die  gesichtlich  form  da  verswint, 

Die  himelsch  liebi  dez  begint,  120 

Da  von  die  sei  gnad  gewint, 

Daz  got  vnd  si  sich  sament 

In  lieby  die  ewenklich  brint, 

Die  niemer  hie  noch  dort  zerrint. 

Kains  meuschen  hertze[n]  dz  bevint.  125 

Got  helf  v'ns  schier  dar  amen. 


')  Dieser  Strophe  fehlen  vier  zeilen ,   wenn  sie  nicht  abweichend 
gebaut  ist. 

2)  Vgl.  Parz.  1,  1. 


24' 


362  ;1IIDBER  UND  PAUL 


2.    M  .1  r  i  e  11 1  i  c  d. 

Maria,  küsclii  müter  zart, 
Wie,  lustlich  wz  diu  raine  art 
Dem  höchsten  got,  der  sich  verspart 
Zu  dir,  du  wol  beschlossiier  gart, 
Do  er  menslich  beklait  wart,  5 

Dz  nie  din  mägtlich  plüm  verschart 
Noch  gerürt  in  kainen  dingen. 
202]  Gib  raine  magt  mir  kraft  vnd  macht, 

Daz  ich  zu  diser  haiigen  nacht 

Din  mägtlich  geburt  betracht,  10 

Wie  sich  got  vatter  zu  dir  flacht, 
Daz  ich  kunstloser  dar  nach  acht 
Daz  ich  mit  andächt  ruf  die  wacht: 
Darzü  gib  mir  gelingen. 

Woluff  allez  daz  ze  himel  sy  15 

Mit  aller  siissen  simphany 
Vnd  singent  got  der  eren  kry. 
Dem  ainen  vnd  dem  driualten, 
Daz  v'ns  der  frid  wone  by 

Dez  guten  willen  wandeis  fry.  20 

********** 

Ir  vier  vnd  zwentzig  alten, 

Dar  zu  ich  vnuerdieuter  scliry, 

Ain  sündig  mensch  vff  dütrem   zwy. 

Hilf  jungfröwUch  magt  Mary  25 

Daz  sin  gelük  müss  walten. 

Alz  gar  (l.  got)  in  siner  maiestät 
Den  sun  in  jm  geborn  hat 
Dur  den  er  schuf  sin  haut  getät, 
203]     Do  erwalt  er  dich  mit  wisem  rät,  30 

Daz  er  an  sich  nam  menschlicli  wät. 
Dar  jnn  er  sich  noch  sehen  lät 
In  himel  vnd  vff  erden. 

Din  kusch  gebern  hat  enplekt 
Daz  wort  daz  menglich  wz  verdekt.  35 

Der  slang  der  Euen  hat  gehekt, 
Dez  hobt  ist  ain  trit  gestrekt. 
Din  trost  süsklich  den  Sünder  wekt, 
Daz  jnn  der  laidig  vind  nit  strekt. 
Noch  daz  er  nit  zwislig  (/.  zwiflig)  werden.  40 

Durch  dich  nam  end  Adams  we, 


GEISTLICHE  STÜECKE.  303 

Dur  dich  lebt  in  der  arch  Noe, 
Dur  dich  verhiess  g'ot  pin  (/.  iu?)  ambre 
Diu  frucht  her  Abrahamen, 

Durch  dich  kam  Dauit  gen  Yesse,  45 

Durch  dich  sach  Moyses  wunders  me, 
Durch  dich  gab  got  die  nüwen  e, 
Do  er  dich  kos  zu  ammen. 
Hilf  daz  der  sünder  wider  ste; 
204]     Wenn  jnn  der  süntlich  last  ange,  50 

Euziind  jnn  {!.  im)  jn  dinem  aue, 
Dez  haiigen  gaistez  flammen. 

Du  bist  die  got  erbitt, 

Du  siechst  den  vaigen  alz  Juditk,  (/.  Judith) 

Din  schöni  Thamar  v'ber  tritt,  55 

Du  tust  nit  alz  Ruth  in  dem  schnit, 

Dir  wonet  Susannen  vnschuld  mit, 

Frö  Abigay  mit  wisem  sit 

Mag  dir  gar  klain  2:elichen. 

Waz  Wunders  ie  von  got  geschieht  {l.  geschach),    60 
Wz  Propheten  mund  ie  gesprach, 
Dez  ist  din  lip  ain  ober  tach. 
Nabuchodonosor  daz  iach, 
Do  er  den  stain  ab  lössen  sach 
Den  band  noch  füz  nie  abgebrach,  65 

Do  jm  trömpt  von  den  vier  riehen. 

Du  bist  dez  höchsten  gottez  tron. 
Den  er  jm  hatt  gebuwen  schon. 
Dar  vmb  hatt  geticht  Salamon 

Gesang  von  dinem  gesange.  70 

205]     Ain  rüt  wart  plüj^en  Aaron, 

Die  vell  dar  vmb  batt  Gedeon, 

Sig  Josue  gen  gäben  (/.  Gabeon), 

By  hoher  sunnen  pi'angen. 

Zwölf  stern   zierent  wol  din  krön  75 

Dich  klaidt  die  sunn  dich  schlicht  der  man, 


42.  Maria  wird  init  der  taube  verglichen,  die  dem  Noah  den  öl/.weig 
bringt  in  einem  moisteriiode  ])ei  Fisclier,  typogr.  Seltenheiten,  liefer.  4, 
116  (vgl.  gold.  schm.  XLVI,  13).  Hier  scheint  noch  eine  andere  auf- 
fassung  vorzuliegen.  —  54.  Vgl.  gold.  schni.  XLVI,  IS.  —  64.  Daniel  2, 
'M  donec  ahscissus  est  lapis  de  inonte  sine  manibus.  Vgl.  gold.  schm. 
XXXII,  10.  —  67.  Vgl.  gold.  schm.  XXXV,  33.  —  76.  Apoc.  12,  1. 
Midie?'  amicta  sole,  et  luna  suh  pedibus  ejtis ,  et  in  capile  ejus  Corona 
Stellarum  duodecim.  Sonst  wird  der  mond  als  schemcl  gefasst  vgl. 
gold.  schm.  XXXVIII,  24. 


3G4  HIDBER  UND  PAUL 

Alz  dich  such  sant  Jolians  gar  frou 
Mit  tugcnt  vmb  vangen. 

Fröw  dich  Ezechiolis  port, 

Daz  du  vmb  vangen  liast  dz  wort  80 

Vud  verstrikt  dez  himels  ort. 

Du  hast  ainvalklicli  betört 

Daz  tusontvaltig  mort. 

Du  hast  dez  tüfels  fluch  zerstört 

Alz  Dauit  mit  der  slingen;  85 

Der  jütsch  glöb  ist  gar  zertrent. 
Palam  waz  ain  haiden  genant: 
Dir  wart  der  stern  schon  gesant 
Vnd  och  dry  küng  von  Orient, 

Daz  Ysaijas  och  bekent,  90 

206)     Daz  tromeder  vnd  grosse  gent 
Jerusalem  wurd  tringen. 

Augustus  hiess  die  weit  gemain 
Daz  ielich  mensch  solt  komen  hain: 
Do  kam  die  swanger  magt  rain  95 

Mit  Joseph  zu  den  stunden 
Gen  Betlahem  daz  castel  klain. 
Din  kint  ze  trost  v'ns  erschain, 
Do  got  an  sich  nam  flaisch  vnd  pain, 
Alz  jnn  die  hirten  funden.  100 

Der  tut  vnd  lat  dur  dich  allain 
Wez  du  begerst  an  allez  main. 
Dich  furcht  die  nater  vnd  anders  kain, 
Die  du  hast  v'ber  wunden. 

Fröw,  aller  cristanhait  genist,  105 

Bitt  v'nsern  herren  Jhesum  crist 
Daz  er  v'ns  armen  stinder  frist 
Vor  allem  daz  v'ns  schedlich  ist 
Erfüll  mit  gnäd  daz  v'ns  gebrist, 
Sit  du  dez  wol  gewaltig  bist,  110 

So  wir  die  schuld  verraiten  (?). 
207]  Siintlich  begird  an  v'ns  wend 

Daz  weltlich  lust  v'ns  den  lip  nit  plend. 


S7.  88.  Maria  wird  sonst  selbst  als  stern  der  drei  könige  oder  stern 
Jacobs  bezeiclmct,  vgl.  gold.  schm,  XLIV,  21.  —  90.  Isaias  66,  6  Inun- 
datio  camelorum  operiet  te,  dromcda?ii  Madian  et  Epha :  omnes  de  Saba 
venient,  axrum  et  t/ius  dcferentes  et  laudem  Domino  annunciantes.  — 
104.  Gold.  schm.  1300  daz  ie  der  gUic  slawje  von  dir  wart  überkemffet. 


GEISTLICHE  STUECKE.  365 

Der  armen  sei  din  rüder  send 

Da  mit  si  selenklich  zu  dir  leud.  115 

Büt  v'us  din  barmhertzigen  hend 

Ze  trost  an  v'nserm  lesten  end, 

Die  v'ns  von  hinnan  laiten. 

Sich  v'nss  blöden  menschhait  an, 
Daz  laider  fröw  noch  man  120 

Gar  kum  an  sünd  bliben  kan, 
Die  wir  teglich  triben  (/.  meren?). 
Din  grnntloz  barmung  7nir  wol  gan 
Mir  (/.  mer)  hails  denn  ie  kaim  menschen  san. 
Glöb  nit  hän  lip  den  wän  (?)  125 

Sei  vnd  die  wishait  keren  (?). 
Maria,  müter  lobesan, 
Din  gütlicher  trost  v'ns  nie  zerran : 
Hilf  v'ns  zu  dem  der  v'ns  gewan 
Mit  sinem  plüt  verreren.  130 

.Amen. 


3.   Marien  klage. 

208]  Vsserwelti  cristanhait, 

Nu  helfent  klagen  mit  grossem  lait 

Mariam  die  vil  raineu  magt: 

Ir  laid  mit  v'ber  laid  klagt. 

'Owe  wie  sol  ez  mir  ergän'  5 

Sprach  die  jungfrow  wol  getan, 

'Min  kint,  min  herr  Jhü  crist 

Von  sinem  junger  verraten  ist. 

Judaz  Simon  schariocht 

Hatt  jnn  geben  in  den  tot.  10 

Mit  aim  kuss  daz  beschach. 

In  minem  gaist  ich  dz  sach. 

Gevangen  ist  der  herr  min; 

Die  Juden  fürten  jnn  da  hin 

In  ains  hus,  hiess  Cayphas,  15 


114.  Vgl.  gold.  schm.  XLIV,  23  flf.     XLV,  11. 

1.  Alsfeld.  Passionssp.  5906  0  ir  lieben  kinde  der  cristenheit,  Heljfet 
klag  Ol  mer  min  groisszes  herczeleit!  Passionsspiel  'oei  St.  Stephau  in 
Wien  (berichte  und  mitteilungen  des  altertmnsvoreins  zu  Wien  bd.  X, 
8.  ,^27  ff.,  vgl.  Sch()nb;ich  zs.  f.  d.  pliilol.  U,  149):  ü  liebe  kinder  der 
Chris lejiheit ,  helfft  mir  tragen  mein  gross  hertzen  leydt.  Ebenso 
'rricrer  Maricnkl.  Fundgr.  II,  2(;i),  1  und  I'ichler,  Uelter  das  drama  des 
Mittelalters  in  Tirol  s.  120, 


30G  lUDBEK  UND  PAUL 

Von  dem  der  rat  geben  waz. 
Owe  vil  lieber  lierre  min, 
Wa  sint  nu  die  junger  din? 
Si  band  in  nöten  dicb  gehin, 

leb  sieb  dicb  bie  allain  stan.  20 

209]     Es  wer  wol  der  will  min 

Daz  ieb  nu  by  dir  möclit  sin. 

leb  klag  v'cb  allen  jnnenklicb 

Daz  man  nit  wil  lassen  mieb 

Zu  minem  kind  wunnesam:  25 

Nu  müss  ieb  bie  allain  stän. 

Owe,  ir  jutscbe  diet, 

Ir  sint  die  dis  mort  riet 

An  minem  kind  Jbü  crist. 

Der  hass  nu  vss  gebrocben  ist  30 

Der  in  v'wers  hertzen  grund 

V'ber  gen  waz  meng  stund, 

Der  nu  ist  worden  sicbtenklicb 

An  minem  kind  jämerlicb.' 

Nu  börent  fröwen  vnd  man,  35 

Wie  die  magt  lobsam 
Klagt  ir  grosses  vngemacb, 
Do  si  jrn  sun  töten  sacb: 
'Gabriel  engel,  nu  sieb  an, 

Wie  ieb  so  iemerlicb  stän.  40 

210]     Du  kuntest  voll  gnad  mir: 
Min  laid  duz  sie  geklagt  dir. 
Der  mieb  ze  mütter  vss  erkoss, 


27.  Spiegel  567  (Mone,  Schausp.  d.  miltelalt.  1,  210  ff.  NB.  die 
Latein,  quelle  dieses  fälschlich  sog.  spiegeis,  der  nur  eine  Marien- 
klage, ist  die  Interrogatio  Sancti  Aushelmi  de  passione  Doiuini,  heraus- 
geg.  von  Oskar  Sehade,  Halle  lS7ü,  vorzüglich  das  in  den  Giessener 
hss.  fehlende  stück,  welches  K.  Schröder  aus  einer  Leipziger  perga- 
inenths.  aus  der  mitte  des  13.  jahrh.  in  der  Germ.  17,  2o3  ti'.  mitgefeiit 
hat.  Die  vorliegende  stelle  heisst  hier  s.  23J .-  0  Judei  miseri,  o  Judei 
inipii,  nolite  nächi  parcei'e  ex  quo  naium  mcum  unicum  cmcißgitis 
etc.):  Juden  volc ,  ein  grimme  diet,  du  bist  diu  den  tot  geriet.  — 
37.  Spiegel  841:  daz  ivas  ir  ouch  gar  nngemach,  daz  si  in  vor  ir 
hangen  sack.  —  39.  Aisfeld  P.  64Ü4:  Ach  wo  ist  nu,  liebes  kint ,  das 
selige  wort.  Das  ich  von  dem  engel  Gabriel  hon  gehört?  'Ave  gracia 
pletia!  Du  bist  vol  gnaden ,  Maria!'  Aehnücli  auch  anderswo.  —  43. 
Picliler  s.  31:  Z?<  einer  mutter  hat  es  ?nich  er/com,  Nu  hab  ich  es  leider 
verlorn.    Alsf.  P,  6044:    Sint  ich  den  suszcn  hon  verlorn,   der  mich  zu 


GEISTLICHE  STÜECKE.  367 

Der  hanget  vor  miueu  ögeu  bloz, 
Verwuut  vfF  sius  hertzen  grünt.  45 

So  gross  laid  wart  nie  müter  kuut. 
Wz  möclit  gross  [l.  grosser)  laid  gesin, 
Denn  daz  ich  sich  den  herren  min 
Gekrönt  mit  dornen  vor  mir  stau, 
Die  wunden  durch  sin  höbt  gäu?  50 

Nu  nemment  alle  selben  war, 
Wie  min  kint  nu  ist  gevar, 
Der  mins  hertzen  Spiegel  waz. 
Sin  autlit  ist  von  plüt  nass, 

Verspuwen  sint  die  ögen  sin:  55 

Dez  müz  min  hertz  lideu  pin, 
Die  mir  nieman  geweudcn  mag. 
Owe,  wie  ain  jamerlicher  tag! 
Herr  Symeon  hat  war  gesait: 

Kain  swert  nie  so  wol  geschnait,  60 

[Kain  swert  nie  so  wol  geschnaid] 
2ilJ    Dez  schulden  mocht  glichen  sicli: 
Wan  dis  wunden  schuideut  mich. 
Owe  kint  der  heude  diu, 
Wie  lidcut  die  so  gross  pin! 

Die  meng  zaichen  haud  getan,  65 

Den  {l.  die)  sieht  man  hie  genagelt  stau. 
Owe  der  wundeu  iemerlich 
Die  ich  nu  sich  gäu  dur  dich. 
Da  von  din  sit  ist  vff  getan! 

Dez  schry  ich  in  dez  himels  tron.  70 

Owe  der  füssen  diu ! 
Die  lident  pin  v'ber  piu, 
Da  mit  du  min  huilant 
Hast  dik  gewallet  durch  die  laut. 


einer  mnlter  hat  erkorn.  Miincli.  Marieukl.  (Altd.  bl.  II,  M'-'i  tf.)  95.  zc 
rnueler  hat  er  ?nich  erkom.  Aelmlich  auderwärts ;  vgl.  schon  das  lobiied 
auf  Maria  Diemer  s.  2yü,  S:  zeiner  muter  er  dich  nani  uzzcr  alloi  wiben. 
—  43 — 57.  Hier  scheint  der  Spiegel  zu  gründe  zu  liegen,  vgl.  z.  b.  127: 
si  rihten  iif  ein  kriuze  f/roz,  dar  an  Mengen  si  min  kint  bloz,  daz  saeh 
ick  i/iil  den,  ougen  min  etc.  Zu  59  vgl.  man  aus  einer  uugedruckicu  lis. 
des  Spiegels:  da  mir  das  mere  wart  yeseit,  ein  swert  (jar  min  hertz 
durchschneit -^  vgl.  Schönbach,  Marieuklageu  s.  3  (VI).  —  5S.  Trierer 
Marieukl.  Fuudgr.  II,  2(il,  ;!2:  Owe  otv^  owd !  jcemerlicher  tac.  — 
03  ff.  Spiegel  431  ff.:  An.  des  kriuzes  ende  waren  sin  zarten  hende 
f/espamten  mit  den  nageln  groz,  daz  reine  blfit  im  dar  nz  vioz, 
und  die  süezen  vüeze  sin     Uten  we  nnde  pin,     mit  den   tiefe)/  7vunden 


3liS  HIDBEK  UND  PAUL 

Daz  du  machtest  offenlich  75 

Den  weg  zu  dem  liimelrieli, 

Daz  dl  dnrcli  gut  hast  getau; 

Dez  sieht  man  dich  genagelt  stän. 

Waz  sol  ich  arme  clagen  me, 

Denn  we  vnd  we  vnd  v'ber  (/.  aber)  we.  80 

Ich  sich  an  dem  kinde  min, 
212]     Ob  iclit  gantzes  müg  sin: 

Von  siner  scliaitel  oben  an 

Sich  ich  jnn  verwundet  stau 

Bis  vff  die  solen  der  füz  sin ;  85 

Dez  ist  mins  hertzen  grosser  pin. 

Wer  nu  rechte  trüw  hab 

Vnd  erkenn  min  clag, 

Dem  wil  ich  müter  tun  bekant 

Fünf  laid  die  min  hertz  bestand,  90 

Vnd  wil  v'ch  klagen  sunderlich 

Daz  si  für  andri  schnident  mich. 

Daz  erst  kunt  mir  her  Symeon : 

Ain  swert  seit  durch  min  hertz  gän. 

Daz  ander  wol  sin  mag,  95 

Daz  ich  bis  an  den  dritten  tag 

Verlorn  hatt  den  herren  min  *  *  * 

Vnd  verraten  von  dem  junger  sin. 

Daz  vierd  mins  hertzen  not, 

Daz  ich  min  kint  sach  hangen  tot  100 

An  dem  crütz  da  er  (/.  ich)  stiind: 

So  gross  laid  wart  nie  müter  kunt. 

Daz  fünft,  do  min  kint  so  zart 
213]     Von  dem  crütz  gelöset  wart 

Vnd  tot  gelait  in  min  schoss;  105 

Daz  machet  mir  min  jamer  gross. 

Dis  lait  durch  schnit  mich 

Mit  schulden  warn  si  frölich  (harte  freislich?), 

Dez  ich  vergessen  nit  kan 

An  minem  kint  lobsan.  110 

Sin  tot  müss  mir  iemer  sin 

Gross  iamer  in  dem  hertzen  min. 

Dis  ist  ain  jämerlicher  tag, 


an  daz  kriute  gebunden.  —  79.  Spiegel  441:  waz  sol  ich  in  nu  sagcti 
me?  mir  was  we  und  aber-  ?ve.  —  SI.  Gundelfmgcrs  Grableg.  (Mone, 
Schausp.  d.  mittehilt.  2,  1:51  ft'.)  217:  nun  sich  ich  an.  dir  sune  min,  das 
mir  naintz  bringt  dann  grovssc  pin,  war  ich  dich  ker  oder  wend,  so 
sich  ich  grousz  laid  on  end,  diu  leib  ist  durchgossen  mit  blüt  u.  s.  w. 


GEISTLICHE  STUECKE.  369 

Daz  ich  verswigen  niemev  mag. 
Sin  tod  vnd  daz  liden  min  115 

Müss  allen  den  geklagt  sin 
Die  mir  ie  sint  bi  gewesen, 
Die  minen  namen  hörent  lesen. 
Der  tot  vnd  die  marter  sin 

Hant  ertöt  gross  pin  120 

Vnd  erwert  dez  tiefeis  sclioss, 
Zerbrochen  gar  der  helle  sloss. 
Wa  sint  frowen  vnd  man 
Die  min  liden  rüffent  an, 

Den  sol  kain  bett  versait  sin  125 

214]     Von  mir  vnd  dem  kint  min. 
Ir  end  sol  werden  gut, 
Vor  laid  send  si  sin  behüt, 
Dar  nach  ewig  leben 

Wirt  in  ze  Ion  geben.  130 

An  jrem  end  wil  ich  sin 
Vnd  si  behüten  vor  aller  pin. 
Dez  bösen  gaistz  angesicht 
Sol  jm  kain  schad  wesen  nicht. 
Ich  wil  ir  gelait  wesen;  135 

Für  min  kint  so  sint  si  genesen, 
Der  mir  verzihen  nit  mag 
Da  tusent  jar  sint  alz  ain  tag.' 

Ich  manen  dich  himelsche  küngin 
Durch  daz  gross  liden  din  140 

Vnd  durch  den  vnuerschulten  tot 
Den  v'us  din  kint  ze  hilf  bot 
An  dem  crütz  dar  an  er  starb 
Vnd  v'ns  daz  himelrich  erwarb 

**********  -lAK 

215]     Der  din  [l.  die)  war  minne  ist. 
Bittest  durch  sin  wunden  rot 
Daz  er  v'ns  geb  daz  himel  brot 
Vnd  daz  du  himels  kaiserin 

An  dem  lesten  ende  min  150 

Mir  wellest  bi  gestän: 


lis.  Spiegel  73:  An  dem  ju7ig estlichen  tage  so  tvirt  vil  groz  der 
Sünder  klage :  da  solt  du  mag  et  gnädic  tvesen  den  die  dine  klage  gern 
hörent  lesen.  —  139.  Spiegel  (hs.):  Doch  manc  ich  dich  maria  gut  Durch 
das  mynneklich  Mut  Dz  din  zartes  kint  vergosz  Da  sich  des  hertzen 
mynne  entslosz  Gedenk  auch  an  die  quäle  din  Vnd  tu  vnsz  die 
gnade  schin  etc.  —  145  mag  etwa  gelautet  haben:  daz  du  din  sun 
Jesum  Krist, 


;{70  mDBKK  UND  PAUL 

So  wil  ich  ullez  triiren  län. 

Der  allez  leben  geben  hat, 

Vif  dem  der  ercn  krön  st;it, 

Der  helf  v'us  nach  disera  leben  155 

Dort  in  sinem  himel  sweben.     Amen. 


4.    Gebet  vor  der  messe. 

2 IG]  0  her,  ich  gun  Initt  zu  dir  mit  ziter  vnd  mit  vorchteu 
zu  dim  tisch  der  evvgen  gotthait.  So  fürclit  ich  daz  wort  daz  der 
gilt  hailg  sant  Paulus  sprach  'wer  dich  ön  wirdenklich  enpfachett, 
der  enpfachett  sim  selb  den  ewgen  dott'.  Län  ich  dich  denn 
farcu,  so  furcht  ich,  herr,  dz  wortt  daz  du  selber  sprecht,  'wer 
dins  flaisch  nitennüs  vnd  dins  blütz  nit  entrunck,  der  künd  vnd 
möcht  nit  komeu  zu  dir  jn  dins  vatter  rieh.'  Wan  min  sieche 
vervntry  {l.  verwuutiu)  sei  ön  dich  nit  genessen  mag,  so  gun 
ich  hüt  zu  dir  als  aiu  schuldiger  man  für  ainen  gewaltigen  rich- 
ter  vnd  offnen  dir  min  hertz  vnd  bichten  dir  min  süud  vnd  clageu 
dir  all  min  gebresten  vnd  bitt  dich  durch  dinen  bittern  rainen  tod 
dz  du  mir  daz  mal  wol  beraitest  zu  dim  tisch  der  ewgen  gotthait. 
0  ewge  gotthnit,  grundlosy  wishait,  wa  verbirgt  sich  min  gaist  vor 
ainem  gewaltigen  richter?  0  her  rüetf  mir  zu  dir  zu  dinen  aller- 
liepsten  fründen.     Amen. 


5.    Psalm  51. 

217]  Herrc  got,  erbarme  dich  v'bcr  mich  nach  diner  grossen 
erbermd  vnd  nach  diner  erbermde  tilge  min  bosheit.  Fiirbasser 
wesche  mich,  herr,  von  minor  bosheit  vnd  mache  mich  rein  von 
minen  Sünden.  Wand  min  bossheit  erkenn  ich,  vud  min  sünd  ich 
(/.  ist)  alwegent  wider  mich.  Ich  hau  dir  allein  gesundet  vnd 
v'bel  getan  vor  dir,  daz  du  gerecht  werdest  in  dinen  reden  vnd 
obligest,  so  du  gericht  wirdest.  Nim  war,  ich  bin  emphangen  in 
boslieiten,  vnd  min  müter  hat  micli  emphangen  in  Sünden.  Nim 
war,  wann  du  hast  liep  gehaben  die  warheit,  die  vnsicheren  vnd 
die  heimhchen  diner  wishcit  hastu  mir  geöffnet.  —  Du  wirst  mich 
besprengen  mit  dem  ysoppen  vnd  wirde  gereiniget;  du  wirst  mich 
weschen  vnd  wird  gewisset  v'ber  den  sehne.  Du  wirst  geben 
minor  gehörd  [218]  wunn  vnd  fröd  vnd  werdent  sich  fröwen  die 
demütigen  bein.  Kor  diu  antlit  von  minen  Sünden  vnd  tilge  alle 
min  bosheit.  Got  schöpphe  in  mir  ein  hortze  vud  ernüwe  einen 
rechten  geist  in  miücn  adreu.  En  würf  mich  nit  von  dinem  ant- 
lit vnd  dincm  heiigen  g(U(it  nim  nit  von  mir.  Gib  mir  wider  die 
fröd  dinea  h(ules  vnd  vcstige  mich  mit  dinem  angcngigen  geist.     Ich 


GEISTLICHE  STUECKE.  371 

wird  leren  die  bösen  dinen  wege,  vnd  die  vnmilte  werdent  7A\  dir 
bekert.  Got,  got  minez  hailez,  löse  mich  von  den  Sünden,  vnd 
min  Zungen  wirt  mir  (/.  mit)  fröden  verliünden  din  gerechtikeit. 
Herre  tu  vif  min  lefzen,  vnd  min  munt  wirt  verkünden  din  lob. 
Wan  woltest  du ,  so  liett  ich  oppfer  gegeben :  sicher  so  wirstu 
dich  nit  fröwen  in  gebrenten  oppfern.  Min  betrübter  geist  ist 
got  ein  oppfer.  Got,  du  wirst  nit  versmahen  daz  zerknirst  [219] 
gedemütigot  liertzen.  Herre  tii  senfte  der  sele  syon,  der  ge- 
trüwen  in  dinem  guten  willen,  daz  gebuwen  werdent  muren  ze 
Jherusalem  dez  fridens  vnd  dez  got  sehenden  menschen.  Denn 
wirstu  nemen  daz  oppfer  der  gerechtikeit  die  gäben  vnd  die  ge- 
benten  (l.  gebrenten)  oppfer.  Denne  werdent  si  legen  kelber  vff 
dinem  altär.  Lob  sie  dem  vatter  vnd  dem  sun  vnd  dem  heiigen 
geist,  alz  ez  waz  an  dem  anevange  nu  und  allwegent  in  die  weit 
der  weit.     Amen. 

6.  Gebet. 

Ewiger  vatter,  ewiger  schöppfer,  erlöser,  gerechter  erbarm- 
hertziger  herr,  ker  zu  mir  armen  vnwirdigen  Sünder  ietzunt 
vnd  iemer  din  minnrichen  gnäd,  mit  der  du  [220]  vns  ewenklichen 
vetterlichen  gütlichen  versehen  hast,  vnd  rieht  mit  diner  almech- 
tigen  minnenrichen  gnade  vnd  kraft  minen  lip  vnd  sei,  min  Ver- 
nunft vnd  sinne  mit  gantzem  willen  vnd  mit  gehorsamer  übunge, 
dir  zu  dienen  nach  dinem  aller  liebsten  willen.  0  almechtiger 
ewiger  got  vnd  herre,  erhör  mich  armen  Sünder,  veruim  min  ge- 
bett  so  gnedenklichen,  daz  dir  warer  got  loblich  sy  vnd  mir  vn- 
wirdigen Sünder  trostlichen  sy  vnd  behilflich,  vnd  behüt  mich  vor 
allem  dem  daz  mir  schade  sy  an  sei  vnd  an  lip,  vnd  für  alle  die 
ich  bitten  sol.     Amen. 

7.  Gebet. 

Herre,  ich  beuil  mich  hüt  vnd  iemer  in  din  heiigen  [in  din 
heiligen]  evangelische  1er  vnd  warheit  vnd  bitten  dich,  herre,  daz 
du  mich  [221]  der  emphenglichen  machest  vnd  nach  volgist 
(/.  volgic)  machest  vnd  mir  die  selben  heiigen  warheit  mir  sie  ein 
warer  noch  hüt  lassest  sin  vor  allem  v'bel  vnd  ein  kraft  wider 
alle  min  vigent  vnd  ein  erlösunge  von  allen  minen  Sünden. 
Amen. 

8.  Gebet  nach  der  messe. 

Ach  lieber  herre,  ich  loben  dich  der  grossen  gnaden,  daz  du 
mich  (/,  mir)    vnwirdigen  menschen  vnd  sünder   hast  verlihen  ge- 


372  HIDBER  UND  PAUL  -  GEISTL.  STUECKE. 

sieht  ze  scliowondo  daz  liocliwirdif^e  sacrament  diner  gotlieit  vnd 
dincz  wären  fVonlicliamens,  vnd  danken  dir  der  guten  trüwe  mit 
der  du  dich  alle  zit  tegliclien  von  dem  höchsten  trone  diner 
ewigen  gotheit  her  ab  in  dis  eilend  zu  v'ns  neigest  v'ns  eilenden 
bilgr  ze  einem  trost,  vnd  bitt  dich,  lieber  herre  Jhesu  Christe, 
durcli  dez  fruchtberen  oppfers  willen,  alz  du  dich  dinem  [222] 
ewigen  vatter  oppfertest  mit  demütiger  gedult  vnd  mit  versmech- 
tem  liden  vutz  in  den  tot  vnd  och  daz  du  diner  erbermd  min  vn- 
achtber  gebett  vnd  waz  ich  dir  ze  lob  tun  dir  ein  oppfer  lassest 
sin,  daz  diner  hochwirdigeu  gotheit  loblichen  sie,  vnd  mir  vnwir 
digeu  Sünder  trostlichen  sy  vnd  allen  den,  den  ich  gütez  gebun- 
den bin.  Herre,  vnder  die  vier  rter  (/.  örter)  dez  heiligen  crützes 
din  selbs  froulichamen  so  beuil  ich  mich  vnd  verbirge  mich  dar 
vnder  zu  einen  schirm  vor  allem  v'bel.     Amen. 


9.    Gebet. 

Durch  dez  Zeichens  dez  heiligen  froncrützes  so  lös  v'ns  al- 
mechtiger  got  vnd  herre  von  allen  v'nseren  Sünden  und  vinden. 
Amen. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE. 


Uer  ZAveck  nachstehender  eröiteruiigeu  ist  eine  ein- 
gehende priifuug-  der  hypothese  über  das  handschriftenverhält- 
niSj  die  ursprüngliche  gestalt  und  abfassungszeit  des  Nibelungen- 
liedes und  der  Klage,  welche  Bartsch  in  seinen  '  Untersuchungen 
über  das  Nibelungenlied,  Wien  1865'  aufgestellt  hat,  und  die 
seiner  ausgäbe  von  der  Nibelunge  Not  teil  I,  Leipzig  1870, 
teil  IT,  1876  und  der  der  Klag-e,  Leipzig  1875,  zu  gründe  liegt. 
Diese  hypothese  hat  durch  vielfache  besprechung  in  Zeitungen 
und  durcli  die  aufnähme  in  die  literaturgeschichten  von  Kober- 
stein  und  Gervinus  eine  grosse  po])ularität  erlangt.  Weit 
weniger  allgemeine  anerkennung  scheint  sie  bei  den  eigent- 
lichen fachgelehrten  gefunden  zu  haben.  Aber  eine  allseitige 
scharfe  uiui  zugleich  vorurteilsfreie  kritik  von  Bartschs  argu- 
menten  hat  bis  jetzt  niemand  unternommen.  Während  H.Fischer 
in  seiner  preisschrift  'Die  forsch ungen  über  das  Nibelungenlied', 
Leipzig  1874  und  Edzardi  in  seiner  ausgäbe  der  Klage,  Han- 
nover 1875  sicli  fast  vollständig  von  Bartsch  abhängig  machen 
und  sich  seinen  aufstellungen  mit  verhältnismässig  geringen 
modificationen  auschliessen,  verhält  man  sich  von  anderer  seite 
einfach  abweisend.  Es  gilt  dies  besonders  von  den  anhängern 
der  handschrift  A.  So  meint  Scherer  die  ausführlichen  Unter- 
suchungen Bartschs  mit  ein  paar  kurzen  bemerkungen  zu 
widerlegen,  die  er  in  einer  recension  von  Bartschs  ausgäbe 
(zeitschr.  f.  d.  öst.  gymn.  Jahrgang  1870,  s.  403)  und  in  seiner 
abhandlung  über  den  Kürenberger  (zeitschr.  f.  deutsch,  altert. 
17,  561)  niedergelegt  hat,  und  C.  llofniann  scheint  es  in  seiner 
umfänglichen  abhandlung  zur  textkritik  der  Nibelungen  (Ab- 
liandl.  d.  philos.- philol.  classe  der  bair,  akad.  13,  1)    gar  nicht 

Beitrüge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche,     UI.  25 


374  PAUL 

für  der  mühe  wert  zu  halten,  ^ich  mit  Bartscli  auseinander  zu 
setzen.  Weder  von  der  einen  noch  von  der  andern  seite  ist 
meiner  iihcrzeug-ung-  nach  Bartschs  aufstcllung-en  ihr  recht  zu 
teil  g'cwordcn.  Es  kommt  darauf  an,  riicklialtsh)s  das  richtige 
und  iordernde  in  denselben  anzucikcnncn  und  ebenso  entschie- 
den sich  gegen  das  verfehlte  und  irreleitende  zu  waliren. 


I.    Die  luiiidsclirift  A. 

Ein  nicht  unwesentlicher  teil  der  Untersuchungen  Bartschs 
beschäftigt  sich  mit  dem  nachweise  der  unurspriinglichkeit  von 
A.  Seine  lesultate  in  dieser  richtung  mögen  am  wenigsten 
glänzend  erscheinen,  weil  er  hier  nur  eine  bahn  weiter  ver- 
folgt, auf  der  er  schon  verschiedene  Vorgänger  gehabt  hat; 
aber  sie  sind  um  so  sicherer  und  von  bleibendem  werte.  Es 
sind  neue,  schlagende  argumente  beigebracht  und  gründlich 
erörtert,  so  dass  man  meinen  möchte,  dass  damit  die  frage  er- 
ledigt sei,  wenigstens  für  einen  jeden,  der  sich  nicht  auf  einen 
Standpunkt  stellt,  mit  dem  überhaupt  nicht  zu  rechten  ist.  Ich 
halte  mich  daher  für  befugt,  von  dem  durch  Holtzmann,  Zarncke 
und  Bartsch  gewonnenen  boden  auszugehen,  wonach  nur  zwei 
hauptrecensionen  des  liedes  und  der  Klage  zu  unterscheiden 
sind,  C*  und  B*i),  zu  welcher  letzteren  auch  die  hs.  A  ge- 
hört, die  demnach  keinen  selbständigen  wert  beanspruchen 
kann.  Nur  ein  paar  kurze  bemerkungen  über  die  nach  dem 
erscheinen  von  Bartschs  buche  gemachten  versuche  A  zu  ver- 
teidigen, mögen  vorausgeschickt  werden. 

Zunächst  betrachten  wir  den  von  Scher  er,  Deutsche  stud. 
I  (sitzungsber.  der  phil.-histor.  cl.  der  Wiener  akademie,  bd.  LXIV 
1870)  s.  204  ff.  Scherer  hat  ausgerechnet,  dass  Nibelungenlied 
und  Klage  zusammen  in  A  11424  =  51  x  224  langzeileu  um- 
fassen und  schliesst  daraus,  dass  die  originalhs.  gerade  sieben 
quaternionen  enthalten  habe,  die  seite  zu  zwei  spalten  von 
51  Zeilen.  Damit  glaubt  er  einen  vollgültigen  beweis  für  die 
richtigkeit  des  Strophenbestandes  in  A  gefunden  zu  haben.    Es 


•)  Ich  bezeichne  durch  '  die  ganze  gruppe   zum  unterschiede  von 
der  einzelnen  hs. 


ZUE  NIBELTINGENFRAGE.  375 

würde  mir  nicht  einfallen,  noch  eine  ernsthafte  Widerlegung 
dieser  combinationen  zu  versuchen,  wenn  es  nicht  um  des  an- 
sehens  willen  geschähe,  das  ihr  Urheber  geniesst.  Wir  könn- 
ten zunächst  Scherer  zugeben ,  dass  das  von  ihm  bemerkte 
Zahlenverhältnis  wirklich  auf  die  vorausgesetzte  art  zu  erklären 
sei,  und  dass  die  hs. ,  aus  der  A  abgeschrieben  ist,  die  ange- 
nommene beschaifenheit  gehabt  habe.  Folgt  denn  daraus,  dass 
diese  vorläge  von  A  auch  das  original  aller  übrigen  hss.  ge- 
wesen sein  muss?  Könnte  sie  nicht  vielleicht  erst  einige  jähre 
vor  A  geschrieben  sein?  Auf  den  dichter  oder  den  sammler 
der  lieder  will  ja  auch  Scherer  diese  einrichtung  nicht  zurück- 
führen, und  kann  es  nicht,  weil  die  Klage  in  die  rcchnuug  mit 
einbegriffen  ist.  Auch  nimmt  er  nicht  an,  dass  der,  welcher 
die  einrichtung  zuerst  einführte,  den  ursprünglichen  bestand 
genau  beibehalten  habe,  sondern  dass  er,  um  die  selten  genau 
zu  füllen,  13  Strophen  hinzugesetzt  habe.  Warum  sollte  man 
nicht  auch  mit  demselben  rechte  annehmen  können,  dass  er  zu 
dem  gleichen  zwecke  eine  anzahl  Strophen  weggelassen  hätte  ?^) 


*)  Scherer  hat  sich  einigerraassen  auf  diesen  einwand  gefasst  ge- 
macht nnd  bringt  auch  einen  grund  dagegen  vor.  Er  beruft  sich  näm- 
lich auf  die  mögliohkeit  der  graphischen  erklärung  vieler  auslassungen, 
die  mit  der  annähme  absichtlicher  auslassungen  nicht  zu  vereinigen  sei. 
'Wie  seltsam',  ruft  er  aus  (s.  305),  'dass  der  Schreiber  dieser  vorläge 
sich  dann  ebenso  scharfsinnig  wie  herr  Bartsch  der  tatsache  erinnerte, 
dass  auslassungen  oft  durch  ein  übergleiteu  des  auges  zu  einem  benach- 
barten gleichlautenden  werte  verschuldet  wurden,  und  dass  er  darauf 
seinen  plan  liautc,  unbemerkt  einige  Strophen  zu  unterschlagen.'  iSchercr 
merkt  dabei  nicht,  dass  er  sich  hier  eines  argumentes  gegen  Bartsch  be- 
dient, das  er  unmittelbar  vorher  diesem  zu  gebrauchen  nicht  gestatten 
will.  Eben  hat  er  behauptet,  dass  die  beobachtungen .  auf  welche  hin 
Bartsch  das  fehlen  vieler  Strophen  in  A  graphisch  erklären  will,  wol 
ihren  wert  hätten  um  anderweitig  bewiesene  auslassungen  zu  erklären, 
dass  sie  aber  nimmermehr  eine  üoust  unbeweisbare  auslassuug  um  ein 
haar  breit  wahrscheinlicher  maclien  könnten.  Wenn  aber  die  blosse 
möglichkeit  graphischer  erklärung  nichts  beweisen  und  nichts  wahr- 
scheinlich machen  kann,  so  ist  damit  behauptet,  dass  sie  rein  zufällig 
vorhanden  sein  kann.  Und  wenn  das  der  fall  ist,  dann  steht  sie  der  an- 
nähme absichtlicher  auslassungen  gerade  so  wenig  im  wege,  wie  der  an- 
dern absichtlicher  zusetzung.  Kann  sie  aber  irgend  etwas  wahrschein- 
lich oder  unwahrscheinlich  maclien,  so  kann  sie  das  nur  insofern,  als  sie 
aus  blossem  zufall  schwer  zu  begreifen  ist.  Wir  könnten  daher  eben  so 
gut  ausrufen:    Wie  seltsam,   dass  der  Überarbeiter  in  B*  seine  zusätze 

25* 


m  ^AÜL 

Und  übrigens  konnten  aucli  selion  in  seiner  quelle  verschiedene 
Strophen  ans  naclilässig-keit  oder  sonstigen  gründen  weggelassen 
sein.  Man  könnte  daher  dem  Schlüsse  Scherers  auf  die  Integri- 
tät von  A  den  andern  gegenüberstellen:  es  ist  sehr  begreiflich, 
dass  in  A  eine  reihe  von  stro})hen  fehlt;  die  schuld  liegt  an 
ihrer  vorläge,  deren  Schreiber  die  lächerliche  marotte  hatte, 
genau  sieben  quaternionen  bei  gleicher  Zeilenzahl  auf  der  seite 
füllen  zu  wollen.  Scherer  hat,  indem  er  die  vorausgesetzte 
vorläge  von  A  ohne  weiteres  mit  dem  originale  identificierte, 
aus  dem  alle  hss.  des  Nibelungenliedes  und  der  Klage  ge- 
flossen sind,  die  ursprünglichkeit  des  textes  A,  für  die  er  einen 
neuen  beweis  bringen  wollte,  bei  der  beweisführung  schon  ein- 
fach vorausgesetzt. 

Nötigen  uns  nun  aber  Scherers  berechnungen  überhaupt 
die  hs.  von  sieben  quaternionen  vorauszusetzen?  Er  bemerkt 
s.  305  sehr  richtig,  dass  der  grad  der  wahrsciieiulichkeit  einer 
historischeu  hypothese  von  dem  masse  abhänge,  in  welchem 
zufalle  ausgeschlossen  seien.  Je  wunderbarer  die  zufalle  wären, 
die  Avir  statuieren  müsten,  um  der  annähme  eines  bestimmten 
notwendigen  Zusammenhanges  zu  entgehen,  desto  wahrschein- 
licher würde  dieser  zusammeniiang.  Wie  verhält  es  sich  nun 
hier  mit  dem  zufall?  Ich  habe  nichts  dawider,  wenn  Scherer 
sagen  will,  dass  es  ein  merkwürdiger  zufall  sein  würde,  dass 
unabsichtlich  gerade  diese  zahl  herausgekommen  wäre,  die  eine 
solche  Verteilung  zulässt.  Aber  es  wäre  ein  genau  eben  so 
merkwürdiger  zufall,  wenn  iigend  eine  beliebige  andere  zahl 
sich  ergäbe.  Es  ist  nicht  im  geringsten  unwahrscheinlicher, 
dass  diese  zahl  zufällig  entsteht,  als  dass  es  irgend  eine  andere 
tut.  Ueber  die  Wahrscheinlichkeit  von  zufall  und  absieht  kann 
überhaupt  niemals  nach  einem  einzelnen  falle  oder  einem  ein- 
zelnen umstände  entschieden  werden,  sondern  erst  nach  einer 
häufung  mehrerer  fälle  und  Verkettung  verschiedener  umstände. 
Niemals  ist  das  unwahrscheinlicli,  dass  der  zufall  irgend  welche 
Wirkung,  die  er  nur  überhaupt  hervorbringen  kann,  w^enn  auch 


häufig  so  einrichtete,  dass  der  schein  entstehen  konnte,  als  seien  sie  in 
A  dnrcli  üljcrgleiten  von  einem  gleiclien  oder  ähnlichen  worte  auf  das 
andere  ausgelassen,  und  dass  dadurch  die  moderneu  kritiker  irre  geleitet 
wurden. 


ZUR  NIBELUNGENFßAGE.  377 

neben  nuch  su  vielen  andern,  in  einem  gegebenen  falle  scbatft, 
.sondern  dass  er,  wiibrcnd  er  viele  andere  eben  so  gut  bervor- 
bringen  könnte,  ein  und  dieselbe  unverbältnismässig  bäufig  er- 
zeugt. So  Verstössen  wir  z.  b.  nicbt  gegen  die  gesetze  der 
wabrsc'beiulicbkeit,  wenn  wir  es  für  blossen  zufall  balten,  dass 
die  zabl  der  kurzzeileu,  welcbe  die  Klage  in  A  enthält,  durch 
30  teilbar  ist  (diese  teilbarkeit  ist  übrigens  unter  15  gedieh ten 
in  reinipaaren  immer  einmal  zu  erwarten).  A])er  wenn  im 
Parzival  die  zahl  der  verse  in  den  fünf  ersten  büchern,  und 
weiter  die  in  jedem  einzelnen  folgenden  durch  30  teilbar  ist, 
so  ist  der  zufall  in  hohem  grade  unwahrscheinlich.  Wenn 
unter  den  Strophen,  die  in  der  einen  bearbeitung  eines  werkes 
stehen,  in  der  andern  fehlen,  sich  eine  befindet,  bei  der  das 
fehlen  durch  auslassung  aus  graphischen  gründen  sich  erklären 
Hesse,  so  ist  wenig  Sicherheit  dafür,  dass  diese  mögliche  er- 
klärung  auch  wirklich  das  richtige  trifft.  Es  kann  eine  solche 
möglidikeit  recht  wol  auch  einmal  zufällig  entstehen,  wenn 
nicht  eine  strophe  in  der  einen  bearbeitung  w^eggelassen,  son- 
dern in  der  andern  zugesetzt  wird.  Wenn  sie  aber  in  einem 
beträchtlichen  teil  der  fälle,  in  denen  überhaupt  strophendilfe- 
renz  stattfindet,  vorhanden  ist,  dann  wird  wider  der  zufall  sehr 
unwahrscheinlich.  Wenn  daher  Scherer  den  beobachtungen, 
die  Bartsch  in  dieser  richtung  gemacht,  alle  beweiskraft  ab- 
spricht, also  dabei  die  un Wahrscheinlichkeit  des  Zufalls  absolut 
ignoriert,  andererseits  aber  für  seine  ansieht  einen  einzelnen 
umstand  geltend  macht,  der  für  sich  recht  wol  zufällig  sein 
kann,  so  ist  das  ein  verfahren,  welches  die  enti^chiedenste  mis- 
billigung  verdient.  Uebrigens  dürfte  eine  solche  Verteilung  der 
Zeilen  eines  werkes  auf  quaternionen  vielleicht  nicht  selten 
möglich  sein.  Es  ist  dazu  nötig,  dass  die  betreffende  zahl 
durch  32  teilbar  ist,  und  dass  der  durch  die  teilung  entstehende 
quolient  sich  in  ein  product  aus  zwei  zahlen  zerlegen  lässt, 
deren  eine  weder  zu  gross  noch  zu  klein  ist,  um  als  Zeilenzahl 
einer  spalte  gelten  zu  können.  Nimmt  man  einspaltigkeit  der 
Zeilen  an,  so  genügt  die  teilbarkeit  durch  16.  Die  möglichkeit 
wird  noch  erleichtert,  wenn  man  sich  auch  gestattet,  wie  dies 
Scherer  bei  den  Spervogelsprüchen  tut,  anzunehmen,  dass  etwa 
die  erste  seile  oder  das  erste  l)latt,  vielleicht  auch  die  letzte 
Seite  oder  das  letzte  blatt  leer  blieben.    Auf  diese  weise  öffnet 


378  PAUL 

sich  der  Spielerei  ein  weites  feld.  Hier  eine  sehr  nahe  liegende 
l)robc.  In  der  rccensiou  li  *  (von  den  nur  in  I  d  erhaltenen 
Strophen  abgesehen)  hat  das  Nibelungenlied  95 IG  die  Klage 
2180  langzcilen,  beide  zusammen  11 690  =:  43  X  IG  x  17.  Die 
originalhandschrift  bestand  also  aus  17  quaternionen,  die  scite 
einspaltig  zu  43  zeileu.  Warum  sollen  wir  nicht  auch  dieses 
Verhältnis  für  die  Integrität  von  B  *  geltend  machen  ? 

öcherer  macht  nun  allerdings  noch  ein  moment  geltend, 
wodurch  die  annähme  von  zufall  abgewiesen  werden  soll, 
nämlich,  dass  die  einrichtung  der  hs.  A  noch  annähernd  mit 
der  der  vorausgesetzten  urhandschrift  stimme.  Das  ist  aller- 
dings etwas,  wodurch  der  zufall  aufi'allender  wird.  Erst  durch 
dieses  zusammenstimmen  erlangt  Scherers  beobachtung  irgend 
welchen  anspruch  auf  beachtung.  Abei-  eben  das  nur  an- 
nähernde zusammenstimmen  macht  es  höchst  bedenklich,  darin 
etwas  beabsichtigtes  zu  sehen,  was  es  doch  sein  müste.  Die 
vorläge  soll  gerade  56  blätter  eingenommen  haben,  die  ab- 
schrift  enthält  6'J  blätter,  und  die  Klage  schliesst  auf  der  rück- 
seite  von  blatt  58,  auf  welcher  nur  noch  4  zeileu  stehen.  In 
der  vorläge  sollen  auf  jeder  spalte  genau  51  zeilen  gestanden 
haben,  immer  einen  langvcrs,  resp.  zwei  kurzverse  enthaltend, 
in  der  abschrift  schwankt  die  Zeilenzahl  zwischen  50  und  52, 
und  es  braucht  mitunter  ein  langvers  oder  zwei  kurzverse 
zwei  Zeilen.  Nahm  sich  nun  der  abschreiber  die  vorläge  in 
der  einrichtung  zum  muster,  warum  schloss  er  sich  ihr  nicht 
ganz  genau  an,  was  ihm  doch  sehr  leicht  hätte  sein  müssen. 
Warum  gab  er  die  gleichmässigkeit  der  spalten,  den  genauen 
abschluss  mit  einem  quaterni')  auf?  Es  lag  doch  so  gar  keine 
nötigung  dazu  vor,  da  ein  entsprechendes  format  beibehalten 
wurde.  Es  ist  daher  im  höchsten  grade  bedenklich,  in  der 
von  Scherer  geltend  gemachten  Übereinstimmung  eine  causal- 
verknüpfung  zu  suchen.  Es  dürfte  daher  wol  keine  so  starke 
unwahrscheiidichkeit  in  sich  schliessen,  wenn  wir  diese  recht 
mangelhafte  zusammenstimmung  auf  rechnung  des  Zufalles 
bringen,  und  wir  können  uns  nicht  veranlasst  sehen  um  ihret- 
willen jeder  andern  vernünftigen  Überlegung  trotz  zu  bieten 
und  eine  summe  von  unwahrscheinlichkeiten  auf  einander  zu 
häufen. 

Die  unwahrscheinlichkeiten,   welche  in  Scherers  hypothese 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  379 

liegen,  sind  nun  so  gross,  dass  sie  dadurch  gestürzt  werden 
miiste,  selbst  wenn  sie  von  viel  stärkeren  stützen  getragen 
würde.  Ich  kann  ganz  absehen  davon,  dass  alles  ignoriert 
wird,  was  gegen  die  ursprünglichkeit  von  A  vorgebracht  wor- 
den ist.  Scherer  teilt  uns  selljst  s.  305  einwände  eines  fach- 
genossen mit,  der  an  der  Lachmannschen  grundlage  der  kritik 
festhält.  Er  sucht  zwar  diese  einwände  zurückzuweisen,  aber 
mit  neuen  unbeweisbaren  und  uiiwaln-scheiulichcn  annahmen. 
Öo  erkühnt  er  sich  gegen  alle  unsere  erfahi-ung  zu  behaupten, 
dass  die  Originalhandschrift  des  Nibelungenliedes  sowie  die 
ältesten  liederhandschriften  in  abgesetzten  zeilen  geschrieben 
gewesen  seien.  Es  ist  nur  ein  grund,  den  er  in  desi  Studien 
dafür  vorbringt,  dass  das  absetzen  der  zeilen  ursprünglich  üb- 
lich gewesen  sei.  Er  erklärt  nämlich  die  Lachmannsclien 
heptaden,  indem  er  sie  in  Verbindung  bringt  mit  Älüllcnhoffs 
liederbüchertheorie,  daraus,  dass  bei  der  aufzeichnung  der  ein- 
zelnen lieder  je  7  Strophen  auf  die  seite  geschrieben  würden. 
Es  kann  mir  nicht  einfallen,  noch  einmal  alles  zu  widerholeu, 
was  gegen  die  unglückselige  zahlenmystik  Lachmanns  vorge- 
bracht ist,  nur  auf  eins  will  ich  aufmerksam  machen.  Scherer 
scheint  sich  gar  nicht  klar  gemacht  zu  haben,  dass  eine  solche 
erklärung  der  heptaden  die  annähme  in  sich  schliesst,  dass  die 
lieder  von  vornherein  für  die  schriftliche  aufzeichnung  gedichtet 
sind.  Und  da  man  sich  nicht  denken  kann,  dass  die  verschie- 
denen Verfasser  unabhängig  auf  denselben  einfall  gekommen 
sein  sollten,  so  müssen  die  heptadenseiten ,  die  auch  bei  der 
ältesten  Sammlung  der  Kürenbergslieder  angewendet  sein  sollen, 
wol  auf  älterer  tradition  beruhen.  Welche  perspective  eröffnet 
sich  da  unsern  erstaunten  blicken?  Ein  neuer,  wie  es  scheint, 
reichlich  entfalteter  zweig  unserer  literatur  (ich  meine  der  wirk- 
lichen Schriftliteratur)  wird  plötzlich  entdeckt,  der  merkwür- 
diger weise  von  der  zeit  vollständig  vertilgt  ist.  Jedoch  ich 
weiss  nicht,  ob  nicht  vielleicht  Scherer  sich  diese  notwendige 
consequenz  seiner  annähme  gefallen  lässt.  Dann  freilich  braucht 
er  sich  durch  meine  bemerk ung  nicht  irre  machen  zu  lassen. 

Mehrere  gründe  für  ursprüngliche  Zeilenabsetzung  führt 
Scherer  noch  an  in  einer  recension  -son  Bartschs  ausgäbe  in 
der  zeitschr.  f.  d.  öst.  gymn.  jahrg.  1870,  103  ff.  Er  macht 
zunächst  geltend   nach  dem  vorgange  von  Lachmann,   dass  B 


3  hl»  PAUL 

sehr  oft  hei  der  vierten  zcile  absatz  und  grossen  aufani;'sbucli- 
staben  bat.  Meint  er  etwa,  was  ich  nicbt  glaube,  dass  das 
insofern  ein  rest  der  altern  weise  sei,  als  ursprituglicb  alle 
Zeilen  absatz  und  g-rossen  anfangsbuchstaben  hatten?  Warum 
hätte  sich  das  immer  nur  bei  der  vierten  zeile  erbalten  ?  Und 
der  grosse  anftingsbucbstabe  wird  docb  bloss  als  keunzeicben 
des  stroplienanfanges  angewant  sein.  Es  ist  zu  bedauern,  dass 
die  angäbe  von  Lachmann  nicht  ganz  unzweideutig  ist.  Sie 
ist  aber  doch  wol  so  zu  verstehen,  dass  dann  bei  der  ersten 
zeile  der  darauf  folgenden  Strophe  kein  absatz  und  grosser 
anfangsbuchstabe  steht,  dass  also  der  Strophenanfang  unrichtig 
bezeichnet  ist.  Das  braucht  aber  nicht  aus  absetzung  der 
Zeilen  im  original  erklärt  zu  werden,  vielmehr  erklärt  es  sich 
mindestens  vollkommen  eben  so  gut,  wenn  wir  annehmen,  dass 
im  originale  wie  in  C  nicht  bloss  die  zeilen,  sondern  auch  die 
Strophen  nicht  abgesetzt  waren. 

Weiter  macht  Scb.  zwei  stellen  geltend,  an  denen  er  einen 
allen  hss.  gemeinsamen  fehler  annimmt,  der  nur  daraus  zu  er- 
klären sein  soll,  dass  das  oiiginal  nicht  bloss  die  zeilen  ab- 
gesetzt, sondern  auch  die  cäsuren  abgerückt  hatte.  1737,  4  i) 
sei  Lachmanus  Vermutung  von  den  zwcin  degcnen  oder  etwas 
ähnliches  unumgänglich  nötig,  die  jetzige  lesart  von  dem  vide- 
Icere  sei  durch  abirren  auf  die  erste  halbzeile  der  nächsten 
Strophe  entstanden,  die  in  B*  lautet:  dö  sprach  der  videlcere. 
Ebenso  sei  1405,  4  die  richtige  lesart  nach  Lachmanns  con- 
jectur  ich  wcene  nüil  daz  iemen  iuch  noch  vergiselt  hat  in  allen 
hss.  verderbt  dadurch,  dass  lernen  in  Hagene  verwandelt  sei 
nach  der  folgenden  ersten  halbzeile,  die  in  B*  lautet:  weit  ir 
niht  volgen  Hagenen.  Man  kann  hier  Scherer  unbedenklich 
die  fehler  zugeben  und  selbst  die  erklärung  der  entstehung, 
und  man  ist  darum  doch  nicht  genötigt,  die  von  ihm  voraus- 
gesetzte einrichtung  der  originalhs.  anzunehmen.  Es  ist  nur 
nötig,  dass  gerade  an  diesen  beiden  stellen  die  cäsurworte 
unter  einander  gestanden  haben,  nicht,  dass  dies  immer  der 
fall  gewesen  ist.  Es  kann,  ohne  dass  abgesetzt  ist,  die 
zeile  doch  ungefähr  den  durchschnittlichen  räum  einer  lang- 
zeile  eingenommen  haben   oder   etwas  mehr.    Falls  dann  auch 


')  Ich  eitlere  immer  nach  Lachmann. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  3S1 

die  Strophen  nicht  abgesetzt  sind,  so  wäre  es  recht  gut  denk- 
bar, dass  in  den  beiden  fflllen,  wie  es  leicht  öfter  vorgekommen 
sein  kann,  zwei  zeilen  hinter  einander  mit  dem  cäsurworte 
geschlossen  haben,  und  das  abirren  wäre  so  noch  begreiflicher 
als  bei  Scherers  annähme.  Dazu  kommt  nun  aber,  dass  die 
fehler  und  ihre  erkl-irurig  keineswegs  so  sicher  sind,  als  sie 
Scherer  hinstellt.  Dass  an  der  ersterwähnten  stelle  Volker 
allein  genannt  wird,  nicht  auch  Hagen,  ist  allerdings  auffallend 
und  nicht  zu  billigen;  ob  aber  diese  Ungeschicklichkeit  dem 
dichter  gar  nicht  zuzutrauen  ist.  dürfte  doch  niclit  mit  so  ab- 
soluter Sicherheit  entschieden  werden.  A:).  der  zweiten  stelle 
aber  ist  gar  kein  grund,  die  Überlieferung  anzutasten.  Eartschs 
erklärung  trifft  durchaus  das  richtige.  Es  ist  damit  gar  nicht 
gesagt^  dass  vergisdn  einfach  =  verraten  ist.  Lachmanns  Ver- 
mutung ist  ziemlich  gesucht. 

Bartsch  hat  zu  zeigen  versucht  (s.  XVI  der  ausgäbe),  dass 
die  vorläge  von  A  die  reimzeilen  noch  nicht  abgesetzt  hatte. 
Sclierer  polemisiert  dagegen  in  der  zeitschr.  s.  405.  Ich  muss 
trotzdem  daran  festhalten,  dass  die  von  Bartsch  zum  beweise 
geltend  gemachten  fehler  in  A  sieh  am  natürlichsten  auf  die 
von  ihm  angenommene  weise  erklären.  Das  hat  auch  Scherer 
gar  nicht  leugnen  können,  er  behauptet  nur,  dass  sie  nicht  auf 
diese  weise  erklärt  werden  müsten.  Er  verweigert  hier  wider 
dem  gegner  das  recht,  das  er  für  sich  selbst  in  anspruch  nimmt, 
von  wahrsclieinlichkeitsgrüuden  gebrauch  zu  machen.  Kann 
er  etwa  seine  eigenen  gründe,  welche  die  ursprüngliche  ab- 
setzung  der  verse  beweisen  sollen,  für  etwas  anderes  als  wahr- 
scbeinlichkeitsgründe  ausgeben  ?  Kann  man  ihnen  nicht  auch 
ein  ^aber  muss  denn'  entgegensetzen?  Natürlich  müsten 
Bartschs  Wahrscheinlichkeitsgründe  vor  andern  triftigen  grün- 
de)i  zurückweichen,  so  gut  wie  die  Scherers  es  müssen.  Aber 
Scheier  hat  gar  keinen  gegengrund  beigebracht.  Denn  selbst 
wenn  er  bewiesen  hätte,  dass  die  originalhs.  des  liedes  in  al)- 
gesetzten  zeilen  geschrieben  wäre,  so  wäre  damit  noch  nichts 
über  die  unmittelbare  vorläge  von  A  entschieden.  Die  letztere 
der  crsteren  gleich  zu  setzen  ist  reine  willkür.  Für  Scherer 
kommt  es  aber  darauf  an,  dass  die  tradition  der  Zeilenabsetzung 
nicht  unterbrochen  ist,  dass  A  in  dieser  beziehuug  unmittelbar 
an  die  älteste  weise  anknüpft.     Und  dagegen  sprechen  Bartschs 


382  ^AUL 

g-riiudc,  aber  nicht  sie  allein,  sondern  auch  die  besehalieaheit 
sämnitlichcr  älteren  Nibclun^-cnhandschriften. 

Ausser  der  versabsct7Aing-  setzt  Scherers  h3'pothesc  ferner 
voraus,  dass  es  eine  verbreitete  tendenz  gewesen  sei,  die  Zeilen- 
zahl auf  der  seite  vollständig-  gleich  zu  machen  und  dabei  die 
grösseren  gcdichte  gerade  mit  einer  vollen  seite  nicht  nur, 
sondern  auch  mit  einer  vollen  läge  abzuschliessen.  Der  ab- 
schluss  mit  einer  vollen  seite  wäre  nur  sicher  für  Wolfram, 
falls  wir  die  teilbarkeit  durch  30  l)ei  ihm  so  deuten  dürfen. 
Nach  seinem  muster  sind  die  abschnitte  von  31  zeilen  bei 
Ulrich  von  Türlein  entstanden.  Was  sonst  ähnliches  behauptet 
wird,  entbehrt  jeder  einigermassen  gesicherten  unterläge  und 
ist  zum  teil  nachweislich  falsch  (z.  b.  die  30  im  Iwein,  die  28 
in  hs.  A  des  Nibelungenliedes  und  der  Klage ;  über  die  S])er- 
vogelstrophen  vergl.  beitrage  II,  429  ff.).  Aber  bei  allen 
diesen  conjecturen  hat  man  wenigstens  sonst  mit  runden  zahlen 
oder  mit  ganzen  Strophen  operiert,  noch  niemand  ist  auf  eine 
so  seltsame  zahl  wie  Scherer  verfallen.  Noch  niemand  a])er 
hat  bisher  das  bestreben  nach  genauer  ausfüllung  einer  läge 
irgendwo  nachgewiesen,  oder  auch  nur  den  schatten  eines 
l)eweises  dafür  beigebraclit.  Der  Parzival  enthält  827  al)- 
schnitte,  also  gar  keine  möglichkeit  zu  einer  derartigen  Ver- 
teilung. Bei  den  Spervogelsprücheu  war  nach  Scherers  hypo- 
these  noch  etwas  angeklebt.  Das  Nibelungenlied  würde  nach 
Lachmann  485  heptaden  enthalten  haben,  eine  ganz  unbequeme 
zahl.  Nur  allein  die  Klage  in  A  mit  ihren  144  X  30  ist  der 
anker,  an  den  sich  Scherer  anklammert.  Wenn  er  ihn  für 
stark  genug  hält,  muss  sein  schiff  sehr  leicht  sein. 

Scherer  hat  nun,  um  seine  wunderbare  annähme  begreif- 
lich zu  machen,  das  verfahren  des  Schreibers  sehr  künstlich  zu 
motivieren  versucht.  Es  war  nach  ihm  derjenige,  der  zuerst 
Nibelungenlied  und  Klage  vereinigte.  Bisher  waren  diese  ein- 
zeln anders  geschrieben,  nämlich  das  Nibelungenlied  in  hepta- 
den, die  Klage  in  abschnitten  von  30  zeilen.  Der  schreibcr 
wollte  nun  ein  schlankeres  forniat  anwenden  und  dabei  das 
ganze  gerade  auf  sieben  quaternionen  unterbringen.  Wie  er 
auf  diese  idee  kam,  weiss  man  freilich  nicht.  Er  probierte 
verschiedentlich,  wie  die  sache  zu  machen  wäre  und  fand,  dnss 
es  mit  öl  Zeilen  ginge,  wenn  er  dem  Nibelungenliede  noch  13 


ZÜE  NIBELUNGENFRAGE.  3S3 

Strophen  zusetzte.  Sclierer  liält  nämlich  au  Lachmanns  an- 
sieht fest,  dass  die  13  aufPilgrim  bezüglichen  Strophen  (s.  309 
sind  es  merkwürdiger  wei^e  14)  erst  bei  der  Aereinigung  von 
Nibelungenlied  und  Klage  hinzugesetzt  sind.  Worauf  beruht 
aber  diese  annähme?  Einzig  allein  auf  Lachmanns  zahlen- 
theorie,  die  auf  der  auslassung  von  vier  kurzzeilen  in  der 
Klage  basiert  ist,  die  also  mit  der  entdeckung  von  Lachmanns 
versehen  selbstverständlich  hinfällig  ist.  Die  sonstigen  argu- 
mente  für  die  unechtheit  der  Strophen  tun  hier  nichts  zur 
Sache.  Es  wird  der  uachweis  verlangt,  dass  sie  auch  nicht 
vom  Sammler  der  lieder,  sondern  erst  von  dem  vereiniger  des 
liedcs  mit  der  Klage  herrühren.  Und  wo  ist  der  jetzt?  Ohne 
die  annähme  eines  solchen  Zusatzes  aber  würde  das  merkwür- 
dige resultat  herauskommen,  dass  Nibelungenlied  und  Klage 
zusammen  gerade  zufällig  51  x  92  x  7  langzeilcn  hatten.  Ist 
das  aber  zufall,  nun,  was  brauchts  dann  der  annähme  der  7 
quateruionen,  da  sie  dann  nichts  mehr  erklären? 

Noch  einige  kleinigkeiteu  wären  zu  bedenken.  Gewöhn- 
lich pflegt  auf  der  ersten  seite  einer  hs.  nicht  ganz  oben  an- 
gefangen zu  werden  wie  auf  den  folgenden.  Das  tat  also  der 
Schreiber  des  Originals  gegen  sonstige  gewohnheit,  verschwen- 
dete auch  keinen  platz  mit  einer  initiale.  Schwierigkeiten  mit 
dem  räume  hatte  er  niemals,  dass  er  einmal  genötigt  gewesen 
wäre,  zu  einem  verse  zwei  zeilen  zu  verwenden.  Eine 
Überschrift  über  das  lied  hatte  er  nicht,  das  hätte  eine  oder 
ein  paar  zeilen  mehr  gegeben.  Wie  er  wol  die  einzelnen 
aventiuren  von  einander  abhob,  was  doch  unzweifelhaft  ge- 
schehen sein  muss,  weiss  ich  nicht.  Ueberschrifteu  der  ein- 
zelnen aventiuren  durfte  er  natürlich  nicht  haben,  wiewol  doch 
die  vielfachen  Übereinstimmungen  zwischen  den  einzelnen  hss. 
darauf  hinweisen,  dass  solche  vorhanden  waren.  Und  selbst 
die  Klage  folgte  ohne  jeden  Zwischenraum,  ohne  Überschrift. 
Das  glaube,  wer  kann! 

Nach  Scherer  hat  sich  Conr.  Hofmann  wider  auf  den 
boden  der  hs.  A  gestellt  in  seiner  abhandlung  'zur  textkritik 
der  Nibelungen ',  erschienen  in  den  abhandlungen  der  bair.  akad. 
L  cl.,  XIII.  ))d.,  I.  abteilung,  aber  auch  besonders  München  1872. 
Er  stützt  sich  zunächst  auf  eine  neue  erklärung  der  strophen- 
diflferenz   zwischen   A    und   B*.    Die   beobachtung,    dass    die 


3S4  PAUL 

niciisteu  plusstroplicu  von  H  •''•  zwisclioii  33b — 663  fiiUcii,  fiilirt 
ilm  zu  der  niimilinic,  ilass  diese  paitio  eiuc  andere  quelle  habe 
als  das  übrige,  dass  der  vorläge  von  A  der  zweite  quateinio 
verloren  gegangen  und  aus  einer  andern  lis.  ergänzt  gewesen 
sei,  die  eine  kürzere  und  nach  seiner  nieinung  ältere  redaetion 
enthalten  habe,  die  im  ganzen  nur  etwa  2000  Strophen  um- 
fasste.  Ich  kann  mich  über  diese  hypothese  sehr  kurz  fassen. 
Kautenberg  in  der  Germ.  17,  433  hat  bereits  bemerkt,  dass 
Hofmanns  rechnung  nicht  stimmt.  Es  lässt  sich  noch  deut- 
licher das  versehen  bezeichnen,  dem  er  verfallen  ist.  Er  hat 
sonderbarer  weise  den  umfang  eines  quaternios  der  kürzeren 
redaetion  für  den  eines  quaternios  der  längern  genommen. 
Der  eingeschobene  quaternio,  der  also  der  kürzeren  angehört, 
soll  325  Strophen  umfassen,  der  ausgefallene  müste  noch  dazu 
die  57  Strophen  enthalten  haben,  die  ß*  mehr  hat,  also  im 
ganzen  382.  Der  erste  quaternio  aber,  der  doch  der  längern 
recension  angehört,  hatte  338  Strophen  enthalten,  also  eine 
zahl,  die  viel  näher  zu  der  kürzern  als  zu  der  langem  stimmt. 
Die  zahl,  welche  Hofmann  für  die  Strophen  des  gesammten 
gediehtes  ausrechnet  und  die  ungefähr  mit  dem  umfange  von 
A  stimmt,  .vürde  die  strophenzahl  der  kürzeren  fassung  sein, 
nicht  die  der  längern,  wie  Hofmanu  annimmt.  Es  ist  danach 
nicht  mehr  nötig,  die  weitern  unwahrscheinlichkeiten  der  hypo- 
these darzulegen.  Auch  Rautenbergs  annähme  von  teilcodices 
scheint  mir  ^venig  wahrscheinlich  und  durchaus  unnötig,  wofür 
ich  mich  auf  ßartschs  bemerkungen  über  die  in  A  fehlenden 
Strophen  berufe.  Uebrigens  aber  ist  wieder  durch  Hofmanns 
noch  durch  Rauteubergs  hypothese,  wenn  sie  angenommen 
werden,  irgend  etwas  für  ein  höheres  alter  der  kürzeren  fassung 
bewiesen. 

Hofmann  hat  dann  eine  reihe  von  bemerkungen,  welche 
die  unursprünglichkeit  der  plusstrophen  in  ]>*  erw^eiseu  sollen. 
Ich  mag  mich  nicht  in  eine  Widerlegung  derselben  einlassen, 
weil  ich  es  für  wenig  erspriesslich  halte,  fragen,  über  die  schon 
so  viel  hin  und  her  disputiert  ist,  immer  von  neuem  und,  wie 
CS  nötig  ist,  wesentlich  wider  mit  den  alten  gründen  zu  er- 
örtern, zumal  wo  dem  subjectiven  geschmacke  ein  so  weiter 
Spielraum  cröiinet  ist  und  die  principielle  Verschiedenheit  der 
Standpunkte   eine   Verständigung   unmöglich   macht.    Auf  Hof- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  385 

manns  vergleichende  besprechimg  der  wiclitigsten  abweichuiigen 
zwiscben  B*  und  C*  die  uns  hier  zunächst  nichts  angehen, 
gedenke  ich  bei  einer  spätem  gelegenheit  einzugehen. 

Für  die  ursprünglichkeit  von  A  in  der  Klage  ist  zuletzt 
Henning  in  die  schranken  getreten  in  seiner  gründlichen  re- 
ceusiou  von  Bartschs  ausgäbe  im  anzeiger  für  deutsches 
altertuni  I,  134  &.  Er  stützt  sich  auf  eine  anzahl  einzelner 
stellen.  Sein  verfahren  dabei  i^t  das  nämliche,  wie  es  alle 
Verteidiger  von  A  und  in  der  regel  auch  die  von  B  *  gegen  C  •"'•' 
eingesehlagen  haben.  Entweder  findet  man,  dass  die  lesart 
von  A  (ß'^')  besser,  altertümlicher  oder  volksmässiger  sei  als 
die  von  B*  (C*),  und  dann  muss  sie  natürlich  die  ursprüng- 
liche sein.  Oder  man  findet,  dass  sie  schlechter,  trockener 
oder  ungenauer  sei,  und  dann  muss  sie  ebenfalls  ursprünglich 
sein,  denn  die  abweichung  erklärt  sich  daraus,  dass  die  Über- 
arbeiter absichtlich  gebessert  haben.  Oder  sie  ist  falsch ;  dann 
liegt  ein  fehler  der  urhandschrift  vor,  aus  der  alle  andern  ge- 
flossen sind,  und  A  (B*)  hat  den  alten  fehler  getreu  bewahrt, 
w^ährend  B*  (C*)  durch  coujectur  etwas  erträgliches  an  seine 
stelle  gesetzt  hat.  Bei  einer  solchen  argumentation  kann  man 
natürlich  uiemale  wegen  eines  grundes  für  die  ursprünglichkeit 
von  A  in  Verlegenheit  sein. 

Die  von  Henning  besprochenen  stellen  verteilen  sich  also 
unter  die  drei  bezeichneten  classen.  Unter  die  erste  gehört 
555  (Lachmann).  Hier  les-en  die  übrigen  hss.  sine  woldens  niht 
gelouben  (:  ougeri)  daz  er  Hagenen  torste  bestätig  nur  A  hat  ge- 
longen,  was  Henning  für  richtig  hält.  Abgesehen  von  der  Selt- 
samkeit, die  in  der  lesart  von  A  liegt,  da  doch  ein  leugnen 
den  Hunnen  nicht  einfallen  konnte  und  deshalb  das  gegenteil 
nicht  bewirkt  zu  werden  braucht,  erhellt  die  Unrichtigkeit  von 
gelougen  und  die  richtigkeit  von  gelouhen  aus  den  beiden  fol- 
genden Zeilen:  het  ez  der  hell  slder  län,  so  möhter  wol  sin  ge- 
nesen. Also  erst  später  greift  er  Hagen  an.  Was  in  dem 
fraglichen  satze  ausgedrückt  ist,  fällt  vorher,  was  wol  zu  ge- 
louben, aber  nicht  zu  gelougen  mit  der  von  Henning  gegebenen 
crklärung  passt,  663  ist  durchaus  nicht  nötig  mit  A  hell  zu 
schreiben.  Warum  soll  aussen  für  Dietrich  nicht  hier  sein 
können?  Er  ist  doch  draussen  und  ist  auch  nicht  aus  dem 
saale  nach  draussen  gegangen,  wie  Henning  behauptet;    denn 


3SG  PAUL 

er  koiiiint  von  Hagens  Icielic,  die  docli  nicht  im  saale  liegen 
kann.  1039  könnten  die  beiden  adverbialen  bestimmungen 
nach  (lern  grozen  dienste  sin  nnd  an  der  liehen  nlfteJn  mm  wol 
dnvcli  und  veibnnden  sein,  wenn  sie  gleicli  durch  verschiedene 
l)r;ip(isiti<)nen  verknüpft  sind;  übrigens  aber  hat  die  recension 
C  *  welche  durch  für  7idch  schreibt,  nnd  nicht.  Nimmt  Henning 
au,  dass  C*  den  fehler  corrigiert  hat,  was  hindert  uns  dann 
anzunehmen,  dass  ihn  auch  A  corrigiert  hat,  und  dass  er  in 
der  originalliandschrift  stand,  der  ja  sonst  die  Verteidiger  von 
A  mit  Vorliebe  fehler  aufbürden?  98  ich  wcen  si  ir  alten  sünde 
engnllen,  und  niht  mere]  hier  soll  die  lesart  von  A  si  alter  sünde 
das  ursprüngliche  sein,  weil  sie  allein  ermöglicht,  in  der  stelle 
eine  anspielung  auf  die  alte  verhängnisvolle  macht  des  Schatzes 
zu  sehen.  Wenn  sich  Henning  für  seine  auffassung  auf  W.  Grimm 
und  Sommer  beruft,  so  ist  zu  ])enievken,  dass  letzterer  diese 
annähme  mit  recht  für  sehr  gewagt  erklärt,  weil  es  in  der 
deutschen  sage  sonst  keinen  anhält  dafür  gibt,  und  dass  ersterer 
trotz  des  ausdruckes  'das  verhängnisvolle  gold',  den  er 
braucht,  doch  nach  dem  zusammenhange  und  wegen  der  ver- 
gleichung  von  (j3Ü  unter  sünde  nur  sünde  der  Burgunder  ver- 
stehen kann,  spcciell  den  raub  des  Schatzes.  Etwas  anderes 
darunter  zn  verstehen  sind  Mir  nicht  genötigt,  auch  nicht  bei 
der  lesait  von  A  Ich  wünschte  doch  noch  eine  nähere  erläu- 
terung  von  Henning,  was  er  denn  bei  seiner  auffassung  eigent- 
lich unter  der  alten  sünde  versteht.  1625  ist  vielleicht  zu  inter- 
pungieren :  diu  marcgrävinne  niht  enlie,  sin  endet  mit  jämer  daz 
(auf  jämer  als  neutrum  bezogen)  ir  was  (wunder  ist  daz  si  ie 
genas)  den  tac  vol  an  daz  ende. 

lieber  die  fälle,  in  denen  Henning  die  lesart  von  A  für 
schlechter  erklärt,  habe  ich  weiter  nichts  zu  bemerken,  und 
muss  ihm  seine  auftassung  überlassen.  Dagegen  betrachten 
wir  kurz  die  beiden  von  ihm  angeführten  stellen,  an  denen 
erst  durch  conjectur  aus  A  das  richtige  hergestellt  werden  soll. 
551  verteidigt  Henning  Lachmanns  conjectur  des  vil  küenen 
V eigen  l%p  für  Iringe  A,  toten  D,  Tenen  BCNbd.  Ich  cousta- 
tiere  zunächst,  dass  Iringe  sehr  leicht  für  Iringes  verschrieben 
sein  kann,  da  solche  buchstabenauslassungen  massenhaft  in  A 
vorkommen;  dass  dann  weiter  Iringes  sehr  leicht  für  das  hier 
gleichbedeutende  Tenen  eingetreten  sein  kann,   wogegen  natür- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  387 

lieh  gar  nichts  zu  erinnern  ist  und  woneben  toten  in  D  vregen 
der  Übereinstimmung-  von  Nl)  mit  den  übrigen  hss.  gar  nicht 
in  betracht  kommt;  dass  überhaupt  in  mhd.  werken  und  spe- 
ciell  im  Nibelnngenliede  bei  weitem  die  meisten  Varianten  durch 
vertauschuug  synonymer  ausdrücke  entstellen  und  alle  compli- 
cierteu  graphischen  erkläruugen  sjhr  bedenklich  sind.  Schwer- 
lich würde,  auch  wenn  der  w- strich  bei  veige  gerade  über  dem 
i  gestanden  hätte,  irgend  ein  mittelhochdeutscher  Schreiber  das 
wort  verkannt  haben.  Endlich  aber  ist  das  epitheton  kiiene 
bei  dem  substantivierten  veige,  was  hier  =  tote  zu  nehmen 
sein  würde,  nicht  glaublich.  Die  andere  stelle  ist  2094.  Hier 
lesen  die  andern  hss.  daz  in  daz  leit  mit  gewalt  lie  selten  Sit 
gesprechen  wort,  A  dagegen  daz  in  daz  leit  nider  salt  und  lie 
etc.  Lachmann  setzt  dafür  schall.  Henning  bemerkt  wol,  wie 
seltsam  dies  hier  in  seiner  gewöhnlichen  bedeutung  sein  würde, 
und  nimmt  daher  nach  dem  vorgange  von  J.  Grimm  an,  dass 
es  sich  hier  noch  in  altertümlicher  bedeutung  erhalten  habe, 
indem  sceltan  ursprünglich  =  sealtau  wäre.  Diese  ])ehauptung 
schwebt  ganz  in  der  luft.  Wäre  selbst  die  richtigkeit  dieser 
ablcitung  nicht  zu  bezweifeln,  so  steht  so  viel  fest,  dass  weder 
mhd.  schellen  noch  ahd.  sceltan  jemals  die  bedeutung  'stosscn' 
hat.  Henning  fi-eilich  behauptet,  diese  sinnliche  bedeutung  sei 
im  ahd.  noch  ziemlich  lebendig;  denn  sceltan  übersetze  auch 
insectari,  carpere,  ebenso  hisceltan  lacerare.  Bedeuten  denn 
diese  lateinischen  Wörter  'stosseu'?  Hätte  Henning  ein  Wörter- 
buch aufgeschlagen,  so  würde  er  gefunden  haben,  wenn  er  es 
noch  nicht  wüste,  dass  carpere  und  lacerare  ganz  gewöhnlich 
im  sinne  von  'schelten,  schmähen'  gebraucht  werden,  und  dass 
auch  insectari  gelegentlich  so  übersetzt  werden  kann. 

Ich  glaube  durch  die  vorstehenden  bemerkungen  hinläng- 
lich motiviert  zu  liaben,  weshalb  icli  mich  durch  die  neuesten 
Verteidigungen  von  A  nicht  veranlasst  sehe  in  bczug  auf  diese 
hs.  einen  andern  Standpunkt  einzunehmen  als  Bartsch,  und 
kann  unn  zu  meinem  eigentlichen  thema  übergehen. 


