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BEITRÄGE ZUK GESCHICHTE
DER
DEUTSCHE]^ SPEACHE TJOT)
LITERATTJE
HERAUSÜEGEBEN
VON
HEBMANN PAUL ukd WILHELM BRAUNE.
m. BAiro.
HALLE VS. 1876.
LIPPERT'SCHE BUCHHANDLUNG
(MAX NIEMEYER).
■3
I K H A L T.
Seite
Zur frage des ursi)nnigs der germanischen N-declination. (Nebst
einer theorie über die urspriiugliclie Unterscheidung starker und
schwacher casus im indogermanischen.) Von H. Osthoff. . . 1
Eine neue liandschrift von Hartmanns Gregorius von B. Hidber . 90
Zur kritik des Gregorius von H. Paul 133
Untersuchungen zu den beiden literarhistorischen stellen Rudolfs
von Ems von J. Schmidt 140
(Bemerkungen dazu von H. Paul.) 181
Zur Iweinkritik von 11. Paul 184
Zum Erek von H. Paul 192
Nachtrag (zu s. 3S f.) von H. Ost hoff 197
Untersuchungen über die sogenannte Völsunga saga von B. Symons. 199
cap. 1. Character und entstehungsgeschichte der saga s. 200.
cap. 2. Das Verhältnis der saga zu den eddischen liedern
in den controlierbaren partien derselben s. 215.
cap. 3. Die der lücke in R entsprechende partie der saga
s. 253.
cap. 4. Die Vorgeschichte s. 287.
Zur geschichte der Gralsage von Fr. Zarncke 304
Die suffixform -sla-, vornehmlich im germanischen von H. Osthoff 335
Ueber den hymnus Caedmons von R. Wülcker 348
Geistliche stücke aus der Berner Gregoriushandschritt von B. Hid-
ber und H. Paul 358
Zur Nibeluugcnfrage von II. Paul 373
I. Die handschrift A. s. 374.
II. Die assonanzen s. 388.
III. Ausfüllung der Senkung s. 444.
IV. Die Stellung der gruppe Id s. 464.
Das St. Trudperter (Hohenburger) hohe Med von T. Hayner . . 491
Ueber die quellen Lagamous von R. Wülcker 524
Berichtigung von H. ()«thoff 556
M± ^/tH.fA.>
ZUR FRAGE DES URSPRUNGS
DER GERMANISCHEN N-DPXLINATION.
(Nebst einer theorie über die ursprüngliclie Unterscheidung starker und
schwacher casus im indogermanischen.)
Als vor kurzem fast ganz gleichzeitig mit meiner sclivift
'zur gesehichte des .schwachen deutschen adjectivums' (forschun-
geu im gebiete der indogerm. nominal, stammbilduug. II. teil.
Jena 1S76) das buch von H.Zimmer, 'die uominalsuffixe a und ä
in den germanischen sprachen' (quellen und forschungen u. s. w,
von Ten Brink und Scherer XIII. Strassburg u. London 187G)
erschien, da war es selbstverständlich vom höchsten Interesse
für mich, sofort von den resultaten der letzteren abhandlung
notiz zu nehmen. War mir doch hier alsbald die beste gele-
genheit gegeben, namentlich auf grund des so reichhaltigen
von Zimmer gesammelten materials die ergebnisse, zu denen
ich gelangt war, zu prüfen, und Hess sich doch durch die
Zimmersche bearbeitung eines so nahe an den gegenständ
meiner Untersuchung anstreifenden gebietes der germanischen
nominalen Stammbildung für mich geradezu entweder eine
völlige bestätigung meiner ansichten über die w-declination,
oder aber beweismomente zur Widerlegung oder wenigstens
berichtigung derselben erwarten. Wie es mir nun scheint, bin
ich vollauf berechtigt zu hoffen, dass ersteres eingetreten ist.
Wer allerdings rein äusserlich Zimmers darlegung des Ver-
hältnisses der -a- und der -w-declination und seinen versuch,
den historischen Zusammenhang zwischen beiden zu erklären
(s. 170 ff.), mit dem Inhalte meines buches Aergleicht, der wird
freilich einen nicht geringen abstand und eine kluft gewahren,
wie sie grösser kaum zwischen den Standpunkten zweier, die
Beiträge zur geschiclile der deutsclic-n spräche, ill. ^
2 OSTHOFF
dieselbe tatsache zu crkläicn suchen, gedacht werden kauii-
Nur in einem punkte hersclit, so \ iel ich selie, völlige einigkeit
zwischen Zimmer und mir, darin, 'dass den germanischen
sprachen in der periode, in der sie uns entgegentreten, die
fähigkeit uomina agentis mit suffix -a- zu bilden abgehe, oder
doch nur in ihren letzten Zuckungen sich hier und da noch
zeige' und dass für -u- in einer ))estimmten periode der spräche
-an- als das für nomina agentis gebräuchliche suffix sich aus-
gebreitet hnbe. Es ist nun ein entschiedenes vei-dienst Zimmers,
das ich auch als solches sehr gern anerkenne, das verdienst,
eben jene 'letzten zuckungen' des -a-, sich in seiner alten
Stellung als lebendig gefühlte nomina agentis bildendes suffix
zu behaupten, vornehmlich in der spräche der altnordischen
poesie klar nachgewiesen zu haben; vgl. s. 41 ö". 181 f.
lieber alles andere nun abei-, ül)er den hergaug der Ver-
drängung des -«- durch -an- gehen unsere meinungen weit
auseinander. Ich habe es bereits in meiner kurzen besprechung
des Zimmerschen buches im lit. centralbl. 19. febr. 1876, sp. 246
tadelnd hervorgehoben, dass die schwache declination bei
Zimmer ganz über alle massen stiefmütterlich behandelt werde,
indem sie ihm überall als ein später, 'unorganischer' answuchs
und demnach als ein reines nnhängsel der -«-declination er-
scheine. Und den grund dieser verkennung des richtigen fand
ich darin, dass es dem Verfasser nicht gelungen sei, sich von
dem eiutiusse der unhaltbaren hypothese Scherers über den
Ursprung der schwachen deutschen declination loszusagen.
Wenn in den späteren perioden der deutschen spräche die
schwache declination unleugljar einen unselbständigen Charakter
trägt, fast immer nur im gefolge der vocalischen, der -a- und
der -ä-declination erscheint, so braucht, wie mau mir im
princip gewis zugeben wird, dies Vasallenverhältnis nicht von
Ursprung her bestanden zu haben, sondern kann sich recht
wol erst im laufe der zeit in folge der Verkettung von mancher-
lei zusammentreöenden umständen entwickelt haben.
Doch abgesehen davon: hat etwa Zimmer die behauptung
Scherers, dass von dem gen. plur. auf -ünäm die folgeiung
eines -äw- Stammes ausgieng, welche er s. 174 'höchst wahr-
scheinlich' findet, durch irgend welche weitere momente ge-
stützt? Ich behaupte; nein. Durch einen blossen machtspruch
N-DECLINATION. 3
Zimmers aber wird die kühne construction seines lehrers eben
so wenig ZAir gewisheit, wie etwa der ganz älinliche macht-
sprucli des Jüngers, eine andere erklärung des Ursprunges der
nominalthemen auf -U als diejenige Scherers, dass es erstarrte
locative seien, sei 'noch nicht gegeben und wol schwerlich
möglich' und dadurch erhalte auch die erklärung des suffixes
-«- als eines ursprünglichen locativsuffixes eine kräftige stütze
(Zimmer s. 239 f), diese ansichten des meisters irgendwie 'zAir
evidenz erhebt'. Durch niachtsprüche wird überhaupt in der
Wissenschaft nichts entschieden.
Was es mit dem indogermanischen genitivsuffixe -näm auf
sich habe, dass es ein reines phantasiegebilde sei, glaube ich
s. 2 tf. meiner schrift genügend gezeigt zu haben. Die easus-
endung von skr. devanäm, abaktr. daevanam muss, wie ich jetzt
glaube (meine in den forschungen 11 darüber geäusserte an-
sieht modificierend) , unzweifelhaft so angesehen werden, dass
man sie schlichtweg für eine form Übertragung von den w- stam-
men, also von skr. rä'jnäm, täkshnäm, abaktr. acmm u, a. hält.
In der späteren sanskritischen declination herscht unverkennbar
das bestreben, den stamm des nomens, von dem die Inder be-
kanntlich ein deutliches und richtiges bewustsein hatten, nicht
durch Verschmelzung mit vocalisch anlautenden casussuffixen
unkenntlich werden zu lassen.*) Daher denn auch die soge-
nannten 'einschiebungen', welche meiner ansieht nach sammt
und sonders durch statuierung von form Übertragungen erklärt
werden müssen. Auch das y in den femininen gen. und dat.
sing, äcväyns, äcvmjai scheint mir nirgends anders herzukommen
als davon, dass in den formen der -//ä-stämme, nom. sing, -i,
welche bekanntlich so häufig als exponenten der femininbil-
dungen dienten und darum füglich als die feminina xar e^oxr/v
gelten konnten, dass in formen wie gen. sing, devyas, dat.
devyäi, instr. devya von devt 'göttin' die ausgänge -yäs, -yai
und -yä schlechtweg als die endungen dieser casus aufgefasst
und dann auch an den stamm äcvä- ohne weiteres bedenken
angefügt wurden. Ein gen. plur. äcvä?n, wie die tatsächlich
*) Diesen grxindziig in der sansliritischen nouiinaldecliuation er-
kannte gelegentlich scliun Bopp, wie z. b. seine bemerknng ki-it. grauim,
d. sanskritspr.^ § 142 anm. s. 95 zeigt.
1*
I OSTIIOFF
ältere forniation dieses casus ist, vou äcm- oder dcvä, ein gen.
dat. iiistr. sing-, wie äcvas, ücvai, äcvä vom fem. äcvä- nach der
tats ä elllich und anerkannt älteren bildungsweise aller
dieser casus hatten auf die dauer für das indische Sprachgefühl
etwas zu wenig charakteristisches, da z. b. äcvdm mit dem aec.
sing, fem., der gen. sing. fem. äcvds mit dem nom. acc. plur., der
instr. sing, dcvd mit dem nom. sing, desselben Stammes äcva-
/Aisammenfielen. Darum griff man zu formübertragungen und
gewann so die consonantischen 'euphonischen' (wie man sie
früher nannte) einschiebsei. Jedenfalls muss, wer sich l^erech-
tigt hält, -näm für ein casussuffix der 'arischen' grundsprache
zu proelamieren , ein solcher folgerichtig auch -Jos, -jäi, -ja
als gruudsprachliche casussuffixc für den gen. dat. instr. sing.
der weiblichen -ä- stamme gelten lassen.
Was das -öno von ahd. ^gJowo u. s. w. anbetrifft, so begreift
diese harmlose westgermanische formübertragung gewis selber
nicht, wie sie zu der ungeahnten ehre kommt, einerseits in
einen solchen adelsstand erhoben zu werden, dass man in ihr
den erhaltenen typus einer ganz eigenartigen bildungsweise des
indogermanischen gen. plur. sieht, andererseits zu dem urelter-
vater einer fast wie der sand am meere zahllosen nachkommeu-
schaft, der ganzen germanischen «-declination nemlich, gestem-
pelt zu werden. Wir aber unsererseits begreifen nicht, wie
man angesichts der factischen erscheinung, dass das alte
schlichte -Tim bei den femininen -«-stammen in unzweifelhaften
resten auf westgermanischem boden, im angelsächsischen, alt-
friesischen, altsächsischen und selbst im althochdeutschen noch
angetroffen wird (Sievers in diesen beitr. I, 489, Zimmer selbst
'ostgerm. und westgerm.' Strassburger inauguraldissert. 1876,
s. 32 f.), noch immer nicht davon ablassen will, dem -ono von
gehono eine solche hohe altertümlichkeit zu vindicieren. Zimmer
begeht neuerdings sogar (a. a. o.) den fehler zu behaupten: die
ehemalige existenz des -näm auch im ostgermanischen dürfe
man wol direct aus der Weiterbildung der -ä- stamme mit n-,
aus got. tuggon- und seinen genossen, folgern. Das nennt
man doch idem per idem oder circulus vitiosus in der spräche
der logik. Grcrade zm- erklärung der nasalen Stammerweiterung
in got. titggon- u. s. w. hat man die ganze hypothese von dem
genitivsuffixe -nUm im germanischen erst erfunden: wie kann
N-DECLINATION. 5
man nun umgekehrt widerum jenes tuggon- etwas für das an-
gebliche -nUm beweisen lassen?
Mit demselben kunststück übrigens, mit welchem Scherer
und Zimmer die gesammte « - declination aus dem fruchtbaren
urei des gen. plur. der -a- und -«-stamme hervorkriechen
lassen, mache ich mich anheischig, zur not die ganze -ö-decli-
nation aus der -ö7i-declination entstehen zu lassen. Nehmen
wir an, die spräche habe den dat. und acc. plur. got. hanam
und hanans nach der analogie von halgl-m, halgi-ns oder von
sunu-m, sunu-ns aufgefasst, also unbewust hana-m, hana-ns
analysiert, so gelangte sie dadurch zu der 'folgerung eines
-«-Stammes' und so entsprang nach und nach die gesamte -a-
declination im deutschen. Ja ein solcher Ursprung der -a-decli-
nation, wenn man ihn behaupten wollte, würde in der tat noch
bedeutend viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, als die
entsprechende entgegengesetzte herleitung der n - declination aus
der declination der -«-stamme: denn erstens würde man hier
doch wenigstens zw^ei casus haben, von deuen die folgerung
des neuen Stammes ausgehen konnte, und zweitens lauteten
diese zwei casus notorisch vor alters und im ganzen germani-
schen Sprachgebiete wirklich einmal so, wie sie factisch im
gotischen vorliegen, und man brauchte nicht erst den früheren
besitz derselben in solcher form und gestalt einem teile des
germanischen sprachganzen, hier etwa dem westgermanischen,
künstlich zu octroyieren. Im altnordischen wird ja wirklich,
wie wir sehen, der anfang zu einem solchen verfahren g-emacht
wie wir es hier hypothetisch für den Ursprung der -«-declina-
tion im germanischen fingieren: der formale zusamnienfall des
dat. und acc. plur. hönnni, liana mit dögum, üaga bewirkt für
das nomen hani die analogiebilduugen nom. plur. lianar, gen.
plur. hana wie üagar, daga\ also gänzliche «-declination im
plural oder, w^enn man will, die folgerung eines -«- Stammes
für diesen numerus tritt ein bei dem -«;i- stamme lianan-. Aber
wol gemerkt: das altnordische hätte schwerlich so verfahren
können, Avenn es nicht bereits eine zahlreich ent-
wickelte -«-declination besessen hätte, wenn es sich
dieselbe durch den genannten Vorgang erst von
grund auf hätte neu erschaffen müssen.
Für Zinirncr ist nun aber, wie es scheint, jeder masculinc
6 OSTHOFF
-(//i- stamm im germanischen ein ' luiorganisclier ' und auf die
beschriebene weise aus dem paradigma der -a-declination ent-
wickelt, mit ausnähme des einzigen 7(hsan-, dem er doch die
'organische' natur nicht absprechen mag; vergl. s. 177. Als
ursprüngliche neutrale germanische -an -stamme darf man nach
ihm ansehen ebend. s. 17(): ^vatan-, hertan-, axujan-, ausan-\
die beiden ersten waren sicher arisch.'*) Ich würde anneh-
men, dass zwischen vatan- und hertan- durch ein versehen
naman- ausgelassen sei, wenn es nicht zu vermuten stünde,
dass Zimmer dieses absichtlich, es für einen -wm>i -stamm an-
sehend, bei Seite gelassen habe. Wenn demnach Zimmer, wie
es offenbar scheint, mit Fick, wörtcrb. I^ 47 den -a?i- stamm
von hertan- durch abaktr. zarezdan- als indogermanisch erwie-
sen halten sollte, so muss ich gegen diese ansieht entschiedenen
protest einlegen. Ich halte diese identificieruug Ficks aus ver-
schiedenen gründen für verwerflich. Erstens kommt jenes
zendwort nur einmal (als acc. nach Justi) vor in der form
zarezdä-cä, es steht also über den stamm desselben niclit das
geringste fest. Zweitens wird mau doch nicht so leichten
kaufes mit dem z von zarezdä fertig, wie Fick es meint, der
dasselbe für 'eingeschoben' erklärt. Drittens endlich ist wol
zarez-dd- am wahrscheinlichsten als eine der im altbaktrischen
nicht gerade seltenen nominalbildungeu durch Zusammensetzung
eines nomens mit der wurzel da-, skr. dhd- zu erklären, in
*) Man mag über die treffendste bezeichmmg der sprachen iinseres
Stammes denken wie man will. Jedenfalls aber, wenn man so darüber
denkt wie Zimmer, der erklärt s. 5 anm. : ' er bediene sich des ausdrncks
arisch statt indogermaniscli oder indoeuropäisch, ohne jedoch damit
sagen zu wollen, er sei richtiger als jene, kürzer und bequemer sei er
jedenfalls': unstreitig ist dann der gebrauch des termimis 'arisch' für
eine nicht zu billigende laune zu halten. Es klingt ungefähr gerade so,
als wollte jemand anstatt 'germanische sprachen' den ausdruck 'teuto-
nische' in Vorschlag bringen, nicht deshalb etwa, weil dieser richtiger
sei als jener, sondern weil er hübscher laute! Nach einer einheitlichen
terminologie in der benennung unseres sprachstammes muss nachgerade
doch gestrebt werden; und da haben von allen benennungen, objectiv
geurteilt, doch nur entweder 'indogermanisch' oder 'indoeuropäisch
aussieht auf dauer. Wem 'indogermanisch' zu lang ist, der kann ja,
namentlich in einem driickwerke, abkürzungcn gebrauchen: -'indog.' oder
gar 'idg.'
N-DECLINATION. 7
der art wie maz - da u. a. Das erste glied wird wol ein nomen
za7^ed 4ierz' = skr. hrd sein, so dass dem abaktr. zarez-dd
ein wol denkbares sanskr. hrd-dhd gleich stehen würde; der
zusammeustoss von d + d ergibt Ja bekanntlich im altbaktri-
schen die lautgruppe zd. Vergl. Hübschmann, ein zoroastr. lied
s. 78. Mithin steht es um die gleichuug germ. hertan- =
abaktr. zarezdan- in jeder weise 1)edenklich. Ich habe eine
andere Vermutung über die bildung des germanischen neutrums
hertan- odei- kann wenigstens neue momente beibringen, um
eine ansieht Sclierers über dasselbe zu stützen. Scherer zur
gesch. d. deutsch, spr. s. 431 f. glaubt, dass die eintracht neu-
traler -i- und -an- stamme in solchen Wörtern wie skr. äkshi-
und akshän- 'äuge', ästhi- und asthän- 'knochen', säkthi- und
sakthän- ' schenke!' u. a., welche sich zu einer gemischten de-
clination so zusammensetzen, dass die sogenannten schwächsten
casus von den -««-themen gebildet werden (Bopp, krit.
gramm.'' § 170, s. 114), wol bereits der indogermanischen zeit
angehören müsse. Stimmen wir Scherer darin bei, so erklären
sich offenbar sehr hübsch die -«w- stamme germ. augan- und
ausan- gegenüber den /-stammen aljulg. oci neutr. dual., skr.
(ikshi n., abaktr. ashi n. , gr. ooöt neutr. duah aus ■'^<r/cj-t, lit.
ak\-s fem. (anstatt früheren neutrums) '^auge' und gegenüber
abulg. u!<i neutr. dual, (über oci und usi vergl. Leskieu, haudb.
d. altbulg. spr. § 65), lit. aim-s f., lat. auri-s f. 'ohr': das -an-
thema der schwächsten casus ward verallgemeinert nach der
analogie der ächten alten neutralen -««-stamme vatan- und
naman- und so die alten formen vom /-stamme völlig ver-
drängt. Vergl. mit germ. augan- auch den -«?z- stamm armen.
akn. Würde sich dasselbe oder doch etwas ähnliches auch
für das letzte der urgermanischen neiitra auf -an-, für hertan-
zeigen lassen, so wäre damit bewiesen, dass überhaupt in ur-
germanischer zeit die neutrale -/-declinatiou in der -a?i-decli-
nation untergegangen sei. Sclierer wüste, selbst zweifelnd, nur
gr. TcaQÖ'ia und sanskr. lir daija-m als unsichere stützen für
einen -/-stamm indog. kardi- anzuführen. Aber ein solcher
proethnischer -/-stamm , und zwar ein neutraler, hat sicher
existiert, wie sich aus anderen von Scherer noch ül)ersehenen
momenten ergibt. Skr. härdi- Hicrz' aus ^härdi- wie parshni-
aus *pärshni- (Joh. Schmidt z. gesch. d. indog. vocal. It 238)
8 OSTHOFF
war masc, häufiger aber in der älteren spräche und im rgveda
ininier neutrum; vcri;i. Petersb, wörterb., Grassniann wörterb.
z. rg-v. Das primitivum des neutralen deminutivuni abulg.
sndt-ce, ein abulg. *sridt-, muss, wie Miklosich vergleichende
staninil)ildungsl. d. slav. spr. (A'ergl. gramni. d. i>\n\. spr. II,
Wien 1875) einleit. s. XXIII angibt, ebenfalls neutrum ge-
wesen sein, gemäss dem im slavischen wie anderwärts gelten-
den gesetz über das geschleclit der deminutiven Wörter. Be-
treffs des lit. szirch-s bemerkt Fick, wörterb. P 47 mit recht:
'das feminin vertritt älteres neutrum.' Dasselbe gilt von dem
-/-stamme armen, sirt , gen. sing, srti (Hübschmanu, zeitschr.
f. vergl. sprachf. XXIII, 32 f.): jetzt geschlechtlos, muss es
vordem aller Wahrscheinlichkeit nach neutrum gewesen sein.
Mit einem iwAo^. * kardi- ntr,, das auch Fick so ansetzt, einem
urdeutschen *lierti- ntr. kommen wir aber auch für hertan-
voUkommen aus. Man braucht nur anzunehmen: ein solches
urgermanisches neutrum ^herti- hatte sich der raischdeclination
der neutra "^ augi- augan-, *ausi- ausan- angeschlossen und
— mit gefangen, mit gehangen — verlor es in folge dessen
so gut wie diese späterhin seine dem -/-thema entsprossenen
casusformen.
Kehren wir nach dieser abschweifung zu unserem aus-
gangspunkte zurück, so erkennen wir: mit den -««-stammen
wird die Scherer - Zimmersche ansieht doch nicht ganz auf ihre
weise fertig, da sie einen rcst derselben (wenigstens uhsan-
und vatan-) als ursprünglich überkommenes sprachgut stehen
lassen, als 'organisch' anerkennen muss.
Wie nun aber für die eigenartige form und declination
der -««-stamme, so verrät Zimmer auch für eine ursprünglich
irgendwie selbständigere und eigenartige function des -an-
sufiixes wenig oder gar keinen sinn. Das zeigt sich deutlich
an mehreren einzelheiten , welche uns in seinem buche be-
gegnen. So decretiert er s. 52. 294, dass altu. arf-r 'das
erbe' und arfi 'der erbe' und desgleichen sonstiges germani-
sches arbja- n. 'das eibe' und arhjan- ni. 'der erbe' natürlich
dassell)e wort sind: '1) activ der erbende, 2) passiv das ge-
erbte.' Was würden wir wol sagen, wenn jemand die ])ehaup-
tung aufstellen wollte: ^oi.hokaf. 'buch' und hokarja- m. 'der
büchermann, schriftgelehrtcr' seien ganz dasselbe wort V Gar
N-DECLINATION. 9
nicht anders wie dieses hokarja- zu hoka verhalten sich germ.
arbjan-, altn. arfmi- geg-enUber arbja-^ altn. nrfa-: wie dort
das siiffix -arja-, so hat hier das suffix -an- diejenige eigen-
tümliche function, welche ich durchgeheuds mit dem ausdruck
'individualisierende' function bezeichnet habe. Vergl. speciell
über arhja- und arhjan- forschungen II 109. S. 117. 245 bei
Zimmer wird die Verschiedenheit des altn. femininen -^-Stammes
ösk Svunsch' von dem entsprechenden masculinen -a- stamme
ags. vüsc, ahd. nihd. wunsc hervorgehoben und dann liehauptet:
^O'skl ein beiname OÖins kann aber beweisen, dass auch altn.
ein masc. bestand.' Dass auch altn. ein masculiner -a-stamm
*vo)iska- bestanden habe, mag aus anderen gründen wahr-
scheinlich sein; sicher ist es auch noch nicht wiegen der ge-
nauen correspondeuz von altn. ösk mit skr. vänchä, in anbe-
traclit deren doch auch vielmehr das aufgeben des alten femi-
ninen geschlechts im westgermanischen (ags., ahd., mhd.) an-
genommen werden kann. Sicher ist aber jedenfalls das, dass
altn. O'skl, st. *voHskan- schlechterdings nichts für einen ihm
zu gründe liegenden masculinen -«-stamm beweisen kann.
Wie ist es denn mit got. stauan- m. 'richter' gegenüber stana
f. 'gericht'? mit ahd. stiuro m. ' Steuermann' gegenüber stiura f.
'Steuerruder'? wie ferner mit lat. nugrm-, fabulön- gegenüber
den femininen grundwörteru nugae, fahula und zahlreichen
anderen fällen eben derselben art? Sollen wir da etwa auch
annehmen, dass das -«n-thema regelmässig ein masculines
-a-thema voraussetzen heisse? Das wird doch selbst Zimmer
nicht wollen. Vielmehr konnten mit dem -an- als secundär-
suffixe von individualisierender kraft augenscheinlich ebensowol
von femininen und neutralen ])rimitivis als von masculinen ab-
leitungen gemacht werden. Altn. O'ski bezeichnet den OÖin
nicht schlechthin als 'wünsch', sondern als 'person oder Indi-
viduum, das es mit dem wünsche, ösk, zu tun hat', als den
'wünsch gott'. Ebenso sind auch nicht altn. Bragi , stamm
Bragan- 'gott der dichtung' und brag-r m. 'gedieht', stamm
braga-, 'natürlich dasselbe wort', sondern ebenso verschieden
als Wortbildungen wie im lateinischen curiön- 'Vorsteher der
curie' und curia, cenlurion- 'Vorsteher der centurie' und cen-
inrUi und mnnche andere. Ebenso wird mit dem volksnameu
alid. Sahsnn. schw. m. dieser stamm nicht etwa schlechtweg
10 OSTHOFF
mit dem appellativbegriffe 'messer' idcntificiert, vielmehr als
die 'mcsseiinännei' charakterisiert; vcrgl. ^\tn. Järnf;axa schw.
fem. = das 'cisenmesserweib', d. i. die 'riesin mit dem
eisenmesser'. Dass in recht vielen fällen andererseits die
Weiterbildung- durcli den nasal für den -«-stamm gar keine
Veränderung der bedeutung herbeiführt, ein Vorgang rein for-
maler natur ist, wie bei got. svaihran- im vergleich zu ahd.
sfvehur, ist bekannt und soll niclit geleugnet werden. Aber so
viel steht doch fest, dass man, um den Ursprung des -an- und
die ausbreitung der n - declination zu ergründen, nicht von den
fällen ausgehen muss, wo die bedeutung desselben eine so
gänzlich verblasste ist, vielmehr von denen, wo sich das suffix
in lebensvoller function und bedeutung zeigt. Nur so können
die grundlinien der geschichte der schwachen declination mit
Sicherheit gezogen werden.
Zimmers 'gescliichte des primärsuffixes -«-', s. 167 — 205
seines buches, ist aber nicht nur in bezug auf das, was der
Verfasser über das Verhältnis der «-declination zu der «-decli-
nation lehrt, für verfehlt zu halten: auch noch in einem an-
deren punkte, der die «-declination für sich allein betriift,
scheint mir seine Untersuchung so gut wie resultatlos geblieben
zu sein. Ich gebe zu, dass die frage, ob sich etwa bestimmte
gesetze auffinden lassen über die gestaltung des wurzelvocals
bei der stammbildung mit primärem -«-suffixe im deutschen
keine sehr leicht zu beantwortende ist. Aber bei Zimmer ver-
misst man sogar die berücksichtiguug des einzigen, was ihm
irgend wie einen sicheren massstab zur entscheidung dieser
frage hätte bieten können. Griech, g:tQco : (fogog, slaw. teka
: tokü, lit. tekk : täka-s und zahlreiche fälle derselben art in
diesen sprachen 1)eweiseu, dass wenigstens in der europäischen
Sprachengemeinschaft ein gesetz über die formation des wurzel-
vocals bei einer nominalbilduug mit })rimärem -a- bestand;
ein gesetz, das selbst im lateinischen noch seine spuren hinter-
lassen hat, wie die entsprechungen precor : procu-s, rego
: rogu-s (Curtius grundz.^ uo. 153), teyo : toga zeigen. Im
deutschen stimmen solche beispiele wie got. vrika : vrak-s,
ags. vinda : vanä 'maulwurf (Zimmer s. 38 f.) hierzu, während
allerdings hfiufig das geimanische die alte regel ebenso ver-
lassen hat, wie das lateinische miiluci - fero - gegenüber griech.
N-DECLINATION. 11
tpcoo-cpoQo- und in vielen anderen fällen. Bei Zimmer nun
ist in dem abschnitte über die 'gescliichte dos primärsiiffixes
-a- dieses alten gesetzes mit keinem worte gedaclit; nur ein-
mal vorher, s. 143, wird es ganz gelegentlich berührt. Dass
der allmählich immer mächtiger werdende und die spräche
immer tyrannischer beherschende regelmässige, 'pedantische'
Verbalablaut (um einen ausdruck Joh. Schmidts zu gebrauchen)
aucli hier, auch in der nominalen stammbildung der germani-
scheu sprachen manches ursprüngliche zerstören muste, liegt
klar am tage und lässt sich von vornherein kaum anders er-
warten. Dennoch zweifeln wir nicht, dass es mit Zuhilfenahme
jenes soeben angedeuteten gesichtspunktes wenigstens einiger-
masseu und annähernd hätte gelingen müssen, das unursprüng-
liche von dem ursprünglichen zu sondern. Allermindestens
hätte eine solche sonderung an der hand jenes gesetzes zu
versuchen durchaus in dem plane des l)uches gelegen. Da-
gegen wäre vielleicht eine festhaltung au den kategorien: no-
mina agentis mit suffix -a- und uomina actionis mit suffix -«-,
die Zimmer unserer ansieht nach überhaupt viel zu strenge
auseinander zu halten sucht, bei der entscheidung dieser frage
wol erlässlich, wenn nicht gar geboten gewesen.
Es kann nun meine aufgäbe hier nicht sein, was Zimmer
für das suffix -a- unterlassen hat, meinerseits nachzuholen.
Ich werde es vielmehr versuchen, der kategorie der alten mit
dem primärsuffixe -an- gebildeten germanischen nomina agen-
tis, deren patronatschaft ich gewissermassen übernommen habe,
feste regeln ihrer ursprünglichen formation nachzuweisen. Und
zwar wird im einzelnen zu handeln sein: erstens über die
ursprüngliche betonung derselben primären nomina agentis mit
-an-, zweitens im unmittelbaren anschluss daran über die ur-
sprüngliche gestaltung des wurzelvocals bei solchen bildungen,
drittens über die allerälteste declination dieser nomina in der
indogerm an i seilen grundsprache und über die Veränderungen
derselben in den einzelnen spraclien. Dieser dritte punkt wird
die aufstellung und bcgründung einer neuen theorie über die
ursprüngliche untersclicidung sogenannter starker und schwacher
casus im sanskrit und in den indogermanischen sprachen über-
haupt nötig machen. An vierter stelle endlich gedenke ich
über das Verhältnis des femininen -an- im germanischen zu
12 OSTHOFF
dem masculinen -an- eine kurze auseinandersetzung: folgen zu
lassen, welche vornemlich den zweck haben soll, eine notwen-
dige bericlitigung meiner früher über diesen punkt geäusserten
ansichten zu geben. Aus allen unseren erörterungen al)er wird,
so lioffe ich, als völlig uneischütterliches resultat die hohe alter-
tünilichkcit und ursprünglichkeit dieser bildungsweise im ger-
manischen und die ehemalige absolute Selbständigkeit und Un-
abhängigkeit der -M-declination von der -a-declination hervor-
gehen, und demgemäss unsere zw^eifellose berechtigung, in eben
jenen primären nomina agentis mit suffix -an-, wie wir es
getan, den allerältesten bestand der gesammten schwachen
deutschen declination zu sehen und gerade sie zum ausgangs-
punkt für die erklärung der form des sehwachen adjectivums
zu wählen.
Während doch gemeinigKch der moderne Sprachforscher
froh ist, wenn es ihm gelingt, eine zu erklärende bildung bis
in die indogermanische urzeit zurück zu verfolgen, hat über
unserem primärsuffixe -an- im germanischen insofern ein eigen-
tümlicher Unstern gewaltet, als man gerade ])ei diesem jene
sich darl)ietende günstige handhabe verschmähen zu müssen
geglaubt hat. Dieses misgeschick des -an- ist um so ver-
wunderlicher zu nennen, da man doch nicht gewagt hat und
billiger Aveise nicht hat wagen können zu bezweifeln, dass in
germ. uhsan- 'ochse' == skr. ukshän- ein treu erhaltenes erbteil
eines uomen agentis mit suffix -an- aus indogermanischer zeit
offenkundig vorliege. Anstatt nun einzuräumen, dass das ur-
germanische eben solcher bildungen wie uhsan- noch mehrere
besessen haben oder nach dem muster der vorhandenen andere
gebildet haben könne, hat man sich, wie wir gesehen, lieber zu
den gekünsteltsten annahmen verstiegen, um die 'Weiterbildung'
von -a-stämmen durch den nasal zu erklären. Bildungen wie
urd. hudan- 'böte', drupan- 'tropfe' (Fick, wörterb. IIP 155),
hanan- 'bahn', flutan- 'der fliessende', lugan- 'der leugner',
/Juffan-'dev fliegende', got. nutan- 'fänger', urgerm. vHan- 'der
wissende', geban- 'geber', aAö/öw- 'Schuldner', ahd. e^;?ö ' esser',
urgerm. faran- 'der fährt', stapan- 'der schreitet', valdan- 'der
herscht', ahik.truyo 'der träger' u.a.*) verfielen dem unerbittlichen
*) Mehreies von dciu im lolgenden verwerteten material verdanke
N-DECLINATION. 13
Schicksal, als 'unorganische' -m« -stamme abgefertigt und in das
Schlepptau der -«-declination genommen zu werden. Es lässt
sich nun aber aus mehr als einem gründe wahrscheinlich
machen, dass alle solche, wenn auch wol nicht von gleichem
alter wie uhsan-, so doch von gleich ursprünglicher bildungs-
\wise sind wie dieses aus proethniseher zeit überkommene
wort. Zunächst aus gründen der betonung.
Schon Längst hatte sich mir die Vermutung aufgedrängt,
ob nicht etwa die regelmässige ursprüngliche accentuation der
mit dem primären suffixe -an- gebildeten nominalstämme,
nicht bloss der masculina sondern auch der neutra, ursprüng-
lich die gewesen sei, dass der wortton auf der bildungssilbe,
nicht auf der wurzel, geruht habe. Eine durchsieht der von
Grassmann in dem anhange zu seinem rgveda-wörterbuch sp. 1 730
verzeichneten nominalbildungen mit dem suffixe -an- ergab mir
das resultat, dass allerdings von den im rgveda vorkommenden
substantivis mit suffix -an- die erhebliche mehrzahl jener accen-
tuation folge, nemlich etwa zwei drittel von allen; das nähere
wird weiter unten verzeichnet werden. Für die deutschen
primären nomina agentis mit suffix -an- daraus unmittelbare
Schlüsse zu ziehen, wagte ich jedoch nicht.
Nachdem nun ganz neuerdings Karl Veruer in der zeitschr.
f. vergl. sprachf. XXIII 97 flf. den glänzenden nachweis gelie-
fert hat, dass im deutschen die alte mit der sanskritischen
übereinstimmende wortbetonung noch bis über die erste laut-
versehiebung hinaus bestanden hat und dass sich nur unter
dieser Voraussetzung bestimmte Unregelmässigkeiten im conso-
nantismus der germanischen sprachen genügend erklären, ist
mir jene Vermutung über die ursprüngliche regelmässige beto-
nung der alten germanischen nomina agentis mit suffix -an-
zur gewisheit geworden. Verners gesetz stellt es mit evidenz
fest, dass überall da, wo die indogermanischen tenues k, t, p
bereits auf der stufe der ersten lautverschiebung bis zur tönen-
ich gütigen nachweisen des herrn professor E. Sievers in Jena. Der-
selbe war so freundlich, da er ebenfiills nach den altgermanischeu pri-
mären uonüna- ;igentis-bil(1(ingeii mit -an- Umschau gehalten hatte, mir
seine Sammlungen, namentlich aus dem angelsächsischen, zur Verfügung
zu stellen.
14 OSTHOFF
den explosiva (oder richtiger tonenden spirans nach Pauls
tlieoric der hiutverseliielning), bis y , d, h juistatt h . p, /" ver-
scli<)l)en wurden und wo bereits im urgcnnanischen die alte
tonlose spirans .v auf dci- Vorstufe des rhotacismus angelangt,
zu tönendem z erweicht \\'orden war, dass überall da der ur-
s[)rUngliche wortaccent auf einer anderen silbe als der dem
betreffenden consonanti sehen laute unmittelbar vorhergehenden
gestanden haben müsse. Insbesondere wird durch die auf-
deckung dieses gesetzes das ganze rätsei des sogenannten
grammatischen wechseis in der germanischen starken conjuga-
tion überzeugend gelöst. Man weiss jetzt, auf welchem gründe
es beruht, wenn schon 'm\ urgernumischen
sldlia slöh, aber slögum slagans,
leuha tauh, aber tugum tiigans,
Itpa laip, aber lit^imi lit^mis,
kvepu kvap, aber kvübum kvetimis,
Iceusa kauti, aber kuzu?n kuzans,
dreusa draus, abei" druzum druzans,
leusa laus, aber luzimi Inzans
im verbalablaut neben einander standen.
Vollständig auf derselben stufe aber wie der pluralis ])er-
fecti und das participium praet. zeigen den schliessenden wurzel-
eonsouanten die alten primären nomina agentis mit suff. -an-\
mit anderen Worten: diese ncmünalbilduugen machen den gram-
matischen Wechsel mit. Das zeigt sich deutlich an folgenden
beispielen von denselben sieben wurzeln, deren ablautsreihen wir
soeben erwähnten: \\\i\. "" slugan- 'der schlägt, erschlägt' in ags.
slaga 'necator, interfector' (Grein, EttmüUer s. 699), ahd. man-
slago (Graff VI, 775); urd. "^ tugan- 'führer' in altn. her-togi,
ags. here-loga, folc-ioga, alts. heri-logo, folk-logo, ahd. heri-
zogo, maga-zogo, mhd. her -zöge (vergl. Verner a. a. o. s. 100);
urd. *lit)a.n- 'der geht, fährt' in ags. Uda 'nauta', s(e-/fda
sund-lida, yt)-Hda 'see-, sund-, w^ogengänger ' gegenüber dem
infin. ags. lt^an\ urd. *kvet)an- 'qui dicit' in ahd. wär-quelo
'veridicus', w'idar-queto ' widersprecher' (Graff IV, 648) gegen-
über dem infin. ahd. qnedan\ urd. "^ kuzan- 'der Wähler, kürer'
in ags. vitier -cora 'rebellis, apostata (EttmüUer s. 389) und
altn. Jal-keri 'qui homines in pugna caesos eligit, 0?5iu'
N-DECLINATION. 15
(Eg-ilsson lex. poet), d. i. eigentlich -kfiri (Wiramer, altuord.
gramm. § 12) und dieses entstanden aus -*kozi*) gegenüber
dem infin. ags. ceösan, altn. kj6sa\ grundf. * druzan- 'das
tröpfelnde' = altn. ämri 'blut' (Egilsson, Cleasby - Vigfuss.)
gegenüber dem .v in got. (1rinsan\ grundf. *luzan- ' der verliert,
verlustig geht' in ags. hleöv-lora 'tutelae expers' (Grein) gegen-
über dem infin. ags. for - leösan. Auch ahd. rito m. 'das zittern,
fieber' (Graif II, 475 f.), welchem ein starkes verb urd. "^rlfxi
raip ribnm ri^ans nicht zur seite geht, wol aber das schwache
ahd. ridon 'zittern', fügt sich dieser regel.
Es war also nicht richtig, wenn ich forschungen II, 102.
104. 105. dem zweiten und dritten dieser noraina agentis
die urdeutsclie gestalt * ^MÄ«n- und * lipan- gab. Vielmehr ist,
wenn im althochdeutschen neben man-slago auch fater-slalw,
leod-slalio 'bardus' (wörtl. 'liedschläger', Graff VI, 775), neben
lieri-zogo und maga-zogo auch heri-zoho und maga-zoho er-
scheinen, wenn neben ags. Uda im gotischen us - lipa steht (altn.
Vtbi 'gefolgsmann' entscheidet bekanntlich mit seinem fi nichts),
dies offenbar so zu erklären, wie Verner die überall nicht aus-
gebliebenen Störungen des grammatischen wechseis und beson-
ders a. a. 0. s. 108 die tatsache erklärt, dass das gotische in
der coDJugation jene ditfereuzierung des consonantischen wurzel-
auslautes überhaupt gar nicht kennt: 'die häufiger vorkommen-
den präsensformen haben den sieg über die praeteritumsformen
davon g-etragen und ihnen ihren wurzelconsonanten aufge-
drungen'. Ebenso dürfen wir, da ohne zweifei auch die nomi-
nalbildungen mit primärem -an- vermöge ihrer function als
damals noch lebendige nomina agentis immerfort im sprach-
bewustsein enge fühlung mit den entsprechenden verben hielten,
unbedenklich voraussetzen, dass den ahd. fafer - s/aho und /eod-
slaho, heri-zolio und maga-zoho ihr h anstatt g, dem got. us-
lipa sein p anstatt d durch das h und p der verba ahd. slahan,
ztohan, got, leipan späterhin von neuem 'aufgedrungen' wor-
den, nicht ihnen von Ursprung an erhalten ist. Wenigstens
klärt sich so allein, so viel ich sehe, das sach Verhältnis genü-
*) Ueber den /-niulant, den im altnordischen regelmässig das aus s
(z) enistandeue r wirkt, vcn-gl. Verner, zeitschr. f. vergl. spracht. XXIII
113 anm. und die dort ansrefiihrte literatur.
1(5 OSTIIOFF
g-eiul auf; während andererseits, wenn man '■''• luhan-, *///>««-,
'''sldhiüi- als die iivgevniaiiisclien formen ansetzt, kaum einzu-
seiien ist, wie daraus die formen der anderen dialecte altn.
-togi, ags. -toga, alts. -logo und wie daraus ahd. -zogo, mhd.
-zöge selbst, wie ferner üni>'*/ipan- das agii. Uda, aus *a7öä«w-
das ags. slaga und das ahd. slago geworden sein sollten. Für
eine anlehnung an die lautgestalt des präsensstammes des ver-
bums ist es demnach auch zu halten, wenn im althochdeutschen
hetti-riso (Graft" II, 542), mhd. hette-rise 'der aufs bette
niedergesunkene, bettlägerige, kranke', mhd. helle- rise 'der in
die hölle hinabgefallene, der teufel' (mhd. wörterb. II 1, 727)
begegnen, das nomen agentis also in der form risan- anstatt
'^rizan- gebildet erscheint.
Die tatsache selbst also, dass das primäre nomen agentis
mit Suffix -a7i- ursprünglich den grammatischen Wechsel mit-
machte, da wo solcher im verbum statt hatte, dürfte wol nach
dem vorhergehenden als festgestellt zu betrachten sein. Diese
tatsache an sich war mir auch, als ich den abschnitt meiner
forschungen II, 101 — 106 niederschrieb, keineswegs entgangen;
es bot sich mir nur damals noch keine erklärung dar für die
auftauende erscheinung, dass z. b. die nomina ags. suncl-Uda,
yb-Uda im cousouantismus mit dem participium Uden gehen,
anstatt das Ö des präsensstammes und des infinitivs Iit5a7i, so-
wie des perfect. sing. lä<3 zu teilen. Jetzt aber, glaube ich
kann die erklärung die^ er erscheinung gegeben werden. Nach
Verners glänzender beweisführung und auf grund derselben
sind wir vollauf berechtigt zu behaupten: es hiess darum ur-
germ. ^slagan-, '^tugan-, *liban-,* kvet5-an-,* kuzttn,*druzan-,
*luzan-, nicht *slahan-, *'iuhan-, *Upan-, * kvepan-, *kusan-,
*drnsan-, * lusan-, weil in einer vor dem später aufkommen-
den germanischen l)etonungssystem, aber selbst nach der ersten
lautverschiebung fallenden zeitperiode jene uominalstämme der
regel nach auf der suffixsilbe, nicht auf der Wurzelsilbe den
wortaccent hatten.
Dieselbe ursprüngliche accentuation nun aber, die wir an
der band des Vernerschen gesetzes für die vorhergehenden
beispiele unserer nomina agentis erschlossen haben, werden
wir auch bei den anderen uominalbildungeu von ganz dersel-
ben art als die frühere regelmässige in auspruch nehmen dürfen,
N-DECLINATION. 17
auch da nemlich, wo uns der consonantismus der germanischen
sprachen keine so positiven handhaben bieten kann, um das-
selbe alte betonung-sverhältnis zu constatieren. Ueberhaupt
müssen ja dergleichen inductive Verallgemeinerungen in der
Sprachwissenschaft wie in jeder empirischen Wissenschaft immer-
fort erlaubt sein und können so lange giltigkeit beanspruchen,
als sich keine Instanz dagegen erhebt und für die dauer gel-
tend zu machen weiss. In unserem falle also dürfen wir
sagen: auch in wortstämmen wie urgerm. hudan-, drupan-,
flutan-, got. nutan-, urgerm. vitan-, geban-, skolan-, hanan-,
faran-, stapan- war die ursprüngliche wortbetonung die, dass
die Suffix-, nicht die Wurzelsilbe den accent hatte : also buddn-,
driipän- u. s. w. Für germ. uhsän- 'ochse' konnte diese ehe-
malige betonung schon von vornherein durch den accent des
sanskr. ukshdn - als gesichert betrachtet werden. Allein für
die ganze kategorie aller ebenso gebildeten nomina agentis
mit -an- scheint mir aus den angegebeneu gründen eine hohe
Wahrscheinlichkeit vorhanden zu sein, dass ihre wortstämme
in urgermanischer zeit ebenso regelmässig, wenigstens in der
überwiegenden mehrheit der fälle, oxytona waren, wie dies bei
ihren altindischen verwanten im rgveda nachweislich der
fall ist.
Nachdem dies festgestellt ist, können wir nun nach der
regel fragen, welche etwa ursprünglich im deutschen hinsicht-
lich der gestaltung des wurzelvocales bei der bildung eines
primären nomen ag-entis mit -an- gegolten habe. Ich bemerke
zuvörderst, dass es mir forschungen II, 105 f., wo ich über
diesen punkt handelte, eigentlich bloss gelungen ist, bei den
ablautenden (den nicht reduplicierenden) /- und m- wurzeln
das richtige bildungsverhältnis zu erkennen. Dass bereits
Amelung in der zeitschr. f. deutsch, altert. XVIII, 208 f. es
versucht hatte, bestimmte regeln über den wurzelvocal bei
diesen nominalbildungen zu gewinnen, war mir damals leider
entgangen. Ich kann jedoch auch in einem punkte, wie sich
zeigen wird, den resultaten Amelungs nicht beistimmen; im
grossen und ganzen sind sie unzweifelhaft für richtig zu halten.
Gehen wir wider aus von unserem befunde der ursprüng-
lichen betonung der primären mit suff. -an- gebildeten nomina
agentis. Zu dem system des verbalbaues der starken verba
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. III. 2
IS OSrilOFK
gehölt eine iioniinnHorni, von der wir mit Sicherheit wissen,
dass sie nrs]»riinglich die bihlungssilbe, nicht die wurzel, be-
tonte: das partic. praet. mit dem suffix -anä-. Vergl. Verner,
zeitsfhr. f. vergl. sprachf. XXIII, 112. Da bei diesem verbal-
uomeu, dem i)articip, also die betouungsverhältnisse so ganz
dieselben sind wie bei unseren nomina agentis mit -mi- und
eben in folge dieses gleichen betonungsvcrhältnisses, wie wir
gesehen haben, auch schon die teilnähme an dem grammati-
schen Wechsel, wo dieser eintritt, dem uomen agentis auf -mi-
mit dem participium auf -anä- gemeinsam ist; in anbetracht
dieser umstände dürfen wir, glaube ich, a priori wol die regel
aufstellen: unsere nomina agentis musten ursprünglich
durchaus auch in der gestaltung des wurzelvocals
mit den entsprechenden participien praet. gehen. In-
sofern nun das particip mit suft". -anä- ^ganz regelmässig den
schwächsten unter denjenigen vocalen, die in den tempus-
stämmen des stamm verbums zum Vorschein kommen' zu gründe
legt, was ja, wie man weiss, ebenfalls nur eine folge der alten
betonung der endsilbe ist: insofern besteht allerdings Amelungs
hauptregel, dass auch die primären nomina agentis mit -än-
es so machten, ganz in ihrem rechte. Doch wir haben unsere
regel rein theoretisch erschlossen; sehen wir nun zu, in wie
weit sie an der praxis, an den tatsachen der spräche bestäti-
gung findet.
Bei i- und w- wurzeln der ablautsreihen urgerm. t, ai, i,
i und eu, au, u, u ist alles in schönster Ordnung, nemlich so,
wie wir es nach Amelungs und unserer regel erwarten dürfen.
Wir haben in der ?- reihe die schon genannten bildungen: urd.
vitan-, Man-, ahd. hetü-rlso, ahd. rito (das nomen actionis ge-
worden ist). Wir haben ferner ahd. e-cislizo 4egirupio' von
sUzan (Graflf VI, 819); namentlich aber zahlreiches material
im altnordischen, wo die primären -aw- stamme, wie selbst
Zimmer zugeben muss, nominalsuft". a und a, s. 205, ganz
'regelmässig den von Amelung geforderten vocal zeigen'. Als
beispiele dienen: altn. -hiti, 'qui mordet' in höl-^ kvern-, legg-
biti] altn. -dri/i, 'qui spargit' in hring-drifi\ altn. -ribi, 'qui
vehitur, equitat' in den comp]), at-, hall-, hlakk-, eind-, hlör-,
mund - tibi.
In der m- reihe bestätigen unsere regel ausser den bereits
N-DECLINATION. 19
genannten urd. tjudmi-, drupan-, fhigan-, flutan-, tugan-, kuzan-,
luzan-, g-ot. nutan- solche wie urd. bugan- 'bogen' = ahd. hogo
pogo, ags. hogu, altn. hogi\ urd. sprutan- Sspross' = ahd. sprozzo,
ags. sprola, altn. sproti'^ urd. lugan- 'leugner' in ags. loga
'mendax' (EttmüUer s. 177) und compp. «Ö-, treöv-, vter-, vord-
loga, alts. treu-, war- log o\ urd. kluban- 'kloben' = altn.
klofi , ahd. cloho chlobo'^ urd. lukan- ' verschliesser , ver-
schluss' in altn. Loki 'gott des weitendes' und ags. loca 'clau-
sura, claustrum' nebst zahlreichen compositis (Grein); urd.
lugan- 'flamme, lohe' in altn. logi, mhd. lohe schw. m. Das
primäre verbum zu dem zuletzt genannten beispiel muss ur-
germanisch * leuha * lauh * lugum * lugans gelautet haben, vergl.
Fick, wörterb. IIP 274; also in altn. logi herscht wider regel-
recht der grammatische Wechsel, während mhd. lohe mit seinem
h sich an lluhten, lieht anlehnt. Die altnordische poesie bietet
ebenso regelmässig ^vie vorhin bei i- wurzeln so hier bei u-
wurzeln den reinen wurzelvocal dar in solchen - an - bildungen,
welche als zweite compositionsglieder gebraucht werden: altn.
-botii 'qui offert' in el-, eld-, fang-, hold-, hljöm-, hold-, hregg-,
hritS-, hyr-, regn-, vebr-bot^i] altn. -broti 'qui frangit' in aub-,
hang-, eld-, hring-, men-, seim-, vell- broti; altn. -roft 'qui rum-
pit, violat' in eib-, frib-, hit-, oi^ti-rofi.
Mit allen diesen vergleiche man nun diejenigen nomina
agentis mit suff. -«-, welche Zimmer s. 41 — 45 seines buches
als fortlebende reste dieser frühzeitig aussterbenden bildungs-
weise in der altnordischen poesie nachgewiesen hat. Die altn.
«-Stämme -bitr 'qui mordet', -drifr 'qui spargit', -gi-ipr 'qui
rapit', -n'Ör 'qui vehitur, equitat' von e- wurzeln, bjö^r *qui
oifert', brjötr 'qui frangit', hljötr 'potitor, possessor', hrjötSr
'qui vastat, vastator, bellator', kljüfr 'qui findit, dissecat', njötr
'qui utitur, habet, possidet', 7^j6t5r 'qui rubefacit' von ablauten-
den ?^- wurzeln zeigen mit ganz dersel])en regelmässigkeit und
ohne ausnähme gerade so constant den wurzelvocal auf der
ablautsstufe des präsensstammes, d. h. die Steigerungen urgerm.
t und eu, wie die classe der -m^- bildungen den reinen wurzel-
vocal darbietet. Insbesondere confrontiere man mit einander:
altn. -Wir und -biti , altn. hring -drifr und hring -drifi, altn.
at-rt<5r und at-rit)i, altn. eld-hjöt^r, regn-bjotir und eld-bohi,
regn-botsi , altn. auh -brjötr, hring -brjötr, vell- brjötr und auti-
broti, hring -broti, vell -broti, endlich altn. njötr und got. nuta.
20 OSTHOFF
Also ein festes gesetz flir beide kategorien der iiomina agentis
und ein wesentlicher uuterscliicd in der bildungsweise beider
bestand; das lässt sich gar nicht leugnen. Und dass nicht
bloss im altnordischen dieses gesetz herschte, das beweist ge-
legentlich auch eine andere spräche, z. b. das althochdeutsche
mit seinem nider-rls 'diabolus', eigentlich 'der hernieder-
gefallene' bei Notker (Graff II 541; eben durch das vorkom-
men des Wortes bei Notker ist die quantität gesichert) gegen-
über hetü-riso.
Zimmer nun aber kann sieb nicht enthalten, über die
Amelungsche regel betreffs der bildungsweise der -«w- stamme
in die ungläubige ekstase auszubrechen: 'Ein wunderbares
Verhältnis! Während die nomina agentis auf a, deren nach-
kommen [??] und Vertreter die auf an sind, nach regel 1 ge-
steigerten vocal haben, findet bei ihnen das gegenteil statt.
Fast sollte man glauben, es sei das, was das suffix an äusserm
umfang gewonnen, dem vocale der wurzel abgezogen worden.'
Alsdann versucht es Zimmer s. 203 f. die regel Amelungs durch
solche gegenbeispiele zu entkräften, bei denen ein nomen
agentis mit -an- ebenso wie die auf -a- von der gesteigerten
Wurzel gebildet werde. Solche sind ihm unter anderen die
ahd. llho = ags. Ufa, ahd. /ora-lido, leito, scribo, rido 'tremor',
reito 'auriga', ags. viga, visa, ahd. hiogo, diozo , ags. hreöba,
beäda. Was beweisen denn aber diese? Heben sie wirklich
jene regel über die - «« - bildungen auf? Nicht im entferntesten.
Eben hier werden wir teils die 'unorganischen' -an -stamme,
die alten -«-bildungen, welche in die schwache declination
übergetreten sind, haben; teils sind offenbar eine anzahl der-
selben beispiele gar nicht primäre bildungen, sondern seeun-
däre und mit 'individualisierendem' suffixe -an- aus zu gründe
liegenden substantivischen primitivis abgeleitete nomina. So
ist ganz unzweifelhaft das ags. vlga auf das nomen vig 'kämpf
als bildung mit individualisierendem secundäreu suffixe -an-
zurückzuführen ; vergl. forschungen II, 110. Ganz ebenso sind
doch ahd. lello 'führer' und reito 'wagenlenker' unverkennbar
nur an die substantiva leita 'führung' und reita 'wagen' anzu-
knüpfen. Auf diese weise aber erklären sich alle von Zimmer
als gegenbeispiele gegen Amehmg ins feld geführten nominal-
bildungen. Selbst auch Substantivierungen alter adjectivischer
N-DECLINATION. 21
-a- Stämme mittels -an- mögen darunter sein wie beispiels-
weise vielleicht ags. heäda 'suasor, Imperator, der gebieter'
(Ettmiüler s. 300) nur die Substantivierung eines adjectivs ags.
* beäd ' gebietend ' (fast = altn. iyöör) sein kann, wie wol sicher
ags. m« 'dux' nichts anderes ist als die Substantivierung des
adject. ms ^prudens, peritus' (Sievers, Jenaer literaturztg. 1. april
1876, s. 216). Als Substantivierung mittels secundären Suffixes
-an- vermag z. b. got. liutan- 'heuchler' von liuta- adj. 'heuch-
lerisch' gar nicht mit dem anspruche aufzutreten, mit nutan-
'fänger' in der frage, welches bei der primären nomina-agen-
tis - bildung durch -an- die ursprüngliche gestaltung des wurzel-
vocals sein muste, rivalisieren zu wollen. Zimmer hat sich
offenbar gegen Amelung seine sache sehr leicht gemacht. Und
wenn derselbe s. 204 bekennt: 'Das eine ist zuzugeben: durch
die germanischen sprachen geht die neigung, die neuen an-
themen mit dem schwächsten vocal, der in den tempusstämmen
zum Vorschein kommt, zu bilden', so müssen wir doch dagegen
bemerken, dass es eine sonderbare sprachentwickelung consta-
tieren heisst, wenn man annehmen will, es seien aus den alten
nomina agentis mit -a- auf 'unorganischem' wege zu irgend
einer zeit die -aw- stamme hervorgesprossen, diese 'unorgani-
schen' producte aber hätten es dann später 'in einer bestimm-
ten periode' der germanischen spräche zu solcher Selbständig-
keit ihres wesens gebracht, dass sie ganz eigene wege betreffs
der wähl des wurzelvocals einschlagen konnten und dann ge-
rade eine solche stufe des verbalablautes wählten, welche
wahrlich dem lebendig gefühlten nomen agentis nicht sehr nahe
lag. Wie leicht aber, wenn das Verhältnis so war wie wir es
uns denken, die Vermischung der alten und ursprünglichen
'organischen' primären nomina agentis mit -an- mit den aus
«-Stämmen, sei es durch individualisierendes (substantivieren-
des) -an- oder durch einfachen übertritt in die schwache
declination, hervorgehenden jungen -««-bildungen geschehen
konnte, mag ein einziges beispiel aus dem altnordischen zeigen.
Altn. brjötr mit -an- substantiviert ergab hrjöti und erscheint
so Snorr. Edda I, 282, I, 658, 2, an letzterer stelle vell-hrjöli
'fractor auri': da nun auch hroti, vell-broli, das alte normale
'organische' nomen agentis mit -<iu-, ganz dieselbe bedcutung
liat wie jene Substantivierung, so war die confusion da und
22 OSTHOFF
konnte Veränderungen in der bildung der nomina agentis mit
-an- aus verbalwurzeln herbeiführen. Auf dieselbe weise er-
klärt sich die Vermischung von altn. r/;-/);7 M)lut' (s. oben s. 15)
mit dreyri, d. i. dem sei es substantivierten sei es schlichtweg
in die n - declination hinübergefiihrten a - stamme urgerm.
'^ drttusa- == ags. äreor , alts. dror, mhd. tror (Fick, wörterb.
1113 155). Beispiele solcher jüngeren bildungen wie ahd.
scribo 'Schreiber', in-sl%hho Invasor', blint-sUhho 'caeculus',
ags. ofer-llfa 'superstes' (Ettmüller s. 185), ahd. diozo, ags.
heäda, ahd. giozo 'rivulus, fretum', ags. geöta, ä-geota
fusor, effusor' können darum gar nicht verwundern, selbst
dann nicht, wenn man nicht geneigt sein sollte, hierin Sub-
stantivierungen zu gründe liegender adjectivischer -a- stamme
oder einfache Übertritte solcher in die schwache declination zu
sehen, und vielmehr unmittelbar aus dem verbum gebildete
nomina agentis darin erkennen will.
Amelungs regel oder unsere fassung derselben, das primäre
nomen agentis habe ursprünglich in der vocalisation der wurzel
mit dem particip. praet. zu stimmen, ist ferner in voller rich-
tigkeit in allen den fällen, wo das participium praet. des star-
ken verbums dieselbe ablautsstufe wie der praesensstamm
zeigt, mit anderen Worten: wo der im präsensstamme her-
schende wurzelvocal keiner Schwächung in der conjugation
unterliegen oder, falls der vocal des präsensstammes selbst
eine Schwächung ist, keiner weiteren oder anderen Schwächung
unterliegen darf. Specialisiert sind dies die folgenden fälle der
primären verbalbildung : 1) die ablautsreihe urgerm. got. a, ö,
ö, a {fara for) , 2) alle im gotischen noch reduplicierendes
perfectum bildenden verba, 3) die ablautsreihe urgerm. e, a, ä,
e, got. i, a, e, i (got. giha gaf gehum gihans).
Beispiele der nomina agentis mit primärem -an- sind für
den fall 1): urd. '•^- faran- kler gehende, fahrende', ViX^.* sakayi-
'der streitende', urd. '-^-stapan- 'der schreitende, wandelnde', urd.
* skapan- 'Schädiger, feind', urd. *banan- 'töter, m Order', urd.
*slagan- 'interfector'; die belege für diese als urgermanisch
aufgestellten wortstämme siehe forschungen II, 102. 104, für
'■''slagan- oben s. 14. Ferner gehören hierher: got. ufar-svara
'der meineidige, falsch scliwörende ', ags. män-svara, -svora
'perjurus' (Grein), ahd. (rago 'träger' in swerl-trago, goU-trago,
N-DECLINATION. 23
ia-trago 'legifer', pogo- trage 'arcitenens', ahd. spann 'suadus'
(Graff VI, 341), ahd. angar-gnago "deterior equus', wörtl. 'den
anger benagend' (Graff II, 1014).
Beispiele für den fall 2), für die bildung des primären
nomen agentis mit -an- bei ursprünglich und im gotischen
noch redu])licierenden verben sind: urd. '*uaMan- 'der wal-
tende, Walter, herscher' (forschungen II, 104), ahd. c-halto
'pontifex', hurg-halto 'Mars Quirinus' (Graff lY, 907), got.
faura- gagga ' Vorgänger, Vorsteher', ahd. urchnäo 'cognitor',
horn-hläso 'hornbläser', säio 'sator', hloufo ' Cursor', iroiim-
sceido 'interpres somnii', Ä^em-mmo * Steinmetz', Rgs. sculd - häta
'exactor, lictor, tribunus' (Grein) = ahd. scult-heizo 'executor',
obgleich letzteres an sich auch wol eine -^aji - bildung sein
könnte, wie got. dulga-haitjan-.
Ehe wir dazu übergehen, für den fall 3) beispiele aufzu-
zählen, müssen wir an das unmittelbar vorhergehende einige
bemerkungen anknüpfen, nemlich folgende.
Die bildung des primären nomens mit -«w-, speeiell die
gestaltung des wurzelvocals bei der bildung eines solchen no-
men agentis hat in diesen fällen an und für sich nichts auf-
fallendes. Wenn Zimmer s. 204. ahd. suohho 'sucher', in den
compp. gelt-suocho 'exactor', sculd-suohho 'exactor, funerator,
creditor', werah-suacho 'exactor' (Graff VI, 86 f.) vorliegend,
als die regel Amelungs vernichtend anführt und dies ahd.
suohho in unmittelbaren Zusammenhang mit got. sakan sok
'streiten' bringen will, so ist das falsch; denn ahd. suohho ist
secundäre bildung mit individualisierendem -an- von suahha
'die suche, suchung' in hüs-suacha, mhd. suoche. Auch ahd.
uoho 'colonus', Christ -uobo 'Christicola' bei Notker (Graff I,
71) kann nichts gegen Amelungs regel beweisen: uobo als pri-
märes nomen agentis gefasst gehört doch wol zu dem
schwachen verbum uoh{j)an oder ist bildung mit secundärem,
individualisierendem -an- aus einem nomen, entweder ahd. uoha
f. oder mhd. wo/; m. 'das üben, treiben, landbau' (mhd. wörterb. III,
191). Ein starkes y&vhvim* aban,*noh, an das Zimmer wahrschein-
lich gedacht hat, ist und bleibt doch immer nur ein grammatisches
präparat. Zimmers drittes und letztes beispiel endlich, ahd. huozo
in scuoh-bnozo 'schuhbesserer, Schuhmacher' (Graff III, 228)
ist widerum ganz nichtig, da es ebenfalls wider entweder als
24 OSTHOFF
secundäre bilduug mit individualisierendem -an- zu dem nomen
ahd. huoza 'besserung, Verbesserung' gehört, wie ganz ebenso
auch das mit -arja- aus der gleichen quelle abgeleitete und
synonyme scuoh-buozari, oder aber />?<y>?o geradezu i\X\ buoz{J)o
steht und nomen agentis zu dem schwachen verbum huoz{j)an
ist. Vergl. forschungen II, 114.
Also die regel steht fest, trotz der auch hier versuchten
einreden Zimmers. Doch galt es für uns weniger dies hier zu
erhärten, als vielmehr auf folgenden umstand hinzuweisen.
Bei solchen starken verbis, bei denen der im präseusstamnie
erscheinende vocal der reine ungeschwächte wurzelvocal ist
und nirgends, auf keiner ablautsstufe in der conjugatiou
Schwächung erfahren kann, muss natürlich auch das nomen
agentis mit suffix -«- die im präsensstamme herschende voca-
lisation der wurzel zu gründe legen. Es kann somit hier kein
unterschied in der ablautsstufe zwischen dem primären nomen
agentis auf -an- und demjenigen auf -a- stattfinden. Wenn
wir somit neben einander haben urgerm. valda- und urgerm.
valdan- 'der waltende', altu. sowol -valdr als auch -valdl in
zahlreichen compositis als deren zweites glied (vergl. Zimmer
s. 42. 205), wenn ferner ebenso altn. fasi-haldr und ahd. e-
halto, hurg-halto, mit ganz gleicher bedeutung des schluss-
gliedes neben einander stehen: was haben wir alsdann von
dem Verhältnis des -riM-stammes zu dem -a-stamme zu halten?
Muss jener die 'unorganische' erweiterung von diesem sein?
Ich glaube, nicht. Vielmehr hindert in solchen fällen nichts,
sowol die -a?i-bildung als auch die -«-bildung für gleich ur-
sprünglich oder für gleich 'organisch' zu halten. Aber offen-
bar leuchtet so viel auch hier sofort ein, dass auch diese er-
scheinung wider ihrerseits eine Veranlassung zur Vermischung
beider ])ilduugsweisen werden konnte und ein anstoss für die
spräche, nomina agentis mit - an- späterhin ebenso und in der-
selben weise zu bilden wie solche auf -a-, kurzum, eine an-
zahl 'unorganischer' -«w- stamme ins dasein zu rufen. Zu-
sammeufall der bedeutung zweier bildungskategorieu, wenn zu-
fällig auch noch an irgend einem punkte formaler zusammen-
fall stattfindet, pflegt sehr häufig in der Sprachgeschichte ver-
hängnisvoll für die eine der beiden kategorien, öfter sogar für
beide zugleich zu werden. In unserem falle waren zumeist
N-DECLINATION. 25
die -««-bildungen der leidende teil oder diejenige bilduugs-
kategorie, welche zu gimsten der anderen ihre alten bahnen
verliess und bei gegebener gelegenheit in das geleise der
functionsgleicben nachbarin allmälig hinübertrat.
Für die bildung des primären nomen agentis mit -an- bei
der ablautsreihe got. /, a, e, i, für den von uns als 3) bezeich-
neten fall, seien als beispiele genannt: urd. "* geban- 'geber
(belege siehe forschungen II, 104), urd. *rekan- 'rechen, harke'
vertreten durch ahd. rccho rehho, mhd. reche, altn. reka f., als
der 'ansammelnde, häufende' von got. rika rak (vergl. Fick,
wörterb. \\\^ 249, wo lat. //^ön- ansprechend verglichen wird).
Ferner nenne ich: ahd. ezzo 'esser' und compos. man-ezo
(Graff I, 528), leso 'lector', ana-seho 'anseher', ana-sezzo
'assessor' (vergl. lat. as-sedön-), ahd. wär-queto, widar-queto
(oben s. 14); endlich altn. -reki 'qui pellit, persequitur, qui
obit' von reka = got. vrikan in den corapp. el-, eijrend-, fisk-,
hjarti-, kmd-, lest-, naut-, sauti-, snar-reki (Egilsson, Cleasby-
Vigfuss.). Wenn man also nicht darauf ausgeht, in Zimmers
weise durch solche oftenbar secuudäre Wortbildungen mit
-an- wie ahd. eban-säzo, himil-säzo (von dem Substantiv mhd.
sdze f. 'sitz' abgeleitet, vergl. mhd. Wörterbuch II, 2, 339) die
regel Amelungs über die primären nomina agentis erschüt-
tern zu wollen*), und wenn man überhaupt ursprüngliches
*) Wie wenig überhaupt Zimmer der doch über andere forscher so
leicht den stab zu brechen geneigt ist, wie wenig er selbst es überhaupt
versteht, von dem priucipiellen unterschiede piimärer und secundärer
Wortstammbildung sich überall die nötigen klaren Vorstellungen zu
machen, dafür könnte ich zahlreiche belege aus seinem buche anführen.
Ich will aber nur auf ein eclatantes zeugnis für diese meine behanptung
hier aufmerksam machen. S. 23 seines buclies wählt Zimmer, um den
an sich richtigen satz zu beweisen, dass ein und dasselbe suffix zur bil-
dung secundärer sowol wie auch primärer nomina verwendet werde,
ein sehr unglückliches beispiel, das suffix indog. -tu-, got. -du- und -pu-.
In got. (laupu-, kustu-, so heisst es, sei -pu- {-tu-) primär, in mannis-
kodu-, gabaurjopu- dagegen secundäres stammbilduugsmitfel. Wie will
Zimmer das o in diesen beiden letzteren Wörtern erklären, wenn er sie
als secuudäre bildungen mittels -du-, -pu- aus den themen manniska-,
gahaurja- herleitet? Mit diesen gotischen bildungen auf -odu-, -oftti-
verhält es sich accurat ebenso wie mit den etymologisch genau entspre-
chenden lateinischen auf -ätu-. Unter den letzteren , den lateinischen
26 OSTHOFF
von uniirFiprüng;liclicm und späterem nachwuchs zu trennen
weiss: so wird man sich auch hier widerum nur mit Amehing
einverstanden erklären können. In einem punkte Jedoch, zu
dem wir nun übergehen, ist Amelung, wie wir glauben, nicht
zu dem richtigen resultate gekommen.
Ueberall da, wo die ablautsreihe urgerm. e, a, ä, e in den
einzelnen sprachen ungestört fortbesteht, da ist das Verhältnis
des primären nomen agentis mit -an- zu dem verbalablaut
völlig klar: jenes hat die schwächste stufe des wurzelvocals,
die im präsensstamme herschende, die aber, wie ich ausdrück-
lich hinzufüge, zugleich diejenige des partic. praet. ist. Da
aber, wo Störungen dieser selben ablautsreihe eingetreten sind,
z. b. im althochdeutschen hei den verben sprehhan und brehhan
mit ihren participien sprohhan und hrohhan, da zeigt auch so-
fort das nomen agentis Schwankungen im wurzelvocal. Wir
haben zwar ags. spreca 'Sprecher' (Grein) und ahd. sprehho
'locutor' (Graff VI, 389 f.), wir haben auch ahd. hüs-prehho,
aber neben letzterem zugleich scef-procho 'naufragus' (Graff
auf -ätu-, haben solche wie cousulätu-s, tribunätu-s, magistratu-s, patro-
nätu-s ein gleichstämmiges verbiim der -ä-conjugation 'wenigstens
ideell zur Voraussetzung', wie es Pott etymol. forschungen 11'-^ 1015 sehr
richtig ausgedrückt hat; vergl. auch Corssen, krit. beitr, s. 339. So
werden wir auch für got. manniskodu- s , gabaurjopu-s zunächst abge-
leitete verba *manniskon, * gabaurjon 'wenigstens ideell' construieren
müssen, und so tut es Leo Meyer got. spr. s. U3. 623 für gabaurjopa-s.
Aber construieren wir solche verba, dann sind offenbar jene nominal-
stämme -xvii -o-du-, -o-fni- keine secundären mit suffix -rf?<-, -^m- mehr
Man kann aber auch, in abweichung von Pott, bei lat. consulätii-s, tribu-
nätti-s u. s. w., bei got. manniskodu-s, gabaurjofni-s von den ideell vor-
auszusetzenden verben * consula -re , * tribunä - re , got. * mannisko - n,
* gabaurjo-n ganz abstrahieren und sagen, es habe sich im lateinischen
das -ätu- von solchen bildungen wie judicätu-s , comitätu-s (vergl. Leo
Meyer, vergleich, gramm. II, 377 f.), im gotischen das -odu- von solchen
wie auhjodu-s, vratod^i-s aus als selbständiges suffix im sprachbewust-
sein constituiert und sei dann auch als solches schlechthin an nominale
wortstämme wie lat. consul-, tribuno-, magistro-, patrono-, got. manniska-,
gabaurja- angefügt worden. Auf keinen fall also sind die got. 7nannis-
kodu-, gabaurjopu- mit Zimmer für secundäre wortstammbildungen mit
dem Suffixe - du-, -pu- zu halten , sondern entweder für primäre mittels
-du-, -pH- von den verbis * mannisko-n, * gabaurjo-n oder für secundäre
mittels -odu-, -opu- von den nominalstämmen manniska-, gabaurja-.
N-DECLINATION. 27
in, 268. 270). Und dasselbe schwanken liegt dann auch vor
bei den beiden letzten uns noch übrig bleibenden ablautsreihen
urgerm. e, a, ä, o (got. i, a, e, u: nima numans) und urgerm. c,
a, 0, 0 (got. /, a, u, u: drigka drugkans) und zeigt sich hier
über mehrere sprachen verteilt. Ich gebe erst die belege füi*
die zu diesen verbalclassen gehörigen nomina agentis.
Urd. horan- Präger, bringer' in ags. hora 'qui fert, rex',
miind-hora , rccd-hora, vceg-hora, horn-hora, sveord-bora, vcepen-
hora u.a., alts. mund-boro, Sihd. eli-po7'o 'alienigena' mit passi-
vischem sinne des -poro, ahd. munt-poro , arunt-poro (vergl.
forschungen II, l'>4); aber auch heran- in altn. hjälm-heri
'helmträger', Öl-beri 'bierträger' und ahd. horno-bero 'horn-
träger, hornisse', öde -her o ' glückbringer , der storch, adebar'
(Girraff' III, 155. 157). — Urd.womaw- 'nehmer' in ags. yrfe-numa
(Ettnüiller s. 29) und ahd. arpi-nomo erpi-nomo 'erbe', sigo-
nomo; aber neman- in ahd. mcv/^o 'susceptor', aba-nemo 'abneh-
mer'; meta-nemo 'mercenarius', not -nemo 'raptor', sige-nemo
' Sieger', wara-nemo 'wahrnehmer' (Graft' II, 1073 f.). — Dazu
kommen noch aus dem angelsächsischen: ge-hola 'celator,
tutor' (Grein) von helan, ge-borga in leöd-geborga 'tutor
populi' (Grein) \on beorgcm; aus dem gotischen : ga-taura 'riss'
von ga-tairan.
Ausser in diesen fällen nun aber, ausser boran-, nomau-, ags.
-hola, -borga, got.-taura, entscheidet sich das primäre nomen
agentis mit -an- bei weitem häufiger und regelmässiger für die
vocalstufe des präsensstammes in den beiden hier in rede stehen-
den ablautsreihen, so dass wir antreifen: got. vilva 'räuber',
ags. helle-hinca 'höllenhinker, teufel' (Grein) vom starken verb.
ahd. hinchan hanch, ags. vinna 'bellator', inber-vinna 'hostis,
rebellator' (Ettmüller s. 125), ahd. widar-winno dann., ags.hver/^a
hveorfa, ahd. iverbo 'der wirbel' (Ettmüller s. 513, Graft" IV,
1237), ags. steorfa 'lues, pestis' (Ettmüller s. 731) = ahd.
sterbo, lilm-sterbo (Graft" VI, 715), alts. man-slerho, ferner ahd.
bremo premo 'bremse' von breman bram 'fremere, rugire'
(Graft" III, 303 f.), scero 'talpa' (Graff VI, 534), swero 'dolor'
(Graft' VI, 888), ahd. irincho 'potator', sUndo slinto 'vorax, ganeo',
uber-springo 'transsiliens', /indo 'rcpertor', klingo 'torrens'
(Graff IV, 563 f.), swelgo swelco 'giuto', felaho 'conditor' (zu
ahd. felahan = got. /rlhan), got-scelto 'blasphemus' (Graft' VI,
28 OSTHOFF
488), swello Humor' (Graff VI, 874), helfo, ga-helfo 'helfer'
(Giaflf TV, 921 f.) und manche andere. — Was endlich den
Wechsel zwischen ahd. -qucmo und -como, ags. cyma ciina (d. i.
'^cema) und ama anbetrifft (forschungen II, 102), so ist dies
beispiel augenscheinlich hier aus dem spiele zu lassen, da be-
kanntlich })ei dem verbum kommen der vocal o (ii) sich in
allen altg-ermanischen sprachen, ausgenommen im gotischen,
frühzeitig auch im präsensstamme zeigt, anstatt des alten c
nemlich und zufolge der vorwärts wirkenden assimilation des
ehemaligen anlauts kv-.
Was ist nun von dem schwanken der spräche zwischen
horan- und heran-, noman- und neman- als nomina agentis,
zwischen aM. scef-procho und hüs - prehho zu halten? Welcher
der beiden formationen, der mit o oder der mit e, erteilen wir
den preis der höheren altertiimlichkeit? Amelung ist, wie ge-
gesagt, über diese frage nicht ins reine gekommen, woran un-
verkennbar der umstand schuld war, dass er überhaupt das
Verhältnis der vocale e und o als Schwächungsstufen in «-wur-
zeln nicht richtig beurteilte. 'Dass das deutsche o :u als ab-
laut dem ii völlig gleichwertig ist', ergibt sich aus diesen no-
minalbildungeu doch nicht, wie es Amelung will. Und wenn
Amelung weiter sagt: 'wie dort [im verbalablaut] immer das
0 gegen das c im fortschreiten ist {hrohhan, troff an, sprohhan
u. s. w.), so werden wol auch hier [bei den nomina agentis
mit -««-] in ältester zeit bildungen mit c ursprünglich häufiger
gewesen sein', so ist dieser annähme zunächst das chronolo-
gische Verhältnis unserer beispiele nicht günstig. Ahd. scef-
procho und hüs -prehho sind beide gleich alt und gleich früh-
zeitig belegt: in den Keron. gloss. der St. Galler und der
Pariser handschrift (gl. K., Fa., 8. jahrh.). Ahd. -nomo und
nemo sammt ihren compositis treten uns widerum gleich früh-
zeitig in der literatur entgegen, wie die belegsteilen bei Graff"
erweisen. Aber während -nomo bemerkenswerter weise nicht
über die ältesten deukmäler, die gl. K., Pa., Ra., hinabgeht,
erscheint nemo späterhin desto häufiger : Notkers Schriften z. b.
kennen, nach Graft' zu schliessen, nur nemo und bieten dieses
ziemlich häufig dar. Auch lebt mhd. wol ein erbe-neme fort,
nicht aber ein erhe-nome\, vergl. mhd. wörterb. II, 1, 370. Auch
von den ahd. compositis mit -hero lässt sich keineswegs sagen,
N-DECLINATION. 29
dass sie älteren datums seien als die mit -poro , welche letz-
teren widerum den ältesten quellen, den Keronischen glossen
vornehmlich und den gloss. Junii (8. — 9. jahrh.) angehören.
Dies alles scheint doch nicht dafür zu sprechen, dass in diesen
nominalbildungeu 'das o gegen das e im fortschreiten begriffen
ist', vollends bei nemo und nomo ist vielmehr doch ganz unver-
kennbar die form mit o vor der anderen mit e auf dem rück-
zuge begriffen.
Dass in der tat dem o in diesem falle die priorität ge-
bührt, werden wir gar nicht bezweifeln, wenn wir folgendes
erwägen. Angenommen es hiess früher heran-, neman-, ahd.
preliho und erst später seien daneben, ganz wie es Amelung
meint, auch die formen hör an-, noman-, ahd. procho aufge-
kommen : so ist alsdaun gar nicht einzusehen, wie die spräche
dazu gekommen sei, durch solche neuschöpfuugen wie die letz-
teren die frühere concordanz des nomen agentis mit der form
des präsensstammes preiszugeben. Dass ein nomen agentis,
wenn es im wurzelvocal von Ursprung an mit dem vocal des
präsensstammes übereinstimmte, jemals veranlassung nehmen
sollte, von dieser Übereinstimmung ohne zwingende gründe ab-
zugehen, wäre ein so unerhörter hergang, dass mir kein ein-
ziges beispiel dafür aus irgend einer unserer sprachen bekannt
ist. Dass aber umgekehrt das mit der gestalt des präsens-
stammes ursprünglich nicht übereinkommende nomen agentis,
wenn ihm nur die möglichkeit dazu geboten wird, jederzeit
bereit sein wird, den anschluss an die lautgestalt des präsens-
stammes zu gewinnen, speciell sich dessen wurzelvocal anzu-
eignen: dieser sprachliche hergang ist, dünkt mich, aus nahe
liegenden gründen, eben weil das nomen ag-entis nomen agentis
'st, so überaus natürlich, dass wir dafür beispiele anzutreffen
füglich nur erwarten können. Also müssen wol horan-, noman-
ahd. procho für die Überreste der älteren formationsweise ge-
halten werden. Eine möglichkeit aber, anstatt ihrer die zum
präsensstamme stimmenden späteren heran-, neman-, ahd. prehho
zu erlangen, war für die spräche allerdings gegeben; nemlich
durch die analogie der zu der ablautsreihe urgerm. e, a, ä, e
gehörigen primären nomina agentis \mi-an-. Da die urd. ^efe«n-,
ahd. ezzo, leso, -seho, -queto, -sezzo, altn. -{v)reki (oben s. 25)
von jeher im wurzelvocal mit dem präsensstamme harmonierten
•M\ OS'l'HOFF
uud auf ganz natüilichein wcge zu dieser harmonie gekommen
waren, nemlich weil ja in der ablautsreihe ihrer stammverba
auch zwischen dem präsensstamme und dem partic. praet. keine
difterenz des wurzelvocals stattfand: so wurden nun diese ^efe««-,
ahd. ezzo u. s. w. die Veranlassung, dass nach ihrer analogie
auch die nomina agentis got. vilva, ags. helle-hhica, ags. hverfa
hveorfa = ahd. rverho, ahd. hremo, srvelgo, trincho u. s. w. (s. 27 f.)
mit anlehnung an den präsensstamm sich bildeten, dass bildungen
wie ags. ge-hola, ge-borga, got. ga-taura hinfort nicht mehr vorge-
nommen wurden, dass den archaistisch werdenden urd. horan-
und noman-, ahd. proclio die jüngeren heran-, tieman-'*) und
prehho sich an die seite drängten. Dass dieses rechenexempel
aber richtig ist, beweist schlagend die gegenprobe, die wir
darauf mit einem sehr lehrreichen beispiele machen können.
Bei dem zu dem praeterito - praesens got. skal, plur. skulum
gehörigen nomen agentis urd. ^Ao/aw- 'Schuldner' war ein prae-
sensstamm, der mit seiner lautgestalt, seinem wurzelvocale e
hätte ansprach machen können, nicht vorhanden oder richtiger
nicht im gebrauche. Daher hielt sich denn auch das o (got. u)
in jenem nomen agentis, uud keine der altdeutschen sprachen
hat anstalten gemacht, dasselbe zu verdrängen: got. skula, ags.
ge-scola, alts. skolo, ahd. scolo, mhd. ge-schol schw. m., gelt-
schol, selp-schol (mhd. wörterb. 112, 182 f.).
Die bisherige Untersuchung ergibt uns somit, wenn uns
nicht alles täuscht, das sichere resultat, dass unsere a priori
geschöpfte Vermutung nach allen selten hin bestätigung findet,
dass wirklich die mit dem alten primären suffixe -an- gebil-
deten nomina agentis hinsichtlich der gestaltung des wurzel-
vocales ursprünglich durchaus mit dem durch suffix -ana- ge-
*) Ich habe diese und andere formen der kürze halber in ihrer ur-
germanischen gestalt augesetzt und sie öfter urdeutsch genannt, ohne
damit sagen zu wollen, dass sie wirklich der gemeingermanischen zeit
entstammen. Im gegenteil ist es nach dem oben entwickelten nunmehr
durchaus wahrscheinlich, dass nur hör an- und noman- als die urgerma-
nischen formen dieser nomina agentis zu gelten haben, und dass das
altnordische mit seinen compositis auf- heri und das althochd. mit seinen
horno-pero, öde- her o selbständig und beide unabhängig von einander
zu der form heran- gelangten, sowie auch dass ahd. nemo eine specifisch
althochdeutsche neuschöpfung zu dem gemeingerman. alten noman- sei.
N - DECLINATION. 3 1
bildeten particip. pract. ihrer stamniveiba giengen. Insofeiii
als mau nun anzuerkennen hat, dass der ablautsvocal o (got. u)
in ö- wurzeln eine stärkere schwäehungsstufe als das e (got. i)
in denselben «-wurzeln sei*), insofern kann man die gefundene
regel allerdings auch ganz in der fassung stehen lassen, in
welcher sie Amelung aufgestellt hat: 'die aus stark conjugie-
renden verben abgeleiteten männlichen nomina agentis auf -an-
zeigen ganz regelmässig den schwächsten unter denjenigen
vocalen, die in den tempusstämmen des verbums zum vor-
sehein kommen.' Der grund aber für dies zusammengehen des
uomen agentis mit dem partic. praet auch in diesem punkte,
im punkte der wurzelvocalisation, ist, wie ich hier widerhole,
kein anderer als die bei beiden ursprünglich herschende gleich-
artige betonung der suffixsilbe, hier -anä-, dort -ein-.
Wir wenden uns nun zu dem dritten punkte, dessen er-
örterung wir uns vorgenommen hatten (oben s. 11), zur ermit-
telung der ursprünglichsten declination der primären -«n-bil-
dungen in der indogermanischen grundsprache und zur fest-
stellung der im leben der einzelnen sprachen, speciell des ger-
manischen, allmälich vorgegangenen Veränderungen und Umge-
staltungen der alten - «/i - declination.
Da auch im ältesten sanskrit, wie wir schon andeuteten
(oben s. 13. 17), die häufigere betonung der mit primärem suffixe
-an- gebildeten nomina die war, dass der accent nicht auf der
Wurzelsilbe zu ruhen pflegte, so müssen war ein paradigma
wählen, bei welchem auch diese betonung tatsächlich im sans-
krit herscht (also keins der Wörter, welche eine ausnähme von
der gefundenen accentregel machen), am besten das paradigma
indog. uksim- 'ochse'. Betreffs der auszuwählenden casusformeu
aber dürfen wir uns auf die in den meisten sprachen überein-
stimmend in ihrer eigenen form erhaltenen casus nom., gen.,
loc. (dat.), acc. sing, und plur. beschränken, um so mehr, da
sich an eben diesen alles zu zeigende zur genüge zeigen lässt.
Den sanskritacceut aber nehmen wir unbedenklich als den
*) Vergl. über diese frage die neuerdings vorgetragenen beachtena-
werten auseinanderaetzungen und neuen gesichtspunkte von K. Yerner
in seinem artikel 'zur ablautsfrage \ zeitschr. f. vergl. sprachf. XXUl,
131 ff.
32 OSTIIOFF
indog:ernianiachen in unsere paradiymcnformen mit auf; denn
dass er wirklich im ganzen und grossen auch der proetlinische
accent war, das dürfte wol eine tatsache sein, an welcher nach
den neuesten einsehneidenden Untersuchungen Karl Verners
keine zweifei mehr gestattet sind.
Im indogermanischen declinierte der nominalstamm uksän-
in nachstehender weise:
sing. nom. uks'Ä'n{-s) plur. nom. uks(m-as
gen. uksm-äs gen. uksan-ajn
loc. uksan-l dat. uksa-hhjänu
acc. uksfm-am. acc. uksan-ds (europ. nksA7i-as)\
und die auf dieselbe w'eise mit suff. -au- gebildeten ueutra,
z. b. indog. vaddn- 'wasser' stimmten in den mit dem mascu-
linum gemeinsamen casusformeu — auf die übrigen kommt es
liier nicht an — ganz mit der decliuation von uksän- übereiu ;
also :
sing. gen. vadan-ds plur. gen. vadan-am
loc. vadan-i dat. vada-hhjdms.
Welche entwickelungen an den formen dieses paradigmas
in grauer vorzeit gleichsam im keime schlummerten, das habe
ich am einfachsten sogleich durch den druck kennzeichnen zu
müssen geglaubt. Das kleine « bezeichnet den suffixvocal,
welcher
1) zwar sich rein erhalten kann, als «; aber auch zufolge
seiner Stellung in der tieftouigsten, de*' iler accentsilbe unmittel-
bar vorhergehenden wortsiibe,
2) in eine Schwächung ausweicht; endlich
3) ganz ausfallen kann.
Das fett gedruckte «a dagegen bezeichnet denselben suffix-
vocal in denjenigen lagen, wo er
1) zwar unverändert, als reines kurzes «, bleibt,
2) aber auch teils durch den eintiuss des darauf ruhen-
den wortaccentes , teils durch die Wirkung des nasalklauges
des nachfolgenden w (Job. Schmidt, z. gesch. d. indog. vocal.
I, 39 f.) dehnung zu ä erfährt.
Der kürze halber werde ich diese fünf verschiedenen
stufen, welche das a des suffixes -an- in der deelination durch-
laufen kann , im folgenden durch die typen « ^, « -, « ^^ a ^, a -
N-DECLINATION. 33
darstellen. Die stufen « ' und ji " sind quantitativ nicht ver-
schieden: selbstverständlich, da sie die ausgangspunkte des
ursprünglich einheitlichen a nach beiden selten der eutwicke-
lung, einerseits bis zur Schwächung («-) und zum schwund (a^),
andererseits bis zur dehnung (a-j hin, bezeichnen.
Sehen wir nach diesen einleitenden und orientierenden
theoretischen bemerkuugen nun zu, Avas die praxis dazu sagt,
in welcher weise die verschiedenen entwickelungsstufen an
unseren -«w- stammen in den einzelnen sprachen sich dar-
stellen.
Das spätere, classische sanskrit mit seinem zum vollen
System ausgebildeten 'kanon' der sogenannten starken und
schwachen casus (wie ihn Delbrück passend genannt hat) zeigt
uns von allen hier möglichen entwickelungen in der regel die
extreme, d. h. die stufen a-* und a-. Daher die casusformen:
gen. sing, akshn-ds, ucln-ä.s, loc. ukshn-l, udn-'i, gen. plur.
%ikslin-äm, udn-am, aber acc. sing, ukshän-am, nom. plur.
uksliän-m. Aber dass dies alles erst allmälich und im laufe
der zeit so consequent geworden, nicht von allem anfange au
so fest ausgeprägt war, das beweisen die vielen Schwankungen
namentlich der älteren, der vedischen spräche; Schwankungen
nemlich vor allen dingen zwischen dem a und dessen dehnung
in den starken casus, also zwischen den stufen a* und a-^.
Vergl. zum beweise dessen den vedischen acc. sing, ukshän-am
mit dem späteren ukshan-am, den nom. plur. ved. ukshdn-as
mit dem clsiss.- ssiuskr. ukshan-as (Benfey, vollständ. sanskrit-
gramm. s. 331, III, i). Der stamm püshän- hat immerfort im
sanskrit sein kurzes a in den starken casus, also die stufe a*,
bewahrt (Bopp, krit. gramm. d. sanskritaspr.^ § 193); jedoch
belegt das Petersb. wörterb. einmal auch den acc. sing, püshän-
um. Alles dies und noch anderes der art hier nicht genanntes
beweist, dass der Wechsel zwischen a^ und a- im sanskrit be-
sonders in der älteren spräche, aber nicht nur in dieser, immer-
fort ein facultativer von hau.--e aus war und teilweise auch
verblieb, was ja auch hinlänglich bekannt ist.
Andererseits gewinnen wir durch die metrik der vedischen
lieder auch sichere aufschlüsse darüber, dass in den schwächsten
casus der -an -stamme das in der schrift erloschene a des suf-
iixes noch häufiger als silbe bildend gelten muss. So gibt
Beiträge zur geschieht^ der deutschen spräche. 111. 3
:m osthoff
GrassiLianu , wörterb. z. rgv. sp. ;l(>17, 725. 1158 un, dass die
ini<tr. 8ing. /?/«/««-«', nä'mn-d, rajn-d an den stellen rgv. IV 2, 1.
X6, 7. X77, 8. X97, 22 dreisilbii;', als mahan-ä , na man- ä,
räjan-d zu lesen seien. Hier treffen wir somit den suffixvocal
noch anf einer Vorstufe vor seinem völligen späteren Schwunde
an: mahn-ä ist = mahan-a. Ol) diese Vorstufe aber unsere
stufe « 1, das noch rein gesprochene a , oder bereits die Schwä-
chung' « - in der indischen ausspräche gewesen sei, lässt sich
natürlich nicht entscheiden. — Ueber die Wurzelbetonung in
nämn-ä, räjn-d handeln wir liernach.
Der nom. sing, masc, da er bekanntlich durch frühzeitig
eintretende ersatzdehnung zu langem a gelangte, bedarf wegen
dieser exceptionellen Stellung keiner weiteren besonderen be-
merk ung, wol aber bedürfen einer solchen drei andere casus,
der loc. sing., acc. plur. und dat. plur.
Wenn im loc. sing, neben einander galten sowol skr.
ukshn-i als auch ukshdn-i (vergl. Max Müller, sanskrit grammar
for beginn.2 § 191, s. *87. § 201, s. 91), so ist wol daraus zu
schliessen, dass dieser casus im sanskrit wenigstens noch
keine ganz feste Stellung in dem System der starken und
schwachen casus gewonnen hatte. Das locativsuffix -/ erfor-
derte noch nicht durchweg die oxytonierung, wenngleich diese
doch schon überwiegend herschte. In dem falle nkshän-i aber
muss der locativ offenbar zu den starken casus gerechnet wer-
den und der suffixvocal befindet sich alsdann auf unserer stufe
a i, von der er sich wol deshalb nicht herunter, nicht auf stufe
a- nemlich, wagen mochte, um sich von der nebenliegenden
und allmälich im sprachgebrauche das übergewicht erlangenden
schwesterform ukshn-l nicht noch weiter zu entfernen. Es ist
aber dabei nicht ausser acht zu lassen, dass eben diese loca-
tive auf -än-i statt -n-l, wie udän-l und andere, dem veda-
dialect geläufig, eben auch im veda selbst die eigentümlichen
als locative gebrauchten formen auf -an, also dem reinen
stamme gleiche formen, z. b. udän rgv. I, 104. 3, ferner
mürdlidn, drslum und andere, neben sich haben. Vielleicht
waren es auch nur diese letzteren formen, welche eine aus-
weichung des alten regelrecht zu erwartenden iidn-i in udän-i
bewiikten, so nemlich dass sich an die locativform udän noch
das -i von udn-i anfügte. Wie es aber auch immer um die
N-DECLINATION. H5
erklärung dieser specifisch sanskritischen eigentiimlichkeit stehen
mag — sie ist dieselbe wie im locativ der -tor- stamme, skr.
pitär-i gegenüber gr. jihtq-i , got. fadr{-i) (Bopp, vergl. accen-
tuationssvst. s. 24) — : dass sie eine solche besonderheit der
sanskritsprache ist und dass für die übrigen sprachen (vergl.
selbst das abaktr. ac)t-l loc. von acan-) eine dem ukshn-i udn-i
entsprechende locativform als die älteste vorausgesetzt werden
muss, wird nicht wol zu bezweifeln sein.
Etwas anders scheint mir die sache mit dem acc. plur.
masc, (fem.) zu liegen. Die sanskritgrammatik stellt bekannt-
lich die regel auf, dieser casus sei bei den geschlechtigen Sub-
stantiven, bei masc. und fem., in ansehung der betonung als
starker, in formaler beziehung als schwacher casus zu be-
trachten. Vergl. Bopp, krit. gramm. ^ § 175, s. 119. Da
die in den verschiedenen casus variierende wortbetonung,
meiner Überzeugung nach und wie aus der ganzen folgen-
den darstellung hervorgehen wird, das eigentliche agens
gewesen ist, welches den ganzen unterschied starker und
schwacher Stammformen ursprünglich hervorgerufen hat, so ist
es an und für sich ein unding zu nennen, dass ein casus
seiner accentuation nach zu den starken, seiner themaform
nach zu den schwachen zu zählen sei. Auch gibt es genug
nomiua im sanskrit, welche einen offenbaren einklang der bei-
den in betracht kommenden momente im acc. plur., d. i. schwache
Stammform bei gleichzeitiger oxytonierung des casussuffixes
zeigen, und welche alle man nun als ausnahmen von der
obigen regel aufführen muss. Solche acc. plur. sind die skr.
ap-äs 'gewässer', dat-äs 'zahne', div-äs 'himmel', pad-äs 'füsse',
putns-äs 'männer', path-äs 'wege', math-äs 'rührstäbe' im ver-
gleich zu den starkformigen und nicht oxytonierten nom. plur.
ap-as, *däni-as, dijav-as, pad-as, pümäms-as, pänthan-as,
mänthän-as. Zu ihnen gehören ferner die acc. plur. aller so
wie tuddnt- tudat- flectierenden und accentuierenden participia
praes.: acc. plur. tudal-äs, aber nom. plur. tudänt-as, acc. plur.
hrhal-äs, mahat-äs , aber nom. plur. brhänt-as, mahänt-as (stufe
a^); ferner solche wie yqü. prafic-äs , anüc-äs (rgv. III, 30. 0)
neben den nominativen jtratyänc-as , anväiic-as. Im accent
stimmen auch noch als oxytoua, ohne eine geschwächte oder
andere themagestalt als der nom. plur. zu gründe legen zu
3*
36 OSTHOFF
können, die acc. plur. >c(l. (hir- äs 'thürcn', nic-f/s 'näelite',
mds-üs 'niondc, nionate', rdij-äs \u'iiter, reiehtünier', hrd-ds von
lird- 11. 'herz' im schlussgliede eines geschleclitigen compositums,
z. b. su-hrd-as acc. plur. ne])en su-hr'd-as nom. plur. Vergl.Bopp,
krit. gramm;* § 175, anm. 3, s. 1'21; § 179, s. 123 f.; § 185, s. 127.
Max Müller, sanskrit. gramm. for beginn.- §§ 181. 182. 185. 186.
Dass alle diese beispiele der ursprünglichen regel folgen, ist mir
gar nicht zweifelhaft. Stehen wir hier vor der frage, ob die acc.
plur. skr. väc-as = gr. ox-ac und gr. .Trod -«>-•, oder etwa der
acc. plur. sauskr. päd- äs seinen accent verschoben habe, so ent-
scheiden wir uns unbedenklich zu Ungunsten der ersteren for-
men, der m'«;-«*^^ oji-aq, :!r6d-cu. Die ganze neigung unserer
si)rachen geht, wie wir unten näher sehen werden, zu allen
Zeiten und in den verschiedensten Sprachperioden unverkennbar
dahin, den hochton von den endsilben, wenn er auf diesen ur-
sprünglich stand, zu entfernen. Darum hat a priori immer,
wenn zwei verschiedene accentuationen einer und derselben
wortform, sei es in derselben spräche oder in zweien verschie-
denen sprachen neben einander liegen, wie z. b. eben in dem
falle skr. pad-äs gegenüber gr. jidö-ag — es hat alsdann im
allgemeinen immer die oxytonierte form den g:rösseren anspruch
auf altertümlichkeit. Sichere beispiele von accentzurückziehun-
gen auch im sanskrit werden uns alsbald mehrere begegnen.
Der acc. plur. gehörte also von hause aus entschieden zu
den schwachen casus. Und der individuelle grund, w^arum
gerade dieser casus frühzeitiger als die übrigen ebenfalls
schwachen das bestreben zeigt, den früheren accent aufzugeben,
ist nicht schwer zu finden: auf die formale angleichung an
den nom. plur., seinen nächsten casusbruder, zielte der acc.
plur. hin, und die spräche trachtete darnach, ein ebenmass her-
zustellen zwischen dem Verhältnis des nomin. und acc. im plural
und dem des nomin. und acc. im Singular, welche letzteren
beide starkformig von jeher waren. Daher gr. ji6d-aq aus
*jtod-ä<; = skr. pad-äs, daher skr. vä'c-as aus *y«c-«^, weil
die acc. sing. Jt66-a, väc-am zu dieser Veränderung aufforderten,
weil z. b. im griechischen die abwechselung in der betonung
der singularcasus jtoö-o^, jroö-i und .Tod-a im plural gleichsam
von selbst die herstellung einer Symmetrie jrud-ojr, jro-ol und
jc66-ag nahe legte. Nähme man einmal an, gr. jiod-uq und
N-DECLINATION. 37
skr.* päd -as sei die ursprünglichere betonung, so wäre eben gar
nicht einzusehen, wie die sanskr'itsprache dazu veranlasst wor-
den sei, die bestehende eintracht mit der accentuation des nom.
plui-. skr. pd'd-as je zu trüben; denn allerwärts in der spä-
teren sprachengescliichte treffen wir nur auf versuche, diese
beiden sich so nahe stehenden casus formal an einander zu
assimilieren, niemals auf solche, dieselben zu differenzieren.
Diesen hergang beweist auch dasjenige nomen selbst, welches
wir als indogermanisches paradigma aufgestellt haben, mit
seinem acc. plur. im sanskrit: skr. ukshdn-. Während von dem
masc. mürdhäu- im rgveda nur erst die form mürdlm-äs als
acc. plur. rgv. IX 73, 1 (vergl. Grassmann , wörterb. sp. 1 053),
ebenso von raj'an- nur erst räjn-as rgv. VI 51, 4, letzteres in
wenigstens schwacher form, wenn auch mit bereits A^erschobe-
nem accent, vorkommen: liegen in demselben rgveda bereits
neben einander als acc. plur. ukshn-äs und ukshän-as (vergl.
das Petersb. wörterb. und Grassmann, wörterb. sp. 245): jenes,
ukshn-cts, ist die ältere, vom nom. plur. noch erheblich ab-
stehende, dieses, ukshän-as (rgv. X 86, 13), die dem nomin.
ved. ukshän-as völlig gleich gemachte form.
War dies aber das Verhältnis des acc. plur. im casus-
system der indogermanischen grundsprache, so müssen wir
doch wol anerkennen, dass das europäische bereits davon ab-
gewichen sei und die versuchte annäherung dieses casus an
den nom. plur. bereits an seinem teile frühzeitig vollzogen
habe. Diejenigen declinationen nemlich, welche in den euro-
päischen sprachen den alten unterschied starker und schwacher
casus wahrten, zeigen den acc. plur. übereinstimmend bereits
unter den starken casus; z. b. das griechische in jrartQ-aq,
wofür niemals * jcazQ-dg oder auch * jraTQ-aq angetroffen wird,
und ferner auch das germanische in der n-declination bildet
den acc. plur. got. auhsan-s, der, wie im weiteren verlaufe un-
serer Untersuchung sich ergeben wird, unzweifelhaft nur auf
eine grundform gerni. * uhskn-as = ved. nksJiän-as, nicht auf
ein urgerm. * uhsan-äs = ved. ukshn-äs zurückgehen kann. So
rechtfertigt sich unsere ansetzung einer europäischen Variante
uksAn-as neben dem indogerm. ukson-äs für den acc, plur. un-
seres obigen grundsprachlichen paradigmas.
Zwei ganz vereinzelte, aber auch ganz unsichere spuren
38 OSTHOFF
von der früheren stellnng*, welche der acc. plur. im casussystem
der consonantist'hen declination hatte, werden uns auf euro-
päischem spraciiboden gegen den schluss unserer ahhandhing
in den griech. 7cvr-ac, aQv-aq entgegentreten. Dagegen sehe
ich in einem anderen momente eine sicherere hindeutung dar-
auf, dass der acc. plur. ursprünglich sich so vom nom. plur.
durch seine betonung unterschied. Dass auch bei consonanti-
schen stammen das casussuffix des acc. plur. ursprünglich -ans
gewesen sei, ist eine noch ziemlich allgemein geteilte annähme
an der wol hauptsächlich wegen des griech. -aq und seiner
lautlichen Verschiedenheit von dem nominativischen -tc festge-
halten wird. Mir scheint diese annähme unbegründet zu sein,
denn erstens weist nichts im sanskrit mit irgend welcher
Wahrscheinlichkeit auf die frühere geltung des -as von pad-äs,
ap-f'is u. s. w. = urspr. - üms hin , im sanskrit , wo doch der-
gleichen spuren durchaus zu erwarten wären. Zweitens aber
st es für die accus, plur. sämmtlicher consonantischen stamme
im gotischen, also für die formen wie auhsan-s, yiusjand-s,
menop-s , naht-s, haurg-s , wenn man nicht das consonantische
sovvol wie das vocalische auslautsgesetz einfach umstossen
will, geradezu ein ding der Unmöglichkeit, den rest ihres casus-
suffixes, das -s, aus ursprünglichem -ans zu deuten; und in
allen diesen fällen einfache Übertragungen der formen des nom.
plur. anzunehmen geht eben deswegen nicht au, weil sich aus
einer doch mit der sanskrit. und altbaktr. übereinstimmenden
grundform -as das gotische -.v recht wol ableiten lässt. Auch
der litauische acc. \Am. diikler-es (Schleicher, lit. gramm. § 87,
s. 193) duldet unmöglich eine herleitung aus einer grundform
* dhughtar-a}is. Wäre es, wie gesagt, nicht dem griech. -ag
von ji66-a^ zu liebe geschehen, so würde man niemals auf die
behauptung einer grundform -ans als casussuffix für den acc-
plur. consonantischer stamme verfallen sein. Dieses griech. -ac
aber lässt, wie mich dünkt, auch recht gut eine andere erklä-
rung zu, nemlich folgende. Der annähme einer sehr frühen,
vielleicht schon gemein- europäischen Schwächung des -as des
nom. i)lur. zu -es steht von keiner seite in keiner spräche
etwas im wege. Nimmt man nun an, dass diese Schwächung
bereits geschehen, als noch eine geraume zeit hinterdrein der
acc. plur. in alter weise die casusendung betonte, dass man
N-DECLINATION. 39
also im urgriechischen bereits jrod-fc oder * .Trad-cc sprach, als
man immer noch ^jtod-fic oder *jcaÖ-c(c ])etoute, und dass
dann in einer folgenden sprachperiode die acceutzuriickziehung
im accus, plur. geschah, *jtod-ccc: zu jrod-ag gemacht ward —
nimmt man dies an, so löst sieh das rätsei des griech. -ag und
seiner Verschiedenheit von -tu sehr einfach: das -«c des acc.
plur. ist == früherem hochbetontem -äs, das -tc des noni. idur.
= früherem immer tieftonigem -as.
Bei der ausetzung des dat. plur. indog. uks<i-hhjäms end-
lich bin ich allerdings von der betommg des skr. ukshä-bliyas
abgewichen. Ich halte nemlich in diesen und den ihm ähn-
lichen casus den vorliegenden überlieferten sanskritaccent nicht
für den ursprünglichen, was ich hier nur vorläufig zur Verstän-
digung andeute, weiter unten aber ausführlicher begründen
werde.
Nach diesen notwendig vorherzuschickendeu erörterungen
über die form, in der Avir unser indogermanisches paradigma
ansetzten, wenden Avir uns nunmehr zur betrachtung der thenia-
veränderung innerhalb der declination von uksän-.
Wir erklären also, wie bereits angedeutet ward, die deh-
uung von -an- zu -cm- in der declination unserer nominalstämme,
der -««-Stämme, aus dem zusammenwirken zweier factoren:
erstens des auf dem suffixvocale ruhenden wortaccentes und
zweitens der einem nachfolgenden nasale innewohnenden fähig-
keit, vorhergehende vocale zu dehnen. Diese Wirkung der
nasale auf die vocalquantität hat Joh. Schmidt, z. gesch. d.
indog. vocal. I, 39 f. gerade auch mit rücksicht auf unseren
fall, auf die ausbildung der starken casus der -«m -declination
im sanskrit, zu erweisen gesucht. Ick kann nun diesem ge-
lehrten in seiner behauptung, dass 'selbst ein frei zwischen
vocalen stehendes n leicht ebenfalls dehnung bewirke', nicht
unbedingt beistimmen, glaube aber damit der eigenen auf-
fassung Schmidts im princip gar nicht fern zu stehen. Schmidt
selbst erkennt ja widerholt, besonders vocal. I, 166, an, dass
der einfache zwischen vocalen stehende nasal die gleiche (hier
vocalfärbende, wir glau1)en aber auch hinzunehmen zu können:
vocaldelinende) kraft nicht hat, 'dass sein vocalischev klang
nur in anlehnuug an folgende consonanten sich kraftvoll zu
entwickeln pflegt.' In eben denjenigen fällen, in welchen nach
40 OSTHOFF
Schmidt ein solcher frei zwif^chen vocalen stehender nasal jene
Wirkung- der quantilätsxcränderung zeigen soll, ist meistenteils
auch der andere von Scliniidt noch nicht berücksichtigte factor
im spiele: der auf dem betreffenden vocale ruhende hochton-,
wenige abweichende dürften sich leicht als analogiebilduugen
zu anderen erklären. Die meisten der von A. Kuhn, bcitr. z.
verg-l. sprachf. III, 465 ff. für diese vocaldehnung aus dem
rgveda angeführten beispiele, auf welche Schmidt sich stützt,
und g-röstenteils die von Schmidt selbst hinzugefügten sind
von der art, dass der vor dem nasale stehende und gedehnt
werdende vocal zugleich auch der träger des wortaccentes ist:
Jänu aus "^janu = yorv, lat. (/enu, sanu aus '■^smiu, nom. plur.
und dual, ksham-as und kshäm-ä von kshum- ^erde' = gr. yrQ^ov-
gegenüber dem instr. sing, ksham-a, auf unsere stufe «', dem
abl. gen. sing, kshm-äs, auf stufe «^ befindlich; ferner die
nach Kuhn als jäna-, jani-, sUnili-, sanitär-, nr-münas-,
mmiHS-, mm zu lesenden Jana-, jäni-, sänitl-, sanitär-, nr-
manas-, mänus-, änu. Dies spricht doch wol zunächst dafür,
dass in der regel der hochtoii als wesentliches moment mit
hinzukommen muste, wenn einfache nasale in einer solchen
Stellung, ohne von einem anderen darauf folgenden consonan-
tischen laute begleitet zu sein, vocaldehnende kraft auszuüben
im Stande sein sollten.
Aus einem anderen gründe aber ergibt sich sogar, dass
in der tat der hochton als das wesentlichere der beiden zu-
sammenwirkenden moment e angesehen werden muss. Denn
unstreitig ist in nicht wenigen anderen fällen der hochton es
ganz allein, der solche Aocaldehnungen im sanskrit hervorzu-
bringen weiss: in päd-am, pad-as, päd-au gegenüber griech.
jiö6-a, :ji66-^q, jroö-t und gegenüber dem eigenen sanskr. y^a^?-
in den sonstigen casus pad-äs, pad-i u. s. w. , ferner in np-as
nom. plur. 'gewässer' aus *äp-as kann doch dem folgenden
consonanten als explosivem verschlusslaute keine mitwirkuug
an der vocaldehnung zuerkannt werden. Auf alleinige rech-
nung des hochtons ist es meiner ansieht nach auch zu schrei-
ben, wenn das sanskritische perfectum von a -wurzeln mit ein-
facher schliessender consonanz in der 1. und 3. pers. sing.,
hier obligatorisch, dort facultativ, gedehntes wurzelhaftes n
griechischem o (in Tt-rox-a, xt'-x/o^c-rc), germanischem kurzem
N-DECLINATION. 41
a (in got. sat, hlaf = xt-xXo<p-a) entgegenstellt: pa-pac-üy
pa-pät-a, sa-sad-a = got. sal u. s. vv., nicht etwa bloss ja-gäm-a
= got. qam vor einem nasal, ha-bhär-a = got. hnr vor einer
liquida. Aber wenn demnach im sanskrit (und im altbaktri-
schen, das hierin meistens zum sanskrit stimmt) der hocliton
an sicli, wie die vorhergehenden beispiele unwiderleglich zei-
gen, vocaldehnende kraft ausübt, so ist es nicht zu verwun-
dern, im gegenteil nur sehr natltrlich, dass er vor nasalen und
liquiden (für die letzteren vergl. als beispiele skr. daru aus
* däru = gr. 6Öqv , dvnra-tn aus *dvära-in, vd'ri aus '*väri,
Id'r-as 2iM%'*{s)tär-as u. andere allermeist ebenso vor der liquida
hochbetonte bei Joh. Schmidt, vocal. II, 241) jene kraft ganz
vorzugsweise zu betätigen pflegt.
Aber wenn wir nun bei so betonten -a^i- stammen wie
ukskän- und udän- allerdings zwar ganz mit unserer theorie
von dem Ursprünge der starken und der schwachen casus aus-
kommen, wie werden wir mit solchen fertig, welche jene be-
tonung nicht haben, mit masculinis wie täkshan-, vr'shan-,
rajan-, neutris wie ähmi-, ü'dhan- u. a.? Diese flectieren ganz
so wie jene, mit derselben regelmässigen abwechselung der
einzelnen casusformen zwischen den stufen a- und a^, zeigen
ebenfalls in der älteren spräche dieselben spuren des früheren
-an- anstatt des späteren -an- in den starken casus, also ein
nebeneinander von ved. täkshan-am und takshdn-am, vr'shan-am,
vr'shan-as und vrshdn-am, vr'shan-as, und bei alledem weicht
der aecent nicht von seiner stelle, nicht von der Wurzelsilbe.
Die richtige antwort auf diese frage zu finden ist dennoch nicht
schwer: hier hilft uns, wie ich gar nicht zweifle, die ana-
logie aus.
Ich zähle im rgvcda mit hilfe des treiflich angelegten
Grassmannschen Wörterbuches (sp. 1730) au masculinen und
neutralen -aw- stammen von solcher betonung wie ukshän- und
udan- im ganzen 18 beispiele. Die nur als Schlussglieder von
compositen erscheinenden -««-stamme habe ich dabei natürlich
aus dem spiele lassen müssen, da composita ihrer eigenen be-
tonungsweise folgen. Ferner habe ich von einigen mir nicht
ganz sicher und hinreichend verbürgt erscheinenden -an-h\\-
dungen, die Grassmann mit auttnhrt, absehen zu müssen ge-
42 OSTHOFF
glaubt.*) Andererseits ergeben mir die Grassmannschen Samm-
lungen an niasculinis und neutris auf -an-, welche der beto-
nung'sweisc von Inkshan- und ähan- folgen, sammt einem ein-
zigen feraininum (j/oshan-) nnd mit hinzunahme des neutruras
näm-an-, das ich in abweichung von Grassmann für einen
-a«-8tamm, keinen -//?««- stamm halte**), im ganzen ein con-
tingent von nur 10 beispielen. Das numerische Verhältnis der
dem ältesten sanskritdenkmal angehörigen einerseits das suffix,
andererseits die wurzel betonenden nominalen -ön-bildungen
ist also unserer annähme durchaus günstig. Ich trage daher
auch gar kein bedenken , diese annähme nunmehr dahin zu
formulieren, dass ich sage: nachdem sich zuerst bei solchen
masciüinis wie ukshan-, mürdhdn-, püshdn-, neutris wie uddn-,
cirshdn-, yakdn- unter dem wesentlichen einflusse des variie-
renden, bald auf die casusendung bald auf die suffixsilbe tre-
tenden wortaccentes der constante unterschied einer geschwäch-
ten und einer verstärkten themaform herausgebildet hatte,
schlössen sich alsdann alle übrigen -«m- stamme, die mit fest-
bleibendem hochton auf der Wurzelsilbe nemlich, masculina
wie tdkshan-, vr'shan-, neutra wie dhan-, ndman- schlichtweg
an die analogie jener an, und so entstand der ^kanon' der
starken und schwachen casus im sanskrit.
Dass sich ganz der nemliche entwickelungsgang auch für
die -/«;•- stamme, sowol für die alten verwantschaftswörter als
auch die nomina agentis mit -kir-, wahrscheinlich machen
lassen wird, ist mir an meinem teile keinen augenblick zwei-
*) Solcher art sind <;üshän- und ^maoä/i-. Die form cüshäni rgv. X,
93, 1 ist infin. aor. von (;ü-, wie sie vom Petersb. wörterb. unter 1. <;ü-
und von Grassmann selbst sp. 141 U angesehen wird. Der nom. sing.
cma(;.a rgv. X 1()5, l kann auch zu einem femininen ^/- stamm gehören;
vergl. Petersb. wörterb. VII, .323 und Grassmann selbst sp. 1415. — Die
angäbe der betonung vrshän- in Grassmanus Verzeichnisse beruht auf
einem druckfehler.
**) An die immer noch nicht aufgegebene etymologie naman- von
wurzel gnä- yi-yviö-axc» vermag ich nicht zu glauben, weit eher an das,
was Windisch, zeitschr. f. vergl. sprachf. XXI, 422 f. dagegen aufgestellt
hat. Fast ist man versucht, auf jene alte etymologie, die sich noch
immer, trotzdem sie allen lautgesetzen fast jeder spräche höhn spricht,
eines weit verbreiteten anseheus erfreut, das wort des dichters anzu-
wenden: sie erbe sich wie eine ewige krankheit fort.
N-DECLINATION. 43
felhaft. Die Verschiedenheit in der gestaltung des Stammes
zwischen skr. dat. sing, pitr-e, mdtr-e, duhifr-e, ddtr-e, instr.
pilr-fX , mäfr-a , duhitr-ä , dCür-ä und ace. pUar-am, mdlar-am
duhitär-am (stufe a^), dätär-am (stufe a-, vergl. Joh. Schmidt,
z. gesch. d. indog. vocal. I, 40. II, 241), zwischen gr. .naxQ-o^,
jiarQ-i und acc. jr«rf(>-a*), got. /'adi^{-a')s, fadr{-f) und acc.
fadar{-am) findet sicher in letzter instanz ihren allein zu-
reichenden erklärungsgrund an dem uralten Wechsel des wort-
accentes in diesen casusformen. Und wenn nun skr. bhraiar-
und svasar- mit ihren casusformen bhrätr-e, svdsr-e, bhrätr-ä,
sva'sr-d und bhra tar-um , svasdr-a?n (stufe a^) sich nicht ebenso
unmittelbar rein lautgesetzlich erklären lassen, so bedarf es
dessen auch gar nicht : der bruder und die Schwester s-chlugen
ohne anstand denselben weg ein, auf welchem ihnen vater und
rautter und auch die tochter vorangiengen. Ebenso richtete
sich im urdeutschen und gotischen die declination von bröpar-
= skr. bhrätur- unmittelbar nach dem vorgange der stamme
faddr- = skr. pitu'r- und moddr- = skr. nidtdr- ein, ohne
sich von der ursprünglichen Verschiedenheit der accentverhält-
nisse an diesem anschlusse hindern zu lassen. Vergl. Verner,
zeitschr. f. vergl. sprachf. XXIII, 117.
Derselbe hergang bei der ausbildung des 'kanons' der
starken und schwachen casus lässt sich ferner besonders evi-
dent an der declination des sanskritischen präsensparti-
cips mit suffix -ant-, in den schwachen casus -at-, nach-
weisen, Vergl. darüber Bopp, krit. gramni.' §§ 185. 528.
Die classe III der specialtempora mit ihrem participium
kommt nicht in betracht, da die verba dieser classe, im prae-
sens eine reduplicationssilbe annehmend, eben 'wegen dieser
belastung am anfange das suftix -at- des part. praes. act. auch
in den starken casus stets in seiner geschwächten form zeigen,
*J Auch das >■ in diesem gr. nuxiQa beweist wol, dass K. Verner,
zeitschr. f. vergl. sprachf. XXIIl , Uli ff. recht haben kann, wenn er
meint, das gemeinsame e der europäischen sprachen gegenüber dem
arischen und indogermanischen a könne in hochbetonten siiben wol
eigentlich durch annähme einer tonerhöhung zu erklären sein. In gr.
nuTiQu sowie in aar} (leq und anderen ist in dem f sicher keine Schwä-
chung des alten a zu sehen : der hochton stand niemal.s auf einer anderen
silbe als auf welcher er sich immerfort gehalten hat.
44 OSTHOFF
daher z.h. dddat 6idovg, dddatam dtdovra.' Boppebend. § 186.
Von den übrigen neun classen aber bilden sechs, die classen
II, V, VI, Vll, VllI, IX, die starken casus ihres particips mit
-auf-, die schwachen mit -af- regelmässig so, dass die -ani-
form zugleich immer den hochton auf diesem -ant- zeigt, mit
dem eintritt der -«/-form aber ständig zugleich herabsinken
des accentes auf die casusendung stattfindet; z. b. sing. acc.
tuddnt-am, aber gen. abl. tndat-ds-, loc. tudat-i, dat. tudaf-c,
instr. ludat-d, dagegen wider plur. nora. tnddnt-as. Das ist
so weit ein rein lautlicher Vorgang zu nennen: vor den den
wortaccent für sich fordernden casussuffixen verklingt in der
unmittelbar vorhergehenden silbe, weil sie tieftonig wird, der
nasal des suffixes, wie ebenso z. b. auch in skr. pathi- ^weg'
aus ^panlhi- = lat. ponti-, abulg. pafi. Diesen regelmässig
eintretenden formenwechsel empfindet die spräche dann als
gesetz, und so müssen auch diejenigen participia sich ihm
fügen, welche eine lautliche veranlassung dazu niclit hatten,
die participia der classen I, IV, X; daher z. b. sing. acc.
hhdrant-am neben gleich betontem gen. abl. hhdrat-as , loc.
hhdrat-i u. s. w. — Ueber die formen mit den consonantisch
anlautenden casussuffixen, welche vorläufig dieser theorie zu
widersprechen scheinen, da sie auch in hochbetonter suffixsilbe
nicht -ant-, sondern die Schwächung -at- zeigen: tuddd-hhis,
ludd d-hhijas , tuddd-hhyäm, tuddt-su, über diese wird weiter
unten die rede sein.
Bei den noch übrigen nominalsuffixen des sanskrit, bei
-man- {-?ndn-) und -van- {-van-), -man/- {-mut-) und -vant- {-vat-)
z. b. und bei dem suffix der partic. perf. act. -vams- {-väms-,
-ush-, -vat-), und der comparative -yams- {-lyäms-, -iyas-) die
ausbildung des 'kanons' in derselben eingehenden weise ein-
zeln zu erörtern, würde mich hier viel zu weit führen. Es be-
darf dessen auch gar nicht. Denn angenommen selbst den
ungünstigsten fall, wir vermöchten nicht bei jedem einzelnen
dieser suffixe eine hinreichend grosse anzahl solcher stamme
aufzuweisen, bei welchen sich der Wechsel zwischen der star-
ken (verstärkten) und der schwachen (geschwächten) Stamm-
form auf rein lautgesetzlichem wege erklärt: so würde das
immer noch nicht durchaus unsere sache gefährden. Es können
ja doch, wie mir jeder für das wirken der analogie in der
N-DECLINATION. 45
sprachentwickeliiuy sinn und Verständnis habende mitforscher
bereitwillig zugeben wird, es können die mit den suffixen
-man- und -van- gebildeten nomina sich einfach nach der decli-
uatiou der reinen -aw- stamme gerichtet haben, nachdem bei
diesen der unterschied zwischen starken und schwachen casus
als flexionsgesetz zum durchbruch gekommen war; es können
ferner auch nach dem unmittelbaren nuister der participialen
-««^-stamme sowol die -mant- als die -mw^- stamme ihr decli-
natiousparadigma geformt haben. Der ungünstigste fall, den
wir angenommen haben, tritt ja wol bei dem comparativsut^xe
skr. -hjams- ein, da die mit diesem gebildeten comparative, wie
bekannt (vergl. Bopp, krit. gramm.^ § 226 j, regelmcässig den
ton so weit wie möglich zurückzuschieben, auf die erste silbe
des Stammwortes zu verlegen pflegten. Aber gerade bei diesen
bildungen mit -yämn- kann die analogie der participia perf.
act. mit -va/ns-, von denen ich aus sogleich anzugebenden
gründen nicht zweifle, dass sie auf dem wege acht lautgesetz-
licher entwückeluug zu der Unterscheidung starker und schwacher
Stammformen gekommen sind, massgebend gewesen sein. Die
ähnlichkeit aller der fälle, in welchen überhaupt im sanskrit
der kanon der starken und schwachen casus sich festgesetzt
hat, liegt ja überdies auf der band. In allen ist ja die affi-
cierte, sei es geschwächte, sei es verstärkte suföxsilbe auch
wirklich von der art, dass sie lautgesetzlich schwächbar oder
verstärkungsfähig- war: sintemal in den meisten der fälle die
nasalis n als zur vocaldehnung oder auch andererseits zum
verklingen fähiger laut, in einem, bei suff. -iar-, die suffixale
liquida r, bekanntlich ein ebenfalls zur dehnung vorhergehen-
der vocale geeigneter laut, im spiele war.
Eine consequenz, von der man nach allem vorhergehenden
erwarten muss, dass ich sie zu ziehen verpflichtet sei, ist fol-
gende. Hat sieh, wie ich behaupte, der spätere durchgreifende
unterschied starker und schwacher casus anfänglich so ent-
wickelt, dass er bei den die suffixsilbe betonenden nominal-
stämmen zuerst rein lautgesetzlich eintrat, so müssen, wenig-
stens bei eben diesen stammen, alle diejenigen casus, welche
eine geschwächte form des stummes zu gründe legen, ur-
sprünglich stets die endung betont haben. Zu dieser conse-
quenz verstehe ich mich aber auch. Das gesetz, das im grie-
46 OSIUOFF*
chisülieu die einsilbler (jrod-6c, jTod-i , Jind-a"))') und nicht
bloss diese, sondern auch die r-stäuinie der verwantschafts-
wörter {jtc(tq-Öq . TtcrQ-i , d vyazQ-oc , -ßv/arit-i), ferner ver-
einzelte andere (yiunux-og , yiwaix-i, yvraix-cöv) gewahrt
haben, eben dieses gesetz werden wir durch die treue Über-
einstimmung des griechischen mit dem sanskrit als das beto-
nungsgesetz dieser casus in der Ursprache anzusehen vollauf
berechtigt sein. Also die casussuffixe iudog. -as (gen. sing.),
-/ (loc. sing.), -ui (dat. sing.), -ä (instr. sing.), -am (gen. plur.),
und dazu -as (acc. plur.) pflegten im indogermanischen, wie
wir zuversichtlich zu behaupten wagen, beim antritt an oxy-
tonierte consonantisch auslautende nominalthemen — weiter ver-
allgemeinern wir unsere beobachtung einstweilen noch nicht*)
— regelmässig den wortaccent auf sich herabzuziehen.
Die richtigkeit unserer annähme von der ehemaligen exi-
stenz eines solchen betonungsgesetzes bestätigt zum überfluss
auch noch das litauische mit der betonung der ihm gebliebenen
reste consonantischer declination. Von dem stamme lit. ahnen-,
nom. sing, akmu , = skr. acma'n- (Petersb. wörterb. I, 516)
lautet der gen. plur. akmen-ü = indog. '*akman-am. Der gen.
sing, aktnhi-s weist nach speciell litauischen betonungsgesetzeu
auf eine grundform indog. * aknmi-äs zurück, während dem
gegenüber der nom. plur. nkmen-s ebenso regelrecht einer grund-
form indog. * akmkn-as, skr. acmä'n-as (stufe a^) entspricht.
Ebenso ist von lit. vandfi , stamm vanden- = skr. uda'n-, der
*) Lediglich aus vorsieht habe ich oben im texte mehrfach an-
schlüsse baiytonierter nominalstämme an die analogie und declination
der oxytonierten angenommen. Ich möchte aber schon jetzt nicht zwei-
feln, das8 sich bei weiter dringender erforschung dieser frage diese an-
nähme als überflüssig erweisen wird. Man wird, wie mir wenigstens wahr-
scheinlich ist, sagen dürfen: überhaupt zogen ursprünglich die casus-
suffixe der schwächsten casus regelmässig den wortaccent auf sich, auch
beim antritt an nicht oxytonierte, consonantisch auslautende nominal-
themen. Auch die gen. sing, namn-as, bhärat-as, svadhjas-as werden
früher * nämn-ds, *hharat-äs , * svädlyas - as betont gewesen sein. Wie
diese stamme viel eher dazu kommen konnten, das alte betonungsver-
hältnis aufzuheben und in den schwachen casus gemäss der analogie
der starken formen der Wurzelsilbe den hochton zurückzugeben: das
wird alsbald der weitere verlauf unserer obigen daratellung einleuchtend
machen.
N-DECLINATION. 47
gen. smg. vanden-s = im\og.'^vadan-as, nkr. udn-o!s (stufe o').
Ebenso sind ferner bei den verwantschaftswörteru die gen. plur.
lit. moter-ü, dukter-n = indog. -^ mähr -am, * dJmghtar-am, die
gen. sing", moter-s, dukter-s = indog. * mä(ar-as, *dhughtar-as^
gr. fir/TQ-ög, f^vyaxQ-oq (stufe «*); aber der nom. plur. lit.
möter-s, dukter-s = iudog. */wä^är-a^, * dhughtkr-as , '^x. mätär-
as, duhitdr-as, gr. firjxtQ-tc;, B-vyartQ-tQ. Vergl. auch noch die
betonung der casusforinen von anderen consonan tischen stam-
men im litauischen: gen. plur. dmit-ü, debes-ü bei Schleicher,
lit. gramm. s. 192, welche der alten regel treu bleiben, wäh-
rend andererseits bei den gen. plur. dever-u 'levirorum', dur-ü
'portae' bereits die analogie der betonung der zugehörigen
nominative plur. dever-s, durys massgebend gewesen ist.
Eine solche betonung aber, dass die stimme noch gegen
das ende des Wortes hin, wo sie doch zur ruhe zu kommen
strebt, gleichsam von neuem sich aufraffen, sich noch zur kräf-
tigsten articulation aufschwingen muss, eine derartige betonung
erfordert zugestandenermassen eine grosse kraftanstreugung
der Sprachorgane. Als ein vielfach wahrzunehmender phone-
tischer zug unserer sprachen tritt uns demnach die erscheinung
entgegen, dass sie in ihren späteren lebensperioden austalten
treffen, derartige endbetonungen der Wörter, das lästig wer-
dende erbteil aus früheren, den stärkeren articulationen weniger
abgeneigten urperioden, nach und nach abzuschaffen. So weit
man bis jetzt mit Sicherheit die historisch eingetretenen accent-
veräuderungen hat beobachten und feststellen können, hat sich
als übereinstimmendes resultat auf vielen Sprachgebieten er-
geben, dass der accent, wo er sich verändert, da regelmässig
sich so verändert, dass er von den endsilbeu aus immer mehr
in das innere der Wörter sich zurückzieht. Die endsilben
werden entlastet, um das ausruhen der stimme am wort-
schlusse vorzubereiten. Aber die lautgestaltungen, welche
der vormals auf der endsilbe gestandene hochton bedingt, die
laiitveränderungeu, die er in den vorhergehenden silben hervor-
gerufen hatte, bleiben gewöhnlich bestehen und sind nun gleich-
sam die überlebenden zeugen für den ehemaligen vor dem zu-
rücktreten des accentes bestehenden laut- und formenzustaud.
In der decliuatiou und conjugation findet die spräche ein
mittel, sich des hochtons auf den endsilben zu entledigen,
48 OSTHOFt'
leiclit darin, dass sie nacli der analogie derjenigen formen des
noniens und des verbums, welche von jeher den accent nicht
auf der endsilbe hatten, den accent der urs}»rüng-lich oxyto-
nierten formen verändert. So ist •/.. 1». im gi-iechischen der
jjlural i'iihv 'wir gehen' unter dem eintiuss der accentuation
des Singulars hi-ui zum paroxytonon geworden; die Verschie-
denheit der vocalstufen i und £t aber erklärt sich nur unter
beriicksichtigung der früher herschendeu im sanskrit beibehal-
tenen betonung: e-mi, aber i-mds. >So hat unzweifelhaft auch
schon das sanskrit in seiner declination in einigen fällen, dem
dränge der spräche nach erleichterung der endsilben nacli-
gebend, den alten accentunterschied , nachdem ihm derselbe
sein System der starken und der schwachen casus eingetragen
hatte, später wider verwischt. Betreö's des acc. plur. nahmen
wir schon vorhin die erscheinung wahr, dass sich dieser casus
frühzeitig der accentuation des zugehörigen nom. plur. wider an-
schloss. Wir nehmen dasselbe streben ferner wahr bei den
-w«»- stammen: der gen, sing, hrahmä u- as , ätmdn-as und der
dat. hrahmd)i-e, äfmdn- e\on hrahmdn-, ätmdn-, für welche man
\\Q\me\i\*brahmmi-äs, '* ät7nan-ds, *brahman-e, ^ähtum-e (stufe «^,
hier festgehalten aus gründen der sprechbarkeit der wortformen)
erwartet, verdanken ihren veränderten accent der aualogie des
acc. sing", brahmdn-am, ätmdn-am und des nom. plur. brahmdn-
us. Dasselbe muss angenommen werden bei den stammen mit
dem Suffix -vams-, den participien perf. act.: mit dem gen. sing-.
rurudüsh - as , loc. rurudüsh-i gegenüber dem acc. sing', rurud-
vdms-am und dem nom. plur. rurudvd ms - as steht es genau
ebenso wie im griechischen mit der verbalferm l-^tj' gegen-
über d-^i. Nehmen wir eine frühere betonung *rurudnsh-dii
und * ruriidush - 1 für den gen. und loc. sing, und spätere Um-
änderung derselben nach dem muster des accentes der starken
casus an, so haben wir, so viel ich sehe, eine in jeder hinsieht
befriedigende erklärung; nehmen wir dies nicht an, so stehen
wir vor einem phonetischen rätsei. Denn etwa glauben zu
wollen, es habe sich in hochbetoiiter silbe die condensierung-
des Suffixes -vams- zu der lautgestalt -/<i'7^- vollziehen können,
wird niemand, der nicht geradezu an dinge der Unmöglichkeit
glaubt, in den sinn kommen. Derselbe hergang der acceut-
zurückziehung ist dann auch wol in der declination des skr.
N-DECLINATION. 49
cmn- 'liund' anzunehmen, das seine schwächsten casus aus
cün- bildet, dabei aber immer die Stammsilbe betont. Vergl.
Bopp, krit. gramm.3 § 192. Die g-i-iechische betonung ist hier
einmal, in y.v)'-6c, xvv-i, xvr-on' nemlicli gegenüber skr.
cün-as, cmi-i, cün-äm, für die ursiHÜnglichere zu halten, denn
nur unter der herschaft jener konnte es zu der constituierung
der geschwächten Stammform indog. kun- aus kudn- kommen.
Das litauische mit seinem gen. sing, szün-s beweist hier nichts,
da es sowol auf eine grundform *szun-m (vergl, oben s. 46 f.),
als auch auf * szun-as zurückgehen kann.
Also sichere beispiele dafür, dass auch schon das sanskrit
versuche der entlastung der cndsilben von dem hochtou machte,
können nicht geleugnet werden. Dies festzustellen war hier
nötig, um das Verständnis für das folgende vorzubereiten.
Es handelt sich nemlicli jetzt darum, die Stellung der mit
den consonantisch anlautenden casussuffixen skr. -hhijus, -bhis,
-hhyüm, -su gebildeten casusformen in dem System der starken
und schwachen casus zu bestimmen. Ich glaube nun, um
meine ansieht kurz und bündig voranzustellen: 1) ursprünglich
erforderten aucli diese casussuffixe unter denselben bedingungen
wie die vocaliseh anlautenden -ds (gen. sing.), -/, -e, -d , -dm,
-ds (acc. plur,), d, i. bei dem antritt an consonantische oxy-
tonierte nominalstämme, durchaus den üochton für sich;
2) dieses Verhältnis aber hörte bei ihnen im sanskrit unter
dem obwalten besonderer lautlicher umstände frühzeitiger auf
als bei jenen, bei den hochbetonten vocaliseh anlautenden Suf-
fixen -ds, -1 u. s. w., indem dort frühzeitiger als hier entlastung
der endsilben, zurücktreten des wortaccents stattfand.
Wären überall die Verhältnisse so klar wie z. b. bei dem
deciinationsparadigma des sanskritischen Stammes pralydnc-
und der ihm gleich gebildeten Wörter (Max Müller, sanskr.
gramm, for beginn,- § ISl, s, 81 f.), so hätten wir leichtes
spiel mit dem beweise für unsere behauptung. Bei pratydnc-
haben wir sowol den acc, sing, pratydnc-am und den nom.
plur. pratydnc-us, als auch den gen. sing, pratic-ds u. s. w.,
als endlich drittens auch die plural- und dualcasus (die soge-
nannten ^mittleren' casus) itralyak-shü, pratyay-hhis, pratyag-
hhyds, pratyuy-bhyum\ und alle die verschiedenartigen formen-
verhältnisse erklären sich aus dem wechselnden accent aufs
Beiträge zur geschichte der deutbchen spräche, lU. 4
50 OSTHÜFF
beste. Aber es lässt sich, g-laube ich, zeig-en, dass aucli anders-
wo alles einmal so war wie bei der declination dieses uominal-
stammes. Zunächst haben wir dieselbe betouung der iA-suffixe
und des locativischeu -su als die regel auch bei den eiusilblern
im sauskrit: väk-shü, väg-bhis , väg-hhyds, väg-hhyäm, pat-sü,
pad-hhis, pud-hhyas, pad-bhyäm u. s. w.; und hier bestätigt
sie wenigstens für den locativ plur. auch das griechische als
alt: otpt = skr. väk-shü, jto-oi = skr. pat-sir, und widerum
mit eiuschluss eines mehrsilbigen Stammes: gr. yvi'ai§L Wie
wir nun schon einmal sahen (oben s. 46), dass die einsilbler
im Vorzug Aor anderen nominalstämmen im griechischen und
im Sanskrit eine altertümlichkeit in der casusbetonung bewahr-
ten, so könnte ebendasselbe recht wol auch hier der fall
sein. Ein fernerer beweis kommt aber aus dem litauischen
hinzu, wo wir eben jene casussuffixe ganz regelmässig den
hochton auf sich herabziehen sehen. An den consonantischen
stammen ist dies allerdings nicht zu belegen, da diese alle in
jenen casus im litauischen unursprüuglich geworden, in die
analogie der /-stamme übergetreten sind; dagegen wol an den
vocalischen. Man vergleiche die casus plur. loc. aki-se, iustr.
aki-mis, dat. ak\-tns aus *aki-mas, dual. dat. instr. aUi-m von
ak\-s 'äuge'; plur. loc. smm-se, instr. sunu-mis, dat. sunu-ms aus
*sunu-?nas, dual. dat. instr. sunii-m Yon sunü-s ^ 8ohn\ Ja eine
spur derselben ursprünglichen betonung der M-suffixe wage
ich sogar im slawischen zu erkennen: die unursprüngliche deh-
nung des / in dem suffix des instr. plur. abulg. -?ni, d. i. grundf.
*-fnJs = lit. nüs, indog. sanskr. -bhis, z. b. in sym-mi = lit.
sumi-tms (vergl. Job. Schmidt, z. gesch. d. indog. vocal. I, 13)
erklärt sich w^ol, wenn man annehmen darf, sie sei unter dem
einfluss des früheren hochtons auf dem casussuffixe entstanden.
Also anzeichen genug sind da , dass es mit den casus-
suffixen skr. -sn, -bhis, -bhyas, -hhyäm betreffs der betonung
ursprünglich gerade so stand, wie unter den gleichen bedin-
gungen mit den entsprechenden vocalisch anlautenden -a's, -i,
-e, -a , -am, -äs. Unter derselben Voraussetzung aber lösen
sich die noch übrigen Schwierigkeiten, welche uns der 'kanon'
der starken und schwachen und der mittleren casus noch be-
reitet, so viel ich sehe, genügend. Betoute man anfänglich
*pitr-shu, '•^' pitr-bhyä s u. s. f., *luda{-sü, '* tudad-hhyäs u. s. f.,
N-DECLINATION. 51
so erklärt sich alsdann erstens die geschwächte gestalt des
Stammes (pitr- anstatt pita'r-, tudat- anstatt tuda'nt-), zweitens
aber der spätere riicktritt des accentes zwpitr'-shu, pitr'-hhyas,
tudat -m, tuddd-bhyas ebenso, wie beide ganz analoge Vor-
gänge in dem gen. sing, rurudüsh-as a.\i8*rurudush-as, *rnrud-
vams - a's.
Es lässt sich nun aber auch, gerade wie oben bei dem
acc. plur., der individuelle grund finden, warum in diesen
casus mit den />ä- Suffixen und mit dem locativsuffixe -su das
zurücktreten des accentes zum zwecke der entlastung der end-
silben von dem gewichte des hochtons früher geschah als in
dem entsprechenden falle bei den ursprünglich hochbetonten
vocalisch anlautenden casussuffixen, warum es z. b. im sanskrit-
paradigma pitr'-hhyas , tuddd-bhyas mit bereits zurückgezo-
genem accent und im dat. instr. sing, pitr-e, pitr-d, im gen.
loc. sing, tudat-ds, tudai-i mit noch ursprünglicher accentuation
neben einander hiess. Die casus mit den hh - Suffixen und der
loc. plur. auf -su lieben es ja, wenn ihnen die wähl frei steht
zwischen zweien graduell verschiedenen Schwächungsformen
des nominalthemas, nicht die äusserste Schwächung, sondern
die sogenannte 'mittlere' Stammform zu gründe legen. Beispiel:
pratyag-hhyds von pralyak-, aber gen. sing, pratlc-ds von
pratlc- aus pratyanc-. Diese erscheinung gibt uns auch den
Schlüssel zur beantwortung unserer frage. Es war, um es rund
heraus zu sagen, nicht die äusserste Schwächung des Stammes
möglich vor den mit hh beginnenden casussuffixen und vor
dem locativbildenden -su, einmal deshalb nicht, weil der cou-
sonantische stammauslaut und der consonantische anlaut des
Casussuffixes in ihrem zusammenstoss der themabildenden silbe
trotz ihrer ursprünglichen tieftonigkeit immerhin wenigstens die
positionslänge sicherten. Eben diese ihr gewahrte positions-
länge Hess es nicht zu gänzlicher Schwächung oder wol geradezu
nicht zu gänzlicher tieftonigkeit der betreifenden silbe kommen.
Wir müsteu wol, wie mir scheint, um völlig genau die ur-
sprüngliche accentuation zu treffen, etwa die bezeichnungen
tudat-sü, tudad-bhis, tudad-hhyds, tudad-hhydm in an Wendung
bringen: den silben vor -sü, -bhis, -bhyds, -bhydm war wegen
ihrer Stellung in der position immer wenigstens ein nebenton
garantiert. Um so leichter offenbar begreift es sich und um
4*
52 OSTHOFF
so eher, wenn späterhin, sobald das streben autkani die end-
silben vom hochton zu entlasten und den wortacceut zurück-
zuziehen, el)en jene silbon leichter weise und früher als die
entsprechenden immer g-anz tieftonig bleibenden in den formen
iuclät-as, iudäf-i den ursi)rünglichen acceut des nominalstammes
zurück empfingen. Vielleicht ist noch hinzuzunehmen, dass
-bhyas, -hhyäm und früher auch -su, so lange es nemlich als
-sva galt, eigentlich zweisilbig waren und -bhia's, -Miiä'm, wie
im veda noch häufiger, ferner -sua gesprochen wurden: bei
solcher auss})rache stand dann die zu schwächende silbe gar
nicht einmal an der allertieftonigsten stelle, nicht unmittelbar
vor dem hochton.
Aber selbst da, wo die positionslänge in den mittleren
casus nicht zu stände kam, wie bei unseren -««-stammen, den
-7)ian- und den -w«? - stammen , in welchen der suffixale nasal
nicht stand hielt, selbst auch da konnte es zu der äussersten
Schwächung des Stammes nicht kommen. Sollte in einer grund-
form indog. "^uksan-hhjdms die mittlere sill)e als die tieftonigste
geschwächt werden, so konnte aus gründen der sprechbarkeit
des wertes die Schwächung nicht so ausfallen wie die der ent-
sprechenden silbe in *nksan-ds = skr. nkshn-ds] vielmehr
konnte "^ nksayi-hhja'/ns nur eine solche Schwächung erleiden,
wie die grundform "^panlh'i- und gen. sing. '^ dalani-us sie er-
litten, indem sie zu path!- und tuüal-ds wurden (vergl. oben
s. 44), wie sie ferner stattfand in skr. caUbn, gr. t-xcaöf aus indog.
* kauf am und anderwärts. Mit anderen Worten: im kämpfe um
das dasein, der sich in *uksm-hhja')/is zwischen dem vocal a
und dem nasal des Stammes entspann, konnte entschieden nur
der nasal weichen; der vocalische eigenton der mittleren silbe,
und damit also unsere stufe «^, muste gerettet werden.
Dasselbe ist der grund, warum in iikr. /li fr -bhi/as, pitr-shu
aus ^pHr-lihyds, ^pitr-shn die Stammsilbe vocalisch, mit dem
r-vocale erscheint, gegenüber dem consonantischen /- im dat.
sing, pitr-e, instr. pitr-u. Das griech. qo. in jictTQa'-oi , mit dem
man sich so vielfach ohne erfolg abgequält hat (vergl. Allen
in Curtius' stud. III, 366, Meister ebend. IV, 219, Siegis-
mund ebend. V, 167 fi\, Brugman ebend. V, 330 f.), stelle ich
unmittelbar dem sanskr. r von pHr-slui gleich. Mit andern
werten: ich fasse jenes qu als eine art griechischen r-vocals,
als ein r, aus welchem sich in der zwar geschwächten, aber
N-DECLINATION. 53
notwendig ihr vocalisches element beibehaltenden silbe der
stimmton der liquida entwickeln miiste, sich aber als a ent-
wickelte wegen der r/- färbe des griech. q] vergl. Briig-
raan a. a. o. Es verhalten sich genan skr. -far- : -tr- : -tr-
== griech. -rtQ- : -tqcc- : -tq-. Natürlich mnss angenommen
werden, dass auch gr. jicctq/c-öi vordem einmal * jrarQa-oi be-
tont gewesen sei; denn sonst sieht man schlechterdings nicht
ein, weshalb es überhaupt zu einer Schwächung, wenn auch
nur zu der mittleren, kommen muste, weshalb nicht ein von
jeher auf der inneren silbe hochbetontes gr. '^jrccTtQ-oi und
skr. *pltar-shu unangefochten so hätte fortbestehen können.
Die formen vidöi und dgrä-öi können, wie ich noch hinzufüge,
diese uns^ere auftassung nicht stören: sie sind ihrerseits offenbare
analogiebildungen nach dem dat. plur. der verwantschaftswörter.
In den mittleren casus also, in denjenigen, deren en-
dung- mit einem consonanten anfängt, dient auf die angege-
bene weise dieser consonant 'dem thema gleichsam als schutz-
wehr und bewahrt dasselbe vor der äussersten Schwächung',
wie Bopp krit. gramm.-* § 176 ganz passend sich ausdrückt.
Wie aber auf eine stammhafte silbe, in welcher die äusserste
Schwächung unterbleiben, der vocalische eigenton, bei den -ab-
stammen speciell unsere stufe «' sich erhalten muss, wie auf
eine solche stammhafte silbe der dem nominalstamm als solchem
ursprünglich eigene accent zufolge des strebens nach entlastung
der endsilben und befriedigung dieses strebens durch die ana-
logie der starken casus leichter zurückkehrt, das können uns
die oben (s. 48) angeführten beispiele von -f/ian - stammen
lehren: hrahman-m, dtman-as 2i\\^*hrahman-ds , *ätman-as,
während bei der einmal angenommenen möglichkeit einer
Stammschwächung * hrafunn-, * ntmn- (stufe "^j sicher die beto-
ming "^brahmn-a'i-, * dfmn-as im gen. sing, herschen würde.
Unsere -«/z- stamme erlangten also auf die besprochene weise
ihre mittlere stanmiforni durch ganz normales verklingen des
uasallautes in ursprünglich tieftoniger silbe und damit band
in band gehendes festhalten der stufe «^ des suffixvocales,
welche stufe -«^ nun wirklich als die in der tat ^mittlere' zwi-
schen a'- der stärksten und «■' der schwächsten casus liegt.
Somit erkennt man auch, wie die annähme eines nebenstammes
uksha-, mit welcher man zuweilen (Gust. Meyer z. gesch. d.
54 OSTHOFF
indogerm. stammbild. u. declin. s. 84) die sanskritischen casus
uksha-sH , nkshd-bhyas u. s. w. zu erklären sucht, wie diese
annähme, ganz abgesehen von dem fehler, der darin steckt (es
hätte doch *)iksheshu, '* ukshebhyas von einem -«-stamme zu
lauten), auch unnötig wird, Avenn man nur zugibt, dass * uksha-
sü, * nksha-hhyds die ursprüngliche betouung gewesen sei, was
ich hier wahrscheinlich gemacht zu haben glaube.
Dies System der Unterscheidung starker und schwaciier
casus in der decliuation gewisser consouantisch auslautender
nominalstämme, von dessen Ursprung und ursprünglichem zu-
sammenhange mit der ältesten casusbetonung ich die vorher-
gehende neue theorie entworfen habe, dies System, im sanskrit
so treu bewahrt, halte ich für uralt und ein ehemals allen indo-
germanischen einzelsprachen mitgegebenes erl)teil aus der
muttersprache. Wo eine einzelne spräche davon abweicht, da
beruht dies auf späterer entwickelung und auf dem aufgeben
einer ursprünglichen formationsweise. Bei den /• - stammen, den
verwautschaftswörtern , ist dies Verhältnis ja auch längst an
der genauen Übereinstimmung des sanskrit, griechischen und
germanischen erkannt und das hohe alter ihrer eigentümlichen
declination allerseits anerkannt. Den -«w- stammen aber wird
diese hohe ursprünglichkeit bis jetzt nur teilweise und nicht
so allgemein zuerkannt; in wie weit, das ersieht man aus Scherer,
z. gesch. d. deutsch, spr. s. 432. Ich glaube aber, auch den
n- Stämmen und ihrer declination darf ihr volles recht nun-
mehr nicht länger vorenthalten werden. Dies nachzuweisen^
die aus- und Umgestaltung der alten w- declination in den ein-
zelnen sprachen und besonders im germanischen zu verfolgen,
wird im folgenden meine aufgäbe sein. Um aber unseren auf-
stellungen eine feste basis und ein sicheres fundameut zu sub-
struieren, habe ich es für unumgänglich notwendig gehalten,
an der sanskritischen nominaldeclination im vorhergehenden so
ausführlich wie ich es getan meine grundansichten über das
Zustandekommen des 'kauons' der starken und schwachen
casus zu entwickeln.
Das altbaktrische bietet uns betreffs der -au- {-man-, -van-)
declination, von einem sogleich zu besprechenden punkte abge-
sehen, nicht viel neues : hier liegen die Sachen im grossen und
ganzen noch fast gerade so wie in dem nahe verwanten
N-DECLINATION. 55
Sanskrit. Vergl. Spiegel, graram. d. altbaktr. spr. s. 152 ff.,
Ju8ti, bandb, d. zeudspr. s. 392. Auch Schwankungen zwischen
unseren stufen a - und dem älteren a ' zeigen sich ; z. 1). acc.
sing, airyaman-em, nom. plur. karapan-o. Und wenn ich for-
schungen II, 180 f. in dem acc. sing, hazanhanem-ca und in
dem uom. plur. mäthranac-ca Verkürzung des suffixalen hier
individualisierende function übenden -an- zu -an-, veranlasst
durch die schwere der Wortzusammensetzung mit dem enkliti-
schen -ca, gesehen habe, so ist diese auffassung nicht aufrecht
zu erhalten. Vielmehr steht der acc. sing, hazanhmi-em mit
seinem kurzen -an- ganz auf derselben stufe mit ved. ukshdn-
ain anstatt des späteren ukshän-am = abaktr. ukhshän-em>
ferner mit gemeinsanskr. püshdn-am\ der nom. plur. mäthran-
ac- befindet sich ganz auf dem niveau von ved. ukshdn-as
anstatt des s})äteieu skr. ukshdn-as = abaktr. ukhshdn-d]
vergl. oben s. 33. Es hat also umgekehrt die zusammen-
rückuug mit -ca die ursprüngliche kürze (die stufe a^) ge-
rettet, ganz wie nach Hübschmanns beobachtung z. casusl.
s. 284 f. die Verbindung mit -cit eine alte kürze wahrt in
katarac-cit, kaiarem-cit gegenüber sonstigem A«-?«/-«-. — Als bil-
dung aus der mittleren Stammform ist u. a. belegt im altbaktri-
schen der dat. abl. plur. däma - byö, was also dieselbe formation
dieses casus wie im sanskrit verrät.
In einem punkte aber weicht die altbaktrische spräche be-
reits in bemerkenswerter weise vom sanskrit ab. Es begegnen
nemlich auch die casusformen gen. sing, ukhshdn-o (im nom.
propr., neben appell. ukhshn-d, vergl. Justi u. d. w.), mäthrdn-ö,
marctdn-ö, hdvandn-ö, dthwydn-d oder dfhwyän-o; ferner die
dat. sing, mäthrdn-e, licdn-e, puthrdn-e. Vergl. Hübschmann,
ein zoroa^^tr. lied s. 62, meine forschungen II, 180 f. Dies ist
etwas unursprüngliches, nemlich Verallgemeinerung der suffix-
form -an-, der stufe a-, von den starken casus aus: das alt-
baktrische befindet sich auf dem wege zur uniformierung seiner
-«w-declination, demselben wege, auf dem wir alsbald mehrere
der europäischen sprachen antrelfen werden. — Von einer an-
deren unursprünglichkeit, der neigung der altbaktrischen -an-
und besonders der -man-, auch der -mw- stamme, in die -a-
declination überzugehen, brauchen wir hier nicht zu reden;
vergl. darüber Spiegel gramm. s. 155 f.
56 OSTHOFF
Die arischen sprachen verlassend und Europa betretend
wenden wir uns spornstreichs nacli dem heinii'^elien sprach-
boden unserer germanischen sprachen. Denn, wie sich bald
zeigen wird, findet sich die -aw-declinatiou auf den
ältesten sprachstufen des deutschen in einer sehr
ursprünglichen gestalt wider; Ja wie das endergebnis
unserer Untersuchung herausstellen wird, überragt das
älteste germanisch in diesem punkte, in der conser-
vierung jener declination, weit seine sämmtlichen
europäischen Schwestern und stellt sich unmittell)ar
seinen beiden ältesten Schwestern, der indischen und
der iranischen spräche, an die seite. Selbstverständlich
aber kann dies nur von der flexion der masculinen und neutra-
len -a«- Stämme gesagt werden, nicht zugleich von der femininen
schwachen declinatiou, welche weiter unten ihren platz auf
einer erheblich tieferen stufe dei' sprachentwickelung ange-
wiesen erhalten wird.
Aus dem indogermanischen paradigma von uksdn- (ol)en
s. 32) mit der europäischen Variante uksdn -as im ace. plur.
ist im urgerraanischen folgendes geworden (diejenigen endsilben
oder ihre bestandteile, welche opfer der späteren auslauts-
gesetze wurden, sind in klammern eingeschlossen):
sing. nom. uhsd{n) plur. nom. uhsdn-{(i)s
gen. uhsen-{d)s gen. ulisn-d {j)i)
loc. uhsen{-i) dat. uhsa-)n{ds)
acc. uhsd n {-(Uli) acc. u/isdn-{a)s.
Für das neutrum in den ihm eigentümlichen casusformen
müssen wir wol als urgermauisch ansetzen:
nom. acc. sing. v(dd{n), plur. va/dn-ä\
von denen sich die erstere, die singularform, auf die forsch. 11,
163 f. angegebene weise erklärt. Da die formen mit accen-
tuierter Stammsilbe, wie wir jetzt wissen, die norm vfurden
für die ganze declination der w- stamme, so löst sich nunmehr
die Schwierigkeit des germo - litu - sla vischen -an im nom. acc.
sing, neutr. (abulg. im-e, lit. randu) wol am l)esten wider
durch das vereinte zusammenwirken des hochtons auf der
endung und des vocaldehuenden schlussnasals. Die zweite ur-
germanische form des neutrums, die pluralform vatdnä, ist bei
dem stamme vaian- sell)st sowie bei naman- wenigstens im
N-DECLINATION. 57
ostgermanischen durch eine neubildung nach der «-declination
ersetzt worden, durch ostgerm. vabm, momiTi, d. i. got. valna,
namna , altn. vötn, m/n\ zu welcher neubildung <ler gen. plur.
vatna{ni), }iamnä{m), wia jufcä{m) aufgefasst, veranlassung gab
Dieselbe 'falsclie folgerung' eines -a- Stammes rief im gotischen
dann aucli noch die dative vatna-m, namna-m hervor (Scherer
z. gesell, d. deutsch, spr. 432) und schuf im altnordischen be-
kanntlich überhaupt die beiden neutralen -«n- stamme vatan-
und naman- ganz in -?ia- stamme um. Vergl. Wimmer, altnord.
gramm. § 34b., Zimmer, anzeiger f. deutsch, altertum I, 110.
Bei den anderen neutralen -on- stammen, bei hertan-, augan-,
ausan-, sind aber die grundformen des nom. acc. plur. */'?6Tto>w,
*auganä, * ansmiä frühzeitig in *hertmiü, ^augänä, ^ausäm,
got. hairtona, augona, ausona umgewandelt worden, sei es durch
den einfluss des Singulars heriä , avgä, ausU mit langem ä
(for^^chungen 11, 164), sei es durch frühzeitige eiuwirkung der
schwachen feminindeclination (Delbrück, zeitschr. f. deutsch,
philol. II, 401. Paul, Germania XX, 106).
Auch im masculinum ist durch falsche folgerung eines
-na- Stammes aus dem gen. plur. müisne, ahne von ahan- der
dat. plur. ahna-m entsprungen. Lautete es got. auch *auhsna-m,
wie man gemeiniglich vermutet (belegt ist die form nicht), so
würde diese form natürlich ebenso zu beurteilen sein; ursprüng-
lich wäre sie nicht, das ursprüngliche kann nui' *auhs<i-m im
dat. plur. sein, so dass die gewöhnlichen formen dieses casus,
z. b. hmia-m und im neutrum halrta-m, allerdings höhere an-
spräche haben für das alte zu gelten, als (ibna-m und das ge-
mutmasste *auhi;na-m, als vaina-m, namna-m im neutrum.
Im altnordischen ist im plural des masculinums eine dop-
pelte, eine von zwei verschiedenen punkten ausgehende bewe-
gung wahrzunehmen. Erstens eine mit dem gotischen über-
einstimmende, so dass wir diese wol für die ältere halten und
ihre anfange in die zeit ostgermanischer Sprachgemeinschaft
verlegen dürfen: xom gen. })lur. gnmna ausgehend gelangte man
zu der declination noni. gumnar, dat. gumnu-?n, acc. gumna,
demnach zur folgerung eines -na- Stammes. Altn. uxi (oxf)
brachte es ebenso vermittels seines gen. plur. //av<a [fixna) nicht
nur zu dem dat. yxnn-m {ftxnn-m), sondern selbst zu einem
neutralen nom. acc. plur. yxn (/ixn). Vergl. Wimmer, altnord.
58 OSTHOFF
granim. § 64, anm. 3. § 68. Ein anderer anstoss gieng, dieser
speciell im altnordischen spracbleben, von dem dat. und acc.
plur. altn. höwi-m, hana aus, welclie formen, wie wir oben
sahen (s. 5), veranlassung wurden zur folgerung eines -«-
Stammes, zur nachbildung eines nom. und gen. plur. liannr, hana.
Wir musten hier mit diesen ostgermanischeu analügie-
1)ildungen sofort aufs reine kommen, um unser urgermanisches
paradigma zu rechtfertigen ; denn, wie der kundige weiss, herscht
leider bis jetzt noch immer nicht die nötige klarheit über diese
dinge. Die Wahrheit dieser behauptung erhellt u. a. aus
Zimmers ansetzung einer europäischen (!) grundform ■^nämna-
bhi/m, anzeig. f. deutsch, altert. I, HO (vergl. auch ostgerm. u.
westgerm. s. 82) und aus Bezzeubergers lehre: 'schwund des
6 findet sich im nom. plur. namna, vatnd üb. d. «-reihe d. got.
spr. s. 60. Auch Heyne, kurze laut- u. flexionsl. d. altgerm.
sprachst.^ § 90, s. 243. § 125, s. 296 spricht von einer 'rettung
des thematischen n' in den dat. plur. got. ahnain, vainam, natn-
nam und will sogar 'metathesis von früher vorauszusetzen-
den *auhsan-m, '^ naman-m eta.' annehmen, 'die in diesen fällen
eintrat, während in anderen das n untergieug'!
Gehen wir nun näher auf unser paradigma urgerni. uhsdyi-
ein, so ist zunächst zu bemerken, dass sich unsere berechti-
gung, gerade eine solche accentuation anzusetzen, aus dem er-
gibt, was wir im ersten teile unserer Untersuchung (vergl. be-
sonders oben 8. 13 ft'.) über die ursprüngliche betonung der pri-
mären mit Suffix -an- gebildeten germanischen nomina agentis
als das wahrscheinliche ermittelt haben. Dieselbe berechtigung
ergibt sich aber ferner auch aus den oben s. 41 f. über den
accent der sanskritischen -an -bildungen gegebenen nachweisen.
Denn Scherers tretf lieber gruudsatz, den er an die spitze der
ergründung des deutschen verbalbaues setzt, z. gesch. d. deutsch,
spr. 8: 'den sanskritischen, verbalaccent für eine ältere periode
des germanischen überall dort vorauszusetzen, wo der tatsäch-
liche lautbestand einer germanischeu verbalform sich aus
jenem accente ungezwungen erklärt', dieser selbe grundsatz
ist auch auf unseren fall aus der nominalflexion vollkommen
anwendbar. Diejenigen -«n-bildungen, welche nicht so Avie die
Stämme urgerm. nJisdn-, vata'n- accentuierteu, schlössen sich
ohne zweifei dem gesetze der analogie gemäss — es waren
N-DECLINATION. 59
die wenigeren — an die flexion jener an. Dies gilt besonders
von dem neutrum urgerni. na man- = skr. na man-] siehe oben
8. 42, doch verg]. auch ?<. 46 anm.
Der variierende casusaccent also war es, der auch im
germanischen die seheidung der starken und schwachen casus
zu wege brachte. Bis jetzt hat man bloss die gen. plur. got.
auhsne u. s. w. als die einzige spur jenes uralten Verhältnisses
gelten lassen. So Scherer z. gesch. d. deutsch, spr. 432, so
auch Zimmer ostgerni. u. westgerm. s. 82 f., der dies noch zu
einem characteristicum des ostgermanischen gegenüber dem
westgermanischen machen konnte. Der einzige, der auch bei
dem sing. gen. auhsin-s , dat. aiihs'm an die heranziehung des
sanskrit mit seinen formen ukshn-äs, ukskn-i überhaupt ge-
dacht hat, ist meines wissens Delbrück gewesen zeitschr. f.
deutsche philol. II, 399 f. Ich halte Delbrücks Vermutung, bei
ihm allerdings noch nicht klar präcisiert, für das alleinige
mittel, welches uns das rätsei des / im gotischen gen. dat.
sing, und im ahd. hanin zu lösen vermag, es aber auch ecla-
tant löst. Und dass sich auf dem von Delbrück betretenen
wege wol die richtige erklärung finden lassen werde, darin
ward ich durch ein gespräch mit prof. Sievers bestärkt, das
ich im Januar dieses Jahres zu Jena mit ihm hatte und in wel-
chem er seinerseits die Vermutung hinwarf, der unterschied von
^ot. auhsin-s, auhsin und acc. auhsan könne wol im letzten gründe
mit den früheren betouungsverhältnissen zusammenhängen.