388  PAUL 

11.    Die  assouauzeu. 

In  den  aufstelkmg-en  Jjartscli.s  sind  zwei  momente  zu  unter- 
scliciden,  die  er  selbst  als  solidarisch  mit  einander  verbunden 
betrachtet,  und  die  aueb  von  der  kritik  so  augeseben  sind :  die 
autVassung-  der  beiden  receusionen  ß  und  C  als  selbständiger 
bearbeitungeu  eines  verloren  gegangenen  originales  und  die  be- 
stimniung  der  abfassuugszeit  dieses  originales.  Die  beiden  be- 
arbeitungeu des  liedes  sollen  nach  Bartsch  zunächst  zurück- 
geben auf  eine  receusion,  die  um  1170 — 80  entstanden  ist  und 
die  ihrerseits  \vider  bearbeitung  eines  älteren  um  1140  —  50 
entstandenen  werkes  sein  soll.  Ein  entsprechendes  Verhältnis 
wird  füi'  die  Klage  vorausgesetzt,  nur  dass  hier  die  abfassuug 
etwas  später  angesetzt  wird  ,  die  der  zunächst  zu  gründe  lie- 
genden recension  um  1180,  die  des  ursprünglichen  werkes  spä- 
testens um  1170.  Den  beweis  für  diese  Zeitbestimmungen 
findet  Bartsch  eben  in  den  motiven,  durch  welche  die  umarbeiter 
bei  ihren  änderuugen  geleitet  sein  sollen,  die  eine  beschafleu- 
heit  des  originales  voraussetzen,  wie  si'3  nur  gedicbten  aus 
der  zeit  vor  den  beiden  letzten  Jahrzehnten,  zum  teil  nur  sol- 
chen aus  der  mitte  des  12.  Jahrhunderts  zukommen.  Wären 
diese  motive  von  Bartsch  durchgängig  richtig  gefunden,  so 
müste  man  ihm  w^ol  seine  Zeitbestimmungen  zugeben.  Dass 
dies  geschehen  sei,  ist  schon  mehrfach  bestritten  worden,  aber, 
wie  ich  glaube,  einerseits  nicht  mit  allen  zu  geböte  stehenden 
mittein  und  deshalb  niclit  überzeugend  genug,  anderseits  mit 
verkennung  der  richtigkeit,  welche  Bartschs  hypothese  inner- 
halb beschränkter  grenzen  hat.  Meine  Überzeugung,  die  ich 
im  folgenden  zu  begründen  versuche,  ist  die,  dass  allerdings 
B  *  und  C  *  beide  Überarbeitungen  sind ;  dass  allerdings  die 
änderuugen  der  bearbeiter  zum  teil  mit  Bartsch  aus  der  rück- 
sicht  auf  versmass  und  reim  zu  erklären  sind  und  in  dieser 
erklärung  der  hauptbeweis  für  das  angenommene  Verhältnis 
der  beiden  receusionen  liegt;  dass  aber  der  bei  weitem  grössere 
teil  der  abweichungen  nicht  aus  solchen  gründen  zu  erklären 
ist;  dass  Bartsch  zwar  von  richtigen  gesichtspunkten  ausge- 
gangen ist,  denselben  aber  un])erechtigter  weise  eine  zu  weite 
geltung  eingeräumt  hat,  und  dass,  Avenn  wir  ihre  anwendung 
auf  das  richtige  mass  einschränken,  aus  ihnen  sich  kein  moment 


ZUR   NIBELUNGENFEAGE.  3S9 

ergibt,  welches  dazu  nötigte,  das  alter  der  beiden  gedichte  über 
das  letzte  jabrzebnt  des  12.  Jahrhunderts  hinaufzurücken. 

Das  erste  und  wichtigste  moment  seiner  beweisfiibrung- 
entnimmt  Bartsch  aus  den  reimen.  Er  bandelt  darüber  in  den 
Untersuchungen  s.  2  if.,  300  tf.  und,  was  die  Klage  betrifft, 
ebenda  s.  325  ff.  und  in  der  eiuleitung  zu  seiner  ausgäbe  der- 
selben s.  VII  Ü\  lieber  die  reime  der  letzteren  handelt  dann 
auch  Edzardi  in  seiner  ausgäbe  s.  12  ff.  Die  zahlreichen  ab- 
weichuugen  beider  recensionen  in  den  reimen  sollen  fast  durch- 
gängig dadurch  erklärt  werden,  dass  in  dem  originale  ein  un- 
genauer reim  stand,  der  in  jeder  bearbeitung  unabhängig  von 
der  andern  durch  äuderung  des  einen  oder  beider  reiüiworte 
beseitigt  ist.  Eine  genaue  prüfung  des  dabei  eingeschlagenen 
Verfahrens  muss  unsere  wichtigste  aufgäbe  sein. 

Scherer  in  der  zeitschr.  f  d.  altert.  XVII,  566  setzt  sich 
über  die  ganze  argumentation  Bartschs  mit  der  bemerkung 
hinweg:  daraus,  dass  sich  aus  der  combination  der  beiden  re- 
ceusionen  ungenaue  reime  herstellen  Hessen,  folge  noch  nicht 
dass  diese  ungenauen  reime  wirklich  gewesen  sein  müsten. 
Aber  mit  einem  solchen  einwände  Hesse  sich  vielleicht  jede 
philologische  oder  historische  conjectur  bei  seite  schieben. 
Man  darf  von  einer  solchen  billiger  weise  nichts  anderes  ver- 
langen, als  was  sie  zu  leisten  im  stände  ist,  einen  mehr  oder 
minder  hohen  grad  von  Wahrscheinlichkeit.  Alle  positive  tätig- 
keit,  die  dem  historiker  nach  herbeischaffung  des  materials 
zufällt,  kann  nur  darin  bestehen,  dass  er  die  ihm  trümmerhaft 
vorliegenden  tatsachen  mit  hülfe  allseitiger  erwägung  der  mög- 
lichkeiten  des  geschehens  in  einer  solchen  weise  ergänzt,  dass 
daraus  der  bestdenkbare  causalzusammenhang  entsteht.  Von 
jeder  so  durch  ergänzung  gewonnenen  annähme  muss  man 
verlangen:  erstens,  dass  sie  keiner  anderweitig  mit  grösserer 
Wahrscheinlichkeit  ermittelten  tatsache  widerspreche;  zweitens 
dass  sie  die  überlieferten  tatsachen  wirklich  befriedigend  er- 
kläre; drittens,  dass  daneben  nicht  noch  andere  gerade  so  be- 
friedigende erklärungen  möglich  sind.  Wenn  aber  diese  drei 
forderuDgen  erfüllt  sind,  so  darf  die  hypothese  aHgemeine  an- 
erkennung  beanspruchen.  Natürlich  muss  man  sich  dabei 
immer  bewust  bleiben,  dass  man  es  mit  einer  hypothese  zu 
tun  hat,  die  vieUeicht  in  zukunft  gestürzt   und   durch  eine  an- 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.  111.  26 


;{90  PAUL 

(Icic  ergänzt  werden  kann ,  weil  sieh  entweder  durch  verraeh- 
niuii-  des  beohnclituni;sniaterials  oder  durch  scliarfsinnig-ere 
ccnnbinatiouen  herausstellt,  dass  sie  doch  einer  von  den  drei 
gestellten  forderung-en  nicht  genügt.  Versuchen  wir  nun  mit 
den  uns  zu  gel)ote  stehenden  mittein  uns  ein  urteil  darüber  zu 
bilden,  ob  und  wie  weit  Bartschs  h3q)othese  diesen  forderungen 
entspricht. 

Dass  sie,  soweit  sie  das  allgemeine  Verhältnis  der  hss.  be- 
triftt,  einer  anderweitig  festgestellten  tatsache  widerspricht, 
können  wol  nur  die  anhänger  der  liedertheorie  und  der  hs.  A 
behaupten.  Nur  von  ihrem  Standpunkte  aus  findet  Scherers 
abweisung  ihre  berechtigung.  Sobald  aber  einmal  anerkannt 
ist,  dass  A  keine  selbständige  bedeutung  hat,  dass  wir  nur 
zwei  hauptrecensioneu,  B  •'■■  und  C  *  zu  unterscheiden  haben,  so 
steht  von  vornherein  der  annähme,  dass  beide  recensionen 
ttbei arbeitungen  sind,  nicht  das  geringste  im  wege,  und  es  ist 
kein  grund,  warum  ohne  weiteres  die  eine  den  vorzug  ver- 
dienen, warum  die  eine  oder  die  andere  im  wesentlichen  den 
originalen  text  enthalten  soll.  Ein  einwand  Scherers  ist  hier 
allerdings  noch  zu  erwägen,  den  derselbe  a.  a.  o.  s.  562  macht: 
man  müsse  erwarten,  dass  hss.  oder  wenigstens  bruchstücke 
des  originalen  textes  erhalten  seien.  Ich  kann  auf  diesen  ein- 
wand nicht  viel  gewicht  legen.  Wenn  einmal  ein  älteres  ge- 
dieht nach  dem  geschmacke  der  jüngeren  zeit  zugerichtet  ist, 
so  pflegt  es  in  dieser  neuen  gestalt  weiter  verbreitet  zu  werden; 
es  ist  ein  besonders  glücklicher  zufall,  wenn  etwas  von  der 
älteren  gestalt  bis  auf  uns  kommt.  Es  schliesseu  sich  ja  auch 
die  hss.  anderer  gediehte,  auch  wo  sie  ziemlich  zahlreich  sind, 
in  einige  wenige ,  etwa  auch  zwei  gruppen  zusammen,  von 
denen  keine  den  urtext  enthält,  wenn  auch  vielleicht  die  eine 
demselben  näher  steht  als  die  andere.  Wie  stark  die  Verschie- 
denheit beider  lecensioneu  ist,  darauf  kommt  es  dabei  eigent- 
lich gar  nicht  an.  Ein  beispiel,  wo  die  abweichungen  kaum 
geringer  sind  als  zwischen  B*  und  C''  in  den  Nibelungen, 
bieten  die  beiden  recensionen  des  jüngeren  Titurel^),  von  denen 
allem  anscheine  nach  keine  den  originalen  text  gibt.  Man 
hätte  dann  docli  billig  auch  grund  sich  zu  verwundern,  warum 

')  Vgl.  Fr.  Zarncke,  Der  Graltemx)el.  Vorstudie  zu  einer  ausgäbe 
des  Jüngern  Titurel.    Leipzig  1876, 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  391 

der  nach  Scherer  ursprüngliche  text  nur  in  der  einen  verhält- 
nismässig späten  hs.  A  erhalten  ist,  die  doch  auch  recht  leicht 
durch  irgend  welchen  zufall  hätte  vernichtet  sein  können. 
Ferner  müste  man  sich  mit  noch  grösserem  rechte  wundern, 
dass  der  archetypus  aller  uns  erhalteneu  hss.  schon  Nibelungen- 
lied und  Klage  zusammen  enthalten  hat,  von  welcher  letzteren 
noch  dazu  die  anhänger  Lachmanns  immer  noch  hartnäckig 
behaupten,  dass  ihr  Verfasser  das  Nibelungenlied  in  der  uns 
vorliegenden  gestalt  nicht  gekannt  habe.  Warum  sind  uns 
nicht  beide  gedichte  noch  vollständig  jedes  für  sich  tiberliefert? 
Und  wie  müste  man  sich  erst  wundern,  dass  von  den  Müllen- 
hofi-Schererschen  liederbüchern  gar  nichts,  auch  nicht  in  ab- 
schrift  erhalten  ist!  Einigen  anhält  hat  aber  doch  Scherers 
einwurf  Bartsch  gegenüber.  Wenn  zwischen  der  ursprüng- 
lichen abfassung  und  den  beiden  bearbeituugen  ein  Zeitraum 
von  wenigstens  50  jähren  liegt,  und  wenn,  wie  es  doch  wahr- 
scheinlich sein  würde,  während  dieses  Zeitraums  das  Nibelungen- 
lied schon  eine  grosse  Verbreitung  gefunden  hätte,  so  wäre 
immerhin  zu  erwarten,  dass  nicht  alles  damals  vorhandene 
für  uns  verloren  gegangen  wäre,  dass  vielleicht  auf  grund  des- 
selben auch  noch  anderweitige  modernisierende  ])earbeitungen 
entstanden  wären.  Aber  etwas  anderes  ist  es,  wenn  wir  an- 
nehmen (und  das  ist  meine  ansieht),  dass  die  beiden  gedichte 
kurz  nach  ihrer  entstehung,  noch  ehe  sie  in  vielen  hss.  ver- 
breitet waren,  umgearbeitet  wurden.  Dann  dürfen  wir  uns  ge- 
trost über  jeden  skrupel  nach  dieser  seite  hin  hinwegsetzen. 
Es  kann  sich  für  uns  nur  darum  handeln,  welche  hypothese 
die  abweichungen  beider  recensionen  am  besten  erklärt.  Und 
da  nimmt  es  sehr  für  Bartsch  ein,  dass  er  die  möglichkeit  er- 
öffnet, einen  teil  von  dem  sowol,  was  von  den  anhängern  von 
B*  (A),  als  von  dem,  wüh  von  den  anhängern  von  C*  als 
motiv  der  änderung  vorgebracht  ist,  als  solches  anzuerkennen 
und  dazu  noch  neue  motive  zu  finden,  die  von  beiden  nicht  er- 
mittelt werden  konnten. 

Aber  noch  eine  wichtige  forderung  ist  zu  stellen,  der  nicht 
Avidersprochen  werden  darf:  es  nmss  die  originale  gestalt  der 
beiden  werke,  wie  sie  sich  aus  dem  angenommenen  hand- 
schriftenverhältnis  ergibt,  eine  solche  beschafienheit  haben,  dass 
sie  nicht  nur  für  sich  betrachtet,   sondern  auch  verglichen  mit 

20* 


ä9^  PAUL 

der  gcsaniniten  literarischen  entwicklung  der  zeit  als  möglich 
gedacht  werden  kann,  üass  das  von  Bartsch  construicrtc  ori- 
ginal dieser  forderung-  enlspreche,  ist  schon  mehrfach  bestritten 
worden,  so  von  Zarncke  in  seiner  ausgäbe  des  Nibelungen- 
liedes (4.  aufl.  s.  XLVIII),  von  Scherer,  zeitschr.  f.  d.  altert. 
XVII,  5G2.  Ich  stimme  durchaus  bei,  dass  die  entstehung  des 
Nibelungenliedes  im  fünften  Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  mit 
nnsern  sonstigen  geschichtlichen  kenntnisscn  nicht  zu  vereini- 
gen ist.  Es  kommen  dabei  besonders  folgende  momente  in 
betracht.  Erstens  zeigt  die  ganze  darstellungsweise  eine  solche 
verwantschaft  mit  der  des  höfischen  epos,  dass  man  sich 
schwer  der  ansieht  erwehren  kann,  dass  bereits  eine  ein  Wir- 
kung desselben  stattgefunden  hat.  Ich  merke  hier  namentlieh 
an  die  detaillierten  Schilderungen  des  hofceremoniels,  der  feste 
und  turniere  mit  der  besonderen  hcrvorhebung  der  teilnähme 
der  frauen,  der  riistungen  und  gewänder.  Dergleichen  kommt 
allerdings  schon  in  der  kaiserchronik  und  andern  gleichzeitigen 
gedichten  vor,  aber  bei  weitem  nicht  in  der  häufigkeit  und 
ausfährlichkeit.  Vielleicht  noch  wichtiger  ist  die  sorgfältige 
psychologische  motivierung  und  die  ausmalung  der  empfin- 
dungen  und  reflexionen,  wozu  sich  in  den  gedichten  aus  der 
mitte  des  Jahrhunderts  immer  nur  dürftige  ausätze  zeigen. 
Und  damit  im  zusammenhange  steht  die  weit  vorgeschrittene 
ausbildung  des  periodenbaues  gegenüber  dem  abgerissenen  stile 
der  älteren  gedichte.  Eine  ins  einzelne  eingehende  vergleichung 
würde  vielleicht  von  nicht  geringem  Interesse  sein.  Aber  aller- 
dings will  das  gewicht  dieses  argumeutes  mehr  empfunden 
werden,  als  dass  es  sich  auf  eine  logisch  unwidersprechliche 
formel  bringen  Hesse.  Und  mislich  ist  es,  dass  gedichte, 
die  ebenfalls  stoffe  aus  der  deutschen  heldensage  behandeln, 
mit  ausnähme  des  Rother  ganz  mangeln,  wodurch  immer  noch 
ein  vor  wand  gegeben  ist,  sich  der  Überzeugungskraft  des  Ver- 
gleiches zu  entziehen.  Ich  verzichte  daher  auf  die  weitere 
ausführung  diesem  beweispuuktes,  zumal  da  ich  mich  glück- 
licher weise  in  der  läge  befinde,  denselben  vollkommen  ent- 
behren zu  können.  Zweitens  muss  ich  mit  Scherer  geltend 
maclien,  dass  der  höfische  frauendienst  deutlich  ausgeprägt  er- 
scheint, was  nicht  bloss  gegen  den  Kürenberger,  sondern 
auch  gegen   die  zeit  des  Kürenbergers   spricht.     Zu   den   von 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  303 

Scherer  angeführteu  stellen  füge  man  noch  1641.  5.  2201. 
Goteliut  steckt  dem  Volker  zwölf  ringe  an  die  hand,  die  er 
ihretwillen  beim  feste  tragen  soll,  damit  man  ihr  sagen  könne, 
wie  er  ihr  dort  gedient  habe;  nnd  Volker  erinnert  später  den 
Rüdiger  daran  und  bittet  ihn  sein  böte  zu  sein,  der  der  mark- 
gi-äfin  bezeugt,  dass  er  ihrem  geböte  folge  geleistet  hat,  Gewis 
haben  wir  das  Verhältnis  nicht  anders  aufzufassen,  als  dass 
Gotelint  den  Volker  zu  ihrem  ritter  wählt  und  ihm  zum  zeichen 
ihr  kleinod  gibt,  eine  sitte,  die  uns  sonst  in  Deutschland  nicht 
früher  als  bei  Heinrich  von  Veldeke  begegnet.  Drittens:  schon 
Holtzmann,  Untersuchungen  s.  S2  sah  in  den  vorkommenden 
französischen  Wörtern  ein  liindernis,  das  gedieht  früher  als  in 
das  letzte  decennium  des  12.  Jahrhunderts  zu  setzen.  Er  wirft 
allerdings  gleich  selbst  ein,  dass  man  mit  solchen  beweismitteln 
nicht  zu  schnell  absprechen  dürfe.  Aber  wenn  es  tatsache  ist, 
dass  die  französischen  lehnwörter  vor  Veldeke  und  dem  grafen 
Rudolf,  welchen  letzteren  über  die  siebenziger  jähre  hinaus 
zurückzurücken  wir  keine  veranlassung  haben,  in  keinem  denk- 
male  erscheinen,  so  ist  es  eine  leere  ausflucht,  wenn  man  sich 
darauf  beruft,  sie  könnten  in  verloren  gegangenen  w'erken  ge- 
braucht oder  im  mündlichen  verkehr  schon  längst  üblich  ge- 
wesen sein.  Man  muss  sie  ausserdem  gewis  in  werken,  die 
aus  dem  französischen  übersetzt  sind,  früher  erwarten  als  in 
andern.  Viertens  scheint  mir  das  Verhältnis  von  genauen  und 
ungenauen  reimen,  wie  es  sich  nach  Bartsch  für  das  original 
ergibt,  undenkbar.  Darauf  muss  ich  später  zurückkommen. 
Hier  habe  icli  nur  noch  einmal  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dass  alle  diese  eiuwendungen  gegen  Bartsch  sich  nur  auf  seine 
Chronologie  beziehen,  aber  auf  seine  grundanschauung  über  das 
handschriftenverhältnis  keine  anwendung  finden,  sobald  dieselbe 
in  einer  solchen  weise  durchgeführt  wird ,  dass  die  chronologi- 
schen Schwierigkeiten  vermieden  werden. 

Wir  haben  also  gesehen:  um  der  ersten  forderuug,  die  wir 
an  jede  philologische  hypothese  stellen  müssen,  zu  genügen, 
sind  wir  nicht  genötigt  Bartschs  annähme  ganz  zu  verwerfen, 
wol  aber  sie  wesentlich  zu  modificieren.  Wie  steht  es  nun 
mit  den  beiden  andern?  Dass  durch  ursprüngliche  reimunge- 
nauigkeit  eine  beträchtliche  zahl  von  abweichungen  sich  er- 
klären  und  zum  teil  ^'olikommen  befriedigend    erklären  lassen 


?m  PAUL 

würden,  wird  iiicniaiid  leii-;iicn.  Was  unsere  aufmcrksamkeit 
vor  allem  in  ansprucli  nelnnen  niuss,  ist  die  frage,  ob  nielit 
daneben  andere  erklärungsgrilndc  niüglicli  sind,  die  gleiches 
oder  grösseres  recht  auf  Wahrscheinlichkeit  haben. 

Bartsch  ist  beinahe  so  verfahren,  als  gäbe  es  für  reini- 
abweiehungen  gar  keine  andere  erklärung  als  die  beseitigung 
von  ungenauen  oder  rührenden  reimen  oder  von  altertümlichen 
Avortformen  im  reime.  Es  liegt  aber  auf  der  band,  dass,  wo 
aus  irgend  welchen  andern,  sachlichen  gründen  stark  geändert 
wird,  notwendiger  weise  auch  vielfach  der  reim  berührt  wer- 
den niuss.  So  selbstverständlich  dies  an  und  für  sich  ist,  so 
will  ich  es  doch,  um  kein  beweismittel  unbenutzt  zu  lassen, 
durch  untrügliche  beispiele  belegen.  Ich  entnehme  dieselben 
zunächst  den  beiden  recensionen  des  Jüngern  Titurel.  Hier 
linden  sich  wie  im  inneru  des  verses  so  in  den  reimen  ziem- 
lich beträchtliche  abweichungen,  von  denen  höchstens  ein  ganz 
geringer  procentsatz  aus  beseitigung  von  reimungeuauigkeiten 
erklärt  werden  kann,  da  dem  originale  kaum  andere  als  etwa 
die  nichtbeachtung  des  7i  im  auslaute  zuerkannt  werden  können . 
Ich  stelle  die  fälle  aus  dem  Schlüsse  des  gedichtes  (Hahn  5964 
bis  6207),  für  welchen  herr  professor  Zarncke  die  gute  hatte 
mir  eine  von  ihm  angefertigte  collation  sämmtlicher  hss.  zur 
Verfügung  zu  stellen.  Hier  weicht  in  270  beiden  recensionen 
gemeinsamen  strophen  a)  das  erste  reimwort  ab:  6059,  2  kleinen 
=  steinen  (-.einen)]  6123,  2  tvagende  =^  wabende  {:hahende)\ 
b)  das  zweite:  5976,  7  hrunnen  =  kunnen  {sumien)\  5977,  4 
quele  =  sele  {:  israliele)]  5978,  4  sparende  =  scharende 
{\va7'ende)\  5977'',  7  kiesen  =  niesen  {:  Verliesen)]  5981",  7 
smdent  =  rulent  {;,  vermideni)  ]  5981^',  4  entranden  =  wanden 
(^.erkunden)]  6004,  7  lerten  =  genierten  {\hekerten)\  6010'^,  4 
stellen  =  gesellen  {;.  erzellen)\  6036,  3  aleine  (var.  in  einen)  = 
meinen  {\r einen) \  6042,  3  gemeine  =  weine  oder  weinen  {: meine)] 
6062,  3  gange  =  zange  (:  lange) ;  6068,  4  gebunden  ==  fanden 
{: verwunden)]  6117,  7  hugende  ==  mugende  (:  tagende)]  6128,7 
ungeschihte  =  sihte  (:  slihle) ;  6 1 29,  4  prisen  =  wisen  (:  isen) ; 
6135,  4  under  =  sunder  (^.wunder)]  6162,  7  mäzen  =  sdzen 
{:läzen)]  c)  beide  reim  werte:  5967,  5.  7  unreme  :  getneine  = 
kleine  :  unreine]  5988 '',  5.  7  wäre^i  :  vären  =  behagende  :  tra- 
gende]   5991,  1.  3    riehen  :  gew alt iclichcn   =  armen  :  erbarmen] 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  395 

5.  7  armen  :  erbarmen  =  füezen  :  süezcu]  5996,  2.  4  sic'me  :  eine 
=  reinen  :  sleinen\  5999,  5.  7  slüegen  :hetr Hegen  =  solten: wollen] 
6006,  5.  7  ungehiure  :  äventiure  =  ungeverte  :  herte]  6019,  1 — 4 
sagende  -  mcere  :  klagende  -  enwcere  =  eren  -  sagende  :  meren  - 
klagende]  6021",  5.  7  bekroenet  :  hescJicenet  =  begrüezet :  ge- 
süezet]  6027,  5.  7  geliche  :  ebenriche  =  eren  :  keren]  6033,  3.  4 
riehen :  bescheidenllclien  =  gehluren  :  äventiuren]  6041,  2.  4  e;^- 
phähen  :  versmähen  =  hende  :  eilende]  6044,  1.  3  nähen  :  vähen 
=  verre  :  herre]  6047,  5.  7  ze  tragene  :  ze  sagene  =  tragende 
:  sagende]  6064",  5.  7  bezzer  :  mezzer  =  verdlrhet  :  errvirbet] 
6084,  1.  3  breite  :  leite  =  künde  :  underrvunde]  6090,  1 — 4  er- 
funden -  blözen  :  wunden  -  widerstözen  =  ungesigende  -  erfunden 
:  gelig  ende  -  wunden.  6125,  5.  7  lange  :  umbevange  =  nemende 
:  zemende]  6149,  5.  7  vlogten  :  brogten  =  kristallen  :  gevallen. 
Also  von  a)  2,  von  b)  17,  von  c)  18,  im  ganzen  37  fälle. 

Doch  wir  können  beim  Nibelungenliede  selbst  bleiben. 
Nämlich  innerhalb  jeder  einzelnen  recensiou  weichen  vielfach 
wider  einzelne  hpf<.  im  reime  ab.  Hier  beweist  (auch  Bartsch 
erkennt  dies  fast  durchweg  an)  beinahe  überall  die  Überein- 
stimmung der  übrigen,  meistens  auch  die  der  andern  recension, 
dass  schon  die  urhaudschrift  der  betreifenden  bearbeitung  reine, 
auch  nicht  rührende  oder  altertümliche  reime  hatte.  Daraus 
folgt,  dass  das  motiv  zur  änderuug  ein  ganz  anderes  war.  Da 
die  zahlreichen  hierher  gehörigen  fälle  als  probe  für  die  rich- 
tigkeit  von  Bartschs  folgerungen  sehr  lehrreich  sind,  so  gebe 
ich  hier  eine  vollständige  Zusammenstellung  derselben. 

a)   Die  erste  reim z eile  ist  geändert: 
301,  1  dd  si  kom  üz  dem  müuster     sam  er  e  hete  getan  (:  gäri) 

A     do  si  uz  dem  munstre      tiach  messe  chom  gestan  ^). 
816,  1  ^nein  er''  sprach  do  Hagene,    ^ ir  mugct  wol  stille  dagen 

{:  getragen). 

A  lat  iuez  wol  behagen.^) 


')  Um  zu  zeigen ,  wie  auch  hier  nach  dem  niuster  von  Bartsch  re- 
constructionen  aufgrund  der  abweichungen  möglich  wären,  wo  sie  sich 
doch  von  vornherein  verbieten,  gebe  ich  in  den  folgenden  anmerkungen 
einige  versuche.  Hier  ist  in  301,  l  des  rührenden  reimes  willen  ge- 
ändert; A  hat  nur  ungeschickt  gestan  aus  f/egän  gemacht,  sonst  das 
richtige  bsAvahrt. 

^)  Ursprünglich:  Ir  endürfl  uilit  sorge  haben. 


396  l'AUL 

S60,  3  vohjlcn  Gimthcrc     unde  sinen  man  {:  bestän). 
A  un  Sifride  dan. 

1935,  W  der  von  Bechelären,     vriunt  und  siner  man  {:  gewan). 
C  die  stiegen  von  dem  hüse,     daz  wären  shie  man. 

A     daz  was  von  (lies  von  den)  herren     durch  tri?ve  gctan.^) 
18,  1   Kriemhilt  i7i  ir  muote    sich  minne  gar  hewac  {:  lac). 
A     in  ir  vil  hohen  lugenden    der  si  schoene  pflack. 
I      ir  lichiu  muotcr  ir.     nach  wnsche  schone  pflacP) 
1270,  3  sine  slühe,  sam  ez  hrünne,     allenthalben  dan  {rmaii). 
D  allenthalben  sam    es  brinnen  began. 

122,  2  redeji  er  vej^bot 

iht  mit  übermüete         des  im  wmre  leit  (:meU). 
I  di  red  er  gar  verbot 

diu  ubermuetic  wcvre     daz  wart  im  do  gesell. 
1307,  3  daz  ist  uns  gar  verdeit  {:kleit). 

I  dest  immer  ungeseit. 

1684,  1  fürsten  wine  milt  (.-schilt). 

I  min  frawe  Kriemhilt. 

2141,  3  daz  ich  si  tragen  solde     hie  zer  hohgezit. 

die  muget  ir  selbe  schäumen,     daz  ir  mm  geziuc  des  sit. 
I      die  mugt  ir  selb  schawen,     ich  truoc  si  ane  nit. 

durch  miner  frawen  er.     daz  ir  min  geziuc  des  sii.^) 
1233,  3  von  Rüedegeres     des  marcgräven  man   (:  getan). 
C  *  I    die  snellen  Burgonden     von  {un  I)  Rüedegeres  man. 
H  die  sah  man  churlichen  stan. 

1936,  1  do  sach  ein  Hinnen  recke     Etzeleji  gän  {:hnn). 
b       do  sach  ainen  Hünen  recken     der  Etzeln  man. 

Dies  die  stellen,  an  denen  durchgreifendere  änderungen 
sieh  finden.  Dazu  kommt  eine  grössere  anzahl,  in  denen  nur 
das  reimwort,  oder  nur  noch  das  nächstvorhergehende  geändert 
ist.  886,  1  üz  erkorn  (:horn)  ^  wol  gebom  A.  1614,  1  spile- 
man  {:hän)  =  dege7i  sän  A.  1901,  1  spileman  {:  getäii)  =  sän 
A.  1971,  3  ahe  gän  {:  bestän)  =  abe  län  A.  2199,  3  begän 
{:tnan)  =  getan  Ala    (das   pari    begän   scheint   anstössig  ge- 


')  der  von  Bectielären,  mit  den  er  dannen  quam. 
-)  Kriemhilt  in  ir  muote    minne  niemen  jach. 

3)  ich  truoc  si  hie  zen  Hiunen    durch  daz  vil  edele  rvlp  :  die  muget 
ir  etc. 


ZUR  NIBELUNGENFEAGE.  3<J7 

Avesen  zu  sein,  ebenso  wie  981,  4  für  A,  410,  2.  806,  4.  2236, 
2  für  I,  659,  4  für  lab).  568,  3  an  dem  ringe  stän  {:man)  = 
an  einen  rinc  do  gan  B.  741,  3  rvol  getan  {:man)  =  vil  tvol 
stän  D.  861,  3  über  Bin  {:  geshi)  =  jagen  swin  D.  1553,  1  an 
{:hestdn)  =  dan  D  (die  zeile  weicht  noch  weiter  ab,  aber  die 
Übereinstimmung  mit  N  b,  welche  an  haben,  zeigt,  dass  die  ab- 
Aveichung  nichts  mit  der  reimänderuug  zu  tun  hat).  1693,  3 
min  galt  {:hoU)  =  minen  solt  D.  2077,  i  gät  {:hät)  ^^  stät  D. 
2123,  1  zno  zmis  gan  {:hdn)  =  ims  bestan  D.  360,  1  verdeit 
:  gemeit)  =  verseif  I  (nach  Lachmann,  B  nach  Bartsch).  068,  1 
verdeit  {:leit  =^  nit  geseit  I  (an  den  beiden  letzten  stellen  ist 
wie  1307,  3  und  1612,  3  die  zusammenziehung  verdeit  besei- 
tigt, ebenso  gekleit  932,4).  458,  1  an  getan  {jman)  =  allez  an 
L  611,  1  hin  gegän  {: stän)  ==  von  dan  \.  2003  gegän  {:began) 
=  do  san  I  (vgl.  oben  2199,  3).  894,  3  dan  {:  getan)  =  an 
I.  1705,  3  abe  gän  {:  bestan)  =  iucli  erlan  I.  1797,  1  die 
zwcne  gierigen  dan  {:  getan)  =  die  zrven  Jaien  man  I.  2021,  1 
sän  {:man)  =  dan  I.  2157,  3  helmgespan  (:  man)  =  heim  dan 
I.     1485,  3  über  sant  {: genant)  =  in  das  lant  1. 

In  einigen  fällen  ist  sogar  der  reine  reim  des  Originals  in 
einen  unreinen  verwandelt.  2237,  1  solhe  not  {:tdt)  =  solhen 
mut  B.  560,  1  in  beckeii  von  golde  rot  {:nöl)  =  ein  becke  von 
golde  truoc  D.  2287,  1  ein  wäfen  starc  genuoc  {:  sluoc)  =  ein 
m.  St.  un  guot  b,  ein  tzir  waffen  gut  D.  14,  1  ir  muoter  Uoten 
{:guoten)  =  ir  lieberi  fnuoter  I.  1840,  3  die  Nuodunc  e  besaz 
{ivergaz)  =  diu  Nuodunges  waz  I.  2209,  1  erst  so  grimme  ge- 
muot  {:guot)  =  gri?nm  ist  er  genuoc  I.  593,  2  genuoc  {:  truoc)  = 
gemuot  b.  Rührender  reim  ist  entstanden  1072,  1  unbehuot  :  guot 
=^  niht  ze  guot  I. 

b)   Das  zweite  reim  wort  ist  geändert: 

143,  4  in  hilf  et  vil  der  degene,     daz  rvizzet  üf  die  triuwe  min 

(;  Bin). 

A  des  sult  ir  gervarnet  si7i. 

354,  2  ze  sehenne  vremden  Hüten,  swaz  man  der  gewan  {: getan). 

A     die  ze  sehenne  waren     den  Hüten  fremde  dan  ^). 


')  als  CS  vremden  Uuten    ze  sehenne  tvol  gezam. 


308  PAUL 

'11'.),   1   Günther  der  cdele     vH  harte  sorgen  heg  an  {:ma)i). 

A  dar  umbc  sorge  gewanA) 

442,   1  er  sprach  zuo  dem  künigc,    unt  Ict  vil  wisliche  daz  {:saz). 

A     da  er  und  ander  degne     alles  leides  vergaz!^ 
470,  4  war   wnbe   er  des  gcrte,     des  hört   in  niemen  verjehen 

{.-gesehen), 
A     so  wil  ich  iu  leides     laxen,  hie  niht  geschehen. 
494,  4  si  fuoren   von  dem  lande     mit   vil  grozen  vreudcn   sint 

{:wazzerwini). 
A  daz  hciveinde  maniger  muoter  kint. 

798,   1    den  Kricmhilde  vriedel      hicz  man   bringen  sä   zchant 

(;  Niderlant). 
A     do  wart  der  kuene  si/'rit    harte  balde  do  besant?) 
948,  4  do  begunde  Kriemhilt    vil  harte  unmcezliche  klagen  (;  cr- 

slagen). 
A     ouwe  sprach    vro   kriemhilt      tvaz    wildu    solcher   mcrc 

sagend) 
909,  4  den  tvolde  er  gerne  rechen:     des  gie   im  wcerltchen  not 

(.■tot). 
A  als  im  sin  triwe  daz  gebot. 

973,  4   do  siz  niht  läzen  wolden,     daz  was   ir  wcerlichen   Icit 

(:  gemeit). 
A     daz  wolden  si  niht  lazen    daz  do  ir  herze  vol  durchsneit. 
981,  4  und  ouch   der   grimme  Hagene     zuo  dem  wuofe  gegän 

(.-man). 
A  daz  wcere  bezzer  verlän. 

088,  4  in  triuwen  si  in  klageten    mit  den  anderen  sint  (;  kint). 
A  ir  ougen  wurden  nazzer  {nazzes 

Lachm.)  blint. 
1594,  4  daz  ist  an  den  triuwen  war   (:  här). 

A  si  warn  hübsch  un  dar. 

2106,  2  dar  über  zw  elf  recken     ze  helfe  er  gewan  {:man). 
A  sach  man  mit  im  gan. 


*)  dar  unibe  iti  gruze  sorge  quam. 

2)  zuo  den  andern  degenen.    zem  künege  er  wisliche  sprach  oder 

er  sprach  vil  wisliche,  da  er  den  künic  ane  sach. 
'^)  do  besande  man  vil  schiere  den  degen  küene  unde  halt. 
^)  don  wart  nie  mtre  leides  in  ir  herzen  begraben. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  399 

845,  4  da  mac  man  in  vcrhouwen:    des  ist  mir  sorgen  vil  bereit 

(;  breit). 
A  des  han  ich  sorge  unde  leit. 

I  da  von   han  ich  dicke  leit. 

1155,  4  er  mac  si   wol  ergetzen       swaz   si  leides   ie  gewan^) 
B  (:imdertän). 

swaz  ir  leides  ist  getan. 
1516,  4  ern  wold  ez  doch   niht  läzen:     daz   was   im  leide  getan 

(;  heg  an). 
B  //•  deheinen  understan. 

992,  2  ich  tvwne  man  da  iemen         dne  weinen  vant  {:  wanl). 
D     des  half  mit  grozzem  iamer     maiiiger  vrouwen  hant.^^) 
1104,  2  do  wären  in  diu  kleit  {:reit). 

rehte  volleclichen    üf  den  soimien  komen. 
D  do  waren  im  bereit 

die  chleider  vollichUchen    und  uf  die  säume  chomen. 
1477,  2  des  setze  ich  iu  zc  bürgen    mm  triuwe  hie  zehant  {:  lant). 
D  euch  entreuwen  min  houbet  hie  zu  phant'^). 

108,  4  dar  umbe  sol  min  ere     und  ouch  min  houbet  wesen  pfant 

(;  lant). 
I      des  wil  ich  nit  erwinden     unz  es  mir  werde  bicant. 
203,  4  si  körnen  degenliche     mit  samt  Sivride  dar  {:sca7^). 

I  daz  man  ir  muoste  nemen  war. 

253,  4  do  was  ir  übermüeten    vil  harte  ringe  gelegen  {: pflegen). 

I      für  war  si  do  iahen,     er  tvcer  eiyi  tiurlicher  degen. 
337,  4  sus  gewan  er  Prünhilde:    da  von  im  leide  gescach  {:sach). 

I      da  von  der  kunc  Günther    zem  kuenen  Sifride  sprach. 
392,  4  doch  wart  michel  schouwen     an  die  küenen  getan  (:gän). 

I      doch  tvrden  sunderUch.    die  vier  vil  gesehen  an. 
447,  1  So  si  nu  mit  kreften     koment  in  daz  lant, 
der  küneginne  wille     ist  uns  unbekant. 


0  So  haben  ADIbd,  C  *  weicht  ganz  ab.  Bartsch  nimmt  die  lesart 
von  B  atif,  wie  er  überhaupt  dieser  einzelnen  hs.  öfters  einen  ganz  un- 
berechtigten Vorzug  gibt. 

^)  des  half  int  manic  vrouwe.    si  weinden  allesamt. 

^)  Allerdings  weicht  C*  ab,  und  Bartach  construiert  einen  unge- 
nauen reim.  Aber  D  kann  den  übrigen  hss.  der  gruppe  (auch  b)  gegen- 
über keine  selbständige  Stellung  beanspruchen. 


400  PAUL 

1      lio  si  so  crcfücllchoi.     comcn  in  duz  laut. 
Dancnutrl  nJi  Ikujoi.     sprachen  do  zehanl. 
597,  2  si   sähen    vor    in  Uuhtcn      vil   maniges   Schildes   schln 

{:  mägedin). 
I     der  Schild  lieht  hlicke.       den  wegen  gaben  pin. 
887,  2  sin  ras  Iruoc  in  ebene:    si  Uten  mit  im  dan  {:tan). 

1      die  imger  Uten  lialde.     mit  dem  cuenen  man. 
934,  4   tvol  mich    deich  siner   herschaft       hän    ze   rate   getan 

{:  bestän). 
I  eiti  ende  nu  gelebt  han. 

1726,  4  deheiner  hovereise  bin  ich  seiden  hinder  in  bestän  {jman). 
K  bin  ich  in  selten  ab  gegän 

I  hant  si  mich  selten  erlän 

1878,  2  der  mlnen  bruoder  Hagenen     künde  wizzen  län  {:hän) 

I  het  cunt  getan. 

20 IG,  4  er  warte  ob  iemcn  wolde     noch  zuo   zin  mit  sirlte  gän 

(.•spileman). 
I     ob  si  mit  strit  noch  iemen     darinne  wolt  bistan. 
2194,  4  über  berte  und  über  kinne:     in  7vas  vil  leide  getan  {:  gän). 
I  über  wange.  man  sach  si  iamerlichen  slan. 

190G,  2  Ja  frumte  er  der  Hiunen     vil  manigen  helt  tot  {:  Gernot). 

a     der  frümt  auch  den  helden     iamer  und  not. 
2215,  4  ob  ez    ein  helt  niht  wccre,      des-  enkunde   nitnmer  gesln 

iß^olfivhi). 
a  des  liez  er  da  tvol  werden  schein. 

151,  4  imz   er   erva^it  an  friwnden       wer   im    da   wolde  gestän 

(;  getan). 
b  wier  sy  liesze  reyten  dan. 

1725,  4  het  et  ir  guote  sinne,      ir  seit  ez  bilTiche  län  {:  getan). 
b  7vitze  ia  soll  ir  es  verborn  han. 

1628,  2  ja  gmbe  ich  iu  die  spise  ze  vierzehen  tagen  {:  versagen). 
d  ich  han  euch  die  speyse  in  lieb  für  getragen. 
Dazu  komraeu  ferner :  403,  4  jnagedhi  {:  sin)  =  kunighi  A. 
1051,  4  daz  {:  haz)  =  baz  A.  1907,  2  erklanc  {:  spranc)  = 
ra7ich  (für  dra)ic)  A.  299,  4  erkorn  BDId  (;  verlorn)  =  geborn 
AC  (mit  unrecht  von  Bartsch  in  den  text  gesetzt).  1488,  4 
genant  {:  laut)  =  erkant  A ,  bechant  Db.  2062,  4  stän  {:  man) 
=  gan  Aid.  802,  4  stän  (:län)  =  gan  ADb.  569,  4  Sifrides 
heil  {:teil)  =  Sifrit  vil  geil   ß.     2188,  2  getar   (idar)  =  gevar 


ZUR  NIBELÜNGENFRAGE.  40  1 

BIb.  335,  4  rieh  (;  Alhrlch)  =  loheVtch  D.  392,  8  guot  (;  lluot) 
=  ivolgemuot  D.  454,  2  genieit  {:  breit)  ^=  unvertzeit  D.  1099, 
4  Z^o/e  w«?//e  sin  (:mhi)  =  ;yß//e  aw  den  rein  D.  1680,  2  gejiflac 
(;  /ac)  =  gesach  D  (braucht  nicht  als  unrein  aufgefasst  zu 
werden).  1729,  2  des  schaden  schedelich  (:rich)  =  des  ir  zihel 
mich  D.  2087,  4  wol  geborn  (;  geswoni)  =  uz  erchorn  D.  1801, 
4  5«^e«  {:  tagen)  =  chlagen  Db.  2297,  4  w«cÄ  müede  lobeÜche 
sich  {:  Dietrich)  =  nach  grozer  muede  lohelich.  966,  4  crschal 
(:sal)  =  erhal  DL  1876,  4  gän  {:man)  =  stan  Dlb.  1440,  4 
genant  Aßd  (:/«/^^)  =  getvant  DIbl  (C*  abweichend).  394,  S 
stän  (\hän)  =  ^aw  I.  410,  2  ^e^aw  (jman)  =  6?a?i  I.  628,  8 
e^itweich  {:  bleich)  =  gisweich  I,  geschwaig  d.  695,  2  mcÄ  ^e- 
»iön/  (;  /a?i^)  =  w/cÄ  tu  gesant  1.  880,  4  künde  im  wenic  engän 
{:  entran)  =  lutzil  cund  vor  im  gestan  I.  932,  4  gemeit  {:ge- 
Icleit)  =  unverzagt  IQ.  1252,  2  Gotelinde  sint  {:  kijit)  =  frawen 
GÖtUnt  I.  1428,  4  enpfän  [laii)  ==  gefueren  dan  I.  1612,  4 
ww^  gemeit  {:verdeit)  =  unverzagt  I.  1698,  4  niemannes  nit 
(^:ivit)  =  kein  rvider  strit  I.  1710,  2  gän  {:spileman)  =  ^/a«  I. 
1777,  2  hebnvaz  (:baz)  =  hehn  naz  I  (darauf  verrucket  mit  den 
swerten  =  m/^  dem  roten  bluot).  1779,  4  ivol  behuot  (:  tuot)  = 
wolgenniot  I.  1915,  4  t^ow  Burgonden  laut  (:ha?it)  =  (/er  c//^« 
tvigant  I.  2031,  2  /e^e«  {:  degen)  =  wegen  l.  2032,  2  diu  michel 
arbeit  (;  /^^Y)  =  michel  un  breit  I.  2124,  2  ;i;ö?rg  Ä/e  ^e/«/A  (;  ergaii) 
==  wwÄ/  /«/tJ  gestan  I.  2236,  2  wt/^  gcgän  {:  man)  =  da  gie  an  I. 
825,  4  a&e  ^aw  {rman)  =^  ab  gestan  I,  abe  stann  a.  659,  4  ergcm 
{igewati)  =  getan  lab.  2097,  4  geworben  hän  (:man)  ==  Äa&<;  ^e/aw 
a.  2 1 26,  4  m/r  gewan  (;  m«?j)  =  genomen  hau  a.  249,  2  äm«/c 
»«er  {:  Liudegir)  =  chun'  her  (vielleicht  küneges  her)  b.  817,  4 
bekant  {:  laut)  =  genant  b,     2129,  2  dan  {:man)  =  ^««  b. 

Unreiner  reim  ist  entstanden:  1096,  2  Jelie  (;  i-eÄe)  =  ?volde 
iehen  A,  muezze  iehen  I.  769,  4  zornec  gemuot  (;  ?<<o/)  =  zornic 
genuoch  Ab.  1511,  4  a/^  ez  ir  müede  gezam  {:  benam)  =  als 
ez  mueden  began  B  (in  den  Untersuchungen  s.  11  hält  Bartsch 
die  lesart  von  B  für  das  ursprüngliche,  scheint  aber  später  die 
Unvereinbarkeit  dieser  annähme  mit  dem  verwantschaftsverhält- 
nisse  der  hss.  eingesehen  zu  haben;  denn  in  der  ausgäbe  ist 
er  B  nicht  gefolgt).  1000,  2  die  hiez  man  doch  zern  opfer  mit 
dem  golde  gän  (:hän)  =  die  muosten  doch  mit  opfer.  daz  golt 
hintzu    tragen   {:  haben)  D   (in   C*   fehlt   die   strophe).     26f),  4 


4ü2  PAUL 

ivas  getan  (:man)  =  ?vol  gezam  I.  394,  12  grimme  gemuot 
{:  getnoi)  =  grinwiic  genuoc  I.  845,  4  des  ist  mir  sorgen  vil 
bereit  {:  breit)  =  das  ist  mein  sorge  aller  maist  a.  1053,2  man 
in  vor  ir  sacli  {er  sin  ir  huse  sack  C :  verjach)  =  er  inn  ir  haus 
gacht  a.  1G37,  1  weinen  (tveinens  ADV)  si  gezam  {:vernam)  = 
weinen  si  began  ab  (auch  hier  ist  Bartsch  in  den  Untersuchungen 
für  a,  nicht  mehr  in  der  ausgal)e).  1698,  4  nit  {:w%t)  =  leip 
b.  1546,  4  herte  gemuot  =  harte  gnuog  g.  94,  4  zornec  ge- 
muot =  zornic  genuog  d. 

Rührender  reim  ist  entstanden:  500,  4  bereit  {imeii)  = 
gemeit ,  aber  übergeschrieben  bereit  A.  616,  2  die  maget  lobe- 
llch  (;  7'tch)  =  die  chuniginne  rieh  D.  2056,  2  helmhant  (;  want) 
=  sargewant  I.  2257,  2  lohellch  {:  Dietrich)  ==  lohesrich  I. 
1863,  2  gespart  {:  Dancwart)  =  bewart)  a.  383,  6  üf  den  sant 
ilant)  =  auf  daz  lant  b  {an  der  hant  C*  I).  840,  4  des  ist 
mir  sorgen  vil  bereit  {:  breit)  =  des  ist  mein  sorge  prait  b. 
199,  4  manec  ivwtllchez  wip  {:lip)  =  maniger  edlen  frawen 
leih  d. 

c)    Beide  reimworte  sind  verändert: 
292,  1.  2    er  neig  ir  fltzecliche:     bi  der  hende  si  in  vie. 
wie  rehte  minnecliche     er  bi  der  frouwen  gie! 
A        er  neig  ir  7ninnechlichen    genade  er  ir  bot 

si  twanch  gen  ein  ander     der  seneden  minne  not. 
593,  3.  4   sivle  wol  man  da  gebarte,     trürec  was  genuoc 

der  herre  des  landes,     swie  er  des  tages  kröne  tnioc, 
A        swie  wol  man  da  gebarte     trürich  was  sin  muot 

der  herre  des  landes     ir  froude  duht  in  niht  ze  gtiot. 
736,  3.  4    daz  ir  beider  gi'üezen     so  schöne  wart  getan. 

dö  sach  man  vil  der  recken     bi  den  juncfrouwen  stän 
A  so  minneclich  ergie 

do  sach  man  vil  der  recken     der   dienen    vrouwen  da 

niht  Ue. 
800,  3.  4    du  habes  dich  des  gerüemet,    daz  du  ir  schcenen  lip 
alrest  habes  getninnet,    daz  seit  frou  Kriemhilt  din  wip. 
A         du  hast  dich  geruemet     du  werst  ir  erster  7nan 
so  seit  din  ivip  kriemhilt    hastu  degen  daz  getan. 
989,  3.  4  7nan  wip  unde  ki7it. 

die  sin  doch  lihte  enbären,     die  weinden  Sifriden  sint. 


ZUR  NIBELUKGENFRAGE.  403 

A  7nan  un  ?vip 

die  sint  (1.  sin)  doch  Uhte  enharn  die  weinende  (1.  wein- 

den)   Sifrides  lip. 
Ebenso  sind  943,  3.  4  die   reiniworte   kint :  sint  von  A  in 
ivip  :  lip  verändert,   von  D  in  7vip  :  sit,    so  dass   also   unreiner 
reim  entstanden  ist. 
1414,  3.  4.    die  da  varen  solden     von  Burgonden  dan. 

der  künec  mit  guotem  willen     der  vil  manegen  gewan. 
A  von  Burgonden  lant 

der  kunec  7nit  guoten  willen     do  vil  manigen  guoten 

ritter  vant. 
1475,  3.  4     wät  :  ergäi  =  gemant  :  ergdnt  A. 

13,  1.  2     in  disen  höhen  eren     troumte  Kriemhilde, 

wie  si  Züge  einen  valken,     starc  scoen  und  wilde. 
AI  ez  troumde  Chrie?nhilde     in  lugenden  der  si  p/lac 

wie  si  einen  valchen  wilden  zuge  manigen  tac. 
401,  3     ja  gebot  mir  her  ze  varne     der  recke  wol  geldn: 

möht  ich   es  im  geweigert  hän,     ich  het  ez  gerne 

verlä)i. 
A  durch  dich  mit  itn  ich  her  gevarn  han 

wer  er  niht  min  herre    ich  hetez  nimfner  getanA) 
I  er  gihol  inir  her  ze  varn.     der  recke  wol  geborn. 

moht  ich  ims  versaget  han.    ich  hetez  gerne  verboren. 
2299,  3      dö  was  mit  slnan  leide     ir  sorgen  vil  erwant. 

si  sprach  'ivillekomen  Günther    üzer  Burgonden  lantJ 
A  si  sprach  willechomen  Günther     ein  hell  uz  Burgonde 

lant. 
nu   lone   iu  got  Chriemhilt     ob  mich  iwer  triwe  des 

ermant. 
K  si  sprach  willekom  Günther     von  burgunden  lani. 

ich  han  iuch  hie  zen  Minen     vil  gerne  becha?it. 
I  si  sprach  frolichen  .  wille  comen  Gimther 

ein  kunc  vo7i    burgunde7i    .   ich  gesach   dich  7iie  so 
ger7i  7ner.-) 

')    J^  gebot  mir  her  ze  varne    der  recke  wol  getan: 
wcere  er  niht  min  herre,    ich  hetez  nimmer  getan. 

~)  Auch  C  *  weicht  ab  und  Bartsch  coustruicrt  den  reim  erwant 
:  halt.  Die  abweichungen  von  I  und  K  Hessen  sich  vielleicht  nach  der 
Stellung,  welche  diese  hss.  wahrscheinlich  einnehmen,  durch  selbständige 


A{)\  PAUL 

1597,  3.  4     .v(V  ;  oder  mer  =  schar  :  ce  helfe  dar  ADbg. 
1(578,  3  ich  wcerc  rvol  so  rtche,     hei  ich  mich  haz  verdäht, 

daz  ich  iu  mhie  gäbe     her  ze  lande  heie  hrdhl. 
ADb       ich  wesse  iuch   wol  so  riche     oh  ich  mich    [haz  A] 

kan  verstau 
daz  ich  in  mincr  yabe    her  ze  lande  niht  gefiiert  hau. 
246,  1.  2     rant  :  in  Guntheres  lant  =  schilt  :  durch  den  fursten 

milt  Db. 
1146,  1  'war  umheT   sprach    db    Günther      'ich  hehiXete  vil 

rvol  daz, 
(ich  kan  vil  wol  hewaren  daz  Ab) 
daz  ich  im  konie  so  nähen     daz  ich  deheinen  haz  etc. 
D  ich  kan  daz  wol  hewarn 

daz  ich  im  so  nahen     immer  sol  gevarn. 
259,  3.  4     hekant  :  lant  =  cunt  :  lant  gesunt  I. 
319,  1.  2     der  hell  guot  :  muot  =^  der  kuene  man  :  ivän  I. 
391,  1  man  pfliget  in  dirre  bürge,     daz  wil  ich  in  sagen, 

daz  neheine  geste    hie  wäfen  sulen  tragen. 
I  daz  si  tu  geseit. 

daz  der  geste  keiner,     alhie  sin  wapeti  treit. 
531,  7  diu  smalen  fiXrbüege    such  man  die  moere  tragen 

von  den  besten  siden     da  von  iu  ietnen  künde  sagen. 
I  glizzen  diu  furbuege.     diu  zunel  gaben  schal, 

mit  suezem  gedcene  .  daz  vil  herlichen  hat. 
533,  3         daz  ir  genuoger  scoene    ze  rehte  wol  gezam. 

er  7vcere  in  swachem  muote      der  ir   deheiner  woere 

gram. 
I  daz  in  so   (1.  daz  so)   richer  coste   .   ir  rnanger  nie 

gesah. 
er  waz  in  swache  muote  .  der  in  nit  holdes  herze  iah.^) 
780,  1.  2     gesagen  :  gesiehe  ie  mere  tragen  =  veriehen  :  ianer 

het  gesellen  1. 


beseitigung  eines  ungenauen  reimes  erklären,  aber  dagegen  spricht  die 
Übereinstimmung  der  ersten  zeile  in  K  mit  der  zweiten  in  BDb.  In  I 
und  C  *  könnte  der  grund  zur  änderung  die  beseitigung  des  vierfachen 
reimes  sein. 

')    daz  So  i'icher  koste  ir  maneger  nie  gesach, 

er  ivcere  in  swachem  muote,  der  ir  deheiner  trüege  haz. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  405 

306,  1  mit  rede  7vas  gescheiden     manic  schoene  wlp. 

dö  trürete  also  sere     der  Prünhilde  Üp. 
I  manc  frmve  im  man. 

so  grozllch  iruren  .  hrunhiU  hujan. 
806,  3.  4    die  Guntheres  man  :  gegän  =   al   des  kunges  schar 

:  aldar  I. 
1 1 27,  3  mele  den  vil  guoten     unt  den  hesten  win, 

den  man  künde  vinden     in  dem  lande  al  iimben  Bln. 
I  als  man  werden  fursten  .  nach  eren  dienen  sol. 

daz  man  si  gern  sa^h  .   daz  wart  in  erzeiget  wol.^) 
1423,  3  wir  wellen  komen  gerne     zuo  siner  höchgezit 

und  sehen  unser  stvester :     daz  ir  des  äne  zfvivel  stt. 
I  zer  hohzite  sin. 

un  gesehen  unser  swester  .  ich  un  och  die  hrueder  min. 
1735,  1  er  unt  der  von  Späne     die  träten  manigen  stic, 

do  si  hie  hl  Etzeln     vähten  manigen  wie. 
I  sluogen  wunden  wit. 

do  si  hi  Etzil  vahten  .  mangen  herten  strit. 

Aiicli  b    ändert   stlc   in  streit,    bd    manigen   wie   iu   mange 
(jnanig  d)  weit. 

2017,  1  der  künec  klagte  sere,     sam  tet  ouch  sm  wip: 

megede  unde  vrouwen     die  quellen  da  den  llp. 
I  sa7n  tet  diu  kunigin. 

do  kolten  sich  och  bcede  .  wip  un  magetin. 
2067,  3         si  gab  ez  swer  stn  ruochte     und  ez  wolde  enpfän. 
Jane  wart   nie   grcezer  solden     mer   üf  vhide  getan 

{(gegeben  d). 
I  si  gab  ez  swer  ez  wolt  .  enpfahen  uf  sin  leben. 

ez  wart  nie  grozzer  soll  .  bediu  giboten  un  gegeben. 
2231,  3  so  rehte  krefteclichen       er  zuo  dem  künege  dranc 

daz   imez  pluot  under  füezen     al  über  daz  houbet 

spranc. 
1  er  sprang    o  crefticlich  .  zuo  dem  kunge  san. 

daz  bluot  uf  von  sin  fuezzen  .  ubers  hapt  staub  aldan. 
2258,  1  sU  daz  es  min  unscclde     niht  langer  wolde  entwesen. 

so  sagt  mir,  ist  der  geste     noch  lernen  genesen'^ 


')  So  nach  Lachmann,  bei  Bartsch  tiudc  ich  diese  Variante  nicht. 

ßeitrSge  zur  geschiclite  der  deutschen  spräche.    111.  27 


406  PAUL 

i  (lez  nii  wolt  enhern. 

so  sayl  mir  ist  iler  f/eslc  .  dcheiner  noch  genesenS) 
DSU,  3         ^ifril  den  hemm,     ir  vil  lieben  man. 

swaz  er  da  vriande  hcle,     die  such  man  weinende  gän. 
T  Segevrile  den  doeden     den  here  van  Nederland 

ay  wal  men  al  vrouwen     doe  daer  droeve  vand. 
1923,  1.  2     kan  :  hän  =  mag  :  han  den  lag  a. 
1091,  1  er  sprach   'so  wirb  ez,  Rüedeger,     als  liep  als  ich 

dir  St. 
und  sol  ich  Kriemhilde     immer  geligen  hl  etc. 
b  ain  edel  rittcr  guot 

sol  ich  von  Crimhilden  werden  wolgemuot. 
1213,  1  oh  si  in  hrwhle  hinnen,     ich  wil  gelouhen  daz, 

er  wurde  doch  zerteilet    üf  den  minen  haz. 
sin  hahent  ouch  nihi  der  rosse     die  in  solden  tragen 
in  wil  hehalten  Ilagene,      daz  sol  man   Kriemhilde 

sagen. 
b  kelivt  z.  2.  3  um  und  schreibt  1 ''  ich  gelaub  es  nicht  an 
wagen,  4''  kriemhild  die  sol  wissen  das.  —  1325,  3.  4  gebot  :  unz 
an  den  Kriemhilde  tot  =  ivard  :  frawen  kriemhild  alle  vart  b. 
1449,  1  da  sprach  zno  ir  kinden     diu  edele  Uote 

'ir  soldel  hie  bellben     helde  gaote. 
b  do  sprach  diu  frouwe  uote     zuo  Iren  kinden 

ir  soltent  helde  guote     noch  erwinden. 
Kübreudei"  reim  ist  eutstandcu  11  GS,  1.  2  nnp  :  der  Kriem- 
hilde Itp  =  mcit  :  die  vrouive  vil  gemeil  A. 

Umkehr  der  reinnvörtcr  mit  starlier  Veränderung  hat  statt- 
gefumlen  in  A  324,  3.  4.  804,  1.  2,  Hierher  v.iehen  können 
wir  auch  440,  1.  2,  wo  rieh  :  lobellch  in  1  vertauscht  ist  mit 
tug entlieh  :  rieh. 

Dasselbe  verliältuis  wie  im  liede  findet  nun  auch  in  der 
Klage  statt,  nur  dass  die  abweichungen  niclit  so  zahlreich 
sind.  A  und  1,  welche  im  liede  die  meisten  beispiele  lieferten, 
geben  hier  nur  wenige,  die  crstere,  weil  sie  idjerhaupt  Aveniger 


')  K  stiiunite  nach  den  erhaltenen  triimmern  mit  I.  In  C*  fehlt  die 
Strophe.  Daher  ist  ea  müglich,  dass  I  da.s  ursprüngliche  hat  und  die 
beseitigung  der  form  genern  der  grund  zur  ändernng  ist.  Elieuso  denk- 
bar ist  aber  das  umgekehrte  Verhältnis. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  407 

stark  von  der  gemeinen  lesart  abweicht  als  dort,   die  letztere, 
weil  sie  nur  den  kleinsten  teil  des  gediclites  enthält. 

a)  Das  erste  reimwort  ist  geändert.  Hier  sind  ausser  dem 
sinnlosen  leiden  für  beiden  (:  heiden)  in  D  973  i)  und  dem  eben- 
falls sinnlosen  valien  für  jähen  {:  sähen)  in  b  3057  nur  einige 
fälle  zu  verzeichnen,  in  denen  unreiner  reim  entstanden  ist. 
1680,  1  ser  {:  her)  =^  s wäre  {:here)  a.  2503  fif  dem  nml  {:  sal) 
=  her  und  dar  a. 

b)  Das  zweite  reimwort  ist  geändert:  4556.  7  daz  in  daz 
leit  mit  gewalt  (;  manicvall)  He  selten  sit  gesprechen  ivort  =  daz 
in  daz  leit  nid  er  sali  {schalt  Lachm.)  und  lie  etc.  A.  178 
wandez  ir  rechen  gezam  (;  nain)  =  den  geschach  sint  alsani  Db.^) 
368  uni  der  küene  {und  ouch  meister  Ca)  Hildehrant  {:  lant)  = 
als  uns  mit  meren  ist  hechajit  Dh?)  894  wären  (:  baren)  =  gc- 
naren  D.  2000  verdorheji  (;  etyvorben)  =  erstorben  D.  266 
mid  ez  vil  gerne  tcete  {ihmte)  =  mit  grozzen  triwen  stcet  I^ 
4072  unt  schieden  ?vtslichen  {:  riehen)  =  harte  friuntlichen  (dann 
Ittcke)  I.  3232  triwe  bernden  sin  {:  i7i)  =  trerv  und  gruos  sein 
b.  Unreiner  reim  656  (fehlt  B  *)  der  räche,  die  si  umbe  in  nam 
{umb  iren  man  seit  nain  b  (;  zain)  =  die  si  nam  um  im  man  D. 
2878  dem  tage  {:  klage)  =  den  tagen  Y>.  2080  dm  milte  {mit  G) 
und  dlne  hende  {:  eilende)  =  du  mit  deine  (Bartsch,  nach  Edzardi 
deine)  helde  (1.  du  unt  dlne  helde)  a.  238  ir  alten  sunde  {:  künde) 
=  zu  allen  stunden  d.  2000  verdorben  {:  erworbeti)  =  verborgen 
d.  Rührender  reim:  3560  nihf  enlie  {: gie)  =  umbe  gie  A,  vgl. 
oben  s.  386.  3050  klage  {:sage)  =  sage  D.  4014  diu  da  quelle 
den  llp  {:wlp)  =  ez  7varen  man  vn  wip  I.  4348  liben  {:wiben) 
=  weiben  a.  2576  dem  helde  den  fnuot  {:  guot)  ■=  den  hell  guot 
d,  w^as  Edzardi  für  das  ursprüngliche  hält. 

c)  Beide  reimworte  sind  geändert:  4306  vil  küme  von  der 
selben  not   genas  slt   diu  küneginne  :   si   lac  in   unsinne  =  diu 


')  Ich  eitlere  im  folgenden  nach  Edzardis  ausgäbe,  weil  es  am  be- 
quemsten ist. 

^)  wan  si  sit  räche  an  vi  nam. 

^)  Edzardi  nimmt  ursprüngliche  assonanz  lant :  halt  an,  B*  und  die 
vorläge  von  Ca  seien  zufällig  auf  eine  ganz  ähnliche  correctur  verfallen. 
Aber  dass  zwischen  C  *  einerseits  und  C  und  a  anderscifs  eine  diesen 
beiden  gemeinsame  quelle  liegt,  von  welcher  Db  unabhängig  sind,  ist  erst 
noch  zu  erweisen. 

27* 


408  PAüL 

kungin  von  der  seihen  not  .  vil  hart  cum  ginas  .  in  unsinne  si 
lang  was  I.  ;J2 17  ivider  heim  in  jdres  zil  .  der  künec  in  allez 
an  lU  =  n\  h.  in  jures  frist  .  der  li.  in  allcz  bitend  ist  a. 
3407  den  marcgrdven  Ruedegerc  lehendic  nimmer  mcre  =  rildi- 
gern  lehentigen  nyni  mer  .  edele  marckgrefin  her  a. 

lu  diesem  verzeichuiese  siud  alle  die  stellen  iibergaugeu, 
an  welchen  selbständige  correctur  eines  nrsprüng-liclicn  nnge- 
nauen  reimes  nach  dem  handschiiftenvcrlulltnisse  denkbar 
oder  von  Bartsch  angenommen  ist,  auch  die,  an  welchen  ein 
rührender  reim  beseitigt  ist  oder  beseitigt  sein  könnte;  ebenso 
alle  diejenigen,  an  welchen  ofienbar  sinnlose  eutst eilung  vor- 
liegt. Die  anzahl  ist  sehr  beträchtlich.  Im  liede  ist  das  erste 
reimwort  in  46  fällen  '),  worunter  7,  in  denen  ungenauer,  einer, 
in  dem  rührender  reim  entstanden  ist,  das  zweite  in  105, 
worunter  12  mit  ungenauem  und  8  mit  rührendem  reim,  beide 
in  39,  worunter  i  mit  rührendem  reim;  die  gesammtsumme  be- 
trägt 190.  In  der  Klage  ist  das  erste  reimwort  geändert  in 
zwei  fällen  mit  ungenauem  reime,  das  zweite  in  18,  darunter 
5  mit  ungenauem,  5  mit  rührendem  reime,  beide  in  3  filllen; 
die  gesammtsumme  beträgt  23.  Diese  zahlen  sind  nicht  abso- 
lut zuverlässig,  da  mehrfach  anders  gezählt  werden  könnte  und 
mehrere  von  den  hier  ausgeschlossenen  stellen  hinzuzurechnen 
sein  werden;  aber  sie  geben  doch  ein  ungefähres  bild  von  den 
Verhältnissen.  Es  ergeben  sich  zwar  aus  allen  hss.  zusammen- 
genommen noch  nicht  so  viel  reimabweichungen  als  zwischen 
ß*  und  C*,  aber  wenn  mau  in  betracht  zieht,  dass  auch 
innerhalb  des  verses  die  abweichungen  der  einzelneu  hss. 
untereinander  bei  weitem  nicht  so  gross  sind  als  zwischen  den 
beiden  hauptrecensiouen,  so  wird  man  finden,  dass  wol  auch 
die  reimabweichungen  in  einem  einigermassen  entsprechenden 
Verhältnisse  stehen.  Aus  demselben  gesichtspunkte  würde  es 
sich  auch  begreifen,  tlass  die  Veränderungen  beider  reiniwörter, 
welche  eine  stärkere  abweichuug  bedingen,  hier  einen  kleinem 
bruchteil  bilden,  als  bei  der  vergleichung  von  B*  und  C*. 

Alle  aufgezählten  abweichungen  sind  anerkanntermassen 
nicht   durch  beseitigung   ungenauer   oder   rührender  reime  ver- 


*)  Wo  mehrere  hss.  ändern,  ist  dann  doppelt  geziililt,  wenn  die  iin- 
derung-en  nnter  einander  ganz  abweichend  siud. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  409 

aiiliisst,  oiii  kleiner  teil  vielleielit  durcli  weg^cbafl'uiii!,'  vou 
formen,  die  dem  dialecte  des  sclireibers  unangemessen  waren, 
die  meisten  nicht  durch  formale,  sondern  sachliche  gründe,  die 
sich  zum  teil  mit  grösserer  oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit 
vermuten  lassen.  Warum  könnte  nicht  dasselbe  auch  für  das 
Verhältnis  von  B*  und  C*  gelten?  Warum  ist  es  da  nötig,  zur 
crklärung  einer  jeden  ab  weich  ung  auf  einen  ungenauen  reim 
zu  recurrieren?  Sind  nicht  dieselben  momente,  die  später  in 
der  gcscbichte  der  Überlieferung  wirksam  waren,  dies  auch  im 
anfang  l)ei  der  ersten  Scheidung  der  beiden  gruppen  gewesen? 
Man  braucht  nur  die  gegebenen  Zusammenstellungen  anzusehen, 
und  man  hat  den  unwiderleglichen  beweis,  dass  in  den  reim- 
abweicliungeu  an  sich  nicht  die  geringste  nötigung  zu  Bartschs 
hypothese  liegt,  ja  mehr,  es  ist  ein  hoher  grad  von  wahrschein- 
licbkeit  vorhanden,  dass  dieselben,  wo  nicht  alle,  doch  min- 
destens zu  einem  grossen  teile  wie  in  den  aufgeführten  fällen 
nicht  aus  formalen  gründen  zu  erklären  sind. 

Anderseits  aber  darf  nicht  die  möglichkeit  geleugnet  wer- 
den, dass  formale  gründe,  wenn  auch  nicht  ausschliesslich,  doch 
neben  den  sachlichen  gewirkt  haben.  Dafür,  dass  die  entfer- 
nung  unreiner  reime  zu  ähnlichen  Verschiedenheiten  führen 
muss,  wie  sie  B*  und  C*  aufvveisen,  kann  sich  Bartsch  mit 
recht  auf  die  bearbeitungen  des  Rolandsliedes  und  der  Kaiser- 
chronik berufen.  Es  fragt  sich  nun:  gibt  es  irgend  welche 
mittel  zu  entscheiden,  ob  überhaupt  und  wie  weit  das  motiv 
für  die  abweichungen  beider  recensionen  in  der  reiracorrectur 
zu  suchen  ist? 

Beiden  recensionen  gemeinsam  ist  im  Hede  eine  reini- 
ungenauigkeit,  die  sich  bei  den  meisten  dichtem  des  13.  Jahr- 
hunderts findet,  die  überaus  häufige  bindung  an  :  an,  ferner  die 
gleichfalls  auch  sonst  ziemlich  üblichen  sun  :  tiion  und  zweimal 
fruo  :  dö  1757,  3.  1768,  3.  Zweifelhaft,  ob  unreiner  reim  oder 
schwanken  der  quantität  anzunehmen  ist,  bleibt  es,  wenn  Die- 
trich  und  die  adjectiva  auf  -lieh  bald  mit  ich,  bald  mit  ich  und 
künigm  und  das  adv.  hi  bald  mit  In,  bald  mit  in  gebunden 
werden,  und  wenn  2043,  l  Ghelher  auf  wer  reimt.  Dazu 
kommt  als  eine  eigentümlichkeit  des  Nibelungenliedes  die  sehr 
häufige  bindung  Hagcue  :  dcijene.  Alle  diese  reime  haben  er- 
sichtlich den  beiden  vorausgesetzten  bearbeitern  keinen  anstoss 


410  PAUL 

eiTei;;t,  «ic  koiimicn  liier  für  uns  als  unreine  nicht  in  bet rächt, 
sondern  g'clten  g-leich  reinen.  Von  weiteren  ungenauigkeitcn 
zeiii't  sicli  da,  wo  beide  rccensioncn  iibercinstininien,  keine  si)ur. 
Dagegen  weist  jede  für  sich  deren  eine  kleine  anzahl  auf. 

In  B*  finden  sich  zunächst  ein  paar,  auf"  die  man  aucii 
bei  sonst  fast  ganz  rein  reinienden  diclitern  stossen  könnte, 
bei  denen  es  deshalb  bedenklicli  sein  könnte,  dass  sie  dem 
redactor  von  C*  anstössig;  gewesen  sein  sollten,  die  auch  von 
Bartsch  gar  nicht  aufgeführt  sind,  nämlich  mc):  her  400,  wo- 
für C  bekaul  :  laiil\  her  :  Rüedcycr  2 IIa,  3,  wofür  C  mau  :  dun; 
bräht  :  naiil  1598,  3,  wofür  C*  Rln  :  sin  und  )iah/  :  heddhi  1390, 
1,  wo  C'-'  die  reime  der  ganzen  Strophe  ändert  mit  umordnung 
der  gedaiikcn,  sldit  :  hin,  lanl :  hckanl  für  nahl :  beddht,  gdn  :  hdn\ 
Q\\({\'ni\\  sin  :  in  {Q,vim)  =  luon:  sun  C*.  Dazu  kommen  nun  auf- 
fallendere: snn:früm  (tidj.)  1851,  3  =  sun  :  tuon  C'^",  fruni 
(subst.  acc):  sun  123,  3  =  luon:sun\  Gcrnöt : luol  2033,  1  = 
der  hdchgemuol :  tuot-^  Hagene:  gademe  2280,  1  =  Hagene:  degene 
und  2248,  1  =  sagene :  Hagene]  menege:  Hagene  1916,  1  =  de- 
gene: Hagene.  Zu  diesen  sichern  fällen  kommt  einer,  bei  dem 
wenigstens  die  gröste  Wahrscheinlichkeit  dafür  spricht,  dass 
er  hierher  gehört,  1942,  1.  2.  Hier  schreibt  Bartsch  wol  mit 
vollem  rechte: 

'mich  riuwel  äne  nutze',      so  sprach  Hagene, 
'deich  vor  dem  degene  le  gesaz     in  disem  gademe. 

Den  ungenauen  reim  hat  hier  freilich  nur  I,  welche  in 
der  zweiten  zcile  liest  daz  ich  ie  gesaz  .  in  disem  gademe. 
Dagegen  haben  AB  daz  ich  ie  gesaz  in  dem  huse  vor  dem 
degene,  Db  daz  ich  mich  ye  geschied  von  disem  degene,  C  *  mit 
künstlicher,  dem  originale  fremder  Wortstellung  daz  ich  vor 
Volkere  ie  gesaz  dem  degene.  Dass  alle  drei  lesarten  in  dem 
reimwort  übereinstimmen,  lässt  sich  sehr  wol  als  zufall  an- 
sehen, da  degene  der  gewöhnliche  reim  auf  Hagene  ist,  um  so 
eher,  wenn  dies  wort  im  originale  im  Innern  des  verses  stand. 
Die  annähme,  dass  in  jeder  dieser  drei  gruppen  selbständig  der 
reim  Hagene : gademe  beseitigt  wäre,  würde  am  natürlichsten 
die  abweichungen  erklären.  Die  alleinige  erhaltung  des  Ori- 
ginaltextes der  gruppe  B*,  welcher  hier  gleich  dem  des  ge- 
meinsamen originales  von  B  *  und  C  *  sein  Avürde,  ist  in  I  nach 
der  Stellung,   welche  wir  dieser  hs.  werden  anweisen  müssen, 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  411 

vollkommen  denkbar,  um  .so  eher,  \vcim  AB  und  l)b  unter 
sieb  abweichen.  Dagegen  viel  gerinj^'cr  i^st  die  wahrschcinlirh- 
keit  an  einer  andern  stelle,  die  in  den  untersuelningen  noch 
nicht  aufgeführt  ist.     2270,  1.  2  schreibt  Bartsch: 

'Jane  shi  wir  nilit  so  schuldic',      sprach  do  Hagene. 

ez  gienrjen  iuwer  helde  zuo  disem  gademe 
nach  I.  ABDb  haben  ez  giengca  ze  disem  {zuo  dem  \)U)  Imse 
[die  AD]  iwcr  degenc ,  C''*  ez  /cd/neu  her  zem  Mise  die  iuwern 
dege)ie.  Auch  liier  erlaubt  meiner  Überzeugung  nach  die  weiter 
unten  zu  erörternde  Stellung  von  I  das  in  ihr  allein  überlie- 
ferte für  den  Originaltext  von  *B  zu  nehmen,  auch  hier  wäre 
die  ansieht,  dass  das  zusammenti-eflen  der  übrigen  hss.  der 
gruppe  mit  C*  ein  zufälliges  sei,  wol  annehmbar.  Aber 
immerhin  ist  die  Übereinstimmung  eine  sehr  grosse,  die  ab- 
weichung  zu  unbedeutend,  als  dass  nicht  an  und  für  sich  die 
entgegengesetzte  ansieht,  dass  I  geändert  habe,  mehr  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  hätte.  Es  scheint  nun  aber  die  for- 
derung  berechtigt,  dass  l)eide  stellen,  an  denen  es  sich  um  ein 
und  denselben  reim  handelt,  gleichmfissig  angesehen  werden 
müssen.  So  könnte  die  erste  stelle  bei  der  zweiten  als  stütze 
für  Bartschs  auffassung  dienen,  und  alles  in  allem  betrachtet 
möchte  ich  dieser  stütze  vertrauen.  Es  könnte  aber  doch  auch 
jemand  die  zweite  stelle  bei  der  ersten  gegen  Bartsch  geltend 
machen.  Noch  fraglicher  ist  eine  dritte  stelle.  1880,  1  schreil)t 
Bartsch:  vil  lüie  rief  do  Danctvarl  vor  dem  gademe  {: Hagene) 
nach  D  (b  fehlt  hier).  ABI  haben  zuo  dem  degcne ,  C*  eime 
degenc  icin  degen  a).  Bedenken  erregt  hier  das  band  seh  riften- 
verhältnis.  Man  müste  nicht  nur  annehmen,  dass  C*  einer- 
seits und  ABI  anderseits  unabhängig  von  einander  auf  das- 
selbe reimwort  gekommen  sind,  was  allerdings  nicht  so  ganz 
unwahrscheinlich  wäre  und  durch  die  kleine  abweichung  zuo 
dem  =  eime  noch  etwas  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnen  könnte, 
sondern  auch,  dass  AB  und  I  selbständig  auf  ganz  dieselbe 
änderung  verfallen  sind.  Weiter  fühi-t  Bartsch  an  1226,  1 
dan  :  gezam  =  nam  :  gezam  C  *.  Hier  aber  stimmen  Id  mit  C  *. 
Für  Bartsch  ist  dies  unbedenklich,  weil  er  annimmt,  dass  diese 
beiden  hss.  oder  vielmehr  ihr  original  nicht  nur  einzelne  stro- 
l)hen,  sondern  auch  eine  anzahl  lesarten  aus  C*  entlehnt  haben. 
Da  aber  diese  annähme,   wie   ich   später   zu   zeigen  gedenke, 


412  PAUL 

kauui  haltliiir  ist,  so  winde  wider  nichts  anderes  übrig  bleiben, 
als  zufälliges  zusanimcutrcHen  von  C*  und  Id  anzunebnicn, 
falls  man  die  ursprüngliclikeit  der  Icsart  \ou  AßDb  verteidigen 
will.  Zweifelnd  führt  ßartscb  au  2118,  1  (legen  :  gehen,  in  der 
ausgäbe  schreibt  er  wegen.  Nach  Lachmann  und  Bartseh 
Untersuchungen  steht  gehen  in  AI,  nach  Dartschs  vai-ianteuver- 
zeichnis  in  ABI,  was  einen  nicht  unwesentlichen  unterschied 
machen  würde.  Ist  die  letztere  angäbe  richtig,  so  würde  die 
ursprünglichkeit  von  gehen  mindestens  denselben  grad  von 
Wahrscheinlichkeit  haben  wie  die  von  wegen.  Dann  wären 
entweder  AB  und  I  oder  C*  und  Db  (d  fehlt)  zufällig  in  einer 
änderung  zusammengetroÖeu.  Allerdings  lag  gehen  neben  gähe 
so  nalie,  dass  es  leicht  durch  blosse  nachlässigkeit  entstehen 
konnte.  Ueber  1511,  4  vgl.  oben  s.  401.  Alle  diese  zweifel- 
haften fälle  dürfen  wir  hier  nicht  als  beweismittel  verwenden. 
Wir  können  sie  aber  auch  entbehren.  Wahrscheinlich  kommt 
noch  dazu  776,  1  Rhi  :  Arahi,  wo  alle  hss.  ausser  B  Arahin 
schreiben,  vgl.  Untersuchungen  s.  15. 

Umgekehrt  hat  C*  folgende  ungenaue  reime:  zunächst 
einen  leichteren,  von  Bartsch  nicht  aufgeführten  1826,  1  Volker 
:  ger  =  reit  :  leit  B*;  ferner  1636,  1  Hagene  :  hahene  =  Hagcne 
:  tragene\  1896  Hagene  : gademe  =  Hagene  :  clegene\  1960  Hagene 
:  zesamene  =^  degen  :  gepfleg en ;  717,1  degen  :  lehen  ==  gehen 
:  lehen.  1896  hat  a  sagen,  1960  getragen  im  reim  auf  Hagen, 
offenbar  correctur  einer  späten  zeit.     Ueber  1637,  2  vgl.  s.  402. 

Was  ergibt  sich  nun  aus  diesen  tatsacheu?  Wir  dürfen 
allerdings  nicht  ohne  weiteres  schliessen,  dass  in  jedem  falle 
der  ungenaue  reim  das  ursprüngliche  sein  müsse;  denn  wir 
haben  oben  sichere  beispiele  vom  gegenteil  gehabt.  Aber  fol- 
gende Überlegung,  meine  ich,  zwingt  uns  dies  hier  anzunehmen. 
Gehen  wir  von  der  ansieht  aus,  dass  eine  recension,  sei  es  B* 
oder  C*,  den  ursprünglichen  text  bietet,  die  andere  stets,  wo 
sie  abweiclit,  geändert  hat,  so  kommen  wir  auf  arge  unwahr- 
scheinlichkeiten.  Der  bearbeiter  hätte  dann  sowol  ungenaue 
reime  beseitigt  als  neue  eingeführt.  Dies  könnte  natürlich 
nicht  mit  bewuster  absieht  geschehen  sein,  sondern  wäre  nur 
unter  der  Voraussetzung  zu  begreifen,  dass  die  änderungen 
ohne  rücksicht  auf  genauigkeit  oder  ungenauigkeit  des  reimes 
aus    anderen    gründen    gemacht    seien.      Die  ungenauigkeiten 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  41 3 

wären  dann  s^owol  dem  dichter  des  Originals  als  dem  Bearbeiter 
geläufig  gewencn.  Das  wäre  an  und  für  sich  reclit  wol  donk- 
))ar.  Al)er  wie  kommt  es  dann,  dass  die  urigenauigkciten 
sieb  gerade  nur  da  finden,  wo  beide  rccensionen  von  einander 
abwciclien,  und  zwar  mit  einer  ausnähme  nur  da,  wo  sie  in 
einem  leimwoite  abweichen,  nicht  auch  da,  wo  sie  überein- 
stimmen oder  in  den  Strophen,  welche  nur  die  eine  enthält V 
Reimpaare,  in  denen  die  bearbeitungen  mit  einem  reimworte 
abweichen,  gibt  es  im  ganzen,  wie  sich  uns  später  ergeben 
wird,  206,  oder  wenn  wir  die  unsichern  beispiele  mitzählen,  wo- 
durch aber  gerade  die  zahl  der  ungenauen  reime  im  Verhältnis 
beträchtlich  erhölit  würde,  212;  dagegen  solche,  in  denen  beide 
reimworte  übereinstimmen  41 70,  solclie,  in  denen  beide  abweichen 
1(j8,  endlich  in  den  nur  in  B*  überlieferten  Strophen  76,  in  den 
nur  inC*Id  überlieferten  40,  in  den  nur  in  C*  überlieferten 
160.  In  diesem  Verhältnisse  müsten  die  ungenauen  reime  ver- 
teilt sein.  Dass  sie  nicht  ganz  genau  so  wären,  dürften  wir 
wol  auf  rechnung  des  zufalls  setzen,  dass  sie  sieh  aber  nur  bei 
abweicliung,  und  zwar  nur  einmal  bei  abweichung  beider  reim- 
wörter,  sonst  immer  nur  bei  der  eines  reimwortes  und  gerade 
da  in  ()eiden  reeensionen  finden,  dürfen  wir  nicht  als  zufall  an- 
sehen, wenn  wir  nicht  auf  alle  bestimmung  geschichtlicher 
Wahrscheinlichkeit  verzichten  wollen. 

Also,  wenn  wir  von  einer  recension  als  original  ausgehen, 
kommen  wir  nicht  durch.  Wir  müssen  anuelimen,  dass  in  bei- 
den geändert  ist.  Dann  kommen  zwei  mögliehkeiten  in  be- 
tracht.  Entweder  reimte  das  original  genau  und  die  ungenauen 
reime  sind  durch  die  bearbeiter  liineingeljracht,  oder  das  ori- 
ginal enthielt  ungenaue  reime  und  diese  sind  durch  die  be- 
arbeiter beseitigt.  Mit  der  dritten  mögliehkeit,  dass  von  den 
beail^eitcrn  ungenaue  reime  sowol  beseitigt  als  eingeführt  seien, 
würden  wir  um  nichts  gebessert  sein.  Die  erste  ist  noch  von 
niemand  verteidigt  worden,  wir  wollen  sie  aber  doch  nicht  un- 
eröi'tert  lassen.  Sie  setzt  voraus,  dass  die  ungenauen  rcinie 
beiden  bearbeiter n  geläufig  gewesen  sind.  Sie  hätten  dieselben 
natürlich  ]iiclit  um  reimnngenauigkeiten  zu  schaffen,  sondern 
unabsichtlich,  indem  sie  aus  irgend  einem  andern  gründe  ;;n- 
dertcn,  hineingetragen ^  gerade  so,  wie  wir  sie  in  verschiedene 
einzelne  hss.  eingeführt  gesehen  liaben.     Dass  in  den  überein 


1 1 1  PAUL 

stiimncndcii  reimen  keine  unii;enauigkeitcn  voik(minien,  wäre 
«liUKU'li  beiiTeiliicli.  Aber  immer  noch  bliebe  es  auflallcnd, 
(Inss  sie  auch  da,  wo  beide  leimworte  al)\vciciien,  beinahe 
i:anz  und  in  den  jeder  einzebien  i;rui)pe  eigentümlichen  Stro- 
phen vollstüiidii;'  fehlen,  wenn  aucli  die  annähme  von  zuf'all 
hier  bei  den  kleineren  massen  nicht  ganz  so  ungeheuerlich  ist. 
Dagegen  ergibt  sich  eine  vollkommen  befriedigende  lösung, 
wenn  wir  dem  originale  ungenaue  reime  zuschreiben  und  (\(i\i 
bearbeitern  die  tendenz,  sie  zu  )>eseitigen.  Dadurch  wird  nun 
zugleich  ein  grund  für  die  äuderuugen  gefunden,  welchen  keine 
der  andern  ansichten  zu  liefern  vermochte.  Ich  halte  es  aller- 
dings für  vei'fehlt,  iiei  jeder  <änderung  ängstlich  nach  einem 
gründe  zu  forschen.  Aber  es  ist  bemerkenswert,  dass  sich 
gerade  an  keiner  der  hierher  gehörigen  stellen  ein  sachlicher 
grund  zur  änderung  entdecken  lässt.  2248,  Ji.  4  verrät  sich 
ausserdem  die  änderung  in  C'-'-'  an  der  gekünstelten,  von  der 
gewöhnlichen  natürlichen  art  des  liedes  abweichenden  Wort- 
stellung, wie  umgekeln-t  717,  1  in  D*.  Ebenso  macht  2033,  1 
Gernoi  der  hochgemuol  statt  der  geläufigen  formel  der  starke 
Gernöt  deu  cindruck,  als  ol)  es  durch  reinmot  des  Überarbeiters 
veranlasst  sei. 

Die  für  das  lied  gewonnene  ansieht  können  wir  ohne 
weiteres  auf  die  Klage  übertragen,  da  der  text  derselben  das 
geseliick  des  liedes  geteilt  hat.  Die  Aerhältnisse  sind  hier  ein 
wenig  anders.  Der  reim  Ilagenc  :  dcrjene,  der  uns  im  liede  so 
häufig  begegnet,  fehlt  im  gemeinsamen  texte.  Dagegen  findet 
sich  einmal  der  s(nist  im  13.  Jahrhundert  nicht  ungewöhnliche, 
im  liede  aber  nicht  voikonmiende  reim  ur  :  är ,  807  hdr  :  dar 
{Idnr  A),  und  zweimal  in  :  in,  2991  sin  :  in  und  4127  Bloedelin 
.-in),  wälirend  im  liede  Idoss  künef/in  und  in  auf  in  reimt. 
Weiter  aber  sind  hier  auch  zwei  auffallendere  reindjildungen 
in  beiden  recensiouen  erhalten,  wovon  im  liede  keine  spur  ist: 
1237  ouf/en  :  gclouben  und  4423  gewunnen  :  künden  {kunnen  AC 
unrichtig).  Sie  bestätigen  unsere  ansieht,  dass  das  original 
ungeuauigkeiten  enthielt.  Anderseits  aber  ist  ihre  zahl  im  Ver- 
hältnis zu  den  in  den  einzelnen  bearbeitungen  vorkommenden 
so  gering,  dass  aus  ihnen  nicht  gleichgültigkeit  der  bearbeiter 
gegen  den  ungenauen  reim  geschlossen  werden  kann,  selbst 
wenn    das  gegenteil    nicht    schon   durch   die   betrachtung    des 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  415 

liedes  feststünde.  Wol  nicht  liierlicr  zu  rechnen  ist  1760  Bur- 
gondi'u  :  crwenden ,  indem  mit  AiidCa  l'unjeiidcn  zu  schreiben 
ist;  noch  weniger  das  Aon  Edzardi  angezogene  vrumen  :  kamen 
4553  (auch  2803  und  mehrmals  im  liede),  indem  kumen  zu 
lesen  ist.  Die  ungenauigkeiten  der  einzelnen  recensionen  sind 
zum  teil  anderer  nrt  als  im  liede.  In  B*  tiudet  sich:  1317 
Hagene :  gaäcme  (die  stelle  fehlt  in  (J*);  1215  degcne  :  Hagene 
und  3311  Ilagenc :  dcycue  (in  C*  liat  an  beiden  stellen  zu- 
sammenziehung mehrerer  verse  stattgefunden);  2977  tagen  :he- 
grahen  {klagen  X)  =  tagen  :  fragen  C*;  1619  inne  :  grinmie 
(erweiterung  in  0*);  1047  swester  :  laster  =  swcster  :  vester 
C*;  1773  S'tgehcre  ;  mccrc  (Lnchmann  und  Bartsch  schreiben 
hcre ,  was  wegen  des  rührenden  reimes  geändert  sein  könnte) 
=  mcre  :  Sigeherc  C*;  1303  siione  :  küene  (Lachmann  und 
IJartsch  süene  :  küene)  =  mion'  :  liion  C*.  Kaum  kommt  hier 
in  betracht  gehört  :  ermort  41U5  in  einer  in  C*  fehlenden 
l)artie,  da  umgekehrt  auch  ehnnal  hör l  :  gehört  in  C ''•■  reimt, 
1403,  \vo  B*  fehlt.  Nur  in  I  steht  bnochstahen  :  sagen  1679, 
wo  AB  haben  schreiben,  ebenso  C,  aber  mit  starker  abweichiing; 
jedoch  scheint  mir  haben  für  den  sinn  angemessener  uml  die 
abweichung  in  C*  kann  nicht  aus  ursprünglicher  reimungc- 
nauigkeit  erkhirt  werden ,  da  die  so  nalic  liegende  blosse  än- 
deruug  des  reim  Wortes  genügt  haben  wüide.  Sehr  fraglich  ist 
auch  die  ursprünglichkeit  des  reimes  erslagoi  :  haben  in  B 
3643,  wo  Ad  begraben  haben;  in  C*  fehlt  die  stelle.  —  In  C'-" 
linden  sich  zunächst  einige  leichtere  ungenauigkeiten,  die  im 
gemeinsamen  texte  ihre  analogieen  haben,  nicht  aber  in  B* 
allein:  2397  gar  :  här  =  vär  :  hdr  B*;  1453  ßlecdelin  :  unsin 
=  sin  B*;  3597  Pilgerin  :  In  =^  hin  :  in  B*;  3135  ungelich  :  sich 
=  ieslich  B*;  ferner  4333  zxo  :  dö  (zwT.imal  im  gemeinsamen 
texte:  757.  2649).  Dazu  kommt  nu  :  do  1477,  was  in  zuo  :  nu 
Tibi  B*  mit  rücksicht  auf  das  eben  erwähnte  ziio  :  do  sein 
gcgenstück  hat.  Au  diesen  stellen  kann  es  noch  am  meisten 
zweifelhaft  erscheinen,  ob  der  reim  die  veranlassung  zur  ab- 
weichung gegeben  hat,  wiewol  sich  daraus  die  natürlichste  er- 
klärung  ergeben  würde.  Sicher  kann  nicht  in  betracht  kommen 
2419  in  :  kuneghi  in  einer  in  B*  fehlenden  f  teile.  Auflallender 
sind  3069  ff'ietie  {fVienen  die  hss.)  :  niemen  ^=  stete  :  bete  B*; 
3107   riten  :  hochzite  {hochczeit  a,    hochgeziten  C,    aber   davor 


1 !  6  PAUL 

(k'ii  sinji-,  (los  mtikels)  =  höclizUcu  (dodi  hat  auch  A  den 
sing-,  des  artikclss) ;  4659  marcgräviiDic  :  shuicn  =  shinc  1>  * ; 
4727  vcrstvuadc  :  ervunden.  An  letzter  stelle  hat  C  oder  oh  er 
siL'i  versn'ioide,  daz  cnhät  )toch  nlemoi  ervunde)i\  a  hat  Ich  wan 
cz  ymanl  er  fände ,  otlcnbar  änderung'  zur  ver])csseruiig'  des 
reinies,  da  C  mit  13  stinunt.  Dagegen  setzt  die  hs.  1>,  die  hier 
allein  die  ganze  recension  vertritt,  in  der  ersten  zeile  sinnlos 
67'  venwunde/i.  Dieser  fehler  fällt  vielleicht  erst  dem  sehreiber 
zur  last,  und  das  original  von  B''^  hatte  noch  uugeuauen  reim 
wie  C*.  Dazu  kommt  endlich  755  henden  :  winden,  allerdings 
nur  durch  a  bezeugt;  aber  die  Verschiedenheit  der  lesarteu 
von  B*,  C  und  Db,  \velche  noch  dazu  alle  drei  sehr  nichts- 
sagend sind,  macht  die  ursprünglichkeit  des  ungenauen  reimes 
in  a  im  höchsten  grade  wahrscheinlich. 

Wir  haben  also  bisher  folgendes  rcsultat  gewonnen. 
Erstens:  weder  B  *  noch  C  *  haben  durchgängig  den  originalen 
text  erhalten,  sondern  in  beiden  haben  Veränderungen  statt- 
gefunden, deren  allerdings  bis  jetzt  nur  ein  paar  nachgewiesen 
sind,  so  da  SS  der  grad  der  abweichnug-  für  jede  einzelne  re- 
cension noch  zu  bestimmen  bleibt.  Zweitens:  das  original  ent- 
hielt ungenaue  reime.  Drittens:  in  beiden  bearbeitungen  zeigt 
sich  das  bestreben,  die  ungenauen  reime  zu  beseitigen.  Es 
entsteht  nun  die  frage:  beschränkten  sich  die  ung-enauigkeiten 
auf  diejenigen  reime,  die  mindestens  in  einer  von  beiden  re- 
censioucn  erhalten  sind?  Dass  diese  frage  zu  verneinen  sei, 
macht  folgende  bemerkuug  in  hohem  grade  wahrscheinlich. 
Wenn  einmal  die  beiden  boarbeiter  die  tcndenz  zur  entfernung 
der  unreinen  reime  hatten  und  dabei  nicht  ganz  consequent 
verfuhren,  wie  sollte  es  sich  zufällig  getroffen  haben,  dass  der 
eine  nur  gerade  diejenigen  reime  verändert  halte,  die  der  an- 
dere stehen  liess,  und  diejenigen  stehen  gelassen  hätte,  die  der 
andere  veränderte?  Musten  sie  nicht  eben  so  gut  mitunter 
auch  beide  denselben  verändern?  Man  könnte  mit  der  gegen- 
fi-age  antworten:  musten  sie  nicht  beide  auch  mitunter  den- 
selben reim  stehen  lassen,  was  ja  wenigstens  im  liede  gar  nicht 
der  fall  ist?  Aber  weit  gefehlt,  dass  mit  dieser  zweiten  frage 
das  recht  der  ersten  in  zweifei  gestellt  würde,  wird  dasselbe 
dadurch  nur  gekräftigt.  Denken  wir  uns,  dass  in  jeder  recen- 
sion die  hälfte  der  ungenauen  reime  !)eseitigt,  die  hälfte  stehen 


ZUR  NIBELUNGENFRAGß.  417 

gelassen  wii-d,  so  ist  die  wahrscheinliclikeit  dafür,  dass  eben 
so  viele,  wie  in  jeder  einzelnen  stehen  bleiben,  auch  in  beiden 
zusammen  stehen  bleiben  und  in  beiden  zusammen  g'ciindert 
werden.  Bleibt  der  grössere  teil  stehen  und  wird  der  kleinere 
teil  geändert,  so  ist  zu  erwarten,  dass  mehr  als  in  jeder  ein- 
zelnen recension  in  beiden  zusammen  stehen  bleiben,  dagegen 
weniger  in  beiden  zusammen  geändert  werden.  Um  so  grösser 
der  abstand  zwischen  beiden  teilen  wird,  um  so  mehr  v/ächst 
wahrscheinlicher  weise  die  zahl  der  gemeinsam  erhaltenen 
und  mindert  sich  die  zahl  der  in  beiden  bearbeituugen  ge- 
änderten reime,  und  zwar  in  quadratischem  Verhältnis.  Die 
letztere  zahl  kann  bis  aut  einen  bruchteil  herabsinken ,  d.  h. 
es  ist  zu  erwarten,  dass  höchstens  ein  fall  otier  gar  keiner 
vorkonmit.  Wird  dagegen  der  grössere  teil  geändert  und 
bleibt  der  kleinere  teil  stehen,  so  tritt  das  umgekehrte  Ver- 
hältnis ein.  Diesen  fall  haben  wir  hier.  Gerade  daraus,  dass 
im  liede  keiner  von  den  anstössigen  reimen  sich  in  allen  bei- 
den bearbeituugen  erhalten  hat,  haben  wir  das  recht  zu  ver- 
muten, dass  die  grössere  menge  derselben  in  der  einen  wie  in 
der  andern  weggeschafft  ist.  Die  zahl  derselben  könnte  nach 
dem  bisher  vorgebrachten  materiale  beliebig  gross  gedacht 
werden.  Eine  wahrscheinliche  gränze  lässt  sich  noch  nicht  er- 
mitteln. 

Wenn  zwei  bearbeiter  unabhängig  von  einander  einen  un- 
genauen reim  beseitigen,  so  l)rauchen  sie  nur  ein  reimwort  i) 
zu  ändern,  können  es  aber  unter  umständen  auch  bequemer 
finden  beide  zu  ändern.  Die  allgemeine  Wahrscheinlichkeit 
spricht  dafür,  dass  sie  sich  in  der  regel  mit  dem  ersteren  be- 
gnügen werden.  Wenn  aber  auch  nur  einer  das  letztere  tut, 
so  werden  nun,  falls  sie  nicht  ausnahmsweise  zufällig  auf  die- 
selbe äuderung  verfallen,  beide  leimworte  in  den  bearbeitungen 
abweichen.  Aendert  dagegen  jeder  nur  eiu  reimwort,  so  sind 
zwei  fälle  möglich:  entweder  ändern  beide  dasselbe,  oder  der 
eine  das  erste,  der  andere  das  zweite.  Im  ersten  falle  stim- 
men beide  texte  in  einem  reimwort,  das  andere  weicht  ab 
ausser   bei   zufälligem   zusammentreten;    im    zweiten   weichen 


')   Die   iiuderung-   des  roimwortes    bedingt    nalürlicli    in    der  regel 
weitere  veriinderiuigen  im  iiinern  der  zeilc. 


418  PAUL 

wider  beide  reimworte  ab,  aber  das  erste  aus  der  einen  muss 
mit  dorn  zweiten  aus  der  andern  einen  ungenauen  reim  bilden, 
ßei  der  vergleichung-  der  beiden  texte  finden  wir  nun  die 
diesen  fällen  entspreclienden  verliältnisse,  die  von  Bartsch 
ziemlich  vollständig-  aufgeführt  und  ohne  weiteres  fast  sänimt- 
lich  zu  gunsten  seiner  hypothese  ausgebeutet  sind.  Für  uns 
kommt  es  darauf  an,  die  grenzen  für  die  berechtigung  dieses 
Verfahrens  zu  finden.  Wir  müssen  dabei  ausgehen  von  den 
auch  bei  Bartsch  unter  I  (s.  13)  vorangestellten  fällen,  in 
denen  sich  durch  kreuzung  ungenauer  reim  herstellen  lässt. 
Bartsch  zählt  14  auf,  in  denen  er  das  original  reconstruiert 
und  fügt  dazu  eine  andere,  in  der  er  dies  nicht  zu  tun  wagt: 
920,  9  dan  :  getan  =  nam  :  alsam.  Dazu  kommt  die  unter  V 
(s.  45)  aufgeführte  stelle  310,  3  not  :  tot  ==  gnot  :  guot ,  also 
im  ganzen  IG  stellen.  Wer  denselben  alle  beweiskraft  für  die 
assonanzenhypothese  abspricht,  muss  das  gegenüberstehen  solcher 
reime  in  B*  und  C'-''  aus  rein  zufälligem  zusammentreffen  er- 
klären. Dies  tun  die  gegner  Bartschs,  seine  anhänger  dagegen 
behaupten,  es  könne  kein  zufall  sein.  Das  ist  behauptung 
gegen  behauptung  olme  beweis.  Es  ist  aber  vv'ol  möglich,  den 
streit  für  diejenigen,  welche  solclicn  gründen  zugänglich  sind, 
wie  sie  hier  überhaupt  vorgebracht  werden  können,  zu  ent- 
scheiden. Die  Wahrscheinlichkeit  des  Zufalls  lässt  sich  auf  eine 
bestimmte  mathematische  foi-mel  bringen.  Nennen  wir  die 
zahl  der  rcimpaare,  welche  in  beiden  recensionen  mit  beiden 
reimwörtern  abweichen,  m,  und  bezeichnen  die  anzahl  der 
fälle,  in  denen  sich  derselbe  reiniklang  widerholt,  in  B*  mit 
den  buchstaben  a,  b,  c  etc.,  in  C*  mit  «,  ß,  y  etc.,  also  etwa 
reimpaare  auf  an  kommen  in  B*  «  vor,  in  C  «,  auf  mn  in 
B*  b,  in  C*  ß  u.  s.  w.,  dann  ist  der  teil  von  der  gesammtheit 
der  reime,    welchen   die  auf  an   in  B*  bilden,   zu   bezeichnen 

durch     ,  den  sie  in  C*  bilden,  durch     ,   den  die   auf  am  bil- 

b  ß 

den,  durch      und       etc.     Denken  wir  uns  nun,  wir  hätten  zwei 

urnen,  in  der  einen  lägen  die  reime  von  B*,  in  der  andern 
die  von  C*,  und  es  würde  blindlings  aus  jeder  ein  reim  heraus- 
gezogen und  die  beiden  herausgezogenen  mit  einander  verbun- 
den,  dann   ist  die  Wahrscheinlichkeit,   dass    aus  der  urne  B* 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  419 

eiu  leini  auf  an  herausgezogen  wird  =  — ,  ilass  aus  der  urne 

m 

C*  ein  reim  auf«;«  heraus!iezoi>:en  wird  =  '  ,    dass    beide  zu- 

sammen  lierauso-ezoo-en  werden  =  —^.      Dies    ist    die    waln-- 

m- 

selieinlicbkeit  für  den  einzelnen  fall;   da   aber   das  ziehen  sich 

m  mal  widerholt,  so  ist  zu  erwarten,  dass  im  ganzen  das  zu- 

sammentreifen   —   mal  vorkommt.     Die  reime  am   und  an   be- 
m 

gegnen  sich  nun  aber  auch,  wenn  der  reim  an  aus  C  *  und  am 

h  cc 
aus   B *   gezo^^'cn   wird.     Dies    ist    also   in  —  fällen  zu  erwar- 

?n 

ten,  das  zusammentreffen  iiberhaui)t  also  in    '  fällen. 

?n 

Wir  haben  uns  also  jetzt  nach  der  zahl  der  Lil)iiji,en  fälle 
umzusehen,  in  denen  beide  reimwörler  abweichen.  Diese  sind 
zum  bei  weitem  grcisten  teile  von  Bartsch  unter  iV  und  V 
(s.  30  ü".)  zusanmieng'estellt.  Er  führt  unter  IV  80  stellen  auf 
an  denen  er  das  original  recoustruiert  und  citiert  die  übrigen, 
aber  nicht  ganz  vollständig.  Ich  gebe  hier  ein  ergänztes  Ver- 
zeichnis mit  angäbe  der  reime  330,  3  H/i  (dat.)  ;  nnp  B  *  = 
gese'it  :  meit  C*;  519,  1  shi  :  künighi  =  lanl  :  bekant]  729,  3 
dan  :  getan  =  mite  :  sile\  1202,  3  llp  :  wlp  =  guot  :  muot]  1231, 
1  rlten  :  h/ten  =  (legen  :  hetvegeyi\  1520,  1  7vät  :  rät  =  gewani 
:  ungewant\  162S  versagen  :  tagen,  komen  :  genomcn  =  not  :  hrdi . 
hat  :  rät \  1663,  3  hahen  :  begraben  =  hat  :  er s tat]  1717,  3 
vernomen  :  komen  =  hän  :  gän\  1803,  3  geschacJi  :  verjacli  = 
geschehen  :  verjehen\  1826,  1  reit  :  teit  =  Votker  :  ger]  1833,  1 
spileman  :  missetän  =  erslagen  :  sagen]  2021,  1  sän  :  man  =  in 
:  sm\  2047,  1  sal :  schal  =  in  :  hin]  2049,  3  vloiii  :  zorn  = 
llp  :  7Vtj>]  2279  Hagene  :  tragene  .  nemen  :  gezemen  =^  gezemen 
:  nemen  .  zlt  :  glt]  2298,  3  man  :  hestän  =  ivesen  :  genesen.  Im 
ganzen  haben  wir  also  98  reimpaare.')  Bei  den  unter  V  auf- 
geführten beispielen  ist  es  mit  der  Zählung  etwas  mislich  be- 
stellt. Wir  sehen  uns  da  genötigt  die  fälle  unberücksichtigt 
zu  lassen,  in  denen  eine  stiophe  zu  mehreren   crweitevt,   oder 

•)  227ü  habe  ich  nur  eiutuch  goiochnet;  ebenso  in  Uhnlichcu  tällen. 


4'iO  l^AUL 

mehrere  stvoplicu  zu  einer  zusammengezogen  sind.  Bartscli 
construiert  (Ins  original  für  19  reinipaare,  von  denen  aber  eins 
von  uns  unter  1  verwiesen  ist.  Die  weitere  aufzählung  ist 
wider  nicht  ganz  vollständig,  üic  für  uns  in  betracht  kommen- 
den stellen  sind :  324,  3  guot ;  mnot  =  e  :  rm ;  369,  3  gemach 
:  (jeschach  =  zoch  :  hoch]  435,  3  häuf.  :  yervant  ==  clan  :  hegaw^ 
441,  3  haz  :  haz  =  erbot  :  not]  153,  3  tjaz  :  besaz  =  man  :  nnder- 
tän\  497,  3  lant  :  hekant  =  hän  :  man]  544,  3  dan  :  getan  = 
hant :  lant]  700.  l  tage  :  klage  =  gemach  :  sprach]  701,  3  hoch- 
gezit  :  llt  =  gesant  :  lant]  757,  3  ivän  :  man  =  al  :  sal]  1191,  3 
sin  ;  in  =  tuon  :  suri]  1235,  3  stät  :  gät  =  künegin  :  Pilgerhi] 
1255  meit  :  bereit  .  kle  :  e  =  kle  :  me  .  7nuot  :  tuot]  1334,  1  ge- 
riet :  schiet  =  was  :  las]  1349  kleit  :  geseit .  man  :  began  =  man 
:  dan  .  sin  :  sin]  1390  7iaht  :  bedäht  .  gän  :  han  =  stän  :  län  . 
lant  :  bekant]  1394.  3  daz  :  haz  =  klagen  (?)  ;  tragen]  1583,  3 
verdaget  :  gesagel  =  vernomen  :  genomen]  1689,  1  hat  :  rät  = 
lob  euch  :  Dietrich]  1807,3  gemeit  :  reit  =  nider  :  sider]  1S44 
geben  :  leben  .  saz  :  daz  =  dir  :  mir  .  gerver  :  ger]  1964  brbt :  not 
.  stän  :  hän  =  Volker  :  her  .  not :  bröt]  2018  degen  :  pßeyen  . 
man  :  kan  ==  Eagene  :  klagene  .  hie  :  enlie]  2236  man  :  gegän  . 
bluot  :  guot  =  degene  :  Hagene  .  knie  :  gie]  2237,  3  ?nan  :  dan 
=  bluot :  guot]  2303,  3  truoc  :  gemwc  =  rvip:lip]  im  ganzen 
31,  mit  den  früheren  18  zusammen  49.  Dazu  kommen  dann 
noch  einige  von  den  unter  III  (s.  29)  bei  Bartsch  gehörigen 
fällen,  aus  denen  wir  nur  die  hier  berücksichtigen,  bei  denen 
wirklich  beide  reimwörter  verschieden  sind,  nicht  das  eine  in 
beiden  texten  in  umgekehrter  Stellung  sich  findet. i)  Dies  sind 
688,  3  man  :  gän  =  dan  :  getan]  1^1,  1  iingemaoh  :  geschach  = 
sach  :  dach ;  869 ,  3  ma}i  :  bestdn  =  dan  :  hän  ]  also  nur  3. 
Endlich  ist  noch  mitzurechnen  1960,  l  degen  :  gep [legen  = 
Hagene  :  zesamene.  Rechnen  wir  alles  zusammen,  so  ergeben 
sich  151,  die  mit  den  16,  in  welchen  kreuzung  möglich  ist, 
eine  gesammtsumnie  von  167    ergeben.     Hierunter   sind   reime 

')  Von  dieser  art  sind  bei  Bartsch  nicht  angeführt  7()(>,  3  lant :  ge- 
sant =  gesant :  lant\  701,  l  Rin  :  min  =  nun  :  shi;  11 '26,  l  gie  :  enpfie 
=  e^ipfie  :  enlie  \  200.3,  1  gegän  :  begun  =  began  :  dan.  Umkehr  beider 
reinnvörter  hat  stattgefunden  ausser  an  der  von  I*artsch  hier  angeführten 
stelle  1754,  1  {kamen  :  vernomen)  noch  102.  3  tvip :  llp\  40-1,  3  Vip  :  wlp; 
157G,  3  man  :  hän. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  421 

auf  an  {an)  iu  ß*  27,  in  C '•'  26,  reime  auf  am  in  B"--  und  C* 

je  4.    Setzen   wir  diese   zahlen   ein    in    die   oben  gewonnene 

formcl,  so  ist  die  zahl  der  zu  erwartenden  fälle  des  zusammen- 

,    a-  •  .  ;      ■  r  (27x4) +  (26x4) 

treflens  von  reimen  aut  an  mit  reimen  aui  am  =  ^^ ^--—^ ^ 

167 

=  1,  28.  Es  sind  aber  in  Wirklichkeit  7.  Eine  weitere  Über- 
legung- zeigt,  dass  das  so  herausgerechnete  resultat  noch  viel 
zu  günstig  für  die  annähme  des  zufalle;  ist.  Wir  haben  näm- 
lich einstweilen  angenommen,  dass  auch  in  den  fraglichen  18 
fällen  der  zufall  im  spiel  ist.  Nur  unter  dieser  Voraussetzung 
ist  die  gleichstellung  und  zusammenzählung  mit  den  übrigen 
fällen  gerechtfertigt.  Das  reimverhältnis  stellt  sich  wesentlich 
andei's  heraus,  wenn  wir  sie  gesondert  betrachten.  In  bezug 
auf  die  reime  auf  an  macht  das  keinen  wesentlichen  unter- 
schied, wol  aber  für  die  auf  am.  Während  nämlich  unter  den 
übrigen  151  reimen  nur  einer  in  B*,  keiner  in  C*  vorkommt 
finden  sich  unter  den  16  in  B*  3,  in  C  •''  4.  Dieser  abstand 
kann  weiter  illustriert  werden  durch  das  Verhältnis  der  reime 
auf  am  im  ganzen  liede.  Nach  dem  reimbuch  von  Pressel 
finden  sich  in  Lachmanus  texte  deren  34  auf  2316  Strophen, 
also  4632  reime,  d.  h.  sie  bilden  0,73  o/„.  Für  den  text  B* 
oder  C*  kann  sich  das  Verhältnis  nicht  wesentlich  anders 
herausstellen.  In  den  151  reimen  bilden  sie  in  B*  6,66  "'/o? 
was  so  genau  wie  möglich  mit  dem  erwarteten  stimmt;  wenn 
wir  sie  auf  der  andern  seite  in  C*  gar  nicht  vertreten  finden, 
so  ist  das  nichts  besonders  aulfallendes ,  da  die  Wahrschein- 
lichkeit für  einen  fall  noch  nicht  viel  überschritten  ist.  In 
den  16  reimen  dagegen  bilden  sie  in  B*  18,75  '%,  in  C* 
25  O/q.  Für  dies  misverhältnis  gibt  es  keine  befriedigende  er- 
kläruiig,  so  lange  man  das  zusammentrefien  der  reime  auf  an 
und  am  für  zufall  erklärt.  Wir  könnten  noch  die  Wahrschein- 
lichkeit des  zufälligen  Zusammentreffens  nach  dem  procentsatz 
der  reime  auf  am  im  ganzen  liede  berechnen.  Danach  müsten 
in  167  reimen  1,22  auf  am  in  jeder  recension  vorkommen. 
Das  zusammentreffen  mit  einem  auf  an  wäre  zu  erwarten  in 
(27X1.22)+ (26X1,23)  ^  ^^^      j^.,_  ,,^_.  _^^_ 

167 
stand   von   den  wirklichen  Verhältnissen   ist  gross  genug  und 
das  material  in   diesem  falle   auch   hinreichend,   um  sich   ein 

Beiträge  zur  geschiclite  der  dentschea  spräche.  III.  2b 


42'i  PAUL 

urteil  zu  erlaubou.  Wcnu  wir  iu  glciolicr  weise  wie  luifangs 
für  an  uud  am  die  walirseheinlich  zu  erNvaitendeu  fälle  des 
/iisauimeutretieus   vou    not   und    dl    herecluieii ,    so   ergibt   sieh 

(OXS)  +_(0X  1)  ^  ,.^.^     ^^  ^jjj^^  2.     Für  uol  und  uoc   er- 
167 

gäbe  sich   (^X2)^+_Ö><3  =  0^18;   CS  ist  einer.     Hier  ist 

aber  das  rnaterial  zu  geringfügig,  als  dass  man  sich  irgend 
einen  sichern  schluss  gestatten  dürfte.  Mehr  Sicherheit  haben 
wir  für  die  beiden  fälle,  iu  denen  sich  durch  misch ung  beider 
texte  der  reim  sun  :  frum  zusammensetzen  lässt,  da /nw«  in 
den  übrigen  151  reimen  nirgends  sich  findet,  und  da  ausser- 
dem der  reim  durch  die  beiden  in  ß  wirklich  erhaltenen  fälle 
gestützt  wird. 

Es  wäre  noch  ein  anderes  mittel  denkbar,  die  Wahrschein- 
lichkeit des  Zufalls  zu  bestimmen.  Unter  den  30  i)  fällen,  iu 
denen  einzelne  hss.  beide  reimwörter  ändern,  sind  2,  in  denen 
kreuzung  möglich  ist:  593,  3  gemioc  :  truoc  =  inaot  :  yuot  A 
und  1735,  1  slic  :  wie  =  nil :  slrit  I.  Nach  diesem  Verhältnis 
müsten  wir  unter  den  1G7  reimen  doch  immer  9'/;$  dieser  art 
erwarten.  Indessen  ist  hier  wider  das  material  zu  unbedeu- 
tend. Fehlte  nur  einer  von  den  beiden  reimen,  so  würde  das 
Verhältnis  gleich  ein  wesentlich  anderes  werden.  Weiter  ist 
zu  bemerken,  dass  an  der  zweiten  stelle  wahrscheinlich  das 
dem  bearbeiter  nicht  mehr  geläufige  wie  entfernt  werden  sollte, 
zu  dessen  ersatze  gar  nichts  näher  lag  als  das  synonymum 
sitit,  welches  unabhängig  von  I  auch  b  eingesetzt  hat,  so  dass 
hier  nicht  bloss  reiner  zufall,  sondern  die  natur  der  sache  ge- 
Avirkt  hat.  Der  ausdruck  träten  manegeii  sllc  in  der  vorderen 
zeile  ist  mir  übrigens  nicht  recht  verständlich.  Aber  ich  Avürde 
es  doch  für  gewagt  halten  anzunehmen,  dass  B*  und  C*  un- 
abhängig von  einander  durch  reimnot  auf  diese  änderung  ver- 
fallen wären  und  I  in  der  ersten  zeile  das  ursprüngliche  be- 
wahrt hätte.  Für  die  erste  stelle  mache  ich  auf  die  s.  397 
und  s.  402  augeführten  stellen  aufmerksam,  die  uns  zeigen, 
wie  häufig  in  den  hss.  gemuot  und  geuuoe  im  reime  verwechselt 


')  Ich  nelime  hier  consequeiiter  weise  die  fälle  nicht  mit,  in  denen 
ein  rciiuwoit  iu  beiden  texten  iu  um"ekebrter  reihenfolirc  steht. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  423 

werden,  was  wol  zum  teil  graphiscli  zu  erklären  ist.  So 
könnte  auch  vielleicht  in  der  vorläge  von  A  gestanden  haben 
irürec  was  gemuot,  wodurch  dann  die  weitere  änderuug  ver- 
anlasst wäre,  ßcmeikeusweit  ist  endlich,  dass  hier  nirgends 
ein  reim  auf  an  einem  auf  am  gegenübei'  steht. 

Ziehen  wir  das  resultat  aus  unsern  herechnungen ,  so  er- 
gibt sich,  dass  es  aller  Wahrscheinlichkeit  zuwiderläuft,  wenn 
man  in  sämmtlichen  IS  fällen  die  möglichkeit  der  kreuzung 
für  blossen  zufall  erklärt.  Um  so  sicherer  wird  dies  resultat, 
wenn  wir  es  mit  dem  früher  gewonnenen  combinieren,  dass 
beseitiguug  ungenauer  reime  in  beiden  hss.  mit  höchster  Wahr- 
scheinlichkeit angenommen  werden  muss.  Damit  ist  aber  die 
möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  einige  fälle  auf  zuftilli- 
gem  zusammentreffen  beruhen. 

Noch  einige  bemerkungen  über  die  einzelnen  stellen  und 
Bartschs  verfahren  bei  der  reconstruction.  368,  1.  2  nimmt 
Bartsch  das  erste  reimwort  aus  C"'-',  indem  er  in  der  ersten 
vershälfte  doch  B''-'  folgt.  Dabei  ändert  er  genam  m  nam,  und 
diese  ändeiung  wäre  notwendig,  da  ge-  hier  keine  syntaktische 
berechtiguug  hat.  Woher  kommt  dann  aber  das  auffallende 
genaini  Es  würde  sich  doch  wol  am  besten  erklären,  wenn 
gewan  das  urspi-üngliche  war,  woraus  es  entstand.  Dann 
würde  also  umgekehrt  die  erste  zeile  aus  B*,  die  zweite  aus 
C*  zu  entnehmen  sein,  wenn  es  sich  nicht  etwa  so  verhält 
dass  B*  überhaupt  den  ursprünglichen  text  bietet,  genam  zu- 
nächst nur  durch  nacblässigkeit  aus  gewan  entstanden  ist,  was 
dann  die  änderung  der  zweiten  zeile  in  C  veranlasst  hat. 
Warum  1499,  1.  2  not  :  guot  nicht  die  reimwörter  gewesen 
sein  sollen,  weiss  ich  nicht.  Die  herstellung  des  Originals  in 
der  ausgäbe  entbehrt  jedes  haltes  und  setzt  die  richtigkeit  von 
Bartschs  altersbestimmung  des  gedichtes  voraus.  Bei  332,  2 
ist  es  absolute  willkür,  Avenn  Bartsch  das  in  C  überlieferte  so 
hin  ich  dir  fr  im  (/  snn)  in  so  wil  ich  dir  frumen  ändert,  ebenso 
vv'ie  er  1851,  4  das  in  B*  überlieferte  daz  mag  iu  allen  wesen 
frum  (;  smi)  in  daz  mag  iu  allen  gefrumen  ändern  will.  An 
dem  ausdrucke  ist  niclit  der  geringste  anstoss  zu  nehmen;  er 
findet  sieh  häufig  genug  anderwärts  und  so  auch  noch  an  einer 
stelle  im  Nibelungenliede,  und  zwar  in  ])eiden  recensionen  von 

28* 


424  i'AUL 

pcrsoneu  gelmaucht.')  Der  reim  sioi  :  frum  konnte  hinveicheii, 
den  bearbeitern  anstoss  zu  erregen.  288,  1.  2  würde  sieh 
allerding's  der  reim  sun  :  fnunen  (acc.  des  subs^.)  ergeben, 
welcher  seine  bestütigung  durch  einen  ganz  entsprechenden, 
in  B*  wirklich  bewahrten  reim  zu  erhalten  scheint,  123,  3.  4, 
wo  aber  die  hss.  frum,  Lachmann  frun  schreiben.  Bartsch 
will  dies  in  frumen  corrigieren ;  es  fragt  sich  aber,  ob  nicht  an 
beiden  stellen  frum  zu  setzen  ist.  Das  im  wb.  angesetzte 
starke  masc.  frum  hat  allerdings  keine  sehr  sichere  gewähr. 
Im  Koloczaer  codex  und  bei  Ottokar  könnte  frum  zusammen- 
gezogene form  für  frumen  sein,  welche  im  Nibelungenliede  an- 
zunehmen etwas  bedenklich  sein  würde.  Aber  hierher  ziehen 
müssen  wir  wol  die  im  wb.  unter  das  adj.  vrum  gesetzte  stelle 
aus  der  Krone  diu  rede  vrumes  lützel  wac.  Es  wäre  aber  auch 
möglich  an  das  fem.  frume  zu  denken,  so  dass  kleinen  frum 
123,  3  von  B*  aus  kleirie  frum  geändert  wäre.  Doch  steht 
158,  3  in  beiden  recensionen  das  masc.  vrumen  :  kumen.  So 
viel  ergibt  sich  wol  aus  diesen  erwägungen,  dass  es  bedenklich 
ist,  auf  diese  beiden  stellen  allein  gestützt  mit  Bartsch  den 
reim  sune  :  vrumen  anzunehmen ,  so  lange  nicht  anderweitige 
sichere  aualogieen  für  derartige  reime  gefunden  sind.  Die 
form  sune,  wodurch  Bartsch  eine  altertümlichkeit  zu  erreichen 
sucht,  ist  übrigens,  so  viel  ich  weiss,  in  keiner  oberdeutschen 
quelle  nachzuweisen.  —  310,  3  könnten  wol  eher  not  :  guoi  die 
reimworte  sein. 

Zu  den  16  bisher  besprochenen  fällen  sind  nun  eigentlich 
noch  zwei  andere  hinzuzurechnen,  die  nur  deshalb  nicht  un- 
mittelbar  mit   den    andern   zusammengestellt   werden  konnten, 

')  frum  ist  in  der  wendung  daz  ist  mir  frum  oder  er  ist  mir  frum 
(=  nützlich)  gcwis  als  subst.  aufzufassen.  Das  beweist  schon  die  da- 
neben vorkommende  form  frume  und  weiter  Verbindungen  wie  dehein 
frume,  guot  frume.  Die  bedeutung  und  Verwendung  von  frum  und 
frume  ist  so  genau  dieselbe,  dass  eine  scheidung  von  subst.  und  adj. 
nicht  wol  gemacht  werden  kann.  Im  ahd.  findet  sich  nur  frumu  shi 
(vgl.  Gratf  III,  G 15),  und  ein  adj.  fruma,  wie  es  Graff  ansetzt,  wäre  doch 
etwas  sehr  seltsames.  Das  subst.  frume  in  dieser  Verwendung  entspricht 
dem  ebenso  gebrauchten  schade ,  welches  niemals  wirkliches  adj.  ist. 
Vielleicht  ist  das  adj.  frum,  welches  im  ahd.  noch  nicht  nachweisbar  ist, 
überhaupt  erst  aus  dem  subst.  entstanden.  Ags.  from  ist  nicht  unmit- 
telbar damit  zu  vergleichen,  da  es  nebenform  von  fram  ist. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  425 

weil  hiev  ein  wort  in  der  form  geändert  werden  muss,  damit 
eine  zulässig-e  assonanz  heraufkommt,  nämlich  1424,  1  gesagen 
:  tagen  =  Idii :  hau  (Bartscli  8.  37:  g es ag en  :  haben)]  IG  18,  3 
7vlp  :  llp  =  kint :  sinl  (Bartsch  s.  39 :  tvlj)  :  sit).  Endlich  kann 
man  avoI  auch  heranziehen  2040 ,  3  llp  :  wlp  =  kint  :  sint 
(Bartsch  s.  42  U]»  :  sit]  sint  -  sk  sind  hier  vcrhalformen).  Doch 
steht  auch  in  zwei  oben  s.  403  angeführten  fällen  wtj/  :  llp  in 
A  neben  kint  :  sint  der  übrigen. 

Auch  in  der  Klage  finden  sich  analoge  fälle.  In  den 
meisten  aber  beschränkt  sich  die  auf  diese  weise  herstellbare 
assonanz  darauf,  dass  in  dem  einen  reimworte  ein  n  ttbcr- 
schiissig  ist.  Dergleichen  führt  Edzardi  s.  IS  fif.  3  auf  (39S5.  6 
gehört  gar  nicht  hierher),  bei  denen  zum  teil  ursprüngliche 
assonanz  die  höchste  Avahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  bei  1361. 
2897.  3033,  weniger  bei  den  andern,  da  eine  änderung  der 
flexionsform ,  worauf  hier  alles  beruht,  leicht  durch  andere 
gründe  herbeigeführt  sein  kann,  wodurch  sich  notwendiger  weise 
für  uns  die  möglichkeit  der  assouanzbilduug  ergeben  muste. 
In  einem  falle  37.  8  ist  dem  sinne  nach  kreuzuug  nicht  mög- 
lich, und  Edzardi  hilft  sich  auch  anders.  Die  sonst  vermuteten 
assonanzen  sind  höchst  zweifelhaft.  So  4017  ff.  (vgl.  Edzardi 
s.  19),  Avo  eine  sachliche  ervveiterung  in  B*,  respective  weg- 
lassuug  in  C*  stattgefunden  hat,  woraus  sich  die  ab  weichung 
mit  notwendigkeit  ergibt.  Ferner  138  (99  Bartsch  vgl.  bei 
ihm  s.  X),  wo  C  um  zwei  zeilen  ausführlicher  ist.  Mehr  Wahr- 
scheinlichkeit ist  vorhanden  bei  3403  (3105  vgl.  Bartsch  XI), 
wo  haben  :  sagen  construiert  ist  aus  verdagen  :  sagen  =  hän 
:  ergcln. 

Viel  zahlreicher  sind  die  fälle,  in  denen  ein  reim  wort  in 
beiden  bearbeitungeu  gleich  ist,  das  andere  abweicht.  Die- 
selben sind  für  das  lied  von  Bartscli  unter  II  aufgezählt  (s.  16 
fl.),  wider  nicht  ganz  vollständig.  Das  zweite  reimwort  weicht 
noch  ab:  112,  4.  140,  4.  198,  4.  212,  4  (rührender  reim  in  B  *). 
307,  2.  324,  2.  342,  4.  497,  2.  504,  2.  598,  4.  600,  2.  607,  4. 
649,  2.  692,  2.  703,  2.  766,  4.  829,  4.  854,  2.  914,  4.  1054,  4. 
1131,  2.  1816,  2.  1935,  2.  2158,  2.  Das  erste:  232,  3.  340,  3. 
378,  1.  445,  3  (rührender  reim  in  B*);  488,  1.  545,  1.  587,  1. 
1350,  1.  1574,  1.  1821,  1.  Zu  den  s.  306.  7  aus  den  in  A 
fehlenden   Strophen    aufgezählten   stellen   kommt   noch   497,  6. 


42C.  PAUL 

Fast  alle  hierher  gehörigen  fälle  will  Bartsch  für  seine  hypo- 
tliese  ansbcuten,  indem  er  annimmt,  dass  beide  bearbeitor  selb- 
ständig- eine  assonanz  dnrch  ändernng  desselben  vcimwortes 
beseitigt  haben.  Aber  in  dieser  art  der  al)weichung  an  nnd 
für  sieh  lient  nicht  der  geringste  zwingende  grund  zu  einer 
solchen  annähme.  Wir  werden  nicht  wie  !)ei  den  vorher  be- 
sprochenen fällen  zur  ansetzung  von  assonanzen  genötigt,  um 
unWahrscheinlichkeiten  zu  vermeiden  und  sonst  nicht  erklär- 
bares zu  deuten.  Alle  berechtigung,  auch  hiei-  beseitiguug  un- 
genauer reime  zu  vermuten ,  fliesst  einzig  und  allein  aus  den 
resultaten,  die  wir  bisher  aus  der  betrachtung  der  in  einem 
texte  erhaltenen  oder  durch  kreuzung  aus  beiden  herstellbaren 
assonanzen  gew^onnen  haben.  Diese  resultate  müssen  uns  auch 
das  mass  für  die  berechtigung  von  Bartschs  verfahren  geben. 
Hier  hilft  uns  zunächst  wider  eine  einfache  Wahrscheinlich- 
keitsrechnung. Bartsch  hat  an  73  stellen,  wo  das  zweite  reim- 
wort  abweicht,  das  original  herzustellen  versucht,  dazu  fügt  er 
43,  an  denen  es  ihm  zu  schwierig  erschienen  ist,  die  ich  wider 
um  24  vermehrt  habe.  Das  macht,  wenn  man  noch  die  beiden 
in  den  in  A  fehlenden  strophen  hinzurechnet,  im  ganzen  142. 
Stellen,  an  denen  das  erste  reimwort  abweicht,  sind  26,  an 
denen  Bartsch  einen  herstelluugs versuch  macht,  16  weiter  von 
ihm  aufgezählte,  10  von  mir  hinzugeftigte  und  3  in  den  in  A 
fehlenden  Strophen,  im  ganzen  55,  beide  arten  zusammen  197. 
Dagegen  fälle,  in  denen  kreuzung  möglich  war,  ergaben  sich, 
die  drei,  in  denen  erst  änderung  der  form  erforderlich  war, 
eingerechnet,  nur  19.  Beseitigen  nun  zwei  liearbeiter  unab- 
hängig von  einander  eine  assonanz  durch  änderung  eines  reim- 
wortes,  so  ist,  falls  die  neigung,  das  erste  oder  zweite  reim- 
wort zu  ändern  gleich  gesetzt  wird,  gerade  so  viel  Wahrschein- 
lichkeit dafür,  dass  beide  dasselbe,  wie  dass  beide  verschiedene 
reimwörter  ändern.  Hätten  sie  also  in  197  fällen  dasselbe  ge- 
ändert, so  wäre  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch  in 
197  fällen  der  eine  das  erste,  der  andere  das  zweite  geändert 
hätte,  dass  also  in  so  vielen  fällen  kreuzung  möglich  sein 
müste.  Da  sie  nun  aber  in  Wirklichkeit  nur  in  19  möglich 
ist,  so  müste  umgekehrt  daraus  gefolgert  werden,  dass  von 
den  197  wahrscheinlich  nur  etwa  19  durch  beseitiguug  einer 
assonanz   zu   erklären   sind.     Dabei   müste  noch   angenommen 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  427 

vvcnleii ,  was,  wie  Aviv  g-esclicn  haben,  keineswegs  feststeht, 
dass  in  keinem  von  den  19  fällen  die  möglichkeit  der  kreu- 
zung-  auf  Zufall  beruht.  Etwas  anders  würde  sich  allerdings 
das  rcsnltat  stellen,  wenn  wir  folgendes  erwägen.  Es  ist  viel 
häufiger,  dass  das  zweite,  als  dass  das  erste  reimwort  in  bei- 
den recensionen  geändert  ist.  Das  muss  seinen  grund  darin 
haben,  dass  überhaupt  jede  von  beiden  öfter  das  zweite  reim- 
wort ändert  als  das  erste.  Dadurch  wnrd  die  Wahrscheinlich- 
keitsrechnung etwas  complicierter.  Nehmen  wir  an,  dass  jeder 
von  beiden  bcarbeitern  in  a  fällen  die  erste  zeile  ändert,  in 
h  fällen  die  zweite,  so  beträgt  die  wahrscheinliche  anzahl  der 
fälle,  in  denen  sie  in  der  ändernne-  der  ersten  zeile  zusammen- 


'ö 


a 


treffen,        .  -    ,  die,  in  denen  sie  in  der  änderung  der  zweiten 

a  -\-  h 

zusammentreffen, ,  die,  in  denen  der  eine  die  erste,  der 

'  a  +  ö' 

andere  die  zweite    ändert,  r.     Nach    Bartschs    hypothese 

ai  ^2 

wäre   hier  also repräsentiert   durch   die    zahl   55, — -^ 

a+  b      ^  a  +  b 


durch    142.     Bestimmen   wir   danach     *V  ,  ,     so     ergibt     sich 


176,75.  Danach  können  wir  nun  umgekehrt  berechnen,  wie 
oft  bei  19  fällen  der  kreuzung  zusammentreffen  in  der  än- 
derung des  ersten  und  des  zweiten  reimwortes  zu  erwarten 
ist.  Nennen  wir  die  zahl  der  fälle,  in  denen  das  erste  reim- 
wort in  beiden  bcarbeitungen  geändert  wird  x,  die,  in  denen 
das  zweite,  y,  so  verhält  sich  .r  :  19  =  55:  176,75  und  y:  10 
=  142:  176,75.  Es  ist  also  x  =  5,91  und  y  =  15,26,  x  +  y 
=  21,17,  also  noch  ganz  unerheblich  mehr  als  19.  Und  dies 
ist  das  für  Bartsch  günstigste  rcsultat,  das  irgend  heraus- 
gerechnet werden  kann.  Es  erhellt  daraus,  dass  bei  weitem 
in  den  meisten  der  hierher  gehörigen  fälle  der  reim  nicht  den 
anstoss  zur  änderung  gegeben  haben  kann.  Vielmehr  muss 
derselbe  in  der  regel  in  der  einen  zeile  gelegen  haben,  die,  sei 
es  in  B"^,  sei  es  in  C*  oder  in  beiden  verändert  ist,  woraus 
es  sich  dann  ganz  natürlich  erklärt,  dass  die  andere  rcim- 
zeile  in  l)eiden  recensionen  übereinstimmend  unversehrt  ge- 
blieben ist. 


428  PAUL 

Für  (licjenii^eii  fälle,  iu  denen  beide  reimwörter  abweichen, 
ohne  dass  sich  durch  kicuzuug-  ein  ung-enauer  vcini  herstellen 
lässt  (IV.  V  Bartsch),  gibt  es  kein  mittel,  festzustellen,  wie 
viele  darunter  zu  erwarten  sind,  bei  denen  der  reim  die  ver- 
anlassung zur  ünderung  gewesen  ist.  Aber  wenn  schon  bei 
der  abweichung  eines  reimwortcs  bei  weitem  in  den  meisten 
fällen  andere  gründe  die  veranlassung  zur  ünderung  gewesen 
sind,  so  wird  das  noch  viel  mehr  bei  der  abweichung  l)eider 
gelten,  wobei  sehr  häufig  grosse  Verschiedenheit  des  siunes  be- 
steht. Es  ist  doch  wol  auch  anzunehmen,  dass  es  in  der  rcgel 
für  die  bearl)citer  bequemer  gewesen  ist,  einen  ungenauen  reim 
durch  änderung  eines  reim  wertes  zu  beseitigen,  als  durch  die 
beider.  Nähmen  wir  aber  auch  au,  dass  das  letztere  eben  so 
häufig  gewesen  wäre  als  das  erstere,  so  würde  sich  nach  den 
augestellten  berechnungen  für  das  original  des  Nibelungenliedes 
günstigsten  falls  immer  nur  ein  geringer  i)roceutsatz  von  un- 
genauen reimen  ergeben,  viel  zu  wenig  fiir  ein  gedieht  aus  dem 
fünften  decennium  des  12.  Jahrhunderts,  auch  wenn  man  die 
ganz  willkürlich  angenommene  bearbeitung  um  1170  zugeben 
wollte. 

Für  die  Klage  muss  ich  auf  solche  berechnungen,  wie  ich 
sie  für  das  lied  angestellt  habe,  verzichten  wegen  der  gering- 
fügigkeit  des  materials.  Es  ergibt  sich  aber  aus  den  bisheri- 
gen Zusammenstellungen ,  dass  die  zahl  der  beseitigten  unge- 
nauigkeiten  hier  noch  eine  geringere  sein  muss. 

Sahen  wir  uns  so  genötigt,  die  zahl  der  von  Bartsch  ver- 
muteten reiraungenauigkeiten  sehr  beträchtlich  einzuschränken, 
so  müssen  wir  ferner  auch  gegen  den  von  ihm  angenommenen 
grad  derselben  protestieren.  Nur  solche  reimarten  sind  für 
das  original  gesichert,  die  noch  in  einer  von  beiden  recensionen 
erhalten  sind,  einigermassen  auch  die,  welche  sich  durch  kreu- 
zung  herstellen  lassen.  Nur  diese  dürfen  zu  Schlüssen  über 
die  Chronologie  benutzt  werden.  Falls  man  aber  bei  dem  ver- 
suche zur  herstellung  des  Originals  nicht  beide  reimworte  der 
Überlieferung  entnimmt,  sondern  das  eine  oder  gar  beide  bloss 
nach  Vermutung  setzt,  so  hat  man  keinen  festen  boden  mehr 
unter  den  füssen.  Will  man  sich  überhaupt  auf  eine  so  ge- 
wagte conjecturalkritik  einlassen,  so  darf  man  nicht  nach  be- 
lieben reime  ansetzen,    die   nicht  schon   in  den   aus   der  über- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  429 

licfcrimg  zu  entuebmendeu  ilire  analogie  haben.  Dagegen  hat 
aber  Bartsch  und  nach  ihm  Edzardi  im  ausgedehntesten  niasse 
gefehlt,  indem  sie,  ihre  zu  Iteweisende  hypothcse  schon  voraus- 
setzend, sicli  jeden  belie})igen  um  die  mitte  des  12.  Jahrhunderts 
möglichen  reim  gestattet  ha])en. 

Es  lässt  sich  nun  zeigen,  nnd  es  ist  das  aucli  schon  von 
andern  bemerkt,  dass  alle  mit  einiger  sicberheit  angesetzten 
ungenauen  reime  des  Nibelungenliedes  und  der  Klage  in  den 
übrigen  volksepeu  und  zum  teil  auch  in  andern  werken  des 
13.  Jahrhunderts  ihre  analogieen  finden.  Hier  hat  sich  nun 
freilich  Bartsch  zu  helfen  gesucht,  indem  er  Gudrun,  Biterolf, 
Alphart  und  Laurin  gleichfalls  für  Überarbeitungen  von  ge- 
dieh teu  des  12.  Jahrhunderts  erklärt.  Dabei  stützt  er  sich 
aber  lediglich  auf  die  reime,  ohne  dass  bei  den  drei  ersten 
diese  hypothese  auch  nur  als  erkläruugsmittel  für  die  ab- 
weichungen  verschiedener  bearbeitungen  Verwendung  findet. 
Wie  sehr  der  Inhalt  dieser  gedichte  Bartschs  Chronologie 
widerstreitet,  ist  zum  teil  von  den  herausgeberu  ausge- 
führt und  neuerdings  wider  von  Henning  im  anzeiger  für 
deutsches  altertum  I,  130  ff.  hervorgehoben.  Selbst  wenn  wir 
von  diesen  vieren  absehen,  bieten  uns  die  übrigen  noch  für 
die  meisten  reime  analoge  fälle.  Mau  kann  sich  davon  leicht 
nach  den  Zusammenstellungen  der  herausgeber  besonders  im 
deutschen  heldenbuche  überzeugen.  Ich  will  aber  zu  grösserer 
bequemlichkcit  die  belege  hersetzen.  Der  reim  am :  an  (an) 
findet  sich  im  Bit.  1  mal  (1638),  Gudrun  4  mal,  Dietrichs 
flucht  24  mal,  Rabenschlacht  20  mal,  sehr  häufig  im  Laurin, 
Walberan,  Alphart,  Wolfdietrich  B  und  D,  Rosengarten  C,  Vir- 
ginal  und  Eckenlied.  Der  reim  vrum  :  sim  kommt  in  Dietrichs 
flucht  2  mal,  in  Rabenschi,  und  Wolfdietr.  D  je  1  mal  vor. 
Zu  dem  reime  niemen  :  JJ'iene  in  der  Klage  3009  fühi-e  ich  an 
aus  Bit.  Hiltgrimcn  :  schinen  9237;  Helme  :  kleine  5193;  eine 
5G73.  12895;  aus  Gudr.  dienen  :  niemen  1220.  1484;  :  r lernen 
1146;  gesteine  :  däheime  1131;  aus  Laurin  gezenict  :  gewenet 
919;  aus  Dietr.  flucht  Rome  :  schöne  1437;  aus  Rabeuschiacht 
Röme  :  löne  69.  Zu  i^me  :  grimme  in  der  Klage  1619  vgl.  man 
aus  Gudr.  grimme  :  välentinne  629,  grimmen  :  gewinnen  921,  «aus 
Laurin  g  elw  er  ginne  :  gimme  761.  835,  grimme  :  gewinnen  1467; 
aus  Rabenschi,  grimme  :  versinne  114,  limmet  :  brimiet  916.    Die 


430  PAUL 

uiii:;cnauiukcit  oii.  :  e  li:i1)ci>  JMst  alle  volkstünilielicn  cpcn,  meist 
sehr  reiciilicli:  l>it.  (13  mal),  Chulr..  Virg.,  Ecke,  Sigenot,  Dietr. 
iliiclit,  Kabeiischl.  (10  mal),  Wolf'd.  D;  in :  i  haben  Laiirin 
und  Viry.  Je  1  mal,  Wolfd.  D.  5  mal.  Auslautendes  c  und  t 
reimen  im  Alpli.  nach  vocal  3  mal,  nacli  n  2,  nach  r  1  mal, 
in  Laurin  nach  n  und  nach  r  je  1  mal,  im  Walb.  1  mal  nach 
r,  widerholt  nach  vocal  in  den  Nibelungenhss.  DIbdg,  wozu 
oben  die  belege  angeführt  sind  und  in  den  hss.  des  Wolfd.  D, 
vgl.  .läiiickc  im  llldl).  1,  VIII.  Auslautendes  y>  und  l  reimen 
im  nit.  und  AI})]),  je  2  mal,  im  I.aurin  ö  mal,  in  Üietr.  flucht 
12  mal,  in  Kabensclil.  und  Wolfd.  Pj  je  4  mal.  In  Virg.  kon»mt 
c;  ;  /  imd  y;;/  nicht  vor,  dafür  abcr^?;c  772,  1.  Inlautende  h  und 
ff  reimen  auf  einander  im  Bit.  2  mal,  Gudr.  1  mal,  Alph.  31 
mal,  Dietr.  flucht  G  mal,  Rab.  2  mal,  Wolfd.  B  30  mal,  Wolfd.  ü 
19  nv\\,  Walb.  5  mal;  b  und  d  Bit.  l  mal,  Gudr.  2  mal,  Alph. 
1  mal,  Laurin,  Virg.,  Wolfd.  D  je  1  mal;  d  und  g  nach  vocalen 
Alpli.  8  mal,  Üietr.  flucht  un(i  Wolfd.  B  je  2  mal,  Wolfd.  D 
'A  mal;  nd  und  ?uj  Laurin  2  mal.  Alle  die  angeführten  ana- 
logen reime  dürfen  also  für  die  altersbestimmung  eines  ge- 
dichtes  aus  der  deutschen  hcldcnsage  gar  nicht  verwertet  wer- 
den. Einen  teil  dieser  reime  hat  Wolfram  von  Eschenbach, 
den  ich  besonders  hervorhebe,  weil  wir  in  ihm  ein  zeugnis  für* 
den  anfang  des  13.  Jahrhunderts  halben.  Er  reimt  cn  :  e  vgl. 
diese  beitrage  II,  329,  n  :  m  im  inlaut:  künec  :  frümec  Wh.  46,  5, 
gctennet  :  gekcmmet  Parz.  73,  5,  c:p  im  auslaut:  Razalic  :  wip 
Parz.  46,  1,  krump  :  June  551,  1  (vgl.  diese  beitrage  II,  92),  b:g 
im  inlaut:  gäbe  :  mäge  Parz.  53,  19,  gäben  :  lägen  17,  29,  gep (le- 
gen'.gegeben  211,  27,  ougen  :  rouben  10,  25,  :  gelouben  417,  21; 
b  :  d:  selbe  :  velde  Parz.  93,  23.  Der  reim  en  :  e  ist  auch  sonst 
vielen  dichtem  des  13.  Jahrhunderts  geläufig,  ebenso  am:  an 
z.  b.  Walther. 

Einige  von  den  ungenauen  reimen  des  Nibelungenliedes 
haben  allerdings  in  den  von  Bartscb  als  in  das  13.  Jahrhundert 
gehörig  nnerkannten  volksepen  keine  analogie,  sondern  nur  in 
den  von  ihm  oben  wegen  dieser  reime  in  das  13.  Jahrhundert 
zurückgeschobenen.  Hierher  gehört  Gcrnot :  guot  Nil).  2033,  1. 
Bit.  13135,  Gcrnolen  :  guoien  Bit.  6207.  Aber  eine  analogie 
bietet  die  doch  aus  dem  13.  Jahrhundert  stammende  Nibclungen- 
hs.  B  2237,  1    muot :  iöt\    noch  weiter   geht   die   freiheit   in  D 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  431 

560^  1  truoc  :  not.  Ferner  swester  :  laster  Kl.  1047,  hreftc:mt- 
hafte  Bit.  12295.  Hier  wird  die  ungeuauig-keit  wahrscheinlich 
abgeschwächt  durch  die  dialectische  ausspräche.  Dasselbe  gilt 
wol  von  henden  :  tvinden  Kl.  759,  womit  wir  vergleichen  können, 
dass  im  Bit.  / :  e  4  mal  vor  zz  und  2  mal  vor  ck  reimt. i)  Den 
letzteren  reimen  dürfen  wir  es  doch  gewis  parallel  stellen, 
wenn  im  Virg.  19  mal  o  :  7i  reimt,  darunter  3  mal  vor  st,  2  mal 
vor  auslautendem  s,  2  mal  vor  zz'^,  ferner  o :  ü  1046,  9  üf\liof\ 
0  :  u  405,  3  schoze  :  duzzen.  Den  reim  e  :  l  selbst  kann  ich 
aus  einem  höfischen  dichter  belegen,  dem  Stricker  :  Daniel  7  a 
stellen  :  tv/llen.  Noch  eine  consonantische  ungeuauigkeit  ist  zu 
bemerken  gewurmen  :  künden  Kl.  4423 ,  welclie  ihre  analogie 
findet  im  Laur.  1221  versunnen  :  gebunden  und  65  manne:  lande)i' 
Damit  aber  ist  gewis  auf  gleiche  stufe  zu  stellen  der  reim 
nn  :  ng ,  der  nicht  nur  9  mal  in  Gudr.  und  3  mal  in  Laui-.  vor- 
kommt, sondern  auch  1  mal  in  Rabenschi.  410  Schcmmingen 
:  sinnen,  wo  daneben  sogar  2  mal  mm  :  ng  steht  243.  453 
grimme:  ringe.  Den  reim  nn :  nd  selbst  l)ietet  wider  der  Stricker: 
Daniel  76  b  finden :  hinnen.  Derselbe  hat  auch  Karl  1541  ge- 
dingen  :  gewinnen  und  das  gleichfalls  analoge  verderben  :  ver- 
sperren Dan.  127  b.^) 

Wolfram  bietet  zu  den  zuletzt  angeführten  reimen  keine 
entsprechenden,  wol  aber  noch  mehrere  andere,  die  zum  teil 
entschieden  freier  f^ind:  Affricke  :  Agrippe  Parz.  770,  3;  tropel 
:  Ammirafel  Wh.  407,  19;  vil  :  hin  Parz.  397,  15;  schilt  :  sint 
Wh.  241,  27;  schaft  \  hrast  (so  Bartsch)  Parz.  3S5,  7;  priesler 
:  meister  Wh.  464,  11    (nach    dem  muster  Veldekes,   vgl.  mhd. 

')  Noch  sicherer  darf  dies  wol  angenommen  werden  von  Boppen 
:  knap2>eti  Bit.  7709.  Gewöhnlich  reimt  zwar  o :  a  nur  vor  r  und  in  ge- 
wissen Wörtern  vor  l  und  n\  man  vgl.  aber  auch  machen :  wochen  Wigam. 
2JS0;  hovc:  drave  Helbl.  1,  344. 

'^)  Hierher  zu  ziehen  sind  wol  auch  der  reim  schult :  holl  Nib.  1052,  7 
(Od,  schuhte  a;  1  ändert,  so  dass  unver schalt  in  den  reim  kommt,  die 
ausgaben  setzen  scholl)  und  Lanz.  540.5  (Hahn  schreibt  schalt,  ich  weiss 
nicht  ob  nach  den  hss.);  andere  aus  späterer  zeit  bei  Weinh.  bair.  gr. 
s.  37  und  al.  gr.  20.  05,  wo  aber  manches  ungehörige  mit  unterläuft. 

•■*)  Auch  zu  den  früher  besprochenen  reimen  finden  sich  analogicen 
beim  Stricker:  pfl('igeii : gaben  Karl  i)S3,  grimme :  inne  Dan.  39b;  vgl. 
Bartsch,  Karl  s.  LIV.  nn  :ng  findet  sich  auch  Lolieiigr.  3443,  6:  keiserinne 
:  Lutringe. 


432  l'AUL 

\vl).  11'  1  r- h).  Denken  wir  uns,  es  stünde  fest,  dass  das 
^'il)elunj;enlied  nacli  l'iOt»  veifasst  wäre,  über  die  ahfassungs- 
/eit  von  WuliVanis  \\ciken  wäre  dagegen  nichts  bekannt,  so 
Aviirde  iJartscli  nach  den  bei  Wolfram  vorkommenden  reimen? 
die  im  Ni1)c!nnij;enliede  und  in  den  andern  i;leiclizeitigcn  Aver- 
kcn  keiiic  analoi^ie  hfitton,  den  Parz.  und  Wh.  genau  mit  dem- 
selben rechte  wie  jetzt  das  Nibelungenlied  weit  in  das  zwölfte 
jahrlnindeit  zurück  setzen  können.  Auch  in  Virg.  linden  sich 
n)anche  starke  reimfrei heitcu,  die  über  die  erwähnten  des 
Nibelungenliedes  und  der  Klage  hinausgehen:  tt^-dr  :  Virginäl 
038,  7.  068,  1 1 ;  einander  :  wandel  494,  8 ;  ivesen  :  leben  256,  4. 
812,  11. 

Unter  allen  bisher  aufgeführten  assonauzen  sind  höchstens 
die  beiden,  e  :  a  und  e  \  i  m  der  Kl.  und  im  Bit.,  für  die  nicht 
ein  vollkommen  stricter  beweis  geliefert  wäre,  dass  sie  gar 
nichts  für  ein  höheres  alter  beweisen  können.  Es  bleiben  nun 
bloss  noch  übrig  die  ungenauen  reime  auf  Hagenc,  die  Bartsch 
auch  am  meisten  betont.  Wie  in  Nih.  und  Kl.  findet  sich  im 
Bit.  Hagcnc{)t)  :  degene{n)  sehr  häufig.  Bartsch  scheint  in  den 
dreisilbigen  reimeu  überhaupt,  abgesehen  von  der  ungenauig- 
kcit,  etwas  altertümliches  zu  sehen.  Mit  unrecht;  denn  sie  fin- 
den sich  z.  b.  massenweise  bei  Gottfried  von  Strassburg  und 
bei  seineu  uachahmeru.  Eine  altertümlichkeit  liegt  nur  inso- 
fern darin,  als  sie  im  Nibelungenliede  zwei  volle  hebungeu 
tragen,  dass  die  letzte  silbe  mit  dem  tonlosen  e  einer  mit  voll- 
tönendem Aocal  gleichgestellt  wird.  Diese  altertiimlichkeit 
kann  man  doch  aber  unmöglich  grösser  finden,  als  wenn  dies 
])ei  den  zweisilbigen  reimen  geschieht.  'EAiwQhw  Ilagenc:  sagene 
ist  um  kein  haar  altertümlicher  als  Voleit :  guoten,  die  erstere 
art  möchte  man  sogar  Aveniger  auftallend  finden.  Die  letztere 
aber  wird  nach  Bartschs  eigenem  urteil  noch  von  dem  l)e- 
arbeiter  C*  mit  verliebe  angewant.  Also  ist  auch  die  erstere 
kein  Stützpunkt  für  ältere  abfassung  des  Originals.  Es  bleiben 
also  nur  die  in  diesen  reimeu  vorkommenden  uugenauigkeiteu 
übrig.  In  bezug  auf  dieselben  ist  zunächst  zu  berücksichtigen, 
dass  dem  mehrsilbigen  reime  naturgemäss  grössere  freiheiten 
einzuräumen  sind  als  dem  stumpfen,  dass  ferner  bei  eigeu- 
namen  die  alte  tradition  länger  festgehalten  wird.  Weiter 
aber  ist  die  assonanz  Ilagcne  :  degene  nicht  bloss  dem  originale. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  433 

sondern  auch  den  beavbeitern  geläufig,  beweis  genug,  dass  um 
1200  dieser  reim  nocb  nicht  ganz  unstatthaft  ert^chien.  Man 
kann  zwar  sagen,  dass  die  bearbeiter  durch  das  muster  ihrer 
vorläge  veranlasst  sind,  sich  diesen  bequemen  reim  zu  erlauben, 
aber  eben  so  gut  kann  man  dann  w^ol  auch  annehmen,  dass 
dei'  ursprüngliche  dichter  nach  dem  muster  seiner  quellen,  der 
Volkslieder,  sich  dazu  ])erechtigt  glaubte.  Und  e1)enso  können 
dann  wider  Klage  und  Bit.  ihrem  vorlnlde,  dem  Nibelungen- 
liede gefolgt  sein.  Was  dann  ferner  den  reim  Hagene  :  habene 
Nib.  1G36  betrifft,  so  steht  er  doch  gewis  auf  gleicher  stufe 
mit  degen :  leben  und  ähnlichen,  die  im  volksmässigen  epos 
allgemein  üblich  sind.  Dasselbe  gilt  natürlich  von  degene:  (ebene 
im  Bit.  5863.  Auch  die  ungenauigkeit  in  Hagene  :  gademe  geht 
nicht  über  das  mass  der  früher  besprochenen  hinaus,  indem 
die  häufung  zweier  für  sich  entschieden  noch  im  13.  Jahrhun- 
dert üblichen  reimfreiheiten  eben  durch  die  mehrsilbigkeit  er- 
möglicht und  entschuldigt  wird.  Dem  reime  Hagene  :  zesamene 
Nib.  1960  steht  allerdings  kein  degen  :  nemen  oder  dergleichen 
gegenüber;  alier  es  ist  eben  wider  die  mehrsilbigkeit,  die  ihn 
entschuldigt:  neben  den  beiden  ungleichen  consonanten  steht 
noch  ein  gleicher.  Wir  dürfen  wol  damit  parallelisieren  die 
reime  nn  :  nd  und  nn  :  ng,  nur  dass  hier  der  gleiche  cousonant 
voransteht.  Und  mm  :  ng  in  Rab.  geht  l)ereits  weiter  und  wir 
dürfen  die  doppelte  ungenauigkeit  vergleichen  mit  der  in 
Hagene  :  gademe.  Alles,  was  jetzt  noch  übrig  bleibt,  sind  die 
beiden  vocalisch  und  consonautisch  ungenauen  reime  Hagene 
:  menege  Nib.  1916  und  Rabene  :  degene  Bit.  4749.  Das  sind 
also  wol  die  eigentlichen  säulen,  auf  welchen  Bartschs  bestim- 
mung  der  abfassungszeit  dieser  beiden  werke  ruht.  Dabei  ist 
es  nun  schon  ein  merkwürdiger  v>äderspruch,  dass  Bartsch 
gerade  besonders  in  den  assonanzen  auf  Hagene  einen  grund 
sieht,  der  dazu  zwingt,  die  eutstehungszeit  des  Nibelungenliedes 
bis  über  1150  zurückzuschieben  und  doch  die  Klage,  in  der  sie 
auch  nicht  ganz  fehlen,  um  1170  setzt.  Und  den  Bitorolf  wird 
er  doch  vermutlich  wenigstens  nicht  früher  als  die  Klage 
setzen.  Ich  weiss  nicht,  ob  Bartsch  auch  den  Laurin  bis  über 
die  mitte  des  12.  Jahrhunderts  zurückziehen  will.  Hier  finden 
sich  auch  dreisilbige  ungenane  reime:  b'iderbc  :  widere  647; 
hrünege  :  meiiege  1465    und   mit   doppelter  ungenauigkeit   ohene 


434  PAUL 

;  voQcle  21V).  Wcuii  mm  in  den  andern  volksepeu  keine 
solclicn  iissoiiiinzen  zn  i'inden  sind,  so  ist  znnäclist  zn  l)eräek- 
sii'litiucn,  dass  sie  in  den  nnv  stnnipf  reimenden  werken, 
■\vie  Ali)hart,  den  Wolfdictrielien  und  den  Rosengärten  iiber- 
]iau])t  nicht  vorkommen  können,  ferner  dass  der  name  Ilagene, 
auf  den  sie  im  Nibelungenliede  und  in  der  Klage  ausschliess- 
lich (auch  im  liit.  nur  mit  zwei  ausnahmen)  vorkommen,  in 
den  andern  gedichten  keine  so  hervorragende  rolle  spielt  oder 
gar  nicht  vorkommt.  Ich  bin  nun  wenigstens  in  der  läge,  aus 
einem  werke,  das  nicht  in  den  kreis  der  deutschen  heldensage 
gehört,  ein  beispiel  dreisilbigen  reimes  mit  doppelter  cousonau- 
tischer  ungenauigkeit  nachzuweisen.  In  Irregang  und  Grirregar 
(Gesammtabenteuer  LV),  einem  gedichte,  welches  nach  vcvsbau 
und  spräche  wa,hrscheiulich  noch  dem  13.  jahrliundert  angehört 
und,  wenn  mau  die  mitteldeutschen  si)racheigenheiten  berück- 
sichtigt, sonst  ziemlich  rein  gereimt  ist,  assoniert  1367  zesamene 
:  gademe,  ein  reim,  der  nocli  um  eine  kleinigkeit  freier  ist  als 
Hagene  :  gademe  und  Hagene  :  zesamene.  Vielleicht  wird  sich 
noch  mehr  dergleichen  nachweisen  lassen.  Doch  dies  eine  bei- 
spiel genügt,  um  die  möglichkeit  eines  solchen  reimes  im  13. 
und  vollends  am  Schlüsse  des  12.  Jahrhunderts  festzustellen. 
Und  ist  die  häufung  zweier  consouantischer  ungenauigkeiten 
statthaft,  warum  nicht  auch  ein  paar  mal  die  combinatiou 
einer  vocalischen  mit  einer  cousonantischeu  ?  ^) 

Die  Prüfung  der  im  Nibelungenliede  und  in  der  Klage, 
sowie  im  Bitcrolf  nachweisbaren  assonanzen  hat  also  ergeben, 
dass  darunter  höchstens  ein  paar  vereinzelte  sind,  die  nicht 
vollkommen  entsprechende  analogieen  in  gedichten  des  13.  Jahr- 
hunderts haben,  und  dass  ancli  diese  kaum  freier  sind  als  die 
durch  solche  analogie  gestützten.  Gewis  dürfte  eine  um  einen 
geringen  grad  grössere  freiheit  schon  nicht  aufi^illen  bei  einem 
gedichte,  das  etwa  um  1190  verfasst  wäre,  also  zu  einer  zeit, 
wo  die  höfischen  dichter  erst  eben  zu  der  für  das  13.  Jahrhun- 
dert normalen  reimtechnik  übergegangen  waren.     Der  abstand, 

']  Eine  einfache,  nicht  eine  doppelte  cousonan tische  ungenauigkeit 
sehe  ich  in  Hagene  :  menege\  denn  es  sind  ein  und  dieselben  consonan- 
teii,  nur  in  umgekehrter  reihenfolge.  Ich  kann  daher  auch  Bartsch 
(s.  357)  nicht  lieissiiuinien,  dass  dieser  reim  viel  freier  ist  als  Rahene 
:  degeiie. 


ZUR  NIBELUNGENFEAGE.  435 

der  noch  später  zwischen  den  volksepeu  und  der  höfischen 
dichtung-  besteht,  lehrt  uns,  dass  wir  das  Nibeiimgenlied  nicht 
ohne  weiteres  mit  demselben  masse  messen  können  wie  gleich- 
zeitige ritterliche  und  geistliche  dichtungen.  Den  eigentlichen 
massstab  müssen  die  ungefähr  gleichzeitigen  oder  wenig  jün- 
geren gedichte  aus  der  deutschen  heldensage  geben,  und  da 
hat  sich  Bartsch  mit  einem  gewaltstreich  zu  helfen  gewust,  in- 
dem er  ihre  abfassung  gleichzeitig  mit  der  des  Nibelungen- 
liedes zurückschiebt. 

Die  chronologische  bestimmung  Bartsch»  imponiert  auch 
nur  dadurch,  dass  sie  sich  mit  auf  die  andern  von  ihm  her- 
gestellten reime  stützt.  Ich  habe  die  willkürlichkeit  dieses 
Verfahrens  bereits  gekennzeichnet.  Es  ist  nicht  nur  unerwie- 
sen, dass  reime  wie  tväi- :  getan,  inan  :  sal ,  lernt:  halt ,  (jerne 
:  herren,  quämen  :  mägen,  degen  :  gesehen,  daz  :  was ,  saz  :  ge- 
schach,  wät  :  gespart,  dienest  :  liehe,  Itaben  :  leben  ^)  etc.  im  ori- 
ginale gestanden  haben,  sondern  es  ist  sogar  mindestens  deren 
häufigeres  vorkommen  im  höchsten  grade  unwahrscheinlich. 
Denn  sonst  wäre  unbedingt  zu  erwarten,  dass  sie  auch  öfters 
durch  kreuzuug  heistellbar  wären,  was  auch  nicht  ein  einziges 
mal  der  fall  ist.  Umgekehrt  aber  spricht  der  umstand,  dass 
durch  kreuzung  sich  nur  solche  reime  ergeben,  die  in  gedich- 
ten  des  13.  Jahrhunderts  ihre  analogieen  finden,  wider  auf  das 
entschiedenste  dafür,  dass  die  möglichkeit  der  kreuzuug  nicht 
auf  Zufall  beruht.  Wenn  die  dem  originale  angehörigen  reime 
auf  Hagene  sich  niemals  durch  kreuzung  eigeben,  so  ist  das 
sehr  begreiflich.  Der  name  Hagene  war  dabei  für  den  Zusam- 
menhang unentbehrlich ,  und  so  muste  sich  naturgemäss  die 
änderung  auf  die  zeile  richten,  in  welcher  er  nicht  stand. 

Mit  einigen  Worten  muss  ich  noch  die  altertümlichen  im 
reime  vorkommenden  formen  besprechen.  Es  sind  dies  erstens 
die  participia  auf  dt.  Diese  sind  noch  das  ganze  13.  Jahr- 
hundert und  selbst  noch  im  14.  gebräuchlich  (vgl.  Weinh.  al. 
gramni.  313.  W.  Grimm,  über  Freidank  s.  17),  und  zwar  nicht 
Idoss  bei  alamannischcn,  sondern  auch  bei  bairischcn  und 
österreichischen  dichtem,   z.  b.  gesatelöt  Wigamur  18'',  erarnöt 


')  Einigo  vüii  denselben  stehen  übrif^cns  ;uich  bei  Wolfram  und  in 
den  späteren  gedickten  aus  der  deulsclien  heldensage. 


4:{t)  PAUL 

Eneiikcl,  Haupts  zeitschr.  5,  278.  Bartsch  bemerkt  dazu:  'wo 
aber  wie  beim  Nibeluugenliede  alles  auf  das  12.  Jahrhundert 
als  die  ent?tchuu:;szoit  hinweist,  da  werden  auch  solche  reime 
als  restc  des  ursi)riinglichen  textes  gellen  dürfen,  die  nur  des- 
wegen von  den  bearbeitern  nicht  entfernt  wurden,  weil  der- 
gleichen auch  zu  ihrer  zeit  noch  vorkam.'  Heisst  das  nicht 
sich  selbst  und  den  lesern  etwas  vormachen,  wenn  man  dinge 
als  beweise  vorbringt,  die  eiugestandeuermasseu  gar  uiclits  be- 
weisen? In  dieselbe  kategorie  gehören  die  von  Bartsch  gleich- 
falls geltend  gemachten  reime  mmnlst  :  Ust  Kl.  1729  und  suo- 
chunile  :  stunde  Kl.  2501.  Der  erstere  reim  findet  sich  nicht 
nur  ebenso  wider  Bit.  8453,  sondern  hat  auch  seine  aualogieen 
bei  viel  späteren  dichtem,  Ottokar  und  dem  Teichuer  (vgl. 
bair.  gramm.  s.  247),  und  die  Schreibung  ist  findet  sich  im 
bairischen  bis  in  die  späteste  zeit  (vgl.  ib.)  und  ist  auch  im 
alemannischen  nicht  sobald  ausgestorben  (vgl.  al.  gramm. 
s.  243).  Participia  auf  -unde,  die  übrigens  gar  nicht  altertüm- 
lich sind,  reimen  nicht  bloss  Bit.  6533,  sondern  auch  Rab.  324. 
438  und  anderwärts.  Die  Schreibung  unde  ist  in  bairischen 
wie  alemannischen  quellen  nickt  selten  und  dauert  in  ersteren 
bis  in  das  17.  Jahrhundert  (vgl.  bair.  gr.  s.  294).  Es  bleibt 
nur  ein  reim,  bei  dem  ein  kleines  bedenken  sein  könnte:  vor- 
derost  :  tröst  Mb.  1466,  1.  1957,  2.  Superlative  auf  -ost  sind 
im  alemannischen  noch  im  13.  und  14.  Jahrhundert  nachzu- 
weisen, das  bairische  dagegen  scheint  -ist  vorzuziehen.  Sehen 
w^ir  davon  ab,  dass  im  Bit.  zweimal  derselbe  reim  vorkommt, 
so  wird  es  erstens  wol  noch  einer  genauem  Untersuchung  be- 
dürfen, ob  wirklich  -ost  im  bairischen  nach  dem  12.  Jahrhun- 
dert gar  nicht  meiir  nachweisbar  ist ,  und  zweitens  ist  für  die 
gewöhnlich  als  feststehende  tatsache  betrachtete  abfassung  des 
Ni])elungenliedcs  in  Oesterreich  noch  nicht  der  geringste  zwin- 
gende grund  beigebracht,  während  die  von  Zarucke  (Berichte 
der  Sachs,  gesellsch.  d.  wissensch.  VlII,  211)  für  Tirol  vor- 
gebrachten gründe  mindestens  sehr  probabel  sind.  Die  Infini- 
tive auf  -an  endlich  sind  von  Bartsch  und  Edzardi  ganz  will- 
kürlich construiert. 