Zunächst steht es fest: das / in got. hanins, hanin, ahd.
hauiji war kein eigentliches von Ursprung an achtes /, sondern
vielmehr ein urgerm. e oder, wenn mau will, ein vocal von
irrationaler klangfarbe. Diesen charakter des i beweist uns
evident das {ilthochdeutsche, wo dasselbe in weitaus der regel
der regel der fälle keinen umlaut gewirkt hat. Vereinzelt vor-
kommende formen mit umlaut wie ahd. henin, nemiti, scedin
(Heyne kurze laut- u. flexionsl. d. altgerm. spr. ' s. 26, Scherer
z. gesch. d. deutsch, spr. 436) besagen nur, dass sich hier und
da in althochdeutschen mundarten frühzeitig die klangfarbe
jenes irrationalen vocals in der bestimmteren geltung als Maut
festgesetzt hatte.*)
*) Die alleinige erwägung dieses momentes hätte für Gust. Meyer
60 OSTHOFF
Die einzige differenz zwischen dem sing. gen. und dat. urd.
>/hsen-ns, uhscn-l und dem plur. gen. }ihsn-am und der grund,
warum man in jenen formen oder vielmehr in ihren gotischen
und althochdeutschen abkömmlingen den Charakter als schwacher
casus bisher verkannt hat, liegt darin, dass wir in uhsm-äs, uhsen-i
nur scliwächung des themavocals in tieftonigster silbe, in uhsn-
n/n dagegen völligen schwund desselben haben; in unserer
weise gesprochen: dort liegt stufe "'^j hier aber stufe «'^ vor.
Ich zweifle nicht, dass an dieser Verschiedenheit nur das noch
schwerere gewicht der pluralendung -am gegenüber den -a's,
-1 des Singulars schuld war. Vielleicht ist die Ähnlichkeit zwi-
schen dem got. gen. plur. auhsn-e und und dem skr. ukshn-am
gar nicht einmal so gross als man sie sich gewöhnlich denkt.
Vielleicht ist eben die grundsprachliche Vorstufe beider nur
indog. nksan-am (stufe «-), und jede der beiden sprachen
schritt selbständig für sich bis zu der weiteren und letzten
Schwächung, bis zur stufe «^ vor: eine Vermutung, für welche
man selbst^ allerdings als ganz unsicheres beispiel, abaktr«
ddman-äm = skr. dhamn-am anführen könnte, mit grösserer
Sicherheit aber auf die oben s. 34 erwähnten rgvedischen le-
sungen der intr. sing. /m(h»n-a, nänian-d, rajan-ä sich beru-
fen darf.
Die starken casus unseres urdeutschen paradigmas, vor-
nemlich der acc. sing. uhs(in{-am) und der nom. plur. nhsfm-{a)s,
erscheinen auf der stufe a', übereinstimmend mit den ent-
sprechenden vedischen formen (oben s. 33), aber in abweichung
von denen des späteren sanal?:rit, welche stufe a"^, das gedehnte
-än-y haben. Diese lautentsprechuug, dass ein ursprüngliches a im
germanischen durch die Wirkung des auf ihm ruhenden hochtons
als reines ungeschwächtes a verbleibt, im sanskrit dagegen
durch dieselbe Wirkung des hochtons, zumal wenn dazu noch
die Stellung vor einem nasal (einer liquida) hinzukommt, ge-
dehnt erscheint, lässt sich häufiger beobachten. Die regelrechte
entsprcchuug des sanskr. a und des germanischen a im pcrf.
hinreichen müssen, um den sonder l)aren einfall, in dem genitiv got. hani-n-s
könne ein «-stamm enthalten sein, an den suff. -n{a)- getreten sei (z. gesch.
d. indog. stammhild. u. declin. s. S6), sofort zu unterdrücken. Vergl.
meine Bemerkung in der .Jenaer literaturzeitg. l*>. sept. 1875. s. fiHfi.
N-DECLINATION. 61
sing-, der piimäien vcrba erwähnten wir schon oben: s. 40 f. Man
vergleiche auch noch die wurzelvocale in germ. näman- und
sanskr. nd'ma)i-, grundf. indog, *nüman-, nicht * na man-.
Was endlich drittens noch den mittleren casus, den dat.
plur., angeht, so stehen got. *auhsa-m, hana-ni, halrta-7n mit
ihrem themavocale ganz auf derselben stufe wie die sanskr.
vkshd -hhyas , udd-hhyas, auf der stufe «i; vergl. oben s. 32.
s. 52 f. Gerade auch durch die so schlagende Übereinstimmung
in der bildung dieses casus zwischen dem germanischen einer-
seits und den beiden arischen sprachen andererseits wird das
erstere, das germanische, mit seiner w-declination auf eine so
sehr hohe rangstufe der altcrtümliclikeit hinaufgertickt. Alle
anderen europäischen sprachen sind hier in die analogie voca-
lischer dedinationen ausgewichen; das griechische in die der
o-decliuation: hom. xoTvhj6ov-6-^iv, das lateini?(che, slawische
und litauische in die der «-declination: lat. homin-i-hus, abulg.
kamen-i-imi, lit. akmen-\-ms. Alle diese formen der anderen
europäischen spraclien überragt das got. hana-m in derselben
weise an ursprüuglichkeit der bildung, wie das skr. mätr'-shu
und das griecli. fOjT()ä-ot vor den slaw. mater-~t-chü, lit. mo-
ter-i-sh (dieses nur im accent den übrigen voran stehend) den
Vorzug hal)en; vergl. oben s. 52 f. Gust. Me^er z. gesch. d. indog.
stammb. u. decl. s. S5 f. scheint es, 'als ob im dat. plur. hana-m,
hairta-m nicht, wie man gewöhnlich annimmt, v<tr der
endung in das auslautende n. des Stammes ausgefallen sei, was
doch ein eigentünüicher lautvorgang wäre'. Wir hoften durch
unseren nach weis der ursprünglichen betonung der ///<-suffixe
(oben s. 49 ff.) diesem hiutvorgange seine 'eigentümlichkeit' be-
nommen zu haben.
Es scheint mir auch, um das hier einzufügen, als wenn
die r-declination der verwantschaftsnamen in allen altgermani-
schen sprachen genauer besehen dieselbe ursprünglichkeit der
bildung des dat. plur. zeige wie die ?i-declination, als wenn
got. bi'opru-fn, dauhiru-m mit hana-m im letzten gründe auf
derselben stufe stehe. Wie nendich als mittlerer casus got.
'^ auhsa-m aus * anhsa-mas 'au i^auakv. vkahd- hhyas , S(t verhielt
sich ein urgerm. '^- brojjr-m, * duhlr-m aus ^' bropt^-tnas , *duhtr-
mas zw i^Sin^kr. bhrd fr- hhyas, duhitr -hhyas. Germ. '*b7^opr-m,
"^duhlr-m aber entwickelten sich mittels des notwendig zur
()2 OSTHOFF
entfaltuDg kommeuden stinimtoues der «-farbig-eii liquida zu
hn>pr-u-m, *fluhtr-u-m = got. dauhfr-n-m (vergl. Job. Sclmiidt z.
gesch. d- iudog-. vocal. II 229.), wie analog im griechischen bei
der a-farbigen griechischen liquida q die giund formen '*jturQ-o'i,
* thvyo.T{t-6'i zu * 7raT{>a-ol jxaTQa-öt, '"'• H-üyarga-cA d^vyarQa-öi
wurden : oben s. 52 f. Der auf rein lautlichem wege zu der form
bropr-u-tn, dauhtr-ii-m gelangte dat. {)lur. aber ward der keim
zu <ler neuen pluraldecliuation der verwantschaftswörter im
gotischen: hropr-u-m, dauhtr-u-m traten in die analogie des
gleich auslautenden dat. plur. der /<-declination, in das ge-
leise von sunu-tn ein ; was offenbar um so leichter geschehen
konnte, als ja eben dieses sunu-g seinem begrifle nach auch
ein verwantschaftswort und dazu seiner form nach gerade das
hauptsächlichste und ohne zweifei gebräuchlichste nomen der
masculinen ?<-declination war. So bildete man denn alsbald
zu dem misverstandenen dat. plur. bropr-u-m die w-formeu got.
uom. hroprju-s, acc. hropru-ns hinzu, welche die alten ächten
pluralformen allmälich, im gotischen mit ausnähme des gen.
plur. hropr-e, verdrängten.
Der individuelle beweggrund aber, weshalb gerade nur der
uom. und acc. plur. im gotischen, nicht auch der gen. plur., zu
dem übergange in die ?<-declination, zu welcher ihnen der dat.
hropru-m den weg bahnte, sich entschlossen, liegt unmittelbar
auf der band. Bedenkt man, dass die grundform für beide casus,
nom. acc. plur., *hropar-as bei regelrechter fortentwickeluug
im gotischen zunächst zu *hropar-s und dann endlich zu *hropar
werden muste, wie der nom. sing, "^anpar-s aus * unpara-s
schliesslich in anpar endigte : so sieht man, dass der nom. und
acc. im plural der verwantschaftswörter mit dem nom. und
acc. sing, hropar, dauhtur u. s. w. lautlich zusammengefallen
wäre. Da war grund genug vorhanden zu differenzieren und
dem dativ hropru-m jene formen hroprju-s, hropru-ns nach-
wachsen zu lassen. Einige der altgermanischen sprachen, das
angelsächsische und althochdeutsche nemlich, haben denn auch
jenen formalen zusammeufall des nom. acc. plur. mit dem nom.
und acc. sing, nicht durchweg gescheut, das altsächsische vollends
hat gar keinen anstoss daran genommen. Vergl. nom. acc.
plur. ags. hrötior, ahd. hruoder, beide = grundf. * hropar-as und
lautlich mit dem nom. acc. sing. (ags. auch noch mit dem gen.
N-DECLINATION. 63
sing., ahd. sogar mit allen siugularcasus) identisch, neben jün-
gerem ags. broboru nach der u-, ahd. bruodieya nach der
ö-declination ; vergl. ferner alts. nom. acc. plur. brdbar hrober
= *bropar-as ohne unurspriingliche nebenform und ebenfalls
ohne formale Unterscheidung vom ganzen singular. Sonnenklar
aber wird die von uns behauptete priorität des dat. plur.
urgerm. got. hropru-m vor den anderen w- formen des plurals
eben dadurch bewiesen, dass dieser dat. plur. auf -u-m überall
in jeder der altgermanischen sprachen angetroffen wird, auch
da, w^o er keine uachbildungen nach der ?<-declination wach
gerufen hat; so voruemlich im altsächsischen: brotiru-n, im
altnordischen: brcebru-m, iketru-jn. Weiteren beweises dafür,
dass diese form selbst ursprünglich nichts mit der ?<-decliuatiou
zu schaffen gehabt habe, bedarf es nicht.
Treffen wir aber mit dieser auffassung von bropr-u-fn
das richtige, so stützen sich offenbar die dat. plur. broj>ru-m
und '^auhsa-m (hana-m) gegenseitig in ihrer eigenschaft als
erhaltene und so treu als möglich mit den entsprechenden
sanskritischen übereinstimmende casusbilduugeu von der mitt-
leren Stammform. Es verhalten sich auch im deutschen in
der declination von bropar- die drei Stammabstufungen -par- :
-pru- : -/>;•- genau ebenso wie sauskr. -tar- : -tr- : -fr-, wie
griech. -tsq- : -tqcc- : -tq-. Die dativform got. bropru-tn, ags.
brobru-m, alts. bröt)ru-n, ahd. bruodru-m aber wird hinfort
nicht mehr mit Sievers paradignien z. deutsch, gramm. bl. 1. 4.
5. G. als selbst schon zu den falschen analogiebildungen gehörige
zu kennzeichnen sein.
Um nun von den Veränderungen zu reden, welche an der
alten M-declination in der historischen zeit der altgermauischen
sprachen allmälich vorgegangen sind, so kam eine zusammen-
gehörige gruppe dieser umwandeluugen bereits vorhin (s. 57 f.)
zur spräche: es waren die von den genitiven plur. got. (mfisne,
vatne im gotischen und ebenso im altnordischen ausgehenden
analogiebildungen. Wir würden hier von Verallgemeinerung
der schwächsten Stammform reden können, die demgemäss, wie
sie vom gen. plur. ihren ausgang nahm, zunächst auch nur im
plural platz ergriff und erst später, im altnordischen beim
ueutrum, sich auch üljei- den singular verbreitete. Indessen ist
es nicht das allein : mit der Verallgemeinerung der schwächsten
04 OSTIIOFF
themalorui ist iiberg-ang in die a-declination, stamnierweiterung-
(lurcii -ti- verbunden.
Andererseits gewahren wir nun aber auch ausdehuun^- der
stärksten themaform über ihr urspriing'liclies gebiet, also die-
selbe erscheinuug- wde im altbaktrischen (oben s. 55). Das
gotische hat dies nur zugelassen im gen. plur., aber bei allen
schwachen mascidinis und neutris, ausser den genannten vier
altertümlichen auhsne u. s, w.; demnach hanan-e, hairtan-e, beim
adjectiv blhidan-e. Eine schöne aualogic findet dies verfahren
des gotischen daran, wie im gemeiugriechischen anstatt des
alten regelrecht schwachformigen gen, plui-. jcazQ-för (erhalten
bei Homer Od. d 687. t9- 245 im versschlusse) sich jrartQ- ojv
festsetzt, ebenso d^vyartQ-cov anstatt des homer. und poet. i9-r-
yaTQ-ojv, ferner fn/rtQ-cor anstatt * firjTQ-föt^, offenbar unter
dem unmittelbaren einflusse zunächst des starken nom. plur.
jraTtQ-f^, {^ryartQ-fc, fo/rtQ-tg. Augenscheinlich falsch ist es
somit, wenn Zimmer nominalsuff. a und a s. 175 die genitiv-
pluralis-bildung der ostgerm. auhsne, fixna geradezu zum kri-
terium der 'organischen' -^/«-stamme macht und alle diejenigen
für * unorganisch' erklärt, welche wie hanan-e jenen casus bil-
den. Würde man etwa im griecliischen sagen können, jiartQ-cov
gehe auf einen 'unorganischen', das homer. jxutq-cTjv aber auf
den 'organischen' (>-stamm des verwantschaftswortes zurück?
Anders als das gotische haben die westgermanischen spra-
chen, unter sich auch hier genau übereinstimmend, den alten
ursprünglichen gen. plur. der masculina und neutra der ??-decli-
nation ersetzt, nemlich durch herüberuahme der endung des
schwachen femininums: Vi\\Ci.hundno, herzöno,' i(\i^. hanono, her-
tono, ags. hanena, eäyena, wie ahd. zimgöno, alts. lungono , ags.
tnngena. Im althochdeutschen hat dann auch noch diese an-
lehuung aus femininum den dat. plur. haadm, herzom wie zun-
ydm nach sich gezogen.
Während also das gotische mit seinem gen. plur. hanan-e,
hairtan-e ganz allein steht und selbst vom altnordischen (vergl.
oben s. 5. 57 f) verlassen wird, zeigt sich wenigstens dasselbe
princip die w-declination zu uniformieren und auf dieselbe weise
zu uniformieren auch in allen aussergotischen sprachen, wenn-
gleich an einem anderen punkte, im gen. und dat. des Singu-
lars nemlich. Hier, wo im urdeutschen der suffixvocal sich als
N-DECLINATION. 65
e, als auf stufe"'- befiiKllich auswies (vergl. s. 59 f.), behält nur
(las gotische und das althochdeutsche jene ursprüngliche stufe
bei iu der form i: got. gen. himhi-s, hairtin-s, dat. hanin, huirtin,
ahd. gen. dat. hanin, herzin. Doch auch schon im althoch-
deutschen beginnen daneben formen des gen. dat. sing, auf -an,
-on, -an sich zu zeigen ; d. h. die starken casus mit ihrer stufe
a ' überwältigen den ursprünglichen gen. und dat. sing, auf
-m. Mit -an belegt Graft' ahd. Sprachschatz II, 919 f. als gen.
sing, aran, ratan (von rado rata m. 'lolch, kornraden', Graff II,
470), furi-hoüan, als dat. sing, aran, cholban\ mit -on als gen.
sing, swipogon, liobon, heroston, als dat. sing, änon, gilonbon,
niumon, wm-garton] mit -un als gen. sing, rant-hogim, heiligiin,
als dat. sing, willun, liopun. Hier ist übei'all dem gen. und
dat. sing, die starke themaform aufgedrungen worden, und
zwar ist das zunächst durch die verlockende analogie des acc.
sing. masc. aut -an, -on, -un geschehen. Das ergibt sich ganz
evident aus der interessanten tatsache, die auch Graff nicht
entgieug, aus der tatsache, dass im althochdeutschen nur erst
masculine substantiva der schwachen declination von dieser
Umgestaltung des gen. dat. sing, ergriffen wurden: im neutrum
endigte der acc. sing, nicht auf -an, -on, -un, sondern lautete
wie der nominativ.
In allen übrigen dialekten aber ist dieselbe uniformierende
bewegung weiter gegangen und hat sich auch auf den gen.
dat. sing, des neutrums erstreckt; vergl. die gen. dat. sing. alts.
hanan, herian {-on, -im, -en), ags. hanan, eägan, altfries. hona,
äga, altn. hana, hjarta.
Umgekehrt bietet dann aber auch das althochdeutsche
vereinzelt die erscheinung dar, dass auch der acc. sing. masc.
den ausgang -in des gen, und dat. sing, sich aneignet, mithin
nach der analogie der schwachen casus auf stufe «- tritt. Vgl.
die ahd. acc. sing, wahsnmi, ubelin, ratin bei Graff II, 921. 470.
Bei dem auch schon ahd. sich einfindenden, nihd. durchdringen-
den unterschiedslosen -en hört natürlich jede möglichkeit die
stufe des themavocales zu bestimmen auf.
Zu den zuletzt beobachteten Vorgängen der uniformierung
haben wir widerum die schlagendsten analogien auf griechischem
sinacliboden in der declination der (>- stamme der verwant-
schaftswörter. Wenn Homer und die epiker überhaupt und
Beitrüge zur geschichtp der deutscheu spräche. 111. 5
(j6 OSrHOFF
iiiu'li die tragischen und lyrischen dichter es sich gestatten, die
gen. und dat. sing. jr<<rt'(>-oc jrart{>-i,}HirtQ'OJ, fo/ThQ-i, d-uyartQ-oq
{^vyuTt(j-i zu biklen und neben den regelrechten formen jt((tq-6c;
jTaxQ-i u. s. w. und vrdlig proniiscue mit diesen zu gebrauchen,
so ist das ganz die nendiche abweichung vom ursprünglichen,
wie wenn im alth(H'hdeutschen teilweise , durchgehends in
allen übrigen dialekten mit ausnähme des gotischen die
Verschiedenheit der themagestalt zwischen dem gen. dat. sing,
masc. und neutr. und dem ncc. sing. masc. der « - declination
aufbort. Und w^enn andererseits im althochdeutschen, wie wir
sahen, die schwache form -in auch in den acc. sing. masc. ein-
dringt, so läuft dem völlig parallel der homerische und p(»etische
gebrauch der formen sing. acc. d-vyiait-a, })lur. nom. B^vyaTQ-tc
anstatt der ehemals allein berechtigten, in der gewöhnlichen
spräche auch beibehaltenen d-vyartQ-a, d-vyaTtQ-tc.
Alle bisher erörterten Umgestaltungen des ursprünglichen
urgermanischen paradigmas der -rt>i- stamme erweisen sich als
so überaus einfach, auf schritt und tritt veimögen wir so sicher
von jeder einzelnen Veränderung uns rechenschaft zu geben,
die natürliche Veranlassung derselben nachzuweisen, dass mau
fast sagen kann, es müste auffallen, wenn es nicht so oder viel
anders gekommen wäre. Die germanischeu männlichen und
neutralen -aw- stamme, soweit sie primären Charakters sind,
erscheinen aber nach allem diesem auch von Seiten ihrer flexion,
was ihr alter in der Sprachgeschichte anbetrifft, in einem so
günstigen lichte, dass wol kein zweifei bleibt: das germanische
sprachidiom muss während der zeit seines noch nicht zerrisse-
nen Zusammenhanges mit dem indogermanischen ganzen dieser
kategorie von nomiualbildungeu ein besonderes interesse abge-
wonnen und sie in der periode seiner individuellen vorhistori-
schen existenz sorgsam weiter gehegt und gepflegt haben. Und
nun sehe man zu, wenn Zimmer nomiualsuÖ'. a und ä s. 179
die geschieh te des suffixes -a- nomina agentis bildend 'in
grossen zügen' also schreibt: 4) arische periode suftix a, 2)
germanische periode suftix öm, 3) hochdeutsche periode suftix
arya\ ob nicht diese 'grossen züge' ebenso verzogene züge sind
und ob nicht vielmehr die beiden erstereu perioden richtiger
also zu charakterisieren sind: 1) indogermaniche periode suftix
-a- und Suffix -an-, 2) germanische periode zurücktreten des
a- und ausbreitung des -an-.
N-DECLINATION. 67
Um das bild zu verYollständig-eu, miiss ich uuii uocli eine
kurze skizze entwerfen von den Schicksalen, welche die ?i-decli-
nation in den übrigen europäischen sprachen gehabt hat. Diese
skizze mag uns gleichsam als folie dienen filr die am germa-
nischen gemachten beobachtungen. Von den -an -stammen
brauchen wir dabei hinfort die -w««-stännne nicht zu trennen,
da, was von den einen gilt, in der regcl bei den anderen ganz
sich ebenso verhält.
Dass im slawischen und litauischen die 72 -stamme, wie
alle consouantischen themen, in den meisten casus in die ana-
logie der / - declination (slawisch auch vereinzelt der a-, litauisch
häufiger der -/«- declination) übergetreten sind, ist bekannt.
Auf diese art der unursprünglichkeit kommt es uns indes hier
weniger an. Die bewahrung des ursprünglichen casusaccentes
in den der consouantischen flexion treu bleibenden casus im
litauischen ward bereits oben s. 46 f. zur spräche gebracht. Was
den uns am meisten interessierenden punkt, die form des
suffixvocals, anbetrifft, so zeigt ein blick auf die paradigmen
abulg. kamen- m. und imen- u. bei Leskieu handb. d. altbulg.
spr. § 53. und auf das litauische ahmen- bei Schleicher lit.
gramm. § 87. s. 191 f., dass durchgehends in allen obliquen
casus -en- und -men- die themabildenden silben sind. Die ver-
gleichung des gen. sing. lit. vandhn-s mit skr. ndn-ds , urgerm.
*vaten-äs, got. vutin-s, sowie des gen. sing, abulg. imen-e mit
skr. ndmn-as, urd. *namen-as, got. namin-s, ebenso des gen.
plur. abulg. imen-n mit skr. nämn-äm, got. namn-e ergibt, dass
wir hier den themavocal in einer Schwächung und zwar auf
unserer stufe «"^ vor uns haben. Das slawolettische stimmt
also, abgesehen vom gen. plur., hinsichtlich der vocalstufe
genau zum germanischen. Aber diese stufe ist nun verallge-
meinert, und so erscheint auch der nom. plur. abulg. kamen-e,
lit. ükmen-s gegenüber dem nom. plur. skr. ukshmi-as ukxhä'n-as,
urd. * nhsm-as , got. aiihsan-s; ferner der acc. sing, abulg.
kameu-e gegenüber daiw i>kx. nkshän-am ukshan-am, \\x({.* uhsän-
am, got. auhsan.^) Ein andenken aber an eine ehemals auch
') Eine analogie zu dem uuiloiuiicrciiden voi'gauge speciell im slu-
wiöchei» kann es aueli noch genauul weiden, wenn im juitMensötamme
der thematischen verbeu (nicht im aorist) das altbulgarische vor der
5*
68 OSTHÜFF
voibaiuleue starke themaforni bewahren diese sprachen in der
form des auslauts ihres nom. sing-, masc. : abulg-. kcuny , lit-
akmu . Diese abulg. -y, lit. -n gehen zunächst auf -ün, weiter
auf -uns, endlich auf -am zurück; vergl. Schleicher compend.^
§ 101. s. 144., Joh. Sciimidt z. gesch. d. indog-. vocal. I, 177 f.
Denniach zeigen diese noni. sing, kanuj, aknm in der tat die
starke themaforni -man-, nicht das geschwächte -men-. Auf
-Im, also auf stufe a-, sind auch mit den got. namo, vato zu-
rückzuführen die nom. (acc.) sing, der neutra al)ulg. imc, lit.
vandu (früher neutr.), altpreuss. wundUn vocab.; vergl. forsch.
II, 1G3 f., oben s. 56.
Uniforiiiierung der themagestalt ist im slawischen und
litauischen auch bei den -/«r- stammen, den verwantschafts-
wörteru, durchgedrungen, indem bei abulg. tnater-, düster-, lit.
moter-, dukter- die form -/^r- gleichraässig und unterschieds-
los durch alle casus hindurch geht. Vergl. Leskien, handbuch
d. altbulg. spr. § 54; Schleicher, lit, gramm. § 87, s. 193. Es
scheint mir jedoch in anbetracht des griech. jiartQ-a, xartQ-tq
(vergl. oben s. 43. anm.) nicht, als ob hier in dem slawo-lit. -/gr-
eine Schwächungsstufe des urspr. -tar- gesehen werden dürfe.
Ueberdies macht es die Übereinstimmung der meisten sprachen
(sanskrit, altbaktrisch, griechisch, germanisch, auch lateinisch)
wahrscheinlich, dass bei den verwantschaftswörtern bereits die
grundsprache die schwächste themaform in der gestalt -tr-,
also mit Schwund des vocals, mit stufe «•', constituierte. Ist
dies richtig, so würden folglich wol der acc. sing, abulg. mater-e,
der nom. plur. lit. dukter- s, nicht aber die gen. sing, abulg.
mater-e, lit. dukter-s, die gen. plur. abulg. mater-ü, lit. dukter-ü
(vergl. dazu vornehmlich das got. bropr-e) ihre form -ter- zufolge
alten erbrechtes besitzen. Vergl. auch die oben s. 60. erwähn-
ten griechischen uniformieruugen in der declination der ver-
wantschaftswörter.
'Im griechischen und lateinischen sind beide suffixformeu
{-an- und -an-) insofern, mehr aus einander getreten und haben
eine sondere xistenz zu führen begonnen, als es regel geworden
ist, dass entweder -««- oder -an- bei einem und demselben
personalendiing der 1. pers. })lnr. und dual, das ihr eigene o aufgibt zu
gunsteu des durchgehenden e in den übrigen persouen: abulg. nese-mü,
nese-ve für neso-mü, neso-ve , die der einfache aorist beibehält.
N-DECLINATION. 69
uomen den stamm in allen casus formiert; der nom. sing, ist
bekanntlich nur scheinbare ausnähme.' Diesen satz, den ich
forschungen II, 154 niederschrieij, freilich ohne damals im ent-
ferntesten das richtige Verhältnis zu durchschauen, kann ich
hier Avider aufnehmen, um jetzt in einem anderen sinne damit
im allgemeinen die richtung zu bcKcichnen, in welcher sich die
geschichte der -««-declination in den sprachen Öüdeuropas be-
wegt hat. Uniformierung ist auch hier die gi'undtendenz ge-
wesen, welche die sprachcntwickelung geleitet hat. Doch
müssen wir griechisch und lateinisch trennen, da im einzelnen
nicht so völlige Übereinstimmung zwischen ihnen herscht wie
im slawischen und litauischen. Wir beginnen mit dem lateini-
schen, weil hier die Verhältnisse einfacher liegen.
Als Vertreter der ursprünglichen einheitlichen -an- und
-man- erscheinen im lateinischen einerseits -en -In-, -men -min-,
andererseits -ön-, -mön-. Beispiele für -in-, -min- sind: pecten
pecün-is, cardo cardin-is masc, nomen nomin-is neutr., asper go
asper{/in-is fem., agmen agmin-is neutr.; für -ön-, -mön-: edön-,
rapön-, sei-mön-, tcmön-.
Dass -en -tn-, -men -nun- unsere stufe «"- sei, mithin die-
jenige form des suffixes, welche von den schwachen casus aus
in die ursprünglich starken eindrang, werden wir nicht ver-
kennen können. Wenn noch Zimmer, anzeiger für deutsches
altert. I, 110. umgekehrt beliauptete, in lat. nomin -um, altsl.
imen-h sei die themagestalt der starken casus (nom., acc.) auf
die schwachen tibertragen, so beruhte das auf der bisher
immer geltenden, aber nunmehr aufzugebenden irrigen Voraus-
setzung, zu dem wesen eines schwachen casus gehöre notwendig
völliger vocalausfall in der stammbildenden sill)c ; eine Voraus-
setzung, zu welcher eine zu einseitige rücksiclilnahme auf das
Sanskritparadigma verfiüirt hat. Das lat. jecin- von Jecin-or-is
ist principiell gar nicht, nur graduell verschieden von dem
sanskr. yakn- des gen. sing, yakn-ds, denn auch dies skr.
yakn-äs entstand, wie wir wissen, aus einer Vorstufe *yakan-äs.
Vergl. auch noch ncuumbr. nomn-er, nomn-c (stufe «s) =
lat. nomiji - is , nomin - i (stufe a.'^). Wenn also der Lateiner
im acc. sing, pectin-em, cnrdin-em, (urhin-em , asjicryin-cm,
compagin-em sagte, so steht das völlig auf gleicher linie
mit dem eindringen des -in in den nemlichen casus,
70 OSTHOFF
welches althochdeutsche beispiele wie ratin, rvahsmin zeigen:
oben «. 65.
Auch bei den verwantschaftswörtcrn hat das lateinische
in allen obliquen casus die schwache themagestalt über die
starke obsiegen lassen : es legt durchgchends die stamme patr-,
matr-, frair- zu gründe, ebenso wie die dichtersprache der
Griechen sich jene obigen d-vyaxQ-a, d^vyaxQ-tq gestattete.
Die nominat. sing, pater, mater , fraier bleiben a])er auch
hier, ganz so wie abulg. kamy , lit. akmu , auf der alten
starken themaform stehen; denn wenngleich Fleckeisens an-
nähme einer messung palcr bei Plautus immerhin nicht sicher
steht, so ist daran, dass patcr aus einem früheren "^ palcr ver-
kürzt sei, doch nicht zu zweifeln, trotz Corssens tai)ferer pole-
mik ausspr. voc. 11 2, 502. anm.*) Vergl. Joh. Schmidt, z. gesch.
des indog. vocal. II, 238. Ebenso ist aber auch, wenn ein
-«w- stamm im lateinischen in den obliquen casus durchweg
das schwache -in- aufweist, der dazu gehörige nomin. sing.
aber auf -0 ausgeht, wie bei aspcrgo, compago u. a., dieses -0,
altlat. -n aus früherem -ön{s) zu erklären; d. h. der nom. sing.
participiert alsdann an der sonst durchgeführten schwachen
themaform doch nicht, sondern hält das ältere fest.
Das verfahren des altsächsischen, angelsächsischen, alt-
friesischen, altnordischen, wenn diese sprachen in den gen. und
dat. sing, die form -an- eindringen lassen (oben s. 65.) oder
auch des gotischen, wenn es hanan-c im gen. plur. bildet (oben
s. 64.), oder endlich auch des altbaktrischen, wenn es das ge-
biet des -an- von den starken casus aus erweitert (oben s. 55.)
— dieses selbe verfahren bekundet das lateinische mit seinen
durch alle casus hindurchgeführten suffixformen -ön- und -mön-.
Dies ist weitaus die häufigste gestalt, in der das alte -an- und
-man- im lateinischen auftreten. Lat. ö (stufe a^) vor einem
nasal und in hochbetouter silbe steht hier aber gerade so
einem sanskr. «, urspr, und germ. a gegenüber wie in nomeM
= sanskr. naman- = indog. und deutsch nänian-, wie ferner
auch in vöc- = sanskr. vac-, beide aus der grundform *vak-
= gr. ojT-.
Glücklicher weise ist uns, um das vorhergehende vollends
zu bestätigen, eine uomiualbildung mit -an- im lateinischen er-
halten, welche nicht nur mit einer im deutschen vorhandenen
N-DECLINATION. 71
etymologisch genau übereinstimmt, sondern uns auch in einer
sehr instructiven doj)pelilexion überliefert ist: ich meine lat.
Jiomo = got. guma, altn. (jonü, ags. <juma, alts. gumo, ahd. gomo.
Was zunächst die function des suffixes -an- in diesem lat. homo
und urd. goman-, sowie in altpreuss. smoij vocab., lit. zmu (Fick
wörtcrb. I ' 577 f.) anbetrifft, so sehe ich darin eine diesmal
bereits grundsprachliche, nemlich italo-germano- litauische bil-
duug mit seciindäreni, 'individualisierendem' -an-: die grund-
form '■^'' gham-an- stellt sich begrifflich gerade so zu gi*. X'^jt^«-
in ;(;«//«-/, lat. humo- 'ordc', lit. zeni- in zän-skirc 'erd-, acker-
scheide', wie etwa got. gauj-an- 'gaubcwohncr' zu gauja- ' gaii',
abaktr. vic-an- 'dem clan angeliöriges Individuum' zu vlc- 'clan,
familie'; vergl. forschungen 11, 112. 182. Corssen, krit. beitr.
241 ff. Von lat. homo aber nun sind uns ausser der bekann-
ten declination, gen. homln-is u. s. w., im altlateinischen auch
die casusformen hcmön-cs, homön-em überliefert, letztere vor-
nehmlich bei Festus p. 100 und l)ei Ennius annal. v. 141, durch
conjectur aucli bei Plautus hei"gcstellt. Vergl. Corssen a. a. o.
und ausspr. voc. 11-, 259 f., wo auch die literatur über diese
altlateinischcn formen angegeben ist. Auch das umbrische hat
homon-m als dat. plur.; siehe Aufrccht-Kirchhoff umbr. sprachd.
II, 357 f. Es ist mir unter so bewanten umständen gar nicht
zweifelhaft, dass sich die declination des nomens lat. homo,
ganz entsprechend der des got. guma, ursprünglich etwa fol-
gendermasscn zusauunengesetzt habe (nur der stamm kommt
dabei in betracht, von den Übertritten in die i - declination ist
abzusehen) :
sing. nom. homö plur. nom. hnmön-es
gen. homin-is gen. homin-um
dat. homin-i dat. Iiomin-i-biis
acc. homön-em acc. homön-es.
Die spräche verlor aber allmälich den siim und das Ver-
ständnis für die überkommene verschiedene formieruug des
nominaUhemas und ergänzte ohne Schwierigkeit beide formen-
reihen, sowol die eingerückte als die nicht eingerückte, zu
einem vollständigen paradigma; mit einziger ausnähme davon,
dass bei der Vervollständigung der reihe homin-is homin-i u. s. w.
kein neuer nomin. sing, hinzu gewonnen werden konnte. —
Das litauische, wenn es die Weiterbildung zmön-cs schafft, legt
72 OSTHOFF
danu ebenfalls die starke tliemaforra zmon- = lat. homön- hemön-
zu gründe; ebenso in der bildung- der wortstämme vnlddn-a-
= urd. valddu-, raudön-a- == urd. gol. raudan-, lat. Rn/Tni-,
Vergl. forschuiigen II, 99 f.
Uniformiert hat bei der n-declination auch die spräche
der Griechen, -sie, die docli allen versuchen ihrer dichter, an
dem alten flexiouskauon ihier verwantschaftswörter zu rütteln
und durch nachbildungen auf eigene faust diesen kauon zu
erschüttern, im ganzen (bis auf den gen. plur.) so mannhaft
widerstand geleistet hat. Complicierter als anderswo sind aber
hier die verschiedenen färlnmgcn des suffixvocales, und darum
ist nicht immer leicht zu bestimmen, auf welcher unserer fünf
stufen derselbe jedesmal erscheine. Wir haben das ursprüng-
liche -an- erstens rein vertreten durch -uv- in den adjectivis
(iiX-av-, täX-av-. Ferner haben sich, der Spaltung des «-lautes
entsprechend, -an- und -man- im griechischen difl'erenziert zu
-tv- -fji'- und -ov- -cov-, zu -//fi*- und -fiov- -ficov-. Es wird
vorläufig schwer halten, das in diesen vielfachen nüancieruugen
einer grundform waltende gesetz bestimmt zu durchschauen.
Ich nenne als beispiele mit -ti>- -rjv- (selten): ago-tv-, r^Q-tv-
adjj., Jttvd^-)jV-, XtLx-rjV-] mit -ov- -cov-: Ttxz-ov-, ccQf/y-ov-,
ald-cov-, xXvö-(ov-] mit -fitv-: jtoi-idv-, jivd--(/ev-] mit -fiov-
-ficov-: ax-fiov-, yvm-^ov-, xtv^-ficdv-. In demselben worte er-
scheinen -ov- und -ojv- neben einander z. b. in Kqov'i-ov-
(homer.) und KqovL-cov-, in g:ay-6v- und (fäy-cov-.
Am leichtesten werden wir ofleubar mit den extremen
unter diesen griechischen Vertretern des alten -an- und -man-
fertig. Griech. jroi-fav- ist ja bekanntlich = lit. pe-mbi- und
da wir uns bei dem letzteren betreffs seiner suffixform -tnen-
für die verallgemeinerte stufe «- entschieden haben (ol)en s. 67.),
wird uns für das -//fr- des griechischen wortes nichts anderes
zu tun übrig bleiben, zumal da der einklang beider sprachen
in dem c von -mcn- vielleicht proethnischen datuuis ist. Vergl.
Joh. Schmidt z. gesch. d. iudog. vocal. II, 32 i. Ebenso muss
dann natürlich auch das griech. aQOtv- auf gleiche linie mit
dem abaktr. ars/ui- der l)elegten casus gen. sing, nrslvi-ö, \)\m\
arshn-äni gerückt werden; es ist nur die schwächuugsstufe im
griechischen nicht auf ihr ursprüngliches gebiet beschränkt ge-
blieben. Auch die formen -y]v- und -ov- -fwjv- können nicht
N-DECLINATION. 73
zweifelhaft sein: sie sind das verallgemeinerte -an-, -man- der
starken casus im sanskrit und altbaktriscben. ßclreüs des
griech. -cov- sprach schon Schcrer z. gesch. d. deutsch, spr.
409 das richtige aus: Mhr langer themavocal mag auf den
starken casus älterer <««- stamme beruhen.'
Das -ov- von ttxr-ov-, dQtf/-6v-, das -[wv- von icx-fjor-,
yvoi-(.iov- unter den Schwächungen unterzubringen möchte ich
nicht wagen. Es entspricht im griechischen häufiger der vocal
0 einem solchen urspr. a, das im sanskrit teils auch als reines
a erscheint, teils durch die kraft des hochtons, besonders vor
folgender nasalis oder liquida, gedehnt wird. So bekanntlich
in Yovv = skr. janu, "^/ß-öv- = skr. kshäm- aus ksliäm-, in
6-vofia = skr. Jiaman-, indog. und deutsch näman-, in öÖqv =
skr. dfXru, in Ji66-tc, = skr. päd-as, in o:it- = skr. vac- ; fälle,
die bereits sämmtlich oben s. 40 f. s. 60 f. s. 70. gelegentlich zur
spräche kamen, sowie auch der normale perfectablaut griech. o
= germ. d = sanskr. n an den ersten der angeführten stellen
bereits erwähnt ward. Mithin stehe ich nicht an, das -ov-,
-f(o}'- für die verallgemeinerte stufe a ^ zu halten. Also sowol
dem -rm- in dem acc. sing. ved. täksJmn-ani als auch dem -än-
der gemein - sanskritischen form täksJidn-am steht das -ov- in
TiXTor- gleich. In (fcr/ov- und (fc'r/cov-, in homer. KQOvior-
und Kqov'iojv- liegt uns dasselbe schwanken der vocalstufen
a' und a- auf griechischem boden vor, das wir l)ei ukslmn-am,
nkshf\n-as und ukshän-am, ukshd'n-as u. a. im sanskrit, ferner
ebenso in den starken casus der altbaktriscben -a/i- stamme
vorfanden; vergl. oben s. 1^3. 41. 55. Und wenn bei dem homeri-
schen gebrauche von KQOviov-oq (11. a 247, Od. / 620) die
prosodische messung Kqoi'J'ov- entsteht, nii'^tsitt KQOvtrov-, so
ist darin nicht schlechtweg und rein mechanisch ein 'um-
springen der quantität' zu erkennen: vielmehr wird bei dem
facultativen eintritt der sulfixlbrm -oi'- für -ojv- die metrische
hebung des t notwendig, und dieses i gewinnt seine ])roso-
disclie länge durch den sich aus ihm in der ausspräche ent-
wickelnden halbvocal j {Kqovj'ovoc = ^Kqovi'jovoc\ der öfter
eine solche Wirkung, regelmässig bekanntlich im sanskrit und
im slawischen, auszuüben vermag, ücbcr griechische fälle, wo
ein solches begleitendes j vorhergehendes i dehnt, handelt
Curtius in seinen stud. z. griech. u. lat. gramm. II 1S6 fl".
74 OSTHOFF
Sehen wir in allen diesen fällen die Vertreter des ursprüng-
lichen -an-, seien es dessen Schwächungen oder seine reine
gestall oder seine dehnung, zu gesonderten paradigmen aus-
einandertretcn, so hat uns andererseits aber auch das grie-
chische selbst zwei nominale u- stamme erhalten, deren declina-
tion, wenn man sie genauer darauf ansieht und einige daran
vorgegangene Veränderungen in abzug bringt, vollständig den
alten dualismus der starken und der schwachen casus erlialten
zeigt. Freilich müssen wir diese Überreste nunmehr unter den
anonialien der griechischen declination suchen, aber unter den
anomalien birgt sich, wie man weiss, in der späteren spräche
häutiger etwas, was vordem in einer früheren entwickelungs-
phase die norm und alleinige regel bildete. Ich meine die
nomina xvo)i> und '^-MQt'jV, faQv-öc; vergl. Curtius, griech.
schulgramm.'' § 177. no. 8. no. 3.
Das indog. kuän- 'hund' war ein mit i)rimärem suffixe
-an- aus der wurzel sanskr, cü- gebildetes nomen agentis, mag
man nun den hund mit Bcnfey griech. wurzellexic. II, 165.
(vergl. auch Pott, beitr. z. veigl. sprachf. III, 290. und Curtius
grundz.* no. 84) als 'den häufig und viele jungen gebärenden'
(griech. jco-i'fo, Curtius gruudz.' no. 71)) oder als 'den schnellen,
stark seienden' oder als 'das nützliche thier' (abaktr. cu-
' nützen') auffassen wollen oder endlich — eine etymologie, an
welche auch schon gedacht worden ist — den hund als 'den
brennenden, leuchtenden' von seiner glänzenden färbe (wurzel
ku- in griech. xaico , xav-öco, skr. cö-na- 'hochrot, flammend,
feuer' Fick wörterb. I'* 61) benannt sein lassen. Auch das
ist nicht anders zu denken, als dass ein solches wort bereits
in der grundsprache eine ganz bestimmte und fest ausgeprägte
declination und diese declination eine ebenso bestimmte und
fest ausgeprägte casusbetouuug hatte. Die abweichungen von
der letzteren im sanskrit stellten wir oben fest: s. 49. Im
übrigen zeigen das sanskrit und die zendsprache übereinstim-
mend ein f(>stes princip in der casusbildung- von skr. cva, ved.
häufiger cun (vergl. die belege aus dem rgveda bei Grassmann
wörterb. sp. 1433), abaktr. cpd] das griech. xvcov fügt sich
nicht in allen stücken diesem princip. Da ist es doch durch-
aus wahrscheinlich, um nicht zu sagen sicher, dass das grie-
chische an seinem teile in folge später geschwundenen ver"
N-DECLINATION. 75
ständnisses für das alte princip änderimgen vorgenommen habe.
Ich recoustruiere nun nach dem sauskrit und altbaktrischen
die ursprüngliche griechische declination von xvmv also:
sing. nom. *xvc6v plur. nom. ^-xvov-Eg {*xvcöV'Eg)
gen. xvv-6g gen. xvv-on'
dat. xvv-i dat. '*xv6-0i (älter *xvo-oi)
acc. *xv6v-a (*xvojv-a) acc. xvv-ac (älter *xvv-äg)
voc. xvov.
Alle historisch eingetretenen Umgestaltungen erklären sich
auf leiclite weise. Sie beschränken sich auf folgende zwei
hauptpunkte: 1) acceutziirilekziehung im nom. sing.: xvcov aus
■''xvcöv = sanskr. ved. cua wie p]T7jq aus *{I7jt)'jq = sanskr.
»lata, lit. motc, urgerm. '*modar (siehe oben s. 43.), wie
ferner {hvyärrjQ aus * i9^i7aT//() = skr. duhitä , lit. duktc] 2) die
casusformen gen. dat. sing., gen. acc. plur. werden der keim
zu einer veränderten declination, veranlassen die spräche den
stamm als einsilbler zu fühlen: mau bildete zu xvv-Öq, xvv-i
ein xvv-a, wie man zu jiod-6c, jiod-i Ji66-a hatte, ferner im
plural zu xvr-cöi', xvv-ac ein xvv-ac, xv-oi, wie sich zu xod-cöv,
jc66-c(c die pluralcasus Ji66-ec, jio-ol stellten. So wurden die
alten formen acc. sing. * xv6v-a (^^•xvröv-a) = skr. cvan-am,
abaktr. cpun-em, nom. plur. '''•xvöv-tc {* xvcöv-tc) = skr. cvan-as,
abaktr. cj)änac{-ca), loc. plur. ^xvo-oi aus *xvo-öi (vergl, oben
s. 49 flF.) = skr. cvä-su aus dem sprachgebrauche verdrängt.
Der homerische dat. plur. xvv-iooi ist bekanntlich eine noch
anders geartete aualogiebildung. Den acc. plur. griech. xvv-a:;
aber, obwol er an sich auch zu den nachbildungen gehören
könnte, dürfen wir doch wol als Überrest der früheren schwach-
formigen natur dieses casus auf europäischem boden stehen
lassen, nur muss er wie sein sanskr. reflex cün-ns ehemals oxy-
toniert gewesen sein; vergl. oben s. H5 if. 38.
Von dem defectiven nominalstamme griech. H(.qv- 'lamm'
mit den überlieferten casusformen sing. gen. aQv-öc, dat. aQv-i^
acc. aQV-a, plur. (CQV-ec, aQV-cöv, aQvä-Oi, ctQV-ac ist zwar be-
kannt, dass er auf die wurzel var- 'bedecken', von welcher
die Wörter für 'wolle' stammen, zurückgeht, auch dass ihm
ziemlich genau das skr. ürana-s (auch uräna-s) 'widder, lamm'
entspricht. Vergl. Leo Meyer zeitsciir. f. vergl. spraciif XV 3.,
Curtius grundz.4 no. 496, Fick wörterb. T^ 212. Allein über
76 OSTHOFF
die biklung von ccqv- ist man dennoch bis jetzt nicht völlig
im khiicn, besonders deshalb nicht, weil man nicht weiss, ob
das vocallose -r- rest von einem suffixc -an- oder von einem
snftixe -)ia- oder -nna- ist. Auch Job. Schmidt z. gesell, d.
indog. vocal. II, 316 ist mit diesem griechischen uomen und
seinem Zubehör nicht überzeugend fertig geworden. Unstreitig
aber weist uns liier das armenische garn 'lamm', das Hiibsch-
mann zcitschr. f. vergl. sprachf. XXIII, 16. anm. 1 mit griech.
/"«(>;•- identiliciert hat, den riclitigcn weg. Dies arm. gaihi ist,
nach weiterer mündlicher mittciluug meines freundes Hübsch-
manii, ein reiner -fm- stamm: gen. sing, gar in aus der grund-
form armen, "^gar en-ali , d. i. indog. *varan-äs. Dies mit dem
griech. Mqv- combiniert ergibt ein indogermanisches *varan-
' Widder, lamm', nicht * varana-, wie Fick ansetzt. Das skr.
nrän-a- (üran-a-) ist also weitergebildet, in die -«-declination
übergetreten.*)
Indog. *varan-, um über die bedeutung und function des
Suffixes -an- in dieser biklung zunächst ein wort zu sagen,
kann wol nicht gut auf primäre weise mit der wurzel var- zu-
sammenhängen: einen sinn 'der bedeckende' oder auch 'der
bedeckte', wobei man 'mit wolle' ergänzen müste, hineinzu-
bringen würde doch äusserst gezwungen sein. Mithin wird man
wol notwendig ein nomen indog. * vara- 'wolle', das erhalten ist
in skr. ura-hhra-s 'widder', wörtl. 'wollträger', und in griech.
tv-tQO-Q 'schönwollig', als Zwischenstufe der Wortbildung zwi-
*) Wie leicht und auf wclclie weise solche Übertritte consonautischer
Stämme in die -a-declintitiou ergehen, hat E. Kuhn für das pälL nachge-
wiesen: der acc. sing, auf -am, der mit dem acc. der a-declination äusser-
lich identisch ist, gibt den anstoss zu solcher entwickelung der declina-
tion; vergl. dessen beitr. z. päligramm. s. GS. 76. So führte auch im
sanskrit der acc. sing, pusimn-a-m zu einer bereits im veda vorkommen-
den nchcntorm püshand- oder ptishnna-; vergl. Petersb. wörterb. und
Grassmann wörterb. sp. 848. So wird auch der acc. sing, sanskr. urän-a-m
von verlorenem * i<?-an- = indog. * var an- zur folgerung eines «-Stammes^
des historischen uräna- (lirana-), verführt haben. So sind ferner auch
im altbaktrischen die oben ('s. 55.) berührten Weiterbildungen von -an-
themen zu -«na-thcmen zu erklären: zu einem loc. sing, gpänac-ca von
gpäua- 'huud' = ^pan- gibt der misvcrstandeue acc. sing. (■pan-e-?n,
zu einem gen. sing, arshänahe , dat. sing, (irshnaäi von arshana- =
arslian- der ebenso misverstandene acc. arshän-c-tn die veranlassung.
1
N-DECLINATION. 77
sehen *varan- und die wurzel var- treten lassen müssen. Auf
diese weise würden wir auch hier wider ein g-rundsprachliches
beispiel für die stammbiklung- mit secundärem, 'individualisie-
rendem' -(in- gewinnen: der widder, das lamm ist also als 'das
wolltier' gedacht, das tier, an dem der begriff 'wolle' in die
individuelle erscheinung tritt.
Weiter aber folgt für das griechische aus dem gewonnenen
indogermanischen thema * vartm-, dass die nach dem homer.
jioXv-QQriv-tQ (II. / 154. 296.) und nach einer bei späteren er-
haltenen wortform o/y'r bereits immer vorausgesetzte nominativ-
fcn-m des Singulars * faQ7jr durchaus richtig vorausgesetzt war.
ich vermute denniach als die urgriechische declination dieses
* fa^/jv, faQv-6^ folgende :
sing. nom. "^ fagriv plur. uom. */«(>iJr-£$
gen. fagv-og gen. fagv-cov
dat. faQv-'i dat. *faQi-oi (?)
acc. *fa()fjv-a acc. fägv-ag (früher */«()r-«^-).
Zunächst sei bemerkt, dass sich (njv- als Stammform, d. i.
*/(«)()/;?'-, historisch auch erhalten hat; in Qrjv-Eööi nemlich
bei Apoll. Rhod. IV, 1497 und in (>/]/'-« bei Nicand. ther. 453.
Doch um abzusehen von diesen, erklären sich die eingetretenen
Veränderungen im paradigma fagv- ganz wie bei xvcov äusserst
leicht: aQv-ög, agv-i im singular führten, weil sie späterhin
als von einem einsilbigen stamme kommend gefühlt wurden,
zu a(jv-a , ebenso aQV-öJv , uQV-ac, im plural zu ägv-sg. Der
dat. plur. aQvä-oi ist wie vid-oi eine analogiebildung nach
:;rccTQ(c-oi , iußQÜ-oi u. s. w., wie bereits oben s. 53. angegeben.
Der acc. plur. fägv-aq kann auch hier als solcher betrachtet
werden, welcher der ursprünglichen bildung dieses casus vom
schwächsten stamme treu blieb, nuiss aber nicht unbedingt so
aufgefasst werden.
Mit der erschliessung dieses paradigmas aber gewinnen
wir den Schlüssel für mancherlei bei faQV- und seinen an-
verwanten griechischen Wörtern noch oftene fragen. Ausser
dem schon erwähnten comjjositum jroXv-QQtjP-eg, d. i. *-f{a)Qijv-Eg,
und dem ebenfalls homerischen jioXv-QQrjVo-g (Od. X 257.) er-
klären sich auch die bei Curtius gruudz.^ s. 718 verzeichneten,
vornehmlich hesychischen composita aQt]vo-ßoox6g, agsvo-ßocxog^
78 OSTHOFF
eQ()tjro-ßoöx6g, sowie die ableituiigen (>77i'-/g'scbaffeir (= aQvaxiq)
tukI 'Pt'iv-biu iii ihrem soitlier tluukeleii lautlielieu verliültnisse
zu dem stamme aQv-: sie yelicu mit ihrem -///'- aui'die tliema-
forra der stärksten casus zurück. So hrauclien wir nicht mit
Curtius bei dittjvo- und iQf^n/i'o-ßuoxoj. sei es an voealvorschlag
sei es an vocaleiuschub zu dcuken; tQQtjvo- aus *tfQ?jvo:
fag/jv = ivQv-Q: grundf. indog. '*varü-s. So brauchen wir ferner
auch nicht das aQj/vo- von uQfji'o-i^ooxo^ mit Job. Schmidt
a.a.O. 'dem verdachte unterliegen zu lassen, aus tQQ7jro- und
ccQi'o- coutaminiert zu sein.' Ueberbaupt erweist sich, wie
man sieht, die ganze Zuhilfenahme der crklärung aus svara-
bhakti für das ?/ in allen diesen Wörtern als überflüssig. Auch
aQsvo-ßüOxog , dessen echtheit Job. Schmidt anfechten wollte,
kann unangefochten bleiben ; denn oflenbar verhält sich aQtro-
: agt/vo- = lat. homin- : homön- = got. gum'm- : guman-\ das
compositionsglied agtro- zeigt unsere stufe «-, während in uqv-
der casus agv-oc, agv-i die stufe «^, völliger scbwund des
themavocales vorliegt.
Irgend eine schlagende analogie dazu, wie sich nach
unserer ansieht die casusformen xvv-a, xvv-eq und ccQV-a^ aQi'-eg
aus dem schwächsten thema als nacblnldungen entwickelten,
brauchte ich hier eigentlich gar nicht mehr herbeizuziehen, da
wir genug dergleichen fälle der Verallgemeinerung einer der
themaformen im verlaufe unserer Untersuchung zu beobachten
gelegeuheit gehabt haben. Ich will aber dennoch zum über-
fluss auf die declination des griech. avrJQ hinweisen, in welcher
ganz ähnliche Vorgänge stattgefunden haben wie wir sie bei
xvov- xvv- und f(a)Q7~ji'- fuQv- antreflen. Eigentlich und von
hause aus hatte griech, avtjQ = skr. ved. nar- nichts mit den
verwantschaftswörtern auf -q, jraTyQ und genossen, zu tun, und
die l)ei Homer und in der epischen poesie überhaupt vorlie-
gende declination sing. artQ-og = ved. när-as, avtQ-i = ved.
när-i"^), avig-a = ved. när-am, ])lur. avtQ-sg = ved. när-as,
•) In diesen skr. gen. loe. sing, när-as, luir-i liegt, da sie ausnah-
men von dem casusbetunungsgesetz der einsilbler sind, widerum eine
bestätiguug vor für unsere oben s. 47 ft'. aul'gestellte behauptiing von
dem bestreben der spräche, die endsiiben so viel als möglieh vom hoeh-
tone zu entlasten: niir-as gen. und ndr-i loe. stellen sich in dieser be-
d
N-DECLINATION. 79
avt{j-cov = ved. nar-am, osk. ner-um , avtQ-aq , dual. avtQ-t
= ved. när-ä i«t dariun auch eutschiedeu für die älteste
flexionsweise dieses nomeus zu halten. Und bei einer eben
solchen flexionsweise ist ja auch das von hause aus in g'anz
ähnlicher läge befindliche gr. aörrjQ = ved. star- tatsächlich
immerfort stehen geblieben: aörtQ-oq, aoxtQ-i u. s. w. Da nun
aber a-rt'iQ im griechischen durch die prothese des «- zweisilbig
ward, so konnte es alsdann mit jrarrjQ und p'jriiQ in ein und
dasselbe declinationsgeleise eintreten. Das geschah auch und
so kam es zu den casus))ildungen av{6)Q-6q, av{d)(j-i, ai'{d)^-(äv
(wie homer. jiaTQ-öJv). Anstatt dann aber ferner in eben die-
sem geleise zu hleiben und wenigstens die casusformen avtQ-a
wie TTUT^Q-a, avtQ-tj: wie oruTtit-tc, uvtQ-aQ wie jraTt(^>-ac bei-
zul)ehalten > erfuhr das einmal so veränderte dv?]Q den anprall
einer zweiten Strömung in der sprachentwickelung und wider-
stand demselben nicht: die casus drÖQ-o^, drÖQ-l , cw6(j-cöi>
wurden als zu einem einsilbigen stamme gehörig gefühlt und
veranlassten so die abermaligen nachbildungen dvÖQ-a^ drÖQ-ti^,
i(}'d()-a^. Das letztere sind durchaus evidente und denjenigen
\<>llig analoge Umgestaltungen des i)aradigma m>SQ- dvÖQ-,
welche wir bei unseren paradigmen urgriech. xv6v- xvv- und
faQijv- faQv- constatieren zu dürfen glaubten.
Gibt man uns aber zu, dass mit recht in der form, wie
wir sie erschlossen, die alte declination von xvcuv und agv-og
A'orausgesetzt werden müsse — und ich denke, der wahrschein-
lichkeitsgründe sind genug, die dafür sprechen — , gibt man
uns dies zu, so gewinnen wir zwei vollständige griechische
uominalparadigmen, welche uns fast unmittelbar noch aus der
form , wie sie in den historischen griech. Sprachgebrauch über-
giengen, diegeltuug des alten 'kauons' der starken und schwachen
casus in der ?t-decliuation auch für das vorhistorische giiechisch
unzweideutig ahnen lassen. Selbst das armenische, das uns
mit seinem -aw- stamme gai-n nicht unwesentliche hilfe leistete,
verriet bei dieser gelegenheit seine ehemalige teilnähme an
jenem alten 'kanou', denn der gen. sing, armen, gar in aus
Ziehung- zu piu-as und cim-i , pin-(i , ^itn-e (oben s. 49.), während der
geu. plur. ved. nar-a m seine alte und ursprüngliche betonung beibehält.
Vergl. Grassmann wörterb. z. rgveda sp. 749 f.
80 OSTHÜFF
ijar iii-ah und weitcrhiu aus "^gar en-ah documeutiert sich augeii-
lällig- als auf der JA'lciclicu v(»cal,sturc («-) des sufti\V(>eales
stellend wie das uvdcutsehc * /<//AWi-(/A', yot. aalmn-s, wie ferner
das genau entsprechende griech. a{)tr- von aQtv-o-ßooxoc, wäh-
rend das «(>;•- von ic())'-(u, r((>;'-/ allerdings, wie schon bemerkt,
eine stufe weiter in der Schwächung des Stammes vorgerückt,
wie skr. ukslin-äs, uksfm-i bis zu stufe «'^ gediehen ist.
Nach dieser geschichte der w-declinatiou in den indo-
germanischen s[)rachen gilt es nun noch, betreffs des germani-
schen, von dem wir ausgiengen, einen punkt zu erledigen: die
bildung des schwachen feminins mit -an-, got. -on-. Die er-
klärung, welche ich forschungen II, 151 if. von dieser themeu-
bildung gegeben habe, kann ich natürlich jetzt nicht mehr auf-
recht erhalten. Da sich herausgestellt hat, dass ganz regel-
recht die suffixform -an- in den starken casus der germani-
schen masculina und ursprünglich auch der neutra dem skr.
abaktr. -an-, dem griech. -mr-, lat. -ön- entspricht, so fällt die
möglichkeit, das feminine got. -ön- mit dem -m- der verwanten
sprachen in unmittelbare Verbindung zu bringen. Die richtige
erklärung für das feminine -ön- habe ich selber bereits forsch.
II, 156. anmerk. als eine auch mögliche, mich für alle fälle
wahrend, angedeutet. Zu ihr bekennt sich auch mit vollem
rechte der recensent meines buches im liter. centralbl. 1. april
1876, sp. 475, dessen worte ich am einfachsten hersetze: 'Etwas
unseren germanischen femininen auf -ön- entsprechendes gibt
es in den verwanten sprachen nicht. Es müssen neubildungen
sein. Da ist es denn doch wol sehr einleuchtend, dass zu der
zeit, wo im germanischen schon eine deutliche Wechselbeziehung
zwischen dem adjectivum hlinda- und seiner masculinischeu
Substantivierung hlindan- sich befestigt hatte, dass da nach
dieser analogie auch zu den feminiustämmen auf -ö- (blmdö-)
sich einfach nach diesem muster eine Substantivierung auf -ön-
{hUndön-) bildete. Dieselbe analogiebildung ergriff dann auch
ursprüngliche Substantive auf -ö-.' 'Dass -an- durchaus unur-
sprüngliche, specifisch germanische stammerweiterung aus -ü-
sei', war auch schon meine ansieht geworden, als ich die re-
cension von Zimmers buche (liter. centralbl. 19. februar 1876.
sp. 246) niederschriel). Die propoi-tion hlinda- : blindan- =
blindö- : x ergab mit cousequeuz für dieses a- den lautwert
J
N-DECLINATION. 81
hlindön-. Dass es aber solche coDsequenzen zu ziehen liebt,
zeigt (las germauisehe sprachidiom aneikauntermassen auch
durch mauclie andere erscheiuuug-en , wofür es genügt an
die exacte und consequente durchführung des Systems der
ablautsreiheu in der coujugation des primären verbums zu
erinnern.
Zu allem diesem das richtige hinlänglich feststellenden
^Vi^e, ich hier nur noch folgende bemerkung. Es scheint nicht
einmal nötig zu sein anzunehmen, die spräche habe mit der
Stammerweiterung substantivischer -«- stamme durch den nasal
warten müssen, bis aus dem alten primären suffixe -an- sich
die masculinische Substantivierung der adjectiva fertig ent-
wickelt hatte. Vielmehr konnten wol schon als seitenstücke
zu eben jenen masculinischen primären nomiua agentis mit -an-
femininbildungen mit -an- und ebenfalls in der fuuction eines
nomen agentis vorgenommen werden. Den anstoss dazu giaben
solche fälle, wo ein mit -an- gebildetes nomen agentis neben
einem ebensolchen mit -a- ohne jeden unterschied der bedeu-
tung bestand. Existierten z. b. neben einander varda- und
imrdan- Svärter', beide zwar gleich ursprünglich, aber das
letztere späterhin von dem Sprachgefühl in abhängigkeit und
in ein ableitungsverhältnis von dem ersteren versetzt (vergl.
oben s. 24), so konnte dann offenbar ein aus varda- mo-
viertes femininum varda- ' Wärterin' leicht auch zu vardan-
werdeu. Darnach entstanden dann überhaupt derartige femi-
nine nomina agentis schwacher declination wie ahd. -hrehha
in nuz-hrecha 'nucifraga', stein- brecha 'saxifraga' zu -hrecho,
-geba 'geberiu' in gast-geha 'hospita', chorn-geba zu -gebo, -iraga
'gerula' zu -trago, maga-zoha 'nutrix' zu maga-zoho, un-bera
'eine unfruchtbare' bei Otfr. I. 4, 9. IV. 26, 37. zu -bero, kUnga
'torrens' zu kl'mgo (siehe oben s. 27), singa 'cantrix' u. a.; be-
sonders aber zahlreiche im altnordischen wie //w^a 'fliege', und
als zweite compositionsglieder -riba, -bo(3a u. a. Eine notwen-
digkeit freilich, so von dem teils symbolisch, teils auch rein
formativ gewordenen nasal gebrauch zu machen, dass man
auch feminina auf -ä damit erweiterte, lag für die spräche
erst bei dem adjectiv vor, besonders von der zeit an, wo die
Substantivierung durch die schwache form kategorisch ge-
worden war und das bedürfnis der spräche nach einer voU-
Beiträge zur geschlohte der deutbchen apracbe. III. g
82 OSTHOFF
ständigen 7z-declination des adjeetivums allseitige befiiediguug-
heischte.
LEIPZIG, 18. april 187G.
Nil eil wort.
Gerade noch zur rechten zeit, während des druckes der
vorstehenden abhandlung, geht mir die so eben erschienene
recensiou meines huches über das schwache adjectiv durch
Zimmer anzeig', f. deutsch, altert. I, 229 ff. zu. Ich benutze
die mir hier gebotene günstige gelegenheit, um einige der vou
Zimmer mir gemachten vorwürfe und einwendungen etwas
näher zu beleuchten.
1. S. 230 heisst es: 'Einen absolut neuen gedanken, ein
neues princip zur erklärung des schwachen deutschen adjee-
tivums bringt Osthoff nicht bei.' Ich halte es nicht für die un-
bedingt notwendige anforderung an einen forscher, immerfort
gerade nur 'absolut neue gedanken' zu erzeugen und auf die
bahn zu bringen. Vielmehr wird nicht selten dadurch der
Wissenschaft ein grösserer dienst geleistet, dass man, auf eigene
neue gedanken verzichtend, früher aufgestelltes durch weitere
argumente, wenn man solche gefunden zu haben glaubt, zu
stützen sucht. Scherers erklärung des Ursprunges der w-decli-
nation, insbesondere der schwachen adjectivfiexion, war gewis
ein 'absolut neuer gedauke'; und dennoch würde Scherer un-
streitig der Wahrheit näher gekommen sein, wenn er in diesem
falle den ihm aufsteigenden neuen gedanken unterdrückt und
sich darnach umgesehen hätte, was etwa zu gunsten des alten
bei Seite geschobenen Leo Meyerschen gedankens weiteres sich
sagen Hesse. Ueberdies : wie stimmt zu dem obigen ausspruche
Zimmers die eine seite später (231) mir erteilte Zurechtweisung:
nm\ einiger neuer gedanken willen braucht mau nicht
gleich ein ganzes buch zu schreiben'? und die schlussbemer-
kung der anzeige s. 237: 'Osthofls schrift lässt eine reihe
von fragen in einem etwas anderen lichte erscheinen
als sie gewöhnlich aufgefasst werden'? Im übrigen würde
gerade Zimmer gut daran tun, nicht zu vorschnell anderen den
N-DECLINATION. (Nachwort.) 83
maiigel neuer gedankeu vorzuwerfen: von dem vielen, was
dieser Junge gelehrte binnen so kurzer zeit zusammengeschrie-
ben und -recensiert hat, erweist sich doch das allermeiste, bei
lichte besehen, als rei)roduetiou Schererschei' gedanken, und
nur ein minimum verbleibt als die Zimmer eigentümlichen
neuen ideen und gesichtspunkte.
2. Ich fusse auf unzureichendem material, meint Zimmer;
' überhaupt verrät die ganze arbeit, dass nirgends eigene Samm-
lungen zu gründe liegen' (s. 230); 'man hätte eine vollstän-
dige Sammlung aller «??,- stamme, sowol der ursprünglichen
als der unursprünglichen, nach kategorien geordnet, erwartet'
(s. 231). Das letztere lag, wie ein billiger beurteiler mir zu-
geben wird, entschieden nicht in dem plane meines buches.
Würde mir aber Zimmer, was er nicht kann, nachweisen
können, dass ich irgend einen wichtigen gebrauch des Suf-
fixes -an- im germanischen übersehen, so hätte er darauf mit
recht einen Vorwurf gründen können. Eine reichlichere herbei-
ziehuug des angelsächsischen und besonders des altnordischen,
die Zimmer vermist, hätte, wie ich fest überzeugt bin, mir nur
weitere bestätiguugen meiner ansichten über die schwache
declinatiou liefern kiinnen. Da mir übrigens von anderer
wahrlich nicht minder sachverständiger seite gesagt worden
ist, ich häufe zu sehr und unnötiger weise das material und
ich pflege öfter ein dutzend beispiele sprechen zu lassen, wo
zwei oder drei genügt hätten, so kann ich wol die entgegen-
gesetzte ansieht Zimmers als eine rein subjective auf sich be-
ruhen lassen.
3. Die forschungeu II, 150. ganz nebenher von mir ge-
äusserte hypothese, bereits in slawo - lettisch - deutscher periode
habe die Verwendung des durch -an- substantivierten adjectivs
als bestimmten attributs beim artikel begonnen, ist eine völlige
nebensache in meiner beweisführung, auf welche ich gar kein
gewicht lege. Aber Zimmer s. 234 f. schlägt mit charakteristi-
scher taktik gerade hieraus viel capital gegen mich: beinahe
zwei volle selten der im ganzen acht selten laugen anzeige
werden der Widerlegung dieses puuktes gewidmet, und der
ahnungslose leser muss natürlich glauben, es handele sich
dabei um wunders welchen cardinalpunkt in meinen argu-
mentationen. Ich kann nun eben jene hypothese ruhig als
6*
84 OSTHOFP
verlorene position den angriften meines gcgners preisgeben,
ganz unbeschadet aller meiner sonstigen aufstelluugen, nemlich
ohne dass dadurch im mindesten meine grundausichten er-
schüttert würden, meine darlegung des entwickelungsganges
der adjecti vi sehen w - deelination im deutschen irgendwie einen
stoss erlitte. Bei der breiten ausführung dieses punktes fragt
übrigens mein rccensent einmal ,«. 234: 'mit welcher bereehti-
gung setzen w i r fürs germanische einst eine flexionsweise des
adjectivums voraus, wie sie im lit. und slav. ausgeprägt ist?
berechtigt uns irgend eine germanische form dazu?' Diese
fragestellung mit Svir' hat natürlich ungefähr den sinn, wie
wenn ein liebevoller lehrer sich freundlich zurechthelfend zu
seinem schüler, der sich in die Schwierigkeiten einer rechen-
aufgabe verwickelt hat, auf die Schulbank herablässt: der
lehrer fingiert, sich mit auf den gedankenirrgängen des armen
Schülers zu befinden, und redet per Svir'. Zu dem 'wir' ge-
hören mindestens immer zwei personen, und da muss ich
herrn Zimmer sagen: wenn er auf mich dabei gerechnet hat,
so hat er falsch gerechnet, sich an die verkehrte adresse ge-
want. Ich bin mir nicht bewust, irgendwo und irgendwann
etwas dergleichen behauptet zu haben, wie es Zimmer mir
unterzuschieben sucht in der liebenswürdigen absieht, mich
eines besseren zu belehren. Doch möge mein kritiker, um nicht
ratlos zu bleiben, wo er mit seiner frage und seinem bedürfnis
zu belehren unterkommen kann, wenigstens von mir erfahren, an
welche adresse er sich wenden muss, wenngleich diese erfah-
rung keine sehr angenehme für ihn sein mag. Er hätte eigent-
lich fragen müssen: 'mit welcher berechtiguug setzt Scherer
u. s. w.' Denn vergl. Scherer z. gesch. d. deutsch, spr. 4U7.
Eben nur unter dem unmittelbaren einflusse der angezogenen,
übrigens auch forschungeu II, 150 von mir ausdrücklich citier-
teu Schererschen stelle war es, dass ich jene auseinander-
setzung des germanischen schwachen adjectivs mit dem com-
ponierten bestimmten adjectiv der slawolettischeu sprachen
überhaupt für nötig hielt und in folge dessen zu meiner un-
haltbaren vernmtung gelangte.
Ich berühre nun noch mehrere einzelheiten.
4. Wenn got. stauan- 'richter' von Zimmer s. 233 f so
aufgefasst wird, als sei von dem feminin slauä- 'gericht' zu-
N-DECLINATION. (Nachwort.) 85
nächst mit seeundäveiQ suffixe -«- ein '*staua- 'lichter' gehildef
und dieses dann in die schwache decliuation auf die hekannte
weise iihergetreten : so müssen wir demnach nuimiehr wol auch
lat. fahnlön- und nugön- (p, oben s. 9) zu allernächst auf ein
*fahiUu-s, '■^•nugu-s zurückg-eheu lassen und in diesen '*• fahulu-s ,
*nugu-s secundäres masculinischcs suffix -«- suchen, mit denen
sie von den femininen grundwöitern deriviert sind! Wie altn-
Grbnr und kambr dafür zeugnis al)legen sollen, dass man auch
im gotischen ein nomen '*stau-s 'richter' von stauä- mit secun-
däreni -a- hätte bilden können, begreife ich nicht. Grimr als
eigenname OÖins und eines zwerges (vergl. Egilsson) möchte
also Zimmer mittels jenes secundären -a- Suffixes von grima
f. Mielm' herkommen lassen. Kann denn Grimr nicht auch
eine abkürzung eines vollnamens, eine koseform sein? vergl.
altn, Grim-ülfr, ahd. Isau-grim u. a. Muss etwa ahd. Wolf als
kosenamensform durch ein secundäres -a-suffix mit dem appel-
lativum wolf verknüpft werden? Und wenn altn, kamhr 'kämm'
in der Edda, wo wahrlich noch viel kühnere bilder vorkommen,
kraft einer dichterischen metonymie (pars pro toto) auch als
name für den 'hahn' gebraucht wii'd, wozu die gekünstelte
erklärung, kamh-r in der bedeutuug 'hahn' enthalte secundäres
Suffix -a-V Mit gleichem rechte würde man sagen können: nhd.
esel figürlich als Schimpfwort für einen menschen gebraucht sei
nicht ganz dieselbe Wortbildung wie escl, wenn es das tier be-
deutet, sondern in jenem ersteren falle stecke noch ein secun-
däres staminbildungsmittel in dem worte. Es könnte allerdings
altnord. der bahn auch recht wol mit individualisierendem
secundärsuffixc -an- kamhi heissen; vergl, gullin- kambi. Heisst
er aber kamh-r, so hat der stamm kamha- eben gar kein neues
Suffix erhalten, und wir haben offenbar ganz dasselbe Verhält-
nis, wie wenn das lateinische mit rupex, stamm rupic-, ohne
jedes neue suffix und einfach durcli bild und metapher den
tölpelhaften menschen als 'klotz' bezeichnet, in rn.picmi- da-
gegen zu ebendemselben zwecke das individualisierende -ön-
iu anwendung bringt; vergl. forschungen 11, 81 und ebend.
anm,*) So lange also Zimmer nicht durchschlagendere Zeug-
nisse beibringt als Gritnr und kambr, kann ich es ihm schlech-
terdings nicht glauben, dass im gotischen von staaä- eine se-
cundäre ableitung *67a?<a-, nom, sing. *A/aM-6', in der bedeutuug
86 OSTHOFF
'richter' zu bilden möglich gewesen wäre, und ebenso wenig,
dass als secundäre ableituugeu von den neutris got. spül,
vaurstv etwa niasculine noniina *iy><7/-i- 'verkündiger', ^vaurstv-s
'arbeiter' überhaupt nur denkbar wären, an welchen letzteren
dann der fortgeträumte lieblingstraum , dass daraus mit hilfe
des schönen genitivsuffixes -www die 'unorganischen' w- stamme
spUla-n-, vaurslva-n- sich entwickelten, hätte in scene gehen
können. Ueberhauj)t hat Zimmer nominalsuff. a und d s. 205 ff.,
auf welchen abschnitt seines buches er wegen des angeblich
nachgewiesenen secundärsuffixes -a- verweist, mit der annähme
eines eben solchen Suffixes viel nusbrauch getrieben; ein urteil,
welches nicht nur meine persönliche subjective anscliauung
mir eingibt, sondern auch der eiudruck, den andere sachver-
ständige von dieser partie des Zimmerschen buches bekommen
haben.
5. Wenn durch altir. benim ' ferio ' wirklich ein urgermani-
sches starkes verbum *henan 'morden' sicher gestellt sein
sollte (s. 233), kein * banau etwa, perf. */;ö«, wie oben s. 22
stillschweigend geschehen, angenommen werden darf, so ist
alsdann germ. banau- 'mörder' (ags. baua, alts. ahd. bano) aller-
dings kein primäres nomen agentis mit -an-, sondern eine
secundäre Wortbildung mit dem individualisierenden -f«i- von
einem zu gründe liegenden nomen actionis urgerm. ■^•bana-
'mord, tötung' = griech. <p6vo-q. Aber die regel über die ur-
sprüngliche gestaltung des wurzelvocals bei der bildung der
primären nomina agentis, die durch germ. geban-, ahd. ezzo,
germ. boran-, ahd. tiofuo (oben s. 25 ff.) repräsentierte regel nem-
lich, wird dadurch nicht im mindesten aufgehoben, wie Zimmer
bewiesen zu haben sich einbildet.
6. Zimmer richtet s. 232 unter mehreren anderen rhetori-
schen fragen auch die an mich: 'mit welcher berechtiguug,
fragen wir nun, spricht er von einem direct au die wurzel ge-
tretenen Suffix an in boran-, wenn gr. OaTCSögjOQo-, oivoffOQO-,
lat. signifero- u. s. av. ags. sverd-, vccpenbot^an-, ahd. kumpalboran-
zur Seite steht?' Hier ist synkretistische sprachver-
gleicherei in des Wortes eigentlichster und verwegenster be-
deutung getrieben. Germ, -boran- stammt weder mit lat. -fero-,
noch mit griech. -(poQo-, noch stammen andererseits das lat.
-fero- und das griech. -<poQo- unter sich unmittelbar aus einer
N-DECLINATION. (Nachwort.) 87
und derselben giundsprachlichen quelle. Wie stimmen denn
die wurzelvocale zu einander? Die allerältestc bilduugsweise
und sicher die eliemals gemein-europäische (vcrgl. oben s. 10 f.)
reflectiert das griech. -(poQo-q. Dem gegenüber ist lat. -fero-
ebenso sicher eine jüngere sonderbildung dieser spräche, wie
im slawischen die altbulgarischen uomina tckü, u-tekü- 'cursus'
und dohro-rekü 'facundus', verglichen mit lokü und pro-i'okü
'propheta' (Miklosich vergleich, stammbilduugsl. s. 24), auf
einem verlassen des alten bildungsprincips , auf später üblich
gewordener anlchnung des mit primärem -a- gebildeten nomens
au den präsensstamm beruhen. Germ, horan- aber, selbst
wenn es eigentlich bora-n-, d. i. 'unorganisch' erweiterter
-«-stamm sein sollte, stellt sich seinerseits weder unmittelbar
zu griech. -q)OQo-, dem nur ein germanisches *bara- gleich-
kommen würde, noch zu lat. -/'ero-, mit welchem letzteren
höchstens das jüngere germ. heran- (siehe oben s. 29 f.) in der
von Zimmer gewollten weise in Verbindung gebracht werden
könnte.
7. Zimmer fragt weiter s. 233: 'wie mag er ein urdeutsches
vald-an- ansetzen, wenn neben ahd. alewalto, alts. alowaldo, ags.
e<ilvealda in altu. poesic nicht nur valdr (stamm valda-) als
Simplex, sondern auch in vielen compositis allvaldr u. s. w. noch
vorkommt (QF. XIII, 42) ? wie ein haldan-, wenn altn. fasthaldr
gegenül)er ahd. chalio , huohhalto fortbesteht?' Germ, valdan-
* Walter, herscher', haldan- 'halter' und ebenso vardan- 'wärter'
bin ich trotz der neben ihnen bestehenden gleichbedeutenden
-«-stamme valda-, halda-, varda- ebenso für von hause aus un-
mittelbar aus der wurzel mit primärem -an- gebildete uomina
agentis zu halten berechtigt, wie im griechischen und lateini-
schen nichts mich zwingt, etwa aiO-cov und ifäy-(ov u. a,, lat,
rapön-, volön-, in-cuhön- u. a. wegen der daneben liegenden
aid^-6-q, (päy-o-c, -rapu-s, -volii-s, in-cubu-s als secundäre Weiter-
bildungen von diesen kürzeren -o- stammen anzusehen, Vergl.
oben s, 24; über aLß-oxr, (pdyon' , lat, fapön-, volon-, m-cubün-
forschungen II, 53 f. 56. 74. Eine solche frage aber in bezug
auf germ. valdan-, haldan- und ihr Verhältnis zu valda-, halda-
beweist mir nur, dass derjenige, der sie an mich richtet, mein
buch entweder gar nicht verstanden hat oder nicht hat ver-
stehen wollen. Die alleroberflächlichste durchblätterung des-
88 OSTHOFF
selben muste jedem, der überhaupt sehe» wollte, sehr bald die
Überzeugung beibringen, dass es ein grundgc danke, ein
fundanicnt meiner Untersuchung über das schwache adjectiv
ist, überall und allerwärts auf schritt und tritt von dorn nc])cn-
einanderl)estehen primärer durch -an- und durch -a- gebildeter
nomina agcntis auszugehen und immerfort diesen parallelismus
in der stanmibildung unserer sprachen mit aller schflrfe und
allem mir zu geböte stehenden nachdruck zu betonen. Ist
dies für Zimmer noch nicht scharf und nachdrücklich genug
geschehen, so kann ich allerdings leider nicht helfen.
8. lieber meine erklärung des Ursprunges der suflixform
-jmi- im germanischen sagt Zimmer s. 234: 'die ansieht über
entstehung der suffixform ymi-, wie sie s. 112 ff. vorgetragen
wird, die fürs lat. ihre berechtigung haben mag, ist fürs ger-
manische abzuweisen.' So lange nicht der überzeugende gegen-
beweis geliefert wird, weshalb meine ansieht über -Jan- ab-
zuweisen sei, bin ich berechtigt sie festzuhalten, die angeführte
äusserung meines recensenten aber der zahl der Zimmerscheu
machtsprüche anzureihen, welche nun einmal zu den berechtig-
ten eigentümlichkeiten dieses forschers zu gehören scheinen;
vergl. oben s. 2 f. Machtsprüche, wie ich oben sagte, beweisen
in der Wissenschaft nichts, rcdensarten aber noch viel weniger.
Ich gebe mich nicht etwa der Illusion hin, als würde es
mir gelingen, durch die vorstehenden bemerkuugen schliesslich
doch noch meinen gegner von der richtigkeit meiner ansichten
über die w-declination zu überzeugen. Der junge Strassburger
doctor, der so bereitwillig solche ehrentitel wie 'vollständiger
nachtreter' u. dergi. (vergl. z. b. nominalsuff, a und n s. 3.)
an andere spendet, hat sich bereits blindlings und zu fest für
die ansichten seines lehrers Öcherer, sowol für die unrichtigen
als für die richtigen, en bloc engagiert. Er hat für mich und
wol noch für andere durch vieles hinlänglich überzeugend den
beweis geliefert, dass er sich nicht dazu zu erheben vermag,
die leistungen von mitforschern anders als durch die partei-
brille der Schererschen schule zu betrachten. Für einen com-
petenten richter vermag ich ihn aus diesem gründe nicht zu
halten. Meine gegenbemerkungcn gegen seine recension richten
sich auch weniger an ihn selbst, als sie vielmehr den zweck
haben sollen, den lesern des anzcigers für deutsches altertum,
N-DECLINATION. (Nachwort.) 89
besonders solchen, welche den zwischen Zimmer und mir ver-
handelten fragen ferner stehen, durch eine gründliche sach-
liche belcuclitung- der an mir geübten kritik den beweis zu
führen, dass "das von meinem buche durch Zimmer entworfene
bild ein entstellendes, auch durch den farbenton, in dem es ge-
halten ist, den wahrheits- und gerechtigkeitssinn l)eleidigendes
bild ist. Ich habe es gewagt, über den Ursprung der w-decli-
nation und des schwachen adjectivums eine andere meinung
zu haben als Sclierer. Ich habe dies um so eher wagen zu
dürfen geglaubt, als ja Höherer selbst z. gesch. d. deutsch, spr.
408 es aussprach, dass er seine erklärung nicht für eine über-
zeugende und abschliessende halte. Habe ich mit diesem
Wagnis in den äugen gewisser leute eine süude begangen, so
will ich die Verantwortlichkeit gern auf mich nehmen. War
es abei" an sich keine Verschuldung, dass ich an die stelle einer
Schererschen ansieht eine mir besser scheinende zu setzen
suchte: so durfte ich auf billige und unbefangene beurteilung
meines Versuches rechnen, wie jeder ehrliche forscher es darf.
Eine unbedingte anerkeuuung meiner rcsultate in bausch und
bogen zu erwarten wäre auniassend von mir gewesen; aber,
wie gesagt, das anrecht auf eine billige und gerechte kritik
und vor allem auf eine Widerlegung mit gründen, da wo
ich geirrt, bin ich mir nicht bewust verscherzt zu haben. Alles
dies ist mir in dem 'anzeiger für deutsches altertum' nicht zu
teil geworden, und das ist für mich der grund gewesen, an
dieser stelle öffentlich gegen ein derartiges vielfach beliebtes
leichtfertiges al)urteileu durch scheingründe, verbunden mit
einigem rhetorischen wortgepränge , protest zu erheben. Veri-
tas vincet!
LEIPZIG, 10. mai 1876.
H. OSTHOFF.
EINE NEUE HANDSCHRIFT VON
HARTMANNS GREGORIUS.
V. la.
Dis ist die vorred von dem
buch dez guten herren sant
Gregorien alz hienach stät.*)
Min hertz das hatt bezwungen
Gar vil vnd dik min zungen
Daz si des vil gesprochen hätt
Dar nach der weit lone stät
Das rietent mir min tumben iar
Nu wais ich daz wol für war
Wer durch dez tiifels rät
Den trost zu siner jugent hat
Daz er dar vflf sündet
Alz im sin mutwill kündet
Vnd er gedenkt dar an
Du bist noch ain junger man
Aller diner missetät
Wirt villicht noch gut rät
Du bi'issest es an dem alter wol
Der gedenkt anders denn er sol
Er wirt licht entsetzet
Wond in dez sin wille letzet
2J Die gross vnd ehaftig not
So der grymm bitter tot
Den tÜrgedank richet;
Vnd jm daz leben brichet
Mit ainem snellen end
Der gnaden eilend
Hat denn den bösern tail erkorn
Vnd wer er erborn
Von Adam mit Abei
V. 28a.
Vnd sölt mit jm sin sei
Werden der sünden slag
Vntz an den jüngsten tag
So hett er nit ze vil geben
5 Vmb daz ewige leben
Das anvanges nit enhät
Vnd och niemer me zer gät
Durch dz wer ich gern berait
Ze sprechen die warhait
1(1 Daz gottez wille were
Vnd daz die gross swere
V'nser süntlichen bürde
Ain tail ringer wurde
3] Die ich durch mine missekait
15 Vff mich mit worten hän gelait
Won da zwifel ich nit an
Alz v'ns got an ainem man
Er zögt vnd bewert hat
So wirt niemans mistät
2ü In der weit so gross
Er werd ir ledig vnd bloz
Ob si jnn von hertzen rüwent
Vnd si die nit wider niiwent
Von dem ich v'ch nu sagen wil
25 Dez schuld wz gross vnd vil
Daz si vil stark ze hören ist
Denn daz man si durch ain list
Nit verswigen getar
Vnd daz da bi nem war
30 Alle süntliche gediet
*) Diese r titel ist mit roter tinte geschrieben.
GREGORroS.
91
V. 58a.
Die der tüfel verriet
V'ff den weg der helle
Ob ir dehainer noch welle
Gottes kinder mereu
4J Vnd selb och wider keren
Daz er den zwifel läss
Vnd sich der sünden mäss
Die mengen versenket
Wer sich bedenket
Höbthafter misseüU
Der er villicht menge hat
So tut er wider dem gebott
Vnd verzwiflot denn an got
Daz er ir nit ruchet
Vnd gn:id dar vmb suchet [men
Vnd niemer getrüwt wider ze ko-
So hat der zwifel jm benomcn
Den Wucher der rüwe
Vnd sinen grossen trüwc
Die er zu got sölt hän
Biiss nach bicht bestjln
So wirt der rüwe süsse
Vnd tringt zu sinen fiissen
Vif den gemainlicheu weg
Der enhatt stain noch steg
5| Mos gebirg noch wald
Er enist ze haiss noch ze kalt
Man vert jnn ab. äne dez libez not
Er laitet aber vff den ewigen tot
Nu ist der seiden Strasse
In etzlicher masse
Baide ruch vnd engl
Die muss man die lengi
Wallen vnd klimmen
Watten vnd swimmen
Vntz daz si jnn hin laitet
Daz si sich wol beraitet
Vnd disem eilende
Git ain vil si'iss ende
Don selben weg geriet ain man
Ze rechter zit er endran
Vss der morder gewalt
Er WZ komen jn jrn gehalt
Da hatten si jn nider geslagen
V. 102a.
6] Vnd jm freuenlich entragen
Gar alle die sinen klaid
Vnd hattent jm angelait
Die marterlichen wunden
5 Es waz ze den stunden
Siner sei armüt vil gross
Sus liessent si jnn sigloz
Vnd halb für tot ligen
Do hatt jm got nit verzigen
10 Ainer gewon liehen erbarmikait
Vnd hat noch dise zway klaid.
Gedinge vnd och vorchte
Die got selber worchte
Daz si ain schirm weren
15 Aller sünderen
Die vorchte daz er sturb
Gedinge daz er nit verdurb
Vorcht Hess jnn da nit ligen
Doch wer er nider gesigen
20 '] *)^nd ez gar verbotten hat
Dax man durch kain mistät
An jm nit zwifelhaft beste
Ez ist kain süude me
Man werd ir mit der rüwe
25 Ledig vnd och nüwe
Schöne vnd och raine
Nu der zwifel allaine
Der ist ain mortgalle
Ze dem ewigen valle
30 Den nieman mag gesüssen
Noch wider got gebüssen
Der dis rede berichte
Mit tütschem getichte
Daz waz von Offen Hartman
35 Hie hebet sich von erst an
Die seltzeneu mere
Von dem guten sünderen
S]") Hie nach stat geschri-
ben von
40 Dem leben sant gregorien
wie do ze ziten ain frowe
lebt die waz sin mütter sin
baz vnd 6ch sin wip etc.
Es ist ain welsches land
*) Hier ist blatt 6 ( s. 11.12.) der hs. einzuschalten!
**) Uiese Überschrift ist mit roter tintc geschrieben.
92
HIDBER
V. 8.
Equitania genant
Vnd lit dem raer gar vnverr
Dez selben lanrtez herr
Ward hy hinein wip
Zway kind die an ir lip
Nit schöner möchten sin
Ain sun vnd ain töchterlin
Der kinden muter starb
Do si in daz leben wol erwarb
Vnd do die kint waren
Komen ze zehen jaren
Do begraif den vatter 6ch der tot
Do er jm sin kunft enhott
So daz er jnn gelaitet
Daz er von siechaitte
9] Sich dez todes entstund
Do tet er alz die wisen tünd
Ze band er do besante
Alle die von dem lande
Den er getrüwen solt
Vnd jn beuelhen wolt
Sin sei vnd och die kind
Nu alz si für in komen sint
Mäge man vnd dienstman
Sine kind die sach er an
Nu wären si gelich
Vnd so recht wuuenklich
Geraten an jreni lip
Daz ainem herten wip
Ze lachen wer geschehen
Ob si die hett an gesehen
Daz machet sinem hertzen
Vil bitterlichen smertzen
Dez herren jamer wart so gross
Daz jm der 6gen regen floss
10] Nider vflf die bett wät
Er sprach dez ist kain rät
Ich müss von v'ch schaiden
Nu eölt ich mit v'ch baiden
Aller erst fröden walten
Vnd wunenklichen alten
Der trost ist nu zergangen
Mich hat der tod gevangen.
Nu benalcli er si bi den banden
Den herren von den landen
Die dur jn dar warent komen
V. 54.
Da ward gross iamer vernomen
Ir jamer zii den trüweu
Schftf daz grosse rüwen
Alle die da warent
5 Begunden so gebären
Alz ain jngesinde gut
Vmb jrn lieben herren tiit
Vmb irn lieben herren tut
llj Wond daz der gedinge
10 Machet jnn also ringe
Daz er doch werbende sass
Dar zu stärkte jnn baz
Die gaistlich trüweu
Gemischelt mit dem rüwen
15 Si tatent jm vil gutes
Vnd sübertent jnn dez mütez
Si gussent jn die wunden sin
Baide öl vnd och win
Die salbe ist senft
20 Vnd tut doch we
Daz öl die gnäde
Der win die e
Die der sünder
Haben mixss
25 So wirt jm siechtüms buss
Alsus hub jnn mit siner band
Gottez gnäd alz jnn do vand
Vff ir miltez achselbain [hain
12] Vnd trug jnn durch gnäde
30 De wurdent jm verbunden
Alle sine verch wunden
Daz er äne mäsen genaz
Vnd sit ain warer kempfer waz
V'ber alle die cristanhait
35 Nu hän ich v'ch nit gesait
Welez die wunden sint gewesen
Der er so kum ist genesen
Wie er die wunden emphie
Vnd wie er sich der wunden ergie
40 An dem ewigen tod
Dez ist ze hörcnt not
Vnd ze merken in allen
Die da sint verualleu
Vnder berg sweren schulden
45 Ob ez ze gottez hulden
Dannocht wider gahet
GREGORIUS.
93
V. 15Ga.
Daz jnn got gern emphahet
Woud silier giiäden ist so vil
Daz er dez nit enwil
i;5| Nu daz dise riehen kint
Baidentliall) verwaiset sint
Der jungherre sich vnderwand
Siner swester da ze band
Vnd phlag ir so er best mochte
Alz sinen trüwen dochte
Er voll zoch ir mute
Mit lib vnd mit gute
Si wert von jm beswert nie
Er phlag ich sag v'ch wie
Daz er si nichtes entwerte
Wez si an jnn begerte
Von klaidren vnd von gemache
Si wärent aller sache
Gesellig vnd gemain
Si warent selten ain
Si wonten zii allen ziten
Ain ander bi den siten
Daz zani wol in baideu
Si warent vngeschaiden
Ze tisch vnd och anderswa
Ir bette stundent also nach
14] Daz si mochten ze samen sehen
Mag man in der warhait iehen
Er phlag ir also wol
Alz ain getrüwer bruder sol
Siner lieben swester
Noch waz die liebi vester
Die si jm da wider trug
Wunen hatten si guug
Do nu dis wxinn vnd gemach
Der weite vigout sach
Der dur hotfart vnd dur nid
Gebunden in der helle lit
Ir baider eren jnn verdroz
Wond si dunkt jnn so gross
Vnd erzaigt sin gewonhait
Wond im ie wz vud ist laid
Wa ieman kaiu gut geschieht
Vnd vcrhengt sin och nicht
Wa ers mag erwenden
15] Süss gedeicht ers pfenden
U- fröden vnd ir eren
V. 146.
Ob er möcht verkeren
Ir fröd vif vngewinne
An siner swester minne
Riet er jm ze verre
5 Vntz daz der jungherre
Verkert sine trüwe gut
Vif ainen valschen mut
Daz ain waz die minne
Die jm verriet sin sinne
10 Daz ander siner swester schöne
Daz dritt des tiefels hone
Daz vierd sin kinthait
Die vft jnn mit dem tüfel strait
Vntz er jnn dar vif brachte
15 Daz er benamen gedächte
ßi siner swester slaften
Wolfen herre wätfen
V'ber der hellehunde list
IG] Daz er v'ns so gever ist
20 War vmb verbeugt jm dz got
Daz er so mengen grossen spott
Friimt v'ber sin band getät
Die er nach jm gebildet bat
Do er dur dez tüfels rät
25 Dise grossen mlssetät
Sich ze tun bewag
Baide nacht vnd den tag
Wond er ir friintlicher mitte
Denn e werent sin sitte.
30 Nu waz daz ainvaltig kint
Au sölicher minne blind
Wond die raine tumme
Wüsset nützit dar vmbe
Wie si ir selbs hüten solt
35 Vnd verhangt jm wz er weit
Nu begab si der tiefel nie
17] Vntz daz gar sin will ergie
Also frist ers vntz an ain nacht
Do mit släffeu waz bedacht
40 Die jungfrow wa si lag
Ir brfider slälfeu uit phlag
ff stü nd der vnwise
Vnd slaicb harte luise
Zii ir bett da er si vand
45 Vnd hub daz ober gewaud
Vif mit sölichem ainueu
94
HIDBER
V. 192.
Daz si ez nit ward jnuen
Vütz er dar vnder zu ir kam
Vnd si an sinen arm nam.
Owe waz wolt er dar vnder
la lägent si baz besunder
Ez wärent von ju baiden
Die claider gar geschaiden
Vntz an das llnlachen
18] Do si begonde waclien
Do hatt er si vmbuangen
Ir mund vnd ir wangen
Vand si gelimet ligen
Alz da der tüfel wil gesigen
Nu begond er si träten
Me denn vor denn vor den liiten
Vnd vor werint sin sitte
Hie verstund si sich mitte
Daz ez ain ernst sölte sin
Si spracli wie nu bruder min
Wes wiltu beginnen
Läss von dinen sinnen
Waz betüt dis ringen
Du wilt v'ns dem tiefcl bringen
Also gedacht si lig ich uu still
So ergät dez tüfels will
Vnd wird mins bruder brut
19] Schry ich aber lut
So hand wir iemer mere
Verlorn v'nser ere
Süss versumpt si der gedank
Vntz daz er mit ir gerang
Wond er gar stark was
Alz ich ez an dem buch laz
Vnd si vil ze krangk
Daz er irs tet äne ir dank
In derselben minne spil
Waz sin halb nit trüwen vil
Also belaib ez äne bracht
Sus ward si der selben nacht
Swanger bi ir bruder
Der tüfel mit sinem liider
Begond si mere schinden
Daz si sich mit den sünden
Vast lieben begunden
Si hal ez ze allen stunden
Vntz sich die fröw verstund
V. 2:5 G.
Alz die wip vil schiere tünd
20] Daz si swanger were
Do ward ir fröde swere
Wond ez sturte sich nit ze gute
^ Si schain in vnmute
Vnd in kumer gross
So ira ir hertz besloss
Nu sige gewarnot dar an
Ain ielicher fromer man
1^ Daz er swestren vnd mtimen si
Icht ze haimlichen b}-
Ez raitzet daz vngefüre
Daz man ez wol verswüre
Also deV junge
'5 Söliche wandlunge
Au siner swester gesaeh
Er nam sy sunder vnd sprach
Vil liebi swester sag mir
Du trurest wz gebrist dir
'-'^ Ich hau an dir genomen war
21] Du schinest gar rüwe var
Dez waz ich an dir vngewon
Do begond si da von
Ersüfzen von gantzem hertzen
25 Den angstlichen smertzen
Erzügte si mit den ogen
Si sprach ez ist ane logen
Mir si trurens not
Bruder ich bin zwirent tot
3Ö An der sele vnd an dem lip
Owe mir armen wip
Warzü ward ich geborn
Ich hän dur dich verlorn
Got vnd och die lüte
35 Daz main ich daz wir vntz hüte
Der weit hand verstoln
Daz wil nit me sin verholn
Ich verhüten vil wol
Alz ich denn billich sol
40 Daz ich ez nit sagen
Aber dz kind dz ich trag
22] Daz tut es wol den lüten kunt
Nu halt der bruder da ze stund
Truren siner lieben swester
45 Sin jamer ward noch vester
An disem vngewinne
GREGORIUS.
95
V. 282.
Erzöigte trow minue
Ir sweren gewonhait
Si machet ie nach lieb laid
Vnd also ist erwallen
Daz hong mit der gallen.
Er begoiid sere wainen
Vnd daz hobt vnder laiuen
So rüwenklich mit der band
Alz döm ze sorgen ist bewaut
Ez stund vmb all sin ere
Ie doch so klegt er mere
Siner swester arbait
Denn sin selbez laid
Die swester sach irn bn°ider an
Si sprach gehab dich alz ain man
Vnd läss din wiplich wainen stän
Ez mag v'ns laider nit vertan
23] Vnd vind v'ns etzlichen rät
Ob wir dur v'nser missetät
A'ne gottez huld müssent sin
Daz doch v'nser kindelin
Mit v'ns nit verlorn sie
Daz der valle nit werden dr3'e
O'ch ist v'ns dik vor gesait
Daz ain kint nit gantz trait
Sines vatters schulde
Ja ensol ez gottez hulde
Nit da mit hän verlorn
Ob wir zer helle sint geborn
Wond ez an v'nser mistat
Kainer band schulde hat
Nu begond sin hertz wanken
Gar jn mengen gedanken
Ain wil er swigende sass
Er sprach swester gehab dich baz
Ich hän v'ns fundeu ain rät
Der v'ns ze statten stät
24] Ze verswigen v'nser schände
Ich hau in minem lande
Ainen vast wisen man
Der v'ns wol geraten kau
Den mir min vatter uch beschied
Vnd mir an sin lere riet
Wond er och sins rätes i)lilag
Do er an sinem tod lag
Den nemin wir an v'nsern rät
V. 328.
Ich wais wol daz er trüw hat
Vnd volgent siner lere
So bestand v'nser ere.
Die fröw waz dez rätes fr6
5 Ir fröd schuf sich also
Alz ez ir do waz gewant
Ir waz kain gantz fröd erkant
Die äne truren were
Wond si WZ äne swere
10 Vnd ir best fröd wz hie
Daz waz so si ir wainen lie
Der rät geuiel ir vast wol
25] Si sprach der wis v'ns raten
Briider den besend in zit [sol
15 Wond min tag vnverr lit
Nu ward er schier besant
Der bott brächt jn ze band
Er ward vil schier emphangen
Besunder ward gegangen
20 Si alle in ain kemnaten
Da si jnn rätes bäten
Alsus sprach der Jüngling
Ich hän nit durch swachi ding
Dich zii v'ns besant
25 Ich wais nieman der min land
Zu disen ziten buwe
Dem ich so wol getrUwe
Sit dich got also geerot hat
Daz er dir gab so wisen rät
30 Dez läss och v'ns geniessen
Wir wellent dir entsliessen
Gar ain haimliche sache
26] Die v'ns nach vngemache
Vmb all v'nser ere stät
35 Ez sie denn daz v'ns din rät
Durch got da von geschaide
Süss buctent si sich baide
Wainent vff sinen fiiss
Der lantz herre antwUrt gab do
40 Mit züchten vnd sprach also
Herre diser gutig gruz
Ist so gar friintlich süss
Vnd ist mir von v'ch ze gross
Vnd wer ich v'wer genoz
45 Ir buttint mir eren ze vil
Mit warhait ich daz sagen wil
96
HIDBER
V. 309.
Dar vmb stiind vff herr diir gott
So wil ich hören v'wer gebott
Daz ich uiemer zerbreclien wil
Nn gcbont diser red ain zil
Viid sagt mir waz v'ch wcM-e 5
Ir sint min geborner horre
27] Ich raten v'ch so ich beste kan
Dar an send jr kain zwifel hun
Also tiitent si jm die rede knut
Do half er jn baiden ze stnnd 10
Wainen von rechtem laide
Er maude si baide
Vnd troat si vast wol
Alz man den fründ nach laide sol
Daz doch nieman erwenden kan 15
Der Jüngling sprach zem Avisen man
Ach herr nu vind v'ns ain rat
Der v'ns aller nechste gat
So v'ns komet die zit
Daz min swester gelit 20
Wa si dez kintz genese
paz ir geburt verholn wese
Vnd gedenk ob ich wone
Die wil miner swester vone
vsserhalb dem lande 25
28] Daz v'nser zwayer schaud
Sie verswigen dester baz
Der wis sprach so rat ich daz
Die v'wers landez walten
Die jungen zu den alten 3U
Sind ir ze hofe gebieten
Die v'wern vatter rietent
Gen den süllent ir v'ch erbarn
Daz ir ze hand wellent varn
Durch got zem haiigen grab 35
Mit bett gewinnent v'ns ab
Daz wir der frowen swerren
Dez wirt sich da nieman werren
Daz si dez landes müsse phlegen
Die wil ir sint vnder wegen 40
Vnd da biissent v'wer sünd
Alz v'ch got denn güud
Der lip h:'it wider jn getan
Den land jnn och dennzebuss stan
Begrift v'ch da der tod 45
So ist des aides vast not
V. 415.
29 1 Daz si v'nser frowe müsse sin
Beuelent si vif die triiwo min
Vor den herren allen
Daz uiüss in wol geuallen
Wond ich der eltost vnder in
Vnd och der mechtigost bin
So nim ich si hain zu mir
Sölich gemach schaff ich ir
Daz si daz kind so gebirt
Daz dez nieman jnnen wirt
Got send v'ch her wider herre
Dez getrüw ich jm vil sere
Belibent ir denn vnder wegen
So behalt v'ch der gottez segen
Zwar so ist nit min ri'it
Daz si durch dise mistät
Der weit sich emphliehe
Vnd dez landez sich entziehe
Blibt si in dem lande
30] Ir sünd vnd öch ir schände
Mag si so bass gebüssen
Vnd mag den armen grüssen
Mit gilt vnd öch mit mut
Gebrist ir denn gutes
So hatt si nit denn dez mutez
Waz mag denn ir mut
Gefrornen ieman äne gut
Waz hilft ir mut dne gut
Oder gut ane mut
Ain tail fromet mut ane gut
Noch besser ist gut vnd mut
Da von diinkt ez mich gut
Si behab gut vnd mut
So mag si mit dem gut
Voileziehen jren miit
So richtet got mit müt
Mit Hb vnd mit gut
Vnd also rat ich ir mit miit
Der rat dücht si baide gut
Vnd volgoten also getratesinem gu-
Sinera vil guten rate |ten rate
31] Do nu die herren v'lter daz land
Also ze hofe wurden besant
Vnd si früntlichen für kamen
Vnd jren herren vernamen
Siner bett ward gevolget sa
GREGORIUS.
97
V. 460.
Dein alten emphal er da
Sin swester bi der hand
Sus gedächt er rnmen sin land
Der schätz den 6ch ir vatter lie
Der ward mit ir getailt hie
Sus schiedent si sich baide
Mit grossem hertzen laide
Hettin si nit gefurcht got
Si hettint iemer der weit spott
Gedult vnd gelitten für dz schaiden
Man mocht von jn baiden
Grösser iamer hän gesehen
Niemer müsse mir geschehen
Also grosses vngemach
Alz den zwain da gescbach
Daz si sich raüsten schaiden
32] Do waz in baiden fröde also tür
Glich alz daz is in dem für
Ain getrüw Wandlung ergie
Daz si sich musten schaiden hie
Ir hertz volgote im von dan
Daz ir bestund bi dem man
Durch not tet in schaiden we
Si gesahent ain ander niemer me
Nu flirte diser wise man
Sin jungfröwen mit jm hin dan
In sin hus da ir geschach
Michel gut vnd gemach
Nu waz sin efrow ain wip
Die baide sinn vnd lip
In gottez dienst hatt ergeben
Kain wip bedorft bessers leben
Die half ir jn trüwen stein
Vnd irn grossen kumor verheln
So wibez güti gezam
Daz ir geburt ain ende nam
33] Daz ez nieman ward gewar
Ez waz ain sun daz si gebar
Der gute sündere
Von dem dise mere
Aller erst erhaben sint
Es waz ain wunnenklichs kind
Zu dez kindez geburt
Waz nieman ze gegenwurt
Denn dise fröwen zwo
Der wirt ward dar geladen do
Beiträge zur gesohiohte der deutschen
V. 507.
Vnd alz er daz kind ersach
Mit den fröwen er dez iach
Daz zu der weit nie me keme
Ain kint so gezeme
5 Vnd wurdent also getrate
Vnder jn selben ze rate
Wie ez verholn möcht sin
Si sprachent daz schön kindelin
Wer schedlichen verlorn
10 Nu wer ez aber geborn
34] Mit also gar grossen sünden
Es wölte in got künden
Daz si nit wissoten
Mit allen jren listen
15 An got sasten si den rät
Daz er si aller missetät
Bewart an disen dingen
Do muss in wol gelingen
Wond jm niemer misgät
20 Wer sich recht an jnn lät
Nu kam jnen vast in den müt
Inen wer nüt so gilt
Denn daz si ez versantint vff den se
Da ward nit gebaitet me
25 Der wirt hüb sich verstoln
Vnd gewan vil verholn
Ain vesli gar gut vnd vest
Vnd och darzu daz best
Daz dekaines möchte sin
30 Da ward daz schön kindlin
35] Mit mengem treben in gelait
Vnder vnd v'ber gesprait
Also gar riebe sidin wat
Daz nieman kain bessers hatt
35 O'ch wurden zu jm dar in
Gelait alz ich bewiset bin
Zwaintzig mark von gold
Da mit man ez denn solt
Ziehen ob ez ze lande
40 Got iemer me gesande
Ain tafel ward gewunnen dar
Der fröwen die daz kint gebar
Die gut helfenbain waz
Geziert wol alz ich ez laz
45 Von gold vnd von gestaiu
Daz ich nie dekain
spräche. 111. "j
98
HIDBER
V. 553.
Also gute gewan
Da sclu-aib die muter an
So si aller best machte
Von dez kindes achte
Man hatt dez gedingen
3(5] Daz ez got wölt bringen
Den liiten zu jren banden
Die gut an jm erkanden
Dar an stund geschriben so
Es wer von geburt hoch
Vnd die daz kint gebär
Daz die sin baz war
Sin vatter wer sin öhalm
Vnd wer versent vff den se
Dennocht schraib si jm me
Daz man ez noch tofleu sölt
Vnd ziehen mit dem gold
Vnd ob sin vinder
Also gut cristan wer
Daz er jm den schätz merte
Vnd ez die buch lerte
Sin tafel er jm behielte
Vnd jnh der geschrilt wielfi
Wurdi ez iemer ze man
Daz er lese dar an
37] Alle dise grossen geschieht
So verhüb er sich nicht
Wurd er aber so gut
Daz er durch got sinen mut
Wenden vnd keren begunde
So bi'iste er zu aller stunde
Sinez vatter missetat
Durch sinen getrüwen rat
Vnd daz er der ze gut gedächti
Die jnn zu der weit brechti
Dez wer jn baiden sament not
Für den ewigen tod
Im ward da nit benant
Weder lüt noch land
Geburt noch haimot
Daz waz jm verholn gnot
Do nu die tafel waz berait
Do ward si schon gelait
Zu jm in daz klaine vass
38] Do beslussent si daz
Mit sölicher gewarhait
V. 600.
Daz kainer band laid
Geschach dem kinde
Von regen noch von winde
Noch von der winde fraise
5 Vff der wasser raise
In zwain tagen oder drin
Alsus trugent si ez hin
Bi der nacht zu dem se
Vor tag zit oder e
10 Nu fundent si ain barche
Ledig vnd starche
Da laitent si mit iamer an
Disen klainen schifman
Nu saut jnn der riche crist
15 Der besser denn gnedig ist
Den vil rechten wünsch wind
Si stiessent an hin floss dz kind
Ir wissent wol daz ain man
39] Der deweders ie gewan
20 Recht lieb nach hertzlaid
Dem ist der mund nit so gerait
Recht ze sprechen da von
So dem der ist gewon
Nu bin ich geschaiden
25 Da zwüscheut von jn baiden
Wond mir eutweders nie geschach
Ich gewan nie lieb noch vngemach
Ich leb weder v'bel noch wol
Da von mag ich alz ich sol
30 Der fröwen laid enteken
Noch mit Worten weken
Wond ez wer von ir schaden
Thusend herzen v'ber laden
Der laide warent drye
35 So die fröwe Amelie
In dem hertzen ainig trüg
Der an ielichem were gnug
40] Vil menges wibez smertzen
Er trüg an sinem hertzen
40 Von dem v'bel den si begie
Mit dem brüder der si lie
Der sichtüm der ander wz
Daz si dez kintz genass
Daz dritt was die vorcht
45 So an jrem hertzen worcht
Nach jrem lieben kind
GREGORIUS.
99
V. 64G.
Daz si dem wilden wind
Hatt beuolen vflf den se
Vnd wisset nit wie ez jm solt erge
Weder ez genes oder leg tot
Si waz geborn von not
Doch waz ez nit geschaiden
Von disen drin laiden
Vnmeng tag ain cnd nam
Vntz daz ir böse mere kam
Vnd daz gröst vngemach
Daz ir zu ir leben ie besch^,cli
41] Daz ir bruder were tot
Der tot kam jm von sender not*)
Do er von siner swester schied
Alz jnn der wis baiden riet
Nu begond er siechen ze hand
Dez zwang jnn der minne band
Vnd müst beliben siner vart
Die er durch got jn ain wart
Sin jamer wart ie vester
Nach siner lieben swester
Daz er sich zu kainer stund
Sich trösten kund
Also dorret jm der lip
Wie man doch spricht daz die wip
Vester minnint denn die man
Es ist nit vnd daz schain daran
Wond sin gross hertz laid
42] Daz jm was fürgelait
Daz waz da wider klaine
Nu die minn allaine
Die jm ain zil dez todez waz
Der hatt si vier vnd genas
Sus ergraif jnn die sende not
Vnd lag von hertzen rüwen tot
Dise sach ward ir kunt getan
Do si solt 7Ai der kilchen gäu
Recht da vor drj'e tag
Für si hin mit grosser klag
Vnd begrub irn briidervnd irnman
Do si daz land an sich gewan
Vnd die sache vss erschal
In dem land v'beral
Vil meng richer herre
V. 690.
Nach vnd öch verre
Begertent jr ze wibe
An geburt vnd an libe
43] An richait vnd an jugent
^ An schöni vnd an tugent
An zucht vnd an gute
Vnd an allem jrem mute
Waz si mannes wert
Do wurden si alle entwert
lO Sie hatt zu jr minne erweit
Wais got ainen steten helt
Den aller türsten man
Der ie minne gewan
Vor dem ziert si jren lip
15 Alz ain minnes wip
Vff ainen biderman sol
Dem si gerne geuiele wol
Wie vast ez sie widerm sitte
Daz kain wip mannes bitte
20 So lag si jm doch allez an
Wenn sie die statt gewan
Mit dem hertzen zu aller stund
Vnd öch mit dem mund
44] Ich main den gnedigen got
25 Sit ir der tieften spott
Sin huld hatt entworcht
Daz hett si nu ser gevorcht
Daz si fröd vnd gemach
Durch sin hulde versprach
30 Also daz si nacht vnd tag
Sölicher vnmi°is phlag
Die dem lip vnsanft tet
Baide mit wachen vnd mit gebett
Mit almüsen vnd mit vasten
35 Liess si den lip nit rasten
Die war rüw waz da by
Die aller sünden machet frj.
Nu waz da ein grosser herre
Von ir gesessen vuverr
40 Der waz vil wol ir gelich
Baide an adel vnd 6ch rieh
45] Der laite sinen fliss daran
Daz si jn neme zu ainem man
Vnd do er sin red getett
*) Hierauf folgt in der hs. nochmals vers C51, aber durcligestricheu 1
7*
100
HIDBER
V. 734.
Mit botschaft vnd mit bett
Alz ors versuchen solt
Vud si siu nit wolt
Nu w.ind er si gewinnen so
Mit krieg vnd mit tro
Bestund er si ze liand
Vnd zerstört ir daz land
Er gewan ir ab die besten
Stett vnd öch vesten
Vntz daz er si gar vertraib
Daz ir nicht me blaib
Denn alhiin ir hobtstatt
Die waz also besäst
Mit teglicher hüt
Ez wölte denn got der gut
Mit sinen gnaden vnderstän
Si müste och die verlorn han
46] Nu lassen wir die rede hie
Vnd sagent wie ez ergie
Diser frowen kind
Daz die werden wind
Ez wurfent war ju got gebott
In daz leben oder in den tot
V'n^er herre got der gut
Vnder wand sich sin ze hüt
Von dez gnaden Jonas
Der öch in dem mer gnaz
Der dry tag vnd dr} e nacht
In dem wäg waz bedacht
In aines visches wamme
Er waz dez kindez amme
Vntz daz er es gesante
Wol gesunt ze lande
In zwain nechten vnd aim tag
Kam er von der winden slag
Zu ainem vil guten land
Alz es got dar gesant
47] Ain kloster an dem stad lag
Dez ain gaistlicher apt phlag
Der gebot zwain vischereu
Daz si mit namen wereu
Vor tag ze vischen vff dem se
Do tet in daz wetter we
Der wind ward so gross
Daz si klain noch gross
Mochtent gevaheu
v. 780.
Si begunden wider gaben
In der wider raise
Funden t si vff der fraise
Sweben dez kindez barche
5 Nu wundert si starke
Wie si dar komen were
Die barch so rechte 1er
Si zugen dar zu so nahen
Vntz daz si dar ju sahen
10 Ligen daz klaine vass
Dar vss hübent si daz
48] Vnd laitentz in daz schif zfi in
Die barch ran 1er dahin
Daz windgestöss wart so gross
15 Daz si vff dem sew verdross
Die statt mocht jn nit beschehen
Daz si hettin gesehen
Waz in dem vass were
Daz waz jnen aber vnmere
20 Wond in waz wol bedacht
Hettin si ez ze hus bracht
So besähin si mit gemache
Die fundeneu sache.
Si wurfent dar v'ber ir ge-
25 [wand
Vnd zugent vast an daz land
Hie mit brach vff der tag
Der abt so der zelle phlag
Gie kurtzwilen vss zu dem se
aO Er allain vnd nieman me
Vnd wartet da der vischer
Wie ir vang vnd gelük wer
49] Vnd do füren si iemitten zu
Daz dücht den abt ze frü
35 Er sprach wie ist ez ergangen
Hand ir icht genangen
Si sprächent lieber herre
Wir wärent also verre
üevarn vff den wilden se
40 V'ns ward von wetter nie so we
V'ns waz der tod nach beschert
Vnd hand den lip kum ernert
Er sprach nu bind die red
[wesen
45 Got lob ich daz ir sint genesen
Der abt jm do sagen batt
GREGORIUS.
101
V. 823.
Do si kament an daz statt
Er sprach wz daz möcht sin
Do maint er daz vesselin
Daz mit dem gwand wz besprait
Dise frag waz jn baiden lait 5
50] Vnd sprächen t wez ain herre
Fragte also verre
Vmb armer liiten sache
In baiden ze vngemache
Er raichte dar mit dem Stabe 10
Daz gewand stiess er dar abe
Vnd sach daz klaine vass
Er sprach wa nament ir dz
Si gedachten meng lugen
Wie si den abt betrugen 15
Vnd wolltentz im versait hän
Vnd hettint ez öch wol getan
Wond daz er sin ward jnnen
Von v'nsers herren minneu
Do er nu die frage wolt hin 20
Vnd wider in sin closter wolt gan
Do erwainte daz kint lut
Vnd kunte dem gottez trut
Daz ez in dem vässli wer
Do sprach der vil gewer 25
51] Hie ist ain kind inne
Nu sagent mir jnn der minne
Wa irs habint genomen
Vnd wie ez v'ch zu sie komen
Daz wil ich wissen sicherlich 30
Do bedachtent si sich
Vnd saitent do alz ich v'ch e
Wie si ez fundint vff dem se
Nu hiess er ze band
Daz schiff heften vff daz lant 35
Vnd ablösen die band
Waz im wölt werden bekant
Do sach er ligen dar jnn
Gar seltzen gewinn
Ain kint daz in sinem hertzen iach 40
Daz er so schönez nie gesach
Diser eilend waise
Wond er kain fraise
Gefürchten künde
Mit ainem süssen munde 45
Lachet ez den abte an
V. 868.
52] Vnd alz der gelert man
An siner tafel gelaz
Wie daz kint geborn waz
Daz kund er wol verswigen
Ze gott begond er nigen
Ze himel hub er togen
Daz hertz hend vnd ogen
Vnd lobte got dez fundez
Vnd dez kintz gesundez
Daz kindli si do funden
Mit phelor bewunden
Gewtirkt ze Alexandrie
Nu wistent ez die drye
Ez ward och fiirbaz nit gesprait
O'ch sait man dez die warhait
Von den vischern
Daz si gebrüder wern
Die musten jm baide
Mit trüwen vnd mit aide
Vil wol bestetigen daz
53] Daz si ez mit saiten fiirbaz
Die bruder waren vnglich
Ain er waz arm der ander rieh
Der arm bi dem closter sass
Der rieh ain tail hin dan baz
Wol v'ber ainer mile zil
Der arm hatt kinder vil
Der rieh nie kains gewan
Nu ain tochter die hatt ain man
Nu ward der abt in ain
Vil guter füge vnder in zwain
Daz sich der arm man
Name dez kindez an
Vnd ez da nach bi im zug
Vnd er den liiten also hig
Wer in dehainer stund
Mit rede fragen begund
Wa er daz kind hett genomen
Daz ez jm were komen
Von sines bruder tochter
54] Kain lugi mocht er
Erdenken so gefiigen
Vnd daz si ez trügen
Nach der messe zit
Ze der kilchen nach cristanlicher
[sitt
102
HIDBER
V. 915.
Vnd man den abt bäte
Daz er so wol täte
Vnd daz kind selber töfte
Vnd daz er da mit köfte
Got vnd ir diensthalten müt
Der rat waz gefüg vnd gut
Nu nam der abt da den rat
Daz gold vnd die sidin wät
Vnd gab dem armen da ze band
Der sich dez kindez vnder wand
Zwo march von gold
Daz ers ziehen sold
Dem andren aiu march
Daz er ez verhele stark
Das ander trug er von dan
Der vil sälige man
55] Vil wol behielt er daz
Daz ist war er enmocht bass
Wond ers ze gewinn kerte
Vntz daz er ez wol gemerte
Der arme nit lies
Er tett als jnn der herre hiess
Do nu der mitte tag kam
Daz kind er an den arm nam
Sin wip gieng jm allez mitte
Nach gebürschem sitte
Ze kloster da er den abt vand
Zu jm sprach er ze band
Herre v'ch sendent dis kint
Die lüt die vil willig sint
Mins brüder tochter vnd ir man
Gelöbent starch dar an
Ob ir ez selb töifent
Dem kind sie geköftet
Da mit ain selig leben [geben
Vnd geruchent jm v'wern namen
56] Die bett waz der münchen spott
Si sprachent sehent so helf v'nsgot
Zii disem gebürschen man
Wie wol er sin rede kan
Der herre emphie die rede wol
Alz der demütig billich sol
Vnd alz er daz kind ersach
Vor siner bruderschat't er sprach
Es ist ain so schön kind
Sit si dez gotzhus sint
v. 961.
Zwar wir sond jns nit versagen
Daz kind hiess er ze tof tragen
Er töfte ez selb vnd hiess ez sus
Nach sinem namen Gregorius
5 Do daz kind den töf emphie
Der abt sprach sit ich nu hie
Sin gaistlicher vatter bin
Durch minez hailez gewin
So wil ich iemer han
10 Es ist so sälenklich getan
57] Vil gern an mines kindez statt
Gemechlich er do batt
Den sinen vischer
Daz er flissig wer
15 Er sprach nu züch mirs schon
Daz ich dirs iemer Ion
Daz kint helfent starche
Sine zwo marche
Daz man sin dester baz phlag
20 O'ch lies der herr vnmengen tag
Er wolt selber spehen
Wie daz kint wer versehen
Do nu der vischer vnd sin wip
V'ber dez kindez lip
25 So gar flissig waren
Wol vntz zu sechs jaren
Der abt nam ez von in
Zu jm jn daz closter hin
Vnd beklait ez mit sölicher wat
30 58] Die denn pfafiflich anstat
Vnd hiess jnn die buch leren
Waz ze trüwen vnd ze eren
Vnd ze aller frumkait zoch
Lützel ez da von floch
35 Daz ez äne slahen mit bett
Sinez maisters willen tet
Es lies sich nit betragen
Es wolt gern fragen
Ding die gut ze wissen sint
40 Ainem sölichen jungen kint.
Die kint die vor drin jaren
Ze schul gesetzt waren
Mit kunst er si bald erfflr
Daz der maister swvir
45 Er säch von aller band tugent
Nie so sinnriche jugent
GREGORIUS.
103
V. 1007.
Er waz da lüg ich nit an
Der jar ain kint der witz aiu luau
In sinem ainliften jar
59] Do enwaz zwar
Kain besser gramaticus
Denn daz kint gregorius
Dar nach in den jaren drin
Do bessrotent sich sin sin
Also daz jm diuinitas
Gar durchlüclitet waz
Die kunst von der gothait
Waz jm der für ward gelait
Dez ergraif er ie den höbtlist
Daz lip vnd sei frxim ist
Dar nach laz er von legibus
Vntz daz er wart alsus
In dem selben liste
Ain gar edler legiste
Die kunst sprichet von der e
Er hett noch gelernot me
Denn dz er wart geirrt dar an
Alz ich v'ch wol sagen kan
Es laid der arm vischer
60] Von armxit grosse swer
Sin hüben lagent vflf dem se
Dez ward sinem lip dik we
Wond er sich alsus uerte
Sinen kinden werte
Den hunger alle tag
Nu mit sinem beiag
E daz er daz gold funde
O'ch ward ze stunde
Wol gesenft sin leben
Do jm wurden geben
Von gold zwo march
Dez bessert sieh starch
Alle sine sache
An geträgt vnd an gemache
Nu Hess sin nit gar wise wip
Nie gerüwen jren lip
Von teglicher trage
Si säst jme vil läge
Ire liste kert si dar zu
61] Baide spät vnd och frü
Wie si daz vernem
Von wannen daz gold kem
V. 1053.
Mengem aid si jm swür
Vntz daz si an jm erfür
Wannen daz gold wer komen
Alz ir e hand ver nomen
5 Do nu daz wip wol bevand
Daz echt nieman waz bekant
Wer der gregorius wer
Nu brächt si ez nit ze mer
Si trüg ez schon daz ist war
10 Vntz an sine fünfzehen jar
Nu hatt fröw selikait
In alle wis an jn gelait
Ir vil starches march
Er waz schön vnd starch
15 Er waz getrüw vnd gut
Vnd hatt getultigen müt
Er hatt gunstez gnüg
62] Vnd öch zucht vnd füg
Er übte kainer hand zorn
20 Mit senftem müt waz er erkorn
All tag er fründ gewan
Vnd verlor dar vnder nieman
Sin fröd vnd sin klagen
Kund er jn rechter mäss tragen
25 Der lere waz er vndertän
Vnd milte da er si raocht hän
Gnädig wa er solt
Vnd ain zag wa er wolt
Den kinden ze mässe
30 VfF der witen Strasse
Sin wort gewan nie widerwank
Er tet nüt äne fürdank
Alz jm die wishait gebott
Dez ward er nie schamrot
35 Von kainer siner getät
Er suchte gnäd vnd rät
Ze allen ziten vmb got
Vnd behielt vest sin gebott
Gott erlöbte den wünsch v'ber ii
40 63] Daz er lib vnd öch sin
Maistert nach sinem werde
Wa von öch vff der erde
Deliain lob ieman beschicht
Dez gebrast im öch nicht
45 Der wünsch hatt in gemaistert so
Daz er sin ze kind wz frö
104
HIDBER
V. 1099.
Wond er an jm uit vergass
Er hatt in gemaistert kund erbaz
Die lüte dem knaben iahen
Alle die jnn da sahen
Daz von kainem vischer 5
Nie geboren wer
Dehain jungling glich
Vnd so gar seldenrich
Daz man jnn niena mochte
Geprisen von gesiechte 10
Vnd jähen dez ze stäte
Vnd ers von geburt hette
64] Es wer wol ain rieh land
Zu siner frumkait bewant
Nu geuiel ez ains tags sus 15
Daz der kuab gregorius
Mit siuen spilgenossen kam
Da in spilez gezam
Nu beschach ain geschieht
Die kam von sinem willen nicht 20
Er tet daz beschach nit we
Dez vischers kint en wenig we
Daz es wainen began
Vnd lüf also wainde dan
Do sin müter daz vernam 25
Daz ez wainent kam
Irem kind si engen lieft*
In grossen vusitten vnd rief
Sich wie wainest du süss
Do slüg mich gregorius 30
War vmb hatt er dich geslagen
65] Muter ich kan dirs nit gesagen
Du hattest im villicht getan icht
Müter wais got ich tet im nicht
Wa ist er nu bi dem se 35
We mir armen we mir we
Er tumber göch vil betrogen
Hau ich daz an jm erzogen
Daz er mir blüwet mine kint
So wol getränt alz si hie sint 40
Dinen fründen zimpt nit wol
Daz ich dis laster tulden sol
Von ainem so gewanten man
Der nie fründ hie gewan
Daz dich tar gebliiwen der 45
Der also verrunnen ist her
V. 1145.
Daz ist mir iemer ain laid [trait
Denn daz man jms durch got ver-
Man litt ez anders vnlang trist
la wais hie nieman wer er ist
We mir waz ist gedächt
Der tüfel hatt jnn her brächt
66] Mir zu ainer harnschar
la erkenn ich sin geuert gar
Die visch sien verwässen
Daz si jnn nit frässen
Do er vff den wilden se
Vou siner müter lip vnd we
Also hin geworfen ward
Er ergraif ain selig vart
Daz er dem abt zu kam
Vnd daz ers dinem vatter nam
Vnd sin almüsner ist
Vnd also müss er v'ns wisse crist
Anders vndertän sin
Er müss vnser rinder vnd swin
Triben vss vnd jn
War tet sin vatter sinen sin
Do er jnn mit frostiger band
Vfi' dem gemainen se vand
Daz er jnn dem abt Hess
Vnd er jm selben nit hiess
Dienen durch allez recht
Täte sin schalk vnd sin knecht
67] Gregorius do er daz kint slüg
Dar vmb ward er trurig gnüg
Vnd lüff jm ze hus nach
Dar vmb waz im so gach
Daz er dez sere vorcht
Daz jm daz kind entworcht
Siner ammen minne
Nu hört er si da jnne
Schelten äne mässen
Nu stund er an der Strassen
Vnd do er dise rede vernam
Vmwissender dingen kam
Er ir an ain ende
Daz er verwist vnd eilende
Wer in dem lande
Wond si jnn dik nannte
Sin fröd ward verborgen
In disen nüwen sorgen
GREGORIUS.
105
V. 1205.
Er gedächt in grosser swere
68J Ob nu dise rede were
Ain luge oder ain warhait
Die sin amme hett gesait
Vnd gahet do ze band
Ze kloster da er den abt vand
Vnd nam den getrüwen man
Von den lüten sunder dan
Er sprach vil lieber herre
Ich mag v'ch nit so sere
Gedanken mit dem munde
Alz ob ich denn künde
Vnd vil gerne tete
Nu blieb ich dar an stete
Daz ich vntz an mins todea zil
Den dar vmb bitten wil
Der kainer gütät
Niemer vngelonot hit
Daz er v'ch getrülich Ion
Mit der himelschen krön
69] Dez hän ich michel recht
Daz ir mir eilenden knecht
Von ainem fundenen kinde
Für allez v'wer gesinde
So gar zärtlichen erzogen
Laider ich bin dez betrogen
Ich bin nit dei" ich wand sin
Sond ir lieber hei-re min
Mir durch got gebieten
Ich sol vnd muss mich nieten
Not vnd angst daz ist recht
Alz ain eilender knecht
Mir hat min amme dez verleben
In ainem zorn ist ez beschehen
Daz ich funden bin
Baide lip vnd sin
Ich genis wol wil ez gott
So verr furcht ich den spott
Ich wölt e sin da nieman ist
70] E daz ich v'ber dise frist
Belib hie ze lande
la vertribt mich die schände
Die wip sint da vnuerdagt
Sit ez aine hat gesagt
So wissent ez schiere
Drye oder viere
V. 1259.
Vnd dar nach alle die hie sint
Der abt sprach vil liebez kind
Nu loz ich wil dir raten wol
Alz ich minem übe sol
5 Den ich von kinde erzogen han
Got hat vil wöl zu dir getan
Er hat von sinen sinnen
An lib vnd 6ch an minnen
Dir Vernunft wol geben
10 Daz du nu selb din leben
Macht schöpphen vnd keren
Ze schänden oder ze eren
Nu mustu disen selben stritt
In disen jaren zu diser zit
15 Vnder disen baiden
71] Nach diner chur schaiden
Waz du denn wilt erwerben
Gnesen oder verderben
Daz du dez beginnen solt
20 Sun nu bis dir selben holt
Vnd volge miner lere
So hastu trüw vnd er
In ir laster vnd in ir spott verkorn
Daz dir durch disen tummen zorn
25 Der werch werd so gach
Daz ez dich nit gerüw darnach
Du bist ain selig jungling
Ze wünsch stät dir din ding.
Din leben ist harte gut
30 Die lüt tragent dir holden m&t
Die jn disen landen sint
Nu volg mir liebez kint
Du bis der pfafhait gewon
72] Dar vmb züch dich nit da von
35 Du wirst der buchen wis
So bin ich der jaren griss
Min lib ist schier gelegen
Nu wil ich dir für war segen
Wenn ich vor dir stirb
40 Daz ich dir erwirb
Vmb v'nser samnung
Alt vnd öch jung
Daz si dich nement ze herren
Nu WZ mag dich gewerren
45 Ainer törinnen klaffen
O'ch trüw ich wol ze schaffen
106
HIDBER
V. 1305.
Daz die red für dlse stund
Nieiner mc kunt für jrn miind
Gregorius sprach herre
Ir haiid got vil verre
An mir armen geerot
Vnd v'wer hail gemerot
Vnd nu daz beste für gelait
73] Nu ist min tumbhait
So gar ser verbolgen
Si lät mich v'ch nit volgeu
Mich vertribent dry sache
Zu minem vngemache
Vsser disem lande
Da ist daz ain die schände
Die ich von itwise hän
So ist daz ander so getan
Die mich 6ch veriaget hin
Ich wais nu daz ich niena bin
Dez vischers kint
Nu wais ich ob min vordem sint
Von sölichem gesiechte
Daz ich werden möchte
Ritter ob ich nu hett
Den willen vnd daz gerätt
Wais got nu waz ie min mut
Hett ich geburt vnd gut
So wurd ich gern ritter
Daz süsse hong ist bitter
Ainem ieglichen man
74] Der ez nit gemessen kan
Ir band daz siissost leben
Daz got der weit hett geben
Wer ez ze recht hett erkorn
Der wer ie sälig geborn
Ich belib villicht stett
Ob ich den willen hett
Dez ich laider nit han
Ze ritterschaft stät min wän
Der abt wart do gemant
Mit Worten sprach er ze band
Sun din red ist nit gilt
Durch got beker dinen mut
Wer sich von pfatfen bilde
Sich machet got wilde
Vnd die ritterschaft begat
Der muss mit menger misstat
v. 1349.
Verwürkon sei vnd lip
AVela man oder wip
Sich von got wendet
75] Der wirt da von geschendet
5 Vnd der helle zu gesellet
Ich hatt dich erwellet
Zu ainem gottez kind
Ob ich ez an dir vind
Dez wil ich iemer wesen frö
lU Gregorius antwürt jm do
Ritterschaft ist ain leben
Der im die mäss kan geben
So mag nieman baz genesen
Gottez ritter mag man gern wesen
15 Denn ain betrogner capplan
Sun nu furcht ich diu dar an
Du kanst zu ritterschaft nicht
So man dich denn sieht
Vngefiiglich ritten
20 So miistu zu allen ziten
Tulden ander ritter spott
76] Nu erwiud lieber sun dur got
Herre ich bin ain junger man
Vnd lernen dez ich nit kan
25 War ich die sünd wenden wil
Dez kan ich gar scliier vil
Sun mii- sait vil menger mund
Dem ritterschaft ist kunt
Wer ze schule belibe
30 Vutz er dai* jnn vertribe
Vngeritten zwölf jar
Der müss für war
Gebären nach den pfaffen
Du bist vil wol geschaffen
35 Zu ain.im gottez kinde
Vnd ze closter gesinde
Die kutt gestund nie manne
Herr nu versuchent daz [baz
Vnd gebent mir ritterliche wat
40 Daz ist war ob si mir misstat
7 7] So gan ich ir wol aim andern man
Vnd leg ich die kutten wider an
Herr v'ch ist vil war gesait
Er bedai'f wol gewonhait
45 Wer gut ritter wesen sol
Ich hän ez gelernot wol
GREGORIUS.
107
V. 1395.
Von kind in minem miit hie
Ez kam vss minem mut nie
Ich sag v'ch sit der stund
Daz ich gedenken kund
Baide v'bel vnd och gut
So stund ze ritterschaft min mi^t
Ich ward nie mit gedanke
Ain payer noch ain tränke
Weler ritter ze hagenaig jm land
Ze asprion noch jn prabaud
Ze ars ie aller best gesass
So kan ich ez mit gedank baz
78] Herre waz ich der buchen kan
Da geröw mich nie nüt an
Vnd kund ir gar gern mere
Ie doch so man mich sere
Da her zu den buchen zwang
So durch niete min gedank
So man mich buchen wente
Wie nsich min hertz sente
Vnd min gedank spilte
Gegen ainem schilte
O'ch waz mir ie vil ger
Für den gritfei hin ain sper
Für die veder hin zem swert
Daz ist dez ich ie begert
Minem gedank ward nie bass
Denn so ich ze n)ss sass
Vnd den schilt ze hals nam
Vnd daz sper ze hals alsam
Vnd daz sper ze hals alsam
79] Vnd daz vnder den arm slfig*)
Vnd mich daz ross von sporn trug
So liess ich die Schenkel fliegen
Die kund ich so gebiegen
Daz ich daz ross mit sporn slüg
Weder in die lengi noch in denbfig
Da hinder aius vingers brait
Da der furzmagel ist gelait
Nebent dem man flugent die bain
Ob dem sattel ich scbain
Recht alz ich wer gemalot dar
Dez mocht man han genomen war
Mit guter ^eha^ ich rait
V. U38.
An dez libez arbait
Ich gab im so senften glimpf
Alz ob ez wer min schimpf
Vnd so ich mich mit sporen flais
5 Vft' ainen langen puneis
So kond ich wol wenden
Daz ross zu baiden henden
Genist ich ie wider kain man
80] Da geviilt ich nie an
10 Min merken ward wol bewant
Zu den vier naglen bi der hant
Nu helfent lieber herre mir
Daz ich die ritterlichen gir
Mit werken mi'iss begän
15 So band ir wol zu mir getan
Sun du hast mir gesait
Vnd meng tütsch wort fürgelait
Daz mich vil ser vmb dich
Wundren miiss gelob sicherlich
20 Wo« ich wais nit wz daz sol
Ich erkenn also wol
V'nsern maister der diu phlag
Mit lere vntz an disen tag
Von dem hastu nit vernomen
25 Wannen si dir zu sint komen
Du bist daz merk ich wol dar an
Dez mutes nit ain kloster man
81] Nu wil ich dich nit wenden me
Got geb daz ez dir wol erge
30 Vnd geb dir durch sin kraft
Hail zii diner ritterschaft
Nu schuf er daz man jm schnaid
Von dem selben phelor klaid
Den er by jm vand
35 Ez kam nie bessers in daz land
Er sach wol daz jm waz gäch
Vnd machte jn darnacli
Ze ritter alz jnu wol duchte
So er aller schierost mochte
40 Do nugregorius ritter worden wz
Do hatt jm der abt dennocht nit
[gesait dz
Vmb sin geschriben tafel vnd vmb
Erwaz jm also stark hold fsin gold
*) hs.: den urmeu trug slüg; en trug durchgestrichen!
108
HIDBER
V. 1481.
Daz er jm mit hal dur kain list
Er gediiclit sit er uu ritter ist
82] Vnd dez gfitez nit enhat
So hört er licht rainen rät
Vnd belibt durch gut gmach
Er versucht ez aber vnd sprach
Noch belib lieber sun bi mir
Daz ist war ich füg dir
Ainen also riehen jurät
Der wol nach diuem willen stät
Vnd gib dir alle die wil trist
Daz du vil schon varent bist
Du hastgewunnen ritters namen
Vnd must dich diner armvit scha-
Nu waz tut din litterschaft [men
Du hettist denn gutez kraft
Nu körnest du in kain land
Da du ieman bist erkant
So hastu nitfründnoch varnderhab
Sich da verdirbest du ab
Noch beker dinen mut vnd plip
[ez ist dir gut
8^] Gregorius sprach herre
Versuchent ez nit mere
Wölt ich gemach für ere
So volgoti ich v'wer 1er
Vnd Hess nider minen mut
Wond min gemach wer hie gut
Nu tut ez mengem schaden
Der der hab ist v'ber laden
Der verlit sich durch gemach
Daz dem armen nie geschach
Der da recht ist gemiit
Wond der arbait vmb daz gut
Den lip in mengen enden
Wie mag er baz bewenden
Denn ob er sich wirden kan
Er wirt villieht ain selig man
Vnd v'ber alle die land
Vor mengem herreu erkant
Daz ich haiss ain arm man
Da bin ich nit schuldig an
leb trag si alle sament hie
Die hüben die mir min vatter lie
84] Sit ez mir also gezühet
Daz mich die selde flühet
V. 1527.
Vnd daz ich nu jren gruz
Mit fruuikait dienen mfiz
Daz ist war ich kan si wol beiagen
Si well sich mir me versagen
5 Denn si noch ieman versagte
Der si ze recht jagote
Süss sol man si erlöffen
Mit frumkait ir selde köffen
Da zwifelen ich nit an
10 Wird ich ain frvmer man
An lip vnd an sinne
Ich gedien wol ir minne
Bin ich aber ain zag
So miiss ich niemer dry tag
15 Geleben so ich hinnan ker
Waz sol ich äne er
Gewinn ich gut vnd er
Dez priset man mich ser
Denn dem sin vatter wunder lie
20 Vnd daz mit schänden zergie
Wez bedarf ich me denn ich han
85] Mineross sintgütvndwolgetan
Min knecht sint biderb vnd gut
Vnd haud getriiwen mut
25 So bin ich ze harnesch wol
Wa man gut beiagen sol
Da getrüw ich wol genesen
Dis sol ain ende wesen
Herre v'wern hulden si genigen
30 Vnd diser bette verzigen
Daz ich lenger hie beste
Sun so wil ich dich nit me
Sumen für dise frist
Ich sich wol daz dir ernst ist
35 Wie vngern ich din enbir
Lieber sun nu gang mit mir
Won ich wil dich sehen lan
Waz ich dinez gvites hän
Sus fürt jnn der getrüw man
40 Vil ser wainende hin dan
Vif ain schön kemnaten
86] Die er gar wol beraten
Mit sidiner wate vand
Vnd gab jm die jn sin band
45 Vnd sin tafel daz er laz
Wie allen sinen dingen waz
GREGORIUS.
109
V. 1575.
Dez war er trurig vnd frö
Sin trureii schuf sich so
Alz ich v'ch hie wil künden
Er wainte von den sünden
Dar jnn er waz geborn 5
Dar vnder halt er jm erkorn
Gross fröd dar ab
Von hoher geburt vnd richer hab
Der er e uit nit wiste
Nu sprach der trüw vnd veste 10
Der sin herre waz gewesen
Sun nu hastu wol gelesen
Daz ich dich vntz her han verdagt
Din tafel hatt dirs wol gesagt
Nu han ich mit dinem golde 15
Geworben alz ich denn solde
87] Nach diner müter gebott
Ich hab dirs in got
Gemerot starche
Hundert vnd fünfzehen marche 20
Hand wir dir gewunnen
Wie v'bel wirs kunnen
Von sibenzehenen sit den stunden
Daz wir dich erst tun den
Ich gab jnen dry \Tid nit me 25
Den die dich mir brächten ab dem
Also vil ist diner hab [se
Da begastu dich schon ab
Zu anderm gewinne
So hastu schöne sinne 30
Nu autwürt jm gregorius
Vil sere wainent alsus
0 we lieber herre
la ist min begird mere
Zu der verte denn e 35
s8] Ich gerüw niemer me
Vnd wil iemer varende sin
Mir tut noch got gnade schin
Von wannen ich sie oder wer
Sun dez bewis dich der 40
Der dich nach jm gebildet hat
Sit du verwirfest minen rat
Ain schif waz jm berait
Da man jm an lait
Gar guten völlcnklicheu rat 45
Sin syis sin gold vnd sin wat
V. 1641.
Vnd do er ze schiffe gie
Der abt vergab jm nie
Vntz er in daz schif getratt
Alsus rumte er daz statt
wie kum schiedent si die tngent
Daz alter vnd die jugent
So ergieng doch vnder ju baiden
Ain jamerliches schaiden
Si enmöchtent der ögen
sy] Ain ander nit verlognen
Vntz si sich vor dem braiten se
Nit mochtent vnder sehen me
Nu bot der eilende
Hertz vnd öch hende
Ze himel vnd batt verre
Daz jnn v'nser herre
Santte in dis Land
Da sin vatter wer erkant
Kr gebot den marneren
Daz si den winden wären
Nach jrm willen vndertän
Vnd daz schif liessint gän
War ez die wind lertin
Vnd anders niemant kertiut.
Ain starker wind in do wate
Der belaib in do stäte
Vnd wurdent in vil kurtzen tagen
Von ainem stürm wind gesaigen
90] Vff siner müter land
Daz waz verhei-gert vnd verbrant
Alz ich v'ch vor gesagt hau
Daz ir nüt mer waz verlan
Nu allaiu ir höbtstatt
Die och mit kumer waz besatt
Vnd alz er die statt ersach
Zu den marneru er do sprach
Daz si dar zxi wantin
Vnd den segel darzii lantiu
Do die burger ersahent
Daz schif darzü gahen
Sie sasten sich mit herre
Gegen dem schif ze were
Nu zaigt jn der eilend
Mit siner früntlicher hend
Vnd fragt die burger
Waz ir not oder angst wer
110
HIDBER
V. 1687.
Dez nam si alle beaunder
Ain gross luichel wunder
A^on waimeu der herre
Gevarn wer also verre
91] Daz er dez nit enwiste
Ir ainer der beste
Der sait jm vil gar vast
Waz jnen gebrast
Vnd alz er ir not hatt vernomen
Er sprach ich bin recht har kouien
Daz ist dez ich got ie batt
Daz er mich brechti an die statt
Da ich zc tünd funde
Daz ich min jungen stunde
Nicht so müssig läge
So man v'rliges phleg.
Der edel vnd vest ritter gut
Sprach vss sim fryen mtit
Begerte ez die fröwe min
Ich wölt gern ir diener sin
Nu sagent si daz er wer
Manlich vnd lobebär
An lip vnd an gut
Mit gar willigem müt
92] Ward er geherbergt do
Die fröw waz dez gastez fr6
Doch hatt si jnn nit gesehen
Nu waz jm daran wol beschehen
Den er ze wirt gewan
Der waz gar ain fromer mau
Der besten ainer von der statt
Waz er dem gebot oder batt
Daz ergieng nach sinem mut
O'ch galt ers wol nit gut
Siner zerung wz er rieh
Vnd doch so beschaidenlich
Daz jm dar vnder nie gebrast
Dez waz er ain werder gast
Do er nu vernam die mär
Daz die fr6we wer
Schön jung vnd äne mau
Dar vmb si v'rlig gewan
Vnd ir die vngnad beschach
Daz si den hertzogen versprach
93] Vnd daz si iemer ze stäte
Alle man versprochen hette
V. 1731.
Do hett er si gern gesehen
Wunder nam wie dz möcht be-
A'ne alle missewende [schehen
De/, fragt der eilende
5 O'ch ward ir von jm gesait
Die zucht vnd manhait
Daz si jnn öch gerne sach
Daz selten gesten da geschach
Wond daz waz ir aller sitte
1^ Hie erzögt si mitte
Ir angstlichen swer
Wond ir waz fröd vnmere
Er wer arm oder rieh
Gast oder haimlich
15 Den Hess si nieman gesehen
Ez müst zem miinster geschehen
Da si stund an jrm gebett
Alz si zu allen ziten tett
Ez benam jm släf vnd mäss
2t^ 94] Nu riet der wirt dem gast daz
Er den truchsässen batt
Daz er in brächti an die statt
Da er si möcht gesehen
Daz liess der truchsass beschehen
25 Er nam ainer tag sit
Frü zu der messe zit
Vnd fürt jnn an siner band
Da er si an ir gebett vand
Er liess si wol beschöwen
•^Ö Der truchsass sprach zer fröwen
Fröw grüssent disen man
Wond er v'ch wol gedienen kan
Für ainen gast emphie si ir kint
Nu waz sin hertz dar an pliud
35 Vnd jm vnkund gnug
Daz jn die selb fröw trug
Nu sach si in ernstlich an
Me denn sie ie kainen man
Vormälen ie getäte
40 Daz kam von siner wate
95] Do si jnn nu recht besach
Wider sich selb si do sprach
Daz wer daz sidin gewand
Daz si mit jr selbs haud
45 Zu jrem kind hett gelait
Vnd daz dises gastez klaid
GREGORIUS.
111
V. 1777.
Gelich wereu garwe
An güti vnd an varwe
Ez wer beuamen daz selb gwand
Oder aber von ainer band
Gewürket weren baide
Daz bedacht si an dem klaide
Nu geviel jm die fröw wol
Alz ainem man ain frow sol
Anders jm nicht gebrast
O'ch behagte ir der gast
Baz denn ie kain man getät
Daz kam von sinem gerät
Der och frow even verriet
Do si von dem gebott gotz schied
Sus beualch jnn die gi°ite
In dez truchsässen hüte
Vnd schieden sich sa
Sin hertz Hess er bi ir da
Vnd flaiss sich dester mere
Vff pris vnd och vff ere
Daz er si hatt gesehen
Dar an waz jm wol beschehen
Daz er sich dücht frödenrich
Nu vand er all tag teglich
Ritterschaft vor der statt
Wie dez mannez hertz batt
Ze ross vnd och ze fuss
Daz waz sin vnmüss
Dez wer nu schier mere
97] Wenn die bürgere
An die vient kament
Waz schaden si do nament
So vergieng jn selten daz
Er tat iemer etzwaz
Dar vmb ward er ze schalle
Vnd ze pris für si alle
Daz traip er vntz an die stund
Daz er wesen begund
Ritter wie man gerte
Ze sper vnd ze swerte
Alz er der kunst nu gar bevand
Teglichen mit siner band
Vnd do aigenlich weste
Daz er waz der beste
Vnd er hatt adel vnd kraft
Vnd gantz kunst ze ritterschaft
V. 1823.
Do ward erst sin freuel gross
Wie lützel jnn der jüst verdross
Er waz der vienden hagel
9S] An jagen ain hobt an flucht
5 Nu waz diser römer [ain zag
Von siner manhait mer
Der hertzog der jnen daz land
Hat verhergert vnd verbrant
Vll sterker denn ain ander man
10 O'ch waz demselben dar an
So schone gelungen
Daz er mit gemainer zungen
Zem besten ritter ward genant
V'ber alle dise land
15 Nu waz daz sin gewonhait
Daz er teglichen rait
Spacieren für daz tor
Da tet ers ritterlichen vor
Wond weler ritter gut
20 Durch sinen ritterlichen müt
Har uss justierte wider in
Den fürt er ie gevangen hin
99] Zii der burger gesiebt
Vnd fürte si ze nicht
25 Dez hatt er so vil getriben
Daz jnen nieman wz beliben
Der jn bestünde mere
Noch versiicht ers dik vnd sere
Nu schampt sich gregorius
30 Daz jnn ain man alsus
Hatt gelait ain michel here
A'n aller slächte were
Do gedächt er dik daran
Nu sich ich wol daz ain man
35 Der zauel sere minnet
Wenn er daz gut gewinnet
Daz er vff zauel wägen wil
Vindet er denn geliches spil
So dunket er sich hart rieh
40 Ist ez ioch ain tail vnglich
Er bestät ez vff ain guten val
100] Nu hab ich dez bispels ze wal
Bin ich echt so wol gemilt
Daz ich min vil armes gut
45 Wäg wider so riebe hab
Daz ich iemer dar ab
12
HIDBER
V. 1S69.
Geerot vucl gericht bin
Ob mir gevallet der gewin
Ich bin ain vngelobter man
Vnd verzagt nie dar an
Ich gedenk alle tag
Wie ich die säld beiag
Daz ich ze vollem lob beste
Nu wais ich wie ez ergie
Ich wäge dar vmb den lip
Man hatt mich iemer für ain wip
Vnd bin der eren betrogen
Mag ich nu disen hertzogen
Vif gottez gnad bestän
Nu wais ich wol daz ich hän
Baide sterki vnd den müt
101] Ich wil benamen dis arm gut
Wagen vfl' disem spil
Man klaget mich nit ze vil
Ob ich von jm tod gelig
Ist aber daz ich jm angesig
So bin ich der eren rieh
Iemer me ewenklich
Daz wisse man vnd wip
Mir ist lieber daz min lip
Beschaidenlicheu ende geb
Denn daz ich lasterlichen leb
Gregorius sich dez gar verwag
Daz er dehainen tag
Wölt fristen mere
Durch got vnd durch ere
Wölt er verlieren sioen lip
Oder daz vnschuldig wip
Lösen von dez herren band
Der ir genomen hatt ir land
Dis sait er nu ainem man
102] Der jm nit liess dar an
Geschaden noch gewerren
Dem obrosten herren
Er wolt ez nieman mere sagen
Do es mornent begond tagen
Do hört er ain messe fru
Vnd berait sich dar zfi
Alz er ze veld wold komen
Der wirt ward dar zu genomen
Er half jm vss für die statt
Mit grossem fliss er do batt
V. 1915.
Daz er dez war neme
Wenn er har wider käme
Daz er jnn denn liesse in
Er brecht verlurst oder gewin
5 Vnd alsus kam der gute
Mit maulichem mute
Geritten v'ber ain veld
Für dez hertzogen gezelt
103] Dar jnn er jnn wüste
10 Daz ersach der mut veste
Vnd wafnot sich sa
Vnd niemant mere da
Alle die er da hatte
Die ruftent geträte
IT) Daz man jm sin ross gewunne
Er vorcht daz er jm entrunne
Alz jnn gregorius komen sach
Vil sinneklich im beschach
Er begond jm entwichen
20 Vil harte karglichen
Zu den sinen für daz tor
Wol baite er sin da vor
Ob er jn bekumbren möcht
Daz jnn niena ducht
25 Die helf von sinem herr
Nu WZ die burgmur vnd die wer
Volle ritter vnd fröwen
Die daz woltent seh6wen
Wederm da gelunge
25 104] Nu sumpt sich nit der tumme
Ir ietweder sich da flaiss
Vff ainen langen puneis
Nun ward in zu ainander ger
So schier alz si die sper
35 Fru vnder die arm slügen
Die i'oss si ze samen trugen
Die sperwärent kurtz vnd gross
Dez ir dewedren verdross
Wond ir ietweder stach
40 Daz ez enzway brach
Vnd daz si doch gesässen
Wie lützel si dez vergässen
Der swerten bi den siten
Secht si begonde stritten
45 Zwen glich stark man
Der entwederer nie gewan
J
GREGORIUS.
113
V. 1961.
Vnredlich zaghait
Daz si v'ch für war gesait
Alz gross alz vnib aiu har
105] Es luust da für war
Deu stritt vnder in baiden
Kunst oder gelük scbaiden
Do ir ietweder gnfig
Mit deu swerten slug
Do Itekümbert jun alus
Der tugentricb gregorius
Daz er jnn zömen began
Vnd fürt jnn mit gewalt hin dan
Vast gegen dem bürg tor
Daz waz jm dennocht beslossen
Ynd ward nit bald in verlan [vor
Nu hatte dez war genon
Dez hertzogen ritterschaft
Vnd begouden mit aller kraft
Nach ir herrcn gäben
Do daz die burger sahen
Do würfen s vff die burgtor
Alsus er gieng da vor
Der aller hertost stritt
Der vor dez oder sitt
106] Von so uil lüten ergie
Doch behub gregorius hie
Sineu gevangnen mau
Vnd bracht jnn ritterlich hin dan
Zu slugen si daz burgtor
Da hüben si da vor
Ainen stürm gross
Daz waz vnlang daz si verdross
Der sälig gregorius
Beiagt jnen alsus
Dez tags gross ere
Vnd hatt von grossem ser
Erlöset siner müter land
Mit siner ellenthaftcn band
Vor dez wz sin pris so gross
Daz nieman froraer daz verdroz
Er spreche sine ere
Nu hatt er ir aber mere
Vnd hatt die fröw wider ir land
Von siner gehulftigen band
Alle ir not v'ber kamen [men
107] Waz si schaden hatten geno-
Belträge zur geschichte der deutbchen
V. 2007.
Der wart ir vöUenklich ersatt
Wie si gebot vnd gebatt]
Vnd emphie dez recht sicherhait
Daz er ir kain laid
5 lemer me getäten
Daz Hess er vil stäten
Do uu dis notige land
Sinen kumer v'berwand
Vnd mit frid stund alz e
10 Nu tet deu lantzherren we
Die tegliche verebt
Die jn der zwifel worcht
Daz ez in also müst ergan
Ob si wölten bestan
15 Ain gewaltig band
Si sprachent ez wer dz gross land
Mit ainem wip vnbewart
Von rechter hoffart
Heften si ainen fromen herren
20 So möcbt jnen nit gewerren
108] Vnd wurden also f^eträt
Vnder jnen ze rät
Daz si die fröwen bätint
Vnd daz mit fliss tätint
25 Daz si ainen man nem
Der jn zu herren gezäm
Daz wer in allen enden gut
Si wissent wol daz si den mut
Ir durch gott hett erkorn
30 Daz si hettint verlorn
Vnd enberen wöltint alle man
Da missetät si an
Ir leben wer v'bel bewant
Ob si also riches land
35 Ir danks äne erben
Sus wolt si verderben
Dis wärent jr rate
Daz si noch daz täte
Wider der weit vnd \\ider got
40 So behielte si also baz sin gbot
Ob si ainen man neme
109] Vnd rechter erben bekäme
Daz waz benamen der best rät
Den man geben kond oder hat
45 Ist daz aller beste leben
Daz got der weit hat geben
spräche. 111. fi
114
HIDBER
V. 2053.
Da ir der recht warliait
Alz vil ward für gelait
Si volget ir rät vnd ir bett
Also daz si ez in got tett
Vnd lobt ze nemen aiu man
Da beschech ir aller wille an
Nu rietent si daz v'ber al
Daz man ir liesse den wal
Ze nemen wen si wölte
Do nn daz sin solte
Do gedächt die gute
Vil dik in jrem mute
Wen si nemen möchte
Dez si in ir mi'it düchte
Denn der selbe man
110] Denn der selbe man
Vnd geuiel vil bald dar an
Den ir got hatt gesant
Ze lösen si vnd ir land
Daz waz ir sun gregorius
Dar nach ward er alsus
Zu der e getan
Da ergie dez tüfels wille an
Da si von dem herren sagte
Der ir da behagte
Nu wärent si niemans vnd also
Zii herren nament si jnn do
Ez wart nie wunen mere
Denn die fröw vnd der herre
Mit ainander hatten
Wond si wären wol beraten
Mit liebi in grossen trüwen
Daz zergieng mit rüwen
Er waz ain gut gut richtere
Von siner milten mere
111] Waz ainem manne mag geben
Zu der weit ain wunenklich leben
Dez hatt er gar dez Wunsches wal
Daz nam ainen gäben val
Sin land vnd sin marche
Fridet er so starche
Wer si mit arge rurte
Daz er den zer fürte
Der eren vnd dez gutez
Er waz so vestes m fites
Hett ers nit durch got verlän
V. 2098.
Im müsten wesen vndertän
Waz in dem land waz gelegen
Nu Wolter uitwon diemäss phlegen
Durch die gottes ere
5 So gert er nit mere
Wond daz jm dienen solt
Fiirbaz er nit wolt
Die tafel hatt er alweg
In siner haimiichen phleg
10 112] Verborgen vff siner vesti
Da sie nieman wüste
Die da bi im funden waz
An der er teglich laz
Sin tegliche sache
15 Den 6gen ze vngemache
Wie er geborn wurd
Vnd die süntlichen burd
Siner müter vnd vatters
V'nsern herren batter
20 In baiden vmb huld
Vnd erkant sich nit der schuld
Die vff sin selbs ruggen lag
Die er nacht vnd tag
Mit siner muter übt
25 Da mit er got betrübt
Es waz da ze hof ain magt
Endhaft alz man sagt
Die verstund sich siner klag wol
Alz ich v'ch nu sagen sol
30 113J Wond si der kemnaten phlag
Da die tafel jnn lag
Er hat genomen zu siner klag
le ain zit an dem tag
Die er niemer verlag
35 Nu markt die magt dz wol
Alz ich v'ch sagen sol
Wenn si jnn dar in lie
Daz er lachende gie
Vnd schied dar vss ain trurig man
40 Mit roten 6gen dan
Nu flaiss si sich iemer mere
Hertzlicheu sere
Wie si daz er sähe
Wa von die klag beschehe
45 Vnd slaich jm ains tags mitte
Do er aber nach sinem sitte
GREGORIUS.
115
V. 2143.
Ze kemnäten klagen gie
Do waz die jimgfrow hie
Vnd lugt aigenlich vnd ersach
114] Sin kläglich vngemach
Vnd daz er an der tafel laz
Alz denn sin gewonhait wz
Do er uu daz vil getett
Mit wainen ^Tid mit gebett
Do trüknot er sine 6gen
Vnd v/And ez sölte sin tögen
Vnd vor all der weit bewarn
Nu hatt ez die mag wol ervarn
War er die taflen lait
Daz ersach si vil gerait
Do nu sin klag ain ende nam
Die magt vil schier kam
Zii der frowen vnd sprach
Frow waz ist daz vngemach
Daz min hertz truret so
Daz ir mit jm nit sint vnfro
Die fröw sprach waz mainstu
la schied er nüwlingen nu
Von vns vil frölichen hie
Wz mag er sit er von mir gie
115] Vernomen haben mei-e
Da von er so trurig were
Wer jm sölichs icht saget
Der solt ez hän vertaget
Im ist ze wainen nit beschehen
In trüwen du hast missehen
Die jungfröw sprach fr6we ich
Ich sach jnn hüt stän [enhän
Do jnn ain rüw beuieng
Der mir au min hertz gieng
Die fröw sprach daz ist ie din sitt
Vnd hast mir da mit
Gemachet meng swer
Du gesaitest ni guti mer
Noch baz du getagotist
Denn daz du die lugi sagotist
Die mir ze schaden gezug
Fröwe dis ist nit ain lug
la ist nit anders min klag
Denn daz ich war sag
IIG] So mainstu ez doch so
In triiweu ia er ist vnfro
V. 2189.
Ich wand ir wüstin tz baz
Fr6w waz mag wesen daz
Daz ers vor v'ch so gar verstilt
Wond er v'ch anders nit verhilt
5 Zwar fröw waz ez sy
Im wonet gross trurep by
Ich hab sin wol war genomen
Nu bin ich sin ze ende komen
Daz er so grossen kumer trait
10 Der jm nie ward gelait
Sit er die landez phlag
So Hess er nie kainen tag
Er gieng ie wider den morgen
Ainig vnd öch verborgen
15 In die kemnäten
Die do waz wol beraten
Wie frölich er dar in gie
So schied er doch ze jungst ie
Har vss harte rüwe var
20 Dez nam ich nie recht war
117] Alz ich ez hüt hab geta,n
Do ich jnn sach dar in gan
Do stal ich mich mit jm hin
Vnd verbarg mich dar jn
25 Vntz dz ich alle sin gebärde sach
Ich sach jnn gross vngemach
Von manlicher klag begän
Vnd öch vor jm han
Ain ding dar an geschriben waz
30 Do er daz sach vnd lass
Do slüg er sich zen brüsten hart
Dar an er sich nit spart
Vnd bog sich an sine knie
Ich wil wol sagen wie
35 Mit waineinen vil dike
Vnd mit mengem vff plike
Ich gesach nie man mere
Gewainen also sere
Da bi erkenn ich wol
40 Daz sin hertz ist laidez wol
118J Won da zwiflen ich nit an
Vmb ainen so gehertzen man
Wa dem ze wainen beschicht
Daz ist äne hertzen rüwen nicht
45 Alz ich jnn hüt wainen sach
Die fröwen mit truren sprach
8'
116
HIDBER
V. 2245.
Ow mir armen wibe
la beschach minem libe
Nie kainer slacht gut
Vnd och niemer getut
Nu von aines endez higent
Waz mag jm zu siner jugent
Also vil ze wainen sin geschehen
Alz ich dich da hör ichen
Nu tu mir etzlichen rat
Sit er mirs verswigen hat
Wie ich sin laid ervar
Daz ich mich an jm bewav
Ich fürchten ob ichmirs sagen bitte
Daz ich jnu verlier da mitte
119] Ich wand weler lay sache
Im geschäch ze vngemache
Die ze sagen wer oder ist
Verswiger mir kain frist
Nu begerte ich dehainest nicht
Wider sinen willen ze wissen icht
Wond mir dur ainen llst
Dis ze rechter not ze wissen ist
Ob siner sweri
Inant so were
Daz jm sin helf diichte
Vnd jm si benemen mochte
Daz mir ie dehain geschieht
Si zug zu fröden oder nicht
Verswig dez wz ich vngewon
Vnd bin wol gewiss da von
Daz er mir dis vngern sagt
Nu rät ich wol sprach die magt
Daz ir ez wol ervarent
Vnd da mit sin huld bewarent
Da ich jnn do stän sach
120] Klagen sin gross vngemach
Die statt markt ich wol
Alz ich v'ch zaigen sol
Do er nu gewainte gnug
Vnd sich zen brüsten slug
Alz ers vor jm hatte
Daz barg er gar geträte
In ain murloch v'ber sich
Die selben statt markt ich
Mügent ir dez erbiten
Er wil paissen riten
V. 2291.
Fröw so für ich v'ch dar
Vnd zaig ez v'ch so nement war
Waz dar an gesc'n-iben sie
Da erkcnnent irs by
5 Es ist nit äne daz
Dar an stand etzwaz
Geschriben von sinen sorgen
Die er hett also verborgen
121] Do er nu nach siner gewon-
10 Ze wald paissen rait [halt
Do gieng si so gefrät
Nach der maget rät
Da si die tafel vand
Vnd erkant si ze band
15 Daz ez der selb wäre
Alz man v'ch die mere
O'ch da vor saite
Die si zu ir kind laite
Vnd alz si dar an gelaz
20 Daz si aber versenket waz
In den vi! tieffen Sünden
Tötlicher sünden
Do dücht si sich vnselig gnug
Zu den brüsten si sich slug
25 Vnd brach vss ir schönez har
Si gedächt daz si für war
Zu der helle wer geborn
Vnd got hett verkorn
In hertzlichem trüwem
30 122] Den si begieng mit trüwen
Vmb jr erren mistät
Alz man v'ch gesait hat
Sit si dez Hefels rät
Aber so tüf versenket hat
35 Daz si an der sünden grund
Waz vernallen vntz an der stund
Ir fröden sunne waz bedacht
Mit tot vinster nacht
Ich wen ir hertzen swaere
40 Gehrochen von der sach were
Wond daz ain kurtz gedinge
Ir mut tet so ringe
Vnd stimd ir trost dar an
Si gedächt ob minem mau
45 Dise tafel ist zu brächt
Anders denn ich hän gedächt
GREGORIÜS.