Bedeutendes  gewicht  legt  Bartsch  noch  auf  die  ungenauen 
inureime.  Er  gi))t  eine  Zusammenstellung  derselben  s.  54  If. 
Dabei   hat    er    aber    ausser    acht  gelassen,    dass  eine   anzahl 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  437 

solcher  uiig-euaueR  reime  sicli  in  jedem  grösseren  werke  in 
langzeilen  mit  notwendigkcit  ganz  zufällig  ergeben  müssen. 
Zum  beweise  stelle  ich  die  assonanzen  aus  einem  gedichte, 
welches  sicher  dem  13.  Jahrhundert  angehört  und  ziemlich 
genau,  genauer  als  die  übrigen  werke  aus  der  deutschen  helden- 
sage  reimt,  dem  Oitnit  zusammen.  Ich  gebe  zunächst  diejeni- 
gen, die  den  von  Bartsch  aus  dem  Nibelungenliede  angeführten 
genau  entspi'cclien ,  indem  ich  mich  in  der  reihenfblge  an  ihn 
anschliesse :  nähen  :  harkenäre  252,  1;  järe  :  sere  515,  1;  kleine 
:  heiden  326,  1.  410,  1.  411,  3;  heiden  :  gestehie  500,  1;  Ortrii- 
dcn  :  hc'tden  44S,  3;  linde  :  stemmende  83,  3;  gevllde  :  weide 
520,  1;  mere  :  herre  13,  3;  verborgen  :  erge  484,  3;  kinden:  ge- 
winnen 574,  3;  ringe  :  inne  113,  3;  müre  :  küme  267,  1;  frouwen 
:  ougen  475,  1.  52S,  1;  liuge  :  trinwe  130,  3;  funden  :  tvunder 
\,  1;  Kerlingen  :  inder  253,  1;  winder  :  minne  59,  3.  Dazu 
kommen  folgende,  die  Bartsch  gewis  den  aus  dem  Nibelungen- 
liede angeführten  gleich  stellen  wird:  sähen  :  genauen  bll,  1; 
helde  :  selbe  39,  3 ;  wellen  :  selben  443,  1 ;  golde  :  vollen  43,  3 ; 
ringe  :  willen  51,  3;  Bönavente  :  senden  48,  3;  maoter  :  guote 
161,  1;  kleine  :  leider  344,  1;  gewinnen  :  nimmer  351,  3;  küni- 
ginne  :  nimmer  58S,  3;  umhevangen  :  andern  315,  1 ;  brinnet :  ringe 
200,  3;  muotesl  :  guoles  121,  1;  Lamparten  :  barkcn  294,  3; 
scharten  :  samten  303,  1;  mere  :  müre  254,  1;  ere  :  ävenliure 
575,  3;  grüene  :  schöne  84,  1;  muo t es t  :  tretest  496,  3;  huoten 
•.Meten  292,  1;  dienen  :  kleine  271,  3;  g  esteine  :  wcenen  499,  3; 
zerbreite  :  he ten  364,  3;  offen  :  entsläfen  261,  1;  lihte  :  rehte 
549,  1;  wlrme  (=  werme)  :  wurmen  498,  3;  drangen  :  ringe 
323,  1;  brunne  :  riytge  177,  1;  geste  :  brüsten,  383,  3;  swerten 
:  Lamparte  458,  1;  gewinnen  :  henden  591,  3.  Das  sind  im 
ganzen  49  reime  auf  597  Strophen.  Aus  dem  Nibelungenliede, 
Avelches  in  B*  2379  Strophen  hat,  also  beinahe  vier  mal  so 
viel,  zählt  Ikirtsch  132  auf.  Es  ergeben  sich  also,  falls 
Bartschs  Zusammenstellung  vollständig  ist,  im  Ortnit  sogar 
verhältnismässig  nicht  unbeträchtlich  mehr.  Es  könnten  daher 
immer  noch  einige  von  den  angeführten  ausgeschieden  werden, 
so  bliebe  doch  das  resultat  stehen,  dass  Bartschs  schluss  mit 
demselben  rechte  auf  den  Ortnit  augewendet  werden  könnte. 
Es  kommen  übrigens  noch  mehr  assonanzen  vor,  die  noch 
freier  sind,  die  ich  aber  zunächst  bei  seile  gelassen  habe,   da 

Beiträge  zur  gcschichte  der  deutschen  spräche.    \\\.  29 


438  PAUL 

ich  nicht  uachgepriift  luibe,  oh  sie  nicht  :iiicli  im  Niheliuigen- 
liodo  vovkonuncu  und  von  Dartsch  ahsichtlich  bei  scite  ge- 
lassen sind:  yrözeu  :  Inlen  IM 5,  3 ;  Uinze  :  Hute  349,  1;  fllezen 
:  kiele  42,  1;  gehelzen  :  Lleinc  MO,  ;>;  ;  beine  147,  3;  jcii^e  :  wäfen 
540,  1;  Lamparie  :  holde  131,  3;  sileti  :  härmlcltchcn  Gäl,  3; 
senden  :  manne  499,  1;  Cecilje  :  (jedhifje  11,  1;  Garte  :  vasle 
19G,  3;  burcUlen  :  llule  3G3,  1;  geljuitet  :  strlte  10  J^  3;  Ixfune 
:  frouwen  336,  1;  ungefücge  :  kutne  492,  3;  sclucne  :  gelouhen 
398,  1 ;  sduvnc  :  juncfrouwe  398,  2 ;  wUe  :  liehen  405,  3  ;  lieher 
:  gcche  136,  1;  scheene  :  steine  97,  3;  hulgen  :  goldes  509,  ]• 
gezieret  :  diene  182,  3;  hende  :  überwindest  142,  3;  her  gesellen 
:  nnvermeldet  120,  1  ;  lebende  :  werilde  507,  3;  himele  :  inne  579, 
1.  Man  vergleiche  nocli  die  zusaiumenstellungeu  von  unge- 
nauen inreinien,  die  Martin  aus  der  Gudrun  s.  X  und  Jänicke 
aus  Wolfdietr.  s.  VIII  gegeben  haben,  avo  aiier  nur  die  leich- 
testen ungenauigkeiten  aufgeluhit  sind. 

Für  die  frage,  um  die  es  sich  für  uns  hier  handelt,  ist  es 
gleichgültig,  ob  wir  annehmen,  dass  die  assonanzen  vom  dichter 
beabsichtigt  sind,  oder  ob  wir  annehmen,  dass  sie  sich  ihm 
ganz  zufällig  ergeben  haben.  Im  ersteren  falle  könnte  man 
nur  vielleicht  geltend  machen,  dass  die  zahl  der  reinen  inreime 
im  Ortuit  verhältnismässig  grijsser  ist  als  im  gemeinsamen 
texte  des  Nibelungenliedes,  und  dass  die  zahl  der  unreinen 
nicht  entsprechend  grösser  ist.  Ganz  reine  inreime  stehen  im 
Ortnit:  27,  1.  34,  1.  52,  2.  81,  1.  84,  3.  86,  1.  94,  1.  127,  1. 
154,  1.  170,  3.  247,  1.  250,  1.  380,  3.  401,  1.  448,  1.  454,  1. 
575,  1.  597,  3;  solche,  in  denen  nur  das  auslautende  n  nicht 
beachtet  ist:  77,  3.  252,  3.  302,  1.  308,  1.  377,  1.  477,  1. 
521,  3,  im  ganzen  25.  Im  Nibelungenliede  haben  B*  und  C* 
gemeinsam  46  ganz  reine  oder  nur  in  bezug  auf  das  aus- 
lautende n  ungenaue  reime.  Ziemlich  viele  hat  jede  von  bei- 
den recensionen  ausserdem  für  sich,  von  denen  doch  einige 
dem  originale  angehört  haljen  werden.  Wenn  man  danach 
auch  vielleicht  sagen  könnte,  dass  im  Verhältnis  zu  den  ge- 
nauen inreimen  die  zahl  der  ungenauen  im  Ortnit  etwas  ge- 
ringer ist  als  im  Nibelungenliede,  so  würde  das  doch  keinen 
wesentlichen  unterschied  machen.  Es  bliebe  immer  die  tat- 
sache  i>estehcn,  dass  ein  im  ausgang  des  Averses  ziemlich  ge- 
nauer  dichter   des    13.  Jahrhunderts   kein    bedenken    getragen 


ZUR  NIBELÜNGENFKAGE.  439 

hätte,  sich  iu  der  cäsur  vieler  auffallender  assonanzen  zai  be- 
dieueu,  und  daraus  würde  folg-eu,  dass  mau  von  deu  cäsur- 
reimeu  keinen  sehluss  auf  die  endreime  und  auf  die  abfassuugs- 
zeit  machen  darf. 

Weit  wahrscheinlicher  aber  ist  es,  dass  die  assonanzen 
mindestens  zum  bei  weiten  g-rösten  teile  zufällig  sind  und  in 
der  reg-el  wol  weder  vom  dichter  noch  von  seinen  zuhöreru 
und  lesern  bemerkt.  Dass  es  ein  dichter  mit  einem  überflüssi- 
gen schmuck  des  verses  nicht  ganz  so  genau  nimmt  als  mit 
dem  notwendigen,  ist  begreiflich ;  aber  ein  solcher  abstand,  wie 
er  im  Ortnit  zwischen  der  behaudlung  des  reimes  im  Innern 
und  der  im  sehluss  des  verses  bestehen  würde,  wäre  doch  un- 
glaublich. Es  würde  sich  wol  auch  durch  wahischeinlichkeits- 
rechnuug  erweisen  lassen,  dass  in  jedem  grösseren  in  lang- 
zeilen  abgefassten  gedichte  eine  nicht  ganz  kleine  zahl  von 
ungenauen  reimen  zu  erwarten  ist.  Es  gibt  eine  methode,  wo- 
durch sich  die  Wahrscheinlichkeitszahl  für  das  Nibelungenlied 
wie  für  den  Ortuit  genau  feststellen  Hesse.  Die  berechnung 
würde  aber  einen  so  grossen  Zeitaufwand  erfordern,  dass  ich 
hier  darauf  verzichte.  Icii  \vill  daher  einen  andern  weg  ein- 
schlagen, der  zwar  nicht  zu  exacten  rcsultatcn  führt,  al)cr  doch 
eine  ungefähre  \orstellung  gelten  kann.  Wir  haben  im  mittel- 
hochdeutschen, wenn  wir  die  umlaute,  die  ja  liartsch  bei 
seineu  reimansetzungen  als  nicht  vorhanden  betrachtet,  15 
vocale  a,  e,  i,  o,  ic,  ä,  e,  l,  ö,  ü,  ei,  le,  ou,  uo,  iu.  Kämen  die- 
selben alle  gleich  häufig  vor,  so  würde  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  iu  den  cäsuren  zweier  aufeinander  folgender  verse  der- 
selbe vocal  steht,  in  jedem  einzelneu  falle  =  Vis  sein.  Das 
Nibelungenlied  hat  in  der  recension  B*  2379  Strophen  oder 
4758  verspaare.  In  diesen  zusammen  wäre  also  vocalgleich- 
heit  in  der  cäsur  zu  erwarten  in  ^'^^^/is  =  317,2  fällen.  Nuu 
ist  aber  die  häufigkeit  des  Vorkommens  der  einzelnen  vocale 
eine  sehr  verschiedene.  Durch  diese  verschiedenlieit  aber 
muss,  wie  sich  mathematisch  beweisen  lässt,  die  Wahrschein- 
lichkeit noch  erhöht  werden,  so  dass  die  angegebene  zahl  nur 
das  minimum  ausdrückt.  Vocalgleichheit  ist  nun  freilich  noch 
nicht  genügend  zur  assonanz.  Ein  zweites  erfordernis  ist,  dass 
einfache  consoiinnz  mit  einfacher,  doppelte  mit  doj)pelter  zu- 
sammeutriU't.     Wegen  dieser  forderung  wird  höchstens  olwa  ein 

2'J" 


440  PAUl: 

sechstel  der  lalle  als  imbiauclibar  ausg-escliieden  werden. 
Denn  nach  kiuzeiii  vocal  iiiiiss  iumier  doppelconsonanz  folgen, 
nach  lanj;eui  ist  die  einlache  sehr  überwiegend,  und  die  ein- 
lachen langen  vocalc  können  vor  der  doppelconsonanz  unbe- 
denklich mit  den  ents})iechen(len  kurzen  reimen,  wodurch  wider 
ein  teil  des  ausfalls  gedeckt  wird.  Es  gehen  dann  ferner  die- 
jenigen fälle  ab,  in  denen  der  ausgaug  des  ersteu  halbverses 
statt  eines  tonlosen  e  einen  voUtiJuenden  vocal  enthält.  Dann 
aber  ist  hauptsächlich  nur  noch  eine  bediugung  erforderlich, 
dass  weiche  mit  weicher  und  harte  mit  harter  consonanz  zu- 
sammentrifft. Wenn  man  dann  auch  noch  weiter  die  härtesten 
Verbindungen  ausscheidet,  so  \Yird  voraussichtlich  doch  immer 
noch  eine  nicht  unbeträchtliche  auzahl  überbleiben.  Damit 
hätte  man  die  cousonantisch  ungenauen  reime.  Es  kommen 
also  noch  die  vocalischen  uugeuauigkeiten  hinzu. 

Für  den  zufall  spricht  ferner,  dass  sich  ungenaue  reime 
auch  zwischen  den  cäsuren  des  zweiten  und  dritten  verses 
der  Strophe  nachweisen  lassen.  Dergleichen  kann  ich  aus  den 
ersten  SOO  Strophen  des  Nibelungenliedes  nach  ß*  folgende 
verzeichnen :  zweifle  :  helfen  59  i) ;  sorgen  :  solden  67 ;  verdienen 
:  küene  101;  eilen  :  wählen  113;  versinne  :  iemen  147;  leiten :  riten 
172;  behüeten  :  geriten  175;  strlte  :  hluote  201;  hurte  :  sw er len 
202;  sculden  :  vergolten  249;  enheine  :  schoene  326;  eren  :  fixeren 
339;  mcere  :  hei're  386;  schiezen  :  Verliesen  425;  willen :  küncginnc 
426;  strlten  :  slden  434;  eigen  :  eide  49S;  erfunden:  schulde  500; 
Prünhilde  :  gesinde  541;  inne  :  diene  654;  scallen  :  solden  657- 
zefüeren  :  unge fliege  670;  besunder  :  künden  743;  winder  :  sune- 
wenden  751;  mcere  :  gestehen  753;  kömea  :  schcene  769;  under- 
tänen  :  Pfannen  111.  Das  sind  im  ganzen  27,  wonach  für  das 
ganze  lied  etwa  SO  zu  erwarten  wären,  welche  zahl  wir  ver- 
doppeln müsten,  um  sie  den  132  cäsurreimen  von  Bartsch 
gegenüber  zu  stellen.  Es  können  also  immer  noch  einige  der 
stärksten  uugeuauigkeiten  ausgeschieden  werden,  und  wir  be- 
halten für  die  reime  der  zweiten  auf  die  dritte  zeile  noch  die 
gleiche  zahl  wie  für  die  erste  auf  die  zweite  oder  die  dritte 
auf  die  vierte.  Und  ebenso  lässt  sich  ein  Verzeichnis  von 
assonanzen  der  vierten  zeile  auf  die  erste  der  folgenden  strophe 


')  Ich  citieiu  hier  der  bequemlichkeit  halber  nach  Bartsch. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  441 

machen,  wo  mm  vollends  nicht  an  absieht  zu  denken  ist: 
degene  :  megede  3.  4 ;  rvtire  :  eren  12.  3 ;  vremeden  :  swcrtdegene 
29.  30 ;  künde  :  envinden  52.  3 ;  wellen  :  gewerren  54.  5 ;  enge- 
gene  :  Ilagene  102,  3;  wcrlde  :  helden  134.  5;  genämen  :  wären 
16G.  7;  Dancwarle  :  Tenc marke  201.  2;  eren  :  mcere  245,  (>;  ge- 
sinde  :  Schilde  252,  3;  küenen  :  f Heren  335.  65  wunder  :  lande 
363.  4;  helden  :  golde  365.  6;  gewcefen  :  wären  366.  7;  />^<r^e 
;  turne  403.  4;  fürhlen  :  zühte  414.  5;  erwerben  :  werfen  424.  5; 
küncginne  :  hende  453.  4;  sprunge  :  ergangen  464.  5;  Ilagene 
:  edele  468.  9;  wm^e  :  schiere  545.  6;  scaffwre  :  gere  563.  4; 
gezieret  :  inere  572.  3;  ervinde  :  minne  635.  6;  handen  :  balde 
641,  2;  w/^6'  ;  morgen  684.  5;  ^ray^?  ;  nämen  700.  1 ;  balde :  sohle 
702.  3;  g es inde  :  bringen  709.  10;  senden  :  kü;neginne  731.  2; 
w?««er  :  gcsinde  11  \.  5;  gesinde  :  inne  800.  1  etc.  Es  wird  nach 
dem  angeführten  überflüssig  sein,  diese  beobachtungen  durch 
das  ganze  gedieht  durchzuführen.!) 

Ich  will  übrigens  nicht  bestreiten,  dass  vielleicht  einige 
unter  den  von  Bartsch  aus  dem  Nibelungenliede  und  von  mir 
aus  dem  Ortnit  angeführten  reime  als  solche  empfunden  sein 
mögen,  gewis  aber  nur  diejenigen,  die  allenfalls  noch  im  vers- 
schluss  hätten  angewaut  werden  können.  Jedenfalls  ist  es  ab- 
solut ungerechtfertigt,  die  Verhältnisse  im  Nibelungenliede  an- 
ders zu  beurteilen  als  im  Ortnit  und  den  andern  späteren  ge- 
dichten.  Bartsch  bemerkt  s.  59:  'Man  wird  solche  ungenaue 
mittelreime  vereinzelt  auch  in  gedichten  finden,  die  entschieden 
einer  späteren  zeit  angehören;  aber  beim  Nibelungenliede, 
dessen  entsteh ungszeit  im  12.  Jahrhundert  nicht  bezweifelt 
wird  (?),  dürfen  sie  als  nicht  zu  unterschätzende  Zeugnisse  für 
die  ältere  form  geltend  gemacht  werden.'  Das  ist  wider  nichts 
als  ein  reiner  zirkelschluss. 


')  Zum  beweise  dafür,  dass  auch  reine  reime  ganz  zufällig  entstehen 
liönnen,  führe  ich  aus  den  ersten  800  Strophen  folgende  der  zweiten  und 
dritten  zeile  an:  lande  :  brande  176;  tamden  :  wunden  254;  swcere  :mcere 
705;  lülerliche :  geliche  2S3;  Prün/iitde  :  J&iem/iilde  610).  Dazukommen 
die  der  vierten  und  ersten  zeile:  scanden :  lianden  232.  3;  nche :  vint- 
liche  801.  2;  beivhcn  :  ?vhe  340.  1.  Kaum  als  mögliche  reime  können 
betrachtet  werden  J^ibe/unr/e  :  Nibelungen  87  und  beide  :  beiden  251.  2. 
Diese  Wahrnehmung  kann  jedenfalls  einiges  zur  beurteilung  von  Lach- 
mauns  liederkritik  beitragen. 


11:^.  rAUL 

Icli  glaube  alle  aus  den  reimen  cnlnojuniencn  an;uniente 
IJavtsciis  IVn-  die  alilhssiin,:;'  des  Nibeliiniienliedes  vor  1150  und 
der  Klag-e  um  1170  umvidersprccldjar  zuriickgewieycn  7ai  haben. 
Es  zwingt  nichts  dazu,  ja  es  ist  nicht  erlaubt  die  entstehung 
der  gedichte  weiter  als  etwa  bis  1190  oder  hüclistcns  ganz 
wenig  darüber  hinaus  zurückzuschieben.  Eine  beschränkte 
zahl  von  ungenauen  reimen  musten  wir  allerdings  dem  origi- 
nale zuweisen  und  den  bearbeitern  das  bestreben,  dieselben  zu 
beseitigen.  Aber  in  diesen  ungenauigkeitcn  erkannten  wir 
nicht  sowol  zeichen  des  alters  als  des  volksmässigcn  Ursprungs, 
in  der  voUkommneren  reimtechnik  der  bearbeitcr  niciit  sowol 
einen  erst  nach  der  abfassung  der  beiden  gedichte  gemachten 
fortschritt,  als  eine  anbe(iuemuug  an  die  strengem  formen  der 
höfischen  knnst.  Wie  uns  Wolfram  ein  chronologisch  fest- 
stehendes beispiel  dafür  war,  dass  ein  dichter  im  anscbluss  an 
das  volksepos  sich  noch  manche  assonanzon  erlaubt,  während 
fast  alle  seine  höfischen  Zeitgenossen,  selbst  die  etwas  älteren^ 
sich  schon  grosser  reimgenauigkeit  befleissigon,  so  liefern  die 
handschriften  seiner  Averke  die  besten  belege  dafür,  dass  der 
verbreitete  höfische  geschmack  bemüht  war,  diese  nicht  alten, 
sondern  nur  volksmässigcn  assonauzen  zu  beseitigen.  Parz. 
531,  1  ist  das  richtige  dem  p  für  de  tvas  der  rücke  krnmp:  woer 
drüf  ergangen  da  sin  sprunc.  So  haben  Gdgg;  dazu  vergleiche 
man  die  Varianten :  kruinp]  clirumj»  unde  /mich  D,  J/mg  d.  Do 
was  das  ji/'o'rdelhi  so  chranch  Daz  er  drnf  niht  cn  spranch  g. 
385,  7  der  starke  rarine  scha/t,  durch  den  schilt  in  dem  arme 
er  brast]  so  hat  d,  nur  das  er  fehlt;  D  stellt  genauen  reim  her, 
indem  sie  brast  in  gehaft  ändert;  =  Ggg  helfen  sich,  indem 
sie  zwischoi  7  und  8  einschieben  JJ'art  da  getrihen  mit  hiu  le- 
chraft  Daz  tet  Gawan  der  werde  gast.  397,  15  Ohilot  des 
weinde  vil:  si  sprach  'nu  füert  mich  tnit  iu  hin]  so  hat  nur  D; 
d  liest  in  z.  16  Sü  sprach  ?nit  üch  ich  hinnen  wil]  =  Ggg  erwei- 
tern die  zwei  zeilen  zu  vieren:  Daz  was  old/ofe  Zeit  li'an  si 
groz  weinen  niht  vermeit  Do  sprach  si  herre  sit  ich  bin  Iwer 
so  /'uoret  ?)iich  tnit  iu  hin.  Vgl.  noch  Wh.  241,  27  und  die 
stellen,  wo  ein  auslautendes  n  im  reime  niclit  beobachtet,  wor- 
über diese  beitr.  II,  329.  Ebenso  Hessen  sich  ans  den  hss. 
anderer  werke  des  13.  jahrhnnderts,  in  denen  einzelne  asso- 
nanzen  vorkommen,  belege  für  die  tendenz  zur  beseitigimg  der- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  443 

selben  anführen.  Ziiii,'leicli  können  wir  daran  aiieli  die  inconse- 
quenz  der  besserer  erkennen.  So  liaben  wir  also  aucli  die 
tätiy-keit  der  1iearl)eitcr  im  Nibelun2,-enliedc  und  in  der  Klage 
aufzufassen,  nur  dass  es  hier  wahrsclieinlich  etwas  mehr  zu 
beseitig'cn  gab.  Und  wenn  in  diesen  beiden  g-edichten  ein 
grösserer  proccutsatz  der  ungenauen  reime  beseitigt  ist  als  in 
Wolframs  werken,  so  liegt  das  wol  daran,  dass  sie  auch  in 
andern  l)ezichungen  tiefgreifende  Umarbeitungen  erfahren  haben. 
Die  rcimcoireciur  war,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  der  allei- 
nige und  nicht  der  vorhersehende  bestimmungsgrund  für  die 
bearbeite!'.  Vielleicht  erst,  weil  aus  andern  gründen  die  be- 
arl)ciiungcn  unternommen  wurden,  geschali  es,  dass  man  auch 
die  reime  einer  gründlichen  revision  unterzog. 

lieber  den  rührenden  reim  muss  ich  noch  einige  bemer- 
kungen  anknüpfen.  Auch  in  diesem  sieht  Bartsch  an  nicht 
ganz  wenigen  stellen  das  motiv  für  die  ab  weichungen  von  B* 
und  C*;  vgl.  Untersuchungen  s.  177  ff.  Es  beruht  diese  an- 
nähme auf  keiner  vollkommen  gesicherten  grundJage.  Denn 
erstens  enthält  auch  der  gemeinsame  text  noch  eine  anzahl 
rührender  reime.  Zweitens  nimmt  Bartseh  au  manchen  stellen, 
wo  ihn  nur  die  eine  recensiou  hat,  beseitigung  einer  assonanz 
an,  und  zwar  zum  teil  wol  mit  recht;  dann  aber  wäre  der 
rührende  reim  erst  vom  l)earbeiter  eingesetzt,  und  daraus 
müste  man  schliessen,  dass  ihm  diese  reimart  nicht  durchaus 
anstössig  erschienen  wäre.  Drittens  haben  wir  oben  s.  397.  402. 
406  gesehen,  dass  in  den  einzelnen  hss.  erst  durch  äudcruug  rüh- 
rende reime  entstanden  sind.  Dagegen  ist  auf  der  andern  seite 
in  bctraclit  zu  ziehen,  dass  doch  die  zahl  der  rührenden  reime 
in  den  einzelnen  recensionen  im  Verhältnis  bedeutend  häufiger 
ist  als  im  gemeinsamen  texte,  dass  zweitens  sich  oft  aus  der 
beseitigung  des  rührenden  reimcs  eine  einfache  erklärung  der 
abweichung  ergibt,  wo  gar  kein  anderer  grund  dafür  aufzu- 
finden ist,  und  dass  drittens  die  teudenz  zur  beseitigung  in 
einzelnen  hss.  an  verschiedenen  stellen  unverkennbar  ist.  Be- 
lege dafür  hat  Bartsch  angeführt.  Ich  füge  dazu  noch  einige. 
327,  2  ändert  nicht  bloss  A,  sondern  auch  abweichend  I  lohe- 
sam  {: getan),  so  dass  hier  dem  änderer  die  assonanz  weniger 
anstössig  gewesen  zu  sein  scheint  als  die  gleichheit  der  reim- 
wörter.     509,   2    hat   d   dieselbe    änderung   wie   AI.     2250,  3 


444  PAUL 

Dieterich :  rieh  {lobeUcli  I).  Dieselbe  beobachtuiig-  kann  man  in 
den  liss.  vieler  andern  werke  maclien.  Es  dürfte  daher  wol 
in  den  meisten  lallen  die  annähme,  das«  der  i-Uhrende  reim 
das  urs])riingli('he  sei,  gerechtfertigt  erselieincn.  Damit  aber 
ist  ein  neuer  beAveis  für  Barlsclis  aufifassung  des  handscbriften- 
verliältnisses  gegeben.  Aber  für  das  alter  beweisen  wider  die 
rührenden  reime  nichts.  Selbst  bei  Ileinmar  und  Walther  fin- 
den sich  solche,  welche  nach  dem  strengeren  gebrauch  iucorrect 
sind,  vgl.  diese  beitrage  II,  540.  ',\')\.  In  den  volksepcu  sind 
rührende  reime  sehr  gebräuchlicli,  vgl.  die  einleitungen  zum 
heldcnbuch  1,  XII.    2,  XXXII.     3,  LX.    5,  XVII. 

Ich  könnte  nun  nocli  vielleicht  das  verfahren  Bartschs  im 
einzelnen  prüfen  und  untersuchen,  inwieweit  sich  an  den  stellen, 
wo  er  im  reime  den  anstoss  findet,  andere  motive  zur  än- 
dcrung  aufdecken  lassen.  Indessen  ist  hierüber  schon  so  viel 
von  den  verschiedensten  Standpunkten  aus  geschrieben,  dass 
icli  in  der  regel  auf  schon  früher  vorgebrachtes  zurückkommen 
müste,  und  in  den  meisten  fällen  würde  sich  doch  nur  eine 
subjective  Wahrscheinlichkeit  erreichen  lassen.  Einzelne  punkte 
gedenke  ich  vielleicht  später  einmal  einer  l)esprechung  zu  unter- 
ziehen. Dazu  ist  es  aber  auch  nötig,  vorher  einige  weitere 
fragen  zu  erledigen,  wozu  ich  im  folgenden  den  versuch  mache. 


III.    AuslÜlIuug  der  seukiiiig. 

Ausser  der  reimcorrectiir  sieht  Bartseh  das  hau})tmotiv  für 
die  Änderungen  der  beiden  ])earbeiter  in  dem  bestreben,  die 
ursprünglich  syncopierten  Senkungen  auszufüllen.  Er  handelt 
über  die  hier  in  betracht  kommenden  Verhältnisse  in  einem 
abschnitte,  der  zu  den  wertvollsten  in  seinen  Untersuchungen 
gehört  und  eine  wesentliche  förderuug  der  deutscheu  metrik 
enthält,  s.  133 — 163,  ausserdem  s.  308  If. ,  wo  die  in  A  oder 
in  einer  der  l)eiden  hauptreccnsioneu  fehlenden  Strophen  be- 
sprochen wei'den.  Bartsch  nimmt  an,  dass  die  tendenz  zur 
ausfülhuig  wie  die  zur  beseitigung  der  assonanz  beiden  be- 
arbeitern  eigen  gewesen  sei,  nur  C*  in  stärkerem  masse  als 
B  •■'•■,  dass  dieselbe  demnach  1)ald  in  B*  bald  in  C'-'',  bald  in 
beiden,    aber    in   abweichender   weise   vollzogen   sei.    Erwiese 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  445 

sich  diese  annähme  als  richtig,  so  würde  damit  einerseits  die 
erklärung-  für  zahlreiclie  al'weichungen  gefmiden  sein,  ander- 
seits ein  neuer  beweis  für  das  von  üartseli  aufgestellte  liand- 
sehriftenverhältnis.  Meiner  Überzeugung  nach  ist  sie  gerade 
wie  die  assouanzhypothese  bis  zu  einem  gewissen  grade  zu 
billigen,  aber  nicht  in  der  ausdehnung,  die  ihr  liartsch  gegeben 
hat.  Wir  können  bei  ihrer  prüfung  einen  ganz  ähnlichen  weg 
einschlagen  wie  in  der  vorhergehenden  Untersuchung. 

Bartsch  stellt  folgendes  als  ganz  sicher  hin:  erstens,  wenn 
bei  sonst  im  wesentlichen  übereinstimmendem  texte  ])ald  diese, 
bald  jene  bcarbeitung  die  Senkung  ausgefüllt  hat,  die  andere 
nicht,  so  hat  inmier  diejenige  das  ursprüngliche  bewahrt, 
welche  syucope  hat;  zweitens,  wenn  beide  bearbeituugcn  die 
Senkung  ausgefüllt  haben,  aber  in  der  art  von  einander  ab- 
weichen, dass  sich  gewisserraassen  durch  kreuzung  beider  ein 
vers  mit  syncopierter  Senkung  herstellen  lässt,  indem  das  ge- 
meinsame beibehalten,  das  nichtgeraeinsame  getilgt,  respective 
durch  etwas  drittem  neues  ersetzt  wird,  dann  ist  ein  so  hcr- 
stell])arer  vers  auch  wirklich  das  ursprüngliche.  Diese  sätze 
hat  Bartsch  nicht  bloss  beim  Nibelungenliede,  sondern  auch 
sonst  vielfach  bei  der  kritischen  behaudlung  mittelhochdeutscher 
texte  einseitig  zur  geltuug  zu  bringen  gesucht.  Es  ist  gewis 
nicht  zu  leugnen,  dass  damit  in  manchen  fällen  das  rich- 
tige getrotfen  sein  mag.  Dass  aber  alle  derartige  abwcichungen 
zweier  texte  nur  in  dem  von  Bartsch  angenommenen  sinne 
gedeutet  werden  können,  dass  immer  die  form  mit  syncopierter 
Senkung  die  ältere  sein  und  die  mit  ausgefüllter  mit  bewuster 
absieht  eben  zum  zwecke  der  ausfüUung  eingeführt  sein  uuiss, 
das  ist  ein  schwerer  Irrtum.  Stets  muss  berücksichtigt  werden, 
dass  dies  Verhältnis  von  syncope  und  ausfidlung  oder  die  Ver- 
schiedenheit der  ausfüUung  auf  ganz  zufälligen  momenten  be- 
ruhen kann,  dass  die  ursaclien  der  abweichung  ganz  wo  anders 
liegen  können.  So  ist  von  Bartscli  hei  seiner  rechnung  gar 
nicht  iu  anschlag  gebracht,  wie  leiclit  eine  menge  von  wört- 
chen wie  vil ,  da,  nu  u.  dgl.  ausgelassen  werden  können  und 
in  allen  miitelhochdeutschen  abschriften  ausgelassen  zu  werden 
])ilegen.  Durch  solche  auslassungen  wird  in  der  regel  eine 
Senkung  ausfallen,  so  dass  dann  die  ausfüUung  das  ältere,  die 
syncopierung    das  jüngere   ist.     Abgesehen  aber  von  dem  aus- 


44(5  l'Al'l> 

lalle  ist  CS  v'uw.  t;iiisoii(l(iicli  dtucli  die  crralinuig-  zu  hcob- 
aclitciidc  tatsMclu',  dass  die  cinzoliicii  liandsclirirtcu  oder  liand- 
s(diriftc)ii;-rui)pcn  eines  weikcs  AdcUach  synoiiynia  oder  iibcr- 
li<aupt  vcrscliiedenc  für  eine  stelle  passende  Wörter  eins  mit 
don\  andern  vertaiisclien,  ohne  dass  meist  ein  l)estimmter  g-rund 
für  die  vertauscliuni;'  zu  entdecken  ist.  Wir  können  diese  er- 
sclieinung  kaum  anders  erklären,  als  dass  es  den  abschrcibcrn 
nicht  auf  vollständig-e  treue  aukam,  dass  sie  vielmehr  dem 
antriebe  einer  gewissen  willkürlichen  launc  folgten,  dass  sie 
vielleicht  ein  grösseres  stück  mit  einem  mal  durchlasen,  mehr 
als  sie  genau  im  gedäclitnis  bewahren  konnten,  und  statt  noch 
einmal  nachzusehen,  wo  sie  unsicher  waren,  es  l)cquemer  fan- 
den etwas  beliebiges,  was  ihnen  i!,erade  einfiel,  dafür  zu  setzen. 
Wo  sich  die  scbreiber  so  frei  ])ewegen,  dass  sie  sich  viele 
grössere,  durchgreifende  ändcrungen  gestatten,  darf  man  auch 
die  zahl  dieser  kleineren  abweichungen  um  so  bedeutender 
erwarten.  Durch  dieselben  kann  wol  das  versmass  entstellt 
werden.  Wo  aber  dasselbe  im  1)ewustsein  des  Schreibers  oder 
bearl)eitcrs  noch  gerade  so  lebt  wie  in  dem  des  ursprünglichen 
dichters,  wii'd  dies  nicht  geschehen,  sondern  die  änderung  wird 
dem  versmasse  angemessen  sein.  Wo  nun  syncope  und  aus- 
füllung  der  Senkung  im  originale  nel)en  einander  gebräuchlich 
und  ebenso  beides  auch  den  bearbeitern  oder  Schreibern  ge- 
läufig ist,  da  wird  es  sich,  wenn  einer  von  diesen  ändert, 
ganz  zufällig  ergeben,  dass  l)ald  original  und  bearbcitung  beide 
syncope  oder  beide  ausfüllung  haben,  bald  das  original  syn- 
cope, die  ])earbeitung  ausfüllung,  bald  umgekehrt  das  original 
ausfüllung,  die  bearlicitung  syncope.  Man  darf  daher  weder 
ohne  weiteres  aus  der  syncope  auf  erhaltung  des  originales, 
noch  aus  der  veischiedenen  ausfüllung  der  Senkung  in  zwei 
neben  einander  stehenden  texten  auf  änderung  in  beiden  und 
ursprüngliche  syncope  schliesscn.  Das  ist  so  klar,  dass  es 
keiner  erörterung  bedürfen  sollte.  Trotzdem,  um  mich  gegen 
jeden  Widerspruch  sicher  zu  stellen,  will  ich  diese  allgemeinen 
Überlegungen,  gerade  so  wie  ich  es  in  bezug  auf  die  reim- 
abwcichungen  getan  habe,  noch  durch  eine  leihe  schlagender 
beispiclc  aus  den  hss.  des  Nibelungenliedes  und  der  Klage 
illustrieren. 

Syncope  der  Senkung  kann  zunächst  entstehen  durch  aus- 


ZUR  h'IBET>llN(^ENFRAGE.  417 

lassiiug  eines  wortcs.  Auf  diese  weise  entstellt  sie  ausser- 
ordentlich liäufig"  in  A.  Bartsch  hat  selbst  wortauslassungen 
in  A  in  den  Untersuchungen  s.  75  ff.  zusaniniengestcllt.  Durch 
solche  auslassungen  wird  mitunter  das  metrum  nicht  niodifi- 
ciert,  mitunter  nur  der  auftnkt  beseitigt,  manclinial  das  vers- 
mass  ganz  zerstört.  In  ;iusserordentlich  vielen  fällen  aber, 
auch  wenn  man  diejenigen  abzieht,  in  denen  der  sinn  entstellt 
wird,  bleibt  der  vers  richtig,  nur  dass  eine  urspriinglicli  aus- 
gefüllte Senkung  syiicopiert  erscheint.  Ich  will  dieselben  hier 
nicht  ans  den  Zusammenstellungen  Bartschs,  die  sich  übrigens 
noch  bedeutend  vervoUstniKligeu  Hessen,  besonders  ausscheiden, 
sondern  gebe  eine  reihe  von  l)eispielen  aus  den  andern  hss. 
Am  häufigsten  werden  kleine  advcrbien  und  conjunctionen 
ausgelassen.  So  besonders  vil  in  B  419,  8  {si  müeste  hie  vil 
lange) ,  1454,  3  {si  wären  vil  nnmiiezic),  in  AB  455,  4,  in  C 
59,  3.  78,  3,  in  Gib  77,  2,  in  D  24G,  %  in  DI  176,  2,  in  Db  263, 
4.  1318,  1,  in  DI  176,  2,  in  I  73,  3.  76,  3.  99,  4.  123,  3,  262,  2. 
278,  1.  384,  1.  418,  2.  648,  3.  663,  2.  688,  4.  812,  3.  1058,  2. 
1225,  3.  1252,  3.  1367,  2.  1752,  2.  1810,  3.  1862,3.  1903,  1; 
in  AI  454,  1.  462,  2.  877,  2.  1272,  2,  in  la  1194,  3,  in  Ib 
118,  2,  in  L  942,  4,  in  S  910,  2,  in  b  1435,  2  (\vo  dann  zu 
lesen  wäre  in  kürzere  s(tmt),  in  d  1460,  2.  ?vol  fehlt  B  1534,  4 
(dann  man  sach  getväfenet  slmi).  2103,4.  gar  n  lSly2.  1312,3, 
b  1840,  4,  1  1392,  2.  sere  b  1629,  1.  i/it  I  104,  2.  1628,  4. 
ni/il  I  359,  8.  so  B  837,  2,  IKb  2270,  3,  I  451,  3,  ALf  1001,  2, 
ab  1787,  1.  als  AI  614,  2,  IKab  1715,  3.  c  l  444,  4.  sU 
Db  127,  4.  nu  D  248,  3,  Dia  1267,  2,  d  1439,  1.  2060,  1. 
dd  B  2290,  1,  Bb  1493,  1,  Bh  959,  1,  D  1113,  2.  1153,  l, 
I  181,  4.  198,  1.  260,  2.  474,  2.  649,  1.  889,  4.  961,  4.  1365,  3. 
1819,  2,  AI  835,  2,  Ibd  19S,  1,  Lf  1010,  1,  N  1581,  1,  Nd 
1573,  1,  a  330,  1.  2213,  2,  Aa  1076,  1,  ah  1904,  3,  b  118,  1. 
164,  I.  1678,  1.  1777,  1.  1810,  4.  2130,  2.  2169,  2.  2272,  4. 
d  1450,  1.  1805,  2,  Ad  436,  4.  da  Ba  821,  3,  AI)  1293,  2, 
I  1619,  2.  1985,  2,  la  655,  2,  labg  2224,  4,  a  636,  1.  1670,3. 
2048,  2,  b  1491,  2,  bd  1320,  1,  bl  1448,  4.  dar  AB  418,  1, 
a  748,  3.  dan  AM  37,  1.  hie  Bi  490,  1,  ADb  1508,  4,  b 
1660,  2.  her  I  1584,  I,  Ib  2291,  3.  hin  I  2133,  3.  2294,  1, 
Alb  362,  4.  aber  D  1203,  1.  doch  B  919,  3,  a  1186,  4,  b 
2251,  1.     ouchD  1317,  2.    1421,  1,    Dlb  705,4,  ADab  2274,  1, 


448  PAUL 

1)1)  WM,  4,  I  384,  2.  468,  1.  ()29,  1.  1015,  3.  1592,  4,  Nab 
2054,  2,  a  808,  3,  ab  2055,  3,  i)  172,  1.  343,  1.  noch  DI 
255,  2.  83ü,  2,  Da  2145,  1.  Präijositioiicu  wie  in  ADbg 
1195,  2;  von  VA)  2005,  1,  AI  996,  1;  zc  l  636,  2,  la  409,  4. 
Häufig  fällt  der  aitikcl  aus:  der  lUb  627,  1,  I  32,  3.  271,  1. 
437,  5  (in  beiden  halbzeileii),  Alb  34,  2.  412,  1.  1874,  l  (in 
beiden  lialbzeilen),  Albd  136,  i,  la  2078,2,  Ib  271,  1,  a909,  1, 
Aab  1756,  1;  diu  BDb  1884,  1;  daz  BI  1786,  1,  Bb  1712,  2, 
DIb  2222,  4,  Alb  421,  1,  Ib  1230,  4,  ]>  771,  1,  Ad  439,  1; 
den  Dia  908,  3,  I  112,  2;  dem  D  24,  1;  des  IQ  911,  l,  la 
349,  (■);  diu  (nom.  pl.  ueutr.)  BD  1884,  1,  I  197,  3,  Aa  1533,  2; 
den  (dat.  pl.)  Dbd  208,  1,  All  1629,  4,  ab  1974,  4,  b  1831,  1, 
d  34,  2;  der  (gen.  pl.)  I  866,  2.  Pronomina:  mir  I  1185,  1, 
Ib  248,  1;  du  Db  2133,  3;  //•  (vos)  a  1759,  3,  d  1715,  3;  ez 
lag  1622,  2;  in  (aec.  sing.)  I  1656,  4  (dat.  plur.),  I  359,  5, 
1800,  4,  b  508,  2;  im  I  402,  2;  ir  (gen.  plur.)  B  941,  1,  Bb 
392,  1,  I  668,  1,  II  1434,  3;  min  b  1680,  1.  Adjectiva:  giiot 
I  247,  3,  1141,  1;  guoten  DIb  251,  3.  Mehrere  Wörter:  durch 
si  B  501,  4;  zer  werlt  I  517,  4;  ist  der  a  456,  3;  und  ouch 
I  1627,  2,  Ib  242,  1. 

E])en  so  häufig  entsteht  syneope  durch  änderung  eines 
oder  mehrerer  Wörter,  Umstellung  u.  s.  f.  Ich  sehe  hier  wider 
von  den  nur  in  A  befindlichen  zahlreichen  fällen  ab,  die  man 
zum  teil  bei  Bartsch  findet,  und  begnüge  mich  mit  beispielen 
aus  den  andern  hss.,  die  ich,  so  gut  es  geht,  nach  bestimmten 
gesichtspunkten  gruppiere.  Ich  stelle  dabei  die  gemeine  les- 
art,  womit  C*  in  der  regel  stimmt,  voran  und  dahinter  nach 
einem  =  die  abweichungen  der  einzelnen  hss. 

1256,  2  daz  edel  ingesinde  =  gesinde  la.  706,  4  da  zir 
höhgezlte  sin  =  hochizite  DI,  hochzeiten  b ,  hochzeit  nnd  ähn- 
lich häufig.  1232,  3  ob  dir  iht  gewerre  =  werre  I  {tverde  b). 
1551,  2  von  iemen  da  genam  =  nam  Dl.  1004,  1  und  daz  man 
vol  gcsanc  =  sanc  BI.  1121,  3  die  rede  vol  gesprach  =  sprach 
ACbd.  618,  2  min  hemdc  also  hlanc  =  so  ABd.  89,  1  do  der 
hell  aleine  =  ei?ie  I.     152,  l  was  iedoch  vil  leit  =  doch  Ah. 

469,  4  daz  ir  läzet  mich  genesen  =  mich  läzet  Bbd. 
1967,  3  eine  dich  hestän  =  dich  eine  B.  1359,  2  welle  dort 
bestän  ^=  dort  welle  ADb.  1216,  3  dne  hat  getan  =  hat  ane 
Abg  {nu  hat  an  D).     1959.  2  selten  nu  geschiht  =  nu  selten  a. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  449 

1045,  2  kiesen  wol  dar  an  =  woJ  kiesen  D.  2240^  l  sUze)L  hie 
den  man  =  hie  sitzen  b.  506,  4  ein  böte  hezzer  niht  geshi  = 
böte  nicht  hezzer  gesin  DI).  1055,  4  hei  ez  Hagene  niht  getan 
=  niht  Hagene  C.  18S1,  2  torsten  niht  bestem  =  niht  torsten 
I.  1522,  4  daz  des  künde  niht  geshi  =  niht  kande  H.  937,  2 
trimven  ihl  hegän  =  iht  trinrven  I.  526,  6  muosen  si  do  pflegen 
=  die  muosten  do  1.  1401,  1  sach  zen  rossen  gän  =  zen 
rossen  sach  B.  1249,  3  was  von  Eine  komen  =  von  {dem  Db] 
Rhie  was  ADb.  528,  4  rlcher  7vcete  vil  genomen  =  vil  richer 
wct'te  B.  1994,  4  scaden  kleinen  noch  getan  =  noch  schaden 
dein  getan  I  =  noch  vil  kleine  getan  Ab.  1997,  1  vil  schiere 
wart  der  recke  do  gewäfent  haz  =  wart  gewappeni.  der  recke 
do  haz  I.  394,  8  man  siht  in  bi  den  andern  so  rehte  herllchen 
gän  ==  man  siht  bi  den  andern  in  so  herlich  gan  I.  380,  4  ob 
ich  gcwalt  des  hcte  =  ob  ichs  gewalt  liele  I.  153,  3  habet  alher 
gepflegen  ==  da  her  habt  gepflegen  I.  424,  2  der  vil  küene 
Dancwarl  =  Danervart  der  kuene  I. 

939,  2  do  rang  er  mit  dem  tode  =  er  ranc  D.  950,  2  do 
seic  si  zuo  der  erden  =  si  seic  AI.  1637,  3  do  gedähle  si  vil 
tiure  =  si  gedacht  (lies  gedähte)  D.  1508,  1  do  sprach  er 
lougenllche  =  er  sprach  zuchtlklichen  b.  1831,  1  do  huop  sich 
von  den  Unten  =  sich  huop  1.  217,  1  so  liezen  si  den  strtt 
=  si  Uezzen  I.  1737,  3  ja  vorhten  si  den  tot  =--  si  vorhlen  den 
tot  i.  374,  2  ja  danket  ez  jnich  guot  ^=  daz  dunchet  mich  guot 
I.  2305,  2  ja  htm  ich  des  gesworn  =  ich  lian  des  K.  837,  2 
auch  hat  er  so  zerblouwen  =^  er  hat  so  a. 

711,  3.  1426,  3  sprach  der  ritter  guot  =  helt  I.  423,  1 
waz  der  degen  sprach  =  helt  I.  1057,  4  da  sin  der  degen  Al- 
hrich  =  helt  I.  2215,  3  der  degen  irol/jvln  =  hell  I.  2262,  2 
do  der  degen  guot  =  helt  ßlK.  387,  3  ir  schiffet  hl  der  vluot 
=^  schif  Ib.  452,  1  daz  schiffet  sere  vlöz  =  schef  I  {schif  vil 
b).  841,  2  den  holden  wine  min  =  wirt  a.  2009,  4  vor  dem 
videloere  tot  =  spilmanne  I.  708,  3  vrouwen  kleider  bringen  = 
ros  I.  1811,  1  üf  den  bulmrt  komen  =  hof  I.  405,  1  zuo  dem 
künege  trat  =  zuo  Gunthercn  trat  I.  1286,  4  da  er  die  küne- 
ginne  vant  =  firiemhilde  Ig. 

129,  3  so  michel  was  sin  kraft  =  groz  I.  418,  3  michel 
unde  ijreit  =^  gros  d.  1117,  4  oh  si  im  Imndcc  miJhten  sin  = 
cunt  I.      1099,    2    in   vier   unt   zweinzic   tagen   ^=   vierzehen  I. 


450  l'AUI. 

lOO'J,  1  cz  isl  ei.  nnerweudel  =  imwendich  1.  iS4,'J,  4  den  ir 
i>/l  mlunecllcheu  llp  =  wcct liehen  ebenso  1018,  4  Dl  {wellHeJien 
])).  IIU,  2  ein  mhmccUche  meit  =  die  iier liehen  1.  10,  l  ein 
üz  envellvr  deyen  =  turcrlicher  Ij.  4,  3  ein  üz  erwelter  deyen 
==  wellieher  (J.  lo()7,  4  die  Iruoyen  iteniuwia  kielt  =  riehUche 
1),  hcrllehlu  1.     *Jo2,  2  6'/;^  fröadenloser  lac  =  vrollcher  IQ. 

334,  2  y^vvx'  </<?a76'  wit'r  =  yc7  Db.  2Ü50,  3  der  dural  ad 
rehle  we  =  der  dural  harte  {alao  la)  7ve  Dia.  1152,  4  daz 
zimet  in  recken  michel  baz  =  vil  I.  2049,  2  wir  möhten  michel 
(jerner  =^  vil  lieber  d.  11^77,  4  na  ivizzct  cndecllchen  daz  = 
wa'rlichcn  11.  1812,  4  des  gic  im  sicher  liehen  not  =  werlichcn 
1.  1131,4  sol  ich  in  willec liehen  sagen  =  willichen  b,  vroliche 
!>.  853,  2  daz  ir  ad  tvillec liehen  =^  /'riuntlichen  1.  1323,  4  hei 
wie  gewallicllchen  =  Jwr liehen  :i.  271,  2  wie  rehle  herzenllche 
=  herliche  1. 

1732,  3  Verliesen  nilnen  llp  =  den  1  {wil  den  Ü).  83'J,  2 
m  aturme  amen  llp  =  den  L  1085,  2  ?</<</  IJagene  slnen  schilt 
=  f/en  I.  2228,  4  ivol  vergolten  alnen  tot  =  den  1.  li),  3  /«/(^ 
enp/iengen  diae  geste  ==  die  ADb.  Ol,  1  do  vernam  ouch  disiu 
mmre  =^  diu  I.  758,  4  daz  clliu  disiu  rlche  =  diu  1.  2113,  1 
dö  erachrahten  dirre  nuere  =  der  1.  1582,  2  er  sprach  "  ilf 
disen  megoL  =  den  1.  'J 10,  2  av'  leitoi  in  uf  einen  schilt  =  den 
D.  1582,  1  llen  einen  degen  =  den  I.  307,  3  und  achiezen 
manegen  schaß  =  den  1. 

1177,  1  daz  heizet  er  iu  sagen  ^^  hiez  I.  HO,  1  den  künic 
hete  wunder  =  nani  d.  1309,  2  ^/^^a-  Aa/i  ich  niht  bescheiden 
=  wissen  I.  2035,  4  rft?/'  i'r/^/f  gdhes  wideraeit  =  veraeil  I>D. 
1998,  3  aln  zürnen  daz  was  gröz  =  zorn  der  IM.  1905,  2  do 
aluoc  der  für  sie  aelbe=^  och  er  selbe  I.  240,  1  do  mit  liebe  was 
gescheiden  =  do  so  wol  was  gescheiden  Db.  1000,  2  do  ranc 
mit  aolhem  jämer  ^=  so  mit  jamer  B.  1984,  2  worden  harte 
kranc  =  ein  teil  worden  kranc  I.  203,  4  ouch  hiez  ai  vil  der 
vremdoi  =  ai  den  Db.  711,  3  vrägen  umbe  tncere  =  v.  der  m. 
I.  900,  4  in  der  aschen  ligen  vant  =  aachen  da  (fehlt  D)  vant 
DSb.  091,  3  ir  ault  una  mere  sagen  =  7nir  daz  sagen  D. 
1289,  1  do  huop  man  von  dem  möre  ^=  zer  erde  I.  1983,  4 
hie  vor  (Jlselhere  lac  =  vor  dem  helde  gelac  I.  791,  4  in  gröz 
ungefnüele  komen  =  unmiit  hechomen  b.  858,  4  solde  nimmer 
man  gepllegen  =^  aolden  helde  niht  pflegen  I.     1800,  2  vil  manic 


ZUR  ^'IßELUNGENFRAGE.  45 i 

Hinnen  man  =  ntanic  hmdscher  man  I.  Jü33,  3  ein  wäfenlicU 
gewa)U  =  ein  wafj'en  getvani  a.  1074,  1  Dancwarl  Ifayenen 
hruoder  =  PaHcrvarl  der  knene  I.  ISTT),  1  u/'  shi  eines  tlp  = 
i(/  Dancwarl  es  lip  I.  2108,  3  niu/ran  allez  gnot  ^^^  nnüt  lieh  unde 
guol  D.  2125,  2  die  mit  mir  körnen  sint  ==  mir  hie  siiil  1. 
1942,  4  daz  suln  ?vir  noch  mit.  Iriuwcn  sin  =  wir  wwrliclien  sin 
1.  1638,  4  des  gut  mir  armen  wibe  not  =  iverlichen  I.  1985,  2 
den  er  e  da  dolte  =^  den  der  hell  dollc  D.  1581,  2  mit  vil 
guolem  willen  =  mit  willigem  muote  1.  1705,  2  in  einem  grim- 
men muole  =  mit  grimmige  muote  I.  2151,  2  s7vie  wunt  er  wwr 
zem  löde  =  swie  tolwunt  er  wiere  I.  1950,  4  ein  vil  klagellcher 
schal  =  von  jämer  grbzlicher  schal  1.  145('),  4  des  schiel  sll 
vil  mit  leide  =  daz  schiel  sil  mit  leide  D.  SlUJ,  2  die  mir  iht 
huzzes  tragen  ==  mir  haz  1.  09,  2  des  enwas  nihl  not  =  des 
7vas  unnot  D.  243,  1  die  wanden  taten  sam  =  die  wunden  al- 
sam  I.  244,  l  die  vremden  tet  er  sam  =  die  vremden  alsam  I. 
808,  3  er  schiel  in  kurzer  stunt  =  an  der  stunt  1.  1314,  4 
hl  Elzeln  under  kröne  saz  =  under  kröne  gcsaz  D.  1299,  2 
da  der  grözc  schal  =  der  grozUche  schal  I.  450,  3  der  sprach 
'wer  ist  der  uözet  =  wer  ist  der  da  hozet  I.  1022,  1  do  man  hegunde 
vrägcn  die  minnecllchen  meil  =  Als  man  do  hegunde  vragen  die 
meit  I.  2007,  1  vo7i  geheize  und  auch  von  gäbe  =  von  solchem  ge- 
haijsse  d.  923,  1  den  ger  im  gein  dem  herzen  =  den  ger  in  dem 
herzen  I.  1212,  4  da  getan  vil  fülle  leit  ===^  getan  vil  grozllchm 
leit  I.  1984,  2  worden  harte  kranc  =^  em  teil  worden  kranc  I. 
2154,  2  si  wären  aber  muezic  =  si  waren  stritmuedel.  2195,2 
genomen  der  gemach  =  unser  (unser  aller  D)  gemach  Db.  203,  1 
auch  hiez  si  vil  der  vremden  ^^  man  gap  da  genuogen  CE. 
1359,  3  wer  si  danne  soldc  wlsen  durch  diu  laut  =  ?ver  soll  si 
danne  wisen  durch  uncundiu  lanl  I.  228,  4  den  frouwen  an  ir 
mägen  =  maneger  amien  I.  273,  1  ivaz  wcere  manncs  wünne, 
des  vreule  sich  sin  lip  =  ivas  ?nocht  senenden  ?nanne  frewen  den 
lelp  1).  1727,  2  daz  ir  daz  habet  verdienet  daz  ich  in  bin  gehaz 
=  daz  ir  so  grozlichen  vcrdientent  minen  haz  I.  084,  4  gegen 
ir  herzenleide  wie  lieJnu  mwre  si  hevant  =  67'  wart  fraudenrich  . 
do  si  diu  ?}ia'r  bevant  I.  1055,  4  in  hele  erslagen  niemen,  het 
ez  Ilagene  niht  getan  =  in  het  erslagen  hagen  .  ez  het  anders 
niemen  getan  I. 

Die  hier  gogel)eiicn  zuKamQiciistcliuugen  uuiclien  uiclit  eleu 


452  PAUL 

ansj)nu'h  aiil"  absolute  vollstäiidi^kcit  mid  werden  sich  gcwis 
Qoeli  Ncniielircu  lassen.  Und  in  allen  diesen  i'ällen  niuss  mau 
anerkennen,  wenn  num  sieh  nicht  über  die  clenienlarsten  kri- 
tischen i;-rui'.ds:Uze  hinwegsetzen  ^vill,  dass  die  lesart  mit  aus- 
g-efüliter  senkunii-  die  ursprüng-liche  ist.  ')  Daraus  folgt  mit 
cvidenz,  dass  iJartschs  gruudsatz,  id)erall  die  lesart  mit  synco- 
pierter  Senkung  vor  dei'  mit  ausgefüllter  zu  !)Cvorzugen,  schlechter- 
dings niclit  aufrecht  zu  erhalten  ist.  Zwischen  dem  Verhältnis 
der  beiden  hau})trecensi{)nen  zu  einander  mul  dem  gegenseitigen 
verhiilrnis  der  kleineren  gruppeu  und  einzelnen  hss.  besteht 
doch  keine  totale  Verschiedenheit,  sondern  nur  ein  graduntcr- 
schied.  Die  momente,  auf  denen  es  beruht,  dass  syncope  auf 
der  einen  seite  neben  ausfüUung  auf  der  andern  steht,  sind 
hier  wie  dort  ganz  dieselben,  und  die  einzelnen  falle  lassen 
sich  unter  die  nämlichen  kategoricn  bringen.  Zum  beweise 
mögen  hier  nur  einige  beispiele  dienen,  die  mit  rücksicht  auf 
die  oben  gemachte  gru])pieruug  gewählt  sind:  9,  2  Danctvarl 
der  vil  snelle  ß*  =  Dimcwart  der  snelle  C  ""'■■.  57,  4  sint  mir 
lange  wol  hekani  C*  =  die  ai)d  mir  lange  hekanl  Vi'^'\  SO,  1 
do  wären  oacli  dem  künege  C*  =  dö  wären  dem  künege  ß  *. 
135,  -1  des  muoz  ich  dielte  iruric  slän  C*  =  des  muoz  ich 
trüric  gesiän  B"--'.  276,  4  die  si  heloc  nie  hekant  C*  =  die 
si  nie  heten  hekant  B'^-'.  327,  2  do  gevriesch  ez  hl  dem 
Rine  C  *  =  duz  gevriesch  bi  dem  Rlne  B  •■■■.  11,3  ein  iiz 
erweUer  degen  B--'  =  ein  wcetllcher  degen  C*.  138,  4  leit 
was  in  innecllche  daz  C*  =  leil  was  in  wwrUche  daz  B*. 
63,  4  ///  mit  Iriuwen  immer  sagoi  C*  =  mit  triuwen  warllchen 
sagen  Vy''-\  Und  so  könnte  iv;h  weiter  die  parallelisierung 
durchfuhren.  Allerdings  lassen  sich  nicht  aus  jeder  einzelnen 
hs.  so  viele  fälle  beibringen  wie  aus  B''-'  oder  aus  C--';  aber 
natürlich  muss  ihre  zahl  im  Verhältnis  stehen  zu  der  zahl  der 
abweichungen  überhaupt,  und  so  hat  uns  denn  auch  die  hs.  I, 

')  Bartsch  luit  treilicli  mitunter,  aber  ohne  irgend  welche  consc- 
quenz,  die  lesart  mit  syncopierter  Senkung  auch  da  in  den  tcxt  aufge- 
nommen ,  wo  sie  nur  durch  eiue  oder  wenige  hss.  überliefert  ist ,  z.  b. 
13S(),  4  ü/  guote  triuwe  gesant  nach  BD,  während  AlNb  in  Übereinstim- 
mung mit  C*  her  gesant  haben,  so  dass  dann  nach  Bartschs  texte  der 
form  mit  syncope  iu  B*  die  mit  ausgefüllter  in  C  gegenübersteht,  wo- 
durch man  über  das  wahre  Verhältnis  irre  geführt  wird. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  453 

welche  die  meisten,  und  zwar  auch  die  meisten  mit  bewuster 
absieht  i-'emachten  veründevungeu  eutiullt,  die  gröste  zahl  von 
beispieleu  geliefert. 

Es  Hessen  sich  nun  ebenso  eine  menge  fülle,  besonders 
aus  I  anführen,  in  welchen  der  syncope  im  originale  ausfüllung 
in  den  einzelnen  hss.  entspricht.  Nach  Bartsch  m liste  man 
danach  den  Schreibern  bewuste  teudcnz  zur  ausfüllung  der 
Senkungen  zuschreiben.  Dem  steht  aber  die  eben  dargelegte 
])eobachtung  entgegen.  Es  bleibt  nichts  anderes  übrig:  ausfüllung 
und  syncope   beruhen   nicht   auf  absieht,   sondern  auf  zufall. 

Ebenso  lässt  sich  an  vielen  stellen  durch  combination  der 
abweichenden  lesarten  einzelner  hss.  mit  dem  texte  der  übri- 
gen syncope  herstellen  in  ganz  analoger  weise,  wie  es  Bartsch 
durch  combination  der  beiden  hauptrecensionen  getan  hat. 
Folgende  beispiele  mögen  dies  veranschaulichen:  80,  2  ritter 
vil  gemeit  =  wol  yenieit  k,  unverzait  b;  original:  ritter  gemeit. 
1575,  2  doch  riurvet  mich  vil  sere  ^^  so  h,  zuD]  original:  doch 
riuwet  mich  sere.  1856,  2  der  fiirste  vil  gemeit  =  )vol  h; 
orig. :  der  fürsie  gemeit,  wie  A  wirklich  hat.  92G,  3  der  schilt 
vil  gar  zerhrast  =  im  gar  Db;  orig.:  der  schilt  gar  zerbrast. 
486,  3  er  swendet  gar  min  golt  =  mir  min  Bb;  orig.:  er  sw endet 
min  golt.  201,  1  versnohien  wol  ir  hant  =  ouch  D;  orig.:  v^r- 
suohfen  ir  hant.  472,  2  wurden  wol  gekleit  =  schir  D,  ^a  b; 
orig.:  wurden  gekleit.  142S,  2  daz  täten  si  wol  schin  =  do  D; 
orig.:  daz  täten  si  schin.  299,  2  do  was  ouch  sd  gezieret  = 
wol  A;  orig.:  do  tvas  ouch  gezieret.  2013,  2  geneiget  so  zetal 
=  dah,  hin  Da;  orig.:  geneiget  zetal.  1277,  1  vil  rehte  nu 
geseit  =  wol  Db;  orig.:  vil  rehte  gesell.  1971,  4  swie  griulich 
nu  si  Hagene  =  si  nu  Bbd;  si  her  I;  orig.:  swie  griulich  sl 
Hagene.  358,  5  in  wceren  nu  bereit  =  in  weer  gar  I,  daz  in 
wer  D;  orig.:  in  wceren  bereit.  589,  4  iu  so  nähen  mer  geligen 
=  bi  AI;  orig.:  in  so  nähen  geligen.  1398,  1  ze  liebe  si  do 
heten  =  nun  b;  orig.:  ze  liebe  si  heten.  993,  3  waz  opfers 
man  do  truoc  =  dar  IQb;  orig.:  waz  opfers  man  truoc.  889,  4 
daz  starke  tier  do  wände  =  da  b,  daz  Da;  orig.:  daz  starke 
Her  wände,  wie  I  hat.  607,  2  als  im  do  gezam  ==  daz  A,  daz 
wol  I;  orig.:  als  im  gezam.  1805,  2  erzürnet  do  den  muot  = 
sa  b,  ser  D;  orig.:  erzürnet  den  muot,  wie  d  hat.  5;>5,  2  vil 
manic  hant  do  swanc  =  hant  gezwang  b;    orig.:  vil  manic  hant 

lieiträge  zur  gescliichte  der  dcutacheu  Spruche,     III.  3(j 


454  PAUL 

swanc.  1320,  1  dö  stuont  da  wartende  =  ouch  D;  orij^, :  do 
süiont  wartende,  wie  l)d  haben.  17'J1,  1  swer  den  stritdähilebe 
==  nu  IK;  orig*. :  swer  den  strit  hüehe.  97,  3  rechen  da  zehant 
=  al  1]  orig. :  rechen  zehant.  1 870,  1  wurden  dan  gesell  =  do 
I;  orig.:  wurden  gesell.  1508,  4  von  ordnen  schulden  lue  ge- 
schehen =^  da  (1;  orig.:  von  7mnen  schulden  geschehen,  wie  ADb 
liabeii.  2246,  1  sitzen  hie  den  man  =  sitzen  disen  man  I; 
orig.:  sitzoi  den  man.  1498,  1  dö  sprach  aher  der  verge  = 
do  sprach  der  seihe  verge  1;  orig.:  dö  sprach  der  verge.  2014,  3 
Sit  wurden  doch  die  recken  =  da  b ;  orig. :  sit  wurde?i  die  recken. 
67,  3  die  jvurden  ouch  bereit  =  wol  I ;  orig. :  die  wurden  bereit. 
361,  1  /;•  möhtet  noch  bestän  =  wol  AI  (in  A  durch  punkte 
getilgt);  orig.:  ir  möhtet  bestän.  923,  3  gelief  noch  in  der  werlde 
=  nie  I ;  orig. :  gelief  in  der  werlde,  wie  AQd  haben.  933,  3 
daz  der  nach  schaden  weinet  =  den  schaden  IQ ;  orig. :  daz  der 
schaden  iveinet.  556,  2  niht  langer  man  daz  lie  =  do  I;  orig.: 
niht  langer  man  lie.  1778,  1  vil  schiere  daz  geschach  =  do  b; 
orig.:  vil  schiere  geschach.  1349,  1  bereite  man  diu  kleit  ^=  da 
die  A,  do  A;  orig.:  bereite  man  kleit.  1787,4  dö  wählen  si  der 
manegen  =  do  B,  vil  Db;  orig.:  dö  wählen  si  tnanegen,  wie  a 
hat.  183,  3  die  schefte  mit  ir  kraft  =  der  I;  orig.:  die  scheftc 
mit  kraft.  941,  1  dö  spräclien  ir  genuoge  =  f/a  I;  orig.:  dö 
sprächen  genuoge,  wie  ß  hat.  1770,  1  in  liehtez  ir  gewant  = 
in  lichtes  sargewant  I,  in  ir  \yil  D]  Hecht  gewant ;  orig. :  in  lieh- 
tez gewant.  1046,  1  sus  saz  si  nach  {in  Cad)  ir  leide  =  Alsuz 
was  si  mit  leide  I;  orig.:  sus  saz  si  mit  leide.  646,  1  urloup  si 
alle  nämen  =  si  do  namen  AI;  orig.:  urloup  si  nämen,  wie  a 
hat.  2126,  3  fiir  alle  ander  man  =  hie  für  ander  man  I; 
orig.:  für  andere  man.  2061,  3  sehs  hundert  küener  man  = 
wol  sehs  hundert  man  I;  orig.:  sehs  hundert  man.  226,  1  reit 
niemen  also  wol  =  da  so  I]  orig.:  reit  7iieman  so  wol.  1181,  4 
des  muosen  dö  gevolgen  =  ir  do  volgen  I,  die  gevolgen  d,  volgen 
a;  orig.:  des  muosen  dö  volgen,  wie  A  hat.  2022,  2  als  guoten 
helden  zam  =  als  helden  (in  b)  wol  gezam]  orig.:  als  helden 
wol  zam  oder  als  helden  gezam.  1053,  3  für  si  niht  gegän 
=  do  niht  gan  I;  original:  für  si  niht  gän,  wie  a  hat. 
1162,  4  ir  wart  eriteniuwet  =  von  erst  erneuwet  D;  orig.: 
ir  wart  erniuwet,  wie  Ad  haben  {entrawet  b).  731,  4  künde 
7iiemen    da    bewarn    =    da    niemen    B;    orig.:     künde    niemaji 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  455 

bewarn.  923,  1  stecken  er  do  He  =  er  do  stechen  B,  im  do 
stecken  D,  stechen  er  im  C;  orig.:  stecken  er  lie.  1378,  1  der 
palas  der  was  wol  =  palas  waz  so  1;  orig. :  der  palas  was  vol. 
297,  1  der  sprach  sä  zestunt  =  sprach  do  sa  zestunt  A]  orig. : 
sprach  sä  zestunt.  16S3,  4  'entriuwen'  sprach  do  Hagene  =  so 
sprach  D;  orig. :  ' entriutven'  sprach  H.  1468,  1  'leide',  so  sprach 
Hagene=  sprach  </oB;  orig.:  'leide\  sprach  Ilagene.  1958, 2  Etzel 
was  so  küene  =  ivas  der  A,  der  waz  b ;  orig. :  Etzel  was  küene. 
2312,  2  swaz  halt  mir  geschiht  =  swaz  mir  da  von  geschiht 
l>Db;  orig.:  swaz  mir  geschiht.  1856,  4  niht  ze  kurzewile  guot 
=  zekurzwil  nil  zeguot  Ih]  orig.:  ze  kurzewile  niht  guot.  227,  4 
do  sprach  der  hole  schiere  =  der  hole  sprach  vil  schiere  I; 
orig.:  der  böte  sprach  schiere.  1079,  1  dö  sprächen  si  gemeine 
=  si  sprachen  al  gemeine  I;  orig.:  si  sprächen  goneine.  1770,  1 
do  garten  si  sich  beide  =  si  wappenten  sich  beide  I;  orig.:  si 
garten  sich  beide.  87,  3  so  wil  ich  wol  gelouben  =  doch  wil 
I;  orig.:  ich  wil  wol  gelouben.  296,  4  im  wart  ze  dirre  werkle 
=  in  al  der  B,  in  aller  d;  orig.:  im  wart  in  der  werlde.  2076,  4 
er  gesluoc  in  disem  stürme  noch  nie  lobelichen  slac  =  noch  in 
dem  Sturme  nie  kein  l.  s. ;  orig. :  er  gesluoc  in  dem  stürme  noch 
nie  l.  s.  383,  3  komen  si  gegän  =  begunden  si  do  ga?i  I; 
orig.:  begunden  si  gän.  2236,  4  er  beslöz  mit  armen  =  do 
bisloz  er  mit  den  armen]  orig.:  do  beslöz  er  mit  armen.  1333,4 
vil  ofte  in  senftem  släfe  =  in  vil  senftem  slafe  I;  orig.:  in 
senfteme  släfe.  1931,  1  äne  mine  vinde  =  wanmine  find  alleine  \ 
orig.:  7van  mme  viande.  Ich  hebe  mit  rücksiclit  auf  Bartschs 
construction  des  Originals  besonders  eine  art  von  fällen  hervor. 
Nicht  selten  hat  er  wegen  der  abweichungen  beider  recensionen 
verse  mit  sprach  und  einem  folgenden  namen  hergestellt,  in 
denen  sprach  hebung  und  Senkung  trägt,  z.  b.  59,  1  sprach 
Sivrit,  wo  B*  sprach  aber,  C*  sprach  do  hat,  64,  1  sprach 
Sigelint  (B'^  sprach  frou,  C*  sprach  do),  149,  1  sprach 
Gernot  (B*  so  sprach,  C*  sprach  do)  etc.  Solcher  verse  nun 
Hessen  sich  sehr  viele  nach  den  abweichungen  einzelner  hss. 
herstellen.  Mau  vergleiche  sprach  do  Sifrit  =  so  sprach  D 
55,  1,  so  sprach  D,  also  sprach  b  158,  l ;  sprach  do  Hagene  = 
=  ^ö  sprach  1  1450,  1.  1576,  1  (an  ersterer  stelle  hat  d  bloss 
sprach),  so  sprach  Db  {sprach  d)  1678,  1,  also  sprach  I  1663,  1 
und  b  330,  1 ;    sprach  do  Eckewart  =^  so  sprach  I  (sprach  N) 


456  PAUL 

1581,  1,  so  sprach  h  {sprach  Nd)  1573,  1;  so  sprach  Gernöt 
=  sprach  do  I  1022,  1;  so  sprach  Volker  =^  sprach  do  I 
{sprach  ab)  1787,  1;  so  sprach  Stvemmelln  =  sprach  do  II 
1394,  1;  sprach  do  Stvemmelm  =  so  sprach  sich  D  1386,  1; 
sprach  do  Ilagoie  =  also  sprach  I  1663,  1 ;  b  330,  1  =  sprach 
aber  I,  sprach  sich  b  2270,  1  =  so  sprach  D  873,  1;  1  1450, 
1;  1497,  1;  1576,  1;  sprach  do  Gernöt  =  sprach  aber  114,  1; 
sprach  aber  Gernöt  =  sprach  da  b  123,  1;  spracli  do  A  2021; 
sprach  aber  Irinc  =^  sprach  da  b,  so  sprach  D.  Mau  kann 
dann  uocli  weiter  die  zahlreichen  fälle  Aergleicheu,  in 
denen  ein  derartiger  Wechsel  stattfindet,  ohne  dass  das  vers- 
mass  durch  weglassung-  des  schwankenden  wesentlich  alteriert 
wird,  und  man  wird  einsehen,  dai^s  wir  es  hier  mit  einer  ein- 
fachen ganz  Ijegreiflichen  uugenauigkeit  zu  tun  haben.  In  den 
Untersuchungen  s.  111  oben  findet  Bartsch  noch  betonungeu 
wie  sprach  Werbet  sein  (1901,  1  A)  nur  erträglich.  In  der  aus- 
gäbe hat  er  sie  mit  Vorliebe  construiert.  Gewis  sind  sie  un- 
statthaft oder  mindestens  tadelnswert  nach  dem  von  Bartsch 
selbst  aufgestellten  richtigen  princip.  Denn  sicher  hat  die  ton- 
silbe  des  eigennaraens  einen  höheren  logischen  ton  als  sprach. 
Mit  den  gegebenen  beispielen  ist  wider  die  zahl  der  fälle, 
in  welchen  eine  solche  vermittelnde  construction  von  versen 
mit  syncopierter  Senkung  möglich  ist,  noch  nicht  erschöpft. 
Zumal  wenn  man  sich  kühnere  Vermutungen  gestatten  will, 
wozu  Bartsch  auch  das  vorbild  liefert,  so  lässt  sich  die  zahl 
noch  beträchtlich  vermehren.  Bartsch  wird  danach  gewis  zu- 
geben müssen,  dass  durch  die  blosse  möglichkeit  einer  solchen 
herstelluug  der  syncope  noch  nicht  das  ursprüngliche  Vorhan- 
densein derselben  erwiesen  wird.  Freilich  hat  er  sie  in  seiner 
ausgäbe  doch  mitunter  nach  den  abweichungen  einzelner  hss. 
hergestellt.  So  schreibt  er  1128,  2  als  Originaltext  von  B*  die 
heten  vernomen\  BDIbd  haben  heten  ouch,  A  heten  schiere  (C* 
heten  tvol)]  hat  denn  wol  eine  abweichung  in  A  gegen  die 
Übereinstimmung  aller  übrigen  hss.  der  gruppe  nach  Bartschs 
auffassung  des  handschriften Verhältnisses  irgend  welche  bedeu- 
tung?  1334,  1  tvas  rviten  erkant\  hier  haben  BCDIdg  ivas  so 
{vil  Ig)  rvite  {rviten  D),  b  so  weiten  waz ,  weite  waz  a.  1719,  1 
sprach  Hagene\  sprach  aber  BCIbd,  sprach  do  AK,  sprach  do 
der  a,  so  sprach  D.     1930,  1  sprach  Wolfhart\  sprach  do  Wolf- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  457 

hart  CaBIb,  sprach  der  k,  so  sprach  D  (d  fehlt  hier).  2001,  2 
er  scoz  Iringen,  er  shoz  vf  ABIbd,  er  schoz  in  a,  do  schoz  er 
C,  da  mit  schoz  er  D.')  1128,  2  und  1930,  1  ist  dann  noch 
gav  die  lesait  von  C*  unter  den  text  gesetzt,  wodurch  der 
falsche  schein  entsteht,  als  befände  sich  diese  gruppe  in  bezug 
auf  die  syncope  im  gegensatz  zu  der  ganzen  gruppe  B  *.  Noch 
an  yerschiedeneu  andern  stellen  ist  dieser  gegensatz  erst 
künstlich  erzeugt. 

Aus  den  hss.  der  Klage  könnte  ich  gleichfalls  eine  reihe 
von  beispielen  ar.f (ihren  sowol  für  die  entstehung  der  syncope 
als  für  die  möglichkeit  der  herstellung  derselben  durch  com- 
bination  verschiedener  lesarten.  Ich  darf  mir  dies  aber  er- 
sparen, da  die  aus  dem  liede  beigebrachten  belege  schon  über- 
genug beweisen. 

Haben  wir  demnach  noch  irgend  welche  berechtigung,  den 
bearbeitern  ein  bewustes  streben  nach  ausfüllung  der  Senkungen 
zuzuschreiben  und  daraus  die  abweichungen  zwischen  B  *  und 
C*  zu  erklären?  Nur  dann,  wenn  sich  ergibt,  dass  in  den 
versen,  wo  beide  texte  abweichen,  die  Senkung  verhältnismässig 
viel  häufiger  ausgefüllt  ist  als  in  denen,  wo  sie  übereinstimmen. 
Dies  ist  nun  unzweifelhaft  in  bezug  auf  die  recension  C*  der 
fall.  Es  kommt  hierbei  hauptsäclilich  auf  den  1)au  der  achten 
halbzeile  an,  dem  Bartsch  seine  besondere  aufmerksamkeit  zu- 
gewendet hat.  Er  hat  nachgewiesen,  dass  in  derselben  bis  auf 
wenige  von  ihm  angezweifelte  fälle  die  syncope,  wo  sie  über- 
haupt eintritt,  stets  die  Senkung  nach  der  zweiten  hebung 
trifft.2)     Bartsch  gibt  nun  statistische  angaben  über  die  häufig- 

•)  Ein  ähnliches  verfahren ,  wodurch  aber  nicht  sowol  syncope  als 
eine  ältere  vollere  wortform  erzeugt  wird,  schlägt  Bartsch  ein  1251,  2 
samet  ir  (jesinde\  hier  lesen  DHId  in  Übereinstimmung  mit  C*  mit  ir 
inr/esinde ,  Bb  7nit  ir  gesinde ,  Ag  mit  dem  ir  gesinde.  Dazu  vgl.  man 
1390,  3  7nit  den  nunen  friunden,  mit  ininen  friunden  d;  danach  könnte 
man  construieren  samet  minen  fritmden. 

^)  Die  richtigkeit  dieser  beobachtnng  wird  bestritten  von  Scherer 
in  der  zeitschr.  f.  d.  altert.  17,  568,  weil  ihr  das  von  Bartsch  nach  Sim- 
rocks  Vorgang  gegen  Lachmann  zur  geltung  gebrachte  logische  betonungs- 
gesetz  zu  gründe  liegt,  wonach  Verliesen  den  llp ,  liehe  ?nit  leide  etc., 
nicht  Verliesen  den  Itp,  liebe  mit  leide  zu  betonen  ist.  Scherer  hält  an 
Laohmanns  betonungsweise  fest.  Er  meint,  für  das  mittclhochd.  Hesse 
sich  der  beweis  von  der  Unrichtigkeit  der  andern  betonung  auf  das  bün- 


458  PAUL 

keit  (lieser  form  der  achten  halbzeile  im  gemeiusamen  texte 
und  in  den  einzelnen  bearbeitungen  im  Verhältnis  zu  der 
häufigkeit  der  form  mit  ausgefüllter  Senkung  (s,  154.  308.  310). 
Seine  zahlen  können  freilich  nicht  als  absolut  zuverlässig  be- 
trachtet werden.  Vollständige  genauigkeit  ist  überhaupt  nicht 
zu  erreichen.  Es  kann  das  princip  der  Zählung  zweifelhaft 
sein.  Der  Originaltext  der  einzelnen  recensionen  lässt  sich 
nicht  immer  zweifellos  herstellen.  Dabei  ist  besonders  zu  be- 
achten, dass  Bartsch  schon  bei  der  herstclkmg  des  textes  ß* 
möglichst  bestrebt  gewesen  ist  die  form  mit  syncopierter 
Senkung  herzustellen,  wo  die  Überlieferung  nur  irgend  eine 
handhal^e  dazu  darbot.  Doch  die  abweichungen  in  den  zahlen, 
die  sich  bei  einem  andern  verfahren  ergeben  würden,  können 
nicht  so  beträchtlich  sein,  dass  dadurch  die  Verhältnisse  ganz 
wesentlich  verändert  würden.  Nach  Bartsch  haben  nun  von 
den  in  beiden  texten  übereinstimmenden  schlussversen,  die  in 
A  fehlenden    Strophen   eingerechnet,    Avenn   man   mit  ihm   die 


digste  tiihien.  Wenn  es  erlaubt  gewesen  wäre  ein  schwaches  e  über 
den  vollen  vocal  einer  Wurzelsilbe  zu  erheben,  so  würden  die  lyriker 
und  Konrad  von  Würzburg  bctonungen  wie  kunegcs  dein,  sibcn'c  daz, 
Inmele  diu,  mäncgc  der  darbieten.  Diese  würden  aber  bis  auf  verein- 
zelte ausnahmen  vermieden.  Es  lässt  sich  gewis  nichts  bündiger  zurück- 
weisen als  dieser  einwurf.  Die  beobachtung  ist  allerdings  richtig,  aber 
gerade  so  richtig  ist,  dass  auch  betonungen  wie  kunegcs  gehot,  sihene 
vermeit ,  inänegi'z  e7-warp  etc.  von  den  lyrikeru  und  Konrad  gar  nicht 
oder  nur  ganz  vereinzelt  zugelassen  werden.  Die  Unfähigkeit  der  silbe 
mit  schwachem  e  die  hebung  zu  tragen  ist  also  unabhängig  von  der 
natur  der  nachfolgenden  Senkung.  Es  scheint,  dass  Wörter  wie  küncges 
maneger  etc.  gleich  zweisilbigen  behandelt  sind.  Damit  aber  ist  Scherers 
einwand  hinfällig.  Eine  weitere  stütze  für  seine  ansieht  bringt  er  nicht 
vor.  Ich  werde  vielleicht  später  einmal  gelegenheit  haben  die  entgegen- 
gesetzte noch  weiter,  als  dies  schon  von  Simrock  und  Bartsch  geschehen 
ist,  zu  motivieren.  Für  jetzt  kommt  es  mir  nur  darauf  an  zu  constatie- 
ren,  dass  das  von  Bartsch  für  die  achte  halbzeile  der  Nibelungenstrophe 
aufgestellte  gesetz,  mindestens  bis  auf  verschwindende  ausnahmen  seine 
gcltung  hat.  Es  ist  auch  namentlich  sehr  deutlich,  warum  die  Senkung 
nicht  vor  der  letzten  hebung  syncopiert  werden  kann.  Eine  silbe,  die 
hebung  und  Senkung  zugleich  trägt,  ist  hoher  betont  als  die  folgende 
hebung.  Die  letzte  silbe  der  achten  halbstrophe  aber,  welche  die  Strophe 
abschliesst,  muss  voll  und  kräftig  betont  sein,  und  es  muss  daher  die 
abschwächung  durcli  eine  unmittelbar  vorhergehende  stärker  betonte 
öilbe  vermieden  werden. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  459 

elision  eiues  auslautenden  schwachen  e  für  notwendig  hält, 
997  die  form  mit  fehlender  Senkung,  wenn  man  aber  von  den 
fällen  abieieht,  wo  erst  durch  elision  syncope  der  Senkung  ent- 
steht, 939.  Da  im  ganzen  nach  meiner  ungefähren  berech- 
nung  die  beiden  texte  in  etwa  1800  Schlusszeilen  überein- 
stimmen, so  bilden  die  verse  mit  fehlender  Senkung  im  gemein- 
samen texte  die  grössere  hälfte.  Sehr  abweichend  ist  das 
Verhältnis  da,  wo  beide  texte  auseinander  gehen.  Unter  den 
fällen,  in  welchen  sich  die  abweichung  nicht  auf  den  reim  er- 
streckt und  überhaupt  gering  ist,  zählt  Bartsch,  widerum  die 
in  A  fehlenden  Strophen  eingerechnet,  214,  in  denen  nur  C* 
die  Senkung  ausfüllt,  nicht  B*,  34,  in  denen  nur  B*  sie  aus- 
füllt, nicht  C*,  8G,  in  denen  sie  beide  ausfüllen,  30,  in  denen 
sie  beide  unausgefüUt  lassen;  also  von  364  haben  in  C*  300 
ausfüUung  der  Senkung.  Unter  den  fällen,  wo  der  reim  ab- 
weicht, habe  ich  nach  eigener  durchsieht  63  gezählt,  in  denen 
C*  die  Senkung  ausfüllt,  B"*'-'  nicht,  22,  in  denen  sie  B*  aus- 
füllt, C*  nicht,  80,  in  denen  sie  beide  ausfüllen,  14,  in  denen 
sie  beide  unausgefüUt  lassen;  also  unter  179  fällen  hat  C  in 
143  ausfüllung,  in  36  syncope  (Bartsch  zählt  der  letzteren  nur 
20).  Unter  den  80  Strophen,  die  C*  allein  enthält  und  die  in 
B*  fehlen  oder  durch  andere  ganz  abweichende  ersetzt  wer- 
den, haben  71  ausfüllung  und  nur  9  syncope.  Unter  solchen 
umständen  ist  es  unzulässig,  an  blossen  zufall  zu  denken. 
Die  abweichungeu  in  dem  was  C  *  eigentümlich  ist  von  dem 
gebrauche  im  übereinstimmenden  texte,  müssen  auf  änderung 
des  Originaltextes  durch  den  bearbeiter  zurückgeführt  werden. 
Es  fragt  sich  nun  aber,  ob  wir  auch  B  *  die  tendenz  zur 
ausfüllung  zuschreiben  dürfen.  Unter  den  versschlüssen  mit 
geringer  abweichung  haben  nach  den  eben  gegebenen  Zusam- 
menstellungen in  B*  120  die  form  mit  ausgefüllter,  244  die 
mit  unausgefüUter  Senkung.  Das  scheint  also  im  gegenteil 
dafür  zu  sprechen,  dass  B'''  eine  Vorliebe  für  die  letztere  form 
hat.  Allein,  falls  wir  die  ab  weich  ungen  an  diesen  stellen  auf 
die  tendenz  zur  ausfüllung  der  Senkung  zurückführen,  so 
müssen  ja  hier  solche  strophen  ausgewählt  sein,  welche  im 
originale  syncope  hatten.  Deshalb  bcAveist  das  überwiegen 
der  syncope  hier  nicht,  dass  B*  eine  grössere  Vorliebe  dafür 
hatte  als  das  original.    Es  könnte   im  gegenteil  auch  B  ■••■  die 


460  PAUL 

syiicope  an  einer  bcträclitlichen  zalil  von  stellen  fortgescliafft 
haben,  nur  jedenfalls  cilieblich  seltener  als  C*.  Es  konnte, 
sage  ich,  aber  einen  beweis,  dass  es  der  fall  sein  niüste,  liefert 
natiivlicli  das  zaLlenvorhältnis  bei  dieser  gTii])pe  von  vers- 
schlüssen  nicht  im  geringsten.  Anders  steht  es  da,  wo  beide 
recensionen  im  reime  von  einander  abweichen.  Hier  kann  die 
tendenz  zur  ausfüllung  nicht  wol  das  motiv  zur  änderung  ge- 
wesen sein,  aber  die  Vorliebe  für  die  ausfüllung  müste  die 
form  der  aus  anderen  gründen  vorgenommenen  änderung  be- 
stimmt haben.  B''-'  hat  in  77  fällen  syncope  (nach  Bartsch  7i), 
in  102  fällen  ausfüllung.  Es  weicht  also  wirklich  das  Ver- 
hältnis von  dem  im  gemeinsamen  texte  nicht  unerhelüich  ab. 
Dagegen  in  den  38  Strophen ^  die  in  13*  allein  stehen,  in  C* 
fehlen  oder  durch  ganz  abweichende  ersetzt  werden,  haben 
nach  Bartsch  (s.  32 i)  19  die  achte  halbzeile  mit  fehlender 
Senkung,  ausserdem  noch  2,  w^enn  mau  elision  annimmt,  16 
mit  ausgefüllter,  1  mit  syncope  an  unrechter  stelle  (2258  und 
Günther  der  künic  her).  Das  Verhältnis  ist  also  hier  ungefähr 
wie  in  den  übereinstimmenden  zeilen.  Allerdings  würde  ja 
für  das  original  das  Verhältnis  zu  gunsten  der  syncope  ver- 
ändert werden,  wenn  die  zeilen  hinzukämen,  in  denen  die  syn- 
cope in  der  einen  bearbeitung  beseitigt  ist.  Immerhin  aber 
bleibt  der  abstand  zu  gering,  als  dass  man  B*  mit  vollster 
Sicherheit  eine  bewuste  tendenz  zur  ausfüllung  zuschreiben 
dürfte.  Doch  ist  es  als  wahrscheinlich  zuzugeben,  dass  auch 
B*  etwas  mehr  zur  ausfüllung  geneigt  gewesen  ist  als  das 
original. 

War  demnach  eine  tendenz  zur  ausfüllung  in  C*  vorhan- 
den und  in  sehr  viel  geringerem  massc  auch  in  B*,  folgt  dar- 
aus, dass  diese  tendenz  so  sehr  überwog,  dass  niemals  eine 
der  beiden  bearbeitungen  an  stelle  der  ausfüllung  im  originale 
syncope  einführen  konnte?  Folgt  daraus  ferner,  dass  überall 
da,  wo  ß''-'  und  C*  die  seulvung  verschieden  ausgefüllt  iiaben, 
auch  beide  in  verschiedener  weise  die  syncope  beseitigt  haben? 
Wir  suchen  zuerst  eine  antwort  auf  die  letzte  iiagc  zu  geben. 
Wenn  beide  bearbeitungen  die  syncope  an  einer  reihe  von 
stellen  beseitigt  haben,  so  muss  es  allerdings  nicht  l)ioss  vor- 
gekommen sein,  dass  die  eine  änderte,  während  di<'  andere 
das  ursprüngliche  bewahrte,   sondern  auch,   dass  sie  beide  an 


ZUR  NIBELUNGENFÜAGE.  461 

derselben  stelle  änderten.  Nach  allgeiiieineu  ■svalirscbeiulich- 
keitsgTüudeu  ist  zu  erwarten,  dass  die  stellen,  an  welchen 
beide  ändern  und  die,  an  welchen  nur  die  eine  ändert,  in 
einem  bestimmten  Verhältnisse  zu  einander  stehen,  welches 
sich  -durch  mathematische  formein  ausdrücken  lässt.  Neunen 
wir  die  zahl  der  achten  halbzcilen  mit  syncope,  welche  das 
original  enthielt,  ??^,  die  zahl  der  fälle,  in  welchen  B*  ausfüllt, 
X,  die  zahl  der  fälle,  in  welchen  C*  ausfüllt  y,  die  zahl  der 
fälle,  in  welchen  ß*  allein  und  nicht  C*  ausfüllt  a,  die  zahl  der 
fälle,  in  welchen  C*  allein  und  nicht  B*  ausfüllt  b,  so  ist  die 
Wahrscheinlichkeit  bei  jeder  einzelnen  zeile,   dass  B*  ausfüllt 

=  -,  dass  C  ausfüllt  =  -,   dass  beide  ausfüllen  =  —^.    Da 
m  m  m- 

sich  diese  Wahrscheinlichkeit  m  mal  widerholt,  so  ist  die  zahl 

der  zu  erwartenden  fälle,  in  denen  beide  ausfüllen  =  — .    Be- 

m 

stimmen  wir  nun  die  unbekannten  x  und  y  und  danach  — ^     aus 

den  bekannten  m,  a  und  h.  Die  gesammtzahl  der  fälle,  in 
Avelchen  eine  recension  ausfüllt,  ist  gleich  der  summe  derjeni- 
gen, in  welchen  sie  allein  ausfüllt  und  deijeuigen,  in  welchen 
sie  in  der  ausfülluug  mit  der  andern  zusammentrifft.  Wir 
können  demnach  folgende  gleichungen  ansetzen: 

a  -\ =^  X 

m 

»  +  -^  =  !/. 

m         -^ 

Die  auflösung  dieser  gleichungen  ergibt  folgende  resultate: 

^  =  V2  (»«  +  «  —  b)  ±  [/  ^U{m-\-a  —  h)- — am 

U  =  V2  {^n  —  a-^h)  +  1/ V4  (»^  +  «  —  ^Y  —  ^'^ 

"^  =  1/2  (m—a  —  b)   +  l/~V47m  +  0  ~  by  —  am 
m  V     '    \ 

Setzen  vvir  nun  die  uns  bekannten  zahlen  für  die  buchstaben 
ein.  Wir  müssen  dabei  absehen  von  den  stellen,  an  welchen 
der  reim  abweicht  und  uns  nur  an  diejenigen  halten,  in  wel- 
chen beide  recensionou  übereins'immen  oder  nur  unl)edeutcnd 
verschieden  sind.  Unter  den  ersteren  hatten  wir  997  fälle  mit 
Synkope   der  Senkung.     Die  letzteren   waren   zusammen   364. 


462  PAUL 

Nähmen  wir  also  mit  Bartscli  an ,  dass  in  diesen  allen  ur- 
sprünglich die  Senkung  nicht  ausgefüllt  war,  so  bekämen  wir 
zusammen  1301,  welche  zahl  wir  also  für  w  einzusetzen  hätten. 
u  wäre  =  34,  b  =  214.  Diese  zahlen  eingesetzt,  ergibt  fol- 
gende resultate.     Nehmen  wir  die  quadratwurzel  positiv,  so  ist 

X  =  1140,42,  y  =  1320,42,   ^^  =  1106,42.    Nehmen  wir  sie 

negativ,   so  ist  x  =  40,68,   ij  =  220,  68,  ^   =  6,68.     Was 

bedeuten  diese  doppelten  zahlen?  Die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
beide  bearbeitungen  in  der  ausfüllung  zusammentreffen,  steigt 
stetig  mit  der  zahl  der  fälle,  in  denen  die  einzelnen  überhaupt 
ausfüllen,  und  zwar  in  sich  steigerndem  Verhältnis.  Die  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  eine  recension  allein  ausfüllt,  steigt  zu- 
nächst auch,  aber  in  abnehmendem  verhälfnis,  bis  sie  einen 
höhepuukt  erreicht,  von  dem  sie  wider  herabsinkt,  weil  sie 
von  der  immer  stärker  w'achsenden  Wahrscheinlichkeit  des  Zu- 
sammentreffens überwältigt  wird,  und  schliesslich  wider  auf  0 
herabsinkt.  Es  gibt  also  diesseits  und  jenseits  des  culmiua- 
tiouspunktes  eine  stelle,  in  welcher  die  Wahrscheinlichkeit  für 
einseitige  ausfüllung  in  einer  recension  gleich  ist,  während  die 
für  das  zusammentreffen  beider  recensionen  und  die  zahl  der 
fälle,  in  denen  überhaupt  ausgefällt  wird,  sehr  verschieden  ist. 
Für  uns  kommt  hier  nur  die  stelle  diesseits  des  culminations- 
punktes  und  die  kleineren  zahlen  in  betracht.  Wir  hätten 
also  nur  6,68  fälle  des  zusammentieff'ens  zu  erwarten,  w'ährend 
Bartsch  86  annimmt.  Zu  bemerken  ist  allerdings,  dass,  wenn 
man,  wie  es  nun  geschehen  muss,  den  grösten  teil  dieser  86 
von  der  gesammtzahl  der  fälle  mit  ursprünglicher  syncope  ab- 
zieht, das  resultat  ein  klein  wenig  günstiger  wird.  Es  könnte 
ferner  eingewendet  werden,  dass  sich  gewisse  stellen  leichter 
hätten  ändern  lassen  als  andere  und  daher  das  zusammen- 
treffen häufiger  geworden  sei.  Indessen  kann  sich  ein  solches 
moment  wol  nur  in  sehr  untergeordnetem  masse  geltend  ge- 
macht haben.  Man  braucht  nur  das  von  Bartsch  s.  142  ff. 
gegebene  Verzeichnis  der  verschiedenen  fälle  mit  syncope 
durchzusehen,  und  man  wird  bemerken,  dass  die  abweichungeu 
bei  allen  arten  derselben,  und  zwar  ziemlich  gleichmässig  vor- 
kommen. 


ZUR  NIBELÜNGENFRAGE.  463 

Demuacli  würde  also  das  feststehen,  dass  bei  weitem  in 
den  meisten  fällen ,  wo  B  *  und  C  *  die  Senkungen  verschie- 
den ausfüllen,  kein  formales  motiv  für  die  abweiclmng  vor- 
liegt, und  überhaupt  für  die  erklärung  derartiger  abweichungen 
hier  so  wxuig  wie  aidcrwäits  erforderlieh  ist.  Sicher  ohne 
formales  motiv  sind  ja  nun  auch  die  abweichungen  in  den  30 
fällen,  wo  beide  bearbeitungen  die  Senkungen  unausgefüllt 
lassen.  Die  abweichungen  aber,  in  denen  die  eine  ausgefüllt 
hat,  die  andere  nicht,  tragen  durchaus  keinen  andern  charakter. 
Wie  ist  es  anders  denkbar,  als  dass  auch  von  diesen  eine 
ziemliche  anzahl  ohne  formalen  antrieb  entstehen  musten  ?  Wir 
dürfen  überhaupt  annehmen,  dass  dieser  nicht  das  erste  war, 
wodurch  die  änderungen  veranlasst  wurden.  Es  ist  doch  auch 
nach  Bartsch  der  bei  weitem  gröste  teil  der  versc  mit  syn- 
copierter  Senkung  in  C '''  und  AoUends  in  B *  unverändert  ge- 
blieben. Eine  wirkliche  beseitigung  der  syncope  war  also  nicht 
angestrebt.  Wir  finden  dann  die  syncope  in  C  *  und  noch 
mehr  in  B*  auch  da  angewant,  wo  sie  vom  originale  ab- 
weichen, so  dass  sie  ihnen  also  doch  immer  geläufig  bleibt, 
nur  weniger  geläufig  als  dem  originale.  Wir  haben  daher  wol 
weniger  eine  deutlich  bewustc  tendenz  zur  ausfüllung  anzu- 
nehmen, als  eine  mehr  unbewust  wirkende  Vorliebe,  die  der 
auch  sonst  sich  geltend  machenden  ueiguug  zu  allerhand  klei- 
nen änderungen  eine  bestimmte  richtuug  gab.  Eine  solche 
Vorliebe  wird  aber  nicht  gehindert  haben,  dass  nicht  hier  und 
da,  nur  viel  seltener,  auch  das  gegenteil  stattfand,  dass  nicht 
auch  mitunter  die  Senkung  ausgestossen  wurde.  Eine  Wahr- 
scheinlichkeitsbestimmung zu  finden,  wie  oft  etwa  das  letztere 
stattgefunden  haben  mag,  ist  nicht  möglich.  Aber  jedenfalls 
ist  niemals  mit  absoluter  Sicherheit  zu  sagen,  dass  die  form 
mit  syncopierter  Senkung  älter  ist  als  die  mit  ausgefüllter. 

Was  in  bezug  auf  die  achte  halbzeile  ausgeführt  ist,  gilt 
natürlich  ebenso  für  alle  ülirigcn  fälle  des  wechseis  von  syn- 
cope und  ausfüllung.  Es  findet  seine  anwcndung  nicht  bloss 
auf  das  lied,  sondern  auch  auf  die  Klage.  In  der  letzteren 
ist  Bartsch  (und  ebenso  Edzardi)  noch  viel  weiter  gegangen 
als  im  liede  mit  der  annähme  verschiedener  ausfüllung  der 
Senkung  durch  ])eidc  bearbeitungen.  Es  wird  nicht  nötig  sein 
dies  verfahren    noch    einer   besonderen   kritik   zu   unterziehen. 


464  PAUL 

Nach  der  ol)cii  ii'egebencii  (larlcguiig  wird  man  wisseu,  waa 
man  Aon  den  massculiaften  ausstossinigen  der  Senkung-,  von 
der  bcrsiclhnig  der  angeblich  nrspriiiiglichcn  altertümlichen 
formen  vi/e,  tvane,  ime ,  ire ,  dcme,  alleme  etc.,  von  den  häufig 
eingeführten  unde  in  der  ersten  hebung  zu  !ialten  bat. 

Die  l)ctraclitung  der  Senkungen  führt  uns  also  zu  einem 
ähnlichen  resultate  wie  die  der  reime.  Dasselbe  ist  ein  sehr 
])escbeidenes ,  gegen  das  von  Bartsch  äusserst  geringfügiges. 
Eine  menge  von  fragen  in  bezug  auf  das  text Verhältnis,  die  er 
erledigt  glaubte,  sind  nacb  den  gegebenen  ausführungen  noch 
oifeu,  und  für  die  meisten  abweichungen  haben  wir  den  grund 
erst  zu  suchen  und  werden  ihn  zum  grossen  teile  Vv'ol  niemals 
finden.  Diejenigen,  welche  auf  einem  ganz  andern  boden 
stehen  als  Bartsch,  werden  mir  vielleicbt  den  Vorwurf  machen, 
dass  ich  überflüssig  viele  mittel  aufgeboten  habe  ihn  zu  wider- 
legen. Ich  halte  aber  dafür,  dass  man  bei  einer  so  wichtigen 
frage  nicht  vorsichtig  genug  zu  \verke  gehen  kann ,  wenn  es 
dadurch  gelingt,  etwas  sieher  und  unbestreitbar  festzustellen. 
Dass  ich  dies  für  den  negativen  teil  meiner  auslebten  erreicht 
habe,  glaube  ich  zuversichtlich  behaupten  zu  dürfen.  Ist  es 
mir  a,uch  für  den  positiven  teil  geglückt,  dann  mag  noch  so 
viel  im  einzelnen  unentschieden  und  uuentscheidbar  bleiben, 
jedenfalls  sind  der  kritik  bestimmte  schranken  gezogen,  die 
sie  einzuhalten  hat. 


IV.    Die  Stellung  der  gruppe  Id. 

Die  hss.  HOd  IKQl  nehmen  eine  eigentümliche  mittel- 
stellung  ein ,  indem  sie  im  wesentlichen  mit  B  *  stimmen ,  da- 
neben aber  einerseits  eine  anzahl  von  lesaiieu  mit  C*  teilen 
und  zwar  die  näher  zusammengehörigen  IKQl  viel  mehr  als 
HOd,  anderseits  20  Strophen  mit  C*  gemein  haben,  welche 
den  übrigen  hss.  von  B*  felilen.  Gelit  man  von  B*  (A)  oder 
C'"''  als  dem  ursprünglichen  texte  aus,  so  ist  es  möglich  Id^\ 
Avie  wir  die  gruppe  nach  den  beiden  vollständigen  hss.  ])e- 
zeichuen  können,  als  eine  Zwischenstufe  zwischen  beiden  an- 
zusehen, in  welcher  also  der  ursprünglichere  text  entweder 
schon  etwas  erweitert  oder  nicht  ganz  so  stark  verkürzt  wäre. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  465 

Sobald  man  aber  in  B*  und  C*  selbstfindige  bearbeitung-en 
eines  ältereu  originales  anerkennt,  so  wird  diese  annähme  un- 
m(3g-lich.  Mag  man  aneh  annehmen ,  dass  B*  dem  originale 
ziemlieh  nahe  geblieben  ist,  so  teilt  doch  Id  alle  wesentlichen 
ab  weichungen  mit  B*  C'-'  nicht  und  kann  dalier  in  keinem 
abhüngigkeitsverhältuis  zu  Id  stehen,  ebensowenig  wie  zu  der 
gruppe  B*  im  engern  sinne.  Es  sind  nur  zwei  aufiassungen 
denkbar.  Entweder  Id*  haben  da,  wo  sie  mit  C*  stimmen, 
soweit  diese  Übereinstimmung  nicht  etwa  auf  zufall  zurück- 
zuführen ist,  den  Originaltext  xcn  B*  und  damit  des  ursprüng- 
lichen Werkes  besser  bewahrt  als  die  übrigen  hss.  von  B*,  die 
dann  ihrerseits  für  sich  alle  aus  einer  hs.  hervorgegangen  sein 
müsten,  die  schon  die  abweichungen  vom  Originaltext  B*  = 
C"^-'Id  enthielt.  Dies  ist  die  natürlichste  und  nächstliegende 
auffassung.  Oder  Id*  ist  aus  einer  mischung  von  B*  und  C* 
entstanden,  indem  im  v/esentlichen  eine  hs.  von  B  *  zu  gründe 
gelegt  ist,  die  aber  durch  eine  andere  von  C*  ergänzt  und 
modificiert  ist.  Letzteres  ist  die  ansieht  von  Bartsch.  Die 
frage  ist  sehr  schwer  zu  entscheiden.  Ich  werde  mich  im  fol- 
genden bemühen  die  gründe  für  das  eine  und  das  andere 
möglichst  unparteiisch  abzuwägen. 

Was  zunächst  die  Übereinstimmung  in  einzelnen  lesarten 
betrifft,  so  scheint  mir  in  dieser  beziehung  Bartschs  ansieht 
kaum  haltbar.  Dass  ein  Schreiber  mehrere  handschriften  neben 
einander  benutzen  konnte,  ist  sehr  wohl  denkbar  und  durch 
eine  reihe  von  beispielen  zu  belegen.  Nicht  selten  ist  es  vor- 
gekommen, dass  aus  einer  hs.  der  vordere,  aus  einer  andern 
der  hintere  teil  abgeschrieben  ist ;  auch  dass  aus  verschiedenen 
hss.  bald  eine  partie  aus  dieser,  bald  aus  jener  genommen  ist, 
lässt  sich  nachweisen.  Denkbar  wäre  es  auch,  dass  zwei  hss. 
fortlaufend  neben  einander  gebraucht  und  mit  einer  art  von 
kritik  bald  die  lesart  dieser,  bald  die  jener  ausgewählt  wäre. 
Aber  ein  verfahren,  was  ich  mir  nicht  gut  vorstellen  kann,  ist 
es,  dass  ein  Schreiber  zwei  stark  von  einander  al)weichende 
hss.  neben  einander  benutzt  und  dabei  sich  in  allen  haupt- 
punkten  durchaus  an  die  eine  anschliesst,  während  er  eine  reihe 
von  unbedeutenderen  abweichungen,  und  zwar  gleichmässig 
durch  das  ganze  werk  hindurch  aus  der  andern  entlehnt,  ohne 
jemals  eine  bedeutsamere  aufzunehmen.     Ist  nicht  vielmehr  zu 


466  l'AUL 

veniudon,  dnss  er  gerade  die  stärkeren  beachten  und  eventuell 
aulnelinien  wird,  wälirend  er  die  i^elnväclieien  uubcriicksi  litigt 
lässt?  Ein  so  unwalirscheinliclies  verfahren  aber  würde  nach 
Bartsch  in  Id*  vorliegen. 

Dazu  kommt  eine  andere  Schwierigkeit,  Häufiger  als  Id* 
stimmt  I*  allein  zu  C*  während  d*  zu  B*  stimmt.  Sollen 
wir  uns  etwa  die  saehe  so  denken,  dass  zunächst  der  Schreiber 
des  Originals  von  Id*  die  20  Strophen  und  einige  lesarten  aus 
C*  entlehnt  und  dass  dann  der  Schreiber  des  Originals  von  I* 
von  frischem  C*  benutzt  und  eine  reihe  von  lesarten  daraus 
entnommen  hätte,  oder  dass  das  original  von  Id*  alle  in  I* 
zu  C*  stimmenden  lesarten  enthalten  und  d*  daneben  eine 
hs.  der  engern  gruppe  B*  benutzt  hätte.  Bartschs  autiassung 
führt  also  zu  der  Voraussetzung  höchst  verwickelter  und  wenig 
wahrsclieinlicher  Vorgänge. 

Icii  würde  es  noch  eher  glaublich  finden,  dass  alle  Über- 
einstimmungen zwischen  Id*  oder  I*  allein  und  C*  auf 
blossem  zufalle  beruhten.  Sie  erstrecken  sich  wirklich  zumeist 
auf  kleinigkeiten ,  in  denen  leicht  zwei  selbständig  ändernde 
hss.  oder  recensiouen  zusammentreffen  können.  Wir  finden 
beim  Nibelungenliede  so  gut  wie  bei  andern  werken,  dass  die 
verschiedensten  hss.,  bald  diese,  bald  jene  einige  leichtere  ab- 
weichungen  mit  einander  gemein  haben,  die  nur  auf  rechnung 
des  Zufalls  gesetzt  werden  können.  Es  ist  dabei  zu  beachten, 
dass  I*  gerade  besonders  viele  selbständige  abweichungen 
bietet,  deshalb  auch  um  so  öfter  mit  andern  hss.  zusammen- 
zutreffen aussieht  hat.  Und  da  anderseits  C*  von  dem  ge- 
meinsamen texte  B  *  viel  stärker  abweicht  als  irgend  eine 
zur  gruppe  B*  gehörige  hs.,  so  sind  jedenfalls  die  Chancen 
für  das  zusammentreffen  von  C*  und  I*  grösser  als  für  das 
zusammentreffen  irgend  zweier  sonstiger  hss.  oder  handschriften- 
gruppen.  Es  ist  gar  nicht  anders  denkbar,  als  dass  ein  solches 
zufälliges  zusammentreffen  in  einer  reihe  von  fällen  stattgehabt 
haben  muss. 

Ueberblickt  man  nun  aber  die  ganze  fülle  von  lesarten, 
die  I  *  abw^eicheud  von  B  *  mit  C  *  teilt ,  so  scheint  es  doch 
wider  bedenklich ,  hier  nichts  als  zufall  zu  sehen.  Die  zahl 
ist  zu  bedeutend  und  einige  weichen  doch  etwas  erheblicher 
ab.     Manche    scheinen    allein   richtig.    Sollte   also   nicht   doch 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  467 

bloss  ein  teil  der  Übereinstimmungen  auf  zufall  zurückzufüh- 
ren, der  andere  aus  einer  gemeinsamen  quelle  abzuleiten  sein? 
Der  ursprüngliche  bestand  der  auf  wirklichem  causalzusammen- 
hang  beruhenden  Übereinstimmungen  würde  dann  durch  eine 
anzahl  zufällig  hinzukommender  vermehrt  sein.  Es  ist  aber  in 
rechnung  zu  ziehen,  dass  er  anderseits  auch  einige  Verringerung 
erfahren  haben  könnte,  indem  I*  bei  seinen  starken  selbstän- 
digen änderungen  zuweilen  mit  der  eugern  gruppe  B-"'  zu- 
sammengetroffen wäre  oder  in  der  art  abgewichen,  dass  nicht 
mehr  auszumachen  wäre,  ob  seine  vorläge  wie  B*  oder  wie 
C  *  gelautet  hätte. 

Viel  weniger  leicht  als  die  von  I*  können  die  Überein- 
stimmungen von  Id*  mit  C*  zufällig  sein,  die  ja  allerdings 
auch  viel  weniger  zahlreich  sind.  Denn  1  *  und  d  *  haben 
keine  irgend  erheblichem  abweichungen  von  B*  mit  einander 
gemein  ausser  denen,  die  sie  mit  C*  teilen.  Man  möchte  sich 
daher  auch  am  ersten  das  Verhältnis  so  denken,  dasz  nicht  I* 
und  d*  auf  eine  gemeinsame  quelle  gegenüber  der  engern 
gruppe  ß  *  zurückgingen ,  sondern  vielmehr  die  letztere  und 
d*  gegenüber  I*.  Damit  wäre  das  problem  gelöst,  w\irum 
d*  so  viel  weniger  lesarten  mit  C*  teilt  als  1  ■■'•'.  Es  gäbe 
dann  also  gar  keine  gruppe  Id*  und  die  auschauuug,  von 
der  wir  zunächst  ausgegangen  sind,  ^väre  danach  zu  be- 
richtigen. 

Ich  habe  diese  allgemeinen  reflexionen  mit  allem  vorbe- 
hält gegeben,  und  mich  der  abschliessenden  entscheidung  ent- 
halten. Um  die  darin  in  allgemeinen  umrissen  angegebenen 
tatsachen  genauer  zu  belegen  und  ein  urteil  über  das  einzelne 
zu  ermöglichen,  gebe  ich  nun  ein  auf  grundlage  von  Lach- 
manns und  Bartschs  Varianten  gemachtes  Verzeichnis  der  über- 
einstimmenden lesarten,  zunächst  derjenigen,  die  I*  und  d* 
mit  C*  teilt.  Die  meisten  darunter  sind  so  beschatten ,  dass 
es  kaum  möglich  ist  über  den  Vorzug  der  beiden  einander 
gegenüberstehenden  lesarten  zu  entscheiden.  Ich  hebe  unter 
denselben  die  etwas  stärkeren  abweichungen  durch  gesperrten 
druck  hervor:  136,  3  reit  C*Id  =  muose  B*.  142,  1  /;-  uns 
=  ir.  142,  4  suochen  iiiwer  laut  CD,  suochen  in  iur  lant  Ib, 
heer  suochen  ewr  lant  d  =  suochen  her  enlant  B,  iuch  suochen 
inz  lant  A.     156,  1    mich  dunket  =   dunchet  mich  AB.     162,  3 


468  l^AUL 

in^ide  müczen  =  miiezen  vride.  239,  1  durch  ir  =  durch. 
25o,  l  7virt  =  Idmec.  301,4  vor  ir  (fehlt  d)  mäyen  {inage  \) 
=  vor  manegem  helde.  359,  2  schouwen  wolden  =  rvolden 
schoiuven.  365,  1  unt  hrähle  in  zuo  dem  schiffe  izuo  ir  scheß'e 
I,  zu  ireu  sehe/Jen  d)  =^  imdc  hrähle  in  zuo  zi)i.  405,  3  mit 
=  (jegen.  414,  2  ein  Hehlen  =  einen.  532,  3  schwnen  = 
schöne.  850,  3  slner  =  der  slner.  951,  1  ir  =  daz  {daz  ir 
b).  1016,  4  der  frourven  und  ir  megeden  =  [den  B]  vrourven 
und  [den  B]  megeden.  1031,  1  daz  =  wol.  1031,  2  Slvrides 
=  Sigemundes.  1043,  3  riehen  =  guolen.  1046,  1  m  ?>•  /e/f/^« 
(/e/<?e  (1),  m/7  /e/(/e  I  =  nacÄ  /;•  /cvV/e.  1071,  4  t?ö/-  schuldige 
=  den  schuldigen.  iOSl,  1  iteniurvem  leide  ==  iteniurven  leiden. 
1106,  3  rf/6'  =  5/.  1136,  3  fehlt  =  den.  1194,  3  fehlt  = 
einen.  1197,  3  ir  mir  =  /r.  1211,  2  rfa  z^w  =  zen.  1216,  2 
<?/e  richeite  {richeii  la,  relchate  d)  =  rtcheite.  1221,  1  <?er 
dühte  =  duhle.  1224,  1  hundert  =  fünfhundert.  1226,  4 
gelebeten  =  gelebete.  1233,  4  fehlt  CHld  =  v//  ABDbga. 
1238,  4  i;//  wo/  (auch  HO)  =  7vol.  1239,  3  nider  rlten  (aucli  H) 
=  varen  nider.  1239,  4  tvan  ez  in  allen  ist  bekant  (auch  H) 
=  Tvan  ez  ist  in  allen  wol  bekant.  1257,  4  vil  C*Hd  =  da 
ABD,  fehlt  Ib.  1258,  4  riehen  {rilich  I,  ....  H)  =  guoten. 
1260,  3  unden  =  under.  1263,  4  michel  (auch  H)  =  grbziu. 
1267,  1  fehlt  (auch  H)  =  wit.  1280,  1  üz  =  von.  1280,  4 
mit  kraft  unz  an  die  wende  zugen  C,  vast  unz  an  die  wende 
{das  ende  I)  zugen  HId  =  vil  vast  zu  den  wenden  zugen  Db, 
zuo  den  wenden  vasle  zugen  ABg'  (Bartsch)  (man  sieht  deutlich 
die  allmälilicbe  Umwandlung-).  1284,  4  den  =  der.  1306,  4 
michel  (auch  1)  =  manic.  1308,  3  doch  nie  (auch  1)  =  nie. 
1309,  1  ir  {er  Y)  nie  (in  I  fehlt  die  Strophe)  =  nie.  1313,  3 
gar  =  da.  1325,  3  nie  diu  vrouwe  Reiche  (auch  Bartsch)  = 
diu  vrouwe  Helche  nie  ADb  {nie  fehlt  ß).  1327,  1  sl  wonten 
=  wonten  si.  1337,  4  vil  küme  =  käme.  1339,  1  si  wolde  = 
ich  wil.  1358,  1  er  denke  {ich  gedench  I,  .  .  .  dertk  1)  wol  dar 
an  =  daz  er  wol  gedenke  dran.  1361,  4  vil  wol  =  wol.  1368,  4 
leider  (auch  1)  =  vil.  1371,  4  der  hell  =  ^o.  1506,  2  wöcä 
riechen  Hd  =  riechen.  1507,  2  swebende  Hd  =  sweben.  1523,  4 
//^ew  Hd  =  //Ve«.  1549,  1  künden  Hld  =  mohten.  1630,  2 
fehlt  (auch  1)  =  küene.  1680,  4  wcetliche  =  wcerllche.  1697,  4 
lugenden   =  dingen.      1701),  2   küener   =  sterker.      1711,    1 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  46y 

fehlt  =  doiH.  1721,  2  erschein  =  schein.  1726,  4  bi7i  ich  vil 
selten  in  hestän  C  *,  bin  ich  ir  selten  bestan  d,  &m  ich  in  selten 
ab  gegan  K,  hant  si  mich  selten  erlan  I  =  bin  ich  selteii  hinder 
in  bestan]  die  abweieliuiigcu  vou  IKd  deuten  auf  iirsprlmgliclie 
Übereinstimmung-  mit  C*.  1756 — 1786  fehlen  in  d.  1788,  3 
ob  si  dem  münster  (ze  kirchen  I)  wolden  zuo  der  messe  gän  = 
oh  si  zuo  dem  nmister  zer  anesse  wolden  gän.  1795,  2  den  = 
dem.  2039,  4  begenc  {begieng  d,  nu  iuo  I)  =  bedenke.  1858 — 1964 
fehlen  wider  in  d,  und  mit  2071  s(;hliesst  diese  hs.  das  lied. 
Innerhalb  der  fehlenden  partieen  lässt  sich  natürlicli  nicht  er- 
mitteln, welche  lesarten  d*  mit  I*  gemein  gehabt  hat. 

An  mehreren  stellen  ist  auch  gegen  beide  lesarten  nichts 
einzuwenden,  aberC*P'-d*  haben  die  in  B*  fehlende  Senkung 
ausgefüllt.  148,  1  kömen  im  C*Id  (wol  besser)  =  kbmen  B*. 
1 354,  2  tougeullchen  {vll  tugentlichen  d)  tuol  (auch  1)  =  vil 
güetlichen  tuot.  1994,  3  ü/"  in  und  manegen  man  =  üf 
Häwaries  man.  Hierher  gehört  wol  auch  971,  2  do  vorhte  si 
so  harte  {sere  C*)  =  dö  vorhte  si  [vil  Db]  harte  {harte  fehlt 
B)  ABDb.  Umgekehrt  ist  die  Senkung  syncopiert,  wo  sie  in 
B*  ausgefüllt  ist:  970,  1  fnit  strite  bestan  =  dö  bestan.  1289,  2 
Etzel  der  riche  =  vil  rlche.  Es  lässt  sich  also  in  dieser  be- 
ziehung  kein  schluss  zu  Ungunsten  von  Id*  machen. 

An  den  folgenden  stellen  scheinen  mir  C*I*d*  den  ent- 
schiedenen Vorzug  zu  verdienen:  246,  2  und  C*Id  =  von  KQ, 
sinnlos  und  auch  vou  Lachmann  und  Bartsch  verworfen.  282,  2 
des  =  der  AB;  das  allein  richtige  des  auch  hier  von  Bartsch 
aufgenommen.  323,  1.  2  durch  ir  unmäzen  sccene  der  herre 
da  beleiß  .  mit  maneger  kurzewile  man  im  die  zit  vertreip ;  AB 
haben  7iu  für  iin,  was  Bartsch  aufnimmt,  Db  da.  nu  und  da 
sind  leere  flickwörter,  im  gibt  einen  bestimmteren  sinn  und 
wird  noch  dadurch  bestätigt,  dass  darauf  folgt  tvan  daz  in 
trvanc  ir  ininne.  Allerdings  kann_  aber  auch  hier  da  eben  so 
gut  für  das  richtige  im,  als  das  unrichtige  nu  eingetreten  sein, 
und  wir  haben  keine  Ursache,  den  fehler  schon  dem  originale 
von  ABDb  zuzuw^eisen.  417,  3  tvie  nu,  künic  Günther?  wie 
Vliese  wir  den  lip?  =  wä  nu.  Durch  letzteres  wird  an  allen 
stellen,  wo  es  vorkommt,  ausgedrückt,  dass  man  eine  person 
oder  Sache  vermisst  und  ^ie  herbeiwünscht.  Wir  können  es 
durch  'her',   'herbei'    oder  dergl.  übersetzen.     Ich  wüste  nicht, 

Beiträge  zur   geschichte  der  deutschen  spräche.  HI.  3  [ 


470  PAUL 

wie  (las  hierher  passen  sollte.  Günther  ist  ja  zugegen  und 
braucht  nicht  herbeigeiufeu  otler  gewünscht  zu  werden.  Uebri- 
gens  dürfte  man  nach  wä  nu ,  worauf  innner  das  subject  zu 
dem  ellii)tisc]ien  satze  folgt,  kein  komma  setzen,  wie  Bartsch 
tut,  der  dann  erklärt:  Svo  bist  du  nun?  was  soll  nun  aus  dir 
uiul  aus  uns  werden',  zwei  crklärungen ,  die  doch  nicht  ein 
und  dasselbe  sind.  Nur  die  letztere  gibt  den  vom  zusammen- 
hange geforderten  sinn,  passt  aber  nicht  auf  tvä  nu,  sondern 
nur  auf  wie  nu.  ATI,  4  dö  wart  ein  sclioene  grüezen  ein  teil 
mit  vorhten  {sorgen  I)  getan  ==  mit  werken.  In  der  letzteren 
lesart  kann  ich  keinen  verständigen  sinn  finden.  Bartsch  er- 
klärt: 'nicht  nur  mit  Worten,  sondern  auch  durch  die  tat,  also 
durch  niederknieen  als  zeichen  der  huldigung'.  Die  blossen 
geberden  des  griisseus  werden  aber  schwerlich  als  werc  be- 
zeichnet werden.  719,  4  des  sagete  in  Günther  du  danc  = 
Günther  danc  {do  Günther  danc  D).  Dem  verse  in  B*  fehlt 
eine  hebung.  Bartsch  sucht  allerdings  dadurch  zu  helfen,  dass 
er  Gunthere  schreibt,  aber  wir  haben  kein  recht,  diese  form  im 
Nibelungenliede  anzusetzen.  1035,  1  si  riten  an  geleite  von 
Wormz  zetal  den  Bin  =  an  den  Rhi  {über  Bin  A).  Es  ist  die 
rede  von  Siegmund  und  seinen  mannen,  die  in  ihre  heimat  zu- 
riickkeliien.  Da  kann  a)i  den  Bin  nur  durch  die  gedankeu- 
losigkeit  eines  abschreibers  entstanden  sein.  Man  kann  aller- 
dings von  Worms  an  den  Khein  reiten,  da  die  stadt  vom 
flusse  noch  etwas  entfernt  liegt.  Aber  das  hier  von  Siegmund 
und  seinen  leuteu  anzugeben  hätte  nur  einen  sinn,  wenn  dann 
weiter  erzählt  würde,  dass  sie  ein  schiff'  bestiegen  und  die 
reise  zu  wasser  fortgesetzt  hätten.  Aber  davon  ist  keine  rede, 
und  man  muss  annehmen,  dass  sie  dieselbe  zu  lande  machen, 
wie  es  in  der  lesart  von  C*Id  richtig  bezeichnet  ist.  1048, 
1 — 3  lauten  in  den  beiden  recensionen  sehr  verschieden.  C* 
liest  vollkommen  klar  und  verständlich :  '  daz  schuln  wir  ver- 
suochen',  sprach  der  künic  sän,  'ich  ivil  ez  ??mie  brüeder  hijize 
ir  werben  län,  daz  si  mir  daz  füegen  daz  si  uns  gerne  sehe! 
B*  lautet  in  der  herstellung  von  Bartsch:  er  sprach  'wirsidnz 
versuochen  .  mhie  hruoder  sint  ir  bi  :  die  sul  wirz  pitten  werben 
daz  si  unser  vriunt  st,  ob  wirn  ir  an  gewinnen,  daz  si  daz  gerne 
sehe'  Das  in  in  wirn  bezieht  Bartsch  auf  den  hört,  den  der 
dichter  im  sinne  habe,    wiewol  vorher    1047,  3   daz  Nibehmges 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  471 

(joU  genannt  war.  Gesetzt  auch,  dass  diese  bezieliung-  mög- 
lit'li  wäre,  so  kann  docli  Gimtiier  unmoglicli  erwarten,  dass 
seine  scliwester  es  je  gern  sehen  wird,  wenn  er  und  Hagen 
ihr  den  schätz  abnehmen.  Es  kann  nur  von  ihrer  bereitwillig- 
keit  zur  Versöhnung  die  rede  sein,  tvim  ir  an  schreibt  nur 
B,  wir  in  A,  dafür  rvirz  an  ir  D,  wir  irs  an  b;  dabei  könnte 
man  ez  auf  golt  beziehen,  eben  so  gut  aber  auf  den  satz  daz 
si ßaz  gerne  sehe,  der  dann  von  gewinnen  abhängen  mäste. 
Id  haben  ivir  an  ir,  und  dann  übereinstimmend  mit  C  *  daz  si 
uns  gerne  sehe  {sihtX).  Dann  ist  alles  klar:  ob  wir  vielleicht 
von  ihr  erlangen,  dass  sie  bereit  ist  uns  zu  sehen.  1140,  2 
so  hcerel  =  si  hwret.  Diese  stelle  macht  ziemliche  Schwierig- 
keiten. Bartsch  schreibt  wie  Lachmaun  si  hceret  7nlnen  willen, 
oh  siz  gerne  tuot  .  den  wil  ich  iu  künden  in  disen  diäten  tagen. 
Das  könnte  nur  heissen:  sie  wird  meinen  willen  hören,  wenn 
sie  es  gern  tut.  Wenn  sie  was  gern  tut?  Wenn  sie  meinen 
willen  gern  hört?  Günther  besorgt  doch  nicht  etwa,  dass 
Kriemhild  ihn  gar  nicht  anhören  wird?  Gemeint  kann 
nur  sein:  wenn  sie  bereit  ist  Etzels  Werbung  anzunehmen. 
Das  kann  aber  nicht  bedingung  dafür  sein ,  dass  ihr  Günther 
seinen  entschluss  mitteilt.  Weiter  kann  es  auch  nicht  Günthers 
meinung  sein,  dass  er  der  Schwester  seinen  entschluss  in  der 
angelegenheit  mitteilen  will,  worin  ja  liegen  würde,  dass  er 
sie  zwingen  will ;  vielmehr  macht  er  seinen  entschluss  erst  von 
dem  ihrigen  abhängig.  Jedenfalls  kommen  wir  besser  zurecht 
mit  der  lesart  von  0*ld.  Zarncke  schreibt:  so  hoeret  mlnen 
willen;  ob  siz  gerne  tuot,  den  wil  ich  iu  künden.  Dabei  bleibt 
es  aber  doch  noch  seltsam,  dass  Günther  die  boten  auffordert 
seinen  willen  anzuhören,  man  muss  doch  verstehen  sogleich, 
und  dass  er  ihnen  dann  denselben  (es  muss  doch  ein  und  der- 
selbe wille  sein)  erst  nach  verlauf  von  drei  tagen  mitteilen 
will.  Holtzmann  schreibt  bei  gleicher  Interpunktion:  daz  wil 
ich  iu  künden.  Damit  wären  allerdings  alle  Schwierigkeiten 
auf  das  vollkommenste  gelöst.  Aber  daz  steht  nur  in  a,  was 
gegen  die  Übereinstimmung  aller  übrigen  hss.  von  keiner  be- 
deutung  ist.  Es  wird  nichts  übrig  bleiben  als  zu  interpungie- 
ren:  so  hceret  :  minen  willen,  ob  siz  gerne  tuot,  den  wil  etc. 
Immer  bleibt  die  bedingung  etwas  sonderbar,  da  Günther  den 
boten  auch  seineu  entschluss  verkündigen  muss,  wenn  Kriem- 

31' 


172  PAUL 

liild  ablehnt,  und  wir  können  es  uns  höclistens  so  zurecht 
legen,  dass  er  entschlossen  ist  seine  einNvilligung  zu  geben  und 
bei  dem  zu  verkündigenden  entschluss  nur  diese  einwilligung 
im  sinne  hat,  welche  dann  aber  an  die  bereitwilligkeit  der 
Kriemhild  gebunden  ist. 

Besonders  beweisend  ist  1233,  3,  eine  stelle,  an  welcher 
die  Überlieferung  ein  sehr  starkes  schwanken  zeigt.  In  C* 
lautet  die  zeile  mit  der  vorhergehenden  vil  minnecHchez  schei- 
den kos  man  an  der  siunt  die  snellen  Burgonden  von  Rüedegeres 
man,  vollkommen  klar  und  verständlich,  nur  dass  man  die 
leichte  änderung  miivneclichen  wird  einführen  müssen,  wie  AHd 
schreiben,  resp.  minnecllche,  wie  B  hat.  I  stimmt  damit  über- 
eiu,  nur  dass  sie  un  für  von  hat.  Bartsch  schreibt  nach  Bb 
vone  Rüedegeres  des  marcgräven  man.  Hier  beruht  zunächst 
die  form  vone  (in  den  hss.  steht  natürlich  vo)i)  auf  Bartschs 
hypothese  über  das  alter  des  gedichtes.  Dem  Nibelungenliede 
kommt  nur  von  zu,  und  dies  kann  nicht  hebung  und  Senkung 
tragen.  So  gebraucht  kommt  es  nur  in  A  vor,  und  Bartsch 
hätte  keinen  grund  gehabt,  s.  Hl.  2  diesen  gebrauch  für  me- 
trisch richtig  zu  erklären,  da  er  an  den  betreffenden  stellen 
doch  ebenso  eutstellung  annimmt  wie  da,  wo  andere  einsilbige 
Präpositionen  gebraucht  werden.  Wir  werden  also  auch  hier 
eine  entstellung  vor  uns  haben.  Zweitens  erwartet  mau,  dass 
nicht  bloss  die,  von  denen  absclded  genommen  wird,  sondern 
auch  die,  welche  abschied  nehmen,  genannt  Averden.  Drittens 
wird  hier  gegen  die  gesetze  der  Verstellung  Verstössen.  Es 
darf  nicht  ein  Satzglied  in  einer  engeren  logischen  Verbindung 
mit  einem  andern  in  der  voraufgehenden  oder  folgenden  halb- 
zeile  stehen,  als  es  zu  dem  übrigen  teile  derselben  vershälfte 
steht.  Dies  gesetz  wird  man  überall  beobachtet  finden,  gerade 
so  wie  in  der  alliterierenden  poesie.  Rüedegeres  gehört  natür- 
lich näher  zusammen  mit  des  marcgräven,  wie  letzteres  mit 
m,an.  Uebrigens  kommt  auch  sonst  wol  der  marcgräve  Rüede- 
ger  vor,  aber  niemals  Rüedeger  der  marcgräve  ohne  weiteres 
epitheton.  Aus  den  angegebenen  gründen  ist  die  lesart  Aon 
Bb  zu  verwerfen.  A  schiebt  in  dieselbe  nach  Rüedegeres  friun- 
den  ein,  D  recken,  g  heldin,  offenbar  unsinnig,  weshalb  sich 
Lachmann  genötigt  sieht  von  Kriemhikle  frlunden  zu  conjicieren. 
Das  schwanken  von  ADg   macht   es  wol   zweifellos,  dass  wir 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  473 

es  hier  mit  einscliiebungen  zu  tun  haben  und  class  die  beiden 
niclit  in  nächster  verwantschaft  stehenden  hss.  B  und  b  das 
ältere  bewahrt  haben,  welches  aber  seinerseits  widerum  durch 
Verderbnis  entstanden  ist.  In  d  lautet  die  ganze  zeile  von 
Rüedegeres  man,  während  in  0  nur  der  sclüuss  der  zeile  .  . . 
geres  man  erhalten  ist.  Die  lesart  von  d  bietet  offenbar  die 
Zwischenstufe  zu  der  von  C  *  I  und  Bb,  und  dies  ist  der  grund, 
weshalb  ich  die  stelle  hierher  ziehe.  Es  ist  zunächst  die  erste 
halbzeile  die  snellen  Burgonden  ausgefallen,  und  dann  das 
übrigbleibende  in  Bb  und  weiter  in  ADg  ungeschickt  zu  einer 
langzeile  ergänzt.  Autfallend  ist  nur,  dass  H  hier  stark  von 
I  abweicht   und   sich  ADg  zu   nähern   scheint.      Sie   liest  von 

e 

Rvdegeres  .  .  .  die  sah  man  chorlichen  stan.  Es  ist  nicht  nötig, 
dass  dieser  ab  weichung  die  lesart  von  A  zu  gründe  liegt.  Sie 
würde  sich  auch  aus  der  von  d  erklären.  Aber  das  Verhält- 
nis bleibt  immer  rätselhaft,  da  H  sonst  entschieden  zu  I  stimmt. 

1234,  2  von  genagelten  riehen  p feilen  C  (in  a  fehlt  die 
zeile),  von  genagelt  (vo.  .  .  nagelt  H)  richeji  p feilen  Hd  {von 
tivren  liehten  pfellen  I)  =  vo7i  gemälet  riehen  pfellen  ABDbg. 
Für  gemalte  pfelle  wird  man  v^ol  vergeblich  nach  einer  ana- 
logie  suchen.  Bartsch  erklärt  'bunt  verziert'.  Wo  wird  aber 
gemälet  je  von  einer  andern  bunten  Verzierung  gebraucht  ausser 
der  durch  wirkliclie  maierei?  lieber  genagelt  vgl.  mhd.  wb.  ID 
298  a.  Es  wird  auch  von  Bartsch  in  den  Untersuchungen 
s.  192  als  das  richtige  anerkannt.  Auffallend  ist  die  unflectierte 
form,  wofür  ich  keine  analogie  weiss.  1258,  2  diu  guote  Beche- 
lären  {Becheläre  Hd)  C*Hd,  Bechelcer  diu  guot  I  =  diu  hure 
ze  Bechelären\  die  erstere  bezeichnuug  gewis  eigentümlicher 
und  daher  wol  auch  ursprünglich.  1262,  4  in  daz  Etzelen  lant 
CIHd  (so  auch  Lachmann  und  Bartsch),  in  des  kuneg  ezlen 
{chunig  etzel  a)  lant  Ra  =  in  daz  {diz  B)  lant  AB,  in  daz  {des  b) 
Rudigers  lant  bg,  zu  hechclaren  in  daz  lant  D.  Es  scheint, 
dass  Etzelen  ausgefallen  war  und  dann  der  verstümmelte  vers 
in  D  und  bg  verschieden  ergänzt  wurde.  1288,  2  frouwe,  iuch 
rvil  {wil  feldt  d)  enpfähen  hie  der  künec  her  C*Id  =  vrouwe, 
ich  rvil  enpfähen  hie  den  künic  her.  Rüdeger  spricht  so  zu 
Kriemhild.     Er  könnte,   wenn   nicht   so  wie   in  C*    höchstens 


471  PAUL 

wiii-cn  ir  sulf  cupfähen.  Denn  er  selbst  ist  durchaus  nebenperson 
dabei.  Es  liaudclt  sich  um  die  befi,-egnuug  Etzels  und  Kriem- 
hilds.  Er  fiihrt  ja  auch  fort,  indem  er  ihr  anweisungen  fiir 
diese  begegnung  gibt:  swen  ich  luch  heize  küssen  etc.,  und  in 
den  beiden  folgenden  strophen  wird  die  gegenseitige  begrüssung 
Etzels  und  Krienihilds  geschildert,  ohne  dass  ein  empfang 
Etzels  durch  Rüdiger  irgend  erwähnt  wird.  1303,  4  ich  wcen 
man  alle  zlle  bt  vroun  Kriemhilde  vant  den  herren  Dielrlchen 
und  anders  manigen  degen\  so  schreibt  Bartsch  (nur  ander) 
nach  CIL  Die  andern  hss.  bieten  einen  entstellten  text.  Aber 
d*  scheint  auch  noch  das  richtige  gehabt  zu  haben;  d  liest 
für  In  vroun  von  allen  übrigen  abweichend  die  frarv.  B  hat 
dafür  sinnlos  Jii  dem,  Ab  hi  dem  chunige,  D  Etzeln  bi  (Lach- 
mann vermutete  in  eben  oder  bi  nebot),  worauf  dann  Ab  der 
herre  ditrich,  D  Her  dieterich  der  herre ,  und  alle  drei  ander 
manic  schreiben,  so  dass  dann  kein  übergreifen  des  sinnes  aus 
einer  strophe  in  die  andere  mehr  stattfindet.  1304,  4  der  künec 
und  sine  vriunde  heten  kurzewile  guoi  Ild,  der  künec  mit  sinen 
friunden  hete  kurzewile  guot  C*  =  Rüedger  und  sine  vriunde 
heten  kurzewile  guot.  Die  besondere  hervorhebung  Rttdegers 
hat  hier  keinen  rechten  sinn  und  man  weiss  nicht,  wer  mit 
seinen  freunden  gemeint  sein  soll,  während  der  ausdruck  der 
künec  und  sine  vriunde  sämmtliche  teilnehmer  an  dem  feste 
umfasst.  1313,  4  man  gesach  nie  küneges  helde  so  rehte  vrce- 
liche  leben  C*Id;  ABDb  haben  des  für  nie.  An  und  für  sich 
gibt  diese  lesart  auch  einen  sinn ;  aber  gesach  hat  dabei  keine 
syntaktische  berechtigung.  ADb  schreiben  auch  sach.  Aber 
die  beibehaltung  von  gesach  in  B  beweist  die  ursprünglichkeit 
von  nie.  1323,  3  der  (auch  Lachmann  und  Bartsch)  =  die 
ABDb  (unsinnig).  1703,  3  waz  ir  so  schiere  ertrüebet  hete  ir 
hohen  muot  C*Id;  Ab  schreiben  ir  muot,  D  den  im  muot,  B  deyi 
muot.  Letzteres  setzt  Bartsch  in  den  text.  Aber  es  kann 
nach  den  einfachsten  grundsätzen  einer  methodischen  kritik 
niclit  zweifelhaft  sein,  dass  die  zweite  halbzeile  in  dem  ABDb 
zu  gründe  liegenden  texte  hete  ir  muot  lautete,  ein  offenbar 
fehlerhafter  vers,  den  die  einzelnen  hss.  in  verschiedener  weise 
zu  corrigieren  versucht  haben  {so  schiere  hete  beschweret  b, 
het  hesTveret  so  schir  D,  so  rehte  swere  verrihtet  hete  A).  1775,  1 
imd  sint  ouch   sumeliche  zen  brüsten  also  wit,   swer    sin   selbes 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  475 

hüete ,  der  tuo  daz  enzit.  ich  wcen  si  under  siden  die  Hellten 
{vesten  C*)  hrünne  fragen  C*IK;  d  bat  die  letzte  zeile  ent- 
stellt ich  waae  wa  für  sy  den  Uechlen  prwine  tragen]  BD  ha])en 
dafür  ich  ?vcene  si  die  lichten  hrünne  drimder  tragen,  was 
Bartsch  in  den  text  setzt.  Er  bemerkt  dazu:  'gemeint  ist: 
unter  den  kleidern.'  Aber  was  gemeint  ist,  muss  auch  gesagt 
oder  wenigstens  angedeutet  werden.  So^  wie  es  da  steht,  kann 
man  nur  verstehen  'unter  den  brüsten',  weshalb  denn  auch  A 
drimder  in  an  in,  b  in  an  corrigiert.  Man  könnte  vermuten, 
schon  das  gemeinsame  original  von  d  und  ABDb  habe  einen 
entstellten  text  gehabt. 

Soweit  also  fügt  sich  alles  recht  gut  zu  der  oben  als  mög- 
lich hingestellten  auffassung  des  handschriftenverhältnisses.  Es 
könnte  allerdings  noch  immer  eingewendet  werden,  dass  die 
richtigen  lesarten  von  I*d*  aus  C*  entlehnt  sein  könnten. 
Aber  eben  die  un Wahrscheinlichkeit ,  dass  eine  solche  entleh- 
nung  überhaupt  stattgefunden  hat,  wird  durch  die  Zusammen- 
stellung der  lesarten,  die  I*d''-'  mit  C  gemein  haben,  zur  ge- 
nüge gezeigt.  Die  abweichuugen  zwischen  diesen  gruppeu 
einerseits  und  der  engern  gruppe  B*  anderseits  sind  alle  von 
der  art,  wie  sie  etwa  bei  einer  ziemlich  sorgfältigen  abschrift, 
deren  Schreiber  nicht  den  vorsatz  zu  überarbeiten  hatte,  ent- 
stehen musten. 

Doch  ein  paar  stellen  scheinen  dieser  auffassung  zu  wider- 
streben. Entschieden  im  vorteil  scheint  B*  gegen  C*Id 
1184,  4  du  mäht  dich  vretven  holde  so  er  dm  ze  konen  giht  ß* 
=  ze  küneginne.  So  sagt  Giselher  zu  Kriemhild  in  bezug  auf 
Etzel.  kone  ist  jedenfalls  passender,  wenn  auch  küneginne 
nicht  unmöglich  ist,  ist  ausserdem  ein  seltenes  wort.  Doch 
scheint  es  in  den  südöstlichen  gegenden  noch  lange  gebräuch- 
lich gewesen  zu  sein,  da  es  nicht  nur  bei  Ulrich  von  Liechten- 
stein, sondern  noch  bei  Oskar  von  Wolkenstein  vorkommt 
Zwingend  ist  also  dieser  fall  nicht.  1640,  2  hat  B*  hezzern 
schilt  deheinen  belühte  nie  der  iac.  Hier  haben  nach  Bartsch 
Clad  hezzer,  also  1  nicht,  i)  Letztere  lesart  ist  von  Holtzmann 
und  Zarncke  aufgenommen,  ich  weiss  aber  nicht,   wie  ich  sie 


')  Vorher  aber  steht  kein  beszern  schilt  belaucht  a;   an  einer  stelle 
muss  a  falsch  sein. 


470  PAUL 

verstehen  soll,  rnnu  mfiste  denn,  was  vielleicht  riclitig  ist, 
Schilde  schreiben,  als  ^^en.  pl.  gefasst.  —  An  zwei  anderen  stellen 
vpürde  unsere  auffassung-  in  eonflict  geraten  mit  Bartschs  reim- 
liypcitliese,  die  wir  doch  bis  zu  einem  gewissen  grade  gebilligt 
haben.  1245,  4  liep  was  ez  Rüedegcr  getan  B*  (:  getan)  = 
ließ  was  ez  Rüedegere  ir  man  CIHd.  Es  scheint  doch,  dass 
der  rührende  reim  hat  beseitigt  werden  sollen;  auch  der  aus- 
druck  Eüedegere  ir  man  ist  mir  etwas  verdächtig  als  durch 
reimnot  eingegeben.  Die  äuderuug  lag  übrigens  nahe,  so  dass 
ein  zuffüliges  zusammentrefl'en  denkbar  wäre.  1226,  1  hundert 
rlcher  mcgede  fuort  si  mit  ir  dan  {:  gezam)  ß  *  ==  diu  frourve 
mit  ir  7iatn  C  *  Id.  Hier  wäre  es  wahrscheinlich ,  dass  der  un- 
genaue reim  beseitigt  wäre.  Aber  wir  haben  an  beispielen 
aus  einzelnen  hss.  gesehen,  dass  die  spätere  einfiihrung  eines 
solchen  ungenauen  reimes  wol  möglich  war.  Sie  würde  ja 
nicht  dem  bearbeiter  der  gruppe  B*  im  weiteren  sinne  zu- 
fallen, dem  wir  die  tendenz  zur  beseitigung  der  assonanzen 
zuerkannt  haben.  —  Noch  weniger  kann  uns  nach  den  früheren 
erörterungen  ein  anderer  fall  beirren,  in  welchem  bei  reim- 
abweichung  Ihl  zu  C*  stimmen.  1569,  2  da  ze  Pazzouwe  kond 
er  si  niht  gelegen  C  * ;  Idl  haben  man  künde  ir  niht  gelegen, 
B'^-'  man  konde  ir  niht  gepflegen.  Bartsch  vermutet  man  konde 
in  Pazzouwe  in  niht  herber gc  gehen\  dabei  kann  schon  die  ver- 
ändeiung  der  ersten  halbzeile  gegen  die  Übereinstimmung  aller 
hss.  nicht  gebilligt  werden.  Ausserdem  verlangt  der  gedanken- 
zusammeuhang,  dass  ze  (in)  Pazzouwe  voranstehen  muss.  Idl 
haben  offenbar  das  ursprüngliche.  —  Schliesslich  mache  ich  noch 
auf  einen  umstand  aufmerksam,  der  mit  einigem  recht  für  die 
annähme  der  misch ung  geltend  gemacht  werden  könnte.  Die 
meisten  Übereinstimmungen  zwischen  C*  und  I*d*  fallen  in 
eine  bestimmte  partie,  etwa  von  1000  bis  nahe  au  1400. 

Nicht  übergehen  dürfen  wir  hier  auch  die  fälle,  in  denen 
ausser  I*d*  noch  eine  andere  hs.  mit  C*  stimmt,  wo  es  dann 
wol  zweifelhaft  sein  kann,  ob  dieselbe  zufällig  damit  zusammen- 
getroffen ist,  oder  ob  die  andern  hss.  zufällig  auf  dieselbe  än- 
deiung  geraten  sind.  Bartsch  setzt  fast  immer  die  lesart  von 
B  in  den  text:  231,  3  die  habetit  CDIdi  =  habe7it  ABb.  424,  2 
wart  von  /röi/den  rot  C  *  Idb  =  von  vreuden  wart  \vil  A]  rot 
ABD.     521,  2  doch  vil  Cldb   (fehlt  a)  =  doch  ABD.     531,  3 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  477 

liehten  {den  I)  p feilen  {pfällel  d)  C*I(lb  =  liehtem  p feile. 
550,  3  doch  C*IdD  =  do.  952,  3  er  C*Idb  =  ez.  1236,  2 
die  herherge  C*HIdD  {herherge  Bartsch)  =  die  berge  ABbg 
(unzweifelhafter  fehler  und  wol  von  D  verbessert).  1237,  1 
daz  C*HIdg  (auch  Bartsch)  =  do  ABDb.  1283,  3  so  {also 
d)  such  C*IdD  =  sach.  1290,  2  gierigen  und  truogen  C"--IdD 
==  gende  truogen  ABb.  1319,  4  sit  C*Idb  (auch  Bartsch  und 
nicht  gut  zu  entbehren)  =  fehlt  ABd.  1357,  3  fehlt  in  C*Idb 
=  mir.  1368,  2  fehlt  C*ldb  =  imd.  1373,  2  herlichcr  nie 
C  *Idb  =  nie  herlicher.  1531,  2  tvas  der  lip  aHdLg  (CI  fehlen), 
auch  Bartsch  =  der  lip  was  {ward  Db)  ABDb.  1808,  2  fehlt 
C*Idb  =  vil.  1818,  5  da  iemen  C*Idb  =  lernen  da  B  (Bartsch), 
anders  yetnan  D. 

Wir  gehen  zu  den  viel  zahlreicheren  fällen  über,  in  denen 
I*  allein  mit  C*  den  übrigen  hss. ,  d*  eingerechnet,  gegen- 
übersteht. Ich  gebe  zunächst  wider  diejenigen  stellen,  au 
denen  sich  nichts  bestimmtes  über  den  Vorzug  der  einen  oder 
der  andern  lesart  ausmachen  lässt.  23,  4^  des  G*\  =  slt  B*. 
28,  4  er  =  tJian.  35,  4  fehlt  =  die.  64,  1  do  C,  do  vrou  I 
=  vrou.  74,  4  fehlt  =  vil.  11,  \  an  ir  =  an.  80,  1  do  = 
nu.  100,  2  dienste  =  dinge.  103,  4  künec  =  herre.  107,  3 
des  giJit  in  vil  der  liule  C*  des  jehent  vil  der  Hute  I  '=  des 
redent  vil  die  Hute.  125,  1  fehlt  =  so.  125,  2  und  iuwer  = 
mit  iuwern.  133,  2  an  ==^  von.  149,  1  sprach  do  =  so 
sprach.  162,  1  7vider  in  ir  lanl  C*,  heim  in  ir  laut  I  (Bartsch) 
=  heim  in  ir  lierren  lant  ABd.  164,  1  den  vianden  {vein- 
den  b,  beiden  veinden  D)  min  C*  (Bartsch),  al  den  vinden  7nin 
I  =  den  starken  vieaden  min  ABd.  167,  4  diu  =  daz.  173,  3 
habet  =  traget.  192,  1  riche  =  recke.  205,  4  von  =  vor. 
211,  4  fehlt  vil.  220,  2  recken  =  helden.  222,  3  der  vil  = 
dirre.  237,  3  so  nu  von  slnen  schulden  kumet  =  so  von  sinen 
schulden  nu  kumet.  250,  1  'ich  wil  iuch  ledec  läzen',  sprach 
der  kiaiic,  'gen  =  'ich  wil  iuch  beide  läzen\  sprach  er,  'ledic 
gen.  252,  4  vil  maneges  =  maneges.  254,  1  grozen  =  riehen. 
258,  4  Sturme  =  strlte.  262,  1  fehlt  =  da.  293,  2  unbekant 
(CEI  nach  Lachmaun,  von  Bartsch  wird  I  nicht  angegeben) 
=  niht  bekanl.  323,  1  do  =  da.  3c' 8,  5  rfo  =  aber.  338,  8 
rvil  =  sol.  353,  2  von  =  unt  von.  360,  1  fehlt  =  vil.  370,  3 
an  den  •=  gegen  dem  (die   stelle   fehlt  d).     408,  1    an  sich  = 


478  PAUL 

an.  109,  1  harte  vil  =  in  {mit  B)  gclpfe,  in  stril  D.  410,  3 
diu  =  sine.  113,  2  slntcn  solde  =  solde  sirllen.  433,  2  Sige- 
Unde  =  Sigemundes.  441,  2  einen  =  den.  442,  15  an  iu  = 
in  an.  1j4,  4  er  =  ?^?i6?.  465,  4  swi  =  rf/?<.  472,  2  sneller 
dcgenc  {lieldc  I)  =  r/Z/cr  snelle.  473,  2  ^o  schiere  =  schiere. 
47G,  1  i'//  /re/o  «w  einem  morgen  ^  «?«  mem  morgen 
früejc.  512,  3  Ä«^  =  treit.  537,  2  al=^dar.  538,3  zoumen 
=  zoume.  540,  1  solhem  =  so  grozem.  542,  4  waz  da  == 
waz.  von  =  vor.  544,  2  fclilt  =  vroun.  547,  3  er  liehen 
=  wicilichen.  553,  1  /«e/f/«;  =  recken.  553,  2  helden  =  rfe- 
gencn.  560,  4  hochgcziten  =  hochgezile.  579,  2  fehlt  (nach 
Lacliiiumn,  bei  Bartsch  ist  I  nicht  angegeben)  =  ö'^^'-  582?  1 
«/(?«  =  </«.  582,  7  der  =  sin.  583,  6  fehlt  =  vil.  591,  1 
kimie  ==  snelle.  593,  3  fehlt  =  wo/.  626,  2  iu  ==  rf/r.  637,  4 
dö  si  diu  mmre  an  im  ervant  C*,  do  si  diu  mcer  bevant  I 
=  dö  ez  diu  vroutve  rehte  ervant.  638,  4  manz  im  =  man  imz. 
640,  4  tuot  =  getuot.  651,  2  alzehant  =  sä  zehant  {zehant 
Bartsch).  659,  2  in  =  «?i.  660,  4  7«a/i  zöcA  /w  wol  mit  ßize 
=  rfo  zoch  man  in  mit  vllzc.  661,  1  dö  starp  =  starp.  664,  4 
höher  den  =  hoeheren  {hoher  sinen  A).  667,  2  fehlt  =  vrou. 
668,  1  doch  =  OMCA.  669,  2  nwhte  ^  .jo/f/e.  670,  2  discn 
landen  =  disem  lande.  670,  3  ^/«^  =  sitzent.  683,  3  a/6'  ^ 
^am.  690,  1  unt  waz  iu  iuwer  muoter,  min  frourve,  her  enhöt 
C  (a  fehlt),  und  och  was  iur  muoter  .  frawe  Uote  her  enhot  I 
=  unt  auch  waz  vrou  XJote  iwer  muoter  her  enhöt.  694,  2 
swenne  so  =  swenne  daz  Bbd,  swenn  so  daz  D,  swenne  A 
Bartsch.  695,  4  si  vil  dicke  C*.  si  alle  I  =  tägeliche.  714,  2 
kumet  =  kumt  uns.  715,  3  y//  ==  daz.  728,  1  dö  ^^  dö  sä 
Ed,  ^a  Ab.  744,  2  deheiner  ==  vremder.  746,  2  mif  /m  = 
c?«.  752,  2  wa^  (/a  Äar^e  =  sach  man  da.  754,  2  c?«  (t^o  1) 
Äör/e  man  =  waw  7?6r^e  ^a.  756,  2  grözen  =  manigen.  769,  4 
Äar/c  =  ^ere.  770,  3  zweier  =^  heider.  793,  2  ^mo^  wa^  <?r 
genuoc  =  /«  w«^  er  guot  genuoc.  816,  4  muoz  =  sol.  829,  1 
//•  sult  =  sult.  835,  1  ^0  =  w//.  841,  3  fehlt  =  wol.  846,  3 
süle  =  w«%e.  850,  2  fehlt  =  iv7.  877,  4  ^/az  /ö/j  ^=  den  lop. 
881,  3  ^er  =  er  {und  b),  von  Bartsch  fortgelassen,  der  con- 
struction  «jro  xoivov  annimmt.  897,  1  iuch  der  =  iu  diu. 
897,  3  mit  =  von.  899,  2  /uezen  und  =  fuoze  und  ouch.  904, 
4  dar  =  </ö.     914,  1  Äerre  (auch  Q)  =  küene.     937,  2  rjcÄe  = 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  479 

edele.  939,  3  wände  in  des  todes  wäfen  alze  sere  sneit  C  *,  tvand 
des  todes  tvaffen  in  alze  sere  sneit  I  =  want  des  todes  wäfen  ie 
ze  (in  vil  D)  sere  sneit.  948,  4  und  952,  2  fehlt  ==  vil.  954,  2 
ir  vil  =  ir.  956,  1  fehlt  =  si.  957,  3  im  da  =  im.  957,  4 
er?i  möhte  sinen  liehen  sun  lebenden  [lebend  I)  nimmer  mir  ge- 
sehen C*I;  BLbd  .schreiben  nimmer  [nie  L]  lebendich  gesehen, 
D  nimmer  mer  gesehen\  A  hat  daz  er  sifriden  nimmer  solde  mer 
gesehen-^  Bartsch  schreibt  lebenden  nimmer  gesehen,  gewis  un- 
gerechtfertigt, denn  B*  hatte  docli  wol  nimmer  mer  lebendic 
gesehen,  also  eine  entstellung  des  versraasses  durch  Umstellung. 
963,  2  ivas  =  ivart.  965,  i  fehlt  =  vil.  998,  4  und  1006  4 
fehlt  ==  vil.  999,  6  singen  künden  =  künden  singen.  1008,  3 
siten  =  sinnen.  1075,  4  ze  ritenne  =  intennes.  1083,  1  den 
=  einen.  1087,  2  fehlt  =  die.  1097,  4  muose  =  mohte. 
1109,  1  nmb  ein  =  ein.  1119,  4  fehlt  =  vil.  1123,  3  groze 
willekomen  =  gote  w.  1127,  2  mit  willen  =  vil  gerne. 
1139,  2  fehlt  =  her.  1153,  1  edelen  =  schmien.  1157,  4 
hiezen  =  hiez.  1164,  4  fehlt  =  vil.  1169,  4  durch  waz  =  rvar 
nach  ABbd,  war  umme  D  [nach  wiu  Bartsch).  1172,  2  fehlt  = 
der.  1174,  1  fehlt  =  vil.  1175,  1  ruochet  =  geruochet. 
1186,2  vil  liebez  ==  liebez.  1187,  1  den  riehen  =  vil  dicke. 
1190,  3  minnen  =  ze  ininnen.  1190,  4  vil  lützel  =  lützel. 
1203,  2  fehlt  =  t^az.  1214,  1  vernam  =  gehörte.  1222,  3 
U7id  mit  7nir  suln  (wellen  I)  riten  =  ^/e  suln  mit  mir  riien. 
\1Tl,  4  golt  daz  mine  =  schätz  den  mhien.  1238,  3  kotnen 
solde  =  kceme  Kriemhilt.  1243,  4  küenen  =  edelen.  1247,  3 
handen  =  hende.  1249,  4  ^ör^e  ==  swcere.  1286,  3  äz  ^/^r  ^== 
M2:er.  1292,  4  küenen  recken  C*,  cuenen  ritters  I  =  [^i^er^en 
D]  ritters.  1324,  4  zerteilet  C,  geteilet  I  =  zer geben. 
1330,  3  <7^^  yac/i  ma?«  ?r  C*,  rfez  jähen  si  I  =  rfaz  Äe/e^i  ^/. 
1337,  3  manncs  =  vriundes.  1340,  3  </^r  =  «w.  1341,  1 
fehlt  (auch  1)  =  den.  1365,  1  in  (auch  1)  =  6?ew  boten. 
1377,  2  ^eÄa^^e  ^^ze/  (auch  1)  =  Etzel  gehabete.  1384,  1  fehlt 
(auch  1)  =  die.  1388,  4  fehlt  (auch  1)  =  doch.  1418,  3  unt 
=  orf^r.  1418,  4  künde  ouch  =  künde.  1422,  2  ander  = 
allez.  1427,  1  A-wwec  =  /wr^/^.  1427,  2  ^er  =  er.  1451,  3 
müezen  schouwen  =-  schonwen  müezen.  1456  — 1567  fehlen  in 
I.  Man  hat  nur  teilweise  einen  ersatz  dafür  durch  1,  worin 
1484,  4  —  1501,  2,  dann  wider  1548,  4  —  1584,  3  erhalten  sind. 


480  PAUL 

]\r;in  kann  auch  nicht  ohne  weiteres  annehmen,  dass  jede  üher- 
cinstimniung-  in  1  auch  in  I  zw  erwarten  gewesen  wäre,  und 
umgekehrt  würde  I  wol  verschiedene  Übereinstimmungen  ent- 
halten haben,  die  in  1  nicht  bestehen.  1485,  1  lät  iu  niht 
ain  1  =ja  ist  Iu  gar.  1485,  3  fehlt  1  =  noch.  1498,  4  als  1 
=  so.  1500,  2  fvas  1  --  wart.  1548,  4  fehlt  1  ==  vil.  1557, 
4  aw  {mitl)  triurven  rät  ich  iu  daz\=  ich  rate  rvcer liehen 
daz.  Mit  1568  beginnt  I  wider.  1579,  3  als  11  =  alsam  {also 
B).  1595  lüsst  I  nach  Lachniann  wie  C*  die  neue  aventiure 
beginnen,  nicht  1590  wie  ADg,  Bartsch  dagegen  bemerkt  nicht, 
dass  I  in  dieser  bezieh ung  von  B*  abweicht.  1607,  4  ez  en- 
dorften  I  =  jane  dürften.  1618,  4  ze  nemene  =  ze  minnen, 
1640,  4  er  was ,  er  war  1  =  7vas  er.  1661,  1  zuo  =  gegen. 
1664,  4  7mn  frou  =  diu  (fehlt  ADb)  vrouwe.  1669,  3  besehen 
=  sehen.  1715,  1  weit  ir  mir  gestän  (auch  K)  -=  ob  ir  mir 
weit  gestän.  1725,  4  het  [lietei)  [auch  K]  =  soldet  [soll). 
1730,4  sähen  vaste  einander  an  Q  * ,  ein  ander  \vast\\  sahen  an 
IK  ^  ein  ander  sähen  si  an  Bd,  sähen  alle  ein  ander  an  ADb. 
1741,  1  er  sprach  ze  sinen  herren  (auch  K)  =  zuo  den  sinen 
herren.  174S,  2  fehlt  =  vil.  1756—1786  fehlen  in  d;  man 
kann  daher  iu  keinem  falle  wissen,  ob  nicht  auch  d*  zu  I* 
gestimmt  hat;  dasselbe  gilt  von  1858 — 1964  und  von  2072  bis 
zum  schluss.  1763,  2  von  vil  lichten  {lichte  I,  liehtem  K)  p feilen 
{p feile  IK)  =  der  vil  lichten  p feile.  1770,  4  huoten  (auch  K) 
=  pflägen.  1780,  2  hergesellen  =  gesellen.  1782,  3  die  Sprün- 
gen =  Sprüngen.  17S3,  2  innen  bringen  —  bringen  innen. 
1783,  3  niht  =  iht.  1783,  4  fehlt  =  vil.  1790,  4  degenc  = 
helde.  1799,  1  alsus  {also  I)  =  sus.  l'^04,  1  dö  gie  diu  küne- 
gijitie  mit  grbzer  menege  dan  C  *,  nu  gie  mit  grozzer  mengiu  diu 
kungin  von  dan  I  =  do  gie  vil  groziu  menege  mit  der  küneginne 
dan.  1809,  4  raten  dö  hegan  C*,  träten  began  I  (Bartsch)  = 
raten  daz  began.  1815,  3  die  =  der.  1818,  3  üz  =  von. 
1830,  4  fehlt  =  vil.  1846,  2  e  man  es  {sin  l)  =-  e  es  iemen. 
1890,  3  niht  genozzen  ==  sere  engolten.  1896,  1  sprach  do 
=  sprach  aber  {sprach  Bartsch).  1897,  1  gehört  =  vernomen. 
1909,  3  fehlt  =  vil.  1911,  3  vil  =  eine.  1915,  3  an  der 
helede  {dez  heldes  I)  hant  =  den  heleden  an  der  hant.  1917,  2 
küene  =  mcere.  1920,  4  ufid  =  wan.  1923,  2  7iiht  =  nie- 
1924,  2   im  shi  =  shi.      1927,   2    sturmes  =  strites.      1927,   3 


ZUR  KIBELUNGENFRAGE.  481 

do  =  da.  1937,  4  friunde  =  recken.  1940,  1  üz  dem  =  für 
den.  1947,  2  niht  ruowe  noch  =  noch  ruome  niht.  1969,  1 
ein  =  ein  vil.  1970,  1  felilt  =  vriunt.  197S,  i  fehlt  =  des. 
1980,  4  vil  nach  gesendet  in  den  tot  C  *,  erslagen  nah  in  den 
tot  I  =  erslagen  ncehlichen  tot.  1993,  4  gervunnen  =  empfangen. 
1999,  3  v//  krefticlichen  =  krefticlichen.  2028,  3  den  herhergen 
=  f?(T  herberge.  2036,  4  fehlt  =  f/cw.  2038,  2  ?^>/e  mähte 
ich  des  getr ouwen  C*,  ^/ez  ?>2o/«/  /cÄ  uhil  truen  I  =  </<?a-  ge- 
trouwet  ich  vil  übele.  2047,  4  mohten  =  konden.  2055,  1 
zuozin  C*,  2M0  in  I  =  ^V  ^Z.  2062,  3  künegen  =  herren. 
2065,  2  starkem  =  hertem.  20S4,  1  r//«<  =  ?«2</.  2091,  2  fehlt 
=  ^;//.  2101,  2  /e<?/c  ?nüezeti  =  müezen  ledic.  2104,  2  ^acÄ 
=  yaw/.  2105,  2  mw«/  o?<cä  =  oder.  2105,  4  küenen  =  stolzen. 
2131,  4  /?er  in  =  in  daz.  2133,  3  vor  =  aw.  2178,  1  hiez  = 
^«r.  2206,  4  langer  =  mit  eren.  2218,4  und  2220,  2  .v^?<rw(? 
=  strite.  2221,  4  ^o  spranc  er  im  engegne  =  er  spranc  im 
hin  engegene.  2222,  1  aldä  =  da.  2226,  4  grimme  =^  Äar/<?. 
2232,  1  edeln  =  schcenen.  2244,  1  ö/w  C*  a/^  I  =  do. 
2262,  1  ?nannes  (auch  K)  =  heldes.  2301,  1  ef?^/  =  edeles. 
2306,  1  fehlt  (auch  K)  =  so. 