117
V. 2337.
Ob got miuen sun sante
Gesund zu dem lande
Etwer der in du vand
Der hett dis tafel vnd gewand
Mineiu herreu ze kotfen geben
123J Dez dingez wil idi geleben
Vntz daz ich die red recht ervar
Aiu bott wart gewunnen dar
Vnd sant jnn do bald
Nach dem herren ze wald
Der bot gahet ze band
Da er siuen herren vand
Zu dem sprach er alsus
Gnediger hertzog gregorius
Ob ir iemer min fröwen
Wellent lebent scliöwen
So gahent vil gedräte
Oder ir koment ze spate
Ich liess si in grosser vngehab
Nu ward gregorius dar ab
Harte rii\\ig vnd vufro
Er sprach gesell wie redest so
Ich liess si an diser stund
121] Harte frö vnd wol gesunt
Herr dez wil ich iehen
Ez ist an diser stund beschehen
Ze wald ward nit me geliitten
Bald si ze huy ritten
Da ward dez wil ich phlegen
Nit vil sumpt er sich vnder wegen
Vntz daz er da hin kam
Da sin fröd ain end nam
Wond er must schöwen
An siner lieben trowen
Ain gar scre ogen waid
Ir hiiftel warent von laid
Ir rosvarwc entwichen
Vnd gar vnd gan(z verblichen
Sus vand er si todcs var
Dez entwaich jm sin fröde gar
Vil gross iamer da ergie
Wan zwain gelieben nie
Mannes ogen gesach
12ö| Der gut Sünder sprach
Fröw wie gehabent ir v'cli so
Kam antwürt si jm do
V. 2383.
Wond ir der süfze daz wort brach
Mit halben Worten si sprach
Herr ich mag wol trurig sin
Waz gebrist v'ch liel)i fröw min
5 Heri'e dez ist also vil
Daz ich ez got klagen wil
Daz ich ie zu der weit kam
Wond mir ist die selde gran
Verflucht waz die stund
10 Von v'nsers herren mund
Da ich jnn ward geboru
Vnsälde hat vif mich gesworn
Vnd behalt vast vff mich den aid
Wond mir ietz fusent laid
15 Wider ain liep ist beschehen
Herr ir söUent mir dez iehen
Von wannen ir gewesen sitt
Ez wer mir lang e gewesen zit
126] Der frag so ich nu begän
2U Die solt ich nu lange hän getan
Frow ich wais w'ol waz ir klaget
V'ch hett etzwar gesaget
Daz ich nit sie ain edel man
Wisset ich nu wer v'ch dar an
25 Alsus gelaidigot hett
Ez geleg niemer wett
Bis vntz an minen tod
Nu hell sich wol ez ist jm not
Wer er ist er hat gelogen
30 Ich bin von ainem hertzogen
Von ainem edlen man geborn
Ir sond mir volgen ane zorn
Daz wir der rede hie getägen
Ich mag v'ch nit fürbaz gesagen
35 Süss antwürt si jm do
Der rede ist nit also
la gesach ich den man
Niemer lachent au
Der mir von v'ch sagote
40 127] Daz v'ch nit wol behagote
Er fund hie nit gut antwürt
la furcht ich hcrr v'wer geburt
Die sie mir also genossam
Die tafel si her für nam
45 Von dem hie geschriben stät
So hat v'ns dez tüfels rät
118
HIDBER
V. 2431.
Versenket sei vnd lip
Ich bin v'wer luuter vnd v'wer wi[»
Nu sprechent wie daz wer
Dem guten sündev
Er waz in laidez gebott
Sinen zoru hüb er hin zu got [batt
Vnd sprach dis ist daz ich ie got
Daz er mich brecht vft' die statt
Da mir so wol beschäch
Daz ich mit fröden säch
Min vil lieben muter
Ach richer got vnd guter
128] Dez hastu anders mich gewert
Denn ich hab an dich gewert
Ich begert ez jn minem mut
Nach liebi vnd nach gut
Nu hau ich si gesehen so
Daz ich niemer wii'd fro
Ich Avais wol daz judaz
Nit rüwiger waz
Do er sich von laid erhie
Alz ir vernomen hand wie
O'ch entrilrte dauit
Nicht mere zu der zit
Do jm käment mere
Daz er erslagen were
Säl vnd 6ch jonathas
Vnd absalon der waz
Ain sunder schönst man
Den sun ze wip ie gewan
Wer ir jamer vnd ir klagen
Voll an ain end solt sagen
Der müste wiser sin denn ich
129] Ich wen ez wer vnmuglich
Daz ez v'ch mit ainem munde
leman gesagen künde
Si möcht vnnahe der tod
Eben massen sich der not
Den si sere hatt genomen
Ze voller wirthschaft komen
la warent die laide
An sei vnd an lip baide
Wa vernam ie man
Oder ie wibez nam
Dehainer hand swäre
Die so gar were
V. 2481.
Do waz der lip in baiden
Bekümbert vmb ir schaiden
Ez hat geschaffet gottez kraft
Ain misslicli gesellschaft
5 Die doch sament belibent
Vuder seien vnd vnder leben
Waz dem libe sanft tut
Daz ist der sele kain gut [sen
i;5ü] Wa mit aber die sei sol geue-
10 Daz muss dez libes kumer wesen
Nu littent si baidenthalb not
Es waz ain zwifelhafter tot
Die fröw vss grossem iamer
Wond si die not an sach [sprach
15 Owe ich verfluchtes wip
la bekümbert menger den lip
Daz sin die sele wurd fro
Dem beschicht och also
So bewigt sich meng man vnd wip
20 Der sele gar vnd dem lip
Vnd lebet in der weit wol
Nu enmag ich noch ensol
Min lip nit dez iehen
Daz jm ze gut sie geschehen
25 Ist min sei nu och verlorn
So ist der hert gottez zorn
So gar vff mich geuallen
Alz vff die verfluchten alle
Alz vff die verflüchten alle
30 131] Mich wundert nach der mistat
Die mir der lip gefriimt hat
Daz mich die erd gerückt tragen
Sun vnd herr ir mugent mir sagen
Wond ir hand die bfxch gelesen
35 Möcht aber dehain buss wesen
V'ber semlich grosse missetät
Ob dez ist nu dehain rät
Dez ich wol müss getrüwen
Ich muss die helle buweu
40 Mit der ich verschulde daz
Daz si mir doch etzwaz
Senfter denn mangez leben
Der öch der helle ist geben
Ach müter sprach gregorius
45 Sprechent niemer me alsus
Ez ist wider dem gebott
GREGORIUS.
119
V. 2526.
Nicht zwiflent an got
Ir soucl hart wol genesen
132] la hab ich ain tiost gelesen
Daz got die wjiven rüw hat
Ze buss vmb alle misstat
Vwer sei ist nie so vngesiint
Wirt v'ch daz ög zii ainer stund
Von hertzlicher rüwe nass
Ir sint genesen globent daz
Belibent by v'werm lande
An spis vnd an gewande
Sond ir dem lip entziehen
Gemach vnd fröde fliehen
Ir sond so nit halten
Daz jrs wellint walten
Durch kain weltlich ere
Nu daz ir dester mer
Got richtint mit dem gute
la tut ez wirs dem mute
Der giitz lebens wale hat
Vnd sich dez da begät
Denn ob dez enbirt ain man
Dez er tail nie gewan
Ir sint ain schuldig wip
133] Dez land entgelten v'wern lip
Mit täglicher arbait
So daz jm gar sie versait
Der aller maiste ger
Sus habent in vntz er
Ir der trüwen bände
Daz gelt von v'werm lande
Tailent mit den armen
Die sond ir v'ch lassen erbarmen
Bestiftet v'wer aigen
Wa v'wern wisen zaigen
Mit richern klöstern dz ist gut
SuB senftent sinen zornigen mut
Den wir so gar erbeiget han
Ich wil och ze büss stan
Fr6w vnd liebi muter min
Dis sol die jüngste red sin
Die ich iemer wider v'ch gctun
Wir söllent ez bringen dar zu
Daz v'ns got noch gcliche
Sament in sinem riche
134] Ich geaich v'ch niemer me
V. 2572.
Wir werint baz geschaiden e
Dem land vnd dem gfite
Vnd weltlichem mut
Dem si hüt widersait
5 Hin tett er die riehen klaid
Vnd schied sich von dem land
Mit türftigem gewand
Ez wären dem riehen dürftigen
Alle gnäd verzigen
10 Wond daz er alle sin arbait
Mit willigem mut laid
Er gert jn sinem mut
Daz in got von dem gut
Sant in ain wüste
15 Da er jnne müste
Bussen vntz an sinen tod
Spilende bestixnd er dise not
Er schuchte äne mässen
Die lüt vnd die Strassen
20 Vnd daz bloz gewilde
Allez gegen dem geuilde
135] Richte der arm sin wege
Er wüt die wasser bi dem stege
Mit baren füssen vngeschucht
25 Straich er wald vnd buch
So daz er sines gebettez pflag
Vngäss vntz an den dritten tag
Nu gieng ain stig smal
Bi ainem sew ze tal
30 Den ergraif der lieblos man
Vnd volgote jm dan
Vntz daz er ain hüsli sach
Ain vischer hat gehuset da
Den duchte daz er niena anderswa
35 Daz vischen weger wer
Den batt der gut rüwer
Der herberg dureh got
Von dem laid er grossen spott
Denn er gewon wer
40 Do in der vischer
Sinen starken lip gesach
Er wegt daz höbt vnd sprach
136] la du starker trugner
Ob ez so were
45 Daz ich der torhait wielti
Daz ich dich fräss gehielte
120
HIDBER
V. 2619.
So neme dich gross gebure
Der red vil viitüre
So ich entslicf vud min wip
Daz du v'us Itaidcii den lip
Nemist vuib v'user gut
0 wie v'bcl die weit tut
Daz die liit vnder in
Lident sölichen vngewiu
An so mengem vnnützen man
Dez got nie er gewan
Vnd wüsten doch die Mite
Ez wer ein brait gerüte
Ze dinem armen wol bewant
Ez gezäme baz in diner hant
Ain höw vnd ain gart
Denn ain vmbuart
Ez ist ain vnbewantez brot
Daz dir der tüfel tii den tod
137] Daz du trass swendest
Wie du din sterke schendest
Nu rum daz hus geträte
Nu waz ez vil späte
Nun emphieng der sünder
Dis schelten äne swer
Vnd mit lachendem mute
Sus antwürt jm der gute
Vnd sprach in demüt do
Mit senften Worten also
Herr ir habent war gesait
Wer gilt gewarhait
Im selber schaffet daz ist sin
Güter nacht wunst er jm
Vnd schied lachend von dau
Der vil wislos man
Hort gern disen spott
Vnd lobte dez got
Derselben vnwirdikait
Welich versmächt vnd laid
Sinem lip wer beschehen
Daz hett er gern gesehen
13S] Hette der geborne
Sieg vnd 6ch zorne
V'ber sinen riiggen geslagen
.Die hett er jm geni vertragen
Ob siner siinden swere
Icht dcster ringer were
V, 2663.
Dez v'blen vischers wip
Erbarmot sich v'ber sinen lip
Si duchte daz er were
Nicht ain trugnere
5 Dez scheltens daz ir man tet
Durch sin turftlich gebett
Daz eruollote ir die ögen
Si sprach daz ist äue logen
Dis ist ain gut man
10 Zwar ich sich jms wol an
Got läss dichs nit entgelten
Du hast getan ain schelten
Daz dinem hail nach gät
Du waist wol daz diu hus stat
15 Den lüten so verre
Wenn dich v'nser herre
139] Diner seiden ermant
Vnd dir sinen botten sant
Den soltest emphähen baz
20 \'nd vil wol bedenken daz
Dir kam kain dürftig nie
Sit wir begundent husen hie
Nu won diser gut man
Der öch nit vil dar an gewan
25 Weler man sich alle tag
Begän müz mit beiag
Alz du mit zwifel hast getan
Der solt got vor ögen hän
Daz tu noch rät ich dir
30 So helf dir got und gunne mir
Daz ich jm rüffen müsse
Sin vart ist vil vnsüsse
la gät er nie so balde
Er benachte jn dem walde
35 Essent jnu denn wolle nicht
Daz aber licht beschicht
So miiss er vngäss ligen
Sit du im herberg hast verzigen
140] So läss mir daz ze gewalte
40 Daz jch jnu gehalte
Sus senftot si mit ir guti
Dem vischer sin gemüte
Daz er ir daz guud
Daz si da zu der stund
45 Dem wislosen nach lief
Vnd jm her wider rief
GREGORIUS.
121
V. 2709.
Do si jnn nu wider gewan
Do waz dem vischenden man
Sin abent essen berait
Der grossen vnwirdikait
Die er an aller slacht not
Dem eilenden dürftigen bot
Der wolt jnn daz wib ergetzen
Vnd begoud jm für setzen
Ir aller besten spise
Dero wolt nit der wise
Wie vil si jnn genote
Ain ranft von hebrim brote
Ward jm dar gewannen
141] Vnd ain trank ainez brimnen
Sus sprach er wider daz wip
Daz kum siu sündiger lip
Der spis wert wäre
Do jnn der vischere
Die spis essen sach
Do sehalt er jnn vnd sprach
Owe daz ich dis sehen sol
la erkenn ich den trugner wol
Vnd alle ir betrognen wise
Du hast nit so kranker spise
Dich vntz her begangen
Ez schint nit an dinen wangen
Weder turst noch hungers not
Si sint so wis vnd so rot
Es gesacli nie man noch wip
Kain weltlic'ireu lip
Den hastu nit gewannen
Von In'ot vnd von bruunen
Du bist gemestet wol
Din Schenkel siecht din füsse hol
Din zehen wol geformet lank
Din nagel luter vnd plank
142] Din füss soltent vudan
Brait sin vnd zerschruuden
Alz ainem wallenden man
Nu kiis ich dinen schenkein an
Weder vall noch stöss
Si sint vnlang gewesen ploz
Diu arme vnd din hende
Stand ane missewend
Si sint .so siecht vnd so wiss
Du hadt andern fliss
v. 2761.
An diner haimliche ^
Denn du hie tust gelieh
Ich bin dez äue sorgen
Du beginnest dich am morgen
5 Diser not ergetzen
Du kaust dich baz gesetzen
Da du vaile vindest
Daz du wol v'ber windest
Wais got alle dine not
1(1 Da dis vil dürre brot
Vud das wasser were
Dinem raund vnmäre
143] Dis schelten empfieng der
Mit gar frölichem mute [gute
15 Vud wolt dez genicssen wider got
Daz er laid so grossen spott
Vnd also swacher gebart
Er gab im nie kain antwürt
Vntz vff die stund
20 Daz er in begund
Fragen der mere
Waz mannez er were
Er sjjrach here min
Ich wil v'ch sagent sin
25 Ich bin ain man
Daz ich nit wissen kan
Miner süntlichen schuld
Vnd such vmb gottez huld
Ain statt in diser wuati
30 Vff der ich iemer müsti
Bussen vntz au minen tot
Vast mit dez libez not
Ez ist hüt der dritte tag
Daz ich der weit verphlag
35 1 44] Vnd allez nach der wilde gie
Ich versach mich nit hie
Gebuwes noch lüte. Sit daz mich
Min weg har getragen hat [hüte
So such gnad vud rat
40 Wisscnt ir iendert hie by
Ain statt die mir geuellig sy
Ainen wilden staiu oder ain hol
Dez bewisent mich so ti'ind ir wol
Der vischer antwürt im so
45 Sit du dez gerst so bin ich fro
Daz ist war ich briug dich haiu
122
HIDBER
V. 2806.
Ich wais hie v'na aiu stain
Nüt verr v'ber den se
Da mag dir wol werden we
We wir daz erringen
Vnd dit'li dar bringen
So m:ichtu dich swereu tagen
Dins kumers wol klagen
Er ist dir gnfig wild
145] Ward ie dehain bild
Daz din mut ze rüwen stät
So tun ich dir gantzen rät
Ich hän ain jsenhalten
Nu lang her behalten
Die wil ich dir ze stür geben
Daz du bestätigt din leben
Vff dem selben staine
Die beslüss vrab dine bain
CTcrüwt dich denn din dank
So müstu iemer äne wauk
Gantz dar vflf bestan
Ez ist vmb den stain also getan
Der dich ledig fusse hat
Daz er nit wol dar ab gät
Sie dir nu ger dar zu
So släflf bis morn fru
Die jsenhalten nim zu dir
Vnd sitz in min schif zu mir
So ich fru vischen var
146] Ich ker durch dinen lip dar
Vnd hilf dir vff den stain
Vnd heft dir dine bain
Mit der jsenhalten
Daz du da miist alten
Vnd mich gewerlich
Vff disem ertrich
Niemer me getrangst
Dez bin ich ane angst
Wie ers mit hoffart täte
So warent dis die rate
Recht alz er wünschen wolt
Ob er wünschen solte
Nu waz der vngiite man
Hart streng dar an
Daz jm dehains gemaches
So uil dez ober taches
In sinem hus gunde
V. 2852.
Sin wip jm nie künde
Mit jren sinnen
Abgewinnen
Daz er dar jnn wer beliben
5 147] Er ward in hundes wis vss
An den hof für die tür [getriben
Da gieng er frölich für
Dez nachtz ward er gelait
Wider sin gcwonhait
10 In aines armes hüselin
Daz ez nit ermer möcht sin
Ez waz zeruallen äne tach
Man schfif dem fürsten sölich gmach
Daz vil gar vnmäre
15 Sinem buman were
Weder strö noch bett wät
Er vand dar jnn swachen rät
Im trug daz wip da hin
Ain lützel rores dar in
20 Nu hatt er behalten
Sin jsenhalten
Vnd sin tafel dar zu
Daz er si fund morn fru
148] Wie lützel er der nacht gelag
25 Denn daz er sinez gebettes phlag
Vntz daz jnn die müdi v'ber gie
Ze släffen er sich He
Do waz ez nach by dem tag
Do für der vischer nach beiag
30 Darzu waz er fru berait
Nach siner gewonhait
Nu ruft er sinem gast
Do slief er so recht vast
Daz er sin ruften nit vernam
35 Alz ez von grosser müdi kam
Do ruft er jm aber ze stund
Er sprach mir waz wol kund
Daz disem trugener
Der red nit ernst wer
40 Ich gerüff dir niemer me
Süss gäbet er zu dem se
Do nu dis daz gut wip ersach
149] Si wakt jnn vft' vnd sprach
Wiltu varn du guter man
40 Da sumest du dich an
Min man wil varn vff den se
GREGORIÜS.
123
V. 2898.
Dar nach ward nit gebait me
Er vorcht in grosser swere
Daz er versumpt were
Vnd ward dennocht wider do
Sines mfttez harte frö
Daz er jnu solt füren da hin
Alz verhaissen ward wider jn
Die liebi vnd och die laide
Die machotent baide
Zu sinem gaben daz
Daz er der tafel vergass
Die er zu allen ziten
Trug bi siner siten
Die jsenhalten trug er dan
Vnd galiet zii dem man
Er ruft durch got daz er sin bitte
Süss fürt er jn mit vnsitte
Vff ainen wilden stain
150] Do besloss er jm die bain
Vast in die jsenhalten
Er sprach hie mustu alten
Dich für denn mit sinen sinnen
Der tiifel von hinnan
Du kunst her ab niemer me
Den slüssel warf er in den se
Vnd sprach ich waiss äne wän
Wenn ich den slüssel funden han
Vfi dirre tieflfen fünde
So bistu ane sünde
Vnd ain hailiger man
Er Hess jnn da vnd für von dan
Nv lebte do alsus
Der arm gregorius
Vff dem wilden stain
Aller gnaden ain
Er hatt kain gemach
Wond der himel wz sin tacli
Er hatt kain schirme me
Für riffen noch für sehne
151] Für wind noch für regen
Nu den gottez segen
Im wärent klaider frömd
Nu ain herin hemd
Im wärent bain vnd arm bloz
Er enmocht die spis die er noss
Alz ich v'ch nu sage
v. 2944.
Wais got nit xiiij tage
Vor dem hunger nit geleben
Im wer denn gegeben
Der trost von criste
5 Der jm daz leben friste
Daz er von hunger gnas
Ich sag WZ sin spise Avaz
Ez saig vss ainem stain
Wasser vil hart klain
10 Dar vnder grub er ain hol
Daz ward mit aim trunk vol
Ez waz so klain daz ez nach sag
Zwüschent nacht vnd tag
Vil kum vollez geran
15 Daz trank der gnadloz man
152] Süss lebt er sibenzehen jar
Daz dunkt mengen nit war
Dez glöben so velsche ich
Got dem ist nüt vnmuglich
20 Ze tünd waz er wil
Im jst kains wunders ze vil
Do nu der gnaden aine
Vff dem wilden staine
Sibenzehen jar gesass
25 Vntz daz got an jm vergass
Siner höbt schulde
Vnd jnn liess hän sin hulde
Do starb alz ich es laz
Der dozemäl ze rom babst w
30 Alz schier do er starb
Ain ielich römer do warb
Besunder sinem künne
Durch dez gutes gewinne
Vmb denselben gewalt
35 Ir stritt ward so manigiialt
Daz si baide durch nid
Vnd durch der eren git
153] Beschaiden nit enkunden
Wem si dez stfilez gunden
4(1 Nu rietent si daz v'ber al
Daz si Hessin den wal
An v'nsern herren gott
Daz sin gnäd vnd sin gebott
Erzaigte wer er wer
45 Der gfxt wer zu ainem richter
Dienstes si im gedächten
124
HIDBER
V. 2990.
Den si öch voUhrachteu
Mit aliuiiöeu vnd mit gebett
Got do gut'deuklichen tett
Der ie vnd io daz best riet
Aiuer nacht er bescliied
Wisen rümern zwain
An den so völlenklicli achain
Die trüw vnd waihait
Daz ir wort waz äu aid
Da si besunder lägeut
Vnd gebettez pblägent
Die gottcz stimm sprach jn zu
Daz si dez nechsteu tags irü
Die römer ze samen brächtin
154] Vnd jnen daz kunt tätint
Vnd waz gottez wille wer
Vmb jrn rechten richter
Er wer gesessen aine
Vff ainem wilden staine
Ain man jn equitania
Den wisset nieman da
Er wer gewesen da
Wol sibenzehen jar
Mit dem wer der stul wol bewant
Vnd wer gregorins genant
Daz ers jn baideu tett kunt
Daz maiut daz aius maus muut
Nicht mag erzügen wol
Waz gross kraft haben sol
Wond zwain den ist baz
Ze geloben denn ain wissent dz
Nu wist ir dewedra nicht
Vmb dez andren geschieht
Daz jnen die rede baiden
Dez nachtes ward beschaiden
Vntz daz si ze samen kameut
155] Vntz daz si ze samen kament
Vnd ez vnder jnen vernament
Vnd si ez also getätent
Alz si öch vernumen hatten
Do nu ainer sin red gesprach
Vnd der ander der red mit lach
Do gelöbent die römer
Vil gern dise mer
Ze gott waren t si frö
Die alten herren wurdcut do
V. 3033.
Ze botteu baidc gesant
In equitania daz laud
Daz si den gottez mau
Suchtent vnd brächten juu herdan
5 Nu bekümbert si daz
Den stain da er vff sass
Der ward in nit genant
Mit zwitel fürent si in dz land
Daz gevor^chotent si guüg
10 Wa si ir weg hin trüg
Nu kundeut si nieman gesagen
15G] Daz begonden si von hertzen
Dem der jnn beriiehet [klagen
Vnd gnäd an jm suchet
15 Nu sant jn got in den sin
Söltint si vindeu in
Daz man jun denn mi'isti
Suchen in der wiisti
Sus begonden si gäben
20 Do si daz gebirge sahen
In die wilde zu dem se
Der zwifel tet in we
Daz si nit wissen knndent
Wa si jrn herren funden
25 Süss für die weglose diet
Alz jnen ir gemüt riet
Irr vntz an den dritten tag
Ain stig ane hüfslag
Begriffen si do
30 Dez wurden si fro
Der grasig weg vngezelt
Trug si verr in ain veld
157] Da der vischer bi dem se
Sass vou dem ich sait e
35 Der den säldenrichen
So vngezogenlichen
In sinen dürften emphie
Vnd an jm die v'ble begie
Daz er jnn durcli sin hass
40 Saste da er noch da sass
Vff dem wilden stain
Vnd jm da sine bain
Sloss jn die jseuhalten
Do die zwen alten
45 Dez vischers hUsli sahen
Ze Salden si daz iahent
GREGORIÜS,
125
V. 3081.
Daz si da nach ir vnraacht
Gevuwen mfisfen die nacht
Geftirt hatten si mit in
Spis daz waz ain schöner sin
Der si bedorftent zer not
Baide win vud brott
Darzii waz jnn dächte
Daz man gefüren mochte
Die empliie der vischer
158] Mit fröden ane allen swer
Die wol beraten geste
Er sach vnd och wüst
Er mocht ir wol gemessen
Dez wolt jnn nit verdriessen
Er schuf jn rieh gemach
Won er si wol beraten sach
Daz tet er mer durch dz gut
Denn dur irn hübschen niut
Er emphieng si liaz denn den gast
Denn dez gutes gebrast
Gregorium den rainen man
Inn dnnkte da nit nutzes an
Do si gewunent gut gmaeh
Der vischer zu den gesten sprach
Mir ist gar wol bescheheu
Sit ich ie solt gesehen
Alz recht gut lüt
Ich hän gevangen hüt
Ainen gar schönen visch
Siiss ward er vfF ainen tisch
159] Für die herren gehit
Nu hat er nit misse sait
Won er waz lang vnd gross
Dez er vil gern gnoss
An den pfenningen
Da ward ain kurtzes dingen
Si hiessent jnn gelten sa
Nu baten si jnn da
Den wirt vnd sin gesellen
Daz er jnn tet zeruelleu
Daz si ez alle sehint an
Nu vand der schätz girig maii
Den slüssel in sinem magen
Von den ir e hortent sagen
V. 3125.
Da er gregorium mitte
Besloss mit zornigem sitte
Vor sibenzehen jaren e
Vnd er jnn warf in den se
5 Si sprächent zii welen stunden
Er den slüssel hett tun den
160] Vsser dez merez v'nde
So wer er äne sünde
Vnd alz erjuu jn dem visch vand
10 Do erkant er jnn ze band
Vnd viel jm selb also bar
Mit baideu henden in sin här
Vnd röfte sich gar gniig
Vnd sich zil den brüsten slüg
15 Do fragten jnn die herren mit
Waz jm gebrest oder wer fger
Do si jnn mit ernst horten klagen
Do begond er in sagen
Vmb gregorium sinen man
20 Alz er ez denn kund oder kan
Die hotten wurden vast frö
Von sinen worten also
Wond si spurten an dem mer
Daz ez der selbe wer
25 An den in got selber riet
Vnd jnn ze bäbste schiett
Do er in baiden gliche
Also recht offenlichen
161] Sine bichte tett
30 Ir fiiss sucht er mit bett
Daz si im etzlichen rät
Tätint für die missetat
Nu gehiessen si jm daz
Er möchte vil dester baz
35 Komen von sinem maine
Ob er zu dem staine
Dez morgens sölt wisen
Nu sahent si dem grisen
Die ögen v'ber wallen
40 V'ber sinen gTawen bart valleu
Er sprach wz*)
163] Er sprach waz sol v'ch die
Gern wisen ich v'ch dar [vart
Die vart verliern wir gar
*) Dies steht noch auf seite 161. — Seite 162 ist leer.
126
HIDBER
V. 3181.
Ich wais wol er ist uu lang tot
Ich Hess Jim in so grosser not
\'1V dem wiklen stuiu
Hett er der doch nu aiu
Ez möcht kain lip gewern
Ir durfent nit dingen noch gern
Daz wir jnn lebend vinden
Wer er von kalten winden
Vnd vor frost nit verderbet
Der hunger hett jnn ersterbet
Nu erkannten si gotte gewalt
So stark vnd so manigualt
Ob er sin gerüchte phlegen
Daz vast wol sin segen
In frist vnd schirm vor aller fraise
Vff die vil kurtzen raise
164] Ward er tür gemant
Die lobt er jnen ze band
Dez morgens vil frü
Fiiren si zii der wilden flu
Da si mit grossen arbaiten
Die böm darzu beraiten
Daz si vff den stain kament
Vnd dez war nament
Wa gregorius wer
Der lebendig martrer
Ain harte schöner man
Dem vil lützel iendert an
Hunger oder frost sehain
Oder gross armut dehain
Vor zierlichem gerete
An lip vnd an gewäte
Daz niemer me dekaine
Von edelem gestaine
Von siden vnd von golde
Besser haben wolde
Wol ze wünsch geschnitten
Mit gar lachendem sitten
165] Mit gelwen ogen giengen
Vnd lieben fründ emphiengen
Mit golvarwem har
Daz ich sin ze war
Ze sehen lustet harte
Mit wol geschornem barte
In alle wis so getan
Alz er ze tantz solt gan
V. 3229.
Mit so gelimptem bain gwand
So die weit beste vand
Den fundent si niena da
Er mocht wol sin anderswa
5 Ich sag v'ch waz si fundent
Do si suchen begundent
Vff dem wilden staine
Der gilt vnd der raine
Ward ir schier jnuen
10 Do wolt er entrinnen
Won sin schäm waz so gross
Er ward nakent vnd bloz
Nu mocht er nit löffen träte
Wond er gebunden hatte
15 166] An ietwederm baine
Er viel zu dem staine
Der gilt vnd der raine
Vnd sprach Worten dehaine
Süss wolt er sich verborgen han
20 Do er si sach zu jm gan
Do brach er für die schäm ain krutt
Also fundent si den gottez trut
Ainen dürftigen vff der erde
Ze got in hohenn werde
25 Den lüten wider zeme
Ze himel gar geneme
Der arm waz zware
Erwachsen von dem hare
Vnd och zu der swarte
30 An höbt vnd an barte
E waz ez ze recht raid
Nu riisuar von der arbait
E warent jm die wangen
Mit röti beuangen
35 Mit gemischelter wise
Geschaffen nach allem flisse
Nu swartz vnd vngewicheu
167] Daz antlit gar erblichen
E warent jm für war
40 Die ogen gelw vnd clär
Der mund ze frödeu gestalt
Nu blaich vnd alt
Die ögen tief vnd rot
Alz ez der mangel gebot
45 Mit bräwen behangen
ßuchen vnd öch langen
GREGORIUS.
127
V. 3273.
Gross ze den licleu allen
Daz flaisch zu geuallen
Vntz an daz gebain
Er waz so glich klain
An bainen vnd an armen
Ez möeht got erbarmen
Da jm die jsenhalt lag
Baide nacht vnd tag
Do hatt si jm ab dem tusse
Daz flaisch hart vnsüsse
Vntz an daz bain vernossen
Daz si waren vergossen
168] Mit plut zu allen stunden
Von den frischen wunden
Daz waz sin sweri arbait
A'n ander not die er laid
Ich geliche in disen sachen
Alz der ain linlachen
V'ber die oren sprait
Man möcht jm sament gerait
Allez sin krankes gebain
Baide gross vnd 6ch klain
Gezelt hän durch sin hut
Wie sere der gottez trutt
An dem libe were
Verwandlot an der swere
Nu waz der hailig gaist
Dar an gewesen sin voUaist
Also gar vnd gantzlichen
Daz jm nüt waz entwichen
Er hatt sin alten
Kunst vntz her behalten
1C9] Von Worten vnd von buchen
Die jnn da fi'irent stichen
Do jnn die hattent gesehen
Alz ich nu hän veriehen
Dez libes also armen
Nu begond er si erbarmen
.So ser daz der ogen Hoss
In regens wis ir wät begoss
8i beswiireut jnn bi gott
Vnd bi sinem gebott
Daz er si wissen liessi
Ob er gregorius hiesse
Do er so tür ward gemaut
Do tet er jneu bekant
v. 3319.
Daz er gregorius wer
Nu Saiten jm ze mer
War vmb si vss waren komen
Alz ir e hand vernomen
5 Daz jnn got hatt genant
Selb erweit vnd erkant
Vnd ze richter gesast vff erd an
fsiner statt
170] Do er nu die botschaftvernam
10 Wie nach ez sinem hertzen kam
Do saigte der gottez werde
Sin höbt zu der erde
Mit mengen trehen er sprach
Daz er si nie angesach
15 Sint ir cristan lüte
So erent got hüte
Vnd gand dur got von mir
W^^nd ich der eren avoI enbir
Daz mir die gnäd beschech
20 Daz ich ieman guten ansech
Mit so süntlichen ogen
Got ist daz nit tögen
Min flaisch ist so vnrain
Daz ich billich ain
25 Belib vntz an minen tod
Daz mir der ewigen not
Die sele v'ber werde
Daz köft ich vft" der erde
Wer ich bi jnen hüte
30 171] Ez müst nit gute lüte
Engelten miner missetat
So gar hoch min schuld stat
So möchten bom vnd grass
Vnd Avaz ie grüns bi mir wz
35 Dorren von der grymen
Miner vnrain en stimen
Vnd von der vnsüsse
Miner sündigen tussen
Daz der Hechten sunnen schin
40 So demütig geriichet sin
Daz er mich vöUenkliclieu an
Sciiint alz ain andren man
Der gnaden wer ich gar vnwert
Daz er min ze maister gert
45 Daz ist ain erdachter spott
Ich hau vmb v'nsern herren gut
128
HIDBER
V. :{373.
Verdient biider vcrre bass
Sinen gryiuon zoru vnd liass
Denn daz er an mich kcre
172] T>ie gnäd vnd och die ere
Die ain babst haben sol 5
Ich gezim ze roui nit wol
V'ch wer an mir nit wol besehen
Ir mügent doch niinen ]i\) sehen
Der ist so vngenäm
Den eren wider zem K)
Ward mir ie lierren für kund
Der ist vergessen an diser stund
Ir herren nu nement selb war
Mir sint verwandlot gar
Der sinn der lip vnd die sitte 15
Die dem von recht wonent mitte
Der gross gewaltz phlegen sol
Ich gezim ze babst nit wol
Ir vil säligen löte
Nu länd mir daz hüte 20
Zu ainem hail sin beschehen
Daz ir mich band gesehen
Vnd gernchent v'ch erbarmen
173] V'ber mich eilenden armen
Vnd gedenkent min ze gott 25
Wir band von sinem gebott
Wer vmb den süuder bitte
Der löz sich selb mitte
Nu ist zit daz wir v'ns schaiden
Waz frumpt daz v'ns baiden 30
Ir erfröwcnt an mir dez tiel'els mut
Min kurtzwil ist also gut
Ich buw hie ze wäre
In dem sibenzehenden jare
Daz ich nie menschen gesach 35
Ich furcht fröd vnd gmach
So ich mit red mit v'ch h<än
Ich muss ir ze büss stän
Von dem der kain mistat
Vngerochen nit lät [dan 40
Süss stiiud er vff vnd wolt von
174] Do beswiirent jnn die zweu
Also verr bi gotte [man
Vnd bi sinem gebott
Daz er do stille sass 45
Vnd hört si fürbaz
V. 3421.
Nu hatten si sich baide
Mit trüwen vnd mit aide
Der rede nölich sicherliait
Die Jm da ward für gelait
Daz er in do gelobte baz
Ich waz alz ain voUez vaz
Süntlicher schänden
Do ich mit disen banden
Bestät ward vff disen stain
Die ir hie sehent vmb mine bain
Nu ist nicmans siind so gross
Dez gewalt die hell besloss
Dez gnad ist nu mere
Ob got v'nser lieber herre
Miner mengen missetät
Durch sinen tod vergessen hat
Vnd ob ich rain worden bin
Der geruch v'ch drin
Ain wortzaichen geben
Oder sich mftss min leben
Vff disem staine enden
Er well mir denn senden
Den slüssel da mit ich bin
So vast beslossen in
Oder ich gerum ez niemer me
Do viel der vischer an sine knie
Mit mengem trehen für jn
Vnd sprach lieber herr ich bin
Der selb vnsälige man
Der sich verwurkte dar an
Ich armer vnd ich verlorne
Ich emphie v'ch mit zorne [v'ch bot
176] Daz waz diebotschaft die ich
Ich gab v'ch schelten für daz brot
Ich schauk v'ch mit fliss
Vnd mit mengem itwis
Vnd behielt v'ch v'ber nacht
Mit vnwerd vnd mit bracht
Alsus waz jch worden alt
Daz ich der sünden nie engalt
Ez ist der sele noch gespart
Ich geniess denn diser vart
Die ich herr mit trüwen hän getan
So sol ich wol ze buss stau
Dar nach volgot ich v'wer bette
Wond daz ichs in zorn tete
GREGORIUS.
129
V. 3475.
Ich l)i'acht v'ch vff disen stain
AIsus hosloss ich v'wer bain
Vn<l warf den slüssel in den se
Vnd gedächt an v'ch nicmcr mc
Vnfz gester min sündigi band
177] Den slüssel in ainem visch
Daz sahent dise herren wol [vand
Ob ichs mit jn erzügen sol
Er entsloss die jsenhalten
Nu iailtcn die alten
Mit im ir pfalflich gwand
Vnd fürten mit jn ze hand
Ab derselben statt von daii
Disen sündlosen man
Ab dem wilden stain
Nu waz vil harte klain
Sins armen libez macht
Nu belibent si die nacht
Mit dem vischer
Dcx kumer waz vil swer
Er suchte buss vnd rät
Vmb die grossen missetät
Die er vor an jm begie
Do er jnn so hert emphie
Nu wusch sin trüwe
Vnd sin gantzer rüwe
17S] Vnd der ogen vnde
Dem tlaisch sine sünde
Daz die sele genaz
Dennocht gregorius waz
In der Sünden gewalt
Alz v'ch da vor wz gezalt
Do er von dem sinen gieng
Vnd jn der vischer emphieng
In sin hus swache
Vnd jm mit vngemache
Dez nachtes beriet
Morgens do er dannen schied
Vnd er der tafel vergass
Die wil er vff dem stain sass
So gemüte jnn nie mere
Dehain ding alz sere
Nu gedächt er aber dran
Vnd mant den vischcnden man
Daz ers dur got tete
Ob er si funden hotte
Beitiiige zur Kcscliiclito dor tleutsclicn
v. 3521.
Daz si jm wider wurde
Vmb daz siner sünden burdi
Ime dester ringer wer
17'.)] Do gedachte der visch(u-
.j Laider icli gesach ir nie
Sagent wa liessent ir si hie
Oder wie vergassent ir der sus
Ich Hess si sprach gregorius
Jn dem hüslin da ich slieff
10 Vnd man mir dez morgens rief
Do waz min angst swer
Daz ich versumet wer
Ich ersrak vnd ilt v'ch nach
Vnd ward mir also gach
15 Daz ich der tafel vergass
Der vischer sprach wz hulf dz
Ob wir si süchtint da si lit
Da ist si ful vor menger zit
0 lieber herre min
20 Do stund daz hüselin
Nach v'ch nit zwölf wuchen
Daz ez ward zerbrochen
Ich hab ez allez verbrant
Baide tach vnd och wand [müt
25 ISO] Ich tn°ig v'ch do so herten
Vnd wer ez v't gewesen gut
Für wind vnd für regen
Ir werint dar jnn nit gelegen
Da e daz hüslin waz
30 Da wachset vnbederbez grass
Nesslen vnd vnkrut
Do süfzot der gottez trutt
Got er jm do helfen batt
Er kem niemer von der statt
35 Ob er jr nit funde. Nu giengen
[si ze stunde
Mit gablen vnd mit rechen
Vnd begunden hin vnd her trcchen
Daz vnkrut vnd den mist
10 Nu erzögte crist
An dem guten grcgorio
Ain gross zaichen do
Daz L'Y sino taicl vand
Nu alz si von siner liand
15 Fiir der si do wurkte
Fröd vnd vorchte
spräche. III. 9
130
HIDBER
V. :{5(17.
llatfcu die <l:iz salion. woiul si
|(l:iz i;Uien
Dis wer ain Lclig mau. vnd da
llu^cn si 11 it an
Ibl) Do dez morgens ir vart
Gegen rom erhebt wart
Do sahent si dik vff dem weg
Daz die raine gottes plileg
Des guten uianues plüag
Alit Üiss naclit vnd tag
Si bcrürtc vff der raise
Nie kain böse fraise
Ir spis erschos jnen so wol
Dz all zit ire vass warent vol
Wie vil si dar vss namen
Vntz daz si gen rom kamen
Von aineu gnaden ich v'cli sag
Vor ir kunft drj-e tag
Ward ze rom ain luichel schal
Sich begundent v'ber al
Die gloggen selb lütcn
Vnd täten daz betUten
Daz ir rechter richtcre
Dar ze komen künftig were
Da markt wip vnd man
Sin liailikait wol au
182] Si fürent im engegen sa
Gegen dem land equitania
Dryc gut tagwaide
Hatten si v'ber die haide
Ainen vil götlichen rum
Si trugent vss ir liailtinu
Wullenklich vnd barfüz
Er horte gar willigen grfiz
An sinem emphange
Mit lesen vnd mit gesangc
Ez lägeut vff der Strasse
Siechen änc mdsse
Die kanicnt dar vff sinen trost
Daz si da wurdin erlost
Die erncrt er vnder wegen
Harte nicnger von sinem segcn
Wen er da l)ennte
Den man da hin fürte
Sin guter will oder sin hand
Sine wort oder sin gewand
V. 3613.
Dei- ward denn ze stund
183] Von sinem kumer gcsnut
Ze rome die mere
Empliie jr richtere
5 Mit lachendem uuite
Daz kam ir zii allem gute
Er ward da ze statt
Zu ainem bäbst gesast
Der waz ain guter hailer
10 Der wunden sele her
Er kund ze rechte leben
Wond jra die mäss wz geben
Von dez haiigen gaistez lere
Dez rechten hüt er sere
15 Es ist recht daz man behalt
Demütigen gewalt
Wond da gneseut die armen mit
Vnd sol doch freuenliche silt
Durch die vorcht erzaigen
20 Vnd die mit recht uaigen
Die wider dem rechten siut
184] Ob aber ain dez tiefeis kiml
Durch die stol nit endii
Da gehört denn gewalt zu
25 Dez siut die zwai gericht gut
Si lerent vnd slahent hohen mut
Dar vmb sol man dem silnder
Nit geben biisse swer
Daz jm der riiwe süss
30 Also sin sünde büss
Wond daz recht ist so swer
Wer au dem sünder
Ze vast herfc nach wil volgen jagen
Daz mag der lip nit vertragen
35 Ich main ob er gnad suchen wil
So geb man jm nit büss zc vil
Villicht ain man davon verzagt
Daz er sich aber got entsagt
Vnd wider wirt dez tüfels kneclit
40 185] Da von so gat gnad für recht
Stis kond er recht mäss geben
V'ber gaistlichcs leben
Da mit der sünder genaz
Vnd der gotte stät waz
45 Vou sincr starken lere
Wuchs die gottez ere
GREGOmUS.
131
V. 3650.
Siu mfiter sin bas vnd siu wip
Die drü hatten ainen lip
Do si jn dem land e([uittiniam
Von dem säligeu b;i!)st vernam
Daz er so gar werc 5
Ain trost der sündere
Do sucht si jnn durch rät
Vmb ir höbt missetat
Daz si der Sünden burdi
Von jn entladen wurde 10
Vnd do si jnn gesach
Vnd jm ir bicht veriach
Do waz dem guten wib
ISO] Von des bühstes lip
Ain vnkundez mer 15
Daz ez ir sun wer
O'ch hatt si an sich gelait
Die trüw vnd die warliait
Sit si sich schledent baide
Daz ir der lib von laide 2()
Entwichen waz garwe
An schöni vnd och an varwc
Daz er ir nit erkande
Vntz daz si sich jm genande
Vnd daz land equitaniam 25
Do er ir bichte gar vernam
Do veriach si jm anders nicht
Denn der selben geschieht
Die jm och waz kunt
Do erkante er si ze stund 30
Daz si sin mftter wer
Der gut vnd der gewer
Frowte sich zu gotte
Daz si sinem gebotte
Also verr vnderlag 35
l S7J Wond er sach wol dz si phlag
Rüw vnd rechter busse
Mit willigem grüsse
Emphieng er sin müter do
Vnd waz dez von hertzen fr6 40
Daz jm die seid beschach
Daz er si vor jr ende sach
Vnd daz er si alten
Also muste behalten
Vnd gcnislichen rat geben 45
V'ber sei vnd v'ber leben
V. 3705.
Dennocht waz ir vukunt
Gesach si jnn ie an der stund
Mit listen sprach er zu ir
Fn')\\e durch gut sagent mir
Hand ir sit icht vernomen
War v'wer sun sie komen
Weder er sie lebent oder tot
Do ersüfzot si durch not
188] Si sprach herre nain ich
Ich wais wol er hat an sich
Von rüwen sölich not gelait
Ich veruem denn die warhait
So glob ich uit daz er leb
Er sprach ob nu got dz geb
Vnd ez iemer möcht beschehen
Da/, man jnn v'ch Hess sehen
Sagent wie getrüwent ir doch
Ob ir jnn erkantint noch
Die frowe do sprach
Vss jrs hertzen vugcmacli
Mich betriegen denn min sinn
Ich 1)ekante jun säcli ich jnn
Er sprach sagent dez ich v'ch Ititt
Weder wer v'ch da mit
Liep oder laid beschehen
189] Ob ir jnn möclitint sehen
Si sprach ir mugeut nemeu war
Ich hiin mich bewegen gar
Libcs vnd och gutes
Frödeu vnd och mutes
Gelich ainem armen wip
Mir möcht zu minem lip
Kain fröd me geschehen
Wond möcht ich jnn gesehen
Er si)rach so gehabt v'ch wol
Wond ich v'ch von jm künden sol
Es ist vnlang daz ich jn sach
Vnd daz er mir bi got iach
Daz er ain fründin gehebt hette
Ze trüwen vnd ze stette
Lieber denn sinen lip
Gnäd herr sprach dez wip
Lel)t er noch ia er wie
Er gehebt sich wol vnd ist hie
Mag ich jnn gesehen herr
10)] Ia wol er ist vnverr
O"
132
HIDBER
V. :5710.
Herr so lilnd mich jn sehen
Er spracli daz luaj? wol besehen
Sit daz ir jnn aehen weit
So ist not daz ir twelt
Liebi müter nu selicnt mich an
Ich bin v'wer sun vnd wz v'wer
Wie gross vnd wie swär [man
Miner sündeu last wer
Dez hatt nu got vergessen
Vnd alsus lian ich besessen
Disen gewalt von got
Es kam von siuem geholt
Daz ich her ward er weit
Also hab ich jm verselt
Baide sei vnd och lip
Sus ward daz gnadloz wip
Ergetzet allez laides gar
Got sant in sin gnäde dar
191] Ze fröden in baiden
Sus wären si vngeschaiden
Yntz an den gemainen tod
Alz gregorius ir gebott
Vnd ir ze büsse riett
Do er von jrem land schied
Mit lib vnd mit gfite
Mit betwungnem mfite
Daz hat si gelaistet gar
Also daz ir nit dar an war
Waz si jaien sit vertriben
Sit si ze rom beliben
Die warent jn baiden
Ze got also beschaiden
Daz si nu iemer me sint
Zwai vsserwelti gottez kind
O'ch erwarb er sinem vatter daz
Daz er den stül mit jm besass
192] Dem niemer fröde zergät
Wol im der jnn besessen hat
Bi disen guten meren
Vnd von disen sünderen
Wie si nach ir grossen schulden
Erwurbeut die gottez hulde
Da sol nn niemer an
Gedenken kaiu sündig mau
Vnd nemen so böz bild
Vne in sim hertzeu sin so wild
V. 3795.
Daz er icht gedenk also
Nu bis och freuel vnd Iro
Wie müchtist sovngelükhaftwesen
Sit daz dise sint genesen
5 Nach ir grossen missetat
So wirt din alz gut rat
Ist daz ich genesen sol
So genis ich och also wol
Wen der tüfel also schündet
10 193] Daz er vff den trost also sündet
Den hat er v'ber wunden
Vnd in sin gewalt gebunden
Ist ioch sin sünde krank
So kunt der selb gedank
15 Mit tusent valter mistat
Vnd wirt sin niemer me rät
Da sol der sündig man
Ain selig bild nemen an
Wie vil er gesundet hat
20 So wirt sin vil gut rät
Ob er die rüw begät
Vnd recht bus bestät
Hartmann der sin arbait
An dis buch hat gelait
25 Gott vnd v'ch ze minnen
Wer begert dar an ze gewinnen
Daz er jm es lät geuallen
Der lonet von v'ch allen
194] Die ez hörent vnd leseut
30 Daz si jm bittent wesen
Daz jm die seid beschech
Daz er v'ch noch gesäch
In dem hohen himelrich
Dem senden t alle gelich
35 Disem guten sünder
Ze busse vmb v'nser swer
Daz wir jn dem eilend
Ain also genislich end
Nemint alz si nament
H; Dez helf v'ns got amen
Hie mit so hant sant gregorien
Got müss v'ns allez v'bel bencn
Ain gut volkomen end
Maria v'ns jren segen send. Amen.
45
GREGORIUS. 133
Die hier abg-edruckte handscliiift des Gregorius Hartmaiins
V. Aue, im besitze des henii a. Grossratb F. Biiiki in Bern,
{'and ich im schlösse zu Spiez am Thuner see. Nach schrift
und spräche möchte sie im ersten viertel des fünfzehnten Jahr-
hunderts entstanden sein und zwar in der Schweiz oder in
Öiiibleutscldand. Sie ist in kleinquart auf papier geschrieben
und sehr gut erhalten, mit ausnähme der ersten seite, die
etwas beschmutzt ist und unten die schriftliche bemerkung
enthält: "Heüt zu Tag schril)t man nicht mehr also.' Unter bei-
hilfe meines coUegen i)rof. dr, L. Hirzel konnte ich ermitteln
dass sie vollständig ist. Sie enthält 97 blätter. Von der
gleichen band geschrieben folgen sodann auf 14 blättern reli-
giöse lieder und gebete*); letztere beginnen auf der zweiten
seile des eilften blattes; das erste scheint von einer andern
band zu sein. Das letzte blatt ist etwas beschädigt, ohne
dass jedoch die schrift wesentlich gelitten. Am Schlüsse hat
ein späterer Schreiber ein heilmittel 'für dz grienn' einge-
schrieben, das allerdings nicht vollständig erhalten ist.
Betreffs der typographischen widergabe der hs. ist zu be-
merken, dass die zeichen ä und 6 einem a und o mit über-
geschriebenem v entsprechen, also die laute au und ou dar-
stellen sollen. — ü entspricht einem u mit übergeschriebenem
c (= mhd. tte) ; ü dagegen ist in der hs. u mit einem häkchen
darüber (= mhd. ü), denselben laut tt l)ezeichnet v', in der hs.
v mit einem häkchen darüber. — Die abkürzungen der hs.
sind aufgelöst worden. Es sind die in deutschen Schriftwerken
jener zeit gewöhnlichen.
BEKN. Dr. B. HIDBER, P. 0.
Zur kritik des Gregorius.
Die vorstehend auf den wünsch des auffindcrs vollständig
abgedruckte neue handschrift bietet einen ziendich entstellten
text. Dennoch hat sie wegen der mangelhaftigkeit der bis-
lierigen Überlieferung ihren eigentümlichen wert. Die wich-
tigste bereicherung , die sie uns gewährt, besteht in der voll-
ständig erhaltenen einleitung, von der sonst nur die Erlauer
hs. (E) trümmer erhalten bat, noch dazu in einer gestalt,
*) Oicselben werden (Icmuächst ebenfalls vcröffentlictit werden.
134 PAUL
aus der es kaum möglich war die gedankeu des dicliters zu
crrateu, geschweige denn den ursi)riuiglichen text auch nur der
erhaltenen verse mit einiger Sicherheit herzustellen. Sie füllt
die ersten sieben selten der hs.; ausserdem die elfte und zwölfte,
die, wie man leicht sieht, zwischen die sechste und siebente
einzuschieben sind. Das ursprünglich vierte blatt ist an stelle
des jetzt fehlenden siebenten getreten, welches vers 61 — 102
enthielt. Unvollkommen und unsicher ist allerdings die Über-
lieferung. Das wird besonders klar, wenn wir den weiteren
text mit den uns erhalteneu hss. vergleichen. Ich knüpfe an
den abdruck der hs., die wir mit 1 bezeichnen wollen, einige
versuche zur berichtigung des textes.
90^, 13 (10*) ist wol mit Vermeidung der lästigen wider-
holung von jiigent in G zu lesen als in sin muot schündet. —
18 (15") besser gehüezest nach I als gebetest nach G. — 19
hat I wol ebenso das richtige. — 20 ff. wird meine annähme
einer lücke in G hinter lO'^ bestätigt. Es wird in engem an-
schluss au I zu lesen sein er rvirt lihte entsetzet; man in des
willen letzet diu groze und ehafte not, so der grimme bitter tot
den fürgedanc richet und im daz leben br iahet etc. — 28 (21=^)
ist wol bcesern, wie schon ßech vermutete, das richtige, und
dann doch gnaden in der vorhergehenden zeile auf die gött-
liche gnade zu beziehen. — 90^^,9 — 15 (31^—39'') zeigen sich
alle früheren herstellungsversuche aus dem entstellten texte
von G als unzutreffend. I scheint im wesentlichen den rich-
tigen text zu überliefern; nur ist wol in 10 daz ez zu lesen
und 14 natürlich müezekeit. — 18. erziuget. — 23. und sich
niht. — 29. Vnd zu streichen. — Ol'', 12. wol zu lesen luot
er denne wider dem geböte und verztvivelt an gote\ der nach-
satz beginnt erst z. 17. — 16. triuwet wider komen. — 19.
sine. — 22. 3 vielleicht so wirt der riurve unsüeze gedrungen
Wider fiXeze. — 28. ab zu streichen. — 37. da si sich wol
breitet. — 91*^, 10. siner. — 92^^, 10. im. — 39. begie. — 45. er.
Was nun die weitere benutzung der hs. betrifft, so käme
es darauf au, ihre Stellung zu den übrigen zu ermitteln. Hier-
bei aber stösst mau auf Schwierigkeiten. Sie stimmt nämlich
bald zu der einen, bald zu der andern. Es wird sich kaum
behaupten lassen, dass sie zu irgend einer in näherer ver-
wantschaft stehe. Besonders viele lesarten teilt sie mit C, so-
GREGORIUS. 135
weit diese lis^. erhalten ist. Auch mit E hat sie viele gemein-
sam, nicht selten g-eii,en die Übereinstimmung- mehrerer hss.
oder entschieden iehlerhaft. Wollte man aber daraus sehliessen,
dass I zur gruppe CE gehöre, und zwar zu C in einem näheren
Verhältnis stünde als zu E, so würde mau gewis fehl gehen.
Denn die fälle, in denen sie mit beiden hss. stimmt, sind nicht
sehr zahlreich ; widerholt stimmt sie zu E, wo C mit A stimmt,
oder mit A gegen CE. Auch mit G teilt sie eine anzahl
eigentümlicher lesarten. Auf der andern seite aber trifft sie
in vielen Fällen mit A zusammen gegen EG, ebenso wie sie
in sehr vielen anderen mit den letzteren gegen A stimmt.
^]inen beweis für verwantschaft zwischen E uud G braucht
man darin keineswegs zu sehen, um so weniger, da A und I
auch entschieden falsche lesarten mit einander gemein haben,
so 535 deheinez A , dekaines I = tjmmer E , da iener die aus-
gaben; 663 sbier — sin E. 1284 niht gerirve AI = germve;
1516 er = erz\ 2492 zruivelTiafter == zTvivalüger; 2869. 70
\da I] hin — dar in = dar in — under in E (ungeschickte
ändcrung zur beseitiguug des rührenden reimes). 3274 fehlt
nü (E); ebenso fehlt 3273 e, wo aber E den fehlerteilt, indem
sie dafür vil hat; ferner 1046. 7. 2988, wo dem französischen
tcxt die lesart von E entspricht. Besonders hervorzuheben
aber sind zwei gemeinsame lücken in AI , 1 1 48 — 59 und
3431 — 38. An der ersten stelle ist der ausfall durch abirren
auf das gleiche reimwort zu erklären und deshalb die Über-
einstimmung weniger auffallend. Schwerlicb aber sind wir
berechtigt eine nähere verwantschaft mit A anzunehmen. Viel-
mehr haben wir wol wider nur ein schlagendes beispiel dafür,
wie leicht stark ändernde handschriften sich in denselben än-
derungen begegnen. Wir haben keine einzige hs. , mit der
I nicht einige fehler teilte. Wir dürfen daher, wo sie in einer
lesart zu einer hs. stimmt, darin nirgends einen sichern beweis
für die richtigkeit derselben sehen, nur die Wahrscheinlichkeit
der echtheit kann durch ihre Zustimmung verstärkt werden.
Im allgemeinen wird durch I die ansieht bestätigt, dass
A durchaus nicht sehr zuverlässig ist und dass in vielen fällen
andere hss. das echtere bewahrt haben. Ich führe eine reihe
von stellen auf, an denen die von mir und zum teil schon von
Bech gegen A und Lachmanus text aus anderen hss., beson-
136 PAUL
ders E und G eingesetzte lesart durch I bestätigt wird: 9. 10.
27. 2.S. 11. 112. 123. 131. 13-1. H<>. 111. 156. 181.2. 221. 247.
251. 256. 285. 6. 302. 325. 331. 381. 382. 397. 406. 457. 463.
501. 528. 568. 630. 643. 76(>. 781. 787. 8. 892. 935. 1033.
1049. 50. 1052. 1066. 1068. 1141. 1205. 1258. 1262. 1271. 1275.
1276. 1294. 1315. 1320. 1329. 1346. 1352. 1360. 1374. 1411.2.
1423. 4. 1457. 1476. U77. 1519. 1534. 1542. 1563. 4. 1595.
1601. 1602. 1636. 1643. 1657. 1672 {wart steht nur aus ver-
sehen in meiner ausgäbe). 1678. 1698. 1774. 1777. 1808. 1811.
1817. 1839. 1860. 1883. 1884. 1886. 1887. 1899. 1902. 1914.
1936. 1958. 1966 (lies kunst oder gelücke). *1968. 1972. 1981.
2000. 2002 (lies ir aber). 2025. 6. 2029. 2033. 2037. 2046.
2068. 2122. 2134. 2136. 2137. 2143. 2159. 2169. 70. 2191.
2192. 2195. 2201. 2215.6. 2218. 2252. 2274. 2289.2292. 2304.
2340. 2342. 2344. 2364. 2378. 2400. 2410. 2418. 2420. 2429.
2438. 2445. 2453. 2473. 2519. 2529. 2540. 2562. 2563. 2585.
2602. 2622. 3. 2624. 2629. 2651. 2655. 2660. 2665. 2695. 6.
2770. 2848. 2880. 2881. 2907. 8. 2914. 2919. 2921. 2955. 6.
2957. 2960. 2978. 3006. 3011. 3039. 3042. 3047. 3064. 3072.
3143. 3180. 3201. 3241. 3247. 3284. 3319. 3334. 3409. 3471. 2.
3495. 3586. 3641 — 3. 3665. 3712. 3736. Auch sonst teilt I
verschiedene lesarten ^q^qb. A mit den übrigen vorhandenen
hss., von denen manche in den text zu setzen sein dürften, so
15 ouch diu EI = shüu\ 188 harte EI ■== vil harte] 486 mU
im dmi EI = dan\ IQl einem EI = in einem \ 768 zuo eijiem,
Quoten lande EI = üz hin ze lande \ 771 ein EI = da ein] 883
gehreit EI {bespreit C) = geseit] 931 behielt EI = gehielt]
957 und (fehlt C) als er das kint ersach CEI = dö er daz
kindelhi gesach] 993 zaller EI = ze] 1239 funden BEI = ein
funtkint. 1347 die ritterschaft EGI = ritterschaft (AB); 1733
an alle EI = äne] 1746 müest zem EI = möht ze] 1752 an
BEI = iXf] 1837 nu EI {do G) = ouch] 2360 harte Gl = vit
harte] 2554 habet EI = habt ir] 2764 — 6 dune {dw EI) beginnst
dich morgen dirre not ergetzen. du kanst dich baz besetzen {ge-
setzen I) EI = dune beginnest morgen dirre not vergezzen. du
kanst wol haz gezzen] 29S3 nu rieten si (EI) = do geriete?is]
299(1 ouch EI = im] 3425 in EI = sl
Andererseits aber spricht I auch an einer beträclitlicheu
aiizahl von stellen zu ^unsteu von A. So zunächst in meh-
GREGOßlUS. 137
reren fällen, in denen Lachmann einer andern hs. gefolgt ist,
während ich zum teil schon in Übereinstimmung mit Bech und
mit andern kss. zu A zurückgekehrt bin; 107. 8. 113. 223. 318.
351. 443. 656. 780. 918. 1173.4. 1414. 1607. 1862. 2027.2028.
2856. 28S0. 2966. 3234. 5. 3494. 3744. Ferner aber noch in
viel mehr fällen, wo Lachmann A gefolgt ist, währen d ich
meist nach EG und oft mit Bech davon abgewichen bin: 106.
152. 231. 269. 277. 398. 404. 464. 554. 578. 641. 66L 693. 4.
727. 744 {lacht me I). 958. 961. 1016. 1039. 1054. 1096. 1105.
112*3. 1252. 1265. G. 1284. 1289. 1294. 1324 (gegen BEG)
1335. 1377. 1386. 1450.1. 1469. 1471. 1473. 1478. 1497. 1513.
1581. 1665. 6. 1680. 1698. 1704. 1712. 1803. 1848. 1856. 1862.
1934. 1947. 2016. 2019. 2035. 2065. 2131. 2156. 2157. 2175.
2182. 2187. 2199. 2208. 2224. 2256. 2264. 2276. 2280. 2300.
2338. 2367. 2380, 2398. 2421. 2503. 2527. 2540. 2560. 2508.
2596. 2599. 2608. 2616. 2641.2. 2653. 2762. 2827. 2834. 2860.
2874. 2884. 2916. 7. 2925. 2947. 2988 (gegen den französischen
text). 3004. 3022. 3053. 3064. 3106. 3118. 3233. 3282. 3389.
3423. 3426. 3449. 3470. 3475. 3552. 3568. 3569. 3576. 3669.
3679. 3723. 3725. 3729. 3735. In der Übereinstimmung von
AI liegt, wie schon früher bemerkt, kein entscheidender be-
weis für die echtheit der lesart. Wo daher diese beiden zwei
andern nicht verwanten hss. z. b. EG gegenüberstehen, ist es
dem sulyectiven ermessen anheimgegeben, welchem teile man
folgen soll. Es ist wol anzunehmen, dass sowol A und I, als
E und G in änderungen zufällig zusammengetroffen sind. Wir
sehen daraus wider, wie wenig absolute gewisheit in der her-
stellung mittelhochdeutscher texte zu erreichen ist. In den
meisten fällen mag man allerdings wol sicherer gehen, wenn
man AI folgt. Zu bemerken ist noch, dass fast bei allen
stärkereu abweichuugeu zwischen A und EG, I auf selten der
letzteren steht. Endlich stimmt I zu A auch in lesarten, die
weder in Lachmanns noch in meiner ausgäbe aufgenommen
sind. Ausser den vorher erwähnten entschieden falschen führe
ich noch folgende auf, über die sich meist nichts bestimmtes
eutsclieiden lässt: 15 der = der selben nach E; 192 es = des
E; 285 also = alsam DEG; 722 beide mit = mit] 813 wiest
ez = miestz.iu CEF; rede (so Bech mit recht) = visclie CE;
901 arme = ermer CE {plus pauvre)\ \AT1 die Schenkel =
138 PAUL
Schenkel E; 1475 ze riler = ritte7^ EG; 1483 und = und er
EG; 1557 /m/den (Jinldc H) = gnaden E; 1589 rfm«?/« {dlm Bccli)
= f/cw EG; 1803 und = orfer E; 1908 do ez morgen == morgen
da ez EG ; 2043 dlz = 6'z I3E ; 2049—52 7vas — /ä^ — Ml =
wä?/-6' — wcere — hete E (die rede der laudheireu ist dann mit
2048 zu seldiessen; so will sclion Egger); 2223 fehlt in AHI
auch (E); 2281 fohlt harte (BE); 2896 fehlt sich (EI); 2974
do rvarp = warp EG; 3054 fehlt harle (EG); 3078 die = dise
E; 3234 fehlt in (EG).
Ich hebe noch einige stellen hervor, an welchen die hs.
für die kritik von Wichtigkeit ist. G hat I von dem, also ii])er-
einstimniend mit Lachmanns coujectur, aber gegen den fran-
zösischen text. 173 wird Lachmauns conjectur vriuntlicher
durch I bestätigt; ebenso 2735 durst] 2965 gnaden eine] 3016
meinde daz\ 3312 ir wät. 184. 5 kommt vielleicht I dem ur-
sprünglichen am nächsten, und es ist zu lesen do mit sldfe
was bedaht diu juncfrouwe da si lac. 446 fehlt in I wie in A,
wodurch die vermutete unechtheit der zeile weitere bestätigung
erhält. Dagegen stehen zwischen 442 und 443 drei zeilen, die
aller Wahrscheinlichkeit nach echt sind: waz liilfet ir muol
äne guot oder guot äne muol? ein teil frumt muot äne guot.
443 passt nicht recht nach 442. Entweder hat noch den sinn
von 4mmer noch, wenigstens noch', wie es Lachmann genom-
men hat, wodurch er veranlasst ist mit E guot äne muot zu
schreiben, was aber aus andern gründen nicht gebilligt werden
kann. Oder es muss vorher gesagt sein, dass etwas wenigstens
einigen wert hat, wie es in der letzten von den drei Zeilen
der fall ist. Der ausfall erklärt sich leicht durch das abirren
von einem gleichen ausgange {äne guot) auf den andern. Wo
sonst verse von I allein geboten werden, ergeben sie sich
leicht als junge einschiebungen und er Weiterungen ; vgl. 223.
275. 365. 369. 857. 1170. 1342. 1702. 2131. 2219. 2782. 3018.
3244. 3723. — 810 bestätigt I die tiberlieferte lesart gegen
Lachmanns conjectur, ebenso 919. 920. 1019. 1531 (lies noch
iemn). 1896. 1927. 8. 1950. 1. 1983. 2022. 2032. 2376. 3513.
3638. — 940 gehürschem I, Lachmanns conjectur gehiurllchem
nahe kommend, bleibt aber doch zweifelhaft. 1081. 2, die in
AC fehlen, erhalten wie in E. 1134 7ve mir armen, we mir,
we! vielleicht richtig. 1297. 8 ist mit Gl und Lachmanu der
GREGORIUS. 139
ind. praes. erwirhe : ersürbe zu setzen. 1787 denn ie kein man
ijclät , lies dan ie man getcete mit L.ichmann und Bech. 1918
Verlust wie E gegen fluht AG. 2483 fehlt das von Lacbmanu
gestrichene diu (ABE), schwerlich eine genügende bestätigung-
für die auswerfuug. 30G7. 8 saz vor da wie in AE gegen BG
und die ausgaben. 3204. 5 lauten wie in meiner ausgäbe
3429 hat I hestat , Bechs Vermutung bestätigend. Der schluss
3S01 — 34 ist wie in E erhalten. Die lücke in E, die nicht
vor, sondern nach 3804 fällt, wird ergänzt durch die zeile daz
er üf den tröst sündet. 3816 wird die lesart von E und rehte
huoze bestät bestätigt, welche Wendung auch in der einlcitung
91'^ 21 gebraucht wird.
FKEIBUßG i. Br., juui 1876. H. PAUL.
UNTEUSUCIIUNGEN ZU DEN BEIDEN
LITERAUHISTORISCHEN STELLEN
RUDOLFS VON EMS.
Bc
I.
►ci der ])etiaelitung und vergleicliung- der i)ekanuten literar-
historischen stellen im Alexander und Wilhelm des Rudolf von
Ems bin ich bezüglich verschiedener fragen, die sich an die-
selben anknüpfen, auf von den bisherigen ansichten abweichende
ergebnisse gekoujmen, deren mitteilung an die facligcnosseu
nicht ohne alles Interesse sein dürfte. Die erste jener fragen
l)etriift
den Ton Absalone.
Einen dichtei- dieses namens nämlich hatten in unserer
liteiaturgeschichte vor Jacob Grimms abhandlung über gedichte
des M. A. auf könig Friedrich L, Berlin 1844 einer nach dem
andern*) angenommen, sicli gründend auf folgende verse aus
Wilhelm von Orlenz:
oder von Absalone (Absolone)
hfet er iuch also schöne
berihtet als diu msere.
wie der edel Stoufsere,
der kaiser Friderich, verdarp
und lebende höliez lop eiwarp**)
Erst Jacob Grimm a. a. o. s. 6 zog diese meinung in zweifei,
indem er geltend machte, dass nicht nur von einem edelen ge-
scldechte dieses namens in keiner Urkunde die geringste si)ur
*) z. b. Docen im Mus. f. altd. lit. u. kunst I, 131. Kobersteiu in
den drei ersten auflagen des grundr. Vgl. die vierte seite 221a.
*') Sehade, altd. Icsob. Halle 1"^62 p. 2(33 a. W. Wackernagel, altd.
lescb. lSf)l p. OOO V. 23 ff.
RUDOLF VON EMS. 141
sieh zeige, sondern auch jedem kcuner der mittleren und
neueren g'eog-rajjhie klar sein müsse, dass es einen ort, eine
buig Ahsalon weder gegeben habe noch gebe. Das gewicht
dieser bedenken hatte auch Lachmauu (vergl. Jac. Grimm a. a. o.
s. 6) eingeräumt, aber aus gründen, die ich später noch erwäh-
nen werde, glaubte er wenigstens so viel von der bisherigen
ansieht aufrecht erhalten zu müssen, dass unter der verderbten
lesart der handschrift wirl^lich der name eines sonst unbe-
kannten mittelhochhcutschen dichters sich verberge. Auch war
er um eine Vermutung über den wahren namen dieses dichters
nicht verlegen. Arbon*) heisst ein bekanntes altes Städtchen
am Bodensee: davon sollte dessen geschlecht benannt gewesen
sein, und Arhone wäre also für Absalöne in der rudolfinischen
stelle zu lesen. Dies stimme gut zu der tatsache, dass Rudolf
vorzugsweise dichter seiner heimat und zwar auch sehr un-
berühmte aufführe. — Grimms beifall fand diese änderung
nicht. Er stellte ihr entgegen, dass ritter oder adliche dieses
namens nicht nachgewiesen, dass ferner die entstehung dieser
einmütigen Verunstaltung der handschriftlichen lesart Arhönc
in Absalöne kaum zu erklären sei. Vor allem aber nahm er
daran anstoss, dass in allen hss. einstimmig vor den Worten
von Ahsalone das der alten spräche grammatisch unerlässliche
pronomen der gebricht. Er entschied sich deshalb dafür, den
namen Absalon vielmehr mit dem Inhalt eines verlorenen gcdich-
tes zu vereinbaren, indem er zugleich vor dem betreffenden verse
Rudolfs eine allen hss. gemeinsame lücke annahm. Und da
bot ihm seine fruchtbare phautasie sofort wider mehrere mög-
lichkeiten zur auswahl: es könnte der biblische Absalon ge-
meint sein, der söhn könig Davids, oder auch — und das
dünkt ihn bei weitem glaublicher — der biscliof Absalon von
Roeskilde, der als freund und ratgeber Waidemars I. von Däne-
mark in Friedrich rotbarts zeit eine grosse rolle spielte und
auch mit diesem selbst wie mit vielen anderen bedeutenden
münnern der zeit in persönliche berührung kam.
Des grossen manues einmal ausgesprochene ansieht zog,
*) Vgl. z. b. Stalin, würtemberg. gesell. It, 21f;. — Die edelc l'.aniiiic
der von Kemouiitc hatte dort einen Lturgsitz, nnd Konnidin, der Staufer,
hielt sich um 12ü(j lange dort auf.
142 SCHMID'l'
vvio (is zu g-chcu ptlegt, glcicli«am mit ehernem gewicht die
nachfolgenden in ihre bahnen. Moiitz Haupt erkläite bahl
(in den berichtigungen und nachtrügen zum armen Heinrich
zeitschr. HI, 275): 'der vonvVbsalone wird aus der reihe der mhd.
dichter zu streiclien sein.' Dies urteil eignete sich auch Koljcr-
stein au Grundriss* I. s. 221. Ein wenig zurückhaltender Hess
sich der berichterstatte)' in der neuen Jeuaschen L.-Z. verneh-
men 1843 s. 866. Indes die von Grimm vor dem in rede
stehendeu Rudolfschen vers angenommene liicke erkannte auch
er an und verlangte nur noch zur sicherstellung der Grimm-
schen hypothese die auffinduug einer die betreflfeude stelle voll-
ständig bietenden handschrift des Wilhelm von Orlenz. Auch
diejenigen, welche die kühnheit der Grimmschen Vermutung
ermässigen zu müssen und für neue, abweichende vorschlage
mit mehr recht die beistiramuug der mitforschenden in an-
spruch nehmen zu dürfen glaubten, wandelten doch in einem
sogleich noch zu bezeichnenden hauptpunkt in Jacob Grimms
spuren. Wilhelm Grimm nämlich (abhdl. der Berl. akad. aus
d. j. 1849 s. 334 f.) beseitigte erstlich den austoss, der seinen
bruder vornehmlich mit zur annähme einer lücke in der hand-
schrifrliclien Überlieferung bewogen hatte, indem er für oder
od der von AhsaJöne schrieb. Er beseitigte den anstoss, denn
seine Schreibung ist in der tat kaum eine änderung zu nennen.
Und man bedenke nur, was Jac, Grimm selber bei seinen zAvei
Vermutungen au die stelle des Wortes oder setzen wollte, a) und
b) dicke, vorschlage, die mit dem Wilhelm Grimms an leich-
tigkcit gar nicht zu vergleichen sind. Wenn nun damit der
letztei-e wider mehr in Lachmauns bahnen einlenkte, so wollte
er dagegen für Ahsalone Aköne oder Akaröne lesen, und es
sollte dann hier der dichter bezeichnet sein, von dem die zwei
abschnitte in Vridauks bescheidenheit herrührten. Dieser habe
in Akers eine zeit lang gelebt und da das werk, von welchem
jene bruchstücke uns erhalten seien, gediclitet. Daher die be-
zeichuung der von Aköne oder Akaröne. Dass nämlich jene
zwei abschnitte, zumal der über Akers, ursprünglich nicht zur
bescheidenheit gehörten, hatte W. Grimm wegen ihrer von der
lehrhaften weise des übrigen teils abweichenden geschichtlichen
haltung sowie wegen ihres Vorkommens in nur wenigen hand-
schrifteu schon längst vermutet (vergl. a. a. o. s. 333). Viel-
RUDOLF VON EMS. 143
mehr war er der meinimg,-, dass wir in ihnen verschieden aus-
gewählte brachst iieke aus einem grösseren, selbständigen, von
dem kreuzzug Friedrichs IL bericlitenden gedieht vor uns
hätten, in welchem dann auch Barbarossas und seines traurigen
Untergangs gedacht worden sei (vergl. Freidank v. Willi. Grimm
2. ausg. IseO, s. XVIII).
Ein neuer Verbesserungsvorschlag wurde endlich von
Franz Pfeiffer vorgetragen. Er wollte die stelle folgender-
massen lesen:
wolde iueli meister Fridanc
getihtet hau, so wan-et ir
baz für komen danne an mir,
so der von Asealöne:
haet er iuch also schone u. s. w.
Unter dem von Asealöne sollte könig Balduin III. von Jerusalem
(1142 — 62) zu verstehen sein, ein tapferer Sarazeuenbekämpfer,
welchem der dichter in seinem vornehmlich über Friedrich I.
hauilelnden werk ein denkmal gesetzt hätte (freie forsch. 194 a).
Bei aller sonstigen Verschiedenheit stimmen nun aber nicht
nur Pfeiffer, sondern auch W. Grinmi mit Jacol) darin ül)orein,
dass sie den kurz vor jener stelle genannten Freidank als den
Verfasser jenes (erzählenden) gedichtes über Friedrich I. an-
sehen. Auch W. Grimm, denn wenngleich nach ihm zwar
Rudolf von Ems unter dem von Akaröne einen andern dichter
als Freidank verstanden hat, so erge])e sich doch, meint er,
vornehmlich aus der Übereinstimmung der spräche und des dich-
terischen ausdrucks die Identität der beiden. In seiner lieb-
lingsmeinung, dass unter dem dichternamen Freidank Walther
von der Vogelweide sich verborgen habe, lässt er sich durch
dies ergebnis nicht irre machen, vvährend sein l)ruder auch
liieriu einen beweis erblickt, dass Walther, der ein bloss lyri-
scher Sänger war oder, nach Gottfrids ausdruck, unter die
nachtigailen gehörte, eine andere person sei als Freidank, der
Spruch- und aventiurendichter.
Eine stütze für seine meinung sucht Jacob Grimm, von
dem oben schon gesagten abgesehen, erstlich darin, dass lUidolf
hier nur aveniiurendichter aufzuzählen beal)sichtige, also Frei-
dank, wenn er nichts gedichtet als die beschcidodieit, gar nicht
14 1 SCHMIDT
(H liirre schar hätte ricuiicu düvfeii.*) Nicht einmal dies hvaueht
man zuzugeltcn; wiser Uu(e, hezzer melster will Rudolf nennen,
an denen die avcutiure von Wilhelm von Orlenz Imz für kamen
ivccre danne an im. Sehr wol konnte er auf grund der ])C-
Rcheidenheit sich das urteil gebildet haben, dass meister Frei-
dank auch zur erzählenden dichtg-attung vorzüglich befähigt
sei. Er sagt ja auch vom Stricker: swenne er mU, tnachet er
gnotin mcere (vgl. Bartsch, Karl d. Grosse v. d. Stricker 1857
s. VII), ähnliches galt vielleicht nach seiner meinung von Frei-
dank, wenn dieser auch noch nicht wie der Stricker tatsäch-
liche beweise dafür von sich gege])eu. Unwahr ist auch der
unterschied, der zwischen den anführungen Rudolfs in der
literarhistorischen stelle im Alexander und denen hier im Wil-
helm nach J. Grimm statthaben soll, dass es nämlich hier auf
die aventiuren abgesehen sei, die darum jedesmal neben dem
nameu der meister genannt stünden, dort die dichteripche be-
gab ung überhaupt ins äuge gefasst werde, angäbe der werke
aber meist unterbleibe. Gleich bei dem ersten der im Wilhelm
aufgefühi-ten dichter ist wie im Alexander keine aventlure ge-
nannt, ebensowenig, wenn wir von Freidank absehen, bei dem
von Vuozespruunen und bei Albrecht von Kemenate. Auch
Blicker von Steinach gehört mit hierher, denn wir erfahren
von ihm zw^ar den titel seines hauptwerks, aber dieser be-
zeichnet keine aventlure, und darauf kommt es doch an.
Ferner ist gerade im Alexander allein der Inhalt der dichtung
Freidauks näher bezeichnet. Vielmehr wie Rudolf im Wilhelm
dichter aufzählt, mit deren hoher Weisheit er sich nicht zu
messen wagt und die nach seiner meinung die vorliegende
aventlure besser bearbeitet haben würden als er selber: so ruft
er ähnlich im Alexander aUer srner meister kür an, ihm bei
seinem schwierigen unterfangen mit Unterweisung beizustehen.
Und da ist es denn von Wichtigkeit, dass auch hier Freidank,
indeui seine dichtung ausführlich charakterisiert wird, entschie-
den nur als der Verfasser der bescheideuheit, nicht aber als
erzählender dichter erscheint. Die letzte zeile dieser stelle
*) Wackernaü:el L. G. ISlia nennt es eine ' t^cdan kenlosigkcit ', ctasö
der dichter beide male Freidank, alao einen didakiMker, nat einmischt.
Er wie Grimm haben schlecht die absieht KudoU's im äuge.
RUDOLF VON EMS. 145
aber: swaz er in tiuscher zungen sprach, braucht man durch-
aus nicht so zu fassen, dass dadurch dem dichter noch andere
werke ausser der spruchsammkmg beigelegt würden (vergl
Jac. Grimm a. a. o. s. 9 ; Wilh. Grimm über Frcidauk, Berl. ac.
a. a. 0. 333). Vielmehr ist die allgemeinheit des ausdrucks als
eine hindeutung auf die menge der sprüche Freidanks voll-
konmieu begreiflich; wenn mau nicht etwa — was mir nicht
wahrscheinlich vorkommt — darin eine auspieiung des gelehr-
ten Rudolf darauf sehen will, dass Freidauk manche seiner
Sprüche fremder literatur entlehnt und in die deutsche spräche
übertragen habe (vergl. aber hierzu Koberstein L.-G.^ I, 240).
— Wenn endlich Jacob Grimm noch geltend macht, dass es
an sich unmöglich scheine, Freidanks grossen rühm auf die
Sprüche einzuschränken, so ist zu erwidern, dass tatsächlich,
wo nur immer in der mhd. literatur desselben erwähnung ge-
schieht, er seiner sprüche halber gepriesen oder mit epitheten
belegt wird, die auf den spruchdichter bezug haben, dass da-
gegen von anderen, erzählenden gedichten Freidauks, die in
rede stehenden strittigen stellen bei seite gelassen, sich nirgends
eine spur findet (vgl. W. Grimm, Freidank 1834 p. XXXIX
und 182, p. CXVI).
Von gewicht ist ferner, was J. Grimm selber gegen seine
ansieht anführt, dass in der ganzen voraufgehenden aufzählung
Rudolf von einem dichter zum andern gerade mit der partikel
oder fortschreitet: es scheint natürlich die worte oder (bez.
od er) von Äbsalone in demselben sinne «u fassen. Lachinaun
(s. a. a. 0.), dem W. Grimm beistimmt, meinte dies damit fest-
stellen zu können, dass gleichwie im Alex. Rudolf jedenfalls
auch hier 16 dichter habe aufzählen wollen. Allein da hat
ihn seine sucht verborgene zahleuverhältnisse aufzuspüren, wider
einmal irre geleitet. Denn eine solche beziehuug zwischen den
zwei dichterverzeichnissen anzunehmen wäre doch nur dann
geboten, wenn dieselben ihrem Inhalt nach übereinstimmten.
Nun aber werden fünf dichter nur in einem von den zwei
katalogen aufgeführt (Konrad von Fussesbvunnen und Gottfried
von Ploheulohe nur im Wilhelm, Kourad v. Heimesfurt, Heinrich
V. d. Türlin und Wetzel nur im Alex.). Dasis übrigens das ver-
zeicliuis im Alex, in Wahrheit 17, nicht 1(3 dichternamen aufweist,
werde ich unten zeigen.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. III. 10
146 SCHMIDT
Gegen W. Orimnis ündevtm.'j,- sjjricht zuvöiderst, dass Akers
die bei den älteren deutschen tlicbtern allein Übliche form für
Aecon ist, die auch Freidank in der beseheidenheit ausschliess-
lich anwendet. Ferner lässt sich die entstell ung der von jenem
als ursi)iiini;lich angenommenen lesart Acone oder Acarone in
das auch in den ältesten hss. sich findende Ahsaltme nur schwer
erklären (vg-1. Pfeifier, freie forsch. 194 anm.). Weiter macht
Pfeiffer gegen W. Grimm insbesondere die unbegreitlichkeit
einer abermaligen maskierung Freidank - Walthers durch einen
falschen namen geltend (ebendas. s. 196, vergl. dazu Jaenicke,
zeitschr. f. d. gymnasialwesen 1868 s. 29S). Zu diesen grün-
den füge ich neue, wie mich dünkt, durchschlagende hinzu.
Die zwei abschnitte nämlich von Kom und Akers in der be-
seheidenheit sehen gar nicht aus wie bruchstücke eines ge-
dichtes, welches die Schicksale Friedrichs IL bei seinem kreuz-
zug erzählte und dann etwa in einer episode oder in der ein-
leitung auch Barbarossas und seines traurigen Untergangs ge-
dachte. Ja noch mehr, sie haben überhaupt nicht den Charak-
ter der erzählenden dichtung. Allerdings unterscheiden sie sich
von dem übrigen teil der Sammlung, in der sie uns überliefert
sind. Sie enthalten, wie W. Grimm sagt (Freidank 2. ausgäbe
1860, s. XVIII), keine allgemeinen sittensprüche, sondern
eine beschreibung der zustände in Rom und Akers, betrach-
tungen über die Stellung des papstes in Rom und des kaisers
in Syrien. Damit ist ihre bedeutung aber nicht erschöpft: die
beschreibung, die betrachtung ist nicht Selbstzweck jener ab-
schnitte, sondern sie wird von einer praktischen tendeuz be-
herscht, von der tendenz aufzuklären, zu warnen, zu mahnen,
eindruck zu machen auf die leitenden persönlichkeiten.*) Auch
ist es mir wahrscheinlich, dass jenen abschnitten ein ursprüng-
licher Zusammenhang überhaupt nicht innewohnt, dass sie viel-
*) Früher äusserte sich W.Grimm selbst ähnlich: Vridankcs besehei-
denheit Gott. 1834 s. XLII: 'ich hebe zuerst hervor, was sich auf gleich-
zeitige begebenheiten bezieht. Es sind nur geschichtliche andeutuugen,
denn eine fortlaufende erzählung darf man in einem gedichte nicht
suchen, das sich vorzugsweise der betrachtung ergiebt: sie
würde mit dem lehrhaften wesen der Sprüche nicht im ein-
klang gestanden haben.' Vgl. auch Paul über die urspriingl. an-
ordnung von Freidanks bescheidenh. Leipz. 1S70 s. 23 ff.
RUDOLF VON EMS. 147
mehr eine kette sind von einzeln entstandenen, nnfiinglieh ge-
trcimt umlaufenden, erst später zusanimeugcreihteu sprucli-
perleu, wie denn für die ganze beseheidenheit 'eine ursprüng-
liche Unordnung' als die älteste Ordnung Paul in der eben ge-
nannten abhandlung mit recht aufgezeigt hat. Jedenfalls sind
die standi)unktc, von denen aus die Verhältnisse und die
mächte der weit betiachtct und beurteilt werden, an verschie-
denen stellen jener abschnitte einander oft geradezu entgegen-
gesetzt. Höchst auffallend wäre weiter, dass das grosse er-
zählende gedieht über den kreuzzug Friedrichs IL, dem nach
W. Grimm jene zwei abschnitte angehört haben sollen, hier
von Rudolf angezogen \v'Urde durch heraushebung einer im Ver-
hältnis zum ganzen doch jedenfalls nur kleinen, nebensächlichen
episode. Ja, ist es denn überhaupt nur wahrscheinlich, dass
ein gedieht mit jenem hauptinhalt und von nicht um lässigem
umfang das leben {lebende hohez lop erwarp) und den tod
kaiser Friedrichs I, mit einer ausführlichkeit behandelt hätte,
welche man wegen der hervorhebung dieser episode durch
Rudolf notwendig verlangen müste?
Auch Wilhelm Grimms Vorschlag ist also durchaus zu
verwerfen.
Pfeiffer begründet seine änderung folgendermassen: 'Dass
das verlorene gedieht ein rein historisches gewesen, ist deshalb
unwahrscheinlich, weil Rudolf an jener stelle nur aventiuren
aufzählen will, d. h. geschichteu von liebesleid und -lust. Das
minnigliche element wird darum nicht ganz darin gefehlt
haben und nur dessen träger ein anderer gewesen sein als
der eigentliche held des gedichts, Friedrich selbst. Diese rolle
möchte ich dem von Asealone zuschreiben.' Indes, wie schon
bemerkt, handelt es sich für Rudolf gar nicht darum, aven-
tiuren aufzuzählen, sondern dichter wdll er nennen, von denen
nach seinem bescheidenen urteil die aveutiure des Wilhelm
von Orlenz besser würde dargestellt worden sein als von ihm
selber. Dass ferner rein historische stotfe von der katcgorie
der aventiuren auszuschliessen und nur geschichteu von liebes-
Icid und -lust unter dieser bezeichnung zu verstehen seien,
diese behauptung findet in den sorgfältigen auseinandersetzungen
ßeneckes und Jac. Grimms über den begriff der aveutiure
10*
148 SCHMIDT
keine stütvo und innss (Inher nis nichtig und unerwiesen au-
jf,esehen werden. AVenn Pfeiffer sodann für seine Mierstellung-'
das lob in ansprucli nimmt, dass sie in bezug auf den sinn
eine ungezwungene und ungesuclite sei, so ist dies entschieden
zu bestreiten. Anstössig ist nämlich erstens die vergleichung
oder gegenüberstellung der (personificiertcn) aventinre (des
Wilhelm) und einer einzelnen figur, ja noch mehr, nel)enfigur
aus einer solchen : ir ivceret ßXr komen so der von Ascalone.
AuiVallend wäre ferner, wenn zuerst über eine einzelne neben-
figur der dichtung Freidanks ein lob ausgesprochen würde, das
dann sofort ohne irgend eine gradabstufung 'ind ohne eine an-
deutiuig des Übergangs vom besondern zum allgemeinen der
ganzen dichtung gezollt wird. In dei- tat, der Pfeiffersche text
würde auf einen unbefangenen leser vielmehr den eindruck
machen, als ob Rudolf zw^ei verschiedene werke Freidanks an-
führen wollte, das eine über den von Ascalon, das andere
über Friedrich 1. i reilich würde man dann noch vor den
Worten hcel er iuch also schone u. s. w. die })artikel oder er-
warten. Sodann könnte könig Balduin in einem gedieht über
Friedrich I. doch nur kurz erwähnt gewesen sein, etwa so wie
in dem über die kreuzfahrt Ludwigs des Frommen an der von
Pfeiffer angeführten stelle. Eine längere episode über einen
von dem hauptinhalt des gedichts so weit al)liegenden gegen-
ständ anzunehmen ist sehr unwahrscheinlich. Gleicbwol würde,
abgesehen von den übrigen bedenken, nur eine ausführlichere
darstellung der persou und der taten Balduius seine hervor-
hebung hier bei Rudolf sowie seine eiuführuug unter diesem
namen (der von Ascalone) begreiflich machen. Wenn also
Pfeiffers Verbesserungsvorschlag sich auch graphisch rechtferti-
gen lässt und weniger gewaltsam ist als die seiner Vorgänger,
an 'küustlichkeit' und 'gesuchtheit' steht er ihnen um nichts
nach. Dies scheint denn Pfeiffer am ende auch selber noch
empfunden zu haben, denn seine anfängliche zuversichtlichkeit
ist schliesslich so weit her abgestimmt, dass er seine Verbesse-
rung ausdrücklich nur als eine Vermutung gibt und von nie-
mand verlangt, dass er ihr glauben schenke. Freilich darf
man dann billig fragen, warum er sie nicht für sich behalten.
Dass jedoch alle bisher zu dieser stelle im Wilhelm ge-
äusserten Vermutungen und vorschlage falsch sind; dass in
RUDOLF VON EMS. 149
jenem vers kein stoff, kein gegenständ, sondern ein dichter be-
zeichnet ist, dieser aber mit Freidank nichts zu tun hat; dass
Ähsalöne weder in Acdne oder Acaröne noch auch in Arhöne
zu ändern ist: dafür liegt nach meiner Überzeugung der klarste
beweis vor in der andern literarhistorischen stelle Rudolfs im
Alexander. Es ist mir verwunderlich, dass keiner von denen,
welche beide stellen verglichen, ja sie womöglich hintereinander
abgedruckt haben (wie Schade), bisher dies bemerkt hat.
lludolf zweifelt, ob er der darstellung der riehen aventinre
von Alexander, die er über sich genommen, auch wirklich
gewachsen sei. Er ruft daher aller siner meister kür an, seiner
freundlich wahrzunehmen und ihn ihre hohe kunst zu lehren.
Als eine erste, ausgezeichnetere reihe derselben scheidet er
Heinrich von Veldeke, Hartmann, Wolfram, Gottfrid ab; dann
nennt er eine zweite reihe von meistern, die ^alle rvol ge-
gesproclien hänf. Und zwar gruppiert er alle dichter und
stellt ihre gesammtheit dar unter dem bilde eines baumes.
Nachdem zuerst Heinrich von Veldeke das edle reis seiner
Eneit auf dessen kUnsterlchen stam gepfropft hat, spriesst in
rascher folge ein zweig nach dem andern, will sagen, eine
aventiure nach der andern an demselben auf. So hat einen
zweig der kunst auch herr Fleck gestossen, der Verfasser von
Flore u. Blanscheflur und von Clies: auch von ihm will also
liudolf bei seinem schweren unternehmen beraten sein. Es
wird gut sein, die stelle im Zusammenhang hierher zu setzen:
ein zwi der kunst gestözen hat
her Flec der guote Kuonrät,
daz ist oiich lobebfere,
dö er beschiet daz m?ere,
wie Floren unde Blanscheflur
was süeze und under wilen sür
ir liepltche geselleschalt,
und wie der strengen minne kraft
Cliescn twanc: des riit suochich,
swa, min unkunst süniet mich.
Nun folgen diese verse:
sin hebete min friunt also Ion
an gcfüeger si)riiclie don
die sint genuoc guot unde reht.
ir,() SCHMIDT
Hierüber haben sich bisher, so viel ich weiss, nur E. Sommer
und Pfeirtcr nälicr ausgesprochen. Der erstere (Flecks Flore
u. Ülantscliclliir 1846, 's. XXXI V) verbindet, wie bei der bis-
herigen Schreibung zu erwarten, die stelle mit dem vorher-
gehenden und bezieht sin. auf Konrad Fleck, so dass sich
etwa folgender gedanke ergibt: 'um ihn erwarb sich mein
freund verdienst durch angemessner (oder: zierlicher) spräche
weise.' Unter diesem freunde Rudolfs aber versteht er Ulrich
von Tiirheim. Von dem rühmt Rudolf nämlich im Wilhelm :
er hat Artuse einen mau
von Kriechen ninliche
gesant in siniu riebe
mit so guoter sprücbe kraft,
daz ich mich der meisterschaft
von der hohen wisheit,
die er an Clies hat geleit,
niht geliehen wil noch sol.
Also wird ihm ein gedieht über Clies zugeschrieben und
dasselbe besonders wegen seiner guten Sprüche gelobt. Da
auch von jenem freunde, der sich angeblich um Kourad
Flecks dichterwerke Verdienste erworben, seine zierlichen spräche
hervorgehoben werden, so schliesst Sommer, einer von Lach-
maun ihm mitgeteilten Vermutung folgend, dass an beiden
stellen von demselben gedieht die rede sei, vom Clies. Er
nimmt also nicht wie von der Hagen M. S. 3. 593 a. 4. 107
anm. 1 und 197 anm. 8 zwei besondere gedichte über diesen
gegenständ an, das eine von Fleck, das andere vom Türheimer
herrührend, sondern der letztere soll, gleichwie er Wolframs
Wilhelm und Gottfrids Tristan vollendete, so auch Konrad
Fleckes Clies, nachdem dieser darüber hingestorben war, zu
ende geführt haben. Wahrlich Schlüsse, die an kühnheit kaum
ihresgleichen haben und nur aus der völligen verzweillung
ihrer Urheber an unserer stelle zu erklären sind. Ist doch im
Alex, gar nicht gesagt, um welches der werke Flecks sich
'der friunt' Rudolfs Verdienste erworben! Nur weil im Wilh.
Rudolf an des Türheimers Clies unter anderm auch die 'guten
spräche'*) lobt, soll auch hier vom Clies und vom Türheimer
*) Spruch ist hier gewis nicht im neuhochdeutschen sinne z.\\. ueh-
mcu, sondern bedeutet ganz im allgemeinen 'ausdruck'. P.
RUDOLF VON EMS. 151
die rede seiu! Ist denu nicht in der tat jenes lob von so all-
gemeiner natur, dass es mehreren gedichten mit gleichem
recht beigelegt werden konnte? Und wie ungenau und sonder-
bai- hätte sich doch Rudolf hier ausgedrückt : Fleckes häle min
vrhüd Ion an gcfücger sprüche don für das einfache: Ulrich
von Tiirheim setzte Fleckes Clies in lobenswerter weise fort. —
Hatte nicht Rudolf mehrere freunde? muste er nicht also den
vriunt hier näher bezeichnen? Muste nicht ferner das gedieht
bezeichnet werden, das der freund fortgesetzt haben soll? Dies
ist nämlich nicht geschehen: die Übersetzung von Pfeiffer, fr.
F. 160: darum (um das gedieht von Clies) hat sich auch . . .
mein freund verdient gemacht — ist flüchtig und falsch, sin
kann sich nur auf Konrad beziehen. Und klingen jene worte
nicht vielmehr, als solle eine Überarbeitung oder etwa die
bezzerungj das überhoeren eines merkaere bezeichnet werden,
uicht aber eine fortsetzung ? Und dann die worte im einzelnen.
Dass 'jemandes Ion haben'' gesagt werden könne für: verdienst
um jemand haben, muss ich auf grund der im mhd. Wörter-
buch und bei Lexer gebotenen belegstellen bezweifeln. Auch
der ausdruck: gefüeger sprüche don scheint mir auf die verse
einer aventiure nicht zu jjassen. Und dann noch das rätsei
der rätsei, der nodus difficillimus , das unverständliche alsd\
Dies wollte freilich Pfeiffer (a.a.O.), der Sommers (Lachmanns)
ansieht verfocht und weiter führte*), einfach beseitigen, indem
er Uolrlch dafür einsetzte. Aber wer wird sich ausser ihm für
diesen gewaltstreich erwärmen können? Und sollte endlich
Ulrich von Türheim in demselben Verzeichnis zweimal genannt
sein? und sollte Rudolf den, den er eben ganz vertraulich als
seinen vriunt Uolrlch eingeführt hat, gleich darauf als hern
Uolrlch von Türheim nennen ohne die geringste andeutung, dass
es derselbe sei?
Das alles glaube wer will. Mich soll auch nur von der
erträglichkeit solcher Vermutungen niemand überreden, um
so weniger, als ein höchst einfaches auskunftsmittel vorhanden
*) Von Pteiffers früherem versuch, Rudolfs worte: und wie der
strengen minne kraft diesen twanc u. s. w. einfach auf den Türheimer zu
beliehen (Müuch. gel. auz. 1S42, No. 70), will ich hier ganz schweigen;
dagegen Sommer a. a. o. s. XXIV und Koberstein, Grundr.* I, 215 anm.
152 SCHMIDT
ist, das niclit nur für diese stelle alle Schwierigkeiten der er-
kläruiig beseitigt, sondern auch für das Verständnis der stelle
im Wilh. V. Oilenz, von der ich ausging, einen siehern Schlüssel
bietet. Nämlich die bisher getrennt gelesenen Wörter
also Ion sind zusammen zu lesen, Alsolon ist der
name eines dichters*), desselben dichters, den wir
im dichterverzeichnis des Wilhelm mit einer kleinen
verschrei bung als den von Absalöne (bez. Absolöne)
wider finden.**)
Auch ohne weitere änderuug Hesse sich nun die stelle im
Alex, leidlich erklären, wenigstens besser als nach der auf-
fassimg Sommers und Pfeiffers. Der gedankengang würde fol-
gender sein: 'Fleckes rat suche ich, wo meine Unfähigkeit
mich aufhält; es müste denn mein freund Alsolon dieselbe zu
gefüger Sprüche ton ei-heben' [s'i'n hehete conjuuctiv) zu ergän-
zen: 'denn dann brauchte ich jenen nicht.' Aber vollkommen
klar und gesund wird die stelle erst, wenn man für sin mit
leichter änderuug sU (oder sint) schreibt: 'darauf hob', so
heisst es dann, 'mein freund Alsolon zierlicher sprüche Aveise
an; die sind völlig gut und recht.' Rudolf fährt also mit sit
in seiner aufzählung der dichter fort. Hatte er eben Konrad
von Fleck eingeführt mit einer jenes bild des dichterbaumes
wider aufnehmenden wendung {ein ztvi der kirnst gestözen hat),
so braucht er hier zur abwechselung wider einmal eine andere.
Nicht so ausführlich Avie über die früheren lässt er sich über
Alsolon aus, sondern widmet ihm nur ein kurzes wort des
lobes. Das kann uns indes nicht wundern, denn wie er, so
werden alle, die von nun an noch folgen, mit zwei oder drei
versen abgetan. Den überschuss beim Türheimer muss man
wol seiner freundschaft mit Rudolf auf rechuung schreiben.
Auch in der stelle im Wilhelm hat nun nach der von
W. Grimm gegebenen unbedeutenden Veränderung des ade?- in
od der alles seine richtigkeit. Es ist nichts weiter zu bessern
oder zu ergfinzen. Könnte man meine erklärung noch be-
zweifeln wollen bei jeder einzelnen von diesen zwei stellen, so
*) Dass in der hs. die eigennamen überhaupt klein geschrieben
sind, brauche ich wol gar nicht zu bemerken.,
**) Betreffs der ausdrucksweise min vriunt Alsolon (niclit von Al-
soton) vgl. z. b. Wolfram Wilh. 2SG, 19: her Vogehveid.
RUDOLF VON EMS. 153
wird man ihr doch beipflichten müssen bei gehörig-er rüeksicht-
nahme auf beide zug-leich. Sie stützen und erläutern sich
g-egenseitig-. Und da bemerke man denn auch noch, wie in
beiden Verzeichnissen der dichter Alsolon etwa die gleiche
stelle einnimmt, in ziemlich derselben Umgebung auftritt. Im
Alex, folgt er auf Freidank und Fleck, im Wilh. steht er, wenn
wir von dem dort (im Alex.) gar nicht berücksichtigten Konrad
von Vussesbrunnen absehen, zwischen Freidank und Fleck. —
Ueber den grund dieser kleinen Verschiedenheit werde ich
nachher noch eine Vermutung mitteilen. — Auch dürfte die art
und weise, wie Eudolf den dichter einführt, 'der von Also-
löne', gerade auf einen bekannten, einen vertrauten von ihm
besonders passen.
Man wird mir etwa noch einwenden, dass ein orts- oder
Personenname Alsolon bisher nicht urkundlich nachgewiesen
ist. Indes das kann meine behauptung nicht erschüttern,
denn gleiches oder ähnliches gilt auch von vielen anderen lite-
rai'ischeu persönlichkeiten, deren realität darum doch niemand
l)ezweifelt. Ich will beispielshalber erwähnen, dass ganz wie
Alsolon auch Fleck nur aus den beiden literarhistorischen
stellen in Rudolfs Alexander und Wilhelm bekannt ist (vgl.
Sommer a. a. o. s. XXXII). Denn er selber hat ja seinen
namen absichtlich verschwiegen (vgl. 7998 ff.). Auch ihn ur-
kundlich aufzufinden ist bisher nicht gelungen. Oder, um noch
ein etwas anderes beispiel anzuführen, Konrad Fleck nennt
als seinen welschen gewährsmann Ruopreht von Orbent. So-
wol Orbent als Orbent klingt, wie Sommer (vgl. a. a. o.
s. 277) bemerkt, weder französisch noch deutsch, so dass der
name wahrscheinlich verderbt ist, auch ist ein eigenname, dem
sich Fleckes worte mit wahrscheinliclikeit anpassen Hessen,
noch nicht aufgefunden (ebendas. s. XI); trotzdem zweifelt
keiner an der existenz dieser persönlichkeit. Auch Albrecht
V. Kemenaten (vgl. Haupt Zeitschr. 1848 VI, 525) und Konrad
von Vussesbrunnen kannte man lange zeit nur aus der erwäh-
nung durch Rudolf Und übrigens — warum sollte nicht,
nachdem nun der anstoss gegeben ist, ein ortsname Alsolon
im südwestlichen Deutschland wirklich gefunden werden ? Denn
wenn Jac. Grimm auch dafür der Zustimmung jedes kenners
der mittlem und neuen gcographie Deutschlands gewis sein
154 SCHMIDT
durfte, cl;i8s es einen ort, eine bürg Ah.salon, von welcher ein
e<llcs gescliiet'lil. seinen nanien gelial)t, weder gegeben liii))e
nocli gebe: so steht es doch mit dem uameu Alsolon ganz
anders. Die anah)gie anderer ortsuamcn gibt sofort melirere
möglicldieiten für die etymoh)gische erkbirung desselben a)i
die band. Die ortsnamen Lohn und Lohne sowie die auf
-lohn endigenden sind zablreicii und kommen sowol in Nord-
ais Süddeutscldand vor (Förstemaun, altdeutsch, uamcubuch IL
ausg. 1872 II, 1020). Ob und welche davon mit dem altfries.
lona, laua (via) oder niit ahd. loh (lucus) oder auch mit altfries.
loch ags. loh (locus) zusammenzubringen sind, ist noch uiclit
entschieden (ebeudas. s. 971). Für den ersten bestandteil böte
sich dann unter andern alhs = templum dar, so dass der
name bedeuten könnte tempelshain oder tempelsstrasse (a. a. o.
II, 39 ff.). Näher liegt es noch , Alsolon zu dem ahd. sol zu
ziehen, das als letzter teil sich in vielen namen aus dem 8.
bis IL jahrh. findet. Ein ort Solon insbesondere ist aus dem
IL Jahrhundert im südlichen Baiern nachgewiesen (a. a. o. II,
i35G): wie nahe liegt es da, auch einen ort Alsolon (= Alt-
solon) anzunehmen? Kurz, die möglichkeit, dass es einen
solchen im südwestlichen Deutschland gegeben, ist gewis nicht
abzuweisen. Ihn wirklich aufzufinden will ich denen über-
lassen, die mit dergleichen aufgaben vertrauter sind als ich
und denen mehr hilfsmittel zu geböte stehen, als sie die hiesige
universitätsI)ibliothek bietet.
Fragt man, was ausser dem namen sich noch sonst etwa
von jenem dichter feststellen lasse, so ist zu sagen, dass er zu
der zeit, wo Eudolf von Ems seinen Alex, verfasste, grössere
dichterische erzeugnisse vielleicht nocli nicht von sich gegeben
hatte. Denn mit ihm macht Rudolf, wie schon angedeutet,
dort im Alex, den Übergang zu einer reihe damals noch weni-
ger berühmter dichter, die er nur mit kurzem worte charakte-
risiert. Auch die allgemeinheit des ausdrucks scheint, beson-
ders wenn man die stelle im Wilhelm dagegen hält, für diese
ansieht zu sprechen. Vielleicht darf man aber sogar noch
weiter gehen und auf grund der wendung : er hnop an gefücger
Sprüche don vermuten, dass er bis dahin vornehmlich sprnche
d. h. lyrische gedichte verfasst hal)e. Wir würden also in der
reihe von zumeist erzählenden dichtem doch noch einen lyri-
RUDOLF VON EMS. 155
sehen dichter erhalten ausser und neben Freidank, was gar
nichts auflälliges hätte. Erst si)äter hätte dann Alsolon ein
»•rösscres episches gedieht über die heklentaten und den hchlen-
tod Friedrich Barbarossas in angriff genommen und in der
zwischen der a])tassung des Alex, und des Wilh. v. Orlenz
mitten iune liegenden zeit vollendet. Auch stand Alsolon, wie
es von seinem freund ßudolf besonders aus der spätem zeit
bekannt ist*), wol in engem Verhältnis zu dem hohen-
staufischen hofe**). War die grosse epopöe, die er nachher
dichtete, der verherlichung des grossvaters von dem damals
regierenden kaiser Friedrich II gewidmet, so hatte er vielleicht
auch schon in seinen früheren dichtungen die Interessen des
hohenstaufischen liauses berücksichtigt oder verfochten.
Wie Pfeiffer seine ansieht über die stelle im Wilhelm, so
gebe auch ich diese letzten bemerk ungen zumeist nnr als Ver-
mutungen, aber nicht so, als ob mir das zustimmende oder
verneinende urteil anderer darüber gleichgiltig wäre, sondern
indem ich wünsche, dass durch von mehreren widerholte er-
wägung festgestellt w^erde, was davon glaublich sei, was nicht,
dass also durch mehrerer zeugen mund die Wahrheit kund
werde. Mag dem aber sein, wie es wolle, jedenfalls steht so
viel fest, dess dem zu eilig beseitigten dichter Alsolon ein
platz in der deutschen literaturgeschiehte fortan wider einzu-
räumen ist. Alle aufklärungen und belehruugen aber, welche
die von mir bekämpften gelehrten über Freidank in verschie-
dener weise aus der bewusten stelle Kudolfs ziehen wollten,
fallen damit hin.
*) Indes ist schon die widmuug des Wilhehu an den schenken Kourad
von Winterstettcn, diesen hochangesehenen, treiien anhänger der Stanter
(vgl. Stalin, würtemb. gesch. II, besonders s. 167. 614. 771) ein zcugnis
von Ivudolfs hineintreten in die hohenstaufischen kreise.
**) Von den übrigen hier genannten dichtem stehen auch Ulrich
von Türheim und Gottfrid von Hohenlohe zu den Staufern in mittel-
barer (durch Konrad von Winterstettcn) oder unmittelbarer beziehung;
auch von Albrecht v. Kemenat ist dies wahrscheinlich (vgl. Stalin a. a. o.
II, 216 f. 771). Das hohenlohische geschlecht stand schon vom 12. jahrh.
her in engster Verbindung mit den Staufern (vgl. Stalin a. a. o. II, 5 lu tf.).
156 SCHMIDT
IL
Die zweite frage, zu deren Untersuchung mich die ver-
gleichung der binden litcrarlustorischcn stellen Rudolfs von
Ems veranhisst liat, l)etiifl't
die abfassiingszeit des Alexander und des Wilhelm
in ihrem Verhältnis zu einander. Nachdem nämlich Docen
1809 das erscheinen des Alexander ungefähr ins jähr 1230
(altdeutsch, mus. I, 158), den Wilh. um 1242 angesetzt hatte
(ebcudas. s. 461 f.), sprach zuerst Moritz Haupt 1840 in der
vorrede zum guten Gerhard s. X f. die ansieht aus, Rudolf
möchte seineu Alex, später als den Wilh. gedichtet haben. In-
dessen erklärte er bald danach in den meist nus mitteilungen
Lachmanns und Wackernagels bestehenden nachtragen zu
seiner ausgal)e (zeitschr. I, p. 199. 1841) diese Vermutung
selbst für falsch. Und zu diesem urteil bekannten sich denn
auch Lachmann (1843) zum IweinS s. 500 und Wackernagel
literaturgesch. s. 171 anm. 9 und s. 185 (1848—51), ausserdem
unter andern Jac. Grimm z. b. ged. des mittelalt. auf könig
Friedr. L p. 6 (1844) und 0. Schade, indem er in seinem altd.
lesebuche die stelle aus dem Alex, vor die aus dem Wilhelm
druckte. Dagegen nahm Fr. Pfeiffer (Miiuch. gel. auz. 1842
no. 70, vergl. die vorrede zum Barlaam Leipzig 1843 s. XII)
Haupts frühei-e ansieht wider auf und suchte sie mit gründen
zu stützen. Durch diese liess sich nicht nur Wilhelm Grimm
überzeugen (über Freidank, Berlin 1850 s. 13), sondern sogar
der besonnene Koberstein, wenn er sich auch Grundr.^ s. 203,
anm. 9 unentschieden ausspricht, zeigt sich doch ebendas.
s. 215 anm. 2*) Pfeiffers ansieht geneigt. Ja selbst Haupt
scheint sich zu derselben zurückgewant zu haben zeitschr. 6,
525. Neuestcns hat K.Bartsch, der schon 1857 in seiner aus-
gäbe von des Strickers Karl s. VII auf Pfeiffers seite getreten
war, gelegentlich einer Untersuchung über Wetzeis heilige Mar-
garete (germanist. stud. I, s. 3 ff.) diese meinung widerum ver-
fochten und mit neuen beweisgründen zu sichern gesucht. Bei
dieser Inge der dinge ist es wol der mühe wert und nötig, die
') 'worauf der Wilhelm imd der Alex, folgten.'
RUDOLF VON EMS. 157
frage noch einmal mit niöi;liclist vollständiger Würdigung aller
dabei in betraclit kommenden momente der erörterung zu
unterziehen.
Ich führe zunächst die gründe auf, welche für das höhere
alter des Alexander vorgebracht worden sind oder werden
müssen, und untersuche, ob oder inwieweit dieselben durch die
erwideruugen der gegner widerlegt sind. — Haupt gab seine erste
meinung auf, weil er bemerkte, dass im Alexander des Strickers
als eines lebenden gedacht wird {swenne er wil der Strickcere,
so machet er guoüu mcere)^ während er im Wilhelm gestorben
und überhaupt von allen im Alexander erwähnten dichtem
nur noch der Tiirheimer am leben ist. So legten auch Lach-
mann zum Iwein^ 344 und Wackernagel a.a.O. 171 anra. 9
den dichter aus. Denn des letzteren widersprechende, confuse
anmerkung 20 zu s. 278 beruht wol auf einem versehen. Wie
haben nun die gegner das gewicht dieses grundes zu entkräf-
ten gewust? Pfeiffer (Münch. gel. anz. a.a.O.) erkennt Haupts
beobachtung, so weit sie den Wilhelm anlangt, als richtig an,
dagegen behauptet er, dass auch im Alexander von den im
Wilhelm aufgeführten dichtem keiner als noch lebend aufge-
zählt werde, denn die über den Stricker handelnde stelle sei
verderbt und könne nicht als vollständiger beweis gelten (vgl.
auch zu Bari. s. XH). Die stelle lautet in der jungen, an
grossen und kleinen fehlem reichen handschrift: wan er wilde
Strickere, so machet er guole mere. Jedem unbefangenen kann,
meine ich, diesem texte gegenüber Pfeiffers urteil nur als ein
auskunftsmittel der Verzweiflung erscheinen. So klar sind die
verse, so leicht und einleuchtend die nötigen, kleinen Verbesse-
rungen. Deshalb hat sich auch Bartsch in diesem punkte
Pfeiffer nicht angeschlossen, vieiraehr benutzt er jene stelle,
um aus der art und weise, wie sich da Rudolf über den Stricker
;iussert, einen anhält für die ungefähre feststellung der Chrono-
logie der dichterlaufbahn des Strickers zu gewinnen (Karl der
grosse von dem Stricker 1S57 s. VI). Mit welchem recht er
trotzdem Pfeiffers ansieht über die abfassungszeit des Wilhelm
und des Alexander im wesentlichen festhalten zu dürfen meint,
darüber hat er sich erst elf jaiire später in der angefiiiirten
stelle der germanistischen Studien geäussert. Da nämlich
158 SCHMIDT
Pfcirrcis von der stelle iui AhN.-uidei' aus nntevnoimiieiiev aii-
ii-rift' auf die Tlauptsclie <)eweisf(ii)i'iinfi: mishm^eu war, so ver-
sucht er, indem er auf die aus dem Wilhelm entnommenen
folo-erunsren stürm läuft, jene 7ai erschüttern. ^Dass der Stricker',
sagt er (a. a. o. s. 3 f.), 'vor 1243 iiestorlxn war, jj-eht aus der
stelle im Wilhelm nicht hervor: sie l)eweis1 nur, dass schon
vor 1213 dieser dichter sich von der epischen poesie al»- und
der lehrhaften zug-ew' endet hatte: darauf auch hczieht sich die
eigentümliche erwähnuug im Alexander:
swenn er wil der Strickfere
so machet er giiotiu maire.
d. h. er kann wol ein grosses epische,; gedieht liefern, wie er
im Danipil von ßluniental (nach Rudolfs meiuung) bewiesen,
aber er will nicht mehr, er hat sich von dieser richtung ab-
gewendet. Eine Verderbnis mit Pfeiffer anzunehmen haben
wir danach nicht nötig.' Beachten wir zuvörderst den charak-
teristischen ausdruck dieser letzten werte. Also die not trieb
nach Bartschs eigenem geständnis ihn wie Pfeitfer, genötigt
fanden sie sich zur bekämpfung jener an sich einfachsten,
naheliegendsten Schlussfolgerung Haupts. Wie gewichtig, wie
entscheidend müssen da nicht die gründe sein, die sie für ihre
ansieht geltend zu machen haben! Nun, wir wollen sie später
betrachten. Für jetzt haben wir erst gegen Bartschs auffassung
der stelle in Rudolfs Wilhelm den entschiedensten einspruch
zu erheben. Auf die auflforderung der Aventiure an den dichter,
ihre bearbeitung zu ende zu führen, verweist derselbe sie auf
eine reihe von meistern, die nach seiner Überzeugung besser
als er sie würden ausgeführt haben, und an die sie sich des-
halb hätte wenden sollen. Die Aventiure entgegnet, zu der zeit
{dö hl den tagen), wo dies möglich gewesen wäre, wo sie sich
an jene hätte wenden können (gegen diese ergänzung wird
auch Bartsch nichts einzuwenden haben), sei sie unter der
hülle der französischen spräche verborgen gewesen bis eben
zu der gegenwärtigen zeit, wo Rudolf sie zu dichten ange-
fangen habe (iinze nü an dise seihe zit vgl. Orl, leseb. 605, 14
irnze nü. Iw. 105. 176 U7iz an die zit). 'Warum aber', ant-
wortet da Rudolf, 'liessest du dich dann nicht von dem Tür-
heimer l)enrbeiten (rillten), der gute geschichten meisterlich
darzustellen versteht?' 'Zu dem gehe ich nicht', erwidert die
RUF'OLF VON EMS. 159
Aventiiire; 'da ich einmal zu dir gekommen bin und du meine
bearbeitung- über dich genommen hast, so vollende mich nun
auch.' — Fest steht hiernach, dass zur abfassungszeit des
Wilhelm der Ttirheiraer gleichwie Rudolf die darstcllung dieser
aventiure hätte tibernchmeu können, nicht jedoch jene aiuleren
dichter. Den grund, weshalb nicht, sagt nun aber Bartsch,
brauche man bei dem Stricker nicht darin zu suchen, dass er
damals schon tot gewesen sei, sondern er könne in seiner ab-
wendung von der ei)ischen poesie zum moralischen und didak-
tischen gebiet bestehen. Die stelle im Wilhelm habe densel-
ben sinn wie die entsi)rechende im Alexander. Diese besage:
'der Stricker kann wol ein grosses episches gedieht liefern,
aber er will nicht mehr; er hat sich von dieser richtuug ab-
gewaut.' Jedoch dies: 'er will nicht mehr' ist eine Verdrehung
und Vergewaltigung dei- worte des dichters. Rudolf sagt nur:
der Stricker kann gute erzählende gedichte macheu; der ein-
schränkende zusfitz swenne er wil mag andeuten sollen, dass
er gegenwärtig andere dichtungsarteu pflege. Die möglichkeit
einer riickkehr aber zur erzählenden dichtung schliesst derselbe
absolut nicht aus, wie denn ein solcher gedanke auch an sich
höchst unnatürlich wäre. Mit diesem erschlichenen 'aber er
will nicht' fällt auch Bartschs ganzer Widerspruch gegen
Haupts auffassung der stelle im Wilhelm in nichts zusammen.
'Auch der Stricker', heisst es da, 'würde euch besser darge-
stellt haben als ich, hätte er euch so dichten wollen wie den
Daniel von Blumental'. Davon, dass er dies gegebeneu falls
nicht gewollt haben würde, dass also eine darauf bezügliche
autforderung- der Aventiure an ihn vergeblich gewesen sein
würde, steht nichts da. Und welchen Widersinn würde das
auch ergeben! 'Du tor', würde die Aventiure da Rudolf haben
antworten müssen, 'du sagst, ich hätte mich lieber an den
Stricker wenden sollen als an dich, obgleich du weisst und
selber hinzufügst, dass das vergeblich gewesen wäre?' Nein,
vielmehr Rudolf setzt voraus, dass der Stricker früher zur
darstellung der Aventiure vielleicht hätte bewogen werden
können; war dies zur abfassungszeit des Rudolfiidschen ge-
dichts nicht mehr möglich, so ergibt sieh daraus als einzig
wahrscheinliche folgeruiig, dass der Stricker mittlerweile ge-
storben war. — Nach Bartschs auslegung würde der Stricker
ICO SCHMIDT
volikoiuiueu auf einer lluie fetelieii mit dem Tliilieimer. Sich,
da kuni ich niht an! würde die Aventiuro von beiden sagen
können. Wir würden unbedingt erwarten, dass der Stricker
neben dem Türlieimer genannt wäre. Denn andernfalls hätte
liudolf mit demselben rechte wie nach Bartsch den Stricker
auch Ulrich von Türheim schon unter der ersten dicliterreihe
nennen können, da auch er ja sicher schon vor der abfassung
des Wilhelm gedichtet hatte. Und endlich, für die menge der
übiigen hier genannten dicliter wird wol Bartsch Haupts
schluss nicht bestreiten wollen. Soll sichs nun mit dem
Stricker, der mitten darunter steht, allein anders verhalten als
mit den übrigen ?
Hiermit glaube icli die bisher gegen den in rede stellen-
den l)eweisgrund für das höhere alter des Alexander erhdbenen
einweudungen scharf und schlagend widerlegt zu haben.
Indes ich darf noch nicht weitei- gehen. Ein aufmerk-
samer leser könnte bezüglich der eben beendeten erörterung
noch an den versen in der Wilhelmstelle anstoss nehmen, in
welchen Albrechts von Kemenate gedacht wird. Sie lauten :
ouch hsete iuch mit wisheit
her Albrecht baz dann ich geseit,
von Kemenät der wise man,
der meisterlichen tihten kan.
Die stelle für sich allein betrachtet, ist es möglich, ja —
ich gebe zu — am natürlichsten, das präsens kaji so aufzu-
fassen, dass hier von dem Kemeiiater als einem noch lebenden
dichter gesprochen werde. Nötig ist dies aber durchaus nicht.
Denn gleichwie wir noch heute beispielsweise sagen: Gröthe
kann die eindrücke der natur auf seine seele wie kein anderer
zum ausdruck bringen, oder: Euripides versteht sich auf psy-
chologische motivierung und dergl. mehr, so kann man über
jeden Schriftsteller älterer zeit, so konnte auch Rudolf über den
bereits verstorbenen Albrecht im praesens sprechen. Dies erst
noch durch belegsteilen zu beweisen halte ich für überflüssig.
— Von den beiden an sich möglichen auffassungen aber nun
ist, wenn man die stelle im Zusammenhang betrachtet, eben
einzig und allein die letztere zulässig. Das lehit einen jeden,
für den der kritische grundsatz feststeht, dass man einem
schriftsteiler nicht ohne not widerspräche und unsinn aufbürden
RUDOLF VON EMS. 161
dürfe, die gleich folgende, soeben Bartsch gegenüber in ihrer
bedeutung Aon mir aufgezeigte stelle. Fragen könnte man
höchstens, ob nicht in derselben weise wie hier dies kan auch
in der stelle des Alexander über den Stricker das präseus
aufzufassen sei, so dass die daraus gezogene Schlussfolgerung,
der Stricker habe zur abfassungszeit des Alexander noch ge-
lebt, ungerechtfertigt wäre. Indes diese frage ist entschieden
zu verneinen. Denn erstens würde sonst Eudolf dort über einige
maere des Strickers einen entschiedenen tadel ausdrücken, in-
dem er ihnen das prädikat guot abspräche. Das aber ist nicht
glaublich: er wird seinen dichterbaura niaht mit schlecliten rei-
sern s; himpfieren. — Zweitens aber steht auch aus andern
gründen fest, dass von den im Alexander aufgeführten dichtem
ein teil als noch lel)end gedacht wird. Davon nachher mehr.
Noch ein zweiter anstoss ist zu beseitigen. Bei Stalin,
w^ürtemberg. gesch. 11, 544 {\'^. s. 764) heisst es: ^Gottfried
(\'on Hohenlohc) gesellte zu seinen übrigen Verdiensten auch
den rühm des dichters: die ritter des Artus insgesammt waren
der Stoff eines ausgezeichneten gedichtes, welches er verfasste.
Im jähre 1254 oder 1255 verschied dieser herr.' Wird hier-
durch nicht alle die mühe, die ich eben auf Bartschs Wider-
legung verwant habe, zu sclianden? Steht es nun nicht fest,
dass die in rede stehenden im Wilhelm aufgeführten dichter
zu dessen abfassungszeit noch nicht alle tot waren? konnte
nicht also auch der Stricker noch unter den lebenden sein?
— Nur keine bange, 6 xQmaaq, y.ai idaszai : derselbe Stalin
setzt a. a. o. 541 A2 auseinander, dass Adelheid, die mutter
der mit Sicherheit von 1219 an in Urkunden vorkommenden
sechs hohenlohischen geschwister, keinen der bisher bestimmt
ermittelten grafen von Hohenlohe zum gatten gehabt haben
könne. Er schliesst daher, entweder sei der name dieses ge-
raals der frau Adelheid ganz verschollen, oder es sei der
Gottfi-icd von Hohenlohe gewesen, der in der von P^riedrich II.
12 IS für die stadt Bern erlassenen goldenen bulle (vgl. Schöpf-
lin, historia Zaringo -Badens. 4., 146 fi'.) vorkommt. — Letz-
teres anzunehmen ist un))edingt notwendig. Der
älteste söhn Adelheids, der Gottfried von Hohenlohe, den Stalin
für den von Rudolf von Ems erwähnten hält, war damals
offenbar noch zu jung, um mitten unter zwei bischöfen, von
ßeitrü^'c zur geschichte der deulbchen spräche. lU, 1 1
162 SCHMIDT
deueii der eine Friedrichs kanzler Avar, unter liofräten, notar,
reicbssehenk , reichstriichsess, i;ewis lauter älteren niänncru,
als zeu^e (praesens et anuuens) au%elnlirt zu werden. Seine
mutter, deren tocliter Kunigunde damals sicher noch minder-
jährig war, kommt 1219 als die gattin des Konrad von Lol)en-
hausen (== grafen von Werdeck, s. Stalin a. a. o. 530) vor.
Gottfried von Hoheulohe, Adelheids erster gatte, wird ende
1218 (oder anfang 1219) gestorben sein. Die auf die Hohen-
lohes bezüglichen Urkunden vom jähre 1219 f. (siehe Stalin
a. a. 0. 552 &.), die von dem eintritt zweier von den fünf
briideru in den deutschen orden und von zahlreichen besitz-
veräuderungen, vergleichen, Verfügungen hinsichtlich der hohen-
loheschen guter künde geben, erwecken ganz den eiudruck
einer nach dem abieben des bisherigen familieuoberhauptes
vorgenommenen erbschaftsteiluug. Und dazu kommt nun eben
noch das zeugnis des Rudolf von Ems, das uns zwängt, wenn
wir nicht diesen dichter zu einem unlogischen schw^ätzer machen
Avollen, einen Gottfried von Hoheulohe anzunehmen, der zur
abfassungszeit des Wilhelm, jedenfalls lange vor 1254, schon
tot war. Also kurz und noch einmal — der erste gatte Adel-
heids graf von Hoheulohe hiess w'irklich Gottfried, und dies
war der von Rudolf erwähnte Verfasser des gedichtes über die
Artusritter. Danach ist Stalin zu verbessern.
Zu dem bisher allein beigebrachten beweise für das höhere
alter des Alexander vermag ich andere, nicht minder gewich-
tige hinzuzufügen. Der Stricker ist nämlich nicht der einzige,
der in dem dichterverzeichnis des Alexander klar als noch
lebend bezeichnet ist. An der spitze der zweiten dichterreihe
steht Konrad von Heimesfurt, der dichter von Maiiae himmel-
fahrt und von der Urstende {der wol von gole getihtet hat).
Von ihm sagt Rudolf: den darf riuwen niht shi werc. Dass er
diese wendung nur von einem noch lebenden gebrauchen
konnte, liegt doch wol auf der band. Eine auslcgung des
praesens, wie wir sie eben in den versen über den Kemeuater
aus dem Wilhelm möglich und nötig fanden, ist hier nicht mög-
lich. Nun ist aber der anordnungsgi-uud in Rudolfs dichterver-
zeichnissen im allgemeinen und wesentlichen der chronologische.*)
•) Ich atimme in bezug auf diesen puukt völlig iibeiein mit der
RUDOLF VON EMS. 163
So kommen wir zu dem ergebnis, dass, als Rudolf den Alexan-
der dichtete, die ganze zweite reihe der hier genannten dichter
von Konrad von Heimesfurt an, so viel er Avuste, noch am
leben war. Damit wird der erste beweisgruud bedeutend ver-
stärkt. Wer aber diese ansieht zuzugeben vor der band nicht
geneigt ist, der wird wenigstens den Konrad von Heimesfurt
nicht in die mitte des 13. Jahrhunderts zu setzen wagen, wohin
er gehörte, wenn wirklich der Alex, nach dem Wilh., zwischen
1240 — 45, verfasst wäre (vgl. Bartsch, germ. stud. I, 5). Bartsch
selbst lässt ja jenen vielmehr im zweiten Jahrzehnt des 13.
Jahrhunderts dichten (Germ. VHI, 327). Dass übrigens die
ganze zweite, mit Konrad von Heimesfurt beginnende reihe der
in der Alexanderstelle aufgeführten dichter wirklich der gegen-
wart Rudolfs ang-ehört, diese behauptung wird bestätigt durch
die art und weise, wie der letztere die vier ersten grossen
meister von den übrigen absondert, ihnen gegenüberstellt. Denn
das urteil, dass nieman nü so giiotes iht gesprechen kan, so
man dö sprach, als Veldekc, Hartmann, Wolfram, Gottfried die
edlen reiser ihrer gedichte dem künste riehen stamm auf-
beraerkung Haupts zu den 'liedern und büchlein u. s. w. von Hartmann
V. Aue', Leipz. IS 12 s. XL An diejenigen, welche, wie Pfeifier (freie
torgchung s. 156) von der chronologischen anordnung gar nichts wissen
wollen, ist einfach die frage zu richten, welches anordnungsprincip
Eudolf denn sonst in den Verzeichnissen befolgt haben soll. Denn die
planinässigkeit der aufzählung wird durch die auffallende Übereinstim-
mung der beiden Verzeichnisse im grossen iind ganzen bei kleinen ab-
weichungen, welche die annähme sklavischer selbstcopierung ausschliessen,
gewährleistet. Das, was anderweitig über die zeit der betreffenden
dichter mit Sicherheit ermittelt ist, spricht durchaus nicht gegen die
behauptung der chronologischen reihenfolge unserer cataloge. Was
Wackernagel literaturgesch. s. 153 a. in dieser beziehung geltend macht,
stützt sich zum teil auf unsichere, keineswegs genügend bewiesene an-
nahmen und ist daher unschwer zu widerlegen. Die abweichungen in
beiden Verzeichnissen mögen teils in einer vielleicht durch genauere
kenntnisnahme herbeigeführten wandelung des ästhetischen Urteils Ru-
dolfs, teils in der lösung früherer imd der anknüpfuug neuer persönlicher
beziehungen zu einzelnen dichtem ihren grund haben. Ausserdem
könnte vielleicht im Alexander, zu dessen abfassungszeit der gröste teil
der angeführten dichter noch lebte, mehr der beginn oder auch der
höhepimkt ihrer dichterischen tätigkeit, dagegen im Wilhelm auch die
zeit ihres todes für die anordnung mit in betracht gezogen sein.
11*
1 04 SCHMIDT
pfropften, bezieht sich klärlich auch auf die meister, von denen
Rudolf in zweiter linie lehre sucht, und über die er in deut-
lichem gegensatz zu dem überschwängliclieu lob, das er jenen
gespendet hat, sich begnügt zu^jelien: sie haut gesprochen alle
wol' Auch hindert nichts von dem, was sonst über diese
dichter bekannt ist, ihre lebenszeit bis ins dritte Jahrzehnt des
13. Jahrhunderts auszudehnen.
Einen dritten beweis dafür, dass der Alexander vor dem
Wilhelm gedichtet ist, enthält der schluss der literarhistorischen
stelle aus ersterem gedieht. Eudolf bittet da gott, indem er
zurückgreift auf das oben besprochene bild des dichterbaumes,
zu helfen, dass die von ihm genannten grossen meister seinen
zweig nicht herabwerfen möchten, den er aufgestossen habe,
als er den guten Gerhard, dann Barlaam und Josaphat und
endlich St. Eustachius dichtete. Unter dieser Voraussetzung
nemlich wolle er es wagen, das einmal begonnene maere von
Alexander fortzusetzen. Offenbar will hier Rudolf alle seine
bisherigen dichtimgen nennen, durch die er auf einen platz in
der reihe der besseren dichter einen ansprach zu haben glaubt.
Dass er also die lügelichen maere, von denen er im Barlaam
spricht, kleinere, unbedeutendere Jugendarbeiten, hier übergeht,
kann uns nicht wunder nehmen. Dass er dagegen den Wil-
helm unerwähnt gelassen haben sollte, ist auf keine weise
glaublich zu machen, vielmehr erhellt daraus aufs deutlichste,
dass er ihn eben noch gar nicht gedichtet hatte. Pfeitfer frei-
lich (Münch. gel. anz. 1842 sp. 564), der daraus, dass des
Alexander im Wilhelm mit keiner silbe gedacht werde, auf
dessen höheres alter Fchliessen will, erhebt den verdacht, dass
diese stelle, wo ein ganz unbekanntes gedieht von Eustachius
beinahe mit denselben worten wie im Wilhelm der Barlaam
erwähnt werde, verderbt und hier ursprünglich vom Wilhelm
die rede gewesen sein möge. Indes mit so luftiger kritik
wird sich ein besonnener forscher schw^erlich befreunden können.
Man bedenke doch nur, dass beispielsweise nach Pfeiflers
eigener angäbe der ganze Rudolf ausser von ihm und seinem
fortsetzer von niemand erwähnt wird (Münch. gel anz. 1842
no. 72). Und doch ist der umstand, dass wir von dem St. Eu-
stachius Rudolfs bisher nichts weiter wissen, der einzige
grund von Pfeitfers Verdächtigung. Denn dass im Wilhelm bei-
RUDOLF VON EMS. 165
nahe mit denselben Worten vom Barlaam die rede ist, hat
gar nielits befremdliches. Vielmehr ist es begründet durch
die factische gleichhcit des Inhalts in bezug auf diesen punkt.
Man vergleiche doch das über den Barlaam und den Eustachius
in der Alexanderstelle selbst gesagte. Ich kann mir demnach
Pfeiöers urteil nur so erklären, dass er selbst das gewicht
dieser stelle für die der seinen entgegengesetzte ansieht em-
pfand und deshalb auf irgend eine weise mit ihr sich abzu-
finden oder einer künftigen benutzung derselben von selten der
gegner im voraus die spitze abzubrechen das bedürfnis fühlte.
Natürlich muste jeder versuch, ungewisheit und dunkelheit zu
erzeugen, wo alles so fest und klar ist wie hier, mislingen. —
Aber immer gespannter werden wir hiernach, die gründe zu
vernehmen, welche Pfeiffer und Bartsch zu ihrer ansieht über
die ganze frage und damit zu der unglücklichen Opposition
gegen die gründe der gegner geführt haben. Wie entscheidend
müssen sie sein, wenn sie den genannten männern gegen jene
einfachen Zeugnisse den blick verdunkeln konnten! Nun wir
wollen sie mustern.
Pfeiffer in den Münch. gel. anz. 1842 No. 70 weist zur
begründung seiner behauptung erstens darauf hin, dass nach
dem Wilhelm Ulrich von Türheims Clies erst neulich ge-
dichtet worden sei {der hat Artuse einen tnan von Kriechen niu-
liche gesant in siniu riche), während im Alexander dasselbe
gedieht als ein schon bekanntes hingestellt werde. Ich staunte,
als ich diese bemerkung las, denn ich fand in der Alexander-
stelle wol die notiz, dass Konrad Flecke das maere beschie-
den habe, wie der strengen minue kraft diesen zwang,
aber über einen Clies des Türheimers vermochte ich trotz
eifriger bemühung nichts zu entdecken. Indes nach Pfeiffers
meinung sollen die woite: und wie der strengen minne kraft
diesen twanc u. s. w. nicht von Konrad Flecke, auf den
jeder unbefangene sie 1)eziehen wird, sondern von Ulrich von
'J'ürheim zu verstehen sein! Nur weil im Wilhelm Ulrich von
Ttirheim als darsteller der Aventiure von Clies genannt ist,
muss — nach Pfeiffer — auch hier von ihm die rede sein,
und Konrad Fleck kann nicht denselben stoff behandelt haben,
wennschon es der klare Wortlaut dieser stelle erfordert. Eine
exegetische Ungeheuerlichkeit, die Pfeiffer später auch selber
lee SCHMIDT
eingesehen hat.*) Denn in dem schon oben erwähnten aufsatz
ul)er Konrad Fleck bezieht er, wie es nicht anders möglich
ist, die angeführten wortc auf ein Flecksches gedieht und be-
gnügt sich, in Sommers spuren wandelnd, in die folgenden
verse hineinzulesen , dass Ulrich von Türheim Konrads Klies
fortgesetzt habe. Dass es auch damit nichts ist, habe ich
schon gezeigt.
Zweitens führt Pfeiffer gegen das höhere alter des Alex,
den umstand ins feld, dass im Wilhelm des Alexander mit
keiner silbe gedacht werde. Indes auch des guten Gerhard
und des St. Eustachius geschieht dort, so viel ich weiss, nicht
erwähnung, und trotzdem steht doch wenigstens des ersteren
frühere abfassung fest. Es gibt aber noch eine viel einfachere,
handgreiflichere Widerlegung dieses Pfeifferschen beweises: wir
können ihn mit den eigenen waöen schlagen. Denn im Alex,
wird der Wilhelm eben so wenig erwähnt wie in diesem jener,
und demungeachtet behauptet Pfeiffer seine priorität. Man
sieht, wie es um Pfeiflers beweise bestellt ist. Der unglück-
liche versuch, durch Verdächtigung einer vollkommen klaren
und gesunden stelle im Alexander die möglichkeit einer er-
wähnung des Wilhelm in jenem gedieht zu behaupten, ist vor-
hin beleuchtet worden.
Ferner sucht Pfeiffer die mehr oder minder auffallende
künstliclikeit, mit der Kudolf nach einer damals viel befolgten
sitte seineu namen in seinen gedichten angebracht hat, zur
bestimmung des alters derselben zu verwenden. Im Gerhard,
sagt er, nenne der dichter seinen namen versteckter weise
und noch nicht im akrostichon, dies tue er schon im Barlaam,
auffallender zu anfang im Wilhelm, am auffallendsten im
Alexander. Man erkenne also darin einen stufenweisen fort-
gang. Nun, die tatsache, dass die Alexandreis in diesem
punkt die anderen gedichte übertrifft, bin ich weit entfernt zu
leugnen. Mau darf sich die sache nun aber nicht so vorstellen,
als sei Rudolf, von gedieht zu gedieht die künstlichkeit stei-
gernd und gleichsam sich selbst darin zu überbieten bestrebt,
endlich an diesem gipfelpunkte angelaugt. Vielmehr ist es
•) Vgl, dagegen auch Sommer a. a. o. s. XXXIV und Koberstein,
grundriss'' I, 215 anm.
RUDOLF VON EMS. 167
nach den g-eschichtlichen verliältuisseu an sicli recht wol denk-
bar, dass er schon in einem seiner frühesten gedichte den
zopiigen geschmack der zeit in so vollkommener weise zu be-
friedigen sich abgemüht habe. Denn der eingang des Alexan-
der in aller seiner künstlichkeit ist ja im wesentlichen weiter
nichts als eine nachahmung des anfangs von Gottfrids Tristan,
den Rudolf von allen meisterwerken jener zeit am höchsten
schätzte. Auch da ergeben die anfangsbuchstaben einer reihe
von tetrastichen den ersten buchstaben von dem eigenen namen
des dichters und dann den seines g-önners Dieterich (vgl. Mass-
manu, Tristan s. L). Nur in den reimen übertritft Rudolf sein
Vorbild noch an künstlichkeit. Denn während sich bei diesem
die reime der beiden ersten zeilen des tetrastichs in den zwei
letzten widerholen, verändern sich im Alexander die einsilbigen
substantiva der ersten beiden reime in den zwei folgenden in
verba, oder sind jene schon verba, so ändern sie sich in einen
andern modus: die zwei ersten reime sind männlich, die letzten
weiblich (s. Docen im altd. Mus. II, 268). Es spricht also
durchaus nichts dagegen, dass Rudolf, der ja so wie so kein
origineller gcist war, nachdem er in einem frühereu gedieht
in der künstlichen anbringung seines namens mit den höchsten
bisherigen leistungen gewetteifert, es darin noch weiter zu trei-
ben aufgab und bei einem späteren gedieht, bei dem ihm viel-
leicht auch au schnellerer bewältigung de:^ Stoffes gelegen war,
sich mit einfacheren akrostichen begnügte. Dazu kommt, dass
ja auch die weltchronik an künstlichkeit des eingangs hinter
dem Alexander zurücksteht, und doch liai Pfoiöer daraus einen
ähnlichen schluss für ihre abfassungszeit zu ziehen wie für den
Wilhelm sich wol gehütet.
Endlich macht Pfeitfer noch die überhaupt im Alexander
wahrnehmbare gesteigerte künstelei als ein zeichen abnehmen-
der Schöpferkraft für seine ansieht geltend. Ich habe sowol
aus dem Alexander als aus dem Wilhelm nur einige stücke
gelesen, kann also nicht genügend beurteilen, ob und wie weit
der erstere wirklich den letzteren an künstelei übertrifft. So-
fern sich aber Pfeiffers behauptung auf solche äusserlichkeiten
gründet wie jene akrostichen — , deren übrigens noch viel
mehr im Alexander vorhanden sind als man bisher nachgewie-
sen hat — , insofern verweise ich auf das zum vorigen punkt
168 SCHMIDT
g-eg-en jenen gesagte. In einer zeit, wo künstelei allgemeiner
gesehmaek ist, kann das höchste ruass von künstelei bei einem
künstler sehr wol auch den höhepunkt seines Schaffens iiber-
haui)t bezeichnen. Ausserdem mache ich darauf aufmerksam,
wie subjectiv, wie problematisch alle solche urteile sind, sofern
sie sich auf den allgemeinen Charakter eines kunstwerkes
beziehen. Wie oft findet nicht der eine jugendliche lebhaftig-
keit da, wo der andere die schwäche des alters zu sehen
glaubt! Jedenfalls sind derartige gründe nicht im stände, so
handgreifliche, concrete beweise wie die für das höhere alter
des Alexander oben von mir beigebrachten zu erschüttern.
Damit ist aber auch die ganze summe dessen, w\as Pfeiffer
für seine ansieht vorzubringen hat, erledigt, und man kann
nun ermessen, welcher mut dazu gehört, auf solchen rückhalt
gestützt, gründe wie die für meine ansieht sprechenden in
solcher weise zu bekämpfen, wie es Pfeiffer getan hat.
Und die von Bartsch etwa noch hinzugefügten beweise
für die Pfeiffersche behauptung halten eben so wenig stich. In
der vorrede zu des Strickers Karl s. VII schliesst er aus den
allgemeinen ausdrücken, in denen dieses dichters in Rudolfs
Alexander gedacht wird, dass er zur zeit der abfassung des
letzteren sich bereits von der epischeu gattung abgewant und
seine grösseren erzählenden gedichte vor dem jähre 1241 ver-
fasst habe. Und aus eben diesem gründe ist er geneigt die
abfassung des Alexander später zu setzen als die des Wilhelm.
Um von der formellen fehlerhaftigkeit dieser beweisführung
abzusehen, hat denn Bartsch aber in dem Wilhelm auch nur
die geringste spur aufgewiesen, die darauf deutete, dass zur
zeit seiner entstehung der Stricker noch mit epischen dich-
tungen sich beschäftigte? Allerdings wird im Wilhelm des
Strickers Daniel von Blumeutal namentlich erwähnt, wäh-
rend im Alexander ihm allgemein die fäliigkeit, gute maereu
zu verfassen, zugesprochen wird. Aber wenn daraus überhaupt
eine derartige folgerung gezogen werden soll, muss man dann
nicht natürlicher weise folgern, dass zur abfassungszeit des
Alexander die maere des Strickers allen noch so frisch im ge-
dächtnis waren, dass Rudolf sie zu nennen nicht für nötig
hielt, während, als er den Wilhelm dichtete, die späteren,
andersartigen dicht iingen des Strickers die erinueruug an die
RUDOLF VON EMS. 169
epeu seiner jugeudzeit schon so sehr in den hintergrund ge-
drängt hatten, dass Rudolf ausdriicklieh auf den Daniel von
Blumental hinweisen zu müssen giauhte? Indes alle zweifei
hierüber sind ja so wie so erledigt, nachdem festgestellt ist,
ist, dass zur ahfassungszeit des Alexander der Stricker noch
lebte, dagegen zu der des Wilhelm bereits gestorben war.
Weiter hat Bartsch für die entscheidung unserer Streitfrage
auch davon nutzen ziehen wollen, dass er für das l)ruchstück
eines lebens der heiligen Margarete, in welchem er das werk.
Wetzeis, des freundes von Rudolf von Ems vermutet, die jähre
1235—40 als ahfassungszeit ermittelt hat (germ. stud, I, 3 ff.).
Aber erstens, worauf stützt sich denn Bartschs Vermutung,
dass dies bruchstück aus Wctzels werk herrühre? Die aller-
dings auftallige, auf gegenseitige abhäugigkeit deutende Über-
einstimmung der stelle im Barlaam, wo Rudolf von seinen
weltlichen jugendarl)eiten spricht (Jügeliche mcere) mit dem
eingang dieser Margarete (s. Bartsch a. a. o. s. 7) bietet wahr-
lich dafür keinen genügenden beweis. Sehr wol konnte auch
ein beliebiger anderer dichter Rudolf oder dieser jenen nach-
ahmen.*) Und die aus der darstell ung zu schliessende etwaige
gleichzeitigkeit des dichters mit Rudolf reicht bei der beliebt-
heit der Margaretenlegende in jener zeit, bei der menge der
bearbeitungen, die damals von ihr sicherlich existiert haben
(vergl. Bartsch a. a. o. s. 1), zur begründung von Bartschs Ver-
mutung nicht aus. Aber zugegeben selbst — was in Wahrheit
mindestens sehr zweifelhaft ist — Wetzel sei wirklich der
Verfasser dieses gedichts, so ist es doch auch um Bartschs be-
*) Die stelle in der Margaretenlegende hat mit der bei Rudolf nur
sein- entfernte ähnlichkeit. Sie ist nicht dieser, sondern der einleitung
zu Hartmanns Gregor nachgeahmt, welche auch das muster für Rudolf
gegeben haben wird, nur dass der Verfasser der Margarete sich viel
enger an sein Vorbild angeschlossen hat. Vgl. Greg.: Min herze lud
hetwungen vH dicke mhie zungen , daz si des vü gesprochen hat daz
nach der werlde Urne stät. daz rieteti mir nun tumhiu jär mit Marg.:
Mm herze ist leider so verzaget daz mm zunge selten saget diu mcere
diu von gote sint. ich hin gewesen da her ein kint , daz mich der mcere
haz gezam da von ich muot der weite nam etc. und Greg.: diu gröze
swcere miner süntlichen bürde . . . die ich durch mhie müezekeit üf mich
mit warten hm gelcit mit Marg.: ul der ?vorte . . . diu ich allez nun
leben durch müezikeit gesprocheti hän. P.
170 SCHMIDT
weis, dass letzteres in deu jähren 1235 — 40 verfasst sei, recht
schlecht bestellt. Warum kann Wetzel nicht vor 1218 d. i.
vor der verwittwung und gefangennehuiung- Cleniendes von
Zaering-en gedichtet haben? Bartsch sagt, es sei dies, wenn
er ein freund Rudolfs war, zu früh angenommen. Wie so?
Wenn Rudolf seinen Alexander, wie ich vorläufig einmal an-
nehmen will, um 1230, seinen guten Gerhard zu anfaug der
zwanziger jähre vollendet hat, warum kann nicht sein viel-
leicht um ein paar jähre älterer freund die Margarete um 1217
bearbeitet haben? Ferner sagt Bartsch, der dichter würde,
wenn Berthold V., der gemal seiner gönnerin Clemende, noch
am leben war, ihn, den wir als dichterfreuud kennen, schwer-
lich unerwähnt gelassen haben. Auch dagegen muss ich ein-
spruch erheben. Bartsch selbst sagt, der herzog sei den freu-
den des w^eltlebens geneigt gewesen. Sehen wir, wie die Zeit-
genossen über ihn urteilen. Der bischof Berthold von Lausanne
sagt in einer Urkunde aus dem jähre 1219 (s. Schöpflin a. a. o.
IV, 151), der herzog hätte 'in possessiones ecclesiac rapinas,
incendia, homicidia, lesiones, membrorum mutilaciones, non so-
lum in laicis sed in clericis et sacerdotibus' verübt und sei
darum 'malicie sue meritis' kinderlos gestorben. In Alberici
Chron. zum jähre 1218 heisst es: 'moritur Bertholdus, de cuius
interitu multa referebantur auditu liorribilia.' Sein eigener
neä'e. Berthold, abt des klosters Tennenbach, hat erzählt, dass
er ihn auf schloss Freiburg gefunden habe 'cum suis ministris
et militibus . . . iucundum et hilarem . . . ludo et aleis quibus-
dam deditis, aliis vero ehoreas ducentibus et ad vocem organi
cantantibus' (Schöpflin ebend. 143). Derselbe hat ihm ins ge-
siebt gesagt: 'domiue, vobis . . . plane imponitur macula infide-
litatis et tyrannica rabies, per quam longe lateque belligeratis
committendo saeva per oppressionem indebitam viduarum et
pupilloruQi', worauf ihn der herzog unter seinem und seiner
dienstmannen geschrei: abbas de Tennenbach pessimus haere-
ticus est! aus seinem schlösse jagen Hess (ebendas. 144). Jeden-
falls enthalten diese urteile der von Berthold mannigfach ge-
schädigten geistlichen starke Übertreibungen, indes so viel wird
man daraus entnehmen dürfen, dass wol Berthold von Heibolz-
heim mit seinem Alexanderlied (vgl. Rudolf im Alex, bei Mone,
bad. archiv 1, 49), kaum aber der gegen weltliches wesen eifernde
RUDOLF VON ICMS. 171
herold der heiligen Margarete von dem edelen Zeringcere shier
hulden solt zu gewiuueu hoöeu durfte. Es hatte also guten
grundj wenn jener nicht dem herzog ^ sondern nui- der wahr-
scheinlich frömmeren Clemende seine dichtung widmete.
Dazu kommt noch, dass es sehr fraglich ist, ob nach dem
tode ihres gatteu Clemende von Zaeringeu überhaupt jemals
wider in die läge gekommen ist, gönneriu eines dichters sein
zu können. Allerdings hat Friedrich II. 1235 auf dem reichs-
tag zu Mainz ihre freilassung und widereinsetzuug in das von
Egino von Urach ihr geraubte wittum verfügt, allein, dass
seinem wahrspruch folge geleistet worden sei, ist damit nicht
gesagt. Ich für meine person bezw^eifie es. Bartsch hätte nur
die stelle aus Schöpflins historia Zaeringo- Badensis, die er
citiert, zu ende lesen sollen. Dort heisst es freilich: Caesar
pro dementia prouunüavit. Aber, fügt Schöpflin vorsichtig
hinzu: ^quem effectum sententia liabucrit, non liquet.
Id liquet, quod ab A. 1218 ad k. J235 adeoque per totos XVIt
annos dementia fuerit captiva, adeoque dotalicium eius omne
per tempus illud usurpaverit Egeno, Comes Friburgi, Zaringi-
carum in Brisgovia terrarum lieres.' Schöpflin hatte grund
sich so vorsichtig zu äussern. Schon könig Heinrich VII. hatte
1224 von Bern aus eine ganz ähnliche Verfügung erlassen wie
1235 kaiser Friedrich, sein vater. Indes die mächtigen grafen
von Urach hatten deiselben offenbar mit erfolg getrotzt. Dass
die Staufer es mit diesen nicht verderben wollten, dafür zeugen
zahlreiche beweise ilircr huld, die sie ihnen bis zum jähre 1235
zu teil werden Hessen (vgl. Stalin a. a. o. II, 469 Reg. z. jähre
1230, 1234 febr. 15. 1234 juli 14.). Auch konnte sich Egeno
gegen die Verfügung von 1235 mit einem gewissen recht auf
die von Friedrich im jähre 1219 ausgestellte Vergleichsurkunde
berufen, wo es heisst: Traeterea quidquid tam nos quam
predictus Comes de bonis pie memorie Bertoldi ducis Zeringie
in praesentiarum ol)tincnuis — Egeno hatte damals schon das
Wittum Clemcndcns occupiert — , id uterque nostrum pacilice
po^sideat' (vergl. Schöpflin a. a. o. IV, 159). Auch hatte Fried-
rich 1235 besontlers Ursache, sich nicht so mächtige fürsten zu
feinden zu machen, denn er brauchte ja ihre hilfe l)ei dem be-
vorstehenden, gefährlichen kämpfe gegen die lond)ardischen
Städte. Wirklich dauert auch ihr freundliches Acrhältnis zu
172 SCHMIDT
Friedricli über das jähr 12r)5 hinaus fort. Rudolf und Bertold
von Urach (Egino V. f 1236) wurden sogar 1239 wegen, ihrer
anluinglichkeit gegen die Staufer in den bann getan; erst 1240
verpfiicliteten sie sich, von der päpstlichen partei mit geld be-
stochen, Friedrich in Zukunft keine hilfe mehr nach Italien zu-
zuführen (vgl. Stalin a. a. o. II, 461 f., dazu s. 191 u. 471).
Endlich aber scheint mir auch aus einer stelle jenes bruch-
stücks von der heiligen Margarete selbst klar hervorzugehen,
dass dies gedieht vor der unglücklichen wendung in Clemeu-
dens leben verfasst ist. V. 62 ff. nennt der dichter als dritten
umstand, auf den vertrauend er dieses werk zu verfassen sich
erkühne, die freigebigkeit Clemcndens. Er habe^ sagt er, ihrer
freigebigen band schon so oft zu danken gehabt, dass er sicher
sei, sie w^erde ihn (auch jetzt) nicht auf der Strasse umkommen
lassen. — Wäre das gedieht erst nach der — freilich überhaupt
unwahrscheinlichen — befreiung der herzogin aus ihrer lang-
jährigen haft verfasst worden, so würden wir unbedingt hier
eine anspielung auf dies ereiguis und die wechselvollen Schick-
sale der herzogin im allgemeinen erwarten. Denn erst ihre
befreiung und widereinsetzung in ihren besitz hätte ihr die
durch die zeit ihrer gefangenschaft unterbrochene gönnerische
Unterstützung des dichters wider ermöglicht.
Also auch die combinationen , die Bartsch an dies bruch-
stück eines Margaretenlebens knüpfte, sind auf den sand ge-
baut: ein windstoss der kritik weht sie um.
Endlich habe ich noch über jene stelle im Wilhelm ein
kurzes wort zu sagen, wo sich Rudolf als einen knappen und
als dienstmann zu Montfort bezeichnet. Bartsch sagt (nach
Pfeiffer, Münch. gel. anz. a. a. o.), unter einem knappen sei ein
junger mann von 24 oder 30 jähren zu verstehen, und folgert
nun, indem er Rudolfs geburt ungefähr um 1200 setzt, dass
der Wilhelm kurz nach 1230 entstanden sein müsse. Indes
wird in jener stelle nicht gesagt, dass Rudolf als knappe den
Wilhelm gedichtet habe, sondern nur, dass er als knappe dies
msere von Johannes von Ravensburg kennen gelernt habe, wo-
mit also eine etwas spätere abfassung nicht ausgeschlossen
ist. Uebrigens verlegt ja Bartsch selbst die letztere in le1)ens-
jahre Rudolfs, welche nach den von ihm angeführten volks-
reimen über die altersstufen schon zum mannesalter gehören
RUDOLF ^'0N EMS. 173
(treysig jaur ein man); was tuts also, wenn wir noch um ein
paar jähre weiter gehen, wenigstens über 1236 hinaus? (vgl.
Lachmauu z. Iwein^ s. 500). Auch das von Bartsch a. a. o.
s. 5 übei- Konrad von Oetingeus lehenszeit beliauptete verbietet
durchaus nicht, den auf die stelle, wo dessen tod erwähnt wird,
folgenden teil des Wilhelm nach 1238 zu setzen. Endlich aber
hat knappe zuweilen die bedeutung von diener, knecht schlecht-
hin (vgl. ]\IHW knappe 2), und besonders bezeichnet es oft
bloss den mann von ritterlicher herkunft, der aus irgend einem
gründe noch nicht zum ritter geschlagen ist (vgl. Lexer 1643).
Hiermit darf ichs wol genug sein lassen und mich der
hoö'nung hingeben, dass für alle, die auf gründe hören und
nicht liebgewordene Irrtümer durch küusteleien zu verteidigen
vorziehen, die abfassung des Alexander vor dem Wilhelm in
Zukunft feststeht. Damit fallen aber auch eine ganze reihe
von chronologischen bestimmungen, die man in der deutschen
literaturgeschichte auf die entgegengesetzte ansieht gegründet
hat. Zum beispiel der geschichtliche abriss, den Bartsch in
der vorrede zu des Strickers Karl von der dichterischen tätig-
keit dieses meisters zu geben versucht hat, dreht sich, was die
Zeitbestimmungen anlaugt, wesentlich um das jähr 1241 (bez.
1243), als um den anfangspunkt der periode, in der der Alex,
verfasst sein soll. Aber so ist es ja mehrfach mit ßartschs
literarhistorischen leistungen: es ist ein gross ergötzen sie von
ferne zu betrachten; sie erzeugen den behaglichen wahn, als
wenn wirs schon herrlich weit gebracht hätten in der erfor-
schung unserer alten literaturgeschichte. Wenn man aber dem
blinkenden schein näher zu leibe geht, wenn man fest hinein-
greift in die gespinnste von behauptungen und folgeruugen, so
zerreissen einem vielfach die fäden wie Spinneweben, so zer-
rinnen einem die beweise unter der band wie schnee.
111.
Endlich will ich noch von Bliggers Uiiibehauc handeln.
Ueber diesen dichter und sein leider wol für immer ver-
lorenes hauptvverk geben uns nur zwei stellen anderer mhd.
174 SCHMIDT
dicliter einige aufklärung*): die eine in Gottfrieds Tristan
V. 4770 ff., wo dem Umhehanc so holies lob gezollt wird, dass
wir mit um so grösserem schmerz seinen verlust beklagen, die
andere eben bei Rudolf von Ems in dem diclitervei'zciclinis des
Alexander. Aus der kurzen erwähnung im Wilhelm ist nichts
besonderes weiter zu entnehmen. Auf grund dieser stellen nun
hatte schon Docen im altd. Mus. I, 139 die ansieht ausge-
sprochen, Bliggers in rede stehendes gedieht habe in der er-
kläruug der mannigfaltigen bildlichen darstellungen einer ge-
wirkten tapete bestanden; und indem er ferner die sonst in
der deutschen literatur jener zeit ( — 1215) wie er meinte, nicht
nachweisbaren geschichten von Andromache, Penelope, Oeuone,
deren Thomasin in der bekannten, vielbehandelten stelle ge-
denkt, auf den Umhehanc zurückführte (miscell. 2, 295), schloss
er vv^eiter, dass derselbe die darstellungen 'der vorzüglichsten
weiblichen h eidinnen alter und neuer zeit' enthalten und also
mit den Eoeen des Hesiod ähnlichkeit gehabt habe. Diesen
Vermutungen Docens schlössen sich die späteren zum grösten
teil an. Lachmann war der ansieht (zu Iwein^ 517), dass
auch die fabel von Pyramus und Thisbe bei Hartmann von
Aue Er. 7709 nach einer bearbeitung von Bligger von Steinach
gemeint sei. Als besonders gesichert betrachtet Jaenicke
(zeitschr. f. d. gymnasialwesen 1868 s. 297) die auch von
Wackernagel (literaturgesch. 173) und Bartsch (Koberstein,
grundr.s I, 193) vertretene behauptung, dass der Umhehanc ein
inbegrift' von liebesgeschichten aus der antiken sage gewesen
sei. Am ausführlichsten hat Pfeiffer den Bligger und sein ge-
dieht der erörterung unterzogen (freie forsch, s. 55 ff.), ja er
hat sogar ein von Mone in einer Heidelberger incunabel auf-
gefundenes und herausgegebenes bruchstttck (vgl. anz. f. künde
d. deutsch, vorzeit 4, 314 ff.) als aus dem letzteren herstam-
mend nachzuweisen sich bemüht, lieber die innere einrichtung
und den eigentlichen Inhalt des gedichts freilich, sowie über
die rolle, welche der umhang, von dem es den namen hat, in
demselben spielt, ist aus den beiden oben augeführten stellen
*) Die geringen erhaltenen reste von Bliggers lyrischen gedichten,
deren eines Lachmann zu Iwein^ 517 zur feststelhmg der zeit, in welcher
der Umhehanc entstanden, benutzt hat, lasse ich hier bei seite.
RUDOLF VON EMS. 175
nach seiner meinuiig nichts zu entnelimen, denn er klagt, dass
'auch die wenigen verse des bruelistiicks darüber keinen auf-
scbluss g-ewäbren'. Dein gegenüber inuss icli behaupten, dass
eine sorgfältigere Würdigung jener zw- ei stellen Gottfrieds und
Rudolfs allerdings, wenn auch nicht völlige klarheit, aber doch
uuverächtliche belehrungen bezüglich dieser gesichtspunkte an
die band gibt, so wie sie auch zugleich zur erkenntnis vieler
Irrtümer und willkürlichkeiteu führt, deren sich licsonders
Pfeiifer in der besagten abhandlung, in minderer und weniger
tadelnswerter weise auch Wackernagel, Jaenicke, Bartsch
schuldig gemacht haben.
Pfeiflers auseinandersetz ung über den Umhehanc lässt sich
kurz dahin zusammenfassen: Bligger arbeitete das gedieht
nach französischer quelle (s. 61). Dasselbe enthielt andeu-
tungen der bildlichen darstellungen einer (fertigen) tapete
(ebeudas. u. s! 63). Die bilder einer solchen hatten zu der er-
zählung den stolf oder wenigstens die auregung gegeben (s. 61).
Und zwar enthielt die tapete darstellungen aus Ovids Herolden
(s. 63). Das Heidelberger bruchstück ist eine frei erfundene,
mit der bildlichen darstellung der bekannten sage des alter-
tums auf dem teppich lose Acrknüpfte geschichte (s. 61 u. 64).
Diese sätze nun enthalten nach meiner Überzeugung fast
nichts wahres oder wahrscheinliches. Ich werde das jetzt be-
weisen.
Dass bei Bliggers Umbehanc 'die erfindung nicht eigen-
tum des deutschen dichters, vielmehr das gedieht nachbildung
eines französischen Originals sei', glaubt Pfeiffer erstens des-
halb annehmen zu müssen, weil die in jenem bruchstück vor-
kommenden namen auf französischen Ursprung des stoöes
deuten. Indes gesetzt auch, das bruchstück wäre in der tat
ein Überrest des Limbehanc, so folgte aus der eben erwähnten
tatsache doch nur, dass Bligger diese eine novelle einer fran-
zösischen quelle entnonmien hätte, nicht aber gälte dies für
das ganze gedieht und den demselben zu gründe gelegten plan.
Zweitens meint Pfeiffer, die gewirkte tapete selbst, deren bilder
zu dem gedieht ent^veder den stoft' geliefert oder wenigstens
die anregung gegeben hätten, machten den französischen Ur-
sprung wahrscheinlich. Denn die teppichwirkerei sei wol da-
mals in Frankreich, nicht aber in Deutschland mit hoher kunst-
176 SCHMIDT
Vollendung: betriehen worden, letzteres habe vielmehr solche luxus-
geg'enstände besonders aus Frankreich bezogen. — Nun, möchte
meinethalb die tapete, welche nach Pfeiffers ansieht zu dem
Umbehauc den stotf lieferte, in Frankreich gewirkt sein, w^arum
könnte sie nicht eben nach Deutschland ausgeführt worden
sein und dort dem Bligger zu seinem gedieht stoff und antrieb
gegeben haben? Wozu in aller weit war erst die Vermittlung
eines französischen dichters nötig? Ferner aber, dass auch in
Deutschland die teppichwirkerei damals geübt wurde, wenn-
gleich nicht mit so grosser kunst als in Frankreich, gibt Pfeiffer
selber zu. Weshalb könnte also nicht auch ein in Deutsch-
land gefertigter teppich Bligger auf den plan zu seinem Um-
behanc geführt haben? Kommt denn in dieser hinsieht so viel
auf die künstlerische Vollendung des teppichs an? Auch ein
positiver grund lässt sich gegen Pfeiffer anführen. Rudolf von
Ems rühmt Bligger gerade vornehmlich wegen seiner erfindung,
wegen des von ihm ersonnenen planes zum Umbehauc. Un-
möglich konnte er das, wenn jener denselben einfach von
einem französischen dichter übernommen hatte. Denn verbor-
gen würde dem gelehrten, literaturkundigen Rudolf dieser um-
stand nicht geblieben sein, zumal ja überhaupt die mhd. dichter
die quellen, aus denen sie entlehnen, in keiner weise zu ver-
stecken pflegen.