Beide  lesarten  sind  möglich,  aber  C*I*  hat  die  Senkung- 
ausgefüllt,  B  *  nicht  an  folgenden  stellen :  407,  3  si  hiez  ir  dar 
gewinnen  {bringen  1)  (besser)  ^  si  hiez  ir  gewinnen.  480,  4 
von  den  andern  si  do  schiet  =  si  von  den  anderen  schiet.  593,  4 
der  edel  (fehlt  I)  wirt  des  landes  =  der  herre  des  landes. 
613,  4  daz  ivas  do  de?n  künege  =  daz  was  dem  klinege.  702,  1 
mhie  vrouwen  =  Kriemhilden.  744,  4  daz  da  wart  niemen  niht 
verseil  =  daz  da  niemen  niht  wart  verseil.  1156,  2  minnecliche 
=^  güetltche.  11S9,  3  wurden  trucken  ^^  getruckentoi.  1598,8 
[«//  I]  gegeil  einem  halben  sporn  =  gegen  einigem  {einem  min- 
nisten  Db)  sporn.  1973,  4  da  getan  =  getan.  1998,  4  harte 
wenlc  do  {da  I)  genoz  =  do  vil  wenic  genöz.  2090,  4  daz 
michs  wendet  7iiht  der  tot  =  daz  michs  niht  wendet  der  tot. 
2146,  3  diu  vil  scharp/en  wdfoi  =  die  snldunden  wäfen.  Um- 
gekehrt hat  B*  die  seukung  ausgefüllt,  C*i"-''  nicht  an  folgen- 
den stellen:  414,  4  herliche  ==  minnecliche.  872,  3  Sifrit  der 
starke  C*i*  =  vil  starke  B*.  951,  3  si  sprach  ez  ist  Sifrit 
=  do  sjirach  si.  1083,  2  [umb  I]  ein  ander  wip  warp  =  umb 
ein  ander  vrouwen  7varp.     1084,  3  die  ie  künic  gewan  =  künic 


482  PAUL 

ie.  1175,  2  ztvelf  ricinr  kröne  =  vtl  rlclier.  1873,  1  wifuoge 
==  imgefüege.  2040,  2  so  leide  getan  =  so  gröziu  ieil  getan. 
2081,  3  ich  )vas  ir  geleite  =  ja  was  ich.  Hierher  dürfen  wir 
auch  ziehen  trotz  der  abweichuug-  in  C*  und  I*:  120(3,  4  vil 
manic  tvoitllchin  meit  C*,  [da  I]  manic  herlichiu  meit  U  =  dar 
under  manic  scluene  meit.  Die  in  C*  fehlende  Heukung  ist  in 
1  ausgefüllt  1212,  1  er  sprach  ' slt  mir  [im\'\  KriemhiU  (Bartsch) 
=  vrou  KriemhiU  ABDb.  Die  in  1  fehlende  Senkung  ist  in 
C*  ausgefüllt  673,  1  und  ir  zühliger  {vil  zühtic  C*)  muot  = 
und  ir  rvol  gezogener  muot]  871,  4  dö  kom  ouch  her  Sifrit  I, 
dö  kom  der  herre  Sifrit  C  *  =  dö  rvas  ouch  komen  Sifrit  B. 
B*  und  C*  haben  syncope  an  verschiedener  stelle  866,  1  er 
sprach  '[<'//!]  Uehiu  vrourve  ==  er  sprach  'min  triutinne.  Syn- 
cope und  alisfüllung  verteilen  sich  also  auf  beiden  seiten 
ziemlich  gl  eich  massig. 

An  folgenden  stellen  scheint  das  richtige  entschieden  auf 
Seiten  von  C*I*  zu  sein.  37,  1  dö  zöch  man  dan  diu  march 
(auch  Lachmann  und  Bartsch);  dan  fehlt  ABd.  177,  1  lät  der 
tumhen  liiieten  üf  den  wegen  den  küenen  Danewarten  (auch 
Bartsch);  der  =  die  AB,  den  d,  wol  blosse  nachlässigkeit,  in- 
dem es  die  schreiber  gedankenlos  von  lät  abhängig  machten. 
216,  4  daz  het  an  im  ertwungen  des  küenen  Sivrides  hant  = 
betwungen]  hetwlngen  an  einem  in  der  bedeutung  ^  einem  etwas 
durch  zwang  abnötigen'  ist  sonst  nicht  nachweisbar.  1452,  2 
mit  ungefüegen  sprächen  (auch  Bartsch)  =  mit  imgefuoge  Abd, 
mit  grozzer  unfage  D,  7nit  ungefüegen  worlen  B;  die  lesarten 
von  D  und  B    sind  oifenbar  erst  aus  der  von  Abd  entstanden. 

Es  Hessen  sich  wol  auch  einige  stellen  herausheben,  an 
denen  man  B*  den  vorzug  geben  möchte,  aber  keine  einiger- 
massen  entscheidende,  und  mau  könnte  dann  eben  so  gut  noch 
eine  anzahl  für  C*I*  aufführen.  Zwei  fälle  sind  zu  verzeich- 
nen, in  denen  bei  reimabweichung  I  zuC*  stimmt.  383,  6  an 
der  hant  =  üf  den  sant  {:  lani).  Hier  ist  es  selbst  Bartsch 
nicht  möglich  gewesen  einen  Originaltext  mit  ungenauem  reime 
zu  finden.  Wichtiger  ist  eine  andere  stelle,  die  überhaupt  die 
stärkste  abweichung  zwischen  C*I  und  B*  enthält.  1849, 
1 — 2:  Do  die  ßirsten  gesezzen  wären  über  al  und  nu  begunden 
ezzen,  do  wart  in  den  sal  getragen  zuo  den  fiirsten  daz  Etzelen 
kint  C*,   do   die  fursten  alle  .  gesazzen  uher  al  .    un  ezzen  be- 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  483 

gunden  .  kriemhilt  hiez  in  den  sai  .  tragen  dar  ze  tische  .  den 
Etzeln  sun  I  =  dö  der  strlt  niht  anders  künde  sin  erhaben 
{Kriemhilde  leit  daz  alle  in  ir  herzen  tvas  begraben),  da  hiez 
si  tragen  ze  tische  den  Etzelen  sun.  Der  UDgenaue  reim,  den 
Bartsch  construiert,  hat  für  uns  keine  bedeutung.  Aber  es 
könnte  hier  deshalb  die  annalinie  einer  mischung-  am  ehesten 
gerechtfertigt  erscheinen,  weil  unmittelbar  vorher  in  Id  eine 
Strophe  steht,  die  sie  nur  mit  C*  gemein  haben.  Indessen  Avie 
kommt  es  dann,  dass  d  zu  B'''  stimmt? 

Eine  ziemlich  reichliche  zahl  von  fällen  lässt  sich  bei- 
bringen, in  denen  noch  eine  andere  hs,  mit  C*I*  gegen  ß-"'- 
stimmt.  Weitaus  am  häufigsten  kommt  dies  bei  b  vor.  492,  2 
ir  C*l*b  =  der.  543,  4  lühten  =  lühte.  591,  1  lälzel  = 
wenic.  709,  2  rvolden  =^  solden.  719,  3  manigc  =  manigen. 
894,  1  dar  über  was  =  was  dar  über.  1063,  2  gesolt  =  vei^- 
solt.  1120,  3  als  =^  sam.  1174,  4  für  b  =  vor.  1208,  3 
mohten  =  mohte.  1285,  2  fehlt  =  vil  (syucope).  1337,  2  ge- 
shi  =  sin.  1340,  4  an  ir  =  ir.  1603,  4  den  =  edelen. 
1604,  4  fehlt  =  vil.  1679,  4  her  in  =  her  in  daz  D,  in  daz 
AB,  in  des  d.i)  1722,  1  si  (auch  K)  =  ir.  1769,  1  edel 
(auch  K,  edeler  b)  =  lieber.  1773,  4  dem  bette  (auch  K)  = 
den  betten.  1774,  3  für  die  üire  =  für  den  turn,  ersteros  ge- 
wis  allein  richtig,   vgl.  1778,  2    daz  diu  tür   was  behuot.^-)     Im 


•)  C*  schreibt  die  ganze  zeile  den  sott  (=  sottet)  ir  mir  yefüeret 
hän  her  in  Etzelen  lant.  Für  yefüeret  hän  schreibt  D  hmt  gefürel,  BIbd 
fixeren,  A  bringen,  l'artsch  schreibt  danach  den  sott  ir  mir  gefüeret 
hän  in  Etzelen  lant,  sicher  falsch.  Wir  müssen  annehmen,  dass  das  ori- 
ginal von  B*I*  hatte  den  sottet  ir  mir  füeren  her  in  Etzelen  lant,  das 
original  von  B*  (äussert*)  ebenso,  nur  her   indaz.    C*hat  das  richtige. 

-)  Ebenso  ist  1941.  :i  zu  lesen  swer  zuo  den  türen  gät\  denn  Vol- 
ker steht  an  der  tür  nnd  wehrt  den  ausgang.  füren  hat  auch  die  beste 
gewähr;  den  duren  b,  den  turn  A,  de  turn  D  verglichen  mit  der  tür 
C  •  I  lässt  auf  nichts  anderes  schliessen  •,  nur  B  hat  dem  turn ,  den  tur- 
nen,  wie  Bartsch  schreibt,  hat  keine  hs.  Aus  denselben  gründen  muss 
1900,  2  und  1910,  1  türen  die  achtere  lesart  sein  {lürnen  Bartsch  und 
Laclunann).  1910,  2  hat  an  den  turnen  B,  an  den  turn  {torenT),  duren 
b)  ADb,  datz  der  forte  I,  an  der  stiegenC*.  1911,  1  hat  «?j  de?n  turne 
B,  oft  den  turen  {turn  A)  ADb,  an  der  selben  tür  I,  in  der  porlen  C*. 
An  diesen  drei  stellen  sind  also  alle  hss.  ausser  B  für  türen,  und  da- 
nach ist  denn  wol   auch    2114,  3    hi  den  türen,   nicht  bl  dem  turne  zu 


484  PAUL 

mild.  wb.  uird  die  Schwierigkeit  so  gelöst ,  dass  angenommen 
wird,  die  stiege,  welche  zu  dem  saale  fuhrt,  befinde  sich  in 
einem  tuvme.  Ich  weiss  nicht,  ob  diese  annähme  durch  son- 
stige analogieen  berechtigt  ist.  Aber  um  vor  den  türm  zu 
treten  milste  Volker  die  treppe  hinabgegangen  sein,  was  sehr 
unwahrscheinlich  ist,  da  er  sich  dadurch  des  Vorteils  begeben 
hätte  eventuell  von  oben  herab  die  gegner  zu  bekämpfen. 
Ueberhaupt  weist  sonst  die  ganze  darstellung  auf  eine  frei- 
trepiie  hin,  wobei  die  oben  an  der  tiir  des  saales  stehenden 
von  unten  überall  gesehen  werden  können.  1866,  1  langer  niht 
=  niht  langer.  1930,  1  sere  =  schiere.  1973,  3  daz  =  ditz. 
1991,  4  fehlt  =  vil.  2032,  3  fehlt  =  hie.  2038,  1  fehlt  = 
vil.  2101,  3  ndn  =  mmiu  (C*  hat  syncope,  und  die  lesart 
scheint  auch  allein  richtig,  da  von  mehreren  lebenden  kiudern 
Rüdegers  nirgends  die  rede  ist).  2215,  4  er  =  ez.  2211,  3  beleite 
^=^  leite.  2278,  2  fehlt  =  /vol.  2285,  l  erhörte  -=  gehörte.  —  b  hat 
auch  für  sich  nächst  I*  und  I*d*  die  meisten  Übereinstimmungen 
mit  C*.  Es  erklärt  sich  das  wol  wesentlich  daraus,  dass 
diese  hs.  so  vielfach  in  kleinigkeiten  von  den  übrigen  der 
gruppe  B  abweicht,  dass  ein  zufälliges  zusammentreffen  mit 
C*  sich  öfter  ergeben  muste.  Unerheblich  sind  diese  ab- 
weich ungen,  sowol  die  mit  C*  allein,  als  die  mit  C*I*  und 
C  *  I  *  d  *  zusammentreffenden  alle,  auch  noch  bei  weitem  nicht 
so  zahlreich,  wie  die  gemeinsamen  abweichungen  von  C  *  und 
I*.  Andere  hss.  stimmen  nur  vereinzelt  zu  C*I*.  D  953,  1 
jcemerllchen  =  trüreclichen.  1436,  3  and  ouch  (auch  1)  =  iinde. 
N  1395,  4  si  (auch  1)  =  ir.  1412,  4  kan  =  mac.  A  1446,  1 
läzen  (auch  Bartsch)  =  läze  wir.  g  1585,  1  imd  ouch  =  und. 
1612,  3  der  wart  (auch  1  Bartsch)  =  wart,  i  232,2  vil  =^  so. 
Andererseits  gibt  es  verschiedene  fälle,  in  denen  eine  hs. 
von  C*I*  zu  B*  stimmt,  während  die  übrigen  übereinstimmend 
abweichen.  Besonders  häufig  stimmt  1,  wo  es  uns  erhalten  ist, 
gegeu  I  zu  B*.     1306,  4  nu  ist  hie  michel  wunder  von  ir   [mit 


lesen.  Die  Überlieferung  ist  hier  so  schwankend,  dass  sich  daraus  allein 
nichts  sicheres  entscheiden  lässt.  dem  turne  haben  BCa,  einem  turne  D, 
den  turen  A,  der  tür  I,  den  kunigen  b.  1910,  2  und  1911,  1  scheint 
allerdings  das  versniass  turnen  zu  verlangen.  Aber  entweder  hat  hier 
C*  das  richtige,  oder  es  liegt  ein  alter  fehler  vor. 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  485 

I]  gäbe  getan  C  *  I  =  nu  ist  hie  mit  ir  gäbe  vil  (fehlt  bl)  ma- 
nic  {michel  dl)  wunder  getan.  1308,  4  als  =  sd.  1354,  1  ir 
=  nu.  1357,  3  und  bitet  {bitte  I)  in  =  bitet.  1357,  4  die 
unser  =  unser.  1371,  2  komen  =  riten.  1383,  2  und  ouch  = 
2<wf/.  1389,  1  daz  ir  also  {so  lang  1)  vremdet  in  und  siniu  lant 
=  daz  ir  in  also  vremdet  und  ouch  siniu  lant.  1398,  3  niwan 
C*,  wan  niur  I  =  dne.  1399,  2  üf  =  zuo.  1631,  4  rlten 
roolden  =  wolden  riten.  1642,  3  erbot  =  bot.  Es  ist  danach 
anzunehmen,  dass,  wenn  1  ganz  erhalten  wäre,  noch  eine  ziem- 
liche anzahl  von  den  oben  aufgeführten  lesarten  auszuscheiden 
sein  würden,  weil  1  nicht  zu  C*I*  stimmte.  Doch  ist  aus  der 
abweichung  von  1,  die  sich  überhaupt  stärker  von  I  entfernt 
als  K  und  Q,  noch  nicht  ohne  weiteres  zu  schliessen,  dass  die 
übeieinstimmung  von  C*  und  I  nicht  auf  ein  gemeinsames 
ori;i,-inal  zurückgehen  könne.  Auch  K  stimmt  an  einigen 
stellen  nicht  zu  C*l,  sondern  zu  B*.  1765,  3  m/r  C*I  =  si 
B*K.  1767,  4  sich  dö  ^^  der  hell  sich.  2270,  4  ?nich  dunkt 
wie  {daz  I)  iu  diu  mcere  niht  ze  rehte  sin  geseit  =  mich  dunket 
daz  diu  mcere  iu  niht  rehte  sin  geseit.  2291,  4  enwendes  {er 
wendez  I  =  ensümez.  Umgekehrt  stimmt  verhältnismässig 
nicht  selten  l  zu  C*,  I  zu  B*.  1302,  1  vil  C*l  =  harte  B*I. 
1357,  1  lieben  =  edelen.  1361,  1  boteschafl  und  brieve  = 
brieve  unde  boteschaft.  1364,  2  fehlt  =  da.  1371,  1  fehlt  = 
daz.  1437,  3  des  =  der.  1442,  1  fehlt  =  harte.  1442,  3 
recke  =  hell.  1443,  4  herze  =  wille.  1631,  3  die  =  si. 
1633,  4  mitten  =  edelen.  Die  vereinzelten  fälle,  in  denen  nur 
C  oder  nur  a  mit  I  stimmt,  aufzuführen  würde  kein  beson- 
deres Interesse  haben. 

Mitunter  kommt  es  auch  vor,  dass  d  zu  C*  stimmt,  I  zu 
B  *.  Dabei  sind  zwei  möglichkeiten.  Entweder  ist  d  zufällig 
mit  C,  oder  I  zufällig  mit  B*  zusammengetroffen.  Die  fälle 
sind  zu  wenig  zahlreich  und  die  abweichungen  zu  unbedeu- 
tend, als  dass  es  sich  lohnte  sie  hier  zusammenzustellen. 

Aus  dem  beigebrachten  materiale  erhellt,  dass  das  ergeb- 
nis  unserer  allgemeinen  erörterungen  durch  die  betrachtung 
des  einzelnen  bestätigt  wird.  Die  annähme  einer  mischung 
scheint  danach  kaum  mehr  zulässig.  Blosser  zufall  ist  sehr 
unwahrscheinlich.  Das  handschriftenverhältnis,  wie  ich  es 
oben  vorausgesetzt  habe,   bleibt   trotz   einigen   Schwierigkeiten 

Beiträge  zur  gescbichte  der  deateohen  spräche.  III.  32 


486  PAUL 

immer  das  wahrscheinlichste.  Besonders  beweisend  scheinen 
mir  unter  den  aufgeführten  fällen  diejenigen  7AI  sein,  in  wel- 
chen die  lesarten  von  I*  und  d*  nicht  einfach  denen  von  C* 
gleich  sind,  sondern  zwischen  C*  und  B*  mitten  inne  stehen, 
woraus  sich  der  allmälige  Übergang  von  C*  durch  I*  und  d* 
hindurch  zu  B*  erkennen  lässt.  Die  speciellen  Übereinstim- 
mungen, die  I  *  und  d  *  unter  einander  gegen  alle  hss.  zeigen, 
sind,  so  weit  dies  die  Varianten  in  Bartschs  ausgäbe  ausweisen, 
so  geringfügig,  dass  sie  nicht  gegen  unsere  auffassung  sprechen 
würden  mit  zwei  ausnahmen,  die  allerdings  ins  gewicht  fallen. 
Strophe  7 — 12  fehlen  in  I  und  d  und  ebenso  16 — 17.  Daraus 
ist  jedenfalls  das  schwerste  bedenken  zu  entnehmen,  das  über- 
haupt geltend  gemacht  werden  kann,  und  die  hauptursache, 
warum  ich  nicht  über  allen  zweifei  hinwegkommen  kann. 

Wenn  es  wahrscheinlich  gemacht  ist,  dass  das  Verhältnis 
der  lesarten  nicht  durch  mischung,  sondern  durch  eine  Zwi- 
schenstellung von  I*  und  d*  zu  erklären  ist,  so  folgt  daraus 
dieselbe  Wahrscheinlichkeit  für  die  strophendiflferenz.  Trotz- 
dem wird  es  sich  empfehlen  die  echtheit  der  plusstrophen  in 
I*d*  selbständig  zu  erörtern  und  die  gründe  dafür  und  da- 
wider unparteiisch  abzuwägen.  Es  sind  im  ganzen  20.  Bei 
dieser  geringen  zahl  ist  es  ziemlich  mislich  sich  aus  beob- 
achtungen  des  vers-  und  Wortgebrauches  ein  urteil  zu  bilden, 
da  man  zu  wenig  garantie  gegen  den  zufall  hat.  Bartsch 
macht  s.  315  zunächst  geltend,  dass  in  diesen  20  Strophen  die 
ausfüllung  der  Senkung  in  demselben  masse  vorhersehe  wie 
in  den  80,  die  C*  allein  hat.  In  der  achten  halbzeile  fehle 
die  Senkung  nur  zwei  mal  939  a  und  1835  b.  Er  bemerkt 
dann  aber  selbst,  dass  noch  858  a  hinzukommen  würde,  wenn 
man  iedoch  erarnten  siz  sit  liest,  was  doch  gewis  viel  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  hat;  ferner  1064  a  nach  der  lesart  von 
C*,  wenn  man  mit  elision  liest,  und  969a  nach  der  lesart 
von  I.  Was  die  letzte  stelle  betrifft,  so  ist  sie  auch  nach  der 
jedenfalls  richtigen  lesart  von  C*d  mit  syncope  zu  lesen:  slns 
Sterbens  muose  engelten  sit  der  sin  nie  niht  genbz.  Das  in  I 
fehlende  sit  darf  nicht  zur  zweiten  vershälfte  gezogen  werden. 
So  stellt  sich  das  Verhältnis  schon  ein  wenig  anders  heraus, 
als  es  Bartsch  zunächst  angenommen  hat.  Auch  die  sonstigen 
fälle  der  syncope  lassen  sich  noch  etwas  vermehren,     1052,  9 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  4S7 

inuss  betont  werden  dd?^  nach  wirt  ez  hezzer.  848,  6  lesen 
Id  7vir  Silin  rllen  jagen,  1835,  11  la  hie  tuot  kein  {deheiniu 
Cd)  leit.  Immerhin  aber  bleibt  die  ausfiillung-  der  Senkung 
sehr  überwiegend.  Wenn  das  dafür  spricht,  dass  die  Strophen 
von  dem  bearbeiter  C*  herrühren,  so  spricht  mindestens  eben 
so  sehr  dagegen  das  fehlen  des  cäsurreimes,  der  in  den  80 
nur  in  0*  stehenden  Strophen  19  mal  vorkommt.  Die  nur 
hier  vorkommenden  reime  Otenhein  :  dehein  und  schalt  (für 
schult)  :  holt  können  nicht  als  beweis  der  unechtheit  gebraucht 
werden,  da  man  sonst  eben  so  gut  andere  vereinzelte  reime 
für  die  unechtheit  der  strophen,  in  denen  sie  vorkommen,  gel- 
tend machen  könnte.  Weder  heim  noch  schult  kommen  übri- 
gens sonst  im  reime  vor.  Noch  weniger  darf  man  sich  auf 
die  nur  in  den  20  strophen  vorkommenden  Wörter  und  den 
besondern  wortgebrauch  stützen.  Ich  brauche  Bartsch  nur  an 
das  zu  erinnern,  was  er  s.  309.  10  über  die  besonderheiten 
der  in  A  fehlenden  strophen  bemerkt,  i) 

Wichtig  ist  der  umstand,  dass  mehrere  von  den  20  strophen 
in  Id  an  anderer  stelle  stehen  als  in  C*:  939  (934)a.  1571 
(73)  a.  1584(83)a— c.  Abweichungen  in  der  strophenfolge  fin- 
den sich  zwar  auch  sonst  zwischen  ß*  und  C*  aber  zu  selten, 
als  dass  nicht  die  drei  hier  bemerkten  sehr  auffallend  sein 
sollten.  Es  hat  daher  viel  für  sich,  wenn  Zarncke  in  seiner 
ausgäbe'*  s.  365  anm.  es  als  eine  möglichkeit  hinstellt,  dass 
die  Strophen  ursprünglich  am  rande  nachgetragen  gewesen 
wären  und  dadurch  an  eine  falsche  stelle  geraten.  Dies  ist 
vielleicht  das  stärkste  argument  für  die  annähme  der  mischung. 
Doch  ist  es  wider  nicht  unbedenklich  die  existenz  einer  hs. 
vorauszusetzen,  in  welcher  ein  solches  nachtragen,  sogar  von 
drei  strophen  möglich  gewesen  wäre.  Ich  sehe  übrigens  an 
keiner  von  den  drei  stellen  die  möglichkeit  zu  entscheiden, 
welche  Stellung  die  ursprüngliche  ist.  Es  sind  beide  Stellungen 
denkbar  und  deshalb  ist  es  schwer  glaublich,  dass  die  ab- 
weichung  auf  blossem  zufall  beruht.  Indessen  auch  wenn  die 
Strophen  gleich  in  den  text  eingefügt  wären,  würde  bei  einer 
entlehnung  aus  einer  andern  quelle   die  Versetzung   an  einen 


')  Zu  diesen  könnte  man  auch  den  reim  bervarn :  geswarn  421,  5.  6 
rechnen,  der  nur  in  C*  2149,  1  seine  analogie  hat. 

32* 


488  PAUL 

andern  platz  wahrscheinlicher  sein,  als  unter  gewöhnlichen 
umständen.  Es  ist  ausserdem  noch  der  merkwürdige  umstand 
zu  berücksichtigen,  dass  858»  in  d  zwei  mal,  nämlich  auch 
nach  848  steht.  Ich  wüste  nicht,  wie  man  dies  in  vollkommen 
befriedigender  weise  deuten  könnte.  Wäre  etwa  die  strophe 
auch  zunächst  vom  rande  an  eine  unrechte  stelle  gekommen 
und  beim  weiterschreiben  erkannt,  dass  sie  erst  an  eine  spä- 
tere gehörte,  wobei  dann  aber  der  Schreiber  vergessen  hätte 
sie  an  der  ersten  zu  tilgen  ? 

Eine  andere  beobachtung  spricht  Avider  gegen  die  entleli- 
nung  aus  C  *.  Zwischen  Id  *  und  C  *  finden  sich  ziemlich 
eben  so  viele  abweichungen  im  texte  wie  sonst  zwischen  B* 
und  C*.  Eine  sehr  bedeutende,  auch  den  reim  in  zwei  zeilen 
angreifende  änderung  findet  sich  allerdings  nur  1511a,  aber 
mehr  würden  auch  auf  20  Strophen  nicht  zu  erwarten  sein. 
Solche  abweichungen  finden  wir  innerhalb  C*  nicht,  und  eben 
so  wenig  haben  I*  und  d*  abweichend  von  B*  je  eine 
solche  änderung  mit  einander  gemein. 

Eine  graphische  erklärung  des  ausfalls  Hesse  sich  wol  bei 
1052  a  geben,  allenfalls  auch  bei  1064  a,  welche  strophe  ebenso 
wie  1065  mit  do  beginnt.  Da  sie  aber  nicht  in  mehr  fällen 
möglich  ist,  so  ist  ein  beweis  daraus  nicht  zu  entnehmen. 

Es  bliebe  noch  übrig  die  echtheit  der  einzelnen  Strophen 
nach  dem  zusammenhange  zu  untersuchen.  Man  kommt  dabei 
aber  in  den  wenigsten  fällen  zu  einem  einigermassen  sicheren 
resultate.  Unentbehrlich  scheinen  mir  756  ab  In  str.  756  wird 
gesagt,  dass  die  freude  auf  dem  feste  ungestört  bis  an  den 
elften  tag  währte.  Es  muss  nun  irgendwie  an  diese  Zeit- 
bestimmung angeknüpft  werden,  wie  es  in  756a  geschieht, 
während  in  757  gar  nicht  angedeutet  wird ,  dass  das  erzählte 
am  elften  tage  geschieht.  Auch  1052  ab  kann  man  schwer  ent- 
behren. Nach  der  anfänglichen  Weigerung  der  Kriemhild  sich 
mit  Günther  zu  versöhnen,  muss  ihr  endliches  nachgeben  doch 
irgendwie  motiviert  werden.  Allein  die  echtheit  von  einigen 
unter  den  20  Strophen  würde  Bartschs  annähme  noch  nicht 
unmöglich  machen.  Man  könnte  annehmen,  dass  sie  in  B* 
ausgefallen  und  in  Id  *  wider  aus  C  *  eingefügt  seien.  Und 
es  könnten  dagegen  bei  einigen  Strophen  gründe  für  die  un- 
echtheit    geltend   gemacht  werden.    Bartsch  führt   s.  318  aus, 


ZUR  NIBELUNGENFRAGE.  489 

dass  C*  die  Klag-e  mehrfach  als  quelle  benutzt  uud  grössere 
Übereinstimmung  zwischen  lied  und  Klage  hergestellt  habe. 
Das  scheint  besonders  sicher  bei  str.  10S2a— h^  die  von  der 
gründung  des  klosters  Lorsch  handeln.  Sie  stehen  in  Wider- 
spruch mit  1448.  9,  wonach  sich  Ute  nicht  in  Lorsch,  sondern 
in  Worms  befindet.  Eine  genaue  Übereinstimmung  besteht  nun 
auch  zwischen  str.  1201a  und  Kl.  1079 — 88.  Die  letztere  stelle 
ist  nur  in  B*  erhalten,  und  Bartsch  nimmt  an,  dass  sie  von 
dem  Überarbeiter  in  C  *  weggelassen  sei,  weil  er  ihren  Inhalt 
zum  teil  wörtlich  in  das  lied  eingefügt  hatte.  Diese  ansieht 
hat  die  genaue  analogie  der  eben  angeführten  stelle  für  sich. 
Die  möglichkeit  bleibt  aber  natürlich,  dass  der  Verfasser  der 
Klaffe  die  Strophe  des  liedes  benutzt  hätte,  die  dann  von  C* 
um  die  widerholung  zu  vermeiden,  weggelassen  wäre,  nur  ist 
diese  auffassung-  an  und  für  sich  viel  unwahrscheinlicher. 
Aehnlich  stimmen  str.  1837  ab  zu  Klage  1436  (1320  C,  nicht 
1352),  vgl.  Bartsch,  Unters.  319.  Es  ist  dies  eine  stelle,  welche 
Kriemhild  entschuldigt.  Eine  andere  mit  derselben  tendenz 
303  B*  =  659  C*  stimmt  ziemlich  genau  zu  einer  nur  in  C* 
erhaltenen  strophe  des  liedes  2023  a.  Hier  scheint  wider  die 
analogie  dafür  zu  sprechen,  dass  die  drei  Strophen  die  Klage 
als  quelle  benutzt  haben.  Indessen  ist  diese  annähme  doch 
für  1837al)  bedenklich.  Die  betreffende  stelle  der  Klage  findet 
sich  nur  in  C  *.  Es  ist  deshalb  sehr  fraglich ,  ob  sie  dem 
originale  angehört  hat.  Sie  enthält  ferner  eine  bestimmte  be- 
rufung  auf  einen  ausspruch  der  Kriemhild,  die  der  dichter 
schwerlich  aus  der  luft  gegriffen  haben  wird.  Es  ist  vielmehr 
das  umgekehrte  wahrscheinlich,  dass  die  beiden  Strophen  des 
liedes  die  quelle  für  die  Klage  gewesen  sind.  Es  bleibt  dann 
noch  fraglich,  ob  sie  vom  ursprünglichen  dichter  herrühren 
oder  erst  vom  bearbeiter  C*  demselben,  der  auch  die  beru- 
fung  auf  sie  in  die  Klage  einfügte.  Die  Klage  ist  im  allge- 
meinen günstiger  für  Kriemhild  als  das  lied;  im  Hede  sowol 
als  in  der  Klage  ist  C  *  für  sie  günstiger  als  B  *.  In  dieser 
beziehung  stimmt  zu  C*  auch  noch  die  in  I  erhaltene  strophe 
1775a,  was  widerum  dafür  spricht,  dass  die  überschüssigen 
Strophen  in  C*I*d*  auf  dieselbe  stufe  zu  stellen  sind  wie 
die  in  C  *.  Aber  doch  ist  zu  erinnern ,  dass  es  noch  nicht 
ausgemacht  und  meiner  meinung  auch  kaum  auszumachen  ist, 


490  l^AUL  —  ZUR  NIBELUNGENFRAGE. 

welche  auffassung  der  Kviemliild  die  ursprüugliche  ist.  Ist  es 
die  günstigere,  so  könnte  wol  die  tendenz  zur  herabziehung 
in  B*  weiter  gegangen  sein  als  in  B*I*d*. 

Noch  müssen  wir  in  den  kreis  unserer  betrachtung  ziehen 
329  a— c.  Diese  drei  Strophen  fehlen  in  I,  die  ersten  beiden 
sind  in  C*dk,  die  letzte  nur  in  dk  erhalten.  Dies  Verhältnis 
ist  sonderbar,  wie  wir  es  uns  auch  zurecht  legen  mögen.  Wir 
können  wol  jedenfalls  nicht  umhin  anzunehmen,  dass  die  Stro- 
phen in  I  ausgefallen  sind.  Nach  dem  gedankenzusammen- 
hange ist  ihre  echtheit  in  hohem  grade  wahrscheinlich.  Es  ist 
unpassend,  dass  nach  der  abmahnung  Sigfrieds  Hagen,  ohne 
diesem  zu  antworten,  sich  unmittelbar  au  Günther  wendet  mit 
dem  rate,  Sigfried  um  hilfe  zu  bitten.  Auch  hat  Sigfried  in  den 
V. orten,  die  er  329  gespiocheu  hat,  noch  keine  so  sehr  genaue 
kenntnis  von  Brüuhilds  Verhältnissen  gezeigt.  Erst  nachdem 
Günther  seinen  bestimmten  eutscliluss  erklärt  hat,  der  sieh 
durch  keine  Warnung  beirren  lässt,  darf  Hagen  mit  seinem 
rate  kommen.  Deshalb  muss  aber  auch  die  dritte,  nur  in  dk 
erhaltene  Strophe  echt  sein. 

Die  betrachtung  der  plus-strophen  hat  uns  zu  keinem  be- 
stimmten resultate  geführt.  Die  gründe  für  und  wider  stehen 
sich  dergestalt  einander  gegenüber,  dass  die  Avage  unsicher 
hin  und  her  schwankt,  wenn  sie  sie  sich  auch  vielleicht  etwas 
mehr  zu  gunsten  von  Bartschs  annähme  neigt.  Eben  wegen 
dieser  Unsicherheit  ist  es  nötig  das  lesartenverhältnis  mit  in 
bctracht  zu  ziehen.  Und  dies  dürfte  doch  vielleicht  den  aus- 
sehlag gegen  die  annähme  der  mischung  geben. 

FßEIBURG,  juli  1876.  H.  PAUL. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  (HOHENBURGER) 
HOHE  LIED. 


Ijie  von  Jos.  Haupt  nach  Hoheuburg  benannte  erklärung 
des  hoben  liedes^)  trägt  diesen  namen  mit  unrecht^  da  weder 
der  uns  unbekannte  Verfasser  noch  der  iuhalt  des  werkes  noch 
die  geschichte  der  hs,  das  geringste  mit  jenem  frauenkloster 
auf  dem  Odilienberge  im  Elsass  zu  tun  haben.  Vielmehr  ist 
der  einzige  für  die  herkunft  der  hs.  beglaubigte  name  der  von 
St.  Trudpert;  nach  ihm  also  und  nach  keinem  andern  ist 
unser  hohes  lied  zu  benennen. 

Am  Schlüsse  der  hs.  stehen  die  worte :  Iste  liher  est  sancti 
Trudperti  martyris.  Obgleich  dieser  eigentumsvermerk  einer 
spätem  zeit  (nach  Jos.  Haupt  s.  III  dem  14.  jahrh.)  angehört, 
zeigt  er  doch  deutlich,  in  wessen  bänden  unser  werk  sich 
einst  befand.  Von  dieser  grundlage  haben  wir  auszugehen. 
Jos.  Haupt  dagegen  hat  aus  inhalt  und  spräche  unseres  denk- 
raals  beziehungen  auf  Hohenburg  gefolgert  und  sogar  Eelindis 
und  Herrad  als  Verfasserinnen  auf  den  titel  gesetzt.  Scherer 
gibt  diese   folgerungen   notgedrungen   auf,    hält  aber  mittelst 


')    Literatur: 
Joseph  Haupt,  das  hohe  lied.    Uebersetzt  von  Willeram,  erklärt  von 

Rilindis  und  Herrat,  äbtissinuen  zu  Hohenburg  im  Elsass  (1147 — 1196). 

Wien  1864. 
Fedor   Bech,    ausführliche    reeension    des    vorstehenden    buches    in 

Pfeiffers  Germania  IX,  s.  ;{52— 76. 
Desgl.  Zarncke,  Centralblatt  1864,  s.  114  f. 
Scherer,  geschichte  der  deutschen  dichtung  im  11.  und  12.  Jahrhundert, 

s.  74  anm.  und  s.  76—78,  eben  derselbe  in  Haupts  zeitschr.  XX  (n.  f. 
VIII)  s.  198—205. 


492  HAYNER 

eiuer  sehr  kimstliclieu  und  uuwahrscheinlicbeii  combiuation 
eiuc  l)ezieliung  zu  Hohenburg  fest,  deren  grundirrtum  auf  der 
annähme  beruht,  das  werk  sei  für  frauen  und  von  einer 
solchen  geschrieben.  Gelingt  es  uns  diesen  glauben  zu  zer- 
stören, so  fallen  auch  die  daraus  gezogenen  Schlüsse. 

Scherer  gibt,  zum  teil  in  Übereinstimmung  mit  Jos.  Haupt, 
folgende  gründe  für  die  annähme  einer  weiblichen  Verfasserin 
an.  Erstens  die  milde  der  darslellung  (zeitschr.  f.  d,  altert. 
XX  (n.  f.  VIII)  s.  199,  vgl.  Jos.  Haupt  s.  XIV).  Dieser  grund 
ist  nichtssagend,  da  milde  auch  die  eigenschaft  eines  mannes 
sein  kann,  zumal  eines  der  weit  entsagenden,  nur  sich  und 
seinem  gotte  lebenden  klosterbruders,  der  so  auf  nächstenliebe 
dringt,  wie  unser  autor.') 

Zweitens  beruft  sich  Scherer  widerholt  auf  das  durch- 
brechen weiblicher  phantasie,  die  sich  unter  anderem  in  dem 
bilde  von  der  binde  und  den  locken  zeigen  soll  (höh.  lied  48  jo). 
Hier  tibersieht  aber  Scherer,  dass  die  binde  sich  einfach  aus 
dem  bibcltexte  ergibt  {sicui  vitta  cocchiea  iua  lahia  et  eloquium 
tunm  dulce)  uud  dass  sich  schon  Williram  desselben 
bildes  bedient  (p.  XXX  alse  diu  binta  zesämene  duinget  die 
?nenige  dero  lökko).  Auch  auf  54  9  verweist  Scherer  sehr  mit 
unrecht,  denn  die  dortigen  worte  in  ainime  dineme  halshare  odir 
in  ainime  vahssirenen  dines  Halses  sind  nichts  als  wörtliche 
widergabe  des  (darüber  stehenden)  textes  in  uno  crine  colli  lui. 

Drittens  stützt  sich  Scherer  darauf,  dass  68^5  der  aus- 
druck  friundinne  gebraucht  wird.  Er  sagt  darüber  a.  a.  0. 
s,  198  wörtlich  folgendes:  'Dass  uounen  angeredet  werden, 
will  er  (Bech)  s.  356  bestreiten  und  die  ausdrücke  maget,  hrüt, 
gemahele,  juncfrowe  nicht  im  eigentlichen  sinne  nehmen.  Die 
stellen  sind  in  der  tat  nicht  alle  von  gleicher  beweiskraft. 
Teils  liegt  die  anschauung  von  der  seele  als  braut  gottes  zu 
gründe,  teils  mag  ein  adolesceniulae  oder  amica  des  textes  die 
Veranlassung  sein.  Aber  z.  b.  68 15  scheint  mir  das  unAvillkür- 
liche  friundinne  neben  fiende  z.  ,7,  wo  es  nur  auf  den  allge- 
meinen begriff  von  gottesfreunden  und  gottesfeinden  ankommt, 
und  wo  das  im  text  vorhergehende  amica  iu  der  erklärung 
durch  gemahele  gegeben  wird,  dieses  unwillkürliche  femininum 


')  Vgl.  auch  das  von  Bech  a.  a.  0.  s.  356  gegen  Jos.  Haupt  gesagte. 


DAS  S'l\  TEUDPERTER  HOHE  LIED.  493 

sclieiut  bedeutsam.'  —  Auch  hier  liegt  eine  verkennung  des 
tatbestandes  zu  gründe.  Man  nmss  sich  immer  vergegenwär- 
tigen, dass  dem,  der  eine  erklärung  ausarbeitet,  der  text  selbst 
vorliegt  und  er  vor  allem  darauf  bedacht  sein  muss  diesem 
gerecht  zu  werden.  Nun  hat  aber  in  der  tat  der  erklärer,  wie 
aus  67  29  zu  ersehen  ist ,  amica  mea  mit  min  friundinne  über- 
setzt, goies  friundinne  6815  ist  demnach  nichts  als  wörtliche 
anlehnung  daran.  Also  ist  nicht  dieses  durch  den  text  ver- 
anlasste femininum  bedeutsam,  sondern  umgekehrt  zeigt  der 
unwillkürliche  Übergang  ins  masculinum  {goies  fiende  z.  j^),  wo 
der  Verfasser  nicht  mehr  durch  rückerinnerung  an  den  text 
beeinfiusst  wurde,  dass  von  einer  beschränkten  beziehung  auf 
frauen  keine  rede  sein  kann.^)  Ein  solches  vergessen  des 
bildes  und  tibergehen  ins  masculinum  (es  kann  ja  meist  nur 
im  Singular  erkannt  werden)  tritt  in  unserm  hohen  liede  über- 
aus häufig  ein.  Vgl.  einfach  134  34  if.  Die  seele  wird  als 
braut  dargestellt :  da  minnet  dich  din  bi'utegoi^me  ewicliche  [als] 
diu  in  hie  minnest  .  so  wunder ont  sich  die  ubelen  gaiste  unde 
sprechent:  wer  ist  disiu  diu  da  uf  fert  durch  die  wüste  unde  sich 
lainet  ubir  ir  trut?  =  quae  est  illa  quae  ascendit  per  deser- 
tum  delitiis  affluens  innixa  super  dilectum  suum  ?  —  Unmittel- 
bar darauf  folgt:  wer  lainet  sich  7ibir  sineii  trut?  newane  der 
allez  de  von  gote  hat  de  er  govtes  tut,  der  mach  gesten  de  er 
niht  nefallet  .  also  tust  din,  so  diu  ime  elliu  diniu  werch  bezelest. 
—  Bei  so  getaner  Sachlage  darf  also  nicht  das  vorkommen 
eines  femininums,  sondern  es  muss  der  ungesuchte  Übergang 
ins  masculinum  als  beweisend  angesehen  werden;  und  das  ist 
das  umgekehrte  von  dem  was  Scherer  wollte. 

Viertens  sagt  dieser:  'und  wenn  16t,  ff,  das  adolescentulae 
des  textes  als  femininum  festgehalten  und  nur  durch  beispiele 
weiblicher  märtyrinnen  erläutert  wird:  so  kann  ich  das  nicht 
für  einen  zufall  halten.'  Er  gibt  also  selbst  zu,  dass  die 
textesworte  ideo  dilexerunt  1e  adolescentulae  dazu  anlass  geben ; 
nach  dem  was  Avir  kurz  vorher  über  den  unwillkürlichen  ein- 
tluss  des  textes  auf  den  erklärer  gesagt  haben,  kann  uns  das 


')  Vgl.  auch  die  folgende  seite  z.  4:  die  also  chodent  die  nesini  ze 
frumen  gotes  ße)ide,  undze  si  so  tüni  so  newerdenl  si  auch  nicrnmer 
sine  friunde. 


494  HAYNER 

nicht  wunder  nehmen.  Etwas  anderes  wäre  es,  wenn  ohne 
sichtbaren  j^rund  oder  doch  mit  einer  gewissen  Vorliebe  weib- 
liche Vorbilder  in  die  darstellung  einflössen.  Dem  ist  aber 
durchaus  nicht  so,  vielmehr  ist  diese  stelle  die  einzige,  in 
der  ausserbiblische  namen  von  weiblichen  heiligen  angeführt 
werden.  Und  da  diese  vier,  Agna,  Caecilia,  Lucia,  Agatha 
nach  Haupt  s.  XIX,  Svie  bekannt  in  allen  missalen  und  sonsti- 
gen andächtigen  werken  zusammen  genannt  werden',  so  ist 
ihre  erwähnung  doch  etwas  ganz  gewöhnliches,  das  gar  nicht 
auf  besondere  motive  zurückgeführt  zu  werden  braucht.  Eine 
frau,  die  nach  Scherer  Q.  F.  XII,  s.  76  'durchaus  die  bewah- 
rung  weiblicher  keuschheit  im  äuge  hatte '  und  demnach  '  weib- 
liche märtyrinnen  als  tugendmuster'  anführte,  würde  es  sich 
wol  nicht  haben  nehmen  lassen,  näher  darauf  einzugehen,  w^o- 
zu  gerade  bei  diesen  Vorbildern  (A'gl.  Haupts  ausztige  aus 
dem  heiligenlexicon ,  s.  IX  —  XII  seiner  vorrede)  die  reichste 
gelegenheit  war.  Doch  nichts  von  alledem,  die  worte  Cecilia 
diu  hete  schiere  gestriti^i  unde  Agata ,  sin  slügin  die  wuterike 
(IT;)  verraten  eher  das  gegenteil.  Dieser  einen  stelle  mit 
ihren  vier  bekannten  und  zusammen  gehörigen  namen  stehen 
folgende  ausserbiblische  eigennamen  männlicher  heiliger  gegen- 
über: Gregorius  43 33 ,  593i,  S'Sn,  91 20-  Augustinus  4833,  66y, 
83i3.  Ambrosius  4833,  88  ig,  18629.  Hieronymus  4833,  8815. 
Theophilus  582-  Cyprianus  583.  ßenedictus  59  2s,  8814.  Julia- 
nus 82,0.  Chrysanthus  82 k,.  Martinus  88,7.  Ruppertus  8820- 
Wofür  spricht  diese  stattliche  reihe?  —  Und  dabei  werden 
auf  s.  82,0  Julianus  und  Chrysanthus  ausdrücklich  als  märtyrer 
mit  namen  aufgeführt,  während  in  der  zeile  darauf  die  hrodin 
wip ,  die  marterarinne  nur  im  allgemeinen  erwähnt  werden. 
Die  quelle  ist  Wiliram  s.  XXVII,  die  namen  sind  eigene  zu- 
tat unseres  erklärers.  Dieselbe  stelle  bei  Williram  hat  der 
erklärung  von  c.  III  v.  9  u.  10  zu  gründe  gelegen;  hier  sind 
als  lehrer  Gregorius,  Augustinus,  Ambrosius  und  Hieronymus 
genannt,  die  heiligen  wip  magede  unde  wietewen  (445)  dagegen 
wider  nur  allgemein.  Ganz  das  gleiche  geschieht  auf  s.  88 
und  84,  so  dass  gerade,  wenn  Scherers  beweismoment  zutref- 
fend sein  sollte,  gar  kein  zweifei  aufkommen  könnte,  welches 
geschlechtes  unser  erklärer  war. 

Fünftens  fährt  Scherer  fort:  'und  wenn  es  vollends  12825 


DAS  ST.  TßUDPERTER  HOHE  LIED.  495 

heisst  von  diu  so  rät  ich  mineyi  juncvrouwen  und  126  7  daz 
rvizzen  mme  juncvroweiw  so  weiss  ich  der  annähme  nicht  aus- 
zuweichen, dass  zu  wirklichen  Jungfrauen  und,  weil  das  geist- 
liche publikum  feststeht,  zu  geistlichen  Jungfrauen,  also  zu 
nonnen  geredet  wird.'  Dieser  puukt  fordert  genauere  dar- 
leguug,  denn  auch  Haupt,  der  herausgeber,  hat  sich  dadurch 
täuschen  lassen,  wenn  er  s.  XV  von  der  '  Verfasserin  und  ihren 
zuhörerinnen'  spricht  und  diese  letzteren  sogar  zu  'töchtern 
aus  den  höchsten  ständen'  mncht  (vgl.  s.  XII  seiner  vorrede). 

Die  anrede  ir  iuncvrovrven,  mine  iuncvrouwen  findet  sich  in 
unserem  denkmal  widerholt,  doch  nicht  immer  in  gleichem 
sinne.  Zunächst  ist  sie  Übersetzung  der  worte  der  vulgata:  filiae 
Jerusalem,  filiae  Syon.  Gewöhnlich  stimmt  unser  Verfasser  mit 
Williram  überein,  z.  b.  44,5  ^^  iuncvrouwen  ir  da  buewent  in 
Syon  =  Will.  XXVII 22  ir  iüncfröuvon  ir  da  hüiuuet  in  Syon 
(filiae  Syon).  74  ^  Ich  beswere  iuch  iuncvrotveti  ze  lerusalem  = 
Will.  XLVg  l'ch  besveron  ivuich  iünkfröuuon  ze  lerusalem.  90  5 
ir  iuncfrouwen  ==  Will.  L27  ir  iünkfröuuon  (filiae  Jerusalem). 
1323]  Ich  beswere  iuch  guten  sele,  ir  da  bint  die  tohtere 
lerusalem  —  Williram  LXXoi  einfach  l'ch  besueren  iüuich, 
iünkfröuuon  ze  Hierusalem.  30^0  tohtere  lerusalem  —  Will. 
XVjo  bloss  iünkfröuvon.  469  gleichfalls  tohter  lerusalem,  bei 
Will,  liicke.  —  Endlich  ist  einmal  filiae  lerusalem  (c.  I,  v.  5) 
sowol  bei  Williram  (VII 21)  wie  in  unserem  hohen  liede  (lO^g) 
un  übersetzt  gelassen. 

Aus  diesen  anreden  wird  natürlich  niemand  etwas  folgern 
wollen.  Eben  so  wenig  aber  darf  man  an  wirkliche  anreden 
denken,  wenn  die  gleichen  Avorte  in  die  mystische  erklärung 
mit  übergegangen  sind.  Zum  glück  folgt  die  deutuug  meist 
auf  dem  fusse  nach,  z.  b.  31 1  (es  geht  tohtere  lerusalem  30  30 
voraus):  Daz  kit:  ir  heilige  sele  ir  da  höret  unde  treffet 
in  die  himiliskin  lerusalem,  ich  besvere  iuch  bi  den  tuginden 
iweres  libes  unde  bi  dir  raigin  irverre  sele  mit  unverkennbarer 
anlehnung  au  Williram  XV13:  l'ch  besueron  iuvih,  güoten 
sela,  ir  da  treffet  ad  supernam  Hierusalem,  bi  dero  reine 
unte  bi  den  tügeden,  die  ir  an  in  selben  habet.  —  Ferner  90 14 
(zu  ir  iuncfrouwen  z.  r,):  Wer  sint  die  iuncvrouwen  den  ich  da 
gerunet  han,  den  ich  in  holtrmie  gesaget  han  die  minne  unde 
wunne   mines    trutes't    daz  sint    die    mine  gespilen,    chit    diu 


496  HAYNER 

christinhait,  vgl.  dieselbe  stelle  bei  Williram  (Ljg):  I'r  heile- 
gon  sela ,  ?r  da  treffet  ad  visionem  patris  u.  s.  w.  Selbst  in 
der  Übersetzung  wird  die  erkläriing  gleich  mit  gegeben  i;>23i 
Ich  hesrvere  iuch  guten  sele,  ir  da  bint  die  iohtere  Jerusalem  = 
Adjuro  vos ,  filiae  Jerusalem.  Denmacli  ist  auch  der  ausdruck 
gel  uz  ir  iuncvrowven,  get  uz  iurvcrcn  girden  ...  (46 1  ff.)  mit 
rückblick  auf  Egredimini  et  videle  filiae  Syon  nicht  als  wirk- 
liche anrede,  sondern  als  allegorie  zu  fassen,  gleichwie  11 5 
die  Worte  Nu  get  zuo  ir  iuncvrourven  ir  da  nie  mit  girde  nie 
gekusten  sich  auf  den  anfang  des  hohen  liedes  {osculetur  me 
osculo  oris  sid)  bezichen. 

Eine  andere,  bis  zum  schluss  des  buches  durchgehende 
allegorie  knüpft  sich  an  die  bibelworte  Sexagi7ita  reginae  et 
octoginta  concuhinae  et  adolescentularum  non  est  numerus  (9627). 
Eben  so  wenig  man  bei  den  Worten  wir  vinden  sin  in  den 
chlosteren  ensament  chebese  unde  chimiginne  97  26  an  wirkliche 
kebsweiber  und  wirkliche  königinnen  denken  kann,  eben  so 
wenig  darf  man  bei  den  nachfolgenden  ausdrücken  an  wirk- 
liche Jungfrauen  denken.  Ueberdies  werden  auch  hier  die  er- 
klärungen  vom  autor  selbst  gegeben.  Vgl,  100 1  daz  man 
nemmet  die  chimiginne  daz  sint  die  tugenthaften  —  z.  5  daz  ez 
chit  die  chebese,  daz  chit  die,  die  nach  ir  unwitzen,  so  siu  ze 
sinne  choment,  mit  ir  helfe  hulde  wellent  gewinnen  —  117 13  diz 
inist  nicht  der  durnahtigen,  sunder  der  iuncvrowen,  die 
man  noch  vertragen  muz  in  ir  undurnahte ,  rvan  swaz  diu  nieht 
neferstaest  des  negiltist  diu  och  nieht.  durch  swaz  diu  iz  lazest 
so  diu  dmiJie  durnahtigen  wirst,  so  sprichit  got:  wie  scone 
diu  bist!  wände  er  dich  gerainet  hat  ?nit  sineme  antlaze  von  den 
maintaten,  so  sprichit  er:  wie  zeire  du  bist  .  .  .  diz  merchen 
minen  iuncvrouw en  iinde  vermiden  die  maintate.  Im 
auschluss  hieran  erledigen  sich  auch  die  beiden  von  Scherer 
(nur  unvollständig)  gegebenen  citate:  12824  von  diu  so  rat  ich 
minen  iuncvrotven,  die  noch  nieht  chommen  sint  ze  deine  brut- 
stüle  der  durchnahtigen  minne  gotes  und  126f,  de  wizzen 
mine  iuncvrouwen  die  da  gedingen  habent  de  siu  noch  chiui- 
ninginne  werdln,  denn  es  geht  1222:j  voraus:  die  solihen  {die 
rehtes  herzen  sint  vgl.  z.  e)  daz  sint  die  chunniginne,  die  ze  gote 
deine  waren  chunnige  sprechent:  Chum  min  Uep ,  geng  an  den 
akker.  .  .  .  Vgl.   ausserdem    1196,  124i5,  13529,  137 20,    140^ 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  497 

und  vor  allen  dingen  den  sclilusB  des  buclies,  der  jeden  zweifei 
lieben  muss;  an  disime  brieve  soltu  erchennen  die  gemahelen 
des  almahtigen  gotes  ahiwedir  de  si  diz  haben,  odir  si  mit  ßze 
dar  nach  werben  .  srver  iz  ernistliche  rvirbet,  nehat  ouch  e  r  niht 
vile  dire  fugende,  er  haizzet  iedoch  von  sineme  guten  ?villen  unde 
von  sineme  erneste  ain  brüt  des  almahtigen  gotes;  nehat  er 
flizzes  nieht  unde  hat  er  den  willen  ze  gewinnenne,  die  werdent 
gehaizen  adolescentule;  nehat  er  den  tvillen  noch  den  ernesl- 
Uchen  gewerb  ze  gewinnenne  die  lügende  in  disime  übe,  die  ne- 
haizzent  nielit  neweder  iuncvrowen  noch  brüte,  sundir  siu  haizzent 
die  erbelosen  chebese,  die  doch  got  etewenne  ernert  durc  die 
kurzen  zit  der  riuwe  AMEN  herre. 

Demnach  darf  die  annähme  Haupts  und  Seherers,  das  buch 
sei  für  frauen  und  von  einer  solchen  geschrieben,  wol  als 
widerlegt  angenommen  werden.  Wir  brauchen  aber  nicht  da- 
bei stehen  zu  bleiben,  wir  können  auch,  glaube  ich,  den 
directen  beweis  für  männliche  Urheberschaft  erbringen. 

Der  Verfasser  rechnet  sich  selbst  zu  den  geistlichen  {wir 
geistlichen  mennisken  1 3),  nennt  die  im  kloster  versammelten  ^) 
die  bruderschaft  [want  iz —  ir  gerune  —  ist  ainweder  murmul  uf  die 
maisterscaft  odir  uf  die  brüderscaft  odir  von  ir  spise  odir  von 
ir  gewande  odir  von  upiger  minne  98^0  ff-)  und  ihren  Vorsteher 
meister  {von  den  guoten  maisteren  61 2s,  durch  den  maister  623). 
In  Übereinstimmung  damit  werden  männliche  pronominal- 
formen gebraucht,  wo  von  klosterverhältnissen  im  allgemeinen 
die  rede  ist  (vom  meister  104y  If. :  Bise  vindet  man  alle  in  gaist- 
licheme  lebenne.  die  wirsten  daz  sint  die  hohvertigen  unde  die 
tvirderbhurtigen  die  ir  herze  zallen  ziten  geminnent ,  tvie  vil  ir 
bechorunge  ist  daz  nemach  niemman  gezellen  .  sulin  siu  genesen, 
daz  müz  harte  gearnet  werdent  von  der  maister scefte,  wann 
siu  bedürfen  undirscidunge,  so  daz  siu  si  ettewenne  ummazeclichen 
rihten  unde  daz  siu  si  ettewenne  vil  irbarmeclichen  hallten,  der  die 
got  gewinnet,  der  gewiiinet  michelen  Ion  —  vom  klosterinsassen 
5025  ff.  des  ist  durff't  under  gaistlichen  luthen,  tvande  so  er  sich 
geloubet  aller  weltwunne ,  so  varet  sin  der  tieuuel  mit  siner  be- 
chorunge).   Von  den  frauenklösteru  wird   ausdrücklich    84  21  ff. 


*)  Das  wort  kloster  kommt  vor  97-26  und  124,,  beziige  auf  klöster- 
iches  leben  sind  überall. 


498  HAYNER 

gesprochen,  imcl  zwar  wie  von  einer  fremden  sache:  wände 
abir  (kr  schaphirus  dar  inider  stet  vil  harte  zerliche :  so  sprechen 
vone  den  hailigen  mageden,  der  in  disen  zlten  michele  craft 
ist  in  {jaisHichr  huotle,  die  zeirenl  in  diseme  zite  allir  beste 
den  schonisten  buch  unseres  gemahelen.  Folgerichtig  ist  auch 
die  ermahnung  an  sie  in  dritter  person  (als  an  abwesende) 
gehalten:  siu  suUn  abir  wizzen  daz  der  saphirus  nehain  sconiz 
lieht  nehat  netvane  von  deine  haiteren  tage,  also  sulin  alle  ir 
sinne  unde  alle  mimie  hlne  ze  deme  ewigen  lichte  warhten,  daz 
siu  eht  fulliches  suchen  an  dehainen  ir  suchen  newati  daz  treffe 
ze  den  gotes  minnen,  während  vor  und  nach  dieser  stelle  die 
erste  (bez.  zweite)  person  üblich  ist,  vgl.  84 12  von  diu  sin  wir 
durftich  —  85 11  nu  sulin  wir  wizzen  —  8533  nu  sulin  wir 
sehen  —  87 ^  wir  sidin  wizzen  —  8230  diu  soll  vil  wol  7vizzen 
u.  a.  m.i)  Den  anlass  zu  dieser  er  wähnung  der  trauen  gab 
nebenbei  bemerkt  die  eigentümliche  combination  des  Verfassers 
betreffs  der  sieben  gaben  des  heiligen  geistes  und  der  aus- 
erwählten chöre  der  seligen;  s.  42 — 44  ist  diese  combination 
mehr  andeutungsweise,  s.  78 — 89  (schlussworte  da  daz  lop  der 
engele  unde  daz  lop  der  erweiten  menniskin  sich  gesamenet  ane 
got  ainen)  in  behaglicher  breite  durchgeführt.  Von  grosser  be- 
deutung  ist  schliesslich  die  heftige  polemik  unsers  Verfassers 
gegen  klausner  und  eiusiedler,  zumal  unter  der  von  ihm  aus- 
gesprochenen motivierungj  die  für  ein  frauoikloster  wenig  oder 
gar  keinen  sinn  hätte:  70  6  -^''^  ßeihent  getwanchliche  zuhte  gaist- 
licher  dinge,  wände  siu  suochent  ir  aigen  vur^trefliche  mere  danne 
gotes  willen;  von  diu  so  iouchet  siu  der  tieuuel  von  ainer  stete 
ze  der  anderen,  daz  siu  nicht  pesten  nemugen  iii  der  ersten  stete 
da  si  sollen  rawen,  daz  chit  in  der  gehorsame  da  in  der  hailige 
gaist  von  erst  gibettet  hat.  die  selben  sol  man  bichennen  bi  ir 
uns  täte ,  wände  siu  succhent  allizane  stete  haile,   ainwerderer 


')  Ein  ganz  gleicher  Wechsel  zwischen  dritter  und  erster  person, 
wodurch  der  Verfasser  zeigen  will,  dass  er  sich  nicht  zu  jenen  rechne, 
kommt  6830  vor:  der  ainvaltige  menniske  der  sprichet:  ich  bin  uzzir 
mineme  rocke  gesloffet,  daz  chit:  ich  ham  mich  strites  geloubet,  ich  inne- 
?vil  niemmenne  leit  tuon  .  waz  bestet  mih  dehaines  anden?  daz  tuon  die 
den  iz  pevolhen  si:  ich  wil  miner  sele phlegen  .  die  sulin  daz  wizzin 
....  wie  abir  wir ,  ivir  ime  hulde  gesvoren  haben  do  wir  sin  chruce 
namen  ? 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  499 

171  aine  clilose  odir  daz  siu  einsidelen  werdent.  ain  niht  ne- 
rver dent  slu!    siu  nemment  maistir schaß  e  si   got  dar  zu  ladeA) 

Aus  diesen  innern  g-ründen  halte  ich  den  Verfasser  un- 
seres Werkes  für  einen  mann;  als  äusseres  zeugnis  treten 
zwei  randbemerkungen  auf  fol.  HO  r.  und  111  r.  der  hs.  hin- 
zu, die  nach  Haupt  s.  180  so  lauten:  hie  lert  er  erkennen 
wenn  wir  die  siben  gäbe  des  heiligen  geistes  haben  und  veht  an 
der  iungesten  an  de  ist  vorcte  und  hie  git  er  uns  derselben 
ler  wort  zeichen  und  hebt  an  der  ersten  gab  an,  de  ist  fvisheit. 
Wenn  man  also  überhaupt  randbemerkungen  zu  näheren  be- 
stimmungen  benutzen  wollte,  was  doch  Haupt  und  Scherer, 
wie  wir  gleich  sehen  werden,  tun,  so  durfte  man  diese  nicht 
übersehen. 

Ist,  wie  wir  nachgewiesen  zu  haben  glauben,  der  Verfasser 
ein  mann,  so  fallen  auch  die  von  Scherer  a.  a.  0.  s.  199  ge- 
machten einwände  gegen  St.  Trudpert.  Zu  prüfen  bleiben  die 
über  den  Zusammenhang  mit  Hohenburg  und  Baiern  gemachten 
angaben. 

Wenn  Scherer  auf  grund  der  weiter  unten  zu  besprechen- 
den stelle  über  Ruppert  die  entstehung  unseres  hohen  liedes 
nach  Baiern  setzt,  so  steht  er  mit  den  von  Jos.  Haupt  in  der 
vorrede  entwickelten  annahmen  in  directem  Widerspruch.  So- 
weit sich  dieser  Widerspruch  auf  blosses  verneinen  beschränkt, 
wollen  wir  Scherer  gern  beistimmen,  denn  die  Hauptschen 
gründe  für  Hohenburg  sind,  wie  schon  von  ßech  und  gleich- 
zeitig von  Zarncke,  Centralblatt  1864  s.  114  f.  überzeugend 
nachgewiesen  ist,  nicht  stichhaltig.  Haupt  nimmt  auf  s.  XVIII 
einen  Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen  capiteln  unseres 
buches  und  den  sieben  kirchen  und  kapeilen  auf  dem  Odilien- 
berge  au;  dabei  übersieht  er  aber,  dass  nicht  nur  der  anfang 
und  das  letzte  capitel  des  buches  (13925  Ahi  sprechen  von  der 
ersten  unde  von  der  sailigisten  der  diz  pouch  ane  gevangen  wart, 
der  aigin  ist  diz  capitel),  sondern  auch  das  dritte  und  vierte 
ausdrücklich  der  Jungfrau  Maria  gewidmet  ist:  46(3  daz  was 
diu  wambe  der  gotis  mütir ,   vone  diu   ir  gare  diz  capitel  undae 


*)  Ein  treffliches  bild  zu  der  hier  geschilderten  classe  von  mönchen 
gibt  der  h.  Vicelin,  der  überall,  wo  es  ihm  nicht  behagte,  heimlich  davon 
gieng.    Vgl.  Helmoldi  chron.  Slav.  I,  42  ff. 


5(M)  HAYNER 

daz  here  nach  stet^).  Es  ist  also  durch  den  gruudnss  Hohen- 
burp:s,  den  Hau})!  in  unserem  hohen  licde  \vidergefun<len  zu 
haben  ghiuhtc,  ein  dicker  strich  zumachen. —  Dann  soll  jenes 
buch,  welches  Rilindis  und  Herrad  auf  dem  Hohenburger  stein- 
nionumente  (siehe  den  holzschnitt  bei  Haupt)  in  den  bänden 
halten,  der  Jungfrau  Maria  gewidmet  sein,  und  iiieraus  schliesst 
Jos.  Haupt  weiter,  dass  unser  hohes  lied  gemeint  sei.  Wie 
aber,  wenn  die  handbewegung  der  Herrad  (denn  daraus 
schöpfte  Schöpflin,  wie  seine  worte  librum  apertum  porrectis 
manihus  tenerä ,  quo  laiides  Virginis  Christum  sustinentis  [quam 
crinlhus  quoque  cirratis  ornarunt]  contineri  indicai  Herratis  be- 
weisen, die  obige  Vermutung)  gar  nicht  auf  Maria  geht? 
Christus  ist  der  segnende,  auf  den  allein  kann  sie  bezogen 
werden,  wie  man  sich  leicht  durch  den  augenschein  überzeu- 
gen kann.  Gegen  Engelhardt  (Herrad  v.  Landsberg  s.  12) 
muss  ich  bemerken,  dass  die  mutter  gottes  keineswegs  von 
dem  buche  emporschwebt,  vielmehr  ist  sie,  wie  Roth  (Stöbers 
Alsatia  1856 — 57  s.  84)  richtig  angibt,  sitzend  und  mit  dem 
Christuskinde  auf  dem  schoosse  dargestellt.  Eine  ganz  ähn- 
liche Zusammenstellung  habe  ich  auf  einem  alten  siege!  von 
Corvei  gefunden  (abgebildet  bei  Schönemann,  diplomat.  taf.  XHI), 
nur  dass  sich  oberhalb  nicht  Maria  mit  dem  kinde  befindet, 
sondern  Christus  selbst,  mit  der  rechten  segnend,  in  der  linken 
ein  buch  haltend,  um  ihn  herum  die  worte  iuste  iudicate.  Unter- 
halb blicken  zwei  niänner,  das  haupt  von  glorienschein  um- 
geben, zu  ihm  empor;  je  in  einer  band  halten  sie  einen  schrift- 
streifen mit  der  aufschrift  memor  esto  occationis  tue.  Die  rechts- 
seitige figur  hat  wie  Herrad  den  arm  emporgestreckt,  die 
linksseitige  trägt  in  der  freien  band  einen  palmzweig.  Die 
Umschrift  des  siegeis  lautet:  s-  capituli  •  corbeiensts  •  eccJie:^) 
Dieses  seitenstück  zu  dem  Hohenburger  steindenkmal  ist  um 
deswillen  wichtig,  weil  offenbar  derselbe  Vorwurf  zu  gründe 
lag:  begründung  bez.  widerbegründung  des  klosters.  Darauf 
führt  auch  unwiderlegbar  die  gegenseite  des  Hohenburger 
Steines,   wo  Odilie  ihrem  vater  (nach  Roth  der  vater  ihr)   ein 


0  zuo  hoeret  ist  nachgetragen. 

2)  Die  Urkunde  selbst  stammt  aus  dem  jähre  1326  und  ist  vom  abt 
Ruprecht  ausgestellt. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  501 

buch  überreicht,  welchen  akt  man  allgemein  als  die  erste 
gründuug-  des  klosters  auslegt.  Ob  mittelst  dieses  buches,  wie 
Schöpfliu  und  Roth  meinen,  Eugelhnrdt  dagegen  leugnet,  die 
Investitur  symbolisch  ausgedrückt  werden  soll,  ist  sehr  zweifel- 
haft. Die  Hoheuburger  Urkunden  wenigstens,  auf  Avelche  Roth 
(a.  a.  o.  s.  84)  sich  beruft,  sind  anderer  art:  da  handelt  es 
sich  um  die  bcrufuug  von  geistlichen,  welche  im  frauenkloster 
die  messe  zu  lesen  hatten ;  das  buch  also ,  mittelst  dessen  sie 
eingesetzt  wurden,  wird  das  messbuch  gewesen  sein.  In  den 
beiden  obigen  fällen  wird  man  am  ehesten  Statuten  oder  Ordens- 
regeln als  Inhalt  des  buches  vermuten  können.  Doch  wie  dem 
auch  sei,  in  dem  buche,  welches  beide  äbtissinnen  in  bänden 
halten,  darf  mau  sicherlich  weder  mit  Engelhardt  den  hortus 
deliciarum  der  Herrad  (was  sollte  dann  Riliudis?)  noch  mit 
Haupt  unser  hohes  lied  sehen.  Letzteres  verbietet  die  falsch 
gedeutete  handbewegung  sowie  das  mit  herangezogene  siegel 
von  Corvei. 

Gänzlich  verfehlt  ist  der  schluss,  den  Haupt  aus  der 
spräche  für  zwei  Verfasserinnen  führen  will.  Er  will  die 
seiner  ansieht  nach  niederdeutschen  formen  (im  gründe  ge- 
nommen sind  es  rein  alemannische  eigentümlichkeiten)  'in  der 
vorderen  kleineren  hälfte'  der  Rilindis  zuschreiben.  Demnach 
würde  der  andere  teil  der  Herrad  zufallen  und  diesen  habe 
ich  mit  den  entsprechenden  deutscheu  Wörtern,  welche  Engel- 
hardt aus  dem  hortus  deliciarum  zusammengestellt  hat,  ver- 
glichen. In  kürze  stellten  sich  folgende  in  die  äugen  fallende 
abweiclmngen  heraus: 

aquUo  bort.  del.  Kortostermint  höh.  lied  northwhit  62  g 

auster     „  „     Sundertvint  „       „     summerwint  62; 

femur     „  „     huff'e  „       „     dieh  108  ig 

arüfex  „  „     Listmachaere        „       „      Ustmaister  108  jy 

malum  pnnicum   )  ,     ^    i  i    ,  ..  ,  i    i    t  j    ,  ^  ,   , 

hört.  del.  kornap  el  höh.  lied  der  rote  apfphel 
mahim  granatum  \  ^  lon 

tornatus    l  ,     .    ^  ^        7    •  .  i    i    i-   i   (  gedran  83,.     110,j 

hört.  del.  gedreiet  höh.  lied  \  ^    ,       , ,  / 
tornatüis  )  \  gcdrat  1 11 0  • 

Diese  wenigen  worte  beweisen  genügend,  dass  von  einem  zu- 
sammcuhaug  zwischen  dem  hortus  deliciarum  und  unserem 
hoheu   liede    nicht   die   rede   seiu   kann.     Ueberdies   hat   auch 

Beiträge  zur  gesohichte  der  deutschen  spräche,     UI.  33 


502  HAYNER 

Hcrrad  uacli  Eiij;elbardts  ang.ibo  (a.  a,  o.  s.  44)  das  hohe  lied 
in  gewöhnlicher  weise  auf  Christus  und  die  kirche  bezogen, 
niclit  wie  unser  Verfasser  auf  Maria. 

jMit  recht  also  lässt  Scherer  all  diese  aufstellungen ,  die 
gerade  das  gegenteil  von  dem  dartun  was  Haupt  beweisen 
wollte,  fallen.  Um  so  auflfalligei  ist  es  meiner  ansieht  nach, 
dass  Schcrer  an  dem  zeugnis,  welches  Haupt  'in  dem  buche 
selbst'  für  Hohenburg  gefunden  zu  haben  meinte,  trotzdem  fest- 
hält und  darauf  hin  eine  Vermutung  baut,  die  noch  über  die 
Hauptsche  hinausgeht.  'Auf  blatt  47,  2  steht  unten  am  rande 
der  name  Othilia  und  ist  mittels  zierstrichen  mit  dem  s  im 
Worte  si?it  verbunden',  so  wörtlich  berichtet  der  herausgeber  in 
der  vorrede  s.  XXII.  Da  Scherer  nun  nicht  annimmt,  dass 
unser  werk  in  Hohenburg  verfasst  sei,  so  beweist  ihm  doch 
diese  spur,  dass  es  einst  in  Hohenburg  gewesen :  Rilindis  habe 
es  bei  ihrer  berufung  aus  dem  kloster  Bergen  bei  Neuburg 
an  der  Donau  mit  nach  Hohenburg  gebracht;  entstanden  sei 
es  in  Baiern.  Aber  der  name  Odilia  ist  an  und  für  sich 
wenig  geeignet  einen  so  engen  Zusammenhang  mit  Hohenburg 
zu  begründen.  Man  braucht  noch  gar  nicht  zu  bezweifeln  — 
was  wol  erlaubt  sein  dürfte  — ,  dass  gerade  die  Hohenburger 
Odilie  und  keine  andere  damit  gemeint  sei,  und  kann  doch 
den  Schererschen  schluss  nicht  gelten  lassen.  Es  finden  sich 
in  unserer  lis.  so  viele  randbemerkungen ,  warum  sollte  dar- 
unter nicht  auch  ein  so  bekannter  und  so  allgemein  verehrter 
heiligenname  sein?  Diesen  einwand  scheint  Scherer  selbst 
gefühlt  zu  haben,  denn  er  schreibt  (s.  200) :  'Sagt  man,  die 
beifügung  des  namens  Ottilie  könne  auf  ganz  pei  sönlicher  Vor- 
liebe eines  lesers  oder  einer  leserin  beruhen :  so  ist  diese  mög- 
lichkeit  in  abstracto  allerdings  nicht  zu  bestreiten.  Aber  das 
buch  enthält  sonst  keine  randglossen  dieser  art;  das  motiv 
rein  persönlicher  Vorliebe  ist  nicht  stark  genug  um  eine  solche 
eintragung  zu  rechtfertigen ;  wenn  rein  persönliche  verliebe  für 
diesen  oder  jenen  heiligen  sich  daran  in  solcher  weise  zu  ma- 
nifestieren wagte,  so  würden  wir  noch  viele  andere  namen  auf 
den  rändern  finden;  der  vergleich  mit  jenen  hervorgehobenen 
namen  in  den  litaneien  ist  die  nächste  natürlichste  analogie: 
analogien  für  die  andere  annähme  sind  mir  nicht  bekannt.' 
Was  aber  derselbe  unter  den  hervoi-gehobenen  namen  versteht, 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  503 

lehrt  folgender  satz:  'Wenn  mau  sicli  erinnert,  wie  in  litaneieu 
der  oder  die  locallieilige  durch  rote  schrift  hervorgehoben 
Avird:  so  wird  man  sofort  geneigt  sein,  auch  in  Ottilie  eine 
localheilige  zu  erblicken,  d.  h.  die  hs.  einem  Ottilienkloster 
zuzuschreiben.'  Dem  gegenüber  ist  zu  erwidern :  auch  Sclierer 
spricht  nicht  aus  besserer  kenntnis  der  hs.,  er  beruft  sich  auf 
die  Worte  Haupts.  Bei  diesem  aber  ist  weder  etwas  davon 
zu  lesen,  dass  der  name  Othilia  mit  roter  schrift  geschrieben 
noch  dass  er  sonstwie  hervorgehoben  sei;  die  ^ zierstriche'  be- 
ziehen sich  ja  nur  auf  die  Verbindungslinie  zwischen  den 
Worten  Othilia  und  sint.  Also  fällt  die  von  Scherer  gezogene 
analogie  mit  jenen  durch  rote  schrift  ausgezeichneten  namen 
locallieiiiger  in  liraueien.  Weiter  aber  ist  es  gar  nicht  wahr, 
dass  das  buch  •  sonst  keine  raudglossen  dieser  art'  enthalte. 
Scherer  sagt  selber,  dass  Odilie  ^als  ein  beispiel'  der  betreffen- 
den textesstelle  beigefügt  sei.  In  ganz  gleicher  weise  steht 
am  rande  von  fol.  14.  v.  exemplum  sii  Antonius A)  Somit  ist 
Scherers  annähme  direct  wie  indirect  zurückgewiesen. 

Nicht  besser  steht  es  mit  dem  angenommenen  zusammen- 
hange zwischen  Kilindis  und  unserem  werke.  Scherer  setzt 
das  hohe  lied  nach  Baiern  auf  grund  von  8823:  'der  heilige 
Ruprecht  und  die  bekehrung  der  Baiern  neben  kirchlichen 
Verdiensten  ersten  ranges  habe  nur  in  Baiern  sinn'  (Q.  F.  XII 
s.  74  anm.).  Aber  selbst  wenn  es  feststünde,  dass  das  hohe 
lied  diesem  lande  angehörte,  und  wenn  Kilindis  wirklich,  wie 
spätere,  einander  widersprechende  angaben  es  wollen,  aus 
dem  oben  erwähnten  kloster  Bergen  nach  Hohenburg  berufen 
ist,  würde  diese  combination  dennoch  gewagt  bleiben.  So  viel 
ist  indes  zuzugeben,  dass  die  beregte  stelle  für  Baiern  sprechen 
könnte,  wenn  sie  nicht  unserer  ansieht  nach  auf —  St.  Trud- 
pert  fährte.  Man  beachte  einfach  den  eingang  der  legende 
des  heiligen  Trudpert,  wie  sie  an  seinem  namenstage  im 
kloster  verlesen  wurde  2): 

Passio  s.  Truthperti  martyris. 
Cum  igitur  iunumerabiles   martyres   romano   orbe  Franco- 
rumque   imperio   proprio    sanguine    legamus   fuisse    coronatos, 

')  Vgl.  Jos.  Iliuipt  s.  109,  anm.  zu  21 33. 

'^)  Nach  Moue,  Bad.  geschiclitsquellen  I,  s.  22. 

3a* 


504  HAYNER 

quam  plures  illorum  ex  aliis  mundi  partibus  auditä  famä 
novae  rutlisque  christiauitatis  ad  renovaudani  jam  paene 
pro})ter  doctorum  inopiam  Christi  ecclesiam  diiutam,  Galliis 
partibus  adveuisse  comprobautur.  E  quorum  uumero  duos 
germanos  fore  patruin  memoria  tradit,  qui  ex  Hiberniä 
insulä  orti  juxta  evau2:elicum  praeceptum  domum  patriamque 
meute  integerrimä  reliuqueutes ,  crucemque  Christi  corde  ge- 
stalltes, ad  beati  Petri,  principis  apostolorum,  limina 
eoiivolaruut,  ut  summi  clavigeri  precibus  animadvertere 
merereutur,  quibusnam  mundi  partibus  dei  servitium  ipso  faveiite 
iuehoare  debereut.  Et  quia  nemo  est,  si  propria  voluutas  non 
titubaverit,  qui  dei  adjutorium,  sanetorumque  illius  incassum 
quaerat  patrociuium,  praefati  germaui  de  Koma  repe- 
dautes  certissimi,  ut  fertur,  facti  erant,  quibus  in  locis  dei 
famulatum  exercere  et  praeseutem  vitam  terminare,  uumquam 
morituri  felici  memoria,  deberent.  Unus  namque  eorum 
ßaioariis  partibus  remeans,  Roudpertus  nomine, 
dignissimam  sui  nominis  retinens  memoriam  elarissi- 
mis  miraculorum  signis  hactenus,  ut  fertur,  fioret  in  orbe:  alter 
rero  Trudpertus  nomine  Italiae  fines  pertrausiens ,  Reni- 
que  fluminis  eursum  sequens,  Alamanuiae  provinciae  maxi- 
mam  partem  pertrausiens,  in  pago  Prisicauge  haud  longe 
a  Keno  flumine  vallem  quancuim  in  saltu  viciuo,  quasi  a  deo 
sibi  assignatam,  magno  cum  couamine  coepit  inquirere  etc. 

Demnach  darf  mau  in  St.  Trudpert  nicht  nur  entsprechende 
kenntnis  bez.  Überlieferung  der  erwähnten  tatsachen  annehmen, 
sondern  auch  das  allergröste  Interesse  an  Ruppert,  dessen 
glänz  ja  auf  seinen  minder  berühmten  bruder  Trudpert  zurück 
liel.  Und  wie  lebendig  sich  dieses  gefühl  erhielt,  wie  stolz 
man  selbst  in  späteren  zelten  auf  diese  hohe  verwantschaft 
w^ar,  kann  am  besten  Lucelin  zeigen,  der  nach  Gerbert,  bist, 
silv.  nigr.  I,  171  diesem  kloster  einst  angehört  hatte.  Derselbe 
bringt  bei  der  kurzen  aufzähluug  der  klöster  in  seinem  werke 
Germania  sacra  über  St.  Trudpert  auf  s.  86  ausser  der  ver- 
herlichung  des  habsburgischen  herscherhauses  folgendes  tat- 
sächliche: S.  Trudperti  vetustissimum  celeberrimumque  in 
Brisiaca  ad  Herciniam  tribus  a  Fryburgo  milliaribus  monaste- 
rium  .  .  .  iucoluit  primum  S.  Trudpertus,  S.  Ruperti  Salis- 
burgensium   primi   episcopi   et   magni    Bojorum    apo- 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  505 

stoli  f rater  g-ermauu8,  sub  a.  C.  600.  et  proprio  sanguine 
martyr  irrigavit.  .  .  .  Einer  bessern  reclitfertigung-  für  die  er- 
wähnung  des  heiligen  Rnjjpert  in  einem  St.  Trudpert  angehö- 
rigen  werke  bedarf  es  wol  nicht;  wir  sind  daher  nicht  ge- 
nötigt die  entstehung  desselben  auf  grund  dieser  stelle 
nach  Baiern  zu  verlegen. 