Weiter sollen nach Pfeiffer die bilder einer gewirkten
tapete, darstellungeu aus Ovids Heroiden, dem (französischen)
dichter zur erzählung den stoff" geliefert oder wenigstens —
wie er mit rücksicht auf das bruchstiick hinzufügt — ■ die an-
regung gegeben haben. Diese behauptung zeigt deutlich, dass
Pfeiffer die worte Rudolfs über Bliggers Umbehauc nicht mit
rechter aufmerksamkeit gelesen, ihre bedeutung nicht gehörig
erwogen hat. Es heisst da, der von Bligger für sein gedieht
ersonnene plan {funt) sei so gewaltig, dass alle dichter iusge-
sammt ihn nimmer zu ende zu führen verständen. Dem ge-
dieht sowie dem als dessen vorbild gedachten teppich kommt
seinem plane nach Unendlichkeit zu. Wie kann man also
sagen, dass irgend ein wirklicher, dem leiblichen äuge des
dichters vorliegender teppich demselben zu seinem gedichte den
Stoff gegeben habe? Vielmehr der teppich, dessen bilder
Bliggers Umbehauc beschrieb, hatte niemals eine andere
RUDOLF VON EMS. 177
existenz als in der phautasie des dichters und dann seiner
leser. Es konnte denn auch das gedieht nicht lediglich aus
der Schilderung einer jedenfalls beschränkten anzahl von Situa-
tionen aus Ovids heroideu bestehen, vielmehr enthielt es solche
darstellungen , so sicher nur neben vielen anderen, anderswo
hergenommenen. Auch ist es keineswegs so ausgemacht, wie es
nach Pfeiffers darstellung scheinen möchte, dass die geschich-
ten "s'on Penelope und Oenone, wenn sie wirklich im Umbehanc
mit enthalten waren, auf Ovids heroiden zurückgingen. Hin-
sichtlich der Penelope konnte sich Bligger sehr gut an das an-
lehnen, was sich bei Herbort von Fritslar troj. kr. 17759 ff.
oder ausführlicher in dessen quelle, der destruction de Troyes
von Benoit de Sainte-More findet (vgl. Frommann, Herbort von
Fritsl. u. Benott de Sainte-More in Pfeiffers Germ. II, 336),
um so mehr, als für den weit ausschauenden plan seines
Werkes kurze geschichten wol höchst wünschenswert und an-
gemessen waren. Ueber Oenone findet sich allerdings bei
Herbort nichts und ebensowenig, so viel ich aus den auszügen
Frommanns a. a. o. (vgl. darüber Dunger, die sage vom troj.
krieg. Leipz. 1869. s. 32) ersehe, bei Benoit. Indes so gut der
dichter nach Ovid etwa den abschied des Paris von der Oenone
darstellen konnte, eine scene von ganz modernem Charakter,
die sich bei Konrad von Würzburg troj. kr. v. 775 ff. wirklich
findet: ebensogut konnte er nach dem damals viel benutzten,
allbekannten Dictys die sage widergeben, wie der Oenone beim
aublick der vor sie gebrachten leiche des Paris vor schmerz
das herz gebrochen und sie zugleich mit ihm auf einem Scheiter-
haufen verbrannt worden sei (vgl. Fuchs, de varietate fabularum
Troicar. quaestiones Colon. 1830 p. 138 und Körting, Dictys
und Dares, Halle 1874 s. 43 f.). Auch diese geschichte hat
der fortsetzer Konrads von Würzburg mit hinreichender aus-
führlichkeit zur darstellung gebracht, v. 45623 ff'. Für die
zweite möglichkeit ist aber nicht nur gleiche, sondern sogar
grössere Wahrscheinlichkeit zu beanspruchen, denn in jenem
bilde aus den heroiden ist nicht sowol Oenone als Paris der
handelnde und die hauptperson, und überhaupt dürfte es schwer
halten, aus dem Ovidischen brief eine so eftectvolle scene mit
Oenone als hauptfigur herauszufinden, wie die ist, welche in
Konrads von Wiir/burg trojan. krieg nach Dictys erzählt wird.
Beiträge zur geschichte der deutscheu spräche. UI. 12
178 SCHMIDT
Endlich urteilt Pfeiffer über das Heidelberger bruchsttick,
es enthalte eine frei erfundene, an die antike sage nur noch
durch den namen der heldin und etwa eine hauptsituation er-
innernde geschichte, zu deren ei-findung der dichter durch die
bildliche darstellung der antiken sage auf einem teppich ange-
regt worden sei. Indes diese auffai^sung ist schon an und für
sieh betrachtet eine höchst gezwungene. Die nach sehr be-
kannten quellen von dem teppichwirker dargestellte alte sage
muste auch dem dichter bekannt oder wenigstens erkundbar
sein. Wie sollte er darauf kommen, wenn er die bilder des
teppichs erklären wollte, an stelle jener eine geschichte zu er-
finden, die au sie in nichts erinnerte, die mit ihr, wie Pfeiffer
selbst sagt (s. 61), vielleicht nicht mehr als den namen der
heldin gemein hatte? Doch diese erklärung ist ja schon gänz-
lich zu fall gebracht, da wir die grundlage, auf der sie ruht,
als nichtig erwiesen haben. Der meister, der den Umbehanc
geschatfen, ist ja gar nicht von den darstellungen eines fertigen,
wirklichen teppichs abhängig. Unter diesen umständen er-
scheint es aber nun als völlig rätselhaft, wie die Oenone in
eine geschichte hereinschneit, die mit der betreffenden alten
sage auch keinen einzigen zug gemein hat. Man wird unwill-
kürlich zu der Vermutung geführt, dass hier ein misverständ-
nis oder eine Verderbnis im spiel sei. Auch die Schreibung
des namens A'mune ist auffallend. Dieselbe aus dem griechi-
schen Ohmvri herzuleiten, wie Pfeiffer tut, geht nicht an. Wer
las und verstand denn damals in Westeuropa griechisch? Viel-
mehr müsteu wir unbedingt die form Oenone erwarten, welche
sich bei Thomasin v. 1036 und beim fortsetzer Konrads von
Würzburg a. a. o. findet, oder höchstens Egenoe , wie der letz-
tere selber v. 712. 731. 790 schreibt. Die form Ainune wäre,
wenn sie wirklich mit Oenone identisch sein sollte, nur aus
der nachlässigkeit der abschreiber zu erklären. Doch wer
bürgt uns dafür, dass Mone den nur an einer stelle des bruch-
stücks vorkommenden namen ganz richtig gelesen hat ? *) Viel-
leicht hat ein anderer, vielleicht gar kein eigenname an der
stelle zu stehen, und das ende der zeile gehört schon zu der
rede der ungenannten königin. Vielleicht gelingt es jemand,
•) Die hs. des bruchstücks ist jetzt verschollen.
RUDOLF VON EMS. 179
wie ich in meinem ersten artikel für die zwei Wörter also Ion
den eigennamen Alsoion hergestellt habe, hier den eigennanieu
in ein paar andere Wörter aufzulösen. Auf jeden fall hat die
könig-in Ainune — Oenone mit der heldin der alten sage nichts
zu tun, vielmehr, falls das bruchstück aus dem Uml)ehanc
stanmite, so böte es eine directe Widerlegung der freilich über-
haui)t durch nichts bewiesenen behauptung Pfeiffers, Wacker-
nagels, Jaenickes, ßartschs*), dass jenes gedieht eine reihe
antiker liebesgeschichten enthalten habe.
Durch das eben gesagte ist nun aber auch die von Pfeiffer
behauptete, von Bartsch a. a. o. bestätigte Zugehörigkeit des
bruchstiicks zum Umbehanc sehr i)roblematisch geworden. Was
vornemlich dafür zu sprechen schien, war doch Oenone als
hauptfigur des bruchstiicks. Denn deren geschichte wurde,
wenn Docen mit seiner Vermutung über die schon öfter er-
wähnte stelle Thomasins recht hat, im Umbehanc erzählt. Was
PfeilTer sonst noch anführt, um die herkunft des bruchstücks
aus Bliggers gedieht wahrscheinlich zu machen, ^vird allein
kaum jemanden überzeugen. — Indes wenn Thomasin die
Oenone unmittelbar neben der Penelope nennt, so meint er
sicherlich die antike, troische, die gattin des Paris: von dieser
aber ist die des bruchstiicks nach dem gesagten wol zu unter-
scheiden. Ich trage daher kein bedenken, mich energisch
gegen diese von Bartsch als ausgemacht behandelte Vermutung
Pfeiffers zu erklären. Uebrigens scheint mir auch der Charakter
der darstellung des bruchstücks gegen die beziehung desselben
auf den Umbehanc zu sprechen. Denn die erzählung desselben
fiiesst in breitester behaglichkeit dahin und macht ganz den
eiudruck, als ob das gedieht auf bedeutenden umfang berechnet
wäre. Es ist aber, wie ich schon oben angedeutet habe, nicht
wahrscheinlich, dass Bligger bei der menge von aventiuren,
die er zusammenfasste , so gar breit und ausführlich erzählt
haben sollte.
Unter diesen umständen liegt es nun nahe die frage zu
erheben, zu welchem gedieht denn sonst wol dies bruchstück
*) Was Bartscii in seiner ausgäbe des Meleranz v. Pleier s. 365
üljer das Verhältnis dieses dichters zu Bligger sagt, ist ebenfalls nach
dem obigen zu berichtigen,
12*
180 SCHMIDT
gehören möge. Leider vermag ich dieselbe nicht zu beant-
worten, aber den bei der gegenwärtigen Sachlage einzig mög-
lichen nnd, dünkt mich, erfolg versprechenden weg zu ihrer
beantwortung will ich wenigstens kurz andeuten. Eine haupt-
pcrson des bruchstücks ist der vertraute der königin namens
Willehalm de Punt v. 143. Ferner spielt die in dem bruch-
stiick erzählte geschichte wol auf spanischem boden, in Gali-
cien (v. 43 ff.: manic stolz GaUziün stuont da zühtecliche vor
der küne(jmne 7'iche vgl. Pfeiffer fr. F. 65). Ausgehend von
jenem namen und mit beriicksichtigung dieses umstände«
mtiste es, mein' ich, einem tüchtigen kenner der mittelalter-
lichen Sagenkreise und aller darauf bezüglichen literarischen
hilfsmittel möglich sein, über den stoff unseres gedichts und
den Zusammenhang, in den die erzäldung des bruchstücks ge-
hört, aufkläruug zu schaffen. Es sollte mich freuen, wenn
diese bemerkung dazu den anstoss zu geben vermöchte.
Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, zu den beiden stellen
selbst, die uns über Bligger und sein gedieht auskunft geben,
überzugehen und was über das letztere aus denselben nach
meiner meinung zu entnehmen ist, darzulegen. Zunächst die
stelle aus Rudolfs Alexander. Es scheint mir rätlich, dieselbe
in umschreibender Übersetzung widerzugeben. 'Einen plan
{ßinff, sagt Rudolf, 'der nimmer zu ende geführt wurde, hat
Bligger von Steinach ersonnen. Der plan ist schön (reizend =
los) und so grossartig, dass aller dichter talent ihn nimmer zu
ende zu führen im stände ist. Das ist der schöne Umhang.
Wäre er auch 5000 eilen lang, zu ende könnte man ihn ge-
mäss Bliggers plan damit doch nicht bringen. So lange das
gedieht fortgesetzt, von dem gedieht etwas fertig wird, kann
man die geschichte darstellen, wie jede aventiure angibt. In
folge dessen kann der umhang nie fertig werden.' Also Bligger
führt der einbildungskraft des lesers einen unermesslich grossen
teppich vor. Die bildlichen darstellungen desselben zu erklä-
ren ist die aufgäbe seines gedichtes. Der teppich und also
auch das gedieht ist seinem plane nach unendlich, kann nie
zu ende kommen, der teppich kann nie ganz angefertigt w^erden.
Das legt die Vermutung nahe, dass ihn der dichter, der dies
jedenfalls ebensogut und besser einsah als Rudolf von Ems,
einer seiner leser — dass er den teppich als in der anferti-
RUDOLF VON EMS. 181
gung begriffen dargestellt haben wird. Dafür sprechen auch
die ausdrücke in der stelle Gottfrieds, die wir sogleich be-
trachten wollen. Bliggers plan ging aber vielleicht dahin, die
berühmten liebesgeschichten aller zeiten oder alle berühmten
aA'entiurenstoffe überhaupt kurz darzustellen. Mit irgend welcher
bestimmtheit hierül}er eine meinung aufzustellen fehlt es an
anhält. Natürlich konnte also Bligger selbst das gedieht nicht
zu ende führen, höchstens dürfte er seinem ins unendliche
strebenden bau ein notdach aufgesetzt haben.
Was endlich die stelle aus Gottfrieds Tristan anlangt, so
will ich darüber wenigstens die eine bemerkung hinzufügen,
dass in den gleich zu aufang stehenden versen:
diu stniu wort sint lussam
si worhten vrouwen an der ram
von golde und ouch von siden;
die form dieser auf einem vergleich, einem bilde beruhenden
lobeserhebung wol sicher gewählt ist im hinblick auf die ein-
kleidung des hauptwerks Bliggers, auf den Umbehau c. Damit
erhalten wir also für das aus der Alexanderstelle geschlossene
noch eine teilweise bestätigmig.
HALLE. JOHANNES SCHMIDT.
An den ersten teil der vorstehenden Untersuchung knüpfe
ich noch einige bemerkungen. Die versuche, die möglichkeit
eines deutschen Ortsnamens Alsoion nachzuweisen, können
schwerlich befriedigen. Ferner ist es bedenklich nach der
einen jungen hs. des Alexander die in allen hss. des Wilhelm
überlieferte form Absalon oder Absolon zu ändern. Vielmehr
würden wir, falls wir in also Ion den namen des dichters zu
suchen haben, umgekehrt nach der Überlieferung im Wilhelm
Absolon conjicieren müssen. Da wir darin unmöglich einen
Ortsnamen erkennen können, so müssen wir es als personen-
namen fassen. Die möglichkeit dazu eröffnet sich ohne die
geringste änderung der Überlieferung, wenn wir anders als
bisher construieren. Die stelle lautet im Zusammenhang:
wolde iuch meister Frigedanc
getihtet hän, so wserent ir
baz für komeu danne an mir;
oder von Absalöne
182 PAUL
Mau hat bisher immer, was allerdings zunächst liegt, oder au
den Vordersatz angeknüpft. Es Hesse sicli aber auch au deu
uaehsatz auschliessen , was allerdings nicht streng logisch sein
wurde, aber der natürlichen redeweise angemessen, also 'oder
von Absalou würdet iiir besser zu stände gebracht sein.' Das
einzige störende dabei ist der Wechsel in der construction an
mir — von Absalöne. Aber dieser ist kein absolutes hinder-
nis, und es bietet sich kaum ein anderer weg aus deu Schwie-
rigkeiten herauszukommen ohue die Überlieferung anzutasten,
was bei der reichlichen anzahl der hss. immer l)edenklich sein
würde. Der name Absalou ist wie andere aus dem alteu testa-
mente im mittelalter angewendet worden, wenngleich selten.
Ausser dem bekannten bischof Absalou von Roeskild fühieu
ihn ein abt von St. Amand 1124 — 1146, welcher in verschie-
denen geschichtsquellen erwähnt wird Mon. ÖS. VII, 15, 9.
VIII, 395, 38. XIV, 558. XXI, 323, 30; ferner ein abt von
Stablo, der fünfzehnte in der reihe der äbte dieses klosters
nach dem Verzeichnis, welches Wattenbach Mon. SS. XI, 292
gibt ; endlich eiu Böhme, der nach dem Chronicon veteris colle-
giati Pragensis (Fontes rer. Austr. SS. 2, 99) im jähre 1438
mit andern böhmischen cdelleuten von Deutscheu gefaugeu ge-
nommen und später in Meissen gesteinigt wurde. Vermutlich
werden sich noch einige mehr ausfindig machen lassen. Doch
lässt sich schon nach den angeführten die existenz eines dich-
ters Absalou im dreizehnten Jahrhundert nicht als unmöglich
von der band weisen. Hierzu würde sich nun die stelle im
Alexander recht gut fügen, ohne dass wir die immerhin seltene
Vertretung der person durch den namen des heimatsortes an-
zunehmcu brauchten. Ich will indessen nicht unterlassen dar-
auf liiuzuAveisen , dass sich vielleicht nach einer ganz andern
richtung hin eine möglichkeit eröffnet, die Schwierigkeiten
dieser stelle zu lösen. Ich halte es mit Schmidt für unbedingt
notwendig, dass der friimt bestimmt bezeichnet wird. Dies
würde der fall sein, wenn wir interpungieren :
sin hebete min friiiut also Ion
an gefüeger Sprüche don
(die sint genuoc guot unde reht),
von Kemenät her Albreht:
des knnst gert witer schouwe.
RUDOLF VON EMS. 183
In don müssen wir wol beziehung- auf sangbare, strophische
dichtungen erkennen, und das würde auf Albrecht passen.
Einen vollkommen befi-iedigenden sinn vermag ich freilich in
den ersten Worten nicht zu finden. Zweifelhaft bleibt, ob hebele
von haben oder von heben abzuleiten ist. Es Hesse sich viel-
leicht entscheiden, wenn uns Rudolfs werke vollständig- vor-
lägen, also müste jedenfalls in dem sinne von ^ebenso' ge-
nommen werden = alsatn. Gewöhnlich sagt man allerdings
in diesem sinne also ouch oder ouch also. Doch auch das
das einfache also oder als genügt, wie folgende stellen zeigen,
die im nihd. wb. II ■^, 463 a. 42 if. mit andern untermischt
stehen: Walth. 35, 19 st sehent mich bi in gerne, also tuon ich
sie. Parz. 716, 6 du soll im sin ungemach wenden : also sol er
dir. Nib. 1106, 1. Trist. 12032. Iw. 4260. MF. 10, 2. Stricker
kl. ged. 8, 31 und bei Rudolf selbst Bari. 17, 31 er sagete mir,
er wolde sich münechen. db besanle er mich und bat mich daz
ich tcete also. Will etwa der dicliter sagen: dafür (d. h. fin-
den rat, den er mir erteilt) würde mein freund gleichfalls lohn
haben, dank ernten?
FREIBURG i. Br. H. PAUL.
ZUR IWEINKRITIK.
üerr professor Zacher hat neulich in seiner Zeitschrift
VII, 175 ff. bei gelegenheit der besprechung einer stelle in
Hartmanns Iwein veranlassung genommen, sich gegen die kritik
zu ereifern, die ich in diesen beitragen I, 288 ff. gegen Lach-
manns ausgäbe gerichtet habe. Als ich dieselbe veröffentlichte,
war es meii> eifrigster wünsch, dass sie auch von entgegen-
gesetzter Seite besprechung linden möchte, damit dadurch die
widersprechenden ansichten geklärt und gesichtet würden und
die Wahrheit für das unbefangene urteil an das licht käme.
Solchem wünsche scheint nun Zachers aufsatz entgegen zu
kommen. Aber er scheint es nur, wie sich bei näherer be-
trachtung zeigt. Er unternimmt es nicht, den von mir vorge-
brachten argumenten nachzugehen und ihr gewicht durch trif-
tige gegengründe zu entkräften, sondern er begnügt sich an
einem nach seiner meinung einleuchtenden beispiele recht
weitschweifig zu zeigen, wie sehr ich mich mit meiner kritik
verritten habe, um sich dann in gemeinplätzen gegen mich
zu ergehen. Wie es scheint, meint er damit meine anfech-
tungen von Lachmanns ausgäbe abgetan zu haben.
Sehen wir uns einmal die stelle an, um die es sich zu-
nächst handelt. Es ist die Schilderung der verschiedenen Ver-
gnügungen an Artus hofe gleich zu anfang des gedichts. Die
hier für uns in betracht kommenden verse lauten in Lach-
manns erster ausgäbe:
männeclich im die vreiule nam
der in do aller beste gezam,
dise sprächen wider diu wtp, 65
dise banecten den 11p,
ZUR IWEINKRITIK. 185
dise tantzten, dise siingen,
dise liefen, dise Sprüngen,
dise horten scitspil,
dise schuzzen zuo dem zil, 70
dise retten von seneder arbeit,
dise von grözer manlieit.
In der zweiten ausg-abe hat Lachmanu retten in z, 71 nach A
gestrichen gegen die Übereinstimmung aller ti))rigen [ßDabcd,
wozu noch die Rostocker und Dresdener papierhandschrift
kommen), und dann die reihenfolge von 69. 70, welche in A
fehlen, mit bc umgekehrt gegen BDad und die Rostocker und
Dresdener hs. Ich habe den text der ersten aufläge recon-
struiert, nur dass ich ausserdem auf grund der handschrift-
lichen Überlieferung vermutet habe, grozer in z. 72 möchte ein
späterer zusatz sein. Also die wideraufnahme der ursprüng-
lichen herstellung Lachmanns ist das grosse verbrechen, wegen
dessen Zacher sich für berechtigt hält meine ganze kritik zu ver-
urteilen. Zacher spricht mir eine richtige Würdigung der motive
ab, durch die Lachmann in der zweiten ausgäbe zu seiner
änderung geführt ist, und beschuldigt mich s. 185, seinen eigent-
lichen und wahren beweggrund verschwiegen zu haben, näm-
lich den metrischen anstoss in z. 71. Ich weiss nicht, ob da-
mit gesagt sein soll, dass ich so einfältig gewesen sei den-
selben nicht zu sehen, oder so unredlich, absichtlich darüber
hinwegzugehen. Icli habe natürlich keinen meiner leser für so
unfähig gehalten, dass er erst auf diesen grund müste auf-
merksam gemacht werden, und habe daher hier so wenig wie
an den meisten übrigen stellen etwas über die metrisclien mo-
tive Lachmanns bemerkt. Zacher dürfte auch keine bemer-
kungen darüber vermissen, wenn er von der einleitung zu
meiner al)handlung auch das, was er nicht citiert, gelesen hat.
Denn da ist doch auf s. 290 deutlich genug gesagt, dass es
meine absieht wäre, zunächst unbekümmert um die metrischen
regeln durch kritische si(?litiing der Überlieferung und erwäguug
des vom zusammenhange geforderten sinnes den wahrschein-
lich echten text zu ernnttoln, dass ich mir aber eine nicht
bloss auf den Iweiii eingeschränkte prüfung der gesammten
Lachmannschen metrik für eine spätere zeit vorbehielte, die
dann wider zur bestätigung meines kritischen Verfahrens dienen
sollte. Es ist mir durch die umstände noch nicht vergönnt ge-
186 PAUL
wesen mein damals gegebenes wort einzulösen, aber ich habe
mein vorhaben keineswegs aufgegeben, und man wird leicht
in meiner Gregoriusgabe und den seitdem in diesen beitragen
erschienenen kritischen aufsätzeu vorarbeiten dazu erkennen.
Ich gedenke dann seiner zeit auch eine hinlängliche anzahl
gut beglaubigter aualogieen für die kürzung i^ettn, wenn man
es graphisch bezeichnen will, beizubringen. Dass gerade das
nämliche wort in dieser kürzung noch einmal vorkomme, wird
niemand als notwendig beanspruchen. Weder vier hebuugeu,
noch Vereinfachung der consonanz in retten noch sogenannte
schwebende betonung nehme ich au, welche drei eventualitäten
Zacher als unmöglich zu erweisen sich bemüht.
Ich konnte mich mit der lesart der zweiten ausgäbe nicht
einverstanden erklären, weil sie, abgesehen davon, dass sie
etwas gekünstelt ist, in zwei punkten von der entschieden
bestbeglaubigten Überlieferung abgeht. Zacher will sich nun
bloss in dem einen punkte, der tilgung von retten an die zweite
ausgäbe anschliessen , behält dagegen mit den meisten hss.
die Stellung v. z. 69. 70 aus der ersten bei. Durch eine neue
erklärung glaubt er erst das richtige verstäudnit; für die stelle
gewonnen zu haben. Nämlich von in z. 71. 72 ist causal zu
fassen; im vorhergehenden sind die teilnehmer des festes in
zwei gruppen geteilt, welche abwechselnd je in einer zeile
vorgeführt werden, die eine, welche der neuen aus Frankreich
gekommenen mode der höfischen Unterhaltung huldigt, was
Hartmann durch senediu arbeit bezeichnet, die andere, welche
grösseres gefallen findet an der altheimischen pflege des
Waffenhandwerks, was der dichter durch groziu manheit aus-
drückt. Zacher malt die Symmetrie, welche die ganze periode
durchziehen soll, bis ins einzelste aus. Er wundert sich, dass
ein so scharfsinniger kritiker wie Lachmann nicht schon auf
dieselbe idee gekommen ist. Ich muss gestehen, so wenig
respect vor Lachmann mir auch Zacher zutrauen mag, so viel
habe ich gewis, dass ich mich über das gegenteil wundern
würde. Denn erstens müsten die beiden gruppen, wie es auch
im nhd. nicht anders sein kann, unbedingt durch Verschieden-
heit des pronomens {dise — jene) geschieden sein, da sonst die
gliederung und insbesondere die beziehung der causalbestim-
mungen auf diese gliederung gar nicht zu erkennen ist. Zwei-
ZUR IWEINKRITIK. 187
tens, wenn das aueh nicht notwendig- wäre, so würden wenig-
stens z. 67 und 68 jede für sich eine gegenüberstelluug der
beiden grui^pen enthalten, also dise tantzten und dise liefen
der seneden arbeit, dise siingen und dise sprungen der grbzen
manheit entsprechen. Zachers annähme verlangte dise lanzten
unde (oder) sungen, dise (oder vielmehr /ewe) liefen mide {oder)
Sprüngen. Drittens passt senediu arbeit gar nicht als motiv für
die erste gruppe. Der ausdruck kann durchaus nichts anderes
bedeuten als 'liebespein'. Nun bezieht sich aber von den vier
aufgezählten beschäftigungen eigentlich nur die erste auf die
liebe. Um am tanzen, am gesang, am anhören von saitenspiel
vergnügen zu linden, In-aucht man doch nicht verliebt zu sein.
Und besonders merkwürdig ist, dass man vor liebesweh tanzen
soll. Ich fasse hier nui- in bestimmte worte, 'was, meine ich
ein einfaches gesundes gefiihl einem jeden unbefangenen sagen
wird, dem Zachers erklärung vorgeführt wird. Wenn aber die
echte kritik etwas anderes lehrt, so verzichte ich auf diese
kunst.
Es ist mm aber auch noch ausserdem zweierlei gegen
Zacher und für meine auft'assung zu bemerken. Nemlich ein-
mal widerspricht der französische text. Zacher weist zwar
eine heranziehung desselben zur vergleichung zurück, weil der
dichter sich hier ganz frei bewege. Aber wenn Hartmann
auch Clirestiens Schilderung aus eigener phantasie erweitert
hat, so bleibt diese doch immer die vorläge, von der er aus-
gegangen ist, und es liegt kein grund vor, was wir im deut-
schen entsprechendes finden, nicht auch daraus abzuleiten.
Und so ist es doch mindestens in hohem grade wahrschein-
lich, dass die worte dise rettn von seneder arbeit, dise von
\grdzer] manheit diesen versen Chrestiens entsprechen:
li un vecontoient noveles,
li autre parloient d'amors,
des angoisses et des dolors etc.,
gerade wie die vorhergehenden Zeilen
eil Chevalier s'atropelerent
la Oll dames les apelerent
ou dameiseles et i^iiceles
frei und abkürzend widergegeben sind durch dise sprächen
tvider diu wip. Zweitens aber ist eine andere auft'assung der
188 PAUL
liicke in A möglieh. Laehmann gibt in den Varianten zur
ersten ausgäbe an: 69.70 fehlen A. 71 reiten fehlt A, sodass
also zwei litcken angesetzt werden. Wir können statt dessen
aber auch sagen: hörten 69 — retten 71 fehlt, so dass wir
nur eine liicke haben, deren anfang und schluss nicht mit an-
fang und schluss eines verses zusammenfällt. Von dieser art
nun sind die meisten lücken in A, wie ich s. 292 bemerkt
habe, wo die einzelnen fälle aufgezeichnet sind. Bei der m ehr-
zahl ist das überspringen von einem gleichen worte auf das
andere die veranlassung, einige male aber hat die auslassung
auch ohne einen solchen grund stattgefunden; 4388 — 9. 4793 — 5.
7194. 5. Es ist daraus mit grosser Wahrscheinlichkeit zu
schliessen, dass das original von A noch die verse nicht ab-
gesetzt hatte. So hätten wir also eine befriedigende erklärung
für das fehlen von retten in A, und es ist um so weniger ge-
wicht darauf zu legen.
Was nun die weiteren, nicht auf die erklärung dieser
stelle bezüglichen bemerkungen Zachers betrifft, so enthalten
sie eine polemik höchst bedenklicher art. Statt auf die sachei
um die es sich handelt, einzugehen, berufen sie sich immer
wider ganz im allgemeinen auf die Vollkommenheit der Lach-
mannschen methode, verlangen also blinden autoritätsglauben,
der auf die prüfung des einzelnen verzichtet. Für Zacher
scheint Lachmann immer der eine, absolut consequeute und
unfehlbare zu sein, bei dem sich nicht wie bei gewöhnlichen
menschenkiudern ivrtum mit der Wahrheit mischen kann. Daher
kann er es nicht begreifen, wie man ihn einen grossen kritiker
nennen kann und doch viel au ihm auszusetzen findet. Daher
sieht er die einleitenden bemerkungen zu meiner abhandlung,
die sich doch nur, soweit dies nicht ausdrücklich bemerkt ist,
auf die Iweinausgabe beziehen, seltsamer weise so an, als
hätte ich damit eine Charakteristik der gesammten kritischen
tätigkeit Laehmanns geben wollen. Ich muss ihm da ent-
gegenhalten, dass ich (und nicht ich zuerst und allein, sondern
viele andere vor und mit mir) in Lachmanns verfahren nicht
so durchgängige consequenz finde, sondern manche Wider-
sprüche, die beseitigt werden müssen. Ich sehe in Überein-
stimmung mit der gewis bei den klassischen philologen allge-
meinen ansieht, die hauptbedeutung Lachmanns für die ent-
ZUR IWEINKRITIK. 189
Wickelung der pliilologie darin, dass er gegenüber der subjec-
tiven conjekturalkritik und dem willkürlichen eklekticismus die
richtige Würdigung der objectiven grundlagen und die metho
dische benutzung der handschriften durch lehre und beispiel
in den Vordergrund gestellt hat. Aber das ist nicht das ein-
zige moment in Lachmanns kritik. Es kommen natürlich auch
für ihn beobachtungen des sprach- und versgebrauches, logische
und ästhetische erwägungen in bezug auf sinn und Zusammen-
hang in betracht. Es fällt mir nicht ein zu leugnen, dass
Lachmann auch nach dieser seite hin grosse Verdienste hat
und insbesondere um unsere deutsche philologie das unschätz-
bare, die erste anregung zu aller eigentlich kritischen Über-
legung gegeben zu haben. Aber ich kann seiner tätigkeit in
dieser richtung nicht dieselbe unbedingte anerkennung zollen
wie den von ihm aufgestellten grundsätzen für die benutzung
der handschriftlichen unterläge. Und nun haben die subjec-
tiven demente in seiner kritik da, wo sie in widersprach ge-
rieten mit der objectiven grundlage, nicht selten den sieg da-
von getragen, so dass er seinen eigenen principien untreu ge-
worden ist. Das ist vor allem in der Iweinausgabe der fall.
Das war es, was ich zu zeigen versucht habe. Zacher braucht
nur mit den in der anmerkung zu s. 204 gegen mich citierten
äusserungen Lachmanns die kritischen maximen zu vergleichen,
die ich selbst in meiner abhandlung ausgesprochen und durch-
zuführen versucht habe, und er wird die vollkommenste Über-
einstimmung finden, dagegen Widerspruch, wenn er Lachmanns
eigenes verfahren dagegen hält. Hier wie anderwärts ist es
mein bestreben gewesen, die objectiven grundlagen der kritik
gegen subjective willkür zu verteidigen, und keine Verdächti-
gung meiner motive wird mich abhalten, diesem bestreben treu
zu bleiben. Zacher dagegen scheint nur gerade das subjective
in Lachmanns kritik zu schätzen. Er spricht s. 202 mit Ver-
achtung von meiner ' Variantenstatistik', mit der der kritiker
ebensowenig einen kranken text heilen könne wie der arzt mit
einer Statistik der physiologischen zustände den kranken men-
schen. Dieser nicht gerade sehr passende vergleich ist recht
unglücklich gewählt. Denn ich könnte im bilde bleibend ant-
worten: aber diese Statistik ist die notwendige Vorbedingung,
nach welcher erst das heilverfahren gefunden werden kann,
190 PAUL
uiul die erfülluug dieser vorbeding-iiüg- ist von Laehmann ver-
absäumt worden und er hat deshalb auch nicht den richtigen
weg zur lieilung einschlagen können. Und wenn Zaclier die
Wahrheit gesteheu will, so wird er zugeben müssen, dass ich
nicht bloss eine äusserliche Statistik gegeben habe, dass ich
auch bemüht gewesen bin, auf den sinn des dichters einzu-
gehen, dass ich gegen Lachmanns metrische conjecturen und
bevorzugung einzelner hss. nicht bloss das handschriftenverhält-
nis geltend gemacht habe, sondern ebenso gedankenzusammen-
hang, vergleichung mit dem französischen texte u. s. f., und
dass ich innere und äussere kriterien in Zusammenhang und
Übereinstimmung zu bringen versucht habe. Etwas anderes
wäre es, wenn Zacher zeigte, dass meine Überlegungen und
Zusammenstellungen, die ich keineswegs als durchgängig sicher
hingestellt habe, nicht richtig gemacht wären, dass ich zwar
von unzweifelhaft auch nach Lachmanns sonstiger lehre rich-
tigen principien ausgegangen wäre, dieselben aber falsch au-
gewendet hätte, dass es doch noch eine von mir übersehene
möglichkeit des verwantschaftsverhältnisses der hss. gäbe, wo-
nach Lachmanns verfahren sich rechtfertigen Hesse. Aber zu
einer solchen sachlichen behandlung der frage hat Zacher
auch nicht den geringsten versuch gemacht, und daher weiss
ich nicht, inwiefern ich meine ansieht durch ihn in irgend
welcher weise erschüttert sehen könnte.
Eine eingehende erörterung der metrischen Streitfragen
verspare ich, wie bemerkt, auf eine spätere gelegenheit. Hier
nur noch ein paar bemerk ungen über Zachers Verteidigung der
Lachmannschen regeln. Dass dieselben nur aus verhältnis-
mässig wenigen willkürlich ausgewählten werken geschöpft
seien, erklärt er für eine ganz falsche behauptung. Aus der
gesammten alt- und mittelhochdeutschen poesie habe Lachmann
seine metrik gezogen (also wol auch aus demjenigen teile der-
selben, den er noch nicht kannte und nicht kennen konnte?).
Zum beweise dafür führt Zacher an, dass Lachmann bereits
im jähre 1822 die reime von 29 mittelhochdeutschen werken
ausgeschöpft hatte. Ich möchte wol wissen, was diese nach
andern selten sehr verdienstliche arbeit Lachmanns mit den
von mir bekämpften regeln für den Innern vers zu tun hat.
Ich habe ferner nicht behauptet, dass Lachmann sich um den
ZUR IWEINKRITIK. 191
Versbau selir vieler ihm zugänglichen werke gar nicht geküm-
mert habe, sondern nur, dass er eine sehr beschränkte zahl
als mustergiltig aufgestellt hat. Zum beweise meiner behaup-
tung brauche ich nur die in diese zahl aufgenommenen dichter
oder gedichte aufzuführen: Hartmann, Wolfram, Walther, Nibe-
lungenlied, Klage, Wigalois und zwei dichter sehr untergeord-
neten ranges, Ulrich v. Zatzichoven und Ulrich von Türheim.
Schon nicht ganz correct ist Konrad Fleck. Dabei ist noch
zu bemerken, dass Wolfram zwar im übrigen die complicierten
regeln sorgfältig beobachten soll, aber in bezug auf kürzungen
ziemlich unbeschränkt ist, so dass dergleichen metrische roh-
heiten, wie sie Zacher in reWi sieht, bei ihm massenhaft zu
finden sind. Auch andern von den erwähnten dichtem wird
darin manches nachgesehen. Dagegen sind z. b. Heinrich von
Veldeke und Gottfried von Strassburg in der metrik arge
Stümper und auch Rudolf von Ems und der so peinlich genaue
Konrad von Würzburg lassen sich vieles zu schulden kommen.
Ist das nicht willkür? Sehr kühn endlich ist die behauptung
Zachers, Lachmanns regeln seien nichts anderes als eine ge-
ordnete Zusammenstellung der metrischen tatsachen. Wenn
die Sache so einfach wäre, so wüste ich nicht, wo ich das
verdienst Lachmanns sehen sollte, ausser in dem sammelfleiss.
Ist denn nicht auch l^ei ganz sicher und richtig überliefertem
texte in unzähligen fällen noch die möglichkeit zu einer ver-
schiedenen auflfassung des Versbaues? Da liegt nichts auf
flacher band. Da bedarf es der umsichtigen, durch keine vor-
gefasste meinung getrübten erwägung aller möglichkeiten , der
sorgfältigen, wolmotivierten Scheidung von zufall und absieht,
an der es Lachmann ganz hat fehlen lassen. Und nun kommt
noch die Unsicherheit und das schwanken der Überlieferung,
welche es dem metriker sehr erleichtert, alles nach seinen
regeln zu zwängen, zumal wenn er sich gestattet, die sonst
geltenden kritischen grundsätze mit füssen zu treten. Wahr-
lich, es ist noch nicht zeit, auf den lorbeeren Lachmanns träge
auszuruhen, was freilich das bequemste wäre. Es fehlt noch
viel daran, dass wir es so herrlich weit gebracht hätten, wie
es nach Zacher der fall sein müste.
Doch ich habe vielleicht mit dieser erwideruug schon zu
viel papier verschwendet, mehr als ich vor den leseru dieser
192 PAUL
beitrüge verantworten kann. Es ist zu besorgen, dass Zacher
mit einer solchen Verteidigung- der Iweinausgahe seiner sache
einen schlechten dienst geleistet hat und dass er auch bei
denen wenig dank ernten wird, die mit ihm an Lachmanns
autoi-ität unerschüttert festhalten.
FREIBUKG i. Br., Juni 187Ö. H. PAUL.
ZUM EREC.
44 daz getwerc enwolte ir niht sagen
unde hiez si stille dagen
uude daz si in vermite :
si enweste war nach si rite.
Die letzte zeile ist sinnlos. Durch Bechs weglassung von
nach wird nichts gewonnen. Er scheint nach seiner erklärung
die zeile nicht mehr zur rede des zwerges zu ziehen. Wenn
aber si enweste hauptsatz wäre, könnte nicht fortgefahren wer-
den diu magst, wodurch offenbar ein neues subject hervor-
gehoben wird. Ich glaube es ist ez enweste zu lesen, auf
den zwerg bezogen. Es entsprechen doch wol die worte
Chrestiens 205 ca ne sai ie qu'ä faire aiez, wozu noch zu ver-
gleichen ist 165 qu'alez vos ceste pari querant.
76 er sprach 'nü mugt ir mir gesagen. Hinter ir hat die
hs. weniger man, was von Haupt aus metrischen gründen ge-
strichen ist. Aber bei Chrest. redet Erec den zwerg an nains
enuions. Man vergleiche ausserdem 119 ein sus wenec man.
Wenn man eine metrische nachhülfe für nötig hält, so ist
jedenfalls die ausstossung von nü w^eniger bedenklich.
80 iwern herren sult. ir mir nennen:
min frouwe wolde in erkennen
und daz schoene magedln.
Ich weiss nicht, ob Haupt und Bech magedln als subject
oder als object genommen, auf die Jungfrau der königin oder
die gefährtin des fremden ritters bezogen haben. Ersteres
würde man aus den werten am natürlichsten herauslesen, letz-
teres wird nach 26 erwartet: 7ver der ritter müge sin und sin
geverte daz magedln. Es wird das kolon hinter 80 zu streichen
und 81 in klammer zu setzen sein.
ZUM EßEC. 193
121 und ich im daz muoz vertragen. Die hs. m,ust\ es
liegt gar kein grund zur ändevung in das praes. vor,
;}62. 3. Besser wol der punkt hinter phlac und hinter Lac
ein komma.
372 mit samite bezogen;
dem daz golt was unerlogen
daz daz bette ein man nie möhte erwägen.
dem soll nach Haupt und Bech auf heite bezogen werden.
Ich glaube kaum, dass dies möglich sein wird, wenn man
nicht mit Bech das erste daz gegen die hs. streicht. Aber
wozu das ? Kann man nicht einfacher dem auf samite beziehen ?
417 und swä si der habe misten,
ir not si bedahten
mit ziihten swä st mähten.
Das doppelte swä ist störend. Man lese statt des zweiten srvie.
705 sin welle diemüete j'ehen. Statt dieser conjectur Lach-
manns hat Bech gewis mit recht in näherem anschlusse an
die hs. gesetzt esn wellen in die Hute jehen, wenn man auch
nicht sicher sein kann, daran gerade den genauen Wortlaut des
ursprünglichen textes zu haben. Nur muss die zeile zum vor-
hergehenden und niclit zum folgenden gezogen werden. Es
kann nicht davon die rede sein, dass es von dem belieben der
leute abhängt, ob der kämpf stattfindet Vielmehr ist die
meinung, dass die leute dem Yder den sperber zugestehen,
wenn sie ihn als sieger im kämpfe erkannt haben.
728. 9, Der ausdruck gewinnt sehr, wenn man statt da
— sä dö — so setzt.
797. Besser vielleicht schoene statt schöne, so dass dann
auch gar als adj. zu fassen ist.
1259. e7-n müeze der wärheite jehen kann nicht heissen
Svoferu er die Wahrheit sagen will', sondern nur 'es sei denn,
dass er die Wahrheit sagt', was an dieser stelle widersinnig
ist. Die hs. hat er muss. Vielleicht muoz er vgl. muoz ich
leben Parz. 590, 30. Wh. 210, 6.
1359. 60. Besser hinter war ein punkt, hinter guotes ein
komma. Wir haben dann die beliebte gegentiberstellung von
guot und muot.
1386. Statt der conjectur Imäin ist die handschriftliche
lesai-t Ein man wider lierzustellen. Der dichter will doch nicht
Beiträge zur geschichte der dcut&cheii spräche. 111. 1<J
194 PAUL
sagen, dass Imain, der die kosten zur bewirtung gab, sieh be-
t<ondcrs amüsierte, sondern ein jeder, de)b fr enden nie verdräz,
d. li. der empfänglicli war für freude.
1516. Lucdns der schenke in der schar. Die hs. hat
schein hinter schenke ^ welches von Pfeifler und Haupt ledig-
lich aus metrischen gründen gestrichen ist. Aber nach dem
?■ /u des französischen erwartet man ein verbum , und schinen
in der bedeutung 'sich zeigen', überhaupt 'vorhanden sein' ist
Hartmann geläufig cf. Greg. 240 si schein in unmuote; Iw. 3120
der nietider in den siten schein; vgl. auch Iw. 3956. 4280.
1525. Für daz ist wol da zu lesen.
1567. Das überlieferte mil mantele behangen brauchte wol
nicht geändert zu werden.
1606 s6 was üzer strite
diu frouwe Enlte
diu aller schoeneste magt.
Schwerlich kann üzer strite = äne strit gebraucht werden.
Wenn wir nun beachten, dass 1607 statt diu die hs. bietet es
was die und dazu die von Haupt angezogene stelle des Wig
vergleichen, so ergibt sich, dass der ursprüngliche text wol
lautete: so was ez üzer strite : ez was diu etc.
1730. 31. Besser das ausrufungszeichen nach nam und
ein komma nach gezam.
1810 und 1820 hat die hs. U sinem boten, während Haupt
ohne not den plur. slnen herstellt. Die richtigkeit des sing,
beweist 1470 swenn im sin böte quoinie.
1811 ist vielleicht besser in klammer zu setzen, dahinter
ein komma und das kolon hinter hüs zu streichen, so dass
zwene souincere apposition zu guot ist.
1884. Die verschiedenen besserungsversuche sind unbe-
fi'iedigend; vielleicht vor dem da von {von dem da die hs.).
2266. 7 sind wol zu lesen: swaz aber im des gebrast, daz
meinde (daran war schuld), er was da ein gast {Er maynet dass
er was da ein gast die hs.).
2309. Man kann sich nicht vorstellen, wie die buckel
zerbreit sein soll. Dies epitheton kommt den buckelstäben zu.
Daher ist das kolon hinter zerbreit zu streichen und ein komma
hinter ris zu setzen.
2484. Ich möchte vorschlagen, mit möglichstem anschluss
ZUM EREC. 195
an die hs. 7a\ lesen des wart grcezliche gejehen. im was des
ähents geschehen, da von er pris bejagte.
3017. Wol ir vor dienest einzuscliieben.
3110. Die klammer ist zu streichen, davor ein komma,
daliiiiter ein punkt zu setzen. Erec will doch auch schon am
tage nach aveniim^e wäne.
3222. Was berechtigt zu der conjectur kei^i antwurten bot
statt kein antwurt enbot {empot die hs.)?
3303. Diese zeile ist doch wol nur deshalb für schlecht
erklärt und verworfen, weil sie metrischen anstoss erregte.
Von selten des sinues ist nichts an der Überlieferung auszu-
setzen.
4187. Bech hat wol mit recht die Überlieferung wider
hergestellt. Nur wird ein iu hinter si einzuschieben sein.
Nach 1317 ist eine lücke anzunehmen und in 4318. 19 ist
dadurch die Überlieferung gestört. Es muste geschildert wer-
den, auf welche weise Erec mit dem Guivreiz zusammentrift't,
wie ihn Enite zueist erblickt und ihren mann warnt, was aus-
führlich im französischen texte berichtet wird 3651 — 3750.
Nach der Überlieferung ist es eine starke Zumutung, er in 4318
auf Erec zu beziehen. Die werte als si in gewarnet hcete setzen
doch wol voraus, dass diese warnung bereits erzählt wor-
den ist.
4348. durch sinen spot ist jedenfalls falsch , denn Erec
spricht ganz ernsthaft. Eher könnte man äne spät erwarten.
4636. gevieret ist conjectur für gemeret. Bech erklärt es:
Vierfach geteilt oder vierfach zusammengesetzt, vier verschie-
dene selten zeigend, nämlich treue und untreue, kühnheit und
feigheit.' Aber kann man das wol als vier einander coordi-
nierte eigenschafteu fassen, welche dem herzen eines mannes
anhaften? Der dichter will doch sagen, dass sich in Keiis
herzen grosse gegensätze vereinigten, dass er eine doppelseitige
natur Avar; er will eine Zweiteilung, nicht eine vierteilung be-
haupten. Haupt selbst scheint nach den angezogenen parallel-
stellen gevieret als ^beständig, unwandelbar' zu fassen. Das
passt aber doch nicht auf den gerade sehr wandelbaren Cha-
rakter Keiis. Vielleicht ist geparrieret zu lesen.
4717. Statt Haupts conjectur snelle ist das überlieferte
seine wider herzustellen: wiewol er das allerbeste ross hatte,
13»
196 PAUL
kehrte er doch so langsam zurück, dass Ercc folgen konnte
(auch ie für m 4719 wird heizubchalten sein; besser wäre
allerdings uoch Bechs coujectur er ervolget). In Haupts texte
erkennt man weder einen gegensatz, der doch durch doch in
4714 bezeichnet sein muss, noch begreift man wie es eine
folge der Schnelligkeit Keiis sein kann, dass Erec ihm folgt.
Bech ändert zu gewaltsam.
5175. An der Überlieferung so fuor si hin und schein doch
sä wird nichts zu ändern sein {doch da Haupt, dort sä Müller,
Bech 2): 'sie fuhr fort und zeigte sich doch alsbald', d. h. 'sie
kehrte alsbald zurück'. Diesen sinn verlangt 5169—72^ wozu
hier nur eine weitere erläuteruug gegeben wird. Haupts con-
jectur würde nach seiner erklärung auf dasselbe hinauskommen,
aber er muss erst eine künstliche deutung hinzufügen, die
schwer aus den Worten herauszubringen ist.
5437. Besser wol iu statt iuch, von leide abhängig.
5812 ist statt im, welches von Müller und danach von
Bech in der zweiten ausgäbe gestrichen ist, das überlieferte
niht herzustellen und dann ein komma hinter gezimt zu setzen.
Der sinn von 5808 — 14 ist: 'habe ich mich in irgend einem
stücke gegen meinen mann vergangen in ungehöriger weise,
und nimmt mir ihn dann deine gewalt, so erkenne auch ich
an, dass mir das gebührt.
6894. Der mäne bot in schmie naht der do was unbedaht.
Die hs. hat der do der wölken was bedackht. Bech macht dar-
aus der wölken was endaht. Dass aber der entgegengesetzte
sinn, wie ihn die Überlieferung gibt, richtig ist, lehrt Chrest.
4965 qu'en l'ombre d'une nue brune s'esloit esconsee la lune.
Es wird nur der in von oder mit zu verwandeln sein.
7244. Statt vol ist wol nach der hs. herzustellen. Ebenso
7293. 8364. Vgl. meine aum. zu Greg. 895.
7361, Ist nicht für vezzel das überlieferte vizzel beizu1)e-
halten? vgl. vizzelvech und hohevizzelich im mhd. wb.
7469. 70. Besser ein komma nach began und nach meister-
7691. Die frage ist sonderbar affectiert, und der ivlze
schhi kann doch nicht veste vnde spcehe genannt w^erden. Es
wird dar umbe zu setzen sein und die Interpunktion davor und
dahinter zu streichen, veste unde spa^he ist dann auf rinke zu
beziehen.
ZUM EREC. 197
7752. 3. zwischen den gehangen, guole goltklangen. Haupt
bemerkt, dass er die reimenden Wörter nicht geändert habe,
obwol er sie nicht nachweisen könne. In der ersten ausgäbe
^st gehenken — goltklenken. Auch diese Wörter sind im mhd.
nicht nachzuweisen ; es ist damit weiter nichts gewonnen , als
dass man in gehenke allerdings eine mögliche und im nhd.
wirklich vorhandene bildung hat, während gehanc wol kaum
denkbar ist. Aber einfacher wird durch änderung der Inter-
punktion geholfen: ein komma nach 7751, der punkt hinter
gehangen gestrichen und hinter goltklangen ein kolon. gehangen
ist i)artic. und den bezieht sich auf die einlif.
8329. Die Überlieferung kann beibehalten werden.
FREIBURG i. Br., Juni 1875. H. PAUL.
NACHTRAG
(zu s. 38 f.).
Bei der oben s. 38 f. gegebeneu ausführung über die
indogermanische eudung des acc. plur. consonantiseher stamme
ist mir folgendes entgangen: im kretischen sind acc. plur.
solcher stamme auf -avq inschriftlich überliefert, nämlich (poLvix-
avc, und weniger sicher tfißaXXovz-avg, <jrar7]Q-avc,. Vgl. Hey
de dial. Cret. diss. inaug. p. 50. Diese scheinen meiner an-
nähme, das gemein -griechische suffix -aq des acc. plur. sei
nicht aus -ans hervorgegangen, zu widersprechen. Jedoch ist
folgender ausweg möglich.
Das kretische rettete in allen seinen Aocalischen declina-
tioneu den alten ausgang des aec. plur. auf vg : es hatte (UiQvä-
vq , jiQsiyevzd-vc, t6-i>c, avro-vg u. a., die erhalten sind, und
unzweifelhaft auch solche wie *jt6Xi-vg, ''"ly&v-VQ, die uns
nicht erhalten sind. Neben allen diesen acc. plur. stand ein
entsprechender acc. sing, auf -v. Da nun, wie es Hey a. a. o.
p. 49 anm. 2 an einigen bei Hcsych überlieferten kretischen
formen {ytQoix-av, ölß-av oder ölcp-nr) zu erkennen glaubt,
dasselbe kretische in dem acc. sing, der consonantischen
stamme ebenfalls das \olle alte nasalversehene -av = urspr.
-am noch wahrte, so konnte dieser dialekt leicht dazu gelangen,
dem -ai> im acc. sing, der consonantischen declination ein -avg
198 OSTHOFF - NACHTRAG.
im acc. plur. gcgeuübci zu stellen. Die analogic aller anderen
acc. plur. mit ihrem -rg gegenüber singularischem -v verführte
hierzu, zu einer ersetzuug nämlich des alten -aq durch -arq:
neben * (poivlx-cw trat g:oivix-avg an f^tello des alten (poivlx-ag,
wie jiQSLytvT(xvg neben '•'• jiQtiytvtäv , rörg neben top u. s. w.
standen.
Ich will jedoch auch immerhin das äusserste einräumen
und zugestehen, das kretische zeige uns wiiklich in seinem
(poivlx-avg die ächte urgriechische gestalt des suffixes des acc.
plur., und gemein -griech. -ag müsse also dem oben s. 38 f. ge-
sagten zuwider lautgesetzlich auf -avg zurückgeleitet werden.
Alsdann aber bleibt, wenn mich nicht alles täuscht, immer
noch die eine rettung übrig, dass man annimmt: in solchem
falle hat dann vielmehr schon das urgriechische durch eine
solche analogiebildung , wie wir sie eben speeiell dem kreti-
schen zuzuweisen suchten, die alte indogermanische endung
-as durch -avg verdrängt. Jedenfalls hat, wer mit mir -as als
das einheitliche casussuffix der indogermanischen gruudsprache
für den acc. plur. consonantischer stflmme verteidigen zu
müssen glaubt, ein solcher veranlassung nicht nur, sondern,
wie man sieht, auch gründe dafür, um das griech. -ag, falls
eben dieses den ansprach macht durchaus aus -avg entstanden
zu sein, mit einem noii turbare circulos in seine schranken
zurückzuweisen.
Einmal im nachtragen begriffen, füge ich hier nun auch
noch folgende bemerkuug hinzu. Bei der abfassung des obigen
aufsatzes über die n - declination haben mir Benfeys Unter-
suchungen über den /--vocal Orient, u. occid. III 1 ff. 192 ff.
nicht vorgelegen. Ich erfülle aber hiermit, um misdeutungeu
vorzubeugen, eine pflicht der gerechtigkeit und erfülle sie gern,
indem ich anerkenne, dass dasselbe priucip, welches ich in an-
wendung gebracht habe, um die entstehung des Unterschiedes
starker und schwacher casus zu erklären, das princip des ur-
sprünglichen wechselnden wortaccentes, bereits und zuerst von
Beufey in den genannten aufsätzen mit unleugbarem erfolg für
die erklärung der vocalveränderungen in der verbalflexion
fruchtbar gemacht worden ist.
H. OSTIIOFF.
UNTERSUCHUNGEN UEBER DIE SOGENANNTE
VÖLSUNGA SAGA.
JNachdem die wüste kritiklosigkeit, die lange zeit das
gebiet unserer heldensage zum turamelplatz grund- und zweck-
loser erklärungsversuehe gewälilt hatte, einer nüchternen, klaren
forschung hat weichen müssen, als deren ausgangs- und höhe-
punkte wir noch immer die Untersuchungen Wilhelm Grimms
und Lachmanns anzusehen berechtigt sind, ist eine heilsame
weiterförderuug dieses Studiums zunächst nur von der sorg-
fältigen prüfung jeder einzelnen quelle und ihres Verhaltens zu
andern zu erwarten. Am meisten täte eine solche monogra-
])hische darstellung den s. g. eddischen liedern not, die viel zu
lange als etwas zusammengehöriges sind angesehen worden.
Vielversprechende anfiiuge dazu bietet die abhandlung Jessens i):
auf die notwendigkeit der prüfung jedes einzelneu liedes und
der sagenform jedes einzelnen liedes ist denn auch neuerdings
widerholt hingedeutet worden.-) — Der jnörekssaga ist ver-
schiedentlich die aufmerksamkeit in neuerer zeit zugewant
worden: es mag hier auf die arbeiten Dörings^), Storms*)
und Treutiers'*) hingedeutet werden. — Eine eingehende
Untersuchung über die sogenannnte Völsunga saga fehlt noch,
und doch ist sie in manchen punkten unsere alleinige quelle
') Zs. f. deutsche phil. III, 1—84.
-) Vgl. Th. Möhiiis, zs. für deutsche phil. I, AM ff. K. Maurer
ebentl. II, 441 ff.
3) Zs. f. deutsche i)hi;. II, 1—79. 265-202.
*) Sagnkredsene om Karl deu störe og Didrik af Bern hos de nor-
diske folk, Christiania ls74.
*) Zur ThiÖrekssaga. Germ. 20, 151 ff'.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. Ul. 14
^00 SYMONS
iur die älteste erreichbare gestalt der heldensage. Die be-
dauerusAverte grosso liickc des codex Kegius der Eddalieder
versagt uns gerade über die schwierigste i)artie der sage die
erwünschte auskiiuft, ein verlust, den uns die kurzen, verein-
zelten andeutungen der erhaltenen lieder und der sprunghafte,
wenig eingehende bericht der Snorra Edda nicht ersetzen
können. Die Völsunga saga allein erzählt ausführlich und
vollständig diesen wichtigen teil der sage. Ueberdies bietet
nur sie die Vorgeschichte von Sigurds ahnen im Zusammenhang.
Skandinavische gelehrte haben allerdings der Völsunga saga
widerholt ihre aufmerksamkeit zugewant, namentlich Peter
Erasmus Müller i), Rudolf Keyser'^), vor allem aber Sophus
Bu-ge in der musterhaften einleitung zu seiner ausgäbe der
sogenannten Saemundar-edda^). Die anregung, die nament-
lich Bugges Untersuchungen mir gewährt haben, hebe ich um
so lieber dankbar hervor, als ich in vielen, ja den meisten
punkten zu abweichenden resultaten gelangt bin. — Alle diese
Untersuchungen aber sind, wie es die natur der genannten
Schriften mit sich bringt, nicht eingehend genug, um nicht die
wideraufnahme einer genauen prüfuug der unschätzbaren quelle
wünschenswert erscheinen zu lassen.
Zunächst werde ich suchen, den charakter und die ent-
stehungsgeschichte der sogenannten Völsunga saga zu bestim-
men, dann das Verhältnis zu ihren quellen in den controlier-
baren partieen der saga untersuchen, daran eine prüfung der
der lücke in R entsprechenden partie schliessen, an die sich
endlich eine betrachtuug der ersten die Vorgeschichte behan-
delnden capitel der saga reihen wird.
Erstes Capitel.
Charakter und entstehungsgeschichte der saga.
Die Völsunga saga ist uns überliefert in einer einzigen
isländischen pergamenths. (no. 1824 b. 4") der königlichen biblio-
0 Sagabibliothek (SB) II, 36—108.
2) efterladte skrifter I, 346—360.
3) norroen fornkvaetJi etc. udg. af Sophus Bugge (Chria 1867)
s. XXXIV— XLI.
VOELSUNGA SAGA. 201
thek in Kopenhagen. Der codex ist nach älterer vorläge walir-
scheiulich um den rchluss des 14. Jahrhunderts geschrieben.!)
Alle papierhss. der saga gehen auf ihn zurück. Der codex
enthält die Völsunga saga, die saga af Ragnari LoÖbrük ok
sonum hans und die Kräkumäl. Von einer Völsunga saga und
Ragnars saga dürfte aber streng genommen nicht die rede
sein, denn man hebt auf solche weise aus der gesammteu saga
einen teil heraus, dessen selbständige existenz doch nicht zu
erweisen ist. Der titel 'Völsunga saga' ist in keiner hs. Ije-
legt und lediglich ein später eingesetzter name. Der cod. hat
eine Überschrift gehabt, die aber jetzt gänzlich unleserlich ist;
nur eine spur des ersten buchstabens ist noch sichtbar, dessen
Züge Bugge am meisten einem G zu gleichen schienen. Nach
cap. 42 aber, also vor der einführung Aslaugs, hat der cod.
eine rote Überschrift: Sagha Raghnars lodhrokar, ohne dass im
übrigen irgend eine trennuug zwischen der allgemein sogenann-
ten Völsunga saga und der sogenannten Ragnars saga ange-
deutet ist. Die meisten späteren hss. aber geben die für beide
sagas gemeinsam gültige Überschrift: saga af Ragnari Lot)brdk
ok mörgum ötirum konungum merkiUgum (andere: ok sonum lians).
Die trennung beider sagas scheint erst durchgeführt zu sein
in ßjörners ausgäbe.'^)
Bei diesem stände der Überlieferung ist zwar gegen die
trennung beider teile der saga und wol auch gegen die be-
nennung Völsunga saga, soweit praktische gründe dazu ver-
anlassten, nichts einzuwenden: die consequenzen aber, die man
aus dieser doch ganz secundären trennung gezogen hat, sind
völlig unberechtigt. Die beiden jüngsten ausgaben der Völ-
sunga saga, die Rafus in dem ersten bände der Forualdar sögur
norbiiauda (Koph. 1829), s. 113 — 224, und die jetzt allein
brauchbare von Sophus Bugge in 'det norske oldskriftselskabs
samliuger. VIII. norröne skrifter af sagnhistorisk indhold. Chria
1865. andet hefte, s. 83 — 192' schliessen die Völsunga saga
mit dem ende von cap. 43. Die Überlieferung könnte höchstens
dazu berechtigen, mit dem schluss von cap. 42 die Völsunga
saga enden zu lassen. — Wichtiger ist, dass auch die literatur-
') Weiteres über ihn s. Fas. I, XIII— XV. Bugge, Edda s. XXXIV.
'^) In den Nordiska kämpadater, Stockholm 1737.
14*
202 SYMONS
geschiclite sieh daran gewöhnt hat, eine Völsunga saga und
eine Hagnars saga lo^hr. als zwei ganz verschiedene denkmale
zu betrachten. P. E. Müller i) hält die Rag-nars saga für
wenig später verfasst als die Völsunga saga, und von der
Aslaugerzählung meint er, dass sie hei einer spätem bearbeitung
letzterer aus der Ragnars saga hinzugefügt sei. R. Keyser-)
findet den ton der Ragnars saga altertümlicher als den der
Völsunga saga und vermutet, dass der Verfasser der letzteren
die Ragnars saga bereits vorfand. Unsere Überlieferung weist
uns doch zunächst darauf hin , beide sagas als ein werk und
demgemäss auch als das werk eines Verfassers anzusehen, und
erst der beweis, dass beide sagas nicht denselben Verfasser
haben können, würde im stände sein, diese fast selbstverständ-
liche ansieht zu erschüttern. Ein solcher beweis ist meines
Wissens weder geliefert noch auch nur versucht, würde auch
schwer zu erbringen sein. Dass der codex vor cap. 43 die
Überschrift Ragnars saga bietet, beweist doch nicht, dass hier
eine neue saga anfängt, sondern ist nur aus dem streben des
Schreibers (vielleicht auch eines späteren ])esitzers) hervor-
gegangen, den inhaltlichen abschnitt, der leicht erkennbar war,
zu markieren. Dass diese markieruug nicht einmal die rich-
tige ist, geht doch schon daraus hervor, dass die herausgeber
cap. 43 noch zur Völsunga saga gezogen haben. Mag man
nun aber mit cap. 42 oder c. 43 die Völsunga saga beschliessen,
die kenutuis der vorhergehenden erzählung wird in der soge-
nannten Ragnars saga stets vorausgesetzt. Möglich wäre indes,
dass die Verbindung beider sagas erst eine spätere wäre, dass
es eine ältere Völsunga saga gegeben habe, an die später die
Ragnars saga geknüpft sei, und bei dieser gelegenheit wäre
die Aslaug in die Völsunga saga hinein interpoliert. Das ist
ungefähr die ansieht P. E. Müllers. — Eine stütze für diese
ansieht wäre auch darin zu finden, dass Th. Möbius^) eine
andere redaction der Völsunga saga voraussetzen zu müssen
geglaubt hat. ßugge "*) hat sich ihm darin angeschlossen.
Möbius schliesst das aus einigen abwcichuugen, Zusätzen und
») SB. 11, 97, 482.
2) Efterl. skrift. I, 394.
3) Edda s. XII ff.
*) Edda 8. XXXIV.
VOELSUNGA SAGA. 203
auslassungen der auf den acht ersten capiteln der saga be-
ruhenden rimur frä Völsungi hiuum öborna des Kälfr skald
(vitulus vates) '). Diese annähme scheint mir doch unnötig.
Die einzige wirklich in betracht kommende abweichung ist
die, dass der rimurdichter str. 53 im einklang mit Yngl. s. c. 9-
die offenbar echte weibliche SkaÖi, die gattin des NjörÖr, an
stelle des männlichen namensgenossen der saga einsetzt. 2)
Nun hat aber nachweislich, wie Möbius selber zugibt, der
dichter für seine ziemlich confus präludierende einleitung (str.
1 — 50) SE form. c. 10 ff. und Yngl. s. c. 5 ff. oder aber eine
beiden gemeinsame quelle benutzt, so dass doch die annähme,
welche Möbius zurückweist, der dichter habe die correctur auf
grund der Yngl. s. bewirkt, weitaus grössere Wahrscheinlichkeit
hat. Die andern ab weichungen aber, die Möbius zusammen-
stellt, sind ein paar ungeschickte zusätze, ein paar auslassungen
und fehlerhafte namen, die gewis dem dichter, nicht aber
seinen quellen zufallen. Geben wir aber auch vollends diese
andere redaction der saga zu, so hätte diese, abgesehen von
der einen richtigkeit, lauter fehlerhaftes geboten, und zwar
lauter fehler, die auf eine jüngere zeit hindeuten. 3) Diese
redaction wäre demnach jedenfalls nur als eine jüngere anzu-
seheu. — Allein auch im übrigen ist die ansieht, dass die an-
knüpfung der Eagnars saga an die Völsunga saga nicht die
ursprüngliche gestaltung der sage gewesen sei, nicht haltbar.
Dass die einführuug der Aslaug derselben tendenz wie die an-
fügung der geschickte Ragnars und seiner söhne angehört, ist
gewis unbestreitbar. Eine widerholung der beweisgründe da-
für, dass Aslaug der echten sage nicht angehört haben kann,
dass die eddischen lieder nur ein keusches Verhältnis zwischen
Sigurd und Biynhild kennen, dass die einführuug der Aslaug
eine tendentiöse erdichtung ist, um die abstammung der nor-
*) Her. in Möbius Edda (Leipzg. 1860) s. 240—254, nach cod. AM
604 G.
2) Näheres unten.
3) So z. b. wenn die heiraten Sigis und Rerirs, von denen der saga-
schreiber nichts wüste, näher bestimmt werden. Ersterer wirbt um die
Schwester zweier briider in GarÖariki (str. 72 — 74), letzterer wird durch
die ehe mit IngigerÖr, könig Ingis tochter, herr von Svia-ok GarÖariki
(str. 86 — 94). Wer möchte darin etwas sagenhaftes sehen?
201 SYMONS
weyisclieu köiiigsfamilic von deu Völsungen zu ermöglichen,
glaube ich mir ersparen zu köuncn, indem ich auf die orte
verweise, wo genügend darüber gehandelt ist.') Hätte es also
eine ältere Völsunga saga gegeben, so liegt der schluss nahe,
dass diese noch nichts von der Aslaug gewust hat, und erst
bei gelegenheit der Verbindung derselben mit der Ragnars saga
jenes bindeglied eingeschoben ist. Allein die ganze anläge der
Völsunga saga zeigt, wie tief die eiufiihrung der Aslaug sie
beeinflusst hat. Bloss um ihretwillen ist, wie später gezeigt
werden soll, eine Verlobung der Sigrdrifa mit Sigurd, von der
die Edda nichts weiss, eingeschoben; bevor ßiynhild an Gjukis
hof kommt, übergibt sie Heimir die Aslaug zur erziehung c. 27
(ß. 146, 22). Und Hesse sich auch das noch als spätere inter-
polation auifassen, unmöglich ist dies der fall, wenn die Völ-
sunga saga c. 31 (B. 161, 12 f.) in der prophezeiung der ster-
benden Brynhild die werte des im übrigen treu paraphrasier-
ten dritten Sigurdsliedes str. 64, 5 — 6:
]7a er öU farin
sett SigurÖar
ändert in: ok |?ä er farin öll a3tt yÖur (d.h. der Gjukunge).
Die änderung hat natürlich Aslaug verschuldet, da durch sie
Sigurds geschlecht nicht ausstirbt; sie ist aber so subtil, dass
niemand sie einem interpolator oder bearbeiter wird zuschrei-
ben wollen. — Es ist also daran festzuhalten, dass Völsunga
saga und Ragnars saga ein ursprüngliches ganze bilden, und
man eigentlich nicht das recht hat, von einer Völsunga saga
zu sprechen, sondern nur von einer Ragnars saga. 2) — Ein
verschiedener ton in beiden sagas ist nicht wegzuleugnen, er-
klärt sich aber hinlänglich durch die Verschiedenheit der zu
gründe liegenden quellen ; wo der Verfasser ohne quelle schreibt
') SB II, 94 ff, 476 flf. HS- 355. Muüch , det norske folks historie
1, 1, 371. 407. Rassmaun, die deutsche heldensage I, 191. Grimdtvig, udsigt
over den nordiske oldtids heroiske digtniug (Kbh. 1S67) s. 37. — Munchs
beliauptung aber a.a.O. 371, emzelue eddische lieder gäben deutlich zu
verstehen, dass Sigurd mit Brynhild die tochter Aslaug hatte, bevor sie
mit Gunnar vermählt ward, ist durchaus ungerechtfertigt: nicht die leiseste
andeutung darauf findet sich.
2) Trotzdem behalte ich die einmal üblich gewordene bezeichnung
bei, die man ohne pedanterie nicht wird verdrängen können.
VOELSUNGA SAGA. 205
— und das ist nicht selten — , zeigt sich gleiclimässig eine
anlelinung an den stil der nordischen romanübersetzungen des
13. Jahrhunderts, vorzüglich seiner zweiten hälfte.^) Glaublich
ist auch, dass die ereignisse der heldeusage nicht ohne einfiuss
auf die darstellung der Schicksale Ragnars gewesen sind. Es
liegt wenigstens nahe, bei der tötung des drachen und dem
tod im ormgarÖ an die tötung Fafnirs und Gunnars ende zu
denken, und es ist nicht unglaublich, dass der gemeinsame
Verfasser von Völsunga saga und Ragnars saga diesen paralle-
lismus verschuldet hat. Dass die Kräkumäl ersteres ereignis
auch kennen, spricht gar nicht dagegen, denn das alter dieses
gedichts ist überaus zweifelhaft.^)
Das mittelglied, durch das dem sagaschreiber die an-
kntipfung Ragnars an die Schicksale des Völsungengeschlechts
gelang, war Aslaug, eine tochter Sigurds und der Brynhild,
die dem Ragnarr loÖbrök vermählt wird. Es ist von hohem
Interesse, die entstehung dieser Aslaugfiction etwas näher ins
äuge zu fassen, vor allem ihr alter zurilckzuverfolgen.
Munch^) hat zuerst in lichtvoller weise dargetan, dass
in der Aslaugsage zwei verschiedene elemente durchaus zu
trennen sind. Das eine ist entschieden eine alte sage, die sich
in Norwegen localisiert hat. Sie erzählt, wie in alten zeiteu
eine goldene harfe, in der ein kleines mädchen lag, an ein
felsenriflf in der umgegend von Spangereid getrieben sei; Aad-
low (Aslaug) habe das mädchen geheissen, sie sei aber Kraka
genannt und von ihren pflegeeitern zum hüten der schafe und
ziegen gebraucht; später jedoch sei sie königin geworden.
Diese erzählung ward noch vor nicht langer zeit (1847 von
Asbjörnsen) im munde der umwohner von Spangereid bezeugt,
und wunderbar ähnliche züge kennt auch unser deutsches mär-
chen 'die kluge bauerntochter'.^) Diese sage nun weiss nichts
von Ragnar, nichts von Sigurd, auch nichts von Heimir zu er-
zählen, ist überhaupt völlig unabhängig von der Ragnarsage.
*) S. auch Munch a. a. o. I, 1, 359, anm. 1.
2) Jedenfalls ist es christlich (odda messu str. 11). Vgl. Jessen
zs. f. deutsche philol. III, 28. anm 4.
3) a. a. o. s. 370 f. 407 (in deutscher Übersetzung bei Claussen, das
heroische Zeitalter [Lübeck 1S54], s. 126— 12S. 174).
*) KHM no. 94. vgl. dazu III, 170 ff.
20fi SYMONS
Zwei dänische lieder*) und ein fiiiöischcs^) dagegen bieten
nicht mehr die alte unverfälschte sage : sie singen von Aslaug
und Raguar. j\Iunclis schluss, dass diese sage später zur Ver-
herrlichung der geschichte Ragnavs angewant worden ist, in-
dem man das arme mädchen einmal zur tochter des berühm-
testen beiden der vorzeit, des SigurÖr Fäfnisbani, dann aber
zur o-emahlin des Ragnarr lo?5brök machte, von dem abzustam-
men die nachkommen des Haraldr härfagri sich zur ehre an-
rechneten, ist unantastbar. Die Übereinstimmungen mancher
zlige in dem deutschen märchen und der norwegischen sage,
zu denen die brüder Grimm a. a. o. noch vieles analoge bei-
bringen, zeigen zur genüge, dass wir hier nichts künstliches,
sondern eine uralte erfindung des volksgeistes vor uns haben.
Für uns aber ist die frage von besonderer Wichtigkeit,
wie weit die benutzung dieser sage für Ragnars genealogie
sich verfolgen lässt. Dass die ganze geschlechtsreihe von
SigurÖr Fäfnisbaui bis auf SigurÖr ormr i auga mittelst der
Aslaug und ferner mittelst der Jüngern Aslaug bis auf SigurÖr
hjörtr, Ragnhildr und Haraldr härfagri hinab eine einzige künst-
liche combination eines nordischen hofgenealogen ist, um seinem
lierrn nicht allein eine glänzendere abstammuug, sondern auch
erbausprüche an einen teil des Ragnarschen reiches neben den
königen von Dänemark und Schv.edeu zu verschaffen, unter-
liegt keinem zweifei. 3) vSehr fraglich, ja eutscliieden falsch
ist aber die ansieht, als sei diese genealogie in allen ihren
etappen ein gleichzeitiges werk. Um das zu erweisen, ist ein
tieferes zurückgreifen auf die quellen unerlässlich. — Gehen
wir aus von dem sogenannten laugfeÖgatal^). Munch^)
schreibt die aufzeichnung dieses geschlechtsregisters dem lög-
maÖr herra Haukr Erlendsson (f 1334) zu. Allein diese hypo-
these ist nicht erwiesen: jedenfalls deutet diese genealogie auf
höheres alter und verdient volles vertrauen. Das langfeMgatal
nun weiss von Aslaug als gemahlin des Ragnar nichts. Eben-
sowenig kennt sie eine andere unter dem titel 'series runica
') Bei Grundtvig, Danm. gamle folkev. I, 327 ff.
2) Bei Hammershaimb, SjürÖar kvae?5i s. 59 ff.
3) Munch a. a. o. I, 1, 407.
*) Langebeck, SS. rer. dan. I, 1 ff.
^) a. a. 0. I, 1, 241. anm. 2.
VOELSUNGA SAGA. 207
prima' von Langebeck ') mitgeteilte gesclileclitsreilie. Sie
sagt : ' Tlia var Regner Ivunung Lodbroglie. Tliore liet Drotning
bans ok anner Svanletbe. Tba var Sivartli kunung suu
Eegners Lodbrogbe.'
In der Heimskringla kommt Aslaug nirgends vor : die saga
Halfd. svart.2) bietet folgende genealogie:
Sigur?5r hringr
I
Rai'narr loÖbrök
Sigur?5r ormr i auga
i
A'slaiig _.^ Helgi hin livassi
I
Sigurt5r hjörtr
I
Ragnhildr Hälfdan svarti
I ^
Haraldr härfagri.
Es ist demnacli die jüngere Asiaug bekannt, die ältere
nicht.3) Auf dies zeugnis werden wir gewicht legen dürfen,
denn, olme liier die verwickelte Heimskringiafrage berübren zu
wollen, mag nun die saga Halfd. svart. Snorris werk oder die
redaction eines compilators sein^), ein blosser zufall kann das
fehlen der älteren Asiaug hier nicht sein. Vgl. auch Eyrb.
s. 4. 8f. : 'en möÖir lugjalds var }>6ra, döttir SigurÖar orms i
auga, Ragnars souar loÖbrökar.' Weiter geht diese genealo-
gie nicht.
Die quellen, in denen der altern Asiaug und ihrer ab-
stammuug von Sigurd erwähnt wird, sind durchweg jüngere
und zum guten teil wenig verlässige.
1. Landnämabök, ViÖbtettir. ^) 'SigurÖr son Sigmundar
konungs, er kallaÖr erFäfnisbani, ok Brynhildr Budladöttir ättu
dottur ])ä, er A'slaug het; hon var foedd meö Heimi jarli i
') a. a. 0. I, 29.
2) Hmkr. ed. Unger s. 42 ff.
3) Ganz so wird in der Har. s. liarf. c. 14 Asiaug als gemahlin Ra-
gnars nicht erwähnt.
*) Vgl indes K. Maiu-er, ahh. der kgl. bair. akad. der wiss., phil.-
hist. cl. XI, s. 651.
") Islend. Sog. (1S43) I, 324 f.
208 SYMONS
llriiiji-döluni, )>ar til er liann var drepinn . . . Ragnarr lodbrok
ütti siÖar A'slaugu, döttur SigurÖar Fäfuisbana.' — Landnäma-
bük selber^ obwol vcrscbiedentlich von Ragnars gescblecht die
rede ist, weiss nichts von dieser genealogie; die handschriften-
gruppe aber, die jene beilage enthält, ist eine jüngere, aus der
ältesten Laudnama uudHauksbük zusammengesetzte recensiou.')
2. Der jüngere, ausführlichere prolog zur Sverris saga aus
Fläteyjarbök -) kennt diese genealogie, während der ältere,
kürzere ^J nichts davon weiss.
3. In der O'lafs s. Tryggv. findet sich die einführung nur
in der ausführlicheren redaction der saga, wie, mit einfngung
verschiedener J^settir und sögur, die Fläteyjarbök und Fms.
I — III sie darbieten. Die kürzere redaction Snorris kennt
sie nicht.
4. Die FüstbrceÖra saga, die in Fläteyjarbök als teil der
O'lafs s. h. helg. erscheint, erwähnt Aslaug im eingange gleich-
falls.4) Auch cod. AM 132 fol. aus der ersten hälfte des 14.
Jahrhunderts kennt diese genealogie.^) Allein, wenn auch
Avirklich die älteste recensiou dieser vielfach umgestalteten
saga sehr früh zu setzen ist^j, gibt uns dies dennoch kein
recht, die erwähnung der Aslaug dieser bereits zuzuschreiben.
Keinesfalls ist uns die älteste recensiou erhalten: überdies —
und dies gilt auch für andere denkmäler — darf man bei is-
ländischen membranen, besonders der Islendinga sögur, auf
kleine züge, wie die genealogieu , kein grosses gewicht legen,
da bei der eigentümlich freien Stellung der abschreiber ihren
vorlagen gegenüber Zusätze und ergänzungen wie auslassungen
und änderungen ganz gewöhnlich sind.'')
5. Fläteyjarbök kennt Aslaug noch öfter in den genealo-
0 Vgl. l'sl. Sog. I, s. XXXVIII ff.
2) Fiat. II, 533 ff. Fms. VIII, 1 ff.
3) Fms. Vm, 5 ff.
*) Fiat. II, 93.
5) Ausg. von Gislason in den Nordiske Oldskrifter XV (Kbhv.
1852) s. 5.
0) SB I. 153 ff. Grönlands histor. mindesm. II, 270 f.
^) Darüber vgl. besonders Möbius, über die altnordische phllologie
im skandinavischen norden. Leipz. 1864, s. 24 ff.
VOELSUNGA SAGA. 209
gien des sogenanuteu frä Fornjöti, die aber bekanntlich bis
zur kalmarischen union liiuabgehen.
6. Floamanua saga^): 'MüÖir SigurÖar orms i auga var
A'slaug, düttir SigurÖar Fäfnisbana . . . muöir A'slaugar var
Brynhildr BuÖladöttir.' — Aucli dieses zeugnis ist nicht von
gewicht, denn die Fluamanua saga gehört zu den jüngeren
isländischen sagas, die aus verschiedenen gründen nicht früher
als an das ende des 13. Jahrhunderts zu setzen sind. 2)
7. Die erwähnung der Aslaug im }>ättr af Ragnars so-
num^) erledigt sich dadurch, dass dieser auf die saga Ragnars
konungs ausdrücklich bezug nimmt.
8. Bei weitem am beachtenswertesten ist die erwähnung
der SE Skäldskaparmäl c. 42 4): 'eptir SigurÖ svein liföi
düttir, er A'slaug höt, er fcedd var at Heimis i Hlymdölum,
ok eru j>aÖan tettir komnar storar.' — Dass, wenigstens im
grossen und ganzen, die Skäldskaparmäl Suorris werk sind,
haben wir der allgemeinen Versicherung alter Zeugnisse gegen-
über kein recht, anzuzweifeln. Schwer ins gewicht fällt vor
allem die Überschrift der Upsala-edda, die etwa 60 jähre nach
Snorris tode geschrieben ist, also zu einer zeit, da kaum an
eine absichtliche oder unwillkürliche täuschung zu denken ist.
Man wird demnach die ursprüngliche abfassung etwa mit
R. Keyser zmschen 1221 und 1230 zu setzen haben: der ter-
minus a quo ergibt sich aus den dem Hättatal zu gründe lie-
genden gedichten, die nicht vor 1221 entstanden sein können,
der terminus ad quem aus der Überlegung, dass Snorri im
letzten vielbewegten decennium seines lebens wol kaum die
müsse zu schriftstellerischer tätigkeit gefunden haben kann.
Ob auch die Gylfaginning Snorris werk ist, kann hier nicht
untersucht werden; dass aber die ausführlichste redaction der
SE mit den grammatischen abhandlungen erst in dem zweiten
oder dritten decennium des 14. Jahrhunderts zu stände gekom-
men ist, unterliegt keinem zweifei.
Der bei den kenningar des goldes eingefügte überblick
der heldensage wird dennoch, in der gestalt, wie r sie uns
>) Fs. s. 119.
•') Fs. XXIV ff.
3) Fas. I, 346.
*) ed. AM I, 370. ed. Jönsson s. 123 f.
•210 SYMONS
bietet, dem Snorri nicht zuzuschreiben sein. Zunächst ist zu
l)cacliten, djiss die Upsalacr hs. (U), die diese partie in weit
kürzerer gestalt bietet, die erwühnuug der Aslauj^- nicht ent-
hält. Es ist nun freilich die herscheude anschauung, dass die
doch jedenfalls der Überlieferung nach ältere schwedisclie re-
daction keine weitere geltuug- als die einer gekürzten gestalt
zu ])eanspruchen hat. Diese anschauung beruht al^er keines-
wegs auf einer gründlichen liandschriftenuntersuchung, die in
völlig genügender ausdehnung mit dem zu geböte stehenden
material auch kaum auszuführen wäre. Indes auch nur für
das engere Verhältnis von U und r wäre die aufnähme dieser
frage von hoher Avichtigkeit: sie ist wol nur zurückgehalten
worden durch die erwartung des lang ersehnten dritten bandes
der arnamagnäanischen ausgäbe. Indem ich die ausführlichere
erörterung dieser frage mir vorbehalte, wage ich doch vorläufig,
wenn auch ohne beweisgründe, folgendes resultat, das sich mir
bei selbständiger prüfung ergeben hat, hinzustellen: in U liegt
uns eine allerdings gekürzte gestalt vor, die aber auf eine vor-
läge zurückgeht, der ein unbedingter Vorzug vor der uns in r
vorliegenden gestalt zuzuerkennen ist. Nichts hindert uns an-
zunehmen, dass U auf eine dem ursprünglichen werke Snorris
sehr nahe stehende hs. zurückgeht , die allerdings bereits eine
bearbeitung erfahren hatte, z. b. die zusetzung des prologs.
"Wird es mir durch diese allgemeine Überlegung bereits
sehr unwahrscheinlich, dass die erwähnung der Aslaug der SE
ursprünglich angehört hat, eine weitere beobachtung kommt
hinzu, diese annähme gänzlich hinfallig zu machen. U schliesst
die bei gelegenheit der kenningar des goldes eingefügte episode
mit dem tode HreiÖmars: das ist der natürliche schluss der
eingeschalteten erzählung, zu einem vollständigen überblick
über die heldensage lag ein vernünftiger grund nicht vor. Diese
erzählung in U zeigt benutzung der Eddalieder, ist aber im
übrigen frei und selbständig gemacht. Ganz anders die weitere
erzählung in r: in ihr finden wir neben benutzung erhaltener
und verlorener lieder und wol auch der prosa in E, ganz
augenfällige Übereinstimmungen mit der Völsunga saga. Da
solche, in denen uns die quellen nicht zur vcrgleichung vor-
liegen, keine beweisende kraft haben, begnüge ich mich mit
der anführung einer längeren stelle:
VOELSUNGA SAGA. 211
SE I, 364. Völs. s. B. 178, 5 ff.
GuTinari let hann kasta i orm- nii er Gunnarr konutigr settr i
garÖ, en honiim var fengin leyniliga einu ormgarci; j^ar väru margir
harpa, ok sl6 hann meÖ tanum, ]?viat ormar fyrir, ok väru [heudr]
hendr hans väru bun dnar, sva hans fast buuduar; Guörüii
at allir ormarnir sofnuÖu, sendi honum hörpu ei [ua, eu] liann
nema si'i naSra, er rendi at ho- sy'ndi sina list ok sl6 börpuna
num, ok hjö svä fyrir flagbrjöskit, meÖ mikilli list, at hauu drap
at hon steypÖi höfÖinu inn i holit, strengiua meÖ tanum, ok lek svä
ok haugöi hou a lifrinni, )?ar til er vel ok afbragÖliga, at fair ])6ttiist
hann d(3. beyrt hafa svä meÖ höndum slegit,
ok ]7ar til lek hann ]^essa ij^rott, at
allir sofnnt5u ormarnir, nema
ein nac5ra mikil ok illilig skreiÖ
til hans ok gr6f inn sinum rana,
pa,T til er hann hj6 hans hjarta,
ok l^ar let hann lif sitt meÖ mikilli
hreysti.
Diese stellCj die sich au vier yerscliiedenen orten zerstreut
iu der liedersamnduug- findet (Akv. 31. Atlm. 66. Drap Nifl. ß.
264. 28 ff. Oddr. 32), lässt kaum eineu andern sehluss zu, als
dass die eine darstellung- die andere gekannt und benutzt liat.
Dass aber die saga die SE benutzt haben sollte, ist doch ganz
unglaublich, wenn man bedenkt, welchen nutzen sich wol die
lange, ausgedolmte erzählung der saga von der mehr ange-
deuteten als ausgeführten darstcllung der SE hätte versprechen
können. Es wird also die darstellung der Skäldskaparmäl in
ihrer jetzigen Fassung ein später hinzugefügtes stück sein, das
neben den eddischen liedern aucli die Yölsunga saga gekannt
und benutzt hat. Dafür spricht auch die reihenfolge der SE.
AsUiugs erwähnuug folgt als nachträglicher, leicht liingeworfener
Zusatz, da sie sicli auch in der Yölsunga saga unmittelbar au
die erzählung von den Gludrunsöhnen anschliesst; die bemer-
kuug 'ok eru )>aban komnar c^ettir storar' weist avoI auf die
weitere darstellung der Ragnars saga hin.
Die hier vorgetragene ansieht steht nun freilich in Wider-
spruch mit dem von Bugge*) versuchten nach weis, dass SE
die uns vorliegende Sammlung nicht benutzt haben kann, dass
vielmehr wenigstens an einer stelle der sammler der lieder die
SE benutzt hat: letzteres hat iu weit ausgedehnterem masse
*) Edda s. XXVI f.
'212 SYMOKS
iiamentlicli Bergmann angenommen. *) ßugges nachweis hat
mich, wenigstens für die Skäklskaparmäl, nicht überzeugt. Die
freie, gewante prosa der SE sticht vorteilliaft gegen die
schlechte der Sammlung ab, und es ist doch nicht zu glauben,
dass der sammler absichtlich die darstcllung, die er vorfand,
verscldcchtert haben sollte. Im einzelnen dies zu erörtern,
würde weitab führen; ich behalte mir den genaueren nachweis,
dass die liedersammlung, die uns in R vorliegt, älter ist als SE
in der gestalt, in der r sie uns bietet, und dass wir die ver-
hältnismässig ursprünglichste fassung der SE in U zu suchen
haben, vor. — Hier kam es lediglich darauf an zu zeigen, dass
die erwähnung der Aslaug in den Skäldskaparmäl wahrschein-
lich auf kenntnis der Völsunga saga zurückzuführen ist, jeden-
falls ein höheres alter für diese fiction nicht zu erweisen
vermag.
Das sind die stellen, in denen mir eine erwähnung der
Aslaug und ihrer abstammung entgegengetreten ist. Noch eine
andcutung, die bereits SB II, 477 berührt wurde, kommt in
betracht. In der Njäla c. 14 2) ward von der zweiten ehe der
Hallgerbr mit Glümr erzählt. Da heisst es: 'en um sumarit
foeddi hon meybarn. Glümr sagÖi henni, hvat heita skyldi
^hana skal kalla eptir föÖurmöÖur minni, ok skal heita ]?6r-
gerÖr, |?vi at hon var komin frä SigurÖi Fäfnisbana 1 föÖursett
siuni at langfeögatölu.' — Die existenz der x\slaugfiction be-
weist diese stelle noch nicht. Allerdings ist nach der echten
sage Sigurds geschlecht ausgestorben, allein leicht konnte es
einer geuealogie einfallen, den berühmtesten beiden der vorzeit
als Stammvater zu nehmen, ohne sich über die folgen rechen-
schaft zu geben. Dass der Njäla die Aslaug selber noch
fremd ist, ersehen wir aus der genealogie der HallgerÖr c. 1,
die grossmütterlicherseits hinaufgeführt wird bis Kagnarr loÖ-
brök, aber nicht weiter. Wäre dessen Vermählung mit Aslaug,
Sigurds tochter, dem Verfasser geläufig gewesen, hätte er gewis
diese nicht zu nennen vergessen.
Es wird keine übermässige kühnheit sein, wenn ich als
•) Poemes islandais s. 174 f.
2) Udgivet af det kongelige nordlske oldskrift-selskab (Kbli,
1875) I, 65.
VOELSUNGA SAGA. 213
resultat dieser Untersuchung hinstelle, dass die ankntipfung-
des Ragnarsclien g-eschlechts vermittels der Aslaug au die
Völsunge eine erfindung des Verfassers der Ragnars saga ist.
In der künstlichen hofgcncalogie , die den naclikommen des
Haraldr härfagri ihre nicht übergrosse legitimität versüssen
sollte, bildet diese erdichtung gewissermassen die zweite stufe.
Eine dritte und die letzte überhaupt denkbare folgte ihr, wie
im A^erlauf der darstellung gezeigt werden soll, indem dieses
geschlecht nun hinaufgerückt ward in den götterliimmel. Dass
schon vor der kühnen fictiou des sagaschreibers etwas dieser
genealogie vorarbeitendes in der luft lag, ist gar wol denkbar:
darauf weist ja auch die besprochene stelle der Njäla hin.
Ihre wirkliche literarische bedeutung hat sie aber erst durch
unsere saga erhalten, aus der sie in leicht begreiflicher weise
mit grosser lebhaftigkeit aufgefasst und verbreitet wurde. Auch
lag ja der anknüpfungspuukt nahe. Wie eine ältere Aslaug
als gattin Ragnars aus einer Jüngern Aslaug , der tochter des
SigurÖr ormr 1 auga entstehen konnte, so war auch anderer-
seits der name SigurÖr in der norwegischen köuigsfamilie so
allgemein (Sigur(5r munr, SigurÖr sy'rr, Sigurbr hris), dass
er zunächst vermittelst der Ragnhildr auf SigurÖr hjörtr und
vermittelst der Jüngern Aslaug auf SigurÖr ormr i auga, dann
aber weiter vermittelst der altern Aslaug auf SigurÖr Fäfuis-
bani führen konnte. Nebenher mag auch die Zufälligkeit in
betreff des auges des SigurÖr ormr i auga den gedanken an
den drachentöter nahegelegt haben, woraus dann die geschäf-
tige dienstfertigkeit des sagaschreibers das gegenteil machte,
dass Aslaug dem noch ungeborenen söhn diesen namen nach
ihrem erlauchten vater bestimmt, i)
Die grundlage, auf der unsere saga basiert, ist also nicht
derart, dass wir darauf den aufbau einer naiven erzählung er-
warten können, sie trägt die tendenziöse mache an der stirn.
Es liegt nahe, anzunehmen, dass geradezu eine königliche be-
stellung sie beeinflusst hat: da der ton der erzählung, wo der
Verfasser ohne quelle gearbeitet hat, ein weiteres hinauf-
rückeu als in die zweite hälfte des 13. Jahrhunderts ver-
') Kagn. s. c. 8 (Fas. I, 257).
214 SYMONS
bietet '), möchte man die Vermutung wagen , dass der könig
lläkon ganili (1217 — 12(33), dessen literarisclie neigungeii auch
sonst bekannt sind-), der abfassung nicht fern gestanden hat.
An und für sich wäre dadurch noch nicht bedingt, dass die
saga in Norwegen geschrieben ist, denn auch sonst spricht
manches dafür, dass das genealogische kunststück, wenigstens
in seinen anfangen, auf Island zu stände gekommen ist. 3)
Beachtenswert ist aber die stelle der Völsuuga saga c. 43 (B*
107, 17), wo es von Heimir und Aslaug heisst, sie seien zu-
letzt gekommen 'hingat ä NorÖrlönd'. Ich bezweifle, dass ein
Isländer oder doch wenigstens ein Isländer, der auf Island
schrieb, so gesagt haben würde. Bugges bemerkung, alles
spräche dafür, dass der Verfasser ein Isländer gewesen sei,
geht jedenfalls zu weit. 4)
Diese künstliche tendenz ist der eine gesichtspunkt, den
wir bei beurteilung der darstellung unserer Völsunga saga fest-
halten müssen: er darf freilich nicht zu vorschneller gering-
schätzung ihrer angaben veranlassen, berechtigt uns aber, bei
prüfung derselben in freierer weise vorzugehen, als dies bis
jetzt der fall gewesen ist.
Ein zweiter gesichtspunkt, den zu betonen nicht gleich-
gültig ist, muss der sein, dass wir es eben mit einer saga zu
tun haben, das will sagen einem zu unterhaltuugszwecken be-
stimmten buche, das der sprödigkeit seiner quellen gegenüber
nicht auf dem Standpunkte einer ungetrübten widergabe stehen
bleiben konnte. Diese quellen waren dazu lieder, von ver-
schiedenem alter und verschiedener sagenform, mannigfach
unter sich streitend, nicht selten sprunghaft und unklar, ohne
ein festes, geschlossenes ganze zu l)ildcn. Dem sagaschreiber
') In betreff des einflusses der j^iör. s. auf die datierungsfrage vgl.
uuteu cap. III.
-) Vgl. Streugleikar (udg. af Keyser og Unger s. 1). Andere be-
lege bei Maurer, abh. der kgl. bair. akad. a. a. o. s. 699.
3) Muuch a. a. o. I, I, 407. anm. 2.
*) Edda s. XXXV, Dass die erhaltene pergamenths. eine islän-
dische ist, kann dafür nicht in betracht kommen, da sie ja nicht erste
nieder,-5t;hrift ist. Eventuelle norwegische indicien wird sie wol ver-
wischt haben. Am besten wird man an einen Isländer in Norwegen
denken können.
VOELSUNGA SAGA. 215
über konnte es uiclit in den sinn kommen, der nacliwelt eine
quelle für die heldeusage überliefern zu wollen, sondern ein
gut lesbares buch herzustellen. Ein solcher zweck aber schloss
ein sklavisches auflösen der liederworte in prosa aus, denn
dadurch wäre die darstellung überall so unlesbar, oft sogar
unverständlich geworden, wie sie es an den am treuesten para-
phrasierten stellen in Wirklichkeit ist.
Zweites Capitel.
Das Verhältnis der saga zu den eddischen liedern
in den controlierbaren partien derselben.
ßugge ^) schliesst seine Untersuchungen über die quellen
des > erfassers der Völsunga saga mit folgendem resultat : 'Aus
dem gesagten erhellt demnach, dass der Verfasser der Völsunga
saga eine Sammlung vor sich gehabt hat, in der manche der
gedichte und erzählungen über die Völsunge und die mit ihnen
verknüpften heroischen geschlechter, die in R sich finden oder
fanden, in einer form aufgezeichnet waren, die auf dieselbe
schriftliche quelle wie ß hinweist. In dieser Sammlung fehlten
jedoch mehrere gedichte und erzählungen, die R enthält, wäh-
rend auf der andern seite der Verfasser der Völsunga saga
zum teil sagen und gedichte über die Völsunge benutzt hat,
die nicht in R aufgenommen sind.' — Hier ist zunächst auf
den ersten teil dieser resultate rücksicht zu nehmen.
Zweifellos benutzt sind aus unserer Sammlung in der saga
folgende lieder: Helg. Hund. I. SigurÖarkv. I (Gripisspa).
Sig. II (Regiusmäl). Fäfn. Sgrdrfm. Brot af SigurÖarkv. 2)
Sig. 111. GuÖr. IL Akv. Atlm. GuÖr. hvöt. HamÖism. — Auch
die prosa fra dauÖa Sinfjötla (Sintjötla lok) hat dem Verfasser
vorgelegen. Nach Bugge a. a. 0. kann die darstellung von
Sinfjötlis tod in cap. 10 der Völsunga saga nicht auf denselben
quellen beruhen, wie in dem prosastück der Sammlung: die
saga habe mehiere echte züge, die in R fehlen. Und auch
') Edda s. XLI.
-) So iat mit Bugge das früher sogenannte Brot al' BrynliildarkviÖu
zu nennen.
Beiträge zur gescliichte der doutauhea siiraclie. Ul. 15
2ltJ
SYMÜNS
Keysei'i) hält beide prosten für unabhängig von einander
entstanden, wol nach niiindlichem Vortrag. Dass aber die eine
prosa die andere benutzt hat, beweist der worthiut unvvider-
leulich.
Fi-;i daiitJ. Sinfj.
B. 2ü2, 10 f. pi\. bat5 Borghildr hanu
fara a brott
2o2, 13 f. en at erfinu bar Borg-
hildr öl
202, 15fi". en er hann sa i hornit,
skilt5i hann, at eitr var
f, ok mselti til Sig-
muudar : g j ö r 6 1 1 r e r
drykkrinu, ai! Sig-
muudr tök hornit ok
drakk af.
202, 30 f. hannsagÖi: lattu grön
sia pi, sonr!
202, 32 Sint^ötli drakk ok varÖ
J^egar dauÖr
Völs. s. c. 10.
B. 104, 25 lion biSr Sinfjötla fara
brott 6r rikinu
105, 3 f. Borghildr bar niönnum
drykk
105, 5 ff. hann tök vit5 ok sa i
hornit ok mselti. g j ö -
röttr erdrykkrinn.
Sigmundr maelti : fä
mer \>ä ! hann drakk af.
105, 14 Sigmundr svarar. lat
grön sia, sonr!
105, 16 Sintjötli drekkr ok fellr
j^egar ni?5r.
frä dauÖ. Sinfj. B. 202, 1 ff.
Die ganze erzählung von Sinfj ötlis bestattung (B. 202,
33 — 43 = Völs. s. B. 105, 16 — 23) bietet des übereinstimmenden
die fülle. Es kann aber nur die Völsunga saga die prosa der
Sammlung benutzt haben, denn was sich in dieser zusammen-
hängend findet, hat die saga durch verschiedene capitel hin
zerstreut, und überall da augebracht, wo es dem Verfasser in
den Zusammenhang passte.
= Völs. s. c. VIII (B. 100, 5 ff.).
c. X (B. 104, 17 ff.).
202, 9-19 = „
202, 20-24 = „
202, 24-43 = „
„ 202,43—203,9=,,
„ 203, 9—13 = „
Dass einige echte züge in der saga sich finden, die in R
fehlen, die dreifache Steigerung in Borghilds und Sinfjötlis
Worten, ist klar: es wird dies auf klarerer erinnerung eines
damals schon untergegangenen liedes beruhen, oder aber der
sagaschreiber mag wirklich ein paar vereinzelte Strophen vor
c. X(B. 104, 21—105, 8).
c. VII (ß. 95, 12—14).
c. X (B. 105, 8—23).
?
c. XIII (B. 110, 18—21).
>) Efterl. skrift. I, 182 ff. 350. Beide stellen widersprechen aich etwas.
VOELSUNGA SAGA. 217
sich gehabt haben. Anderes aber, wie 105, 15 'pä var ko-
nungr drukkinn mjök ok ]>yi sagÖi hann sy4' oder 105, 24,
'rekkr nü i brott druttuingina , ok litlu slÖar dö hon' halte
ich für einfache Zusätze in des Verfassers beliebter nuinier. —
Unbekannt, behauptet Bugge, seien dem Verfasser gewesen:
Helg. Hund. II; GuÖr. I, sowie die prosastiicke Drap Nifl. und
die einleitung zu GuÖr. IL Auch Helr. lirynh. GuÖr. III. Oddr.
sind nicht benutzt: hier liegen aber die gründe, weshalb verf.
sie gekannt und dennoch übergangen haben kann, nahe.^) Es
liesse sich darauf erwidern, dass die andern nicht benutzten
gedichte dem verf. eben so gut bekannt gewesen sein können.
Helg. Hund. II gibt in ihrem anfang dasselbe, was im ersten
Helgilied weit klarer und zusammenhängender erzählt wird;
die zweite eroti.sche hälfte, freilich eine perle eddischer poesie,
lag den zwecken des Verfassers ferner. GuÖr. I S erweilt bei
einem rührenden augeublick ' ■'^) , ohne der erzähluug einen
fortschritt zu gewähren. Das prosastück 'Drap Nifl.' erzählt
nichts anderes als GuÖr, II und die Atlilreder. Die einleitenden
Worte zu GuÖr. II führen den j-jüÖrekr ein, dem Gudrun ihr
geschick klagt : einer zusammenhängenden darstellung ziemte es,
den monolog des lied^es in eine einfache erzählung zu verwan-
deln. — Allein es lässt sich, ohne zu solchen allgemeinen Über-
legungen seine Zuflucht zu nehmen, leicht wahrscheinlich
machen, dass Helg. Hund. II, GuÖr. I, Helr. Brynh., Oddr. und
Drap Nifl. dem Verfasser wol bekannt waren.
Helg. Hund. IL P. E. Müller s) scldiesst aus den
Worten am schluss von cap. 9 (B. 104, 13 — 15) 'pat riki tök
Helgi konungr ok dvalÖist J?ar lengi ok fekk Sigrünar ok
gerÖist fraegr konungr ok ägietr, ok er hann her ekki siÖan
viÖ |?essa sögu', dass der Verfasser mehr von Helgi gewust
habe, nämlich den Inhalt von Helg. Hund. II, dass er dies
aber fortgelassen habe, da es nicht mit Sigurds und Sintjötiis
geschichte in Verbindung stand.*) Bugge dagegen betrachtet
die Worte als redactionellen abschluss der Helgierzählung. Gibt
mau auch letzteres zu — allein auch das ist nicht wahrscheiu-
*) Bitgge a. a. o. s. XL.
2) HS- 359.
■') SB II, 51.
*) So auch Jessen a. a. o. 54.
15*
218 SYMONÖ
lieb, da uficli Jessens richtiger bemerkiiiig- das her darauf hin-
deutet, dass an anderer stelle anderes und mehr zu finden sei
— , so sprechen doch andere ni(»niente für kenntnis des iiedes.
a) lol, 14 f. 'I^viat meÖ eugum konungi vilda ek heldr
setr biia eu nieÖ per'. Zu diesen werten findet sich nichts
entsprechendes in H. H. 1, dagegen eriunern sie sehr an H.
H. II, 17:
nama Högna ma;r
of hug maela,
hafa kvazk hou Helga
hylli skyldu.
b) In den beiden Helgiliedern herscht schwanken in betreff
der namen von Hundiugs söhnen.
H. H. I, U A'lf ok Eyjulf
Hjörvaiö ok HavarÖ
H. H. II, prosa vor 14 (B. 193 b, 13).
A'lf ok Eyjölf, Hjörvar?5 ok Hervarö.
Die Völsunga saga scheint beide angaben vereinigt zu
haben: c. 9 (B. 101, 1): A'lf ok Eyjölf, HervarÖ ok HagbarÖO,
während dann Sigurd c. 17 (ß. 118, 21) auch noch den
HjörvarÖ tötet.
GuÖr. I. e. 19 (B. 124, 11) heisst es 'ok eptir |?etta etr
bann [SigurÖr] suman hlut hjartans ormsins, en sumt hiiÖir
bann': die Fäfn. pr. vor 40 (B. 225b, 2) bieten bloss: }>»ä at
bann Fäfnis hjarta.' Zu der änderung hat den Verfasser ,>ol
nur die stelle der prosaischen einl. zu GuÖr. I bewogen (B.
242, 6 ff.): '|>at er sögn manna, at GuÖrün hefÖi etiÖ af Fäfnis
hjarta.' Allerdings gibt auch c. 26 (ß. 143, 29): 'SigurÖr gaf
Gubrünu at eta af Fäfnis hjarta, ok siÖau var hon uiiklu grim-
inari en äÖr ok vitrari': das lied, auf dem das capitel beruht,
ist verloren ; gewis aber hat sich diese bemerkung nicht mitten
in einem liede von Sigurds hochzeit gefunden, sondern wird
auch da auf grund der prosaeinleitung zu GuÖr. I eingescho-
ben sein.
Helr. Brynh. Dass wenigstens die prosaische einleitung
dem Verfasser bekannt war, ist unten -) im Zusammenhang
erörtert.
*) Gewis nur überlieferungsfehler für HävarÖ.
2) s. 237.
VOELSUNGA SAGA. 219
Oddr. Die keimtnis dieses liedes wird wahrscheinlich •
durch vergleichung- von Oddr. 32 mit Völs. s. c. 37 (B. 178,
12 ff.) Andere gründe werden sieh noch im verlauf der Unter-
suchung ergeben.
Drap Nifl. c. 33 (B. 16S, 6 f.) beruht auf Drap Nifl.
(B. 261, 16 f.).
Dr. Nifl. ok kny'tti i vargshAr. Völs. s. GuSrün ristr rünar, ok hon
tekr ein guUhring ok
kny't ti I vargshär
Ebenso beruht die darstellung von Gunnars tod c. 37 (B.
178, 5 ff.) teilweise auf Drap Nifl. (B. 264, 28—30):
Dr. Nifl. hann slö hörpu ok svefÖi Völs. s. ok j?ar til lek hann jjessa
ormana , eu uat5ra stakk I]7rött, at allir sofnutJu or-
hann til lifrar. marnir, nema ein naSra
mikil ok illilig . . .
An beiden stellen haben die Atlilieder nichts entsprechendes.
Uuerweislich bleibt demnach nur die kenntnis der Gu-
(5rünarkviÖa III. Dieser wunderliche wilde schössling der sage
wird aber dem sagaschreiber ge\vis eben so gut bekannt ge-
wesen sein, wie alle anderen heldenlieder der sogenannten
Ssemundar-edda: ihn zu benutzen hätte aber von grosser ge-
schmacklosigkeit gezeugt. Der liederschatz unserer Sammlung,
soweit er die heldenlieder betrifft, lag also unserm Verfasser in
demselben umfang vor, wie uns.
Ferner aber lässt sich nachweisen, dass der dem saga-
schreiber vorliegende codex im wesentlichen ganz dieselben
prosastiicke wie E enthalten hat, und zwar im grossen und
ganzen in derselben Ordnung- der lieder und prosastiicke. Beides
Avird folgende tabelle veranschaulichen, in der ich die folge der
einzelnen lieder und prosastiicke nach R gebe und die ent-
sprechende stelle der paraphrase in der saga ihnen gegenüber-
setze. Der leichtern Übersicht wegen numerire ich die ein-
zelnen prosastücke mit beifügung von Bugges zeileu- und
Seitenzahl.!)
') Im allgemeinen sei bemerkt, dass den citaten der liedstrophen
Bugges ausgäbe zu gründe liegt. Die prosastiicke citiere ich der kürze
halber in der regel nur nach Bugges selten- und Zeilenzahlen.
220
SYMONS
R
Hcig. lluud. 1, ötr. l— 5().
[Helg. Hund. IL
FrädauÖaSinfjötl:i(B. 202, l-_>0:{, n).
iSig. I. [Gripisspä].
Sig. II. prosa 1 (B. 212«, 1-35).
Sig. II, Str. 1—4.
Sig. II. prosa 2 (B. 213a, i_6).
Sig. II. Str. 5.
Sig. II. prosa 3 (B. 213^ 1-9).
Sig. IL Str. 6—9.
Sig. IL prosa 4 (B. 214a, i_6).
Sig. IL Str. 10. 11.
Sig. IL prosa 5 (B. 214'% 1—7).
Sig. IL Str. 12.
Sig. IL prosa 6 (B. 214«, 1-215«, 2).
Sig. IL Str. 13. 14.
Sig. IL prosa 7 (B. 215% 1—14).
In der Völs. s. benutzt
c. VIII. IX. Bugge 100, 7-104, 13.
vgl. s. 217 f.]
c. X. B. 104, 16—105, 26. Vgl.
auch 95, 11—13.
Kurzer auszug c.XVI. B. 126, .5—12.
c. XIIL B. HO. 23 f. 111, 21 f. XIV.
B. 112, 11—113, 6.
c. XIV. B. 113, 17— IM, 3 [Str. 3.
4, unbenutzt],
c. XIV. B. 114, 4—6.
c. XIV. B. 114, 6—8.
c. XIV. B. 114, 8—13.
c. XIV. B. 114, 14—19 [nur str. 6
benutzt.]
Nicht uumittelbar benutzt. Den
wesentlichen iuhalt von prosa 4.
5 gibt c. XIV. B. 114, 20—26.
c. XV. B. 115, 5 — 116, 1. Noch
andere quellen '?
Sig. IL Str. 15. c. XV. B. 116, 1—2. XVI. B. 116,
12—15.
Sig. IL prosa 8 (B.21515, 1—216% 2). c. XVIL B. 116, 16—117, 2.
Sig, IL Str. 16—18. c. XVIL -B. 117, 2—16
Sig. IL prosa 9 (B. 216S 1—3). c. XVIL B. 117, 6—17.
Sig. IL Str. 19—25.
Sig. IL prosa 10 (B.217b, 1— 218^1,2).
Sig. IL Str. 26.
Sig. IL prosa 11 (B. 218^^, 1—3).
Fäfn. prosa 1 (B. 219», 1 — 14).
Fäfn. Str. 1.
Fafn. prosa 2 (B. 219b, 1—5).
Fafn. Str. 2—22.
Fäfn. prosa 3 (B. 223», 1—4).
Fäfn. Str. 23—26.
Fäfn. prosa 4 (B. 223", 1—5).
Fäfn. Str. 27—31.
Fäfn. prosa 5 (B. 224. 1—11.
Fäfn. Str. 32—39.
Fäfn. prosa 6 (B. 225, 1—5).
Unbenutzt.
c. XVIL B. US, 3 ff. Weiter aus-
gedehnt !
Unbenutzt.
e. XVIL B. 118, 26—29.
c. XVIII. B. 119, .3—120, 2. Noch
andere quellen?
c. XVIIL B. 120, 2—4.
Unbenutzt.
c. XVIIL B. 120, 4—122, 8.
c. XIX. B. 122, 9. 16 f.
c. XIX. B. 122, 10—16 [Str. 24— 26
nicht benutzt].
c. XIX. B. 123, 5—6.
c. XIX. B. 123, 7— S. 122, 17—123, 3.
c. XIX. B. 123, 8-13.
c. XIX. B. 123, 13—20. 124, 2—9.
c. XIX. B. 124, 9—12.
VOELSUNGA SAGA.
221
Fäfn. Str. 40—44.
Fäfn. prosa 7 (B. 226, 1—13).
Sgrdrf. prosa 1 (B. 227, 1 — 18).
Sgrdrf. Str. 1. 2.
Sgrdrf. prosa 2 (B. 228, 1—4).
ygrdrf. Str. 3. 4.
Sgrdrf. prosa 3 (B. 229, 1—21).
Sgrdrf. Str. 5—292.
Lücke.
Brot af Sig. [1 — 19J.
Fra dautJa Sigur?5ar, prosa (B. 241,
1—15).
Gu?5r. I. prosa 1 (B. 242, 1—10).
Gut5r. I. Str. 1—27.
GuSr. I. prosa 2 (B. 246, 1—9).
Sig. III. Str. 1—71.
Helr. Brynh. prosa (B. 260, 1—9).
Helr. Brynh. str. 1—14.
Drap Niflunga (B. 264, 1—30).
GuSr. II. prosa (B. 265, 1—5).
(4uÖr. II. Str. 1—44.
Gu?5r. III. prosa (B. 274, 1—5).
Gu?5r. UI. Str. l— 11.
Oddriinargr. prosa (B. 276, 1 — 18).
Oddrünargr. str. 1 — 34.
Akv. prosa 1 (B. 282, 1—6).
Akv. Str. 1—43.
Akv, prosa 2 (B. 291, 1. 2).
Atlamäl str. 1 — 105.
c. XIX. B. 123, 20—124, 2. Stark
gekürzt!
c. XIX. B. 124, 12—23.
c. XX. B. 124, 24—125, 7.
c. XX. B. 125,7—14. Stark geänd.!
c. XX. B. 126, 3—4.
c. XX. B. 126, 1—2.
c. XX. B. 125, 14—22.
c. XX. B. 126, 5—132, 7. XXI. 132,
8—133, 1.
fc. XXI. B. 133, 2 — c. XXIX. B.
155, 5].
c. XXXI. B. 159, 16—160, 4 [nur
str. 15 — 19 benutzt].
Unbenutzt.
Unbenutzt [vgl. aber: s. 218].
I Unbenutzt.
c. XXX. B. 155, 6—156, 7. 157,
15—159, 8. XXXI. B. 160, 5—162,1.
[ Unbenutzt.
Unbenutzt [vgl. aber: s. 219J,
Unbenutzt.
c. XXXII. B. 162, 15—166, 17.
XXXIII. B. 167, 1—17.
[ Unbenutzt.
[ Unbenutzt [vgl. aber s. 219].
Unbenutzt.
c. XXXIII. B. 168, 14—169, 3.
XXXV. B. 171, 21—172, 3. 18,
173—2. XXXVII. B. 175, 16—22.
177, 1—178, 7. XXXVIII. B. 182,
3—6.
Unbenutzt.
c. XXXIII. B. 167, 21 — 168, 13.
169, 3—8. 15 — 17. XXXIV. B.
169, 18—171, 7. XXXV. B. 171,
8—21. 172, 3—18. 17.^, 2— (1.
XXXVI. B. 173, 12—1/5, 9.
XXXVII. B. 175, 10—11. 24—
177, 1. 178, 7 — 10. XXXVIII.
B. 178, 15—182, 3. 182, 6—8.
222 SYMONS
<!ll^^. hvöt pvosa (B. .'^11, 1—18). c. XXXIX. B. 182, 16—22.
Gtu>r. hvöt Str. 1—21. c. XLl. B. 184, 19—185, 2:^.
HamÖismäl str. 1—31. [c. XLIl. B. 18(5, 4—7. 16—22.
187, 2—0].
HamÖisnial prosa (B. 323. 1. 2). Unbenut/.t.
Einzelne abweicliungen in der Ordnung der benutzung nind
folgende. Der kurze auszug der Gripisspä ^) ist in die pnra-
plirase der Eeginsmäl eingeschoben. Das ist die natürliclie
Ordnung der ereignisse : der verf. lässt Gripirs Weissagung erst
nacli dem sclmiieden des Schwertes eintreten , in übereinstini-
rauug mit Grip. str. 9. Die paraphrase der letzten Strophen
(15 — 19) des Brot af Sig. ist in die der SigurÖarkviÖa III ein-
geschoben, wie die der Akv. in die der Atlm., da au beiden
stellen wesentlich paralleldarstellungen vorlagen. — An ein-
zelnen orten findet sich in kleinigkeiten gewis eine bessere
Ordnung in der Völsunga saga als in R : so hat bereits Bugge-)
darauf aufmerksam gemacht, dass in dem anfang der Sigrdrl-
fumäl die Ordnung der Völsunga saga c. 20 (B. 125, 14 — 126,4)
gewis die ursprünglichere, dagegen die in R verderbt ist. Auch
in der Ordnung der Reginsmäl vermute ich, dass die Völsunga
saga an einzelnen stellen das richtige hat.
So viel geht wol aus einer vergleichuug der benutzung
wie vor allem der Ordnung dieser benutzung mit bestimmtheit
hervor, dass Bugges aufstellung, die sannnlung, die dem saga-
schreiber vorlag, habe mehrere gedichte nicht gekannt, die K
enthält, unhaltbar ist. Die kenntnis eines, vielleicht auch
mehrerer lieder, und einiger prosastücke ist allerdings uner-
weislich: da sich aber ihre nichtbenutzung aus dem ganzen
Charakter derselben genügend erkl.-irt, sonst die Übereinstim-
mung in der benutzung der lieder und ])rosastücke wie in
ihrer reilienfolge geradezu schlagend ist, haben wir allen grund
zu der annähme, dass die Sammlung, die dem sagaschreiber
vorlag, keine andere als unsere fälschlich sogenannte Sj^emun-
dar-Edda war.
Dass die vom sagaschreiber benutzte hs. der Sammlung
') Gripisspä mit langer erster silbe schreibe icli nach dem Vorgang
Zupitzas zs. für deutsche phil. IV, 445, dem sich auch Hüdebrand in
seiner ausgäbe angeschlossen hat.
2) Zu Sgrdrf. 2.
VOELSUNGA SAGA. 223
und R auf dieselbe vorläge xuiUckgehen, lässt sich iiidit er-
Aveisen, ist aueli kaum wahrseheinlich. Gewis aber ist, dass
an manchen stellen die hs. des Verfassers besser war als R,
es scheint glaul)lich, dass manche dieser fehler und auslassungen
nicht dem Schreiber von R, sondern bereits seiner vorläge zu-
zuschreiben sind. Manche liicken in ß finden sich in der Völ-
sunga saga nach besserer vorläge widergegeben, die letzte
halbstrophe von Fäfn. 3 fehlt R; Völs. s. c. 18 (ß. 120, 8 f.)
hat sie gekannt und gibt sie wider. Nach At!m. str. 26 fehlt
die correspondierende strophe Gunuars in R, die Völs. s. c. 34
(ß. 170, 13 f.) erhalten scheint. Die zweite halbstrophe von
Sgdrfm. 8 fehlt R, aber nicht Völs. s. (ß. no. 11). Auch ein-
zelne lesarteu dci- dem Verfasser vorliegenden hs. sind wol
bessere gewesen. So Fäfn. 9:
heiptyrÖi ein
telr ]ni |H'r i hvivetna.
Dafür findet sich Völs. s. c. 18 (ß. 120, 24): heiptyrÖi
tekr ]n\ livetvetna jnii), er ek mseli. Letzterer sinn passt
ungleich besser in den Zusammenhang. Freilich ist die mog-
lichkeit nicht ausgeschlossen, dass äuderung des sagaschreibers
hier vorliegt. Jedenfalls will mich bedünken, dass ßugge in
der Verwertung der saga für die textkritik der Eddalieder viel
zu weit gegangen ist: es wird sich noch im verlauf der dar-
stellung zeigen, dass der sagaschreiber sich auch im Wortlaut
gern selbständige änderungen erlaubte.
Es ist nun die art der benutzung genauer ins äuge zu
fassen.
Die erste spur einer benutzung lässt sich vielleicht c. 7
(ß. 95, 11 ff.) nachweisen, wol ]}eruhend auf frä dauÖ. Sinfj.
Indes ist die Übereinstimmung nicht so gross, dass wir not-
wendig benutzung annehmen müssen. — Mit c. 8 (ß. 100, 5)
beginnt dann nach einer kurzen aus Sinfj. lok genommenen
Orientierung eine paraphrase des ersten Helgiliedes, die bis
zum schluss von c. 9 geht. str. 1. 2 sind ganz kurz wider-
gegeben, str. 3 — 7, als unwesentlich für den fortgang der er-
zählung, ganz übergangen. Die aufzählung der städte, die
0 Vielleicht ist nach Bugges Vorschlag zu lesen: hvetvetna ]>nt
oder hvervetna i J?vi.
2-24 SYMONS
Helgi str. 8 von Sigmund als erbe erhält, ist gekürzt, von den
sieben n<anicn nur zwei behalten. Es scbliesst dann c. 8 mit
den Worten (100, IG f.): ^var Helgi konungr yfir li<5inu , en
Sinfjötli var lenginn til meÖ honum , ok reöu bäÖir liöi': die
erwälinung Sinfjötlis findet sich nicht im liede, war aber nötig
wegen des folgenden zaukgesprächs zwischen Sinfjötli und Gu?5-
mundr. — Im folgenden wird dann der kämpf Helgis mit den
Tlundingssöhnen kurz nach str. 10 — 14 geschildert, die aus-
maluug der schlackt ist aber ein zusatz in der beliebten weise
des sagaschreibers. Die namen der von Helgi getöteten Hun-
dingssöhne sind etwas abweichend. *) Wichtiger aber ist, dass
Str. 14, 7—8:
farit haf?5i hann allri
?ett geirmimis [Hundings]
übergangen ist, da nach anderer darstellung (Sig. II, 26) Sigurd,
aber auch Sigmund, noch kämpfe mit den Huudingssöhnen zu
bestehen hat. Wir finden hier das erste beispiel für das stre-
ben des Verfassers nach ausgleichuug sich widersprechender
sagenformen. — Es folgt die begegnung mit Sigrün, die ganz
modernisiert ist: mit recht wird SB. II, 49 bemerkt, dass die
valkyrie zur einfachen prinzessin geworden ist, die mit ihren
Jungfrauen spazieren reitet. Das gespräch zwischen Helgi
und Sigrün ist wesentlich nach str. 16 — 20 widergegeben: die
Avorte (B. 101, 14 ff.) ']?viat meÖ engum konungi vilda ek heldr
setr büa en meÖ ]?er ' aber haben nichts entsprechendes und
scheinen, wie bemerkt, auf Helg. Hund. II, 17 zu beruhen. —
Wenn str. 18 es im liede heisst:
en ek hefi, Helgi!
HöSbrodd kve?5lnn
konung öneisan
sem kattar son,
und dafür in Völs. s. c. 9 (B. 101, 11 f.) eintritt 'en ek hefi
pxi heitit, at ek vil eigi eiga hann, heldr en einn kräkuunga,
so zeigt dies das streben des Verfassers, ihm ungeläufige Wen-
dungen durch geläufigere widerzugeben.2) Das folgende, Helgis
1) Vgl. s. 218.
2) Dass kräka und kräkuungi bezelchnungen für etwas verächt-
liches sind, belegt Biigge zu H. H. I, 18, 7 aus Yngl. s. c. 31 und Fms.
VIII, 241. Vgl. auch Aslaug als Kräka.
VOELSUNGA SAGA. 225
seesturm, Sinfjötlis zank mit Gii(^mundr und der kämpf mit
den GraumarssüliEen scliliessen sicL in gekürzter darstellung an
das erf^te Helgilied au. In den namen sind abweiclumgen :
dass statt GuÖmuudr, Hodbrodds bruder, Graumarr, Hodbrodds
vater, deu zank mit Siufjötli führt, mag blosser abschreiberfehler
sein. Im einzelnen ist überdies manches geändert. Für Ylfin-
gar Str. 34 sind Völsungar eingetreten, wie denn überhaupt
der Verfasser ersteren namen vermeidet. Str. 36 :
J7Ü hefir . . .
. . broe?5r j^inum
at bana oröit
ist geändert in ^ok broeÖr |?lna drepit' (102, 24), da ja nach
der früheren darstellung Siufjötli zwei söhne des Siggeirr
tötet. — Auch Zusätze finden sich: so die worte 102, 24 ff.
'ok er kynligt, er ]ni porh at koma 1 her meb göÖum mönnum'.
Ueberhaupt ist im grossen und ganzen die darstellung eine
ohne kenntnis des liedes oft unverständliclie geworden. — Die
letzte Strophe des liedes scheint unbenutzt zu sein, dagegen,
wie bemerkt, der schlusssatz von c. 9 auf kenntuis des zwei-
ten Helgiliedes zu deuteu.
c. X gibt in etwas erweiterter darstellung die prosa frä
daub'a Siufjötla (B. 202 f.) wider.»)
c. XI und XII (Sigmunds Vermählung und fall, Hjördis
zweite vermähluug mit Alfr) beruhen nicht auf quellen unserer
Sammlung: ihre sagenhafte gewähr 'kann erst später erörtert
werden.
c. XIII (Sigurds geburt und erziehung durch ßeginu, Gra-
uis erkiesuusO beruht gleichfalls nicht durchweg auf nachweis-
barer quelle. — Allein ich halte dies capitel nicht für die
widergabe eines verlorenen liedes, sondern für ausweitung der
prosaischen einleituug zu den Eeginsmäl (SigurÖarkviÖa II).
Für diese annähme spricht zunächst, dass alle in c. 10 erzähl-
ten begebenheiten in jener prosa angedeutet sind: dass Sigurd
von Regln erzogen wird, die erkiesung eines rosses und Regins
aufreizung. Ueberdies findet sich mitten im capitel eine wider-
gabe des Siufj. lok (B. 203, 7—13).
') Vgl. s. 215 ff.
226 SYMONS
Völs. s. 110, 15—17. 19—21. Sinfj. lok B. 20:5, 7—13.
tVa lionum sogja ullir oitt, ;itt um öx SigurÖr j^ar upp i barna^sku.
atferö ok vöxt var cni^i lians niaki Sigmuiidr ok allir synir luins väni
lanf^t uinfram alla menn atira um
ok jni er nefndir eru allii" hinir all ok vöxt ok hug ok alla atgervi.
agseztu menn ok konungar i for- SiguiÖr var ]?6 allra framarstr ok
uum sögum , ]>k skal SigurÖr fyrir hann kalla allir menn i fbrnfroe?5um
gaiiga um afi ok atgervi , kapp ok um alla menn fram ok göfgastan
lu-eysti, er hann liefir hat't um livern herkonunga.
mann framra aunarra i norÖrälfii
heimsins. SigurÖr öx pur upp meÖ
Hjalpreki
Die ganze darstellung des capitels zeigt das bestreben,
einzelne andeutuugen zu einer zusammenhängenden erzälüung
zu verknüpfen, die für die saga notwendig war. Dass Sigurd
überhaupt geboren und erzogen wird, konnte jedes lied als
selbstverständlich übergehen, die saga muste es ausdrücklieh
erzählen. Auch solche züge wie 40, 12 f., dass Hjalprek sich
über Sigurds leuclitende äugen freut, stehen zwar ganz im Zu-
sammenhang der sage, werden aber zu oft in den liedern an-
gedeutet (vgl. Fäfn. 5), um die Voraussetzung einer quelle not-
wendig ZU machen. — Wichtiger ist das eingreifen Odins bei
Granis erkiesung, das gerade hier am wenigsten auflallendes
hat. Nach der prosaischen einleitung zu Sig. II ist Odin bei
diesem akte nicht tätig. Ob in der tat Odins eingreifen hier
alte sagenüberlieferuug ist, wird sich erst später besprechen
lassen: vorläufig ist nur zu sagen, dass dies jedenfalls nicht
auf einem liede zu beruhen braucht, sondern auch mündlicher
Überlieferung seine entstehung verdanken kann. Die dann fol-
genden aufreizungen Regins zur tötung Fäfnirs finden sich an
verschiedenen stellen des zweiten Sigurdsliedes angedeutet.
Diese Überlegungen machen es mir höchst wahrscheinlich, dass
c. 13 nicht, wie Bugge a. a. o. s. XXXVII will, auf einem
verlorenen liede beruht, sondern freie, durch den sagastil ge-
botene erweiterung des Verfassers ist, die an manchen stellen
an Volksüberlieferung angeknüpft haben mag.
Mit c. XIV beginnt eine ziemlich wörtliche widergabe der
prosaischen einleitung der Sig. II, die freilich, nach des Ver-
fassers weise, breiter angelegt ist. Wenn Bugge aus der wider-
holung 112, 15 f. ^Otr .... var jafnan i änni ok bar upp fiska
VÜELSÜNGA SAGA. 227
meÖ muDni ser' — und 113, 4 'Otr broÖir minn for jafnaii i
}?enna fors ok bar upp fiska i munni ser' auch liier auf be-
uutzung- zweier quellen scWiesst, so ist das nicht nur ganz un-
nötig-, denn beides besagt gar nicht dasselbe — die erste stelle
spricht nur von Otrs wesen überhaupt, die zweite von Andva-
rafors und Otrs aufenthalt in demselben — , sondern wol ge-
radeswegs undenkbar, denn wie hätten zwei verschiedene quellen
wörtlich gleich lauten können? — Sig. II, 1. 2 werden auge-
führt, 3. 4 sind nicht benutzt, da sie überhaupt nicht in den
Zusammenhang hinein passen. Dagegen sind str. 5, sowie die
vorhergehende und folgende prosa (ß. 2i3a, 1 — 6 213b, 1—9)
im ganzen genau widergegeben und str. 6 citiert. -— Eine ab-
weichung ist hier jedoch von inleresse: 114, 6 wird Andvaris
fluch widergeg-eben : 'at hverjum skyldi at bana verÖa, er
J>ann guUhring setti, ok svä allt gullit.' Dem entspricht
Sig. II, 5:
]7at skal gull,
er Gustr ätti
u. s. w.
Möglicherweise hat der Verfasser doch noch gefühlt, dass
der fluch Andvaris ursprünglich an den ring sich knüpfe,
und hat diesen deswegen eingesetzt: wahrscheinlicher aber hat
er eine doppeldeutigkeit seiner quelle beseitigt, da an. gull ja
auch speciell 'goldring' bedeutet. — Der schluss des capitels
fasst die weitläufigere darstellung des liedes str. 7 — 14 zusam-
men: eine Überleitung zum schmieden des Schwertes bildet
das ende.
Es folgt nun c. 15 die erzählung vom schmieden des
Schwertes Gram, viel ausführlicher als in der prosa vorstr. ir>
der Reginsmäl (ß. 215 a, 1 — 14): dass indes diese prosa zum
schluss benutzt ist, beweist eine einfache vergleichung des
Wortlautes :
115, 25 ff. Sig. II. B. 215, 6 ü.
SigurÖr lijü i stet5jann ok klaut" Reginn gerÖi Siguröi sverö, er
mt5r i fotiim, ok brast eigi ne brot- Gramr het; j^at var svä hvast, at
naÖi; liann lofaÖi njjük sverti ok hauu bra pvi otan i Rin ok let reka
for til arinnar lueÖ uUarlagö ok ullaiiag(5 (yr straumi, ok tok i siindi-
kastar i gegii straumi, ok tok i lagÖiun sem vatuit. pvi sverÖi
sundr, er hanu brä viö svert5inu; klaut" SigurÖr i suudr steÖjaKegins.
gekk SigurtJr )?a glaÖr heim.
22S SIMONS
Ebenso ist der schluss des capitels eine widergabe von
8ig. II, 15. — Der anfang aber, dass Regin erst da ein scbwert
zu stände bringt, das für Sigurd taugt, als dieser die stücke
des zerbrochenen Odiuscbwertes, welcbc^; Sigmund geführt batte,
herbeiholt, ist ein ganz neuer zug. Den zug selber halte leb
für echt, ohne dass dem Verfasser dennoch hier eine verlorene
quelle vorgelegen zu haben braucht. Es war c. 12 erzilblt.
wie Sigmund die stücke seines vor Odins ger zerschellten
Schwertes der Hjördis übergibt, dass sie sie für Sigurd be-
wahre: offenbar beruht jene stelle auf einem verlorenen liede,
bestätigt wird sie durch eine spätere stelle der saga c. 25 (B.
141, 2 ff".), und auch Hyndl. 2 erhält Sigmund von Odin das
Schwert. Die not\\ endige consequeuz muste sein, dass diese
scbwerttrümmer nun aucb für Sigurd neu gescbmiedet werden ;
die Vermutung wird deshalb erlaubt sein, dass der sagaschrei-
ber hier, ohne nähere quelle, die consequenzen jener früheren
stelle gezogen und in die parapbrase des zweiten Sigurdsliedes
sich einen einschub erlaubt hat.
c. XVI ist ein ganz kurzer auszug der Grlpisspä (SigurÖar-
kviÖa I, die der Verfasser in ihrer ganzheit natürlich nicht
brauchen konnte, 'en litlu slÖar, en sverÖit var gert' (116, 6)
ist eine Zeitbestimmung, die selbständig hinzugefügt ist, aber
sieb in Übereinstimmung mit Sig. I, 9 als die verständigste ergab.
Auch iu der erzählung des c. XYII (Sigurds kämpf mit
den Hundingssöbnen) lässt sich nur eiue erweiterung von
Sig. II erblicken. Mit der dürftigen erwähnung der prosa B.
215b, 1 — 216a, 2 konnte ein zusammenhängender bericht sieb
nicht zufrieden geben, falls die darstellung nicht eine einfache
protokollierung von factis werden sollte. Dass aber wirklich
jenes prosastück benutzt ist, ergibt sieb aus dem Wortlaut:
171, 1 f. Sig. II, B. 215b, 3 f.
or eu j^eir sigldu Iram fyrir ok beittu fyr bergsnüs nakkvaia.
bergnüs nökkiu-a.
Dass wir ferner zur annähme weiterer quellen keine be-
recbtigung haben, zeigt 11(3, 2S f.: "eigi baÖ SigurÖr svipta
seglunum, J^tt rifuuÖu, heldr baÖ bann b?era sctja eu äbr.' —
Es ist das nämlich eine reminiscenz an den seesturm Helgis
c. 9 (B. 102, 5): 'Helgi baÖ ]ni ekki üttast ok eigi svipta seg-
lunum, heldr setja hvert bsera en aÖr.' (Vgl. H. H. I, 29).
VOELSUNGA SAgA. -229
Auch die erwähnung des roten meeres (116, 28) kann wol
nicht gut einem liede entnommen sein, — Die besänftigung-
des Sturmes durch Hnikarr-O'Öinn beruht auf Sig. II, 16. 17
und der prosa vor str. 19 (ß. 216 b, 1 — 3): str. 18 wird citiert.
Im liede folgen dann lange Weisheitsregeln Odins, die der saga-
schreiber ausgelassen hat. Dafür gibt die saga eine ganz aus-
führliche kampfschilderuug (117, 19 — 118, 25), der im liede
nur wenige prosazeilen (ß. 217b, 1 — 218a, 2) und str. 26 ent-
sprechen. Dass hier ein einfacher zusatz vorliegt, ergibt sich
daraus, dass die ganze langatmige Schilderung aus frühem
kampfesschilderungen c. 9 und 11 armselig zusammengelesen
ist. Als charakteristicum für des Verfassers arbeitsweise setze
ich die vergleichung ganz hierher, ohne vorläufig entscheiden
zu wollen, ob in c. 11 die analoge Schilderung auf quellen
beruht.
c. XVII (118, 5 ff.). c. XI (107, G ff.),
tekst l>ar in hartJasta orrosta tekst j^ar nü hör?5 orrosta,
me(5 )7eim-, mätti 'pur älopti sja ok f'ott «igmundr vseri gamall, j^ä
mart spjöt ok örvar margar, baröist lianu m'i hart ok var jafuan
öxi hart reidda, skjöldu klofua ok fremstrsinnamanna; heizt hvärki
margan mann steypast til jart5ar. viÖ honum skjöldr ne bryuja,
Ok er orrostan hefir svä sta- ok gekk liau jafnau i gegnum
?5it njjök langa hrit5, soekir Hö üvina sinna a j^eim degi, ok
Sigur?5r framm um merkin ok engl matti sja, hversu faramundi
hetir 1 hendi sverÖit Gram; hann j;eira i millum; mart spj6t var
höggr bseöi menn ok hesta ok j^ar a lopti ok örvar, en sva
gengr 1 gegnum fylkingar ok hlifÖu honmn hans spadisir, at hann
hefir baÖar hendr blöÖgar til varÖ ekki sarr, ok engi kuuni
axlar, ok stökk undan fölk, ]?ar töl, hversu margr maÖr feil
sem hann for, ok heizt hvarki fyrir honum; hann hafÖi ba-
viÖ hjalmr n6 brynja Öar hendr blöÖgar til axlar;
teil )?ar svä ok er orrostan haftSi staÖit
mart fyrir Hundingssouum, um hrid, pk kom maÖr i barda-
at engi maör vissi tö! ä. gann metJ sitJan hött etc.
c. IX (100, 20 ff.).
)?ar tekst orrosta me?S )7eim,
ok gengr Helgi fast framm, ok
ly'kst meÖ ]?vi sjä bardagi ....
l^eir eiga harÖa orrosta, ok
gengr Helgi i gegnum fyl-
kingar l^eira brceÖra ok aoikir
at merkjum sona Hündin gs ko-
nungs ....
23Ö - SYMONS
Es scliliesst daun das caj)itcl mit einer auf der schlussprosa
der IkCginsiiiäl (B. 21Sb, 1 — o) beruhenden erneuten aufreizung
Kegins.
Ueberblicken wir die benutzung- des zweiten Sigurdsliedes,
so charakterisiert sie des Verfassers arbcilsweise deutlich: ^vas
benutzt werden konnte, ward benutzt, kurze andeutungen aus-
gedehnt, eine widerliolung eigener werte nicht vermieden, gar
zu hxngweiliges ausgelassen, widersprechendes vereinigt. Eins
aber wird dadurch unleugbar erreicht, eine verständliche, gut
lesbare erzählung, die zwar wenig darstellungstalent verrät,
ihrem zweck jedoch völlig entspricht.
c. XVIII und XIX erzählen die tötung Fäfuirs und Kegins.
Der eingang ist bei w^eitem ausgedehnter als in R: unverkenn-
bar ist jedoch, dass die prosaeinleitung zu den Fäfnirsmäl (ß.
219, 1 — 14 dem Verfasser bekannt war.
Vüls. s. 119, 3 ff. Fafn. B. 219, 1 ff.
er Fafuir var vanr at skri(5a slöÖ Fäfnis, pk er liann skreiÖ til
vatns
SigurÖr gerÖi gröf eina l^ar göröi Sigurör gröf mikla
hann fny'sti eitri alla leit5 fyrir sik bles kann citri, ok kraut ]mt fyr ofan
frainm hötuÖ SigurÖi
ok er ormrinn skreiÖ yfir gröfina, eu er Fäfnir skreiÖ yfir gröina, ]:>a
l^a leggr SigurÖr sverÖinu undir lagöi SigurÖr kann meÖ sveröi til
boexlit hjarta.
]>i bleypr SigurÖr upp ör gröfinni SigurÖr kljop ör grüfinnl
Indes ist ein ganz neuer zug in die darstelluug hinein-
gekommen, widerum ein eingreifen Odins, der den tückischen
absiebten Regins gegenüber Sigurd rät, mehrere gruben zu
graben, damit das blut des drachen besser abfliesse und Sigurd
nicht ertränke. Man könnte geneigt sein, hier eine verlorene
quelle wirklich anzunehmen. In feiner weise sucht Bugge^)
diese ansieht zu stützen durch eine halbstrophe der Sverris
saga c. 164 2):
üUkr ertu
yÖrum niöjum
}?eim er framraÖir
fyrri varu,
die dort ohne quellenaugabe citiert wird: kurz darauf wird
') a. a. 0. s. XXXVIII.
2) Frns. VIII, 409.
rOELSUNGA SAGA. 231
f äfn. 8tr. 6, 4 — 0 angefülirt. in dieser halbstrophe nun sieht
ßugge (las bruchstiick eines Sigurdsliedes , das dem saga-
schreibev an unserer stelle vorlag. Jene angeführten zeilen
sollen widergegeben sein 119, 13 f.: 'eigi mä )?er räÖ räÖa, et'
]?ü ert viÖ hvatvetna hrseddr, ok ertu ülikr |nnum frsendum
at hughreysti.' 1) — So geistreich diese Vermutung ist^ zwin-
gende kraft hat sie keineswegs: die halbstrophe hat keine so
prägnante färbung, dass sie sich nicht auch auf andere ähn-
liche Situationen beziehen könnte. Es bleibt überhaupt, wie
meiner ansieht nach Jessen '^) mit recht bemerkt hat, fraglich,
ob auch nur die halbstrophe aus den Fafn. aus diesem Hede
in die Sverr. s. übergegangen isu Gar wol mögen diese worte
farr er hvatr
er hroerast tekr,
ef bann er i bernsku til blauör
ein Sprichwort gewesen sein, das aus dem volksmunde in das
lied und in die saga unabhängig überging; nicht zu übersehen
i.st dabei, dass die Schwankungen in der Überlieferung nicht
unbeträchtlich sind.
Trotzdem ist hier die annähme einer verlorenen quelle
nicht ganz von der band zu weisen , es wird hier die erörte-
ruug über Odins eingreifen von gewicht sein. — Das gespräch
zwischen Sigurd und dem sterbenden Fafnir (120, 2 — 122, 8)
ist durchweg ein genauer auszug aus Fäfn. str. 1 — 22. Einige
male findet sich dabei das bestreben, unvermittelt auftretende
gedanken zu erklären, wodurch nicht selten ein falscher sinn
hineinkommt, str. 7, 3 — 6:
nü ertu haptr
ok hernuminn,
fe kveÖa bantlingja bifaz
wird widergegeben (120, 19 if.): 'en j^etta er meiri furÖa, er
einn bandingi hertekinn skal ]?orat hafa at vega at mer, |>viat
für hernuminn er froekn til vigs.' In dieser reiheufolge ist der
sinn der Völsunga saga unrichtig. — Merkwürdig wird auch
str. 11 mitgespielt; die etwas schwierige Strophe besagt kurz
'trotz aller vorsichtsmassregeln entgeht keiner seinem schick-
») Vgl. auch c. Di (ß. 112, 2 flf.).
■*) a. a. 0. 48, anm. 2.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. III. 16
232 SYMONS
ssul'; der Verfasser ändert das (121, 1 f.) in die j;ute lehre,
beim stürme nicht aufs meer zu fahren, sondern lieber am
lande auf windstille zu warten. — Str. 120;
ok kjösa moe?5r fra mögum
ändert der Verfasser in den gewöhnlicheren ausdruck 'ok kjosa
niögu frä ma'Örum.' i) — Zwischen die paraphrase von str. 15
und 16 ist die von str. 22, 1 — 3 eingeschoben: weshalb, weiss
ich nicht zu sagen. — str. 19 nicht benutzt. — 122, 2 — 4:
'riÖa muntu ]>ar til, er pn finnr svä mikit gull, at gert er um
l^iua daga, ok |>at sama gull verÖr ]?inn bani, ok hvers annars,
er |>at ä' ist eine erweiteruug aus str. 20, 4 — 6:
it gjalla gull
ok it glöÖrauÖa te,
per veröa ]?eir baugar at bana.
Durch den zusatz 'ok hvers annars er J>at ä' soll der fluch
Fafnirs mit dem Andvaris in Verbindung gesetzt werden.
Das XIX. capitel setzt die paraphrase von Fäfn. fort, auch
die prosastücke sind oft wörtlich benutzt. Ein zusatz ist 122,
13 f.: 'nü stendr Eeginn ok ser ni(5r i jörÖina langahrlÖ' und
noch einige andere harmlose zusätze finden sich (122, 20 f. 'ok
vissir . . . jörÖ; 122, 23 f. ok eigi hefÖir . . . annarra). —
Wenn es 123, 5 heisst: 'pä skar Sigurb'r hjartat ör orminum
meÖ }>vi sverÖi, er Rib'ill het', so ist SigurÖr wol nur Schreib-
fehler für Eeginn.'-) — Die ratschlage der adleriunen sind ab-
gekürzt: sehr beachtenswert ist, dass schon hier für Sigrdrifa
(str. 44, 5) Brynliild eingesetzt ist (124, 1): der zusatz 'ok mun
bann nema pa.Y mikla speki' anticipiert den Inhalt von Sigrdri-
fumäl. — Die tötung Regins und der erwerb des hortes stützen
sich auf str. 39, die prosa B. 225, 1 f. und die schlussprosa
ß. 226, 1 — 13; letztere ist erweitert. — Interessant ist noch
die bereits oben auf kenutnis der eiuleit. prosa zu GuÖr. I
zurückgeführte änderung, dass Sigurd nur ein stück von Fafnirs
herz isst, das andere aber aufbewahrt, um es später Gudrun
geben zu können. Solche züge zeigen deutlich das bestreben
des Verfassers, widersprechende angaben zu vereinigen, und es
') Man braucht nicht mit Grimm liecler der alten Edda, s. 1S7 die
lesai-t von R nach Völs. s. zu bessern. Vgl. zu Sgrdrfra. 9.
2) Vgl. Fäfn. B. 223 b, 1 ff. SE I, 35ö, lö.
VOELSUNGA SAGA. 233
lässt sich gerade dieses bestreben nicht scharf genug betonen,
da es die ganze composition der saga erklärt.
Wie in K folgt auch in der saga unmittelbar in c. XX
auf die schlussprosa der Fäfn. die einleitende prosa der Sigrdri-
fumäl. Beide lieder sind in R überhaupt nicht getrennt. —
124, 24 — 125, 7 widerholt jene anfaugsprosa nahezu wörtlich:
125, 7—14 aber ändert str. 1 sehr stark. Str. 1 spricht Sigr-
drlfa, aus dem zauberschlafe erwachend:
hvat belt brynju?
hvi brä ek svefni?
hverr feldi af mer
fölvar nauÖir?
und Sigurd erwidert:
Sigmundar burr,
sleit fyr skömmu
hrafns hrsehmdir
hjörr SigurSar.
Dagegen heisst es in der saga: 'hon spuröi, hvat svä var
mättugt, er beit brynjuna, „ok brä minum svefni: eÖa man her
kominn SigurÖr Sigmundarson , er hefir hjälm Fäfnis ok hans
bana i hendi?"' Sigurd bestätigt das dann in den landläufig-
sten phrasen. Es braucht nicht der Versicherung, dass die Si-
tuation der saga ungleich novellistischer dadurch geworden
ist. Damit steht in engem Zusammenhang, dass auch hier
Sigrdrifa zur Brynhild wird, und das ganze mit einer formellen
Verlobung endet. Auf die ganze schwierige frage nach der
Identität von Sigrdrifa und Brynhild wird später ausführlich
einzugehen sein: hier gentige es, die änderung des Verfassers,
durch die, wie ich glaube, der inhalt unserer sage bedenklich
zerstört wird, ausdrücklich hervorzuheben. — Die Ordnung der
Völsunga saga ist eine andere, wie die in R : allein ich möchte
hier mit Bugge ^) annehmen , dass sie in R verderbt ist, Sie
ist wenigstens in der saga unweit klarer und verständiger: für
das einzelne darf auf Bugges bemerkung verwiesen werden.
— Wie wenig übrigens dem Verfasser Sigrdrifas valkyriennatur
noch verständlich war, zeigt die bescheidene ablehuung (125,
22 tf.): 'hon svarar: |>er munuÖ betr kunna' u. s.w., von der
das lied nichts weiss. — Die Strophen 5. 6. 10. 12. 7 — 9. 11.
') S. 228.
16*
234 SYMONS
\[i, 1— ^>. 15 — 21 werden citiert mit mannigfaclieu textlichen
tibweichungeu, die kaum alle auf andere handselulftliche iiber-
lielerunj^ oder auf Schreiberwillkür deuten: manche möchte ich
dem verfiisser zuschreiben, ich komme darauf zurück.
In cap. XXI wird die paraphrase von Sigrdrifas weisheits-
regeln fortgesetzt, die nur zu der bemerkung veranlassung gibt,
dass nicht immer die reihenfolge der stro})hen innegehalten
ist. Mit den Worten Sgrdr, 29 -: ]?ütt meÖ seggjum fari sehliesst
für uns vorläufig die vergleichung. Nach diesen Worten tritt
die lücke in R ein, der schluss der Öigrdrfm. findet sich nur
in papierhss. Die erörterung der echtheit dieses Schlusses
wird sich besser im Zusammenhang der betrachtung jener
partie der saga, die der lücke in R entspricht, vornehmen
lassen.
Erst mit dem anfang von cap. XXX (B. 155, 6) werden
wir wider in den kreis der erhaltenen lieder geführt.
155, 6—156, 7 beruht auf SigurÖ. Fäfn. III, 6—20: die
ersten Strophen des liedes sind nicht widergegeben, da sie eine
jedenfalls jüngere Übersicht über vorangegangenes enthielten,
— Str. 14. 15. 16 haben eine gute correctur erfahren ; während
nach dem liede Gunnar erst Högni ruft, dann str. 15. 16 zu
ihm spricht, lässt der Verfasser ihn den inhalt von str. 15 für
sich sagen, dann Högni rufen und ihm den entschluss, Sigurd
zu töten, mitteilen. Wir haben aber wol nicht das recht, wie
Grundtvig nach Bugges Vorschlag getan hat, danach die reihen-
folge der Strophen zu ändern. — 155, 19 f. ^segir [Gunnarr]
at hann vill drepa SigurÖ, kvaÖ hann hafa velt sik i trygÖ'
seheint misverständnis aus dem freilich doppelsinnigen
vildu okr fylki
tll Qär vela (str. 16 i- 2),
wo indes das folgende beweist, dass okr subjectsacc. ist. —
156, 3 f. 'ok hennar räÖ koma oss i mikla svivirÖing ok skaÖa'
ist Zusatz.
Es folgt nun ein längeres stück, das nichts entsprechendes
hat (156, 7 — 157, 15). Bugge i) statuiert auch hier eine ver-
lorene quelle. Dazu aber liegt eine notwendigkeit kaum vor.
') a. a, o. s. XL. 251.
VOELSUNGA SAGA. 235
Das lied geht ausserordentlich sprunghaft vor. Es heisst
Str. 21:
dfelt var at eggja
(^bilgjarnan,
stöÖ til hjarta
hjörr Sigur{5i,
also ganz ohne Überleitung wird von Gunnars entschluss, Sigurd
zu töten, zum morde geschrittten. Mit recht bemerkt W. Grimm i)
'wie unzulänglich für epische entvvickelung und doch wie
})oetiscb anschaulich!' Was aber an einem liede als eine der
alliterationspoesie eigentümliche darstellung erträglich ist, wäre
es nimmermehr für eine prosaerzählung gewesen. Sie stellt
darum die Vorbereitungen zum morde etwas ausführlicher dar,
wesentlich mit anlehnung an das Brot af Sig: ja die citierle
Strophe (bei Bugge no. 26) ist geradezu aus Brot 4 entlehnt,
wenn auch in stark verderbter form. Dies schliesst schon an
und für sich die Wahrscheinlichkeit einer weitern quelle aus.
Der zug, dass Sigurds scharfe Völsungsaugen den mörder zwei-
mal zurückschrecken, macht einen sehr poetischen eindruck,
wnrd aber allgemeiner auch Brot 4 augedeutet, ist überdies
gerade im augenblick des Schlafes kaum ganz passend. Ueber-
haupt ist bemerkenswert, dass Sigurds glänzende äugen, die
Fäfn. 5 (inn fräneygi sveinn) angedeutet werden, vom Verfasser
an den verschiedensten stellen erwähnt werden (so liO, 13.
134, 12. 182, 14): sie mögen wol am ersten in der tradition
fortgelebt haben. Seine äugen heissen fast immer snör, wozu
der dänische Sivard Snarensvend zu vergleichen ist.
Die erzählung von Sigurds ermordung und letzten Worten
(157, 15—158, 20) folgt wider Sig. III, 22—28. Die letzten
hierher gehörigen worte (158, 17 — 20) sind zusatz, nach ge-
wöhnlicher annähme aus }?idr. s. c. 347 (Unger 301, 22 — 25.
27 — ^30) entlehnt: es wird später im zusammenhange gezeigt
werden, dass diese ansieht nicht das richtige trifft. — Auch
158, 11 — 13: ok nü er }>at . . . viö sköpum vinna ist zusatz. —
158, 21 — 159, 8 ist paraphrase von Sig. III, 29 — 33, im ganzen
treu: den schluss des capitels bildet abermals ein ganz allge-
meiner zusatz (159, 8 — 15), worte Högnis und Gudruns, die der
>) HS 2 373,
236 SYMONS
der Situation einen passenden abschliiss geben sollen. Nach
einer quelle für sie wird niemand suchen wollen.
Das XXXI. capitel beginnt mit einer eingeschobenen para-
phrase der schlussstrophen des Brot af Sig. (str. 15 — 19): die
vorhergehenden Strophen desselben waren für den Verfasser
nicht zu brauchen, da sie in einer ganz andern sagenform,
Sigurds ermordung im freien, stehen. Diese wenigen hat er
nicht unpassend in die widei-gabe des dritten Sigurdsliedes
eingeschoben, da sie einen beredten ausdruck für JJrynhilds
schmerz geben. — Merkenswert ist 160, 2: ok let [SigurÖr]
]>ik [Gunnar] fremstan vera, nämlich indem er Brynhild nicht
berührte; Brot af Sig. 17 liest
er hann fremstan sik
finna vildi.
Wenn nicht mit Bugge nach Völs. s. zu ändern ist, wäre die
besserung des sagaschreibers sehr verständig.
Es lenkt dann das cap. 160, 4 'ok snemma reÖu per til
saka viÖ hann ok viÖ mik' (viÖ hann ist überleitender zusatz)
in die paraphrase von Sig. III, 34 über; das lied Avird bis
zum schluss benutzt (160,4 — 162,2). In betreff der benutzung
ist noch folgendes zu ])emerken : str. 36 — 41 (Brynhilds er-
zwungene heirat) werden ganz kurz widei'gegeben, da dasselbe
schon c. 29 (B. 150, o if.) nach anderer, durch die lücke ver-
lorener quelle erzählt war, — 160, 11 'ok eigi mun yt)Y farast
J>ütt ek deyja' nimmt str. 53 5— S;
muna y?5vart far
alt i sundi,
|>6tt ek hafa
öndu latiÖ
vorweg. — 160, 12 — 26. Brynhilds tod ist vermenschlicht. Es
zeigt sich hier derselbe Verständnismangel für die valkyrien-
natur derselben, wie bei Sigrün. An stelle der Weigerung der
mägde, mit der herrin in den tod zu gehen und der stolzen
antwort der valkyrie (str. 5J. 52) setzt verf. den lahmen satz:
'allir )?ögbu. Brynhildr ma^lti: |>iggiÖ guUit ok njötiÖ vel!' —
161, 2 f. 'sa;ttast muuu ]-'it Gudrun brätt' beruht auf str. 54,
allein 'meÖ räÖum Grimhildar eunar fjölkungu' ist zusatz, auf
kenntnis von Gudr. II, 17 ff. fussend. — IGl, 11 'ok gipt Jör-
munreki konungi' ist zusatz. — 161, 12 f. 'ok pk er farin öll
VOELSUNGA SAGA. 2B7
sett yÖur' yÖur kaun sich uatiirlicli nur auf die Gjukungc
beziehen. Str. 64 5. 6;
pk er öU farin
Jett SigurÖar.
Der grund zur äuderuug- war die eiiiführung Aslaugs, durch
die Sigurds geschlecht nicht ausstirbt, i)
Das capitel schliesst (1G2, 3 — 10) mit der Verbrennung
von Sigurds und Brynhilds leichen. Diese erzählung ist aber-
mals ein Zusatz, und zwar ein höchst bezeichnender. Die ein-
leitende prosa zu Helr. Brynli. (B. 260, 1 — 9), die in K un-
mittelbar auf den schluss der Sig. III folgt, ist hier vom Ver-
fasser umgemodelt worden. Jene prosa widersprach dem ge-
rade vorher Sig. III, 65 fl". ausgesprochenen letzten wünsch der
Brynhild, ein Widerspruch, den der sagaschreiber nicht dulden
konnte, vielmehr in pietätvoller beachtung der letzten wünsche
der toten löste. Anstatt aus dieser änderung den schluss zu
ziehen, dass der Verfasser Helr. Brynh. in dem von ihm benutzten
codex der Sammlung nicht vorfand, ist man weit eher berech-
tigt, gerade das gegenteil anzunehmen. Die prosa findet sich
an derselben stelle in R und in Völs. s., die änderung des Ver-
fassers gibt abermals einen beleg für seine tendenz, sich wider-
sprechende sagenformen zu verschmelzen. — Dass Brynhild
Sigurds dreijährigen söhn töten liess, ist ein zusatz, der sieh
aus Sig. III, 12 ergab; das nochmalige anbieten des goldes
endlich (162, 7 ö'.) ist eine übel erfundene, für den Verfasser
aber ganz charakteristische ausraalung.
c. XXXII hebt an mit einer Verkündigung von Sigurds
weltruhm (162, 11 — 15), die nichts entsprechendes in den lie-
dern hat, aber zu l?idr. s. c. 348 (Unger s. 302, 19 — 23)
stimmt.2)
Es folgt dann eine widergabe der GuÖrünarkviÖa II (str.
19 9—12. 22. 23 citiert). Nach der einleit. prosa zu diesem
liede (B, 265, 1 — 5) klagt Gudrun den ganzen Inhalt desselben
dem J-»jöbrekr. Der Verfasser hat dies geändert: die ersten
Strophen lässt er Gudrun in ihrem gemache klagen, das
weitere von str. i) an behandelt er als erzählung. Wie aber
») Vgl. 8. 204.
=") Vgl. unten cap. III.
238 SYMONS
ßugge ') daraus scbliessen kann, die cinleit. piosa sei ilnn un-
bekannt g-ewesen, ist niclit recht vcrständlicli : was sollte in
einer zusannnenhäugenden crzäblung- die klägliche einführunj;
des Dietrich als stumme persou, die geduldig der vita der
Gudrun lauscht? Bekanntlich steht Gu?5r. II in der anscbauung
von Sigurds ermordung im freien (str. 4 — 12); alles darauf be-
zügliche bat der Verfasser sorgfältig vermieden, da er einmal
die ältere sagenform von Sigurds tod angenommen hatte.
Granis trauer behält er zwar bei, fügt sie aber durch den Zu-
satz: ^pk er bann sä säran sinn länardröttin ' (162, 22) obne
allen widersprucb ein.
In betreff des einzelnen sind indes ein paar bemerkungen
notwendig. 163, 9 f. ^ok J?at bvröu I>?er, er peir börÖust Si-
garr ok Siggeirr ä Fjöni suÖr' str. 16:
]7at er |7eir bört5uz
Sigarr ok Siggeirr
suÖr ä Fi vi.
Für die vergessene schottische landschaft Fife, eine remi-
niscenz an die vikingerzeiten^), setzt der Verfasser das bekanntere
Fünen ein. — 163, 15 — 22 ist ein einfacher zusatz, ganz im
Stil der ritterromane, der sich in nichts von dem angeblicb aus
]?ibr. s. entlehnten cap. 22 unterscheidet. — 163, 23 ff.: ']>SiY
var Valdamarr af Danmörk ok EymöÖr ok Jarisleifr. ]?eir
gengu inn i höll Hälfs konungs; |>ar väru LangbarÖar, Frakkar
ok Saxar.' Im liede str. 19 findet sich nicht Valdamarr, son-
dern Valdarr. 3). Valdamarr war wol der bekanntere name.
Dann ist im liede 19 "' langbarÖs liÖar doch wol appellativisch
zu fassen als leute des langbärtigen Atli, der seine boten
sendet, um um Gudrun zu werben : der Verfasser verwandelte das
in die Langobarden, denen er zur Vermehrung des glanzes nocb
Franken und Sachsen hinzufügte. — 164, 13 ff.: 'sä drykkr
[der Vergessenheitstrank, den Grimhild der Gudrun reicht] var
blandinn meÖ jarbar magni ok sje ok dreyra sonar hennar,
ok pvi i hornu väru ristnir hverskyns stafir ok roÖnir meÖ
blöÖi' beruht auf str. 21. 22, jedoch mit zwei auffallenden
3) a. a. 0. s. XL.
2) Vgl. K. Maurer, zs. f. deutsche phil. II, 467.
'■>) Vgl. Hervar. s. c. 16 (Fas. I. 490): Valdarr Donum.
VOELSUNGA SAGA. 239
misverständnissen: ok sunar (sonö R) dreyra (21 8)^ d.i. 'dem
sonnenstrom ' ^) bat der Verfasser verstanden als 'dem blut
ihres sohnes'^), und 'ok roÖnir meÖ blöÖi' ist gleicbfalls falsch
aufgefasst aus str. 22:
väru i horni
hverskyns staflr
ristnir ok roÖnir,
d. h. die runen erschienen durch das getränk hindurch gerötet.
— 165, 15. Grimhild bietet Gudrun 'dy'rliga iiringa ok ärsal
hy'nskra meyja'. "Was 'ärsal hy'nskra meyja' heissen soll, ver-
stehe ich nicht. Licht bietet das lied str. 25 7. 26 i :
25, 7 ärsal allan
at jöfur fallinn.
26 Hünskar meyjar,
Jjfer er hlaÖa spjöldum
ok göra guU fagrt.
Es hat also der Verfasser zwei getrennte dinge zu etwas un-
verständlichem zusammengeworfen: man müste denn mit Ett-
müUer ärsal = dienersaal (von ärr = got. airus) = diener-
schaft fassen, was mir aber ganz unglaublich ist. — Auch freie
Zusätze finden sich ein paar mal: 165, 18 f. ok lät eigi . . .
sem ver biöjum; 166, 2 bann var öllum frerari; 166, 10 hennar
or(5 . . . ganga. — 166, 14 ff. dauert Gudruns reise in Atlis
land 3 mal 4 == 12 tage; nach GuÖr. II, 35 dagegen 3 mal 7
= 21 tage, sjau ist an allen drei stellen das ursprüngliche,
Avie der reim sjau : svalt erweist. Das berechtigt aber noch
nicht, wie Bugge tut, auch in der Völsuuga saga, die überall
Qora hat, sjau in den text zu setzen. Dem Verfasser mag die
fahrt von 21 tagen gar zu ermüdend geschienen haben, viel-
leicht dachte er sich auch eine bestimmte localität unter Atlis
reich, für die eine zwölftägige reise passender Avar. — Es
schliesst das capitel mit einem zusatz 166, 16 — '21, der ganz
notwendig für die erzäldung war: er deutet die Vermählung
Atlis und Gudruns an, die das lied als selbstverständlich über-
gehen konnte, da ja hier Gudrun selber dem Dietrich an Atlis
hof erzählt.
cap. XXXIII (167, 1 — 18) paraphrasiert den schluss von
'> Vgl. Hyndl. 38, 4.
^) Bugge zu Völs. s. 104, 13.
240 SYMONS
Gu(lir. II, Atlis träume und ihre deutuug durch Gudrun. Die
letzten Strophen 43. 44 liaben gewis nicht bloss uns, sondern
scliou dem Verfasser schwierig-keiten i>-emacht. Str. 43 hat er
gar nicht verstanden und deshalb einen wenig passenden sinn
hineingebracht. Str. 44 fand er ganz ebenso unvollständig vor,
wie K sie uns bietet: deshalb fügt er einen ungefähren ab-
schluss hinzu: 'ok vfcri räÖinn bani niinn'. Nu liör }?etta, ok
er |>eira samvista fälig.
Nach kurzer Überleitung (167, 17 — 21) lenkt dann der
sagaschreiber in eine paraphrasieruug der Atlilieder ein. Die
Paralleldarstellung der AtlakviÖa und der Atlamäl ergänzt sich
gewissermassen ; beide lieder heben nur einzelne lichtpunkte
der darstellung heraus, merkwürdiger weise aber durchaus ver-
schiedene. Die sageuform der AtlakviÖa ist die jüngere, die
gewis unter erneutem deutschen einflusse steht ^) , w^enn auch
wahrscheinlich das lied selbst älter ii^t als die Atlamäl. Der
sagaschreiber hat es nun versucht, beide darstellungen zu einem
gesammtbilde zu verschmelzen: seine versuche erstrecken sich
bis auf die episoden und einzelzüge der darstellung. Im all-
gemeinen Avird man seinem streben die anerkennung eines ge-
wissen geschicks nicht versagen dürfen: manchmal aber läge,
auch wenn die vergleichung der quellen nicht zu geböte stände,
die flickarbeit auf der Oberfläche. Wesentlich hält sich der
Verfasser an die ausgedehntere und voraussetzungsfreiere dar-
stellung der Atlamäl. Ihre lücken ergänzt er durch die Atla-
kviÖa; lagen nach seiner ansieht in beiden liedern Sprünge vor,
so ergänzt er sie auf eigene band. Ich will das im einzelnen
auszufühi-en versuchen.
Die verhängnisvolle botschaft Atlis und Gudruns an die
Gjukunge wird 167, 21 — 169, 17 aus Akv. 3 — 8 und Atlm.
1 — 9 zusammengefügt: gelegentlich wird auch einmal (168, 7)
die prosa Drap Niflunga B. 264, 17 flf. benutzt. 2) Der böte
heisst in Akv. KnefruÖr, in Atlm. Vingi: letzteren namen be-
hält der Verfasser bei. Eine änderung ist interessant; Akv. 6
sagt Gunnar:
«) Vgl. HS 2 12.
s) Vgl. 8. 219.
VOELSÜNÖA SAGA. 241
Gull vissa ek ekki
a GDitaheiÖi,
^at er vit aettima
annat slikt.
Nach dieser stelle erscheint also das gold der Gnitaheide
im besitz Atlis, was wider alle sonst bekannte sage streitet:
der dichter dieses liedes hat keinenfalls das gold der Gnita-
heide für gleichbedeutend mit dem hört der Niflunge (hodd
Niflunga 26, 7) gehalten, der doch noch SE I, 360 auch mälmr
GnitaheiÖar heisst. Diesen Widerspruch hat der sagaschreiber
gefühlt und die sage ins richtige gleichge wicht gebracht (168,
20 K): 'en enga konunga veit ek jafnmikit gull eiga sem okkr
[Gunnar ok Högna], |?viat vit höfum j?at gull alt, er ä Gnlta-
lieiÖi lä.' — 169, 9 — 13 ist ein stärkerer zusatz; Vingi bietet
den Gjukungen die regentschaft über Atlis land bis zur mtin-
digkeit von dessen söhnen an. Der zusatz war vorbereitet
durch Akv. 5 und findet sich in der |?idr. s. c. 360 (Unger 309.
9 — 13) wider. Ich komme darauf zurück.')
c. XXXIV behandelt Kostberas träume und ihre deutung
durch Högni nach Atlm. 7 5 — 20. Auch hier hat sich der
Verfasser einzelne abweichungen erlaubt. Ein träum (170, 5 — 6)
ist combiniert aus Atlm. 17 2 und 26 1-2; ein anderer (170,
10 — 12) wird Atlm. 26 der Glaumvör in den mund gelegt, und
Högnis antwort (170, 13 — 14: '}?ar munu renna akrar, er )>ii
hugÖir äna, ok er ver göngum akrinn, neraa opt störar agnir
foetr vära' fehlt ganz im liede; letzteres ist indes wol nur
schuld der Überlieferung. Mit recht nimmt Bugge nach str. 26
eine lücke an, reconstruiert sogar die strophe nach den worten
der Vöisunga saga. Was übrigens den Verfasser zu diesen
änderungen veranlasst hat, ist schwer zu sagen. Vielleicht be-
weg ihn bloss die isländische Vorliebe für träume, ihre anzahl
um einen zu vermehren.
In c. XXXV folgen dann die träume Glaumvörs und ihre
deutung durch Gunnar (171, 8—20), nach Atlm. 21 — 29, so-
dann der aufbruch der Gjukunge und ihre reise in Atlis land
(171, 21—173, 11) nach Atlm. 30—41 und Akv. 10—14. Un-
passend schiebt der Verfasser die scene der Akv., wie Gunnar in
trotziger todesverachtung den boten den abschiedstrunk reichen
') Vgl. unten c. III.
242 SYMONS
lässt, unmittelbar vor den aufbruch. Die schöne strophe 11
der Atlakvi<:ia wird ganz nmg-estaltet (171, 24 ff.): 'ok nü mun
enn gamli ülfrinn komast at gullinii, ef v6r deyjum, ok svä
björninn mun eigi spara at bita sinum vigtönnum.' Nach Akv.
wird die reise ins land der Budlunge als landreise, nach Atlm.
als Seereise dargestellt: indem Verfasser beides vereinigt, lässt
er die Gjukunge erst zu wasser, dann zu lande reisen. — Auch
ein paar besserungen im ausdruck sind hier anzumerken.
173, 1 tr.: 'JM miclti Vingi : };ctta mattir pii vel ügert hafa',
verglichen mit x4tlm. 39:
ort5 kva?5 Ipä Vingi,
|>az an vaeri.
Ganz ähnlich 173, 7 ff.: 'Högui svarar: eigi munu ver fyrir
]>er vjcgja, ok litt hygg ek, at ver hrykkim |>ar, er menn
skyldu berjast', verglichen mit Atlra. 40:
orÖ kvat5 hitt Högni,
hug?5i litt vaegja,
varr at Vcettiigi,
er vart5 at reyna.
Es ist möglich, dass, wie Bugge glaubt, dem Verfasser der
beiden stellen andere lesarten vorgelegen haben, indes nicht
notwendig, da der oft dunkle und schwierige ausdruck der
Atlilieder ihn nicht selten zu selbständigen änderungen oder
misverständnissen geführt hat.
c. XXXVI ist ganz nach Atlm. 42 — 57 gegeben. Zwei
Zusätze, ein grösserer und ein kleinerer, sind indes zu beachten.
173, 14 — 20 fragt Atli, bevor er zum kämpfe schreitet, die Gju-
kunge in gute, ob sie den schätz ausliefern wollen. Als Gunnar
das verweigert, motiviert Atli den angriff durch den wünsch,
Sigurd zu rächen. Finn Magnussen ^) nimmt eine vollständigere
redaction der Atlm. an. Ein selbständiger zusatz scheint mir
auch hier glaublicher, da er ganz und gar in des Verfassers
weise, spriinge der quelle zu glätten, begründet ist. Ueberdies
ist die motivierung von Atlis verrat durch das bestreben, räche
zu nehmen für Sigurds ermordung, der sage ganz und gar
nicht angemessen. — 174, 22 'ok verÖr hvild ä bardaganum.'
Diese pause im kämpf ist an und für sich beiden darstellun-
gen, der Akv. und den Atlm., fremd. Allein sie ist ganz wol
') den «Idre edda . . . oversat og forklared (Kbhv. 1821—1823) IV, 168.
VüELSUNGA SAGA. 243
begreiflich. Nach Akv. findet der kämpf im saal, nach Atlm.
im freien statt: treu seiner weise, vereinigt der Verfasser beides.
Seine darstellung lautet nun so: zuerst liudet der kämpf im
freien statt; als das häuflein der Gjukunge stark gelichtet ist,
entsteht eine pause; es folgen die reden Atlis und der Gu-
drun i) nach Atlm. 54 — 57. Darauf reizt Atli von neuem zum
kämpf (mit anlehuung an Atlm. 58 i- ^■), und derselbe zieht
sich nun in den saal (c. 37. ß. 175, 11 — 16). Diese einfache
Überlegung macht sowol die annähme Magnüssons 2), dass zwi-
schen Atlm. 58 und 59 ein bedeutenderes stück ausgefallen
sei, als Bugges Vermutung, dass die darstellung der Völs. s.
teilweise auf Jndr. s. c. 384 beruhe^), völlig unnötig. Letztere
speciell wäre auch dann, wenn nicht überhaupt das quellen-
verhältnis zwischen Völs. s. und )?iÖr. s. anders zu beurteilen
wäre, unerlaubt, da die AtlakviÖa in ihrer darstellung des
kampfes gleichfalls auf dem boden der deutsehen sage steht;
eine bestätigung von W. Grimms beobachtung ^) , dass dieses
lied bekanntschaft mit einer neuen fortbildung der deutschen
sage verrät.
c. XXXVII ist wider ganz zusammengeflickt aus Akv. und
Atlm. Zuerst wird die episode des Hjalli 175, 23 — ^176, 17
nach Atlm. erzählt, dann die schöne abweichende darstellung
der Akv. 20—30 nachgeholt (177, 1—178, 4). Nirgends deut-
licher als hier zeigt sieh die combinationslust des sagai^chrei-
bers. Indes ganz so unverständig, wie manche diese Vereini-
gung finden 5), ist sie in der tat nicht. Der Verfasser hat sich
vor Widersprüchen gehütet: die diener entschliessen sich zuerst
auf Högnis trotzige bitte, den furchtsamen Hjalli freizugeben;
als aber Atli Gunnar täuschen will, indem er ihm statt Högnis
tapferen herzen das noch leblos zitternde des knechtes vor-
legen lässt, wird er dennoch getötet.
Die erzählung von Guuuars tod im ormgarÖ ist combiniert
aus Akv. 31. Atlm. 66 — G7. Drap Nifl. (ß. 264, 28—30) und
*) In der saga wird Högni str. 57 zugeteilt, iu R fehlt die Über-
schrift. Allein schon Lüning teilte sie mit recht der Gudrun zu.
2) a. a. o. IV, 172.
3) z. Atlm. 58 (8. 301).
'*) HS 2 4. 12.
^) z. b. von Liliencrun, über die uibelungenhs. C, s. 87 ff.
244 SYMONS
Oddr. 32. Als charakteristisches beispiel für des sagaschreibers
arbeitswcise lasse ich die vergleich ung- dieser partie folgen:
Völs. s. US, 5—14
ni'i er Gunnarr konungr settr i Akv. 'M lifanda graiu
einn orragarÖ; )?ar väru margir lagÖi i gaiÖ j^ann,
ormar fyrir, ok varu [hendr] er skriÖiim var
hans fast bundnar; GuÖri'in sendi
honum hörpu [eina, an] hann sy'ndi inuau ormum.
sina list ok slö hörpuna met5 mikilli Atlm. 66 hürpu t6k Gunnarr
list, at hann drap strengina meÖ hroeröi illkvistum,
tänum, ok lek svä vel ok atbragö- giä hann sva kunni,
liga, at fair j^öttust heyrt hafa sva at snötir gretu;
me?5 höndum slegit, ok pav til lek klukku J^eir karlar
hann )5essa ij^rött, at allir sotnut5u er kunnu görst heyra
ormarnir, nema ein nat5ra mikil ok jy> ^^^ g 264, 28-30
iUilig skreiö til hans ok gröf inn j^^^^ ^j^ ^.^^.^^ ^^ ^^^^^. ^^.^^^^^
sinum rana, pav til er hann h)ö ^^ ^^g^.^ ^^^j^^ ^^^^ ^jl j.^-.^^^.^
hans hjarta, ok ]7ar let hann sitt hf
met5 mikilli hreysti. ' ,
pa kom . . .
ok Gunnari
gröf til hjarta
Bemerkt sei noch dazu, dass die Atlilieder vom einschlä-
fern der schlangen überhaupt nichts wissen; dass Gudrun dem
Gunnar die harfe sendet, ist ein prosaischer zusatz, der erklä-
ren soll, wie Gunnar plötzlich im besitz derselben ist. Dass
diese combinierte darstellung höchst wahrscheinlich von einfluss
auf die der SE I, 364 gewesen ist, wurde oben gezeigt.^)
Die weitere erzähhmg in c. XXXVIII von Gudruns räche
beruht völlig auf Atlm. 68 — 104, die hier im wesentlichen zwar
weit ausführlicher sind als Akv., aber keine abweichenden züge
bieten. Nur zum schluss hat das streben nach ausgleichung
eine grobe geschmacklosigkeit zur folge gehabt. Nach Akv.
tötet GuÖrun den Atli und weiht darauf die ganze bürg mit
ihren Insassen der Vernichtung. Das ist gewis der acht tra-
gische schluss, der der ursprünglichen sage zukommt. Der
zweifellos christliche dichter der Atlamäl lässt Gudrun sich mit
dem sterbenden Atli versöhnen, ihn ehrenvoll bestatten und
darauf selber den tod suchen. Der sagaschreil)er hat nun auch
hier beides vereinigt, und Gudrun bestattet zunächst pietätvoll
») 8. 210 f.
VOELÖUNGA SAGA. 245
cien toten gemahl, dann lässt sie feuer an die halle legen.
Tröstlich für den Verfasser kann es sein, dass Rassmann i) bei
seiner reeonstruction des 'alten epos' diese fiiekarbeit wirklich
als ächte darstellung- adoptiert hat.
Auch in diesem capitel liegt häufig misverständnis von
liedworten oder zusatz einzelner sätze vor. So sollen die
Worte 179, 2 ff.: 'ok sü mun erföin leogst eptir lifa at ty'na
eigi grimdinni, ok mun |?er eigi vel ganga, meÖan ek lifi' wol
Atlm. str. 69 5—8 widergeben, sie sind aber nahezu unver-
ständlich. — 179, 23: ^en j?er er skömm 1 at gera )?etta' ist
ein misverständnis aus Atlm. str. 78 7. 8:
skömm mun ro reit5i,
ef pü reynir gerva.
Die Worte 180, 12 f.: 'verra hefir ]?ü gert, en menn viti
dcemi til ' gehören der Gudrun und sind in der saga unrichtig
dem Atli in den mund gelegt. Diese beispiele Hessen sich
vermehren.
Es schliesst c. XXXVIII (B. 182, 8 — 11) mit einem all-
gemeinen rühm der Völsunge und Gjukunge, einem zur ab-
schliessung dieser hauptpartie der sage ganz geeigneten zusatz.
Mit c. XXXIX geht der Verfasser zu dem letzten teil der
sage, Svanhilds und ihrer brüder Untergang, über. Dieses
capitel ist teilweise aus eddischen und eigenen reminiscenzen
zusammengeflickt, teilweise eine widergabe der einleitenden
prosa zu GuÖrünar hvöt (ß. 311, 1—18). — 182, 13 ff.: 'hon
var allra kveuna vanst ok hafÖi snör augu, sem faÖir hennar,
svä at fär einn |?or8i at sjä undir hennar bry'nn' vgl. c. 22
(B. 134, 12): 'augu haus [SiguiÖar] väru svä snör, at fär einn
}->orÖi at lita undir hans briin. — 182, 15 ff.: 'hon bar svä
mjök af öbrum konum um vsenleik, sem söl af öÖrum himin-
tunglum' vgl. Sig. III, 55 = Völs. s. 161, 4:
sü mun hvitari
enn inn heiÖi dagr
Svanhildr vera,
solar geisla.
182, 16 — 22 ist aus GuÖr. hv. prosa (B. 311, 1 — 8) genommen,
vielleicht auch mit anleimung an die paralleldarstelluugen
GuÖr. hv. 13. Sig. III, 62. — Dass Gudrun steine in den
0 I, 208.
246 SYMONS
schooss legt, um sicherer den tod zu finden, ist ein ung-eschick-
ter Zusatz, der fast aussieht, als h-itte der Verfasser die sage
ironisieren \Yollen. Die einführung der Svanhild aber war
nötig, um ihr plötzliches auftauchen in Jonakrs land zur mög-
lichkcit zu machen.
FUr c. XL (Svanhilds Vermählung und tod) ist eine quelle
nicht nachweisbar. Die tatsachen werden allerdings in der
prosaischen einleitung zu Gubr. hvöt (ß. 311, 9 tf,) erzählt, und
an andern stellen (Gu?:>r. hv. 2. 16. HamÖ. 3. öig. 111, 63. 64)
wird darauf hingedeutet. Dennoch darf man das capitel nicht
als eine einfache erweiterung jener kurzen angaben l)etrachten.
Das verbieten die offenbar sagengemässen züge bei Randvers
und Svanhilds tod, und ihr widerauftreten in abweichender,
zum teil achterer gestalt in SE 1, 366 f. Es liegt nahe, eiu
verlorenes lied als quelle hier anzunehmen i): indes ist doch
zu überlegen, ob nicht für dieses capitel wie für c. 42 (Hamdir
und seine brüder), soweit dieses nicht auf den HamÖismäl be-
ruht, Volksüberlieferung vorliegt. Zumal die züge in letzterem
capitel sind teilweise so verwirrt und gleichsam in ein halb-
dunkel getaucht, dass es schwer wird, an eine weitere schrift-
liche quelle neben den HamÖismäl zu glauben. Es ist aber
unleugbar, dass gerade jene unursprünglichste partie der helden-
sage im norden eine überaus grosse Volkstümlichkeit erlangt
hat. Yngl. s. c. 39 in einer Strophe des }>jü(^ölfr aus Hvin
heisst der stein 'Jonakrs bura harmr' und ähnliche kenningar
finden sich O'lafs s. Tryggv. c. 42 wie anderwärts.'-) Es wird
demnach wol erlaubt sein, dass wir annehmen, der sagaschreiber
habe dem Inhalt seiner quelle was er sonst von einzelnen, oft
verworrenen zügen wüste, hinzugefügt,
c. XLI ist ein genauer auszug des GuÖr. hvöt str. 2 — 19.
Missverständnis ist 185, 4 f.: 'ok gaf j^eim at drekka af sto-
rum kerum', beruhend auf str. 7 3 — l:
ktimbl konunga
ör kerum valdi.
Bugg-e vermutet, der Verfasser habe sumbl für kumbl gelesen. — •
1S5, 20 tf.: Mier sitr nü eigi eptir sonr ue döttir, mik at
hugga': GuÖr. hv. hat str. 18 snör ne döttir, gewis richtiger.
0 So SB II, 84 f. Bugge a. a. o. s. XL,
^) Vgl. J. Glimm, Haupts zs. III, 154.
VOELSUNGA SAGA. 247
c. XLII erz'ihlt die räche von Gudruns söhnen für Svan-
hilds ermordung- an Jörmunrekr, teilweise nach den Hamftis-
mäl, von denen str. 28 l— ^ citiert wird. Ueberdies scheinen
Str. 12. 13. 15 (186, 4—7), wol auch str. 25 (187, 2—6) benutzt.
Allein, wie schon bemerkt, es finden sich züge, die bei aller
Verworrenheit doch sagenmässig- sind, zumal der zug vom
straucheln Sörlis und Hamdirs (186, 7 — 13), der sich etwas ab-
weichend SE I, 368 widerfindet. Eine weitere schriftliche
quelle machen sie indes kaum notwendig. — Die einführung
Odins 187, 2 if. aber halte ich für falsches Verständnis von
HamÖ. 25. Im liede selber wird die annähme der erscheinung
Odins nicht wirklich notwendig. Am ungezwungensten wird
inn reginkunngi stets auf Jörmunrek selber bezogen i) , und
seine einführung str. 22 liat erst J. Grimms conjectur 2) Hroptr
glaÖr für das überlieferte hrofn- glö|>3) bewirkt: weder SE I,
370 noch Bragis dräpa (SE I, 372 — 374) nennen Odin. Wenn
allerdings bei Saxo (Müller s. 415) wie in unserer saga Odin
den rat erteilt, so mag dies eine spätere verirrun^- sein. Jeden-
falls sind innere gründe gegen eine ursprüngliche einmischung-
Odins, der hier ja geradezu feindlich gegen des Sigurd geschlecht
auftritt, seine Vernichtung vollendet ; zur erklärung dieses Wider-
spruchs zu betonen, dass Hamdir und Sörli nicht eigentlich
zum geschlecht der Völsunge gehören*), heisst die Sachlage
verkennen. Hamdir und Sörli sind die rächer des letzten
Sprosses des Völsungengeschlechts, in der tat also richtet sich
der götter Ungunst gegen dieses: das aber vermag ich nicht
als in der sage begründet anzusehen.
Mit Hamdirs und Sörlis Untergang schliesst die darstellung
der heldensage. Die einführung der Aslaug in c. XLHI ist
oben ausführlich besprochen worden.^) Die weitere erzählung
der saga von Ragnar und seinen söhnen ins äuge zu fassen,
ist a])er nicht der zweck dieser a])handlung.
') Vgl. HS 2 390.
-) Haupts zs. III, 154.
3) Freilich würde die einführung von Jörmunreks mutter ebenso
wunderlich sein, als die seines kebsweibes (Egilsson, lex. poet. 75a).
Ganz gewis trift't Bugges schöne Vermutung (tilkeg og rettelser s. 440)
das richtige.
*) So Lüning, Edda s. 409. ^) s. 203 ff.
Beiträge zur geschichte der deutschen Spruche. III. 1 7
24b SYMON.^i
Diese übersieht über die bcnutzun,:^: der quellen in der
Völsunga saji'a, die honentlicli nichts wichtiges übergangen hat,
gewährt einen einblick in des sagaschreibers arbeitsweise.
Sein streben war otfenbar, einen gut lesbaren i)rosaroman her-
zustellen: irgendwie künstlerisclie absiebten haben ihn keines-
wegs dabei geleitet. Seinen quellen gegenü])er, einer Samm-
lung von liedern verschiedenen alters, die, oft sprunghaft und
nur einzelne hauptpunkte scharf hervorhebend, oft auf Voraus-
setzungen fnssend, die nur dem sagenkundigen bekannt waren,
bald Paralleldarstellungen des gleichen ereignisses bietend, bald
ganz verschiedene sagenformen unvermittelt neben einander
hinstellend, im grossen und ganzen durchaus keine einheitliche
darstellung gaben, war dadurch der weg vorgezeichnet. Wo
Paralleldarstellungen vorlagen, suchte der Verfasser zunächst,
sie zu combinieren, so die darstellung der Akv, und Atlm., so
Brot af Sig. und SiguiÖarkviÖa III. Widersprüche suchte er
ins gleichgevvicht zu bringen; Sigrdrifa und Brynhild wer-
den ohne bedenken identificiert; die Verbrennung von Sigurds
und der Brynhild leichen wird Brynhilds letztem wünsche ge-
mäss dargestellt; der fluch Andvaris wird mit dem Fäfnirs in
Verbindung gebracht; Sigurd muss ein stück von Fafnirs herz
aufbewahren, um es Gudrun geben zu können; die verschie-
deneu angaben über die Hundingssöhne werden vereinigt. —
Auch negativ zeigt sich dieses streben nach Vereinigung sich
widersprechender sagenformen. Von den Überlieferungen über
Sigurds ermordung wird die eine recipiert, alles auf die andere
bezügliche sorgfältig vermieden; der name Niflungar für die
Gjukunge, der sich in den Jüngern liedern findet i), wird eben-
so vermieden, wie der name Ylfingar^) für die Völsunge. Die
probe des Schwertes Gram, die nach der prosa der Keginsmäl
(B. 215b, 8) im Rhein gemacht wird, lässt die saga 115, 27
einfach im ström vor sich gehen: für die heimat der Gjukunge
behält sie den Rhein bei (139, 1).
Die eigentümliche beschafienheit der quellen erklärt aber
auch zahlreiche grössere und kleinere Zusätze, die die härten
») Brot af Sig. 16. Akv. 11. 17. 27. Atlm. 47. 52. Hodd Nifliinga
Akv. 26.
2) Helg. Hund. I, 34.
VOELSUNGA SAGA. 249
der darstellung- glätten, ihre spriiug-e ausfüllen, halb verständ-
liches deuten sollen. Dabei hat den Verfasser, zum glück für
die kritik der sage, seine erfinduugskraft oft so im stiche ge-
lassen, dass er sich an mehreren stellen geradezu selbst aus-
schreibt. — Viele alte sagenziige erscheinen im modernisierten
gewande: die begegnung Helgis und Sigruns ist völlig in den
Stil der ritterromane übersetzt, dieser wie der Brynhild valky-
riennatur waren dem sagaschreiber völlig unverständlich. —
Treue in einzelheiten ist ihm nicht nachzurühmen, nanien sind
nicht selten durch bekanntere ersetzt, zahlen sind beliebig ge-
ändert. — Eins ist hier noch kurz ins äuge zu fassen, die
äussere benutzung der paraphrasierten lieder, ihrer spräche und
ihres verses.
Eine wirklich genaue widergabe der liedworte findet sich
nur da, wo dialog vorhersehend ist'); wo ereignisse einfach
widererzählt werden, entfernt sich die widergabe weiter vom
ausdruck der lieder. Im ersteren falle aber sind wir in der
tat durchweg im stände, den ausdruck der lieder noch unter
dem prosagewande durchzufühlen. Das schliesst jedoch nicht
aus, dass der sagaschreiber versucht hat, den oft bis zum un-
erträglichen gesteigerten ausdruck seiner quellen in den saga-
stil umzuwandeln, dessen eigentümlicher reiz ja gerade die
schmucklose einfachheit ist. Freilich erreicht er niemals den
naiven adel der ausdrucksweise, der mancher der I'slendinga
sögur, etwa der Eyrbyggja oder der Njäla den Stempel
der classicität aufdrückt. Alle kenningar und sonstige aus-
schmückung der lieder vermeidet er. Als beispiel mögen die
eingangsstrophen der Fäfuismäl dienen, die mit am treuesten
paraphrasiert sind :
Fäfn. Str. 1. Völs. s. c. Ib (B. 120, 2 ff.
sveinn ok sveinn! — — —
hverjum ertu, sveinn, um borinn? hverr ertu e?5a hverr er )?inn fat5ir,
hverra ertu manna mögr? eÖa hver er aett l?in,
er ]>ü ä Fafui rautt er ]>ü vart sva djarfr, at ]m ]7or5ir
]nnu inn t'rana maeki, at bera vapn a mik?
stöndumk til hjarta hjörr — — —
— — — aett min er mönnum i'ikunnig [vgl.
Str. 2. Str. 4 i- 2]
göfugt dyr ek heiti, ek heiti göfugt dy'r,
») Vgl. auch Bugge a. a. o. XXXVI.
17*
^50
SYMONS
or ek genji^it hefk
iun muömhuisi mögr;
föÖur ok äkku
sem fira synir,
geng ek einn saman.
Str. 3.
veiztii, ef füt5ur ne ättat
sem fira syuir,
af hverju vartu undri alinn?
(Fehlt eine halbstrophe.)
\
ok ä ek engan föÖur nemötJur;
ok einn saman hefi ek farit
ef )ni att engan feÖr ne moÖur,
af hverju undri ertu {^a alinn?
ok l'ött ]ni segir mer eigi j^itt
nafn a banadoegri minu, Jn'i
veiztu, at \>\\ ly'gr ni'i.
[vgl. 120, -4 flf.]
ek heiti SigurÖr, en faSir minn
Sigmundr.
Str. 4.
aetterni mitt
kveÖ ek )'er okunnikt vera
ok mik själfan it sama;
SigurtJr ek heiti,
Sigmundr het minn faöir
er hefk )7ik vapnum vegit.
Auch ein paar worte über den Stabreim. Von beibehal-
tener alliteration kann nur da wirklich die rede sein^ wo etwa
die hälfte eines IjüÖahättr oder drei stäbe einer viertelstrophe
im starkaÖarlag- übereinstimmen. Also etwa in fällen wie:
121, 10 hve Äeitir sa /iolmr, er Fäfn. 14 hve sa 7«olmr Aeitir,
blanda //jörlegi Surtr ok ?esir
^aman.
122, 7 en \>ü, i^afnir, ligg i /jör-
brotum, l^ar er j^ik Hq\ /«afi.
oder:
107, 7 si(5an väru ]?eir nfnir upp
me(5 rötum ok ?-oÖnir i blöÖi,
ok fcornir ä &ekki ok ftoÖnir
mer at eta
er blanda Ajörlegi
5urtr ok assir *aman.
Fafn. 21 en ]7U, i^afnir, ligg
i /jörbrotum,
l'ar er l^ik ^el /<afi.
171, 13 ok <?mjut)u »Ifar ä baÖum
6'ndum svert5sins
Guör.II, 40 Hfnir meÖ rötum,
?-o5nir i blöSi,
ftornir a &ekki,
fteÖit mik ät tyggva
Atlm. 24 <?mjuÖu lilfar
ii 6'udum bäÖum
Derartiger fälle habe ich aber in der ganzen controlier-
baren partie der saga nicht mehr als etwa 12 — 15 angemerkt.
Weit häufiger findet sich ein reimwort beibehalten, das andere
aber vertauscht; im ganzen ist eine tendenz zur Vermeidung
der alliteration unverkennbar, ganz ebenso, wie derjenige,
welcher gereimte poesie in prosa auflöst, die in der prosa das
ehr beleidigenden reime möglichst umgehen wird. Die stellen,
in denen reimstäbe sich, für das ohr deutlich wahrnehmbar,
VOELSUNGA SAGA. 251
gehalten haben, — vocalische alliteration kann hier natürlich
nicht in betracht kommen — , sind höchst selten und wol nur
wider willen des sagaschreibers stehen geblieben. Jedenfalls
ist es ein gar unsicherer boden, das zufällige vorkommen von
reimstäben in der prosa als kriterium für eine poetische quelle
zu benutzen. Wie sehr hier der zufall einem schlimme streiche
spielen kann, mögen ein paar beliebig herausgegriifene bei-
spiele zeigen, die sich leicht vermehren lassen. 102, 4 in der
Schilderung von Helgis seesturm, stehen die werte: 'er &ylgjur
guüÖu ä /;orÖunum, sem |>ä er öjörgiim iy'sti saman.' Unwill-
kürlich glaubt man an beibehaltenen Stabreim : sieht man aber
die Worte der quelle H. H. I, 20 an, so finden sich ganz an-
dere reimworte. — 104, 10. 123, 17. 132, 19. 133, 15 u. ö.
findet sich ganz ähnliches. — Unter diesen umständen wird
man gewis am besten tun, vom Stabreim ganz abzusehen, wo
es sich für die teile, deren quellen wir nicht besitzen, um wahr-
scheinliche feststellung derselben handelt.
Nicht ohne Interesse ist endlich noch eine vergleichung
der wörtlich citierten Strophen. Es sind dies im ganzen, so
weit unsere quellen reichen: Sig. 11, 1. 2. 6. 18. Sgrdrf. 5. 6.
10. 12. 7—9. 11. 13—21 [13 7-10 und 14 fehlen]. Brot af
Sig. 4 (?). GuÖr. II, 19 9-12. 22. 23. HamcJ. 28 1-4. Einzelne
abweichungen sind nicht selten, zumal stilistische: die Strophen
sind häufig in Völs. s. salopper und unpoetischer gebaut. Ein
jiaar mal findet sich in ihr at als negationspartikel für a in R,
ein paar mal aut'Ugung des postpositiven artikels gegen E.
Alles dies wird man dem Schreiber, sei es nun der von Völs. s.
benutzten hs. der Sammlung, sei es des cod. der saga resp.
seiner vorläge zuzuschreiben haben. Einige lesarten erwecken
aber den verdacht, dass sie vom sagaschreiber herrühren.
Sig. II, 2 Andvari ek heiti, Cod. der Völs. s.
O'inn het minn faöir 0(5inn
O'inn ist als zwergname erwiesen durch Vspä 11 lo. Es ist
nicht unmöglich, dass der sagaschreiber seine verliebe für Odin
auch auf diese stelle ausgedehnt hat.
Sgrdrf. 58 gamanrüna gamanroeÖna
62 sigr hafa snotr vera
12 7. 8 ä j^vi />ingi ä ]>y\ ^ingi
er p}()t)v: skulu er menn skulu
Der Stabreim ist zerstört.
252
SYMONS
R Cod. der Völs. s.
81 füll skal Signa öl skaltu signa
War Ml = der volle l)echer, unverstäudlich ? vgl. GuÖr. II, 21:
fcerÖi m6r Grimildr füll at drckka = Völs. s. c. 32 (B. 164,
10 f.): slÖau foer^i Grimliildr lieiini ineiiisaniligau drykk.
8 3 ok verpa lauki i lüg lauk
verpa in der Edda uur c. dat. (Vspä 5 Vaf)>. 7. Sig. III, 29
II. ü.). Vgl. Luud, Ordföjuingsbiere s. 99.
9~ ef jni bjarga vilt ef j'ii vilt Itorgit ta
13^^ geÖsvinuari guma geÖhoskari (1. horskari) guma
15 1 ä skildi kva9' [sc. O'ÖinnJ ä skildi vdru ristnar
ristnar
Die änderung ist hervorgerufen durch auslassuug von str. 14,
wodurch kvaÖ beziehungslos wurde. Die änderung beweist
aber absichtliche weglassung.
15 7 a Sleipnis tonn um a Sleipnis taumum
Str. 17 ist ganz geändert; die änderung ist sehr übel und zer-
stört sogar den bau der Strophe:
a gleri ok ä guUi
ä gleri ok a gulli
ok ä gumna hellhim,
ok ä göÖu silfri,
i vini ok virtri
i vini ok i virtri
ok vilisessi,
ok a völu sessi,
a Gungnis oddi
i guma holdi
ok ä Grana brjösti,
ok Gaupnis (1. Gungnis) oddi
ä noruar nagli
ok a gy'gjar brjosti,
ok ä uefi uglu
ä nornar nagli
ok ä nefi uilu.
ok niaetar meginrünav
maerar
öll eru mein of metin
mal
Die Strophe des Brot af Sig. (4) ist ganz abweichend im text,
aber doch wol dieselbe.
Gut5r. II, 199 skreyttar brynjur stuttar
Unverkennbar hat in allen angeführten fällen R die ältere
lesart. Da aber, wie früher bemerkt wurde, der Verfasser der
Völsunga saga eine hs. der Sammlung benutzt hat, die in nicht
wenigen fällen lücken in ß ausfüllt und bessere lesarten bietet,
kann man die abweichuugen in den stroj)hen nicht wol der
vorläge des Verfassers zuschreiben. Es kann sich nur fragen,
ob sie dem Verfasser oder dem Schreiber zufallen: der Schrei-
ber unseres cod. ist zwar im ganzen sorgfältig, aber seine vor-
I
VOELSUNGA SAGA. 253
läge könnte sie ja bereits gehabt babeu. Es wird sieb diese
frage deswegen nicbt entscheiden lassen: eine aufmerksame
beobaebtung lehrt freilich, dass die änderungen ganz im geist
der sonstigen arbeitsweise des Verfassers sind.
Mag man nun über diesen letzten punkt denken, wie man
will, so viel wird die bisherige Untersuchung gezeigt haben,
dass die ganze art , wie der Verfasser gearbeitet und seine
quellen benutzt hat, uns überall das recht gibt, diesen angal)en
gegenüber kritik zu üben, und von diesem Standpunkte aus
soll der versuch gemacht werden, jetzt an die partien der saga
hinanzugehen, die uns die vergleichung mit ihren quellen nicht
gestatten.
Drittes Capitel.
Die der lücke in R entsprechende partie der saga.
(Cap. XXI, B. 133, 1— XXIX, B. 155, 5).
Dass die lücke in R eine läge von acht blättern betroifen
hat, scheint zweifellos. R besteht jetzt aus 45 blättern oder
aus sechs lagen, deren fünf erste jede 8 blätter, die sechste 5
enthalten, ßl. 32b ist bis zum ende beschrieben, bl. 33a be-
ginnt oben. Beim einbinden der hs. ist nach bl. 32 b eine läge
von acht unbeschriebenen blättern eingelegt. i) Es kann dem-
nach kein zweifei sein, dass eine läge von acht blättern fehlt:
da jede seite von R 31—35 zeilen enthält-), so haben wir den
A^erlust von etwa 528 zeilen zu beklagen, die seite zu durch-
schnittlich 33 Zeilen gerechnet. Ihnen entsprechen in der
Yöls. s. 595 der Buggeschen normalzeilen. Wollen wir einiger-
massen das Verhältnis überblicken, so haben wir uns an fol-
gende zahlen zu halten. Die benutzten stücke (H. H. L, fr.
dauÖ. Sinfj., Sig. I., Sig. II., Fäfn., Sgrdrfm. — Sig. IIL, Gu&r. IL,
Akv., Atlm., GuÖr. hv., HamÖ.) ergeben in R 1219 zeilen: in der
Völs. s. entsprechen ihnen 1303. Diese berechnung macht
natürlich keinen anspruch auf genauigkeit : einige dieser lieder
sind nur teilweise ausgezogen, dafür aber bietet die saga oft
Zusätze und führt strophen wörtlich an. Im giossen und ganzen
0 Bugge I. IV.
2) Bugge II.
254 SYMÜNS
ergibt sich dasselbe Verhältnis: 528 K : 595 VS = 1219 E
: 1303 VÖ.
Es beginnt die Iticke in R nach str. 29 - )-»ütt nie}-» seggiom
fari der Sigrdrifuuiäl: die hs. beginnt wider mit saka unuit
Brot af Sig. [1]. In der Völsunga saga fehlt also für c. 21
(B. 133, 1) bis mit c. 29 (B. 155, 5) die vergleichung der
quellen. Wir betrachten die einzelnen hierher gehörigen capitel
in ihrer reihenfolge. — c. XXL B. 133, 1 — 15. Diese zeilen
beendigen die lehren der Sigrdrifa (Brynhild) und schliessen
mit der Verlobung derselben mit Sigurd. Die schlussstrophen
der Sigrdrifuuiäl, die K nicht mehr enthält, sind uns in papier-
handschriften aufbewahrt, deren älteste, cod. AM 738 und cod.
AM 166 b nach Buggei) aus der zweiten häli'te des 17. Jahr-
hunderts stammen. Da nun doch aller Wahrscheinlichkeit nach
alle papierhss. auf R in seinem defecten zustande zurück-
gehen'-), diese Strophen aber wesentlich mit der paraphrase
der Vöisuuga saga übereinstimmen, so lag gewis die annähme
recht nahe, dass ein gelehrter Isländer sie der saga nachge-
dichtet hat.3) Bugge*) hat jedoch innere gründe für die ächt-
heit vorgebracht, die vielfach Zustimmung gefunden haben =),
und deren gewicht mau sich in der tat nicht wird entziehen
können. Immer freilich bleibt es noch sehr merkwürdig, dass
uns unter solchen umständen von den verlorenen liedern nicht
mehr erhalten ist. Indes kann das offenbar sehr junge ge-
dieht ß), das seines didaktischen Inhalts wegen wol besonders
beliebt war, auch in einzelüberlieferungen im umlauf gewesen
sein. — Für unsern zweck ist die frage nach der ächtheit jener
Strophen jedenfalls von sehr secundärer Wichtigkeit: dass ihre
paraphrase in der Yölsunga saga auf ächte Strophen zurück-
geht, kann gewis nicht zweifelhaft sein. Sie weicht in nichts
von der widergabe der in R erhaltenen Strophen ab.
Ganz anders aber verhält es sich mit den Schlussworten
») S. 324.
2) Vgl, indes Bugge s. LI.
3) So z, b. Munch, seldre edda s. XI.
') S. 235 und L f.
5) Vgl, Möbius, zs. für deutsche phil. I, 394 und Vorwort zu Hilde-
brands Edda (Paderb. 1876) s. IV.
*'") Vgl. Jessen a. a. o. 48.
VOELSUNGA SAGA. 255
des capitels (B. 133, 11 — 15); SigurÖr majlti: 'engl finnst per
vitrari maÖr, ok |>ess sver ek, at |>ik skal ek eiga, ok ]>ü ert
viÖ mitt ceÖi'. Hou svavar: '|>ik vil ek heizt eiga, ]?6tt ek
kjösa um alla menn'; ok )>etta buudu J>au eiÖuni meÖ ser. —
Da diese worte für die ganze auflassuug des Verhältnisses
Sigurds und Brvuhilds von einschneidender Wichtigkeit sind,
ist ein weiteres zurückgreifen auf diese partie der sage uner-
lässlich. In den liederu der Edda herscht ein schwanken in
bezug auf dieses, welches eine schärfere sonderung der einzel-
nen angaben unbedingt nötig macht. Die hauptfrage ist die:
waren in R bereits Sigrdrifa und Brynhild identificiert, wie sie
in der Völsuuga saga es sind?
Am schluss der Fafnismäl (str. 40 ff.) geben die adlerinnen
Sigurd ratschlage. Die eine singt (str. 40):
mey veit ek eina
miklu fegrsta,
gulll goedda,
ef pü geta maettir.
Und diesen orakelhaften werten folgt dann sogleich die Weis-
sagung von Sigurds Vermählung mit Gudrun (str. 41). Ob unter
jener Jungfrau in str. 40 Gudrun oder Brynhild gedacht ist,
bleibt unentschieden , ist vielleicht absichtlich schwankend ge-
lassen. — Dann aber (str. 42) hebt die Weissagung ganz von
neuem au: auf Hindarfjall in feuerumloderter bürg schläft
Sigrdrifa, von Yggr (OÖinn) mit dem schlafdorne gestochen.
Sigurd soll sie erwecken. Von einer Verlobung ist nicht
die rede.
Unmittelbar anschliessend an den prosaischen schluss der
Fäfuismäl erzählt dann die dürftige prosaeinleitung zu den
Sigrdrifumäl (B. 227, 1 tf.): Sigurd reitet hinauf nach
Hindarfjall, sieht ein grosses licht 'sva sem eldr brynni', und
als er näher kommt, eine schildburg: er tritt ein, erweckt die
schlafende Jungfrau, die sich Sigrdrifa nennt (prosa zwischen
Str. 4 und 5, ß. 229 a, 1 ff.). O'Öinn hat sie in schlaf ver-
senkt, da sie den gefällt hat, dem der gott sieg verheissen;
sie soll sich dem vermählen, der sich nicht fürchten kann. Sie
reicht Sigurd die minnisveigi), lehrt ihn runen und weisheits-
') Die überseczung 'mmnetrank' (Grimm, Simrock, Rassmann) sollte
256 SYMONS
regeln. Der ganze ton des gediclites zeigt, dass von einer
Verlobung am Schlüsse nicht die rede gewesen sein kann : auch
die Strophen der papierhss. wissen nichts davon. Wenn aber
die älteren Eddaausgaben am schluss der Sgrdrfm. jene schluss-
worte der Völs. s. eingesetzt haben, so ist das in hohem grade
bedauerlich. Denn wenn sogar ein forscher, dessen gewissen-
hafte, liebevolle Sorgfalt sich bis auf die kleinsten einzelheiten
erstreckt, sagt 2): 'nach der erzälilung der Edda reitet Sigurd
von r>riinhilden, die er aus dem zauberschlaf geweckt und sich
durch eide verbunden hat, weg an Giukes hof, so ist dies
eine tatsächliche Unrichtigkeit, die niemand Grimm zur last
legen wird, sondern eben jener aufnähme eines eingeflickten
Stückes der saga in die Überlieferung der Edda. 3)
Eine Verlobung Sigrdrifas und Sigurds ist demnach nir-
gends in jenen beiden liedern angedeutet: ausdrücklich wird
dies bestätigt durch die zwar junge, aber auf älteren gedieh ten
beruhende Gripisspä fSigurÖarkviÖa I). In ihr ist gleichfalls
von einer ideutiiicieruug Sigrdrifas und ßrynhilds nichts be-
kannt, noch w^eniger von einer verlo])ung Sigurds mit ersterer.
Allerdings glauben Bugge*) und Jessen 5) mit ihm, dass Gri-
pisspä 11 — 18 nur auf Fäfn. und Sgrdrfm., wie wir sie jetzt
haben, beruhen soll: diese ansieht wird aber durch str. 15:
vermieden werden, da sie leicht misverstanden werden kann. Minnisveig
ist der erinnerungstrank, das Symbol für die runeu und Weisheitsregeln
wie öminuisveig (Drap Nifl. B. 264, 7) der Vergessenheitstrank, der
Gudrun ihres harms vergessen macht. Dass unter minnisveig kein liebes-
trank zu verstehen ist, zeigt deutlich Sgrdrfm. str. 5:
bjor fceri ek ]>er,
bryn)7ings apaldr!
magui blandinn
ok megintiri ;
fullr er hann IjöSa
ok liknstafa,
göÖra galdra
ok gamanrüna.
2) HS 2 358.
•■') Noch Lüning bemerkt mit keinem worte , dass das stück aus
Völs. s. entnommen ist. Erst in Möbius ausg. ist es fortgeblieben
Bugge (s. 236) verwirft es völlig.
') s. LXX. 415.
^) a. a. 0. s. 49.
VOELSÜNGA SAGA. 257
sefr ä fjalli
fylkis döttir
eptir bana Helga
bedenklich, wenn man sieh nicht dazu entschliessen mag, mit
Bugge diese auf abweichende Überlieferung deutende eigentüm-
lichkeit durch ziemlich umfängliche conjectur zu beseitigen.
Aber auch diese annähme zugestanden, Avürde doch der dichter
der Gripisspä, falls er Sigrdrifa-Brynhild fiir dieselbe person
gehalten hätte, zur beseitiguug dieses Zwiespalts dieselbe re-
medur angewant haben, wie die späteren prosaerzähler.
Das charakteristische für Sigrdrifas geschick ist demnach
Odins einwirkung, weniger für dasselbe von bedeutung ist der
vafrlogi, den die Gripisspä gar nicht, die prosa der Sgrdrfm.
nur unsicher kennt.
Was uns von andeutungen über das Verhältnis Brynhilds
zu Sigurd in den erhaltenen eddischen liedern geboten wird,
ist leider sehr dürftig. Eins aber steht völlig fest : nicht Odins
ratschluss zwingt Brynhild zur Vermählung, sondern ihrer ver-
wanten wille, und schwankend ist nur, ob der vater Budli
oder der bruder Atli sie zur verhassten ehe nötigt (Sig. III
35 ff. GuÖr. I, 25. Oddr. 16 ff. Völs. s. c. 29, B. 150, 3 ff.)
Der vafrlogi aber ist hier durchaus unentbehrlich.
Ein einziges lied, HelreiÖ Brynhildar, hat beide Überliefe-
rungen verschmolzen, aber so, dass man die fuge der zusam-
menkittung noch erkennt. Es lautet die erzählung: Brynhild
würd in Hlymdalir in den diensten des jungen Agnarr gedacht,
dem sie wider Odins willen den sieg verleiht: der erzürnte
gott schliesst sie in Skatalund mit Schilden ein und lässt feuer
die schildburg umlodern. Den heisst er sie befreien, der Fäfnirs
gold ihr bringe. Sigurd reitet hin, aber nicht, wie man erwar-
ten sollte, durch die lohe, sondern (str. 11):
]?ars föstri minn
fletjum sty'rtJi,
also zu Heimir oder Atli oder Budli oder Agnarr (?). Die an-
nähme Grundtvigs und Bugges, dass Helr. Brynh. str. 7 — 10
aus den ursprünglichen Sigrdrifumäl fälschlich hineingekommen
sind, scheint mir denn doch kein blosser 'einfall', wie Jessen
258 SYMONS
Avill.'j Indes an die notwendigkeit dieser annähme glaube ich
gleichtalls nicht; ich halte dieses gedieht von ßrynhilds todes-
fahrt, das Eassmann-) für eins der ältesten erklärt, für gleich
jung nach sagenform und darstclluug. Die sage ist arg ver-
Avirrt; in lllynidalir wolmt der junge Agnarr, während nach
allen andern quellen lieimir dort lebt; Brynhild kommt auf
ihrem ritt in die unterweit af Vallandi, das sich zwar auch
sonst findet 3), aber auf späte sagenform hindeutet.*) Für die
späte eutstehung des liedes selber aber sprechen die ganz un-
motivierte einkleidung, die weiter keinen zweck hat, als Bryn-
hild wider einmal gelegeuheit zu einer kurzen recapitulation
ihrer vita zu geben, sowie manche kenningar schlimmerer art
(vär gulls str. 2, harr herr alls viÖar str. 10). Sigurd heisst
vikingr Dana str. 1 1 , eine nach zwei selten hin verdächtige
bezeichnung.
Es könnte diese erörteruug glauben machen, dass ich
Sigrdrifa und Brynhild für ursprünglich getrennte wesen halte.
Das liegt mir durchaus fern; gewis sind sie ursprünglich eine
und dieselbe mythische gestalt. Allein soweit wir auf quellen
zurückgehen können, ist eine Spaltung in der tat eingetreten,
die sich als sehr alt durch feststehende charakteristische züge
erweist. Die scheinbare ursprünglichkeit der Helr. Brynh. ist
nichts weiter, vorausgesetzt, dass wir an der Überlieferung fest-
halten dürfen, als ein ganz verfehltes mittel, zwei scheinbar
sich Avidersprechende sagenformen zu Acreinigen. Auf diesem
Avege sind die prosaerzählungen weiter gegangen, sie alle iden-
tificieren Sigrdrifa und Brynhild: Völs. s. c. 19 (ß. 124, 1),
c. 20 (B. 125, 14), SE I, 3(30 und }>ättr af Norn. c. 5 (B. 65, 4).
So erklärt es sich auch, dass mehrere papierhss. den Sigrdrl-
fumal den titel 'Brynhildarkvi^a hin fyrsta' vorsetzen.
Wenn nun aber gar an der stelle, von der wir ausgingen,
die begegnung in der Völs. s. zwischen Sigrdrifa und Sigurd
mit einer Verlobung schliesst, so ist dies eine fälschung der
sage, die, wie Bugge a. a. o. mit recht bemerkt, der sagen-
') a. a. 0. 48.
2) I, 172.
3J Härbart5slj. 24. Völund. B. 163, 17.
*) Vgl. K. Maurer, zs. für deutsche phil. II, 467.
YOELSUNGA SAGA. 259
form der Sigrdrifuinäl geradezAi ins gesiebt schlägt. Diese liebes-
erklärung in ihrer romanhaften trivialität ist einmal eine folge
jeuer idenlifieation, dann aber auch gewis zur Vorbereitung für
die einführung der Aslaug bestimmt. Denn es heisst Ragn. s.
loÖbr. c. 8 (Fas. I, 257): 'sem J>au hittust a fjallinu SigurÖr
ok Brynhildr, ok hon var byrjut): ok er Brynhildr varÖ lettari,
var mer nafn gefit, ok var ek kölluÖ A'slaug.'
Es fragt sich nuu aber weiter: erlauben uns die zerstreu-
ten angaben der erhaltenen lieder, uns, ohne hinzuziehung der
Völs. s., ein bild von dem Verhältnis Sigurds und der Brynhild
zu machen? Allerdings ist dies möglich. Zwei verschiedene
sagenformeu sind hier zu trennen, eine ältere und eine jüngere.
Letztere steht unter der Voraussetzung einer Verlobung Sigurds
mit Brynhild, bevor jener in Gunnars gestalt den trug an ihr
verübt. Diese darstellung ist der mehrzahl der lieder eigen.
Sig. III, 3:
unz l^eir Brynhildar
biÖja föru,
sva at Ipeim. SigurÖr
reit5 i sinni,
Völsungr uugi
ok vegakunni.')
Dass vega acc. plur. ist (= der wegkundige), vermutet
Bugge 2) mit hinweis auf J^idr. s. c. 226 (ünger s. 208, 24) mit
grund.3) Die Gripisspä beruht völlig auf der Voraussetzung
einer vorverlobung bei Heimir. Aus Helr. Brynh. geht bei aller
Verworrenheit doch ein aufenthalt Brynhilds in Hlymdalir
hervor. Gestützt wird diese vorverlobung durch stellen der
Völsunga saga, die unleugbar auf verlorenen gedichten beruhen:
der Vergessenheitstrank, den Grimhild Sigurd reicht, erhält nur
durch diese Voraussetzung ihre bedeutung. Bugges bemerkung*),
dass ohne die frühere bekanntschaft Sigurds und der Brynhild
das richtige poetische Verständnis der sage unmöglich sei, hat
wenigstens für die mehrzahl der lieder ihre volle gültigkeit.
') vega kendi? Zupitza, zs. für deutsche phil. IV, 446.
2) S. 419.
3) Die stelle der }ndr. s. ihrerseits beruht wol auf Nib. Liu. 367,
Z. 58, 2.
*) S. XXXIX.
26Ö SYMONS
Dennocli ist diese sageiiform nicht die ursprüngliche: der
ganzen grossartigen gestalt der valkyrie Brynhild kommt es
zu, duss sie sich getäuscht sieht, ohne den Ijereits zu kennen,
der ihr den truff bereitet. Dass alsdann mit dem schmerz,
sich getäuscht zu sehen, wilde eifersucht gegen die, die ihr den
nur ihr selbst zukommenden mann entzogen hat, in ihr auf-
lodert, ist psychologisch tief begründet. Eine frühere Verlobung
ist nur ein späterer motivierungsversuch , wie deren die sage
so viele kennt, durch die aber der herliche, tieftragische
grundgedanke der sage den beigeschmaek der intrigue erhält.
Rein und lauter hat noch die Snorra edda diese ursprünglich-
keit bewahrt: nach ihr wird Brynhilds zorn nur daher ge-
leitet, dass sie sich betrogen sieht.') Dass an der bewahrung
dieser altertümlichkeit nur die kürze des referats in SE schuld
sei, ist unwahrscheinlich: werden doch einzelne züge, wie der
zank der königinnen, recht lebhaft ausgemalt. — Aber auch
in den erhaltenen liedern scheint zum teil die ächte sagenform
noch dunkel durchzuschimmern. Dass das dritte Sigurdslied
(die sogenannte SigurÖarkviÖa in skamma) in der uns vorlie-
genden gestalt nichts ursprünglich zusammengehöriges bietet
ist wol unbestritten. Möbius'-) fragt: 'sollten in diesem liede
nicht zwei lieder, das 'kurze' und ein anderes ungehöriger
weise vereinigt sein?' Die fünf ersten Strophen zunächst haben
gewis nicht ursprünglich zu dem liede gehört; sie geben einen
orientierenden überldick auf vorhergehende ereignisse 3) ; der
ganze schluss ist wider eine der beliebten Weissagungen, die
alles kommende in nuce zusammenfasst, sogar die offenbar
ganz späte Oddrunepisode bereits kennt. Ohne den müssigen
versuch einer herausschälung des ächten liedes machen zu
wollen, lässt sich doch der kern glücklich durchempfinden.
Dieser ist Bigurds und Brynhilds tod und hat gewis das ur-
sprüngliche lied gebildet. Dieser kern ist, neben teilen der
') Vgl. Lachmann, kritik s. 450 [anm. zu den Nib. s. 341].
2) Zs. für deutsche phil. I, 399.
^) Vgl. Lüning s. 386. Trotz Kölbings Widerspruch (Germ. 21, 92)
mu88 ich daran festhalten, dass diese sti-ophen ganz dem bau der eddi-
schen lieder entgegen sind, die ohne langes präludieren auf ihren gegen-
ständ losgehen. Das gilt natürlich nur von den älteren, wirklich volks-
tümlichen derselben.
VÜELSUNGA SAGA. ^61
Reginsmal und der Fäfnismäl, )?iymskviÖa und Skirnismäl viel-
leicht das älteste, das uns in den eddischen liedern vorliegt,
von wahrhaft epischer grosse, einfacher und doch kühner
diction: wilde leidenschaft durchzieht den kern des gedichts,
den ich etwa bis str. 52 rechnen möchte, ohne alles zwischen-
stehende für gleich alt zu halten. — Der sagenform dieses
eigentlichen kurzen Sigurdsliedes , das auch die ältere darstel-
lung von Sigurds ermordimg kennt, scheint nun auch die Vor-
aussetzung einer früheren Verlobung Sigurds und der Brynhild
fremd zu sein. Nirgends findet sich darauf eine hiudeutung;
das treibende niotiv bei Brynhild ist der zorn über ihre schniach
und rasende eifersucht wider Gudrun. Freilich verlaugt sie,
Sigurd zu besitzen, aber niclit sentimentale ]iel)e treibt sie
dazu, sondern der gedanke, dass nur ihr der herrlichste mann
gehören soll. Ihrer liebe soll Gunnar nur dann sich erfreuen,
wenn er sich als den herrlichsten erweist (str. 11):
nema l>ii SigurÖ
svelta latir
ok jöfurr ü?5rum
oet5ri ver(5ir.
Den grimmen nornen wird das unheil zugeschrieben (str. 7).
— Solche Worte wie str. 6:
hafa skal ek SigurÖ
eöa ]>6 svelta,
mög frumungan
mer ä armi
oder str. 9:
vän geng ek vilja,
vers ok beggja,
verÖ ek mik gcela
af grimmum hug
stehen noch ganz auf diesem alten Standpunkt der sage. —
Auch das erste Gudrunlied steht vielleicht noch auf diesem
boden. Jessen i) macht sich mit unrecht über dieses lied lustig.
^\'enn auch nicht alles, was das lied jetzt enthält, alt sein
mag, die grundlage ist gewis acht und schön. Wenn Brynhild
str. 27 feuer aus den äugen sprüht und gift schnaubt, so ist
es entschieden unerlaubt, diesen zug, in dem ihre valkyricn-
natur hervortritt, für willkür zu halten. Aus Übereinstimmungen
') a. a. 0. s. 52 f.
262 SYMONS
mit andern liedern auf ein cxccrpt aus denselben zu schliessen,
ist schon deshalb mislieh, da das gerade entgegengesetzte sich
eben so gut glaublich machen Hesse. Jessen ist hier wie an-
derwärts aus dem extrem der übermässigen Schätzung der
Eddalieder, meiner Überzeugung nach, in das andere der über-
mässigen geringschätzung gefallen, während doch auch ohne
dieses übermass der trefiflich.e aufsatz seine reinigende kraft
nicht verloren hätte. Die zu gründe liegende sagenform der
Gu(5rünarkvi?5a I ist entschieden alt : auch hier wird Sigurd im
bette ermordet gedacht, auch hier ist Brynhilds groll nicht die
folge getäuschter liebeshoflfnung , sondern wilden schmerzes
über den ihr zugefügten höhn. Ein verlorenes lied aber, in
cap. 27 der Völs. s. benutzt, glaube ich, stand noch weit ent-
schiedener auf diesem alten Standpunkt der sagenentwicklung,
was ich später zu stützen suchen werde. — Nicht zu über-
sehen ist auch, dass die deutsche gestalt, NL und J?idr. s., das
schwanken teilt. 0
Eine frühere bekanntschaft Siegfrieds und der Brünhild
im Nibelungenliede fällt gänzlich weg, wenn man die stelle
Lm. 480, 4; Z. 78, Q^ der Interpretation Zarnckes gemäss
deutet.2)
Diesen drei für sich bestehenden sagenformen gegenüber:
1. Sigurd und Sigrdrifa;
2. Sigurd und ßrynhild;
a) frühere Verlobung unbekannt,
b) frühere Verlobung vorausgesetzt,
war die arbeitsweise des Verfassers der Völsunga saga keine
andere, als die wir in den controlierbaren teilen kennen lernten :
das streben nach Vereinigung sich widersprechender sagen-
formen. Was in der ihm vorliegenden Sammlung ein neben-
einander einzelner sagenformen verschiedeneu alters war, wurde
bei ihm zum nacheinander, und, indem er Sigrdrifa mit Bryn-
hild identificierte und mit Sigurd sich verloben liess, entstand
jene zwei- oder gar dreifache Verlobung, die der schrecken der
sagenforschung geworden ist.
') Vgl. HS 2 86.
2) Beiträge etc. in den berichten der königl. sächs. ges. der wiss.
phil.-hist. classe VIII, 227-234.
VOELSUNGA SAGA. 263
Kehren wir nun \ on diesem ianj^-en excurs, der aber ii,'anz
ununigänglieli war, zur priifung' der einzelnen capitel zurück,
wobei es hauptsäclilicli darauf ankommen wird, die inneren
und äussern gründe der ächtheit oder unächtheit zu erörtern,
ohne eine widerholung- einzelner punkte, die namentlich P. E.
Müller oder Rassmann vorgebracht haben, ängstlich zu ver-
meiden.
Eine ganz eigentümliche Stellung nimmt c, XXII ein, das
eine Schilderung- von Sigurds rüstung und aussehen enthält: es
stimmt nahezu wörtlich zu c. 185 der |?iÖr. saga. ßugge i)
hat die ansieht aufgestellt, dass dieses capitel wie die übrigen
in beiden sagas übereinstimmenden stücke aus der j^iör. s. in
die Völs. s. tibergegangen sind, und diese ansieht scheint jetzt
sllgemein adoptiert zu sein.-) Diese annähme scheint mir je-
doch unhaltbar, vor allem durch die resultate von Treutiers
Untersuchungen über die |>iÖrekssaga 3) : c. 1S5 der |?idr. s.
fällt völlig aus dem rahmen der erzählung. Der etwas ver-
wickelte Sachverhalt ist dieser: c. 200 wird Sigurd zuerst er-
wähnt; von seiner Vorgeschichte war nichts bekannt. Um die-
sen mangel abzustellen, schob der Schreiber no. III der mem-
brane (M) und eigentliche redactor der saga die geschichte
von Sigurds geburt und Jugend (c. 152 — 168) zwischen blatt
5 und 6 der achten läge: ausserdem fügte er eine beschrei-
bung aller der kämpen Dietrichs bei (c. 172 — 184), Da unter
diesen auch von Gunnarr und Högni die rede war, muste
c. 170, in dem von der einladung derselben erzählt wird, und
das sich dem anschliessende c. 171 vorgestellt, also deren
frühere niederschrift durch no. II auf bl. 5. 6 gestrichen werden.
Vor beide stellte aber no. III die erzählung von Gunnarr und
seinem geschlecht (c. 169). Auf den eingeschobenen 10 blät-
tern folgen aber noch weitere 4 capitel, an die sich erst c. 189
der zug nach Bertangaland anschliesst. In c. 185 wird Sigurds
aussehen und rüstung, in c. 186 Sifkas aussehen, in c. 187
Hildebrands schlagfertigkeit, in c. 188 geschildert, wie |>idrek
') a. a. 0. XXXIV ff.
2) Vgl. Mübius, zs. für deutsche phll. I, 417. Döring ebend. II,
75 f. Jessen ebend. III, 54.
») Germ. 20, 151 ff.
Beiträge zur geschichte der deutbchea spräche. lU. jg
204 SYMÜNS
zu .seinem hengst Falka gekommen ist.i) Dass jene vier ca-
pitel, deren inlialt weder inuern Zusammenhang zeigt, noch auch
nur leidlich passend ist (was soll die Schilderung von Sigurds
waÖenrüstuug, da Sigurd gar nicht bei Dietrichs gesellen ist?),
nur ein lästiger notbchclf zur füliung der eingeschobenen 10
blätter sind, bedarf keiner weitereu erörterung. Die vorläge
von M kann wie so manclies andere auch jene vier capitel
nicht enthalten haben -), sondern sie sind dem Schreiber no. III
und eigentlichen redactor der saga zuzuweisen. Gibt man
dies zu — und das scheiut doch unumgänglich — , so scheitert
Bugges annähme, dass c. 185 der |>iÖr, s. von dem Verfasser
der Völs. s. benutzt sei, au einfachen chronologischen bedenken.
M der }ä(5r. s. ist frühestens um das ende des 13. jahrh.
geschrieben.^} Die eutstehung der Völs. s. aber in der vorlie-
genden gestalt wollte Müller-*) bereits iu den anfang des 13.
Jahrhunderts setzen, Keyser^) und Bugge*^) wenigstens nicht
über die zweite hälfte des 13. Jahrhunderts hinaus. Auch
wenn Bugges beweismittel wegfällt, die priorität der |n(5r. s.,
wird man doch aus andern gründen '') an seiner datierung fest-
halten müssen.
Kann also c. 185 der |?iÖr. s. nicht die quelle für c. 22
der Völs. s. gewesen sein, so bleibsn nur drei möglichkeiteu :
1. c. 22 ist von einem spätem abschreiber in die Völs. s.
interpoliert.
2. c. 22 der Völs. s. und c. 185 der |?it)r. s. gehen auf eine
gemeinsamie quelle zurück.
3. Der Schreiber no. III der membrane der |?iÖr. s. hat sein
eingeschobenes c. 185 aus der Völs. s. entlehnt.
Erstere ansieht ist von Müller §) und Keyser^) verteidigt.
') Vgl. Treutier a.a.O. s. 171, dem ich in diesen orientierenden
angaben wesentlich gefolgt bin.
^) Vgl. Treutier a. a. o. s. 173 f.
^) Unger, saga DiÖriks konungs af Bern, s. XII.
*) SB II, 103.
5) efterl. skrift. I, 360.
6) a. a. 0. XXXV.
7) Vgl. s. 213.
8) a. a. 0. s. 106 f.
'-') a. a. 0. I, 356.
<
i
VOELSUNGA SAGA. 265
An und für sich ist sie woi juögiicli, denn die pergamcutlis.
der Völs. s., die wir allein besitzen, ist wahrscheinlich um das
ende des 14. Jahrhunderts geschrieben, also ungefähr ein Jahr-
hundert jünger als M der ]?i(5reks saga. Allein ein anderer
grund macht diese annähme unmöglich. Kassmann ') und
Bugge a. a. o. haben darauf hingewiesen, dass noch verschie-
dene andere stellen in Völs. s. und |nbr. s. nahezu wörtlich
übereinstimmen, die unmöglich interpoliert sein können, da sie
mit dem umstehenden fest verknüpft sind.-)
Die annähme einer gemeinsamen quelle hat Ilassmann in
mehr origineller als glücklicher weise vertreten: Rassmann
vermutet 3), dass wir für Völs. s. und )>iÖr. s. eine gemeinsame
altfrauzösische oder 'wol vielmehr normannische' (?) quelle an-
zusetzen hätten. Aus dieser sei unser capitel in beide sagas
gemeinsam übergegangen, die erzählung von Sigurds erstem
zusammentretfen mit Brynhild dagegen die grundlage der l-'iör.
s., die von seinem zweiten aber die grundlage der Völs. s. ge-
worden. Natürlich steht diese Vermutung ganz in der luft.
Dass die Normannen eine erinnerung an die sagen ihrer heimat
nach Frankreich mitbrachten, ist ja glaublich. Aus dem be-
deutenden mitwirken der Normannen an der allerfrühesten
entwicklung der altfranzösischeu literatur geht aber ihre völlige
accomodation an die neuen bilduugsverhältnisse zur genüge
hervor. Eine epische behandlung der Siegfriedssage in Frank-
reich ist für jeden, der den gang der altfranzösischen literatur
kennt, undenkbar.^) Die analogie des angeblich auf französi-
scher quelle beruhenden Volksbuchs vom gehörnten Siegfried
hätte Rassmann, abgesehen davon, dass dies nicht einmal eine
analogie wäre, nicht anführen sollen; denn jene angäbe des
Volksbuchs hält der einfachen vergieichung mit dem Siegfrieds-
0 I, 9 ff.
2) Spätere abschreiber haben allerdings aus der |^it5r. s. in die Völs,
8. interpoliert (SB II, 107 anm.).
3) 1, 174. II, XX anm. moditiciert Rassmann diese ansieht etwas,
aber in nicht begründeterer weise.
■*) Die HS 2 44 f. angeführten Zeugnisse für die heldenaage aus alt-
französischen gedichten (vgl. noch Ferd. Wolf in den altd. blätt. I,
34 — 47) bieten nur einige dunkle anspielungen auf die Wielandssage.
18*
266 SYMONS
licdc nicht stich. ^) Die gemeinsame (juelle könnte nur ein
lied gewesen sein; class aber das capitel nicht auf einem liede
beruhen kann, beweist inhalt und darstellung auf den aller-
ersten blick.
Demnach ])leibt nur noch die. dritte möglichkeit, das c. 22
gehört ursprünglich der Vüls. s. an und ist vom rcdactor der
]nt)r. s. in M aufgenommen; ebenso natürlich die andern iiber-
einstimmenden stellen, von denen ich einstweilen absehe.
Zweifellos wird diese annähme auf Widerspruch stossen, so
lange man die Völsunga saga als eine lautere, durch nichts
getraute widergabe alter heldenlieder ansieht. Ich hoffe aber
eine genügende anzahl moraente dafür beigebracht zu haben,
dass diese an und für sich unwahrscheinliche annähme an der
einfachen veigleichung der zu geböte stehenden quellen schei-
tert. Dem zweck, die saga zu einem angenehm lesbaren lese-
buche zu machen, der eine eingehende Schilderung des beiden
forderte, dient auch das frei erfundene c. 22. Es ist an passen-
der stelle eingefügt, nachdem Sigurd durch erschlaguug des
drachen und erweckung der valkyrie aus dem zauberschlaf
recht eigentlich zum manne erwachsen ist. Dass das capitel
einen Jüngern Charakter trägt, als die meisten andern teile
der saga, ist unbestreitbar; dies erklärt sich aber zur genüge
daraus, dass die saga in den meisten fällen auf dem Wortlaut
älterer lieder beruht. In den fällen, in welchen der saga-
schreiber selbst zu worte kommt, lässt sich ganz derselbe ton
nachweisen, z. b. c. 32 (B. 163, 15 Ö'.)'^), und an manchen stellen
der Ragn. s. Und warum sollte nicht um die mitte des 13.
Jahrhunderts dem Verfasser dieser ton geläufig gewesen sein,
die blütezeit der riddarasögur, von denen ja viele unter der
regierung des königs Häkon gamli (1217 — 1263) ihre ent-
stehung fanden ? War auch zunächst das mutteiland die statte,
die sich dem neuen geschmack willig hingab, so steht doch
fest, dass Häkon sich für manche übersetzungan eines Isländers
bediente, und auch auf Island wird jene neue geschmacks-
richtung nicht zu spät eingang gefunden haben.'^) Der Inhalt
') Vgl. MüUenhoff, zur gesch. der Nib. Not s. 40. Zarncke NL^ VII.
2) Vgl. s. 238.
■^) Vgl. auch K. Maurer, abhandl. a. a. o, s. 5U9 ff. — Ist die saga
VOELSÜNGA SAGA. 267
des capitels gibt durchaus nichts unpassendes oder mit sonstiger
in die saga nach älterer quelle übergegangener sage streitendes:
manches ist sogar entschieden sagenhaft nachgefühlt, wie denn
Jacob Grimm 1) in dem ritt durch das körn etwas 'hoch mythi-
sches, an einen gott gemahnendes' fand.
Einige andere gründe für die priorität der Völs. s. kommen
bestätigend hinzu. Die Ordnung in beiden sagas ist eine ver-
schiedene: in der Völs. s. geht die beschreibung der rüstung
SigLirds der seines aufseheus vorauf. In der |>iÖr. s. ist das
umgekehrt. Hätte die Völs. s. das capitel heriibergenommen,
so wäre ein gruud zur Umstellung absolut nicht vorhanden ge-
wesen. Ein sehr triftiger aber lag für den redactor der |>iÖr. s.
vor, da bei allen vorher geschilderten kämpen Dietrichs 2) zuerst
das aussehen, dann die rüstung beschrieben war. In der ]?iÖr.
s. wird Sigurds hornhaut eingefügt, von der die Völs. s. nichts
Aveiss. Hätte letztere sie vorgefunden, so hätte sie sie beibe
halten können, da einen anfang von der Völsunge Unverletz-
barkeit sowol die prosa frä dauÖa Sinfjötla (ß. 202 tf.) als
auch Völs. s. c. 7 (13. 95, 1 1 ff.) kennt. Der |?iÖr. s. aber war
Sigurds hornhaut seine ^vichtigste eigenschaft, sie wurde des-
lialb hinzugefügt. — Die erzählimg der |?i8r. s. ist in der mitte
des capitels, die dem ende des capitels in Völs. s. entspricht,
ausführlicher als die der Völs. s.: die zusätze sind oberfläch-
lich und spiegeln die not des Schreibers von M wider, seine
eingeschobenen blätter nur ja voll zu bekommen.
BcAor einige allgemeinere bemerkungen hieran geknüpft
werden können, sind zunächst die übrigen übereinstimmenden
stellen beider sagas ins äuge zu fassen. Es sind drei:
I. Völs. s. c. 30 (B. 15S, 17—21). l^iSr.s. c.347 (U.301,22— 25. 27— 30).
ok cf ek hetöa vitat j^etta fyrh* ok \>ä, luaelti Sigur?5r sveinn, er
ok stig.a ek ä luina t'cjetr ineÖ luin hann fekk lagit .... ok et' j^etta
vapn, ]}k skyldu margir ty'na sinu vissa ek, ]?ä er ek stoÖ upp a inina
liti, äör en ek fella, ok allir J^eir loeti-, aSr )7Ü jnmv j^etta verk at ta
bru'ör (Irepuir, ok torveldra mundi mer banasar, )?ä vferi minn skjöldr
in Norwegen geschrieben (vgl. s. 214 f.), so stösst diese annähme noch
auf geringere sehwierigkeifen.
') Myth.^^ 359.
2) Abgesehen von Dietrich selbst und Hildebrand, deren aussehen
bereits c. 14. 15 ausführlich erörtert war.
2G8 SYMONS
j'cim at (Irepa iiiik ou cnn mcsta brotinn ok hjdlrar spiltr ok niitt
visiind eÖa villigölt. sverÖ skort56tt, ok meiri von, äSr
l^etta vasri gort, at allir ]?er tjörir
vaeri daiiÖir. Ok her eptir deyr nü
SigurÖr sveinn. Ni'i mjelti Högni
en Uli a litilli riÖ hefi ek
veitt einsaman einn bjorn eÖa einn
visund. ok verra vaeri oss Ijörum
at scekja SigurÖ svein, et" hann
vaeri viÖ buinn, en at drepa bjorn
eÖa visimd, er allra dy'ra er frce-
knastr.
Das capitel der Völs. s. gibt, weseutlicli nach Sig. III, eine
besclireibung von Sigurds ermorduug. Unmittelbar nach der
paraphrase von Sig. III, 28 folgen dann die angeführten worte
der sterbenden Sigurd. Aehulich ist die Situation in der an-
dern saga, nur dass dort die worte der Völs. s. unter Sigurd
und Högni verteilt sind. Ein stricter beweis für die priorität
der Völs. s. lässt sich hier nicht führen. Zu beachten ist frei-
lich, das die wenigen kräftigen worte der Völs. s. in der ]?i8r.
s. breitgetreten sind. Als ab?chluss sind sie in jener wol am
platz, zumal Sig. III, 28 für eine ruhige erzählung einen doch
gar zu hastigen bot. Am schluss des c. 30 (B. 159, 8 — 15)
findet sich ein ganz ähnlicher zusatz, eine klage der Gudrun,
für den wol niemand nach einer quelle suchen wird:
IL Völs. s. c. 32 (B. 162, 11—15). jMÖr. s. c. 348 (U. 302, 19—23).
nü segir ]?at hverr, er |?essi tiÖendi ok er |^essi tiSiudi spyrjaz, at
heyrir, at engi ma(5r mun ]ni\ikv eptir Sigui-Ör sveinn er drepinn, ]ni segir
i veröldunni, ok aldri man siÖan ^g^t hverr mat5r, at engi mun eptir
borinn slikr ma(5r, sem SigurÖr var üfa i veroldinni ok aldri si(5an mun
fyrir hversvetna sakar, ok haus borinn verÖa f^vilikr ma?5r firir sa-
nafn man aldri fyrnast, i )7y'Svers- kjr »fls ok reysti ok allrar kurteisi,
kri tungu ok ä NorÖrlöndum, me- kaps ok mildi, er hann haföi um-
Öan heimrinn stendr. fVam hvern mann annarra. Ok hans
nafn mun aldrigi ty'naz i py övers-
kri tungu ok slikt sama meÖ NorÖ-
mannom.
An beiden stellen ist dies nicht unpassend eingeschoben:
beachtenswert ist aber, dass in der |?ibr. s. ein ganzer ab-
schnitt damit schliesst. Dass in der Völs. s. gesagt wird, Si-
gurds name lebe auch in Deutschland fort, kann nicht weiter
auöallend oder unpassend erscheinen. Wird doch schon in
VOELSUNGA SAGA. 269
der Schlussprosa zu dem Brot af Sig. (frä dauÖa SigurÖar B.
241, 6) auf die erzähluug- deutscher männer rücksicht ge-
nommen. Diese prosa hat zwar Völs. s. nicht benutzt, aber
gewis eben so gut gekannt, wie den ganzen inhalt des cod.
Eeg. ]]enutzen konnte sie sie im übrigen nicht, da sie ab-
weichende sageugestaltuugen referiert, die die Völs. s. ja gerade
vermeiden wollte.
III. Völs. s. c. 33 (B. 1G9, 9—13). ]nt5r. s. c. 360 (ü. 309, 9—13).
Konungar gerÖust allmjök dnik- Attiia koni;ngr er nü gamall ok
nir; p'dt finnrVingi ok maelti: 'ekki ]7ungferr mjök at sty'ra sinu riki,
er J7vi at leyna, at Atli konungr en bans ungi sun Aldrian er enu
er jjungfcerr mjök ok gamlatJr mjök fara vetra gamall. Nü liz oss sem
at verja sitt riki, en synir hans ]?er munitS vera bezt til komnir at
ungir ok til engis foerir; nü vill stjörna ]?essu riki meS yt5rum
hann gefa j^tir vald yfir rikinu, me- frfenda hans m6i5urbroet5r (?), }ni
öan |?eir eru svä ungir, ok ann riö er hann hefir ei själfr aldr til
y?^r bezt at njöta.' at geta sins rikis.
Diese stelle ist ganz entscheidend für die priorität der
Völs. s. Für sie war das anerbieten der regentschaft im
wesentlichen vorbereitet durch Akv. 5:
voll lezk ykkr ok mundu gefa
viSrar GnitaheiÖar
ok stat5i Danpar,
bris ]?at it moera
er met5r MyrkviÖ kalla.
Leicht konnte diese stelle dem sagaschreiber anlass geben,
zur niederkämpfung aller bedenklichkeiten der Gjukunge das
anerbieten noch zu steigern. Der deutschen sage dagegen ist
auch die leiseste andeutung eines solchen anerbietens fremd,
entspricht auch ganz und gar nicht der Ökonomie derselben,
da Etzel ja an und für sich gar kein grosses Interesse au dem
kommen der Wormser könige hat, Etzels alter und schwäche
ist überdies der darstellung der J>iÖr. s. c. 423 ganz zuwider.
Döring i) glau'ot deshalb, die ]nt>i: s. habe hier aus Akv. 5 ge-
schöpft, hält aber im übrigen au der priorität der }>iÖr. s. fest.
Dadurch ergibt sich ein resultat, das mir ungeheuerlich scheint:
die Völs. s., die im übrigen den Atliliedern schritt für schritt
folgt, hat hier eine stelle aus der J?i(5r. s. entlehnt, die diese
') Zeitschr. für deutsche phil. II, 16.
270 SYMONS
ihrerseits aus den Atliliedern entiioriimen hat. Die Wider-
legung eiucs derartigen Schlusses erspare ich uiir.
Bugge ') führt dann noch eine vierte stelle an, die aus der
])it)Y. s. in die Völs. s. übergegangen sein soll:
Vüls. s. eil (B. 106, 4 f.). ]nÖr. s. c. 153 (U. 15S, 25 fl".).
Sigmund! kouungi var hvarvetna ok Isetr [NiÖungr Sigmundi ko-
sett torg ok annarr farargreiÖi. uuugij alt (allstat5ar B, fehlt A)
setja torg ok veizlur |?ar (hvar B)
sein hann ferr.
Es wird erlaubt sein, diese Übereinstimmung in die kategorie
der zufälligen zu verweisen.
Bugges Vermutung endlich, dass c, 37 (B. 175, il — 13)
auf pit)Y. s. c. 384 beruhe, ist bereits zurückgewiesen.-)
Unser resultat ist demnach : die )nÖr. s. hat aus der Völs.
s. geschöpft, d. h. niclit die alte, einfachere ]>iÖrekssaga, deren
aussehen wir nur noch zu reconstruieren vermögen, sondern
jenes bunte gemisch von alter sage und willkürliclien Zusätzen,
das in M uns vorliegt, und als dessen Urheber wir den Schrei-
ber no. Ill anzusehen haben. Wie c. 22 der Völs. s. in M
hineinkam, ist besprochen; die drei übrigen entlehnten stellen
aber gehören nicht der schreii)arbeit des Norwegers no. III,
sondern der Isländer no. IV und V, die indes unter anleitung
von no. III gearbeitet haben, uud zwar höchst wahrscheinlich
nach seinem dictat.^) Der redactor, einmal mit der Völs. s.
bekannt, hat bei passender gelegenheit vereinzelte stellen aus
ihr in das von ihm redigierte werk hineinbringen lassen. Das
hat nichts auftallendes , denn auch sonst ist nicht zu leugnen,
dass nordische namen (Gramr, Giani), nordische sagenzüge
(das Verständnis der vögelsprache, das sieden der stücke des
drachen) und nordische sitte eingang in die }nbreks saga ge-
funden haben. Dass diese einflüsse von den eddischen liederu
oder deren verwanten ausgegangen sind, glaubte schon P. E.
Müller und haben Dörings sorgfältige Untersuchungen festge-
stellt: Storm^) hat das nicht zu entkräften vermocht. Vielleicht
1) a. a. 0. XXXV.
^) Vgl. s. 243.
3) Vgl. Unger a. a. o. s. XVII. Storm, sagnkredsene om Karl den
Store og Didrik af Bern s. !ül. Treiitler a. a. o. s. 15S.
*) a. a. o. s. 116.
VOELSUNGA SAGA. 271
ist die Vermutung- nicht unerlaubt, dass jene nordischen namen
und sagenzügc durchweg" auf kenntnis der Völs. s. beruhen.
Mindestens findet sich der name von Sigurds schwert Gramr
und der zug vom Verständnis der vögelsprache in jenem nach-
weisbar benutzten c. 22 der Völs. s. Den rat der adlerinnen
(|-»ibr. s. c. 166. Unger s. 168, 6 tf.) finden wir freilich so gut
in den Fäfnismäl, wie in der Völs. s. — An der datierung
der beiden sagas, hinsichtlich deren ich mich Unger und Bugge
anschliessen möchte, ändert diese abweichende ansieht von
ihrem gegenseitigen Verhältnis nichts, da jene einflüsse der
Völs. s. die vorläge von M nach Treutiers für mich beweisen-
den auseinandersetzungen i) noch nicht berührt hatten.
In dieser aufstellung bestärkt mich endlich auch ein nega-
tives resultat. Wie hätte der Verfasser der Völs. s., hätte er
die jnÖr. s. gekannt, sich wol von den einflüssen der völlig
umgestalteten sage fernhalten können, zumal er den Dietrich
schon aus seiner quelle kannte (GuÖr. IL B. 265, 1 ff.; III,
B. 274, 1 ff. Str. 2. 3)? Und ist es glaublich, dass er aus
dem immensen stoff gerade ein paar nichtssagende bemer-
kungen aufgenommen hätte, die völlig entbehrlich waren?
Schon diese allgemeine Überlegung widerspricht aller Wahr-
scheinlichkeit, während die hier vorgetragene annähme auf
keinerlei Schwierigkeiten stösst
c. XXIII. XXIV (Sigurds aufenthalt bei Heimir und Ver-
lobung mit Brynhild). Durchgängig sind diese capitel als eine
erweiterung der sage durch den sagaschreiber angesehen wor-
den.-) Bugge sieht in ihnen die paraphrase eines liedes, das
in R den Sigrdrlfumäi folgte.^) Die bedenken gegen den In-
halt der capitel richteten sich teils gegen die ^zweite' Ver-
lobung an sich, teils gegen den ton. Die einwendung gegen
die sagenhafte gewähr der beiden capitel verschwindet, sobald
') Vgl. vor allem s. ITT ff. Auü'alleuder weise ist Treutier auf die
Übereinstimmung mit der Völs. s. mit keinem einzigen worte einge-
gangen, die doch für seine aufstellungen wesentliche Stützpunkte ge-
boten hätte.
2) SB II, m ff. HS 2 35S ff. Keysei-, efterl. skrift. I, 356 ff".
W. Müller, versuoli einer mythologischen erklärung der Nibelungen-
sage s. 51.
3) a. a. 0. s. XXXIX.
272 SYMONS
miiLi (lur sonderung Sigrdrifas und Brynhilds zubtimmt. Nach
der darstellung- der sag-a wird allerdingB eine zweite Verlobung-
geschildert, das zu gründe liegende licd hat aber gewis die
begegnung und Verlobung als erste dargestellt. Diese erste
Verlobung aber, sahen wir, macht die sp:itere eutwicklung der
sage, wenigstens für die luehrzahl der lieder, durchaus not-
wendig. Bugges ansieht, dass in der Sammlung unmittelbar
auf die Sigrdrifuraäl ein lied folgte, das Sigurds besuch bei
Heimir besang, und auf dem e. 23. 24 beruhen, bestätigt die
Gripisspä, die sogleich nach der erweckung der valkyrie fort-
fährt (str. 19):
j?ii mimt hitta
Heimis bygtiir.
SE kennt jene begegnung nicht, allein sie kennt überhaupt
keine frühere Verlobung. i)
Gegründetere bedenken erregen der ton des capitels, die
zierlich conventionelle art des gesprächs, die mit einer Stickerei
beschäftigte dame im türm. Es bleibt nichts anderes übrig?
als mit Bugge anzunehmen, dass das zu gründe liegende lied
bereits einen erotischeren Charakter getragen hat, der ja auch
sonst den eddischen liedern nicht ganz fremd ist, wie die
zweite partie des zweiten Helgiliedes, partien der Völundar-
kviÖa und des Oddrünargrätr dartuu, und dass der saga-
schreiber diesen erotischen ton ins rittermässig- romantische
übersetzt hat. Jedenfalls wird das lied zu den allerj üngsteu
gehört haben.
Daraus nun, dass der sagaschreiber in dem Hede die be-
gegnung mit Brynhild als erste dargestellt fand, er aber wegen
der eingeflickten frühern Verlobung sie als zweite schildern
muste, erklären sich einzelne Widersprüche in unsern capitelu.
Denn wir werden im ganzen wol P. E. Müller'-) zugeben
müssen, dass Sigurd hier dargestellt wird, als sehe er Bryn-
hild zum ersten male, der ton des gesprächs klingt entschieden
so. An einzelnen versuchen aber, seine darstellung mit der
frühern in eiuklang zu bringen, hat der Verfasser es nicht
fehlen lassen.
') Vgl. s. 260.
2) SB II, 67.
VOELSÜNGA SAGA. 273
c. 24. B. 136, 15: pk vav Leim komin til Heimis Bryn-
liildr, föstra lians.*)
B. 136, 24: ok kennir, at pur er Biynliildr.
B. 138, 4: SigurÖr maelti: nü er l^at framm komit,
er |>er lietuÖ oss.^)
B. 138, 25: ok svörÖu nü eiÖa af ny'ju.
Wir werden das recht haben, diese reminiscenzen an die frühere
begeguung" und Verlobung für vermittelnde zusätze des Ver-
fassers zu halten und sie dem zu gründe liegenden Hede ab-
zusprechen.
Bugge a. a. o. hat an einzelnen beispielen gezeigt, dass
der ausdruek unserer capitel trotz alles conventioneilen nicht
selten an eine poetische quelle gemahnt; ich füge diesen bei-
spielen noch folgende hinzu:
c. 24. B. 136, 17 ff.: hon lagÖi sinn borÖa meÖ guUi ok
saumaÖi a )>au stormerki, er SigurÖr haföi gert: dräp ormsins
ük upptöku fjärins ok dauÖa Kegins. Vgl. GuÖr. II, 16 5—8:
byr(5u vit a boröa
]?at er peh- bört5usk
SigaiT ok Siggeirr
siiöi" a Fivi.
B. 137, 3 ff.: haukar |?inir huipa ok svä hestrinn Grani,
ok l^essa fäm ver seint bött. Vgl. GuÖr. II, 5 i—^:
hnipaaSi Grani pi,
drap i gras höft5i.
c. XXV (Gudruns träume und ihre deutung durch Bryn-
hikl). — B. 138, 28 — 139, 11 ist offenbar ein orientierender
Zusatz des sagaschreibers , der dem leser über die Verhältnisse
der Gjukunge klarheit verschaffen solh Auf liedworten beruht
dieses stück gewis nicht: die angaben aber stimmen zu allem,
was wir sonst wissen. Nur zwei punkte geben zu bemerkungen
veranlassung:
139, 1 f : hann ätti }^rjä sonu, er svä hetu : Gunnarr,
Högni, Guthormr.
0 Weshalb es sich widersprechen soll, dass Brynhild hier Heirairs
föstra genannt wird (ebenso c. 27, B. 146, 16. Sig. I, 29 '), c. 23, B. 135,
16 aber seine Schwägerin, wie Müller a. a. o. will, ist nicht einzusehen.
-) Die beziehung dieses 'er J^er hetuö oss' ist mir allerdings
nicht klar.
271 SYMONS
Nach Ilyiidl. 27 uiul SE I, 360 war Gutliorinr Gjiikis
Stiefsohn: die Völs. s. erwähnt das nicht ausdrücklich, ttber
er wird doch c. 30 (B. 150, 6) = Sig. III, 20 den andern söhnen
als nicht gleichberechtigt gegen ühergcstellt.
139, 5 f.; Gjüki ätti Grimhildi ona fjölkungu
vgl. c. 32 (B. 161, 3): met) rübum Grindiildar ennar fjölkunngu
(ohne entsprechung der Sig. III). i) Allein als zauberkundig
erscheint Grinihild aucli GuÖr. II, 17 tl", überhaupt deutet der
Vergessenheitstrank auf diese eigenschaft.
i\lit 131), 11: eilt sinn segir GuÖriin u. s. w. beginnt jeden-
falls die widergabe eines liedes, das Gudruns träume und ihre
deutung besang, und der schluss des capitels wird auch der
schluss des liedes gewesen sein, 2) Dass in diesem capitel un-
verfälschtes sagengut vorliegt, beweist die merkwürdige Über-
einstimmung von Gudruns erstem träume mit dem der Kriem-
hilt im NL (Lm. 13 — 17; Z. 3, 1 — 5). Gudruns zweiter träum
(B. 141, 14 tf.) deutet unverkennbar auf Sigurds ermordung
auf der jagd, wie die deutsche gestalt der sage sie kennt. Ob
beide träume Spaltungen des einen traums der Kriemhilt sind,
oder aber beide ursprünglich der sage angehören, wird sich
kaum entscheiden lassen. Ein jüngerer einfluss des späteren
deutschen souderle])6ns der sage ist aber auch bei dem liede,
das diesem capitel zu gründe liegt, nicht von der band zu
weisen. Aus der prosaischen form können wir soviel doch er-
kennen, dass das lied zu den jüngeren gehört haben muss.'-^)
Audi der grossenteils retrosjjective oder prophezeiende Inhalt
legt diese Vermutung nahe.
Was ßrynhild 141, 2 ff. von Sigmunds tod erzählt, stimmt
zu dem früher in Völs. s. mitgeteilten. Nur ein unterschied
ist von Wichtigkeit: als grund, weshalb Sigmund die teiluug
von der band weist, heisst es einfach: 'en bann kvezt of ga-
') Vielleicht aber ist Sig. III, 54 3—6 stark verderbt, und die wortc
der Völs. s. richtig widergegeben nach der ursprünglichen lesart. Vgl.
Bugge und Hildebraud z. d. stelle.
2) Vgl. SB II, 68. Bugge a. a. o. s. XL.
^) Ausdrücke wie: 'margir hafa spurt af y(5rum v<enleik, vizku ok
kurteisi', 'nökkurs konungs son mun biÖja j^in ' oder 'sa, er Ipii faer,
man vera vel mentr, ok muntu unna honum mikit', sowie der ganze
empfang bei Brynhild deuten darauf.
VOELSUNGA SAgA. 275
mall siÖan at berjast' u. s. w. O'Öinn ist hier also milje-
kauut. Vgl. dagegen c. 12 (ß. 108, 8 ff.): 'vill O'Öiuu ekki,
at ver bregbum sverdi, siöau er im brotnaöi; liefi ek haft or-
rostur, meÖau lionum likaÖi.' Es mag bereits hier auf diese
abAveicliuug hingedeutet werden.
Die anspielung auf die taten Hakis und HagbarÖs und
Sigars, der ihre schwester heimführte, steht in zu entferntem
Zusammenhang mit unserer heldensage, um hier erörtert zu
werden. 1)
Es kommen endlich vielfache anklänge an eddische aus-
drucksweise hinzu, die die ächtheit des capitels bestätigen.
B. 139, 16 f.: pviat jafnan dreyrair fyrir veÖrum vgl. GuÖr. II,
39 und Atlm. 18. — B. 141, 5 f.: ok var ]?ä spä spaks geta
[vgl. Forspjallslj. 20: spür eÖa spakmäl].2) _ ß. 141, 15 f.:
hann bar langt af öÖrum dy'rum vgl. GuÖr. II, 2:
sva var SigiirÖr
of sonum Gjüka
sem
eOa hjöi'tr liäbeinn
\\m livössum dy'rum.
Die Völs. s. c. 32 (B. 162, 16 ff.) gibt das wider: svä bar hann
.... sem .... eÖa hjortr af öÖrum dy'rum. — B. 141, 19 f.:
siÖan gaftu mer einu ülfhvelp, sä dreifÖi mik blöÖi brtiudra
minna. Aehnliches vgl. Atlin. 19. Sig. III, 12. GuÖr. hv. 4.
HamÖ. 7. — ülfhvelpr bei Cleasby-Vigfüsson (p. 668 b) nur
an unserer stelle belegt, also nicht dem prosaischen Wortschatz
angehörend. — B. 141, 23: Grimhildr gefr honuui mciuulan-
diun mjöÖ. meinblaudinn ist in prosa nur au unserer stelle be-
legt (Cl.-V. 422b), dagegen vgl. Sgrdrfm. 8 (j; 'meinblaudinn
mjöbr', Lokas. 3 6; ok blcud ek }?eim svä meini mjöÖ.
c. XXVI (Sigurds aukunft bei Gjuki und Vermählung mit
Gudrun). Auch dieses ca])itel erweckt nirgends den verdacht
') Vgl. über diese sage Gnindtvig, Danm. gamle folkev. I, 25s if-
Rassmann I, ISO.
2) Ich brauche kaum zu bemerken, dass ich damit die Forspjallsljoö
(hratnagaldi- 0't5ins) nicht als altes lied hinstellen will (vgl. Keyser efterl.
skrift. I, 2G2. Maurer, zs. für deutsche phil. 1, 59), allein der Wortschatz
des liedes ist darum doch der epische, üebrigens findet sich auch in
der prosa spiilchwürtlicii: spä er spaks geta Fms. XI, 154 '*. Grett.
s. 72 20. Vgl. Möbius, au. glossai-, s. 102.
^76 SYMONS
einer Verfälschung-: fast alle darin erwähnten einzelheiten lassen
sieh auch sonst bestätigen. — IJ. 143, 1 if. Der vergcsscnheits-
trank wird in den liedern nicht geradezu erwäliut, allein Sig.
I, 33 11". beruht doch auf dieser voraussetzuni^-. — B. 143, 4 f.:
ok niunu |n'i eigi yÖrir jafningjar fast. Diesem gedanken gibt
Högni Sig. III, 18 ausdruck. — B. 143, 10: gipt houum döttur
|>iua meÖ miklu fe. Vgl. Sig. III, 2:
mey but5u häniiiu
ok ruetöraa fjöld. —
B. 143, 22: }>eir sverjast nii i broeÖralag, sem |?eir se sambor-
nir broeör. Darauf wird gedeutet Sig. I, 37. III, 1. 17. Brot
af Sig. 2. 17. GuÖr. I, 21. Besonders genau entspricht SE I,
360 : en Gunnarr ok Högni sürust i broeÖralag viÖ SigurÖ. —
B. 143, 24: drekkr SigurÖr nü brüÖlaup til GuÖriinar. Nach
Sig. l, 43 geht die Vermählung Sigurds und Gunnars an dem-
selben tage vor sich, was auftauend zum NL stimmt. — B.
143, 26 ft\: l?eir föru nü vl?5a um lönd ok viuna mörg frseg-
Öarverk, dräpu marga konungasonu u. s. w. Auf diese heer-
züge Sigurds und der Gjukunge wird auch Atlm. 98. 99 (vgl
Völs. s. c. 38. B. 181, 13 if.), in etwas dunkler weise, ange-
spielt, i) — B. 143, 29 ff.: SigurÖr gaf GuÖrüuu at eta af Fäf-
nis hjarta, ok siÖan var hon miklu grimmari eu aÖr ok viirari.
Wahrscheinlich haben wir hier einen zusatz, der aus der
einleit. prosa zu GuÖr. I (B. 242, 6) hergenommen ist.'-) —
B. 143, 31: |?eira son het Sigmundr. Dem entspricht GuÖr. II,
28. SE I, 362. 364. — B. 143, 32 ft'. Auch nach Sig. I, 35
gibt Grimhild Gunnarr den rat zur Vermählung. — Die dar-
stellung dieses capitels trägt nicht gerade viele spuren der
widero-abe dichterischer worte: es teilt aber diesen mangel mit
') Ob der im )?attr af Norn. c. 6 (Biigge 65, 7) erwähnte kämpf
Sigurds und der Gjukunge mit den Gandalfssöhnen hierher gehört (vgl.
HS- 1S5. Rassmann I, 1S4), ist wol bei der willkürlichen compilation
dieser quelle höchst zweifelhaft. MüUenhoff (nordalb. stud. I, 191 ff.)
identificiert ihn mit dem Völs. s. c. 29 (B. 152, 24 ff.) erwähnten krieg
der Gjukunge mit dem Dänenkönig und Budlis bruder, allein Rassmann
macht mit recht geltend, dass dieser kämpf ja gerade den taten Sigurds
entgegengestellt wird, während es sich im ]>. af Norn. um gemeinsame
taten Sigui-ds und der Gjukunge handelt.
'^) Vgl. s. 218. 232.
VOELSUNGA SAgA. ^77
allen partien der saga, in denen einfache erzäliliiug vorherseht.
Dennoch sind einzelne ausdrücke auch hier anzufTihren , die
auf eddische worte hindeuten. ■ — B. 142, 12: ek heiti SigurÖr»
ok eni ek son Sigmundar konungs. Die quelle bot uol:
Sigtirt5r ek heiti
boriun Sigmuudi (Sig. I, 3) oder:
SigurÖr ek heiti,
Sigmimdr het minn faÖir (Fafn. 4).
B: 142, 15: ok väru allir lägir hja honum vgl. GuÖr. I, 18:
sva var minn SigurSr
hjä sonum Gji'ika,
sem vaeri geirlaukr
ör grasi vaxinn,
und fast wörtlich ebenso GuÖr. II, 2. — B. 142, 23: sä ok,
hvert traust at honum var. vgl. Völs. s. c. 30 (B. 155, 22): er
oss ok mikit traust at honum, freie widergabe von Sig. III,
18. — B. 143, 8 vgl. Sig. III, 42.
c. XXVII (Gunnars brautfahrt und hochzeit). — In diesem
capitel liegt eine naive widergabe eines liedes wol kaum vor.
Weder P. E. Müller noch Bugge machen freilich bedenken
gegen dasselbe geltend, Eassmann i) hat alle Überlieferungen
nach seiner weise zusammengeworfen und damit dem Verständ-
nis einen sehr schlechten dienst erwiesen.
Die erzählung lautet: Sigurd und die Gjukunge bringen
die Werbung um Bryuhild beim könig Budli an, dieser sagt
zu, falls seine tochter ja sage: ^ok segir, hana svä stora, at
J^ann einn mann mun hon eiga, er hon vill.' — Darauf reiten
sie nach Hlymdalir zu Heimir, Brynhilds pfleger: auch dieser
sagt, Brynhilds wähl läge ganz in ihrer band: 'ok kvazt )>at
hyggja, at j>ann einn mundi hon eiga vilja, er riöi eld bren-
nanda, er sleginn er um sal hennar.' — Sie kommen nun zur
llammenumloderten bürg, vergebens sucht Gunnar auf seinem
wie auf Sigurds rosse den vafrlogi zu durchreiten. Sigurd
nimmt Gunnars gestalt an, reitet durch die lohe und findet
Brynhild im saale sitzend, gepanzert und mit dem heim auf
dem haupte. Drei nachte ruht Sigurd neben ihr, durch das
nackte schv^ert von ihr getrennt. Am vierten morgen nimmt
er ihr den Andvaranaut und gibt ihr dafür einen andern ring
') I, 185 ff.
278 SYMONS
von Fäfnirs erbe. Dann reitet er /Airöck zu seinen genossen;
Sig-urd und Gunnar wechseln wider die g-estalten und bringen
botschaft nach Hlynulalir. An demselben tage geht ßrynliild
zu Ileimir, erzählt ihm, was geschehen ist, mit dem zusatz, sie
habe gesagt, nur Sigurd könne die waberlolie durchreiten, dem
sie eide geschworen habe auf dem berge. Dann empfiehlt sie
Heimirs schütze Aslaug, ihre und Sigurds tochter. Die könige
reiten nun heim, Brynhild dagegen zu ihrem vater: die Gju-
kunge rüsten ein grosses festmahl, zu dem Budli, Atli und
Brynhild kommen. Als das mahl zu ende ist, erinnert sich
Sigurd aller eide, die er Brynhild geleistet hat, stellt sich aber
ruhig. Brynhild und Gunnar sitzen in kurzweil und trinken
guten wein.
Dass dem kerne dieses capitels ein lied zu gründe liegt,
kann freilich gar nicht zweifelhaft sein: zwei Strophen im
starkabarlag (Bugge s. 145, no. 22. 23) werden angeführt, die
uns einen ungefiihren einblick in die beschaffenheit des liedes
gestatten. Es wurde offenbar der ritt durch den vafrlogi darin
mit grosser lebhaftigkeit geschildert. Al)er auch die prosaii^che
auflösung zeigt noch an manchen steilen die zu gründe liegende
dichtung:
B. 144, 16: Gunnarr reiÖ Gota, en Högni Hölkvi. Ein
uns in SE I, 484 erhaltenes rossregister aus den Alsvinnsmäl^
schliesst:
Högni Hölkvi [reiÖ]
Gunnarr Gota
en Grana SigurÖr.
B. 145, 25 f.: hon svarar af ähyggju af sinn sseti sem alpt
af baru.-) — B. 146, 2: ok väru väpn vär lituÖ 1 mannablöSi,
ok ]?ess girnumst ver enn. Vgl. Helr. Brynh. 2:
]7ii hetir, vär gulls!
ef ]nk vita lystir,
mild af höndum
manns bloÖ J^vegit.
Einleitung und schluss des capitels sind aber ganz ent-
schiedene Zusätze. Die doppelte Werbung bei Budli und Heimir,
') Richtiger Kaifsvisa. Bugge, Edda s. 333,
^) Vgl. Myth.''^ 399.
VOELSUNGA SAGA. 279
der Widerspruch, dass ßudli von einer zu durchreitenden waber-
lohe gar nichts erwähnt, Heimir dngeg'en die A^ermähking da-
von abhängig" macht, die geradezu i-atioualistische art, wie
abermals die lohe durchritten werden soll, das alles macht zu-
nächst die einleitung höchst verdächtig. Die audeutungen aus
Brynliilds munde selber, die wir Sig. III, 35 ff., GuÖr. I, 25
N'üls. s. c. 29 (B. 150, 4 ff",) über ihr geschick erhalten, sowie
die kurze aber verständige darstellung der SE I, 3GÜ schliesseu
ein eingreifen Heimirs hier völlig aus: ein schw^auken tindet
sich nur, ob Budli oder Atli den bestimmenden einfluss auf
Brynhilds geschick ausüben i), und dieses schwanken teilt auch
die Völs. s. Wenn sie Heimir hier hineinbringt, so will sie
dadurch die widersprechenden sagenformen vereinigen, die bald
eine frühere bekanntschaft Sigurds und der Brynhild Aoraus-
setzen und damit auch ein auftreten Heimirs, bald ausserhalb
dieser Voraussetzung stehen: dass letzteres für das hier zu
gründe liegende lied anzunehmen ist, zeigt recht deutlich die
erzählung vom ringe, auf die wir sogleich zu sprechen kommen.
Ferner aber war Heimir für uusern Verfasser eine sehr wich-
tige figur, da ihm alsbald Aslaug zur erzieh ung übergeben wer-
den soll. Dass ferner der ritt durch den vafrlogi in dem zu
gründe liegenden lied als erster dargestellt wurde, bedarf keines
beweises. Unser Verfasser aber ist sich über die Widersprüche,
die sich durch die identificierung von Sigrdrifa und Brynhild
ergaben, nirgends recht klar geworden. Ob er sich c. 20 bei
der erweckung der Sigrdrifa - Brynhild bereits die durchreitung
der waberlohe gedacht hat, ist gar nicht klar zu ersehen, denn
er schreibt dort nur die unklare prosa der Sigrdrifumäl aus,
die nur von einem grossen licht spricht, das wäe ein feuer
aussieht. An unserer stelle aber sieht kein mensch den gruud
ein, weshalb denn Brynhild sich widerum von feuer hat um-
lodern lassen, zumal sie nicht als schlafend dargestellt wird.
Diesen Widerspruch hat der sagaschreiber wol gefühlt, des-
wegen aucii seine ganze erzählung in einem heildunkel ge-
halten, das aber die llickarbeit noch genügend erkennen lässt.
Die darstellung der durchreitung des vafrlogi, der begeg-
nung mit Brynhild und des keuschen beilagers gehört gewis
') Nach Oddr. 14 starb Budli, als Oddrun fünf jähre alt war.
Ueiträge zur gescliiclite der Ueutsuheu .siiruche. lll. jy
280 SYMONS
(Icni iii-spriiiiii;licben Hede an: letzteres wird vielfach bestätigt. >)
Wie lange Sigurd neben Bryubild ruhte, scheint früh geschwankt
zu haben, nach Helr. Brynh. 12 acht nachte, nach SE 1, 302
nur eine nacht. Sigurds einwand, ihm sei der tod bestimmt,
falls er Brynhild berühre, erwälmeu zwar die lieder an keiner
stelle: diese Vorstellung ist aber altgermauisch.-)
Nun folgt die erzälilung vom Wechsel der ringe. B. 146,
11 fl".: 'bann tök ]m af henni hringinu Andvaranaut, er bann
gaf henni, en fekk henni nü annan bring af Fäfnis arfi.' In
der ÖE I, 362 heisst es: 'en at morui, pii er bann atöt) upi)
ok klseddi sik, pä gaf bann Brynbildi at linfe gullbauginn,
]?ann en Loki baföi utt af Audvara, en tök af henni annau
baug til minja.' Also das gerade gegenteil. — Einen anhalts-
punkt zur beurteilung gibt uns Völs. s. c. 28 (ß. 147, 17 ff'.):
die königinnen streiten sich, zornig sagt Gudrun: 'ok bann
[SigurÖr] lä hjä |?er ok tök af hendi |>er bringinn Andvara-
naut, ok mtittu nü her bann kenua. Brynhildr ser nü ]>enna
bring ok kennir.' An der entsprechenden stelle erzflhlt SE I,
362, 364: 'sä a^tla ek at geugi i rekkju hjä per, er mer gaf
gullbaug }>enna; en sä gullbaugr, er }ni hefir ä hendi ok ]?ü
|>ätt at linfe, bann er kallaör Andvaranautr, ok setlak at eigi
sötti Gunnarr bann ä GnitaheiÖi.' Also widerum das gerade
gegenteil: nach Völs. s. hat Gudrun, nach SE Brynhild beim
zank den fluchbringenden ring Andvaris an der band; und in
der brautnacht nimmt nach der Völs. s. Sigurd der Brynhild
den Andvaranaut, nach SE erhält sie ihn erst da. — Man
könnte hier an doppelte Überlieferung denken; richtiger und
besser nehmen wir Ijewuste änderung des sagaschreibers au
Der ring Andvaris ist das symbol des Üuclies, der sich an das
gold knüpft: die sage verlangt es, dass in jener verhängnis-
vollen brautnficbt Brynhild ihn von Sigurd empfängt, und da-
durch den fluch an sich kettet. Sie gil)t ihm einen andern
dafür, den Sigurd später Gudrun gibt, und welcher Brynhild
die gewisheit des truges verleiht. Nimmermehr aber kann es
für Brynhild beweisend sein, wenn Gudrun ihr den ring
Andvaris zeigt, den Sigurd von jeher besessen hat. — Die
') Sig. I, 41. III, 4. Brot af Sig. 19. Helr. Brynh. 12.
2) RA 168.
VOELSUNGA SAGA. 281
erste stelle der Völs. s. sielit überdies sehr gemacht aus: von
eiuem auderu ringe aus Fäfnirs erbe wissen wir nichts. Was
bewog- aber den sagaschreiber zur änderung? Der grund liegt
nahe. Das lied, auf dem der kern des c. 27 beruht, setzte eine
frühere bekanntschaft zwischen Sigurd und Brynhild nicht vor-
aus: nach dem lied von der begegnung bei Heimir hatte aber
der Verfasser c. 24 (B. 138, 25) erzählt: 'Sigur?)r gaf
henni gullhring.' Folglich muste hier geändert werden : Öigurd
nimmt den früher ihr geschenkten ring, unter dem der saga-
schreiber sich den Andvaranaut dachte, fort, und gibt ihr einen
andern. Diese änderung aber hatte eine weitere c. 28 im ge-
folge : während gewis nach dem dort vorliegenden liede Gudrun
der Brynhild jenen zweiten ring zeigte, den diese Sigurd in
der brautuacht gegeben hatte, änderte der Verfasser das dahin
ab, dass Brynhild den Andvaranaut au Gudruns band er-
blickt. Zweifellos wird die richtigkeit dieser auflassuug durch
eine spätere stelle der Völs. s. c. 29 (B. 150, 3 ff.): nach dem
zanke mit Gudrun fragt Brynhild Gunnar: 'hvat gerÖir ]>ü af
bring J-'eim, er ek selÖa j.'er, er BuÖli konungr gaf mer' ....
Es kann nur der ring gemeint sein, den Brynhild dem ver-
meintlichen Gunnar in der brautuacht gegeben hat, den sie
aber nun an Gudruns band hat erblicken müssen. Eben durch
die höhnische erwähnuug des ringes will sie ihn an den ver-
übten betrug erinnern. — Damit aber stimmt nur die erzähluug
der SE I, 362: en tük af henni annan bring til minja, nicht
aber die sich widersprechende der Völs. s. Es ist eben dem
Verfasser hier eine iuconcinnität entgangen.
Endlich halte ich den schluss des capitels für einen übel
erfundenen zusatz. Nach SE I, 362 reiten die Gjukuuge mit
Brynhild zu Gjukis bürg zurück. Das setzt auch Sig. I, 43
voraus. Das ist offenbar das richtige und sachgemässe. In
der saga wirkt dagegen die erzählung fast lächerlich: Sigurd
und Gunnar reiten zu Heimir, ebenso, aber getrennt von ihnen
gedacht, Brynhild, die ilnn die Aslaug übergibt. Dann reiten
die könige heim, Brynhild aber zu ihrem vater: mit ihm und
Atli kommt sie dann endlich an Gjukis hof. Ich kann mir
die Situation nicht anders vorstellen, als dass die könige und
Brynhild sich widerum unterwegs getroffen haben müssen. —
Der ganze abschiedsbesuch Brynhilds bei Heimir hat doch nur
19«
282 SYMONS
den alleinigen zweck, ihm die Aslaug- /Air ciziehung zu über-
geben. Die ganze stelle lässt sieb nur so verstellen, dass
Aslaug bisher nicht bei Heimir war: also nuiss sie mit Bryn-
hild \on der waberlohe umschlossen gewesen sein. ]\Ian sieht,
zu welchen absurditäten der ganze zusatz führt. — Dazu kom-
men noch andere bedenken: Krynhild erzählt (146, 19 ff.) dem
Heimir, was sieh zugetragen hat, und fügt hinzu: ^en ek sagc^a,
at )nit mundi SigurÖr einn gera, er ek vann eiÖa ä fjallinu,
ok er bann mimi frumverr.' Es kann sich höchstens in Bryn-
hild ein verdacht geregt haben : diesen verdacht auszusprei^hen
wagt sie erst, als sie die gewisheit erhalten hat. Die eide auf
dem ])erge können natürlich dem liede nicht angehört haben,
die bezeichnung Sigurds als Bryuhilds frumverr streitet völlig
gegen die annähme aller eddischen lieder und soll nur die
einführung der Aslaug motivieren. — Dann heisst es zum
schluss des capitels (l47, 1} ff.): 'ok er lokit er j^essi veizlu,
minnir SigurÖ alba eiÖa vi(5 Brynhildi, ok Isetr pö vera kyrt.'
Allerdings heisst es auch in der Gripissi)a str. 45:
minnir j^ik eiÖa,
müttu l'egja ]>6,
antii GuÖrünu
goÖra raÖa,
und auch nach den zweifellos auf liedworten beruhenden stellen
der Völs. s. c. 29 (B. 153, 20 ff., 154, 6 f.) ist es die anschau-
ung der sage gewesen, dass Sigurd sich widerum der Brynhild
geleisteten eide entsinnt. Das in diesem capitel benutzte lied
aber hat, wenn unsere Vermutung, dass ihm eine frühere be-
kanntschaft zwischen Sigurd und Brynhild unbekannt war,
richtig ist, diese andeutung nicht enthalten. • — Es beruht also
c. 27 zwar in seinem kerne auf einem liede, schluss und an-
fang sind aber zusätze des Verfassers, die teils dem streben
nach ausgleichung sich widersprechender sagenformen, teils der
einführung der Aslaug ihre entstehung verdanken.
c. XXVIII. XXIX. Buggel) hat die ansprechende Ver-
mutung geäussert, dass alles, was die saga c. 2S. 29 erzähle,
in demselben Sigurdsliede besungen gewesen sei, von welchem
c. 29 (B. 154, no. 25) eine strophe angeführt wird (svä segir
') a. a. o. s. XL. 247.
VOELSUNGA SAGA. 283
i 8iguröarkvi(^iii), und dessen schluss uns im Brot af Sigur?^ar-
kviöii erhalten sei. Dieser schluss ist um so ansprechender,
als dadurch der name ' Sig-urÖarkviÖa hin skamma', mit wel-
chem der prosaische schluss von GuÖr. I (B. 246, 9) auf das
unmittelbar folgende dritte Sigurdslied hindeutet, aufs Ijefriedi-
gendste erklärt würde. Denn gar wol könnte ein derartig
langes gedieht, wie dieses von Buggc vermutete, SigurbarkviÖa
Hiin langa' genannt worden sein.
Dass beide capitel überhaupt auf ein lied oder auf lieder
zurückgehen, beweist ausser den angeführten stropheu die fast
dui-chweg" gehobene diction. An keiner stelle der lücke erhält
man so sehr das gefühl von prosaisch aufgelöster dichtung."^)
Von zahlreichen belegen hierfür seien mir einzelne angeführt:
c. 28. B. 147, 12: 'enn }>inn böndi var |>r;ell Hjälpreks konungs'
vgl. Fäfn. 7. Der Vorwurf fehlt auffallender weise SE. —
B. 148, 15: 'ok ek ann per eigi hans at njöta ne guUsins
mikla' vgl. Brot af Sig. 3 5. 6; fyrman hon GuÖrünu göÖra
rä5a. — B. 149, 10: 'hon veldr öllum upphöfum }>ess böls, er
oss bitr (Grimhildr).' Ebenso Sig. I, 51: veldr |?vi Grimildr. —
B. 149, 13: njöti |>er svä SigurÖar, seni }>er hafiÖ mik eigi
svikit. Die ausdrucks\veise ist ganz dem stil der eddischen
lieder gemäss: GuÖr. I, 21. Akv. 30. — B. 149, 19: 'ok hendum
eigi heiptyrÖi' vgl. Atlm. 88 ■< : Mienduz heiptyröi'. Fäfn. 9. In
prosa bei Gl.- V. (252 b) nur belegt SE 77 (Egilsson). —
c. 29. B. 150, 22: 'nü erum ver eiÖrofa' vgl. Brot af Sig. 1612
Helr. Br. 5. — B. 150, 26: 'mörg fla3r5'aror5 hefir pii mailt.'
flserbarstafir Sgnlrf. 32. In prosa nur hier (C1.-V. 163 a). —
B. 151, 6 ff.: 'hon (Brynhildr) svarar: hirÖ eigi f>at, J>viat aldri
ser pii mik glaÖa siÖan i J>inni höll eÖa drekka etc.' Ganz
ähnliclie gedanken äussert Brynhild Sig. III, 10. 11. — B. 151,
10 f.: 'hon (Brynhihlr) settist upp ok sl6 sinn borÖa, at suudr
gekk . . . Hier tritt Brynhilds valkyriennatur hervor wie GuÖr.
I, 27. Brot af Sig. 10. — B. 152, 20 f.: 'ok eigi galt bann
mer at mundi feldan val.' fella val findet sich kaum in prosa
(Cl.-V. 151a). Dagegen val ny'feldum liäv. 87 4. Vgl. auch
') Dann geliürto natürlich aucli die c. 2s (B. 148, no. 21) angeführte
Strophe diesem liede an,
2) S. auch SB II, 72.
284
ÖYMONS
Orinm. :>:). llain^i. HO. lliirb. lO. Rigsm. 37. Si^. III, 37 ii. ö. —
1>. 153, () r. : '\>ai er iiier särast iiiiuua lianiia' vgl. Gn<1r. hv.
\(\: '])Sit er mer liarMast liariua niiniia.' — B. 153, •.) f.:
'skaiiit imm at hih'a, ii()y hitrt svcr?5 man staiida i iiiinu
lijavta' vi;l. Fäfn. 1: 'stönduiuk til lijarta lijürr'. Sig-. Ill, 21:
'ijtüÖ til lijarta hjörr Siguröi.' V»i)ä55: Mtetr hann . . . standa
lijör til lijarta.'
Dass wenigstens das c. 29 zu gründe liegende lied kein
anderes war , als das, dessen scliluss uns im Brot af Sig. er-
halten ist, ist in hoheni grade walirsclieinlieli. Ihr Inhalt und
ihre sagenform stimmen vortrefflich zusammen: diese sagenform
ist eine jüngere als die in Sig. III vorliegende. In dem so
reconstruierten liede, das wir SigurÖarkviÖa hin langa nennen
dürfen, wird Sigurd drausseu im freien ermordet, ein früheres
Aerlöbnis mit Brynhild überall vorausgesetzt, sogar der name
Niflungar taucht sporadisch einmal auf (Brot IG t<»). In Sig.
III dagegen findet Öigurd im bette neben Gudrun den tod, und
die annähme eines früheren Verhältnisses scheint für den kern
des licdes nicht statthaft.^)
Auffallend ist eine längere stelle in c. 29 (B. 150, 2—16),
die bemerkenswerte, oft wörtliche Übereinstimmungen mit Sig.
III, 35 — 41 zeigt. Brynhild erzälilt Gunnar von ihrer erzwun-
geneu Vermählung :
at ek mimda )?ciin verÖa at gip-
tast, sera bann vildi, eÖa vera
äu alls tjär ok hans vinattu.
}'a hug8a?>H ek nieÖ iner, hvart ek
skylda |hly'(5a] hans vilja e(5a
drepa margan mann.
ok ])'Ar kouo, at ek hetuinst |?eira,
er riÖi hestinum Graua incö
Fätuis arfi.
Sig. III, 3(): at hvärki lezk
liötnum deila
gull ne javöii,
nema ek gefask letak
ok engi lut
auÖins tjar.
.. .. oT: ]nl var a hvörfum
hugr niiun um j^al,
hvart ek skykla vega
et5a val fella
böU i brynju
um brö(5ur sök
,, „ 39: l^eim hetumk j^a
]>j6(5kouuiigi
er nieö gulli sat
ä Graua bögura.
0 Vgk s. 260 flf.
VOELSUNGA SAGA. 285
Die verrautung- lie.^t ualie, cla.ss liier Sig. III dem Verfasser
als quelle vorgelegen liabe, allein sie ist nicht haltbar. Denn
einmal werden in der paraphrase von Sig. III (c. 30. 31) auch
unsere strophen widergegeben (ß. 160, 8 ff.). Ueberdies aber
hat unsere stelle eigentilniliche züge: Budli, nicht Atli, Avie in
Sig. III, 36 zwingt Brynhild zur Vermählung: die Gjukunge i)
drohen im Verweigerungsfalle mit heerzug und brand; der die
waberlohe durchreitet, soll Brynhild eine wahlstatt von evschla-
genen (vgl. B. 152, 21) zur morgengabe bringen.-) Das lied,
das unserm capitel zu gründe liegt, muss, wie Bugge gleich-
falls glaubt (zu Sig. III, 36), einige Strophen enthalten haben,
die fast wörtlich mit dem dritten Sigurdsliede übereinstimmten.
— Aebnliches bietet sich ja auch in andern liedern der Edda:
Helg. Hund. I, 35, 45 f. = Helg. Hund. II, 20. 23 f.; GuÖr. I,
18 = GuÖr. II, 2; GuÖr. hv. 4 = HamÖ. 6; Baldrs draum. 1
= |n-ymskv. 14.3)
Ob auch c. 28 nach Bugges Vermutung aus demselben
licde wie c. 29 geschöpft hat, ist nicht zu entscheiden. Indes
ist es Avol wahrscheinlich, dass ein besonderes lied von dem
zank der köuiginnen in die Sammlung übergegangen war. Das
gedieht, das den inhalt von c. 29 und Brot af Sig. umfasste,
kann immerhin lang genug gewesen sein, dass ihm eine Si-
gurÖarkviÖa hin skamma vom Sammler entgegengesetzt werden
konnte.
Mit dem anfang von c. 30 tritt die vergleichung mit den
erhaltenen liedern wider ein.'*) Die resultatc dieses teils un-
serer Untersuchungen sind folgende:
') Bugge liest Gjükiingar , der cod. aber GJiiki koniiiigr, und das
wird richtig sein; Gjüki ist der eigentliche künig, in seiner band liegt
krieg und friede.
2) Es erinnert dies an die darstellnng des Oddr. IS und )nÖr. s.
c. 108, nach der Sigurd beim eintritt in Brynhilds bürg kämpfe zu be-
stehen hat, und deutet wol gleichfalls auf jüngere sagenforiu.
^) Zur Vermutung Hildebrands (ältere Edda s. 227), dass Sig. III,
'M — 11 vom Sammler aus jenem Hede, das c. 20 der Völs. s. zu gründe
liegt, eingeschoben sind, liegt eine notwendigkeit nicht vor. Der verf.
der Völs. s. hat jedenfalls die Sig. IIl nicht anders vorgefunden, als R
sie uns bietet: er übergeht eben den inhalt von str. 37 — 41, da er ihn
schon vorher mitgeteilt hatte.
'') Vgl. s. 234 ff.
286 SYMONS
I. Im i;rossen und pinzcii bietet ums die {»artic der Völs. s.,
die der lüeke des Cod. Rey. eutsi)iiclit, einen annähernd
treuen ersatz für die durch sie verlorenen lieder.
II. Ein streben nacli ausgleichung- sich widers])rccliender
safi'en formen hat den sa^-asehvciber indes auch bei diesem
teil seiner arbeit geleitet und mannigfache zusätze und
änderungen verursacht. Aus dem unvcrknüpften ne1)en-
einander der lieder ist ein zusammenliängendcs nach-
einander der saga geworden, in dem wir einen naiven
niederschlag unverfälschter sage niclit erkennen dürfen.
III. Aus der priifung dieser erzählung ergil)t sich eine l)estä-
tigung der auch durch die erhaltenen lieder wahrschein-
lichen annalime, dass die verlorenen eddischeu lieder in
der darstellung des Verhältnisses Sigurds und der Bryn-
hild bald auf älterer, bald auf jüngerer stufe der sagen-
entwicklung standen, deren erstere eine frühere verlojjuug
nicht voraussetzte.
IV. e. XXII (Sigurds aussehen und waffenrüstung) ist freie
erßnduug des sagaschreibers und aus ([er Völs. s. in die
membrane der }>iÖr. s. übergegangen.
V. Den cc. XXIII — XXIX lagen wahrscheinlich fünf resp.
sechs lieder zu gründe, deren erstes Sigurds besuch bei
Heimir und Verlobung mit ßrvnhild (c, 23. 21), das zweite
Gudruns träume und ihre deutung durch Bryuliild (c. 25),
das dritte Sigurds ankunft zu Gjuki und vermäldung mit
Gudrun (c. 26), das vierte Sigurds ritt durcli die wa])er-
lohe in Gunnars gestalt und aufentlialt ])ei Bryuliild
(c. 27) enthielten. Ob der zank der königimien (c. 28)
und Brynhilds härm (c. 2<J) in einem und demselben Hede
oder in zwei verschiedenen licdern besungen war, lässt
sich nicht entscheiden. Jedesfalls ist uns der schluss des
letzten in dieser partie benutzten liedes im Brot af
SigurÖarkviÖu erhalten.
VI. Ueber den wert wahrscheinlicher Vermutungen hinaus
lassen sich diese resultate allerdings nicht erheben.
VOELSUNGA SAGA. 287
Viertes Capitel.
Die V o r y- e s c h i c h t e.
(c. 1 — VIII, B. 100, 4; c. XI. XII.)
Unsere betrachtuiig rückt vor zu der anfangspartie der
Völsimga saga, die uns die gcscliichte von Sig'urds ahnen, die
anlange des Völsungcngcsclilcchts erzählt. In vielen punkten
iist sie für uns die einzige, in andern eine durch wenige dürf-
tige andeutungen gestützte quelle eines grossen teils unserer
heldensage, der als ein ursprünglich integrierender teil der-
sell)cu allgemein gegolten hat. Die forschung hat diese ])artie
aus leicht erklärlichen gründen vernachlässigt, denn so bunt
das gcwirr der einzelnen züge in andern partien der ^age ist,
und so sehr dies die forschung erschwert, immerhin ist dieses
quellenübeiinass bei aller Verschiedenheit des wertes der ein-
zelnen ein günstiger umstand gegenüber der dürre liier, die
einer trostlosen Ode gleicht, in der dem Wanderer keine labende
quelle zur erfrischung sich bietet. Wie verschiedenaitig aber
auch die Standpunkte der einzelnen sagenforscher waren, moch-
ten sie Deutschland oder auch den skandinavischen norden
als den ursitz der sage betrachten oder die sage in ihren
grundzügen als ein gemeinsames eigentum beider auflassen,
ein zweifei an der sagenhaften gewähr der Vorgeschichte ist
nicht aufgekommen. Hier ist aber in den meisten fällen sage
und die erzählung der saga eins und dasselbe, und es ist kein
unerlaubtes unterfangen, dieser quelle gegenüber auf strengere
kritik zu dringen, als sie bisher geübt ist, zumal wenn es sich
um so tiefgreifende dinge handelt wie einen gesammten teil
unserer heldensage. Nicht in gläubiger liinnahme aller an-
gaben einer quelle, deren nicht selten zweifelhafter wert uns
vielfach schon entgegentrat, sondern in besonnener prüfung
derselben zeigt sich die pietät für eine der schönsten bluten
germanischen geistes. Wenn ich den versuch einer solchen
prüfung hier vorlege, so bin ich mir der Unzulänglichkeit des-
selben wol bewust; er soll nicht eine Untersuchung abschliessen,
sondern einen andern Standpunkt in ihr gewinnen helfen.
Eine Übersicht über den Inhalt unserer saga in iiiren hier-
her gehörigen teilen lasse ich vorangehen.
288 SYMONS
c. I. Sisi. Odins soliii , /,ielit mit BrcÖi, .Skaftis kneclit, auf die
jaj;(l, enuurdet ihn aus ncid über sein grösseres Jagdglück und ver-
scharrt den leichnara unter einen Schneehaufen. Als der mord ruchbar
wird, niuss Sigi die hcimat verla.^scn, durch Odins hülfe erlangt er schiffe
und uiannschatt: siegreich erwirbt er sich ein weil) und die herschaft
über llünaland. Sein söhn ist Ilerir. Der alte Sigi fällt im kämpfe vor
den vorwanten seiner frau, Ecrir rächt ihn und ero!)ert land und gut
der mörder seines vaters. Kerir erwirbt sich ein weih , allein lange
bleiben nachkommen ihnen versagt, bis auf ihre dringenden bitten Frigg
und Odin ihnen Odins wunsehmädchen , HljöÖ, die tochter des riesen
Hriranir, senden, die der königiu einen fruchtbringenden apfel bringt.
c. 2. Rerir fällt im kämpfe, die künigin kann nicht i;ebären, und
der Söhn Völsungr wird aus dem mutterleib geschnitten: vor ihrem tod
küsste er die mutter. Vöisung wächst auf, vermählt sich mit Hljö(5, die
dem Rerir Odins apfel brachte. Sie haben zehn söhne und eine tochter:
Sigmundr heisst der älteste söhn, Signy' die tochter. Vöisung lässt eine
grosse halle bauen mit einem mächtigen bäume in der mitte, dessen
zweige das dach der balle umranken.
c. 3. Siggeir, könig von Gautland, wirbt um Signy, widerwillig
wird sie seine gattin. Beim hochzeitsmahle erscheint Odin, bis zur
Unkenntlichkeit vei mummt, und stösst ein schwert bis zum griff in den
bäum der halle. Nur Sigmundr vermag es aus dem stamme zu lösen
dem Siggeir, der es von ihm erwerben will, schlägt er es ab, und Siggeir
sinnt auf räche.
c. 1. Siggeir fährt mit der widerwilligen Signy in sein reich, nach-
dem er vorher Vöisung mit allen seinen söhnen zu einem feste geladen
hat, das nach drei monaten in Gautland stattfinden soll. Vöisung
sagt zu.
c. 5. Vöisung und seine söhne leisten zur bestimmten zeit dem
gastgebot folge. Mit trüben ahnungen empfängt sie Signy und rät ihnen
zur heimfahrt, um erst mit grösserer mannschaft zurückzukehren. Stolz
verweigert das Vöisung. Am folgenden tage beginnt der kämpf: nach
tapferer gcgenwehr fällt der könig Vöisung und seine mannschaft. Seine
söhne aber werden gefesselt und im wald in einen stock gesetzt. Jede
nacht kommt Siggeirs mutter in gestalt einer ylgr und verzehrt nacht
für nacht einen der brüder. Nur Sigmund rettet sich mit Signys hülfe,
durch eine list weiss er die elk zu täuschen und zu töten, sich aber
aus dem stock zu befreien.
c. fi. Sigmund und Signy planen nun die räche an Siggeir: sie
sendet dem bruder ihre söhne, um sie zur räche vorzubereiten ; als diese
eich zu furclitsam erweisen, tötet sie Sigmund auf Signys rat.
c. 7. In der gestalt eines zaubcrweibes kommt Signy zum bruder
und zeugt mit ihm einen sehn Sinfjötli, den Sigmund auf die probe
stellt und für geeignet zur räche befindet.
c. 8. Sigurd und Sinfjötli leben als wehrwölfe im walde und vol]
VOELSUNGA SAGA. 2S9
fuhren freveltaten. Dann schreiten sie zur räche, verbergen sich in
Siggeirs bürg, Siggeir entdeckt ihre anwesenheit durch seine kinder, die
Sinfjötli auf Signys betreiben tötet. Vater und söhn werden überwältigt
und gefangen gesetzt; durch das odinisciie schwert, das Signy ihnen
heimlich zusteckt, befreien sie sich. Sigmund aber und Sintjötli legen
feuer au die halle, Siggeir verbrennt, Signy aber folgt dem ungeliebten
gemahl in den flauimeutod, nachdem sie dem Sinfjötli das geheimnis
seiner geburt verraten hat.
[c. 8 B. 100,4 — schluss, c. 'J. 10 erzählen die gcschichte Helgis und
Sinfjötlis tod.] ')
c. 11. Sigmund wirbt um lljördis, Eylimis tochter: um sie wirbt
auch Lyngi, Hundings söhn, lljördis gilit dem älteren aber berühmteren
Sigmund den vorzug. Eine fehde zwischen Sigmund und Lyngi ist die
folge; lange ist Sigmund siegreich, bis Odin erscheint und ihm seinen
ger vorhält, an dem Sigmunds siegreiches schwert zerschellt. Eylimi
fällt im kämpfe.
c. 12, Nach der Schlacht kommt Hjördis, die Sigmund im nahen
walde verborgen hatte, auf die wahlstatt; Sigmund will sich nicht heilen
lassen, da Odin ihm den sieg versagt hat: sterliend aber übergibt er
der Hjördis die stücke des zerbrochenen Schwertes und legt ihr die
sorge für den söhn ans herz, den sie gebären werde. Ihm soll sie aus
den zersprungeneu stücken das schwert Gramr schmieden lassen. Dann
stirbt Sigmund, lljördis aber wird von A'lfr, dem söhne Iljalpreks von
Dänemark, geraubt: sie hat die kleider einer dicnerin angelegt, allein
durch eine list erkennt sie Alf daheim. Nach Sigurds geburt vermählt
sich Alf mit Hjördis.
Manches in dieser erzählung wird uns durch kurze an-
deutung-en der erhaltenen lieder bestätigt. Dass Sigmund von
Odin ein scliwert erhielt, bietet uns Hyndl. 2.-) Auf die wolfs-
abenteuer Sinfjötlis deutet Helg. Hund. I, 36. Auch das ver-
beigen in Siggeirs bürg, die tötung des bruders kennt dieses
lied: Sinfjötli heisst str. 41 stjüpr Siggeirs. Ueberdies ist uns
dieser zug der sage auch durch die freilich dunkle stelle des
Beövulf V. 876 ff. bestätigt.^) Dass Sigmund im kämpfe vor
den Hundingssöhnen fällt und Eylimi mit ihm, Sigmunds Ver-
mählung mit Hjördis und deren zweite che mit A'lf, Hjäl])reks
söhn, erzählt uns die prosa frä dauÖ. Sinfj. (vgl. auch Sig. I,
') S. oben s. 22:! ff.
-) Ob freilich der sagaschreiber das Hyndlulied gekannt hat, ist
fraglich, da das gedieht bekannth'ch nicht in unserer Sammlung, sondern
ganz nur in Flateyjarbok überliefert ist.
•■*) Vgl. HS 2 13 ff. Jessen a. a. o. s. 18 ff.
290 SYMONS
'.). II, ir>). — Den ]iamen Völsim^T als Siginuuds vater geben
llyudl. 20 (auch Eylimi), 11. H. II, prosa (B. J90, 1) und Sinfj.
lok (B. 202, 1), überdies die Skäldski). c. Ol (SE 1, 522). —
Wichtig ist endlich noch als bestätigendes zcugnis Skäldskp.
c. 61 (SE I, 522): ^]^at er tctt Siggeirs, er var nu'igr Völ-
sungs.' — Letzteres verwantschaftsverhältuis kennt auch f'rä
Fornj öti ') : ' Sigarr var faÖir Siggeirs, er ixtti Signy'j u, dottur Vol-
sungs konungs.' Wirklichen wert hat freilieh dieses zeugnis
nicht, da jene genealogien zusammengeflickt sind aus einer
menge von verschiedenen quellen und gevvis nicht die beach-
tung verdienen, die namentlich Keyser ihnen geschenkt hat:
reichen sie docli bis zur kalmarischen union.
Weiter als Völsung reichen diese spärlichen andeutungen
niclit: von Sigi und Rerir und ihrer abstammung von Odin
wissen uns alte quellen nichts zu erzählen. In jüngeren quellen
begegnet uns freilich auch diese genealogie, allein in höchst
verdacht erregender weise; d(n- prolog zur SE c. 10 (I, 26)
nennt drei söhne Odins: Vegdegg, der über Austr-Saxaland,
Beldegg (=^ Baldr), der über Vestfal herscht, und Öigi. Von
letzterem heisst es: 'Siggi (Sigi WUS), hans sou Yerir (Rerir
W, Jerir S, Uerir, faÖir Volsungs, er Volsungar eru frä konmir
U). peiv langfeÖgar reÖu )>ar fyrir, er nü er kallaÖ Frakklaud,
ok er )?aban sü lett komin, er köllu(^ er Volsungar.
Der jüngere ausführlichere pi'olog der Sverris s. aus der
Fläteyjarbük-) führt die genealogie des Haraldr härfagri mütter-
licherseits über die beiden Aslaug und SigurÖr Fäfnisbaui hin-
auf bis zu Sigmundr, Völsungr, Sigi, Rerir, OÖinn, dann weiter
bis zu Adam.^') Dann findet sich eine wider etwas abweichende
genealogie in der Flöamanna saga^): ^möÖir öigurÖar
Fäfnisbaua, Sigmundarsonar, Volsungs sonar, ßerssonar, Sigars-
sonar, O'Öinssonar.'
Alle drei Zeugnisse können auf grossen Nvert keinen au-
spruch erheben. Der prolog, den SE hat^), wird seine an-
') Fas. II, 10.
2) Fiat. II. 533 f. Fms. VIII, l ff.
3) Die niitteiluDg dieser Stammtafel in myth.' anh. XXI und bei
Rassmann I, 418 ist nielit genau.
*) Fs. 119.
*) Dass der prolog der SE nicht von Snorri herrühren kann, leuchtet
VOELSÜNGA SAGA. 291
gäbe, wie schon SB II, 38 bemerkt ward, aus der saga her-
genommen haben; die genealogie der Sverris s. ist dem kür-
zern altern prolog ') unbekannt; für die Flöamanua saga ist
auf Fs. XXIV ff. und das oben s. 209 gesagte zu verweisen.
Von weit grösserem gewicht als das vorkommen dieser
genealogie in offenljar abgeleiteten quellen, ist jedenfalls ihr
fehlen in alten und ursprünglichen. Das gcschlecht der Völ-
sunge hat den Stammvater, der ilini eigentlich gebührt, im nor-
den ganz verloren. Der ?jqco^ tjicörviiog des geschlechts wird
naturgemäss auch der Stammvater desselben gewesen sein.
Einen blick in das richtige Verhältnis gewährt uns noch der
Beövulf, in dem Sigemund Wailsing oder W^elses eafora heisst.'-)
Ob Wielse als Sigemunds vater oder auch nur als Sigemunds
fernerer ahn gedacht wird, ist wol gleichgültig. Bestätigt wird
durch die ags. Überlieferung jedenfalls, dass Völsungr als name
von Sigmunds vater eine nordische Verwirrung der sage ist.
Der Stammvater des geschlechts kann in der alten sage nur
Vals geheissen haben. — Als wirklich sagengemässe genealogie
kann demnach die der Völs. s. nimmermehr gelten: immerhin
aber wäre denkbar, dass sie auf älterer Überlieferung beruht.
Auch dies wird einmal schon dadurch zweifelhaft, dass keine
ältere quelle etwas von Sigi und ßerir weiss, ihre verschwei-
gung aber in rein genealogischen gedichten wie dem Hyndlu-
lied nicht zu erklären wäre. Sodann aber tragen die erzäh-
lungeu von Sigi und Rerir einen zwar altertümlichen, aber so
aus dem rahmen der heldensage hinausfallenden grundzug, dass
ihre ursprüngliche Verknüpfung mit den Schicksalen des Völ-
sungengeschlechts höchst zweifelhaft erscheinen muss.
Ganz eigentümlich ist die erzälilung von Sigi, Ska(5i und
BreÖi. SkaÖi erscheint als mann, BreÖi als sein knecht, den
Sigi tötet. Die Yugl. s. c. 9 erzählt: 'NjörÖr fekk konu peirar,
er SkaÖi het; hon vildi eigi viÖ hann samfarar, ok gij)tiz siÖan
Jedem ein, der seine wirre fabclei mit dem prolog der lleimskriiigla iiud
seiner geradezu bewundernswerten kritisclien Überlegung des quellen-
materials vergleicht.
') Fms. VIII, 5 f.
-) Vgl. HS- IG. J. Grimm, Haupts zs. I, 3 ff. Muneb, det norske
lulks historie I, 1, 225 ff. Jessen a. a. o. 18 f.
292 SYMONS
O'bni, ättii )>iiu marga sonu.'i) Diese weibliche SkaMi er-
scheint aber wider iu deu auf der Völs. s. beruheuden riniiir
fV:'i Völsuiijii liinmu öborua str. 53:
Uli rö?i stofna NjarÖar kvau
iiitiuug veizlu eina,
8kaöi hct sja skikkju ran.
at skenkja viuit hreina.
Dass die rimur hier keine alte richtigkeit behalten, son-
dern nur eine correctur auf grund der Yngl. s. bewirkt haben,
ist oben s. 203 bemerkt. Der männliche SkaÖi iu unserer
saga ist aber sehr bedenklich, seine ganze anwesenheit ist
völlig überflüssig. BreÖi ist SkaÖis kuecht: weshalb zieht er
dann mit Sigi auf die jagd? Und wenn Sigi einen knecht er-
mordet, kann das nicht sein eigener sein? Lässt es sich über-
haupt denken, dass die sage einen solchen ausgangspunkt ge-
habt hat, dass der Stammvater eines sagenberühmten heldeu-
geschlechts mit der hinterlistigen ermorduug von eines andern
kuecht seine heldenlauf bahn eröffnet ? Dass eine derartige sage
bestanden hat, ist leicht möglich, vielleicht eine alte localsage,
die sich an die erkläruug des Schneehaufens anlehnte, worauf
BreÖafönn hindeutet. Dass sie aber in irgend welcher Ver-
bindung mit unserer sage von den Völsungen gewesen ist, be-
vor es dem Verfasser einfiel, sie zu benutzen, scheint unglaub-
lich. Vielleicht ist der name Sigi, der an Sigmundr und Si-
gurÖr erinnerte, der anknüpfungspunkt gewesen, und dunkle
eriunerungen an einen oder eine SkaÖi spielten mit hinein-
Aber es kann auch umgekehrt der name Sigi eine erfundene
anlehnung an die namen Sigmundr und SigurÖr sein. Weder
iu Deutschland noch im norden hat sich eine spur von dieser
sage erhalten: Rassmanns schneeweisse strumpfraütze, die 4m
sächsischen und fränkischen Hesseugau' brede heisst^), kann
man auf sich beruhen lassen. — Wenn dann ferner Sigi Hüna-
land erobert, so steht das mit allen quellen iu Widerspruch^
denen Frakkland das stammland der Völsunge ist (Sinfj. lok
B. 202, 1 ff., SE form. c. 10 [I, 26J, Sküldskp c. 64 (I, 522),
1) Vgl. auch Lokas. pr. B. 113, 12: ']?ar var Njört5r ok kona hans
SkatJi'; Gylfag. c. 23 (1, 92): 'Njört5r ä Vä konu, er SkatJi heitir, döttir
)?jassa jötuns.
2) a. a. 0. 1, 52.
VOELSUNGA SAGA. 293
Norn. ]). c. 4, B. 58, 18 if.). Das Hünalaud der sag-a ist ge-
wis correctur, da Sigiird in den liedern vielfach danach be-
zeichnet wavd.i) Offenbar herscht ja in bezug der Hünen iu
den liedern schwanken und Verwirrung 2) , denn nach Akv.
heisst durchweg- Atli könig der Hünen. Ueberdies fand der
sagaschr eiber Frakkland in der einleit. prosa zu Sgrdrfm. als
Wohnort der valkyrie: letzteres behielt er bei, machte aber
Hünalaud zum reiche der Völsunge. Atlis reich Hess er in
blanco, wie fast alle lieder ausser Akv.
Auch Rerirs Schicksale bieten wenig, was sich unserer
heldensag-e nähert. Dennoch mag auch hier eine unabhängige
Überlieferung vorgelegen haben, die vom Verfasser zur anknüp-
fung- benutzt ward. Ebensowenig wie von Sigis heirat war
von Rerirs etwas bekannt, denn nicht einmal die namen wer-
den genannt. Dass Odin auf Rerirs bitten dessen unfruchtbarer
gattin einen fruchtbringenden apfel sendet, und zwar durch
sein Wunschmädchen Hljob, des riesen Hrlmnir tochter^)^ mag
gar wol eine für sich bestehende sage in anderm Zusammen-
hang gewesen sein. Es kommt hinzu, dass die ganze erzählung
von Sigi und Rerir unmöglich, dem ganzen tone der darstel-
lung nach, auf einem Hede beruhen kann. Auch R. Keyser-^)
und Bugge^) kommen über die annähme einer vo-lkssage iu
ungebundener form nicht hinaus. Aber, wenn diese volkssage
von anfang an ein teil der heldensage war, warum konnte sie
denn keinen sänger zum dichten bewegen, wie ihre andern
teile? Denn die annähme, es habe lieder gegeben, die aber
weder der sammler noch der sagaschreiber gekannt habe, die
vielleicht schon verloren waren, ist nicht glaublich: anspielungen
auf diese lieder, irgend etwas an sie erinnerndes würde sich
doch erhalten haben.
Der grund, der den sagaschreiber zu diesem sagenzuwachs
bewog, liegt sehr nahe. Es war der wünsch, die odiuische ab-
') Gut5r. I, 20, Sig. III, 4. 18, Atliu. 100. Vgl. GuÖr. II, 15.
2) Vgl. axich Jessen a. a. o. s. Vi.
3) Iliiumir als jütenname auch Skirn. 28, Hyndl. 32. Ueber 'un-
geborne' heUlen vgl. myth,^, 361 f.
. *) efterl. skrift. I, 348.
*) a. a. o. s. XXXVI.
294 SYMONS
slaimiiimg- von Sigurds oder vielmehr Rag-nars gescbleclit zum
riilimc dei- norwegisclien köiiiysfiimilie zum ausgang-spunkt der
siige 7Ai iiuielicu. Diese tendenz der saga, die die cinfiilr.ung
der Askiug versclmldct hat, hatte auch die hinaufrcihuug des
Völsungengeselileclits bis auf O'^iiini im gefo]ge , so dass der
\\u\ königliclie l)esteller der sn-a von 0'?)inii l)is auf llarahlr
härfagri einen zusammenhängenden über])li('k ii])er sein ganzes
angebliches geschlecdit fand. Da aber der Aerfasser als ältesten
erreichbaren aha des Stammes Völsung in seinen ((uellen Vor-
land, musteu noch einige Zwischenglieder eingeschoben werden,
denn eine solche göttliche abstammuug muste dem brauche
nach weiter zurückliegen: es durfte nicht 0'?^inn bereits als
Aslaugs ururgrossvater erscheinen.
War aber O'Öinu einmal als stanmivater des geschlechts
eingeführt, so lagen die consequenzen nahe: er muste auch
tätig eingreifen in die geschicke des von ihm entspriessendeu
Stammes. Diese beständige einwirkung Odins auf die geschichte
des geschlechts in der Völs. s. ist eine der schwierigsten fra-
gen auf dem gebiete der beiden sage. Bereits W. Grimm i) hat
sich ihr gegenüber bedenklich gezeigt. Das ist gewis unver-
kennbar, dass sie in der saga bis zur unnatürlichkeit gesteigert
ist. Die erhalteneu eddischen lieder wissen nur ein einziges
mal von dieser einwirkung Odins zu erzählen. Sig. II, 16 ff.
erscheint er als Hnikarr, besänftigt den Sigurd bedrohenden
seesturm und gibt ihm gute lehren. Dass diese partie des
stark zusammengestöppelten liedes jung ist, beweist abgesehen
von allem andern schon die häufung der kenningar (in zwei
stro})heu allein vier für 'schiff': Kfevils hestar, seglvigg, sa^tre,
hlunvigg). üeberdies erscheint Odin in der prosa frä dant).
Sinfj. als tätig bei Sintjötlis bestattung. Das augebliche ein-
greifen Odins in den HamÖismiil bei der Steinigung der söhne
Gudruns ist oben "-) erörtert : für die darstellung der Edda kann
ich hier ein vorkommen Odins nicht anerkennen. SE kennt
überhaupt keine einwirkung des gottes auf Sigurds geschick
In unserer saga dagegen finden wir Odin nicht weniger als
zehn mal: Er ist der Stammvater des geschlechts (c. 1), rettet
0 HS 2 389.
2) Vgl. s. 247.
VOELSUNGA SAGA* 295
Sigi (c. 1), verleiht Sigmund das siegbringende schwert (c. 3),
sendet Eerirs gattin den fruclitbringenden apfel (c. 4), ist be-
biilflich bei öinfjötlis bcstattung (c. 10), wendet von Sigmund
den sieg (c. 1 1), unterstützt Sigurd bei der erkiesung des rosses
Grani (c. 13), besänftigt den Sigurd bedrohenden stürm (c. 17),
rät Sigurd, bei der tötung Fafnirs mehrere gruben zu graben
(c. 18): endlich treibt er Jörmunrek an, die Sigurds tochter
rächenden briider mit steinvviirfen zu töten (c. 42).^) In allen
diesen fällen erscheint Odin typisch als alter einäugiger manu
mit tief in das äuge gedrücktem hut und blauem mantel : einen
besonderen uamen führt er ausser an der aus Sig. II genom-
meneu stelle nirgends. Es muss auffallen — und auch daran
hat W. Grimm a. a. o. anstoss genommen — , dass dieses ein-
greifen Odins sehr ungleichmässig verteilt ist, denn, da Sigurd
der hülfe des gottes am meisten bedürftig ist, bleibt dieser
fern. An manchen stellen ist auch die einwirkung des gottes
nicht einmal passend. Odin warnt vor der tötung des drachen
Sigurd vor Regins heimtücke: dennoch muss er ganz wie in
den Fafnismäl erst die ratschlage der adlerinnen empfangen
bevor er die bösen absiebten seines erziehers durchschaut. Am
auffallendsten aber ist das eingreifen des gottes Sigmund ge-
genüber, dem er durch vorhalten seines geres den sieg wendet.
In der tat, man sieht nicht weshalb. HS^ 389 bemerkt
Grimm, der grund sei wol vorhanden gewesen, in der Über-
lieferung aber schon vergessen. Rassmann -) hat sich die er-
klärung freilich bequem gemacht durch den grundgedanken,
den er der ganzen sage unterlegt, dass Odin sich nur so lauge
dem beiden aus dem von ihm entstammten Völsungeu-
geschlechte huldvoll erweist, als dieser das durch ihn von dem
friedlosen abn erworbene erbe treu bewahrt. Dieser 'gruud-
gedanke' aber beruht meiner ansieht nach auf verkennung des
Wesens der sage, die sich nicht einem festen principe nach
gestaltet, deshalb auch das hineininterpretieren einer leitenden
idec verbietet. Ueberdies hat auch Rassmann diesen gefun-
denen grundgedanken nicht einmal consequent durcbzuführen
') Letzteres eiugreiteu des gottea auch bei Siixo Gramm. (Miillei'
u. Velöchüw s. 415).
-) I, 23.
Beiträge zur geschiclite der deutschen spräche. III. 20
296 SYMONS
versucht: warum muss z. b. Sigurds schuldloser junger sohu
fallen, bevor er überhaupt die gelegenheit hat, sieh iu der be-
wahrung des erbes treu zu zeigen ? — P. E. Müller ^) findet
den zug von Sigmunds tode so poetisch, dass er aus einem
verloreneu alten Sigmundsliede genoninicn sein wird: er ver-
weist auf II. n, 791 fi". Trotzdem glaube ich, muss man auch
hier der darstelluug der saga gegenüber vorsichtig sein. An
den verschiedenen stellen, an denen von Sigmunds fall in den
liedern die rede ist, findet sich nichts von einer einwirkuug
Odins, und an einer spätem retrospectiven stelle der saga c. 27
(B. 141, 4), die in die lücke der Sammlung fällt-), Avird als
grund, weshalb Sigmund die heilung verschmäht, einfach an-
gegeben: 'eu bann kvezt, of gamall siÖan at berjast.' — Dass
es schwer ist, an allen stellen das vorkommen Odins als Will-
kür des Sagaschreibers aufzufassen, ist zuzugeben: noch weit
schwerer ist es aber unleugbar, dieser quelle an allen stellen
der einfacheren darstellung beider edden gegenüber den Vorzug
treuerer Überlieferung zuzusprechen, zumal, wie bcmcikt, ihrer
ganzen tendeuz ein zeitweiliges hervortreten Odins sehr zu-
sagen muste. Allerdings bietet ja die Edda anfange dazu,
gerade dadurch aber konnte der sagaschreiber zu weiterer
häufung verleitet werden. Dass dieses eingreifen des gottes
so ungleich verteilt ist und manchmal geradezu unpassend er-
scheint, fände seine erklärung in der gebundenheit des Ver-
fassers, der nur wenige steilen finden konnte, an denen er
den gott einzuführen im stände war, ohne die darstellung der
lieder völlig abzuändern.
Zu entscheiden aber wage ich diese scliwierige frage
nicht: es mag genügen, das für und wider erörtert zu haben.
Anders als der geschichte Sigis und Rerirs sind wir dem
folgenden gegenüber gestellt. Was liier erzählt wird, ist in
den tatsächlichen grundzügen an manchen der liederstellen an-
gedeutet. Ob aber der Zusammenhang der erzählung alt und
acht ist, stösst gleichfalls auf grosse bedenken. Es ist zunächst
unmöglich zu verkennen, dass die ganze erzählung von Signy
und Siggeir eine wunderbare ähniichkelt mit der \on Gudrun
') SB II, 48.
2) Vgl. s. 74 f.
VOELSUNGA SAGA. 297
und Atli zeigt. Wie Siggeir zur Vollstreckung seiner raclie die
briider seiner gattiu zu einem gastmaLl ladet, so Atli die Gju-
kunge: hier wie dort ist der Untergang der geladenen die folge,
hier wie dort rächt die Schwester der brüder ermordung am
verhassten gemahl und sucht den tod, als ihre räche er-
füllt ist. Beiden teilen der sage sind sogar einzelzüge ge-
meinsam. Wie Signy das leben ihrer kinder nicht scliont zur
Vollstreckung ihrer räche, so Gudrun; die elk, die Siguys brü-
der tötet, ist Siggeirs mutter, wie nach Oddr. 32 Atlis mutter
in uattergestalt Gunnar ans herz schreitet. Signy warnt die
nahenden Völsunge, rät zur rückkehr und Sammlung grösserer
Streitkräfte: ganz so Gudrun in Akv. 15. 16. Die gestaltcn-
vertauschuug zwischen Signy und dem zauberweib erinnert an
die Sigurds und Gunnars. Wenn endlich zur räche ein neuer
Völsung geboren werden muss in blutschänderischer elie, so
ist schon nach Atlm. ein söhn Högnis Hniflung das Werkzeug
von Gudruns räche, und in Jüngern quellen wird auch diesem
eine ähnliche geburt beigelegt, i)
Dass die eine der sagen unter dem einfluss der andern
zu Stande gekommen ist, liegt nahe. In der tat hat auch
Svendt Grundtvig'-) diesen parallelismus nicht unbeachtet ge-
lassen, a])er ihn zu einem Schlüsse benutzt, der nur durch den
eigentümlichen Standpunkt des geistvollen Verfassers einiger-
massen begreiflich wird. Nach Grundtvig beweist dieser pa-
rallelismus die unursprüngliche hiuzufügung der Gjukungeu'-
sage zur Yölsun gensage; seiner ansieht nach ist die ganze
sage von dem Untergang der Gjukunge und Gudrun;- räche an
Atli im gründe eine widerholung der altern Völsungensage
Dass diese ansieht Grundtvigs in Dänemark so ziemlich die
herschcnde ist, zeigt unter anderm die einleitung zu einer dä-
nischen Übersetzung der Völsuiiga saga^), die im übrigen kaum
etwas neues bietet, die ansieht Grundtvigs aber als unanfecht-
bar hinstellt.^) Verständlich wird sie im Zusammenhang von
') )7i5r. s. c. ',VXi (Ung-er s. a:):\, 11 ft'.), auch in der hvonscheu
Chronik und den fjiröisehen liedern. Vgl. HS- 124. 310. 332.
^) Udsigt over den nordiske oldiids lieroiske digtning, s. 3G ft".
■'O Sagaeu oiu \^/>lsungcine o verbat, elter det islandake af V. Ull-
uiaun, Köbh. 1873.
') a. a. o. 8. '\.
20*
298 SYMONS
Gruii(ltvii>-s art der sagenbctraclitung- überhaupt i), die im gegeu-
satz zu der mytliisierendeu und historisiercndou deutuiig' die
sage lediglich als erzeugnis des dichtenden volksgeistes hin-
stellt. Allein, so sehr diese auftassung für die weitere ent-
wicklung der sage gewis das allein richtige trifft, sie darf
nimmermehr so weit gehen, die wirklich greifbaren historischen
ausgangspunkte hiuwegzuleugueu. Dass dieser aber für die
Gjukuugensage in dem sattsam erörterten ereignisse der bur-
gundi sehen geschichte liegt, wird, wenigstens in Deutschland,
kaum geleugnet werden. Damit aber steht und fällt Grundt-
vigs ansieht. — Bereits weit früher hat Max Kieger in seinem
aufsatz 'die Nibelungeusage ' -) den parallelismus beider sagen
zu einem ähnlichen schluss benutzt. Rieger hält natürlich au
der geschichtlichen basis der Gjukuugensage fest, glaubt aber
mit Lachmann 3), dass die deutsche gestalt darin, dass Kriem-
hilt als rächerin des gatten die katastrophe der Burgundcn
herbeiführt, das ursprünglichere bewahrt hat. Die nordische
gestalt aber hat, unbeschadet einzelner achterer züge, ihre dar-
stellung fehlerhaft mit der geschichte der altern Völsuuge, Signys
und Siggeirs, vermischt. Riegers ansieht wie Grundtvigs fällt
durch ihre unrichtige Voraussetzung. Hatte schon W. Grimm ^)
aus guten gründen die nordische darstellung von der Burgiin-
den Untergang für die ältere gehalten, die Untersuchungen
MüUenhoft's ^) haben, wie ich meine, in betreff dieses puuktes
jeden zweifei beseitigt. Die historischen ankuüpfungspunkte,
die Mülleuhoff nachgewiesen hat, sind in der tat evident: da
aber die ganze sage vom Untergang der Burgnnden unbedingt
historischen Ursprungs ist, so ist notwendig auch diejenige
fassung die ältere und achtere, die der geschichte näher steht.
Das ist aber in diesem falle die nordische. — Hält man nun
an der geschichtlichen basis der Gjukuugensage und an der
grössern ursprüuglichkeit ihrer fassung im norden fest, so kann
diese selbstverständlich keine nachahmung der altern Yölsuugen-
•) Ein eingehenderes referat über Grundtvigs schrift lindet sich in
Möbius 'altnordischem literaturbericht' (zs. für deutsche pliil. l, 42(j Ö'.).
2) Germ. III, 163 ft'.
3) Kritik s. 4G3 [= anm. zu den Nib. s. Ms],
^) HS- 309 f.
••) Haupts zs. X, 14(j ü'.
VOELSUNGA SAGA. 299
sage, es niuss vielmehr das umgekehrte der fall sein. In der
traditiou des Volkes aber kann sich nicht wol eine sage ge-
bildet haben, die schritt für scliritt einer andern einfach nach-
geformt war. So unproductiv erweist sich der dichtende volks-
geist nicht, der vielmebr neue ziige hinzusetzt als alte wider-
holt. Wie gerade durch neue motivierung sich eine sage aus
der andern entwickelt, zeigt deutlich das Verhältnis der Gudrun-
sage zu der Hildeusage.
Ganz wahrscheinlich fällt der Zusammenhang der Sigmund-
snge — so bezeichne ich der kürze hal])er die erzählung von
der Völsuuge Untergang und Signys räche — ausschliesslich
dem sagaschreiber zu. Andeutungen fand er in seiner quelle
vor, der liedersammlung, die uns in R vorliegt. Daneben wird
er auch einzelne lieder, wahrscheinlicher liederfragmente ge-
kannt haben. Eins oder das andere mag sich auch im volks-
munde erhalten gehabt ha])en. Aus diesen vereinzelten stücken
machte der sagaschreiber ein zusammenhängendes ganze. Zu
eigener erfindung reichte aber seine kraft und productivität
nicht aus, und so griff er zu einer nachbildung eines andern
teiles der sage. Dazu mag er veranlasst worden sein durch
einzelne zufällige Übereinstimmungen, die er bereits vorfand,
wie wenn Sinfjötli ihn an den Hniflung der Atlamäl erinnerte.
Uebcraus schwer ist es natürlich zu bestimmen, an welchen
••stellen nun eine paraphrase von liedworten vorliegt. Jeden-
falls ist es zu viel behauptet , wenn Keyser ') die angeführte
halbstrophe (B. no. 1, s. 99, 6 tf.) :
risttt af magni
mikla helhi
Sigmixndr hjürvi
ok Sinfjötli
für das einzige hielt, das zu der zeit, als die saga verfasst
ward, noch im gedächtnis gewesen sei. Ganz viel liedermate-
rial wird aber der sagaschreiber wol nicht vorgefunden haben;
sonst hätte er mehr citiert als diese vier Zeilen. Dass das
gesin-äch zwischen Völsung und Siguy vor der Schlacht in c. .5
(B. 90, 12 ff,), vor allem aber das gespräch zwischen Sigmund
und Hjördis auf der wahlstatt in c. 12 (B. 108, 6 ff.) eine
') efterl. skrift. I, 348,
300 SYMONS
widergabe von licdwoitcn sind, vcrmntct Bnggc ') \v<»l niit
recht. Ebenso ninss sich, wie die ang-cfiihite licdstroj)lic be-
weist, etwas von einem liede über Siggeirs räche erhalten ge-
habt ha1)en. Anderes aber zeigt keine spur von einer poeti-
sclien ([nelle, so die erzählung von der elk, von Sigmunds und
Sinfjötlis wolfsabentcuern , auch wol von Hjördis raub durch
Alf. r. E. Müller'-^) vermutete, dass ein jetzt verlorenes lied,
das unter dem namen VölsungakviÖa hin forna in Helg. Hund.
II (B. 193, 19) citiert wird, die Schicksale von Sigmunds vor-
fahren enthalten habe. Der Inhalt jener VölsungakviÖa wiid
aber wol nichts anderes gewesen sein, als eben der gröste teil
des sogenannten zweiten Helgiliedes (ausgenommen str. 19 bis
24).-') Am glaul)lichstcn erscheint es, dass ganze lieder über
diese begebenheiteu überhaupt nicht mehr vorhanden Ovaren,
sondern nur noch liedtrümmer, die in ihrem v^erkümmerten zu-
stande der aufnähme in die liedersammhmg nicht mehr für
würdig erachtet wurden. *) ■ — Die erzählung von den wolfs-
abenteuern Sigmunds und Sinfjötlis wurde schon SB II, 18 für
eine auswcitung der audeutungeu in Helg. Hund. I, 36. 39. 41
angesehen, und das ist wahrscheinlicher, als dass hier ein be-
sonderes lied vorlag, auf das nichts in der davsteilung hin-
deutet. Dass es einmal alte lieder gegeben hat über diese ge-
genstände, soll damit nicht geleugnet werden: darauf deuten
auch die erwähnung im Beüvnlf und die dräpa auf Eiriki%
blöÖöx.») — Auch die darstellung des raubs der Hjördis nach
Sigmunds tod durch Alf und ihrer erkennung beruht wol nur
auf den andeutungcn der erhalteneu quellen des Aerfassers.
Dass Hjälprek, der vater des Alf, könig von Dänenuirk heisst
') Edda s. XXXVl f.
2) SB II, 41.
•■*) Zarncke ('Zum zweiten Ilelgiliede' iu den berichten der königl.
sächs. ges. d. wiss. phil.-hist. cl. XXII, 195) ist geneigt, nnr str. 14--18
als jener VölsungakviÖa eutlelmt anzusehen, da der sannnler das lied
sonst wol schon früher genannt hätte. Allein er hielt die nennung des
liedes vielleicht erst hier für notwendig, um die abweieliende lassung
gegenüber der H. H. I, 15—20 zu bekräftigen.
*) Vgl. Jessen a. a. o. s. ()o I'.
•■) In Möbius Edda s. 231 f.
VOELSUNGA SAGA. 301
c. 12 (B. 108, 26) entgegen andern quellen i), ist kaum ur-
spriing'lich , sondern wol nur der combinationslust des saga-
schrcibers entsprungen. Da Gubr. II, 13. 14. I, B. 246, 1 ff.
crzäldt wird, Gudrun habe nach Sigurds tod in Dänemark bei
}>öra, der gemahliu des Hälfr, Zuflucht gesucht und gefunden
(= Vüls. s. c. 32, B. 103, 4), hat vielleicht der sagaschreiber
jene |^öi-a für die zweite gemahlin desselben A'lfr oder Hälfr
gehalten'-), mit welchem lijördis vermählt war, und darum
auch schon an der friiliern stelle Dänemark als A'lfs und
Hjälpreks land eingesetzt. — Den talisman, der Hjördis an das
aufstehen erinnert (B. 110, 1 ü'.), bezog P. E. Müller^) auf eine
uhr, die in einem altern liede wol keinen platz hatte. Die
ganze darstellung von dem raube der lijördis ist so sehr eine
erzähluug von einem vildngszuge, dass sie so wol keinem
liede angehört haben kann. Es deutet zwar auch in den er-
haltenen liedern manches auf die vikingszeit, vor allem in den
Helgiliedern und Atlm. str. 98. 99, aber nirgends in solcher
abgeschlossenheit wie an dieser stelle der saga.
Einige mehr äusserliche beobachtungen bestätigen die an-
nähme, dass der sagaschreiber an den meisten stellen der
Vorgeschichte ohne quellen gearbeitet hat. Ueberall, wo der
A^erfasser nachweisbar liedern folgt, erzählt er ohne weiteres
bestätigen seiner glaubwitrdigkeit, es sei denn, dass er gerade-
zu citate einflicht. Ganz anders in dieser ersten partie. Fort-
während hält er es hier für nötig, seine angaben resp. sein
schweigen zu bestätigen, annarr mab'r er nefndr til sögunnar
83, 3. ekki er |?ess getit 89, 12. skjott er }?ar frä at segja
92, 9. en j?at er sögn sumra manra 92, 26. ok |>arf j>ar eigi
sögu um at lengja 93, 28 u. ö. Diese angaben weisen in ihrer
offenbaren vorsiltzlichkeit, gegenüber dem sonstigen fehlen dei'-
selben, eher auf das fehlen von quellen als auf deren be-
nutzung hin. An manchen stellen findet sich die eigentüm-
') Sintj. lok nennt das land nicht, SE I, 350: Hjcälpreks, konuugs
ä l'jöÖi, Norn. p. c. 3 (B. 55, 4) Frakkland.
-) Vielleicht richtig? auch Kassmann I, 96 und Lüning edda s. 417
meinen dasselbe. — Auch Gautland als Siggeirs reich ist sonst gänzlich
unbekannt und kaum sagenhaft.
■^) SB II, 57.