Im  übrigen  glaube  ich ,  dass  die  oben  behandelte  stelle 
auch  iiacli  ilirem  Innern  zusammenhange  geprüft  werden  muss. 
Denn  die  ganze  darstellung  83  i-^s  ist  meiner  ansieht  nach  eine 
er  Weiterung  von  43  ^o  ff.:  Der  gaist  der  gervizzede  daz 
ist  der  schenche  der  dar  nf  gedienet  hat :  daz  was  Johannes 
ewangelista  unde  sine  gehelfen  Gregor  ins  Augn  stinus  Am- 
bro sin  s  leronimus  unde  andere,  die  die  heilige  schrift  er- 
rechket  habent  unde  siu  geschenchet  habenl  der  heiligen  christin- 
hait.  Auf  s.  83  heisst  es:  wer  rihte  siu  ze  werche?  daz  tet 
der  gaist  des  g ewizedes.  wer  waren  sin?  ez  waren  die 
hailigen  lerare ,  wände  mit  in  wart  diu  hailige  christinhait  ze 
werche  gerihiet.  Nun  kommt  dieselbe  namenreihe,  vermehrt 
um  Benedict,  Martin,  Ruppert:  in  deme  zite  do  richesote  der 
hailige  gaist  des  gewizzedes  unde  wart  von  sancto  Gregorio 
gotes  dienist  stetectiche  unde  sfizzeliche  geordenot,  unde  gaist- 
liche  leiben  von  A  tigustino  unde  von  deme  heiigen  Bened i et o 
gesetzet;  do  wart  uns  von  leronimo  daz  alte  urchunde  in 
unser  zungen  errekket ,  do  wart  von  sancto  Ambrosia  diu 
christenliche  lere  geschaffet;  do  wart  von  sancto  Martino 
diu  michele  goute  gesehen  unde  diu  chreftigiu  zaichen  diu  got 
durch  in  tet;  do  wart  durch  sanctum  Küpper  tum  alliu  pai- 
geriskiu  herscaft  pecher  et;  da  nach  alle  die  lerare  ....  Zu- 
nächst ist  auffallend,  dass  während  Martin  und  Ruppert  jener 
reihe  am  ende  angefügt  sind,  der  heilige  Benedict  eingeschoben 
und  zwar  so  eingeschoben  erscheint,  dass  auf  ihn  allein  keine 
besondere  tätigkeit  entfällt:  unde  geistliche  leiben  vonAugustino 
[unde  von  deme  heiigen  Benedicto]  gesetzet  .  .  .  Ich  stehe  dem- 
nach nicht  an  diese  worte  für  interpoliert  zu  erklären,  sei  es 
dass  sie,  wie  wir  weiter  unten  mehrere  beispiele  finden  wer- 
den, als  ursprüngliche  glosse  in  den  text  gerieten,  oder  dass 
hier  ein  eiger.cr  zusatz  des  sclircibcrs  vorliegt.  Eine  gewisse 
bestätigung  erhält  unsere  Vermutung  durch  eine  sprachliche 
bemerkung.    Während  anderwärts  derartige  heilige  das  prä- 


506  HAYNER 

dikat  sanctiis  erhalten  (vi;"l,  ausser  unserer  stelle  sanctas  Bene- 
diclus  59.2vi,  sanctus  Gregor  ins  593,  und  91.,o),  stellt  liier  helkj 
und  zwar  nimmt  sich  diese  grob  dialcctischc  form  in  einer 
Umgebung  wo  nur  haUiy  vei'want  ^vird,  verdächtig  genug  aus. 
Ist  dem  aber  so,  so  ist  als  glossator  bez.  abschreiber  ein  Be- 
nedictin er  anzunehmen;  wo  nicht,  so  war  schon  der  Ur- 
heber ein  mitglied  des  genannten  ordens;  denn  darauf  ist  aus 
dem  absichtlichen  anbringen  dieses  namens  zu  schliessen. 
St.  Trudpert  ist  nun  eine  ßenedictinerabtei,  folglich  ist  die 
mögliehkeit,  dass  dieser  zusatz  in  dem  genannten  kloster  ent- 
standen sei,  nicht  zu  leugnen,  in  Verbindung  mit  der  stelle 
über  Ruppert  betrachtet  ergibt  sich  sogar  eine  gewisse  Wahr- 
scheinlichkeit dafür.  Hinzu  kommt  noch  die  erwälmung  des 
heiligen  Martin,  die  gleichfalls  für  ein  Benedictiuerkloster 
spricht;  denn  diesen  heiligen  hatte  Benedict  nicht  nur  sicli 
selber  zum  muster  erkoren,  sondern  empfahl  ihn  auch  seinen 
Schülern  ausdrücklich  als  solches.')  Und  somit  können  wir 
aus  dem  Inhalte  nur  auf  ein  mönchskloster  des  Benedictiner- 
ordens,  n.iher  bestimmt  auf  St.  Trudpert  schliessen. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zur  handschrift,  so  haben  wir 
vor  allen  dingen  zu  ermitteln,  ob  wir  eine  ur-  oder  abschrift 
vor  uns  haben.  Jos.  Haupt  zwar  scheint  es  nach  seiner  be- 
merkung  zu  46  kj  (s.  171)  'schone  von  der  schreiberin  am  rande 
nachgetragen'  für  ein  original  zu  halten,  allein  wir  haben  bei 
der  beschafienheit  des  mittelalterlichen  schriftwesens,  der  fort- 
pflanzung  durch  abschreiben,  in  jedem  buche  so  lange  eine 
abschrift  anzunehmen  als  das  gegeuteil  nicht  erwiesen  ist. 
Hier  sind  wir  in  der  glücklichen  läge,  eine  ganze  reihe  von 
Zeugnissen  für  die  tätigkeit  eines  abschreibers  bei  der  band  zu 
haben.  Schon  Bech  in  seiner  oben  erwähnten  recension  hat 
darauf  hingewiesen,  dass  misverstaudene  und  sinnlos  verderbte 
stellen  uns  darauf  führen.  Wir  können  das  gleiche  aus  zahl- 
losen stellen  folgern  wo  der  Schreiber  werte  ausliess  oder  aus 
der  nachfolgenden  zeile  mit  dem  äuge  vorweg  nahm,  z.  b. 
ane  deme  80 13    s.  ane  deme  eilende   chrlste  z.  14,  —    übe    der 

124,;  s.  uhe  der  wücher  z.  5,  —  sele  siec  30 13  s.  so  siecher  sele 


')  Vgl.  hierüber  Mabill.  I.  p.  10—12. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  507 

im  aiifjin^-e  der  zeile,  —  az  christe  582s  s.  daz  was  crist  z.  29, 

—    so  alUr  so  55  07  i^.  aUer  z.  o« »  —   (i-lse  wände  alse  60  23 1  — 

do  in  ich  in  73^,  —  g  liaiUijen  gaist  822  u.  dg'l.  m.  In  andern 
fallen  hatte  er  sich  verlesen  oder  verschrieben,  was  bekanntlich 
bei  abschriften  sehr  charakteristisch  hervorzutreten  pflegt : 
gezuiede  gervizzede  57 14,  —    erchorren   erroken    126 22,  —    die 

got   mit  minne>tt  97  2;,,  —    tienin   tieuuele    11924  1  —    d£n   gotes 

chendin  cliindin  HÖso,  —   do   si  in  deme  gademe  was  eine  saz 

51 21,  —  loset  lachen  48 17,  —    lihis  liehüst   7^2 ,    —    zch  zo^ch 

(darüber  ich)  39 1,  welcherlei  beispiele  sich  leicht  vermehren 
lassen.  In  dem  zuletzt  angeführten  falle  kann  die  Verbesserung- 
von  spätere!"  haud  herrühren,  in  den  andern  nicht,  da  nach 
tilguug  des  falschen  das  richtige  in  fortlaufender  reihe  ge- 
schiieben  wurde.  Gar  mancher  fehler  ist  natürlich  stehen  ge- 
blieben, wie  sehr  mau  auch  noch  später  durch  correcturen  und 
rasuren  nachhalf.  Diese  jüngeren  besserer  haben  auch  richtiges 
unterpuuctet,  sol)aId  ihnen  das  Verständnis  dafür  mangelte, 
z.  b.  wände  siu  gesiget  hahent ,  so  nemmet  er  sin  ain  halme- 
houmen,  der  ie  sich  bezechenet  119  23.  sich  ist  natürlich  =  ^/c, 
sig,  wurde  aber  durch  darüljer  gesetztes  siv  verballhornt.  In 
gleicher  weise  ist  et,  wol  als  veraltet,  327  getilgt.  Einen 
offenbaren  beweis,  dass  wir  eine  abschrift  vor  uns  haben, 
geben  ferner  einzelne  in  den  text  geratene  glosseu,  wie  do  iz 
do  nahete  deme  abege  [abende]  des  tages  87 1^  (vgl.  Bech  a.  a.  0. 
365)  und  De  doch  (lies  ledoclx)  der  heilige  geist  empfahet  unde 
eilet  [brennet]  unde  zerlat  de  golt  odir  de  silbir  ly.  Auf  mis- 
verstandenes  griechisch  deutet  alfa  et  oc  1522  {oc  konnte  leicht 
aus  einem  omega  hervorgehen,  da  c  im  12.  jahrh.  noch  rund 
und  ohne  zungej,  während  die  übrigen  ebendaselbst  entstellt 
überlieferten  gottesuameu  {pantheg rathon  tetragramathon  usygon 
efj'edon)  kaum  auf  griechiische  buchstabcn  in  der  vorläge  zu- 
rückzuführen sind.') 

')  Wie  Ju«.  Haupt  dazu  kommt  in  der  anmerkuug  zu  87^  nach 
kenntnis  des  griechischen  alpiuihets  zu  fragen,  ist  mir  unbegreiflich.  Er 
sagt  wörtlich  Iblgendes:  'vor  becheret  hesce  aber  durchgestrichen  zeigt 
dieser  Schreibfehler  x  (V)  für  cli  keuntnis  des  griechischen  alphabetsV' 
hescc  muss    hiernach   für  einen    druckt'ehler  für  hexe  gehalten  werden ; 


508  HAYNER 

Unsere  hs.  ist  also  abschrift;  ihre  alters1)estimmimg  ist 
etwas  sclnvaiikcnd.  Denis  hatte  sie  ins  Jl.,  Hoffmann  von 
Fallcrsleben  ins  12.  Jahrh.  gesetzt,  (Ueber  beider  angaben  siehe 
s.  I  und  II  der  Hauptschen  vorrede.)  Der  herausgeber  scliliesst 
sich  lloffniann  an,  während  Bech  (a.  a.  o.  365)  geneigt  ist  ans 
folgende  Jahrhundert  zu  denken,  da  unter  den  dialectischen 
besonderheiten  mehrere  seien,  die  nach  Weiuholds  sorgfältiger 
beobachtung  erst  seit  dem  13.  jahrh.  zum  Vorschein  kämen. 
Doch  fügt  er  gleich  hinzu,  dass  dem  von  Haupt  gelieferten 
abdrucke  sich  schon  darum  keine  ganz  sichern  aufschliisse  ab- 
gewinnen Hessen,  weil  seine  anmerkungen  zur  handschrift  den 
verdacht  erregten,  dass  er  zwischen  dem  was  dem  ursprüng- 
lichen Schreiber  und  dem  was  dem  diorthoten  angehört,  nicht 
immer  genau  zu  unterscheiden  gewust  hätte. i)  Indessen  muss 
ihm  auf  seine  meinung  erwidert  werden,  dass  das,  was  er  auf 
s.  361  der  genannten  Zeitschrift  ausdrücklich  dafür  geltend 
macht,  nämlich  ^d  (t)  in  die  infinitivendungen  nach  dem  n  ein- 
geschoben, seit  dem  13.  jh.  vorkommend  nach  Weinhold',  auf 
misverstäudnis  der  betreffenden  stelle  in  Weinholds  alem.  gram- 
matik  beruht;  es  ist  nämlich  dort  s.  349  (394  ist  falsch)  vom 
dativ  des  flectierten  Infinitivs  die  rode,  nicht  aber  von  der 
unflectierten  form.  Für  das  12.  jahrh.  spricht  das  sicherste 
kennzeichen  desselben,    der  unterschiedslose  Wechsel  zwischen 


aber,  dies  angenommen,  glaubt  Haupt  wirklich,  dass  dem  gelehrten 
Schreiber  bei  dem  deutschen  eh.,  welches  er  in  becheret  zu  schreiben 
hatte,  ein  griechisches  /  eingefallen  sei? 

0  In  der  tat  lässt  der  Hauptsche  abdruck  an  genauigkeit  viel  zu 
wünschen  übrig.  Die  wenigen  sätze,  die  auf  s.  III — V  aus  dem  texte 
gegeben  sind,  haben  6  abweichuugen  von  demselben,  die  daneben  stehen- 
den 161)  Worte  aus  Williram  deren  S,  ebendieselben,  im  anhang  I  noch- 
mals abgedruckt,  sogar  10,  und  zwar  sind  beiderlei  fehler  unabhängig 
von  einander  entstanden ,  so  dass  an  absichtliche  äuderung  nicht  zu 
denken  ist.  Um  gewis  zu  gehen ,  habe  ich  noch  eine  beliebig  heraus- 
gegriffene Seite  seiner  citate  (153)  mit  Williram  verglichen  und  auf  der- 
selben nicht  weniger  als  25,  will  man  genau  sein  29  abweichuugen  ge- 
funden. Man  möchte  glauben,  H.  hätte  eine  abweichende  hs.  benutzt, 
wenn  er  nicht  selbst  s.  III  anm.  angäbe,  dass  er  nach  lloffniann  und 
zwar  immer  den  text  der  Breslauer  oder  Rhedigerisclien  hs.  anführe. 
Wenn  aucli  II.  nicht  die  schuld  daran  tragen  mag,  so  hätte  doch  die 
correctur  sorgfältiger  überwacht  werden  müssen. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  509 

0 

^  und  e,  das  häufige  v  für  ii  und  v  =  uo.  Im  folgenden 
jahrh.  ist  e  ohne  schwänz  regel  ^)  und  i  steht  schon  allein  mit 
accent,  während  der  herausgeber  in  der  anm.  zu  6832  (s.  173) 
ausdrücklich  berichtet,  dass  nur  selten  ein  strich  oder  der- 
gleichen über  i  erscheint.  Wir  können  demnach  unsere  hs. 
unbedenklich  mit  Hoffmann  und  Haupt  ins  12.  jahrh.  setzen. 

Ueber  den  dialect  spricht  sich  Scherer  s.  204  wie  folgt 
aus:  'Was  die  spräche  anlangt,  so  würde  das  reinste  aleman- 
nisch noch  nichts  gegen  die  bairische  herkunft  beweisen:  wir 
hätten  eben  eine  rein  alemannische  abschritt  vor  uns.  Aber 
dass  die  spräche  rein  alemannisch  sei,  lässt  sich  bis  jetzt 
wenigstens  nicht  beweisen.  Bechs  citaten  aus  Weinholds 
erstem  bände  Germ.  IX,  359 — 362  Hessen  sich  fast  durcliweg 
citate  aus  dem  zweiten  bände  beifügen.  Es  Hesse  sich  auch 
einiges  geltend  machen,  was  mehr  für  Baiern  als  für  Aleman- 
nien  spräche:  so  das  Verhältnis  von  m,  ü,  eu\  ein  wort  wie 
dansunge  Denkm.  563.  ?Ieinzel,  Wortschatz  und  sprachformen 
der  Wiener  Notkerhs.  I,  29.  Aber  ich  lege  darauf  für  jetzt, 
wie  gesagt,  kein  gewicht  und  behaupte  nur,  dass  man  mir 
nicht  sprachliche  argumente  entgegenhalten  darf.' 

Wir  w^ollen  mit  dem  zuletzt  geäusserten  argumente  an- 
fangen. Wenn  Scherer  ein  wort  wie  dansmige  als  beweisend 
tiir  bairische  abkunft  ansieht,  so  können  wir  ihm  ein  anderes 
wort,  nämlich  äbeg  entgegen  stellen,  das  bei  Lexer  nur  aus 
unserm  denkmale  belegt  ist  und  durch  Bechs  verweis  auf 
Staldei-  sich  als  alemannisch  ergibt.  Beide  Wörter  heben  sich 
also  in  ihrer  beweiskraft  gegenseitig  auf  Wenn  ferner  Scherer 
das  vorkommen  des  lautes  eu  für  Baiern  geltend  machen  will, 
so  ist  ihm  zu  erwidern,  dass  dieser  laut  nach  Weinhold  Alem. 
grammatik  §  61  dem  altern  alemannisch  nicht  ganz  fremd 
ist;  auch  die  Nibelungenlis.  A  hat  ihn.  Ueberdies  ist  er  in 
unserm  denkmal  sehr  vereinzelt,  er  steht,  wie  wir  weiter  unten 
im  zusammenhange  schon  werden,  nicht  nur  für  iu^  sondern 
auch  für  ie  und   sogar   für  «0,    so   dass    an   Schreibfehler    zu 


')  Uiigesehwiiuztes  c  l'iihren  allerdings  die  übergeschrieheiiOTi  latoi- 
niscbeu  textesworte  durch,  aber  diese  kijnneu,  wie  mehrfache  falsche 
steliiiugen  (vgl.  namentlich  s.  120  f.)  beweisen,  erst  später  nachge- 
tragen sein. 


510  HAYNER 

denkcu  nahe  liegt.  In  gleicher  weise  begegnen  wir  für  iu  der 
sclireibung  eui  und  eiu,  Avas  doch  wol  niemand  für  bairisch 
halten  kann.  In  dem  einen  punkte  hat  Scherer  recht,  dass 
sich  Bechs  citaten  aus  Weinholds  erstem  bände,  wenn  auch 
nicht  durchgehend,  doch  meist  solche  aus  dem  zweiten  bei- 
fügen lassen;  es  hat  ja  eben  das  bairische  vieles  mit  dem 
alemannischen  gemein,  namentlich  in  den  überwuchernden 
sonderdialecten ;  nur  sorgfältiges  abwägen  des  einzelnen  kann 
die  entscheidung  bringen,  und  den  versuch  dazu  wollen  wir 
wagen. 

Vorausschicken  müssen  wir,  dass  der  dialect  unsers  denk- 
mals  in  seiner  vorliegenden  gestalt  kein  reiner,  einheitlicher 
ist;  die  vorläge,  der  oder  die  Schreiber,  flüchtigkeit  und  Will- 
kür concurrieren  mit  einander,  so  dass  das  bild  manchmal  ein 
buntes  wird.  Schon  der  erste  Urheber  kann  keinen  ausgebil- 
deten schriftgebrauch  zur  norm  gehabt  haben,  denn  die  be- 
zeichnung  aller  irgendwie  schwierigen  laute  schwankt  fort  und 
fort.  Beispielshalber  kommt  das  zahlwort  60  in  unserm  hohen 
liede  sechs  mal  vor,  jedesmal  aber  in  abweichender  gestalt: 
seiczec  19.24,  sehzich  19  30,  sehzek  41  j,  seczek  422,  sehtzich  9627, 
sechzig  9629.  Dazu  kommen  noch  sehs  41 32,  sehsiu  82i8,  sehc^ 
97|6,  der  sest^  43J.  Ebenso  schwanken  affoUere  282,  an  den 
enppheln  285,  an  deme  aphele  28^0,  mit  epphelen  2922,  apfphel 
'i^iT-  18-  22?  roter  epfele  582s,  eppfel^  101  ig.  26?  under  deme 
äff  elter  houme  135  9,  —  schvone  12  3,  scho^ne  208,  schone  20^2, 

e 

—  gute  13 lü,  govfe  22?  gutate  23,  —  der  heilige  geist  I3,  der 
heilige  gjest  24 1,  hailigen  40  4,  haiigen  96 19,  heliegen  h2^,  — 
Maratha  80^,  Martha  j,  Martea  12  u.  dgl.  m.  Das  muss  man 
bei  der  beurteil  ung  der  einzelnen  fälle  in  billige  erwägung 
ziehen. 

h\  der  nachfolgenden  Zusammenstellung  schliessen  wir  uns 
wesentlich  Bech  an,  dessen  darstellung  jedoch  in  einigen 
punkten  der  ergänzung  und  berichtigung  bedarf.  Bech  nennt 
den  dialect  alemannisch-elsässisch,  womit  er  offenbar  nicht  den 
elsässischeu  sonderdialect,  sondern  das  ganze  grosse  aleman- 
nische Sprachgebiet  von  Schwaben  an  bis  zu  dem  Wasgau  be- 
zeichnen will,  wie  er  denn  auch  in  den  citaten  auf  den  laut- 
stand aller  drei  hauptmundarten  des  genannten  gebietes  ver- 
weist.   Meiner  ansieht  nach  ist  das  nicht  nötig,  wir  haben  uns 


DAS  ST.  TßUDPERTER  HOHE  LIED.  511 

bloss  an  den  rein  alemannischen  teil  zu  halten  —  schwäbisch 
oder  gar  elsässisch  ist  die  spräche  nicht.  In  der  äusseren 
anordnung  der  laute  folge  ich  Weinhold,  dessen  grammatische 
werke  bei  derartigen  Untersuchungen  ja  die  siclierste  grund- 
lage  bilden. 

a. 

1.  Widerstand  gegen  den  umlaut.  tohter  der  manige  115  4 
neben  tohter  der  menige  31,  —  manige  n  neben  mennege  60  2c 
—  mit  dinen  trahenen  Hin.  lo- 

Nach  Weinhold  AG  §  10  bieten  sich  im  alemannischen 
'seit  dem  12.  jahrh.  die  allgemein  mhd.  zustände  dar.  Der  um- 
fang des  a  ist  noch  gross,  wurde  jedoch  durch  den  umlaut 
zunächst  geschmälert,  der  in  der  gebildeten  spräche  als  festes 
gesetz  galt.  Die  mundart  wehrt  sich  freilich  gegen  die  volle 
durchführung ,  wie  alem.  schriftsteiler  und  noch  meh  '  ie 
Schreiber  hinreichend  bekunden.' 

Auch  im  bairischen  findet  sich  widerstand  des  dialects 
gegen  den  umlaut  s.  BG  §  5. 

2.  lieber  den  unechten  umlaut  e  für  a  siehe  unter  e. 

e. 

1.  e  als  umlaut  von  a  ist  eben  besprochen. 

2.  e  als  unechter  umlaut  von  a  im  alem.  früh  in  spuren 
aufzuweisen,  zeigt  später  ein  entschiedenes  und  kräftiges  fort- 
leben (AG  §  15). 

Segen  (1.  pl.  imper.,  s.  AG  §  349)  65,  142$  neben  nu  sage 
uns   21;,    segen    (inf.)    133,     neben    diu   virsagest    134ig.   — ■ 

a 

zele  9621)  neben  bi  ir  zale  9728»  ^^4?  ^^^^  ^^s- 

Bei  dem  gleichen  worte  ist  der  unechte  umlaut  von  Wein- 
hold belegt  mit  segen  Gschtfr.  13;(,:  gelegen  Mone  Neuj.  378. 
sege  (1.  prs.)  Mart.  60  77  (AG  §  15),  sägen  Ad.  Eva  775.  Im 
bairischen  habe  ich  kein  entsprechendes  beispiel  angeführt  ge- 
funden. 

3.  e  für  i.  'Das  alem.  zeigt  es  über  seinen  gewöhnlichen 
umfang  hinaus  entwickelt.  Noch  heute  kennt  die  mundart  in 
Freiburg,  Appenzell  und  St.  Gallen  dieses  e  für  gemeines  i' 
AG  §  14. 

Dagegen  BG  §  11:    'Das  gebrochene  e   hat   sich  bairisch 


512  HAYNER 

nacli  allg-cmeinem  gesctz  entwickelt.  Nur  einzeln,  und  darin 
vom  alcm.  sich  scheidend,  dessen  grosse  neigung-  hierfür 
alem.  Gr.  §§  14.  81.  114.  dargelegt  ist,  greift  e  weiter  als  im 
gemeinen  deutsch.' 

segehafter  15 31,  se^ge  105  4  \iq\)Q,\i  sigelos  1,  gesigent  104  34, 
gesige  35  32.  —  diu  [tube\  ezzel  den  waizzen  1 1 1 20  •  —  s^elherin 
13828  ßeben  silberen  42  20,  süher  4322-  —  petere  143  26  neben 
piteren  1423.  —  relitare  25^4,  wervet  darüber  (von  2.  hand?) 
wirhet  130 (j,  geh'de  11 14  neben  girde  5,  34.  (Inwieweit  i 
später  nachgetragen,  ist  aus  Haupts  angaben  nicht  ersichtlich.) 

4.  e  durch  ee  ausgedrückt:  heeze'f'st  iQo-i:  gebeezerot  98, q^ 
beereha/' AI  n  neben  berehafi  482. 

5.  e  durch  ^  (und  ae)  widergegeben.  Findet  sich,  dem 
12.  jahrh.  angemessen,  häufig,    s^lf  30,0,  sel^  31 4,    lese^n  MSg. 

Da  ^  nur  ein  palaeographisches  zeichen  für  ae  ist,  so  be- 
fremdet es  nicht,  dass  auch  ae  erscheint:  undae  46,5,  53,^, 
und^  120,0  (gewöhnlich  unde),  daer  =  der  111 27?  er  sce?'ete 
Wide  dahtae  nach  fride  41  y. 

Gewöhnlich  steht  beides  in  den  endsilben.  Vgl.  AG  §13: 
'Indem  ae  oder  ä  überhaupt  für  e  galt,  steht  es  auch  schon 
früh  in  flexionen,  ableitungen  und  präfixen  für  gemeines  e:  za 
werchae  K.  22'  u.  s.  f. 

Ebenso  Wechsel  in  Salaemonem  62,  Saletnonis  44,^,  Salo- 
monis  41,. 

0.  e  als  'unbestimmter  zwischenlaut  in  consonantenver- 
bindungen'  AG  §  20  (BG  §  17):  torvech  =  touc  60 23  neben 
(owch  85,9.  phrunede  111 26  neben  jsÄrww«/^  112  ,-.  vorehtliche 
100  27  neben  forhtUch  85  24,  die  furehtenten  forehte  hdbent  862 
neben  die  furhlenten  4  vorth*^.  2  30 . 

7.    ie  für  e  siehe  unter  le. 

i. 

'  i  =  c  ausser  in  den  stummen  silben  und  in  den  präfixen 
ir-,  vir-,  zir-  nur  vereinzelt'  Bech  s.  360. 

lieber  dir  in  allez  de  dir  ie  wart  131,2  vgl.  AG  §  23,  über  i 
für  den  undaut  e  {chri fügen  5524  nehen  chreftigez  21,  wicre/'tigin 
18  5)  §  21.  /  vor  ;•  in  lirnestiu  128  20  ist  nach  Weinhold  ale- 
mannisch (Urnen  :  dirnen  Mart.  5  .,3),  kommt  aber  auch  bairisch 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  513 

'iu  einzelnen   fällen'    vor.     BG   §    18.     Bei  H^bi7itir  25  j^    hat 
correctur  stattgefunden. 

Ueber  ie  für  /  siehe  le. 

0. 

0  für  i(  in  kosses  Tu,  84  u.  ö.  Dagegen  gekussit  80«,  si 
kiiste-2'j,  kussente  2\'  Der  umlaut  von  0  kommt  nicht  vor  (tritt 
im  alem.  erst  im   13.  jahrh.  ein,  im  bair.  etwas  früher). 

u. 

u  für  0  in  unerlugenen  79 o:),  zurnigen  50^0,  uherost  12-2 
neben  hoherostun  auf  derselben  zeile.  Der  Vorgang  beruht  auf 
verdumpfung.     AG  §  29,  BG  §  28. 

Der  umlaut  des  u  sclieint  in  unserm  denkmal  durchgängig 
auf  späterer  zutat  zu  beruhen,  diu  hiich  93  3;j  ,  ebenda  chunich, 
—  salpnmirze  24-,  wuizi'zenpette  933  neben  ivurze  5,  —  uhi- 
sich  ji,  uins  18  9,  uns  ^  neben  uns  10 •  Ueber  diese  letztere 
umgelautete  form  vgl.  AG  §  412. 

ä. 

1.  Der  umlaut  des  ä,  der  sich  im  alem.  im  verlaufe  des 
12.  jahrh.  entwickelt,  ist  noch  nicht  durchgeführt,  vgl.  svaren 
1.20?  simdare  2-2,  ursüchenare,  notigare  134.26.  Daneben  gehen 
formen  wie  sunderis  11 30?  ^^^^^'«^  33-  In  einer  reihe  von  fällen 
ist  ein  e  über  a  zu  finden,  teils  mit,  teils  ohne  unterpunctung 
des«,  z.  b.  geba^^re  12  5,  rehta^re  25^4,  paete  (2.  sing,  praet.). 
Meist  ist  e  geschrieben:  diu  gehe  (2.  sing,  praet.)  1625,  der  inioge 
unde  gehe  (couj.)  9^7  —  were  werin  844  u.  45  neben  waren  (conj.) 
37  22 —  ^^^  mere  55  44,  mit  weltlichen  meren  31 5  u.  a.  m.  er  mit 
1235,  gemet  9  steht  neben  gemat  \^^  so  der  wirt  maf^ge  12  (^  von 
2.  band?) 

2.  u  für  ai  im  alem.  wie  im  bair.  entwickelt:  getalin 
97o.j  neben  getailet  30?  tailent  1,  haiigen  90 19  neben  hailigen 
95.,,  heiige  73 14,  urtale  11 2. 20  neben  nrtaile  5513  u.  urteile  4,^. 

3.  ai  für  ä  siehe  ai. 

A 

e. 

1.  e  für  ci  {ai).  Die  Verengung  eines  ei  {ai)  zu  e  findet 
sich  zwar  auch  im  bairischen,   doch  ist   sie    im  alem.  dialecte 


514  HAYNER 

bedeutender  entfaltet  (AG  §  36) :  ze  dineme  cheserlicheme  stvole 
24.,  neben  dines  cheiserlikin  siüles  IGijo;  hclige  73(4,  heliegen 
r)2s;  neben  hailigen  ,;, ,  heilige  I3,  haiigen  9(5,9. 

Ebenso  weeliselt  beständig  hezechenot,  bezeichenot,  bezaiche- 
not.  Auch  die  späteren  correctoren  nahmen  keinen  anstoss 
daran. 

2.  e  flir  ae  siehe  unter  ä. 

3.  e  für  ie.  Im  bairischen  ^alt,  wenn  auch  nicht  ausge- 
breitet' (BG  §  46),  im  alemannischen  ebenfalls  ^nicht  häutig, 
reicht  aber  tief  hinab'  (AG  §  37).  edoch  15 ^^  neben  iedoch 
32-2,  eidoch  372;  gezeret  23,1,  halsgezerde  22  neben  gezierde  833,, 
z^/;v/i  81 5;  ^gy*?/  102,;^  Mohew  geßel  873,,  ^^/"«j//  12,:,. 

4.  e  für  i  Vereinzelte  beispiele  weist  Weinhold  sowol 
fürs  alem.  wie  fürs  bair.  nach.  Bei  zete  856  ist  ?  übergeschrie- 
ben (dicht  dabei  zite  ,7  und  840.  ,3.  25)-  Ebenso  zeugen  120 10, 
aber  zitich  ,2,  zitit  (1.  ziüc)  ,5. 

5.  ei  für  e  siehe  ei. 


e  =  i  siehe  unter  e. 

A 

0. 

1.  0  für  ou.  Nach  Weinhold  BG  §  54  'hat  das  bairische 
dieses  6  nicht,  wie  das  alemannische  tat,  über  die  gewöhnliche 
grenze  entwickelt,  ausgenommen  in  der  mundart  der  venetia- 
nischen  Deutschen.'  Dagegen  AG  §  42:  'Der  alem.  dialect 
vollzieht  diese  Verengung  (ou  zu  6)  noch  umfänglicher  teils 
unter  denselben  ])edingungen  (nämlich  den  gemeindeutschen, 
vor  ./■,  r,  n,  h),  teils  auch  vor  andern  consonanten.' 

hobeth  36  neben  houbet  3,  hübet  230.  —  ogin  229,  ovge  3^, 
ouge  2  {ougin  neben  hobeth  e).  —  oh  65 ,,  neben  ouch  3.  e-  23' 
28.  o^ch  29 1,.  ,3.  —  gesloffet  6832.  —  Beachte  daneben  auch 
umgekehrt  ou  für  0,  welche  Unsicherheit  auf  eine  gewisse 
gleichheit   in  der  ausspräche  deutet. 

2.  0  für  uo.  Nach  Weinhold  BG  §  33  war  im  bairischen 
d  dem  uo  schon  um  900  erlegen;  einzeln  kam  es  allerdings 
noch  im  10.  und  11.  jahrh.  vor.  Dagegen  sagt  ebenderselbe 
AG  §  41 ;  'Dass  dieses  alte  ö  in  der  alem.  mundart  keines- 
wegs ganz  erlosch,  sondern  sich  neben  uo  behauptete,  beweisen 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  515 

die  Schriften  der  mittleren  Jahrhunderte  noch  mehrfach',  stont 
3731  u.  ö.  neben  besto^nl  64  ig.  • —  wohsen  78  q,  hehotet  42 12, 
gnoc  IOO19,  groh  llOi^.  —  hrod'w  I2630  neben  hrudere  127i:{, 
hruderlicher  127 1^  (unmittelbar  davor  huole^  wie  oben  neben 
hrodir  müter  126 30). —  got'm  2999  neben  ^o«^<  SOj,  gvoten  1832, 
guoten  63  y,  gute  6223. —  schof  ^-i-i  neben  geschvof  .j-^,  schuoph 
8 12-  —  rvochir  30  2  neben  wo^'cher  27  (j,  fvüchh^  2830. 

3.    Der  um  laut  von  0  kommt  ausser  urlo^sares  13^^    (wo 
e  von  2.  band  stammen  wird)   nicht  vor. 


1.  Vereinzelt  ist  für  uo  blosses  u  geschrieben,  doch  ist 
nicht  anzuuehmen,  dass  hierbei  ein  dialectischer  gruud  vorlag. 
Vgl.  Weinhold  BG  §  62:  'Der  bairischo  wie  der  alemannische 
dialect  haben  diese  Vereinfachung  (gemeindeutsches  ü  für  altes 
uo)  uicht  angenommen.'  Er  hält  u  =  uo  für  schreibmode,  die 
ausserhalb  Oberdeutschlands  entsprang,  oder  für  nachlässige 
bezeichnung  einer  weniger  scharfen  aussjn'ache.  In  unserm 
denkmal  kann  es  auch  durch  flüchtigkeit  (weglassen  des  0 
über  h)  entstanden  sein.  —  stule  24  ^  neben  stüle  9,  —  hrudere 
127 13  neben  müt^r  5. 

2.  Der  umlaut  hriute  119 14  gegenüber  brüte  i  und  prute^o 
ist  vereinzelt.  Uebrigens  griä"  der  umlaut  schon  im  10.  bis  11. 
jahrh.  ü  au,  und  zwar  im  alem.  wie  im  bair.,  vgl.  Weinhold 
AG  §  67,  BG  §  95. 

ai. 

1.  ai  für  ä.  Weinhold  AG  §  49:  'Bei  ai  für  ä  erscheint 
es  durchgehends  wie  eine  mechanische  vermittelung  von  a  und 
i  und  erinnert  an  den  umlaut.'  Es  ist  offenbar  derselbe  Vor- 
gang, den  Job.  Schmidt  im  vocalismus  mit  mouillierung  des 
lautes  bezeichnet:  sailich  45,,  und  i^,  sailigen  127 1,  sailik  825? 
sailigisten  13926,  sailicheit  12  2  und  7,  sailde  122.,  neben  salich 
115j^,  saligin  15  3,  —  wainent  6224,  virrvainit  143  14. 

Auch  die  von  Grieshaber  herausgegebenen  predigten  haben 
nach  Weinhold  AG  §  49  sailich  und  sailde. 

<2    ai  =  ei  siehe  letzteres. 

3.  «  =  ai  {ei)  siehe  unter  ä. 


516  HAYNER 

ei. 

1.  Gemoiiuleutselics  ei  wird  olnic  unterscliied  ei  und  ui  ge- 
schrieben, oft  dicht  bei  einander,  z.  b.  ainen  so  getanen  nmcher 
unde  einen  so  sf<zzen  wüche  r^l >j, —  imde  vindeni  ?vaide.  diu 
weide  diu  ist  50, v,.  So  wechselt  beständig  hezaichenot  hezei- 
chenot,  hailig  heilig,  gaist  geist  u.  a.  m. 

2.  ei  als  neuer  diphthong  von  /  kommt  selbst  bei  den 
jüngeren  bänden  niciit  vor. 

3.  ei  für  ie.  In  zahlreiclien  beispielen.  Ich  führe  nur 
einige  fälle  an,  wo  ie  und  ei  in  demselben  werte  dicht  bei 
einander  stehen:   swie  alt  er  werde  odir  svel  gv^t  werde  36 o, 

—  der  mor genrot  der  wirt  ei  lihler  unde  ie  Uhter  100 ^o,  — 
suie  gvf't  wir  tverdin  unde  svie  durnahtech,  so  haben  eidoch 
doi  ivillin  daz  ?vir  iedo^c  gerne  bezzer  waren  3790)  —  ^^^  '^* 
sin  müter  mitte  gezeiret  hat  in  sineme  maheltage  unde  si  in 
gezieret  hat  in  deme  tage  der  vroude  4:'i ^-^ — ,  er  giheiz  Noe, 

—  er  gihiez  Abrahame,  —  er  giheiz  Tacobe,  —  er  süor  Da- 
vide 45  j  fi'. 

Einen  versuch,  dieses  aus  ie  entstandene  ei  als  ai  zu 
schreiben,  habe  ich  in  zwei  (dann  verbesserten)  fällen  gefun- 
den: daz  gehaif-'z  ich  dir  108  5,  daz  si  siniu  wort  behai^let  IO94. 

4.  ei  für  e.  Zwar  auch  im  bairischen  nachzuw^eisen,  aber 
im  alem.  'besonders  früh  und  stark  entwickelt.'  Weinhold  AG 
§  58.  leischet  60,0  neben  lesket  oo;  —  furtreifliche  79,4,  ain- 
weidir  105 §,  —  neimmpi  131 19,  aber  nemmet  99 3,  u.a.m. 

5.  ei  für  i.  Weiuhold  AG  §  58.  eiterukken  112  22  neben 
Iträcket  n-  —  B^i  daz  eist  67  23  gegenüber  daz  ist  04  kann  in 
der  vorläge  deist  gestanden  haben. 

6.  ei  für  e.  Weinhold  AG  §  58.  geii  13  4.  18  0  neben 
get  40i,j,  —  virstein  72  2»  neben  virstein  18 25  u.  stet  40,. 

7.  e  für  ei  siehe  e. 

8.  ä  für  ei  (ai)  siehe  ä. 

eu. 

Merkwürdig  ist  die  Schreibung  eu,  eiii  {ein)  für  iu  und 
seine  brechung  ie. 

1.  eui  =  iu:  er  zeuihet  uns  18  n,  er  zeu>het  nhis  ,j  neben 
ziuhestu  i,  ziuhest  5,  zerfliuzzet  ^a,  flii'het  3^  und  34. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  517 

2.  eui  =  ie:  Mane  hine  fleuihin  (darüber  hortare  fuger e) 
7 19  neben  fliezint  26- 

3.  eiu^^iu:  dm  ?nm  Uehestehi  117  2  neben  unser  gnadighi 
vrouwe  ilSn. 

4.  eu  =  m:  diu  zeuhesl  nach  dir  55 21  neben  ziuhel  Gl 7, 
—  mit  gouteme  leumende  (darüber  Jümdeni)  5605  nc})en  Uument 
27k,  —  den  i^-ebcssert  in  dehi  70 22  (die  stelle  lautet  deu 
wahsen  hein  daz  slnl  die  da  millc  chracheiUeme  herzen,  diu 
da),  —  gevroileu  IBB^y  widerbolt  als  gevroutiu  134  2(j. 

5.  eu  =  uo:  mit  deine  seuzzen  tode  den  diu  heiligin 
minne  süzze  hat  getan  17  n,. 

iiei  tier  ü,-eringen  anzabl  dieser  wirreu  formen  gegenüber 
den  regelmässigen  und  ibrem  sonst  unbegieiflicbeu  auseiuander- 
gebeu  lässt  sich  v/ol  kaum  au  etwas  anderes  als  Hüchtigkeit 
beim  abscbreiheu  denken.  Sollten  dieselben  aber  aus  einer 
hairiscben  urscbrift  beibehalten  sein,  so  ist  zu  bedenken,  dass 
diese  ja  vor  Kilindis  berufung  nacb  Hohenburg,  also  vor  1150 
geschrieben  sein  müstc.  Nacb  Weinhold  BG  §  84  sind  aber 
aus  dieser  zeit  wenig  belege  für  eu  =  iu  zu  haben.  Ueberdies 
könnten  T.vir  dasiu  aucb  die  andern  neuen  dipbthonge  erwar- 
ten; ist  doch  nach  Weinbold  a.  a.  0.  iu  einer  Müncbener  Ur- 
kunde von  1309  zwar  ei  =  l  duichgeführt,  au  neben  ü  stark 
entwickelt;,    aber  nur  ein  en  neben  sonstigem  iu  zu  finden. 

ie. 

1.  ie  für  i.  Nach  Weinhold  AG  §  G3  MVüh  und  zahlreich 
iu  alem.  Schriften'.  Im  bair.  fast  ausschliesslich  vor  r  und  h, 
vgl.  liCI  §  ü<).  mielch  56 ^j  neben  mitiche  64  iq,  —  ir  sulin 
wiczzen  7632  neben  gewizedes  3  und  wir  sulin  wizzen  i02io. 

2.  ie  für  i.     AG  §  65.     zrvievelen  103  24. 

3.  ie  für  e.  Für  das  bairische  nicht  nachgewiesen,  im 
alem.  aber  noch  heute  vorkommend,  s.AG  §  64.  riehesniles  339 
neben  rebe  «,,  —  niemen  30,,,  niemil  18  1,  vgl.  i\hev  verne/nment 
93 17,  —  Uebenlig  109^  und  -  neben  lebentig  14  und  llO^,  — 
gesciehe  141 7  neben  gesceltc  0  u.  iu  m. 

4.  e  für  ie  siehe  e. 

5.  ei  für  ie  siehe  ei. 

6.  eui  für  ie  siehe  eu. 

Beiträge  zur   geschichte  der  deutschen  spraclie.  III.  34 


518  HAYNER 

1.  hl  als  Umlaut  von  ä  siehe  dieses. 

2.  iu  für  /)  in  din  ==  du.  Vgl.  Jos.  Haupt  7Ai  115,; 
(s.  177):  'über  a  in  da  steht  von  der  ursi)rüngliehen  hand  iv, 
zum  beweise,  dass  überall  diese  die  dem  werke  eigentümliche 
form  ist,  wo  du  gelesen  wird,  ist  stets  ein  strich  radiert.'  dhi 
aber  ist  nach  Weinhold  AG  §  413  ein  sicheres  alemannisches 
kennzeichen ,  im  bairiseheu  ist  di7i  nur  Gundach.  792  belegt 
(BG  §  358). 

3.  eu  und  eni  für  in  siehe  eu. 

OH. 

1.  ou  für  0  ist  im  alem.  (AG  §  70)  durch  reime  belegt, 
im  bair.  entspringt  es  *  aus  uneutschiedenheit  zwischen  o  und  u 
(BG  §  102):  ellenhougen  70-,,  iouchet  y,  hrutego^'me  10 17, 
13434,  ^ovp  7-2  und  4,  24 10  neben  ze  lohenne  1-,,  —  gezo^geu 
17-23,  2:^  cho^^menne  107  jq  neben  chomen  123  20,  —  wo^rhten  = 
?vorten  1 1 8  4 . 

2.  o/<  für  0.  Zuweilen  im  bairiseheu  (BG  §  102  ),  a. 
gedehnter  im  alemannischen  (AG  §  71):  zouch  50  33,  zo^clt 
1644  neben  zoch  12  und  m,  —  frouUche  144 1-,,  fröhlich  04  2^ 
neben  vroUchen  128  J5,  —  scho^ne  20^  neben  schone  12  und 
sclwone  12  3,  —  ho'>^ch  37 .2«  neben  /wÄ/r  o«,. 

3.  ou  für  wo  beruht  nach  Weinhold  AG  §  77  und  BG  §  103 
auf  Umstellung  der  zeichen,  nicht  der  vocale:  gonth  6026' 
goutin  6615  neben  gut  i,;?  gvoten  13  32,  gone  .,2,  —  toun  6230 
neben  (fU  13  23,  —  siehtoume  74  23  neben  siechtuom  -  und  .?/«//- 
/?<«  ,i,  —  blovme  21-  neben  blfime  i^,  —  mo7(ter  1  ^^  u.  s.  f. 

3.  0  für  0«  siehe  0. 

4.  vroide  562  und  froude  04  3,,,  gevroiteu  133  30  und  «7^- 
vrout'm  wechseln  öfter. 

1.  «<o  für  ow.  Gleiche  Zeichenumstellung  wie  bei  ou  für 
uo:  geluohete  12,y  neben  gelonhhi  12,  —  hrulluofte  13,7,  in//- 
/?l/ye  4  neben  hrutlovften  11  2;),  —  /r//^/^  143  0,;  neben  un froude 
ebenda  und  vroide  562. 

2.  ^^o  für  0.  AG  §  78:  bluode  02  ly,  /^/r<</^  849,  hlovde 
1'2^^),  —  schvone  12  3,  schome  und  AT(»<e  25  24. 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  519 

3.  0  ftir  uo  siehe  ö. 

4.  Der  uiiilaut  ist   (von  späterer  band?)    herzustellen  ge- 

e 

sucht   in  gueofc  Si^  vgl.  gntate  13-2:5. 

p.     h.     Pf. 

Im  anlaute  tritt  zuweilen  p  für  b  ein,  im  auslaute  über- 
wiegt;^; prülstnoles  7  14  neben  brüte  5,  —  puewen  57:^0  neben 
huewete  §,  —  ^/c  gebraeche   an   deme  phenninge  14120. 

gap  22  i  neben  selb  m,  —  inrinealb  48 17  neben  winsteren 
halp  50, -5,  —  upgrunde  15  ,7,  apgol  24.23. 

Für  die  affricata  kommen  folgende  Schreibweisen  vor:  pf, 
ph,  ppf,  pph,  pfph ,  fj^  (vgl.  die  entsprechenden  Schreibungen 
des  Wortes  apfel  auf  s.  510). 

f.     V.     w. 
Die  zeichen  f,  v,  u   wechseln   beständig   in   unserm  denk- 
nial ;    für    fremdes  v    ist   iv   geschrieben   in    ewangelista  4330, 
ewangel'mm  21. 

m. 
Verdoppelung  des  m  ist  häufig  eingetreten:    niemmin  88^0, 
7iiemmir  89,,  vernemment  \^,  aber  vernemente  89, g. 
Ueber  n  für  auslautendes  m  siehe  ersteres. 

/  {th.)     d.     z. 

1.  /  an  lingualen  wortauslaut  angetreten  (in  unserm  denk- 
mal  zum  teil  durch  unterpunktuug  getilgt)  AG  §  78:  de  dich 
zirlazent  sol  2^,  si  si  nieht  virtruchent  nemugin  27, y,  daz  sin 
niemmin  ubir  stigent  mach  37  2u,  daz  messias  chomeiä  solte  5122, 
duuingent  beginnet  70  30,  si  höret  redent  12  i.  Daneben  in  über- 
wiegender zahl  die  regelmässigen  formen,  z.  b.  die  wir  habin 
sulen  49ivj. 

2.  th  für  t:  'in  alten  und  jüngeren  quellen'  AG  §  173. 
hobeth  3y  neben  houbel  ;.,,  —  gewalth  3ü  neben  gewalt  2,9, 
alth  57,  bruth  1\-,  u.  a. 

3.  th  für  ht:  'oft  in  alter  und  junger  zeit  geschrieben' 
AG  §  173:  hath  bruth  4,0  vgl.  braht  99  2;,  brat  120  e,  bhrate 
9921  und  103jj,,  vorthlich  53  neben  vorhte  5 13,  ebenda  gehuth, 
nath  und  Ueth  7  09. 

34* 


520  HAYNER 

Ucber  d  und  z  ist  iiiclits  abweichendes  zu  berichten. 

s.     sc.     seh. 

1.  .V  ü\r  seh  {sc).  Weinhold  AG  §  190:  '  Die  Vereinfachung- 
von  ccliteni  .9ch  (sc)  zu  a-  wird  schon  friih^  seit  dem  12. Jahili. 
aber  hiiu%er  in  der  schrifl  nng-edculct':  sonisliu  22  r,  nc])en 
seone  und  sehovne  2504,  —  immldicheit  16.2),,  nnsuldig'ir  1\  :„ 
schulde  14.24,  —  hisse  20,;  neben  kushhi  ebenda. 

2.  seh  (sc)  für  s.  AG  §  193.  Aus  unserni  denkmal  sind 
bemerkenswert:  schaphirus  SA 2-1  neben  saphirns  2-  nnd  scaphi- 
ris  83;to,  —  schönchen  35  3  neben  suochte  4. 

n. 

1.  n  für  m.  AG  §  203:  'Dem  alemannischen  besonders 
eigen  ist  die  staike  neig-ung-,  stammhaftes  m  in  n  zu  vrnndeln.' 
riehtvon  12i3,  magitun  \A^-,  siechtuon  74,,  neben  slechlvom  -,  — 
rovn  =  i^uom  35.24,  sturn  116 2,  lialUken  3.2,;,  ha'nülch  130;;2  u.  n. 

2.  Einschub  von  w  als  '  unechtes  aufsteigen  eines  nasalen 
klanges',  Weinhokl  AG  §  201.  Derselbe  einschub  eines  lin- 
gualen nasals  findet  sich  zwar  auch  im  bairischen,  doch  rieht 
so  reichlich  wie  im  alemannischen  (BG  §  168):  de  sag'mün 
die  wissagin  23  on,  gelouhinün  10  7,  fro^nten  21.2,;,  tonten  Ol,,, 
honinge  (Si(j.  -ii'  255  unverhornghi  80^2  nnd  33,  gedingenhaii  125,. 

3.  Nasalierung  der  2.  pl.  verbi  siehe  weiter  unten. 

k  (c).     g.     eh. 

1.  k  für  eh.  Weiuhold  AG  §208:  •Zahheicli  weisen  ale^ 
mannische  handschriften  im  in-  und  auslaute  k  (r)  an  der 
stelle  von  ch  auf.  Man  hat,  so  weit  mau  iiberliaupt  darauf 
aufmerksam  ward ,  niederdeutsche  vorlagen  der  betreffenden 
handschriften  angenommen;  die  folgenden  nacliweisungen  wer- 
den dieses  k  als  eine  mundartliche  eigentümlichkeit  des  ale- 
mannischen l)eglaubigeu.' 

In  unserm  denkmal  finden  wir  beispielsweise:  c  für  eJi 
im  auslaute:  diü-c  6  ^i  neben  durcJi  ebenda, —  die  15.10  nc^^on 
dieJi  21,  —  kitneelic  i^^.i  neben  kunecl/eh  ^h- 

k  {ek)  für  eh  im  Inlaute:  elumleliUeken  145;  neben  eliu- 
nichUehen  9,  —  spreken,  1 4,  5,,  I44  neben  sprechin  14 3,  — 
gesproekin  lO),;  neben  gesproehni  19,7. 


DAS  ST.  TRÜDPERTER  HOHE  LIED.  521 

2.  fj  im  auslaiit  statt  des  üblichen  c  beibehalten,  nach 
Weinhold  AG  §  213  'schon  seit  ältester  zeit':  durc  den  weg 
der  ...  1S.J  neben  den  wec  der  .  .  .  n  und  wech  des  ...  107 30,  — 
berg  88  m    neben  berch  14,  —  kunig  18  7  neben  kunich  24  ^. 

3.  ch  für  k  und  c.  Weinhold  AG  §  218:  'Der  an  sich 
einfache  stand  von  ch  ward  dadurch  verwirrt,  dass  ch  in 
Schrift  und  ausspräche  mit  k  vermischt  ward,  indem  für  ch 
häufig-  /.  und  umgekehrt  für  echtes  k  zuweilen  ch  gesetzt 
ward:  chenphe  25 ^o?  unchraß  105 20,  sanch  1  ^i  neben  ^awc  3, — 
geinc  17. 74  neben  geinch  384,  —  chanich  93 2s  neben  kunich 
24  li,  —  berch  88^4  neben  bery  m,  —  rvech  107  3^  neben  wcc 
18 11  und  tveg  9. 

h.  ^ 

1.  h  ausgelassen  im  anlaut.  BG  §  19 i  :  'Der  aleman- 
nisch nicht  seltene  abfall  von  anlautendem  h  (AG  §  231) 
kommt  bairisch  so  gut  wie  nicht  vor;  ich  weiss  nur  alhen  Vor. 
3429  anzugeben.'  Demnach  würden  die  nachfolgenden  bei- 
spiele  deutlich  für  alemannische  abkunft  unserer  hs.  sprechen: 
ehe  uf  \'6-  und  9  neben  hebe  x^  —  sihintalp  iar  20 19,  in  rine- 
alb  48 17  neben  winsteren  halp  50^3  und  niderhalp  129  31,  — 
entebede  105 ,5. 

2.  h  anlautendem  vocal  vorgesetzt:  hoberostun  dicht  bei 
uberostun  12  2,  —  hvobeth  ivch  626,  l^uoben  (am  rande  vobeii) 
'"'^lo?  —  herst  l'2.i^. 

Nach  Weinhold  AG  §  229  kennt  das  alemannische  in 
grosser  ausdehnung  den  vortritt  eines  hauchenden  h  vor  voca- 
lischem  anlaut. 

3.  h  ausgelassen  im  inlaut.  AG  §  234:  'So  wie  h  im 
anlaute  zuweilen  von  den  sclirciberu  weggelassen  ward,  so 
weit  häufiger  und  zwar  aus  wirklicher  verschAveigung  seit  alter 
zeit  im  inlaut.  Mit  dem  ausfall  des  un verbundenen  h  ist  nicht 
selten  vocalische  elision  verbunden.'  fetenne  3^2  neben  fehten- 
ten  6,4,  fatin  20 m,  faolitin  ü,,  —  entlutit  15 12  uach  s.  168  ver- 
bessert in  erntlulHit,  also  erluhlit  zu  lesen,  enlluctet  72^2  (das 
c  rührt  von  einem  corrector  her,  der  auch  anderwärts  et  =  ht 
gebraucht),  Intlule  87,4,  —  durnutigen  67 14,  durnahtig  98 14, 
durchnahtige   103  29,  —    trusazze  43  23,   ^^«^  120^    neben  braht 


522  HAYNER 

99  27-    Merkwürdig-    ist   die   Umstellung*   des  h   iu    hhrate  99-21 
und  103,8. 

4.  Abfall  des  h  im  iiuslaut.  AG  §  236:  'Lehn eich  für 
die  behandhing  des  auslautenden  h  ist  der  nicht  seltene  ab- 
fall  desselben,  der  den  gegensatz  zu  der  gleichzeitigen  Ver- 
schärfung in  ch  bildet.  Er  blüht  seit  ende  des  12.  jahrh.' 
heval  102.20  sowie  widerholt  dur  neben  durch  und  durc. 

5.  Ob ,  wie  Bech  a.  a.  o.  s.  ;i6 1  will ,  h  in  fällen  wie 
sirlhte  6,,;,  ihle  1^2,5,  umhc  ir  sillicn  4i.j,  rulli  IH,,;,  ahintroth 
87,9,  wahtlich  113,3,  glisaht  114^  als  dehnungszeichen 
verwant  sein  soll,  muss  sehr  zweifelhaft  bleiben;  denn  abge- 
sehen davon ,  dass  es  sicli  meist  um  th  oder  umgestellt  ht 
handelt,  haben  wir  jenes  'scheinbar  müssige'  li  auch  in  stin- 
chintehn  I24,  prinhgen  6^4,  bhrale  99  2,,  geburhtc  77,,,  mit 
disen  tvorhten  79,,,,  ire  worth  78 30  u.a.m.,  welcherlei  erschei- 
nungen  sich  wol  nicht  gut  von  einander  trennen  lassen.  Sie 
gehen  auf  Unsicherheit  des  Schreibers  im  gebrauch  des  li ,  th 
und  ht  zurück. 

Zum  schluss  führe  ich  noch  ein  echt  alemannisches  kenn- 
zeichen  aus  der  flexion  an,  nämlich  die  nasalierung  der  2.  pl. 
des  verbs  unter  Wegfall  des  auslautenden  /.  Weinhold  sagt 
darüber  AG  §  842:  'Ungemein  beliebt  ist  im  alemannischen 
die  nasalierte  form  ent.  —  Neben  diesem  enl  findet  sich  seit 
dem  13.  jahrh.  als  endung  der  2.  pl.  cn.  —  Für  bloss  elsässisch 
darf  dieses  -en  nicht  erklärt  werden,  wenn  es  auch  in  elsässi- 
schen  Schriften  besonders  häufig  vorkonmit.'  Vgl.  dagegen 
BG  §  284:  'Die  alemannisch  beliebte  nasalierte  endung  cnt  ist 
bairisch  selten  —  die  endung  en  ist  mir  bairisch  nicht 
begegnet.' 

/;•  rvurdmt  11 9,  7iu  virnemint  32  neben  )iu  gel  zuo  5,  nu 
singet  g,  —  ir  da  buewent  44,5  neben  tut  ,6,  —  nu  vernement 
45 13,  gent  463  neben  get  4,  —  mugin  ir  erchennen  11 2:n  ^^ 
sulint  irchennen  7630,  /;*  sulin  bechennen -^^ ,  ir  sulin  rviezzen^i, 
—  nu  vernemment  89,2,  145,j  u.  a.  m. 

Fassen  wir  demnach  das  endergebnis  zusammen,  so  haben 
wir  trotz  der  einzelnen  abweichungen  nichts  gefunden  was 
sich  nicht  aus  dem  alemannischen  erklären  Hesse,  wol  aber 
vieles  was  dem  bairischen  gänzlich  fremd  ist.  Auch  das  gegen- 
seitige Verhältnis  von  iu,  ü,  eu  führt  nicht,  wie  Scherer  wollte, 


DAS  ST.  TRUDPERTER  HOHE  LIED.  523 

auf  Baievu  zurück ,  wie  denn  überhaupt  nichts  mit  notwendig- 
keit  auf  eine  fremde  vorläge  für  unser  dcnkmal  hinweist. 
Wir  können  also  auch  den  dialect  als  vollgültigen  beweis  in 
der  reihe  der  übrigen  gelten  lassen  und  daraus  auf  Ale  mann  ien 
als  heimat  schliesseu.  Alle  andern  spuren  aber  deuten  auf 
ein  Benedictinerklostcr,  bez.  iSt.  Triidpert,  und  nicht  auf  Hohen- 
burg  oder  Bergen.  Wir  haben  also  keine  Ursache  von  dem 
oben  aus  äusseren  gründen  gewählten  namen  St.  Trudperter 
hohes  lied  abzugehen,  müssen  ihn  vielmehr  auch  aus  innern 
gründen  als  ebenso  zutreftend  wie  hinreichend  ansehen. 

lieber  die  vom  verf.  benutzten  commentare  und  sonstigen 
quellen  werden  wir  in  einem  zweiten  teile  handeln. 

LEIPZIG,  den  2.  October  1876. 

T.  HAYNEß. 


UEBER  DIE  QUELLEN  LAYAMONS. 


Ivegel  sagt  in  seinem  sehr  interessanten  aufsatze  über 
'die  alliteration  in  La^amon'^)  in  bezug  auf  Madden  und 
dessen  ausgäbe  -)  dieses  dichters  unter  anderem :  Ueber 
die  lieimat  des  anglisclien  dichters  und  über  den  localen 
Charakter  der  von  ihm  gebrauchten  mundart  (Nord-Worcester- 
shire),  über  die  wahrscheinliche  abfassung  der  dichtung  um 
1205,  über  ihre  vielfachen  materiellen  abweiclningen  von  dem 
französischen  vorbilde  und  über  ihr  ganzes  selbständiges  Ver- 
hältnis zu  ihren  quellen  hat  der  gelehrte  herausgeber  (Madden) 
sich  in  seiner  voi-rede  so  grüHdlich  und  überzeugend  ausge- 
sprochen, dass  uns  über  alle  diei^e  interessanten  fragen  kaum 
irgend  etwas  hinzuzufügen  bleibt.  3) 

Es  ist  dies  das  allgemeine  urteil  über  Maddens  arbeit  und 
ich  bin  weit  davon  entfernt,  nicht  damit  übereinstimmen  zu 
wollen.  Eine  vergleichung  eines  Stückes  des  Maddenschen 
textes  mit  dem  originale  zeigte  mir,  dass  diese  ausgäbe  eine 
der  Vv^euigen  ist,  welche,  vor  gründung  der  Early  English  l'ext 
Society  in  England  erschienen,  kleine  versehen  ausgenommen, 
durchaus  zuverlässig  sind.  Die  einleitung  jedoch  s'iheiut  mir, 
trotz  ihrer  griindlichkeit:,  stellenweise  nicht  nur  neue  Unter- 
suchungen zu  gestatten,  sondern  sogar  ihrer  zu  bedürfen.  Be- 
sonders möchte  dies  von  der  frage  über  die  quellen  Lagamons 
gelten.  Es  ist  daher  der  zweck  dieses  aufsatzes,  nachzu- 
forschen, was  sich  über  die  vorgeblichen  und  wirklichen  quellen 
des  dichters  feststellen  lässt. 

')  Regel  bei  Bartsch,  Grermanistische  Studien,  1.  bd. 
-)  Lagamons  Brut   or    Chronicle   of   Britaiii,    ed.    by   Sir  Frederic 
Madden.    London  1847.   3  bde. 
3)  Regel  a.  a.  o.  p.  172. 


QUELLEN  LATMONS. 


525 


La^amon  (Laweraau)  herichtet  in  der  einleitung:  es  sei 
ihm  in  den  sinn  gekommen,  eine  geschichte  Britanniens  von 
den  ältesten  Zeiten  an  zu  schreiben.  Um  nun  die  notwendigen 
Schriften  zur  ausfithrung  dieses  planes  sich  zu  verschaffen, 
habe  er  grosse  reisen  unternommen: 

Lajamon  gon  liÖen 

wide  joncl  J^as  leocle 

and  biwon  j^a  ?eÖela  boc, 

]7a  he  to  bisne  nom.') 

Als  crgebnis  seinei-  Wanderung  führt  nachher  L.  drei  biieher 
an,  die  er  aufgefunden  und  zu  seiner  dichtung  benutzt  habe. 
Ich  lasse  hier  beide  texte  Lagamons  folgen: 


A. 

He  nom  ]nx  Englisca  boc, 

]ni  makede  seint  Beda. 

An  oj^er  he  nom  on  Latin, 

1^0  makede  seinte  Albin 

and  ]:'e  feire  Austin, 

l^e  fuUuht  broute  hider  in. 

Boc  he  nom  ]?e  |?ridde, 

leide  j^er  amidden, 

l^a  makede  a  Frenchis  clerc, 

Wace  wes  ihoteu, 

]?e  wel  con^^e  writen,  .... 

and  he  hoe  gef  J?are  setielen 

Aelienor,  ])e  wes  Henries  qxiene, 

l^es  heges  kinges. 

Lajamon  leide  ]^eos  boc 

and  ]?a  ieaf  wende, 

he  heom  leofliche  lähcold; 

li]7e  him  beo  drihten. 

Feigeren  he  nom  mid  fingren 

and  fiede  on  boc  feile; 

and  \>a,  so|7e  word 

sctte  to  gadere 

and  l'-a  Jn-e  boc 

[n-umde  to  are. 

Eine  vcrglcichung  der  hss.  beweist,  dass  B  an  dieser  stelle 
offenljar  in  Unordnung  geriet,  da  dieselbe  gar  nicht  die  haui)t- 
quelle,  Wace,  erwähnt.  Für  unsere  Untersuchung  müssen  wir 
uns  daher  an  die  worte  von  A  halten. 


B. 

and  nom  j'e  Englisse  boc, 
j^at  makede  seint  Bede. 
ano|?er  lie  nom  of  Latin, 
]?at  makede  seint  Albin. 


boc  he  nom  {^an  ):'ridde 
an  leide  piw  amidde, 
l'at  makede  Austin, 
]7at  foUoft  brofte  hider  in. 


Laweman  {^es  bokes  bieolde 

an  pG  leues  tornde, 

he  ham  loueliclic  bihelde, 

fulste  god  ]:>e  mi|?tie. 

fc]7ere  he  nom  mid  fingres 

and  wrot  mid  his  honde; 

and  ])e  so)?e  word 

sette  to  gedere 

and  ]?aue  hilke  boc 

tock  US  to  bisne. 


0  p.  2  und  3. 


526  WUELCKER 

Madden  sagt  iiber  die  zwei  ersten  ({iielleu  (pag.  XI) :  The 
first  (»f  the  aiithoritiei;!  heie  iiieiitioiied  is  generally  uiiderstood 
tu  be  the  Aiiglo-Haxon  trauslation  of  Jicde's  Ecclesiastieal 
History,  attiibuted  to  Alfred;  but  so  üir  from  niaking  it  form 
ai)  integral  portion  of  bis  own  pocni,  or  cvcn  occupy  a  pro- 
minent place  in  it,  bc  scenis  to  bavc  takcn  notbing  from  it 
except  the  story  of  Pope  Gregory  and  the  Anglo-Saxon  captives 
at  Rome.  Indeed  in  sevei-al  instanecs  he  is  quite  at  variance 
witb  Bede,  cven  when  not  traiislating  from  Wace.  The  second 
work,  aseribed  to  St.  Albin  and  Austin,  is  more  diflicult  to 
identify,  nor  is  it  casy  to  uuderstand  bow  St.  Austin,  who  died 
in  tbc  year  ülM,  and  Albiniis,  Abbot  of  St.  Austiu's  at  Caiiter- 
l)ury,  wlio  died  in  732,  sbould  be  conjoined  in  the  same  work. 
All  that  is  recorded  of  the  literary  undertakings  of  Albimis  — 
vir  per  omuia  doctissimus,  as  he  is  styled  by  Bede  —  is  the 
large  share  be  had  in  contributing  materials  for  the  Historia 
Ecclesiastica  Gentis  Auglorum.  Either  tberefore  by  some  men- 
tal confusion  La^amon  has  made  two  persons  out  of  one,  or 
wbat  is  more  probable,  —  bc  has  not  distinguished  betvveen 
the  contributor  and  tbe  writer,  and  having  first  erroueously 
given  tbe  Anglo-Saxon  version  of  the  work  to  Bede,  he  pro- 
ceeds  next  to  assigu  to  Albinus  and  Austin  (whose  Interroga- 
tories  inserted  in  the  first  book  seem  to  favor  this  notion)  the 
Latin  text  of  the  Ecclesiastieal  History  .  If  this  supposition  be 
correct,  (and  errors  of  equal  magnitude  committed  l)y  Laga- 
mou  are  pointed  out  in  the  Notes)  we  are  simply  to  under- 
stand,  that  tbe  first  two  books  procured  by  bim,  to  write  the 
history  he  contcmplatcd,  were  copies  of  the  Latin  and  Auglo- 
Saxon  texts  of  Bede. 

Madden  begebt  bei  dieser  ausführung  ein  versehen.  Er 
fragt  nur:  'welche  quellen  bat  Lagamon  wirklich  benutzt?' 

Wenn  aber  ein  mittelalterlicher  schriftsteiler  seine  quellen 
angibt,  ist  zuerst  zu  erörtern,  so  befremdlich  dies  auch  einem 
laien  klingen  mag,  welche  quellen  kann  der  dichter  als 
zu  gründe  gelegt  vorgeben?  Eine  davon  getrennte  Unter- 
suchung ist  alsdann,  welche  er  wirklich  benutzt  bat. 

Zunächst  sei  die  angäbe  La^.  über  seine  quellen  Albinus 
und    den   bekehrer  Englands,  Augustiu,   näher  betrachtet,   be 


QUELLEN  LAYAMONS.  527 

sonders  auch,  was  Madden  ganz  unerörtert  lässt,  warum  ilüien 
von  L.  gerade  ein  lateinischer  text  ziigescliiieben  wird, 

Dass  unter  dem  Engl  isca  boc  j^a  makede  sei  utile  da 
die  angelsächsisclic  Übersetzung,  welche  könig  AcHVed  ver- 
fasste,  zu  verstehen  sei,  ist,  wie  schon  Madden  annahm,  nicht 
zu  bezweifeln.  Das  nächstliegende  ist  alsdann  in  der  hiteini- 
sclieu  quelle  das  original,  den  lateinischen  text  Bcdas  zu 
suclieu.  ^'ergleicht  man  diesen  lat.  text  ndt  der  Übersetzung, 
so  tritt  gleich  (M.  lässt  dies  ganz  unerwähnt)  hervor,  dass  die 
ags.  Übertragung  eine  menge  auslassungcn  zeigt.  Von  den 
140  capiteln  Bedas  sind  H5  entweder  vollständig  ausgelassen 
oder  doch  stark  verstümmelt,  gerade  der  vierte  teil  des  ganzen 
ist  also  vollständig  weggelassen  oder  hehr  verkürzt.  Vor  allem 
fehlen  bei  Aelfred  die  sämmtlichen  dem  originale  eingefügten 
päpstlichen  briefe,  wol  aus  einer  gewissen  scheu,  in  diesen 
wichtigen  aktenstücken  den  Wortlaut  nicht  genau  zu  treffen. 
Von  den  allerbedeutendsten  gibt  er,  in  ein  paar  zeilen,  den 
hauptinhalt  an.  Jeder  gewissenhafte  schriftstelle i-  muste  daher 
neben  dem  angelsächsischen  texte  auch  noch  den  lateinischen 
gebrauchen.  Lag.  schreibt  den  ags.  text  Beda  selbst  zu.  Dies 
versehen  ist  nicht  so  kopflos,  als  es  auf  den  ersten  blick 
scheint.  Der  Übersetzer  Aelfred  nennt  sich  nirgends,  dagegen 
beginnt  der  ags.  text^):  Ic  Beda  Cristes  Öeow  and  miesse- 
preost  sende  gretan  Öone  leofastan  cyning  and  halettan  Ceol- 
wulf  and  ic  |>e  sende  }net  spell  ]>xt  ic  niw^au  awrat  be  Angel- 
}?eode  and  Öeaxum  etc.  Auch  am  Schlüsse  wird  i^eda  erwähnt 
und  des  Übersetzers  gar  nicht  gedacht,  nicht  einmal  in  einer 
sonst  recht  üblichen  bitte,  versehen  zu  verzeihen  und  für  die 
seele  des  Verfassers  und  Übersetzers  zu  beten.  Ausserdem  war 
Beda  ein  Angelsachse;  er  soll  sogar,  nach  einer  weit  verbrei- 
teten crzählung,  an  einer  üi)ertragung  des  evangeliums  Johanuis 
noch  auf  seinem  totenl)ettc  gearbeitet  haben.  Ist  es  also  so 
auffallend,    wenn  Lag.   ihm   den   ags.  text   zuschreibt?     Ganz 


')  Die  citate  aus  dem  lateinischen  texte ,  wie  auch  aus  der  ang-cl- 
sächsischen  ül)ertragung  Bedas  sind  gegeben  nach :  Historiae  eeclesiasti- 
cae  gcutis  Anglorum  libri  V,  a  venerabili  Beda  presbytero  scripti  etc., 
ab  augusfcissiuio  veterum  Anglo - Saxonum  rege  Alvredo  examinati,  ejus- 
que  paraplu-asi  Saxonica  eleganter  explicati  etc.  Herausgeg.  von  Abr. 
Wheloc.    Cambridge  1643.  —  Die  angeführten  stellen  stehen  p.  1  u.  2, 


528  WUELCKER 

natiivlicli  ist,  dass  L.  geneig-t  war,  uaclideiu  er  den  agf;*.  text 
IJeda  zugcschoheu  hatte,  den  lateinischen  in  seinem  liaupt- 
bestaude  andern  zuzuteilen,  wenn  auch  JJeda  ihn  überarbeitete. 
Wie  aber  kommt  er  gerade  auf  Albin  und  Aug-ustin?  Madden 
erwähnt  schon,  was  jedermann  gleich  beim  durchlesen  der  vor- 
rede ßedas  entgegentreten  muss,  dass  Beda  des  Albinus  in 
seinei'  kirchengeschichte  gedenkt,  doch  betont  M.  nicht,  in 
welcher  weise  dies  geschieht.  Albinus  war,  nach  Bedas  eignem 
urteile,  nicht  nur  mitarbeiter,  sondern  hauptmitarbeiter ,  ohne 
welchen  Beda  seine  kirchengeschichte  überhaupt  nicht  hätte 
abfassen  können.    Es  hcisst  im  lateinischen  texte: 

Auetor  ante  omnes  atque  adjutor  opusculi  hujus  Albinus 
abbas,  reverendissimus  vir  per  omnia  doctissimus  extitit.  Qui 
in  ecclesia  Cantuariorum  a  heatae  memoriae  Theodore  archi- 
episcopo  et  Adriano  abbate,  viris  veuerabilibus  atque  eruditissi- 
mis,  ius;titutus  diligenter  omnia,  quae  in  ipsa  Cantuariorum  pro- 
vincia  vel  etiam  in  contiguis  ejusdem  regionibus  a  discipulis 
bcati  papae  Gregorii  gesta  fuere,  vel  monimentis  literarum  vel 
seuiorum  traditione  cognoverat,  ea  mihi  de  his,  quae  memoria 
digna  videbantur,  per  religiosum  Londinensis  ecclesiae  presby- 
terum  Notheiraum,  sive  literis  maudata  sive  ipsius  Nothelmi 
Viva  voce  refereuda,  transmisit.  —  Zum  Schlüsse  sagt  Beda: 
Denique  hortatu  precipue  Albiui,  ut  hoc  opus  aggredi  auderem, 
provocatus  sum.  Noch  stärker  ist  das  lob  Albins  im  ags. 
texte:  Ic  cyÖe  hwanan  nie  }?as  spell  coman:  terest  rae  \v^es 
fultumiend  and  lareo^v  se  arwur]>a  abbad  Albinus,  se  wjes 
wide  ^efaren  and  gelsered  and  wa3s  betst  gelsered  on  Angel- 
cynne.  Ferner  heisst  es:  SwyÖe  fela  hi  (nämlich  Albin  durch 
Nothelm)  me  ssedon  fram  gehwylcum  biscopum  and  hwylcum 
cyninga  tidum  East  Seaxe  and  West  Seaxe  and  East  Eugle 
and  NovÖan  Humbre  ])xyg  gife  oufengon  Cristes  geleafan; 
|>urh  Albinus  swiÖost  ic  geÖristlsehte ,  l^set  ic  dorste  pis  weorc 
ongynnan. 

Au»  diesen  stellen  geht  hervor,  dass  man  Albinus  eben 
so  gut  als  Beda  Verfasser  der  kirchengeschichte  nennen  darf. 
Aber  auch,  warum  Lag.  Albinus  gerade  den  lateinischen 
text  zuschreibt,  darüber  findet  sich  auskunft  in  der  vorrede 
zum  lateinischen  originale  (das  Ags.  lässt  aus  leicht  begreif- 
lichen   gründen    diese    stelle    weg):    Qui   videlicet  Notheimus 


QUELLEN  LAYAMONS.  529 

postea  Romam  veuieiis,  nomiullas  ibi  beati  Gvegorii  papae 
,simul  et  aliorum  poutificuui  epistolas,  perserutato  ejiisdem 
saiictae  ecclesiae  Ronianae  scriino,  permissu  ejus,  qui  nunc 
ipsi  ecclesiae  praeest,  Gregorii  pontificis,  invenit.  Reversusque 
nobis  nostrae  historiae  iusereudas  cum  consilio  praefati  Albaiii, 
revereudissimi  patris,  attulit. 

Diese  bviefe  finden  sich ,  wie  sclion  aDgege])eu ,  nur  im 
lateinischen  texte,  Al])iu  Hess  dieselben  durch  Nothelm  in  Rom 
anfertigen  und  überschickte  sie  alsdann  Beda,  La^.  kann  also 
mit  gutem  rechte  diesen  teil  des  lateinischen  werkes  von 
Albin  verfasst  nennen. 

Zu  erörtern  bleibt  noch,  weshalb  der  dichter  den  jüngeren 
AJbinus  vor  Augustin  nennt.  Zunächst  vvol,  weil  Beda  Albins 
Verdienste  so  sehr  hervorhebt,  dann  aber  auch  auf  grund  der 
ags.  vorrede.  Der  lateinische  text  fahrt  fort,  nachdem  er  er- 
zählt hat,  dass  Beda  abschrifteu  von  römischen  Urkunden  durch 
Albin  und  Nothelm  erlangt  habe  (vgl  oben):  A  principio  ita- 
que  voluminis  hujus  usque  ad  tempus,  quo  gens  Auglorum 
fidem  Christi  percepit,  ex  priorum  maxime  scriptis  hinc  iiide 
collectis  ea,  quae  promemus,  didicimus.  Exinde  autem  usque 
ad  tempora  praesentia,  quae  in  ecclesia  Gautuariorum  per 
discipulos  beati  Gregorii  papae  sive  successorcs  eorum,  vel 
sub  quibus  regibus  gesta  sint,  memorati  abbatis,  Albiui  indu- 
stria,  Nothelmo,  ut  diximus,  proferente  cognovimus:  qui  etiani 
})rovincia  orientalium  Saxonum  simul  et  occidentalium,  necnon 
et  orientalium  Anglorum  atque  Nordan  Hymbrorum,  a  quibus 
])ref^ulibus  vel  quorum  tempore  regum  gratiam  cvangelii  })er- 
ceperint,  nonnulla  mihi  ex  parte  prodiderunt.  —  Aelfred  aber 
überträgt  dies:  fram  fruman  fnssa  boca  oö  ba  tid,  pe  Anjcl- 
cyn  Cristes  jeleafau  onfeng,  of  ealdra  manna  sicgeuum  (»(Ü  |>as 
andweardan  tid  swytiost  we  jeleornodon ,  fnet  we  her  writacü, 
and  of  leorningcnihtum  ]nes  eadijan  papnn  sce  Grcgorius 
under  hwilcum  cyninge  ]>;et  Öonne  geworden  waes,  J>urh  Albin us 
myn^un^e,  pses  abbudes,  Öurh  No?Jelmes  airendo  and  gesjcgene. 
Swybe  fela  hi  me  sa3don  fram  g:ehwylcum  biscopum  and  hwyl- 
cum  cynin;^a  tidum  Eastseaxe  and  Westseaxc  and  Easiengle 
and  NorbanhumbiC  j-'ierc  gife  onfen^on  Cristes  ^eleafan. 

Aelfred  wirft  die  im  lateinischen  texte  scharf  geschiedenen 
zwei  abteilungen  (A  principio  voluminis  —  ad  tempus  (pio  .  .  . 


530  WUKLCKER 

percopit  und:  exinde  iisque  ad  tcmpora  praesentia)  zusammen 
und  i;'il)t  zu  verstehen,  dass  dies  mateiial  von  anfaug  des  1>uclies 
bis  zur  bclcchiung-  und  bis  zur  zeit  ßedas  sowol  aus  den 
Schriften  der  frühem  kirchenväter,  als  auch  durch  Albins  für- 
sorgo  herl)eii;e])racht  worden  sei.  Ferner  verschaffte  Albin  die 
darstclhmg  der  taufe  anderer  ags.  stumme,  welche  Augusliu 
nicht  selbst  bekehrte,  die  aber  zicndicli  zur  selben  zeit  mit  den 
Kentern  Christen  wurden.  —  Auch  aus  diesen  gründen  war 
La^.  bereclitigt.  Albin  vor  Augustin  zu  nennen. 

Endlich,  wenn  man  den  ags.  text  mit  dem  original  zu- 
sammen hält,  so  finden  sich  im  Latein  viele  stücke  vor  der 
bekehrung  der  Angelsachsen  durch  Augustin ,  die  dem  Ags. 
fehlen,  welche  also,  nach  La^.  meinung,  Albin,  nicht 
Beda  verfasst  hat  (z.  b.  lib.  I,  cap.  9,  10,  17 — 22  incl.,  also 
der  ganze  Pelagianische  streit).  Aus  dem  gesagten  ist  da- 
her leicht  zu  verstehen,  warum  La^.  Albiuus  dem  Augustin 
voranstellt. 

Dann  aber  mit  cap.  23  tritt  Augustin  in  den  Vordergrund. 
Cap.  23  im  I.  buche  erzählt  die  Vorbereitungen  des  papstes 
Gregor  zur  scndung  Augustins  und  die  bekehrung  des  königs 
Ae}>clbyrht  nel)st  der  ausbreitung  des  Christentums  in  England. 
Besonders  wichtig  ist  cap.  27,  worin  die  neun  fragen,  welche 
Augustin  an  papst  Gregor  stellte,  enthalten  sind.  Dieses  ca- 
pitel  übersetzte  auch  Aelfred.  Andere  capitel  aber,  die  eng 
mit  der  bekehrung  Augustins  zusammenhängen,  stehen  nur  im 
Latein,  z.  b.  24,  28,  30,  31.  Diese  enthalten  briete  des  papstes 
wegen  Augustin  oder  schreiben  anderer  an  den  papst  aus  der 
zeit  der  bekehrung.  Sie  fehlen  alle  im  ags.  texte,  daher  nennt 
Lag.  den  apostel  Englands  als  mitverfasser  des  Latin  hoc. 
Das  einzige  bedenken,  ob  Lag.  wirklich  den  von  Beda  er- 
wälmten  Albinus  meinte,  wäre  etwa  noch  der  umstand,  dass 
Lag.  seinen  gewährsmann  als  sein tc  Albin  bezeichnet.  Allein 
auch  Augustin,  der  bekehrer  Englands,  wird  in  ags.  litaneien 
San  et  genannt  und  Wace  führt  ihn  als  saint  Austin  auf; 
Aelfied  gibt  ihm  vorsichtiger  weise  nur  das  beiwort  arwur)>a 
=  venerabilis,  reverendissimus.  Augustin  kam  nur  der  titel 
beatus  oder  Ijeatus  pater  zu.  Aldhelni  jedoch  und  andere,  die 
niemals  canonisiert  wurden,   trifft  man   ebenfalls    in  ags.  Uta- 


QUELLEN  LAYAMONS.  531 

neien  und  Schriften  als  sancti  an.  i)  Es  wurde  also  damals 
uiclit  so  streng  mit  dieser  bezeichnung  genoiunien  und  Lus. 
konnte  aucli  den  reverendissi  mus  (arwur|^a)  Albinus  den 
seinte  Albin  beissen. 

Ist  nun  durch  das  bisherige  festgestellt,  Vvie  La^.  dazu 
kam,  Beda  zum  Verfasser  des  Engl  isca  boc  zumachen,  Albin 
und  Angustin  aber  das  Latin  boc  zuzuschreiben,  so  ist  zu  er- 
örtern, wie  weit  Laj.  den  lateinischen  und  ags.  Beda  wirklich 
benutzt  hat. 

Der  ags.  Beda  weist  nur  ein  capitel  mehr  auf,  als  das 
original,  und  auch  dieses  wurde  wol  erst  später  beigefügt"-): 
es  ist  dies  eiuschiebsel  eine  genealogic  der  ags.  könige,  für 
La^.  also  unwichtig.  Die  meisten  stellen,  welche  nur  im  La- 
teinischen anzutreffen  sind,  entlialten  briefe  vom  papstc  an 
bischöfe  oder  von  geistlichen  an  den  papst.  Ferner  wird  im 
Ags.  II,  1  ein  stttck  aus  dem  leben  Gregors  weggelassen ;  III, 
4  des  Originals  behandelt,  wann  und  wie  die  Bieten  Christen 
wurden;  III,  25.  26  über  das  paschafest  und  die  synode, 
welche  stattfand,  eine  einigung  in  diesem  punkte  zu  erzielen; 
lY,  14  wunder  durch  Oswald;  IV,  20  enthält  einen  hymnus 
Virginitatis;  V,  16,  wie  die  Schotten  sich  zur  osterfrage  stell- 
ten; V,  17.  18  auszüge  aus  dem  werke  Adamnaus.  Alle  diese 
stucke  waren  teils  für  La^.  durchaus  gleichgültig,  teils  finden 
sie  sich  bei  G.  v.  Monmouth  und  bei  Wace.  Geschichtlich 
wichtig  ist  die  entwicklung  und  beendung  der  Pelagianischen 
häresie,  welche  im  I.  buche  des  lateinischen  Beda  beschrieben 
wird,  bei  Aelfred  fehlen  diese  capitel.  Jedoch  Gotfried  v.  Mon- 
mouth spricht  auch  darüber  IIb.  VI,  cap.  13.  Allein  er  hat  die 
Sache  schon  etwas  geändert:  bei  ihm  kommen  Germanus  und 
Lupus,  l)es.  um  das  durch  die  Angelsachsen  bedrohte  Christen- 
tum wider  herzustellen,  in  zweiter  linie  auch  den  Pelagianis- 
mus  zu  vertreiben:  Corrupta  uamque  fuerat  eorum  (Britonum) 
Christianitas,  tum  propter  paganos,  quos  rex  in  societatem 
eorum  posuerat,  tum  propter  Pelagianam  haeresim,  cujus  vene- 


')  Vgl.  ■/..  }).  Caedmons  des  Augeisachsen  biblische  dichtungcn. 
Herausg.  von  iv.  \V.  Boutcrwek.     Gütersloh  1854,  p.  CXXIU  anm.  2. 

^)  Vgl.  Lappenberg,  geschichte  von  England  bd.  L  Humburg 
1834  p.  XLV  unten. 


532  WUELCKER 

imiii  ipsos  miiltis  diebiis  aflcccvut.  —  AVacc  wendet  dies  anders: 
Vortiiiicr  Hess,  naclideni  er  die  Sach^^en  besiegt  Latte,  die  zer- 
störten kiiclicn  wider  aufbauen  und  da  kamen  auch  Germaiiis 
und  Lons,  um  das  (durch  die  Ags.?)  gesunkene  cliristentum 
auf  bei'ehl  des  papstcs  Romains  wider  herzustellen.  So  erzählt 
denn  auch  La^amon  die  geschichte.  Es  bietet  sich  uns  also 
kein  anhaltspuukt,  festzustellen,  ob  La^.  mehr  den  ags.  oder 
melir  den  lateinischen  text  vor  äugen  hatte.  Lässt  sieh  nun 
ül)erhaupt  erweisen,  dass  La^.  Beda,  sei  es  nun  der  lateinische 
oder  der  ags.,  neben  Wace  benutzte? 

Madden  sagt  p.  XI:  Tlie  tirst  of  the  authorities  here  men- 
tioncd  is  geuerally  understood  to  be  the  Anglo-Saxon  trans- 
latiou  of  Bedes  Eeclesiastical  History,  attributed  to  Alfred;  but 
so  far  from  niaking  it  form  an  integral  portiou  of  bis  owu 
poeni,  or  even  occupy  a  prominent  place  in  it,  he  seems  to 
havc  taken  nothing  from  it  except  the  story  of  pope  Gregory 
and  the  Anglo-Saxon  captives  at  Rome  (vol.  III,  p.  100). 
Indeed  in  several  iustanees  he  is  quite  at  variance  with  Bede, 
even  when  not  translatiug  from  Wace.  —  Äladdeu  siebt  also 
in  der  angeführten  erzählung  den  einzigen  beweis,  dass  Beda 
vom  dicliter  ])ei  ausarbeitung  seines  Werkes  gebraucht  wurde. 
Aber  auch  dieser  beweis  scheint  auf  recht  schwachen  fassen 
zu  stehen !  Zunächst  war  diese  erzählung  gewis  gerade  eine 
sehr  ver])reitete ,  so  dass  ein  geistlicher  in  England  sie  sicher- 
lich hören  konnte,  auch  ohne  selbst  Beda  zu  lesen.  Nur  falls 
sich  ganz  enger  anschluss  La^amons  an  Beda  verrät,  dürfen 
wir  daher  annehmen,  dass  Lag.  direct  aus  Beda  schöpfte. 
Madden  aber  übersah,  dass  Lagamons  erzählung  sehr  ab- 
weicht! 

Beda  berichtet  (die  ags.  Übertragung  sehliesst  sich  hier 
au):  lib.  II,  1.  Nee  silentio  praetereunda  opinio,  quae  de  beato 
Gregorio  traditione  majorum,  ad  nos  usque  perlata  est.  qua 
videlicet  ex  causa  admonitus  tam  sedulam  erga  salutem  üostrae 
genlis  curam  gcsserit.  Dicuut,  quia  die  quadaiu  cum,  advenien- 
tibuH  uuj)or  mercatoribus,  niulta  venalia  in  forum  fuissent  col- 
lata,  nndti  ad  emendum  confluxissent,  et  ipsum  Gregorium 
inter  alios  advenisse,  ac  vidisse  iuter  alia  jiueros  venales  po- 
sitos,  candidi  corporis  ac  venusti  vultus,  caj)illorum  quoque 
fornui  egregia.     Quos  cum  aspiceret,  interrogavit,  ut  aiunt,  de 


QUELLEN  LAYAMONS.  533 

qua  regione  vel  terra  essent  allati:  dictumque  est,  quod  de 
BritaDuia  insula,  cujus  iucolae  tales  essent  aspectu.  Kursus 
iuterrogavit,  utrum  iidem  iusulani  cliristiani  an  paganis  adhue 
erroribus  essent  implieati.  Dictumque  est,  quod  essent  pagani. 
At  ille  intinio  ex  corde  longa  trahens  suspiria:  Heu  proh 
dolor!  iuquit,  quod  tarn  lucidi  vultus  homiues  tenebrarum 
auctor  possidet,  tautaque  gratia  frontis  eouspicui  meutern  ab 
interna  gratia  vacuam  gestat  Kursus  ergo  iuterrogavit,  quod 
esset  vocabulum  gentis  illius.  Responsum  est,  quod  Angli 
vocareutur.  At  ille:  beue,  inquit,  nam  et  angelicam  habent 
faciem  et  tales  angelorum  in  coelis  decet  esse  cohaeredes. 
Quod,  ait,  habet  nomen  ipsa  provincia,  de  qua  isti  sunt  allati  ? 
Responsum  est,  quod  Deiri  vocareutur  iidem  provinciales.  At 
ille :  bene,  inquit,  Deiri,  de  ira  eruti  et  ad  misericordiam  Christi 
vocati.  Rex  provinciae  illius  quomodo  vocatur?  Responsum 
est,  quod  Elle  (Aelle)  dieeretur.  At  ille,  alludens  ad  nomen, 
ait :  Alleluia,  laudem  dei  creatoris  illis  in  partibus  oportet  can- 
tari.  Accedensque  ad  pontificem  Romanae  et  apostolicae  se- 
dis,  nondum  enim  erat  ipse  pontifex  factus,  rogavit,  ut 
genti  Anglorum  in  Britanniam  aliquos  verbi  ministros,  per  quos 
ad  Christum  converteretur ,  mitteret;  seipsum  paratum  esse  in 
hoc  opus  Domino  cooperante  perficiendum,  si  tarnen  apostolico 
papae,  hoc  ut  fieret,  placeret.  Quod  dum  perficere  non  posset, 
quia  etsi  pontifex  concedere  illi,  quod  petierat,  voluit,  non  tamen 
cives  Romani  ut  tam  longe  ab  urbe  secederet,  potuere  permit- 
tere.  Mox  ut  ipse  pontifieatus  officio  functus  est,  perfecit  opus 
diu  desideratum.  Alios  quidem  praedicatores  mittens,  sed  ipse 
praedicationem  ut  fructificaret,  suis  exhortationibus  ac  precibus 
adjuvans. 

Lagamon  dichtet  dagegen  (v.  29445  ff.): 

\>a,  wes  inne  Rome  ]?a  isah  he  leden 

a  pape  of  godes  dorne :  of  Engliscc  leoden 

Gregori  wea  ihate,  pveo  s\vic5e  fa;ire  man 

godd  seolf  hine  lufede.  faste  ibunden. 

]7a  wes  hit  iu  ane  stunden,  heo  scolden  beon  iseolde 

|jat  l^e  pape  wolde  wenden,  and  )?a  panejes  weoren  italde. 

|?at  he  wolde  .  .  .  l'a  fVa^incda  ]ni  pape  an  an 

an  ane  of  his  neoden.  of  feigere  [»an  mounen, 

]?a  com  he  in  are  strete,  whonnene  heo  weoren 

]'at  strahtc  to  Rome,  and  hu  heo  j^are  comen, 

Beiträge  zur  geBobichte  der  deuUoben  spräche.   Hl.  35 


534 


VV^UELCKER 


;iiul  of  wulclie  stronde 

heo  istreoned  wcoren. 

j'je  andawarede  |'e  an, 

)>at  WCS  a  switic  fair  mon  : 

'We  beoÖ  heiiene  uien 

and  hidcr  bcotS  iladdc 

and  we  weoren  ut  isaldo 

of  Anglene  londe; 

and  fullnht  we  to  ]'e  jeorueÖ, 

gef  ]'ii  US  wult  ifreoijen.' 

]'a  seiden  men  Anglisce, 

at5ele  ibornne. 

)?a  reousede  Gregori, 

godd  hine  luuede, 

and  Jjas  andsware  saide, 

]fe  pape  was  isele, 

'  Iwis  je  beod  Aenglisce, 

englen  ilicchest 

of  alle  l'an  folke, 

|>a  wnuiet»  uppen  iiolde. 

eouwer  ciin  is  feierest 

of  alle  quike  monnen.' 


j'e  pape  heom  IVeinede 
of  feole  tidinde, 
of  lajen  and  of  londen 
and  of  ]Mssere  leodene  kinge, 
and  heo  liiui  al  seiden 
so(5  l'at  heo  wusfen. 
And  he  heom  ureoijen  lette 
and  fulluht  on  sette 
and  charde  ajein  sone 
eft  into  Roiue. 
anne  cardinal  cleopede 
icoren  of  his  uolke, 
Austin  wes  ihotaen, 
ai5ele3t  claerken, 
]'e  pape  bim  seide 
in  his  som  rune: 
'Austin,  ]?u  scalt  wende 
mid  soöfffiste  J^onke 
in  to  Englelonde 
to  AeÖelberte  kinge 
aud  beode  ]?ei'  godes  godd-spel 
etc. 


Die  verschiedeulieit  der  worte  Lagamons  von  deujeuigen 
Bedas  ist  recht  bedeutend.  Vor  allem  lässt  L.  die  ganze  er- 
zäblung  erst  da  sich  zutragen,  als  Gregor  bereits  papst  war 
und  berichtet  alsdann,  dass  Augustin  sofort  nach  England  ge- 
sendet worden  sei.  Der  ort,  wo  Gregor  die  gefangenen  trifft, 
wird  anders  beschrieben,  auch  werden  bei  Beda  nicht  die  ge- 
fangenen selbst  befragt,  antworten  daher  auch  nicht  selbst. 
Ebenso  nennt  Beda  keine  zahl  der  gefangenen,  Lagamon  da- 
gegen |>reo.  Aber  auch  die  fragen  selbst,  die  Gregor  tut  und 
die  antworten,  welche  er  erhält,  verraten  keine  genauere  kennt- 
nis  Bedas  von  des  dichters  seite.  Es  forscht  Gregor  nur  nach 
der  gefangenen  heimat  und  knüi)ft  daran  sein  Wortspiel  von 
Anglene  lond  und  englen  an.  Die  zwei  andern  Wortspiele 
fehlen  und  es  heisst  einfach:  Gregor  habe  noch  nach  vielem 
andern  geforscht.  —  Auf  diese  erzählung  allein  hin  La^amons 
benutzung  des  Beda  als  sicher  stehend  anzunehmen,  ist 
etwas  kühn! 

An  zwei  stellen  könnte  man  vielleicht  noch  an  Beda 
denken.  La^.  II,  2  wird  der  tod  des  Lucius  erwähnt  und  es 
heisst  von  dessen  todesjahre: 


QUELLEN  LAYAMONS.  535 

l^a  wes  ]>e  weorlde  swa  uorÖ  iuaren, 
seot5Öen  ure  drihte  wes  iboren, 
an   hundred  gere  and  sixti. 

Gottfried  von  Monmouth  nennt  156  als  todesjalir  (V,  1),  Wace 
in  dem  gediuekten  texte  156,  in  andern  bss.  151,  150.  Die 
ags.  clironik  gibt  167  als  jabr,  wo  Lucius  sieb  taufen  lies,«, 
an;  Beda  156  als  zeit  der  bekebrung.  Mau  könnte  glauben, 
dass  aueb  La^.  mit  Beda  156  als  jabr,  avo  Britannien  cbrist- 
lieb  wurde,  festsetzte.  Docb  dagegen  spi-icbt  II,  1  die  angäbe, 
Luees  babe  lange  (docb  wol  nacb  der  bekebrung)  gelebt,  näm- 
lieb  42  jabre.  Mit  Beda  stimmt  L.  bier  also  docb  nicbt  iiber- 
ein.  —  Ferner  bezeicbnet  La^.  Oswald  als  Edwin  es  ma^i 
III,  260  und  ebenda  257  nennt  er  ibu  of  Edwines  cuune. 
Ct.  V.  Monmoutb  überliefert  uns  nur,  dass  Oswald  könig  wurde. 
(XII,  10).  Wace  sagt  II,  281:  Osgal  .  .  .  Un  noble  rois  de 
balt  parage  Ot  le  raine  par  beritage.  Allein  gerade  aus 
diesen  worten  konnte  Laj.  scbliesseu,  dass  Oswald  ein  ver- 
wanter  Edwines  war.  Näberes  über  die  verwantsebaft  gibt 
La^.  ja  aueb  nicbt,  wäbrend  wir  im  lat.  Beda  lesen  (III,  6): 
Erat  autem  (Oswaldus)  nepos  Edwiui  regis  ex  sorore  Acba, 
und  im  Ags.:  waes  be  Oswald  Eadwiues  nefa  J>äis  a3|>elan  cy- 
ninges,  bis  sweoster  sunu. 

Sonst  begegnete  mir  keine  stelle,  die  zwingt  zu  glauben, 
dass  Lag.  Beda  wirklieb  benutzte.  Erzäbluugen ,  welebe  aus 
der  Historia  Ecclesiastica  in  das  werk  des  Gr.  v.  Monmoutb 
übei'gingen  und  von  da  durcb  Wace  von  Lag.  aufgenommen 
wurden,  bleiben  natürlicb  aus  unserer  betracbtung. 

Andere  gescbicbten  dagegen  widersprecben,  ob- 
gleich sie  Lag.  nicbt  aus  Wace  nalim,  geradezu  Beda. 
Madden  fülirte  scbon  ein  beispiel  au :  die  darstellung  vom  tode 
Oswys  und  Pcndas  (III,  276  und  note  dazu),  man  vgl.  dazu 
Wace  II,  288  ff.;  G.  v.  Monm.  XII,  13,  eudlicb  Beda  III,  24 
und  IV,  5.  Docb  lassen  sieb  nocb  eine  reibe  solcher  stellen 
aufbringen. 

Lag.  I,  412  behauptet,  Vespasian  sei  erst  nach  Claudius 
tode  gegen  Arviragus  geschickt  worden,  dagegen  Wace  I,  242 
tf.,  G.  V.  Monm.  IV,  16,  Beda  1,  3  (ab  eodem  Claudio  .... 
Vespasianus  in  Britanuiam  missus).  Allein  hier  mag  vielleicht 
die  ganze  abänderuug  Lagamons   nur   auf  einem  misversteben 

35* 


530  WUELCKER 

des  V.  5220  in  Waee  herstammen:  Quant  ales  en  fu  Claudius 
L'cmpire  tint  Arviragus,  wo  die  auf angsw orte,  das  ales  Lag;. 
für  eine  unisclireibunn'  von  sterben  halten  mochte. 

Laj.  III,  197  fl".  Aeluric  (bei  Beda:  AedelfVith)  mordet  mönche, 
besonders  viele  aus  dem  kloster  Bangor.  Dagegen  Waee  II, 
257  II'.;  G.  V.  Monm.  XI,  13  und  Beda  II,  2.  In  all  diesen 
quellen  ist  der  hergang  anders  erzählt.  Lag.  berichtet  ihn  am 
ungünstigsten  für  die  Angelsachsen,  daher  darf  man  wol  an- 
nehmen, dass  er  hier  keltischen  darstellungen  folgte. 

Lag.  III,  261  ß'.  Die  kreuzesschlacht  Oswalds  und  der 
tod  dieses  königs  durch  verrat  des  Penda.  Beda  III,  2  und 
III,  9;  G.  v.  Monm.  XII,  10;  Waee  II,  281  und  283.  —  Nen- 
nius  §  65  weist  auf  die  darstellungsweise  Lagamons  hin: 
Penda  .  .  .  sanctum  Oswaldum  regem  Nordorum  occidit  per 
dolum.  Ipse  fecit  bellum  Cocboy,  in  quo  cecidit  Eona,  filius 
Pippa,  frater  ejus,  rex  Merciorum,  et  Oswald,  rex  Nordorum, 
et  ipse  Victor  fuit  per  diabolicani  artem.  Es  mag  sich  wol 
in  der  legende  allmälich  der  Charakter  des  mörders  von  Os- 
wald verschlechtert  haben. 

Lag.  III,  277  ö".  tod  des  königs  CadwaÖlan.  Waee  II, 
289;   G.  V.  Monm.  XII,  13;   Beda  III,  1. 

Die  angeführten  beispiele  mögen  genügen.  Sie  beweisen 
hinlänglich,  dass  der  ags.  und  lateinische  Beda,  wenn  auch 
Lag,  bekannt,  nicht  wirklich  seiner  erzähluug  zu  gründe  liegen, 
und  dass  Lag.  sie  nur  als  quellen  anführt,  wie  es  im  mittel- 
alter  sitte  war,  bücher,  welche  man  hätte  benutzen  können 
und  sollen,  als  wirklich  benutzt  aufzuzählen.  Genauer  sah 
sich  Lag.  nur  die  vorreden  an.i) 


')  Erwähnt  sei  noch,  dass  manche  von  den  randbemerkungen  aus 
dem  lateinischen  Beda  genommen  sind.  Ganz  sicher  ist  dies  von  der- 
jenigen III,  183  der  fall,  sie  lautet:  ,  ,  .  quingesimo  ...  ii**  Mau  .... 

e  Xlllio  an iii  quinqua tus  ab  Augus  ....   isit  seruus 

um  et  alios  pl onacos  predi gliam  an tuC 

Anglorum  .  .  .  .  n  circiter  ol'.  —  Statt  Mau  liest  Madden  Mail,  doch 
offenbar  ist  es  die  angäbe  Beda  l,  23:  anno  ab  incaruatione  domini 
quingentesimo  octogesimo  secuudo  Mauritius  ab  Augusto  quiuqua- 
gesimus  quartus  imperium  suscipiens  uuo  et  vigiuti  annis  tenuit 
etc.  Auch  sonst  sind  öfters  die  lateinischen  randbemerkungen  aus 
Beda.  Jedoch  alle  diese  rühren  nicht  von  L.s  hand  her,  sind  also  für 
uns  ohne  bedeutung. 


QUELLEN  LAYAMONS.  537 

Die  dritte  quelle,  welche  La^amon  anfuhrt,  ist  Waces 
Brut.  Schon  die  art,  wie  er  davon  spricht,  zeigt,  dass  dieses 
w^rk  seinen  hauptgewührsmaun  abgab. 

Boc  he  noin  pe  fn-idde, 
leide  ]:'er  amid  den, 
j?a  makede  a  Frenchis  clerc, 
Wace  wes  ihoten. 
Das   buch ,    welches    man   am    meisten  gebrauchen  will ,   wird 
mau  gerade  vor  sich   hin   legen,   die   andern,    in  welche    man 
nur    gelegentlich    einsieht,    zur    seite.      Sieht    man    l^agamons 
werk  durch,  so  zeigt  sich  auch  sofort,  wie  die  haupterzählung 
auf  Wace  ruht.  — •  Zuerst  sei    noch  eine  frage    erledigt.     La^. 
hat,   wie  wir  sahen,    einige,   wenn   auch  vielleicht   nicht  sehr 
tiefe  kenntnis  des  Latein,   benutzte  er   daher  vielleicht  neben 
Wace  auch  Gottfried  v.  Monmouth  ? 

Wace  hat  eine  reihe  von  Zusätzen,  die  sich  bei  G.  v.  Monm. 
nicht  finden,  aber  bei  Lag;,  stehen. 

Wace  I,  p.  3G  ft".  Brut  trifft  an  den  säulen  des  Hercules 
Sirenen.  Allerdings  werden  diese  ungeheuer  auch  bei  G.  v.  M. 
I,  12  erwähnt,  allein  Wace  knüpft  eine  beschreibung  derselben 
an,  ebenso  Lag.  I,  56  K  Zur  probe,  wie  Lag.  seiner  vorläge 
folgt,  mögen  die  betreffenden  Zeilen  hier  platz  finden: 

G.  V.  Monm.:  Eefertis  vero  navibus  petierunt  columnas 
Herculis:  ubi  apparuerunt  eis  monstra  maris,  Sirenes  vocata, 
quae  ambiendo  naves  fere  ipsas  obruerunt.  Utcumque  tarnen 
elapsi,  venerunt  ad  Tyrrhenum  aequor. 

Wace.  Lagamou. 

Öigle  ont  et  passe  inult  pres  ]?a  comen  heo  to  j^an  bunnen, 

Des  bornos  que  fist  Hercules,  ]?a  Hercules  makede 

Une  colombe  qu'il  fica^  inid  muchelen  bis  strengöe. 

Ce  fu  uns  signes  qu'il  mostra  j^at  weorcn  postles  longe, 

Que  de  si  la  avoit  conquis  of  marnion  stanc  strenge, 

Ou  il  avoit  ces  pilers  mis.  ]>ait  taken  makede  Hfercules: 

Les  sevaines  ont  trespassees  j^jvt  lond,  ]?e  }>er  abuten  wes, 

Qui  lor  nes  ont  mult  destorbees;         8\vi(5e  brod  and  swiöe  long, 
öeraines  sont  monstre  de  mer,  al  hit  stond  an  his  hond. 

Des  eies  poent  femes  Sambier.  Ipev  heo  funden  pQ  merminnen, 

Poisson  sunt  del  nombril  aval.  j;aet  beoÖ  deor  of  muchele  ginnen, 

As  mailniers  ont  fait  maint  mal;         witmen  hit  jmnchet  fuliwis, 
Vers  ocident  en  la  mer  hantent.  liineoÖe  J^on  gurdle  hit  ]ninchet5  fisc. 

Dolces  vois  out,  dolcement  chantent,      l'eos  habbeÖ  swa  murie  song; 
Par  lor  dols  cans  les  fols  ataignent      ne  beo  pa  dai  na  swa  long. 


538 


WUELCKER 


Et  a  decoivie  les  assaicnt. 

Li  t'ol  lioiiie  qui  le  cant  oent, 

Par  la  dolcor  dol  caiit  s'esjoent, 

Lor  voie  ohlicnt  et  gucrpissent 

Et  se  partans,  iic  s'en  vertissent. 

Tant  les  ibnt  par  mer  folier, 

Que  sovent  les  fönt  periller, 

Ou  al  mains  lor  droit  oire  perdent, 

Par  mainte  fois  as  nes  s'aerdent 

Et  tant  les  tienent  et  demorent 

Que  as  roces  el  peril  corent. 

Mult  funt  a  crendre  les  seraines, 

Car  de  felouies  sunt  plaines; 

Ne  puet  nus  d'eles  escaper 

Qui  mult  ne  s'en  set  Wen  garder. 

Figure  porte  de  diable, 

La  qui  oevre  est  si  delitable 

Et  tant  soef  a  maintenir 

Qu'a  paine  s'en  puet  l'on  tenir; 

Et  eil  qui  a  s'oevre  s'aert 

Sa  droite  voie  et  son  cors  pert, 

Si  come  eil  va  malement 

Qui  as  seraines  trop  entent. 

Li  Troyen  les  apareurent, 

Lor  cant  oirent,  sis  connurent; 

Oi  en  avoient  parier, 

Si  nes  valrent  mie  escoter : 

A  lor  nes  entor  s'aeerdoient, 

A  bien  pres  noier  nes  feisoient. 

A  graut  paine  s'en  escaperent 

Et  joste  Espagne  trespasserent. 

Wace  I,  178  ff.  hat  W.  wider  einen  zusatz.  G.  v.  Monm.  gibt 
an  (III,  19),  könig  Blegabred  sei  so  musikkuudig  gewesen, 
dass  er  eine  menge  instrumente  gespielt  habe.  Wace,  damit 
nicht  zufrieden,  zählt  die  A'erschiedenen  instrumente  auf.  Eben- 
so verfährt  Lag.  I,  298. 

Wace  I,  231  ff.  Wace  lässt  auf  die  bemerkung,  Christus 
wäre  damals  geboren  worden,  eine  Weissagung  Thaliesins,  den 
erlöser  betreffend,  folgen.  G.  v.  Monm.  IV,  11  hat  nichts  der- 
gleichen.    Lag.  dagegen  I,  386  ff.  schliesst  sich  W.  an. 

Wace  II,  242  ff.  Bei  der  belagerung  von  Cirecestre  er- 
findet W.  die  auffuhr ung  von  belagerungst (innen  durch  Guer- 
mons,  ebenso  Lag.  III,  170  ff.  Auch  die  sehr  eigentümliche 
kriegslist,  wodurch  die  bürg  nach  langer  vergeblicher  belagerung 


ne  bitJ  na  man  weri, 

heora  songes  to  hersen. 

Hit  is  half  mon  and  half  fisc : 

hit  hatcl  l'cs  wurse  takeu  fuliwis. 

for  his  Werkes  beod  swa  swete, 

)^Tt    feolan    uien    hcom  ne  magen 

Brutus  iherde  siggen        [forlcten. 

]?urh  his  sfcmonnen 

of  l'an  ufele  ginnen, 

]>G  cuÖen  )?a  mereminnen. 

He  hihte  hondlien  kahlen, 

teon  seiles  to  toppa, 

leten  laden  pene  wind, 

liÖeni  mid  }'an  uÖen. 

]7a  mereminnen  hcom   to   svommen 

on  alchare  sidau. 

swiöa  heo  heom  Isetten 

mid  luÖere  heora  craften. 

NeÖelas  Brutus  atbra?c 

al  hüten  burstan 

and  ferde  riht  ou  his  wei 

his  scipen  runden  swiöe. 

A  steoresman  ham  talde  wilspel, 

])SRt  he  Spaine  isaeih. 


QUELLEN  LAYAMONS.  539 

endlich  erobert  wird,  steht  nicht  in  G.  v.  Monm.  (XI,  8),  wol 
aber  in  W.  und  Lag. 

Wace  II,  251  ft".  Aug-ustin  wird  bei  seinem  predigen  von 
beiden  verspottet,  darauf  berichtet  W.  ein  wunder  Augustins. 
Lag.  hat  ebenfalls  diese  geschichten  III,  184.  Bei  G.  v.  Älonra. 
XI,  12  fehlen  sie,  wie  überhaupt  G.  über  die  Wirksamkeit 
Augustins  sehr  rasch  hinweg  geht.^)  Auch  finden  sich  diese 
legenden  im  Brut  Tysylio  p.  57»».-) 

Wace  II,  294  ff.  G.  v.  Monm.  l)erichtet  nichts  von  Aebel- 
stans  abstammung,  nichts  von  Ine  und  dem  peterspfennig  (XII, 
18.  19).  Wace  sclireibt  darüber  II,  294  ff.  und  Lag.  folgt  ihm 
III,  284  ff",  üoch  nicht  nur  in  Zusätzen,  auch  in  änderungen 
und  weglassungen  zeigt  sich  Übereinstimmung  zwischen  Wace 
und  Lagamon. 

Geändert  hat  W.  z.  b.  II,  IIG  ff.  W.  macht  Lucius  zum 
alleinherscher  von  Rom,  z.  b.  II,  160:  Luces  uns  bers  (Tibers?) 
les  conduisoit  Qui  de  Rome  I'empire  avoit;  p.  195  v.  12859, 
p.  216,  V.  13365.  Lag.  folgt  Wace  z.  b.  III,  p.  89  Luces  ]?e 
keisere  u.  s. —  G.  v.  Monm.  IX,  15  nennt  Lucius  procurator, 
dessen  oberherrn  Leo  imperator  (IX,  11,  X,  6),  Leo  rex  XI,  1. 
Wenn  dann  auch  X,  1 1  G.  v.  Monm.  wider  von  Lucius  impe- 
rator spricht,  so  hat  er  doch  das  Verhältnis  desselben  zu  Leo 
ganz  klar  gestellt:  Lucius  ist  nur  feldherr  oder  unterkönig, 
procurator  unter  Leo. 

Ortsangaben  werden  auch  öfters  bei  W.  anders,  meist 
richtiger  gegeben  als  bei  G.  v.  M.  So  berichtet  G.,  die  von 
Artur  geschlagenen  Sachsen  seien  von  Cador  verfolgt  und  zu- 
letzt nach  der  insel  Tanet  gedrängt  worden,  wo  sie  sich  dann 
unterwerfen  miisten.  (IX,  5.)  W.  lässt  die  entscheidungs- 
schlacht  bei  Tegneguic,  Tignewic,  Teinguewic  stattfinden  (II, 
p.  58).     Ebenso  Lag.  II,  483:     Teinnewic. 

Auch  sonst  weicht  W.  häufig  in  den  namen  ab  und  Lag. 


')  Gottfried  von  Monnionth  stellt  Augustin,  wie  es  auch  die  Kelten 
taten,  ziemlich  ungünstig  dar:  Er  bekehrt  die  Angelsachsen,  dann  aber 
mischt  er  sich  in  angelegenheiten  der  keltischen  Christen  ein ,  offenbar, 
wie  Gottfried  meint,  vollkommen  unberechtigt. 

^)  Gottfrieds  von  Monmouth  text  gebe  ich  nach  der  ausgäbe  von 
San-Martc.  Halle  1854.    Ebenso  den  text  des  Brut  Tysylio. 


540  WÜELCKER 

folgt  ihm.  Z.  b.  Gr.  v.  M.  nennt  einen  könig  Uiidibras  (II,  9), 
W.  (I,  78)  bezeichnet  ilni  als  Ruhundibras  (=  Rei  hundibrasV), 
La^.  schliefst  sich  \V.  an:  1,  11'.»  Ruliliudibras.  —  Der  ratgeber 
des  Claudius  heisst  bei  G.  v.M.  IV,  12,  J3  Levis  Hämo.  Bei 
Wace  I,  235  nur  Hamon,  ebenso  bei  Lag.  1,  395  Hamuu, 
Haumund. 

In  gemeinschaftlich  weggelassenen  stellen  stimmen  eben- 
falls W.  und  L.  oft  mit  einander  überein. 

G.  V.  M.  I,  17  berichtet,  Lud  habe  Troja  nova  (Trino- 
vantum)  vergrössert  und  befestigt  und  ihm  dann  den  namen 
Kaerlud  gegeben.  Darüber  sei  er  mit  seinem  bruder  Neunius 
in  streit  geraten,  der  den  namen  Troja  erhalten  wissen  wollte. 
Wace  I,  61  ff',  erwähnt  nicht  Nennius,  ebensowenig  Lag.  I, 
86  flf. 

G.  V.  M.  II,  10.  Bladud  richtet  die  bäder  in  Kaer  Badum 
ein  und  weiht  sie  der  Minerva:  in  cujus  (Miucrvae)  aede  in- 
extinguibiles  posuit  ignes,  qui  nunquam  dcficiebant  in  favillas, 
sed,  ex  quo  tabescere  incipiebant,  in  saxeos  globos  vertebantur. 
Wace  I,  80  sagt  nur:  (Bladus)  fist  en  cest  temple  uu  feu  ar- 
dant  Qui  ne  faloit  ne  tant  ne  qant.  Ebenso  Lag.  I,  121 ;  in 
J?ere  temple  he  lette  beornen  Enne  blase  of  füre,  ]>e  neuer  ne 
a)?eostrede,  Wintres  ne  sumeres,  Ah  euer  nie  |?at  für  bette, 
Swa  pe  king  haihte^  to  wrÖscipe  his  Isefdi,  )>e  leof  him  wes 
on  heorten. 

G.  v.  M.  IV,  16.  Lobrede  aufArviragus  mit  herbeiziehuug 
eines  verses  aus  Juvenal.  Wace  I,  245  schreibt  nichts  der- 
gleichen,  ebensowenig  Lag.  I,  422. 

G.  V.  M.  IV,  20.  Nachdem  Faganus  und  üuvianus  das 
Christentum  verbreitet  haben,  gehen  sie  nach  Rom,  wo  der 
papst  ihnen  ihre  einrichtungen  bestätigt.  Sie  kehren  dann  mit 
neuen  apostelu  nach  Britannien  zurück,  wie  Gildas  berichtet, 
und  befestigen  die  neue  lehre  immer  mehr.  W.  I,  249  lässt 
dies  hinweg,  ebenso  Lag.  I,  435. 

G.  V.  M.  VIII,  3.  \'erherlichung  des  Aurelius.  W.  1,  367 
findet  sich  nichts  derart,  während  es  doch  dort  stehen  müste, 
wäre  W.  an  dieser  stelle  G.  v.  M.  gefolgt.  Auch  Lag.  schliesst 
den  kämpf  mit  den  Sachsen  direct  an  die  Verbrennung  des 
Vortiger  an,  II  256,  nur  stehen  ein  paar  zeilen  über  Aldolf 
dazwischen. 


QUELLEN  LAYAMONS.  541 

G.  V.  M.  XII,  1.  Etlielfiid  verstösst  seine  erste  gemahlin, 
die  mutter  Edwinen;  diese  flieht  zu  Caduau.  W.  übergeht  II, 
263  ff.  diesen  umstand  und  ist  daher  genötigt,  die  erzählung 
etwas  zu  ändern.     Ebenso  Lag.  III,  205  ff. 

Diese  beispiele  mögen  geniigen  (denn  auf  Vollständigkeit 
ist  es  hier  nicht  abgesehen)  zu  beweisen,  dass  Lag.  in  einer 
reihe  änderuugen  sicli  W.  anschliesst  und  nicht  G.  v.  M.  folgt. 

Doch  verschwiegen  darf  nicht  bleiben,  wie  es  auch  manche 
stellen  gibt,  wo  Lag.  niclit  mit  Wace,  sondern  iuit  G.  v.  M.  zu 
gehen  scheint. 

G.  V.  M.  I,  7.  Beim  stürme  auf  die  feste  Spaiatin  weiden 
die  belagerer  mit  Graeco  igne  zurückgetrieben.  W.  weiss 
I,  17  V.  333  nur:  Li  altre  (die  belagerten)  ont  feu  aparillie 
Si  l'ont  sor  le  berfroi  lancie.  Lag.  dagegen  dichtet  I,  27 :  Mid 
stelene  orde  And  mid  starka  biten,  Mid  stocken  and  mid 
stanen  Stal  fiht  heo  makeden,  Mid  Grickisce  füre.  —  Man 
könnte  hier  an  directe  entlehnung  aus  G.  v.  M.  denken,  allein 
zur  zeit,  als  Lag.  dichtete,  war  das  griechische  feucr  im  abend- 
lande schon  sehr  wol  bekannt  und  gerade  an  dieser  stelle 
kann  es  Lag.  sehr  gut  aus  eigener  erfindung  hinzugesetzt 
haben.') 

G.  v.  M.  V,  12  schildert,  wie  Inbaltus,  herzog  von  Armo- 
rica,  von  Maximian  geschlagen  wird.  Inbaltus  fällt.  W.  I, 
278.  Hombaut  wird  vollständig  geschlagen,  doch  der  tod 
dieses  fiirsten  wird  nicht  erwähnt.  Bei  Lag.  steht:  Humbald 
heo  slogen  And  fiftene  |?usende  |?er  weoren  islagen  And  idon 
of  lifda^gen.  —  Allein  es  gehörte  keine  grosse  erfindungsgabe 
dazu,  aus  der  schlachtbcschreibung  des  Wace  den  tod  des 
führers  zu  folgern,  auch  ohne  kenntnis  des  Werkes  Gottfrieds. 

G.  V.  M.  V,  15.  115.  Geschichte  von  Ursula  und  den 
11000  Jungfrauen.  G.  weiss  nichts  von  der  Verbindung  mit 
Köln,  sondern  die  fürstentochter,  nachdem  liie  mädchen  Schiff- 
bruch an  der  armorischen  kiiste  erlitten  haben,  geht  dort  zu 
gründe.    W.  schliesst  die  erzählung  I,  287: 

Onze  mil  en  turent  menees 
Et  eu  Cologne  decolees. 


>)  Vgl.  Warton,  History  of  English  Poetry.     Ed,  by  Carcw  lla/Jitt. 
London  1S71.    Vol.  II,  p.  154. 


542  WUELCKER 

Ursele  tii  <>  celos  prise 
Et  si  fu  0  ccles  ocise; 
Martyre  furcut,  saintes  sont, 
Cil  del  pais  grant  feste  fönt. 

La^.  II,  72  ff.  berichtet,  wie  Gr.  v.  M.,  nichts  von  Köln. 
Man  könnte  dalier  glauben,  La^.  habe  sieh  hier  G.  v.  M.  an- 
geschlossen. Jedoch  die  legende  vom  märtyrertod  ist  offen- 
bar in  Wacc  erst  später  hinzugesetzt  worden.  W.  sagt  p.  285 
V.  6166:  Onze  mil  eu  a  assamblees;  11000  Jungfrauen  also 
unternahmen  die  fahrt,     p.  286  aber  lesen  wir: 

Mnlt  par  i  ot  nes  perillies 
Et  mescines  a  dol  noies; 
Alqantes  qui  en  escaperent 
Et  entre  paiens  ariverent, 
Ocises  furent  et  vendues 
Et  en  servage  retenues. 

Elftauscnd  Jungfrauen  fahren  aus  England;  ein  grosser, 
ja  der  gröste  teil  kommt  beim  stürme  um;  diejenigen,  welche 
ans  land  sich  retten,  werden  von  den  wilden  küstenbewohnern 
getötet  oder  in  Sklaverei  geschleppt,  und  trotzdem  sollen  nach- 
her wider  die  elftauseud  nach  Köln  gelangen ,  um  dort  zu 
sterben.  Mit  diesen  widersprächen  aber  noch  nicht  zufrieden, 
berichtet  der  text  des  Wace:  Eine  anzahl  dieser  (getöteten!) 
Jungfrauen  geraten  in  die  gewalt  des  Ivains  und  des  Melga, 
die  die  meisten  umbringen,  da  sie  ihnen  nicht  zu  willen  sein 
wollten.  —  Alle  diese  Ungereimtheiten  beweisen  deutlich,  dass 
die  Verbindung  der  sage  mit  Köln  erst  später  von  einem  sehr 
ungeschickten  abschreiber  eingeschoben  wurde  und  nicht  im 
ursprünglichen  texte  W.s  sich  fand.  Also  auch  hier  folgte 
Lag.  den  wort3u  Waces.  Bemerkt  sei,  dass  weder  Le  Roux 
de  Lincy,  noch  auch  Madden  III,  347.  48  anstoss  an  diesen 
Widersprüchen  nahmen. 

G.  V.  M.  IX,  9  heisst  es  von  Lot:  Lot,  qui  tempore  Aure- 
lii  Ambrosii  sororem  ipsius  duxerat:  ex  qua  Walgauum  et 
Modedrium  genuerat  etc.  W.  erwähnt  II,  69  von  kindern  nur 
Gavains.  Lag;,  dagegen  II,  509  schreibt:  |>a  wes  Walwain 
lute  child,  8wa  wes  pe  oÖer,  Modr?ed,  his  brob'er.  Jedoch 
konnte  Lag.  die  angäbe,  dass  Walwain  und  Modnpd  brüder 
wären,  loicht  aus  dem  zusammenhange  ergänzen,  ohne  G.  v.  M. 
vor  sich  zu  haben. 


QUELLEN  LAYAMONS.  543 

Ausser  den  angeführten  stellen  'finden  wir  bei  La^.  noch 
eine  anzahl  propliezciungen  des  Merlin,  welche  hei  W.  fehlen, 
hingegen  im  7.  buche  Gottfriedt;  stehen.  Z.  b.  La^.  ill,  79  ff., 
vgl.  dazu  G.  V.  M.  VII,  3  und  W.  II,  187,  ferner  La^.  III,  137, 
G.  V.  M.  VII,  4  und  W.  II,  226;  auch  Lag.  III,  290  führt  die 
Merliuische  Weissagung  weiter  aus,  als  Wace  II,  295 ;  vgl.  G. 
V.  M.  VII,  3.  Wir  wissen  nun  aber,  dass  die  Prophezeiungen 
Merlins  als  besonderes  werk  in  England  umliefen;  hat  doch 
Gotfried  wahrscheinlich  selbst  in  seinem  7.  buche  ein  solches 
seiner  chronik  einverleibt.  Lag.  benutzte  ausserdem,  vv'ie  sich 
gleich  zeigen  wird,  auch  noch  andere  keltische  quellen,  also 
auch  hier  verrät  nichts,  dass  L.  die  schrift  G.s  vorlag. 

Aus  der  ganzen  Untersuchung  über  die  dritte  quelle  Laga- 
nions  ergibt  sich  also,  dass  Lag.  wirklich  Wace  seinem  werke 
zu  gründe  legte  und  nicht  G.  v.  M.  daneben  gebrauchte,  denn 
alle  die  scheinbaren  directen  entlehnungen  aus  G.  v.  M.  lassen 
sich  auch  anders  erklären. 

Wace  ist  die  hauptquelle  des  Lagamou  und  auf  das  werk 
des  Wace  beruft  sich  denn  auch  der  englische  dichter  als  auf 
das  buch  schlechthin,  vgl.  z.  b.  I,  158:  al  swa  pe  boc  (hs. 
bac)  teilet.  Allein  Lag.  folgte  nicht  sklavisch  seiner  vorläge, 
oft  fügt  er  aus  seinem  wissen  sagen  und  erzählungen  von  ge- 
schichtlichen Vorgängen  ein,  bisweilen  auch  übt  er  kritik  und 
verbessert  falsche  Ortsangaben  seiner  vorläge,  an  andern  stellen 
allerdings  macht  er  wider  neue  fehler.  Schon  der  ganze  stil 
des  Engländers  ist  sehr  verschieden  von  dem  des  Normannen 
(Lag.  ist  bedeutend  breiter,  als  W.),  aber  auch  sonst  tritt  der 
Engländer  liäufig  in  Lag.  hervor.  Einzelne  eigentüralichkeiten 
Lagamons  seien  nun  noch  betrachtet. 

Zunächst  sind  die  eigennamen  verschieden  behandelt.  Lag. 
nahm  ihm  unbekannte  namen  aus  W.,  wie  dieser  sie  gibt: 
Eneas,  Ascanius,  Remus  and  Romulus,  Cunedagius  weisen  die 
volle  form  auf,  weil  diese  sich  bei  Wace  findet.  Andere  da- 
gegen sind,  wie  bei  W.,  romauisiert:  Latinus  wird  zu  Latin  = 
Latins  bei  Wace,  Lucius  zu  Lucas  etc.  Aehnlich  verhält  es 
sich  mit  den  Ortsnamen:  französische  und  fremde  gibt  Lag.  in 
der  bei  Wace  gel)rüuchlicheu  form:  z.  b.  France,  Flandres, 
Loherenne,  Peitou,  Spanie,  Alemaine,  Neustrie,  auch  Britaine. 
In  Irlande  und  Islande  erhielt  W.  die  germanische  form.    Da- 


544  WUELCKER 

gegen  gebraucht  L.  Englelond,  Englene  loud,  Aenglelond, 
Anglclond,  aber  nie  Englcteric,  Augletcrre,  Engletcre,  wie  bei 
Waee;  stets  IScotland,  nie  Escocc.  Ebenso  finden  sich  die 
nanieu  englischer  orte  bei  Lag.  in  der  germanischen  form, 
nicht  wie  bei  Wace:  SuÖvvalcs  nicht  Surgalois,  Salesburi  nicht 
Salebierc,  Cantuarebuvi  nicht  Cantorbiere,  Cirechestre  nicht 
Silsestre.  Ags.  namen,  die  V/ace,  wenigstens  in  den  uns  vor- 
liegenden hss.  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt,  erscheinen 
bei  L.  wider  in  ursprünglicher  form.  Ein  beispiel  genüge  hier: 
Der  kämpf  zwischen  Ceadwala  und  Eadwine  fand  auf  einem 
felde  statt,  welches  Wace  (II,  280)  Elfcde  nennt.  Dass  der 
zweite  teil  der  Zusammensetzung  *feld'  ist,  springt  in  die 
äugen.  G.  v.  Monm.  XII,  8  spricht  davon  campus,  qui 
Hevenfeld  appellatur.  Es  ist  dies  eine  offenbare  ver- 
wechylung  mit  der  walstatt,  wo  Oswald  ein  kreuz  errichtete 
und  Penda  besiegte.  Brut  Tysylio  gibt  den  namen  gar  nicht  an, 
Lag.  dagegen  schreibt  III,  254:  pG  stude  hebte  Hie dfeld. 
Ebenso  Beda  II,  20:  J?a  wa3s  gebodeu  hefig  gefeoht 
mycel  on  H  je]?  fei  da.  Beda  und  Lag.  haben  hier  den  ags. 
namen,  während  er  bei  Wace  bis  zur  Unkenntlichkeit  ent- 
stellt ist. 

Lag.  gibt  aber  nicht  nur  den  ags.  namen  ihre  wirkliche 
gestalt  wider ;  auch  bei  den  keltischen  sehen  wir  einen  grossen 
unterschied  zwischen  Lag.  und  Wace.  Lag.  wurde  zu  Ernlege 
bei  Badstoue  priester,  er  lebte  also  auf  der  Westseite  des 
Severn.  Geboren  war  er  wol  auch  nicht  weit  davon.  Ob- 
gleich der  name  Lagamon  auf  germanische  abstammung  deutet, 
wohnte  er  in  einer  gegeud,  welche  lange  zeit  keltisch  gewesen 
und  ganz  von  keltischem  lande  umgeben  war.  Sicherlich,  wie 
wir  unten  sehen  werden,  benutzte  er  keltische  sagen,  seine 
Vertrautheit  mit  dem  keltischen  zeigt  sich  ferner  auch  in  den 
namen,  welche  er  in  seinem  gedickte  gebraucht.  G.  v.  M.  la- 
tinisierte die  keltischen  namen,  Wace  französierte  sie.  Lag. 
aber  gibt  die  bekanntesten  in  einer  mit  dem  keltischen  über- 
einstimmenden, oder  wenigstens  nahe  stehenden  form.  Z.  B. 
der  name  der  gemahlin  Arturs  lautet 
bei  G.  V.  M.     Ganhumara  (X,  2.  13,  XI,  1),  Guanhumara  (IX,  9); 

„  Wace        Genievre. 

„   Brut  Tys.  Gwenhwyfar. 


QUELLEN  LAYAMONS.  545 

im  Mabinogi.  Gwenliwyvar. 

„    Contes  Popul.  Gwennivar. 
„    Lag.  text  A.     Wenhauer,  Wen  heuer. 
„      „        „     B.     Gweuayfer. 
Hier  ging  offenbar  Lag.   auf  die   keltische   form    zurück    und 
nahm  nicht  die  von  Wace  gegebene  an. 
Einen  beiden  Arturs  nennt 
G.  V.  M.       Hoelus. 
Wace.  Hoel. 

Brut  Tys.     Howel. 
Mabinogi.      Howel. 
Lag.  A.  u.  B.  Howel. 
Der  verwante  und  Verräter  Arturs  heisst 
bei  G.  V.  M.       Modredus. 
„    Wace.  Mordred. 

„    Brut  Tys.     Medrod. 

„    Lag.  Modred,  Modrted,  Moddred,  Modread. 

Auch   bei   dieser  gelegenheit  also   scbloss  sich  Lag.  nicht   an 
Wace  au. 

Wie  Lag.  sonst  verfuhr,  dafür  diene  zur  vergleichung  die 
stelle,  wo  sich  Artur  zur  entscheidungsschlacht  gegen  Lucius 
rüstet.  Wir  finden  dort  die  verschiedenen  heerführer  aufge- 
zählt. Bei  G.  V.  M.  steht  diese  beschreibung  X,  6;  bei  Wace 
II,  191  ff.;  Lag.  III,  85;  Brut  Tys.  p.  562. 

1.  Auguselus,  rex  Albaniae  G.  —  Aguisel  d'Escosse  W.  —  Angel, 
kinge  of  Öcotlande  (B.  fehlt)  L.  —  Aaron  ap  Cynfarh  T. 

2.  Cador,  dux  Coruubiae  —  Cador  de  Cornuaille  —  Cador,  ]>e  eorl 
of  Cornwaille  (B.  fehlt).  —  Cador,  graf  von  Cornwall. 

3.  Gueiinus  Carnotensis  —  Gerains  de  Cartain  —  Gerin  (B.  Ga- 
ryn),  ]>e  eorl  of  Chtestrc  —  Geraint  Caerwys. 

4.  Boso  de  Richiden  (Oxinefurd) —  Bos  —  Bos,  eorl  of  Oxeuuorde 

—  Bosso  von  Oxford. 

5.  Aschil  rex  Dacorum  —  Echille,  roi  des  Danois  —  Escil,  king 
]fe  Denisce  —  Achle,  könig  von  Dänemark. 

6.  Lot,  rex  Norwegensium  —  Loth,  le  roi  des  Norois  —  Lot,  \>o 
leof  was  }?an  kinge  (Loth  B.)-  —  Llew  ap  Cynfarch ,  künig 
von  Prydyn. 

7.  Uoelus,  dux  Armoricauormu.  —  Hoel  —  Howel  of  Brntaine  — 
Howel  ap  Emyr  von  Bretagne. 

S.    Walguainus,  nepos  regis  —  Gauvains  —  Walwain  (Wawcyn  B.). 

—  Gwalchmai  ap  Gwyar. 


546  WUELCKER 

!).    Cajus  dapifer  —  Eex  jnsticiers  —  Kai ,  stiward  j'as  kiiif^es  — 

Cei,  der  lange, 
id.   Beduerus  pincerna, —  Beduer,  li  boutcilliers  —  Beduer,  ]>o  was 

kiiigcs  birle  —  Bedwyr  ap  Pedrod. 
1  I.    lluldinus,    dux  Rrilenorum  —  Holdin,    quens    de   Flandres  — 

Hüweldin  (Holdeyu  B.),  }'e  eorl  of  Flandres.  —  Holdins,  iurst 

von  llnyten. 

12.  Guitardiis,  dux  Pictavensium —  Guitart,  le  Poitevln —  Guicard 
(III,  7(1  Guitard,  B.  Gwitard).  —  Guitard,  fürst  von  Poictoii. 

13.  Vigenis  de  Legecestria  (Jugein  IX,  12)  —  Jugein  de  Leicestre 
—  Wigein,  eorl  of  Leicestre  —  Owen  von  Caerleou. 

14.  Jonathal  Dorecestrensis  —  Joaathas  de  Dorecestre  —  Jonatan 
(Jouathas  B.),  eorl  of  Dorchestre  —  Gwynwas  von  Cargaint. 

]:>.   Cnrsalem  de  Caicestria  —   Curfalain  de  Cestre  (II,  2()S   Cursa 

de  Cestre)  —  Curselein  (Cursaleyn  B.)  of  Chastre  —  Gwrsalem 

von  Dorchester. 
16.   Urbgennlus  de  Badone  (Urgennius  IX,  12)  —  Urgain  de  Bade, 

li  quens  (II,  208  Urgens,  Urgent).  —  Urgein,  eorl  of  BaTie  (II, 

630.  Urien)  —  Urien  von  Bath. 

Bemerkt  sei  Doch,  dass  Wace  4  vor  3  stellt  imcl  La^. 
macht  es  ebenso.  Auch  Tys.  schliesst  sich  au  uud  stellt  auch 
noch   15  und  16  um. 

Es  ergibt  sich  aus  dieser  Übersicht  die  richtigkeit  der 
obij2:eu  behauptung,  dass  Laj.  bei  den  bekanntesten  namcn 
sich  der  keltischen  form  anschliesst  oder  wenigstens,  von  W. 
abweichend,  sie  dem  keltischen  mehr  anähnelt.  Bei  den  un- 
bekannteren folgt  er  Wace.  Allerdings  sei  hier  auch  bemerkt, 
dass  die  hs.,  welche  Le  Roux  seinem  drucke  zu  gründe  legt, 
die  namen  gerade  oft  mehr  verderljt  hat,  als  andere  hss.  urifl 
dass  sich  Le  Roux  öfters  sicheilich  verlas,')  Allein  bei  7,  8,  9, 
wo  kein  versehen  derart  stattfand,  steht  Lag.  zweifelsohne  dem 
keltischen  näher  als  seine  vorläge. 

Doch  nicht  nur  durch  eiufügung  der  keltischen  namen, 
auch  durch  herbeiziehimg  von  sagen,  die  keltischen  Ursprung 
verraten,  zeifft  sich  Lag.  vertraut  mit  dem  keltischen.  Es 
kann  wol  kaum  ein  zweifei  sein,  dass  Lag.  viele  derselben 
mündlicher  Überlieferung  verdankt.  Erstlich  finden  wir  diese 
erzähluugen  in  keiner  der  früheren  schriftlichen  quellen,  dann 
beruft  Lag.  sich  an  zwei  stellen  geradezu  auf  Volkslieder.    Die 


•)  Madden  wies  an  verschiedenen  stellen   versehen   nach,   z.  b.  III, 
321  zu  p.  167,  wo  Le  Eoux  Lucion  statt  Ludon  druckt  u.  s. 


QUELLEN  LATAMONS.  547 

eine  ist  III,  155:  Cavrie,  auch  Kinrie  genannt,  war  im  kami)fe 
nicht  glücklich,  daher  verspotteten  ihn  seine  eigenen  landsleute: 

tblc  hine  gunnen  haenen, 

folc  hinc  gunne  hatien 

and  hoker  lo?i  sungen 

bi  la?5en  f'an  kingen. 

Die  erwähnung,  dass  im  volke  spottlieder  auf  den  könig  ge- 
sungen worden  seien,  steht  weder  bei  Wace  II,  23G  noch  bei 
G.  V.  M.  XI,  8.  —  Ferner  II,  397 :  Als  Uther  Octa  und  Ebissa 
geschlagen  und  Verulam  erobert  hatte,  da  sangen  die  Soldaten 
(hired  -  men) : 

Her  is  Vder  Pendragun 

icume  to  Verolames  tun 

and  he  hsefued  idubbed  swa 

Octa  and  Ebissa  and  Ossa, 

and  itah  heom  a  londen 

lagen  swiÖe  strenge, 

]:'at  raen  niagen  teilen, 

heore  cun  to  spelle, 

and  jjer  of  wurchen  songes 

inne  Saexlonde. 

Dieses  spottlied  auf  die  Sachsen  konnten  doch  nur  Kelten 
überliefern.  Weder  G.  v.  M.  VIII,  23  noch  Wace  II,  33  ff. 
kennen  dasselbe.  Im  letzteren  falle  muste  also  La^.  keltische 
Volkslieder  haben,  welche  zai  seiner  zeit  noch  gesungen  wurden. 
Aber  auch  die  andern  sagen  und  erzähhmgen  tragen  ein  so 
volkstümliches  gepräge,  dass  kein  grund  vorhanden,  zu  bezwei- 
feln, dass  La^.  sich  auch  an  andern  stellen  auf  mündliche 
Volksüberlieferung  stützte.  Auch  der  umstand,  dass  geiade  die 
geschichte  Arturs  mit  so  vielen  neuen  zügen  bereichert  ist, 
deutet  auf  welsche  ül)erlieferung  hin.  Gleich  die  geburt  dieses 
beiden  ist  sehr  ausgeschmückt  bei  Laj.  G.  v.  M.  geht  merk- 
würdig rasch  über  dieses  ereignis  hinweg.  VIII,  19  sagt  er: 
Concc}»it  (Igerna)  itaque  eadem  uocte  celeberiunim  illum  Ar- 
turum,  qui  postmodum  ut  celebris  esset,  mira  probitate  pro- 
meruit.  Ferner  VIII,  20:  Commanserunt  (Uther  et  Igerna) 
deinde  pariter  non  minimo  amore  ligati:  progcuueruntquc  fdium 
et  filiam;  fuit  autem  filii  nomen  Arturus,  filiae  vero  Annae. 
Dann  hören  wir  nichts  von  Artur  bis  zu  seinem  15.  Jahre 
(IX,  1).  Nicht  mehr  weiss  W.  davon  zu  berichten  (II,  2(j  und 
30),  La^.  dagegen  erzählt,  wie  elfen  den  neugebornen  begabten 


548  WUELCKER 

(II,  384)  und  ihn  fäliii;-  machten,  später  so  grosse  taten  aus- 
zuführen. —  Auch  bei  den  waffen,  welche  Artur  trägt,  setzte 
La^.  (II,  46;i)  aus  volksiiberlieferung  hinzu.  Zunächst  sei  be- 
merkt, dass  La^.  deu  schild  Arturs  Pridwcn  nennt,  G.  v.  M. 
hat  Priwen  (IX,  4),  W.  II,  53  ff.  nur  in  einer  hs.  Pridweu. 
Die  welsche  form  aber  hat  d,  wie  Tys.  zeigt:  Prydwenu.  Der 
Speer  heisst  Kon  bei  Lag.  Ebenso  die  keltischen  quellen  und 
G.  V.  M.  •),  W.  dagegen  Roit,  Roil.  An  anderer  stelle,  beim 
kämpfe  gegen  Frollo,  spricht  Lag.  (II,  576)  von  einer  lanze 
Arturs:  hit  wes  imaked  i  Kairmert^in  bi  a  smift  pe  hebte 
Griffin.  Weder  an  der  entsprechenden  stelle  bei  G.  v.  M.  IX, 
11  noch  Wace  II,  86  steht  etwas  ähnliches. 

Allein  bei  beschreibung  der  w^affen  Arturs  wurden  von 
Lag.  nicht  nur  keltische,  sondern  auch  germanische  sagen 
herbeigezogen.  Der  name  des  helraes  Goswhit  deutet  auf 
deutscheu  Ursprung,  ebenso  dürfen  wir  wol  im  aluisc  smi<1 
Wygar  unsern  deutschen  ^Vieland  suchen."-)  —  Volkssageu 
verraten  sich  auch  bei  der  beschreibung  des  sees  Lumond, 
von  dem  es  heisst  (II,  489) : 

]7at  water  is  unimete  brade; 
nikeres  l?er  badieÖ  inne, 
l^er  is  ajlueue  ploje 
in  atteliche  pole. 

Vgl.  dagegen  W.  II,  60  und  G.  v.  M.  IX,  6.  Aehnlich  be- 
richtet Lag.  über  einen  andern  see  p.  500:  alfene  hine  dulfeu. 
Die  erwähnung  der  elfenköuigin  Argante  gehört  ebenfalls  der 
welschen  volkssage  au  (vgl.  II,  546  und  III,  144).  II,  597  er- 
zählt Lag.,  Carleon  sei  verhext.  Hier  allerdings  behauptet 
Lag.:  summe  bokes  suggeÖ  to  i wisse,  }mt  )>a  burh  wes  bi- 
wueched.     Die   volksüberlieferunff   tritt   dann    wider    bei    der 


')  Bei  den  Kelten  heisst  die  lanze  Rhön  gomyant  oder  Rom-cym- 
myniad  (the  spear  of  command),  vgl.  San -Harte  p.  374.  Daraus,  dass 
GotttV.  V.  Monm.  die  lanze  nur  Ron  (=  kurze  lanze)  nennt,  kommen 
San-Marte  zweifei,  ob  Gottfr.  überhaupt  welsch  verstand.  Allein  warum 
kann  er  nicht  diese  berühmte  wafte  gerade  die  lanze  kurzweg  nennen V 

-)  Wieland  war  noch  in  späterer  zeit  in  England  als  kunstreicher 
Schmied  bekannt,  vgl.  Torrent  of  Portugal,  ed.  by  James  Orchard  Halli- 
well.  London  1842,  p.  19:  My  sword  that  so  wylle  ys  wrowyt  .  .  .  . 
Thorrow  Velond  wroght  yt  wase. 


QUELLEN  LAYAMONS.  549 

darstellung-  von  dem  für  die  sage  wichtigsten  ereignisse  aus 
Arturs  leben,  der  grüudung  der  tafeirunde,  und  ebenfalls  l)ei 
Arturs  tode,  hervor.  G.  v.  M.  übergeht  die  einrichtung  der 
runden  tafel  kurzer  band,  Wace  II,  74  erwähnt  nur,  Artur 
habe  die  Koonde  Table  gegründet,  damit  jeder  der  ritter  gleich, 
keiner  über  dem  andern  süsse  und  ferner,  dass  die  Briten  \ie\ 
über  die  tafeirunde  fabelten.  Die  geschichte,  bei  welcher  ge- 
legeuheit  die  tafelruude  gegründet  wurde,  ferner  die  erzählung 
vom  handwerker  in  Cornwall,  stösst  uns  zuerst  bei  Lag.  auf; 
Lag.  entnahm  sie  offenbar  welschen  Überlieferungen.  Nicht 
minder  bringt  L.  bei  dem  tode  Arturs  einen  neuen  sagenhaften 
zug  herein.  G.  v.  M.  XI,  2,  ebenso  W.  II,  230  fi".  berichten 
nur,  der  totwunde  Artur  hätte  sich  nach  Avallou  bringen 
lassen.  Ebenso  Tys.  —  Lag.  fügt  dagegen  noch  der  rede,  die 
er  den  schwerverwundeten  könig  halten  lässt,  an  (III,  144): 

And  ich  wuUe  uareu  to  Aualun, 

to  uairest  alre  maidene, 

to  Argante,')  J^ere  quene, 

aluen  swiöe  sceone, 

and  heo  scal  mine  wunden 

inakieu  alle  isunde, 

al  lial  me  makien, 

mid  haleweije  drenclien. 

And  seoöe  ich  cumen  walle 

to  mine  kineriche, 

and'Vunien  mid  Brntten 

mid  muchelere  wunue. 

Aefne  |?an  worden 

l'er  com  of  se  wenden, 

l^at  wes  an  sceort  bat  liöen, 

sceouen  mid  vt5en; 

and  twa  ^vlmmen  Iper  inne 

wunderliche  idihte. 

And  heo  nomen  ArÖur  anan 

and  aneouste  hine  uereden 

and  softe  hine  adun  leiden 

and  forÖ  gunnen  heo  liÖen. 

Dies  seien  genug  beispiele  dafür,  dass  Lag.  offenbar 
volkssagen,  und  zwar  welschen  Ursprunges,  einfügte.  Auch 
sonst  treffen  wir  manchen  alten  sagenhaften  zug  bei  Lag.  So 
III,  237,   wo  Galarne   sich   ihrem   bruder   Brian    durch   einen 


*)  Ueber  Argante  vgl.  Grimms  mythologle  p.  384  anm. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutscbeo  spräche.  lU.  3^ 


550  WUELCKER 

ring  zu  erkennen  gibt,  auch  dass  am  ende   des  kampfes  von 

Artur  gegen  Modred   noch   drei   beiden    übrig  geblieben   sind 

(vgl.  III,  143): 

J?a  nas  )?er  na  mare  .... 

buten  ArÖur  \>e  king  ane 

and  of  Ins  enihtes  tweien. 

Einfluss  des  Keltentums  verrät  sich  aber  bei  La^.  auch  in 
anderer  weise.  Häufig  werden  in  seinem  werke  ereignisse  un- 
günstiger für  die  Angelsachsen  und  vorteilhafter  für  die  Kelten 
dargestellt,  als  bei  W.   und  G.  v.  M. 

G.  V.  M.  VI,  14  erzählt  von  dem  tode  Vortimers:  Sed 
bonitati  ejus  invidit  ilico  diabolus:  qui  in  corde  Kowen,  uo- 
vercae  suae,  ingressus  eam  incitavit,  ut  neci  ipsius  immineret : 
quae  aseitis  universis,  dedit  illi  per  quendam  familiärem  suum 
venenum  potare,  quem  innumerabilibus  donariis  corruperat. 
Waee  I,  341:  Roven,  come  male  marastre,  Fist  empuisonner 
son  fillastre,  Vortimer,  que  ele  haoit  Por  Hangist  que  cacie 
avoit.  In  beiden  Schriftstellern  vergiftet  wenigstens  Rowen 
ihren  Stiefsohn  nicht  selbst,  bei  Lag.  dagegen  geschieht  dies 
(II,  200  ff.)  und  wird  damit  der  Charakter  dieser  frau  noch 
verwerflicher.  Auch  gibt  sie  vor,  sie  wolle  christin  werden 
und  hintergeht  daher  Vortimer  auf  doppelte  weise. 

Octas  Unterwerfung  wird  G.  v.  M.  VIII,  8,  W.  I,  378  dar- 
gestellt. Bei  Lag.  II,  277  demütigt  sich  aber  der  Angelsachse 
weit  mehr  vor  den  Briten,  als  bei  W.  und  G.  v.  M. 

Utherpendragons  tod  wird,  nach  G.  v.  M.  VIII,  24,  dadurch 
herbeigeführt,  dass  die  Sachsen  die  quelle,  aus  welcher  der 
könig  trinkt,  vergiften.  Ebenso  berichtet  W.  II,  36  ff.  Lag. 
fügt  noch  hinzu,  die  mörder,  die  sich  als  kranke  und  arme 
leute  ausgaben,  wären  vorher  von  Uther  auf  die  liebevollste 
weise  aufgenommen,  gespeist  und  beherbergt  worden.  Lag.  II, 
400  ff.  Also  auch  hier  werden  die  Sachsen  noch  ungünstiger 
von  Lag.,  als  in  seiner  quelle,  dargestellt. 

G.  V.  M.  IX,  1  und  2  berichtet:  Artur  habe  nach  seiner 
krönung  zu  London  einen  kriegsrat  zusammengerufen  und 
dann  den  kämpf  gegen  die  Sachsen  begonnen.  W.  erzählt 
weiter:  Artur  habe  geschworen,  nie,  so  lange  er  lebe,  mit  den 
Sachsen  friede  zu  schliessen  (II,  40).  Bei  Lag.  wird  dieser 
schwur,  wodurch  also  Artur  sich  als  den  beständigen  gegner 
der  Germanen  zeigt,  noch  weit  feierlicher  geleistet  (II,  414). 


QUELLEN  LAYAMONS.  551 

Die  bisherige  imtersucliung  ergibt  also,  dass  Lag;,  neben 
Wace  auch  noch  keltische  quellen  benutzte  und  dadurch  neue 
stlicke  seiner  dichtung  anfügte.  Auch  sonst,  in  der  art  der 
darstelluug,  zeigt  sich  öfters  einwirkung  des  Keltentums. 

Allein  La^.  war  Germane  und  auch  die  germanische 
heldendichtung  scheint  ihm  wol  bekannt  gewesen  zu  sein.  An 
das  vorzüglichste  erzeugnis  derselben,  das  Beowulflied,  finden 
sich  in  Lag.  anklänge. 

Gleich  am  anfange  des  Brut  steht  die  erzählung  vom 
ringkampfe  des  Coriueus  mit  dem  riesen  Goemagog;  Lag.  hat 
sie  an  der  entsprechenden  stelle  ebenfalls  aufgenommen.  Ist 
mithin  die  geschichte  auch  keine  erfindung  des  englischen 
dichters,  so  ist  doch  die  ausschraückung  derselben  eigentümlich 
und  es  sind,  wie  mir  scheint,  ztige  aus  Beowulf  eingeflochten. 
Vgl.  G.  V.  M.  I,  16  und  W.  1,  52  ff.  Allerdings  muste  ja 
auch  jedem,  welchem  das  Beowulflied  bekannt  war,  unwill- 
kürlich bei  dem  ringkampfe  des  Geomagog  (Goemagog)  mit 
Corineus  der  des  Grendel  mit  Beowulf  einfallen.  Schon  I,  77 
die  bezeichnung  des  riesen:  Geomagog...  J?at  was  pe 
heihste,  godes  AviÖersaka,  J?e  wurse  hine  luuede  ent- 
spricht Beowulf  787  godes  andsaca  (ebenso  1683).  Wie  in 
Beow.  HroÖgar  und  seine  duguÖ  vom  Ungetüme  überfallen 
werden,  so  bei  Lag.  Brutus  and  his  dugeÖe  (Wace:  Brutus 
et  li  Troyen). 

Beim  ringkampfe  sagt  W.  p.  55  unter  anderem: 

Dont  les  veist  on  bien  suer 
Et  des  nes  froncher  et  sofler, 
Faces  noircir,  iels  roellier  etc. 

Letzteres  überträgt  Lag.: 

läßliche  laeches 

hco  leiteden  mid  ejan. 

Ebenso    heisst    es    von    Grendel,    als    er    zum    kämpf   zieht 
(Beow.  727): 

him  of  eagum  stod 

lijo  gelicost  leoht  unfaejer. 

Auch   am   Schlüsse,   als  Geomagog  besiegt  und  getötet   wird, 
wird  von  ihm  gesagt  (I,  81): 

and  |nis  \>(i  lue  je  sca'Öe 
ferde  to  helle, 

36* 


552  WÜELCKER 

Achnlich   wird   Grendel:    liearm-,  ieod-,   |?eod - sceac^a  g-enannt 
und  ebenso  sagt  der  dichter  vom  totwunden  Grendel  (851): 

deaöfaeje  deoj,  siööan  drcama  leas 

in  fen-tVeoSo  feorh  alegde 

hseÖene  sawle,  ]f?er  him  hei  onfeng. 

Docli  noch  an  einer  andern  stelle  scheint  La^.  das  Beo- 
wulfslied  vorgeschwebt  zu  haben:  beim  tode  Arturs.  G.  v.  M. 
XI,  2  berichtet  nur:  Sed  et  inclytus  ille  Arturus  rex  letaliter 
vulneratus  est,  qui  illinc  ad  sananda  vulncra  sua  in  insulam 
Avallonis  advectus,  cognato  suo  Constantino,  filio  Cadoris  ducis 
Cornubiae,  diadema  Britanniae  concessit.  —  Ihm  folgt  W. ,  II, 

230  ff.: 

Artus,  se  l'estore  ne  ment, 
Fu  navres  el  cors  morteleinent; 
En  Avalon  se  fit  porter 
Por  ses  plaies  mediciner  .  .  . 
AI  fil  Cador  de  Costentin ') 
De  Cornuaille,  xin  sien  cosin, 
Livra  son  raine,  si  li  dist 
Qu'il  fiist  rois  tant  qu'il  reveaist. 

Lag.  dagegen  erzählt,  wie  Cadors  söhn  und  Arturs  ver- 
wanter,  Constantin,  auf  dem  schlachtfelde  zu  dem  totwunden 
könige  kommt  und  dieser  ihm  sein  reich  übergibt,  ehe  er  dann 
nach  Avalion  fährt.  Eine  ähnliche  scene  findet  sich  beim  tode 
Beowulfs,  als  dieser  Wiglaf,  des  Weohstan  söhn,  zum  nach- 
folger  ernennt. 

Aus  den  angeführten  stellen  lässt  sich  wol  folgern,  dass 
Lag.  das  Beowulflied  kannte. 

Wo  Lag.  nicht  aus  Wace  oder  aus  keltischer  und  germa- 
nischer Überlieferung  schöpfte,  hat  er  auch  vieles  offenbar  aus 
eigener  erfindung  eingeschoben;  allerdings  sind  dies  meist  nur 
stellen  geringeren  umfanges,  allein  sie  geben  gerade  seiner 
dichtung  ihr  eigentümliches  gepräge.  Bei  vielen  gelegen heiten 
treten  hier  schon  die  acht  englischen  charaktereigentümlich- 
keiten  hervor.  Offenl)ar  hatten  damals  die  leute,  für  welche 
Lag.  schrieb,  eine  Vorliebe  für  reden  (denn  anders  lassen  sich 
die  vielen  eingeschobenen  und  erweiterten  reden  bei  diesem 
dichter  nicht  erklären),   eine  Vorliebe,    welche  jetzt  noch  den 


')  So  liest  die  hs.    Das   Verhältnis  i^t   offenbar  liier  vciürchi  und 
Constantin  ist  der  söhn  Cadors. 


QUELLEN  LAYAMONS.  553 

Engländern  eigentümlich.  Auch  die  jagd,  besonders  die  fuchs- 
jagd,  muss  damals  in  England  sehr  beliebt  gewesen  sein,  wie 
die  beschreibung  II,  451  beweist.  Allein  auch  das  jagen  des 
kranichs  mit  falken  und  huuden  kennt  Lag.  genau,  vgl.  II, 
422.  Weiter  zeigt  sich  bei  ihm  auch  noch  die  grosse  Vorliebe 
für  Sentenzen  und  sprücliwörter,  welche  schon  die  Angelsachsen 
besassen.  Z.  b.  I,  p.  29 :  He  deÖ  him  selua  freoma,  pn  helpeÖ 
bis  freondene;  p.  32:  Nis  nawer  nan  so  wis  mon,  |>at  me  ne 
mai  biswiken;  p.  43:  pe  riebe  haueÖ  muchel  rum  to  raesen 
biforen  |?an  wrecchan;  p.  45:  he  mot  nede  beien,  J^e  mon  |?e 
ibunden  biÖ.  —  Auch  der  den  Engländern  eigene  humor  ver- 
rät sich  schon  bei  Lag.  an  verschiedenen  stellen.  Man  ver- 
gleiche z.  b.  Lag.  Schilderung,  wie  der  riese  sich  sein  mahl 
bereitet,  mit  der  des  Wace  II,  152.  Nimmt  man  noch  dazu, 
dass  sich  Lag.  auch  der  alten  volkstümlichen  reimart,  des  Stab- 
reimes, im  allgemeinen  wenigstens,  bediente,  so  können  wir 
als  sicher  annehmen,  dass  Lagamons  dichtung  seiner  zeit 
recht  beliebt  Avurde,  ein  zeichen  dafür  sind  ja  auch  die  zwei 
hss.  dieses  umfangreichen  Werkes.  Dass  unser  dichter  aber 
nicht  mehr  auf  andere  gleichzeitige  einwirkte,  dass  sein  buch 
verhältnismässig  rasch  vergessen  wurde,  ist  nicht  die  schuld 
Lagamons,  sondern  kam  daher,  weil  er  in  einer  periode  schrieb, 
wo  das  Germanentum  in  England  noch  sehr  zurückgedrängt 
war  und  überhaupt  die  ags.  literatur  darnieder  lag.  Ein 
weiterer  grund  mag  darin  gesucht  werden,  dass  die  Artus- 
sage, die  doch  einen  hauptbestandteil  der  dichtung  Lagamons 
abgab,  bald  eine  ganz  andere  ausbildung  erhielt  und  die  dar- 
stellungsweise Lagamons  veraltet  erscheinen  muste.  Damit 
war  der  stab  über  den  dichter  gebrochen,  denn  die  britische  ge- 
schichte  vor  Artur  erregte  wol  nie  grosses  Interesse  in  England. 
Im  anschlusse  an  die  letzten  bemerkungen  sei  noch  die 
frage  erörtert,  ob  Lagamon  in  der  Artussage  schon  einen 
fortsehritt  gegen  Wace  zeigt.  Bereits  oben  wurde  erwähnt, 
dass  der  dichter  einige  sagen  über  Artur  hinzufügte,  auch 
sonst  zeigen  sich  manche  kleine  Verschiedenheiten  von  Wace, 
die  beweisen,  dass,  als  Lag.  schrieb,  die  Artussage  auch  schon 
in  Westengland  weiter  gebildet  und  verändert  worden  war. 
Gleich  das  lob,  welches  Artur  bei  seiner  tronbesteigung  gezollt 
wird,   ist  in  den  verschiedenen  werken  verschieden.    G.  v.  M, 


554 


WUELCKER 


Erat  autem  Arturus  .  .  .  inauditae  virtutis  atque 
in  quo  tantam  gratiani  innata  bonitas  praestiterat, 


IX,  1  sagt 
liberalitatis 
ut  a  cunctis  populis  amaretur. 

Wace.      V.  9249. 
Lcs  teces  Artus  vous  dirai, 
Noiaut  ue  vous  cu  mentirai: 
Chevalier  l'u  niult  vertuos, 
Mult  proisau8  et  mult  glorios, 
('ontre  orgilleus  tu  orgillos 
Et  contre  humle  dols  et  pitos, 
Fers  et  hardis  et  conquerrans, 
Et  se  besoigols  le  requist, 
S'aider  li  pot,  ne  rescondist. 
Mult  ania  pris,  nnilt  ama  glore, 
Mult  valt  son  fait  raetre  en  raemore ; 
Servir  se  fist  cortoisement 
Et  mult  se  maintaint  noblement. 
Tant  com  il  vesqui  et  raina, 
Tos  autres  princes  sormonta 
De  cortoisie  et  de  proesce 
Et  de  valor  et  de  largece. 


Lagamon.     v.  19930. 
pa.  per  Art5ur  wes  king, 
haircne  nu  seollic  l'ing. 
he  wes  raetecusti 
aelche  quikc  mouue, 
cniht  raid  ]7an  bezste, 
wunder  ane  kene. 
he  wes  l^an  gungeu  for  fader, 
l^an  alden  for  frouer, 
and  wiÖ  j^au  unwise 
wunder  ane  sturnne. 
woh  him  wes  wunder  laÖ 
and  ]?at  rihte  a  leof. 
Aelc  of  his  birlen 
and  of  his  burfjaeinen 
and  his  bercnihtes 
gold  beren  an  honden, 
to  ruggen  and  to  bedde, 
iscrud  mid  gode  webbe. 
Nefde  he  neuere  naenne  coc, 
l7aet  he  nass  kempe  swide  god, 
neuser  nanes  cnihtes  swein, 
]7at  he  nacs  bald  ]>em. 
\>e  king  heold  al  his  hired 
mid  hajgere  blise 
and  mid  swulehe  j^inges 
he  ouercom  alle  kinges, 
mid  raehgere  strengtSe 
and  mid  richedome. 

Bei  La^.  wird  schon  das  hauptgewicht  auf  Arturs  frei- 
gebigkeit  und  auf  seine  gerech tigkeitsliebe  gelegt.  Aehnlich 
finden  wir  in  den  Artusromanen  den  könig  gezeichnet.  Ein 
grosser  teil  der  abenteuer  geschieht  daselbst,  indem  Artur  den 
unterdrückten  zu  hülfe  eilt.  Auch  die  reiche,  prachtvolle  hof- 
haltung,  wie  sie  die  spätem  romane  darstellen,  wird  hier  schon 
augedeutet. 

III,  3  wird  bei  La^.  ebenfalls  die  ritterlichkeit  Arturs 
gepriesen.  Er  trifft  den  riesen  schlafend  an  und  weckt  ihn 
auf,  da  er  ihn  nicht  im  schlafe  töten  will.  Wace  berichtet, 
Artur  hätte  Dinabuc  wachend  gefunden  (11,  152  ff.).  —  III,  88 


QUELLEN  LAYAMONS.  555 

wird  Artur  wider  eine  neue  eigenschaft  gegeben.  Es  wird  be- 
tont, dass  Luces,  sein  gegner,  und  dessen  mannschaft  nicht 
rechte  Christen  seien,  meist  geradezu  beiden.  Artur  steht  daher 
hier  als  Verteidiger  des  Christentums  da.  Er  sagt  von  Luces 
truppen  : 

And  pis  beoc5  }>cai'  forcut5este  man  and  to  Mahune  heo  tuhteö; 

of  alle  qiüke  monnen,  and  Luces  ]:'e  kasisere 

li3e(5ene  leode,  of  godd  seolf  naueö  nane  care, 

godd  heo  seondeÖ  laöe.  j'at  hafueÖ  to  iuer 

Ure  drihten  heo  bilaeuet5  hac5ene  hundes. 

Im  übrigen  hebt  Laj.  hervor,  dass  auch  die  gegner  Arturs 
tüchtige  leute,  während  W.  öfters  verächtlich  von  denselben 
spricht.  Durch  La^amous  verfahren  ge\'\innt  natürlich  auch 
nachher  die  tapferkeit  des  siegers.  Ebenso  wird  III,  111  her- 
vorgehoben, wie  hoch  Artur  die  leiche  des  erschlagenen  Lucius 
ehrte,  um  zu  zeigen,  wie  auch  hier  der  könig  den  anforderuugen 
der  ritterlichkeit  nachkam.  Vgl.  dagegen  Wace  II,  217.  — 
Neben  Artur  spielt  auch  schon  der  spätere  lieblingsheld  der 
Engländer,  Walwain  (Gawein),  eine  grössere  rolle.  Im  kämpfe 
gegen  die  Eömer,  welchen  W.  II,  175  ff.  erzählt.  Lag.  III,  61  fi'., 
stellt  Lag;,  die  heldentaten  Walwains  in  ein  weit  helleres  licht 
und  weiss  mehr  davon,  als  Wace.  Ebenso  im  kämpfe  gegen 
Modred  und  Childrich  tritt  Walwains  tapferkeit  weit  mehr 
hervor,  als  bei  Wace.  Vgl.  Lag.  III,  132  ff.  W.  II,  223;  und 
über  den  tod  dieses  geliebten  beiden  weiss  W.   nur  zu  sagen : 

Ocis  i  fu  Gavains  ses  nies ; 
Artus  ot  de  lui  dolor  grant 
Car  il  n'amoit  nul  home  tant. 

Lag.  dagegen  setzt  noch  bei: 

l^er  wes  Walwain  aslaeje  sseri  wuröe  his  saule. 

and  idon  of  life  daje  pa,  wes  Art5ur  sseri 

|nirh  an  eorle  Sexisne,  and  sorhful  au  beorte  for|>i. 

Es  scheint  also  Lag.  auch  schon  eine  Weiterbildung  der  Wal- 
wainsage  bekannt  gewesen  zu  sein  oder  er  bereicherte  die- 
selbe aus  eigener  erfindung  mit  neuen  zügen,  in  der  festen 
Überzeugung,  bei  seinen  zuhörern  ein  besonderes  Interesse 
gerade  für  diesen  beiden  zu  finden. 

LEIPZIG.  RICHARD  WUELCKER. 


yji  OSTHOFF  -    BERICHTIGUNG. 

Berichtigung-. 

Das  verdienst,  got.  auJisin-s,  auhsin  zuerst  als  schwache 
casiisforuien  erkannt  zu  haben,  g-ebiihrt  nicht  Delbrück,  dem 
ich  oben  s.  59  es  irrtümlich  zugeschrieben  habe.  Bei  Delbrück 
findet  sich  a.  a.  o.  dieser  gedanke  noch  gar  nicht.  Dahin- 
gegen ist  vielmehr  Bopp  es  gewesen,  der  in  seinem  vergleich, 
accentuatioussystem  s.  206  f.  zuerst  die  parallele  zog  zwischen 
den  erhaltenen  schwachformigen  casus  der  -ar-stämme  {bropr-s, 
h7'opr)  und  den  entsprechenden  der  stamme  auf  -an-  und  sich 
wörtlich  folgendermasseu  darüber  ausdrückte:  'Ausser  den 
Stämmen  auf  -a;--  gibt  es  in  der  gotischen  consonantischen 
dedination  nur  stamme  auf  -an-,  und  zwar  sehr  zahlreiche. 
Diese  aber  können  das  dem  endconsonanten  vorhergehende  a 
in  den  genannten  casus  nicht  unterdrücken;  statt  dessen 
schwächen  sie  es  zu  /.'  So  erweisen  sich  denn  nach  Bopps 
richtigem  dafürhalten  der  gen.  auhsin- s  und  der  endungslose 
dativ  auhsin  'als  möglichst  getreue  analoga  von  hropr-s,  bropr, 
während  in  dem  zu  den  starken  casus  gehörenden  accus,  die 
Stämme  auf  -an-  ihr  a  ungeschwächt  und  die  auf  -ar-  dasselbe 
unverdrängt  lassen,  daher  stimmt  in  diesem  casus  auhsan  (skr. 
ukshän-am)  zu  hropar!  Und  weiterhin  sagt  endlich  Bopp: 
'  Es  gehört  dieser  Überrest  der  sanskritischen  Spaltung  in  starke 
und  schwache  casus  zu  den  interessantesten  erscheinungen  des 
gotischen  Sprachorganismus,  worauf  ich  auch  schon  in  meiner 
vergl.  gramm.  (§  134)  aufmerksam  gemacht  habe.' 

Dies  mein  versehen,  dass  ich  dem  einen  forscher  zuschrieb, 
was  ihm  gar  nicht  zukommt,  den  richtigen  urheber  aber  un- 
erwähnt Hess,  wolle  man  mit  ungünstigen  zeitverhältnisseu 
entschuldigen,  welche  mich  während  der  correctur  des  obigen 
aufsatzes  betrafen  und  es  mir  unmöglich  machten,  auf  die 
letzte  durchsieht  der  angeführten  citatstellen  überall  die  nötige 
Sorgfalt  zu  verwenden. 

LEIPZIG,  14.  october  1876.  H.  OSTHOFF. 


Halle,  Druck  von  E.  Karras. 


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Beiträge  zur  Geschichte  der 

1   3003 

deutschen  Sprache  und 

B5 

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Bd. 3 

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