302 SYMONS
liehe |)]iraHeolo2:ie des sagaselueibcrs, die überall da widerzii-
kclireii i)flcgt, Avo quellen feliltcn. So hat er eine ganz beson-
dere art der schlaehtennuilerei, und die grosse Schilderung von
Sigmunds und Lyngis kämpf c. 11 (B. 107, 6 ff.) stimmt fast
wörtlich zu der ähnlichen c. 17 (B. 118, 4). i) — Wenn es
endlich bei l)etrachtung der sagapartie, die den durch die
Ittckc in R verlorenen liedcrn entspricht, gelingen konnte, viel-
fach anklänge an eddischen ausdruck und dem prosaischen
Sprachgebrauch fremde Wendungen nachzuweisen, sind für
diese erste partie der saga, abgesehen von den vereinzelten,
unzweifelhaft auf liedworten beruhenden stellen, alle meine
versuche in dieser richtuug fruchtlos gewiesen. Der auffallende
unterschied in der diction kann niemandem entgehen, wenn
sich auch derartige dinge mehr nachfühlen als streng beweisen
lassen.
Diese ersten, die Vorgeschichte behandelnden capitel un-
serer saga sind also — dies ist das resultat unserer Unter-
suchung — nicht als reine, ungekünstelte niederschrift eines
Stückes alter sage aufzufassen, sondern als ein conglomerat
von halb zerstörten liederresten , dunkler Überlieferung ver-
schiedenster einzelsagen, ausgeweiteten andeutungcn der Edda-
lieder und tendenziöser erdichtung. Für die kenntnis der
ältesten gestalt unserer heldensage sind sie im grossen und
ganzen ohne gewicht, denn das ächte, das sie bieten, ist uns
in den hauptsächlichsten punkten auch anderwärts überliefert;
ihre eigenen angaben aber unterliegen dem berechtigtsten
verdachte.
Dieses resultat, mit dem wir vorläufig unsere betrach-
tungen beschliessen müssen, ist wenig trostreich und wol ge-
eignet, den überaus hohen wert, den man der Yölsunga saga
beizumessen sich gewöhnt hat, einigermassen abzuschwächen:
allein es ist nicht im stände, ihn ganz für uns verschwinden
zu lassen. Die immer noch unschätzbare bedeutung dieser
quelle liegt in der partie, die uns die lücke der Eddatiberlie-
ferung ersetzen muss: zwar auch sie hat sich der eigentüm-
lichen arbeitsw^eise des sagaschreibers anbequemen müssen:
') Vgl. 8. 229.
VOELSUNGA SAGA. 303
mit hülfe der erhaltenen liedcr und der Snorra-edda .sind wir
jedocli immerhin im stände, die alte ächte sagenform aus ihr
herauszulesen.
Die preisten dienste wird aber die darstellung der Völ-
sung-a saga dann und nur dann leisten können, weini es ge-
lungen sein wird, jetles einzelne eddische lied und die sagen-
form jedes einzelnen liedes ihrem relativen alter nach an-
nähernd zu l)estimmen. Die saga hat lediglicli eine bestäti-
gende kraft, auch in den durch sie allein vertretenen partien,
nicht aber den wert einer gleichberechtigten quelle. Erst wcini
jener für unsere forschung älteste erreichbare i)unkt l^ritiscli
gesichtet ist, wird eine sichere grundlage für eine entwick-
lungsgeschichte der sage und ihrer literarischen niederschlage
hergestellt sein, zu der diese Untersuchung ein bescheidener
beitrag sein will.
LEIPZIG. B. SYMONS.
ZUR GESCHICHTE DER GRALSAGE.
I.
V 011 einer geschiclite der Gralsage , d. li. einer vor-
gescliielite dersel])en bis zu ihrem auftreten in den werken der
]K)esie gegen ende des 12. Jahrhunderts, kann eigentlich gar
nicht geredet werden, denn die sage wie der nanie treten erst
in diesen auf, und es muss weitergehender Untersuchung über-
lassen Ideiben, ob etwa eine analyse jener werke noch mo-
mente für die Vorgeschichte zu geben vermag. Zur zeit ist
eine solche Untersuchung noch nicht angestellt, und es hängen
alle in die vorgeschickte gewagten behauptungen daher noch
ganz in der luft. Es sind besonders zwei annahmen, die ihre
Vertreter gefunden haben und noch finden.
Die eine, die wol gegenwärtig in Deutscliland ziemlich all-
gemein adoptiert ist, ward zuerst von Fauriel ausgeführt, der
in seiner Histoire de la poesie provencale II, 435 ff. die sage
als in Spanien local annimmt und sie sich von dort aus durch
die Provence verbreiten lässt. Aber diese localisieruug beruht
allein auf dem j ungern Titurel, denn keins der andern gedickte
und romane, weder in Frankreich noch in Deutschland, ver-
legt die Gralsburg nack Spanien. Der gelelirte fortdichter des
Titurel aber, der Monsalvcesche fälschlich als mons salvatus
fasste, war durch diesen namen an die in Nordspanien häufi-
gen Ortsbenennungen San Salvador, Salvaterra u. a. erinnert
worden, die durch die Jacobspilger, auf die er sieb ausdrück-
lich ])erufti), auch in Deutsckland bekannt waren, und so ver-
') Tit. Ilalm MOli: Swer in GaUtt ist (jcwcsen, der tveiz wol San
Salvator und Salvaterre. D.-uirit vgl. die Jacobslieder, z. b. Uhland
Volks!. 2, Sü2: Den ßnslern stcrn ((Jap Finisterre) wellen wir Um stan
und wellen zu Salvator ein gan, yross wunderzeichen an schatven.
GRALSAGE. 305
legte er dortliiu die bürg. Diese Verwendung der jüngsten ge-
stalt einer sage zur construction ihrer ältesten gestalt wider-
spricht so sehr aller mcthode, dass sie nur eiuigcrniassen er-
klcärt und entschuldigt werden kann durcli die annähme , von
der man dabei ausging, der jüngere Tituvel habe den angeb-
lichen Proveucalen Kyot als quelle ])enntzt, und diese seine
quelle habe bereits jene angäbe enthalten. Aber eine aualyse
des Jüngern Titurel wird mit leichtigkeit diese bchauptung
widerlegen können; der verfasse- dieses gedichts stoppelte
sein werk, wie ebenso der erste fortsetzer des Willehalm,
Ulrich von dem Türlin, das seinige, aus den andeutungen in
Wolframs gedichten zusammen, die er aus dem schätze seines
gelehrten wissens gar nicht ungeschickt zu ergänzen verstand;
er wüste auch von der Gralsage etwas mehr als Wolfram,
aber das werk des Kyot haben wir in seinem gcdichte am
wenigsten als grundlage zu vermuten, trotzdem er es liebt,
sich auf ihn zu berufen, auch darin Wolfram nachahmend.
In Spanien selber hat sich keine bestätigung für jene annähme
ei-geben; die Gralsago ist diesem laude fremd und dorthin erst
durch die französischen romane im 14. oder 15. Jahrhundert
gelangt. Vgl. Ferd. Wolf in Hollands buch über Chrestieus
von Troyes 1854. s. 208 fg. anm. — Für die Provence wird
dann zunächst eben jener ivvot augeführt. Aber wir werden
jedesfalls gut tun, eine so zweifelhafte Persönlichkeit wie dieser
uordfrauzösisch schreibende Proveneale ist, über den w^eiterhin
noch die rede sein soll, nicht zu weitergehenden Schlüssen zu
l)enutzcn. Wenn dann noch von Fauricl angeführt wird
(11, 444), was man oft und blindlings nachgesprochen hat,
es fänden sich in der provencalischen lyrik anspieluugeu,
die nur mittels der gestalt der sage, wie sie bei Wolfram und
im Jüngern Titurel erscheint, verständlich seien, so verschwindet
diese, unleugbar schwer wiegende behauptung bei genauerer
nachforschung durchaus. Fauiiel hat es nicht für nötig ge-
halten, ein citat hinzuzufügen; die mir bekannten stellen aber
bestätigen nicht nur nicht seine behauptung, sondern wider-
legen sie vielmehr, vgl. z. b. ßayuouard, Choix II, 310, wo iu
dem gediente des Rambaud de Vaqueiras die frage Parzivals
die erkundigungsfrage des Chresticns, nicht die ethisch -teil-
nehmende Wolframs ist. Jedesfalls müssen wir sagen, dass
306 ZARNCKE
für den spnnis('li-})r(>vcnralisclien ausg-ang der sage etwas be-
weisendes niclit \ orge))ra{'lit ist.
pjine zweite annalinie ist ]icsonders nnd öfters vertreten
worden von Villemarqne. Dieser l)elian})tet für die Gralsage
ebenso wie für die Artussage keltisclien nrspvung. Unter andern
sind ihm neuerdings Heinrieh'), Iluclier-j und Potvin^) beigetreten.
Aber was diese sämmtlich für ihre ansieht ])eigebracht haben,
entbehrt ebenfalls der beweisenden kraft. Der uamc Gral ist
nirgends im keltisclien nachweisbar, man bringt diesen mit dem
keltischen per, einer art hexenkessel, in beziehung. Aber ver-
geblich sehe ich mich nach einem umstände um, der die Iden-
tität der beiden gefässe w^ahrscheiulich macheu könnte; einen
hexenkessel kennt auch Göthes Faust, und doch wird, niemand
diesen mit dem Gral in Verbindung bringen wollen. Nicht
besser steht es mit dem augeblichen gefäss in dem tempel der
göttiu Koridwen, das poesie und erkenntnis der zukunft ge-
währt haben soll. Dann siud es die wallisischen barden-
gesänge, in denen des Grals andeutend erwähuung geschieht.
Aber man gestatte mir, so lange nicht ein gründlicher philo-
loge diese gesänge einer kritischen Untersuchung unterzogen
und wenigstens das ächte vom unächten zu sondern versucht
hat, ihre eutstehung vor dem 12. Jahrhundert als unbewiesen
und wenig wahrscheinlich anzunehmen. Folgt das Mabinogi
von Bran dem gesegneten*), das uns in haudschriften des 15.
Jahrhunderts erhalten ist. Hier hat das gefäss, das speisen
gewährt, wunden heilt und wider zum leben erweckt, allerdings
manches an den Gral erinnernde. Aber abgesehen davon,
dass ähnliche wunschgefässe doch auch sonst vorkommen, und
dass es diesem geftisse an jeder speciellen berührung mit der
sage vom Gral gebricht, ist auch noch der umstand in erwä-
gung zu ziehen, dass eine gestalt der sage, die wir später
') E'tude sur le Parzival de W. v. E. Paris 1S55.
■■') Le St. Graal, Le Maus ii. Paris 1875.
3) Perccval le Gallois II partie , toiue V, Mons IsTl, introduction
s. II fg. — Die behauptungen dieses gelehrten sind zum teil von im-
erhürter flüclitigkeit.
') In den Mabinogion der lad}^ Charlotte Gucst III, 103; bei Ville-
marqne in den Contes populaires des anciens Bretons I, 195; bei
Heinrich s. 50 fg.
GRALSAGE. 307
keimen lernen werden und die keltischen Ursprung ausdriick-
licli abweist, als liiiter des Grals einen Hehron , gewölmlieli
Bron genannt, kennt, dessen abgeblasstes bild möglicherweise
in jenem Mabinogi hervortritt. — Nicht beweisender ist das
bekannte Älabinogi von Peredur. Meine schon früher ausge-
sprochene ansieht!) hat sich mir immer mehr bestätigt, dass
die wallisisehen Mabinogion ableitungen aus den französischen
gedichten, nicht deren quellen sind."-) Ueberdies kommt gerade
im Peredur gar kein Gral vor, und das gewicht, das mau
früher auf den namen zu legen suchte, ist sehr zusammeu-
geschiumpft. Villemarque trat anfangs mit der behauptung
auf, Peredur bedeute 'der sucher nach dem gefäss'. Wenn
das der fall war, so würde es, trotzdem dass in dem Mabinogi
eben der Gral nicht vorkommt, immerliin bei der sonstigen
übereinstinmiuug der fabel von bedeutung gewesen sein. Aber
Villemarque ist einen bedeutenden schritt zurückgetreten. Das
wort soll jetzt nur noch compagnion du hassin bedeuten und zu-
sammengesetzt sein aus dem schon besprochenen pe?- und kedur
{keä = con, ur ^= gwr = vir, dessen g in der Zusammen-
setzung schwindet) ; aber gründliche kenner des keltischen ver-
sichern mich, dass der ausfall des k {Peredur = Perkedur)
ohne analogie seij also werden wir auch diese etymologie wol
bei Seite lassen müssen. Bleibt Chrestiens von Troyes, der
für den Gral wenigstens keine andere heimat andeutet als die
seiner sonstigen beiden, die ihren ausgangspunkt sicherlich in
der keltischen sage haben. Aber als ein positiver beweis ist
auch Chrestiens werk nicht anzusehen, denn bekanntlich hat
derselbe sein gedieht nicht vollendet; dieses bricht vielmehr
schon vor der stelle ab, wo der dichter veranlassung gehabt
haben würde, sich über die uatur und herkunft des Grals aus-
zusprechen, über den er bis dahin dem Interesse seines ge-
dichts gemäss schweigen beobachtete. Aber schon der inter-
>) Eberts Jahrbuch V, 249.
-) Erst im vorigen jähre habe ich in crlahrung gebracht, dass
Haupt derselben ansiclit war. Er schreil)t am ;{1. december lb40 an
Ferd. ^V()11■: ' Ueber die Mabinogion teile ich Ihnen einmal meine ansieht
mit. Sie sind aus dem französischen zurückgebracht, nicht die ursprüng-
lichen (luellen.' Briefe von HoÜ'm. v. Fall. u. M. Haupt an Ferd. Wolf,
herausgeg. von Ad. Wolf, Wien ISTI, s. bT.
308 ZARNCKE
polator des Monscr manuseripts und ebenso ClireBticn« fovt-
sctzer und deren intevpolatorcn kennen alle übereinstimmend
den Gral nicht als ein stück der keltischen sage, sondern der
legende. Wenn man schliesslich noch die in wallisischeu lie-
dern und sagen erwähnte lanzo, bei der man sich gegen die
germanischen Unterdrücker zur räche verschwor, herbeigezogen
hat, so liegt es auf der band, dass die beziehung dieser
lanze zu der der Gralsage völlig in der luft hängt. Also ein
überzeugendes gev^icbt besitzen auch die momente nicht, die
mau für den keltischen Ursprung der Gralsage geltend ge-
macht hat.
Keine rücksicht nehme ich auf die behauptuug, die Gustav
Oppert uns zweimal aufgetischt hat^), dass Gral = Coralle sei;
denn was Gral bedeutete, dariiljer sind wir durch Helinaudus,
der die bekauute stelle um 1200 schrieb und der direct den
Gral der romane meinte, völlig authentisch unterrichtet."^)
1) Der presbyter Johannes etc. von G. Oi3pert, Berlin, Springer,
1864: u. 1S70. Wenn G. Oppert die Templeisen von Monsalviüsche mit
den rittein von Salvatierra zusammenbringen will, so irrt er auch darin;
denn Monsalvcesche wird von Wolfram noch nicht mit salvare /ai-
sammengebracht, und Salvaterre hat er gar nicht. Ob dem Verfasser des
Jüngern Titurel etwas von jenen rittern bekannt war, wissen wir nicht;
glaublich ist es nicht, er würde es uns deutlicher zu erkennen gegeben
haben.
-) Da ich auf diese stelle auch später noch zu sprechen komme, so
möge sie hier noch einmal einen platz finden: Hoc teiiipore (717/719) in
Britanniu culdam heremUae demonsirala fu'ü mirabüis quaedam visio
per angelum de Josejy/i decurione noMli, qui corpus domini deposuü
de cruce , et de catmo illo vel parapside , in quo dominus ccenavit cum
discipulis suis , de quo ab eodem heremita descripia est hisioria, quae
dicilur gradalc. Gradalis autem vel grudale gallice dicilur scutella lata
el aliquantulmn profunda, in qua yrcciosae dapcs divitibus solent apponi
f/radatim , unus morsellus post ah'um in diversis ordinibus. Dicitur et
vulgari no7nine greal, quia grata et acceptabilis est in ea comedenti, tum
propter continens, quia forte argentea est vel de alia preciosa materia,
tum proiiter contentum A. ordinem multiplicem dapiwn preciosarum.
Hanc historiam latine scripitam invenire non potui, sed tantum gallice
sci'ipta habetur a quibusdatn proccribus , nee facile, ut aiunt, tota inve-
niri polest Tissier, Biblioth. Cisterciensis VII, s. 73 fg. (z. jähre
717/719). Vgl. auch Skeat, Jos. of Arimathia (1871) s. XXX. Die Chro-
nik des Helinandus reicht bis 1204. Er schrieb zu Froidmont in der
diöcese Beauvais in Nordfrankreich.
GRALSAGE. 309
Gerade nach der seile hin, wohin uns die literarhistori-
sclien tatsaclien leiten, hat man die forschuug, in Deutschland
wenigstens, bisher am wenig'sten gewant. Jene tatsachen aber
verweisen den Gral in die legende von Joseph von Arimathia.
Freilieh auch in ihr können wir ihn nicht früher nachweisen
als innerhalb der französischen romane.
Wir haben in der legende zwei stufen zu unterscheiden.
Die erste wird dargestellt durch die Gesta Pilati (bei
Tischendorf s. 203) und die Nar ratio Josephi (das. s. 436).
Sie erzählt, wie Joseph von Arimathia am abende des kreuzi-
guügstages, nachdem er den leichnam Christi beigesetzt, von
den Juden gefangen genommen und eingekerkert wird. In der
nacht vom sabbath zum sonntag, nachdem Christus auferstan-
den, erscheint er ihm, umstrahlt von lichtglanz, hebt ihn aus
seinem kerker und entführt ihn in seine wohnung, in der er
sich bis nach der himmelfahrt zurückhalten muss. Dann
kommt er wider zum Vorschein und legt nun zeugnis für
Christus ab. Eine zweite stufe repräsentiert die Vindicta
Salvatoris, die nach P. Paris i) in manuscripten des 8. Jahr-
hunderts erhalten ist, nach dem herausgeber der angelsächsi-
schen bearbeitung wenigstens älter als das 11. Jahrhundert
sein muss.-) Diese legende ist eine rohe coutamination zweier
sagen, der von der heilung des Tiberius und der von der
heilung des Titus oder Yespasian. Alle drei regieren hier zu-
sammen, ersterer in Eom, letztere in Libyen. Als diese nach
Jerusalem kommen, wird ihnen als zeuge von Christus auch
Joseph von Arimathia vorgeführt und dieser erzählt seine da-
malige gefangenschaft. Trat somit Joseph unter Titus auf, so
war von dieser erzählung nur noch ein schritt zu der andern,
den Joseph gleich bis zur zeit des Titus gefangen halten und
erst durch letzteren befreit werden zu lassen. In dieser langen
gefangenschaft von c. 40 jähren konnte er dann nur durch ein
besonderes gnadeumittel am leben erhalten werden. So finden
wir die legende in den französischen Gralromanen.
Ob aucli eine Verwechselung mit dem geschichtsschreiber
Josephus dazu getreten ist, der ja unter Titus und Vespasian
'J Komauia I, -16. P. Paris liält die legeude für die heiuuat der Graiaage.
-) Vgl. 'i'ischendorf vorr. LXXXl.
;}10 ZARNCKE
lebte und mit ihnen befreundet war und den num der partei
der Christen zurechnete, ^vill ich dahini^'estellt sein lassen.
Uebcreinstininiende niomente könnten sich wol i^-eltend machen
lassen; andererseits halte ich eine solche annähme mindestens
nicht für nötig-.
Zwischen der Yiudicta salvatoris und den französischen
romaneu ist bis jetzt ein den Gral selbst betreffendes mittel-
g'lied nicht nachge wiesen. i) Wir wenden uns zu letzteren.
Ueber sie liat die philologische Untersuchung kaum be-
gonnen.2) Sie sind uns nur in haudschriften erhalten, deren
älteste der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts angehören, zum
teil sind sie bereits in cyklische Verbindung unter einander ge-
setzt, und der ve. dacht liegt nahe, dass sich Überarbeitung und
interpolation schon geltend gemacht haben. Diese Unter-
suchungen sowie die zwecks genauerer datierung können nur
in Paris unter den schätzen der dortigen bibliothek angestellt
werden. Für feinere fragen ist daher das material, wie es jetzt
vorliegt, kaum verwendbar, aber für die gröberen lineamente,
auf die es uns hier nur anzukommen braucht, wird es ausreichen.
1. Le petit St. Gral. Dies jedenfalls älteste werk der
Gralsage ist von Robert de Boron. Wir besitzen es in poeti-
scher und prosaischer form, in ersterer herausgegeben von Fr.
Michel (Bordeaux 1841) und vonFurnivall im anhange zu der
quartausgabe des heiligen Grales von Lonelich (für den Rox-
burghe-club 18G1), in letzterer von Ilucher (Le Saint Graal, I,
s. 209 fg. 277 fg., Le Maus und Paris 1875); eine neufranzö-
sische analyse bietet P. Paris, les romans de la T. ß., Paris
1808, L s. 123 f. Hucher hat neuerdings behauptet, die prosa
sei das ursprüngliche, das gedieht aus dieser umgesetzt; aber
darin irrt er, und noch mehr darin, wenn er seine analyse
s. 105 fg. nach einem grob interpolierten texte aufstellt. Mehr
zu überlegen ist seine behauptung, den Verfasser urkundlich
') Denn auch der schluss von Anselmi interrogatio (herausgegeben
von 0. Schade, Königsberger prograium 1S7(I) der, übereinstimmend mit
einigen der romane, eine gattin und einen gleiclniamigcn söhn des Joseph
erwähnt, ist jünger als die romane und wird unter deren eintiuss stehen.
— Ueber die erwähnung des Joseph von Arimathia bei Wilh. v. Maimes-
bury wird weiterhin in 111 gehandelt werden.
-) In aussieht gestellt ist sie von P. Paris.
GRALSAGE. 311
nacliweisen zu können. Ist der von ihm nachgewiesene Robert
wirklich der Verfasser unseres gedichts. so hätten wir damit
für dieses eine sehr frühe entsteh ung sicher gestellt, denn da
jener Robert zwischen 1164 und 1169 gestorben ist, so würde
es wol um 1160 zu setzen sein. In annähernd dieselbe zeit
hat übrigens bereits P. Paris das gedieht verwiesen. Hier wird
Joseph erst nach der himmelfahrt gefangen gesetzt, und er
bleibt eingemauert bis zur ankunft des Titus. Um ihn am
leben zu erhalten, hat ihm Christus den Gral gebracht, d. i.
die abendmahlsschüssel; diese wird vollständig als abend-
mahlskelch behandelt ^). Sie versieht Joseph mit licht und nah-
rung. Nach der Zerstörung Jerusalems geht Joseph mit seiner
Schwester und seinem schwager Hebron oder ßron und einigen
andern in eine ferne gegend, wo dem Bron 12 kinder er-
wachsen. Den Gral führt Joseph mit sich. Nach einiger zeit
tritt missernte ein; auf gebet an den Gral erklärt Christus,
dass sich unreine zwischen ihnen befänden, die sie aussondern
müsten. Zu dem zwecke fängt Bron einen fisch, den er neben
den verhüllten Gral auf den tisch legt. Alle, die einen lieb-
lichen duft von ihm ausgehen spüren, sind rein, die andern
unrein ; sie müssen sich entfernen, und man tut ihnen zum ab-
schiede nur noch den namen des Gral zu wissen. Zwischen
Joseph und Bron ist ein platz unbesetzt gelassen (ojßfenbar der
des Judas), den erst ein enkel des Bron einnehmen soll.
Moses, der ihn einzunehmen versucht, wird von der erde ver-
schlungen. Es wird nun ein förmliches service du greal ein-
gerichtet, zu dem man alle tage zusammenkommt. Die 12
söhne Brons sollen sich dann vermählen; nur Alain weigert
sich, und er wird nun von Joseph zum priester geweiht. Dann
kommt eine botschaft von gott, sie sollen hingehen aux vaux
(VAvaron (doch wol Avalon, s. u.), um die Völker dort zu bekehren.
Joseph allein bleibt zurück. Bron, der den namen le 7-iche
pecheur angenommen hat, soll den Gral mit nach dem occident
nehmen und dort seinen nachkommen erwarten, der der letzte
') Ganz entsprechend dem teile der messe, die dem Joseph von
Arimathia gewidmet ist. Vgl. Honorius Augustod. bei Migne Patrologia
lat. bd. 172, s. 55S (Gemma animae 1, 47 de Joseph), wozu man halte
Rob. de Boron v. 901 fg. und die prosa bei Hucher I, 226.
Beitrage zur geschichte der deutbcheii spräche, lU. 21
312 ZARNCKE
hütcr des Grals auf erden sein soll. Nachdem diesen drei
hiitcr, entsprechend der drciciuigkeit, g'ehal)t haben, soll er
von der erde entrückt werden.
Man sieht, wir befinden uns mitten in einer christlichen
legende, und auch der schluss, das warten auf den neuen dem
Gral bestimmten hiiter, dieser dauernd für die Gralsage cha-
rakteristisch gebliebene zug, sieht nicht nach einer volkssage,
sondern nach einer mystisch - christlichen erfindung aus.
2. Le grand St. Gral, in prosa, in vielen handschriften
und in zwei drucken vom jähre 1516 und 1523 erhalten;
herausgegeben durch Furnivall, zu anfang imd am rande von
Louelichs englischer Übersetzung (für den Roxburgheclub 1S61);
die englische Übersetzung auch in der Early English Text So-
ciety 1S74 ig., Extra -Series. Ein auf diesem romau beruhen-
des altenglisches alliterierendes gedieht ist herausgegeben von
Skeat (Joseph von Arimathia, London 1S71, s. 1 fg.); eine
analyse liefert P. Paris Les romans etc. I, 173. Der Verfasser
der ausführlich die gründe angibt, weshalb er seineu namen nicht
genannt habe, beruft sich auf ein lateinisches buch, das im
jähre 717 ein eremit in England nach einem ihm von Christus
selbst eingehändigten original abgeschrieben habe. Hierauf
bezieht sich die oben in der aumerkuug mitgeteilte notiz des
Helinandus i), der hinzufügt, dass er nur das französische, nicht
das lateinische werk habe finden können. Auch nach ihm ist
es niemandem geglückt es aufzutreiben. Wir werden es getrost
für eine erfindung des romanschreibcrs erklären dürfen. An-
fangs stimmt das werk so genau mit dem des Robert de Boron,
dass man schwerlich eine benutzung dieses wird von der
band weisen können, nur in nebensachen weicht es ab, und
zwar zeigt es offenbare correcturen aus gelehrter kenntnis der
geschichte und der legende. Bei Josephs befreiung aber ver-
ändert sich die erzähluug. Es tritt nun eine frau Josephs und
ein söhn Josephe auf; dann begibt sich Joseph nach Sarras
und verhilft hier dem könig Evalac zum siege über Tolome
von Aegypten, wobei der schild des Joseph eine rolle spielt
*) Selbst seine etymologie entnimmt er dem französischen werke,
worin es heisst: greul, furcequil agre'e ä tous auxquels il est donne
de le voir.
GRALSAGE. 313
Darauf übergibt er auf befehl eines engels den Gral seinem
söhne Josephe , der fortan in erste linie tritt. Christus selbst
weiht ihn zum bischof. Zum ersten male wird eine messe ge-
feiert, wobei die transsubstantiation durch Christus persönlich
und körperlich vollzogen wird, indem man ihn in den kelch
eintauchen sieht. Evalac und sein schwager Seraphe werden
getauft und nehmen die namen Mordrein und Nascien an.
Josephe führt die seinigen wunderbar auf seinem ausgebrei-
teten hemde über meer nach Grossbritannien. Die geschichte
von Bron und Moses v\'ird hier ebenfalls erzählt (doch wird
letzterer hier durch die luft entführt), desgleichen von Alain,
welcher hier le riche pecheur genannt wird (doch herscht in
diesem punkte, wie es scheint, Verwirrung; auch Mordrein
kommt unter diesem namen vor, wenigstens in no. 3). Nach
vielen abenteuern verbinden sich Mordrein und Nascien wider
mit ihnen. Das land wird zum Christentum bekehrt, die könige
desselben vermählen ihre töchter mit den fremdlingen, und so
entstehen die dynastien von Northumberland, Wales, Norgales,
Logres und Orcanie, die fortgeführt werden bis zur zeit des
Artus. Eine reihe episoden werden eingeflochten und geben
dem roman eine ausserordentliche ausdehuung. Schliesslich
ster])en beide Joseph und werden in der abtei „de Glare eu
Ecosse" beerdigt. Der Gral wird dem Alain übergeben, der
Schild dem Mordrein ; jener wird in einem tiefen walde
Northumberlands aufbewahrt, wo ihn ein reiner Jüngling,
Galaad, der söhn des Lanzelot, finden soll, womit das ver-
bleiben des Grales auf erden und zugleich das Zeitalter der
abenteuer sein ende erreichen werde.
Hier also sehen wir die legende, unter beibehaltung ihl*er
grundzüge und auch des legendenhaften tones, doch factisch
fil)ergegangen in den abenteuerroman, und die Verbindung mit
der Artussage vorbereitet, ein verlauf, der für jene Zeiten einer
besondern motivierung nicht bedarf.
3. La quete du Saint Gral. Meistens in den hand-
schiiften mit no. 2 verknüi)ft, wie ebenso in den drucken von
1516 und 1523. Herausgcg. von Furnivall für den Roxburghe-
club; es ist mir aber nicht möglich gewesen, ein exemplar
dieser ausgäbe zu erlangen. Sodann hat dieser roman auf-
21*
314 ZARNCKE
nähme gefunden in den grossen prosaroman Lc grand
Art US ^), der von Thomas Mah)rY ins Englische übersetzt und
1485 durch Caxton und seitdem öfter gedruckt ward ; neu heraus-
gegeben unter dem titel: The histor}^ of the renowned Prince
Arthur, London 18 IG in 12" (welche ausgäbe ich benutzt habe,
no. 3 macht in ihr buch III, c. 29— 104, d.i. bd. II, s. 20G— 333
aus), und 1817 in 4". Auch hat no. 3 eine Übersetzung ins walli-
sische erhalten, Y seint Graal, jetzt herausgeg. von Williams,
London 1874 — 76, mit englischer Übersetzung. — Am Schlüsse
dieses romans wird gesagt, Arthur habe die ganze wunderbare
geschichte sofort durch seine gelehrten niedersclireiben lassen,
und dies lateinische werk sei sodann im archive zu Salis])ury
niedergelegt. Aus diesem habe es später Gautier Mapes ent-
nommen und für Heinrich II (f 1189) ins Französische über-
tragen. Gewöhnlich ist man geneigt, auf diese schlussschrift
hin und wegen der engen Zusammengehörigkeit von 2 und 3
beide dem Walther Mapes zuzuschreiben. 2) Meines erachtens
tun wir am besten, wenn wir sowol von dieser autorschaft wie
von der existenz des lateinischen Werkes absehen, auch beide
werke nicht zusammenwerfen, die ja beide verschiedene quellen
nennen. Der Inhalt ist dieser. An Artus hof verbreitet sich
das geriicht, dass sich der Gral wider sehen lasse und nun-
mehr die zeit seiner erlösuug da sei. Auch sehen ihn die ritter
selber leuchtend durch die halle schweben. Man macht sich
nun auf, ihn zu suchen. Galaad erscheint, nimmt den gefähr-
lichen sitz ungestraft ein und legitimirt sich dadurch als der
für die Gralfindung prädestinierte reine Jüngling ; ihm wird der
Schild Josephs gereicht. Es folgen Gaweins, Parzivals, Lanze-
lots und Galaads abenteuer bei der suche. Lanzelot kommt
bis an die schwelle des Grals, aber nur Galaad gelingt es ihn
zu erlangen. Der roi pecheur stirbt freudig, als er Galaad
gesehe auch Moses scheint durch ihn aus den flammen ge-
rettet zu werden, ferner wird ein lahmer könig geheilt. Nicht
1) Ein französischer druck vom jähre 1488 befindet sich in Dresden.
Alberner weise wird dieser roman öfter citiert als Le morte Arthur,
welcher titel zwei anderen gedichten zukommt.
2) Dieser ansieht ist z, b. P. Paris , aber ich gestehe, dass ich auch
den austührungeu dieses verehrten mannes gegenüber meine bedenken
nicht aufgeben kann.
GRALSAGE. 315
alles ist ganz klar. Christus taucht persönlich aus dem kelch
empor, erteilt dann das abendmahl. Der Gral soll nach Sarras
zurückgofiihrt werden. Dies geschieht. Galaad nimmt Parzival
und Bohors als begleiter mit. Als er stirbt, sieht man, wie
Speer und Gral gen himmel entführt werden. Parzival wird
einsiedler und stirbt auch bald nachlier in Palästina. Bohors
kehrt nach Europa zurück und berichtet dem Arthur und seinem
hofe, worauf dieser die erzählung niederzuschreiben befiehlt.
4. Hier wird nun Chrestiens von Troyes Conte du Gral
einzureihen sein. Stimmten die bisherigen romane im ganzen
überein (von dem überschuss des einen abgesehen), so weicht
die darstellung bei Chrestiens gerade in wesentlichen momen-
ten ab. Ich will versuchen, die hauptsächlichsten zusammen-
stimmungeu und abweichungen vorzuführen. Uebereinstimmend
ist z. b. die gäbe des Grals, speise und trank zu gewähren
(nicht in no. 1 hervortretend, durchaus aber in no. 3), die auf-
])ewahrung desselben in entlegener w^ldnis, le riclie peeheur,
der lahme könig, der durch das blut der lanze geheilt wird^),
endlich die Vorausbestimmung des Gralfiuders, der ein nach-
komme des Gralhüters und zugleich ein reiner Jüngling sein
soll. Ganz wesentlich aber sind die abweichungen. Von
Joseph von Arimathia ist bei Chrestiens keine andeutung zu
finden, der Gralfinder heisst nicht Galaad, sondern Parzival,
auch sonst sind uamen und Verhältnisse der personen wesent-
lich abweichend. Nicht mehr der Gral und sein aufenthalt auf
erden sowie das geheimnis der transsubstantiation sind der
eigentliche mittelpunkt, sondern die Schicksale jenes reinen
Jünglings, der ihn zu finden bestimmt ist. Das legendenhafte
ist fast ganz abgestreift. Es fehlt der gefährliche sitz, der den
Gralfinder zu erproben bestimmt ist, es sind der lahme könig
und der riebe peeheur identisch, die in no. 3 verschiedene per-
sonen zu sein schienen. Besonders wichtig ist der eintritt eines
ganz neuen dementes, die forderung einer frage von selten
des Jünglings, die gcwissermassen an die stelle des gefährlichen
Sitzes als zu leistende probe getreten ist. Diese ist bei Chre-
1) Nach Schmidt in den Wiener Jahrbüchern 29, 89 anm. hat ihn
die lanze verwundet, weil er eine Jungfrau am altare mit wolgefallen
angeschaut hatte.
316 ZARNCKE
sticiis eine einfache erkimdiguugsfragc, die verlangt zu werden
selieint, um bei dem künftigen liüter wenigstens ausreichendes
intcresse für das ilnn anzuvertrauende gut zu bekunden.
Chrestiens beruft sich auf ein buch, das ihm der graf von
Fhindern (f 1191) verschafft hatte. Enthielt dies bereits jene
ab weichungen ? Ich meinerseits AvQrde auch vor der annähme
nicht zurückschrecken, dass Chrestiens selber sich den stoff
zurechtgelegt, dass er aus dem gedieht vom Gral ein gedieht
von Parzival, aus der legende einen ritterroman gemacht habe.
Was wir sonst von dem gestaltuugsverraögen der französischen
dichter jener zeit wissen, lässt diese annähme keineswegs un-
glaublich erscheinen.
Jedesfalls hat auch diese gestalt der sage ihren ausgang
von der legende genommen. Das beweist der auch für sie
wesentliche roi pecheur, der nur in der legende seine berecli-
tigung hat. Der fisch ist das symbol Christi, er wird mit fug
und recht verwant, wo es gilt, den ersten gottesdienst für
Christus einzuführen und die reinen von den unreinen zu son-
dern; der diesen fisch fangende bekommt mit fug uud recht
den namen Je rlche peclieur. So ist alles innerhalb der legende
von Joseph von Arimathia wol zusammenhängend, von ihr los-
gelöst erscheint der roi pecheur unverständlich und fremd.
5. Die fortsetzer und iuterpolatoreu des Chrestiens.
Dass sie den Gral mit der legende von Joseph von Arimathia
zusammenbringen, ist erwähnt worden.
6. Desgleichen natürlich die prosabearbeitung des
Chrestiens und seiner fortsetzer, die 1530 gedruckt ward.
7. La petite quete du St. Gral, aus einer handschrift
vom jähre 1301 durch Hucher a. a. o. s. 415 herausgeg. Sie
kennt den Joseph von Arimathia, ist aber in der zweiten partie
wesentlich uacli Chrestiens und seinen fortselzern gearbeitet.
Parzival ist hier söhn des Alain.
8. Perceval li Gallois, nach dem Monser manuscript
lierausgeg. von Potvin, Mons 1866; auch ins wallisisclie übersetzt
und von Williams (s. o.) mit herausgeg. Ich steile ihn hierher,
obwol Potvin für ihn ein höheres alter beanspruchen, ja ihn
an den anfang der entwicklung der sage stellen möchte. Meines
erachtens ist dies nicht zutreffend uud namentlich wird die
gestalt, die die fabel bei Chrestiens hat, hier als bekannt vor-
GRALSAGE. 317
ausgesetzt. Die frage ist aiicli hier eine erkundigungsfrage.
Der grundgedanke des werkes ist die Verbreitung des Christen-
tums mit feuer und schwert. Der Verfasser beruft sieh auf ein
lateinisches buch, das Joseph selbst auf die stimme eines engeis
hin niedergeschrieben habe und das in Glastonbury {ille cfAvalon)
gefunden worden sei. Auch diese angäbe verrät anlehnung an
behauptungen oben genannter romane i) und die erwähnung
von Glastonbury erhöht nicht gerade das vertrauen zu dem
alter dieser darstellung (s. u. in III).
Aus dem bisher entwickelten dürfen wir wol den schluss
ziehen, dass der Gral seinen Ursprung in der legende von
Joseph von Arimathia hatte und dass die auf uns gekommenen
französischen werke dies noch direct und indirect bezeugen;
dass Chrestiens gedieht die legende nicht erwähnt, konnte aus-
reichend dadurch erklärt werden, dass sein werk unvollendet ist.
Nur ein französisches gedieht würde den Gral nicht in
Verbindung gebracht haben mit der genannten legende, trotz-
dem dass es vollendet war, das wäre das nicht auf uns ge-
kommene französische gedieht des Proven^alen Kyot gewesen.
IL
Wir wissen von diesem bekanntlich nur durch Wolfram
und den Verfasser des Jüngern Titurel, die es als ihre quelle
nennen. Freilich die unzuverlässigkeit dieser angäbe bei letz-
lerem tritt klar hervor; denn schliesslich weiss der jüngere
Titurel wirklich von Joseph von Arimathia und von der abend-
mahlsschüssel, wovon Wolfram keine ahnung hat, wovon also
selbstverständlich auch Kyot nicht erzählt haben kann.
Nehmen wir die angal)en Wolframs als correct an und
verbinden wir sie mit dem, Avas wir über das Verhältnis seines
Werkes zu dem des Chrestiens wissen, so muss das gedieht
des Kyot eine Umarbeitung, fortsetzung und ergänzung des un-
vollendet geljliebenen werkes des Chrestiens gewesen sein.
Denn Kyot als älter anzunehmen und Chrestiens von ihm in
seiner darstellung mit Überlegung abweichen zu lassen, ist
') Meines cniclitcns fallen die drei von den romauen no. 2, no. 3
lind uo. s behaupteten lateinischen vorlagen mit einander.
318 ZARNCKE
nicht glaublich, da Wolfram 827, 1 ausdrücklich sagt: Oh von
Troys mcister Christjän disem nucrc hat unrehte gclän, daz mac
7vol zürnen Kyot , er also andeutet, dass sich Kyot über Chre-
stiens tadelnd aufgehalten habe. Auch würden Avir bei dieser
auifassung für Chrestiens ein bild so untergeordneter dichteri-
scher tätigkeit gewinnen, dass es absolut nicht passen würde
für den anerkannten meister der französischen höfischen poesie
am ende des 12. jahrh. Völlig unglaublich auch erscheint
es, dass Chrestiens alle die züge, namen u. s. w., die Kyot über
ihn hinaus gehabt haben müste, sollte aufgegeben haben. i) Es
muss also Kyot als ergänzer und fortsetzer Chrestiens aufge-
fasst werden, und so würden ihm zuzuweisen sein die Vorge-
schichte von Gahmuret, der schluss, die Umwandlung der frage
aus einer erkundigungsfrage in eine frage teilnehmenden mit-
gefühls, eine unzahl eigennamen und mannigfache specialisie-
rungen der haudluug, die figur des Klinsor, die anknüpfung
des Lohengrin und die herbeiziehung des priester Johannes
u. s. w. Gar wol für einen Provencalen passen würde die ein-
führung der Talfine von Graswaldane.
Das ist allerdings des eigentümlichen so viel, dass man
nicht leugnen kann, räum wäre für die annähme einer von
Chrestiens abweichenden und ihn ergänzenden quelle aus-
reichend vorhanden. Aber es treten doch auch bedenken ein.
Das nächste und bedeutendste ergibt sich aus dem bisher
entwickelten. Ist es denkbar, dass innerhalb Frankreichs ein
dichter die Gralsage habe definitiv darstellen können, ohne sie
mit der legende von Joseph von Arimathia in Verbindung zu
halten? Ich meine nach dem oben ausgeführten, dass es nicht
denkbar ist. Und au dies hauptbedenken lehnen sich andere.
') Wenig klar erscheint mir die annähme , die auch wol aufgestellt
worden ist, dass Wolfram neben dem von ihm benutzten Chrestiens
das werk des Kyot herbeigezogen habe. Jedesfalls muss man dann die
zxiverlässigkeit der angaben Wolframs fahren lassen, da dieser den Chre-
stiens als seine quelle ausdrücklich nicht nennt. Aber abgesehen da-
von, wie soll dann das werk des Kyot ausgesehen haben? Entnahm aus
ihm Wolfram z. b. nur seine eigennamen und die von Chrestiens ab-
weichenden züge seiner handlung, so muste immer das werk des Kyot
sich zug für zug an die erzählung des Chrestiens anschliessen, und es
wird die annähme einer mitbenutzung des Chrestiensschen Werkes
überflüssig.
GRALSAGE. 319
Bei lichte besehen ist es doch eine wunderliche geschichte,
die uns "Wolfram Yon den quellen seines werkes vorträgt. In
Toledo, dem typischen orte der geheimwissenschaften^), findet
Kyot in einem arabisch geschriebenen 1)uche etwas über den
Gral, d. h. er hört, dass in jenem buche etwas davon stehe,
denn um den Inhalt kennen zu lernen, muss er nun erst ara-
bisch lernen. Beim Verständnis kommt ihm sein Christentum
zu hülfe; das ist eigentlich wunderlich, da doch ein beide das
l)uch geschrieben hatte. Was kann nun jenes buch an so be-
deutendem Inhalt geboten haben, dass es sich Aerlohnte, um
seinetwillen eine fremde spräche zu lernen? Vergebens sehen
wir uns im Parzival danach um. Es beschränkt sich eigent-
lich alles darauf: er jach ez hiez ein dlnc der gräl 454, 21:
(laz ?vas ein dlnc, daz hiez der grdl 235, 23. Denn von der
Gralfamilie kann in jenem buche nichts gestanden haben, und
auch die mitteilung, dass die neutralen engel den Gral getra-
gen hätten, wird schwerlich in dem heidnischen buche zu lesen
gewesen sein ; zum Überflusse nimmt Wolfram diese behauptung
auch später direct zurück.^) Gewis war auch von der taube,
die alle charfreitage eine oblate bringt, nichts bei dem beiden
zu finden. — Nun macht sich Kyot daran, in Chroniken nach
dem geschlechte zu suchen, das jenen Gral behütet habe. In
der tat ein vertrauensseliges beginnen. Er studiert die Chroni-
ken der verschiedensten Völker; in einer chronik von Anjou
ist er so glücklich was er wünscht zu finden. Das nennen wir
allerdings glück haben; auffallend nur, dass auch die ge-
naueste spätere nachforschung nicht eine spur einer solchen
chronik nachzuweisen im stände gewesen ist. Wir stossen bei
Kyot eben auf lauter Verluste: das buch des Flegetanis, die
chronik von Anjou, das werk des Kyot, der dichter selbst!
Das alles ist möglich, aber auch wahrscheinlich?
Und nun macht sich der Proveneale an die arbeit und
schreibt — nordfranzösisch. Auch das mag ja nicht unglaub-
lich sein. Auch dass die erzählung eine gestalt gewann, die
*) Quaerunt clerici Parisii aries, Aureliani auctores , Bononiae co
die es , Salcrni pijxides , Toleti daemones , der mönch von Froidmont bei
Tissier, Biblioth. Cisterciensis 7, 257.
-) Paiz. 79S, II — 22, die in den Zusammenhang an unrechter stelle
hineingeraten 7A\ sein scheinen.
320 ZARNCKE
von der in Frankreich sonst bekannten nnd verbreiteten durchaus
abwich, dass er Joseph v. Ar. ganz perhorrescierte , obwol er
doch ziige, die zu ihm wesentlich gehörten, mit aufnahm; es
ist mir zwar undenkbar, aber unmöglich mag ja auch das
nicht sein. Aber auffallend ist es doch, dass seine Studien
in allem tatsächlichen ihm genau dieselbe geschichte eintrugen,
die Chrestiens bereits vorgetragen hatte. Denn vom dritten
bis ins dreizehnte buch stimmt ja alles tatsächliche bei Wolf-
ram mit Chrestiens. Und wie haben wir uns nun die Verbrei-
tung seines werkes zu denken? Unleugbar übertraf die von
Kyot gelieferte ergänzung des Chrestiens weitaus die ergän-
zungen der auf uns gekommenen fortsetzer. Dennoch hat sich
von jener in Frankreich keine spur erhalten, keine handschrift
— das kann ein zufall sein — , aber auch keine andeutung, keine
einwirkung. Von allem, was Wolframs werk über Chrestiens
hinaus hat, von der Vorgeschichte des Grals, von Titurel, Fri-
mutel, Aufortas, von Gahmuret, von den Talfinen von Graswal-
dane u. s. w., von dem allen findet sich in der provengalischeu
und französischen literatur auch nicht eine andeutung. Wir
müssen nicht nur annehmen, dass das alles geheimste kenutnis
oder eigenste erfindung Kyots gewesen sei, sondern wir
müssen auch annehmen, dass sein werk in Frankreich völlig
unbekannt geblieben ist. Gleich die erste reinschrift muss von
einem Deutschen aufgekauft und über die französiche grenze
gebracht sein. Hier benutzte sie Wolfram, andere nicht; nur
der fortsetzer Wolframs hatte 50 jähre nach dessen tode das
glück, dies exemplar für sein werk verwenden zu können. Das
war unter den obwaltenden umständen ein glück, das sich mit
dem glücklichen auffinden der chronik von Anjou durch Kyot
vergleicht.
Möglich ist das alles, aber auch wahrscheinlich?
Sollten wir nicht wenigstens bei so bewanter Sachlage die
frage in Überlegung ziehen dürfen, ob nicht vielleicht AVolfram,
dem das werk des Chrestiens unvollendet zukam, selber in der
notlage, in der er sich befand, das hinzugetan habe, was bei
ihm über Chrestiens hinausgeht ? Nur schüchtern stelle ich diese
frage, auch höre ich bereits ein entschiedenes Nein! mir ent-
gegentönen.
Nein? und warum Nein, ehe noch weiter überlegt ist?
GRALSAGE. 321
Weil Lachmanu gesagt hat, dass der mittelalterliche dichter
niemals erfunden, sondern stets nur dargestellt habe. Die sage
entstehe, wachse und treibe ihr geheimnisvolles wesen für sich;
dem dichter, dem Verfasser einer einzelnen poetischen erzählung
gehöre von der fabel nichts wesentliches eigentümlich an.i)
Dieses dictum Lachmanns gilt im bereiche der schule noch
heute unbedingt, MüUenhoff z. b. behauptet, im Nibelungenliede
sei jeder hieb, jede wunde, jedj bewegung durch die sage ge-
geben gewesen, nichts falle dem dichter zu 2), und Haupt er-
klärt es für ganz unerLaubt, bei Wolfram auch nur die ge-
ringste abweichuug von Kyot zuzugeben, selbst die ganz locale
anspielung auf die Gandiue bei Pettau und den Eohitscher
berg soll bei Kyot gestanden haben. 3) Wie das freilich mit
den Tollensteiner kaufweibern und der markgräfin auf dem
Heitstein zu reimen sei, vermag ich nicht einzusehen, die paar
meilen entfernung verschlagen hier doch wahrlich nichts.
Lachmann selber sprach jenen sehr anfechtbaren und nicht
ganz logischen satz gar nicht so allgemein aus, sondern
verstand ihn 'besonders von der volksmässigen poesie'. Er
ist auch auf diese nicht ganz zutreffend und beruht auf einer
unklaren Vorstellung, die man sich von dem 'selbständigen'
leben der sage entworfen hatte, die doch nur durch menschen
fortleben kann. Die consequenz jenes ausspruches, ein-
seitig gefasst, ist, dass alle geniale und zweckmässige erfin-
duug, an der die poesie des mittelalters doch wahrlich reich
ist, dem unbewusten triebe unkla,rer widererzählung zugewiesen
wird, niemals der zweckmässigen erfmdung der dichter selbst.
Diese standen an bänden und fassen gefesselt da. Wie man
hiernach gedichte wie den Biterolf, wie die mannigfaltigen dar-
stellungen der kämpfe im rosengarten u. s. w. erklären will,
verstehe ich nicht. In Wirklichkeit wird beides stattgefunden
haben, sowol die unbewuste änderung bei schwindender er-
inner ung und wechselnder auffassung, wie die zweckgemässe
neugestaltung unter den bänden begabter dichter, und meines
erachtens werden wir gut tun, wenn wir die uns künstlich an-
0 Uebei- das llildebrandslicd s. 1.
-) Kudrun s. 12o.
3) Zeitschr. f. d. alt. 11, 48.
322 ZARNCKE
geleg'tcn spanisclien sticfcl wider aufziehen, wenn wir auf-
hören, unsere mittelalterlichen dichter grundsätzlich zu kastrieren,
und uns das recht wahren, von fall zu fall zu entscheiden.
Von diesem rechte mache ich im vorliegenden falle
gehrauch.
Allgemein wird Wolfram für einen der tiefsten und
eigentümlichsten dichter des mittelalters erklärt; auch wer
seinen anschluss an Kyot noch so enge annimmt, weiss seine
hervorragenden eigenschaften zu rühmen. In der tat zeugen
auch seine nur beiläufigen hemerkungen und Schilderungen
von so gedankenvoller combination, von so viel Überlegung,
von so scharfer beobachtung, dass man das bild eines ebenso
kühneu wie tief denkenden und scharf blickenden geistes em-
pfängt, der nirgends naiv darauf los tappt, sondern überall
reflectiert und berechnet. So oft man auch den Parzival ge-
lesen haben mag, man wird ihn nie widerum in die band
nehmen, ohne neue beobachtungen zu machen, ohne beziehungen
kennen zu lernen, über die man früher hinweg gelesen hatte.
Ich meine, gerade ein geist wie der Wolframs war ganz dazu
angetan, das unvollendet überkommene werk des Chrestiens
in solcher weise auszuführen, zu ergänzen und combinierend
umzugestalten, wie es in unserm Parzival vorliegt. Wo finden
wir einen dichter, dem wir die anfügung der schwanrittersage,
die auf tiefer combination beruht (vgl. Parz, 818, 24 fg.), lieber
zutrauen möchten, als Wolfram? Nicht anders steht es mit
der herbeiziehung des priester Johannes, der besonders in
Deutschland die köpfe beschäftigte und ja im Jüngern Titurel
noch tiefer mit der erzählung vom Gral zusammengewachsen
ist; nicht anders mit Klinsor; nicht anders, wenn wir die er-
kundigungsfrage nach der bedeutung der reliquien umgewan-
delt sehen in eine teilnehmende frage nach dem leiden des
kranken. Und die einführung der masse von eigennamen und
Ortsnamen, wem steht sie besser an als einem dichter, der uns
überall sein bestreben zeigt, seine bilder bis ins einzelnste in
den schärfsten umrissen zu gestalten? Auch wissen wir ja,
dass sich Wolfram ganz freie abweichungen von seinen quellen
erlaubt hat. Das ganze achte buch des Willehalm ist seine
eigene freie erfindung. Warum soll ihm da nicht auch die
Vorgeschichte zum Parzival zugetraut werden? Ich scheue
GRALSAGE. 323
nicht melir den Svolfeilen und haltungslosen einfall', dass von
den deutschen namen in der Vorgeschichte in einer vorläge
Wolframs nichts gestanden habe.
Auch die einfiihrung der Talfine von Graswaldane kann
nicht gegen Wolfram zeugen. Dass sie einem proven^alischen
dichter besonders nahe gelegen haben würde, ist nicht zu
leugnen. Aber so fem lag sie auch Wolfram nicht. Man hat
sich neuerdings ganz entwöhnt, sich daran zu erinnern, dass
das östliche Rhonegebiet damals ein glied des deutschen reichs
war, dass die kaiser im 12. Jahrhundert mehrfach in der Pro-
vence und in Burgund sich auf längere zeit aufgehalten haben,
dass eine burgundische prinzessin lange den deutschen kaiser-
thron teilte. Selbst die kenntnis der proveucalischen spräche
werden wir von den deutschen höfen nicht ganz ausgeschlossen
zu denken haben. Wenn auch die nordfranzösische spräche
in Deutschland natürlich die geläufigere wird gewesen sein,
einige kenntnis auch der abweichenden südfranzösischen formen
werden wir immerhin als verbreitet annehmen dürfen. So be-
irrt es mich auch nicht in meiner annähme, wenn sich in
einigen beuennungen, namentlich eigennamen, die Wolframs
erfindung zufallen würden, provengalische anklänge finden.^)
Ja es würde Wolfram ganz angemessen erscheinen, wenn er
sie gesucht hätte. Fast scheint es , als haben ihn jene gegen-
den Frankreichs auch sonst beschäftigt. Auf sie muss ich z. b.
beziehen, was er im Parzival 4, 29 von dem gelten französi-
schen rechts auch auf deutschem boden sagt. Man vergleiche
Ottos von Freising Gesta Friderici II, 29, wo es von jenen
gebieten heisst: Mos in iUa, qui paene in omnihus Galliae pro-
vinciis servaiur , remansit, quod semper seniori fratri eiusque
liberis, seu marihus seu foeminis, paternae hereditaüs cedat aucto-
riias, caeteris ad illum ianqiiam ad dominum respicientibus.
Auch die localisierung des Gahmuret und Parzival in Anjou
verliert das auffallende, wenn man sich erinnert, dass damals
die familie Anjou auf dem englischen throne sass, und dass sie
eng verwant war mit dem mächtigen geschlechte der Weifen
0 Vgl. den lehrreichen aufsatz von Bartsch in den germanistischen
Studien II, 114 fg., der freilich in betroff seines letzten zieles mich durch-
aus nicht überzeugt hat.
324 ZARNCKE
in Novddcutschland, das seinen gewichtigen einfliiss höchst
dcntlicli his nacli Thüringen hinein und weiter erstreckte.
Aufs beste endlich würde sich durch meine annähme er-
klären, dass Wolfram vom Gral selber so wenig weiss, und
sich, wie verlegen, mit allgemeinheiten al)zufinden suchen muss.
Aber, Wolfram sollte uns, seinen treuen lesern, mit so
scheinbar ehrlicher raiene ein so schnöde ausgesonnenes mär-
chen aufgebunden haben? Ich verkenne das schwerwiegende
dieses einwurfes nicht. Aber wir dürfen dabei die eine seite
in Wolframs poetischem Charakter nicht ausser acht lassen, die,
dass er es so gerne liebt, den schalk hervorzukehren. Er hatte
es besonders abgesehen auf das grosstun mit gelehrsamkeit;
höchst anmutig fertigt er Hartmann ab, er selber geberdet sich,
als habe er keine grössere angst als die, man möge sein werk,
das doch einen respectabeln umfang besitzt, für ein 'buch'
halten. Konnte er nicht auch im stillen seinen spass an der
schwäche seiner Zeitgenossen gehabt haben, sich auf quellen zu
berufen (meist, wo eine berufung am wenigsten angebracht war)
und quellenangabe zu verlangen ? Konnte ihn nicht der schalk
gestachelt haben, je mehr er grossenteils ganz ohne quelle ar-
beiten muste, ein um so künstlicheres gebäude von quellen
zusammenzustellen ? Und sollte er nicht vielleicht den kennorn
des unvollendeten Chrestiensschen werkes gegenüber eines
Schildes bedurft haben? Fast scheint es so, denn warum
sonst die undankbare ausdrückliche Zurückweisung des Chre-
stiens? Beugte er dem vorwürfe freier selbständiger erfindung,
der bei der unfertigkeit des Chrestiensschen werkes doppelt
nahe lag, nicht vor, so konnte vielleicht sein werk discreditiert
werden, denn die ritterlichen kreise waren wol geneigt, diesem
aus der ferne hergebrachten und mit grossem nimbus umklei-
deten stofi", der dem rittertum eine neue religiöse färbung zu
geben schien, eine gewisse massgebende, über das bloss poeti-
sche Interesse hinausgehende bedeutung beizulegen.
Es ist nicht meine meinung, mit diesen, absichtlich nur
kurz skizzierten bemerkungen eine so wichtige und eingreifende
frage abgetan zu haben. Sie sollen nur plänkelnd die dis-
cussion eröffnen. In nebensacheu werden kleine berichtigungen
nicht ausbleiben, denn ich habe hie und da durch trübe brille
sehen müssen, in allem wichtigen hoöe ich das tatsächliche
GRALSAGE. 325
g'cnau widergegeben und erwogen zu haben. Eines tut uns
vor allem not und icb denke, diesem bedüvfnis wird bald ent-
sprochen werden: eine genaue Zusammenstellung- der verschie-
denen darstellungen , die die Gralsage in den gedichten des
mittelalters gefunden hat. Nur und allein aus ihr wird noch
ein riickschluss auf die vorgeschickte der Gralsage gewonnen
werden können.
III.
Es ist oben gesagt worden, dass zwischen der Vindicta
Salvatoris und den französischen romanen ein mittelglicd nicht
nachweisbar sei. Das ist auch, soweit es den Gral selber be-
trifft, unanfechtbar. Was aber seineu träger angeht, den
Joseph von Arimathia, so glaubte man bisher ein datierbares
mittelglied zu besitzen, das schon vor den französischen
romanen seine Übersiedelung nach England bekundete.
Es ist dies die bekannte stelle in dem buche des Wil-
helm von Malmesbury De antiquitate ecclesiae Glastonieusis,
auf die schon öfter, namentlich aber von R. Wülckeri) auf-
merksam gemacht ist.
Jene erwühnung durfte als ein wichtiger fingerzeig für die
fortentwicklung der sage, ja vielleicht sogar als ein nicht un-
wesentlicher anstoss zu dieser fortentwicklung angesehen
werden.
Wilhelm von Malmesbury, ein Zeitgenosse des Gottfried
von Monmouth, hatte sich durch bedeutende werke zur eng-
lischen geschichte, wie: De gestis poutificum Anglorum, De rebus
gestis regum Anglorum u. a. bei seinen Zeitgenossen einen her-
vorragenden namen als historiker seines landes geschaften und
auch die neuere historische kritik hat seine hohe bedeutung
als zuverlässiger und gründlicher geschichtsschreiber vollauf
anerkannt. Im auftrage des abtes von Glastonbury schrieb er
dann, etwa ums jähr 1135, sein werk: De antiquitate ecclesiae
Glastonieusis, und hier ist es, als ob ihn sein genius ganz ver-
lassen habe. Statt nüchterner Überlegung finden wir hier eine
häufung wunderbarer, durch nichts begründeter behauptungeu,
') Das evangelium Nicodeiiii iu der abendländischen literatur (1S72)
seife 74.
326 ZARNCKE
die ev selber in seinen früheren werken versclimälit hatte,
tiuden berufung- auf Urkunden, die sein kritischer sinn yevvis
nicht als vertrauen ^ erdienend anerkannte u s. w. Wir können
den mann kaum wider erkennen.
Der gTund ergibt sich: er schrieb sein werk auf bestellung
eines grossen des reiches und dieser bestellcr hatte politische
zwecke im äuge; diesen muste der Schriftsteller wol oder
übel dienen. Es verlohnt sich, einen blick auf jene zwecke,
und wie das werk ihnen zu entsprechen suchte, zu werfen.
Zwei momente begannen im anfange des 12. Jahrhunderts
die politik der normannischen herscher in England zu be-
stimmen. Einmal der wünsch, fühlung zu gewinnen mit den
resten der keltischen bevölkerung in England, um mit dieser
gemeinsame sache gegenüber der angelsächsischen nationalität
zu machen, und dann, zur erhöhuug des königlichen ansehens
die englische kirche von ßom unabhängig zu stellen. Dies
letztere bestreben muste wesentlich unterstützt werden, wenn
man für England das Vorhandensein einer apostolischen kirche
nachweisen konnte.
Zu letzterem zwecke scheint man das kloster Glastonbury
ausersehen zu haben. Ob dieser ort vielleicht eine alte kel-
tische cultusstätte gewesen ist, mag dahingestellt bleiben. Ein
beweis dafür lässt sich nicht beibringen, unmöglich ist es nicht,
lieber dieses kloster wurde im jähre 1126 Heinrich graf von
Blois zum abt ernannt. Er war ein nefife des regierenden
königs Heinrich I (1100 — 1135), ein bruder des nachfolgers
desselben, Stephan (1135 — 1154). Im jähre 1129 ward er
bischof von Winchester, aber er gab darum die abtei nicht
auf, die also fortan einen bischof und ein glied der königlichen
familie zum abt hatte. Grosse Privilegien, die ihr erteilt wur-
den, Hessen die fruchte der vornehmen protection deutlich her-
vortreteu.i) Um die zeit, als der bruder desselben. Stephau,
zur regierung gelangte, scheint Wilhelm von Malmesbury den
auftrag zur abfassuug des obengenannten buches erhalten zu
haben. Der bischof- abt versah ihn mit soi disant Urkunden
») Vgl. Dugdale, Moiiasticou Aiiglicanum , London 1S46, bd. I, eine
freilich ziemlich unkritische arbeit, doch das einschlägliche material
bietend.
GRALS AG E. 327
und der geschiclitssclireiber machte sich ans werk. Das fertige
buch widmete er dem bestellenden gönner'), der erwartung
directen ausdruck gebend, dass er nun auch den lohn für seine
arbeit einheimsen werde.^)
Das gewünschte hat er in vollem masse zu leisten ge-
sucht, historische methode immerhin auch dabei noch verratend.
Zunächst die gewinnung einer apostolischen kirche. Aus Fre-
culfs chronik^^, geschrieben gegen 830, kannte er die angäbe
(II, 2. 4, vgl. ßibl. P.P. Lug-dunens. 14, 1151): Philippus (der
apostel ist gemeint) hie Gallis praedicat Christum harharasque
gentes vicinasque tenehris et iumenti oceano coniunctas ad scien-
tiae lucem fideique portum deducit. Den letztem, allgemein ge-
halteneu ausdruck übertrug er mit einigem schein auf England
und Hess nun den apostel Philippus seine schüler nach Eng-
land senden. Bis dahin hatte man von einem solchen ereig-
nisse nichts gewust; weder die Acta Philipp! (vgl. bei Tischen-
dorf) noch des Aldhelm (f 709) Toema de avis Mariae et
XII apostolis' hatten davon erzählt. Gildas sagt nur, schon
vor Diocletian seien viele Briten Christen geworden, Beda und
ihm nach Nennius verlegen die einführung des Christentums in
die mitte des 2. Jahrhunderts und lassen den könig Lucius den
papst Eleutherius um missionäre angehen. Gottfried von
') Bei Gale, Historiae Britann. Script. I, 291 ist für Henrico Linco-
tiiensi episcopo natürlich zu lesen Vintomensi.
2) Accipite, quaero , devotionis meae mimus , sedulitatis pignus , et
agite, ne fructu tahoris excidam. Ädestote igitur, si om/wio jjlacet,
et attendite, dum per successionum seriem antiquitatem ecclesiae tentabo
susjncionibus eruere , quantum ex strue moidmentoi'um vestroruin potui
corradere, bei Galel, 292. Die gesperrt gedruckten worte möchten fast
die Vermutung erregen, dass der bischot im auftrage eines andern, etwa
des königs (Heinrich I oder Stephan?), das werk bestellt habe. — Bei
neuern englischen Schriftstellern finde ich angegeben, dass Wilhelm
ßibliothecarius in Glastonbury gewesen sei, ich weiss nicht, ob mit recht.
3) Freculf selber hat die stelle entlehnt aus Isidor, de ortu et obitu
patrum, wo sie in cap. LXXIII steht: Philippus a Bethsaidu civitate,
unde et Petrus, Gallis u. s. w. Es ist recht auffallend, dass Wilhelm
dieses werk des Isidor nicht gekannt zu haben scheint. — Wider zu der
angäbe des Isidor scheint Usser in den Britannicarum ecclesiarum anti-
quitates (Dublin 1G;j10 s. 15 die quelle zu kennen. Er nennt als solche:
in Hieronymiano Martyrotogio ms. {ex quo pleraque omnia in librum
smim de patribus N. Teslamenti transscripsit Isidorus) habetur u. s. w.
Beiträge zur gescliiclite der deutsclien spräche. III. 22
328 ZARNCKE
Monmouth weiss das mit seiner regen pliantasie ins einzelne
auszumalen, er kennt auch die nameu der missionäre : Faganus
und Duvianus (Damianus, Deruvianus, die handschriften Gott-
frieds und spätere erwälmungen schwanken sehr bei diesem
nameu). Gottfrieds werk war damals eben erschienen, seine
angaben hatte Wilhelm keinen grund zu verleugnen.
So coustruiert er denn die folgende geschichte: Sanctus
Philippiis . . . volens verhum Christi dilatari , duodecim ex disci-
pulis elegit, ad praedicandam incaniaüonem Jesu Christi et
super singulos inanum dextram devotissime extendit et ad evangeli-
zandum verhum vitae misit in Britamiiam u. s. w. In Glastou-
bury fassen sie festen fuss im jähre 63 nach Christi geburt
und gründen eine kapeile der Maria. Aber bald gerät hier
das Christentum wider in verfall und an der stelle der kirche
entsteht eine wildnis. Da kommen um 166 Phaganus und
Deruvianus, dringen auch in jene wildnis ein, finden noch die
reste der kapelle und auch, damit gar kein zweifei übrig blei-
ben könne, eine schrift, in der alles haarklein erzählt worden
war. Eine Urkunde des heiligen Patricius, des apostels der
Iren, der in seinem alter ebenfalls abt von Glastonbury ge-
wesen sei, aus der zeit nach 433 wird wörtlich mitgeteilt, in
der dies alles bezeugt wird. Man kann noch zwischen den
Zeilen lesen, wie dem historiker das gewissen schlug, als er
diese Urkunde als historisches beweismaterial verwante: Haec
autem, sagt er s. 297 bei Gale, ita veraciter se habere testimonio
scripturae vetustissimae similis cum relationihus seniorum compro-
havimus. So war also für England die existeuz einer aposto-
lischen kirche nachgewiesen.
Auch die cousequeuzen Rom gegenüber suchte der Schrift-
steller selbst noch anzudeuten, indem er folgende mysteriöse
anekdote in sein werk einflocht: Ad comprohandam antiquitatem
ecciesiae, de qua praefali sumus , paululum digrediamur. Mo-
nachus quidam Glastoniae , Godefridus nomine, de cuius epistola
et hoc et quod suhiungemus capiiulum assumsimus , tempore hoc
Blesensis abbatis Glastoniae (eben des Heinrich von Blois) cutn
in pago Parisiensi apud Sanctum Dionysium (St. Denis, die
mutterkirche Frankreichs) moraretur, senior quidam ex monachis
ijiterrogavit cum: 'Quo genus, unde domo?' Respondit 'Äormannus,
Britanniae monasterii, quod Glastingeta dicitur, monachus.' 'Pape'
GRALSAGE. 329
inquit, 'au adhuc stal Hla perpetuae virginis et misericordiae
tnatris vetusta ecclesiu?' ' Stai' inquit. Tum ille lepido attactu
Caput Godefredi Glastoniensis demulceus , diu silentio suspensum
tenuit, ac sie demum ora resolvit ' Haec gloriosissimi martyris
ecclesia et illa, de qua tu asseris , eandain privilegii dignitatem
habent , ista in Gallia, illa in Bi^itannia uno eodemque tempore
exortae, a sunmio et magno pontifice consecratae. Uno tarnen
gradu illa supere?)iinet, Roma etenim secunda i) vocatur.' Cumque
ah ore viri penderet, ille , cui provincia suscipiendorum fratrum
est commissa, invitos ab hivicem non revisuros separavit. Sed
haec hactenus.
Aber nicht bloss für die eihebung der britischen kirche
zu einer apostolischen war sorge getragen. Zugleich war das
interesse der keltischen bevölkerung auf das lebhafteste mit in
anspruch genommen.
Die glänzende gestalt des königs Arthur sollte auf der
Insel Avaloü, Avallonia verschwunden sein. Von da erwartete
die keltische nation die einstige widerkehr ihres beiden ; offen-
bar dachte man sich ursprünglich unter jener insel eine insel
im oceau, eine art insula fortunata. Jene hoffnung zu befesti-
gen, konnte nicht in der absieht der normannischen herscher
liegen, tot muste Arthur sein, also gestorben auf Avalon. Aber
sein grabmal zu besitzen, das konnte ein mächtiger anziehungs-
punkt für die keltische nation werden. Wilhelm wüste aus-
hülfe, er machte kühn Glastonbury zu Avalon. Bei Gale 295:
Haec itaque insula {!) I'niswytrin a Britonihus dicta, demum ab
Anglis terram sibi subiungentibus , interpretato priore vocabulo,
dicta est sua lingua Glastynbinj vel de Glasteing, de quo prae-
tnisimus etiam, insula Avallonia celebriter nominatur. Als insel
wird der mitten im lande gelegene ort motiviert, weil er durch
sümpfe, Wälder und dorngesträuch unzugänglich gewesen sei.
Und das grabmal des königs Arthur kannte W. ganz genau,
bei Gale 306: Quantum autem Glastoniae ecclesia fuerit etiam
/iritnatibus patriae venerabilis et ad sepulturam desiderabilis . . .
muUa sunt indicio, quibus pro cautela fastidU abstineo : praeter-
mitto de Arturo inclyto rege Britonwn, in cimiterio monachorum
') Hier scheint in der antwort, deren tendenz doch klar bleibt,
etwas in Unordnung zu sein.
21*
330 ZARNCKE
inter duas pijramides cum sua conjuge tumulalo , de miiltis etiam
Britonum principihus u. s. w.
Früher hatte Wilhelm von alledem nichts gewust. In den
Gesta pontificum Anglorum (herausgegeben von Hamilton 1870
in den Rer. Brit. medii aevi Scr.) s. 196 handelt er ausführlich
von Glastonia, aber weder von der hisula Avallonia noch von
rnisrvyfrm, noch von Artliur und seinem grabe war dort die
rede gewesen, ja in lib. III de gestis regum Anglorum sagte
er noch : Arturis sepulcrum nusquam visitm^, iinde antiquitas nae-
niarum adhuc eum venturum fabulaiur. Der fromme betrug liegt
auf der band.
Die politik hat fortan nicht aufgehört, die gewonnene
basis auszunutzen. Die bemiihungen, auf Glastonbury hin be-
sondere rechte und freiheiten für die englische kirche in au-
spruch zu nehmen, gehen bekanntlich bis ins 15. Jahrhundert
hinein. Im jähre 1178 nahm Heinrich II Glastonbury in eigene
Verwaltung, 1189 ward widerum ein abt von königlichem ge-
blüte eingesetzt, Henry de Swansey, und nunmehr war man
nicht mehr damit zufrieden, das grabmal des Artus im kloster
zu wissen, man wollte auch seinen sarg haben. Der abt Hess
den ganzen kirchhof durchwühlen, und der pia fraus gelang es
auch wirklich, den Sarkophag des Artus und seiner gattin auf-
zustöbern. Feierlich wurden beide in der kirche vor dem altare
beigesetzt^) und dem Artus die grabschrift gewidmet:
Hie jacet Arthurus, flos regiiin, gloria regni,
Quem morum probitas commenclat laude perenni.
Es wurde viel aufhebens davon gemacht, wie wir daraus er-
sehen, dass die Chroniken mit grosser emphase dieses ereig-
nisses zu gedenken pflegen. Grosse neue Privilegien wurden
für das kloster gewonnen, in dem 1186 der Jungfrau Maria
eine neue kirche geweiht worden war.
In jenem werke des Wilhelm von Malmesbury wird nun
auch des Joseph von Arimathia erwähnung getan. Er sei mit
den Schülern des Philipp nach England gegangen. Bei Gale
292: dmdecim ex suis discipuUs (das weitere s.o.) misit in Bri-
*) Wie die richtung der politik in jener zeit war, dafür ist noch
ein interessanter beleg das factum, dass ein enkel Heinrichs II, der 1204
wider starb, den namen Ai'tltur erhielt.
GRALSAGE. 331
tanniam, quibus, iit ferunt, carissimum amicum suum Joseph ab
Arimathia, qui et Dotnhmm sepelivit, prae/ecH. Au sich kann
diese notiz gar kein bedenken erreg-en. Wir brauchen auch
auf den beisatz ut ferunt kein gewicht zu legen; von einem
solchen gerächte wüste Wilhelm schwerlich etwas, sonst hätte
er schon in seinen frühern werken, wo er von Glastonbury han-
delte, dessen erwähnt; es könnte füglich nur als eine fa^on de
parier angesehen werden , deren er sich bediente, da er sich
hier nicht mehr auf Freculf berufen konnte. Und für die fort-
entwicklung der sage würden wir in jener erwähnung die
willkommenste erklärung, das willkommenste mittelglied be-
grüssen können. Jeder weiteren grübelei, wie Joseph von Ari-
mathia nach England gekommen sei, wären wir überhoben:
Wilhelm von M. sali sich nach irgend einem noch nicht ganz
vergebenen namen um ; einen stattlicheren beiden als den Joseph
von Arimathia, der den herrn beerdigt, konnte er schwerlich
finden. So wären durch seine freie erfindung Arthur und
Joseph von Arimathia in Glastonbury verbunden gewesen, und
so wäre es ausreichend vorbereitet gewesen , wenn nun die
Phantasie beide auch auf dem gebiete der poesie, der sage, noch
näher mit einander zu verbinden trachtete. Es lägen die
schwierigsten probleme der sagengeschichte leicht gelöst und
klar vor uns da.
Dennoch scheint der tatbestand uns zu zwingen, auf dieses
willkommene mittelglied in der geschichte der sage zu ver-
zichten. Denn der verdacht der Interpolation haftet an ihm.
Von Joseph ist nämlich nur an jener stelle die rede.
Wäre dies denkbar bei einer darstellung, die der Verfasser von
vornherein mit Überlegung und berechnung entwarf? Konnte
Wilhelm den einzigen, den er mit namen einführte, und gerade
den, der den herrn bestattet hatte, so ganz wider fallen lassen?
Aber er wird nicht wider genannt. Von der zwölfzahl ist
mehrfach noch die rede: duodecim sanctl memorati, und ohne
sie saucti memorati ; Joseph wird nicht wider erwähnt. Als später
Faganus und Deruvianus die kapelle in der wilduis wider ent-
decken, heisst es (bei Gale 294): Omnem etiam narratlonem in
antiquis scriptis invenerunt, qualiter sanctis apostoUs per Univer-
sum orbem dispersis sanctus Philippus aposlolus cum nmltiludine
discipulorum in Franciam veniens duodecim ex ipsis Brita^miam
r»;V2 ZARNCKE
misit ad praedicandum. ijui //raedic(am capellam angelica docti
revelatione construxernnt. quam postmodnm /Hins altissiml in hono-
rem suae mairis dedicavit , ipsisque duodecim tres reges, licet
pagani, 12 portiones terrae dederunl ad sustentatio7iem. Nach
dem vorbilde jener 12 wird denn auch die ganze neue Stiftung
auf 12 socii angelegt. Und in der erwähnten Urkunde des
heiligen Patricius heisst es, er habe in bänden gehabt scripta
sanctorum Phagani et Deruviani, in quibus continebatiir, quod Alf
discipiili sanctorum Philippi et Jacohi ipsam vetustam ecclesiam
construxerant u. s. w. Auch wo ferner jenes ältesten ereig-
nisses noch gedacht wird, nirgends tritt Joseph von Arimathia
wider mit auf. Auch ist die frage wol erlaubt, konnte Joseph
eigentlich ein schiiler, ein discipulus des apostels Philippus ge-
nannt werden?
Wir können uns, scheint mir, der annähme nicht entziehen,
dass jene angäbe später, als die sage von Joseph von Arima-
thia allgemein bekannt geworden war, an jener einen stelle
eingefügt worden ist; die übrigen stellen damit in Überein-
stimmung zu setzen, unterliess der interpolator nach interpola-
torenweise.
Für die Interpolation spricht auch sonst noch einiges.
Von den französischen romanen nennt erst no. 8, der meines
erachtens jüngste, eine in Glastonbury gefundene lateinische
quelle, no. 2 lässt den Joseph sogar noch in 'Glare en Ecosse'
beerdigt werden. Noch wichtiger ist, dass die Glastonburyer
Chronik vom Jahre 1259 ebenfalls nur die 12 schüler des Phi-
lippus, nicht aber den Joseph erwähnt. Vgl. die werte bei
Usser, Brit. eccles. antiquitates (Dublin 1639) s. 18. Ferner
der Catalogus Sanctorum in Anglia sepultorum und der Libellus
de reliquiis in Glastoniensi raonasterio repositis, der zur zeit
Heinrichs III abgefasst wurde, erwähnen beide den Joseph
nicht. Vgl. Usser s. 27. Es mag dies, nebenbei bemerkt, zu-
gleich den besten beweis liefern, wie ganz aus der luft ge-
griffen der verdacht von P. Paris ist, die mönche von Glaston-
bury hätten den leichnam des Joseph von Arimathia aus
Moyenmoutier gestohlen (vgl. Romania I, 458. 462 i^). Erst
1345 stellte man nachforschungeu nach seinen gebeinen an.
Das königliche crlaubnisdekret teilt Usser s. 27 mit und fügt
hinzu: Quem habuerit eventum ista inquisitio, non invenio: ab
GRALSAGE. 333
liis ffimen, qui Glastoniense monasteiiuni videmnt, est prodi-
tum, et sacellum ibi Joseplii uomiui dedicatum et tumulum
etiam positum fuisse, hoc inseriptum epitaphio:
Ad Britones veui, postquam Christum sepelivi,
docui, requievi.
Dagegen behauptet Guilielmus Goode (bei Usser ;>. 28), der im
10. jahrliimdert in Glastoubury erzogen wurde: Nemo tamen
monachoruni unquam scivit certum locum sepulchri huius
Sancti vel dcsiguavit. Recouditum abditissime dixerunt. —
Auch die capelle für Joseph von Arimathia ist oifenbar erst
ganz spät gestiftet worden, vielleicht nicht vor dem ende des
13. oder wahrscheinlicher erst im 14. Jahrhundert.
Auch treten wir, wenn wir jene stelle als interpoliert an-
nehmen, der ältesten fassung der sage nicht ferner, sondern
näher. Denn das gedieht des Robert de Boron lässt den Joseph
ausdrücklich in Syrien zurückbleiben. Z. 3-455 heisst es:
3455 Ainsi Joseph se demoura
Li boens Pescherres s'en ala
(Dont furent puis meiutes paroles
Contees, Kl nc sunt pas foles)
En la terre lau 11 fu nez
3460 Et Joseph si est demourez.
Die beziehung von v. 3459 macht einige Schwierigkeit, aber
so viel ist klar, dass Joseph im Orient zurückbleibt. Die pro-
sen, die sämmtlich vielfach und so auch hier spätere Interpola-
tionen aufweisen, haben doch noch richtig (bei Hucher I,
275) : Ens'mc se dcparth'ent, si s'an ala U riches peschierres dont
maintes paroles furent puis [en la grant Bretaigne interp.] et
ensinc remest Joseph et fina en la terre et ou pais oii il fut en-
volez de par Jhesu - Crisl, und (bei Hucher I, 207) : Ensuite ils
separent. Le riche pecheur s'an alla [dans la Grande Bretagne]
oii depuis il en fut souvenl questitm. Joseph resta et finit en la
' terre et au pays alt il fut envoyc par Jesus - Christ. Erst die
späteren romane lassen aucli den Joseph nach England über-
fahren, aber auch sie nur als begleiter seines sohnes. Und
diese führen nun auch den Philippus auf, freilich nur als den,
der den Joseph getauft habe, bei Furnivall, St. Graal 1861, 4*»,
s. 36: Au matin bien main se leva Joseph et rechut crestiente de
la main saint Phelippe ki dont estoit euesrpie de Jherusalem.
;i34 ZARNCKE — GRALSAGE,
Also nicht der ausg-angvspunkt für die sage von Joseph
von Ariraatbia in England ist Glastoubury, sondern erst ziem-
lich spät scheint er dort localisiert worden zu sein.
Ob die von mir genmtmasste interi)olation sich auch noch
urkundlich wird feststellen lassen, vermag- ich nicht zu sagen.
Wilhelms werk ist bis jetzt dreimal herausgegeben, zuerst bei
Gale, bist. Brit. Scr. I, 291 fg., dann von Th. Hearne zusam-
men mit Adam Domersham, Oxford 1727, bd. I, endlich von
Migne in der Patrologia bd. 179, s. 1682 fg. Aber diese aus-
gaben beruhen sämmtlich auf derselben, offenbar interpolierten
Cambridger handschrift (ex membranis vetustis bibl Trin. Coli,
apud Cantabrigienses) , die z. b. bei Gale s. 303 ein ereignis
erwähnt, das nach der eigenen dort angestellten rechnung erst
1184 fallen kann. Wir haben eine ganze anzahl von haud-
schriften, von denen die wichtigsten Hard}- aufzählt in dem
Descript. Catalogue of Materials 1865, II, s. 157, no. 218, der
auch von dem zum abdruck gebrachten text sagt: from a
manuscript avoiedly interpolated. Noch gründlicher scheint
Hamilton (s. o.) in seinen Untersuchungen eingedrungen zu
sein, der die ansieht aufstellt, wir hätten zwei ausgaben un-
seres Werkes zu unterscheiden, eine vom jähre ca. 1125, die
andere von ca. 1140. Ich bin nicht in der läge, die einschlä-
gigen untei-suchungen anstellen zu können; für unsere stelle
ist eine vergleichung der handschrifteu noch nicht vorgenommen.
LEIPZIG, august 1876. FE. ZARNCKE.
DIE SUFFIXFORM -SLA-,
VORNEHMLICH IM GERMANISCHEN.
JDie nachfolgenden Zeilen haben den zweck, eine von
mir aufgestellte und neuerdings bedrohte ansieht über den Ur-
sprung der suffixform -sla- mit neuen beweisgründen zu stützen.
Die recension des ersten teiles meiner 'fovschungen im geb. d.
iudog. nomin. stammbildg.' durch H. Zimmer in dem 'anzeiger
für deutsches altert, und deutsche lit' I, 111 ff. hat mich auf
eine lücke in meiner beweisführuug über das suffix -sla- forsch.
I, 190 ff. aufmerksam gemacht. Diese lücke gilt es hier aus-
zufüllen.
Die alte ansieht, dass das i' des -6:/« -Suffixes (sowie in-
gleichen das von -st7^a- in got. huUslr) von - «6- -stammen her-
rühre, an welche sich ein weiteres suffix -la- angefügt habe,
war auch mir keineswegs unbekannt geblieben. Beiläufig ge-
sagt, hat übrigens diese ansieht über -sla- nicht Scherer zu
ihrem Urheber, dem sie Zimmer durch ein 'suum cuique' in
der anmerkung s. 115 a. a. o. zu vindicieren sucht, sondern sie
ist beinahe schon so alt wie die Sprachwissenschaft selbst:
längst vor Scherer hat sie meines wissens zuerst Bopp schon
in der i. auf!, seiner vergleich, gramm. VI. abteil. § 933. s. 1379
ausgesprochen, und darnach haben auch andere forscher, zu-
nächst Schweizer -Sidler zeitschr. f. vergleich, sprach f. III, 381,
widerholentlich Leo Meyer zeitschr. VI, 9. VII, 130 f., got. spr.
s. 513, ferner Ascoli zeitschr. XVI 197 und gewis noch andere
zu derselben auffassung sich bekannt. Wenn ich es nun unter-
liess, auf diese ansieht sie bekämpfend einzugehen, so geschah
das in der stillschweigenden Voraussetzung, als würde sie durch
meinen nachweis über den Ursprung des -sla- von selbst hin-
336 OSTHOFF
fällig- werden. Diese erwartuiig hat sich nicht eifitllt, vielmehr
hat Zimmer die friilicre ansieht eingelicndcr zu begründen
gesucht. Ich sehe mich darum genötigt, mein Versäumnis hier
nachzuholen.
Der hauptgrund, weswegen die zuriickführung des -sla-
auf -«i- stamme äusserst unwahrscheinlich ist, ist der, dass es
nur mit ganz kiiustlicheu mittein gelingt, genügend viele alte
-ö!6^-stämme aufzutreiben, aus denen im germanischen die selb-
ständige suffixform -sla-, -isla- erwachsen sein könnte. Das
got. svartizla- neben svartis ntr. ist im gründe das einzige bei-
spiel, bei dem sich der -«.«?- stamm ungesucht und ohne zwang
darbietet. Die mir je einmal vorkommenden ved. jnäs und
ä-jMs (vergl. Petersb. wörterb.) liegen schon bedenklich weit
ab, um für alts. knosl etwas irgend sicheres beweisen zu können.
Für urd. '*viksla- (altn. vlxl, ahd. wehsal) muss Zimmer seinen
-«*- stamm erst aus lat. viclssim künstlich erschliessen. Wer
möchte es aber für nur irgend wahrscheinlich halten, dass lat.
clämor und lat. torques 'halskette, wirbel, kreis' auch
nur im entferntesten dazu angetan seien, um über das suffixale
s von ahd. hruomisal 'ostentatio' und got. /^mÄ^/ 'bedräng-
nis'^) irgend überzeugende aufschlüsse zu geben? Zugegeben
einmal, dass es mit der natur solcher lateinischer nomina wie
torques, sordes als echter alter -a*^- stamme durchaus so seine
richtigkeit habe, wie Zimmer will. Vollends gar wer würde
wol jemals zur erklärung der bildung von ahd. wegislo ^affli-
ctio', st. wegisljä-, auf das griechische ueutrum xo o^oc,
'currus' (!) verfallen, wer, als eben nur ein solcher, der mit
gewalt darauf ausgeht, -öa^ -stamme bei den haaren herbeizu-
ziehen ?
') Wenn Zimmer s. 114 gegen mich bemerkt, zu goi, preihsl gehöre
nicht nhd. drangsal, welches ein junges wort sei, so hat er darin recht:
unmittelbar würde zu prcihsl nur ein nhd. * drbujsal stimmen, denn got.
preihun ist = ags. pringan, alts. thringan, ahd. drmgan , nhd. dringen.
Joh. Schmidt vocal. I, 53. Eben so wenig aber lässt sich andererseits
mit Zimmer das got. preihsla- unmittelbar zu den ahd. drähsil 'torna-
rius', drähsil 'toreuma' stellen, denn diese ahd. Wörter schliessen sich
doch zunächst nur an das schwache verbum ahd. dräli{j)an 'drehen'
an. Ueber die bedeutungsdiffereuzierung dieses; druhan von den nasa-
lierten formen dringan u. s. av. siehe Joh. Schmidt vocal. II, 454.
SUFFIXFÜRM -SLA-. 3^7
Mau braucht die wurzelverwantscliaft aller dieser Wörter
durchaus nicht in frage zu stellen; man muss aber folgendes
festhalten. Die bedeutungen einer und derselben wurzel
können sich zugestandenermassen in den verschiedenen sprachen
in ganz individueller richtung entwickeln. Ist aber dies der
fall, wie denn z. b. bei gr. oioi^ und ahd. wegislo, so ergibt
sich für den grammatiker , der keine spränge machen will in
seinen schlussfolgerungeu, als pflicht, dass er zunächst jedes
einzelne wort jeder einzelnen spräche im zusammenhange mit
der ihm zunächst stehenden Wortsippe, welche von der gleichen
Wurzel in derselben spräche ausgegangen ist, betrachte. Got.
preihsl , ahd. hruomisal , ahd. wegislo, alts. herdisli (Monac.
herdislo) 'kraft, Widerstandsfähigkeit' gesellen sich nun doch zu
allernächst zu den deutschen verben got. pi-eihan ' drängen '^
ahd. hruomjan 'rühmen', ahd. rvegjan = got. vagjan 'agitare',
alts. herdian 'fest machen, stärken, Aviderstaudsfähig machen'.
D>araus folgt, dass jede solche erklär ung, die es vermag, die
biidung aller dieser nomina im unmittelbarsten anschluss an
die im germanischen selbst direct daneben liegenden verba
einigermassen überzeugend zu deuten, damit eo ipso den Vor-
zug verdient vor einer andern erklärung, welche jene nomina
aus ihrer nächsten verwantschaft losreisst, um dann auf Um-
wegen, an die gemeinsamkeit der wurzeln tark-, kram-, vagli-,
kart- appellierend, zu den -ai:-stämmen lat. iorques, clämor, gr.
oxoq, xQaroq zu gelangen, in denen sich zumeist dieselben
wurzeln in einer ganz anders entwickelten bedeutung zeigen.
Zumeist dieselben wurzeln, sage ich; denn im einzelnen ist
selbst dies noch zweifelhaft. 'Dass gor. hardus , alts. herd,
ahd. hartl, herti dem griech. xaQTVc, xQarvg gleich sei, wird
von niemand bezweifelt', sagt Zimmer s. 114. Doch wol; von
Joh. Schmidt z. b. , der hardus mit abulg. crcdü 'firmus' ver-
wantschaftsverhältn. s. 41, vocalism. II, 33. 77, sowie mit ir.
crödaiu 'durities' vocalism. II, 370 vergleicht. Wer Joh.
Schmidt darin beistimmt, der wird auch schon aus diesem
gründe Zimmers allzu sicgesgewis vorgetragene Schlussfolgerung
nicht unterschreiben können, die folgerung nämlich: 'el)en so
sicher ist aber auch ein germ. liardis- mit dem homcr. ro
xaQxoQ 'kraft, stärke' identisch, alts. herdisli, herdislo d. h.
hcrdis-ljä- 'stärke, widerstandskrjtft' ist einfache Weiterbildung.'
338 OS'J'HOFF
Doch selbst davon ganz abgesehen, so liegt xaQtog offenbar
immer noch zu erheblicli weit al), als dass man sofort mit bei-
seitelassuug des altsächs. verbums herdian an jenen griechi-
schen -OS -stamm behufs einer erklärung der bildung von her-
disljä- sich wenden dürfte. Ebenso wird ferner, wenn ich ahd.
uohisal n. 'cultus, exercitium' passend und ungezwungen als
bildung aus dem stamme des verburas uohjan selbst zu erklä-
ren weiss, es jedermann für unnötig, wenn nicht für unmetho-
disch halten, erst nach lat. opus einen -a^- stamm ahd. ^uobis
zu construieren. Auch aus ahd. uoberbn 'exercere' folgt noch
nicht die existenz eines solchen -a^f-stammes ^iiobis, der ohne-
hin in der quantität des wurzelvocals von lat. opus, skr. äpas
al)weicheu würde. Zimmer wählt freilich nicht dies gut be-
zeugte und sicher uralte skr. äpas, um es zu ahd. uoheron zu
stellen, sondern das nur sehr schwach beglaubigte skr. ä'pas n.
'eine religiöse handluug', das Böhtliugk-Roth nur mit einer
stelle, Un. 4, 209, belegen. Dass die verba auf -isön (got.
-ison -izon, ahd. -ison -eron) allerdings von denominativis der
-a^- stamme ausgegangen sind, wie ohne zweifei got. hatiz-on
von haiis, ahd. heilis-d7i von ags. hälor, altn. sigr-a 'vincere',
ahd. itbar-sigir-on 'ti-iumphare' (Graff VI, 132) von got. slgis,
will ich natürlich nicht bezweifeln, aber ahd. uoberon und
harmlsön selbst können recht wol nur analogiebildungen nach
anderen, solchen wie hatizon, sein. Jedenfalls zeigt sich auch
hier wider, wie mislich und problematisch es im einzelnen um
die -rt5- Stämme steht, die Zimmer erschliessen will.
Wenn ferner Zimmer, um die Wahrscheinlichkeit der her-
kunft des -sla- von -«^-stammen zu vergrössern, auf skr. ianiis-
-ra- n. 'dunkel, eine dunkle nacht' neben tämas 'finsternis,
dunkel' verweist, so muss ich das treffende dieser analogie
entschieden in frage stellen. Das secundärsuffix -ra- bezeichnet
ziemlich häufig den mit der sache begabten; vgl. Bugge Kuhns
zeitschr. XX, 28, meine forschungen I, 78. So sind auch un-
leugbar skr. tamis-ra- n. und tämis-i^ä f. eigentlich nur zum
Substantiv erhobene adjectiva und bedeuteten von hause aus
nur 'das mit dunkel versehene, die mit dunkel versehene
(nacht)'. Die deutschen nomina ahd. dinstar adj., ags. peöster
n. 'finsteruis' betrachte ich in Übereinstimmung mit andern
forschem, z. b. A. Kuhn in seiner zeitschr. XV 238 f. und Joh.
SÜFFIXFORM -SLA-. 339
Schmidt z. g-escli. d. indog-. vocal. I, 168, als uumittelbar und
ganz dem skr. tamisra- gleich gebildet imd halte das t für
den so häufig erscheinenden, den Übergang zwischen s und r
vermittelnden eiuschub. Ich sehe also in ahd. dinstar u. s. w.
kein suffix -tra-, wie Zimmer tut s. 115, wenn auch als die
germanische grundform dieses adjectivs allerdings Gm*pems-t-ra-
anzusetzen ist. Als passende parallele zu dem offenbar pri-
mären -6'/a- Suffixe im germanischen kann ich somit jenes skr.
tamisra- nicht gelten lassen.
Endlich spricht wol auch das noch gegen Zimmers ansieht,
dass er, um seine meinung aufrecht erhalten zu können, auf
eine einheitliche erkläruug aller -i/a-bildungeu im germani-
schen verzieht leisten muss. Für die lateinischen nominal-
stämme mit -sla- räumt er nämlich ein (s. 113), dass ich das
richtige getroffen habe. Ebenso glaubt er, dass alts. ahsla =
ahd. ahsala und ahd. dehsala möglicher weise unter dieselbe
erklärung, die ich für das -sla- im lateinischen aufgestellt habe,
fallen. Er muss also diese Wörter von den übrigen -sla -hi\-
dungen trennen, z. b. ahsla von urd. *viksla- ' Wechsel'. Wo
er die litauischen nomina mit -sla- :'mdk-sla-s 'lehre', pa-veik-
sla-s M)eispier, zai{d)-sla-s 'spiel', kn{t)-sla-s 'brocken, abfall',
mi-sle 'rätsel', welche in ihrer bildung, bedeutung und in ihrem
ableitungs Verhältnis zu den nebenstehenden verben so schön zu
den deutschen -^/ö - bilduugen stimmen, unterbringen will, ob
unter meiner erklärung oder bei seinen -«5- stammen, erfährt
man von Zimmer gar nicht.
So viel zur abwehr der -«^-stamme. Ein letzter grund für
die unhaltbarkeit dieser bisher noch nie kritisch geprüften
hypothese, zu deren Verfechter sich Zimmer aufgeworfen hat,
wird sich uns erst w^eiter unten ergeben. Jetzt zur weiteren
befestigung meiner eigenen ansieht über das -sla-.
Zimmer tut mir offenbar unrecht, wenn er s. 114 behauptet,
es gelte doch in svarti-z-la-, huU-s-tra- ausser dem s auch noch
das i zu erklären. Ich meine doch s. 192 meines buches deut-
lich genug gesagt zu haben, dass ich svarti-z-la-, huU-s-tra- von
den schwachen verben '^svarljan, huljan herleite. Eine diiecte
ableitung aus den adjectiven got. svart-s, *hul-s ist mir nicht
in den sinn gekommen, und darum trifft mich auch der Vor-
wurf, den ich gegen Corssen richtete (Corsseii scheide nicht
34Ö OSTHOFF
streng genug zwischen primärer und sccundärcr wortstamni-
bildiniü'), so \\ eit icli sehe, nicht im geringsten. Mir gelten alle
nomina mit äen suffixen -sla- und -isla- als rein primäre l)il-
dungen, und es verhält sich gut. svartl-zla- : ?i\\(\. suarzjan =
praet. got. sola- da oder partic. soki-p-s : sokjan. Damit ist,
dünkt mich, das / von -i-sla- ganz hinreichend erklärt. Dass
aber eben diese auifassung von dem i des suffixes -i-sla- die
richtige ist, wird ganz evident durch folgende regel bewiesen,
die wir aufstellen dürfen: die suffixform -i-sla- erscheint
ganz gesetzmässig nur da, w^o auch ein schwaches
verbum auf -7«« vorhanden ist. — Alle etymologisch klaren
beispiele namentlich der althochdeutschen spräche, die ahd.
Wörter auf -i-sal bei Jac, Grimm gramm. II s. 100 ff. des
Schererschen abdruckes, aber dazu auch die mittelhochdeutschen
und altsächsischen bildungeu derselben art bestätigen diese
regel oder, besser gesagt, verlangen dieselbe: ahd. ähti-sal n.,
mhd. cehte-sal 'persecutio' neben ähtjan ^persequi', ahd. brutte-
salm f. 'terror' neben hrutten schw. vb. 'erschrecken', cleihe-sal
4imus' neben kleil){j)an 'giutinare', deche-sal u, 'opertorium'
(Graff V, 104), mhd. deck-sal ^^ mittelniederl. dek-sel neben
decchan, vesi i-sal n. 'muuimentum' neben alts. fastan festan
/eA^//a« 'befestigen', fuoti-sal n. 'pastio' neben fuottan, got. fodj'an
'pascere', fluzze-sal n. 'fluentum' neben fluz{j)an 'lubricare,
flössen', gi'uoni-sal n. 'germen' neben * gruonjan = mhd.
grüenen (Schade altd. wörterb.2 s. 355), gruozl-sal n. 'molestia'
neben gruozjan 'excitare, agitare', höni-saln. 'fastigium' neben
hdn{j)an 'illudere', irri-saln. 'scandalum' neben i?T{j)an 'solli-
citare, impedire', got. airzjan 'irre führen', marri-sal n. ^Xueüo'
neben marrjan = got. marzjau 'hindern, ärgern', neizi-sal n.
'afflictio' neben neizjan 'affligere', renni-sa,l n. 'coagulum'
neben rennjan 'rinnen machen', truobi-sal n. 'tribulatio, trübsal'
neben truohjan 'trüben', werre-sal u. 'confusio' bei Otfr. IV,
18, 25 neben ir-werr{J)an 'confundere', werti-sal n. 'corruptio',
wie die Freisinger hs. an der eben genannten Otfridstellc als
Variante hat, neben tvartjan 'corrumpere'; mhd. hruote-sal
hrüete-sal n. 'fomentum' neben brüeten, ahd. ^ pruotjan pruottan
'brüten', mhd. derre-sal n. 'ariditas' neben derren = ahd.
^darrjan derran 'dörren', rahd. irre-sal n. 'error' = ahd. irri-sal^
mhd. velle-sal n. 'was zu boden wirft' (vgl. mhd. wörterb. IIl^
SUFFIXFORM -SLA-. 341
227) neben vellen, Silts. felllan, ahd. feliau ^ fä\len\ mhd. müeje-sal
n. 'miilisal' neben fiiüejen 'mühen'; alts. ddjn-sl-i {-slja-Bt.) n.
'ttiufe' neben doplan kaufen', alts. ahd. inendi-sl-o {-sljä-^i) f.
'freiide' neben mendian 'sich freuen', 2i\%^.hurgi-sli 'grab' (Heyne
kleinere altniederd. denkm. glossar) neben ags. l)yrgian hyrigan
'begraben', altn. hyrgja, dem intensivum zu dem starken alts.
bergan, ags. heorgan, altn. hjarga. Und ganz ebenso ist es
denn auch bei den oben bereits genannten, von Zimmer mit
-OÄ- stammen in Verbindung gebrachten alts. herdi-sll lierdi-slo,
ahd. hruomi-sal, liarmi-saL uohi-sal. — In den übrigen alt-
deutschen dialecten ist das i meist verloren gegangen, zeigt
aber am umlaut, wo es möglich ist, sein ehemaliges dasein ; so
in altn. herm-sl u. 'luctus' = ahd. harmi-sal , kenn-sl n. 'notio'
= ahd. '* kemii-sal , spemi-sl n. 'a clasp' (Cleasby- Vigf.) von
spenn-a 'spannen', vesl n. 'oberkleid' d. i. *vasi-sla- von got.
vasj-an 'kleiden' (Fick wörterb. IIP 300), heyg-sl n. 'zäum' und
vielen andern ; ferner in den altn. beyg-sla = heyg-sl u., foeb-sla
'alimentum', fcer-sla 'ductus', geym-sla 'custodia', kernt- sla
(= kenn-sl n.), pen-sla 'expansio', vörb-sla 'tutela', die in die
declination der schwachen feminina übergegangen sind. Grimm
gramm. II, 103. Der umlaut kann nicht hervortreten in den
bildungen: altn. skir-sl n., skir-sla f. 'ordalium' von skir-a 'rei-
nigen', in üt-hreib-sla f. 'divolgatio', leib-sla f. 'ductus'. Wo
ausnahmsweise eine -^/a-bildung das -i- oder den umlaut des
wurzelvocales zeigt, ohne dass das stammverbum ein schwaches
ist wie in ahd. räti-sU u. 'propositio, problema' (Graff II 469),
mhd. rcet-sal 'aenigma' von rätan, raten (Zimmer könnte an
den -«i-- stamm skr. rädlias 'woltat, liebesgabe' erinnern), in
dän. fäng-sel 'carcer' von fangen: da dürfen wir getrost an-
nehmen, dass eben nur die analogie der vielen von schwachen
verben abstanmienden nominalbilduugen mit -sla- in solchen
ausuahmefällen sei es ein i zwischen wurzel und suffix einge-
schmuggelt, sei es kurzweg unorganischen umlaut in der wurzel
hervorgerufen habe. — Zugleich zeigt aber auch die bedeutung
aller dieser hier besprochenen nomina (sie sind allermeistens
pure nomina actionis), dass sie eben schlechterdings nur als
rein primäre Wortbildungen aus den stammen der neben ihnen
liegenden verba aufgefasst werden können. Auch war, wie
wir unschwer erkennen, eben dieses ableitungsverhältnis der
342 OS'l'llOFF
-.9/ö-])il{lunii-cii nocli vom Standpunkte des altgerraanisclieu
Sprachgefühls selbst ein so lebendig' gefühltes und unmittelbar
bewustes, dass allein schon deshalb die ganze bildungsweise
als eine verhältnismässig junge anzuerkennen ist und die
mittel zu ihrer erkläruug nicht so ohne alle vermitteluug aus
weitester vorgermauischer vorzeit hergeholt werden dürfen.
Das l von -i-sla- ist also = dem j der schwachen verba und
weist im entferntesten nicht auf irgend etwas anderes , etwa
auf das a des suffixes -as-, zurück. Ich werde demnach auch
ein recht haben, das i von got. svat^ti-zl ganz ebenso anzusehen
und zu glauben, dass nur rein zufiillig neben diesem svarti-zlu-
die gleichbedeutende -isa- oder ursprünglich -«A^-bildung svarlis-
stehe, die uns ebenfalls in den Yulfilauischen texten überliefert
ist. Meines erachteus ist sie die alleinige irre führende ver-
anlasseriu gewesen , dass man auf die Zerlegung des stanmi-
bildenden ausgauges -i-sla- in die beiden suffixe -as- und -la-
überhaupt verfallen ist.
Auch für eine andere erscheinung noch vermögen wir nun
an dieser stelle die erklärung zu geben. Das suffix -sla-, ahd.
mhd. nhd. -sal, früher rein primäres bildungsmittel, wird später-
hin auch secuudäres suffix, so dass sogar die spräche, nach
Grimms feiner beobachtung gramm. II, 101 des neuen abdrucks,
ein zweites compositionsglied darin fühlen und so das a von
-sal gegen alle lautgesetze bis auf unsern tag rein erhalten
konnte. Secuudär ist -sal z. b. offenbar in mhd. twmic-sal,
ge-twanc-sal ^zwang, eiuschränkung, bedrängnis' (mhd. wörterb.
III, 165), secuudär auch in nhd. clrang-sal. Im althochdeutschen
begegnet -sal auch schon vereinzelt in dieser neuen geltung-
z. b. in gehucte-sal 'memoriale' von gahuctl 'memoria', bei
Grafif IV, 794 aus einer spätalthochdeutschen, eigentlich schon
mittelhochdeutschen quelle (Windsberger psalt., 12. jahrh.) be-
legt. Wie diese Veränderung- der grammatischen Stellung des
-sal vor sich gegangen ist, ist gar nicht schwer zu durch-
schauen. Neben einigen unserer von schwachen verbis abge-
leiteten bildungen auf -i-sla- lagen substantivische -ja- oder -Jä-
stänune, mit denen der stammhafte bestandteil des mit -sla-
gebildeten nomens lautlich zusammenfiel. So im althochdeut-
schen gruoni adj. 'grün' neben gruoni-sal, vesti adj. 'fest' neben
vesli-sal, honi adj. 'humilis, infamis', tontumeliosus ", mhd. hrene
SUFFIXFORM -SLA-. 343
'hochfahrend, übermütig' neben Mni-sal, irri adj. 'irre' neben
ir7n-sal, truohi adj. 'trübe' neben truoU-sal, decha oder decchi
f. {-Ja- 8t) 'decke' neben deche-sal, mendi L 'freude' neben ahd.
alts. mendi-slo] im mittelhochdeutschen müeje f. 'mühe' = ahd.
mohi neben müeje-sal. Diese fälle gaben veranlassung, die bil-
dung mit -sal als secundäre, von dem jedesmal nebenliegenden
nominalen -ja- oder -jä-stamme abgeleitete zu fühlen, was ja
die bedeutuug der Wörter, wie man sieht, auch recht wol zu-
liess. So entsprangen alsdann die nachbildungen alt-mhd.
geliucte-sal, mhd. twanc-sal, nhd. drang-sal, in denen -sal in der
tat als secundäres suffix verwendet erscheint oder wol gerade-
zu, worin jeder sein eigenes Sprachgefühl zu rate ziehen kann,
uns eine art von zweitem compositionsgliede zu sein dünkt.
Nachdem wir nun aber das vorhin zweifellos festgestellt
haben, dass das i des stammbildenden ausgauges -isla- immer
Umlaut des wurzelvocales bei umlautsfähigkeit desselben be-
wirkt, ergibt sich uns hier endlich noch ein letzter negativer
beweis, warum an eine combiuation mit dem suffixe -as- gar
nicht zu denken ist. Das suffix -as- in seiner germanischen
gestalt ist nämlich weit davon entfernt, durchgängig den /-um-
laut in der Wurzelsilbe des wortes hervorzurufen. Dies sehen
wir an den altnordischen beispielen mit -as--. altn. liatr n.,
genit. hatr-s = got. hatis, st. hat-is-a-, altn. harr m. = got.
* har-iza- in hariz-ein-s. Der grund dieses mangelnden umlauts
ist aber wol kein anderer, als weil das alte neutralsuffix -as-
offenbar noch gar nicht durchweg zur zeit des /-umlautes im
germanischen zu -Is-a- geworden war, wie es im gotischen
lautet. Mit unrecht setzt Ficks Wörterbuch als die urdeutschen
Stammformen ag-is-a-, rem-is-a-, seg-is-a- an; richtig dagegen
hat-es-a- III ^ 60. Vgl. Zimmer selbst anz. f. deutsch, altert. I,
101 über urgerm. seges- in Seges-tes. Das urgerm. -es- steht
ja auch in gutem einklange zu der entsprechenden stammbil-
denden silbe in griech. 7fcV-6(ö)-o^^, Isit gen-er-is, ahulg. slov-es-e,
lit. deb-es-is. Ferner weist gleichfalls Zimmer selbst in seinem
buche 'die nominalsufi'. a und a' s. 218 sehr hübsch nach, dass
die Weiterbildung des alten -«.?- Suffixes mit -a- im germani-
schen zu verschiedenen zelten geschah: teilweise vor dem
wirken des vocalischen auslautsgesetzes, wie in got. agis, hatis,
riqis, rimis, sigis, teilweise nach demselben, wie bei got. ahs,
Beiträge zur geschiclite der deutscheu spräche. III. 23
344 osrnoFF
veihs. Die altn. harr, rökr und sigr (und vermutlich wol auch
hair, von dem er hier nicht spricht) stellt er unter die letztere
kategorie. Wenn das nun aber auch gerade hei diesen Wör-
tern doch zweifelhaft ist, dass es schon das vocalische aus-
lautsgesetz war, welches den vocal in der suffixsilbe -es- ver-
tilgte (die genaue correspoudenz mit den entsprechenden goti-
schen Wörtern spricht dagegen, und derselbe vocal konnte recht
wol erst im sondcrleben des altnordischen schwinden, als die
betrefienden stamme längst -«-stamme geworden waren), so
ist doch wol folgendes sicher und Avird auch von Zimmer nicht
bezweifelt werden können. In den altnordischen Wörtern hatr
und harr war der vocal, welcher ursprünglich vor dem letzten
stammhaften ;• = *■ stand, vorausgesetzt dass er auch im alt-
nordischen wie im gotischen bereits zu i geworden sei, dann
unstreitig jedesfalls vor der zeit des eintretens des i-umlautes
ausgefallen. Wenn aber in hatr und harr, so müssen wir
consequenter weise dasselbe auch in allen andern altnordischen
nominibus von der gleichen bildung annehmen, beispielsweise
auch in sigr und rökr. Folglich — das ergibt sich aus dem
vorhergehenden mit notwendigkeit — dürften die altnordischen
-5/a - bildungen durchaus keinen /-umlaut des wurzelvocals
haben, wenn nämlich dieses -sla- wirklich aus einer combina-
tion des secundärsuffixes -la- mit -«^-stammen erwachsen wäre.
Der regelmässige i-umlaut der wurzelvocale erklärt sich bei
der annähme vorausliegender -a^-bildungen in keiner Aveise.
Nur auf eine solche bildung wie altn. öxl, st. ahslü- = alts.
ahsla würde demnach die Zimmersche erklärung zutreffen;
aber für eben diese räumt er mir ja ein, dass es wol nach
meiner weise zu erklären sei.
Nach diesen auseinandersetzungen nun kann ich meine
früher entwickelte ansieht über den Ursprung und die ausbrei-
tung der suffixform -sla- folgendermassen genauer präcisieren.
Das -sla- entstand, indem sich von solchen nominibus, die
vermittels des sutfixes -Ja- aus wurzeln mit dem wurzeldetermi-
nativ s gebildet waren, durch falsche analogie das a- mit los-
riss. Wenn mir von zwei selten entgegengehalten worden ist,
dass das 'wurzeldeterminativ' s ursprünglich selbst ein suffix
gewesen sei und dass darnach wol meine darlegung von der
entstehung des -sla- etwas zu modificieren seiiF dürfte (Gust.
SUFFIXFORM -SLA-. 345
Meyer Jen. literatiirztg. 29. mai 1875. s. 387 f., Brugmau zs.
f. d. östeiT. gymuas. jahrg-. 1875. s. 763 f.), so muss icli da-
gegen bemerken, dass mir eine modificierung meiner ansieht
deswegen durchaus nicht notwendig erscheint. Dass das
wurzeldeterminativ s ursprünglich ebenfalls ein suffix, etwa
-sa-, gewesen sei, kann recht wol sein und es erscheint das
sogar auch mir wahrscheinlich. Trotzdem würde es falsch
sein, nämlich auf eine chronologische Verwirrung hinauskommen,
wollte man sagen, das suffix -sla- bestehe aus den beiden
Suffixen -sa- und -la-. Nicht als eigenes suffix -sa- ist das s
mit dem suffixe -la- zu der selbständigen doch verhältnismässig
sehr jungen suffixform -sla- zusammengeflossen, sondern einzig
deshalb, weil durch falsche analogie ein stück, das wurzel-
erweiternde s aus dem fleische des radicalteiles des wortes
mit losgetrennt wurde. Die liebhaber der zerschneidung un-
serer breiteren suffixformen in mehrere pronominalstämme (hier
etwa -sa- und -la-) finden also bei unserem suffixe -sla- für
ihre theorie augenscheinlich keinen boden. Von einem suffixe
-san- in skr. täkshan- und griech. 1\q,ov- zu sprechen wird nie-
mand einfallen, und eben so wenig etwa von einem suffixe -si-
in lat. axi-s, abulg. osi, lit. asü-s] sondern das s wird, mag es
in einer weit früheren sprachperiode vielleicht auch selbst ein
suffix gewesen sein, nunmehr doch ganz notwendig nur zu dem
radicalteile der Wörter geschlagen werden können. Gustav
Meyer und Brugman übersahen, als sie mir obiges entgegen-
hielten, dass ein und dasselbe formative dement im laufe der
Zeiten ganz seine fuuctiouelle uatur ändern kann und dann
zuletzt gar nicht mehr den uamen verdient, der ihm ursprüng-
lich zukam. Mag auch im letzten gründe das zweite -a- der
indogermanischen verbalform bhar-a-ti 'er trägt' eben so gut
ein nominalsuffix sein wie das entsprechende -a- von bhar-a-s
'träger': würde es nicht dennoch verfehlt sein zu sagen, in
einer bildung wie griech. qtQ-t-xQo-v habe sich das nominal-
suffix -tra- an das ebenfalls nominale suffix -a- angehängt?
Ich beharre demnach bei meiner auffassung von dem a- als
'wurzeldeterminativ '.
Nachdem nun auf die von uns forsch. I, 207 fl'. näher be-
schriebene weise das -sla- ein selbständiges suffix geworden war,
fügte es sich als nominalstammbildend dann auch an andere
23*
346 OSTHOFF
wiirzelu oder stamme primärer verba an, denen von hause aus
kein wurzeldeterniinativ s zukam: lat. vcla-m aus ''"veh-slu-tn (so
fasst jetzt auch Joh. Schmidt vocal. II, 409 diese bildung- auf),
\\i. pa-ve'ik-sla-s, ^oi.preih-sl , svum-sl, altu. yi.r/ ^ ahd. weh-sal
vom stamme des starken verl)s altn. vik-ja (prüsensbiklung- wie
g'ot. hid-ja: perf. altn. veik), ahd. mc7<-aw Sv eichen', &\i'&.knd-sl
= ahd. knno-sal. Auf dieser stufe blieb aber das germanische nicht
stehen, sondern verwendete das einmal gewonnene suffix -sla-
alsbald auch zu ableitungen primärer nomina von den stam-
men schwacher verba, und so entstand im deutschen der
suffixale ausgang -isla-.
Um betreffs des lateinischen eine ähnliche Vermutung zu
wagen, die Vermutung nämlicb, dass auch hier nach einem
verbalthematischen vocal die suffixform -sla- gebraucht worden
sei, so möchte ich glauben, dass auch solche nomina wie lat.
luela 'bilssung', querela, loquela, fugela, sequela (Leo Meyer
vergl. gramm. II, 203) das suffix -sla enthalten. In der be-
deutung als nomina actionis würden sie schön zu den germa-
nischen Wörtern auf -sla- sich fügen. Querela, luela wären
dann aus * quere- sla, ''''lue -sla entstanden und enthielten den
verbalthematischen vocal c\ die mittelstufe von der ursprüng-
lichen form sl zu einfachem / mit vorhergehender ersatzdehnung
würde in der assimilation, welche die Schreibung querella, luella
(Lucret. III, 1013), loquella, medella zeigt, "'.orliegen. Bei den
ableitungen von verbalstämmen der <~ - conj ugation, bei Wörtern
wie candela, n'itela, medela, suadela konnte das schwindende s
natürlich keine weitere umgestaltende Wirkung auf den vorher-
gehenden ohnehin schon langen vocal ausüben. Aber die
Schreibungen mit II, die sich auch bei diesen Wörtern, bei
medella, ntiella finden und von Lachmann zu Lucret. p. 203 f.
überall für die besseren erklärt werden, beweisen dafür, dass
man auch bei diesen bildungen aus verbalstämmen der zwei-
ten conjugation nicht schlechtweg mit der annähme eines ein-
fachen Suffixes -la auskommt. Die feminine gestaltung des
Suffixes, die form -slä in lat. quere-lla, findet ihre analogien an
den vorhin (s. 341) genannten altnordischen schwachen femi-
ninen und zeigt sich vereinzelt auch im hochdeutschen, z. b.
in dem starker feminiudeclination angehörenden ahd. rüm'i-sala
Jactantia' bei Graft' IV, 1140 neben dem mehrfach erw^ähnten
SUFFIXFORM -SLA-. 347
iieiitriim Itruoml-sal und ferner in mlid. riuwe-sal, ebenftxlls st.
f. 'reue, bekümmernis ' ; vg-1. das mlid. wörterb. II, 1, 751, wo
das gesclilecht dieses riuwe-sal auifalleud genannt Avird. Joli.
Sclimidt Tocal. II, 360 anm. erklärt lat. querella, quercla aus
''^- quere- tla] aber dem widerspricht, dass sonst im lateinischen
die lautgruppe tl erweislich nur entweder zu tul oder zu cl,
cul wird.
Ueber das s der suffixform -slra- (got. huü-str) habe ich
jüngst an einem andern orte, in der ' Zeitschrift für vergleich.
Sprachforschung' XXIII, s. 313 if., meine ansieht ausführlicher
kund gegeben. Hinsichtlich des resultats meiner dort geführten
Untersuchung über dieses -stra- sei hier die recapituliereude
andeutung gestattet, dass auch bei ihm die angebliche her-
kunft des s von -aA-stämmen so unwahrscheinlich wie nur mög-
lich ist, und dass ich dagegen eine weit probabelere erklärung
desselben s gegeben zu haben zuversichtlich überzeugt bin.
LEIPZIG, im jannar 1876. H. OSTHOFF.
UEBER DEN HYMNUS CAEDMONS.
Jbiitkleidct man die bekannte crzählimg-, welche Beda in
seiner kirclieugcscliiclite IV, 24 über Caedmon und dessen
dichtuugeu berichtet, ihrer legendenhaften umhüllnng, so bleibt
als kern, dass vor Bedas zeit ein dichter in Nordhumbrien
lebte, welcher stoffe aus der bibel und aus sonstigen frommen
Schriften in seiner muttersprache besang. Da Beda selbst ein
Nordhumbrier war, zu Wearmouth lebte, also nicht weit vom
kloster Streaneshalh (Whitby), wo Caedmon gedichtet haben
soll, auch nur ein menschenalter später i), so ist kein grund
vorhanden zu glauben, Beda habe sich von den mönchen eine
aus der luft gegriffene geschichte aufbinden lassen, erfunden,
um dem kloster Streaneshalh grössern glänz zu verleihen'-),
sondern wir dürfen annehmen, dass Caedmon wirklich lebte
und dichtete.-^) Besonders spricht noch für letztere annähme,
dass Beda, selbst so vertraut mit der vaterländischen literatur.
') Beda wurde 672 oder 673 geboren, Caedmon soll iim CSO gc-
orben sein.
-) Diese ansieht wird angedeutet von Isaac Disraeli in seinen Amen-
ities of Litcrature, im aufsatze 'Caedmon andMilton' p. 38. Ich citiere
nach der New Edition ed. by his son. London, F. Warne and Co.
^) Die ansieht, wie der name Caedmon entstanden sei, die Disraeli
p. 40 anführt: es wäre dem dichter der Genesis dieser name von Beda,
der hebräisch, wol auch chaldäisch verstanden habe, gegeben worden,
weil 'the initial word of Genesis in Chaldee and printed in Hebraic
characters exhibits the presumed name ofthe Saxon monk (d.h. b'Cadmon),
ist, wenn sie auch Morley, first Sketch of English Literature (p. IS) an-
nimmt, zu scharfsinnig, um glaublich zu sein. Ueber die bedeutung des
namens = nauta, pirata vgl. Grimms gramm. II, 507 und Bouterwek, de
Cedmone poeta Anglo-Saxonum vetustissimo. Elberfeld 1845.
HYMNUS CAEDMONS. 349
vom Caedmon urteilt a. a. o. : Et quidem et alii post illuni
(sc. Caedmoucm) in geilte Aiigloruin icligiosa poeniata facerc
teiitabant, sed niülus eum aequiparare potuit.
Er führt dann auch noch die eingangsverse der Caedniou-
schen diclitung von der Genesis an.i) Alles dies spricht da-
für, dass Beda genau von Caedmon wüste und mit dessen
dichtungen vertraut war. Weiter wird ])ericlitet von diesem
dichter:
Canebat autem de creatione mundi et origine huniani ge-
ncris et tota Genesis liistoria, de egressu Israel ex Aegypto et
iugressu in terram repromissionis. De aliis plurimis Sacrae
Seripturae historiis, de incarnatione dominica ac passioue et
resurrectione et ascensione in coelum, de adventu Spiritus
sancti et apostolorum doctrina. Item de terrore futuri judicii
et horrore poenae gehennalis ac dulcedine regni coelestis multa
carmina faciebat; sed et alia perplura de beneficiis et judiciis
divinis, in quibus cunctos homines ab amore scelerum abstra-
lierc, ad dilectiouem vero et solertiam bonae actionis excitare
curabat.
Es wäre sonderbar, wenn bei der grossen liebe, welche
die Ags. für ihre dichtungen hegten, die werke eines so frucht-
baren dichters gänzlich verloren gegangen wären. Nichts war
daher natürlicher, als dass man nach den werken dieses alt-
vaters der christlich -angelsächsischen dichtung suchte, vom
augenblicke an, wo das Interesse für das ags. wider in Eng-
land auflebte. Als dann erzbisch of Usher dem Franciscus
Junius eine ags. hs. schenkte, worin eine dichtung über Genesis
und Exodus und ähnliche gegenstände sich fand, trug letzterer
kein bedenken, dieselbe als: Ccedmonis paraphrasis poetica Ge-
nesios ac praecipuarum sacrae pafjinae historiarum 1655 lieraus-
zuge1)en.
Viel ist seitdem hin und her gestritten worden, ob wir in
der erhaltenen Genesis wirklich die des von Beda crwälmtcn
Caedmon vor uns haben oder nicht. Hickcs verwirft die au-
') Die angeführten vcrse sind, nach Beda, der anfang der Genesis.
Dies geht hervor aus den werten : At ille (angelus): Cauta, inquit, piin-
cipium creaturarum. Quo accepto statim ipse coepit cantare in iaudeiu
dei conditoris versus (luos nimquam audierat, quorum istc est sensus:
Nunc laudare debemus etc.
350 WULCKER
sieht des Junius.^) Genauer spricht er sich dann über diesen
puukt in einem bricfe au seinen freund, biscliof Nicolson -) aus :
As for Junius 's Caedmon, I cannot yet believe it to be of
the truc Caedmon's composure. First, because the fragment in
Bede, which was the beginning of the true Caedmon, is not
the same in words, or order of words, with that of Junius 's
Caedmon; but, being the same in seuse, it seems to shovv that
the author of Junius 's Caedmon wrote in imitation of the true
Caedmon, and was not the true Caedmon himself, no more
than the author of the Additament at the end of the book;
though it must be confessed that the Additament hath a more
recent air, at first sight, than the paraphrase of Genesis, which
makes the first part of the book. Ausserdem findet Hickes in
der erhaltenen Genesis so viele Dano-Saxonic words and phrases,
die auf spätere zeit der entstehung hinwiesen.
Conybeare wendet sich besonders gegen letztern vorwürfe),
auch Thorpe-i) führt mit recht aus, dass sich in diesem werke
nicht mehr dänische Wörter fänden, als in der spräche Aelfreds.
Die andere behauptung von Hickes ist aber ebenfalls
grundlos. Beda sagt in der stelle, wo er den anfang von
Caedmons paraphrase anführt:
Quo accepto responso statim ipse (Caedmon) coepit can-
tare in laudem Dei conditoris versus, quos nunquam audierat,
quorum iste est sensus: Nunc laudare etc. — Ferner:
Hie est sensus, non autem ordo ipse verborum, quae dor-
miens ille canebat. Neque enim possunt carmina, quam vis
optime composita, ex alia in aliam linguam ad verbum, sine
detrimento sui decoris ac dignitatis, transferri.
Schon Ettmüller machte in dem werke, welches mit das
1) Hickesü, Thesaurus Linguarum Septentrionalium. Oxford 1705.
I, p. 133.
-) Die briefe des bischofs Nicolsou wurden herausgegeben von
J. Nichols, wo dieses schreiben I, p. 119 steht. Vgl. Thorpe IX anm.
3) Conybeare, lUustrations of Anglo-Saxon Poetry. London 1S26,
p. 184 ff.
*) Caedmon's Metrical Paraphrase of Parts of the Holy Scriptures,
in Anglo-Saxon, with an English Translation etc. by Benj. Thorpe.
London, published by the Society of Antiquaries of London 1832,
p. IX u. X.
HYMNUS CAEDMONS. 351
Studium des agu iu Deutschland bcgTüudeu half i), aufmerksam,
dass Beda also nur den sinn, nicht die Avorte des einganges
geben will.
In Aelfreds Übersetzung aber finden sich ags. verse, die
etwas vom Latein abweichen. Sollten dies die ächten sein?
Zum vergleiche folgen beide texte-):
1. Nunc laudare debemus Nu we sceolan herijean
iuictorem regni coelestis, heofonrices weard
potentiam creatoris metodcs mihte
et cousilium illiiis, aud his modjelnxnc
5. facta patris gloriae ; wera wuldorfa^der (wiildor ^odes).^)
quo modo ille, swa he wundra gehwaes
cum sit aeternus deus, ece drillten
omnium miraculorum auctor ex- ord onsteald.
qui primo filiis homimim [titit, he agrest scop eorÖan bearnum
10. coelum pro cuhuine tecti, heotbn to hvofe haiig scijppciid
dehinc terram fia middaujeard
custos humani generis moncynnes weard
omnipotens ece (b'ihtne sefter teode
creavit. ß-um foldau frea a^lmihtij.
Die abweichungen des ags. textes vom Latein sind sehr
unbedeutend. Drei halbzeilen, die cursiv gedruckten, wurden
offenbar des Stabes wegen zugefügt und frea ailmihti^ = omni-
potens versetzt.
Hätten wir also iu den Aelfredschen Worten den ursprüng-
lichen text, so wäre Bedas bemerkung und entschuldigung
wegen der freien Übersetzung diü-chaus unberechtigt.
Man könnte noch zwei dinge dafür anführen, dass wir bei
Aelfred den ächten text hätten. Beda sagt: Hie est sensus,
non autem ordo ipse verborum, und Aelfred führt seine verse
ein : pa on^an he sona sin^an in herenesse godes and scyppen-
des J?a fers and Öa word 8e he nsefre ne ^ehyrde, |?ara ende-
') Engla and Seaxna Scöpas and Böceras , Anglo-Saxouum poetae
atque scriptores prosaici, quorum opera . . . edidit Lud. EttmüUerus.
Quedlinburg u. Leipzig 1850. Band 2S der bibliothek der gesammten
deutschen nationalliteratur p. XV u. XVI.
-) Beide texte sind gegeben nach Historiae ecclesiasticae Gentis
Anglorum libri V a venerabili Beda presbytero scripti; ab augustissimo
veterura Anglo-Saxonum rege, Alfredo examiuati, ejusque paraphrasi
Saxonica eleganter explicati etc. editi opera et studio Abrahami Wheloci.
Cantabrigiae 1G44, p. 328.
3) wuldor jedes liest die Corpus Christi College-hs. zu Cambridge.
352 WULCKER
bynlncssc pis is. — Eadcbvrdncssc bedeutet ja: Ordnung,
reilieiilblye. Man könnte daher l)ehaupten wollen, Aelfred hätte
das 'cudebyrdncsse' dem Miic est sensus, non autem ordo'
i^'egeniiberstellend ausdrücken wollen, er habe die verse in
Ordnung gebracht, somit den waliren text Caedmons gegeben.
Allein, wie schon gesagt, sind die ander ungcn Aelfrcds so gut
wie keine. Endebyrdnesse bat daher hier keinen andern
sinn, als; sie lauten wie folgt, sie heissen folgendermasseu.
Ein anderer einwand wäre etwa noch der, dass jemand be-
haupten könne: Beda sagt, er habe den sinn, aber nicht ordo
verborum gegeben. Die ordo beziehe sich aber gerade darauf,
dass im ags. des Stabreimes wegen die folge der Wörter eine
andere war, die im Latein nachzuahmen unmöglich gewesen
wäre. Allein was hätte denn Beda gehindert, statt seiner
Wortstellung, anzuordnen : Nunc debemus laudare coelestis regni
auctorem, creatoris poteutiam, et illius consilium, facta patris
gloriae (werc Avuldorfieder ist wol das ursprüngliche, wera
aber leicht erklärlich). — Weit entfernt, dass dadurch die
Wortstellung unlatoinisch geworden wäre, hätten die worte so-
gar mehr nachdruck. Und warum hätte er die fehlenden halb-
zeilen nicht in den lateinischen text aufnehmen können?
Hierauf also bezieht sich Bedas bemerkung non autem ordo ge-
wis nicht!
Bouterwek ^) wundert sich dann noch, dass Aelfred die
worte: 'Hie est sensus — sine detrimento sui decoris ac digni-
tatis transfcrri' (vgl. oben) hin weggelassen, und dies könnte
vielleicht jemand darauf deuten, dass Aelfred die ächten verse
eingefügt hätte. Allein, wenn i\.elfred aucli nur die lateinischen
worte ins ags. zurück übertrug, so hatte die angeführte bemer-
kung keinen sinn und wäre sogar den lesern ganz unverständ-
lich geworden. Die verse Caedmons, die Aelfred gibt, sind
also nur eine rückübersetzung des lateinischen bei Beda und
enthalten den sinn, nicht die worte des ächten Caedmon.
Was also ThorjDe^) vermutete, indem er sagt: 4he lines in
') Vgl. Bouterwek , Ucber Caedmon , den ältesten ags. dichter und
desselben metrische puraphrase der heiligen schrift. Programm des gym
nasiums zu Elberfeld 1845, p. 6, anm. 4.
2) a. a. 0. p. XL (Diese seite ist fälschlich bei Thorpe als IX be-
HYMNUS CAEDMONS. 353
questiou appear in Bedas origiualtext only in a Latin trans-
lation, whicli Aelfred in Ins versiou, iustead of giving tlie ori-
ginal fSaxon as writteu by Caedmou, seems to liave retraus-
lated' ergibt sich zweifellos als richtig.
Dieses endergebnis wird aber von noch grösserer
Wichtigkeit.
Bedas Caedmon war ein Nordhumbrier. Die verse bei
Aelfred sind aber in Avcstsächsischem dialecte. Also man niilste,
'wenn man auch die ächten verse Caedmous darin sehen Avollte,
jedenfalls zugestehen, dass Aelfred dieselben nicht im ursprüng-
lichen dialecte gebe. Doch es fanden sich in einem codex des
Lateinischen Beda, der nach Wanley II, 287, aus dem jähre
737 stammt, die Caedmonschen verse in nordhumbrischem dia-
lecte 1) und diese gelten verschiedenen gelehrten für die ächten,
manchen für die einzig ächten verse Caedmons.-) Zunächst
mag das alter des codex manchen bestochen haben. Aber, wie
Conybeare versichert 3), ist der lateinische Beda allerdings aus
dem 8. jahrh. Dagegen: Wanley himsclf however has some
doubt whether the handwriting of this addition (for such it is)
be coeval with that of the entire MS. There a})pcars to me
streng ground for thinking it the work of the 11 th or 12 th
Century, and of an inexperienced scribe.
Zunächst mögen beide texte, der nordhumbrische und der
ags., folgen-*):
zeichnet.) Pauli in : König Aelfred und seine Stellung in der gescliichte
Englands, Berlin 1851, scheint auch p. 233 dieser ansieht zu sein.
') Wanley sagt in bezug auf unser gedieht : Ad calcem hujus codi-
cia legitur (si non eadem saltem manu aeque antiqua) cauticum illud
öaxonicum Caedmonis monachi a Baeda in suae historiae ecclesiasticae
libro IV, 24 memoratum. — Ego autem iterum publicandum censeo
tanquam unmium quae in nostra lingua etiamnum extent uionumentoruni
pene vetustissimuiu.
2) Vgl. Wanley, vorige anin. Bouterwek, Caedmons des Angel-
sachsen biblische dichtungen, I. teil. Gütersloh IS54, p. CCXXVII und
CCXXVIII.
^) Conybeare a. a. o. p. 6, anm. 2.
*) Beide texte sind nach Zupitza (Altenglisches Übungsbuch zum
gebrauche bei universitätsvorlesungcn, mit wörter!)uch, Wien ISTl) ge-
geben, p. 1 u. 11, da die dort gedruckten texte auf den sorgfältigen
collationen Schippers beruhen.
354 WÜLCKER
Nu scylun licrstiu liofa-uricccs luird, Nu \vc sceulan berigcau heotbn-
rices wcard,
uictu(l;os iiia'cfi ciid his luod^^idanc, mctodcs militc and bis luodjef'anc,
ucrc uuldurtadur, sue lic uundra wcra \vuldorf;vder, swa he wundra
5iliu;us, gehwses,
eci dryctiu, or astelida', ecc drihton, ord oustealde.
be cerist scop a^lda barnum be aerest geseop eoröan bearnum
hebcu til hrofc, halej scepeu: beofon to hrofe, balij scyppend :
tba uiiddunjeard moncyiiuais uard, |'a ruiddanjeard moncynnes weard,
eci dryctiu, a^fter tiadaj ecc drihten, a^ftcl• teode
firura tbldu, frca alhnectij. firum foldan, frea aibuihtij.
Auf den ersten blick ergibt sich, dass das eine nur eine
iibertiag'ung- des andern in andern dialekt ist. Beides aber
sind, nach dem oben gesagten, nur Übersetzungen der lateini-
schen Worte Bedas und da diese nicht die genaue widergabe
des Caedmonschen anfangs sind, so haben die nordhumbrischen
yerse eben so wenig recht darauf, eine ächte hymne Caedmous
genannt zu Averden, als die Aelfreds, Damit fällt Ettmiillers
bemerkung ') : Codex denique Elyensis, quem Wanlejus anno
p. Chr. 737 scriptum affirmavit, hocce Caedmouis Carmen dia-
lecto Anglica exhibet, disertisque verbis addit: Primo cantavit
Caedmon istud carmen. Quae cum ita sint, quin ipsum Caed-
monis carmen in somno factum ad nos usque pervenerit , equidem
non duhito. Auch Bouterweks ansieht-): die origvnaliiät des-
selben (des nordhumbrisclien hymnus) kann kaum bestritten wer-
den, dazu ist die spräche, wenn auch nicht rein, doch leidlich
nordhumbrisch. — Ferner: kei7i gedieht in germanischer zunge ist
so alt, wie Caedmons hymnus, erweist sich als falsch. Unhalt-
bar wird ferner das von H. Sweet gesagte 3) : The first lines of
Caedmon are preserved at the end of a Ms. of Bede's Ecclesiasti-
cal History of the early pari of the eighth Century. They agree
very closely with Bede's translation of them in the history, and
as they are in the old Northumbrian dialect we may conclude
that in them we have the exact words of the poet. Es stellt
») a. a. 0. p. XVI.
2) an den s. 353, anm. 2 angeführten stellen.
3) In: History of Poetry from the twelfth to the Close of the six-
teenth Century, by Th. Warton. Edited by W. Carew Hazlitt. London
1871. Vol. II, p. 15, wo Sweet eine Sketch ofthe History of Anglo-Saxon
Poetry gibt.
HYMNUS CAEDMONS. 355
sich damit aber auch heraus , dass Zupitza i) durchaus nicht
berechtigt ist, in seinem übung-sbuche die uordhumbrischen
Zeilen als Caedmons hymnus und als ältestes der in seiner
Sammlung enthaltenen denkmäler aufzustellen.
Obgleich also nach Conybeare die uordhumbrischen verse
jünger, bedeutend jünger als der lateinische text sind, in wel-
chem sie sich finden, so könnte man doch etwa annehmen, sie
seien älter als Aelfreds Übersetzung.
Doch schwer glaublich ist es, dass Aelfred diese Übertra-
gung eines unbekannten benutzt habe; und dies müste jeden-
falls geschehen sein, wenn der andere nicht Aelfreds worte vor
sich hatte ! Ettmüller 2) macht noch einen beachtenswerten ein-
wand: er hält die wortformen für zu alt, als dass sie (nach
Conybeare) in das 11. oder 12. jahrh. gehörten. Gerne gebe
ich zu, dass diese zeit vielleicht wider etwas zu jung für un-
sere verse ist, allein etwa 10. oder anfang des 11. Jahrhunderts
anzunehmen, daran hindert uns nichts.
Die uordhumbrischen glossen im sogenannten Durham
books), wahrscheinlich aus dem 10. Jahrhundert, weisen, wie
der Nordh. hymnus, auf: als unbetonten vocal i und »3 = ags.
e, ferner io neben eo. Von cousonantischen abweichungen fin-
den wir A = ])] u, uu = w, wu; b neben f im inlaute.
Dem entsprechend steht im hymnus: ec/, dryctm, ser/st etc.;
metudöps, hefseuricöss, moncynn«?s etc.; tiaäsa-, ferner: modgi-
<?anc; unvd, werc, ?«mdra und z«ddur; he&en neben he/anrica)s;
alles also eigentümlichkeiten, welche den hymnus nicht vom
nordh. nach Aelfreds zeit unterscheiden.
Nur eines könnte älter erscheinen. Im Durham book
findet sich der Infinitiv mit abgeworfenem n, während wir im
hymnus 'hergaw' lesen. Abgesehen, dass dies möglicherweise
durch den Schreiber gekommen, welcher den ags. hymnus vor
sich hatte, so treten uns z. b. im uordhumbrischen priester-
gesetze bei Schmid^) § 47 Infinitive, wie wuröian, lufiau, heal-
') a. a. o. p. 1.
2) a. a. o. p. 25 .inmcrkung.
^) Die vier evangelien in alt-nordhurabrischer spräche. Herausgeg.
von K. W. Bouferwek. Gütersloh 1S57.
'0 Die gcsetze der Angelsachsen. In der Ursprache mit Übersetzung
356 WÜLCKER
dau, awurpau entgegen. Dieses gesetz, welches eine reihe
uordhumbrischer cigentiiuilichkciten aiifAveist (vor allem hat es
kurzes a vor m und n rein bev/ahrt), steht iu einem codex,
welcher nach Wanley der zeit Willielms des eroberers auge-
hört. Mag vielleicht auch die hs. des priestergesetzes etwas
älter sein, so dürfen wir sie doch kaum über den aufang des
11. Jahrhunderts zurück datieren. Das abwerfen des infinitiv-n
in nordhumbrischen denkmäleru erstreckte sich also wol nur
auf einzelne teile Nordhumbriens, das beibehalten desselben
dagegen spricht nicht für ältere abfassungszeit. Ganz entschie-
den aber scheint mir der gebrauch des th im hymnus, statt \
oder 8 (z. 7 tha) auf eine verhältnismässig junge zeit zu
deuten. Vor dem 12. Jahrhundert lässt sich die Schreibung th
wol kaum belegen, i) — Sprachlich steht also gewis nichts im
wege, anzunehmen, dass die nordhumbrischen verse später ent-
standen, als Aelfreds Übersetzung der lateinischen worte Bedas
also keinenfalls die ächten worte des Bedaschen hymnus etit-
halten.
Es bliebe nun noch die frage übrig: dürfen wir in der in
westsächsischem dialecte auf uns gekommenen Genesis und
Exodus eine Übertragung des ächten Caedmon, wenn auch
stellenweise sehr verändert, interpoliert etc. sehen?
Da ich diesen gegenständ demnächst noch einmal aus-
führlicher zu behandeln gedenke, genüge für dieses mal nur
die bemerkung, dass mir die behauptung noch nicht erwiesen
zu sein scheint, der westsächsischen Genesis läge nicht die
dichtung des Bedaschen Caedmon zu gründe, dass ich mithin
die frage noch als eine offene betrachte und daher kann ich
durchaus nicht mit meinem freunde Sievers übereinstimmen,
und erlJiuterungen, herausgeg. von dr. Reinhold Schmid. 1 . ansg. Leipzig
18:52, p. 192 und LXXXIV, no. 9.
') Meines wissens findet sich th statt j^ oder Ö zuerst in der hs. der
Soliloquien- Übersetzung, welche Aeltred zugeschrieben wird. Obgleich
dieselbe jetzt in einem bände mit Beowulf (Cott. Ms. Vitellius A, XV)
zusammen gebunden, ist sie kaum vor anfang des 12. Jahrhunderts
zu setzen.
HYMNUS CAEDMONS. 357
weicher von der westsäclisiscbeu Genesis spricht als von ciuer
früher dem Caedmon zugeschriebenen, uiithiu die frage als voll-
kommeu erledig-t ansieht. 1)
') E. Sievers, Der Heliand und die angelsächsische Genesis. Halle
a. d. S. 1ST5, p. 6 oben.
LEIPZIG. RICHARD WÜLCKER.
GEISTLICHE STUCKE AUS DER BERNER
GREGORIUSHANDSCHRIFT.
JJie von herrn iDvofessor B. Hidber in Spiez aufgefundene
hs., aus welcher im ersten hefte dieses bandes (s. 90 — 132)
Hartraanns Greg-orius abgedruckt ist, enthält noch auf seite
195 — 222 eine anzahl kleinerer stücke geistlichen Inhalts, die
im folgenden nach der von dem auffinder genommenen ab-
schrift veröffentlicht werden. Es ist dabei die Orthographie
beibehalten und in derselben weise widergegeben wie beim
Gregorius (vgl s. 133), aber Interpunktion eingeführt, Verbesse-
rungen in runden klammern beigefügt, überflüssiges durch
eckige klammern bezeichnet, ergänzungen (durch cursivdruck
kenntlich) hinzugefügt. Wo mir etwas unverständlich war,
ohne dass ich eine befriedigende besserung wüste, habe ich
dies durch ein ? angedeutet.
Die beiden ersten stücke haben gleiche strophenform (die
richtige absetzung der Strophen ist nicht handschriftlich), rühren
also vermutlich von demselben Verfasser her. Die reime zeigen,
dass sie nicht viel älter sind als die hs. Sie bieten sprachlich
wie sachlich manches interessante. In dem Marienliede finden
sich neben den gewöhnlichen vergleichen auch verschiedene,
die sonst, so viel ich sehe, nicht nachzuweisen sind; vgl. be-
sonders 33. 55 — 58. 73. 85. — Die Marienklage ist eine späte
compilation, in der wenig selbständiges ist, das meiste aus
altern klagen entlehnt. Am nächsten schliesst sie sich au den
von Mone (Schauspiele des mittelalters I, 210 ff") herausgege-
benen Spiegel an. Die unter dem text gegebeneu vergleichungen
sind mir von herrn Gustav Milchsack in Leipzig zugestellt,
der mit eingehenden Studien über die passionsspiele beschäf-
tigt ist.
FREIBURG i. Br. H. PAUL-
GEISTLICHE STÜECKE. 3r)9
1. Lied von der messe.
195] Got in driualtikait ainvalt,
Aue zwifel weder jung noch alt,
Ain ding, ain wesen, dry gestalt,
Der alle ding schuf mit gewalt,
Der hat v'ns cristau vss gezalt 5
Daz er v'ns ewenklich behalt
In siner engel chören.
Got hat mit vil fignren schin
Erzögt daz ze lest sol sin
Daz wirdig brot vnd och der win, 10
Gemischelt mit wasser clär vnd vin,
Daz v'ns ab tilgot die ewig piu ;
Wand ez ist aller seiden schrin
Den die darzü gehören.
Melchisadech waz ain anvang 15
Dez höchsten opphers sunder wank:
Do Abraham vier küng bezwang,
196] Do brächt man im zu eren
Gesegnot brot vnd trank.
Dar nach kam Moyses v'ber lang: 20
Do Pharon in dem mer ertrank,
Do wolt got wunder meren.
Daz brot von himel her ab swang:
Die jütschait sait jm klainen dank.
Do Dauit wart von hunger krank, 25
Vnd {lies er) sich dez brotz wolt neren.
Do nu die sälig zit kam
Daz er lösen wolt Adam,
Do wuchs ain seldenricher stamm,
Maria, die macht got so zam 30
Daz er an sich die menschhait uam
Vnd für v'ns starb alz ain lamp
Vmb v'nser huld ze erwerben.
Do er vff erd bi siner schar
Sich verwandlen wolt so gar 35
In brot in win, die selig nar,
197 J Er bot sich selb in allen dar:
Er sprach nu nempt mins lidens war:
Wie dik v'ch daz wider var,
So gedenkent an min sterben. 40
Sin gnäd sich do zu v'ns verbaut:
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. III. 24
800 HIDBER UND PAUL
Er sant v'ns gar ain kostlich pfant,
tjich selber mit siner rechten haiid
v'ns armen hie zu geben,
Duz v'ns die gewishait dez ermant 45
Besitzen sius vatter land.
Wer mit got hie ist recht bekant
Vnd jm kan dienen eben,
Der sech au dem crütz dz vaut {lies phant)
Daz jm die ewig pin verswant. 50
Got wirt all tag her ab gesant
Vmb v'nser ewig leben.
Versuchen smekeu griffen gesiebt
Kan menschlich kraft besinnen nicht:
Der glöb mit hören daz vergicht, 55
Daz mit v. (l. den) worteu da geschieht,
198] Daz got sin flaich in brot verphlicht;
Der win wirt zu plüt gericht
Mit Wandlung der naturen.
Wie klain man tailt dz sacraraent 60
In meuges werden priesters hend,
Noch blibt die gothait vuzertrennt:
Got wirt in ie dem tail genent
Gantz vnd gar vnuerwent.
Wer daz ainvaltenklich bekent, 65
Dem ist ez gut für truren.
Got lät sich niessen böz vnd gut.
Wer sich selb halt in [in] hiit
Und in nüsset mit rainem müt,
Dem kan er fröd beschaiden. 70
Wer aber lebt in Sünden flüt
Vnd an jm selb so v'bel tut
Vnd nüst hie got vnd trinkt sin plut,
Dem müss er iedem (l. ez iemer?) laiden.
Straft jnn nit hie die gottez rüt, 75
So wirt sin sei vnd lip verprüt
Dort ewig in der helle ghit
199] Alz Juden kertzer vnd haiden
Die loblich spis ist berait
Ze trost der ainen cristanhait. 80
Si ist der eilenden gelabt,
Der Sünden schain (/. schäm) si zierlich klait,
***********
Der sele ain gewiss gast gemait (?),
Die ir die sach kan slichten. 85
GEISTLICHE RTUECKE. 361
Die eiigel von dez priesters munt
Gott vatter tiind daz oppfer kunt.
Ez wart och gesant hin ab ze grünt
Den die umb ir süud sint enzunt:
Die trösst ez zu aller stund. 90
Ez ist in och hie vff er (/. erde) gesunt
Vnd kan in die pin vernichten.
Die hailig mess daz vrtail git:
Der mensch wirt tailhaft nach vnd wit
Der selikait die dar au lit 95
Mit allen rainen hertzen.
So der tot dz lebeu hie ab schnit
Sin güthait denn zu got vflf schrit
200] Daz er helf an der lesten zit
Zu himelschen schertzen.^) 100
Mensch bitt got daz er dich beker
Daz er dich sinen willen 1er.
Bedenk sin bitter marter ser,
Crütz nagel vnd daz sper,
********** lOb
Daz plüt vnd wasser floss daher
Da mit er dich erarnot.
Wand weltlich fröd ist laider sur,
Der sei ain schedlich nachgebur ■^) :
Ir süssikait siecht alz der schür. liO
Dar vmb vmb gottez willen trur
Daz dich ir valsthhait nit beschur.
Got zaigt dir all tag ir valsch figur
Daz er dich vor ir warnet.
Dar vmb sich diu got vnderwint: 115
Die wil man jnn ob alter vint,
So ist gütig der magt kint
Gen cristanlichem namen.
201] Wie [wol daz] die gesichtlich form da verswint,
Die himelsch liebi dez begint, 120
Da von die sei gnad gewint,
Daz got vnd si sich sament
In lieby die ewenklich brint,
Die niemer hie noch dort zerrint.
Kains meuschen hertze[n] dz bevint. 125
Got helf v'ns schier dar amen.
') Dieser Strophe fehlen vier zeilen , wenn sie nicht abweichend
gebaut ist.
2) Vgl. Parz. 1, 1.
24'
362 ;1IIDBER UND PAUL
2. M .1 r i e 11 1 i c d.
Maria, küsclii müter zart,
Wie, lustlich wz diu raine art
Dem höchsten got, der sich verspart
Zu dir, du wol beschlossiier gart,
Do er menslich beklait wart, 5
Dz nie din mägtlich plüm verschart
Noch gerürt in kainen dingen.
202] Gib raine magt mir kraft vnd macht,
Daz ich zu diser haiigen nacht
Din mägtlich geburt betracht, 10
Wie sich got vatter zu dir flacht,
Daz ich kunstloser dar nach acht
Daz ich mit andächt ruf die wacht:
Darzü gib mir gelingen.
Woluff allez daz ze himel sy 15
Mit aller siissen simphany
Vnd singent got der eren kry.
Dem ainen vnd dem driualten,
Daz v'ns der frid wone by
Dez guten willen wandeis fry. 20
**********
Ir vier vnd zwentzig alten,
Dar zu ich vnuerdieuter scliry,
Ain sündig mensch vff dütrem zwy.
Hilf jungfröwUch magt Mary 25
Daz sin gelük müss walten.
Alz gar (l. got) in siner maiestät
Den sun in jm geborn hat
Dur den er schuf sin haut getät,
203] Do erwalt er dich mit wisem rät, 30
Daz er an sich nam menschlicli wät.
Dar jnn er sich noch sehen lät
In himel vnd vff erden.
Din kusch gebern hat enplekt
Daz wort daz menglich wz verdekt. 35
Der slang der Euen hat gehekt,
Dez hobt ist ain trit gestrekt.
Din trost süsklich den Sünder wekt,
Daz jnn der laidig vind nit strekt.
Noch daz er nit zwislig (/. zwiflig) werden. 40
Durch dich nam end Adams we,
GEISTLICHE STÜECKE. 303
Dur dich lebt in der arch Noe,
Dur dich verhiess g'ot pin (/. iu?) ambre
Diu frucht her Abrahamen,
Durch dich kam Dauit gen Yesse, 45
Durch dich sach Moyses wunders me,
Durch dich gab got die nüwen e,
Do er dich kos zu ammen.
Hilf daz der sünder wider ste;
204] Wenn jnn der süntlich last ange, 50
Euziind jnn {!. im) jn dinem aue,
Dez haiigen gaistez flammen.
Du bist die got erbitt,
Du siechst den vaigen alz Juditk, (/. Judith)
Din schöni Thamar v'ber tritt, 55
Du tust nit alz Ruth in dem schnit,
Dir wonet Susannen vnschuld mit,
Frö Abigay mit wisem sit
Mag dir gar klain 2:elichen.
Waz Wunders ie von got geschieht {l. geschach), 60
Wz Propheten mund ie gesprach,
Dez ist din lip ain ober tach.
Nabuchodonosor daz iach,
Do er den stain ab lössen sach
Den band noch füz nie abgebrach, 65
Do jm trömpt von den vier riehen.
Du bist dez höchsten gottez tron.
Den er jm hatt gebuwen schon.
Dar vmb hatt geticht Salamon
Gesang von dinem gesange. 70
205] Ain rüt wart plüj^en Aaron,
Die vell dar vmb batt Gedeon,
Sig Josue gen gäben (/. Gabeon),
By hoher sunnen pi'angen.
Zwölf stern zierent wol din krön 75
Dich klaidt die sunn dich schlicht der man,
42. Maria wird init der taube verglichen, die dem Noah den öl/.weig
bringt in einem moisteriiode ])ei Fisclier, typogr. Seltenheiten, liefer. 4,
116 (vgl. gold. schm. XLVI, 13). Hier scheint noch eine andere auf-
fassung vorzuliegen. — 54. Vgl. gold. schni. XLVI, IS. — 64. Daniel 2,
'M donec ahscissus est lapis de inonte sine manibus. Vgl. gold. schm.
XXXII, 10. — 67. Vgl. gold. schm. XXXV, 33. — 76. Apoc. 12, 1.
Midie?' amicta sole, et luna suh pedibus ejtis , et in capile ejus Corona
Stellarum duodecim. Sonst wird der mond als schemcl gefasst vgl.
gold. schm. XXXVIII, 24.
3G4 HIDBER UND PAUL
Alz dich such sant Jolians gar frou
Mit tugcnt vmb vangen.
Fröw dich Ezechiolis port,
Daz du vmb vangen liast dz wort 80
Vud verstrikt dez himels ort.
Du hast ainvalklicli betört
Daz tusontvaltig mort.
Du hast dez tüfels fluch zerstört
Alz Dauit mit der slingen; 85
Der jütsch glöb ist gar zertrent.
Palam waz ain haiden genant:
Dir wart der stern schon gesant
Vnd och dry küng von Orient,
Daz Ysaijas och bekent, 90
206) Daz tromeder vnd grosse gent
Jerusalem wurd tringen.
Augustus hiess die weit gemain
Daz ielich mensch solt komen hain:
Do kam die swanger magt rain 95
Mit Joseph zu den stunden
Gen Betlahem daz castel klain.
Din kint ze trost v'ns erschain,
Do got an sich nam flaisch vnd pain,
Alz jnn die hirten funden. 100
Der tut vnd lat dur dich allain
Wez du begerst an allez main.
Dich furcht die nater vnd anders kain,
Die du hast v'ber wunden.
Fröw, aller cristanhait genist, 105
Bitt v'nsern herren Jhesum crist
Daz er v'ns armen stinder frist
Vor allem daz v'ns schedlich ist
Erfüll mit gnäd daz v'ns gebrist,
Sit du dez wol gewaltig bist, 110
So wir die schuld verraiten (?).
207] Siintlich begird an v'ns wend
Daz weltlich lust v'ns den lip nit plend.
S7. 88. Maria wird sonst selbst als stern der drei könige oder stern
Jacobs bezeiclmct, vgl. gold. schm, XLIV, 21. — 90. Isaias 66, 6 Inun-
datio camelorum operiet te, dromcda?ii Madian et Epha : omnes de Saba
venient, axrum et t/ius dcferentes et laudem Domino annunciantes. —
104. Gold. schm. 1300 daz ie der gUic slawje von dir wart überkemffet.
GEISTLICHE STUECKE. 365
Der armen sei din rüder send
Da mit si selenklich zu dir leud. 115
Büt v'us din barmhertzigen hend
Ze trost an v'nserm lesten end,
Die v'ns von hinnan laiten.
Sich v'nss blöden menschhait an,
Daz laider fröw noch man 120
Gar kum an sünd bliben kan,
Die wir teglich triben (/. meren?).
Din grnntloz barmung 7nir wol gan
Mir (/. mer) hails denn ie kaim menschen san.
Glöb nit hän lip den wän (?) 125
Sei vnd die wishait keren (?).
Maria, müter lobesan,
Din gütlicher trost v'ns nie zerran :
Hilf v'ns zu dem der v'ns gewan
Mit sinem plüt verreren. 130
.Amen.
3. Marien klage.
208] Vsserwelti cristanhait,
Nu helfent klagen mit grossem lait
Mariam die vil raineu magt:
Ir laid mit v'ber laid klagt.
'Owe wie sol ez mir ergän' 5
Sprach die jungfrow wol getan,
'Min kint, min herr Jhü crist
Von sinem junger verraten ist.
Judaz Simon schariocht
Hatt jnn geben in den tot. 10
Mit aim kuss daz beschach.
In minem gaist ich dz sach.
Gevangen ist der herr min;
Die Juden fürten jnn da hin
In ains hus, hiess Cayphas, 15
114. Vgl. gold. schm. XLIV, 23 flf. XLV, 11.
1. Alsfeld. Passionssp. 5906 0 ir lieben kinde der cristenheit, Heljfet
klag Ol mer min groisszes herczeleit! Passionsspiel 'oei St. Stephau in
Wien (berichte und mitteilungen des altertmnsvoreins zu Wien bd. X,
8. ,^27 ff., vgl. Sch()nb;ich zs. f. d. pliilol. U, 149): ü liebe kinder der
Chris lejiheit , helfft mir tragen mein gross hertzen leydt. Ebenso
'rricrer Maricnkl. Fundgr. II, 2(;i), 1 und I'ichler, Uelter das drama des
Mittelalters in Tirol s. 120,
30G lUDBEK UND PAUL
Von dem der rat geben waz.
Owe vil lieber lierre min,
Wa sint nu die junger din?
Si band in nöten dicb gehin,
leb sieb dicb bie allain stan. 20
209] Es wer wol der will min
Daz ieb nu by dir möclit sin.
leb klag v'cb allen jnnenklicb
Daz man nit wil lassen mieb
Zu minem kind wunnesam: 25
Nu müss ieb bie allain stän.
Owe, ir jutscbe diet,
Ir sint die dis mort riet
An minem kind Jbü crist.
Der hass nu vss gebrocben ist 30
Der in v'wers hertzen grund
V'ber gen waz meng stund,
Der nu ist worden sicbtenklicb
An minem kind jämerlicb.'
Nu börent fröwen vnd man, 35
Wie die magt lobsam
Klagt ir grosses vngemacb,
Do si jrn sun töten sacb:
'Gabriel engel, nu sieb an,
Wie ieb so iemerlicb stän. 40
210] Du kuntest voll gnad mir:
Min laid duz sie geklagt dir.
Der mieb ze mütter vss erkoss,
27. Spiegel 567 (Mone, Schausp. d. miltelalt. 1, 210 ff. NB. die
Latein, quelle dieses fälschlich sog. spiegeis, der nur eine Marien-
klage, ist die Interrogatio Sancti Aushelmi de passione Doiuini, heraus-
geg. von Oskar Sehade, Halle lS7ü, vorzüglich das in den Giessener
hss. fehlende stück, welches K. Schröder aus einer Leipziger perga-
inenths. aus der mitte des 13. jahrh. in der Germ. 17, 2o3 ti'. mitgefeiit
hat. Die vorliegende stelle heisst hier s. 23J .- 0 Judei miseri, o Judei
inipii, nolite nächi parcei'e ex quo naium mcum unicum cmcißgitis
etc.): Juden volc , ein grimme diet, du bist diu den tot geriet. —
37. Spiegel 841: daz ivas ir ouch gar nngemach, daz si in vor ir
hangen sack. — 39. Aisfeld P. 64Ü4: Ach wo ist nu, liebes kint , das
selige wort. Das ich von dem engel Gabriel hon gehört? 'Ave gracia
pletia! Du bist vol gnaden , Maria!' Aehnücli auch anderswo. — 43.
Picliler s. 31: Z?< einer mutter hat es ?nich er/com, Nu hab ich es leider
verlorn. Alsf. P, 6044: Sint ich den suszcn hon verlorn, der mich zu
GEISTLICHE STÜECKE. 367
Der hanget vor miueu ögeu bloz,
Verwuut vfF sius hertzen grünt. 45
So gross laid wart nie müter kuut.
Wz möclit gross [l. grosser) laid gesin,
Denn daz ich sich den herren min
Gekrönt mit dornen vor mir stau,
Die wunden durch sin höbt gäu? 50
Nu nemment alle selben war,
Wie min kint nu ist gevar,
Der mins hertzen Spiegel waz.
Sin autlit ist von plüt nass,
Verspuwen sint die ögen sin: 55
Dez müz min hertz lideu pin,
Die mir nieman geweudcn mag.
Owe, wie ain jamerlicher tag!
Herr Symeon hat war gesait:
Kain swert nie so wol geschnait, 60
[Kain swert nie so wol geschnaid]
2ilJ Dez schulden mocht glichen sicli:
Wan dis wunden schuideut mich.
Owe kint der heude diu,
Wie lidcut die so gross pin!
Die meng zaichen haud getan, 65
Den {l. die) sieht man hie genagelt stau.
Owe der wundeu iemerlich
Die ich nu sich gäu dur dich.
Da von din sit ist vff getan!
Dez schry ich in dez himels tron. 70
Owe der füssen diu !
Die lident pin v'ber piu,
Da mit du min huilant
Hast dik gewallet durch die laut.
einer mnlter hat erkorn. Miincli. Marieukl. (Altd. bl. II, M'-'i tf.) 95. zc
rnueler hat er ?nich erkom. Aelmlich auderwärts ; vgl. schon das lobiied
auf Maria Diemer s. 2yü, S: zeiner muter er dich nani uzzcr alloi wiben.
— 43 — 57. Hier scheint der Spiegel zu gründe zu liegen, vgl. z. b. 127:
si rihten iif ein kriuze f/roz, dar an Mengen si min kint bloz, daz saeh
ick i/iil den, ougen min etc. Zu 59 vgl. man aus einer uugedruckicu lis.
des Spiegels: da mir das mere wart yeseit, ein swert (jar min hertz
durchschneit -^ vgl. Schönbach, Marieuklageu s. 3 (VI). — 5S. Trierer
Marieukl. Fuudgr. II, 2(il, ;!2: Owe otv^ owd ! jcemerlicher tac. —
03 ff. Spiegel 431 ff.: An. des kriuzes ende waren sin zarten hende
f/espamten mit den nageln groz, daz reine blfit im dar nz vioz,
und die süezen vüeze sin Uten we nnde pin, mit den tiefe)/ 7vunden
3liS HIDBEK UND PAUL
Daz du machtest offenlich 75
Den weg zu dem liimelrieli,
Daz dl dnrcli gut hast getau;
Dez sieht man dich genagelt stän.
Waz sol ich arme clagen me,
Denn we vnd we vnd v'ber (/. aber) we. 80
Ich sich an dem kinde min,
212] Ob iclit gantzes müg sin:
Von siner scliaitel oben an
Sich ich jnn verwundet stau
Bis vff die solen der füz sin ; 85
Dez ist mins hertzen grosser pin.
Wer nu rechte trüw hab
Vnd erkenn min clag,
Dem wil ich müter tun bekant
Fünf laid die min hertz bestand, 90
Vnd wil v'ch klagen sunderlich
Daz si für andri schnident mich.
Daz erst kunt mir her Symeon :
Ain swert seit durch min hertz gän.
Daz ander wol sin mag, 95
Daz ich bis an den dritten tag
Verlorn hatt den herren min * * *
Vnd verraten von dem junger sin.
Daz vierd mins hertzen not,
Daz ich min kint sach hangen tot 100
An dem crütz da er (/. ich) stiind:
So gross laid wart nie müter kunt.
Daz fünft, do min kint so zart
213] Von dem crütz gelöset wart
Vnd tot gelait in min schoss; 105
Daz machet mir min jamer gross.
Dis lait durch schnit mich
Mit schulden warn si frölich (harte freislich?),
Dez ich vergessen nit kan
An minem kint lobsan. 110
Sin tot müss mir iemer sin
Gross iamer in dem hertzen min.
Dis ist ain jämerlicher tag,
an daz kriute gebunden. — 79. Spiegel 441: waz sol ich in nu sagcti
me? mir was we und aber- ?ve. — SI. Gundelfmgcrs Grableg. (Mone,
Schausp. d. mittehilt. 2, 1:51 ft'.) 217: nun sich ich an. dir sune min, das
mir naintz bringt dann grovssc pin, war ich dich ker oder wend, so
sich ich grousz laid on end, diu leib ist durchgossen mit blüt u. s. w.
GEISTLICHE STUECKE. 369
Daz ich verswigen niemev mag.
Sin tod vnd daz liden min 115
Müss allen den geklagt sin
Die mir ie sint bi gewesen,
Die minen namen hörent lesen.
Der tot vnd die marter sin
Hant ertöt gross pin 120
Vnd erwert dez tiefeis sclioss,
Zerbrochen gar der helle sloss.
Wa sint frowen vnd man
Die min liden rüffent an,
Den sol kain bett versait sin 125
214] Von mir vnd dem kint min.
Ir end sol werden gut,
Vor laid send si sin behüt,
Dar nach ewig leben
Wirt in ze Ion geben. 130
An jrem end wil ich sin
Vnd si behüten vor aller pin.
Dez bösen gaistz angesicht
Sol jm kain schad wesen nicht.
Ich wil ir gelait wesen; 135
Für min kint so sint si genesen,
Der mir verzihen nit mag
Da tusent jar sint alz ain tag.'
Ich manen dich himelsche küngin
Durch daz gross liden din 140
Vnd durch den vnuerschulten tot
Den v'us din kint ze hilf bot
An dem crütz dar an er starb
Vnd v'ns daz himelrich erwarb
********** -lAK
215] Der din [l. die) war minne ist.
Bittest durch sin wunden rot
Daz er v'ns geb daz himel brot
Vnd daz du himels kaiserin
An dem lesten ende min 150
Mir wellest bi gestän:
lis. Spiegel 73: An dem ju7ig estlichen tage so tvirt vil groz der
Sünder klage : da solt du mag et gnädic tvesen den die dine klage gern
hörent lesen. — 139. Spiegel (hs.): Doch manc ich dich maria gut Durch
das mynneklich Mut Dz din zartes kint vergosz Da sich des hertzen
mynne entslosz Gedenk auch an die quäle din Vnd tu vnsz die
gnade schin etc. — 145 mag etwa gelautet haben: daz du din sun
Jesum Krist,
;{70 mDBKK UND PAUL
So wil ich ullez triiren län.
Der allez leben geben hat,
Vif dem der ercn krön st;it,
Der helf v'us nach disera leben 155
Dort in sinem himel sweben. Amen.
4. Gebet vor der messe.
2 IG] 0 her, ich gun Initt zu dir mit ziter vnd mit vorchteu
zu dim tisch der evvgen gotthait. So fürclit ich daz wort daz der
gilt hailg sant Paulus sprach 'wer dich ön wirdenklich enpfachett,
der enpfachett sim selb den ewgen dott'. Län ich dich denn
farcu, so furcht ich, herr, dz wortt daz du selber sprecht, 'wer
dins flaisch nitennüs vnd dins blütz nit entrunck, der künd vnd
möcht nit komeu zu dir jn dins vatter rieh.' Wan min sieche
vervntry {l. verwuutiu) sei ön dich nit genessen mag, so gun
ich hüt zu dir als aiu schuldiger man für ainen gewaltigen rich-
ter vnd offnen dir min hertz vnd bichten dir min süud vnd clageu
dir all min gebresten vnd bitt dich durch dinen bittern rainen tod
dz du mir daz mal wol beraitest zu dim tisch der ewgen gotthait.
0 ewge gotthnit, grundlosy wishait, wa verbirgt sich min gaist vor
ainem gewaltigen richter? 0 her rüetf mir zu dir zu dinen aller-
liepsten fründen. Amen.
5. Psalm 51.
217] Herrc got, erbarme dich v'bcr mich nach diner grossen
erbermd vnd nach diner erbermde tilge min bosheit. Fiirbasser
wesche mich, herr, von minor bosheit vnd mache mich rein von
minen Sünden. Wand min bossheit erkenn ich, vud min sünd ich
(/. ist) alwegent wider mich. Ich hau dir allein gesundet vnd
v'bel getan vor dir, daz du gerecht werdest in dinen reden vnd
obligest, so du gericht wirdest. Nim war, ich bin emphangen in
boslieiten, vnd min müter hat micli emphangen in Sünden. Nim
war, wann du hast liep gehaben die warheit, die vnsicheren vnd
die heimhchen diner wishcit hastu mir geöffnet. — Du wirst mich
besprengen mit dem ysoppen vnd wirde gereiniget; du wirst mich
weschen vnd wird gewisset v'ber den sehne. Du wirst geben
minor gehörd [218] wunn vnd fröd vnd werdent sich fröwen die
demütigen bein. Kor diu antlit von minen Sünden vnd tilge alle
min bosheit. Got schöpphe in mir ein hortze vud ernüwe einen
rechten geist in miücn adreu. En würf mich nit von dinem ant-
lit vnd dincm heiigen g(U(it nim nit von mir. Gib mir wider die
fröd dinea h(ules vnd vcstige mich mit dinem angcngigen geist. Ich
GEISTLICHE STUECKE. 371
wird leren die bösen dinen wege, vnd die vnmilte werdent 7A\ dir
bekert. Got, got minez hailez, löse mich von den Sünden, vnd
min Zungen wirt mir (/. mit) fröden verliünden din gerechtikeit.
Herre tu vif min lefzen, vnd min munt wirt verkünden din lob.
Wan woltest du , so liett ich oppfer gegeben : sicher so wirstu
dich nit fröwen in gebrenten oppfern. Min betrübter geist ist
got ein oppfer. Got, du wirst nit versmahen daz zerknirst [219]
gedemütigot liertzen. Herre tii senfte der sele syon, der ge-
trüwen in dinem guten willen, daz gebuwen werdent muren ze
Jherusalem dez fridens vnd dez got sehenden menschen. Denn
wirstu nemen daz oppfer der gerechtikeit die gäben vnd die ge-
benten (l. gebrenten) oppfer. Denne werdent si legen kelber vff
dinem altär. Lob sie dem vatter vnd dem sun vnd dem heiigen
geist, alz ez waz an dem anevange nu und allwegent in die weit
der weit. Amen.
6. Gebet.
Ewiger vatter, ewiger schöppfer, erlöser, gerechter erbarm-
hertziger herr, ker zu mir armen vnwirdigen Sünder ietzunt
vnd iemer din minnrichen gnäd, mit der du [220] vns ewenklichen
vetterlichen gütlichen versehen hast, vnd rieht mit diner almech-
tigen minnenrichen gnade vnd kraft minen lip vnd sei, min Ver-
nunft vnd sinne mit gantzem willen vnd mit gehorsamer übunge,
dir zu dienen nach dinem aller liebsten willen. 0 almechtiger
ewiger got vnd herre, erhör mich armen Sünder, veruim min ge-
bett so gnedenklichen, daz dir warer got loblich sy vnd mir vn-
wirdigen Sünder trostlichen sy vnd behilflich, vnd behüt mich vor
allem dem daz mir schade sy an sei vnd an lip, vnd für alle die
ich bitten sol. Amen.
7. Gebet.
Herre, ich beuil mich hüt vnd iemer in din heiigen [in din
heiligen] evangelische 1er vnd warheit vnd bitten dich, herre, daz
du mich [221] der emphenglichen machest vnd nach volgist
(/. volgic) machest vnd mir die selben heiigen warheit mir sie ein
warer noch hüt lassest sin vor allem v'bel vnd ein kraft wider
alle min vigent vnd ein erlösunge von allen minen Sünden.
Amen.
8. Gebet nach der messe.
Ach lieber herre, ich loben dich der grossen gnaden, daz du
mich (/, mir) vnwirdigen menschen vnd sünder hast verlihen ge-
372 HIDBER UND PAUL - GEISTL. STUECKE.
sieht ze scliowondo daz liocliwirdif^e sacrament diner gotlieit vnd
dincz wären fVonlicliamens, vnd danken dir der guten trüwe mit
der du dich alle zit tegliclien von dem höchsten trone diner
ewigen gotheit her ab in dis eilend zu v'ns neigest v'ns eilenden
bilgr ze einem trost, vnd bitt dich, lieber herre Jhesu Christe,
durcli dez fruchtberen oppfers willen, alz du dich dinem [222]
ewigen vatter oppfertest mit demütiger gedult vnd mit versmech-
tem liden vutz in den tot vnd och daz du diner erbermd min vn-
achtber gebett vnd waz ich dir ze lob tun dir ein oppfer lassest
sin, daz diner hochwirdigeu gotheit loblichen sie, vnd mir vnwir
digeu Sünder trostlichen sy vnd allen den, den ich gütez gebun-
den bin. Herre, vnder die vier rter (/. örter) dez heiligen crützes
din selbs froulichamen so beuil ich mich vnd verbirge mich dar
vnder zu einen schirm vor allem v'bel. Amen.
9. Gebet.
Durch dez Zeichens dez heiligen froncrützes so lös v'ns al-
mechtiger got vnd herre von allen v'nseren Sünden und vinden.
Amen.
ZUR NIBELUNGENFRAGE.
Uer ZAveck nachstehender eröiteruiigeu ist eine ein-
gehende priifuug- der hypothese über das handschriftenverhält-
niSj die ursprüngliche gestalt und abfassungszeit des Nibelungen-
liedes und der Klage, welche Bartsch in seinen ' Untersuchungen
über das Nibelungenlied, Wien 1865' aufgestellt hat, und die
seiner ausgäbe von der Nibelunge Not teil I, Leipzig 1870,
teil IT, 1876 und der der Klag-e, Leipzig 1875, zu gründe liegt.
Diese hypothese hat durch vielfache besprechung in Zeitungen
und durcli die aufnähme in die literaturgeschichten von Kober-
stein und Gervinus eine grosse po])ularität erlangt. Weit
weniger allgemeine anerkennung scheint sie bei den eigent-
lichen fachgelehrten gefunden zu haben. Aber eine allseitige
scharfe uiui zugleich vorurteilsfreie kritik von Bartschs argu-
menten hat bis jetzt niemand unternommen. Während H.Fischer
in seiner preisschrift 'Die forsch ungen über das Nibelungenlied',
Leipzig 1874 und Edzardi in seiner ausgäbe der Klage, Han-
nover 1875 sicli fast vollständig von Bartsch abhängig machen
und sich seinen aufstellungen mit verhältnismässig geringen
modificationen auschliessen, verhält man sich von anderer seite
einfach abweisend. Es gilt dies besonders von den anhängern
der handschrift A. So meint Scherer die ausführlichen Unter-
suchungen Bartschs mit ein paar kurzen bemerkungen zu
widerlegen, die er in einer recension von Bartschs ausgäbe
(zeitschr. f. d. öst. gymn. Jahrgang 1870, s. 403) und in seiner
abhandlung über den Kürenberger (zeitschr. f. deutsch, altert.
17, 561) niedergelegt hat, und C. llofniann scheint es in seiner
umfänglichen abhandlung zur textkritik der Nibelungen (Ab-
liandl. d. philos.- philol. classe der bair, akad. 13, 1) gar nicht
Beitrüge zur geschichte der deutschen spräche, UI. 25
374 PAUL
für der mühe wert zu halten, ^ich mit Bartscli auseinander zu
setzen. Weder von der einen noch von der andern seite ist
meiner iihcrzeug-ung- nach Bartschs aufstcllung-en ihr recht zu
teil g'cwordcn. Es kommt darauf an, riicklialtsh)s das richtige
und iordernde in denselben anzucikcnncn und ebenso entschie-
den sich gegen das verfehlte und irreleitende zu waliren.
I. Die luiiidsclirift A.
Ein nicht unwesentlicher teil der Untersuchungen Bartschs
beschäftigt sich mit dem nachweise der unurspriinglichkeit von
A. Seine lesultate in dieser richtung mögen am wenigsten
glänzend erscheinen, weil er hier nur eine bahn weiter ver-
folgt, auf der er schon verschiedene Vorgänger gehabt hat;
aber sie sind um so sicherer und von bleibendem werte. Es
sind neue, schlagende argumente beigebracht und gründlich
erörtert, so dass man meinen möchte, dass damit die frage er-
ledigt sei, wenigstens für einen jeden, der sich nicht auf einen
Standpunkt stellt, mit dem überhaupt nicht zu rechten ist. Ich
halte mich daher für befugt, von dem durch Holtzmann, Zarncke
und Bartsch gewonnenen boden auszugehen, wonach nur zwei
hauptrecensionen des liedes und der Klage zu unterscheiden
sind, C* und B*i), zu welcher letzteren auch die hs. A ge-
hört, die demnach keinen selbständigen wert beanspruchen
kann. Nur ein paar kurze bemerkungen über die nach dem
erscheinen von Bartschs buche gemachten versuche A zu ver-
teidigen, mögen vorausgeschickt werden.
Zunächst betrachten wir den von Scher er, Deutsche stud.
I (sitzungsber. der phil.-histor. cl. der Wiener akademie, bd. LXIV
1870) s. 204 ff. Scherer hat ausgerechnet, dass Nibelungenlied
und Klage zusammen in A 11424 = 51 x 224 langzeileu um-
fassen und schliesst daraus, dass die originalhs. gerade sieben
quaternionen enthalten habe, die seite zu zwei spalten von
51 Zeilen. Damit glaubt er einen vollgültigen beweis für die
richtigkeit des Strophenbestandes in A gefunden zu haben. Es
•) Ich bezeichne durch ' die ganze gruppe zum unterschiede von
der einzelnen hs.
ZUE NIBELTINGENFRAGE. 375
würde mir nicht einfallen, noch eine ernsthafte Widerlegung
dieser combinationen zu versuchen, wenn es nicht um des an-
sehens willen geschähe, das ihr Urheber geniesst. Wir könn-
ten zunächst Scherer zugeben , dass das von ihm bemerkte
Zahlenverhältnis wirklich auf die vorausgesetzte art zu erklären
sei, und dass die hs. , aus der A abgeschrieben ist, die ange-
nommene beschaifenheit gehabt habe. Folgt denn daraus, dass
diese vorläge von A auch das original aller übrigen hss. ge-
wesen sein muss? Könnte sie nicht vielleicht erst einige jähre
vor A geschrieben sein? Auf den dichter oder den sammler
der lieder will ja auch Scherer diese einrichtung nicht zurück-
führen, und kann es nicht, weil die Klage in die rcchnuug mit
einbegriffen ist. Auch nimmt er nicht an, dass der, welcher
die einrichtung zuerst einführte, den ursprünglichen bestand
genau beibehalten habe, sondern dass er, um die selten genau
zu füllen, 13 Strophen hinzugesetzt habe. Warum sollte man
nicht auch mit demselben rechte annehmen können, dass er zu
dem gleichen zwecke eine anzahl Strophen weggelassen hätte ?^)
*) Scherer hat sich einigerraassen auf diesen einwand gefasst ge-
macht nnd bringt auch einen grund dagegen vor. Er beruft sich näm-
lich auf die mögliohkeit der graphischen erklärung vieler auslassungen,
die mit der annähme absichtlicher auslassungen nicht zu vereinigen sei.
'Wie seltsam', ruft er aus (s. 305), 'dass der Schreiber dieser vorläge
sich dann ebenso scharfsinnig wie herr Bartsch der tatsache erinnerte,
dass auslassungen oft durch ein übergleiteu des auges zu einem benach-
barten gleichlautenden werte verschuldet wurden, und dass er darauf
seinen plan liautc, unbemerkt einige Strophen zu unterschlagen.' iSchercr
merkt dabei nicht, dass er sich hier eines argumentes gegen Bartsch be-
dient, das er unmittelbar vorher diesem zu gebrauchen nicht gestatten
will. Eben hat er behauptet, dass die beobachtungen . auf welche hin
Bartsch das fehlen vieler Strophen in A graphisch erklären will, wol
ihren wert hätten um anderweitig bewiesene auslassungen zu erklären,
dass sie aber nimmermehr eine üoust unbeweisbare auslassuug um ein
haar breit wahrscheinlicher maclien könnten. Wenn aber die blosse
möglichkeit graphischer erklärung nichts beweisen und nichts wahr-
scheinlich machen kann, so ist damit behauptet, dass sie rein zufällig
vorhanden sein kann. Und wenn das der fall ist, dann steht sie der an-
nähme absichtlicher auslassungen gerade so wenig im wege, wie der an-
dern absichtlicher zusetzung. Kann sie aber irgend etwas wahrschein-
lich oder unwahrscheinlich maclien, so kann sie das nur insofern, als sie
aus blossem zufall schwer zu begreifen ist. Wir könnten daher eben so
gut ausrufen: Wie seltsam, dass der Überarbeiter in B* seine zusätze
25*
m ^AÜL
Und übrigens konnten aucli selion in seiner quelle verschiedene
Strophen ans naclilässig-keit oder sonstigen gründen weggelassen
sein. Man könnte daher dem Schlüsse Scherers auf die Integri-
tät von A den andern gegenüberstellen: es ist sehr begreiflich,
dass in A eine reihe von stro})hen fehlt; die schuld liegt an
ihrer vorläge, deren Schreiber die lächerliche marotte hatte,
genau sieben quaternionen bei gleicher Zeilenzahl auf der seite
füllen zu wollen. Scherer hat, indem er die vorausgesetzte
vorläge von A ohne weiteres mit dem originale identificierte,
aus dem alle hss. des Nibelungenliedes und der Klage ge-
flossen sind, die ursprünglichkeit des textes A, für die er einen
neuen beweis bringen wollte, bei der beweisführung schon ein-
fach vorausgesetzt.
Nötigen uns nun aber Scherers berechnungen überhaupt
die hs. von sieben quaternionen vorauszusetzen? Er bemerkt
s. 305 sehr richtig, dass der grad der wahrsciieiulichkeit einer
historischeu hypothese von dem masse abhänge, in welchem
zufalle ausgeschlossen seien. Je wunderbarer die zufalle wären,
die Avir statuieren müsten, um der annähme eines bestimmten
notwendigen Zusammenhanges zu entgehen, desto wahrschein-
licher würde dieser zusammeniiang. Wie verhält es sich nun
hier mit dem zufall? Ich habe nichts dawider, wenn Scherer
sagen will, dass es ein merkwürdiger zufall sein würde, dass
unabsichtlich gerade diese zahl herausgekommen wäre, die eine
solche Verteilung zulässt. Aber es wäre ein genau eben so
merkwürdiger zufall, wenn iigend eine beliebige andere zahl
sich ergäbe. Es ist nicht im geringsten unwahrscheinlicher,
dass diese zahl zufällig entsteht, als dass es irgend eine andere
tut. Ueber die Wahrscheinlichkeit von zufall und absieht kann
überhaupt niemals nach einem einzelnen falle oder einem ein-
zelnen umstände entschieden werden, sondern erst nach einer
häufung mehrerer fälle und Verkettung verschiedener umstände.
Niemals ist das unwahrscheinlicli, dass der zufall irgend welche
Wirkung, die er nur überhaupt hervorbringen kann, w^enn auch
häufig so einrichtete, dass der schein entstehen konnte, als seien sie in
A dnrcli üljcrgleiten von einem gleiclien oder ähnlichen worte auf das
andere ausgelassen, und dass dadurch die moderneu kritiker irre geleitet
wurden.
ZUR NIBELUNGENFßAGE. 377
neben nuch su vielen andern, in einem gegebenen falle scbatft,
.sondern dass er, wiibrcnd er viele andere eben so gut bervor-
bringen könnte, ein und dieselbe unverbältnismässig bäufig er-
zeugt. So Verstössen wir z. b. nicbt gegen die gesetze der
wabrsc'beiulicbkeit, wenn wir es für blossen zufall balten, dass
die zabl der kurzzeileu, welcbe die Klage in A enthält, durch
30 teilbar ist (diese teilbarkeit ist übrigens unter 15 gedieh ten
in reinipaaren immer einmal zu erwarten). A])er wenn im
Parzival die zahl der verse in den fünf ersten büchern, und
weiter die in jedem einzelnen folgenden durch 30 teilbar ist,
so ist der zufall in hohem grade unwahrscheinlich. Wenn
unter den Strophen, die in der einen bearbeitung eines werkes
stehen, in der andern fehlen, sich eine befindet, bei der das
fehlen durch auslassung aus graphischen gründen sich erklären
Hesse, so ist wenig Sicherheit dafür, dass diese mögliche er-
klärung auch wirklich das richtige trifft. Es kann eine solche
möglidikeit recht wol auch einmal zufällig entstehen, wenn
nicht eine strophe in der einen bearbeitung w^eggelassen, son-
dern in der andern zugesetzt wird. Wenn sie aber in einem
beträchtlichen teil der fälle, in denen überhaupt strophendilfe-
renz stattfindet, vorhanden ist, dann wird wider der zufall sehr
unwahrscheinlich. Wenn daher Scherer den beobachtungen,
die Bartsch in dieser richtung gemacht, alle beweiskraft ab-
spricht, also dabei die un Wahrscheinlichkeit des Zufalls absolut
ignoriert, andererseits aber für seine ansieht einen einzelnen
umstand geltend macht, der für sich recht wol zufällig sein
kann, so ist das ein verfahren, welches die enti^chiedenste mis-
billigung verdient. Uebrigens dürfte eine solche Verteilung der
Zeilen eines werkes auf quaternionen vielleicht nicht selten
möglich sein. Es ist dazu nötig, dass die betreffende zahl
durch 32 teilbar ist, und dass der durch die teilung entstehende
quolient sich in ein product aus zwei zahlen zerlegen lässt,
deren eine weder zu gross noch zu klein ist, um als Zeilenzahl
einer spalte gelten zu können. Nimmt man einspaltigkeit der
Zeilen an, so genügt die teilbarkeit durch 16. Die möglichkeit
wird noch erleichtert, wenn man sich auch gestattet, wie dies
Scherer bei den Spervogelsprüchen tut, anzunehmen, dass etwa
die erste seile oder das erste l)latt, vielleicht auch die letzte
Seite oder das letzte blatt leer blieben. Auf diese weise öffnet
378 PAUL
sich der Spielerei ein weites feld. Hier eine sehr nahe liegende
l)robc. In der rccensiou li * (von den nur in I d erhaltenen
Strophen abgesehen) hat das Nibelungenlied 95 IG die Klage
2180 langzcilen, beide zusammen 11 690 =: 43 X IG x 17. Die
originalhandschrift bestand also aus 17 quaternionen, die scite
einspaltig zu 43 zeileu. Warum sollen wir nicht auch dieses
Verhältnis für die Integrität von B * geltend machen ?
öcherer macht nun allerdings noch ein moment geltend,
wodurch die annähme von zufall abgewiesen werden soll,
nämlich, dass die einrichtung der hs. A noch annähernd mit
der der vorausgesetzten urhandschrift stimme. Das ist aller-
dings etwas, wodurch der zufall aufi'allender wird. Erst durch
dieses zusammenstimmen erlangt Scherers beobachtung irgend
welchen anspruch auf beachtung. Abei- eben das nur an-
nähernde zusammenstimmen macht es höchst bedenklich, darin
etwas beabsichtigtes zu sehen, was es doch sein müste. Die
vorläge soll gerade 56 blätter eingenommen haben, die ab-
schrift enthält 6'J blätter, und die Klage schliesst auf der rück-
seite von blatt 58, auf welcher nur noch 4 zeileu stehen. In
der vorläge sollen auf jeder spalte genau 51 zeilen gestanden
haben, immer einen langvcrs, resp. zwei kurzverse enthaltend,
in der abschrift schwankt die Zeilenzahl zwischen 50 und 52,
und es braucht mitunter ein langvers oder zwei kurzverse
zwei Zeilen. Nahm sich nun der abschreiber die vorläge in
der einrichtung zum muster, warum schloss er sich ihr nicht
ganz genau an, was ihm doch sehr leicht hätte sein müssen.
Warum gab er die gleichmässigkeit der spalten, den genauen
abschluss mit einem quaterni') auf? Es lag doch so gar keine
nötigung dazu vor, da ein entsprechendes format beibehalten
wurde. Es ist daher im höchsten grade bedenklich, in der
von Scherer geltend gemachten Übereinstimmung eine causal-
verknüpfung zu suchen. Es dürfte daher wol keine so starke
unwahrscheiidichkeit in sich schliessen, wenn wir diese recht
mangelhafte zusammenstimmung auf rechnung des Zufalles
bringen, und wir können uns nicht veranlasst sehen um ihret-
willen jeder andern vernünftigen Überlegung trotz zu bieten
und eine summe von unwahrscheinlichkeiten auf einander zu
häufen.
Die unwahrscheinlichkeiten, welche in Scherers hypothese
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 379
liegen, sind nun so gross, dass sie dadurch gestürzt werden
miiste, selbst wenn sie von viel stärkeren stützen getragen
würde. Ich kann ganz absehen davon, dass alles ignoriert
wird, was gegen die ursprünglichkeit von A vorgebracht wor-
den ist. Scherer teilt uns selljst s. 305 einwände eines fach-
genossen mit, der an der Lachmannschen grundlage der kritik
festhält. Er sucht zwar diese einwände zurückzuweisen, aber
mit neuen unbeweisbaren und uiiwaln-scheiulichcn annahmen.
Öo erkühnt er sich gegen alle unsere erfahi-ung zu behaupten,
dass die Originalhandschrift des Nibelungenliedes sowie die
ältesten liederhandschriften in abgesetzten zeilen geschrieben
gewesen seien. Es ist nur ein grund, den er in desi Studien
dafür vorbringt, dass das absetzen der zeilen ursprünglich üb-
lich gewesen sei. Er erklärt nämlich die Lachmannsclien
heptaden, indem er sie in Verbindung bringt mit Älüllcnhoffs
liederbüchertheorie, daraus, dass bei der aufzeichnung der ein-
zelnen lieder je 7 Strophen auf die seite geschrieben würden.
Es kann mir nicht einfallen, noch einmal alles zu widerholeu,
was gegen die unglückselige zahlenmystik Lachmanns vorge-
bracht ist, nur auf eins will ich aufmerksam machen. Scherer
scheint sich gar nicht klar gemacht zu haben, dass eine solche
erklärung der heptaden die annähme in sich schliesst, dass die
lieder von vornherein für die schriftliche aufzeichnung gedichtet
sind. Und da man sich nicht denken kann, dass die verschie-
denen Verfasser unabhängig auf denselben einfall gekommen
sein sollten, so müssen die heptadenseiten , die auch bei der
ältesten Sammlung der Kürenbergslieder angewendet sein sollen,
wol auf älterer tradition beruhen. Welche perspective eröffnet
sich da unsern erstaunten blicken? Ein neuer, wie es scheint,
reichlich entfalteter zweig unserer literatur (ich meine der wirk-
lichen Schriftliteratur) wird plötzlich entdeckt, der merkwür-
diger weise von der zeit vollständig vertilgt ist. Jedoch ich
weiss nicht, ob nicht vielleicht Scherer sich diese notwendige
consequenz seiner annähme gefallen lässt. Dann freilich braucht
er sich durch meine bemerk ung nicht irre machen zu lassen.
Mehrere gründe für ursprüngliche Zeilenabsetzung führt
Scherer noch an in einer recension -son Bartschs ausgäbe in
der zeitschr. f. d. öst. gymn. jahrg. 1870, 103 ff. Er macht
zunächst geltend nach dem vorgange von Lachmann, dass B
3 hl» PAUL
sehr oft hei der vierten zcile absatz und grossen aufani;'sbucli-
staben bat. Meint er etwa, was ich nicbt glaube, dass das
insofern ein rest der altern weise sei, als ursprituglicb alle
Zeilen absatz und g-rossen anfangsbuchstaben hatten? Warum
hätte sich das immer nur bei der vierten zeile erbalten ? Und
der grosse anftingsbucbstabe wird docb bloss als keunzeicben
des stroplienanfanges angewant sein. Es ist zu bedauern, dass
die angäbe von Lachmann nicht ganz unzweideutig ist. Sie
ist aber doch wol so zu verstehen, dass dann bei der ersten
zeile der darauf folgenden Strophe kein absatz und grosser
anfangsbuchstabe steht, dass also der Strophenanfang unrichtig
bezeichnet ist. Das braucht aber nicht aus absetzung der
Zeilen im original erklärt zu werden, vielmehr erklärt es sich
mindestens vollkommen eben so gut, wenn wir annehmen, dass
im originale wie in C nicht bloss die zeilen, sondern auch die
Strophen nicht abgesetzt waren.
Weiter macht Scb. zwei stellen geltend, an denen er einen
allen hss. gemeinsamen fehler annimmt, der nur daraus zu er-
klären sein soll, dass das oiiginal nicht bloss die zeilen ab-
gesetzt, sondern auch die cäsuren abgerückt hatte. 1737, 4 i)
sei Lachmanus Vermutung von den zwcin degcnen oder etwas
ähnliches unumgänglich nötig, die jetzige lesart von dem vide-
Icere sei durch abirren auf die erste halbzeile der nächsten
Strophe entstanden, die in B* lautet: dö sprach der videlcere.
Ebenso sei 1405, 4 die richtige lesart nach Lachmanns con-
jectur ich wcene nüil daz iemen iuch noch vergiselt hat in allen
hss. verderbt dadurch, dass lernen in Hagene verwandelt sei
nach der folgenden ersten halbzeile, die in B* lautet: weit ir
niht volgen Hagenen. Man kann hier Scherer unbedenklich
die fehler zugeben und selbst die erklärung der entstehung,
und man ist darum doch nicht genötigt, die von ihm voraus-
gesetzte einrichtung der originalhs. anzunehmen. Es ist nur
nötig, dass gerade an diesen beiden stellen die cäsurworte
unter einander gestanden haben, nicht, dass dies immer der
fall gewesen ist. Es kann, ohne dass abgesetzt ist, die
zeile doch ungefähr den durchschnittlichen räum einer lang-
zeile eingenommen haben oder etwas mehr. Falls dann auch
') Ich eitlere immer nach Lachmann.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 3S1
die Strophen nicht abgesetzt sind, so wäre es recht gut denk-
bar, dass in den beiden fflllen, wie es leicht öfter vorgekommen
sein kann, zwei zeilen hinter einander mit dem cäsurworte
geschlossen haben, und das abirren wäre so noch begreiflicher
als bei Scherers annähme. Dazu kommt nun aber, dass die
fehler und ihre erkl-irurig keineswegs so sicher sind, als sie
Scherer hinstellt. Dass an der ersterwähnten stelle Volker
allein genannt wird, nicht auch Hagen, ist allerdings auffallend
und nicht zu billigen; ob aber diese Ungeschicklichkeit dem
dichter gar nicht zuzutrauen ist. dürfte doch niclit mit so ab-
soluter Sicherheit entschieden werden. A:). der zweiten stelle
aber ist gar kein grund, die Überlieferung anzutasten. Eartschs
erklärung trifft durchaus das richtige. Es ist damit gar nicht
gesagt^ dass vergisdn einfach = verraten ist. Lachmanns Ver-
mutung ist ziemlich gesucht.
Bartsch hat zu zeigen versucht (s. XVI der ausgäbe), dass
die vorläge von A die reimzeilen noch nicht abgesetzt hatte.
Sclierer polemisiert dagegen in der zeitschr. s. 405. Ich muss
trotzdem daran festhalten, dass die von Bartsch zum beweise
geltend gemachten fehler in A sieh am natürlichsten auf die
von ihm angenommene weise erklären. Das hat auch Scherer
gar nicht leugnen können, er behauptet nur, dass sie nicht auf
diese weise erklärt werden müsten. Er verweigert hier wider
dem gegner das recht, das er für sich selbst in anspruch nimmt,
von wahrsclieinlichkeitsgrüuden gebrauch zu machen. Kann
er etwa seine eigenen gründe, welche die ursprüngliche ab-
setzung der verse beweisen sollen, für etwas anderes als wahr-
scbeinlichkeitsgründe ausgeben ? Kann man ihnen nicht auch
ein ^aber muss denn' entgegensetzen? Natürlich müsten
Bartschs Wahrscheinlichkeitsgründe vor andern triftigen grün-
de)i zurückweichen, so gut wie die Scherers es müssen. Aber
Scheier hat gar keinen gegengrund beigebracht. Denn selbst
wenn er bewiesen hätte, dass die originalhs. des liedes in al)-
gesetzten zeilen geschrieben wäre, so wäre damit noch nichts
über die unmittelbare vorläge von A entschieden. Die letztere
der crsteren gleich zu setzen ist reine willkür. Für Scherer
kommt es aber darauf an, dass die tradition der Zeilenabsetzung
nicht unterbrochen ist, dass A in dieser beziehuug unmittelbar
an die älteste weise anknüpft. Und dagegen sprechen Bartschs
382 ^AUL
g-riiudc, aber nicht sie allein, sondern auch die besehalieaheit
sämnitlichcr älteren Nibclun^-cnhandschriften.
Ausser der versabsct7Aing- setzt Scherers h3'pothesc ferner
voraus, dass es eine verbreitete tendenz gewesen sei, die Zeilen-
zahl auf der seite vollständig- gleich zu machen und dabei die
grösseren gcdichte gerade mit einer vollen seite nicht nur,
sondern auch mit einer vollen läge abzuschliessen. Der ab-
schluss mit einer vollen seite wäre nur sicher für Wolfram,
falls wir die teilbarkeit durch 30 l)ei ihm so deuten dürfen.
Nach seinem muster sind die abschnitte von 31 zeilen bei
Ulrich von Türlein entstanden. Was sonst ähnliches behauptet
wird, entbehrt jeder einigermassen gesicherten unterläge und
ist zum teil nachweislich falsch (z. b. die 30 im Iwein, die 28
in hs. A des Nibelungenliedes und der Klage ; über die S])er-
vogelstrophen vergl. beitrage II, 429 ff.). Aber bei allen
diesen conjecturen hat man wenigstens sonst mit runden zahlen
oder mit ganzen Strophen operiert, noch niemand ist auf eine
so seltsame zahl wie Scherer verfallen. Noch niemand a])er
hat bisher das bestreben nach genauer ausfüllung einer läge
irgendwo nachgewiesen, oder auch nur den schatten eines
l)eweises dafür beigebraclit. Der Parzival enthält 827 al)-
schnitte, also gar keine möglichkeit zu einer derartigen Ver-
teilung. Bei den Spervogelsprücheu war nach Scherers hypo-
these noch etwas angeklebt. Das Nibelungenlied würde nach
Lachmann 485 heptaden enthalten haben, eine ganz unbequeme
zahl. Nur allein die Klage in A mit ihren 144 X 30 ist der
anker, an den sich Scherer anklammert. Wenn er ihn für
stark genug hält, muss sein schiff sehr leicht sein.
Scherer hat nun, um seine wunderbare annähme begreif-
lich zu machen, das verfahren des Schreibers sehr künstlich zu
motivieren versucht. Es war nach ihm derjenige, der zuerst
Nibelungenlied und Klage vereinigte. Bisher waren diese ein-
zeln anders geschrieben, nämlich das Nibelungenlied in hepta-
den, die Klage in abschnitten von 30 zeilen. Der schreibcr
wollte nun ein schlankeres forniat anwenden und dabei das
ganze gerade auf sieben quaternionen unterbringen. Wie er
auf diese idee kam, weiss man freilich nicht. Er probierte
verschiedentlich, wie die sache zu machen wäre und fand, dnss
es mit öl Zeilen ginge, wenn er dem Nibelungenliede noch 13
ZÜE NIBELUNGENFRAGE. 3S3
Strophen zusetzte. Sclierer liält nämlich au Lachmanns an-
sieht fest, dass die 13 aufPilgrim bezüglichen Strophen (s. 309
sind es merkwürdiger wei^e 14) erst bei der Aereinigung von
Nibelungenlied und Klage hinzugesetzt sind. Worauf beruht
aber diese annähme? Einzig allein auf Lachmanns zahlen-
theorie, die auf der auslassung von vier kurzzeilen in der
Klage basiert ist, die also mit der entdeckung von Lachmanns
versehen selbstverständlich hinfällig ist. Die sonstigen argu-
mente für die unechtheit der Strophen tun hier nichts zur
Sache. Es wird der uachweis verlangt, dass sie auch nicht
vom Sammler der lieder, sondern erst von dem vereiniger des
liedcs mit der Klage herrühren. Und wo ist der jetzt? Ohne
die annähme eines solchen Zusatzes aber würde das merkwür-
dige resultat herauskommen, dass Nibelungenlied und Klage
zusammen gerade zufällig 51 x 92 x 7 langzeilcn hatten. Ist
das aber zufall, nun, was brauchts dann der annähme der 7
quateruionen, da sie dann nichts mehr erklären?
Noch einige kleinigkeiteu wären zu bedenken. Gewöhn-
lich pflegt auf der ersten seite einer hs. nicht ganz oben an-
gefangen zu werden wie auf den folgenden. Das tat also der
Schreiber des Originals gegen sonstige gewohnheit, verschwen-
dete auch keinen platz mit einer initiale. Schwierigkeiten mit
dem räume hatte er niemals, dass er einmal genötigt gewesen
wäre, zu einem verse zwei zeilen zu verwenden. Eine
Überschrift über das lied hatte er nicht, das hätte eine oder
ein paar zeilen mehr gegeben. Wie er wol die einzelnen
aventiuren von einander abhob, was doch unzweifelhaft ge-
schehen sein muss, weiss ich nicht. Ueberschrifteu der ein-
zelnen aventiuren durfte er natürlich nicht haben, wiewol doch
die vielfachen Übereinstimmungen zwischen den einzelnen hss.
darauf hinweisen, dass solche vorhanden waren. Und selbst
die Klage folgte ohne jeden Zwischenraum, ohne Überschrift.
Das glaube, wer kann!
Nach Scherer hat sich Conr. Hofmann wider auf den
boden der hs. A gestellt in seiner abhandlung 'zur textkritik
der Nibelungen ', erschienen in den abhandlungen der bair. akad.
L cl., XIII. ))d., I. abteilung, aber auch besonders München 1872.
Er stützt sich zunächst auf eine neue erklärung der strophen-
diflferenz zwischen A und B*. Die beobachtung, dass die
3S4 PAUL
niciisteu plusstroplicu von H •''• zwisclioii 33b — 663 fiiUcii, fiilirt
ilm zu der niimilinic, ilass diese paitio eiuc andere quelle habe
als das übrige, dass der vorläge von A der zweite quateinio
verloren gegangen und aus einer andern lis. ergänzt gewesen
sei, die eine kürzere und nach seiner nieinung ältere redaetion
enthalten habe, die im ganzen nur etwa 2000 Strophen um-
fasste. Ich kann mich über diese hypothese sehr kurz fassen.
Kautenberg in der Germ. 17, 433 hat bereits bemerkt, dass
Hofmanns rechnung nicht stimmt. Es lässt sich noch deut-
licher das versehen bezeichnen, dem er verfallen ist. Er hat
sonderbarer weise den umfang eines quaternios der kürzeren
redaetion für den eines quaternios der längern genommen.
Der eingeschobene quaternio, der also der kürzeren angehört,
soll 325 Strophen umfassen, der ausgefallene müste noch dazu
die 57 Strophen enthalten haben, die ß* mehr hat, also im
ganzen 382. Der erste quaternio aber, der doch der längern
recension angehört, hatte 338 Strophen enthalten, also eine
zahl, die viel näher zu der kürzern als zu der langem stimmt.
Die zahl, welche Hofmann für die Strophen des gesammten
gediehtes ausrechnet und die ungefähr mit dem umfange von
A stimmt, .vürde die strophenzahl der kürzeren fassung sein,
nicht die der längern, wie Hofmanu annimmt. Es ist danach
nicht mehr nötig, die weitern unwahrscheinlichkeiten der hypo-
these darzulegen. Auch Rautenbergs annähme von teilcodices
scheint mir ^venig wahrscheinlich und durchaus unnötig, wofür
ich mich auf ßartschs bemerkungen über die in A fehlenden
Strophen berufe. Uebrigens aber ist wieder durch Hofmanns
noch durch Rauteubergs hypothese, wenn sie angenommen
werden, irgend etwas für ein höheres alter der kürzeren fassung
bewiesen.
Hofmann hat dann eine reihe von bemerkungen, welche
die unursprünglichkeit der plusstrophen in ]>* erw^eiseu sollen.
Ich mag mich nicht in eine Widerlegung derselben einlassen,
weil ich es für wenig erspriesslich halte, fragen, über die schon
so viel hin und her disputiert ist, immer von neuem und, wie
CS nötig ist, wesentlich wider mit den alten gründen zu er-
örtern, zumal wo dem subjectiven geschmacke ein so weiter
Spielraum cröiinet ist und die principielle Verschiedenheit der
Standpunkte eine Verständigung unmöglich macht. Auf Hof-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 385
manns vergleichende besprechimg der wiclitigsten abweichuiigen
zwiscben B* und C* die uns hier zunächst nichts angehen,
gedenke ich bei einer spätem gelegenheit einzugehen.
Für die ursprünglichkeit von A in der Klage ist zuletzt
Henning in die schranken getreten in seiner gründlichen re-
ceusiou von Bartschs ausgäbe im anzeiger für deutsches
altertuni I, 134 &. Er stützt sich auf eine anzahl einzelner
stellen. Sein verfahren dabei i^t das nämliche, wie es alle
Verteidiger von A und in der regel auch die von B * gegen C •"'•'
eingesehlagen haben. Entweder findet man, dass die lesart
von A (ß'^') besser, altertümlicher oder volksmässiger sei als
die von B* (C*), und dann muss sie natürlich die ursprüng-
liche sein. Oder man findet, dass sie schlechter, trockener
oder ungenauer sei, und dann muss sie ebenfalls ursprünglich
sein, denn die abweichung erklärt sich daraus, dass die Über-
arbeiter absichtlich gebessert haben. Oder sie ist falsch ; dann
liegt ein fehler der urhandschrift vor, aus der alle andern ge-
flossen sind, und A (B*) hat den alten fehler getreu bewahrt,
w^ährend B* (C*) durch coujectur etwas erträgliches an seine
stelle gesetzt hat. Bei einer solchen argumentation kann man
natürlich uiemale wegen eines grundes für die ursprünglichkeit
von A in Verlegenheit sein.
Die von Henning besprochenen stellen verteilen sich also
unter die drei bezeichneten classen. Unter die erste gehört
555 (Lachmann). Hier les-en die übrigen hss. sine woldens niht
gelouben (: ougeri) daz er Hagenen torste bestätig nur A hat ge-
longen, was Henning für richtig hält. Abgesehen von der Selt-
samkeit, die in der lesart von A liegt, da doch ein leugnen
den Hunnen nicht einfallen konnte und deshalb das gegenteil
nicht bewirkt zu werden braucht, erhellt die Unrichtigkeit von
gelougen und die richtigkeit von gelouhen aus den beiden fol-
genden Zeilen: het ez der hell slder län, so möhter wol sin ge-
nesen. Also erst später greift er Hagen an. Was in dem
fraglichen satze ausgedrückt ist, fällt vorher, was wol zu ge-
louben, aber nicht zu gelougen mit der von Henning gegebenen
crklärung passt, 663 ist durchaus nicht nötig mit A hell zu
schreiben. Warum soll aussen für Dietrich nicht hier sein
können? Er ist doch draussen und ist auch nicht aus dem
saale nach draussen gegangen, wie Henning behauptet; denn
3SG PAUL
er koiiiint von Hagens Icielic, die docli nicht im saale liegen
kann. 1039 könnten die beiden adverbialen bestimmungen
nach (lern grozen dienste sin nnd an der liehen nlfteJn mm wol
dnvcli und veibnnden sein, wenn sie gleicli durch verschiedene
l)r;ip(isiti<)nen verknüpft sind; übrigens aber hat die recension
C * welche durch für 7idch schreibt, nnd nicht. Nimmt Henning
au, dass C* den fehler corrigiert hat, was hindert uns dann
anzunehmen, dass ihn auch A corrigiert hat, und dass er in
der originalliandschrift stand, der ja sonst die Verteidiger von
A mit Vorliebe fehler aufbürden? 98 ich wcen si ir alten sünde
engnllen, und niht mere] hier soll die lesart von A si alter sünde
das ursprüngliche sein, weil sie allein ermöglicht, in der stelle
eine anspielung auf die alte verhängnisvolle macht des Schatzes
zu sehen. Wenn sich Henning für seine auffassung auf W. Grimm
und Sommer beruft, so ist zu ])enievken, dass letzterer diese
annähme mit recht für sehr gewagt erklärt, weil es in der
deutschen sage sonst keinen anhält dafür gibt, und dass ersterer
trotz des ausdruckes 'das verhängnisvolle gold', den er
braucht, doch nach dem zusammenhange und wegen der ver-
gleichung von (j3Ü unter sünde nur sünde der Burgunder ver-
stehen kann, spcciell den raub des Schatzes. Etwas anderes
darunter zn verstehen sind Mir nicht genötigt, auch nicht bei
der lesait von A Ich wünschte doch noch eine nähere erläu-
terung von Henning, was er denn bei seiner auffassung eigent-
lich unter der alten sünde versteht. 1625 ist vielleicht zu inter-
pungieren : diu marcgrävinne niht enlie, sin endet mit jämer daz
(auf jämer als neutrum bezogen) ir was (wunder ist daz si ie
genas) den tac vol an daz ende.
lieber die fälle, in denen Henning die lesart von A für
schlechter erklärt, habe ich weiter nichts zu bemerken, und
muss ihm seine auftassung überlassen. Dagegen betrachten
wir kurz die beiden von ihm angeführten stellen, an denen
erst durch conjectur aus A das richtige hergestellt werden soll.
551 verteidigt Henning Lachmanns conjectur des vil küenen
V eigen l%p für Iringe A, toten D, Tenen BCNbd. Ich cousta-
tiere zunächst, dass Iringe sehr leicht für Iringes verschrieben
sein kann, da solche buchstabenauslassungen massenhaft in A
vorkommen; dass dann weiter Iringes sehr leicht für das hier
gleichbedeutende Tenen eingetreten sein kann, wogegen natür-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 387
lieh gar nichts zu erinnern ist und woneben toten in D vregen
der Übereinstimmung- von Nl) mit den übrigen hss. gar nicht
in betracht kommt; dass überhaupt in mhd. werken und spe-
ciell im Nibelnngenliede bei weitem die meisten Varianten durch
vertauschuug synonymer ausdrücke entstellen und alle compli-
cierteu graphischen erkläruugen sjhr bedenklich sind. Schwer-
lich würde, auch wenn der w- strich bei veige gerade über dem
i gestanden hätte, irgend ein mittelhochdeutscher Schreiber das
wort verkannt haben. Endlich aber ist das epitheton kiiene
bei dem substantivierten veige, was hier = tote zu nehmen
sein würde, nicht glaublich. Die andere stelle ist 2094. Hier
lesen die andern hss. daz in daz leit mit gewalt lie selten Sit
gesprechen wort, A dagegen daz in daz leit nider salt und lie
etc. Lachmann setzt dafür schall. Henning bemerkt wol, wie
seltsam dies hier in seiner gewöhnlichen bedeutung sein würde,
und nimmt daher nach dem vorgange von J. Grimm an, dass
es sich hier noch in altertümlicher bedeutung erhalten habe,
indem sceltan ursprünglich = sealtau wäre. Diese ])ehauptung
schwebt ganz in der luft. Wäre selbst die richtigkeit dieser
ablcitung nicht zu bezweifeln, so steht so viel fest, dass weder
mhd. schellen noch ahd. sceltan jemals die bedeutung 'stosscn'
hat. Henning fi-eilich behauptet, diese sinnliche bedeutung sei
im ahd. noch ziemlich lebendig; denn sceltan übersetze auch
insectari, carpere, ebenso hisceltan lacerare. Bedeuten denn
diese lateinischen Wörter 'stosseu'? Hätte Henning ein Wörter-
buch aufgeschlagen, so würde er gefunden haben, wenn er es
noch nicht wüste, dass carpere und lacerare ganz gewöhnlich
im sinne von 'schelten, schmähen' gebraucht werden, und dass
auch insectari gelegentlich so übersetzt werden kann.
Ich glaube durch die vorstehenden bemerkungen hinläng-
lich motiviert zu liaben, weshalb icli mich durch die neuesten
Verteidigungen von A nicht veranlasst sehe in bczug auf diese
hs. einen andern Standpunkt einzunehmen als Bartsch, und
kann unn zu meinem eigentlichen thema übergehen.
388 PAUL
11. Die assouauzeu.
In den aufstelkmg-en Jjartscli.s sind zwei momente zu unter-
scliciden, die er selbst als solidarisch mit einander verbunden
betrachtet, und die aueb von der kritik so augeseben sind : die
autVassung- der beiden receusionen ß und C als selbständiger
bearbeitungeu eines verloren gegangenen originales und die be-
stimniung der abfassuugszeit dieses originales. Die beiden be-
arbeitungeu des liedes sollen nach Bartsch zunächst zurück-
geben auf eine receusion, die um 1170 — 80 entstanden ist und
die ihrerseits \vider bearbeitung eines älteren um 1140 — 50
entstandenen werkes sein soll. Ein entsprechendes Verhältnis
wird füi' die Klage vorausgesetzt, nur dass hier die abfassuug
etwas später angesetzt wird , die der zunächst zu gründe lie-
genden recension um 1180, die des ursprünglichen werkes spä-
testens um 1170. Den beweis für diese Zeitbestimmungen
findet Bartsch eben in den motiven, durch welche die umarbeiter
bei ihren änderuugen geleitet sein sollen, die eine beschafleu-
heit des originales voraussetzen, wie si'3 nur gedicbten aus
der zeit vor den beiden letzten Jahrzehnten, zum teil nur sol-
chen aus der mitte des 12. Jahrhunderts zukommen. Wären
diese motive von Bartsch durchgängig richtig gefunden, so
müste man ihm w^ol seine Zeitbestimmungen zugeben. Dass
dies geschehen sei, ist schon mehrfach bestritten worden, aber,
wie ich glaube, einerseits nicht mit allen zu geböte stehenden
mittein und deshalb niclit überzeugend genug, anderseits mit
verkennung der richtigkeit, welche Bartschs hypothese inner-
halb beschränkter grenzen hat. Meine Überzeugung, die ich
im folgenden zu begründen versuche, ist die, dass allerdings
B * und C * beide Überarbeitungen sind ; dass allerdings die
änderuugen der bearbeiter zum teil mit Bartsch aus der rück-
sicht auf versmass und reim zu erklären sind und in dieser
erklärung der hauptbeweis für das angenommene Verhältnis
der beiden receusionen liegt; dass aber der bei weitem grössere
teil der abweichungen nicht aus solchen gründen zu erklären
ist; dass Bartsch zwar von richtigen gesichtspunkten ausge-
gangen ist, denselben aber un])erechtigter weise eine zu weite
geltung eingeräumt hat, und dass, Avenn wir ihre anwendung
auf das richtige mass einschränken, aus ihnen sich kein moment
ZUR NIBELUNGENFEAGE. 3S9
ergibt, welches dazu nötigte, das alter der beiden gedichte über
das letzte jabrzebnt des 12. Jahrhunderts hinaufzurücken.
Das erste und wichtigste moment seiner beweisfiibrung-
entnimmt Bartsch aus den reimen. Er bandelt darüber in den
Untersuchungen s. 2 if., 300 tf. und, was die Klage betrifft,
ebenda s. 325 ff. und in der eiuleitung zu seiner ausgäbe der-
selben s. VII Ü\ lieber die reime der letzteren handelt dann
auch Edzardi in seiner ausgäbe s. 12 ff. Die zahlreichen ab-
weichuugen beider recensionen in den reimen sollen fast durch-
gängig dadurch erklärt werden, dass in dem originale ein un-
genauer reim stand, der in jeder bearbeitung unabhängig von
der andern durch äuderung des einen oder beider reiüiworte
beseitigt ist. Eine genaue prüfung des dabei eingeschlagenen
Verfahrens muss unsere wichtigste aufgäbe sein.
Scherer in der zeitschr. f d. altert. XVII, 566 setzt sich
über die ganze argumentation Bartschs mit der bemerkung
hinweg: daraus, dass sich aus der combination der beiden re-
ceusionen ungenaue reime herstellen Hessen, folge noch nicht
dass diese ungenauen reime wirklich gewesen sein müsten.
Aber mit einem solchen einwände Hesse sich vielleicht jede
philologische oder historische conjectur bei seite schieben.
Man darf von einer solchen billiger weise nichts anderes ver-
langen, als was sie zu leisten im stände ist, einen mehr oder
minder hohen grad von Wahrscheinlichkeit. Alle positive tätig-
keit, die dem historiker nach herbeischaffung des materials
zufällt, kann nur darin bestehen, dass er die ihm trümmerhaft
vorliegenden tatsachen mit hülfe allseitiger erwägung der mög-
lichkeiten des geschehens in einer solchen weise ergänzt, dass
daraus der bestdenkbare causalzusammenhang entsteht. Von
jeder so durch ergänzung gewonnenen annähme muss man
verlangen: erstens, dass sie keiner anderweitig mit grösserer
Wahrscheinlichkeit ermittelten tatsache widerspreche; zweitens
dass sie die überlieferten tatsachen wirklich befriedigend er-
kläre; drittens, dass daneben nicht noch andere gerade so be-
friedigende erklärungen möglich sind. Wenn aber diese drei
forderuDgen erfüllt sind, so darf die hypothese aHgemeine an-
erkennung beanspruchen. Natürlich muss man sich dabei
immer bewust bleiben, dass man es mit einer hypothese zu
tun hat, die vieUeicht in zukunft gestürzt und durch eine an-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. 111. 26
;{90 PAUL
(Icic ergänzt werden kann , weil sieh entweder durch verraeh-
niuii- des beohnclituni;sniaterials oder durch scliarfsinnig-ere
ccnnbinatiouen herausstellt, dass sie doch einer von den drei
gestellten forderung-en nicht genügt. Versuchen wir nun mit
den uns zu gel)ote stehenden mittein uns ein urteil darüber zu
bilden, ob und wie weit Bartschs h3q)othese diesen forderungen
entspricht.
Dass sie, soweit sie das allgemeine Verhältnis der hss. be-
triftt, einer anderweitig festgestellten tatsache widerspricht,
können wol nur die anhänger der liedertheorie und der hs. A
behaupten. Nur von ihrem Standpunkte aus findet Scherers
abweisung ihre berechtigung. Sobald aber einmal anerkannt
ist, dass A keine selbständige bedeutung hat, dass wir nur
zwei hauptrecensioneu, B •'■■ und C * zu unterscheiden haben, so
steht von vornherein der annähme, dass beide recensionen
ttbei arbeitungen sind, nicht das geringste im wege, und es ist
kein grund, warum ohne weiteres die eine den vorzug ver-
dienen, warum die eine oder die andere im wesentlichen den
originalen text enthalten soll. Ein einwand Scherers ist hier
allerdings noch zu erwägen, den derselbe a. a. o. s. 562 macht:
man müsse erwarten, dass hss. oder wenigstens bruchstücke
des originalen textes erhalten seien. Ich kann auf diesen ein-
wand nicht viel gewicht legen. Wenn einmal ein älteres ge-
dieht nach dem geschmacke der jüngeren zeit zugerichtet ist,
so pflegt es in dieser neuen gestalt weiter verbreitet zu werden;
es ist ein besonders glücklicher zufall, wenn etwas von der
älteren gestalt bis auf uns kommt. Es schliesseu sich ja auch
die hss. anderer gediehte, auch wo sie ziemlich zahlreich sind,
in einige wenige , etwa auch zwei gruppen zusammen, von
denen keine den urtext enthält, wenn auch vielleicht die eine
demselben näher steht als die andere. Wie stark die Verschie-
denheit beider lecensioneu ist, darauf kommt es dabei eigent-
lich gar nicht an. Ein beispiel, wo die abweichungen kaum
geringer sind als zwischen B* und C'' in den Nibelungen,
bieten die beiden recensionen des jüngeren Titurel^), von denen
allem anscheine nach keine den originalen text gibt. Man
hätte dann docli billig auch grund sich zu verwundern, warum
') Vgl. Fr. Zarncke, Der Graltemx)el. Vorstudie zu einer ausgäbe
des Jüngern Titurel. Leipzig 1876,
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 391
der nach Scherer ursprüngliche text nur in der einen verhält-
nismässig späten hs. A erhalten ist, die doch auch recht leicht
durch irgend welchen zufall hätte vernichtet sein können.
Ferner müste man sich mit noch grösserem rechte wundern,
dass der archetypus aller uns erhalteneu hss. schon Nibelungen-
lied und Klage zusammen enthalten hat, von welcher letzteren
noch dazu die anhänger Lachmanns immer noch hartnäckig
behaupten, dass ihr Verfasser das Nibelungenlied in der uns
vorliegenden gestalt nicht gekannt habe. Warum sind uns
nicht beide gedichte noch vollständig jedes für sich tiberliefert?
Und wie müste man sich erst wundern, dass von den Müllen-
hofi-Schererschen liederbüchern gar nichts, auch nicht in ab-
schrift erhalten ist! Einigen anhält hat aber doch Scherers
einwurf Bartsch gegenüber. Wenn zwischen der ursprüng-
lichen abfassung und den beiden bearbeituugen ein Zeitraum
von wenigstens 50 jähren liegt, und wenn, wie es doch wahr-
scheinlich sein würde, während dieses Zeitraums das Nibelungen-
lied schon eine grosse Verbreitung gefunden hätte, so wäre
immerhin zu erwarten, dass nicht alles damals vorhandene
für uns verloren gegangen wäre, dass vielleicht auf grund des-
selben auch noch anderweitige modernisierende ])earbeitungen
entstanden wären. Aber etwas anderes ist es, wenn wir an-
nehmen (und das ist meine ansieht), dass die beiden gedichte
kurz nach ihrer entstehung, noch ehe sie in vielen hss. ver-
breitet waren, umgearbeitet wurden. Dann dürfen wir uns ge-
trost über jeden skrupel nach dieser seite hin hinwegsetzen.
Es kann sich für uns nur darum handeln, welche hypothese
die abweichungen beider recensionen am besten erklärt. Und
da nimmt es sehr für Bartsch ein, dass er die möglichkeit er-
öffnet, einen teil von dem sowol, was von den anhängern von
B* (A), als von dem, wüh von den anhängern von C* als
motiv der änderung vorgebracht ist, als solches anzuerkennen
und dazu noch neue motive zu finden, die von beiden nicht er-
mittelt werden konnten.
Aber noch eine wichtige forderung ist zu stellen, der nicht
Avidersprochen werden darf: es nmss die originale gestalt der
beiden werke, wie sie sich aus dem angenommenen hand-
schriftenverhältnis ergibt, eine solche beschafienheit haben, dass
sie nicht nur für sich betrachtet, sondern auch verglichen mit
20*
ä9^ PAUL
der gcsaniniten literarischen entwicklung der zeit als möglich
gedacht werden kann, üass das von Bartsch construicrtc ori-
ginal dieser forderung- enlspreche, ist schon mehrfach bestritten
worden, so von Zarncke in seiner ausgäbe des Nibelungen-
liedes (4. aufl. s. XLVIII), von Scherer, zeitschr. f. d. altert.
XVII, 5G2. Ich stimme durchaus bei, dass die entstehung des
Nibelungenliedes im fünften Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts mit
nnsern sonstigen geschichtlichen kenntnisscn nicht zu vereini-
gen ist. Es kommen dabei besonders folgende momente in
betracht. Erstens zeigt die ganze darstellungsweise eine solche
verwantschaft mit der des höfischen epos, dass man sich
schwer der ansieht erwehren kann, dass bereits eine ein Wir-
kung desselben stattgefunden hat. Ich merke hier namentlieh
an die detaillierten Schilderungen des hofceremoniels, der feste
und turniere mit der besonderen hcrvorhebung der teilnähme
der frauen, der riistungen und gewänder. Dergleichen kommt
allerdings schon in der kaiserchronik und andern gleichzeitigen
gedichten vor, aber bei weitem nicht in der häufigkeit und
ausfährlichkeit. Vielleicht noch wichtiger ist die sorgfältige
psychologische motivierung und die ausmalung der empfin-
dungen und reflexionen, wozu sich in den gedichten aus der
mitte des Jahrhunderts immer nur dürftige ausätze zeigen.
Und damit im zusammenhange steht die weit vorgeschrittene
ausbildung des periodenbaues gegenüber dem abgerissenen stile
der älteren gedichte. Eine ins einzelne eingehende vergleichung
würde vielleicht von nicht geringem Interesse sein. Aber aller-
dings will das gewicht dieses argumeutes mehr empfunden
werden, als dass es sich auf eine logisch unwidersprechliche
formel bringen Hesse. Und mislich ist es, dass gedichte,
die ebenfalls stoffe aus der deutschen heldensage behandeln,
mit ausnähme des Rother ganz mangeln, wodurch immer noch
ein vor wand gegeben ist, sich der Überzeugungskraft des Ver-
gleiches zu entziehen. Ich verzichte daher auf die weitere
ausführung diesem beweispuuktes, zumal da ich mich glück-
licher weise in der läge befinde, denselben vollkommen ent-
behren zu können. Zweitens muss ich mit Scherer geltend
maclien, dass der höfische frauendienst deutlich ausgeprägt er-
scheint, was nicht bloss gegen den Kürenberger, sondern
auch gegen die zeit des Kürenbergers spricht. Zu den von
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 303
Scherer angeführteu stellen füge man noch 1641. 5. 2201.
Goteliut steckt dem Volker zwölf ringe an die hand, die er
ihretwillen beim feste tragen soll, damit man ihr sagen könne,
wie er ihr dort gedient habe; nnd Volker erinnert später den
Rüdiger daran und bittet ihn sein böte zu sein, der der mark-
gi-äfin bezeugt, dass er ihrem geböte folge geleistet hat, Gewis
haben wir das Verhältnis nicht anders aufzufassen, als dass
Gotelint den Volker zu ihrem ritter wählt und ihm zum zeichen
ihr kleinod gibt, eine sitte, die uns sonst in Deutschland nicht
früher als bei Heinrich von Veldeke begegnet. Drittens: schon
Holtzmann, Untersuchungen s. S2 sah in den vorkommenden
französischen Wörtern ein liindernis, das gedieht früher als in
das letzte decennium des 12. Jahrhunderts zu setzen. Er wirft
allerdings gleich selbst ein, dass man mit solchen beweismitteln
nicht zu schnell absprechen dürfe. Aber wenn es tatsache ist,
dass die französischen lehnwörter vor Veldeke und dem grafen
Rudolf, welchen letzteren über die siebenziger jähre hinaus
zurückzurücken wir keine veranlassung haben, in keinem denk-
male erscheinen, so ist es eine leere ausflucht, wenn man sich
darauf beruft, sie könnten in verloren gegangenen w'erken ge-
braucht oder im mündlichen verkehr schon längst üblich ge-
wesen sein. Man muss sie ausserdem gewis in werken, die
aus dem französischen übersetzt sind, früher erwarten als in
andern. Viertens scheint mir das Verhältnis von genauen und
ungenauen reimen, wie es sich nach Bartsch für das original
ergibt, undenkbar. Darauf muss ich später zurückkommen.
Hier habe icli nur noch einmal darauf aufmerksam zu machen,
dass alle diese eiuwendungen gegen Bartsch sich nur auf seine
Chronologie beziehen, aber auf seine grundanschauung über das
handschriftenverhältnis keine anwendung finden, sobald dieselbe
in einer solchen weise durchgeführt wird , dass die chronologi-
schen Schwierigkeiten vermieden werden.
Wir haben also gesehen: um der ersten forderuug, die wir
an jede philologische hypothese stellen müssen, zu genügen,
sind wir nicht genötigt Bartschs annähme ganz zu verwerfen,
wol aber sie wesentlich zu modificieren. Wie steht es nun
mit den beiden andern? Dass durch ursprüngliche reimunge-
nauigkeit eine beträchtliche zahl von abweichungen sich er-
klären und zum teil ^'olikommen befriedigend erklären lassen
?m PAUL
würden, wird iiicniaiid leii-;iicn. Was unsere aufmcrksamkeit
vor allem in ansprucli nelnnen niuss, ist die frage, ob nielit
daneben andere erklärungsgrilndc niüglicli sind, die gleiches
oder grösseres recht auf Wahrscheinlichkeit haben.
Bartsch ist beinahe so verfahren, als gäbe es für reini-
abweiehungen gar keine andere erklärung als die beseitigung
von ungenauen oder rührenden reimen oder von altertümlichen
Avortformen im reime. Es liegt aber auf der band, dass, wo
aus irgend welchen andern, sachlichen gründen stark geändert
wird, notwendiger weise auch vielfach der reim berührt wer-
den niuss. So selbstverständlich dies an und für sich ist, so
will ich es doch, um kein beweismittel unbenutzt zu lassen,
durch untrügliche beispiele belegen. Ich entnehme dieselben
zunächst den beiden recensionen des Jüngern Titurel. Hier
linden sich wie im inneru des verses so in den reimen ziem-
lich beträchtliche abweichungen, von denen höchstens ein ganz
geringer procentsatz aus beseitigung von reimungeuauigkeiten
erklärt werden kann, da dem originale kaum andere als etwa
die nichtbeachtung des 7i im auslaute zuerkannt werden können .
Ich stelle die fälle aus dem Schlüsse des gedichtes (Hahn 5964
bis 6207), für welchen herr professor Zarncke die gute hatte
mir eine von ihm angefertigte collation sämmtlicher hss. zur
Verfügung zu stellen. Hier weicht in 270 beiden recensionen
gemeinsamen strophen a) das erste reimwort ab: 6059, 2 kleinen
= steinen (-.einen)] 6123, 2 tvagende =^ wabende {:hahende)\
b) das zweite: 5976, 7 hrunnen = kunnen {sumien)\ 5977, 4
quele = sele {: israliele)] 5978, 4 sparende = scharende
{\va7'ende)\ 5977'', 7 kiesen = niesen {: Verliesen)] 5981", 7
smdent = rulent {;, vermideni) ] 5981^', 4 entranden = wanden
(^.erkunden)] 6004, 7 lerten = genierten {\hekerten)\ 6010'^, 4
stellen = gesellen {;. erzellen)\ 6036, 3 aleine (var. in einen) =
meinen {\r einen) \ 6042, 3 gemeine = weine oder weinen {: meine)]
6062, 3 gange = zange (: lange) ; 6068, 4 gebunden == fanden
{: verwunden)] 6117, 7 hugende == mugende (: tagende)] 6128,7
ungeschihte = sihte (: slihle) ; 6 1 29, 4 prisen = wisen (: isen) ;
6135, 4 under = sunder (^.wunder)] 6162, 7 mäzen = sdzen
{:läzen)] c) beide reim werte: 5967, 5. 7 unreme : getneine =
kleine : unreine] 5988 '', 5. 7 wäre^i : vären = behagende : tra-
gende] 5991, 1. 3 riehen : gew alt iclichcn = armen : erbarmen]
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 395
5. 7 armen : erbarmen = füezen : süezcu] 5996, 2. 4 sic'me : eine
= reinen : sleinen\ 5999, 5. 7 slüegen :hetr Hegen = solten: wollen]
6006, 5. 7 ungehiure : äventiure = ungeverte : herte] 6019, 1 — 4
sagende - mcere : klagende - enwcere = eren - sagende : meren -
klagende] 6021", 5. 7 bekroenet : hescJicenet = begrüezet : ge-
süezet] 6027, 5. 7 geliche : ebenriche = eren : keren] 6033, 3. 4
riehen : bescheidenllclien = gehluren : äventiuren] 6041, 2. 4 e;^-
phähen : versmähen = hende : eilende] 6044, 1. 3 nähen : vähen
= verre : herre] 6047, 5. 7 ze tragene : ze sagene = tragende
: sagende] 6064", 5. 7 bezzer : mezzer = verdlrhet : errvirbet]
6084, 1. 3 breite : leite = künde : underrvunde] 6090, 1 — 4 er-
funden - blözen : wunden - widerstözen = ungesigende - erfunden
: gelig ende - wunden. 6125, 5. 7 lange : umbevange = nemende
: zemende] 6149, 5. 7 vlogten : brogten = kristallen : gevallen.
Also von a) 2, von b) 17, von c) 18, im ganzen 37 fälle.
Doch wir können beim Nibelungenliede selbst bleiben.
Nämlich innerhalb jeder einzelnen recensiou weichen vielfach
wider einzelne hpf<. im reime ab. Hier beweist (auch Bartsch
erkennt dies fast durchweg an) beinahe überall die Überein-
stimmung der übrigen, meistens auch die der andern recension,
dass schon die urhaudschrift der betreifenden bearbeitung reine,
auch nicht rührende oder altertümliche reime hatte. Daraus
folgt, dass das motiv zur änderuug ein ganz anderes war. Da
die zahlreichen hierher gehörigen fälle als probe für die rich-
tigkeit von Bartschs folgerungen sehr lehrreich sind, so gebe
ich hier eine vollständige Zusammenstellung derselben.
a) Die erste reim z eile ist geändert:
301, 1 dd si kom üz dem müuster sam er e hete getan (: gäri)
A do si uz dem munstre tiach messe chom gestan ^).
816, 1 ^nein er'' sprach do Hagene, ^ ir mugct wol stille dagen
{: getragen).
A lat iuez wol behagen.^)
') Um zu zeigen , wie auch hier nach dem niuster von Bartsch re-
constructionen aufgrund der abweichungen möglich wären, wo sie sich
doch von vornherein verbieten, gebe ich in den folgenden anmerkungen
einige versuche. Hier ist in 301, l des rührenden reimes willen ge-
ändert; A hat nur ungeschickt gestan aus f/egän gemacht, sonst das
richtige bsAvahrt.
^) Ursprünglich: Ir endürfl uilit sorge haben.
396 l'AUL
S60, 3 vohjlcn Gimthcrc unde sinen man {: bestän).
A un Sifride dan.
1935, W der von Bechelären, vriunt und siner man {: gewan).
C die stiegen von dem hüse, daz wären shie man.
A daz was von (lies von den) herren durch tri?ve gctan.^)
18, 1 Kriemhilt i7i ir muote sich minne gar hewac {: lac).
A in ir vil hohen lugenden der si schoene pflack.
I ir lichiu muotcr ir. nach wnsche schone pflacP)
1270, 3 sine slühe, sam ez hrünne, allenthalben dan {rmaii).
D allenthalben sam es brinnen began.
122, 2 redeji er vej^bot
iht mit übermüete des im wmre leit (:meU).
I di red er gar verbot
diu ubermuetic wcvre daz wart im do gesell.
1307, 3 daz ist uns gar verdeit {:kleit).
I dest immer ungeseit.
1684, 1 fürsten wine milt (.-schilt).
I min frawe Kriemhilt.
2141, 3 daz ich si tragen solde hie zer hohgezit.
die muget ir selbe schäumen, daz ir mm geziuc des sit.
I die mugt ir selb schawen, ich truoc si ane nit.
durch miner frawen er. daz ir min geziuc des sii.^)
1233, 3 von Rüedegeres des marcgräven man (: getan).
C * I die snellen Burgonden von {un I) Rüedegeres man.
H die sah man churlichen stan.
1936, 1 do sach ein Hinnen recke Etzeleji gän {:hnn).
b do sach ainen Hünen recken der Etzeln man.
Dies die stellen, an denen durchgreifendere änderungen
sieh finden. Dazu kommt eine grössere anzahl, in denen nur
das reimwort, oder nur noch das nächstvorhergehende geändert
ist. 886, 1 üz erkorn (:horn) ^ wol gebom A. 1614, 1 spile-
man {:hän) = dege7i sän A. 1901, 1 spileman {: getäii) = sän
A. 1971, 3 ahe gän {: bestän) = abe län A. 2199, 3 begän
{:tnan) = getan Ala (das pari begän scheint anstössig ge-
') der von Bectielären, mit den er dannen quam.
-) Kriemhilt in ir muote minne niemen jach.
3) ich truoc si hie zen Hiunen durch daz vil edele rvlp : die muget
ir etc.
ZUR NIBELUNGENFEAGE. 3<J7
Avesen zu sein, ebenso wie 981, 4 für A, 410, 2. 806, 4. 2236,
2 für I, 659, 4 für lab). 568, 3 an dem ringe stän {:man) =
an einen rinc do gan B. 741, 3 rvol getan {:man) = vil tvol
stän D. 861, 3 über Bin {: geshi) = jagen swin D. 1553, 1 an
{:hestdn) = dan D (die zeile weicht noch weiter ab, aber die
Übereinstimmung mit N b, welche an haben, zeigt, dass die ab-
Aveichung nichts mit der reimänderuug zu tun hat). 1693, 3
min galt {:hoU) = minen solt D. 2077, i gät {:hät) ^^ stät D.
2123, 1 zno zmis gan {:hdn) = ims bestan D. 360, 1 verdeit
: gemeit) = verseif I (nach Lachmann, B nach Bartsch). 068, 1
verdeit {:leit =^ nit geseit I (an den beiden letzten stellen ist
wie 1307, 3 und 1612, 3 die zusammenziehung verdeit besei-
tigt, ebenso gekleit 932,4). 458, 1 an getan {jman) = allez an
L 611, 1 hin gegän {: stän) == von dan \. 2003 gegän {:began)
= do san I (vgl. oben 2199, 3). 894, 3 dan {: getan) = an
I. 1705, 3 abe gän {: bestan) = iucli erlan I. 1797, 1 die
zwcne gierigen dan {: getan) = die zrven Jaien man I. 2021, 1
sän {:man) = dan I. 2157, 3 helmgespan (: man) = heim dan
I. 1485, 3 über sant {: genant) = in das lant 1.
In einigen fällen ist sogar der reine reim des Originals in
einen unreinen verwandelt. 2237, 1 solhe not {:tdt) = solhen
mut B. 560, 1 in beckeii von golde rot {:nöl) = ein becke von
golde truoc D. 2287, 1 ein wäfen starc genuoc {: sluoc) = ein
m. St. un guot b, ein tzir waffen gut D. 14, 1 ir muoter Uoten
{:guoten) = ir lieberi fnuoter I. 1840, 3 die Nuodunc e besaz
{ivergaz) = diu Nuodunges waz I. 2209, 1 erst so grimme ge-
muot {:guot) = gri?nm ist er genuoc I. 593, 2 genuoc {: truoc) =
gemuot b. Rührender reim ist entstanden 1072, 1 unbehuot : guot
=^ niht ze guot I.
b) Das zweite reim wort ist geändert:
143, 4 in hilf et vil der degene, daz rvizzet üf die triuwe min
(; Bin).
A des sult ir gervarnet si7i.
354, 2 ze sehenne vremden Hüten, swaz man der gewan {: getan).
A die ze sehenne waren den Hüten fremde dan ^).
') als CS vremden Uuten ze sehenne tvol gezam.
308 PAUL
'11'.), 1 Günther der cdele vH harte sorgen heg an {:ma)i).
A dar umbc sorge gewanA)
442, 1 er sprach zuo dem künigc, unt Ict vil wisliche daz {:saz).
A da er und ander degne alles leides vergaz!^
470, 4 war wnbe er des gcrte, des hört in niemen verjehen
{.-gesehen),
A so wil ich iu leides laxen, hie niht geschehen.
494, 4 si fuoren von dem lande mit vil grozen vreudcn sint
{:wazzerwini).
A daz hciveinde maniger muoter kint.
798, 1 den Kricmhilde vriedel hicz man bringen sä zchant
(; Niderlant).
A do wart der kuene si/'rit harte balde do besant?)
948, 4 do begunde Kriemhilt vil harte unmcezliche klagen (; cr-
slagen).
A ouwe sprach vro kriemhilt tvaz wildu solcher mcrc
sagend)
909, 4 den tvolde er gerne rechen: des gie im wcerltchen not
(.■tot).
A als im sin triwe daz gebot.
973, 4 do siz niht läzen wolden, daz was ir wcerlichen Icit
(: gemeit).
A daz wolden si niht lazen daz do ir herze vol durchsneit.
981, 4 und ouch der grimme Hagene zuo dem wuofe gegän
(.-man).
A daz wcere bezzer verlän.
088, 4 in triuwen si in klageten mit den anderen sint (; kint).
A ir ougen wurden nazzer {nazzes
Lachm.) blint.
1594, 4 daz ist an den triuwen war (: här).
A si warn hübsch un dar.
2106, 2 dar über zw elf recken ze helfe er gewan {:man).
A sach man mit im gan.
*) dar unibe iti gruze sorge quam.
2) zuo den andern degenen. zem künege er wisliche sprach oder
er sprach vil wisliche, da er den künic ane sach.
'^) do besande man vil schiere den degen küene unde halt.
^) don wart nie mtre leides in ir herzen begraben.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 399
845, 4 da mac man in vcrhouwen: des ist mir sorgen vil bereit
(; breit).
A des han ich sorge unde leit.
I da von han ich dicke leit.
1155, 4 er mac si wol ergetzen swaz si leides ie gewan^)
B (:imdertän).
swaz ir leides ist getan.
1516, 4 ern wold ez doch niht läzen: daz was im leide getan
(; heg an).
B //• deheinen understan.
992, 2 ich tvwne man da iemen dne weinen vant {: wanl).
D des half mit grozzem iamer maiiiger vrouwen hant.^^)
1104, 2 do wären in diu kleit {:reit).
rehte volleclichen üf den soimien komen.
D do waren im bereit
die chleider vollichUchen und uf die säume chomen.
1477, 2 des setze ich iu zc bürgen mm triuwe hie zehant {: lant).
D euch entreuwen min houbet hie zu phant'^).
108, 4 dar umbe sol min ere und ouch min houbet wesen pfant
(; lant).
I des wil ich nit erwinden unz es mir werde bicant.
203, 4 si körnen degenliche mit samt Sivride dar {:sca7^).
I daz man ir muoste nemen war.
253, 4 do was ir übermüeten vil harte ringe gelegen {: pflegen).
I für war si do iahen, er tvcer eiyi tiurlicher degen.
337, 4 sus gewan er Prünhilde: da von im leide gescach {:sach).
I da von der kunc Günther zem kuenen Sifride sprach.
392, 4 doch wart michel schouwen an die küenen getan (:gän).
I doch tvrden sunderUch. die vier vil gesehen an.
447, 1 So si nu mit kreften koment in daz lant,
der küneginne wille ist uns unbekant.
0 So haben ADIbd, C * weicht ganz ab. Bartsch nimmt die lesart
von B atif, wie er überhaupt dieser einzelnen hs. öfters einen ganz un-
berechtigten Vorzug gibt.
^) des half int manic vrouwe. si weinden allesamt.
^) Allerdings weicht C* ab, und Bartach construiert einen unge-
nauen reim. Aber D kann den übrigen hss. der gruppe (auch b) gegen-
über keine selbständige Stellung beanspruchen.
400 PAUL
1 lio si so crcfücllchoi. comcn in duz laut.
Dancnutrl nJi Ikujoi. sprachen do zehanl.
597, 2 si sähen vor in Uuhtcn vil maniges Schildes schln
{: mägedin).
I der Schild lieht hlicke. den wegen gaben pin.
887, 2 sin ras Iruoc in ebene: si Uten mit im dan {:tan).
1 die imger Uten lialde. mit dem cuenen man.
934, 4 tvol mich deich siner herschaft hän ze rate getan
{: bestän).
I eiti ende nu gelebt han.
1726, 4 deheiner hovereise bin ich seiden hinder in bestän {jman).
K bin ich in selten ab gegän
I hant si mich selten erlän
1878, 2 der mlnen bruoder Hagenen künde wizzen län {:hän)
I het cunt getan.
20 IG, 4 er warte ob iemcn wolde noch zuo zin mit sirlte gän
(.•spileman).
I ob si mit strit noch iemen darinne wolt bistan.
2194, 4 über berte und über kinne: in 7vas vil leide getan {: gän).
I über wange. man sach si iamerlichen slan.
190G, 2 Ja frumte er der Hiunen vil manigen helt tot {: Gernot).
a der frümt auch den helden iamer und not.
2215, 4 ob ez ein helt niht wccre, des- enkunde nitnmer gesln
iß^olfivhi).
a des liez er da tvol werden schein.
151, 4 imz er erva^it an friwnden wer im da wolde gestän
(; getan).
b wier sy liesze reyten dan.
1725, 4 het et ir guote sinne, ir seit ez bilTiche län {: getan).
b 7vitze ia soll ir es verborn han.
1628, 2 ja gmbe ich iu die spise ze vierzehen tagen {: versagen).
d ich han euch die speyse in lieb für getragen.
Dazu komraeu ferner : 403, 4 jnagedhi {: sin) = kunighi A.
1051, 4 daz {: haz) = baz A. 1907, 2 erklanc {: spranc) =
ra7ich (für dra)ic) A. 299, 4 erkorn BDId (; verlorn) = geborn
AC (mit unrecht von Bartsch in den text gesetzt). 1488, 4
genant {: laut) = erkant A , bechant Db. 2062, 4 stän {: man)
= gan Aid. 802, 4 stän (:län) = gan ADb. 569, 4 Sifrides
heil {:teil) = Sifrit vil geil ß. 2188, 2 getar (idar) = gevar
ZUR NIBELÜNGENFRAGE. 40 1
BIb. 335, 4 rieh (; Alhrlch) = loheVtch D. 392, 8 guot (; lluot)
= ivolgemuot D. 454, 2 genieit {: breit) ^= unvertzeit D. 1099,
4 Z^o/e w«?//e sin (:mhi) = ;yß//e aw den rein D. 1680, 2 gejiflac
(; /ac) = gesach D (braucht nicht als unrein aufgefasst zu
werden). 1729, 2 des schaden schedelich (:rich) = des ir zihel
mich D. 2087, 4 wol geborn (; geswoni) = uz erchorn D. 1801,
4 5«^e« {: tagen) = chlagen Db. 2297, 4 w«cÄ müede lobeÜche
sich {: Dietrich) = nach grozer muede lohelich. 966, 4 crschal
(:sal) = erhal DL 1876, 4 gän {:man) = stan Dlb. 1440, 4
genant Aßd (:/«/^^) = getvant DIbl (C* abweichend). 394, S
stän (\hän) = ^aw I. 410, 2 ^e^aw (jman) = 6?a?i I. 628, 8
e^itweich {: bleich) = gisweich I, geschwaig d. 695, 2 mcÄ ^e-
»iön/ (; /a?i^) = w/cÄ tu gesant 1. 880, 4 künde im wenic engän
{: entran) = lutzil cund vor im gestan I. 932, 4 gemeit {:ge-
Icleit) = unverzagt IQ. 1252, 2 Gotelinde sint {: kijit) = frawen
GÖtUnt I. 1428, 4 enpfän [laii) == gefueren dan I. 1612, 4
ww^ gemeit {:verdeit) = unverzagt I. 1698, 4 niemannes nit
(^:ivit) = kein rvider strit I. 1710, 2 gän {:spileman) = ^/a« I.
1777, 2 hebnvaz (:baz) = hehn naz I (darauf verrucket mit den
swerten = m/^ dem roten bluot). 1779, 4 ivol behuot (: tuot) =
wolgenniot I. 1915, 4 t^ow Burgonden laut (:ha?it) = (/er c//^«
tvigant I. 2031, 2 /e^e« {: degen) = wegen l. 2032, 2 diu michel
arbeit (; /^^Y) = michel un breit I. 2124, 2 ;i;ö?rg Ä/e ^e/«/A (; ergaii)
== wwÄ/ /«/tJ gestan I. 2236, 2 wt/^ gcgän {: man) = da gie an I.
825, 4 a&e ^aw {rman) =^ ab gestan I, abe stann a. 659, 4 ergcm
{igewati) = getan lab. 2097, 4 geworben hän (:man) == Äa&<; ^e/aw
a. 2 1 26, 4 m/r gewan (; m«?j) = genomen hau a. 249, 2 äm«/c
»«er {: Liudegir) = chun' her (vielleicht küneges her) b. 817, 4
bekant {: laut) = genant b, 2129, 2 dan {:man) = ^«« b.
Unreiner reim ist entstanden: 1096, 2 Jelie (; i-eÄe) = ?volde
iehen A, muezze iehen I. 769, 4 zornec gemuot (; ?<<o/) = zornic
genuoch Ab. 1511, 4 a/^ ez ir müede gezam {: benam) = als
ez mueden began B (in den Untersuchungen s. 11 hält Bartsch
die lesart von B für das ursprüngliche, scheint aber später die
Unvereinbarkeit dieser annähme mit dem verwantschaftsverhält-
nisse der hss. eingesehen zu haben; denn in der ausgäbe ist
er B nicht gefolgt). 1000, 2 die hiez man doch zern opfer mit
dem golde gän (:hän) = die muosten doch mit opfer. daz golt
hintzu tragen {: haben) D (in C* fehlt die strophe). 26f), 4
4ü2 PAUL
ivas getan (:man) = ?vol gezam I. 394, 12 grimme gemuot
{: getnoi) = grinwiic genuoc I. 845, 4 des ist mir sorgen vil
bereit {: breit) = das ist mein sorge aller maist a. 1053,2 man
in vor ir sacli {er sin ir huse sack C : verjach) = er inn ir haus
gacht a. 1G37, 1 weinen (tveinens ADV) si gezam {:vernam) =
weinen si began ab (auch hier ist Bartsch in den Untersuchungen
für a, nicht mehr in der ausgal)e). 1698, 4 nit {:w%t) = leip
b. 1546, 4 herte gemuot = harte gnuog g. 94, 4 zornec ge-
muot = zornic genuog d.
Rührender reim ist entstanden: 500, 4 bereit {imeii) =
gemeit , aber übergeschrieben bereit A. 616, 2 die maget lobe-
llch (; 7'tch) = die chuniginne rieh D. 2056, 2 helmhant (; want)
= sargewant I. 2257, 2 lohellch {: Dietrich) == lohesrich I.
1863, 2 gespart {: Dancwart) = bewart) a. 383, 6 üf den sant
ilant) = auf daz lant b {an der hant C* I). 840, 4 des ist
mir sorgen vil bereit {: breit) = des ist mein sorge prait b.
199, 4 manec ivwtllchez wip {:lip) = maniger edlen frawen
leih d.
c) Beide reimworte sind verändert:
292, 1. 2 er neig ir fltzecliche: bi der hende si in vie.
wie rehte minnecliche er bi der frouwen gie!
A er neig ir 7ninnechlichen genade er ir bot
si twanch gen ein ander der seneden minne not.
593, 3. 4 sivle wol man da gebarte, trürec was genuoc
der herre des landes, swie er des tages kröne tnioc,
A swie wol man da gebarte trürich was sin muot
der herre des landes ir froude duht in niht ze gtiot.
736, 3. 4 daz ir beider gi'üezen so schöne wart getan.
dö sach man vil der recken bi den juncfrouwen stän
A so minneclich ergie
do sach man vil der recken der dienen vrouwen da
niht Ue.
800, 3. 4 du habes dich des gerüemet, daz du ir schcenen lip
alrest habes getninnet, daz seit frou Kriemhilt din wip.
A du hast dich geruemet du werst ir erster 7nan
so seit din ivip kriemhilt hastu degen daz getan.
989, 3. 4 7nan wip unde ki7it.
die sin doch lihte enbären, die weinden Sifriden sint.
ZUR NIBELUKGENFRAGE. 403
A 7nan un ?vip
die sint (1. sin) doch Uhte enharn die weinende (1. wein-
den) Sifrides lip.
Ebenso sind 943, 3. 4 die reiniworte kint : sint von A in
ivip : lip verändert, von D in 7vip : sit, so dass also unreiner
reim entstanden ist.
1414, 3. 4. die da varen solden von Burgonden dan.
der künec mit guotem willen der vil manegen gewan.
A von Burgonden lant
der kunec 7nit guoten willen do vil manigen guoten
ritter vant.
1475, 3. 4 wät : ergäi = gemant : ergdnt A.
13, 1. 2 in disen höhen eren troumte Kriemhilde,
wie si Züge einen valken, starc scoen und wilde.
AI ez troumde Chrie?nhilde in lugenden der si p/lac
wie si einen valchen wilden zuge manigen tac.
401, 3 ja gebot mir her ze varne der recke wol geldn:
möht ich es im geweigert hän, ich het ez gerne
verlä)i.
A durch dich mit itn ich her gevarn han
wer er niht min herre ich hetez nimfner getanA)
I er gihol inir her ze varn. der recke wol geborn.
moht ich ims versaget han. ich hetez gerne verboren.
2299, 3 dö was mit slnan leide ir sorgen vil erwant.
si sprach 'ivillekomen Günther üzer Burgonden lantJ
A si sprach willechomen Günther ein hell uz Burgonde
lant.
nu lone iu got Chriemhilt ob mich iwer triwe des
ermant.
K si sprach willekom Günther von burgunden lani.
ich han iuch hie zen Minen vil gerne becha?it.
I si sprach frolichen . wille comen Gimther
ein kunc vo7i burgunde7i . ich gesach dich 7iie so
ger7i 7ner.-)
') J^ gebot mir her ze varne der recke wol getan:
wcere er niht min herre, ich hetez nimmer getan.
~) Auch C * weicht ab und Bartsch coustruicrt den reim erwant
: halt. Die abweichungen von I und K Hessen sich vielleicht nach der
Stellung, welche diese hss. wahrscheinlich einnehmen, durch selbständige
A{)\ PAUL
1597, 3. 4 .v(V ; oder mer = schar : ce helfe dar ADbg.
1(578, 3 ich wcerc rvol so rtche, hei ich mich haz verdäht,
daz ich iu mhie gäbe her ze lande heie hrdhl.
ADb ich wesse iuch wol so riche oh ich mich [haz A]
kan verstau
daz ich in mincr yabe her ze lande niht gefiiert hau.
246, 1. 2 rant : in Guntheres lant = schilt : durch den fursten
milt Db.
1146, 1 'war umheT sprach db Günther 'ich hehiXete vil
rvol daz,
(ich kan vil wol hewaren daz Ab)
daz ich im konie so nähen daz ich deheinen haz etc.
D ich kan daz wol hewarn
daz ich im so nahen immer sol gevarn.
259, 3. 4 hekant : lant = cunt : lant gesunt I.
319, 1. 2 der hell guot : muot =^ der kuene man : ivän I.
391, 1 man pfliget in dirre bürge, daz wil ich in sagen,
daz neheine geste hie wäfen sulen tragen.
I daz si tu geseit.
daz der geste keiner, alhie sin wapeti treit.
531, 7 diu smalen fiXrbüege such man die moere tragen
von den besten siden da von iu ietnen künde sagen.
I glizzen diu furbuege. diu zunel gaben schal,
mit suezem gedcene . daz vil herlichen hat.
533, 3 daz ir genuoger scoene ze rehte wol gezam.
er 7vcere in swachem muote der ir deheiner woere
gram.
I daz in so (1. daz so) richer coste . ir rnanger nie
gesah.
er waz in swache muote . der in nit holdes herze iah.^)
780, 1. 2 gesagen : gesiehe ie mere tragen = veriehen : ianer
het gesellen 1.
beseitigung eines ungenauen reimes erklären, aber dagegen spricht die
Übereinstimmung der ersten zeile in K mit der zweiten in BDb. In I
und C * könnte der grund zur änderung die beseitigung des vierfachen
reimes sein.
') daz So i'icher koste ir maneger nie gesach,
er ivcere in swachem muote, der ir deheiner trüege haz.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 405
306, 1 mit rede 7vas gescheiden manic schoene wlp.
dö trürete also sere der Prünhilde Üp.
I manc frmve im man.
so grozllch iruren . hrunhiU hujan.
806, 3. 4 die Guntheres man : gegän = al des kunges schar
: aldar I.
1 1 27, 3 mele den vil guoten unt den hesten win,
den man künde vinden in dem lande al iimben Bln.
I als man werden fursten . nach eren dienen sol.
daz man si gern sa^h . daz wart in erzeiget wol.^)
1423, 3 wir wellen komen gerne zuo siner höchgezit
und sehen unser stvester : daz ir des äne zfvivel stt.
I zer hohzite sin.
un gesehen unser swester . ich un och die hrueder min.
1735, 1 er unt der von Späne die träten manigen stic,
do si hie hl Etzeln vähten manigen wie.
I sluogen wunden wit.
do si hi Etzil vahten . mangen herten strit.
Aiicli b ändert stlc in streit, bd manigen wie iu mange
(jnanig d) weit.
2017, 1 der künec klagte sere, sam tet ouch sm wip:
megede unde vrouwen die quellen da den llp.
I sa7n tet diu kunigin.
do kolten sich och bcede . wip un magetin.
2067, 3 si gab ez swer stn ruochte und ez wolde enpfän.
Jane wart nie grcezer solden mer üf vhide getan
{(gegeben d).
I si gab ez swer ez wolt . enpfahen uf sin leben.
ez wart nie grozzer soll . bediu giboten un gegeben.
2231, 3 so rehte krefteclichen er zuo dem künege dranc
daz imez pluot under füezen al über daz houbet
spranc.
1 er sprang o crefticlich . zuo dem kunge san.
daz bluot uf von sin fuezzen . ubers hapt staub aldan.
2258, 1 sU daz es min unscclde niht langer wolde entwesen.
so sagt mir, ist der geste noch lernen genesen'^
') So nach Lachmann, bei Bartsch tiudc ich diese Variante nicht.
ßeitrSge zur geschiclite der deutschen spräche. 111. 27
406 PAUL
i (lez nii wolt enhern.
so sayl mir ist iler f/eslc . dcheiner noch genesenS)
DSU, 3 ^ifril den hemm, ir vil lieben man.
swaz er da vriande hcle, die such man weinende gän.
T Segevrile den doeden den here van Nederland
ay wal men al vrouwen doe daer droeve vand.
1923, 1. 2 kan : hän = mag : han den lag a.
1091, 1 er sprach 'so wirb ez, Rüedeger, als liep als ich
dir St.
und sol ich Kriemhilde immer geligen hl etc.
b ain edel rittcr guot
sol ich von Crimhilden werden wolgemuot.
1213, 1 oh si in hrwhle hinnen, ich wil gelouhen daz,
er wurde doch zerteilet üf den minen haz.
sin hahent ouch nihi der rosse die in solden tragen
in wil hehalten Ilagene, daz sol man Kriemhilde
sagen.
b kelivt z. 2. 3 um und schreibt 1 '' ich gelaub es nicht an
wagen, 4'' kriemhild die sol wissen das. — 1325, 3. 4 gebot : unz
an den Kriemhilde tot = ivard : frawen kriemhild alle vart b.
1449, 1 da sprach zno ir kinden diu edele Uote
'ir soldel hie bellben helde gaote.
b do sprach diu frouwe uote zuo Iren kinden
ir soltent helde guote noch erwinden.
Kübreudei" reim ist eutstandcu 11 GS, 1. 2 nnp : der Kriem-
hilde Itp = mcit : die vrouive vil gemeil A.
Umkehr der reinnvörtcr mit starlier Veränderung hat statt-
gefumlen in A 324, 3. 4. 804, 1. 2, Hierher v.iehen können
wir auch 440, 1. 2, wo rieh : lobellch in 1 vertauscht ist mit
tug entlieh : rieh.
Dasselbe verliältuis wie im liede findet nun auch in der
Klage statt, nur dass die abweichungen niclit so zahlreich
sind. A und 1, welche im liede die meisten beispiele lieferten,
geben hier nur wenige, die crstere, weil sie idjerhaupt Aveniger
') K stiiunite nach den erhaltenen triimmern mit I. In C* fehlt die
Strophe. Daher ist ea müglich, dass I da.s ursprüngliche hat und die
beseitigung der form genern der grund zur ändernng ist. Elieuso denk-
bar ist aber das umgekehrte Verhältnis.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 407
stark von der gemeinen lesart abweicht als dort, die letztere,
weil sie nur den kleinsten teil des gediclites enthält.
a) Das erste reimwort ist geändert. Hier sind ausser dem
sinnlosen leiden für beiden (: heiden) in D 973 i) und dem eben-
falls sinnlosen valien für jähen {: sähen) in b 3057 nur einige
fälle zu verzeichnen, in denen unreiner reim entstanden ist.
1680, 1 ser {: her) =^ s wäre {:here) a. 2503 fif dem nml {: sal)
= her und dar a.
b) Das zweite reimwort ist geändert: 4556. 7 daz in daz
leit mit gewalt (; manicvall) He selten sit gesprechen ivort = daz
in daz leit nid er sali {schalt Lachm.) und lie etc. A. 178
wandez ir rechen gezam (; nain) = den geschach sint alsani Db.^)
368 uni der küene {und ouch meister Ca) Hildehrant {: lant) =
als uns mit meren ist hechajit Dh?) 894 wären (: baren) = gc-
naren D. 2000 verdorheji (; etyvorben) = erstorben D. 266
mid ez vil gerne tcete {ihmte) = mit grozzen triwen stcet I^
4072 unt schieden ?vtslichen {: riehen) = harte friuntlichen (dann
Ittcke) I. 3232 triwe bernden sin {: i7i) = trerv und gruos sein
b. Unreiner reim 656 (fehlt B *) der räche, die si umbe in nam
{umb iren man seit nain b (; zain) = die si nam um im man D.
2878 dem tage {: klage) = den tagen Y>. 2080 dm milte {mit G)
und dlne hende {: eilende) = du mit deine (Bartsch, nach Edzardi
deine) helde (1. du unt dlne helde) a. 238 ir alten sunde {: künde)
= zu allen stunden d. 2000 verdorben {: erworbeti) = verborgen
d. Rührender reim: 3560 nihf enlie {: gie) = umbe gie A, vgl.
oben s. 386. 3050 klage {:sage) = sage D. 4014 diu da quelle
den llp {:wlp) = ez 7varen man vn wip I. 4348 liben {:wiben)
= weiben a. 2576 dem helde den fnuot {: guot) ■= den hell guot
d, w^as Edzardi für das ursprüngliche hält.
c) Beide reimworte sind geändert: 4306 vil küme von der
selben not genas slt diu küneginne : si lac in unsinne = diu
') Ich eitlere im folgenden nach Edzardis ausgäbe, weil es am be-
quemsten ist.
^) wan si sit räche an vi nam.
^) Edzardi nimmt ursprüngliche assonanz lant : halt an, B* und die
vorläge von Ca seien zufällig auf eine ganz ähnliche correctur verfallen.
Aber dass zwischen C * einerseits und C und a anderscifs eine diesen
beiden gemeinsame quelle liegt, von welcher Db unabhängig sind, ist erst
noch zu erweisen.
27*
408 PAüL
kungin von der seihen not . vil hart cum ginas . in unsinne si
lang was I. ;J2 17 ivider heim in jdres zil . der künec in allez
an lU = n\ h. in jures frist . der li. in allcz bitend ist a.
3407 den marcgrdven Ruedegerc lehendic nimmer mcre = rildi-
gern lehentigen nyni mer . edele marckgrefin her a.
lu diesem verzeichuiese siud alle die stellen iibergaugeu,
an welchen selbständige correctur eines nrsprüng-liclicn nnge-
nauen reimes nach dem handschiiftenvcrlulltnisse denkbar
oder von Bartsch angenommen ist, auch die, an welchen ein
rührender reim beseitigt ist oder beseitigt sein könnte; ebenso
alle diejenigen, an welchen ofienbar sinnlose eutst eilung vor-
liegt. Die anzahl ist sehr beträchtlich. Im liede ist das erste
reimwort in 46 fällen '), worunter 7, in denen ungenauer, einer,
in dem rührender reim entstanden ist, das zweite in 105,
worunter 12 mit ungenauem und 8 mit rührendem reim, beide
in 39, worunter i mit rührendem reim; die gesammtsumme be-
trägt 190. In der Klage ist das erste reimwort geändert in
zwei fällen mit ungenauem reime, das zweite in 18, darunter
5 mit ungenauem, 5 mit rührendem reime, beide in 3 filllen;
die gesammtsumme beträgt 23. Diese zahlen sind nicht abso-
lut zuverlässig, da mehrfach anders gezählt werden könnte und
mehrere von den hier ausgeschlossenen stellen hinzuzurechnen
sein werden; aber sie geben doch ein ungefähres bild von den
Verhältnissen. Es ergeben sich zwar aus allen hss. zusammen-
genommen noch nicht so viel reimabweichungen als zwischen
ß* und C*, aber wenn mau in betracht zieht, dass auch
innerhalb des verses die abweichungen der einzelneu hss.
untereinander bei weitem nicht so gross sind als zwischen den
beiden hauptrecensiouen, so wird man finden, dass wol auch
die reimabweichungen in einem einigermassen entsprechenden
Verhältnisse stehen. Aus demselben gesichtspunkte würde es
sich auch begreifen, tlass die Veränderungen beider reiniwörter,
welche eine stärkere abweichuug bedingen, hier einen kleinem
bruchteil bilden, als bei der vergleichung von B* und C*.
Alle aufgezählten abweichungen sind anerkanntermassen
nicht durch beseitigung ungenauer oder rührender reime ver-
*) Wo mehrere hss. ändern, ist dann doppelt geziililt, wenn die iin-
derung-en nnter einander ganz abweichend siud.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 409
aiiliisst, oiii kleiner teil vielleielit durcli weg^cbafl'uiii!,' vou
formen, die dem dialecte des sclireibers unangemessen waren,
die meisten nicht durch formale, sondern sachliche gründe, die
sich zum teil mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit
vermuten lassen. Warum könnte nicht dasselbe auch für das
Verhältnis von B* und C* gelten? Warum ist es da nötig, zur
crklärung einer jeden ab weich ung auf einen ungenauen reim
zu recurrieren? Sind nicht dieselben momente, die später in
der gcscbichte der Überlieferung wirksam waren, dies auch im
anfang l)ei der ersten Scheidung der beiden gruppen gewesen?
Man braucht nur die gegebenen Zusammenstellungen anzusehen,
und man hat den unwiderleglichen beweis, dass in den reim-
abweicliungeu an sich nicht die geringste nötigung zu Bartschs
hypothese liegt, ja mehr, es ist ein hoher grad von wahrschein-
licbkeit vorhanden, dass dieselben, wo nicht alle, doch min-
destens zu einem grossen teile wie in den aufgeführten fällen
nicht aus formalen gründen zu erklären sind.
Anderseits aber darf nicht die möglichkeit geleugnet wer-
den, dass formale gründe, wenn auch nicht ausschliesslich, doch
neben den sachlichen gewirkt haben. Dafür, dass die entfer-
nung unreiner reime zu ähnlichen Verschiedenheiten führen
muss, wie sie B* und C* aufvveisen, kann sich Bartsch mit
recht auf die bearbeitungen des Rolandsliedes und der Kaiser-
chronik berufen. Es fragt sich nun: gibt es irgend welche
mittel zu entscheiden, ob überhaupt und wie weit das motiv
für die abweichungen beider recensionen in der reiracorrectur
zu suchen ist?
Beiden recensionen gemeinsam ist im Hede eine reini-
ungenauigkeit, die sich bei den meisten dichtem des 13. Jahr-
hunderts findet, die überaus häufige bindung an : an, ferner die
gleichfalls auch sonst ziemlich üblichen sun : tiion und zweimal
fruo : dö 1757, 3. 1768, 3. Zweifelhaft, ob unreiner reim oder
schwanken der quantität anzunehmen ist, bleibt es, wenn Die-
trich und die adjectiva auf -lieh bald mit ich, bald mit ich und
künigm und das adv. hi bald mit In, bald mit in gebunden
werden, und wenn 2043, l Ghelher auf wer reimt. Dazu
kommt als eine eigentümlichkeit des Nibelungenliedes die sehr
häufige bindung Hagcue : dcijene. Alle diese reime haben er-
sichtlich den beiden vorausgesetzten bearbeitern keinen anstoss
410 PAUL
eiTei;;t, «ic koiimicn liier für uns als unreine nicht in bet rächt,
sondern g'clten g-leich reinen. Von weiteren ungenauigkeitcn
zeiii't sicli da, wo beide rccensioncn iibercinstininien, keine si)ur.
Dagegen weist jede für sich deren eine kleine anzahl auf.
In B* finden sich zunächst ein paar, auf" die man aucii
bei sonst fast ganz rein reinienden diclitern stossen könnte,
bei denen es deshalb bedenklicli sein könnte, dass sie dem
redactor von C* anstössig; gewesen sein sollten, die auch von
Bartsch gar nicht aufgeführt sind, nämlich mc): her 400, wo-
für C bekaul : laiil\ her : Rüedcycr 2 IIa, 3, wofür C mau : dun;
bräht : naiil 1598, 3, wofür C* Rln : sin und )iah/ : heddhi 1390,
1, wo C'-' die reime der ganzen Strophe ändert mit umordnung
der gedaiikcn, sldit : hin, lanl : hckanl für nahl : beddht, gdn : hdn\
Q\\({\'ni\\ sin : in {Q,vim) = luon: sun C*. Dazu kommen nun auf-
fallendere: snn:früm (tidj.) 1851, 3 = sun : tuon C'^", fruni
(subst. acc): sun 123, 3 = luon:sun\ Gcrnöt : luol 2033, 1 =
der hdchgemuol : tuot-^ Hagene: gademe 2280, 1 = Hagene: degene
und 2248, 1 = sagene : Hagene] menege: Hagene 1916, 1 = de-
gene: Hagene. Zu diesen sichern fällen kommt einer, bei dem
wenigstens die gröste Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass
er hierher gehört, 1942, 1. 2. Hier schreibt Bartsch wol mit
vollem rechte:
'mich riuwel äne nutze', so sprach Hagene,
'deich vor dem degene le gesaz in disem gademe.
Den ungenauen reim hat hier freilich nur I, welche in
der zweiten zcile liest daz ich ie gesaz . in disem gademe.
Dagegen haben AB daz ich ie gesaz in dem huse vor dem
degene, Db daz ich mich ye geschied von disem degene, C * mit
künstlicher, dem originale fremder Wortstellung daz ich vor
Volkere ie gesaz dem degene. Dass alle drei lesarten in dem
reimwort übereinstimmen, lässt sich sehr wol als zufall an-
sehen, da degene der gewöhnliche reim auf Hagene ist, um so
eher, wenn dies wort im originale im Innern des verses stand.
Die annähme, dass in jeder dieser drei gruppen selbständig der
reim Hagene : gademe beseitigt wäre, würde am natürlichsten
die abweichungen erklären. Die alleinige erhaltung des Ori-
ginaltextes der gruppe B*, welcher hier gleich dem des ge-
meinsamen originales von B * und C * sein Avürde, ist in I nach
der Stellung, welche wir dieser hs. werden anweisen müssen,
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 411
vollkommen denkbar, um .so eher, \vcim AB und l)b unter
sieb abweichen. Dagegen viel gerinj^'cr i^st die wahrschcinlirh-
keit an einer andern stelle, die in den untersuelningen noch
nicht aufgeführt ist. 2270, 1. 2 schreibt Bartsch:
'Jane shi wir nilit so schuldic', sprach do Hagene.
ez gienrjen iuwer helde zuo disem gademe
nach I. ABDb haben ez giengca ze disem {zuo dem \)U) Imse
[die AD] iwcr degenc , C''* ez /cd/neu her zem Mise die iuwern
dege)ie. Auch liier erlaubt meiner Überzeugung nach die weiter
unten zu erörternde Stellung von I das in ihr allein überlie-
ferte für den Originaltext von *B zu nehmen, auch hier wäre
die ansieht, dass das zusammenti-eflen der übrigen hss. der
gruppe mit C* ein zufälliges sei, wol annehmbar. Aber
immerhin ist die Übereinstimmung eine sehr grosse, die ab-
weichung zu unbedeutend, als dass nicht an und für sich die
entgegengesetzte ansieht, dass I geändert habe, mehr Wahr-
scheinlichkeit für sich hätte. Es scheint nun aber die for-
derung berechtigt, dass l)eide stellen, an denen es sich um ein
und denselben reim handelt, gleichmfissig angesehen werden
müssen. So könnte die erste stelle bei der zweiten als stütze
für Bartschs auffassung dienen, und alles in allem betrachtet
möchte ich dieser stütze vertrauen. Es könnte aber doch auch
jemand die zweite stelle bei der ersten gegen Bartsch geltend
machen. Noch fraglicher ist eine dritte stelle. 1880, 1 schreil)t
Bartsch: vil lüie rief do Danctvarl vor dem gademe {: Hagene)
nach D (b fehlt hier). ABI haben zuo dem degcne , C* eime
degenc icin degen a). Bedenken erregt hier das band seh riften-
verhältnis. Man müste nicht nur annehmen, dass C* einer-
seits und ABI anderseits unabhängig von einander auf das-
selbe reimwort gekommen sind, was allerdings nicht so ganz
unwahrscheinlich wäre und durch die kleine abweichung zuo
dem = eime noch etwas an Wahrscheinlichkeit gewinnen könnte,
sondern auch, dass AB und I selbständig auf ganz dieselbe
änderung verfallen sind. Weiter fühi-t Bartsch an 1226, 1
dan : gezam = nam : gezam C *. Hier aber stimmen Id mit C *.
Für Bartsch ist dies unbedenklich, weil er annimmt, dass diese
beiden hss. oder vielmehr ihr original nicht nur einzelne stro-
l)hen, sondern auch eine anzahl lesarten aus C* entlehnt haben.
Da aber diese annähme, wie ich später zu zeigen gedenke,
412 PAUL
kauui haltliiir ist, so winde wider nichts anderes übrig bleiben,
als zufälliges zusanimcutrcHen von C* und Id anzunebnicn,
falls man die ursprüngliclikeit der Icsart \ou AßDb verteidigen
will. Zweifelnd führt ßartscb au 2118, 1 (legen : gehen, in der
ausgäbe schreibt er wegen. Nach Lachmann und Bartseh
Untersuchungen steht gehen in AI, nach Dartschs vai-ianteuver-
zeichnis in ABI, was einen nicht unwesentlichen unterschied
machen würde. Ist die letztere angäbe richtig, so würde die
ursprünglichkeit von gehen mindestens denselben grad von
Wahrscheinlichkeit haben wie die von wegen. Dann wären
entweder AB und I oder C* und Db (d fehlt) zufällig in einer
änderung zusammengetroÖeu. Allerdings lag gehen neben gähe
so nalie, dass es leicht durch blosse nachlässigkeit entstehen
konnte. Ueber 1511, 4 vgl. oben s. 401. Alle diese zweifel-
haften fälle dürfen wir hier nicht als beweismittel verwenden.
Wir können sie aber auch entbehren. Wahrscheinlich kommt
noch dazu 776, 1 Rhi : Arahi, wo alle hss. ausser B Arahin
schreiben, vgl. Untersuchungen s. 15.
Umgekehrt hat C* folgende ungenaue reime: zunächst
einen leichteren, von Bartsch nicht aufgeführten 1826, 1 Volker
: ger = reit : leit B*; ferner 1636, 1 Hagene : hahene = Hagcne
: tragene\ 1896 Hagene : gademe = Hagene : clegene\ 1960 Hagene
: zesamene =^ degen : gepfleg en ; 717,1 degen : lehen == gehen
: lehen. 1896 hat a sagen, 1960 getragen im reim auf Hagen,
offenbar correctur einer späten zeit. Ueber 1637, 2 vgl. s. 402.
Was ergibt sich nun aus diesen tatsacheu? Wir dürfen
allerdings nicht ohne weiteres schliessen, dass in jedem falle
der ungenaue reim das ursprüngliche sein müsse; denn wir
haben oben sichere beispiele vom gegenteil gehabt. Aber fol-
gende Überlegung, meine ich, zwingt uns dies hier anzunehmen.
Gehen wir von der ansieht aus, dass eine recension, sei es B*
oder C*, den ursprünglichen text bietet, die andere stets, wo
sie abweiclit, geändert hat, so kommen wir auf arge unwahr-
scheinlichkeiten. Der bearbeiter hätte dann sowol ungenaue
reime beseitigt als neue eingeführt. Dies könnte natürlich
nicht mit bewuster absieht geschehen sein, sondern wäre nur
unter der Voraussetzung zu begreifen, dass die änderungen
ohne rücksicht auf genauigkeit oder ungenauigkeit des reimes
aus anderen gründen gemacht seien. Die ungenauigkeiten
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 41 3
wären dann s^owol dem dichter des Originals als dem Bearbeiter
geläufig gewencn. Das wäre an und für sich reclit wol donk-
))ar. Al)er wie kommt es dann, dass die urigenauigkciten
sieb gerade nur da finden, wo beide rccensionen von einander
abwciclien, und zwar mit einer ausnähme nur da, wo sie in
einem leimwoite abweichen, nicht auch da, wo sie überein-
stimmen oder in den Strophen, welche nur die eine enthält V
Reimpaare, in denen die bearbeitungen mit einem reimworte
abweichen, gibt es im ganzen, wie sich uns später ergeben
wird, 206, oder wenn wir die unsichern beispiele mitzählen, wo-
durch aber gerade die zahl der ungenauen reime im Verhältnis
beträchtlich erhölit würde, 212; dagegen solche, in denen beide
reimworte übereinstimmen 41 70, solclie, in denen beide abweichen
1(j8, endlich in den nur in B* überlieferten Strophen 76, in den
nur inC*Id überlieferten 40, in den nur in C* überlieferten
160. In diesem Verhältnisse müsten die ungenauen reime ver-
teilt sein. Dass sie nicht ganz genau so wären, dürften wir
wol auf rechnung des zufalls setzen, dass sie sieh aber nur bei
abweicliung, und zwar nur einmal bei abweichung beider reim-
wörter, sonst immer nur bei der eines reimwortes und gerade
da in ()eiden reeensionen finden, dürfen wir nicht als zufall an-
sehen, wenn wir nicht auf alle bestimmung geschichtlicher
Wahrscheinlichkeit verzichten wollen.
Also, wenn wir von einer recension als original ausgehen,
kommen wir nicht durch. Wir müssen anuelimen, dass in bei-
den geändert ist. Dann kommen zwei mögliehkeiten in be-
tracht. Entweder reimte das original genau und die ungenauen
reime sind durch die bearbeiter liineingeljracht, oder das ori-
ginal enthielt ungenaue reime und diese sind durch die be-
arbeiter beseitigt. Mit der dritten mögliehkeit, dass von den
beail^eitcrn ungenaue reime sowol beseitigt als eingeführt seien,
würden wir um nichts gebessert sein. Die erste ist noch von
niemand verteidigt worden, wir wollen sie aber doch nicht un-
eröi'tert lassen. Sie setzt voraus, dass die ungenauen rcinie
beiden bearbeiter n geläufig gewesen sind. Sie hätten dieselben
natürlich ]iiclit um reimnngenauigkeiten zu schaffen, sondern
unabsichtlich, indem sie aus irgend einem andern gründe ;;n-
dertcn, hineingetragen ^ gerade so, wie wir sie in verschiedene
einzelne hss. eingeführt gesehen liaben. Dass in den überein
1 1 1 PAUL
stiimncndcii reimen keine unii;enauigkeitcn voik(minien, wäre
«liUKU'li beiiTeiliicli. Aber immer noch bliebe es auflallcnd,
(Inss sie auch da, wo beide leimworte al)\vciciien, beinahe
i:anz und in den jeder einzebien i;rui)pe eigentümlichen Stro-
phen vollstüiidii;' fehlen, wenn aucli die annähme von zuf'all
hier bei den kleineren massen nicht ganz so ungeheuerlich ist.
Dagegen ergibt sich eine vollkommen befriedigende lösung,
wenn wir dem originale ungenaue reime zuschreiben und (\(i\i
bearbeitern die tendenz, sie zu )>eseitigen. Dadurch wird nun
zugleich ein grund für die äuderuugen gefunden, welchen keine
der andern ansichten zu liefern vermochte. Ich halte es aller-
dings für vei'fehlt, iiei jeder <änderung ängstlich nach einem
gründe zu forschen. Aber es ist bemerkenswert, dass sich
gerade an keiner der hierher gehörigen stellen ein sachlicher
grund zur änderung entdecken lässt. 2248, Ji. 4 verrät sich
ausserdem die änderung in C'-'-' an der gekünstelten, von der
gewöhnlichen natürlichen art des liedes abweichenden Wort-
stellung, wie umgekeln-t 717, 1 in D*. Ebenso macht 2033, 1
Gernoi der hochgemuol statt der geläufigen formel der starke
Gernöt deu cindruck, als ol) es durch reinmot des Überarbeiters
veranlasst sei.
Die für das lied gewonnene ansieht können wir ohne
weiteres auf die Klage übertragen, da der text derselben das
geseliick des liedes geteilt hat. Die Aerhältnisse sind hier ein
wenig anders. Der reim Ilagenc : dcrjene, der uns im liede so
häufig begegnet, fehlt im gemeinsamen texte. Dagegen findet
sich einmal der s(nist im 13. Jahrhundert nicht ungewöhnliche,
im liede aber nicht voikonmiende reim ur : är , 807 hdr : dar
{Idnr A), und zweimal in : in, 2991 sin : in und 4127 Bloedelin
.-in), wälirend im liede Idoss künef/in und in auf in reimt.
Weiter aber sind hier auch zwei auffallendere reindjildungen
in beiden recensiouen erhalten, wovon im liede keine spur ist:
1237 ouf/en : gclouben und 4423 gewunnen : künden {kunnen AC
unrichtig). Sie bestätigen unsere ansieht, dass das original
ungeuauigkeiten enthielt. Anderseits aber ist ihre zahl im Ver-
hältnis zu den in den einzelnen bearbeitungen vorkommenden
so gering, dass aus ihnen nicht gleichgültigkeit der bearbeiter
gegen den ungenauen reim geschlossen werden kann, selbst
wenn das gegenteil nicht schon durch die betrachtung des
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 415
liedes feststünde. Wol nicht liierlicr zu rechnen ist 1760 Bur-
gondi'u : crwenden , indem mit AiidCa l'unjeiidcn zu schreiben
ist; noch weniger das Aon Edzardi angezogene vrumen : kamen
4553 (auch 2803 und mehrmals im liede), indem kumen zu
lesen ist. Die ungenauigkeiten der einzelnen recensionen sind
zum teil anderer nrt als im liede. In B* tiudet sich: 1317
Hagene : gaäcme (die stelle fehlt in (J*); 1215 degcne : Hagene
und 3311 Ilagenc : dcycue (in C* liat an beiden stellen zu-
sammenziehung mehrerer verse stattgefunden); 2977 tagen :he-
grahen {klagen X) = tagen : fragen C*; 1619 inne : grinmie
(erweiterung in 0*); 1047 swester : laster = swcster : vester
C*; 1773 S'tgehcre ; mccrc (Lnchmann und Bartsch schreiben
hcre , was wegen des rührenden reimes geändert sein könnte)
= mcre : Sigeherc C*; 1303 siione : küene (Lachmann und
IJartsch süene : küene) = mion' : liion C*. Kaum kommt hier
in betracht gehört : ermort 41U5 in einer in C* fehlenden
l)artie, da umgekehrt auch ehnnal hör l : gehört in C ''•■ reimt,
1403, \vo B* fehlt. Nur in I steht bnochstahen : sagen 1679,
wo AB haben schreiben, ebenso C, aber mit starker abweichiing;
jedoch scheint mir haben für den sinn angemessener uml die
abweichung in C* kann nicht aus ursprünglicher reimungc-
nauigkeit erkhirt werden , da die so nalic liegende blosse än-
deruug des reim Wortes genügt haben wüide. Sehr fraglich ist
auch die ursprünglichkeit des reimes erslagoi : haben in B
3643, wo Ad begraben haben; in C* fehlt die stelle. — In C'-"
linden sich zunächst einige leichtere ungenauigkeiten, die im
gemeinsamen texte ihre analogieen haben, nicht aber in B*
allein: 2397 gar : här = vär : hdr B*; 1453 ßlecdelin : unsin
= sin B*; 3597 Pilgerin : In =^ hin : in B*; 3135 ungelich : sich
= ieslich B*; ferner 4333 zxo : dö (zwT.imal im gemeinsamen
texte: 757. 2649). Dazu kommt nu : do 1477, was in zuo : nu
Tibi B* mit rücksicht auf das eben erwähnte ziio : do sein
gcgenstück hat. Au diesen stellen kann es noch am meisten
zweifelhaft erscheinen, ob der reim die veranlassung zur ab-
weichung gegeben hat, wiewol sich daraus die natürlichste er-
klärung ergeben würde. Sicher kann nicht in betracht kommen
2419 in : kuneghi in einer in B* fehlenden f teile. Auflallender
sind 3069 ff'ietie {fVienen die hss.) : niemen ^= stete : bete B*;
3107 riten : hochzite {hochczeit a, hochgeziten C, aber davor
1 ! 6 PAUL
(k'ii sinji-, (los mtikels) = höclizUcu (dodi hat auch A den
sing-, des artikclss) ; 4659 marcgräviiDic : shuicn = shinc 1> * ;
4727 vcrstvuadc : ervunden. An letzter stelle hat C oder oh er
siL'i versn'ioide, daz cnhät )toch nlemoi ervunde)i\ a hat Ich wan
cz ymanl er fände , otlcnbar änderung' zur ver])csseruiig' des
reinies, da C mit 13 stinunt. Dagegen setzt die hs. 1>, die hier
allein die ganze recension vertritt, in der ersten zeile sinnlos
67' venwunde/i. Dieser fehler fällt vielleicht erst dem sehreiber
zur last, und das original von B''^ hatte noch uugeuauen reim
wie C*. Dazu kommt endlich 755 henden : winden, allerdings
nur durch a bezeugt; aber die Verschiedenheit der lesarteu
von B*, C und Db, \velche noch dazu alle drei sehr nichts-
sagend sind, macht die ursprünglichkeit des ungenauen reimes
in a im höchsten grade wahrscheinlich.
Wir haben also bisher folgendes rcsultat gewonnen.
Erstens: weder B * noch C * haben durchgängig den originalen
text erhalten, sondern in beiden haben Veränderungen statt-
gefunden, deren allerdings bis jetzt nur ein paar nachgewiesen
sind, so da SS der grad der abweichnug- für jede einzelne re-
cension noch zu bestimmen bleibt. Zweitens: das original ent-
hielt ungenaue reime. Drittens: in beiden bearbeitungen zeigt
sich das bestreben, die ungenauen reime zu beseitigen. Es
entsteht nun die frage: beschränkten sich die ung-enauigkeiten
auf diejenigen reime, die mindestens in einer von beiden re-
censioucn erhalten sind? Dass diese frage zu verneinen sei,
macht folgende bemerkuug in hohem grade wahrscheinlich.
Wenn einmal die beiden boarbeiter die tcndenz zur entfernung
der unreinen reime hatten und dabei nicht ganz consequent
verfuhren, wie sollte es sich zufällig getroffen haben, dass der
eine nur gerade diejenigen reime verändert halte, die der an-
dere stehen liess, und diejenigen stehen gelassen hätte, die der
andere veränderte? Musten sie nicht eben so gut mitunter
auch beide denselben verändern? Man könnte mit der gegen-
fi-age antworten: musten sie nicht beide auch mitunter den-
selben reim stehen lassen, was ja wenigstens im liede gar nicht
der fall ist? Aber weit gefehlt, dass mit dieser zweiten frage
das recht der ersten in zweifei gestellt würde, wird dasselbe
dadurch nur gekräftigt. Denken wir uns, dass in jeder recen-
sion die hälfte der ungenauen reime !)eseitigt, die hälfte stehen
ZUR NIBELUNGENFRAGß. 417
gelassen wii-d, so ist die wahrscheinliclikeit dafür, dass eben
so viele, wie in jeder einzelnen stehen bleiben, auch in beiden
zusammen stehen bleiben und in beiden zusammen g'ciindert
werden. Bleibt der grössere teil stehen und wird der kleinere
teil geändert, so ist zu erwarten, dass mehr als in jeder ein-
zelnen recension in beiden zusammen stehen bleiben, dagegen
weniger in beiden zusammen geändert werden. Um so grösser
der abstand zwischen beiden teilen wird, um so mehr v/ächst
wahrscheinlicher weise die zahl der gemeinsam erhaltenen
und mindert sich die zahl der in beiden bearbeituugen ge-
änderten reime, und zwar in quadratischem Verhältnis. Die
letztere zahl kann bis aut einen bruchteil herabsinken , d. h.
es ist zu erwarten, dass höchstens ein fall otier gar keiner
vorkonmit. Wird dagegen der grössere teil geändert und
bleibt der kleinere teil stehen, so tritt das umgekehrte Ver-
hältnis ein. Diesen fall haben wir hier. Gerade daraus, dass
im liede keiner von den anstössigen reimen sich in allen bei-
den bearbeituugen erhalten hat, haben wir das recht zu ver-
muten, dass die grössere menge derselben in der einen wie in
der andern weggeschafft ist. Die zahl derselben könnte nach
dem bisher vorgebrachten materiale beliebig gross gedacht
werden. Eine wahrscheinliche gränze lässt sich noch nicht er-
mitteln.
Wenn zwei bearbeiter unabhängig von einander einen un-
genauen reim beseitigen, so l)rauchen sie nur ein reimwort i)
zu ändern, können es aber unter umständen auch bequemer
finden beide zu ändern. Die allgemeine Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, dass sie sich in der regel mit dem ersteren be-
gnügen werden. Wenn aber auch nur einer das letztere tut,
so werden nun, falls sie nicht ausnahmsweise zufällig auf die-
selbe äuderung verfallen, beide leimworte in den bearbeitungen
abweichen. Aendert dagegen jeder nur eiu reimwort, so sind
zwei fälle möglich: entweder ändern beide dasselbe, oder der
eine das erste, der andere das zweite. Im ersten falle stim-
men beide texte in einem reimwort, das andere weicht ab
ausser bei zufälligem zusammentreten; im zweiten weichen
') Die iiuderung- des roimwortes bedingt nalürlicli in der regel
weitere veriinderiuigen im iiinern der zeilc.
418 PAUL
wider beide reimworte ab, aber das erste aus der einen muss
mit dorn zweiten aus der andern einen ungenauen reim bilden,
ßei der vergleichung- der beiden texte finden wir nun die
diesen fällen entspreclienden verliältnisse, die von Bartsch
ziemlich vollständig- aufgeführt und ohne weiteres fast sänimt-
lich zu gunsten seiner hypothese ausgebeutet sind. Für uns
kommt es darauf an, die grenzen für die berechtigung dieses
Verfahrens zu finden. Wir müssen dabei ausgehen von den
auch bei Bartsch unter I (s. 13) vorangestellten fällen, in
denen sich durch kreuzung ungenauer reim herstellen lässt.
Bartsch zählt 14 auf, in denen er das original reconstruiert
und fügt dazu eine andere, in der er dies nicht zu tun wagt:
920, 9 dan : getan = nam : alsam. Dazu kommt die unter V
(s. 45) aufgeführte stelle 310, 3 not : tot == gnot : guot , also
im ganzen IG stellen. Wer denselben alle beweiskraft für die
assonanzenhypothese abspricht, muss das gegenüberstehen solcher
reime in B* und C'-'' aus rein zufälligem zusammentreffen er-
klären. Dies tun die gegner Bartschs, seine anhänger dagegen
behaupten, es könne kein zufall sein. Das ist behauptung
gegen behauptung olme beweis. Es ist aber vv'ol möglich, den
streit für diejenigen, welche solclicn gründen zugänglich sind,
wie sie hier überhaupt vorgebracht werden können, zu ent-
scheiden. Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls lässt sich auf eine
bestimmte mathematische foi-mel bringen. Nennen wir die
zahl der rcimpaare, welche in beiden recensionen mit beiden
reimwörtern abweichen, m, und bezeichnen die anzahl der
fälle, in denen sich derselbe reiniklang widerholt, in B* mit
den buchstaben a, b, c etc., in C* mit «, ß, y etc., also etwa
reimpaare auf an kommen in B* « vor, in C «, auf mn in
B* b, in C* ß u. s. w., dann ist der teil von der gesammtheit
der reime, welchen die auf an in B* bilden, zu bezeichnen
durch , den sie in C* bilden, durch , den die auf am bil-
b ß
den, durch und etc. Denken wir uns nun, wir hätten zwei
urnen, in der einen lägen die reime von B*, in der andern
die von C*, und es würde blindlings aus jeder ein reim heraus-
gezogen und die beiden herausgezogenen mit einander verbun-
den, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus der urne B*
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 419
eiu leini auf an herausgezogen wird = — , ilass aus der urne
m
C* ein reim auf«;« heraus!iezoi>:en wird = ' , dass beide zu-
sammen lierauso-ezoo-en werden = —^. Dies ist die waln--
m-
selieinlicbkeit für den einzelnen fall; da aber das ziehen sich
m mal widerholt, so ist zu erwarten, dass im ganzen das zu-
sammentreifen — mal vorkommt. Die reime am und an be-
m
gegnen sich nun aber auch, wenn der reim an aus C * und am
h cc
aus B * gezo^^'cn wird. Dies ist also in — fällen zu erwar-
?n
ten, das zusammentreffen iiberhaui)t also in ' fällen.
?n
Wir haben uns also jetzt nach der zahl der Lil)iiji,en fälle
umzusehen, in denen beide reimwörler abweichen. Diese sind
zum bei weitem grcisten teile von Bartsch unter iV und V
(s. 30 ü".) zusanmieng'estellt. Er führt unter IV 80 stellen auf
an denen er das original recoustruiert und citiert die übrigen,
aber nicht ganz vollständig. Ich gebe hier ein ergänztes Ver-
zeichnis mit angäbe der reime 330, 3 H/i (dat.) ; nnp B * =
gese'it : meit C*; 519, 1 shi : künighi = lanl : bekant] 729, 3
dan : getan = mite : sile\ 1202, 3 llp : wlp = guot : muot] 1231,
1 rlten : h/ten = (legen : hetvegeyi\ 1520, 1 7vät : rät = gewani
: ungewant\ 162S versagen : tagen, komen : genomcn = not : hrdi .
hat : rät \ 1663, 3 hahen : begraben = hat : er s tat] 1717, 3
vernomen : komen = hän : gän\ 1803, 3 geschacJi : verjacli =
geschehen : verjehen\ 1826, 1 reit : teit = Votker : ger] 1833, 1
spileman : missetän = erslagen : sagen] 2021, 1 sän : man = in
: sm\ 2047, 1 sal : schal = in : hin] 2049, 3 vloiii : zorn =
llp : 7Vtj>] 2279 Hagene : tragene . nemen : gezemen =^ gezemen
: nemen . zlt : glt] 2298, 3 man : hestän = ivesen : genesen. Im
ganzen haben wir also 98 reimpaare.') Bei den unter V auf-
geführten beispielen ist es mit der Zählung etwas mislich be-
stellt. Wir sehen uns da genötigt die fälle unberücksichtigt
zu lassen, in denen eine stiophe zu mehreren crweitevt, oder
•) 227ü habe ich nur eiutuch goiochnet; ebenso in Uhnlichcu tällen.
4'iO l^AUL
mehrere stvoplicu zu einer zusammengezogen sind. Bartscli
construiert (Ins original für 19 reinipaare, von denen aber eins
von uns unter 1 verwiesen ist. Die weitere aufzählung ist
wider nicht ganz vollständig, üic für uns in betracht kommen-
den stellen sind : 324, 3 guot ; mnot = e : rm ; 369, 3 gemach
: (jeschach = zoch : hoch] 435, 3 häuf. : yervant == clan : hegaw^
441, 3 haz : haz = erbot : not] 153, 3 tjaz : besaz = man : nnder-
tän\ 497, 3 lant : hekant = hän : man] 544, 3 dan : getan =
hant : lant] 700. l tage : klage = gemach : sprach] 701, 3 hoch-
gezit : llt = gesant : lant] 757, 3 ivän : man = al : sal] 1191, 3
sin ; in = tuon : suri] 1235, 3 stät : gät = künegin : Pilgerhi]
1255 meit : bereit . kle : e = kle : me . 7nuot : tuot] 1334, 1 ge-
riet : schiet = was : las] 1349 kleit : geseit . man : began = man
: dan . sin : sin] 1390 7iaht : bedäht . gän : han = stän : län .
lant : bekant] 1394. 3 daz : haz = klagen (?) ; tragen] 1583, 3
verdaget : gesagel = vernomen : genomen] 1689, 1 hat : rät =
lob euch : Dietrich] 1807,3 gemeit : reit = nider : sider] 1S44
geben : leben . saz : daz = dir : mir . gerver : ger] 1964 brbt : not
. stän : hän = Volker : her . not : bröt] 2018 degen : pßeyen .
man : kan == Eagene : klagene . hie : enlie] 2236 man : gegän .
bluot : guot = degene : Hagene . knie : gie] 2237, 3 ?nan : dan
= bluot : guot] 2303, 3 truoc : gemwc = rvip:lip] im ganzen
31, mit den früheren 18 zusammen 49. Dazu kommen dann
noch einige von den unter III (s. 29) bei Bartsch gehörigen
fällen, aus denen wir nur die hier berücksichtigen, bei denen
wirklich beide reimwörter verschieden sind, nicht das eine in
beiden texten in umgekehrter Stellung sich findet. i) Dies sind
688, 3 man : gän = dan : getan] 1^1, 1 iingemaoh : geschach =
sach : dach ; 869 , 3 ma}i : bestdn = dan : hän ] also nur 3.
Endlich ist noch mitzurechnen 1960, l degen : gep [legen =
Hagene : zesamene. Rechnen wir alles zusammen, so ergeben
sich 151, die mit den 16, in welchen kreuzung möglich ist,
eine gesammtsumnie von 167 ergeben. Hierunter sind reime
') Von dieser art sind bei Bartsch nicht angeführt 7()(>, 3 lant : ge-
sant = gesant : lant\ 701, l Rin : min = nun : shi; 11 '26, l gie : enpfie
= e^ipfie : enlie \ 200.3, 1 gegän : begun = began : dan. Umkehr beider
reinnvörter hat stattgefunden ausser an der von I*artsch hier angeführten
stelle 1754, 1 {kamen : vernomen) noch 102. 3 tvip : llp\ 40-1, 3 Vip : wlp;
157G, 3 man : hän.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 421
auf an {an) iu ß* 27, in C '•' 26, reime auf am in B"-- und C*
je 4. Setzen wir diese zahlen ein in die oben gewonnene
formcl, so ist die zahl der zu erwartenden fälle des zusammen-
, a- • . ; ■ r (27x4) + (26x4)
treflens von reimen aut an mit reimen aui am = ^^ ^--—^ ^
167
= 1, 28. Es sind aber in Wirklichkeit 7. Eine weitere Über-
legung- zeigt, dass das so herausgerechnete resultat noch viel
zu günstig für die annähme des zufalle; ist. Wir haben näm-
lich einstweilen angenommen, dass auch in den fraglichen 18
fällen der zufall im spiel ist. Nur unter dieser Voraussetzung
ist die gleichstellung und zusammenzählung mit den übrigen
fällen gerechtfertigt. Das reimverhältnis stellt sich wesentlich
andei's heraus, wenn wir sie gesondert betrachten. In bezug
auf die reime auf an macht das keinen wesentlichen unter-
schied, wol aber für die auf am. Während nämlich unter den
übrigen 151 reimen nur einer in B*, keiner in C* vorkommt
finden sich unter den 16 in B* 3, in C •'' 4. Dieser abstand
kann weiter illustriert werden durch das Verhältnis der reime
auf am im ganzen liede. Nach dem reimbuch von Pressel
finden sich in Lachmanus texte deren 34 auf 2316 Strophen,
also 4632 reime, d. h. sie bilden 0,73 o/„. Für den text B*
oder C* kann sich das Verhältnis nicht wesentlich anders
herausstellen. In den 151 reimen bilden sie in B* 6,66 "'/o?
was so genau wie möglich mit dem erwarteten stimmt; wenn
wir sie auf der andern seite in C* gar nicht vertreten finden,
so ist das nichts besonders aulfallendes , da die Wahrschein-
lichkeit für einen fall noch nicht viel überschritten ist. In
den 16 reimen dagegen bilden sie in B* 18,75 '%, in C*
25 O/q. Für dies misverhältnis gibt es keine befriedigende er-
kläruiig, so lange man das zusammentrefien der reime auf an
und am für zufall erklärt. Wir könnten noch die Wahrschein-
lichkeit des zufälligen Zusammentreffens nach dem procentsatz
der reime auf am im ganzen liede berechnen. Danach müsten
in 167 reimen 1,22 auf am in jeder recension vorkommen.
Das zusammentreffen mit einem auf an wäre zu erwarten in
(27X1.22)+ (26X1,23) ^ ^^^ j^.,_ ,,^_. _^^_
167
stand von den wirklichen Verhältnissen ist gross genug und
das material in diesem falle auch hinreichend, um sich ein
Beiträge zur geschiclite der dentschea spräche. III. 2b
42'i PAUL
urteil zu erlaubou. Wcnu wir iu glciolicr weise wie luifangs
für an uud am die walirseheinlich zu erNvaitendeu fälle des
/iisauimeutretieus vou not und dl herecluieii , so ergibt sieh
(OXS) +_(0X 1) ^ ,.^.^ ^^ ^jjj^^ 2. Für uol und uoc er-
167
gäbe sich (^X2)^+_Ö><3 = 0^18; CS ist einer. Hier ist
aber das rnaterial zu geringfügig, als dass man sich irgend
einen sichern schluss gestatten dürfte. Mehr Sicherheit haben
wir für die beiden fälle, iu denen sich durch misch ung beider
texte der reim sun : frum zusammensetzen lässt, da /nw« in
den übrigen 151 reimen nirgends sich findet, und da ausser-
dem der reim durch die beiden in ß wirklich erhaltenen fälle
gestützt wird.
Es wäre noch ein anderes mittel denkbar, die Wahrschein-
lichkeit des Zufalls zu bestimmen. Unter den 30 i) fällen, iu
denen einzelne hss. beide reimwörter ändern, sind 2, in denen
kreuzung möglich ist: 593, 3 gemioc : truoc = inaot : yuot A
und 1735, 1 slic : wie = nil : slrit I. Nach diesem Verhältnis
müsten wir unter den 1G7 reimen doch immer 9'/;$ dieser art
erwarten. Indessen ist hier wider das material zu unbedeu-
tend. Fehlte nur einer von den beiden reimen, so würde das
Verhältnis gleich ein wesentlich anderes werden. Weiter ist
zu bemerken, dass an der zweiten stelle wahrscheinlich das
dem bearbeiter nicht mehr geläufige wie entfernt werden sollte,
zu dessen ersatze gar nichts näher lag als das synonymum
sitit, welches unabhängig von I auch b eingesetzt hat, so dass
hier nicht bloss reiner zufall, sondern die natur der sache ge-
Avirkt hat. Der ausdruck träten manegeii sllc in der vorderen
zeile ist mir übrigens nicht recht verständlich. Aber ich Avürde
es doch für gewagt halten anzunehmen, dass B* und C* un-
abhängig von einander durch reimnot auf diese änderung ver-
fallen wären und I in der ersten zeile das ursprüngliche be-
wahrt hätte. Für die erste stelle mache ich auf die s. 397
und s. 402 augeführten stellen aufmerksam, die uns zeigen,
wie häufig in den hss. gemuot und geuuoe im reime verwechselt
') Ich nelime hier consequeiiter weise die fälle nicht mit, in denen
ein rciiuwoit iu beiden texten iu um"ekebrter reihenfolirc steht.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 423
werden, was wol zum teil graphiscli zu erklären ist. So
könnte auch vielleicht in der vorläge von A gestanden haben
irürec was gemuot, wodurch dann die weitere änderuug ver-
anlasst wäre, ßcmeikeusweit ist endlich, dass hier nirgends
ein reim auf an einem auf am gegenübei' steht.
Ziehen wir das resultat aus unsern herechnungen , so er-
gibt sich, dass es aller Wahrscheinlichkeit zuwiderläuft, wenn
man in sämmtlichen IS fällen die möglichkeit der kreuzung
für blossen zufall erklärt. Um so sicherer wird dies resultat,
wenn wir es mit dem früher gewonnenen combinieren, dass
beseitiguug ungenauer reime in beiden hss. mit höchster Wahr-
scheinlichkeit angenommen werden muss. Damit ist aber die
möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass einige fälle auf zuftilli-
gem zusammentreffen beruhen.
Noch einige bemerkungen über die einzelnen stellen und
Bartschs verfahren bei der reconstruction. 368, 1. 2 nimmt
Bartsch das erste reimwort aus C"'-', indem er in der ersten
vershälfte doch B''-' folgt. Dabei ändert er genam m nam, und
diese ändeiung wäre notwendig, da ge- hier keine syntaktische
berechtiguug hat. Woher kommt dann aber das auffallende
genaini Es würde sich doch wol am besten erklären, wenn
gewan das urspi-üngliche war, woraus es entstand. Dann
würde also umgekehrt die erste zeile aus B*, die zweite aus
C* zu entnehmen sein, wenn es sich nicht etwa so verhält
dass B* überhaupt den ursprünglichen text bietet, genam zu-
nächst nur durch nacblässigkeit aus gewan entstanden ist, was
dann die änderung der zweiten zeile in C veranlasst hat.
Warum 1499, 1. 2 not : guot nicht die reimwörter gewesen
sein sollen, weiss ich nicht. Die herstellung des Originals in
der ausgäbe entbehrt jedes haltes und setzt die richtigkeit von
Bartschs altersbestimmung des gedichtes voraus. Bei 332, 2
ist es absolute willkür, Avenn Bartsch das in C überlieferte so
hin ich dir fr im (/ snn) in so wil ich dir frumen ändert, ebenso
vv'ie er 1851, 4 das in B* überlieferte daz mag iu allen wesen
frum (; smi) in daz mag iu allen gefrumen ändern will. An
dem ausdrucke ist niclit der geringste anstoss zu nehmen; er
findet sieh häufig genug anderwärts und so auch noch an einer
stelle im Nibelungenliede, und zwar in ])eiden recensionen von
28*
424 i'AUL
pcrsoneu gelmaucht.') Der reim sioi : frum konnte hinveicheii,
den bearbeitern anstoss zu erregen. 288, 1. 2 würde sieh
allerding's der reim sun : fnunen (acc. des subs^.) ergeben,
welcher seine bestütigung durch einen ganz entsprechenden,
in B* wirklich bewahrten reim zu erhalten scheint, 123, 3. 4,
wo aber die hss. frum, Lachmann frun schreiben. Bartsch
will dies in frumen corrigieren ; es fragt sich aber, ob nicht an
beiden stellen frum zu setzen ist. Das im wb. angesetzte
starke masc. frum hat allerdings keine sehr sichere gewähr.
Im Koloczaer codex und bei Ottokar könnte frum zusammen-
gezogene form für frumen sein, welche im Nibelungenliede an-
zunehmen etwas bedenklich sein würde. Aber hierher ziehen
müssen wir wol die im wb. unter das adj. vrum gesetzte stelle
aus der Krone diu rede vrumes lützel wac. Es wäre aber auch
möglich an das fem. frume zu denken, so dass kleinen frum
123, 3 von B* aus kleirie frum geändert wäre. Doch steht
158, 3 in beiden recensionen das masc. vrumen : kumen. So
viel ergibt sich wol aus diesen erwägungen, dass es bedenklich
ist, auf diese beiden stellen allein gestützt mit Bartsch den
reim sune : vrumen anzunehmen , so lange nicht anderweitige
sichere aualogieen für derartige reime gefunden sind. Die
form sune, wodurch Bartsch eine altertümlichkeit zu erreichen
sucht, ist übrigens, so viel ich weiss, in keiner oberdeutschen
quelle nachzuweisen. — 310, 3 könnten wol eher not : guoi die
reimworte sein.
Zu den 16 bisher besprochenen fällen sind nun eigentlich
noch zwei andere hinzuzurechnen, die nur deshalb nicht un-
mittelbar mit den andern zusammengestellt werden konnten,
') frum ist in der wendung daz ist mir frum oder er ist mir frum
(= nützlich) gcwis als subst. aufzufassen. Das beweist schon die da-
neben vorkommende form frume und weiter Verbindungen wie dehein
frume, guot frume. Die bedeutung und Verwendung von frum und
frume ist so genau dieselbe, dass eine scheidung von subst. und adj.
nicht wol gemacht werden kann. Im ahd. findet sich nur frumu shi
(vgl. Gratf III, G 15), und ein adj. fruma, wie es Graff ansetzt, wäre doch
etwas sehr seltsames. Das subst. frume in dieser Verwendung entspricht
dem ebenso gebrauchten schade , welches niemals wirkliches adj. ist.
Vielleicht ist das adj. frum, welches im ahd. noch nicht nachweisbar ist,
überhaupt erst aus dem subst. entstanden. Ags. from ist nicht unmit-
telbar damit zu vergleichen, da es nebenform von fram ist.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 425
weil hiev ein wort in der form geändert werden muss, damit
eine zulässig-e assonanz heraufkommt, nämlich 1424, 1 gesagen
: tagen = Idii : hau (Bartscli 8. 37: g es ag en : haben)] IG 18, 3
7vlp : llp = kint : sinl (Bartsch s. 39 : tvlj) : sit). Endlich kann
man avoI auch heranziehen 2040 , 3 llp : wlp = kint : sint
(Bartsch s. 42 U]» : sit] sint - sk sind hier vcrhalformen). Doch
steht auch in zwei oben s. 403 angeführten fällen wtj/ : llp in
A neben kint : sint der übrigen.
Auch in der Klage finden sich analoge fälle. In den
meisten aber beschränkt sich die auf diese weise herstellbare
assonanz darauf, dass in dem einen reimworte ein n ttbcr-
schiissig ist. Dergleichen führt Edzardi s. IS fif. 3 auf (39S5. 6
gehört gar nicht hierher), bei denen zum teil ursprüngliche
assonanz die höchste Avahrscheinlichkeit für sich hat, bei 1361.
2897. 3033, weniger bei den andern, da eine änderung der
flexionsform , worauf hier alles beruht, leicht durch andere
gründe herbeigeführt sein kann, wodurch sich notwendiger weise
für uns die möglichkeit der assouanzbilduug ergeben muste.
In einem falle 37. 8 ist dem sinne nach kreuzuug nicht mög-
lich, und Edzardi hilft sich auch anders. Die sonst vermuteten
assonanzen sind höchst zweifelhaft. So 4017 ff. (vgl. Edzardi
s. 19), Avo eine sachliche ervveiterung in B*, respective weg-
lassuug in C* stattgefunden hat, woraus sich die ab weichung
mit notwendigkeit ergibt. Ferner 138 (99 Bartsch vgl. bei
ihm s. X), wo C um zwei zeilen ausführlicher ist. Mehr Wahr-
scheinlichkeit ist vorhanden bei 3403 (3105 vgl. Bartsch XI),
wo haben : sagen construiert ist aus verdagen : sagen = hän
: ergcln.
Viel zahlreicher sind die fälle, in denen ein reim wort in
beiden bearbeitungeu gleich ist, das andere abweicht. Die-
selben sind für das lied von Bartscli unter II aufgezählt (s. 16
fl.), wider nicht ganz vollständig. Das zweite reimwort weicht
noch ab: 112, 4. 140, 4. 198, 4. 212, 4 (rührender reim in B *).
307, 2. 324, 2. 342, 4. 497, 2. 504, 2. 598, 4. 600, 2. 607, 4.
649, 2. 692, 2. 703, 2. 766, 4. 829, 4. 854, 2. 914, 4. 1054, 4.
1131, 2. 1816, 2. 1935, 2. 2158, 2. Das erste: 232, 3. 340, 3.
378, 1. 445, 3 (rührender reim in B*); 488, 1. 545, 1. 587, 1.
1350, 1. 1574, 1. 1821, 1. Zu den s. 306. 7 aus den in A
fehlenden Strophen aufgezählten stellen kommt noch 497, 6.
42C. PAUL
Fast alle hierher gehörigen fälle will Bartsch für seine hypo-
tliese ansbcuten, indem er annimmt, dass beide bearbeitor selb-
ständig- eine assonanz dnrch ändernng desselben vcimwortes
beseitigt haben. Aber in dieser art der al)weichung an nnd
für sieh lient nicht der geringste zwingende grund zu einer
solchen annähme. Wir werden nicht wie !)ei den vorher be-
sprochenen fällen zur ansetzung von assonanzen genötigt, um
unWahrscheinlichkeiten zu vermeiden und sonst nicht erklär-
bares zu deuten. Alle berechtigung, auch hiei- beseitiguug un-
genauer reime zu vermuten , fliesst einzig und allein aus den
resultaten, die wir bisher aus der betrachtung der in einem
texte erhaltenen oder durch kreuzung aus beiden herstellbaren
assonanzen gew^onnen haben. Diese resultate müssen uns auch
das mass für die berechtigung von Bartschs verfahren geben.
Hier hilft uns zunächst wider eine einfache Wahrscheinlich-
keitsrechnung. Bartsch hat an 73 stellen, wo das zweite reim-
wort abweicht, das original herzustellen versucht, dazu fügt er
43, an denen es ihm zu schwierig erschienen ist, die ich wider
um 24 vermehrt habe. Das macht, wenn man noch die beiden
in den in A fehlenden strophen hinzurechnet, im ganzen 142.
Stellen, an denen das erste reimwort abweicht, sind 26, an
denen Bartsch einen herstelluugs versuch macht, 16 weiter von
ihm aufgezählte, 10 von mir hinzugeftigte und 3 in den in A
fehlenden Strophen, im ganzen 55, beide arten zusammen 197.
Dagegen fälle, in denen kreuzung möglich war, ergaben sich,
die drei, in denen erst änderung der form erforderlich war,
eingerechnet, nur 19. Beseitigen nun zwei liearbeiter unab-
hängig von einander eine assonanz durch änderung eines reim-
wortes, so ist, falls die neigung, das erste oder zweite reim-
wort zu ändern gleich gesetzt wird, gerade so viel Wahrschein-
lichkeit dafür, dass beide dasselbe, wie dass beide verschiedene
reimwörter ändern. Hätten sie also in 197 fällen dasselbe ge-
ändert, so wäre die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch in
197 fällen der eine das erste, der andere das zweite geändert
hätte, dass also in so vielen fällen kreuzung möglich sein
müste. Da sie nun aber in Wirklichkeit nur in 19 möglich
ist, so müste umgekehrt daraus gefolgert werden, dass von
den 197 wahrscheinlich nur etwa 19 durch beseitiguug einer
assonanz zu erklären sind. Dabei müste noch angenommen
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 427
vvcnleii , was, wie Aviv g-esclicn haben, keineswegs feststeht,
dass in keinem von den 19 fällen die möglichkeit der kreu-
zung- auf Zufall beruht. Etwas anders würde sich allerdings
das rcsnltat stellen, wenn wir folgendes erwägen. Es ist viel
häufiger, dass das zweite, als dass das erste reimwort in bei-
den recensionen geändert ist. Das muss seinen grund darin
haben, dass überhaupt jede von beiden öfter das zweite reim-
wort ändert als das erste. Dadurch wnrd die Wahrscheinlich-
keitsrechnung etwas complicierter. Nehmen wir an, dass jeder
von beiden bcarbeitern in a fällen die erste zeile ändert, in
h fällen die zweite, so beträgt die wahrscheinliche anzahl der
fälle, in denen sie in der ändernne- der ersten zeile zusammen-
'ö
a
treffen, . - , die, in denen sie in der änderung der zweiten
a -\- h
zusammentreffen, , die, in denen der eine die erste, der
' a + ö'
andere die zweite ändert, r. Nach Bartschs hypothese
ai ^2
wäre hier also repräsentiert durch die zahl 55, — -^
a+ b ^ a + b
durch 142. Bestimmen wir danach *V , , so ergibt sich
176,75. Danach können wir nun umgekehrt berechnen, wie
oft bei 19 fällen der kreuzung zusammentreffen in der än-
derung des ersten und des zweiten reimwortes zu erwarten
ist. Nennen wir die zahl der fälle, in denen das erste reim-
wort in beiden bcarbeitungen geändert wird x, die, in denen
das zweite, y, so verhält sich .r : 19 = 55: 176,75 und y: 10
= 142: 176,75. Es ist also x = 5,91 und y = 15,26, x + y
= 21,17, also noch ganz unerheblich mehr als 19. Und dies
ist das für Bartsch günstigste rcsultat, das irgend heraus-
gerechnet werden kann. Es erhellt daraus, dass bei weitem
in den meisten der hierher gehörigen fälle der reim nicht den
anstoss zur änderung gegeben haben kann. Vielmehr muss
derselbe in der regel in der einen zeile gelegen haben, die, sei
es in B"^, sei es in C* oder in beiden verändert ist, woraus
es sich dann ganz natürlich erklärt, dass die andere rcim-
zeile in l)eiden recensionen übereinstimmend unversehrt ge-
blieben ist.
428 PAUL
Für (licjenii^eii fälle, iu denen beide reimwörter abweichen,
ohne dass sich durch kicuzuug- ein ung-enauer vcini herstellen
lässt (IV. V Bartsch), gibt es kein mittel, festzustellen, wie
viele darunter zu erwarten sind, bei denen der reim die ver-
anlassung zur ünderung gewesen ist. Aber wenn schon bei
der abweichung eines reimwortcs bei weitem in den meisten
fällen andere gründe die veranlassung zur ünderung gewesen
sind, so wird das noch viel mehr bei der abweichung l)eider
gelten, wobei sehr häufig grosse Verschiedenheit des siunes be-
steht. Es ist doch wol auch anzunehmen, dass es in der rcgel
für die bearl)citer bequemer gewesen ist, einen ungenauen reim
durch änderung eines reim wertes zu beseitigen, als durch die
beider. Nähmen wir aber auch au, dass das letztere eben so
häufig gewesen wäre als das erstere, so würde sich nach den
augestellten berechnungen für das original des Nibelungenliedes
günstigsten falls immer nur ein geringer i)roceutsatz von un-
genauen reimen ergeben, viel zu wenig fiir ein gedieht aus dem
fünften decennium des 12. Jahrhunderts, auch wenn man die
ganz willkürlich angenommene bearbeitung um 1170 zugeben
wollte.
Für die Klage muss ich auf solche berechnungen, wie ich
sie für das lied angestellt habe, verzichten wegen der gering-
fügigkeit des materials. Es ergibt sich aber aus den bisheri-
gen Zusammenstellungen , dass die zahl der beseitigten unge-
nauigkeiten hier noch eine geringere sein muss.
Sahen wir uns so genötigt, die zahl der von Bartsch ver-
muteten reiraungenauigkeiten sehr beträchtlich einzuschränken,
so müssen wir ferner auch gegen den von ihm angenommenen
grad derselben protestieren. Nur solche reimarten sind für
das original gesichert, die noch in einer von beiden recensionen
erhalten sind, einigermassen auch die, welche sich durch kreu-
zung herstellen lassen. Nur diese dürfen zu Schlüssen über
die Chronologie benutzt werden. Falls man aber bei dem ver-
suche zur herstellung des Originals nicht beide reimworte der
Überlieferung entnimmt, sondern das eine oder gar beide bloss
nach Vermutung setzt, so hat man keinen festen boden mehr
unter den füssen. Will man sich überhaupt auf eine so ge-
wagte conjecturalkritik einlassen, so darf man nicht nach be-
lieben reime ansetzen, die nicht schon in den aus der über-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 429
licfcrimg zu entuebmendeu ilire analogie haben. Dagegen hat
aber Bartsch und nach ihm Edzardi im ausgedehntesten niasse
gefehlt, indem sie, ihre zu Iteweisende hypothcse schon voraus-
setzend, sicli jeden belie})igen um die mitte des 12. Jahrhunderts
möglichen reim gestattet ha])en.
Es lässt sich nun zeigen, nnd es ist das aucli schon von
andern bemerkt, dass alle mit einiger sicberheit angesetzten
ungenauen reime des Nibelungenliedes und der Klage in den
übrigen volksepeu und zum teil auch in andern werken des
13. Jahrhunderts ihre analogieen finden. Hier hat sich nun
freilich Bartsch zu helfen gesucht, indem er Gudrun, Biterolf,
Alphart und Laurin gleichfalls für Überarbeitungen von ge-
dieh teu des 12. Jahrhunderts erklärt. Dabei stützt er sich
aber lediglich auf die reime, ohne dass bei den drei ersten
diese hypothese auch nur als erkläruugsmittel für die ab-
weichungen verschiedener bearbeitungen Verwendung findet.
Wie sehr der Inhalt dieser gedichte Bartschs Chronologie
widerstreitet, ist zum teil von den herausgeberu ausge-
führt und neuerdings wider von Henning im anzeiger für
deutsches altertum I, 130 ff. hervorgehoben. Selbst wenn wir
von diesen vieren absehen, bieten uns die übrigen noch für
die meisten reime analoge fälle. Mau kann sich davon leicht
nach den Zusammenstellungen der herausgeber besonders im
deutschen heldenbuche überzeugen. Ich will aber zu grösserer
bequemlichkcit die belege hersetzen. Der reim am : an (an)
findet sich im Bit. 1 mal (1638), Gudrun 4 mal, Dietrichs
flucht 24 mal, Rabenschlacht 20 mal, sehr häufig im Laurin,
Walberan, Alphart, Wolfdietrich B und D, Rosengarten C, Vir-
ginal und Eckenlied. Der reim vrum : sim kommt in Dietrichs
flucht 2 mal, in Rabenschi, und Wolfdietr. D je 1 mal vor.
Zu dem reime niemen : JJ'iene in der Klage 3009 fühi-e ich an
aus Bit. Hiltgrimcn : schinen 9237; Helme : kleine 5193; eine
5G73. 12895; aus Gudr. dienen : niemen 1220. 1484; : r lernen
1146; gesteine : däheime 1131; aus Laurin gezenict : gewenet
919; aus Dietr. flucht Rome : schöne 1437; aus Rabeuschiacht
Röme : löne 69. Zu i^me : grimme in der Klage 1619 vgl. man
aus Gudr. grimme : välentinne 629, grimmen : gewinnen 921, «aus
Laurin g elw er ginne : gimme 761. 835, grimme : gewinnen 1467;
aus Rabenschi, grimme : versinne 114, limmet : brimiet 916. Die
430 PAUL
uiii:;cnauiukcit oii. : e li:i1)ci> JMst alle volkstünilielicn cpcn, meist
sehr reiciilicli: l>it. (13 mal), Chulr.. Virg., Ecke, Sigenot, Dietr.
iliiclit, Kabeiischl. (10 mal), Wolf'd. D; in : i haben Laiirin
und Viry. Je 1 mal, Wolfd. D. 5 mal. Auslautendes c und t
reimen im Alpli. nach vocal 3 mal, nacli n 2, nach r 1 mal,
in Laurin nach n und nach r je 1 mal, im Walb. 1 mal nach
r, widerholt nach vocal in den Nibelungenhss. DIbdg, wozu
oben die belege angeführt sind und in den hss. des Wolfd. D,
vgl. .läiiickc im llldl). 1, VIII. Auslautendes y> und l reimen
im nit. und AI})]), je 2 mal, im I.aurin ö mal, in Üietr. flucht
12 mal, in Kabensclil. und Wolfd. Pj je 4 mal. In Virg. kon»mt
c; ; / imd y;;/ nicht vor, dafür abcr^?;c 772, 1. Inlautende h und
ff reimen auf einander im Bit. 2 mal, Gudr. 1 mal, Alph. 31
mal, Dietr. flucht G mal, Rab. 2 mal, Wolfd. B 30 mal, Wolfd. ü
19 nv\\, Walb. 5 mal; b und d Bit. l mal, Gudr. 2 mal, Alph.
1 mal, Laurin, Virg., Wolfd. D je 1 mal; d und g nach vocalen
Alpli. 8 mal, Üietr. flucht un(i Wolfd. B je 2 mal, Wolfd. D
'A mal; nd und ?uj Laurin 2 mal. Alle die angeführten ana-
logen reime dürfen also für die altersbestimmung eines ge-
dichtes aus der deutschen hcldcnsage gar nicht verwertet wer-
den. Einen teil dieser reime hat Wolfram von Eschenbach,
den ich besonders hervorhebe, weil wir in ihm ein zeugnis für*
den anfang des 13. Jahrhunderts halben. Er reimt cn : e vgl.
diese beitrage II, 329, n : m im inlaut: künec : frümec Wh. 46, 5,
gctennet : gekcmmet Parz. 73, 5, c:p im auslaut: Razalic : wip
Parz. 46, 1, krump : June 551, 1 (vgl. diese beitrage II, 92), b:g
im inlaut: gäbe : mäge Parz. 53, 19, gäben : lägen 17, 29, gep (le-
gen'.gegeben 211, 27, ougen : rouben 10, 25, : gelouben 417, 21;
b : d: selbe : velde Parz. 93, 23. Der reim en : e ist auch sonst
vielen dichtem des 13. Jahrhunderts geläufig, ebenso am: an
z. b. Walther.
Einige von den ungenauen reimen des Nibelungenliedes
haben allerdings in den von Bartscb als in das 13. Jahrhundert
gehörig nnerkannten volksepen keine analogie, sondern nur in
den von ihm oben wegen dieser reime in das 13. Jahrhundert
zurückgeschobenen. Hierher gehört Gcrnot : guot Nil). 2033, 1.
Bit. 13135, Gcrnolen : guoien Bit. 6207. Aber eine analogie
bietet die doch aus dem 13. Jahrhundert stammende Nibclungen-
hs. B 2237, 1 muot : iöt\ noch weiter geht die freiheit in D
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 431
560^ 1 truoc : not. Ferner swester : laster Kl. 1047, hreftc:mt-
hafte Bit. 12295. Hier wird die ungeuauig-keit wahrscheinlich
abgeschwächt durch die dialectische ausspräche. Dasselbe gilt
wol von henden : tvinden Kl. 759, womit wir vergleichen können,
dass im Bit. / : e 4 mal vor zz und 2 mal vor ck reimt. i) Den
letzteren reimen dürfen wir es doch gewis parallel stellen,
wenn im Virg. 19 mal o : 7i reimt, darunter 3 mal vor st, 2 mal
vor auslautendem s, 2 mal vor zz'^, ferner o : ü 1046, 9 üf\liof\
0 : u 405, 3 schoze : duzzen. Den reim e : l selbst kann ich
aus einem höfischen dichter belegen, dem Stricker : Daniel 7 a
stellen : tv/llen. Noch eine consonantische ungeuauigkeit ist zu
bemerken gewurmen : künden Kl. 4423 , welclie ihre analogie
findet im Laur. 1221 versunnen : gebunden und 65 manne: lande)i'
Damit aber ist gewis auf gleiche stufe zu stellen der reim
nn : ng , der nicht nur 9 mal in Gudr. und 3 mal in Laui-. vor-
kommt, sondern auch 1 mal in Rabenschi. 410 Schcmmingen
: sinnen, wo daneben sogar 2 mal mm : ng steht 243. 453
grimme: ringe. Den reim nn : nd selbst l)ietet wider der Stricker:
Daniel 76 b finden : hinnen. Derselbe hat auch Karl 1541 ge-
dingen : gewinnen und das gleichfalls analoge verderben : ver-
sperren Dan. 127 b.^)
Wolfram bietet zu den zuletzt angeführten reimen keine
entsprechenden, wol aber noch mehrere andere, die zum teil
entschieden freier f^ind: Affricke : Agrippe Parz. 770, 3; tropel
: Ammirafel Wh. 407, 19; vil : hin Parz. 397, 15; schilt : sint
Wh. 241, 27; schaft \ hrast (so Bartsch) Parz. 3S5, 7; priesler
: meister Wh. 464, 11 (nach dem muster Veldekes, vgl. mhd.
') Noch sicherer darf dies wol angenommen werden von Boppen
: knap2>eti Bit. 7709. Gewöhnlich reimt zwar o : a nur vor r und in ge-
wissen Wörtern vor l und n\ man vgl. aber auch machen : wochen Wigam.
2JS0; hovc: drave Helbl. 1, 344.
'^) Hierher zu ziehen sind wol auch der reim schult : holl Nib. 1052, 7
(Od, schuhte a; 1 ändert, so dass unver schalt in den reim kommt, die
ausgaben setzen scholl) und Lanz. 540.5 (Hahn schreibt schalt, ich weiss
nicht ob nach den hss.); andere aus späterer zeit bei Weinh. bair. gr.
s. 37 und al. gr. 20. 05, wo aber manches ungehörige mit unterläuft.
•■*) Auch zu den früher besprochenen reimen finden sich analogicen
beim Stricker: pfl('igeii : gaben Karl i)S3, grimme : inne Dan. 39b; vgl.
Bartsch, Karl s. LIV. nn :ng findet sich auch Lolieiigr. 3443, 6: keiserinne
: Lutringe.
432 l'AUL
\vl). 11' 1 r- h). Denken wir uns, es stünde fest, dass das
^'il)elunj;enlied nacli l'iOt» veifasst wäre, über die ahfassungs-
/eit von WuliVanis \\ciken wäre dagegen nichts bekannt, so
Aviirde iJartscli nach den bei Wolfram vorkommenden reimen?
die im Ni1)c!nnij;enliede und in den andern i;leiclizeitigcn Aver-
kcn keiiic analoi^ie hfitton, den Parz. und Wh. genau mit dem-
selben rechte wie jetzt das Nibelungenlied weit in das zwölfte
jahrlnindeit zurück setzen können. Auch in Virg. linden sich
n)anche starke reimfrei heitcu, die über die erwähnten des
Nibelungenliedes und der Klage hinausgehen: tt^-dr : Virginäl
038, 7. 068, 1 1 ; einander : wandel 494, 8 ; ivesen : leben 256, 4.
812, 11.
Unter allen bisher aufgeführten assonauzen sind höchstens
die beiden, e : a und e \ i m der Kl. und im Bit., für die nicht
ein vollkommen stricter beweis geliefert wäre, dass sie gar
nichts für ein höheres alter beweisen können. Es bleiben nun
bloss noch übrig die ungenauen reime auf Hagenc, die Bartsch
auch am meisten betont. Wie in Nih. und Kl. findet sich im
Bit. Hagcnc{)t) : degene{n) sehr häufig. Bartsch scheint in den
dreisilbigen reimeu überhaupt, abgesehen von der ungenauig-
kcit, etwas altertümliches zu sehen. Mit unrecht; denn sie fin-
den sich z. b. massenweise bei Gottfried von Strassburg und
bei seineu uachahmeru. Eine altertümlichkeit liegt nur inso-
fern darin, als sie im Nibelungenliede zwei volle hebungeu
tragen, dass die letzte silbe mit dem tonlosen e einer mit voll-
tönendem Aocal gleichgestellt wird. Diese altertiimlichkeit
kann man doch aber unmöglich grösser finden, als wenn dies
])ei den zweisilbigen reimen geschieht. 'EAiwQhw Ilagenc: sagene
ist um kein haar altertümlicher als Voleit : guoten, die erstere
art möchte man sogar Aveniger auftallend finden. Die letztere
aber wird nach Bartschs eigenem urteil noch von dem l)e-
arbeiter C* mit verliebe angewant. Also ist auch die erstere
kein Stützpunkt für ältere abfassung des Originals. Es bleiben
also nur die in diesen reimeu vorkommenden uugenauigkeiteu
übrig. In bezug auf dieselben ist zunächst zu berücksichtigen,
dass dem mehrsilbigen reime naturgemäss grössere freiheiten
einzuräumen sind als dem stumpfen, dass ferner bei eigeu-
namen die alte tradition länger festgehalten wird. Weiter
aber ist die assonanz Ilagcne : degene nicht bloss dem originale.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 433
sondern auch den beavbeitern geläufig, beweis genug, dass um
1200 dieser reim nocb nicht ganz unstatthaft ert^chien. Man
kann zwar sagen, dass die bearbeiter durch das muster ihrer
vorläge veranlasst sind, sich diesen bequemen reim zu erlauben,
aber eben so gut kann man dann w^ol auch annehmen, dass
dei' ursprüngliche dichter nach dem muster seiner quellen, der
Volkslieder, sich dazu ])erechtigt glaubte. Und e1)enso können
dann wider Klage und Bit. ihrem vorlnlde, dem Nibelungen-
liede gefolgt sein. Was dann ferner den reim Hagene : habene
Nib. 1G36 betrifft, so steht er doch gewis auf gleicher stufe
mit degen : leben und ähnlichen, die im volksmässigen epos
allgemein üblich sind. Dasselbe gilt natürlich von degene: (ebene
im Bit. 5863. Auch die ungenauigkeit in Hagene : gademe geht
nicht über das mass der früher besprochenen hinaus, indem
die häufung zweier für sich entschieden noch im 13. Jahrhun-
dert üblichen reimfreiheiten eben durch die mehrsilbigkeit er-
möglicht und entschuldigt wird. Dem reime Hagene : zesamene
Nib. 1960 steht allerdings kein degen : nemen oder dergleichen
gegenüber; alier es ist eben wider die mehrsilbigkeit, die ihn
entschuldigt: neben den beiden ungleichen consonanten steht
noch ein gleicher. Wir dürfen wol damit parallelisieren die
reime nn : nd und nn : ng, nur dass hier der gleiche cousonant
voransteht. Und mm : ng in Rab. geht l)ereits weiter und wir
dürfen die doppelte ungenauigkeit vergleichen mit der in
Hagene : gademe. Alles, was jetzt noch übrig bleibt, sind die
beiden vocalisch und consonautisch ungenauen reime Hagene
: menege Nib. 1916 und Rabene : degene Bit. 4749. Das sind
also wol die eigentlichen säulen, auf welchen Bartschs bestim-
mung der abfassungszeit dieser beiden werke ruht. Dabei ist
es nun schon ein merkwürdiger v>äderspruch, dass Bartsch
gerade besonders in den assonanzen auf Hagene einen grund
sieht, der dazu zwingt, die eutstehungszeit des Nibelungenliedes
bis über 1150 zurückzuschieben und doch die Klage, in der sie
auch nicht ganz fehlen, um 1170 setzt. Und den Bitorolf wird
er doch vermutlich wenigstens nicht früher als die Klage
setzen. Ich weiss nicht, ob Bartsch auch den Laurin bis über
die mitte des 12. Jahrhunderts zurückziehen will. Hier finden
sich auch dreisilbige ungenane reime: b'iderbc : widere 647;
hrünege : meiiege 1465 und mit doppelter ungenauigkeit ohene
434 PAUL
; voQcle 21V). Wcuii mm in den andern volksepeu keine
solclicn iissoiiiinzen zn i'inden sind, so ist znnäclist zn l)eräek-
sii'litiucn, dass sie in den nnv stnnipf reimenden werken,
■\vie Ali)hart, den Wolfdictrielien und den Rosengärten iiber-
]iau])t nicht vorkommen können, ferner dass der name Ilagene,
auf den sie im Nibelungenliede und in der Klage ausschliess-
lich (auch im liit. nur mit zwei ausnahmen) vorkommen, in
den andern gedichten keine so hervorragende rolle spielt oder
gar nicht vorkommt. Ich bin nun wenigstens in der läge, aus
einem werke, das nicht in den kreis der deutschen heldensage
gehört, ein beispiel dreisilbigen reimes mit doppelter cousonau-
tischer ungenauigkeit nachzuweisen. In Irregang und Grirregar
(Gesammtabenteuer LV), einem gedichte, welches nach vcvsbau
und spräche wa,hrscheiulich noch dem 13. jahrliundert angehört
und, wenn mau die mitteldeutschen si)racheigenheiten berück-
sichtigt, sonst ziemlich rein gereimt ist, assoniert 1367 zesamene
: gademe, ein reim, der nocli um eine kleinigkeit freier ist als
Hagene : gademe und Hagene : zesamene. Vielleicht wird sich
noch mehr dergleichen nachweisen lassen. Doch dies eine bei-
spiel genügt, um die möglichkeit eines solchen reimes im 13.
und vollends am Schlüsse des 12. Jahrhunderts festzustellen.
Und ist die häufung zweier consouantischer ungenauigkeiten
statthaft, warum nicht auch ein paar mal die combinatiou
einer vocalischen mit einer cousonantischeu ? ^)
Die Prüfung der im Nibelungenliede und in der Klage,
sowie im Bitcrolf nachweisbaren assonanzen hat also ergeben,
dass darunter höchstens ein paar vereinzelte sind, die nicht
vollkommen entsprechende analogieen in gedichten des 13. Jahr-
hunderts haben, und dass ancli diese kaum freier sind als die
durch solche analogie gestützten. Gewis dürfte eine um einen
geringen grad grössere freiheit schon nicht aufi^illen bei einem
gedichte, das etwa um 1190 verfasst wäre, also zu einer zeit,
wo die höfischen dichter erst eben zu der für das 13. Jahrhun-
dert normalen reimtechnik übergegangen waren. Der abstand,
'] Eine einfache, nicht eine doppelte cousonan tische ungenauigkeit
sehe ich in Hagene : menege\ denn es sind ein und dieselben consonan-
teii, nur in umgekehrter reihenfolge. Ich kann daher auch Bartsch
(s. 357) nicht lieissiiuinien, dass dieser reim viel freier ist als Rahene
: degeiie.
ZUR NIBELUNGENFEAGE. 435
der noch später zwischen den volksepeu und der höfischen
dichtung- besteht, lehrt uns, dass wir das Nibeiimgenlied nicht
ohne weiteres mit demselben masse messen können wie gleich-
zeitige ritterliche und geistliche dichtungen. Den eigentlichen
massstab müssen die ungefähr gleichzeitigen oder wenig jün-
geren gedichte aus der deutschen heldensage geben, und da
hat sich Bartsch mit einem gewaltstreich zu helfen gewust, in-
dem er ihre abfassung gleichzeitig mit der des Nibelungen-
liedes zurückschiebt.
Die chronologische bestimmung Bartsch» imponiert auch
nur dadurch, dass sie sich mit auf die andern von ihm her-
gestellten reime stützt. Ich habe die willkürlichkeit dieses
Verfahrens bereits gekennzeichnet. Es ist nicht nur unerwie-
sen, dass reime wie tväi- : getan, inan : sal , lernt: halt , (jerne
: herren, quämen : mägen, degen : gesehen, daz : was , saz : ge-
schach, wät : gespart, dienest : liehe, Itaben : leben ^) etc. im ori-
ginale gestanden haben, sondern es ist sogar mindestens deren
häufigeres vorkommen im höchsten grade unwahrscheinlich.
Denn sonst wäre unbedingt zu erwarten, dass sie auch öfters
durch kreuzuug heistellbar wären, was auch nicht ein einziges
mal der fall ist. Umgekehrt aber spricht der umstand, dass
durch kreuzung sich nur solche reime ergeben, die in gedich-
ten des 13. Jahrhunderts ihre analogieen finden, wider auf das
entschiedenste dafür, dass die möglichkeit der kreuzuug nicht
auf Zufall beruht. Wenn die dem originale angehörigen reime
auf Hagene sich niemals durch kreuzung eigeben, so ist das
sehr begreiflich. Der name Hagene war dabei für den Zusam-
menhang unentbehrlich , und so muste sich naturgemäss die
änderung auf die zeile richten, in welcher er nicht stand.
Mit einigen Worten muss ich noch die altertümlichen im
reime vorkommenden formen besprechen. Es sind dies erstens
die participia auf dt. Diese sind noch das ganze 13. Jahr-
hundert und selbst noch im 14. gebräuchlich (vgl. Weinh. al.
gramni. 313. W. Grimm, über Freidank s. 17), und zwar nicht
Idoss bei alamannischcn, sondern auch bei bairischcn und
österreichischen dichtem, z. b. gesatelöt Wigamur 18'', erarnöt
') Einigo vüii denselben stehen übrif^cns ;uich bei Wolfram und in
den späteren gedickten aus der deulsclien heldensage.
4:{t) PAUL
Eneiikcl, Haupts zeitschr. 5, 278. Bartsch bemerkt dazu: 'wo
aber wie beim Nibeluugenliede alles auf das 12. Jahrhundert
als die ent?tchuu:;szoit hinweist, da werden auch solche reime
als restc des ursi)riinglichen textes gellen dürfen, die nur des-
wegen von den bearbeitern nicht entfernt wurden, weil der-
gleichen auch zu ihrer zeit noch vorkam.' Heisst das nicht
sich selbst und den lesern etwas vormachen, wenn man dinge
als beweise vorbringt, die eiugestandeuermasseu gar uiclits be-
weisen? In dieselbe kategorie gehören die von Bartsch gleich-
falls geltend gemachten reime mmnlst : Ust Kl. 1729 und suo-
chunile : stunde Kl. 2501. Der erstere reim findet sich nicht
nur ebenso wider Bit. 8453, sondern hat auch seine aualogieen
bei viel späteren dichtem, Ottokar und dem Teichuer (vgl.
bair. gramm. s. 247), und die Schreibung ist findet sich im
bairischen bis in die späteste zeit (vgl. ib.) und ist auch im
alemannischen nicht sobald ausgestorben (vgl. al. gramm.
s. 243). Participia auf -unde, die übrigens gar nicht altertüm-
lich sind, reimen nicht bloss Bit. 6533, sondern auch Rab. 324.
438 und anderwärts. Die Schreibung unde ist in bairischen
wie alemannischen quellen nickt selten und dauert in ersteren
bis in das 17. Jahrhundert (vgl. bair. gr. s. 294). Es bleibt
nur ein reim, bei dem ein kleines bedenken sein könnte: vor-
derost : tröst Mb. 1466, 1. 1957, 2. Superlative auf -ost sind
im alemannischen noch im 13. und 14. Jahrhundert nachzu-
weisen, das bairische dagegen scheint -ist vorzuziehen. Sehen
w^ir davon ab, dass im Bit. zweimal derselbe reim vorkommt,
so wird es erstens wol noch einer genauem Untersuchung be-
dürfen, ob wirklich -ost im bairischen nach dem 12. Jahrhun-
dert gar nicht meiir nachweisbar ist , und zweitens ist für die
gewöhnlich als feststehende tatsache betrachtete abfassung des
Ni])elungenliedcs in Oesterreich noch nicht der geringste zwin-
gende grund beigebracht, während die von Zarucke (Berichte
der Sachs, gesellsch. d. wissensch. VlII, 211) für Tirol vor-
gebrachten gründe mindestens sehr probabel sind. Die Infini-
tive auf -an endlich sind von Bartsch und Edzardi ganz will-
kürlich construiert.
Bedeutendes gewicht legt Bartsch noch auf die ungenauen
inureime. Er gi))t eine Zusammenstellung derselben s. 54 If.
Dabei hat er aber ausser acht gelassen, dass eine anzahl
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 437
solcher uiig-euaueR reime sicli in jedem grösseren werke in
langzeilen mit notwendigkcit ganz zufällig ergeben müssen.
Zum beweise stelle ich die assonanzen aus einem gedichte,
welches sicher dem 13. Jahrhundert angehört und ziemlich
genau, genauer als die übrigen werke aus der deutschen helden-
sage reimt, dem Oitnit zusammen. Ich gebe zunächst diejeni-
gen, die den von Bartsch aus dem Nibelungenliede angeführten
genau entspi'cclien , indem ich mich in der reihenfblge an ihn
anschliesse : nähen : harkenäre 252, 1; järe : sere 515, 1; kleine
: heiden 326, 1. 410, 1. 411, 3; heiden : gestehie 500, 1; Ortrii-
dcn : hc'tden 44S, 3; linde : stemmende 83, 3; gevllde : weide
520, 1; mere : herre 13, 3; verborgen : erge 484, 3; kinden: ge-
winnen 574, 3; ringe : inne 113, 3; müre : küme 267, 1; frouwen
: ougen 475, 1. 52S, 1; liuge : trinwe 130, 3; funden : tvunder
\, 1; Kerlingen : inder 253, 1; winder : minne 59, 3. Dazu
kommen folgende, die Bartsch gewis den aus dem Nibelungen-
liede angeführten gleich stellen wird: sähen : genauen bll, 1;
helde : selbe 39, 3 ; wellen : selben 443, 1 ; golde : vollen 43, 3 ;
ringe : willen 51, 3; Bönavente : senden 48, 3; maoter : guote
161, 1; kleine : leider 344, 1; gewinnen : nimmer 351, 3; küni-
ginne : nimmer 58S, 3; umhevangen : andern 315, 1 ; brinnet : ringe
200, 3; muotesl : guoles 121, 1; Lamparten : barkcn 294, 3;
scharten : samten 303, 1; mere : müre 254, 1; ere : ävenliure
575, 3; grüene : schöne 84, 1; muo t es t : tretest 496, 3; huoten
•.Meten 292, 1; dienen : kleine 271, 3; g esteine : wcenen 499, 3;
zerbreite : he ten 364, 3; offen : entsläfen 261, 1; lihte : rehte
549, 1; wlrme (= werme) : wurmen 498, 3; drangen : ringe
323, 1; brunne : riytge 177, 1; geste : brüsten, 383, 3; swerten
: Lamparte 458, 1; gewinnen : henden 591, 3. Das sind im
ganzen 49 reime auf 597 Strophen. Aus dem Nibelungenliede,
Avelches in B* 2379 Strophen hat, also beinahe vier mal so
viel, zählt Ikirtsch 132 auf. Es ergeben sich also, falls
Bartschs Zusammenstellung vollständig ist, im Ortnit sogar
verhältnismässig nicht unbeträchtlich mehr. Es könnten daher
immer noch einige von den angeführten ausgeschieden werden,
so bliebe doch das resultat stehen, dass Bartschs schluss mit
demselben rechte auf den Ortnit augewendet werden könnte.
Es kommen übrigens noch mehr assonanzen vor, die noch
freier sind, die ich aber zunächst bei seile gelassen habe, da
Beiträge zur gcschichte der deutschen spräche. \\\. 29
438 PAUL
ich nicht uachgepriift luibe, oh sie nicht :iiicli im Niheliuigen-
liodo vovkonuncu und von Dartsch ahsichtlich bei scite ge-
lassen sind: yrözeu : Inlen IM 5, 3 ; Uinze : Hute 349, 1; fllezen
: kiele 42, 1; gehelzen : Lleinc MO, ;>; ; beine 147, 3; jcii^e : wäfen
540, 1; Lamparie : holde 131, 3; sileti : härmlcltchcn Gäl, 3;
senden : manne 499, 1; Cecilje : (jedhifje 11, 1; Garte : vasle
19G, 3; burcUlen : llule 3G3, 1; geljuitet : strlte 10 J^ 3; Ixfune
: frouwen 336, 1; ungefücge : kutne 492, 3; sclucne : gelouhen
398, 1 ; sduvnc : juncfrouwe 398, 2 ; wUe : liehen 405, 3 ; lieher
: gcche 136, 1; scheene : steine 97, 3; hulgen : goldes 509, ]•
gezieret : diene 182, 3; hende : überwindest 142, 3; her gesellen
: nnvermeldet 120, 1 ; lebende : werilde 507, 3; himele : inne 579,
1. Man vergleiche nocli die zusaiumenstellungeu von unge-
nauen inreinien, die Martin aus der Gudrun s. X und Jänicke
aus Wolfdietr. s. VIII gegeben haben, avo aiier nur die leich-
testen ungenauigkeiten aufgeluhit sind.
Für die frage, um die es sich für uns hier handelt, ist es
gleichgültig, ob wir annehmen, dass die assonanzen vom dichter
beabsichtigt sind, oder ob wir annehmen, dass sie sich ihm
ganz zufällig ergeben haben. Im ersteren falle könnte man
nur vielleicht geltend machen, dass die zahl der reinen inreime
im Ortuit verhältnismässig grijsser ist als im gemeinsamen
texte des Nibelungenliedes, und dass die zahl der unreinen
nicht entsprechend grösser ist. Ganz reine inreime stehen im
Ortnit: 27, 1. 34, 1. 52, 2. 81, 1. 84, 3. 86, 1. 94, 1. 127, 1.
154, 1. 170, 3. 247, 1. 250, 1. 380, 3. 401, 1. 448, 1. 454, 1.
575, 1. 597, 3; solche, in denen nur das auslautende n nicht
beachtet ist: 77, 3. 252, 3. 302, 1. 308, 1. 377, 1. 477, 1.
521, 3, im ganzen 25. Im Nibelungenliede haben B* und C*
gemeinsam 46 ganz reine oder nur in bezug auf das aus-
lautende n ungenaue reime. Ziemlich viele hat jede von bei-
den recensionen ausserdem für sich, von denen doch einige
dem originale angehört haljen werden. Wenn man danach
auch vielleicht sagen könnte, dass im Verhältnis zu den ge-
nauen inreimen die zahl der ungenauen im Ortnit etwas ge-
ringer ist als im Nibelungenliede, so würde das doch keinen
wesentlichen unterschied machen. Es bliebe immer die tat-
sache i>estehcn, dass ein im ausgang des Averses ziemlich ge-
nauer dichter des 13. Jahrhunderts kein bedenken getragen
ZUR NIBELÜNGENFKAGE. 439
hätte, sich iu der cäsur vieler auffallender assonanzen zai be-
dieueu, und daraus würde folg-eu, dass mau von deu cäsur-
reimeu keinen sehluss auf die endreime und auf die abfassuugs-
zeit machen darf.
Weit wahrscheinlicher aber ist es, dass die assonanzen
mindestens zum bei weiten g-rösten teile zufällig sind und in
der reg-el wol weder vom dichter noch von seinen zuhöreru
und lesern bemerkt. Dass es ein dichter mit einem überflüssi-
gen schmuck des verses nicht ganz so genau nimmt als mit
dem notwendigen, ist begreiflich ; aber ein solcher abstand, wie
er im Ortnit zwischen der behaudlung des reimes im Innern
und der im sehluss des verses bestehen würde, wäre doch un-
glaublich. Es würde sich wol auch durch wahischeinlichkeits-
rechnuug erweisen lassen, dass in jedem grösseren in lang-
zeilen abgefassten gedichte eine nicht ganz kleine zahl von
ungenauen reimen zu erwarten ist. Es gibt eine methode, wo-
durch sich die Wahrscheinlichkeitszahl für das Nibelungenlied
wie für den Ortuit genau feststellen Hesse. Die berechnung
würde aber einen so grossen Zeitaufwand erfordern, dass ich
hier darauf verzichte. Icii \vill daher einen andern weg ein-
schlagen, der zwar nicht zu exacten rcsultatcn führt, al)cr doch
eine ungefähre \orstellung gelten kann. Wir haben im mittel-
hochdeutschen, wenn wir die umlaute, die ja liartsch bei
seineu reimansetzungen als nicht vorhanden betrachtet, 15
vocale a, e, i, o, ic, ä, e, l, ö, ü, ei, le, ou, uo, iu. Kämen die-
selben alle gleich häufig vor, so würde die Wahrscheinlichkeit,
dass iu den cäsuren zweier aufeinander folgender verse der-
selbe vocal steht, in jedem einzelneu falle = Vis sein. Das
Nibelungenlied hat in der recension B* 2379 Strophen oder
4758 verspaare. In diesen zusammen wäre also vocalgleich-
heit in der cäsur zu erwarten in ^'^^^/is = 317,2 fällen. Nuu
ist aber die häufigkeit des Vorkommens der einzelnen vocale
eine sehr verschiedene. Durch diese verschiedenlieit aber
muss, wie sich mathematisch beweisen lässt, die Wahrschein-
lichkeit noch erhöht werden, so dass die angegebene zahl nur
das minimum ausdrückt. Vocalgleichheit ist nun freilich noch
nicht genügend zur assonanz. Ein zweites erfordernis ist, dass
einfache consoiinnz mit einfacher, doppelte mit doj)pelter zu-
sammeutriU't. Wegen dieser forderung wird höchstens olwa ein
2'J"
440 PAUl:
sechstel der lalle als imbiauclibar ausg-escliieden werden.
Denn nach kiuzeiii vocal iiiiiss iumier doppelconsonanz folgen,
nach lanj;eui ist die einlache sehr überwiegend, und die ein-
lachen langen vocalc können vor der doppelconsonanz unbe-
denklich mit den ents})iechen(len kurzen reimen, wodurch wider
ein teil des ausfalls gedeckt wird. Es gehen dann ferner die-
jenigen fälle ab, in denen der ausgaug des ersteu halbverses
statt eines tonlosen e einen voUtiJuenden vocal enthält. Dann
aber ist hauptsächlich nur noch eine bediugung erforderlich,
dass weiche mit weicher und harte mit harter consonanz zu-
sammentrifft. Wenn man dann auch noch weiter die härtesten
Verbindungen ausscheidet, so \Yird voraussichtlich doch immer
noch eine nicht unbeträchtliche auzahl überbleiben. Damit
hätte man die cousonantisch ungenauen reime. Es kommen
also noch die vocalischen uugeuauigkeiten hinzu.
Für den zufall spricht ferner, dass sich ungenaue reime
auch zwischen den cäsuren des zweiten und dritten verses
der Strophe nachweisen lassen. Dergleichen kann ich aus den
ersten SOO Strophen des Nibelungenliedes nach ß* folgende
verzeichnen : zweifle : helfen 59 i) ; sorgen : solden 67 ; verdienen
: küene 101; eilen : wählen 113; versinne : iemen 147; leiten : riten
172; behüeten : geriten 175; strlte : hluote 201; hurte : sw er len
202; sculden : vergolten 249; enheine : schoene 326; eren : fixeren
339; mcere : hei're 386; schiezen : Verliesen 425; willen : küncginnc
426; strlten : slden 434; eigen : eide 49S; erfunden: schulde 500;
Prünhilde : gesinde 541; inne : diene 654; scallen : solden 657-
zefüeren : unge fliege 670; besunder : künden 743; winder : sune-
wenden 751; mcere : gestehen 753; kömea : schcene 769; under-
tänen : Pfannen 111. Das sind im ganzen 27, wonach für das
ganze lied etwa SO zu erwarten wären, welche zahl wir ver-
doppeln müsten, um sie den 132 cäsurreimen von Bartsch
gegenüber zu stellen. Es können also immer noch einige der
stärksten uugeuauigkeiten ausgeschieden werden, und wir be-
halten für die reime der zweiten auf die dritte zeile noch die
gleiche zahl wie für die erste auf die zweite oder die dritte
auf die vierte. Und ebenso lässt sich ein Verzeichnis von
assonanzen der vierten zeile auf die erste der folgenden strophe
') Ich citieiu hier der bequemlichkeit halber nach Bartsch.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 441
machen, wo mm vollends nicht an absieht zu denken ist:
degene : megede 3. 4 ; rvtire : eren 12. 3 ; vremeden : swcrtdegene
29. 30 ; künde : envinden 52. 3 ; wellen : gewerren 54. 5 ; enge-
gene : Ilagene 102, 3; wcrlde : helden 134. 5; genämen : wären
16G. 7; Dancwarle : Tenc marke 201. 2; eren : mcere 245, (>; ge-
sinde : Schilde 252, 3; küenen : f Heren 335. 65 wunder : lande
363. 4; helden : golde 365. 6; gewcefen : wären 366. 7; />^<r^e
; turne 403. 4; fürhlen : zühte 414. 5; erwerben : werfen 424. 5;
küncginne : hende 453. 4; sprunge : ergangen 464. 5; Ilagene
: edele 468. 9; wm^e : schiere 545. 6; scaffwre : gere 563. 4;
gezieret : inere 572. 3; ervinde : minne 635. 6; handen : balde
641, 2; w/^6' ; morgen 684. 5; ^ray^? ; nämen 700. 1 ; balde : sohle
702. 3; g es inde : bringen 709. 10; senden : kü;neginne 731. 2;
w?««er : gcsinde 11 \. 5; gesinde : inne 800. 1 etc. Es wird nach
dem angeführten überflüssig sein, diese beobachtungen durch
das ganze gedieht durchzuführen.!)
Ich will übrigens nicht bestreiten, dass vielleicht einige
unter den von Bartsch aus dem Nibelungenliede und von mir
aus dem Ortnit angeführten reime als solche empfunden sein
mögen, gewis aber nur diejenigen, die allenfalls noch im vers-
schluss hätten angewaut werden können. Jedenfalls ist es ab-
solut ungerechtfertigt, die Verhältnisse im Nibelungenliede an-
ders zu beurteilen als im Ortnit und den andern späteren ge-
dichten. Bartsch bemerkt s. 59: 'Man wird solche ungenaue
mittelreime vereinzelt auch in gedichten finden, die entschieden
einer späteren zeit angehören; aber beim Nibelungenliede,
dessen entsteh ungszeit im 12. Jahrhundert nicht bezweifelt
wird (?), dürfen sie als nicht zu unterschätzende Zeugnisse für
die ältere form geltend gemacht werden.' Das ist wider nichts
als ein reiner zirkelschluss.
') Zum beweise dafür, dass auch reine reime ganz zufällig entstehen
liönnen, führe ich aus den ersten 800 Strophen folgende der zweiten und
dritten zeile an: lande : brande 176; tamden : wunden 254; swcere :mcere
705; lülerliche : geliche 2S3; Prün/iitde : J&iem/iilde 610). Dazukommen
die der vierten und ersten zeile: scanden : lianden 232. 3; nche : vint-
liche 801. 2; beivhcn : ?vhe 340. 1. Kaum als mögliche reime können
betrachtet werden J^ibe/unr/e : Nibelungen 87 und beide : beiden 251. 2.
Diese Wahrnehmung kann jedenfalls einiges zur beurteilung von Lach-
mauns liederkritik beitragen.
11:^. rAUL
Icli glaube alle aus den reimen cnlnojuniencn an;uniente
IJavtsciis IVn- die alilhssiin,:;' des Nibeliiniienliedes vor 1150 und
der Klag-e um 1170 umvidersprccldjar zuriickgewieycn 7ai haben.
Es zwingt nichts dazu, ja es ist nicht erlaubt die entstehung
der gedichte weiter als etwa bis 1190 oder hüclistcns ganz
wenig darüber hinaus zurückzuschieben. Eine beschränkte
zahl von ungenauen reimen musten wir allerdings dem origi-
nale zuweisen und den bearbeitern das bestreben, dieselben zu
beseitigen. Aber in diesen ungenauigkeitcn erkannten wir
nicht sowol zeichen des alters als des volksmässigcn Ursprungs,
in der voUkommneren reimtechnik der bearbeitcr niciit sowol
einen erst nach der abfassung der beiden gedichte gemachten
fortschritt, als eine anbe(iuemuug an die strengem formen der
höfischen knnst. Wie uns Wolfram ein chronologisch fest-
stehendes beispiel dafür war, dass ein dichter im anscbluss an
das volksepos sich noch manche assonanzon erlaubt, während
fast alle seine höfischen Zeitgenossen, selbst die etwas älteren^
sich schon grosser reimgenauigkeit befleissigon, so liefern die
handschriften seiner Averke die besten belege dafür, dass der
verbreitete höfische geschmack bemüht war, diese nicht alten,
sondern nur volksmässigcn assonauzen zu beseitigen. Parz.
531, 1 ist das richtige dem p für de tvas der rücke krnmp: woer
drüf ergangen da sin sprunc. So haben Gdgg; dazu vergleiche
man die Varianten : kruinp] clirumj» unde /mich D, J/mg d. Do
was das ji/'o'rdelhi so chranch Daz er drnf niht cn spranch g.
385, 7 der starke rarine scha/t, durch den schilt in dem arme
er brast] so hat d, nur das er fehlt; D stellt genauen reim her,
indem sie brast in gehaft ändert; = Ggg helfen sich, indem
sie zwischoi 7 und 8 einschieben JJ'art da getrihen mit hiu le-
chraft Daz tet Gawan der werde gast. 397, 15 Ohilot des
weinde vil: si sprach 'nu füert mich tnit iu hin] so hat nur D;
d liest in z. 16 Sü sprach ?nit üch ich hinnen wil] = Ggg erwei-
tern die zwei zeilen zu vieren: Daz was old/ofe Zeit li'an si
groz weinen niht vermeit Do sprach si herre sit ich bin Iwer
so /'uoret ?)iich tnit iu hin. Vgl. noch Wh. 241, 27 und die
stellen, wo ein auslautendes n im reime niclit beobachtet, wor-
über diese beitr. II, 329. Ebenso Hessen sich ans den hss.
anderer werke des 13. jahrhnnderts, in denen einzelne asso-
nanzen vorkommen, belege für die tendenz zur beseitigimg der-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 443
selben anführen. Ziiii,'leicli können wir daran aiieli die inconse-
quenz der besserer erkennen. So liaben wir also aucli die
tätiy-keit der 1iearl)eitcr im Nibelun2,-enliedc und in der Klage
aufzufassen, nur dass es hier wahrsclieinlich etwas mehr zu
beseitig'cn gab. Und wenn in diesen beiden g-edichten ein
grösserer proccutsatz der ungenauen reime beseitigt ist als in
Wolframs werken, so liegt das wol daran, dass sie auch in
andern l)ezichungen tiefgreifende Umarbeitungen erfahren haben.
Die rcimcoireciur war, wie wir gesehen haben, nicht der allei-
nige und nicht der vorhersehende bestimmungsgrund für die
bearbeite!'. Vielleicht erst, weil aus andern gründen die be-
arl)ciiungcn unternommen wurden, geschali es, dass man auch
die reime einer gründlichen revision unterzog.
lieber den rührenden reim muss ich noch einige bemer-
kungen anknüpfen. Auch in diesem sieht Bartsch an nicht
ganz wenigen stellen das motiv für die ab weichungen von B*
und C*; vgl. Untersuchungen s. 177 ff. Es beruht diese an-
nähme auf keiner vollkommen gesicherten grundJage. Denn
erstens enthält auch der gemeinsame text noch eine anzahl
rührender reime. Zweitens nimmt Bartseh au manchen stellen,
wo ihn nur die eine recensiou hat, beseitigung einer assonanz
an, und zwar zum teil wol mit recht; dann aber wäre der
rührende reim erst vom l)earbeiter eingesetzt, und daraus
müste man schliessen, dass ihm diese reimart nicht durchaus
anstössig erschienen wäre. Drittens haben wir oben s. 397. 402.
406 gesehen, dass in den einzelnen hss. erst durch äudcruug rüh-
rende reime entstanden sind. Dagegen ist auf der andern seite
in bctraclit zu ziehen, dass doch die zahl der rührenden reime
in den einzelnen recensionen im Verhältnis bedeutend häufiger
ist als im gemeinsamen texte, dass zweitens sich oft aus der
beseitigung des rührenden reimcs eine einfache erklärung der
abweichung ergibt, wo gar kein anderer grund dafür aufzu-
finden ist, und dass drittens die teudenz zur beseitigung in
einzelnen hss. an verschiedenen stellen unverkennbar ist. Be-
lege dafür hat Bartsch angeführt. Ich füge dazu noch einige.
327, 2 ändert nicht bloss A, sondern auch abweichend I lohe-
sam {: getan), so dass hier dem änderer die assonanz weniger
anstössig gewesen zu sein scheint als die gleichheit der reim-
wörter. 509, 2 hat d dieselbe änderung wie AI. 2250, 3
444 PAUL
Dieterich : rieh {lobeUcli I). Dieselbe beobachtuiig- kann man in
den liss. vieler andern werke maclien. Es dürfte daher wol
in den meisten lallen die annähme, das« der i-Uhrende reim
das urs])riingli('he sei, gerechtfertigt erselieincn. Damit aber
ist ein neuer beAveis für Barlsclis aufifassung des handscbriften-
verliältnisses gegeben. Aber für das alter beweisen wider die
rührenden reime nichts. Selbst bei Ileinmar und Walther fin-
den sich solche, welche nach dem strengeren gebrauch iucorrect
sind, vgl. diese beitrage II, 540. ',\')\. In den volksepcu sind
rührende reime sehr gebräuchlicli, vgl. die einleitungen zum
heldcnbuch 1, XII. 2, XXXII. 3, LX. 5, XVII.
Ich könnte nun nocli vielleicht das verfahren Bartschs im
einzelnen prüfen und untersuchen, inwieweit sich an den stellen,
wo er im reime den anstoss findet, andere motive zur än-
dcrung aufdecken lassen. Indessen ist hierüber schon so viel
von den verschiedensten Standpunkten aus geschrieben, dass
icli in der regel auf schon früher vorgebrachtes zurückkommen
müste, und in den meisten fällen würde sich doch nur eine
subjective Wahrscheinlichkeit erreichen lassen. Einzelne punkte
gedenke ich vielleicht später einmal einer l)esprechung zu unter-
ziehen. Dazu ist es aber auch nötig, vorher einige weitere
fragen zu erledigen, wozu ich im folgenden den versuch mache.
III. AuslÜlIuug der seukiiiig.
Ausser der reimcorrectiir sieht Bartseh das hau})tmotiv für
die Änderungen der beiden ])earbeiter in dem bestreben, die
ursprünglich syncopierten Senkungen auszufüllen. Er handelt
über die hier in betracht kommenden Verhältnisse in einem
abschnitte, der zu den wertvollsten in seinen Untersuchungen
gehört und eine wesentliche förderuug der deutscheu metrik
enthält, s. 133 — 163, ausserdem s. 308 If. , wo die in A oder
in einer der l)eiden hauptreccnsioneu fehlenden Strophen be-
sprochen wei'den. Bartsch nimmt an, dass die tendenz zur
ausfülhuig wie die zur beseitigung der assonanz beiden be-
arbeitern eigen gewesen sei, nur C* in stärkerem masse als
B •■'•■, dass dieselbe demnach 1)ald in B* bald in C'-'', bald in
beiden, aber in abweichender weise vollzogen sei. Erwiese
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 445
sich diese annähme als richtig, so würde damit einerseits die
erklärung- für zahlreiclie al'weichungen gefmiden sein, ander-
seits ein neuer beweis für das von üartseli aufgestellte liand-
sehriftenverhältnis. Meiner Überzeugung nach ist sie gerade
wie die assouanzhypothese bis zu einem gewissen grade zu
billigen, aber nicht in der ausdehnung, die ihr liartsch gegeben
hat. Wir können bei ihrer prüfung einen ganz ähnlichen weg
einschlagen wie in der vorhergehenden Untersuchung.
Bartsch stellt folgendes als ganz sicher hin: erstens, wenn
bei sonst im wesentlichen übereinstimmendem texte ])ald diese,
bald jene bcarbeitung die Senkung ausgefüllt hat, die andere
nicht, so hat inmier diejenige das ursprüngliche bewahrt,
welche syucope hat; zweitens, wenn beide bearbeituugcn die
Senkung ausgefüllt haben, aber in der art von einander ab-
weichen, dass sich gewisserraassen durch kreuzung beider ein
vers mit syncopierter Senkung herstellen lässt, indem das ge-
meinsame beibehalten, das nichtgeraeinsame getilgt, respective
durch etwas drittem neues ersetzt wird, dann ist ein so hcr-
stell])arer vers auch wirklich das ursprüngliche. Diese sätze
hat Bartsch nicht bloss beim Nibelungenliede, sondern auch
sonst vielfach bei der kritischen behaudlung mittelhochdeutscher
texte einseitig zur geltuug zu bringen gesucht. Es ist gewis
nicht zu leugnen, dass damit in manchen fällen das rich-
tige getrotfen sein mag. Dass aber alle derartige abwcichungen
zweier texte nur in dem von Bartsch angenommenen sinne
gedeutet werden können, dass immer die form mit syncopierter
Senkung die ältere sein und die mit ausgefüllter mit bewuster
absieht eben zum zwecke der ausfüUung eingeführt sein uuiss,
das ist ein schwerer Irrtum. Stets muss berücksichtigt werden,
dass dies Verhältnis von syncope und ausfidlung oder die Ver-
schiedenheit der ausfüUung auf ganz zufälligen momenten be-
ruhen kann, dass die ursaclien der abweichung ganz wo anders
liegen können. So ist von Bartscli hei seiner rechnung gar
nicht iu anschlag gebracht, wie leiclit eine menge von wört-
chen wie vil , da, nu u. dgl. ausgelassen werden können und
in allen miitelhochdeutschen abschriften ausgelassen zu werden
])ilegen. Durch solche auslassungen wird in der regel eine
Senkung ausfallen, so dass dann die ausfüUung das ältere, die
syncopierung das jüngere ist. Abgesehen aber von dem aus-
44(5 l'Al'l>
lalle ist CS v'uw. t;iiisoii(l(iicli dtucli die crralinuig- zu hcob-
aclitciidc tatsMclu', dass die cinzoliicii liandsclirirtcu oder liand-
s(diriftc)ii;-rui)pcn eines weikcs AdcUach synoiiynia oder iibcr-
li<aupt vcrscliiedenc für eine stelle passende Wörter eins mit
don\ andern vertaiisclien, ohne dass meist ein l)estimmter g-rund
für die vertauscliuni;' zu entdecken ist. Wir können diese er-
sclieinung kaum anders erklären, als dass es den abschrcibcrn
nicht auf vollständig-e treue aukam, dass sie vielmehr dem
antriebe einer gewissen willkürlichen launc folgten, dass sie
vielleicht ein grösseres stück mit einem mal durchlasen, mehr
als sie genau im gedäclitnis bewahren konnten, und statt noch
einmal nachzusehen, wo sie unsicher waren, es l)cquemer fan-
den etwas beliebiges, was ihnen i!,erade einfiel, dafür zu setzen.
Wo sich die scbreiber so frei ])ewegen, dass sie sich viele
grössere, durchgreifende ändcrungen gestatten, darf man auch
die zahl dieser kleineren abweichungen um so bedeutender
erwarten. Durch dieselben kann wol das versmass entstellt
werden. Wo aber dasselbe im 1)ewustsein des Schreibers oder
bearl)eitcrs noch gerade so lebt wie in dem des ursprünglichen
dichters, wii'd dies nicht geschehen, sondern die änderung wird
dem versmasse angemessen sein. Wo nun syncope und aus-
füllung der Senkung im originale nel)en einander gebräuchlich
und ebenso beides auch den bearbeitern oder Schreibern ge-
läufig ist, da wird es sich, wenn einer von diesen ändert,
ganz zufällig ergeben, dass l)ald original und bearbcitung beide
syncope oder beide ausfüllung haben, bald das original syn-
cope, die ])earbeitung ausfüllung, bald umgekehrt das original
ausfüllung, die bearlicitung syncope. Man darf daher weder
ohne weiteres aus der syncope auf erhaltung des originales,
noch aus der veischiedenen ausfüllung der Senkung in zwei
neben einander stehenden texten auf änderung in beiden und
ursprüngliche syncope schliesscn. Das ist so klar, dass es
keiner erörterung bedürfen sollte. Trotzdem, um mich gegen
jeden Widerspruch sicher zu stellen, will ich diese allgemeinen
Überlegungen, gerade so wie ich es in bezug auf die reim-
abwcichungen getan habe, noch durch eine leihe schlagender
beispiclc aus den hss. des Nibelungenliedes und der Klage
illustrieren.
Syncope der Senkung kann zunächst entstehen durch aus-
ZUR h'IBET>llN(^ENFRAGE. 417
lassiiug eines wortcs. Auf diese weise entstellt sie ausser-
ordentlich liäufig" in A. Bartsch hat selbst wortauslassungen
in A in den Untersuchungen s. 75 ff. zusaniniengestcllt. Durch
solche auslassungen wird mitunter das metrum nicht niodifi-
ciert, mitunter nur der auftnkt beseitigt, manclinial das vers-
mass ganz zerstört. In ;iusserordentlich vielen fällen aber,
auch wenn man diejenigen abzieht, in denen der sinn entstellt
wird, bleibt der vers richtig, nur dass eine urspriinglicli aus-
gefüllte Senkung syiicopiert erscheint. Ich will dieselben hier
nicht ans den Zusammenstellungen Bartschs, die sich übrigens
noch bedeutend vervoUstniKligeu Hessen, besonders ausscheiden,
sondern gebe eine reihe von l)eispielen aus den andern hss.
Am häufigsten werden kleine advcrbien und conjunctionen
ausgelassen. So besonders vil in B 419, 8 {si müeste hie vil
lange) , 1454, 3 {si wären vil nnmiiezic), in AB 455, 4, in C
59, 3. 78, 3, in Gib 77, 2, in D 24G, % in DI 176, 2, in Db 263,
4. 1318, 1, in DI 176, 2, in I 73, 3. 76, 3. 99, 4. 123, 3, 262, 2.
278, 1. 384, 1. 418, 2. 648, 3. 663, 2. 688, 4. 812, 3. 1058, 2.
1225, 3. 1252, 3. 1367, 2. 1752, 2. 1810, 3. 1862,3. 1903, 1;
in AI 454, 1. 462, 2. 877, 2. 1272, 2, in la 1194, 3, in Ib
118, 2, in L 942, 4, in S 910, 2, in b 1435, 2 (\vo dann zu
lesen wäre in kürzere s(tmt), in d 1460, 2. ?vol fehlt B 1534, 4
(dann man sach getväfenet slmi). 2103,4. gar n lSly2. 1312,3,
b 1840, 4, 1 1392, 2. sere b 1629, 1. i/it I 104, 2. 1628, 4.
ni/il I 359, 8. so B 837, 2, IKb 2270, 3, I 451, 3, ALf 1001, 2,
ab 1787, 1. als AI 614, 2, IKab 1715, 3. c l 444, 4. sU
Db 127, 4. nu D 248, 3, Dia 1267, 2, d 1439, 1. 2060, 1.
dd B 2290, 1, Bb 1493, 1, Bh 959, 1, D 1113, 2. 1153, l,
I 181, 4. 198, 1. 260, 2. 474, 2. 649, 1. 889, 4. 961, 4. 1365, 3.
1819, 2, AI 835, 2, Ibd 19S, 1, Lf 1010, 1, N 1581, 1, Nd
1573, 1, a 330, 1. 2213, 2, Aa 1076, 1, ah 1904, 3, b 118, 1.
164, I. 1678, 1. 1777, 1. 1810, 4. 2130, 2. 2169, 2. 2272, 4.
d 1450, 1. 1805, 2, Ad 436, 4. da Ba 821, 3, AI) 1293, 2,
I 1619, 2. 1985, 2, la 655, 2, labg 2224, 4, a 636, 1. 1670,3.
2048, 2, b 1491, 2, bd 1320, 1, bl 1448, 4. dar AB 418, 1,
a 748, 3. dan AM 37, 1. hie Bi 490, 1, ADb 1508, 4, b
1660, 2. her I 1584, I, Ib 2291, 3. hin I 2133, 3. 2294, 1,
Alb 362, 4. aber D 1203, 1. doch B 919, 3, a 1186, 4, b
2251, 1. ouchD 1317, 2. 1421, 1, Dlb 705,4, ADab 2274, 1,
448 PAUL
1)1) WM, 4, I 384, 2. 468, 1. ()29, 1. 1015, 3. 1592, 4, Nab
2054, 2, a 808, 3, ab 2055, 3, i) 172, 1. 343, 1. noch DI
255, 2. 83ü, 2, Da 2145, 1. Präijositioiicu wie in ADbg
1195, 2; von VA) 2005, 1, AI 996, 1; zc l 636, 2, la 409, 4.
Häufig fällt der aitikcl aus: der lUb 627, 1, I 32, 3. 271, 1.
437, 5 (in beiden halbzeileii), Alb 34, 2. 412, 1. 1874, l (in
beiden lialbzeilen), Albd 136, i, la 2078,2, Ib 271, 1, a909, 1,
Aab 1756, 1; diu BDb 1884, 1; daz BI 1786, 1, Bb 1712, 2,
DIb 2222, 4, Alb 421, 1, Ib 1230, 4, ]> 771, 1, Ad 439, 1;
den Dia 908, 3, I 112, 2; dem D 24, 1; des IQ 911, l, la
349, (■); diu (nom. pl. ueutr.) BD 1884, 1, I 197, 3, Aa 1533, 2;
den (dat. pl.) Dbd 208, 1, All 1629, 4, ab 1974, 4, b 1831, 1,
d 34, 2; der (gen. pl.) I 866, 2. Pronomina: mir I 1185, 1,
Ib 248, 1; du Db 2133, 3; //• (vos) a 1759, 3, d 1715, 3; ez
lag 1622, 2; in (aec. sing.) I 1656, 4 (dat. plur.), I 359, 5,
1800, 4, b 508, 2; im I 402, 2; ir (gen. plur.) B 941, 1, Bb
392, 1, I 668, 1, II 1434, 3; min b 1680, 1. Adjectiva: giiot
I 247, 3, 1141, 1; guoten DIb 251, 3. Mehrere Wörter: durch
si B 501, 4; zer werlt I 517, 4; ist der a 456, 3; und ouch
I 1627, 2, Ib 242, 1.
E])en so häufig entsteht syneope durch änderung eines
oder mehrerer Wörter, Umstellung u. s. f. Ich sehe hier wider
von den nur in A befindlichen zahlreichen fällen ab, die man
zum teil bei Bartsch findet, und begnüge mich mit beispielen
aus den andern hss., die ich, so gut es geht, nach bestimmten
gesichtspunkten gruppiere. Ich stelle dabei die gemeine les-
art, womit C* in der regel stimmt, voran und dahinter nach
einem = die abweichungen der einzelnen hss.
1256, 2 daz edel ingesinde = gesinde la. 706, 4 da zir
höhgezlte sin = hochizite DI, hochzeiten b , hochzeit nnd ähn-
lich häufig. 1232, 3 ob dir iht gewerre = werre I {tverde b).
1551, 2 von iemen da genam = nam Dl. 1004, 1 und daz man
vol gcsanc = sanc BI. 1121, 3 die rede vol gesprach = sprach
ACbd. 618, 2 min hemdc also hlanc = so ABd. 89, 1 do der
hell aleine = ei?ie I. 152, l was iedoch vil leit = doch Ah.
469, 4 daz ir läzet mich genesen = mich läzet Bbd.
1967, 3 eine dich hestän = dich eine B. 1359, 2 welle dort
bestän ^= dort welle ADb. 1216, 3 dne hat getan = hat ane
Abg {nu hat an D). 1959. 2 selten nu geschiht = nu selten a.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 449
1045, 2 kiesen wol dar an = woJ kiesen D. 2240^ l sUze)L hie
den man = hie sitzen b. 506, 4 ein böte hezzer niht geshi =
böte nicht hezzer gesin DI). 1055, 4 hei ez Hagene niht getan
= niht Hagene C. 18S1, 2 torsten niht bestem = niht torsten
I. 1522, 4 daz des künde niht geshi = niht kande H. 937, 2
trimven ihl hegän = iht trinrven I. 526, 6 muosen si do pflegen
= die muosten do 1. 1401, 1 sach zen rossen gän = zen
rossen sach B. 1249, 3 was von Eine komen = von {dem Db]
Rhie was ADb. 528, 4 rlcher 7vcete vil genomen = vil richer
wct'te B. 1994, 4 scaden kleinen noch getan = noch schaden
dein getan I = noch vil kleine getan Ab. 1997, 1 vil schiere
wart der recke do gewäfent haz = wart gewappeni. der recke
do haz I. 394, 8 man siht in bi den andern so rehte herllchen
gän == man siht bi den andern in so herlich gan I. 380, 4 ob
ich gcwalt des hcte = ob ichs gewalt liele I. 153, 3 habet alher
gepflegen == da her habt gepflegen I. 424, 2 der vil küene
Dancwarl = Danervart der kuene I.
939, 2 do rang er mit dem tode = er ranc D. 950, 2 do
seic si zuo der erden = si seic AI. 1637, 3 do gedähle si vil
tiure = si gedacht (lies gedähte) D. 1508, 1 do sprach er
lougenllche = er sprach zuchtlklichen b. 1831, 1 do huop sich
von den Unten = sich huop 1. 217, 1 so liezen si den strtt
= si Uezzen I. 1737, 3 ja vorhten si den tot =-- si vorhlen den
tot i. 374, 2 ja danket ez jnich guot ^= daz dunchet mich guot
I. 2305, 2 ja htm ich des gesworn = ich lian des K. 837, 2
auch hat er so zerblouwen =^ er hat so a.
711, 3. 1426, 3 sprach der ritter guot = helt I. 423, 1
waz der degen sprach = helt I. 1057, 4 da sin der degen Al-
hrich = helt I. 2215, 3 der degen irol/jvln = hell I. 2262, 2
do der degen guot = helt ßlK. 387, 3 ir schiffet hl der vluot
=^ schif Ib. 452, 1 daz schiffet sere vlöz = schef I {schif vil
b). 841, 2 den holden wine min = wirt a. 2009, 4 vor dem
videloere tot = spilmanne I. 708, 3 vrouwen kleider bringen =
ros I. 1811, 1 üf den bulmrt komen = hof I. 405, 1 zuo dem
künege trat = zuo Gunthercn trat I. 1286, 4 da er die küne-
ginne vant = firiemhilde Ig.
129, 3 so michel was sin kraft = groz I. 418, 3 michel
unde ijreit =^ gros d. 1117, 4 oh si im Imndcc miJhten sin =
cunt I. 1099, 2 in vier unt zweinzic tagen ^= vierzehen I.
450 l'AUI.
lOO'J, 1 cz isl ei. nnerweudel = imwendich 1. iS4,'J, 4 den ir
i>/l mlunecllcheu llp = wcct liehen ebenso 1018, 4 Dl {wellHeJien
])). IIU, 2 ein mhmccUche meit = die iier liehen 1. 10, l ein
üz envellvr deyen = turcrlicher Ij. 4, 3 ein üz erwelter deyen
== wellieher (J. lo()7, 4 die Iruoyen iteniuwia kielt = riehUche
1), hcrllehlu 1. *Jo2, 2 6'/;^ fröadenloser lac = vrollcher IQ.
334, 2 y^vvx' </<?a76' wit'r = yc7 Db. 2Ü50, 3 der dural ad
rehle we = der dural harte {alao la) 7ve Dia. 1152, 4 daz
zimet in recken michel baz = vil I. 2049, 2 wir möhten michel
(jerner =^ vil lieber d. 11^77, 4 na ivizzct cndecllchen daz =
wa'rlichcn 11. 1812, 4 des gic im sicher liehen not = werlichcn
1. 1131,4 sol ich in willec liehen sagen = willichen b, vroliche
!>. 853, 2 daz ir ad tvillec liehen =^ /'riuntlichen 1. 1323, 4 hei
wie gewallicllchen = Jwr liehen :i. 271, 2 wie rehle herzenllche
= herliche 1.
1732, 3 Verliesen nilnen llp = den 1 {wil den Ü). 83'J, 2
m aturme amen llp = den L 1085, 2 ?</<</ IJagene slnen schilt
= f/en I. 2228, 4 ivol vergolten alnen tot = den 1. li), 3 /«/(^
enp/iengen diae geste == die ADb. Ol, 1 do vernam ouch disiu
mmre =^ diu I. 758, 4 daz clliu disiu rlche = diu 1. 2113, 1
dö erachrahten dirre nuere = der 1. 1582, 2 er sprach " ilf
disen megoL = den 1. 'J 10, 2 av' leitoi in uf einen schilt = den
D. 1582, 1 llen einen degen = den I. 307, 3 und achiezen
manegen schaß = den 1.
1177, 1 daz heizet er iu sagen ^^ hiez I. HO, 1 den künic
hete wunder = nani d. 1309, 2 ^/^^a- Aa/i ich niht bescheiden
= wissen I. 2035, 4 rft?/' i'r/^/f gdhes wideraeit = veraeil I>D.
1998, 3 aln zürnen daz was gröz = zorn der IM. 1905, 2 do
aluoc der für sie aelbe=^ och er selbe I. 240, 1 do mit liebe was
gescheiden = do so wol was gescheiden Db. 1000, 2 do ranc
mit aolhem jämer ^= so mit jamer B. 1984, 2 worden harte
kranc = ein teil worden kranc I. 203, 4 ouch hiez ai vil der
vremdoi = ai den Db. 711, 3 vrägen umbe tncere = v. der m.
I. 900, 4 in der aschen ligen vant = aachen da (fehlt D) vant
DSb. 091, 3 ir ault una mere sagen = 7nir daz sagen D.
1289, 1 do huop man von dem möre ^= zer erde I. 1983, 4
hie vor (Jlselhere lac = vor dem helde gelac I. 791, 4 in gröz
ungefnüele komen = unmiit hechomen b. 858, 4 solde nimmer
man gepllegen =^ aolden helde niht pflegen I. 1800, 2 vil manic
ZUR ^'IßELUNGENFRAGE. 45 i
Hinnen man = ntanic hmdscher man I. Jü33, 3 ein wäfenlicU
gewa)U = ein wafj'en getvani a. 1074, 1 Dancwarl Ifayenen
hruoder = PaHcrvarl der knene I. ISTT), 1 u/' shi eines tlp =
i(/ Dancwarl es lip I. 2108, 3 niu/ran allez gnot ^^^ nnüt lieh unde
guol D. 2125, 2 die mit mir körnen sint == mir hie siiil 1.
1942, 4 daz suln ?vir noch mit. Iriuwcn sin = wir wwrliclien sin
1. 1638, 4 des gut mir armen wibe not = iverlichen I. 1985, 2
den er e da dolte =^ den der hell dollc D. 1581, 2 mit vil
guolem willen = mit willigem muote 1. 1705, 2 in einem grim-
men muole = mit grimmige muote I. 2151, 2 s7vie wunt er wwr
zem löde = swie tolwunt er wiere I. 1950, 4 ein vil klagellcher
schal = von jämer grbzlicher schal 1. 145('), 4 des schiel sll
vil mit leide = daz schiel sil mit leide D. SlUJ, 2 die mir iht
huzzes tragen == mir haz 1. 09, 2 des enwas nihl not = des
7vas unnot D. 243, 1 die wanden taten sam = die wunden al-
sam I. 244, l die vremden tet er sam = die vremden alsam I.
808, 3 er schiel in kurzer stunt = an der stunt 1. 1314, 4
hl Elzeln under kröne saz = under kröne gcsaz D. 1299, 2
da der grözc schal = der grozUche schal I. 450, 3 der sprach
'wer ist der uözet = wer ist der da hozet I. 1022, 1 do man hegunde
vrägcn die minnecllchen meil = Als man do hegunde vragen die
meit I. 2007, 1 vo7i geheize und auch von gäbe = von solchem ge-
haijsse d. 923, 1 den ger im gein dem herzen = den ger in dem
herzen I. 1212, 4 da getan vil fülle leit ===^ getan vil grozllchm
leit I. 1984, 2 worden harte kranc =^ em teil worden kranc I.
2154, 2 si wären aber muezic = si waren stritmuedel. 2195,2
genomen der gemach = unser (unser aller D) gemach Db. 203, 1
auch hiez si vil der vremden ^^ man gap da genuogen CE.
1359, 3 wer si danne soldc wlsen durch diu laut = ?ver soll si
danne wisen durch uncundiu lanl I. 228, 4 den frouwen an ir
mägen = maneger amien I. 273, 1 ivaz wcere manncs wünne,
des vreule sich sin lip = ivas ?nocht senenden ?nanne frewen den
lelp 1). 1727, 2 daz ir daz habet verdienet daz ich in bin gehaz
= daz ir so grozlichen vcrdientent minen haz I. 084, 4 gegen
ir herzenleide wie lieJnu mwre si hevant = 67' wart fraudenrich .
do si diu ?}ia'r bevant I. 1055, 4 in hele erslagen niemen, het
ez Ilagene niht getan = in het erslagen hagen . ez het anders
niemen getan I.
Die hier gogel)eiicn zuKamQiciistcliuugen uuiclien uiclit eleu
452 PAUL
ansj)nu'h aiil" absolute vollstäiidi^kcit mid werden sich gcwis
Qoeli Ncniielircu lassen. Und in allen diesen i'ällen niuss mau
anerkennen, wenn num sieh nicht über die clenienlarsten kri-
tischen i;-rui'.ds:Uze hinwegsetzen ^vill, dass die lesart mit aus-
g-efüliter senkunii- die ursprüng-liche ist. ') Daraus folgt mit
cvidenz, dass iJartschs gruudsatz, id)erall die lesart mit synco-
pierter Senkung vor dei' mit ausgefüllter zu !)Cvorzugen, schlechter-
dings niclit aufrecht zu erhalten ist. Zwischen dem Verhältnis
der beiden hau})trecensi{)nen zu einander mul dem gegenseitigen
verhiilrnis der kleineren gruppeu und einzelnen hss. besteht
doch keine totale Verschiedenheit, sondern nur ein graduntcr-
schied. Die momente, auf denen es beruht, dass syncope auf
der einen seite neben ausfüUung auf der andern steht, sind
hier wie dort ganz dieselben, und die einzelnen falle lassen
sich unter die nämlichen kategoricn bringen. Zum beweise
mögen hier nur einige beispiele dienen, die mit rücksicht auf
die oben gemachte gru])pieruug gewählt sind: 9, 2 Danctvarl
der vil snelle ß* = Dimcwart der snelle C ""'■■. 57, 4 sint mir
lange wol hekani C* = die ai)d mir lange hekanl Vi'^'\ SO, 1
do wären oacli dem künege C* = dö wären dem künege ß *.
135, -1 des muoz ich dielte iruric slän C* = des muoz ich
trüric gesiän B"--'. 276, 4 die si heloc nie hekant C* = die
si nie heten hekant B'^-'. 327, 2 do gevriesch ez hl dem
Rine C * = duz gevriesch bi dem Rlne B •■■■. 11,3 ein iiz
erweUer degen B--' = ein wcetllcher degen C*. 138, 4 leit
was in innecllche daz C* = leil was in wwrUche daz B*.
63, 4 /// mit Iriuwen immer sagoi C* = mit triuwen warllchen
sagen Vy''-\ Und so könnte iv;h weiter die parallelisierung
durchfuhren. Allerdings lassen sich nicht aus jeder einzelnen
hs. so viele fälle beibringen wie aus B''-' oder aus C--'; aber
natürlich muss ihre zahl im Verhältnis stehen zu der zahl der
abweichungen überhaupt, und so hat uns denn auch die hs. I,
') Bartsch luit treilicli mitunter, aber ohne irgend welche consc-
quenz, die lesart mit syncopierter Senkung auch da in den tcxt aufge-
nommen , wo sie nur durch eiue oder wenige hss. überliefert ist , z. b.
13S(), 4 ü/ guote triuwe gesant nach BD, während AlNb in Übereinstim-
mung mit C* her gesant haben, so dass dann nach Bartschs texte der
form mit syncope iu B* die mit ausgefüllter in C gegenübersteht, wo-
durch man über das wahre Verhältnis irre geführt wird.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 453
welche die meisten, und zwar auch die meisten mit bewuster
absieht i-'emachten veründevungeu eutiullt, die gröste zahl von
beispieleu geliefert.
Es Hessen sich nun ebenso eine menge fülle, besonders
aus I anführen, in welchen der syncope im originale ausfüllung
in den einzelnen hss. entspricht. Nach Bartsch m liste man
danach den Schreibern bewuste teudcnz zur ausfüllung der
Senkungen zuschreiben. Dem steht aber die eben dargelegte
])eobachtung entgegen. Es bleibt nichts anderes übrig: ausfüllung
und syncope beruhen nicht auf absieht, sondern auf zufall.
Ebenso lässt sich an vielen stellen durch combination der
abweichenden lesarten einzelner hss. mit dem texte der übri-
gen syncope herstellen in ganz analoger weise, wie es Bartsch
durch combination der beiden hauptrecensionen getan hat.
Folgende beispiele mögen dies veranschaulichen: 80, 2 ritter
vil gemeit = wol yenieit k, unverzait b; original: ritter gemeit.
1575, 2 doch riurvet mich vil sere ^^ so h, zuD] original: doch
riuwet mich sere. 1856, 2 der fiirste vil gemeit = )vol h;
orig. : der fürsie gemeit, wie A wirklich hat. 92G, 3 der schilt
vil gar zerhrast = im gar Db; orig.: der schilt gar zerbrast.
486, 3 er swendet gar min golt = mir min Bb; orig.: er sw endet
min golt. 201, 1 versnohien wol ir hant = ouch D; orig.: v^r-
suohfen ir hant. 472, 2 wurden wol gekleit = schir D, ^a b;
orig.: wurden gekleit. 142S, 2 daz täten si wol schin = do D;
orig.: daz täten si schin. 299, 2 do was ouch sd gezieret =
wol A; orig.: do tvas ouch gezieret. 2013, 2 geneiget so zetal
= dah, hin Da; orig.: geneiget zetal. 1277, 1 vil rehte nu
geseit = wol Db; orig.: vil rehte gesell. 1971, 4 swie griulich
nu si Hagene = si nu Bbd; si her I; orig.: swie griulich sl
Hagene. 358, 5 in wceren nu bereit = in weer gar I, daz in
wer D; orig.: in wceren bereit. 589, 4 iu so nähen mer geligen
= bi AI; orig.: in so nähen geligen. 1398, 1 ze liebe si do
heten = nun b; orig.: ze liebe si heten. 993, 3 waz opfers
man do truoc = dar IQb; orig.: waz opfers man truoc. 889, 4
daz starke tier do wände = da b, daz Da; orig.: daz starke
Her wände, wie I hat. 607, 2 als im do gezam == daz A, daz
wol I; orig.: als im gezam. 1805, 2 erzürnet do den muot =
sa b, ser D; orig.: erzürnet den muot, wie d hat. 5;>5, 2 vil
manic hant do swanc = hant gezwang b; orig.: vil manic hant
lieiträge zur gescliichte der dcutacheu Spruche, III. 3(j
454 PAUL
swanc. 1320, 1 dö stuont da wartende = ouch D; orij^, : do
süiont wartende, wie l)d haben. 17'J1, 1 swer den stritdähilebe
== nu IK; orig*. : swer den strit hüehe. 97, 3 rechen da zehant
= al 1] orig. : rechen zehant. 1 870, 1 wurden dan gesell = do
I; orig.: wurden gesell. 1508, 4 von ordnen schulden lue ge-
schehen =^ da (1; orig.: von 7mnen schulden geschehen, wie ADb
liabeii. 2246, 1 sitzen hie den man = sitzen disen man I;
orig.: sitzoi den man. 1498, 1 dö sprach aher der verge =
do sprach der seihe verge 1; orig.: dö sprach der verge. 2014, 3
Sit wurden doch die recken = da b ; orig. : sit wurde?i die recken.
67, 3 die jvurden ouch bereit = wol I ; orig. : die wurden bereit.
361, 1 /;• möhtet noch bestän = wol AI (in A durch punkte
getilgt); orig.: ir möhtet bestän. 923, 3 gelief noch in der werlde
= nie I ; orig. : gelief in der werlde, wie AQd haben. 933, 3
daz der nach schaden weinet = den schaden IQ ; orig. : daz der
schaden iveinet. 556, 2 niht langer man daz lie = do I; orig.:
niht langer man lie. 1778, 1 vil schiere daz geschach = do b;
orig.: vil schiere geschach. 1349, 1 bereite man diu kleit ^= da
die A, do A; orig.: bereite man kleit. 1787,4 dö wählen si der
manegen = do B, vil Db; orig.: dö wählen si tnanegen, wie a
hat. 183, 3 die schefte mit ir kraft = der I; orig.: die scheftc
mit kraft. 941, 1 dö spräclien ir genuoge = f/a I; orig.: dö
sprächen genuoge, wie ß hat. 1770, 1 in liehtez ir gewant =
in lichtes sargewant I, in ir \yil D] Hecht gewant ; orig. : in lieh-
tez gewant. 1046, 1 sus saz si nach {in Cad) ir leide = Alsuz
was si mit leide I; orig.: sus saz si mit leide. 646, 1 urloup si
alle nämen = si do namen AI; orig.: urloup si nämen, wie a
hat. 2126, 3 fiir alle ander man = hie für ander man I;
orig.: für andere man. 2061, 3 sehs hundert küener man =
wol sehs hundert man I; orig.: sehs hundert man. 226, 1 reit
niemen also wol = da so I] orig.: reit 7iieman so wol. 1181, 4
des muosen dö gevolgen = ir do volgen I, die gevolgen d, volgen
a; orig.: des muosen dö volgen, wie A hat. 2022, 2 als guoten
helden zam = als helden (in b) wol gezam] orig.: als helden
wol zam oder als helden gezam. 1053, 3 für si niht gegän
= do niht gan I; original: für si niht gän, wie a hat.
1162, 4 ir wart eriteniuwet = von erst erneuwet D; orig.:
ir wart erniuwet, wie Ad haben {entrawet b). 731, 4 künde
7iiemen da bewarn = da niemen B; orig.: künde niemaji
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 455
bewarn. 923, 1 stecken er do He = er do stechen B, im do
stecken D, stechen er im C; orig.: stecken er lie. 1378, 1 der
palas der was wol = palas waz so 1; orig. : der palas was vol.
297, 1 der sprach sä zestunt = sprach do sa zestunt A] orig. :
sprach sä zestunt. 16S3, 4 'entriuwen' sprach do Hagene = so
sprach D; orig. : ' entriutven' sprach H. 1468, 1 'leide', so sprach
Hagene= sprach </oB; orig.: 'leide\ sprach Ilagene. 1958, 2 Etzel
was so küene = ivas der A, der waz b ; orig. : Etzel was küene.
2312, 2 swaz halt mir geschiht = swaz mir da von geschiht
l>Db; orig.: swaz mir geschiht. 1856, 4 niht ze kurzewile guot
= zekurzwil nil zeguot Ih] orig.: ze kurzewile niht guot. 227, 4
do sprach der hole schiere = der hole sprach vil schiere I;
orig.: der böte sprach schiere. 1079, 1 dö sprächen si gemeine
= si sprachen al gemeine I; orig.: si sprächen goneine. 1770, 1
do garten si sich beide = si wappenten sich beide I; orig.: si
garten sich beide. 87, 3 so wil ich wol gelouben = doch wil
I; orig.: ich wil wol gelouben. 296, 4 im wart ze dirre werkle
= in al der B, in aller d; orig.: im wart in der werlde. 2076, 4
er gesluoc in disem stürme noch nie lobelichen slac = noch in
dem Sturme nie kein l. s. ; orig. : er gesluoc in dem stürme noch
nie l. s. 383, 3 komen si gegän = begunden si do ga?i I;
orig.: begunden si gän. 2236, 4 er beslöz mit armen = do
bisloz er mit den armen] orig.: do beslöz er mit armen. 1333,4
vil ofte in senftem släfe = in vil senftem slafe I; orig.: in
senfteme släfe. 1931, 1 äne mine vinde = wanmine find alleine \
orig.: 7van mme viande. Ich hebe mit rücksiclit auf Bartschs
construction des Originals besonders eine art von fällen hervor.
Nicht selten hat er wegen der abweichungen beider recensionen
verse mit sprach und einem folgenden namen hergestellt, in
denen sprach hebung und Senkung trägt, z. b. 59, 1 sprach
Sivrit, wo B* sprach aber, C* sprach do hat, 64, 1 sprach
Sigelint (B'^ sprach frou, C* sprach do), 149, 1 sprach
Gernot (B* so sprach, C* sprach do) etc. Solcher verse nun
Hessen sich sehr viele nach den abweichungen einzelner hss.
herstellen. Mau vergleiche sprach do Sifrit = so sprach D
55, 1, so sprach D, also sprach b 158, l ; sprach do Hagene =
= ^ö sprach 1 1450, 1. 1576, 1 (an ersterer stelle hat d bloss
sprach), so sprach Db {sprach d) 1678, 1, also sprach I 1663, 1
und b 330, 1 ; sprach do Eckewart =^ so sprach I (sprach N)
456 PAUL
1581, 1, so sprach h {sprach Nd) 1573, 1; so sprach Gernöt
= sprach do I 1022, 1; so sprach Volker =^ sprach do I
{sprach ab) 1787, 1; so sprach Stvemmelln = sprach do II
1394, 1; sprach do Stvemmelm = so sprach sich D 1386, 1;
sprach do Ilagoie = also sprach I 1663, 1 ; b 330, 1 = sprach
aber I, sprach sich b 2270, 1 = so sprach D 873, 1; 1 1450,
1; 1497, 1; 1576, 1; sprach do Gernöt = sprach aber 114, 1;
sprach aber Gernöt = sprach da b 123, 1; spracli do A 2021;
sprach aber Irinc =^ sprach da b, so sprach D. Mau kann
dann uocli weiter die zahlreichen fälle Aergleicheu, in
denen ein derartiger Wechsel stattfindet, ohne dass das vers-
mass durch weglassung- des schwankenden wesentlich alteriert
wird, und man wird einsehen, dai^s wir es hier mit einer ein-
fachen ganz Ijegreiflichen uugenauigkeit zu tun haben. In den
Untersuchungen s. 111 oben findet Bartsch noch betonungeu
wie sprach Werbet sein (1901, 1 A) nur erträglich. In der aus-
gäbe hat er sie mit Vorliebe construiert. Gewis sind sie un-
statthaft oder mindestens tadelnswert nach dem von Bartsch
selbst aufgestellten richtigen princip. Denn sicher hat die ton-
silbe des eigennaraens einen höheren logischen ton als sprach.
Mit den gegebenen beispielen ist wider die zahl der fälle,
in welchen eine solche vermittelnde construction von versen
mit syncopierter Senkung möglich ist, noch nicht erschöpft.
Zumal wenn man sich kühnere Vermutungen gestatten will,
wozu Bartsch auch das vorbild liefert, so lässt sich die zahl
noch beträchtlich vermehren. Bartsch wird danach gewis zu-
geben müssen, dass durch die blosse möglichkeit einer solchen
herstelluug der syncope noch nicht das ursprüngliche Vorhan-
densein derselben erwiesen wird. Freilich hat er sie in seiner
ausgäbe doch mitunter nach den abweichungen einzelner hss.
hergestellt. So schreibt er 1128, 2 als Originaltext von B* die
heten vernomen\ BDIbd haben heten ouch, A heten schiere (C*
heten tvol)] hat denn wol eine abweichung in A gegen die
Übereinstimmung aller übrigen hss. der gruppe nach Bartschs
auffassung des handschriften Verhältnisses irgend welche bedeu-
tung? 1334, 1 tvas rviten erkant\ hier haben BCDIdg ivas so
{vil Ig) rvite {rviten D), b so weiten waz , weite waz a. 1719, 1
sprach Hagene\ sprach aber BCIbd, sprach do AK, sprach do
der a, so sprach D. 1930, 1 sprach Wolfhart\ sprach do Wolf-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 457
hart CaBIb, sprach der k, so sprach D (d fehlt hier). 2001, 2
er scoz Iringen, er shoz vf ABIbd, er schoz in a, do schoz er
C, da mit schoz er D.') 1128, 2 und 1930, 1 ist dann noch
gav die lesait von C* unter den text gesetzt, wodurch der
falsche schein entsteht, als befände sich diese gruppe in bezug
auf die syncope im gegensatz zu der ganzen gruppe B *. Noch
an yerschiedeneu andern stellen ist dieser gegensatz erst
künstlich erzeugt.
Aus den hss. der Klage könnte ich gleichfalls eine reihe
von beispielen ar.f (ihren sowol für die entstehung der syncope
als für die möglichkeit der herstellung derselben durch com-
bination verschiedener lesarten. Ich darf mir dies aber er-
sparen, da die aus dem liede beigebrachten belege schon über-
genug beweisen.
Haben wir demnach noch irgend welche berechtigung, den
bearbeitern ein bewustes streben nach ausfüllung der Senkungen
zuzuschreiben und daraus die abweichungen zwischen B * und
C* zu erklären? Nur dann, wenn sich ergibt, dass in den
versen, wo beide texte abweichen, die Senkung verhältnismässig
viel häufiger ausgefüllt ist als in denen, wo sie übereinstimmen.
Dies ist nun unzweifelhaft in bezug auf die recension C* der
fall. Es kommt hierbei hauptsäclilich auf den 1)au der achten
halbzeile an, dem Bartsch seine besondere aufmerksamkeit zu-
gewendet hat. Er hat nachgewiesen, dass in derselben bis auf
wenige von ihm angezweifelte fälle die syncope, wo sie über-
haupt eintritt, stets die Senkung nach der zweiten hebung
trifft.2) Bartsch gibt nun statistische angaben über die häufig-
•) Ein ähnliches verfahren , wodurch aber nicht sowol syncope als
eine ältere vollere wortform erzeugt wird, schlägt Bartsch ein 1251, 2
samet ir (jesinde\ hier lesen DHId in Übereinstimmung mit C* mit ir
inr/esinde , Bb 7nit ir gesinde , Ag mit dem ir gesinde. Dazu vgl. man
1390, 3 7nit den nunen friunden, mit ininen friunden d; danach könnte
man construieren samet minen fritmden.
^) Die richtigkeit dieser beobachtnng wird bestritten von Scherer
in der zeitschr. f. d. altert. 17, 568, weil ihr das von Bartsch nach Sim-
rocks Vorgang gegen Lachmann zur geltung gebrachte logische betonungs-
gesetz zu gründe liegt, wonach Verliesen den llp , liehe ?nit leide etc.,
nicht Verliesen den Itp, liebe mit leide zu betonen ist. Scherer hält an
Laohmanns betonungsweise fest. Er meint, für das mittclhochd. Hesse
sich der beweis von der Unrichtigkeit der andern betonung auf das bün-
458 PAUL
keit (lieser form der achten halbzeile im gemeiusamen texte
und in den einzelnen bearbeitungen im Verhältnis zu der
häufigkeit der form mit ausgefüllter Senkung (s, 154. 308. 310).
Seine zahlen können freilich nicht als absolut zuverlässig be-
trachtet werden. Vollständige genauigkeit ist überhaupt nicht
zu erreichen. Es kann das princip der Zählung zweifelhaft
sein. Der Originaltext der einzelnen recensionen lässt sich
nicht immer zweifellos herstellen. Dabei ist besonders zu be-
achten, dass Bartsch schon bei der herstclkmg des textes ß*
möglichst bestrebt gewesen ist die form mit syncopierter
Senkung herzustellen, wo die Überlieferung nur irgend eine
handhal^e dazu darbot. Doch die abweichungen in den zahlen,
die sich bei einem andern verfahren ergeben würden, können
nicht so beträchtlich sein, dass dadurch die Verhältnisse ganz
wesentlich verändert würden. Nach Bartsch haben nun von
den in beiden texten übereinstimmenden schlussversen, die in
A fehlenden Strophen eingerechnet, Avenn man mit ihm die
digste tiihien. Wenn es erlaubt gewesen wäre ein schwaches e über
den vollen vocal einer Wurzelsilbe zu erheben, so würden die lyriker
und Konrad von Würzburg bctonungen wie kunegcs dein, sibcn'c daz,
Inmele diu, mäncgc der darbieten. Diese würden aber bis auf verein-
zelte ausnahmen vermieden. Es lässt sich gewis nichts bündiger zurück-
weisen als dieser einwurf. Die beobachtung ist allerdings richtig, aber
gerade so richtig ist, dass auch betonungen wie kunegcs gehot, sihene
vermeit , inänegi'z e7-warp etc. von den lyrikeru und Konrad gar nicht
oder nur ganz vereinzelt zugelassen werden. Die Unfähigkeit der silbe
mit schwachem e die hebung zu tragen ist also unabhängig von der
natur der nachfolgenden Senkung. Es scheint, dass Wörter wie küncges
maneger etc. gleich zweisilbigen behandelt sind. Damit aber ist Scherers
einwand hinfällig. Eine weitere stütze für seine ansieht bringt er nicht
vor. Ich werde vielleicht später einmal gelegenheit haben die entgegen-
gesetzte noch weiter, als dies schon von Simrock und Bartsch geschehen
ist, zu motivieren. Für jetzt kommt es mir nur darauf an zu constatie-
ren, dass das von Bartsch für die achte halbzeile der Nibelungenstrophe
aufgestellte gesetz, mindestens bis auf verschwindende ausnahmen seine
gcltung hat. Es ist auch namentlich sehr deutlich, warum die Senkung
nicht vor der letzten hebung syncopiert werden kann. Eine silbe, die
hebung und Senkung zugleich trägt, ist hoher betont als die folgende
hebung. Die letzte silbe der achten halbstrophe aber, welche die Strophe
abschliesst, muss voll und kräftig betont sein, und es muss daher die
abschwächung durcli eine unmittelbar vorhergehende stärker betonte
öilbe vermieden werden.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 459
elision eiues auslautenden schwachen e für notwendig hält,
997 die form mit fehlender Senkung, wenn man aber von den
fällen abieieht, wo erst durch elision syncope der Senkung ent-
steht, 939. Da im ganzen nach meiner ungefähren berech-
nung die beiden texte in etwa 1800 Schlusszeilen überein-
stimmen, so bilden die verse mit fehlender Senkung im gemein-
samen texte die grössere hälfte. Sehr abweichend ist das
Verhältnis da, wo beide texte auseinander gehen. Unter den
fällen, in welchen sich die abweichung nicht auf den reim er-
streckt und überhaupt gering ist, zählt Bartsch, widerum die
in A fehlenden Strophen eingerechnet, 214, in denen nur C*
die Senkung ausfüllt, nicht B*, 34, in denen nur B* sie aus-
füllt, nicht C*, 8G, in denen sie beide ausfüllen, 30, in denen
sie beide unausgefüUt lassen; also von 364 haben in C* 300
ausfüUung der Senkung. Unter den fällen, wo der reim ab-
weicht, habe ich nach eigener durchsieht 63 gezählt, in denen
C* die Senkung ausfüllt, B"*'-' nicht, 22, in denen sie B* aus-
füllt, C* nicht, 80, in denen sie beide ausfüllen, 14, in denen
sie beide unausgefüUt lassen; also unter 179 fällen hat C in
143 ausfüllung, in 36 syncope (Bartsch zählt der letzteren nur
20). Unter den 80 Strophen, die C* allein enthält und die in
B* fehlen oder durch andere ganz abweichende ersetzt wer-
den, haben 71 ausfüllung und nur 9 syncope. Unter solchen
umständen ist es unzulässig, an blossen zufall zu denken.
Die abweichungeu in dem was C * eigentümlich ist von dem
gebrauche im übereinstimmenden texte, müssen auf änderung
des Originaltextes durch den bearbeiter zurückgeführt werden.
Es fragt sich nun aber, ob wir auch B * die tendenz zur
ausfüllung zuschreiben dürfen. Unter den versschlüssen mit
geringer abweichung haben nach den eben gegebenen Zusam-
menstellungen in B* 120 die form mit ausgefüllter, 244 die
mit unausgefüUter Senkung. Das scheint also im gegenteil
dafür zu sprechen, dass B''' eine Vorliebe für die letztere form
hat. Allein, falls wir die ab weich ungen an diesen stellen auf
die tendenz zur ausfüllung der Senkung zurückführen, so
müssen ja hier solche strophen ausgewählt sein, welche im
originale syncope hatten. Deshalb bcAveist das überwiegen
der syncope hier nicht, dass B* eine grössere Vorliebe dafür
hatte als das original. Es könnte im gegenteil auch B ■••■ die
460 PAUL
syiicope an einer bcträclitlichen zalil von stellen fortgescliafft
haben, nur jedenfalls cilieblich seltener als C*. Es konnte,
sage ich, aber einen beweis, dass es der fall sein niüste, liefert
natiivlicli das zaLlenvorhältnis bei dieser gTii])pe von vers-
schlüssen nicht im geringsten. Anders steht es da, wo beide
recensionen im reime von einander abweichen. Hier kann die
tendenz zur ausfüllung nicht wol das motiv zur änderung ge-
wesen sein, aber die Vorliebe für die ausfüllung müste die
form der aus anderen gründen vorgenommenen änderung be-
stimmt haben. B''-' hat in 77 fällen syncope (nach Bartsch 7i),
in 102 fällen ausfüllung. Es weicht also wirklich das Ver-
hältnis von dem im gemeinsamen texte nicht unerhelüich ab.
Dagegen in den 38 Strophen ^ die in 13* allein stehen, in C*
fehlen oder durch ganz abweichende ersetzt werden, haben
nach Bartsch (s. 32 i) 19 die achte halbzeile mit fehlender
Senkung, ausserdem noch 2, w^enn mau elision annimmt, 16
mit ausgefüllter, 1 mit syncope an unrechter stelle (2258 und
Günther der künic her). Das Verhältnis ist also hier ungefähr
wie in den übereinstimmenden zeilen. Allerdings würde ja
für das original das Verhältnis zu gunsten der syncope ver-
ändert werden, wenn die zeilen hinzukämen, in denen die syn-
cope in der einen bearbeitung beseitigt ist. Immerhin aber
bleibt der abstand zu gering, als dass man B* mit vollster
Sicherheit eine bewuste tendenz zur ausfüllung zuschreiben
dürfte. Doch ist es als wahrscheinlich zuzugeben, dass auch
B* etwas mehr zur ausfüllung geneigt gewesen ist als das
original.
War demnach eine tendenz zur ausfüllung in C* vorhan-
den und in sehr viel geringerem massc auch in B*, folgt dar-
aus, dass diese tendenz so sehr überwog, dass niemals eine
der beiden bearbeitungen an stelle der ausfüllung im originale
syncope einführen konnte? Folgt daraus ferner, dass überall
da, wo ß''-' und C* die seulvung verschieden ausgefüllt iiaben,
auch beide in verschiedener weise die syncope beseitigt haben?
Wir suchen zuerst eine antwort auf die letzte iiagc zu geben.
Wenn beide bearbeitungen die syncope an einer reihe von
stellen beseitigt haben, so muss es allerdings nicht l)ioss vor-
gekommen sein, dass die eine änderte, während di<' andere
das ursprüngliche bewahrte, sondern auch, dass sie beide an
ZUR NIBELUNGENFÜAGE. 461
derselben stelle änderten. Nach allgeiiieineu ■svalirscbeiulich-
keitsgTüudeu ist zu erwarten, dass die stellen, an welchen
beide ändern und die, an welchen nur die eine ändert, in
einem bestimmten Verhältnisse zu einander stehen, welches
sich -durch mathematische formein ausdrücken lässt. Neunen
wir die zahl der achten halbzcilen mit syncope, welche das
original enthielt, ??^, die zahl der fälle, in welchen B* ausfüllt,
X, die zahl der fälle, in welchen C* ausfüllt y, die zahl der
fälle, in welchen ß* allein und nicht C* ausfüllt a, die zahl der
fälle, in welchen C* allein und nicht B* ausfüllt b, so ist die
Wahrscheinlichkeit bei jeder einzelnen zeile, dass B* ausfüllt
= -, dass C ausfüllt = -, dass beide ausfüllen = —^. Da
m m m-
sich diese Wahrscheinlichkeit m mal widerholt, so ist die zahl
der zu erwartenden fälle, in denen beide ausfüllen = — . Be-
m
stimmen wir nun die unbekannten x und y und danach — ^ aus
den bekannten m, a und h. Die gesammtzahl der fälle, in
Avelchen eine recension ausfüllt, ist gleich der summe derjeni-
gen, in welchen sie allein ausfüllt und deijeuigen, in welchen
sie in der ausfülluug mit der andern zusammentrifft. Wir
können demnach folgende gleichungen ansetzen:
a -\ =^ X
m
» + -^ = !/.
m -^
Die auflösung dieser gleichungen ergibt folgende resultate:
^ = V2 (»« + « — b) ± [/ ^U{m-\-a — h)- — am
U = V2 {^n — a-^h) + 1/ V4 (»^ + « — ^Y — ^'^
"^ = 1/2 (m—a — b) + l/~V47m + 0 ~ by — am
m V ' \
Setzen vvir nun die uns bekannten zahlen für die buchstaben
ein. Wir müssen dabei absehen von den stellen, an welchen
der reim abweicht und uns nur an diejenigen halten, in wel-
chen beide recensionou übereins'immen oder nur unl)edeutcnd
verschieden sind. Unter den ersteren hatten wir 997 fälle mit
Synkope der Senkung. Die letzteren waren zusammen 364.
462 PAUL
Nähmen wir also mit Bartscli an , dass in diesen allen ur-
sprünglich die Senkung nicht ausgefüllt war, so bekämen wir
zusammen 1301, welche zahl wir also für w einzusetzen hätten.
u wäre = 34, b = 214. Diese zahlen eingesetzt, ergibt fol-
gende resultate. Nehmen wir die quadratwurzel positiv, so ist
X = 1140,42, y = 1320,42, ^^ = 1106,42. Nehmen wir sie
negativ, so ist x = 40,68, ij = 220, 68, ^ = 6,68. Was
bedeuten diese doppelten zahlen? Die Wahrscheinlichkeit, dass
beide bearbeitungen in der ausfüllung zusammentreffen, steigt
stetig mit der zahl der fälle, in denen die einzelnen überhaupt
ausfüllen, und zwar in sich steigerndem Verhältnis. Die Wahr-
scheinlichkeit, dass eine recension allein ausfüllt, steigt zu-
nächst auch, aber in abnehmendem verhälfnis, bis sie einen
höhepuukt erreicht, von dem sie wider herabsinkt, weil sie
von der immer stärker w'achsenden Wahrscheinlichkeit des Zu-
sammentreffens überwältigt wird, und schliesslich wider auf 0
herabsinkt. Es gibt also diesseits und jenseits des culmiua-
tiouspunktes eine stelle, in welcher die Wahrscheinlichkeit für
einseitige ausfüllung in einer recension gleich ist, während die
für das zusammentreffen beider recensionen und die zahl der
fälle, in denen überhaupt ausgefällt wird, sehr verschieden ist.
Für uns kommt hier nur die stelle diesseits des culminations-
punktes und die kleineren zahlen in betracht. Wir hätten
also nur 6,68 fälle des zusammentieff'ens zu erwarten, w'ährend
Bartsch 86 annimmt. Zu bemerken ist allerdings, dass, wenn
man, wie es nun geschehen muss, den grösten teil dieser 86
von der gesammtzahl der fälle mit ursprünglicher syncope ab-
zieht, das resultat ein klein wenig günstiger wird. Es könnte
ferner eingewendet werden, dass sich gewisse stellen leichter
hätten ändern lassen als andere und daher das zusammen-
treffen häufiger geworden sei. Indessen kann sich ein solches
moment wol nur in sehr untergeordnetem masse geltend ge-
macht haben. Man braucht nur das von Bartsch s. 142 ff.
gegebene Verzeichnis der verschiedenen fälle mit syncope
durchzusehen, und man wird bemerken, dass die abweichungeu
bei allen arten derselben, und zwar ziemlich gleichmässig vor-
kommen.
ZUR NIBELÜNGENFRAGE. 463
Demuacli würde also das feststehen, dass bei weitem in
den meisten fällen , wo B * und C * die Senkungen verschie-
den ausfüllen, kein formales motiv für die abweiclmng vor-
liegt, und überhaupt für die erklärung derartiger abweichungen
hier so wxuig wie aidcrwäits erforderlieh ist. Sicher ohne
formales motiv sind ja nun auch die abweichungen in den 30
fällen, wo beide bearbeitungen die Senkungen unausgefüllt
lassen. Die abweichungen aber, in denen die eine ausgefüllt
hat, die andere nicht, tragen durchaus keinen andern charakter.
Wie ist es anders denkbar, als dass auch von diesen eine
ziemliche anzahl ohne formalen antrieb entstehen musten ? Wir
dürfen überhaupt annehmen, dass dieser nicht das erste war,
wodurch die änderungen veranlasst wurden. Es ist doch auch
nach Bartsch der bei weitem gröste teil der versc mit syn-
copierter Senkung in C ''' und AoUends in B * unverändert ge-
blieben. Eine wirkliche beseitigung der syncope war also nicht
angestrebt. Wir finden dann die syncope in C * und noch
mehr in B* auch da angewant, wo sie vom originale ab-
weichen, so dass sie ihnen also doch immer geläufig bleibt,
nur weniger geläufig als dem originale. Wir haben daher wol
weniger eine deutlich bewustc tendenz zur ausfüllung anzu-
nehmen, als eine mehr unbewust wirkende Vorliebe, die der
auch sonst sich geltend machenden ueiguug zu allerhand klei-
nen änderungen eine bestimmte richtuug gab. Eine solche
Vorliebe wird aber nicht gehindert haben, dass nicht hier und
da, nur viel seltener, auch das gegenteil stattfand, dass nicht
auch mitunter die Senkung ausgestossen wurde. Eine Wahr-
scheinlichkeitsbestimmung zu finden, wie oft etwa das letztere
stattgefunden haben mag, ist nicht möglich. Aber jedenfalls
ist niemals mit absoluter Sicherheit zu sagen, dass die form
mit syncopierter Senkung älter ist als die mit ausgefüllter.
Was in bezug auf die achte halbzeile ausgeführt ist, gilt
natürlich ebenso für alle ülirigcn fälle des wechseis von syn-
cope und ausfüllung. Es findet seine anwcndung nicht bloss
auf das lied, sondern auch auf die Klage. In der letzteren
ist Bartsch (und ebenso Edzardi) noch viel weiter gegangen
als im liede mit der annähme verschiedener ausfüllung der
Senkung durch ])eidc bearbeitungen. Es wird nicht nötig sein
dies verfahren noch einer besonderen kritik zu unterziehen.
464 PAUL
Nach der ol)cii ii'egebencii (larlcguiig wird man wisseu, waa
man Aon den massculiaften ausstossinigen der Senkung-, von
der bcrsiclhnig der angeblich nrspriiiiglichcn altertümlichen
formen vi/e, tvane, ime , ire , dcme, alleme etc., von den häufig
eingeführten unde in der ersten hebung zu !ialten bat.
Die l)ctraclitung der Senkungen führt uns also zu einem
ähnlichen resultate wie die der reime. Dasselbe ist ein sehr
])escbeidenes , gegen das von Bartsch äusserst geringfügiges.
Eine menge von fragen in bezug auf das text Verhältnis, die er
erledigt glaubte, sind nacb den gegebenen ausführungen noch
oifeu, und für die meisten abweichungen haben wir den grund
erst zu suchen und werden ihn zum grossen teile Vv'ol niemals
finden. Diejenigen, welche auf einem ganz andern boden
stehen als Bartsch, werden mir vielleicbt den Vorwurf machen,
dass ich überflüssig viele mittel aufgeboten habe ihn zu wider-
legen. Ich halte aber dafür, dass man bei einer so wichtigen
frage nicht vorsichtig genug zu \verke gehen kann , wenn es
dadurch gelingt, etwas sieher und unbestreitbar festzustellen.
Dass ich dies für den negativen teil meiner auslebten erreicht
habe, glaube ich zuversichtlich behaupten zu dürfen. Ist es
mir a,uch für den positiven teil geglückt, dann mag noch so
viel im einzelnen unentschieden und uuentscheidbar bleiben,
jedenfalls sind der kritik bestimmte schranken gezogen, die
sie einzuhalten hat.
IV. Die Stellung der gruppe Id.
Die hss. HOd IKQl nehmen eine eigentümliche mittel-
stellung ein , indem sie im wesentlichen mit B * stimmen , da-
neben aber einerseits eine anzahl von lesaiieu mit C* teilen
und zwar die näher zusammengehörigen IKQl viel mehr als
HOd, anderseits 20 Strophen mit C* gemein haben, welche
den übrigen hss. von B* felilen. Gelit man von B* (A) oder
C'"'' als dem ursprünglichen texte aus, so ist es möglich Id^\
Avie wir die gruppe nach den beiden vollständigen hss. ])e-
zeichuen können, als eine Zwischenstufe zwischen beiden an-
zusehen, in welcher also der ursprünglichere text entweder
schon etwas erweitert oder nicht ganz so stark verkürzt wäre.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 465
Sobald man aber in B* und C* selbstfindige bearbeitung-en
eines ältereu originales anerkennt, so wird diese annähme un-
m(3g-lich. Mag man aneh annehmen , dass B* dem originale
ziemlieh nahe geblieben ist, so teilt doch Id alle wesentlichen
ab weichungen mit B* C'-' nicht und kann dalier in keinem
abhüngigkeitsverhältuis zu Id stehen, ebensowenig wie zu der
gruppe B* im engern sinne. Es sind nur zwei aufiassungen
denkbar. Entweder Id* haben da, wo sie mit C* stimmen,
soweit diese Übereinstimmung nicht etwa auf zufall zurück-
zuführen ist, den Originaltext xcn B* und damit des ursprüng-
lichen Werkes besser bewahrt als die übrigen hss. von B*, die
dann ihrerseits für sich alle aus einer hs. hervorgegangen sein
müsten, die schon die abweichungen vom Originaltext B* =
C"^-'Id enthielt. Dies ist die natürlichste und nächstliegende
auffassung. Oder Id* ist aus einer mischung von B* und C*
entstanden, indem im v/esentlichen eine hs. von B * zu gründe
gelegt ist, die aber durch eine andere von C* ergänzt und
modificiert ist. Letzteres ist die ansieht von Bartsch. Die
frage ist sehr schwer zu entscheiden. Ich werde mich im fol-
genden bemühen die gründe für das eine und das andere
möglichst unparteiisch abzuwägen.
Was zunächst die Übereinstimmung in einzelnen lesarten
betrifft, so scheint mir in dieser beziehung Bartschs ansieht
kaum haltbar. Dass ein Schreiber mehrere handschriften neben
einander benutzen konnte, ist sehr wohl denkbar und durch
eine reihe von beispielen zu belegen. Nicht selten ist es vor-
gekommen, dass aus einer hs. der vordere, aus einer andern
der hintere teil abgeschrieben ist ; auch dass aus verschiedenen
hss. bald eine partie aus dieser, bald aus jener genommen ist,
lässt sich nachweisen. Denkbar wäre es auch, dass zwei hss.
fortlaufend neben einander gebraucht und mit einer art von
kritik bald die lesart dieser, bald die jener ausgewählt wäre.
Aber ein verfahren, was ich mir nicht gut vorstellen kann, ist
es, dass ein Schreiber zwei stark von einander al)weichende
hss. neben einander benutzt und dabei sich in allen haupt-
punkten durchaus an die eine anschliesst, während er eine reihe
von unbedeutenderen abweichungen, und zwar gleichmässig
durch das ganze werk hindurch aus der andern entlehnt, ohne
jemals eine bedeutsamere aufzunehmen. Ist nicht vielmehr zu
466 l'AUL
veniudon, dnss er gerade die stärkeren beachten und eventuell
aulnelinien wird, wälirend er die i^elnväclieien uubcriicksi litigt
lässt? Ein so unwalirscheinliclies verfahren aber würde nach
Bartsch in Id* vorliegen.
Dazu kommt eine andere Schwierigkeit, Häufiger als Id*
stimmt I* allein zu C* während d* zu B* stimmt. Sollen
wir uns etwa die saehe so denken, dass zunächst der Schreiber
des Originals von Id* die 20 Strophen und einige lesarten aus
C* entlehnt und dass dann der Schreiber des Originals von I*
von frischem C* benutzt und eine reihe von lesarten daraus
entnommen hätte, oder dass das original von Id* alle in I*
zu C* stimmenden lesarten enthalten und d* daneben eine
hs. der engern gruppe B* benutzt hätte. Bartschs autiassung
führt also zu der Voraussetzung höchst verwickelter und wenig
wahrsclieinlicher Vorgänge.
Icii würde es noch eher glaublich finden, dass alle Über-
einstimmungen zwischen Id* oder I* allein und C* auf
blossem zufalle beruhten. Sie erstrecken sich wirklich zumeist
auf kleinigkeiten , in denen leicht zwei selbständig ändernde
hss. oder recensiouen zusammentreffen können. Wir finden
beim Nibelungenliede so gut wie bei andern werken, dass die
verschiedensten hss., bald diese, bald jene einige leichtere ab-
weichungen mit einander gemein haben, die nur auf rechnung
des Zufalls gesetzt werden können. Es ist dabei zu beachten,
dass I* gerade besonders viele selbständige abweichungen
bietet, deshalb auch um so öfter mit andern hss. zusammen-
zutreffen aussieht hat. Und da anderseits C* von dem ge-
meinsamen texte B * viel stärker abweicht als irgend eine
zur gruppe B* gehörige hs., so sind jedenfalls die Chancen
für das zusammentreffen von C* und I* grösser als für das
zusammentreffen irgend zweier sonstiger hss. oder handschriften-
gruppen. Es ist gar nicht anders denkbar, als dass ein solches
zufälliges zusammentreffen in einer reihe von fällen stattgehabt
haben muss.
Ueberblickt man nun aber die ganze fülle von lesarten,
die I * abw^eicheud von B * mit C * teilt , so scheint es doch
wider bedenklich , hier nichts als zufall zu sehen. Die zahl
ist zu bedeutend und einige weichen doch etwas erheblicher
ab. Manche scheinen allein richtig. Sollte also nicht doch
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 467
bloss ein teil der Übereinstimmungen auf zufall zurückzufüh-
ren, der andere aus einer gemeinsamen quelle abzuleiten sein?
Der ursprüngliche bestand der auf wirklichem causalzusammen-
hang beruhenden Übereinstimmungen würde dann durch eine
anzahl zufällig hinzukommender vermehrt sein. Es ist aber in
rechnung zu ziehen, dass er anderseits auch einige Verringerung
erfahren haben könnte, indem I* bei seinen starken selbstän-
digen änderungen zuweilen mit der eugern gruppe B-"' zu-
sammengetroffen wäre oder in der art abgewichen, dass nicht
mehr auszumachen wäre, ob seine vorläge wie B* oder wie
C * gelautet hätte.
Viel weniger leicht als die von I* können die Überein-
stimmungen von Id* mit C* zufällig sein, die ja allerdings
auch viel weniger zahlreich sind. Denn 1 * und d * haben
keine irgend erheblichem abweichungen von B* mit einander
gemein ausser denen, die sie mit C* teilen. Man möchte sich
daher auch am ersten das Verhältnis so denken, dasz nicht I*
und d* auf eine gemeinsame quelle gegenüber der engern
gruppe ß * zurückgingen , sondern vielmehr die letztere und
d* gegenüber I*. Damit wäre das problem gelöst, w\irum
d* so viel weniger lesarten mit C* teilt als 1 ■■'•'. Es gäbe
dann also gar keine gruppe Id* und die auschauuug, von
der wir zunächst ausgegangen sind, ^väre danach zu be-
richtigen.
Ich habe diese allgemeinen reflexionen mit allem vorbe-
hält gegeben, und mich der abschliessenden entscheidung ent-
halten. Um die darin in allgemeinen umrissen angegebenen
tatsachen genauer zu belegen und ein urteil über das einzelne
zu ermöglichen, gebe ich nun ein auf grundlage von Lach-
manns und Bartschs Varianten gemachtes Verzeichnis der über-
einstimmenden lesarten, zunächst derjenigen, die I* und d*
mit C* teilt. Die meisten darunter sind so beschatten , dass
es kaum möglich ist über den Vorzug der beiden einander
gegenüberstehenden lesarten zu entscheiden. Ich hebe unter
denselben die etwas stärkeren abweichungen durch gesperrten
druck hervor: 136, 3 reit C*Id = muose B*. 142, 1 /;- uns
= ir. 142, 4 suochen iiiwer laut CD, suochen in iur lant Ib,
heer suochen ewr lant d = suochen her enlant B, iuch suochen
inz lant A. 156, 1 mich dunket = dunchet mich AB. 162, 3
468 l^AUL
in^ide müczen = miiezen vride. 239, 1 durch ir = durch.
25o, l 7virt = Idmec. 301,4 vor ir (fehlt d) mäyen {inage \)
= vor manegem helde. 359, 2 schouwen wolden = rvolden
schoiuven. 365, 1 unt hrähle in zuo dem schiffe izuo ir scheß'e
I, zu ireu sehe/Jen d) =^ imdc hrähle in zuo zi)i. 405, 3 mit
= (jegen. 414, 2 ein Hehlen = einen. 532, 3 schwnen =
schöne. 850, 3 slner = der slner. 951, 1 ir = daz {daz ir
b). 1016, 4 der frourven und ir megeden = [den B] vrourven
und [den B] megeden. 1031, 1 daz = wol. 1031, 2 Slvrides
= Sigemundes. 1043, 3 riehen = guolen. 1046, 1 m ?>• /e/f/^«
(/e/<?e (1), m/7 /e/(/e I = nacÄ /;• /cvV/e. 1071, 4 t?ö/- schuldige
= den schuldigen. iOSl, 1 iteniurvem leide == iteniurven leiden.
1106, 3 rf/6' = 5/. 1136, 3 fehlt = den. 1194, 3 fehlt =
einen. 1197, 3 ir mir = /r. 1211, 2 rfa z^w = zen. 1216, 2
<?/e richeite {richeii la, relchate d) = rtcheite. 1221, 1 <?er
dühte = duhle. 1224, 1 hundert = fünfhundert. 1226, 4
gelebeten = gelebete. 1233, 4 fehlt CHld = v// ABDbga.
1238, 4 i;// wo/ (auch HO) = 7vol. 1239, 3 nider rlten (aucli H)
= varen nider. 1239, 4 tvan ez in allen ist bekant (auch H)
= Tvan ez ist in allen wol bekant. 1257, 4 vil C*Hd = da
ABD, fehlt Ib. 1258, 4 riehen {rilich I, .... H) = guoten.
1260, 3 unden = under. 1263, 4 michel (auch H) = grbziu.
1267, 1 fehlt (auch H) = wit. 1280, 1 üz = von. 1280, 4
mit kraft unz an die wende zugen C, vast unz an die wende
{das ende I) zugen HId = vil vast zu den wenden zugen Db,
zuo den wenden vasle zugen ABg' (Bartsch) (man sieht deutlich
die allmälilicbe Umwandlung-). 1284, 4 den = der. 1306, 4
michel (auch 1) = manic. 1308, 3 doch nie (auch 1) = nie.
1309, 1 ir {er Y) nie (in I fehlt die Strophe) = nie. 1313, 3
gar = da. 1325, 3 nie diu vrouwe Reiche (auch Bartsch) =
diu vrouwe Helche nie ADb {nie fehlt ß). 1327, 1 sl wonten
= wonten si. 1337, 4 vil küme = käme. 1339, 1 si wolde =
ich wil. 1358, 1 er denke {ich gedench I, . . . dertk 1) wol dar
an = daz er wol gedenke dran. 1361, 4 vil wol = wol. 1368, 4
leider (auch 1) = vil. 1371, 4 der hell = ^o. 1506, 2 wöcä
riechen Hd = riechen. 1507, 2 swebende Hd = sweben. 1523, 4
//^ew Hd = //Ve«. 1549, 1 künden Hld = mohten. 1630, 2
fehlt (auch 1) = küene. 1680, 4 wcetliche = wcerllche. 1697, 4
lugenden = dingen. 1701), 2 küener = sterker. 1711, 1
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 46y
fehlt = doiH. 1721, 2 erschein = schein. 1726, 4 bi7i ich vil
selten in hestän C *, bin ich ir selten bestan d, &m ich in selten
ab gegan K, hant si mich selten erlan I = bin ich selteii hinder
in bestan] die abweieliuiigcu vou IKd deuten auf iirsprlmgliclie
Übereinstimmung- mit C*. 1756 — 1786 fehlen in d. 1788, 3
ob si dem münster (ze kirchen I) wolden zuo der messe gän =
oh si zuo dem nmister zer anesse wolden gän. 1795, 2 den =
dem. 2039, 4 begenc {begieng d, nu iuo I) = bedenke. 1858 — 1964
fehlen wider in d, und mit 2071 s(;hliesst diese hs. das lied.
Innerhalb der fehlenden partieen lässt sich natürlicli nicht er-
mitteln, welche lesarten d* mit I* gemein gehabt hat.
An mehreren stellen ist auch gegen beide lesarten nichts
einzuwenden, aberC*P'-d* haben die in B* fehlende Senkung
ausgefüllt. 148, 1 kömen im C*Id (wol besser) = kbmen B*.
1 354, 2 tougeullchen {vll tugentlichen d) tuol (auch 1) = vil
güetlichen tuot. 1994, 3 ü/" in und manegen man = üf
Häwaries man. Hierher gehört wol auch 971, 2 do vorhte si
so harte {sere C*) = dö vorhte si [vil Db] harte {harte fehlt
B) ABDb. Umgekehrt ist die Senkung syncopiert, wo sie in
B* ausgefüllt ist: 970, 1 fnit strite bestan = dö bestan. 1289, 2
Etzel der riche = vil rlche. Es lässt sich also in dieser be-
ziehung kein schluss zu Ungunsten von Id* machen.
An den folgenden stellen scheinen mir C*I*d* den ent-
schiedenen Vorzug zu verdienen: 246, 2 und C*Id = von KQ,
sinnlos und auch vou Lachmann und Bartsch verworfen. 282, 2
des = der AB; das allein richtige des auch hier von Bartsch
aufgenommen. 323, 1. 2 durch ir unmäzen sccene der herre
da beleiß . mit maneger kurzewile man im die zit vertreip ; AB
haben 7iu für iin, was Bartsch aufnimmt, Db da. nu und da
sind leere flickwörter, im gibt einen bestimmteren sinn und
wird noch dadurch bestätigt, dass darauf folgt tvan daz in
trvanc ir ininne. Allerdings kann_ aber auch hier da eben so
gut für das richtige im, als das unrichtige nu eingetreten sein,
und wir haben keine Ursache, den fehler schon dem originale
von ABDb zuzuw^eisen. 417, 3 tvie nu, künic Günther? wie
Vliese wir den lip? = wä nu. Durch letzteres wird an allen
stellen, wo es vorkommt, ausgedrückt, dass man eine person
oder Sache vermisst und ^ie herbeiwünscht. Wir können es
durch 'her', 'herbei' oder dergl. übersetzen. Ich wüste nicht,
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. HI. 3 [
470 PAUL
wie (las hierher passen sollte. Günther ist ja zugegen und
braucht nicht herbeigeiufeu otler gewünscht zu werden. Uebri-
gens dürfte man nach wä nu , worauf innner das subject zu
dem ellii)tisc]ien satze folgt, kein komma setzen, wie Bartsch
tut, der dann erklärt: Svo bist du nun? was soll nun aus dir
uiul aus uns werden', zwei crklärungen , die doch nicht ein
und dasselbe sind. Nur die letztere gibt den vom zusammen-
hange geforderten sinn, passt aber nicht auf tvä nu, sondern
nur auf wie nu. ATI, 4 dö wart ein sclioene grüezen ein teil
mit vorhten {sorgen I) getan == mit werken. In der letzteren
lesart kann ich keinen verständigen sinn finden. Bartsch er-
klärt: 'nicht nur mit Worten, sondern auch durch die tat, also
durch niederknieen als zeichen der huldigung'. Die blossen
geberden des griisseus werden aber schwerlich als werc be-
zeichnet werden. 719, 4 des sagete in Günther du danc =
Günther danc {do Günther danc D). Dem verse in B* fehlt
eine hebung. Bartsch sucht allerdings dadurch zu helfen, dass
er Gunthere schreibt, aber wir haben kein recht, diese form im
Nibelungenliede anzusetzen. 1035, 1 si riten an geleite von
Wormz zetal den Bin = an den Rhi {über Bin A). Es ist die
rede von Siegmund und seinen mannen, die in ihre heimat zu-
riickkeliien. Da kann a)i den Bin nur durch die gedankeu-
losigkeit eines abschreibers entstanden sein. Man kann aller-
dings von Worms an den Khein reiten, da die stadt vom
flusse noch etwas entfernt liegt. Aber das hier von Siegmund
und seinen leuteu anzugeben hätte nur einen sinn, wenn dann
weiter erzählt würde, dass sie ein schiff' bestiegen und die
reise zu wasser fortgesetzt hätten. Aber davon ist keine rede,
und man muss annehmen, dass sie dieselbe zu lande machen,
wie es in der lesart von C*Id richtig bezeichnet ist. 1048,
1 — 3 lauten in den beiden recensionen sehr verschieden. C*
liest vollkommen klar und verständlich : ' daz schuln wir ver-
suochen', sprach der künic sän, 'ich ivil ez ??mie brüeder hijize
ir werben län, daz si mir daz füegen daz si uns gerne sehe!
B* lautet in der herstellung von Bartsch: er sprach 'wirsidnz
versuochen . mhie hruoder sint ir bi : die sul wirz pitten werben
daz si unser vriunt st, ob wirn ir an gewinnen, daz si daz gerne
sehe' Das in in wirn bezieht Bartsch auf den hört, den der
dichter im sinne habe, wiewol vorher 1047, 3 daz Nibehmges
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 471
(joU genannt war. Gesetzt auch, dass diese bezieliung- mög-
lit'li wäre, so kann docli Gimtiier unmoglicli erwarten, dass
seine scliwester es je gern sehen wird, wenn er und Hagen
ihr den schätz abnehmen. Es kann nur von ihrer bereitwillig-
keit zur Versöhnung die rede sein, tvim ir an schreibt nur
B, wir in A, dafür rvirz an ir D, wir irs an b; dabei könnte
man ez auf golt beziehen, eben so gut aber auf den satz daz
si ßaz gerne sehe, der dann von gewinnen abhängen mäste.
Id haben ivir an ir, und dann übereinstimmend mit C * daz si
uns gerne sehe {sihtX). Dann ist alles klar: ob wir vielleicht
von ihr erlangen, dass sie bereit ist uns zu sehen. 1140, 2
so hcerel = si hwret. Diese stelle macht ziemliche Schwierig-
keiten. Bartsch schreibt wie Lachmaun si hceret 7nlnen willen,
oh siz gerne tuot . den wil ich iu künden in disen diäten tagen.
Das könnte nur heissen: sie wird meinen willen hören, wenn
sie es gern tut. Wenn sie was gern tut? Wenn sie meinen
willen gern hört? Günther besorgt doch nicht etwa, dass
Kriemhild ihn gar nicht anhören wird? Gemeint kann
nur sein: wenn sie bereit ist Etzels Werbung anzunehmen.
Das kann aber nicht bedingung dafür sein , dass ihr Günther
seinen entschluss mitteilt. Weiter kann es auch nicht Günthers
meinung sein, dass er der Schwester seinen entschluss in der
angelegenheit mitteilen will, worin ja liegen würde, dass er
sie zwingen will ; vielmehr macht er seinen entschluss erst von
dem ihrigen abhängig. Jedenfalls kommen wir besser zurecht
mit der lesart von 0*ld. Zarncke schreibt: so hoeret mlnen
willen; ob siz gerne tuot, den wil ich iu künden. Dabei bleibt
es aber doch noch seltsam, dass Günther die boten auffordert
seinen willen anzuhören, man muss doch verstehen sogleich,
und dass er ihnen dann denselben (es muss doch ein und der-
selbe wille sein) erst nach verlauf von drei tagen mitteilen
will. Holtzmann schreibt bei gleicher Interpunktion: daz wil
ich iu künden. Damit wären allerdings alle Schwierigkeiten
auf das vollkommenste gelöst. Aber daz steht nur in a, was
gegen die Übereinstimmung aller übrigen hss. von keiner be-
deutung ist. Es wird nichts übrig bleiben als zu interpungie-
ren: so hceret : minen willen, ob siz gerne tuot, den wil etc.
Immer bleibt die bedingung etwas sonderbar, da Günther den
boten auch seineu entschluss verkündigen muss, wenn Kriem-
31'
172 PAUL
liild ablehnt, und wir können es uns höclistens so zurecht
legen, dass er entschlossen ist seine einNvilligung zu geben und
bei dem zu verkündigenden entschluss nur diese einwilligung
im sinne hat, welche dann aber an die bereitwilligkeit der
Kriemhild gebunden ist.
Besonders beweisend ist 1233, 3, eine stelle, an welcher
die Überlieferung ein sehr starkes schwanken zeigt. In C*
lautet die zeile mit der vorhergehenden vil minnecHchez schei-
den kos man an der siunt die snellen Burgonden von Rüedegeres
man, vollkommen klar und verständlich, nur dass man die
leichte änderung miivneclichen wird einführen müssen, wie AHd
schreiben, resp. minnecllche, wie B hat. I stimmt damit über-
eiu, nur dass sie un für von hat. Bartsch schreibt nach Bb
vone Rüedegeres des marcgräven man. Hier beruht zunächst
die form vone (in den hss. steht natürlich vo)i) auf Bartschs
hypothese über das alter des gedichtes. Dem Nibelungenliede
kommt nur von zu, und dies kann nicht hebung und Senkung
tragen. So gebraucht kommt es nur in A vor, und Bartsch
hätte keinen grund gehabt, s. Hl. 2 diesen gebrauch für me-
trisch richtig zu erklären, da er an den betreffenden stellen
doch ebenso eutstellung annimmt wie da, wo andere einsilbige
Präpositionen gebraucht werden. Wir werden also auch hier
eine entstellung vor uns haben. Zweitens erwartet mau, dass
nicht bloss die, von denen absclded genommen wird, sondern
auch die, welche abschied nehmen, genannt Averden. Drittens
wird hier gegen die gesetze der Verstellung Verstössen. Es
darf nicht ein Satzglied in einer engeren logischen Verbindung
mit einem andern in der voraufgehenden oder folgenden halb-
zeile stehen, als es zu dem übrigen teile derselben vershälfte
steht. Dies gesetz wird man überall beobachtet finden, gerade
so wie in der alliterierenden poesie. Rüedegeres gehört natür-
lich näher zusammen mit des marcgräven, wie letzteres mit
m,an. Uebrigens kommt auch sonst wol der marcgräve Rüede-
ger vor, aber niemals Rüedeger der marcgräve ohne weiteres
epitheton. Aus den angegebenen gründen ist die lesart Aon
Bb zu verwerfen. A schiebt in dieselbe nach Rüedegeres friun-
den ein, D recken, g heldin, offenbar unsinnig, weshalb sich
Lachmann genötigt sieht von Kriemhikle frlunden zu conjicieren.
Das schwanken von ADg macht es wol zweifellos, dass wir
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 473
es hier mit einscliiebungen zu tun haben und class die beiden
niclit in nächster verwantschaft stehenden hss. B und b das
ältere bewahrt haben, welches aber seinerseits widerum durch
Verderbnis entstanden ist. In d lautet die ganze zeile von
Rüedegeres man, während in 0 nur der sclüuss der zeile . . .
geres man erhalten ist. Die lesart von d bietet offenbar die
Zwischenstufe zu der von C * I und Bb, und dies ist der grund,
weshalb ich die stelle hierher ziehe. Es ist zunächst die erste
halbzeile die snellen Burgonden ausgefallen, und dann das
übrigbleibende in Bb und weiter in ADg ungeschickt zu einer
langzeile ergänzt. Autfallend ist nur, dass H hier stark von
I abweicht und sich ADg zu nähern scheint. Sie liest von
e
Rvdegeres . . . die sah man chorlichen stan. Es ist nicht nötig,
dass dieser ab weichung die lesart von A zu gründe liegt. Sie
würde sich auch aus der von d erklären. Aber das Verhält-
nis bleibt immer rätselhaft, da H sonst entschieden zu I stimmt.
1234, 2 von genagelten riehen p feilen C (in a fehlt die
zeile), von genagelt (vo. . . nagelt H) richeji p feilen Hd {von
tivren liehten pfellen I) = vo7i gemälet riehen pfellen ABDbg.
Für gemalte pfelle wird man v^ol vergeblich nach einer ana-
logie suchen. Bartsch erklärt 'bunt verziert'. Wo wird aber
gemälet je von einer andern bunten Verzierung gebraucht ausser
der durch wirkliclie maierei? lieber genagelt vgl. mhd. wb. ID
298 a. Es wird auch von Bartsch in den Untersuchungen
s. 192 als das richtige anerkannt. Auffallend ist die unflectierte
form, wofür ich keine analogie weiss. 1258, 2 diu guote Beche-
lären {Becheläre Hd) C*Hd, Bechelcer diu guot I = diu hure
ze Bechelären\ die erstere bezeichnuug gewis eigentümlicher
und daher wol auch ursprünglich. 1262, 4 in daz Etzelen lant
CIHd (so auch Lachmann und Bartsch), in des kuneg ezlen
{chunig etzel a) lant Ra = in daz {diz B) lant AB, in daz {des b)
Rudigers lant bg, zu hechclaren in daz lant D. Es scheint,
dass Etzelen ausgefallen war und dann der verstümmelte vers
in D und bg verschieden ergänzt wurde. 1288, 2 frouwe, iuch
rvil {wil feldt d) enpfähen hie der künec her C*Id = vrouwe,
ich rvil enpfähen hie den künic her. Rüdeger spricht so zu
Kriemhild. Er könnte, wenn nicht so wie in C* höchstens
471 PAUL
wiii-cn ir sulf cupfähen. Denn er selbst ist durchaus nebenperson
dabei. Es liaudclt sich um die befi,-egnuug Etzels und Kriem-
hilds. Er fiihrt ja auch fort, indem er ihr anweisungen fiir
diese begegnung gibt: swen ich luch heize küssen etc., und in
den beiden folgenden strophen wird die gegenseitige begrüssung
Etzels und Krienihilds geschildert, ohne dass ein empfang
Etzels durch Rüdiger irgend erwähnt wird. 1303, 4 ich wcen
man alle zlle bt vroun Kriemhilde vant den herren Dielrlchen
und anders manigen degen\ so schreibt Bartsch (nur ander)
nach CIL Die andern hss. bieten einen entstellten text. Aber
d* scheint auch noch das richtige gehabt zu haben; d liest
für In vroun von allen übrigen abweichend die frarv. B hat
dafür sinnlos Jii dem, Ab hi dem chunige, D Etzeln bi (Lach-
mann vermutete in eben oder bi nebot), worauf dann Ab der
herre ditrich, D Her dieterich der herre , und alle drei ander
manic schreiben, so dass dann kein übergreifen des sinnes aus
einer strophe in die andere mehr stattfindet. 1304, 4 der künec
und sine vriunde heten kurzewile guoi Ild, der künec mit sinen
friunden hete kurzewile guot C* = Rüedger und sine vriunde
heten kurzewile guot. Die besondere hervorhebung Rttdegers
hat hier keinen rechten sinn und man weiss nicht, wer mit
seinen freunden gemeint sein soll, während der ausdruck der
künec und sine vriunde sämmtliche teilnehmer an dem feste
umfasst. 1313, 4 man gesach nie küneges helde so rehte vrce-
liche leben C*Id; ABDb haben des für nie. An und für sich
gibt diese lesart auch einen sinn ; aber gesach hat dabei keine
syntaktische berechtigung. ADb schreiben auch sach. Aber
die beibehaltung von gesach in B beweist die ursprünglichkeit
von nie. 1323, 3 der (auch Lachmann und Bartsch) = die
ABDb (unsinnig). 1703, 3 waz ir so schiere ertrüebet hete ir
hohen muot C*Id; Ab schreiben ir muot, D den im muot, B deyi
muot. Letzteres setzt Bartsch in den text. Aber es kann
nach den einfachsten grundsätzen einer methodischen kritik
niclit zweifelhaft sein, dass die zweite halbzeile in dem ABDb
zu gründe liegenden texte hete ir muot lautete, ein offenbar
fehlerhafter vers, den die einzelnen hss. in verschiedener weise
zu corrigieren versucht haben {so schiere hete beschweret b,
het hesTveret so schir D, so rehte swere verrihtet hete A). 1775, 1
imd sint ouch sumeliche zen brüsten also wit, swer sin selbes
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 475
hüete , der tuo daz enzit. ich wcen si under siden die Hellten
{vesten C*) hrünne fragen C*IK; d bat die letzte zeile ent-
stellt ich waae wa für sy den Uechlen prwine tragen] BD ha])en
dafür ich ?vcene si die lichten hrünne drimder tragen, was
Bartsch in den text setzt. Er bemerkt dazu: 'gemeint ist:
unter den kleidern.' Aber was gemeint ist, muss auch gesagt
oder wenigstens angedeutet werden. So^ wie es da steht, kann
man nur verstehen 'unter den brüsten', weshalb denn auch A
drimder in an in, b in an corrigiert. Man könnte vermuten,
schon das gemeinsame original von d und ABDb habe einen
entstellten text gehabt.
Soweit also fügt sich alles recht gut zu der oben als mög-
lich hingestellten auffassung des handschriftenverhältnisses. Es
könnte allerdings noch immer eingewendet werden, dass die
richtigen lesarten von I*d* aus C* entlehnt sein könnten.
Aber eben die un Wahrscheinlichkeit , dass eine solche entleh-
nung überhaupt stattgefunden hat, wird durch die Zusammen-
stellung der lesarten, die I*d''-' mit C gemein haben, zur ge-
nüge gezeigt. Die abweichuugen zwischen diesen gruppeu
einerseits und der engern gruppe B* anderseits sind alle von
der art, wie sie etwa bei einer ziemlich sorgfältigen abschrift,
deren Schreiber nicht den vorsatz zu überarbeiten hatte, ent-
stehen musten.
Doch ein paar stellen scheinen dieser auffassung zu wider-
streben. Entschieden im vorteil scheint B* gegen C*Id
1184, 4 du mäht dich vretven holde so er dm ze konen giht ß*
= ze küneginne. So sagt Giselher zu Kriemhild in bezug auf
Etzel. kone ist jedenfalls passender, wenn auch küneginne
nicht unmöglich ist, ist ausserdem ein seltenes wort. Doch
scheint es in den südöstlichen gegenden noch lange gebräuch-
lich gewesen zu sein, da es nicht nur bei Ulrich von Liechten-
stein, sondern noch bei Oskar von Wolkenstein vorkommt
Zwingend ist also dieser fall nicht. 1640, 2 hat B* hezzern
schilt deheinen belühte nie der iac. Hier haben nach Bartsch
Clad hezzer, also 1 nicht, i) Letztere lesart ist von Holtzmann
und Zarncke aufgenommen, ich weiss aber nicht, wie ich sie
') Vorher aber steht kein beszern schilt belaucht a; an einer stelle
muss a falsch sein.
470 PAUL
verstehen soll, rnnu mfiste denn, was vielleicht riclitig ist,
Schilde schreiben, als ^^en. pl. gefasst. — An zwei anderen stellen
vpürde unsere auffassung- in eonflict geraten mit Bartschs reim-
liypcitliese, die wir doch bis zu einem gewissen grade gebilligt
haben. 1245, 4 liep was ez Rüedegcr getan B* (: getan) =
ließ was ez Rüedegere ir man CIHd. Es scheint doch, dass
der rührende reim hat beseitigt werden sollen; auch der aus-
druck Eüedegere ir man ist mir etwas verdächtig als durch
reimnot eingegeben. Die äuderuug lag übrigens nahe, so dass
ein zuffüliges zusammentrefl'en denkbar wäre. 1226, 1 hundert
rlcher mcgede fuort si mit ir dan {: gezam) ß * == diu frourve
mit ir 7iatn C * Id. Hier wäre es wahrscheinlich , dass der un-
genaue reim beseitigt wäre. Aber wir haben an beispielen
aus einzelnen hss. gesehen, dass die spätere einfiihrung eines
solchen ungenauen reimes wol möglich war. Sie würde ja
nicht dem bearbeiter der gruppe B* im weiteren sinne zu-
fallen, dem wir die tendenz zur beseitigung der assonanzen
zuerkannt haben. — Noch weniger kann uns nach den früheren
erörterungen ein anderer fall beirren, in welchem bei reim-
abweichung Ihl zu C* stimmen. 1569, 2 da ze Pazzouwe kond
er si niht gelegen C * ; Idl haben man künde ir niht gelegen,
B'^-' man konde ir niht gepflegen. Bartsch vermutet man konde
in Pazzouwe in niht herber gc gehen\ dabei kann schon die ver-
ändeiung der ersten halbzeile gegen die Übereinstimmung aller
hss. nicht gebilligt werden. Ausserdem verlangt der gedanken-
zusammeuhang, dass ze (in) Pazzouwe voranstehen muss. Idl
haben offenbar das ursprüngliche. — Schliesslich mache ich noch
auf einen umstand aufmerksam, der mit einigem recht für die
annähme der misch ung geltend gemacht werden könnte. Die
meisten Übereinstimmungen zwischen C* und I*d* fallen in
eine bestimmte partie, etwa von 1000 bis nahe au 1400.
Nicht übergehen dürfen wir hier auch die fälle, in denen
ausser I*d* noch eine andere hs. mit C* stimmt, wo es dann
wol zweifelhaft sein kann, ob dieselbe zufällig damit zusammen-
getroffen ist, oder ob die andern hss. zufällig auf dieselbe än-
deiung geraten sind. Bartsch setzt fast immer die lesart von
B in den text: 231, 3 die habetit CDIdi = habe7it ABb. 424, 2
wart von /röi/den rot C * Idb = von vreuden wart \vil A] rot
ABD. 521, 2 doch vil Cldb (fehlt a) = doch ABD. 531, 3
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 477
liehten {den I) p feilen {pfällel d) C*I(lb = liehtem p feile.
550, 3 doch C*IdD = do. 952, 3 er C*Idb = ez. 1236, 2
die herherge C*HIdD {herherge Bartsch) = die berge ABbg
(unzweifelhafter fehler und wol von D verbessert). 1237, 1
daz C*HIdg (auch Bartsch) = do ABDb. 1283, 3 so {also
d) such C*IdD = sach. 1290, 2 gierigen und truogen C"--IdD
== gende truogen ABb. 1319, 4 sit C*Idb (auch Bartsch und
nicht gut zu entbehren) = fehlt ABd. 1357, 3 fehlt in C*Idb
= mir. 1368, 2 fehlt C*ldb = imd. 1373, 2 herlichcr nie
C *Idb = nie herlicher. 1531, 2 tvas der lip aHdLg (CI fehlen),
auch Bartsch = der lip was {ward Db) ABDb. 1808, 2 fehlt
C*Idb = vil. 1818, 5 da iemen C*Idb = lernen da B (Bartsch),
anders yetnan D.
Wir gehen zu den viel zahlreicheren fällen über, in denen
I* allein mit C* den übrigen hss. , d* eingerechnet, gegen-
übersteht. Ich gebe zunächst wider diejenigen stellen, au
denen sich nichts bestimmtes über den Vorzug der einen oder
der andern lesart ausmachen lässt. 23, 4^ des G*\ = slt B*.
28, 4 er = tJian. 35, 4 fehlt = die. 64, 1 do C, do vrou I
= vrou. 74, 4 fehlt = vil. 11, \ an ir = an. 80, 1 do =
nu. 100, 2 dienste = dinge. 103, 4 künec = herre. 107, 3
des giJit in vil der liule C* des jehent vil der Hute I '= des
redent vil die Hute. 125, 1 fehlt = so. 125, 2 und iuwer =
mit iuwern. 133, 2 an ==^ von. 149, 1 sprach do = so
sprach. 162, 1 7vider in ir lanl C*, heim in ir laut I (Bartsch)
= heim in ir lierren lant ABd. 164, 1 den vianden {vein-
den b, beiden veinden D) min C* (Bartsch), al den vinden 7nin
I = den starken vieaden min ABd. 167, 4 diu = daz. 173, 3
habet = traget. 192, 1 riche = recke. 205, 4 von = vor.
211, 4 fehlt vil. 220, 2 recken = helden. 222, 3 der vil =
dirre. 237, 3 so nu von slnen schulden kumet = so von sinen
schulden nu kumet. 250, 1 'ich wil iuch ledec läzen', sprach
der kiaiic, 'gen = 'ich wil iuch beide läzen\ sprach er, 'ledic
gen. 252, 4 vil maneges = maneges. 254, 1 grozen = riehen.
258, 4 Sturme = strlte. 262, 1 fehlt = da. 293, 2 unbekant
(CEI nach Lachmaun, von Bartsch wird I nicht angegeben)
= niht bekanl. 323, 1 do = da. 3c' 8, 5 rfo = aber. 338, 8
rvil = sol. 353, 2 von = unt von. 360, 1 fehlt = vil. 370, 3
an den •= gegen dem (die stelle fehlt d). 408, 1 an sich =
478 PAUL
an. 109, 1 harte vil = in {mit B) gclpfe, in stril D. 410, 3
diu = sine. 113, 2 slntcn solde = solde sirllen. 433, 2 Sige-
Unde = Sigemundes. 441, 2 einen = den. 442, 15 an iu =
in an. 1j4, 4 er = ?^?i6?. 465, 4 swi = rf/?<. 472, 2 sneller
dcgenc {lieldc I) = r/Z/cr snelle. 473, 2 ^o schiere = schiere.
47G, 1 i'// /re/o «w einem morgen ^ «?« mem morgen
früejc. 512, 3 Ä«^ = treit. 537, 2 al=^dar. 538,3 zoumen
= zoume. 540, 1 solhem = so grozem. 542, 4 waz da ==
waz. von = vor. 544, 2 fclilt = vroun. 547, 3 er liehen
= wicilichen. 553, 1 /«e/f/«; = recken. 553, 2 helden = rfe-
gencn. 560, 4 hochgcziten = hochgezile. 579, 2 fehlt (nach
Lacliiiumn, bei Bartsch ist I nicht angegeben) = ö'^^'- 582? 1
«/(?« = </«. 582, 7 der = sin. 583, 6 fehlt = vil. 591, 1
kimie == snelle. 593, 3 fehlt = wo/. 626, 2 iu == rf/r. 637, 4
dö si diu mmre an im ervant C*, do si diu mcer bevant I
= dö ez diu vroutve rehte ervant. 638, 4 manz im = man imz.
640, 4 tuot = getuot. 651, 2 alzehant = sä zehant {zehant
Bartsch). 659, 2 in = «?i. 660, 4 7«a/i zöcA /w wol mit ßize
= rfo zoch man in mit vllzc. 661, 1 dö starp = starp. 664, 4
höher den = hoeheren {hoher sinen A). 667, 2 fehlt = vrou.
668, 1 doch = OMCA. 669, 2 nwhte ^ .jo/f/e. 670, 2 discn
landen = disem lande. 670, 3 ^/«^ = sitzent. 683, 3 a/6' ^
^am. 690, 1 unt waz iu iuwer muoter, min frourve, her enhöt
C (a fehlt), und och was iur muoter . frawe Uote her enhot I
= unt auch waz vrou XJote iwer muoter her enhöt. 694, 2
swenne so = swenne daz Bbd, swenn so daz D, swenne A
Bartsch. 695, 4 si vil dicke C*. si alle I = tägeliche. 714, 2
kumet = kumt uns. 715, 3 y// == daz. 728, 1 dö ^^ dö sä
Ed, ^a Ab. 744, 2 deheiner == vremder. 746, 2 mif /m =
c?«. 752, 2 wa^ (/a Äar^e = sach man da. 754, 2 c?« (t^o 1)
Äör/e man = waw 7?6r^e ^a. 756, 2 grözen = manigen. 769, 4
Äar/c = ^ere. 770, 3 zweier =^ heider. 793, 2 ^mo^ wa^ <?r
genuoc = /« w«^ er guot genuoc. 816, 4 muoz = sol. 829, 1
//• sult = sult. 835, 1 ^0 = w//. 841, 3 fehlt = wol. 846, 3
süle = w«%e. 850, 2 fehlt = iv7. 877, 4 ^/az /ö/j ^= den lop.
881, 3 ^er = er {und b), von Bartsch fortgelassen, der con-
struction «jro xoivov annimmt. 897, 1 iuch der = iu diu.
897, 3 mit = von. 899, 2 /uezen und = fuoze und ouch. 904,
4 dar = </ö. 914, 1 Äerre (auch Q) = küene. 937, 2 rjcÄe =
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 479
edele. 939, 3 wände in des todes wäfen alze sere sneit C *, tvand
des todes tvaffen in alze sere sneit I = want des todes wäfen ie
ze (in vil D) sere sneit. 948, 4 und 952, 2 fehlt == vil. 954, 2
ir vil = ir. 956, 1 fehlt = si. 957, 3 im da = im. 957, 4
er?i möhte sinen liehen sun lebenden [lebend I) nimmer mir ge-
sehen C*I; BLbd .schreiben nimmer [nie L] lebendich gesehen,
D nimmer mer gesehen\ A hat daz er sifriden nimmer solde mer
gesehen-^ Bartsch schreibt lebenden nimmer gesehen, gewis un-
gerechtfertigt, denn B* hatte docli wol nimmer mer lebendic
gesehen, also eine entstellung des versraasses durch Umstellung.
963, 2 ivas = ivart. 965, i fehlt = vil. 998, 4 und 1006 4
fehlt == vil. 999, 6 singen künden = künden singen. 1008, 3
siten = sinnen. 1075, 4 ze ritenne = intennes. 1083, 1 den
= einen. 1087, 2 fehlt = die. 1097, 4 muose = mohte.
1109, 1 nmb ein = ein. 1119, 4 fehlt = vil. 1123, 3 groze
willekomen = gote w. 1127, 2 mit willen = vil gerne.
1139, 2 fehlt = her. 1153, 1 edelen = schmien. 1157, 4
hiezen = hiez. 1164, 4 fehlt = vil. 1169, 4 durch waz = rvar
nach ABbd, war umme D [nach wiu Bartsch). 1172, 2 fehlt =
der. 1174, 1 fehlt = vil. 1175, 1 ruochet = geruochet.
1186,2 vil liebez == liebez. 1187, 1 den riehen = vil dicke.
1190, 3 minnen = ze ininnen. 1190, 4 vil lützel = lützel.
1203, 2 fehlt = t^az. 1214, 1 vernam = gehörte. 1222, 3
U7id mit 7nir suln (wellen I) riten = ^/e suln mit mir riien.
\1Tl, 4 golt daz mine = schätz den mhien. 1238, 3 kotnen
solde = kceme Kriemhilt. 1243, 4 küenen = edelen. 1247, 3
handen = hende. 1249, 4 ^ör^e == swcere. 1286, 3 äz ^/^r ^==
M2:er. 1292, 4 küenen recken C*, cuenen ritters I = [^i^er^en
D] ritters. 1324, 4 zerteilet C, geteilet I = zer geben.
1330, 3 <7^^ yac/i ma?« ?r C*, rfez jähen si I = rfaz Äe/e^i ^/.
1337, 3 manncs = vriundes. 1340, 3 </^r = «w. 1341, 1
fehlt (auch 1) = den. 1365, 1 in (auch 1) = 6?ew boten.
1377, 2 ^eÄa^^e ^^ze/ (auch 1) = Etzel gehabete. 1384, 1 fehlt
(auch 1) = die. 1388, 4 fehlt (auch 1) = doch. 1418, 3 unt
= orf^r. 1418, 4 künde ouch = künde. 1422, 2 ander =
allez. 1427, 1 A-wwec = /wr^/^. 1427, 2 ^er = er. 1451, 3
müezen schouwen =- schonwen müezen. 1456 — 1567 fehlen in
I. Man hat nur teilweise einen ersatz dafür durch 1, worin
1484, 4 — 1501, 2, dann wider 1548, 4 — 1584, 3 erhalten sind.
480 PAUL
]\r;in kann auch nicht ohne weiteres annehmen, dass jede üher-
cinstimniung- in 1 auch in I zw erwarten gewesen wäre, und
umgekehrt würde I wol verschiedene Übereinstimmungen ent-
halten haben, die in 1 nicht bestehen. 1485, 1 lät iu niht
ain 1 =ja ist Iu gar. 1485, 3 fehlt 1 = noch. 1498, 4 als 1
= so. 1500, 2 fvas 1 -- wart. 1548, 4 fehlt 1 == vil. 1557,
4 aw {mitl) triurven rät ich iu daz\= ich rate rvcer liehen
daz. Mit 1568 beginnt I wider. 1579, 3 als 11 = alsam {also
B). 1595 lüsst I nach Lachniann wie C* die neue aventiure
beginnen, nicht 1590 wie ADg, Bartsch dagegen bemerkt nicht,
dass I in dieser bezieh ung von B* abweicht. 1607, 4 ez en-
dorften I = jane dürften. 1618, 4 ze nemene = ze minnen,
1640, 4 er was , er war 1 = 7vas er. 1661, 1 zuo = gegen.
1664, 4 7mn frou = diu (fehlt ADb) vrouwe. 1669, 3 besehen
= sehen. 1715, 1 weit ir mir gestän (auch K) -= ob ir mir
weit gestän. 1725, 4 het [lietei) [auch K] = soldet [soll).
1730,4 sähen vaste einander an Q * , ein ander \vast\\ sahen an
IK ^ ein ander sähen si an Bd, sähen alle ein ander an ADb.
1741, 1 er sprach ze sinen herren (auch K) = zuo den sinen
herren. 174S, 2 fehlt = vil. 1756—1786 fehlen in d; man
kann daher iu keinem falle wissen, ob nicht auch d* zu I*
gestimmt hat; dasselbe gilt von 1858 — 1964 und von 2072 bis
zum schluss. 1763, 2 von vil lichten {lichte I, liehtem K) p feilen
{p feile IK) = der vil lichten p feile. 1770, 4 huoten (auch K)
= pflägen. 1780, 2 hergesellen = gesellen. 1782, 3 die Sprün-
gen = Sprüngen. 17S3, 2 innen bringen — bringen innen.
1783, 3 niht = iht. 1783, 4 fehlt = vil. 1790, 4 degenc =
helde. 1799, 1 alsus {also I) = sus. l'^04, 1 dö gie diu küne-
gijitie mit grbzer menege dan C *, nu gie mit grozzer mengiu diu
kungin von dan I = do gie vil groziu menege mit der küneginne
dan. 1809, 4 raten dö hegan C*, träten began I (Bartsch) =
raten daz began. 1815, 3 die = der. 1818, 3 üz = von.
1830, 4 fehlt = vil. 1846, 2 e man es {sin l) =- e es iemen.
1890, 3 niht genozzen == sere engolten. 1896, 1 sprach do
= sprach aber {sprach Bartsch). 1897, 1 gehört = vernomen.
1909, 3 fehlt = vil. 1911, 3 vil = eine. 1915, 3 an der
helede {dez heldes I) hant = den heleden an der hant. 1917, 2
küene = mcere. 1920, 4 ufid = wan. 1923, 2 7iiht = nie-
1924, 2 im shi = shi. 1927, 2 sturmes = strites. 1927, 3
ZUR KIBELUNGENFRAGE. 481
do = da. 1937, 4 friunde = recken. 1940, 1 üz dem = für
den. 1947, 2 niht ruowe noch = noch ruome niht. 1969, 1
ein = ein vil. 1970, 1 felilt = vriunt. 197S, i fehlt = des.
1980, 4 vil nach gesendet in den tot C *, erslagen nah in den
tot I = erslagen ncehlichen tot. 1993, 4 gervunnen = empfangen.
1999, 3 v// krefticlichen = krefticlichen. 2028, 3 den herhergen
= f?(T herberge. 2036, 4 fehlt = f/cw. 2038, 2 ?^>/e mähte
ich des getr ouwen C*, ^/ez ?>2o/«/ /cÄ uhil truen I = </<?a- ge-
trouwet ich vil übele. 2047, 4 mohten = konden. 2055, 1
zuozin C*, 2M0 in I = ^V ^Z. 2062, 3 künegen = herren.
2065, 2 starkem = hertem. 20S4, 1 r//«< = ?«2</. 2091, 2 fehlt
= ^;//. 2101, 2 /e<?/c ?nüezeti = müezen ledic. 2104, 2 ^acÄ
= yaw/. 2105, 2 mw«/ o?<cä = oder. 2105, 4 küenen = stolzen.
2131, 4 /?er in = in daz. 2133, 3 vor = aw. 2178, 1 hiez =
^«r. 2206, 4 langer = mit eren. 2218,4 und 2220, 2 .v^?<rw(?
= strite. 2221, 4 ^o spranc er im engegne = er spranc im
hin engegene. 2222, 1 aldä = da. 2226, 4 grimme =^ Äar/<?.
2232, 1 edeln = schcenen. 2244, 1 ö/w C* a/^ I = do.
2262, 1 ?nannes (auch K) = heldes. 2301, 1 ef?^/ = edeles.
2306, 1 fehlt (auch K) = so.
Beide lesarten sind möglich, aber C*I* hat die Senkung-
ausgefüllt, B * nicht an folgenden stellen : 407, 3 si hiez ir dar
gewinnen {bringen 1) (besser) ^ si hiez ir gewinnen. 480, 4
von den andern si do schiet = si von den anderen schiet. 593, 4
der edel (fehlt I) wirt des landes = der herre des landes.
613, 4 daz ivas do de?n künege = daz was dem klinege. 702, 1
mhie vrouwen = Kriemhilden. 744, 4 daz da wart niemen niht
verseil = daz da niemen niht wart verseil. 1156, 2 minnecliche
=^ güetltche. 11S9, 3 wurden trucken ^^ getruckentoi. 1598,8
[«// I] gegeil einem halben sporn = gegen einigem {einem min-
nisten Db) sporn. 1973, 4 da getan = getan. 1998, 4 harte
wenlc do {da I) genoz = do vil wenic genöz. 2090, 4 daz
michs wendet 7iiht der tot = daz michs niht wendet der tot.
2146, 3 diu vil scharp/en wdfoi = die snldunden wäfen. Um-
gekehrt hat B* die seukung ausgefüllt, C*i"-'' nicht an folgen-
den stellen: 414, 4 herliche == minnecliche. 872, 3 Sifrit der
starke C*i* = vil starke B*. 951, 3 si sprach ez ist Sifrit
= do sjirach si. 1083, 2 [umb I] ein ander wip warp = umb
ein ander vrouwen 7varp. 1084, 3 die ie künic gewan = künic
482 PAUL
ie. 1175, 2 ztvelf ricinr kröne = vtl rlclier. 1873, 1 wifuoge
== imgefüege. 2040, 2 so leide getan = so gröziu ieil getan.
2081, 3 ich )vas ir geleite = ja was ich. Hierher dürfen wir
auch ziehen trotz der abweichuug- in C* und I*: 120(3, 4 vil
manic tvoitllchin meit C*, [da I] manic herlichiu meit U = dar
under manic scluene meit. Die in C* fehlende Heukung ist in
1 ausgefüllt 1212, 1 er sprach ' slt mir [im\'\ KriemhiU (Bartsch)
= vrou KriemhiU ABDb. Die in 1 fehlende Senkung ist in
C* ausgefüllt 673, 1 und ir zühliger {vil zühtic C*) muot =
und ir rvol gezogener muot] 871, 4 dö kom ouch her Sifrit I,
dö kom der herre Sifrit C * = dö rvas ouch komen Sifrit B.
B* und C* haben syncope an verschiedener stelle 866, 1 er
sprach '[<'//!] Uehiu vrourve == er sprach 'min triutinne. Syn-
cope und alisfüllung verteilen sich also auf beiden seiten
ziemlich gl eich massig.
An folgenden stellen scheint das richtige entschieden auf
Seiten von C*I* zu sein. 37, 1 dö zöch man dan diu march
(auch Lachmann und Bartsch); dan fehlt ABd. 177, 1 lät der
tumhen liiieten üf den wegen den küenen Danewarten (auch
Bartsch); der = die AB, den d, wol blosse nachlässigkeit, in-
dem es die schreiber gedankenlos von lät abhängig machten.
216, 4 daz het an im ertwungen des küenen Sivrides hant =
betwungen] hetwlngen an einem in der bedeutung ^ einem etwas
durch zwang abnötigen' ist sonst nicht nachweisbar. 1452, 2
mit ungefüegen sprächen (auch Bartsch) = mit imgefuoge Abd,
mit grozzer unfage D, 7nit ungefüegen worlen B; die lesarten
von D und B sind oifenbar erst aus der von Abd entstanden.
Es Hessen sich wol auch einige stellen herausheben, an
denen man B* den vorzug geben möchte, aber keine einiger-
massen entscheidende, und mau könnte dann eben so gut noch
eine anzahl für C*I* aufführen. Zwei fälle sind zu verzeich-
nen, in denen bei reimabweichung I zuC* stimmt. 383, 6 an
der hant = üf den sant {: lani). Hier ist es selbst Bartsch
nicht möglich gewesen einen Originaltext mit ungenauem reime
zu finden. Wichtiger ist eine andere stelle, die überhaupt die
stärkste abweichung zwischen C*I und B* enthält. 1849,
1 — 2: Do die ßirsten gesezzen wären über al und nu begunden
ezzen, do wart in den sal getragen zuo den fiirsten daz Etzelen
kint C*, do die fursten alle . gesazzen uher al . un ezzen be-
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 483
gunden . kriemhilt hiez in den sai . tragen dar ze tische . den
Etzeln sun I = dö der strlt niht anders künde sin erhaben
{Kriemhilde leit daz alle in ir herzen tvas begraben), da hiez
si tragen ze tische den Etzelen sun. Der UDgenaue reim, den
Bartsch construiert, hat für uns keine bedeutung. Aber es
könnte hier deshalb die annalinie einer mischung- am ehesten
gerechtfertigt erscheinen, weil unmittelbar vorher in Id eine
Strophe steht, die sie nur mit C* gemein haben. Indessen Avie
kommt es dann, dass d zu B''' stimmt?
Eine ziemlich reichliche zahl von fällen lässt sich bei-
bringen, in denen noch eine andere hs, mit C*I* gegen ß-"'-
stimmt. Weitaus am häufigsten kommt dies bei b vor. 492, 2
ir C*l*b = der. 543, 4 lühten = lühte. 591, 1 lälzel =
wenic. 709, 2 rvolden =^ solden. 719, 3 manigc = manigen.
894, 1 dar über was = was dar über. 1063, 2 gesolt = vei^-
solt. 1120, 3 als =^ sam. 1174, 4 für b = vor. 1208, 3
mohten = mohte. 1285, 2 fehlt = vil (syucope). 1337, 2 ge-
shi = sin. 1340, 4 an ir = ir. 1603, 4 den = edelen.
1604, 4 fehlt = vil. 1679, 4 her in = her in daz D, in daz
AB, in des d.i) 1722, 1 si (auch K) = ir. 1769, 1 edel
(auch K, edeler b) = lieber. 1773, 4 dem bette (auch K) =
den betten. 1774, 3 für die üire = für den turn, ersteros ge-
wis allein richtig, vgl. 1778, 2 daz diu tür was behuot.^-) Im
•) C* schreibt die ganze zeile den sott (= sottet) ir mir yefüeret
hän her in Etzelen lant. Für yefüeret hän schreibt D hmt gefürel, BIbd
fixeren, A bringen, l'artsch schreibt danach den sott ir mir gefüeret
hän in Etzelen lant, sicher falsch. Wir müssen annehmen, dass das ori-
ginal von B*I* hatte den sottet ir mir füeren her in Etzelen lant, das
original von B* (äussert*) ebenso, nur her indaz. C*hat das richtige.
-) Ebenso ist 1941. :i zu lesen swer zuo den türen gät\ denn Vol-
ker steht an der tür nnd wehrt den ausgang. füren hat auch die beste
gewähr; den duren b, den turn A, de turn D verglichen mit der tür
C • I lässt auf nichts anderes schliessen •, nur B hat dem turn , den tur-
nen, wie Bartsch schreibt, hat keine hs. Aus denselben gründen muss
1900, 2 und 1910, 1 türen die achtere lesart sein {lürnen Bartsch und
Laclunann). 1910, 2 hat an den turnen B, an den turn {torenT), duren
b) ADb, datz der forte I, an der stiegenC*. 1911, 1 hat «?j de?n turne
B, oft den turen {turn A) ADb, an der selben tür I, in der porlen C*.
An diesen drei stellen sind also alle hss. ausser B für türen, und da-
nach ist denn wol auch 2114, 3 hi den türen, nicht bl dem turne zu
484 PAUL
mild. wb. uird die Schwierigkeit so gelöst , dass angenommen
wird, die stiege, welche zu dem saale fuhrt, befinde sich in
einem tuvme. Ich weiss nicht, ob diese annähme durch son-
stige analogieen berechtigt ist. Aber um vor den türm zu
treten milste Volker die treppe hinabgegangen sein, was sehr
unwahrscheinlich ist, da er sich dadurch des Vorteils begeben
hätte eventuell von oben herab die gegner zu bekämpfen.
Ueberhaupt weist sonst die ganze darstellung auf eine frei-
trepiie hin, wobei die oben an der tiir des saales stehenden
von unten überall gesehen werden können. 1866, 1 langer niht
= niht langer. 1930, 1 sere = schiere. 1973, 3 daz = ditz.
1991, 4 fehlt = vil. 2032, 3 fehlt = hie. 2038, 1 fehlt =
vil. 2101, 3 ndn = mmiu (C* hat syncope, und die lesart
scheint auch allein richtig, da von mehreren lebenden kiudern
Rüdegers nirgends die rede ist). 2215, 4 er = ez. 2211, 3 beleite
^=^ leite. 2278, 2 fehlt = /vol. 2285, l erhörte -= gehörte. — b hat
auch für sich nächst I* und I*d* die meisten Übereinstimmungen
mit C*. Es erklärt sich das wol wesentlich daraus, dass
diese hs. so vielfach in kleinigkeiten von den übrigen der
gruppe B abweicht, dass ein zufälliges zusammentreffen mit
C* sich öfter ergeben muste. Unerheblich sind diese ab-
weich ungen, sowol die mit C* allein, als die mit C*I* und
C * I * d * zusammentreffenden alle, auch noch bei weitem nicht
so zahlreich, wie die gemeinsamen abweichungen von C * und
I*. Andere hss. stimmen nur vereinzelt zu C*I*. D 953, 1
jcemerllchen = trüreclichen. 1436, 3 and ouch (auch 1) = iinde.
N 1395, 4 si (auch 1) = ir. 1412, 4 kan = mac. A 1446, 1
läzen (auch Bartsch) = läze wir. g 1585, 1 imd ouch = und.
1612, 3 der wart (auch 1 Bartsch) = wart, i 232,2 vil =^ so.
Andererseits gibt es verschiedene fälle, in denen eine hs.
von C*I* zu B* stimmt, während die übrigen übereinstimmend
abweichen. Besonders häufig stimmt 1, wo es uns erhalten ist,
gegeu I zu B*. 1306, 4 nu ist hie michel wunder von ir [mit
lesen. Die Überlieferung ist hier so schwankend, dass sich daraus allein
nichts sicheres entscheiden lässt. dem turne haben BCa, einem turne D,
den turen A, der tür I, den kunigen b. 1910, 2 und 1911, 1 scheint
allerdings das versniass turnen zu verlangen. Aber entweder hat hier
C* das richtige, oder es liegt ein alter fehler vor.
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 485
I] gäbe getan C * I = nu ist hie mit ir gäbe vil (fehlt bl) ma-
nic {michel dl) wunder getan. 1308, 4 als = sd. 1354, 1 ir
= nu. 1357, 3 und bitet {bitte I) in = bitet. 1357, 4 die
unser = unser. 1371, 2 komen = riten. 1383, 2 und ouch =
2<wf/. 1389, 1 daz ir also {so lang 1) vremdet in und siniu lant
= daz ir in also vremdet und ouch siniu lant. 1398, 3 niwan
C*, wan niur I = dne. 1399, 2 üf = zuo. 1631, 4 rlten
roolden = wolden riten. 1642, 3 erbot = bot. Es ist danach
anzunehmen, dass, wenn 1 ganz erhalten wäre, noch eine ziem-
liche anzahl von den oben aufgeführten lesarten auszuscheiden
sein würden, weil 1 nicht zu C*I* stimmte. Doch ist aus der
abweichung von 1, die sich überhaupt stärker von I entfernt
als K und Q, noch nicht ohne weiteres zu schliessen, dass die
übeieinstimmung von C* und I nicht auf ein gemeinsames
ori;i,-inal zurückgehen könne. Auch K stimmt an einigen
stellen nicht zu C*l, sondern zu B*. 1765, 3 m/r C*I = si
B*K. 1767, 4 sich dö ^^ der hell sich. 2270, 4 ?nich dunkt
wie {daz I) iu diu mcere niht ze rehte sin geseit = mich dunket
daz diu mcere iu niht rehte sin geseit. 2291, 4 enwendes {er
wendez I = ensümez. Umgekehrt stimmt verhältnismässig
nicht selten l zu C*, I zu B*. 1302, 1 vil C*l = harte B*I.
1357, 1 lieben = edelen. 1361, 1 boteschafl und brieve =
brieve unde boteschaft. 1364, 2 fehlt = da. 1371, 1 fehlt =
daz. 1437, 3 des = der. 1442, 1 fehlt = harte. 1442, 3
recke = hell. 1443, 4 herze = wille. 1631, 3 die = si.
1633, 4 mitten = edelen. Die vereinzelten fälle, in denen nur
C oder nur a mit I stimmt, aufzuführen würde kein beson-
deres Interesse haben.
Mitunter kommt es auch vor, dass d zu C* stimmt, I zu
B *. Dabei sind zwei möglichkeiten. Entweder ist d zufällig
mit C, oder I zufällig mit B* zusammengetroffen. Die fälle
sind zu wenig zahlreich und die abweichungen zu unbedeu-
tend, als dass es sich lohnte sie hier zusammenzustellen.
Aus dem beigebrachten materiale erhellt, dass das ergeb-
nis unserer allgemeinen erörterungen durch die betrachtung
des einzelnen bestätigt wird. Die annähme einer mischung
scheint danach kaum mehr zulässig. Blosser zufall ist sehr
unwahrscheinlich. Das handschriftenverhältnis, wie ich es
oben vorausgesetzt habe, bleibt trotz einigen Schwierigkeiten
Beiträge zur gescbichte der deateohen spräche. III. 32
486 PAUL
immer das wahrscheinlichste. Besonders beweisend scheinen
mir unter den aufgeführten fällen diejenigen 7AI sein, in wel-
chen die lesarten von I* und d* nicht einfach denen von C*
gleich sind, sondern zwischen C* und B* mitten inne stehen,
woraus sich der allmälige Übergang von C* durch I* und d*
hindurch zu B* erkennen lässt. Die speciellen Übereinstim-
mungen, die I * und d * unter einander gegen alle hss. zeigen,
sind, so weit dies die Varianten in Bartschs ausgäbe ausweisen,
so geringfügig, dass sie nicht gegen unsere auffassung sprechen
würden mit zwei ausnahmen, die allerdings ins gewicht fallen.
Strophe 7 — 12 fehlen in I und d und ebenso 16 — 17. Daraus
ist jedenfalls das schwerste bedenken zu entnehmen, das über-
haupt geltend gemacht werden kann, und die hauptursache,
warum ich nicht über allen zweifei hinwegkommen kann.
Wenn es wahrscheinlich gemacht ist, dass das Verhältnis
der lesarten nicht durch mischung, sondern durch eine Zwi-
schenstellung von I* und d* zu erklären ist, so folgt daraus
dieselbe Wahrscheinlichkeit für die strophendiflferenz. Trotz-
dem wird es sich empfehlen die echtheit der plusstrophen in
I*d* selbständig zu erörtern und die gründe dafür und da-
wider unparteiisch abzuwägen. Es sind im ganzen 20. Bei
dieser geringen zahl ist es ziemlich mislich sich aus beob-
achtungen des vers- und Wortgebrauches ein urteil zu bilden,
da man zu wenig garantie gegen den zufall hat. Bartsch
macht s. 315 zunächst geltend, dass in diesen 20 Strophen die
ausfüllung der Senkung in demselben masse vorhersehe wie
in den 80, die C* allein hat. In der achten halbzeile fehle
die Senkung nur zwei mal 939 a und 1835 b. Er bemerkt
dann aber selbst, dass noch 858 a hinzukommen würde, wenn
man iedoch erarnten siz sit liest, was doch gewis viel Wahr-
scheinlichkeit für sich hat; ferner 1064 a nach der lesart von
C*, wenn man mit elision liest, und 969a nach der lesart
von I. Was die letzte stelle betrifft, so ist sie auch nach der
jedenfalls richtigen lesart von C*d mit syncope zu lesen: slns
Sterbens muose engelten sit der sin nie niht genbz. Das in I
fehlende sit darf nicht zur zweiten vershälfte gezogen werden.
So stellt sich das Verhältnis schon ein wenig anders heraus,
als es Bartsch zunächst angenommen hat. Auch die sonstigen
fälle der syncope lassen sich noch etwas vermehren, 1052, 9
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 4S7
inuss betont werden dd?^ nach wirt ez hezzer. 848, 6 lesen
Id 7vir Silin rllen jagen, 1835, 11 la hie tuot kein {deheiniu
Cd) leit. Immerhin aber bleibt die ausfiillung- der Senkung
sehr überwiegend. Wenn das dafür spricht, dass die Strophen
von dem bearbeiter C* herrühren, so spricht mindestens eben
so sehr dagegen das fehlen des cäsurreimes, der in den 80
nur in 0* stehenden Strophen 19 mal vorkommt. Die nur
hier vorkommenden reime Otenhein : dehein und schalt (für
schult) : holt können nicht als beweis der unechtheit gebraucht
werden, da man sonst eben so gut andere vereinzelte reime
für die unechtheit der strophen, in denen sie vorkommen, gel-
tend machen könnte. Weder heim noch schult kommen übri-
gens sonst im reime vor. Noch weniger darf man sich auf
die nur in den 20 strophen vorkommenden Wörter und den
besondern wortgebrauch stützen. Ich brauche Bartsch nur an
das zu erinnern, was er s. 309. 10 über die besonderheiten
der in A fehlenden strophen bemerkt, i)
Wichtig ist der umstand, dass mehrere von den 20 strophen
in Id an anderer stelle stehen als in C*: 939 (934)a. 1571
(73) a. 1584(83)a— c. Abweichungen in der strophenfolge fin-
den sich zwar auch sonst zwischen ß* und C* aber zu selten,
als dass nicht die drei hier bemerkten sehr auffallend sein
sollten. Es hat daher viel für sich, wenn Zarncke in seiner
ausgäbe'* s. 365 anm. es als eine möglichkeit hinstellt, dass
die Strophen ursprünglich am rande nachgetragen gewesen
wären und dadurch an eine falsche stelle geraten. Dies ist
vielleicht das stärkste argument für die annähme der mischung.
Doch ist es wider nicht unbedenklich die existenz einer hs.
vorauszusetzen, in welcher ein solches nachtragen, sogar von
drei strophen möglich gewesen wäre. Ich sehe übrigens an
keiner von den drei stellen die möglichkeit zu entscheiden,
welche Stellung die ursprüngliche ist. Es sind beide Stellungen
denkbar und deshalb ist es schwer glaublich, dass die ab-
weichung auf blossem zufall beruht. Indessen auch wenn die
Strophen gleich in den text eingefügt wären, würde bei einer
entlehnung aus einer andern quelle die Versetzung an einen
') Zu diesen könnte man auch den reim bervarn : geswarn 421, 5. 6
rechnen, der nur in C* 2149, 1 seine analogie hat.
32*
488 PAUL
andern platz wahrscheinlicher sein, als unter gewöhnlichen
umständen. Es ist ausserdem noch der merkwürdige umstand
zu berücksichtigen, dass 858» in d zwei mal, nämlich auch
nach 848 steht. Ich wüste nicht, wie man dies in vollkommen
befriedigender weise deuten könnte. Wäre etwa die strophe
auch zunächst vom rande an eine unrechte stelle gekommen
und beim weiterschreiben erkannt, dass sie erst an eine spä-
tere gehörte, wobei dann aber der Schreiber vergessen hätte
sie an der ersten zu tilgen ?
Eine andere beobachtung spricht Avider gegen die entleli-
nung aus C *. Zwischen Id * und C * finden sich ziemlich
eben so viele abweichungen im texte wie sonst zwischen B*
und C*. Eine sehr bedeutende, auch den reim in zwei zeilen
angreifende änderung findet sich allerdings nur 1511a, aber
mehr würden auch auf 20 Strophen nicht zu erwarten sein.
Solche abweichungen finden wir innerhalb C* nicht, und eben
so wenig haben I* und d* abweichend von B* je eine
solche änderung mit einander gemein.
Eine graphische erklärung des ausfalls Hesse sich wol bei
1052 a geben, allenfalls auch bei 1064 a, welche strophe ebenso
wie 1065 mit do beginnt. Da sie aber nicht in mehr fällen
möglich ist, so ist ein beweis daraus nicht zu entnehmen.
Es bliebe noch übrig die echtheit der einzelnen Strophen
nach dem zusammenhange zu untersuchen. Man kommt dabei
aber in den wenigsten fällen zu einem einigermassen sicheren
resultate. Unentbehrlich scheinen mir 756 ab In str. 756 wird
gesagt, dass die freude auf dem feste ungestört bis an den
elften tag währte. Es muss nun irgendwie an diese Zeit-
bestimmung angeknüpft werden, wie es in 756a geschieht,
während in 757 gar nicht angedeutet wird , dass das erzählte
am elften tage geschieht. Auch 1052 ab kann man schwer ent-
behren. Nach der anfänglichen Weigerung der Kriemhild sich
mit Günther zu versöhnen, muss ihr endliches nachgeben doch
irgendwie motiviert werden. Allein die echtheit von einigen
unter den 20 Strophen würde Bartschs annähme noch nicht
unmöglich machen. Man könnte annehmen, dass sie in B*
ausgefallen und in Id * wider aus C * eingefügt seien. Und
es könnten dagegen bei einigen Strophen gründe für die un-
echtheit geltend gemacht werden. Bartsch führt s. 318 aus,
ZUR NIBELUNGENFRAGE. 489
dass C* die Klag-e mehrfach als quelle benutzt uud grössere
Übereinstimmung zwischen lied und Klage hergestellt habe.
Das scheint besonders sicher bei str. 10S2a— h^ die von der
gründung des klosters Lorsch handeln. Sie stehen in Wider-
spruch mit 1448. 9, wonach sich Ute nicht in Lorsch, sondern
in Worms befindet. Eine genaue Übereinstimmung besteht nun
auch zwischen str. 1201a und Kl. 1079 — 88. Die letztere stelle
ist nur in B* erhalten, und Bartsch nimmt an, dass sie von
dem Überarbeiter in C * weggelassen sei, weil er ihren Inhalt
zum teil wörtlich in das lied eingefügt hatte. Diese ansieht
hat die genaue analogie der eben angeführten stelle für sich.
Die möglichkeit bleibt aber natürlich, dass der Verfasser der
Klaffe die Strophe des liedes benutzt hätte, die dann von C*
um die widerholung zu vermeiden, weggelassen wäre, nur ist
diese auffassung- an und für sich viel unwahrscheinlicher.
Aehnlich stimmen str. 1837 ab zu Klage 1436 (1320 C, nicht
1352), vgl. Bartsch, Unters. 319. Es ist dies eine stelle, welche
Kriemhild entschuldigt. Eine andere mit derselben tendenz
303 B* = 659 C* stimmt ziemlich genau zu einer nur in C*
erhaltenen strophe des liedes 2023 a. Hier scheint wider die
analogie dafür zu sprechen, dass die drei Strophen die Klage
als quelle benutzt haben. Indessen ist diese annähme doch
für 1837al) bedenklich. Die betreffende stelle der Klage findet
sich nur in C *. Es ist deshalb sehr fraglich , ob sie dem
originale angehört hat. Sie enthält ferner eine bestimmte be-
rufung auf einen ausspruch der Kriemhild, die der dichter
schwerlich aus der luft gegriffen haben wird. Es ist vielmehr
das umgekehrte wahrscheinlich, dass die beiden Strophen des
liedes die quelle für die Klage gewesen sind. Es bleibt dann
noch fraglich, ob sie vom ursprünglichen dichter herrühren
oder erst vom bearbeiter C* demselben, der auch die beru-
fung auf sie in die Klage einfügte. Die Klage ist im allge-
meinen günstiger für Kriemhild als das lied; im Hede sowol
als in der Klage ist C * für sie günstiger als B *. In dieser
beziehung stimmt zu C* auch noch die in I erhaltene strophe
1775a, was widerum dafür spricht, dass die überschüssigen
Strophen in C*I*d* auf dieselbe stufe zu stellen sind wie
die in C *. Aber doch ist zu erinnern , dass es noch nicht
ausgemacht und meiner meinung auch kaum auszumachen ist,
490 l^AUL — ZUR NIBELUNGENFRAGE.
welche auffassung der Kviemliild die ursprüugliche ist. Ist es
die günstigere, so könnte wol die tendenz zur herabziehung
in B* weiter gegangen sein als in B*I*d*.
Noch müssen wir in den kreis unserer betrachtung ziehen
329 a— c. Diese drei Strophen fehlen in I, die ersten beiden
sind in C*dk, die letzte nur in dk erhalten. Dies Verhältnis
ist sonderbar, wie wir es uns auch zurecht legen mögen. Wir
können wol jedenfalls nicht umhin anzunehmen, dass die Stro-
phen in I ausgefallen sind. Nach dem gedankenzusammen-
hange ist ihre echtheit in hohem grade wahrscheinlich. Es ist
unpassend, dass nach der abmahnung Sigfrieds Hagen, ohne
diesem zu antworten, sich unmittelbar au Günther wendet mit
dem rate, Sigfried um hilfe zu bitten. Auch hat Sigfried in den
V. orten, die er 329 gespiocheu hat, noch keine so sehr genaue
kenntnis von Brüuhilds Verhältnissen gezeigt. Erst nachdem
Günther seinen bestimmten eutscliluss erklärt hat, der sieh
durch keine Warnung beirren lässt, darf Hagen mit seinem
rate kommen. Deshalb muss aber auch die dritte, nur in dk
erhaltene Strophe echt sein.
Die betrachtung der plus-strophen hat uns zu keinem be-
stimmten resultate geführt. Die gründe für und wider stehen
sich dergestalt einander gegenüber, dass die Avage unsicher
hin und her schwankt, wenn sie sie sich auch vielleicht etwas
mehr zu gunsten von Bartschs annähme neigt. Eben wegen
dieser Unsicherheit ist es nötig das lesartenverhältnis mit in
bctracht zu ziehen. Und dies dürfte doch vielleicht den aus-
sehlag gegen die annähme der mischung geben.
FßEIBURG, juli 1876. H. PAUL.
DAS ST. TRUDPERTER (HOHENBURGER)
HOHE LIED.
Ijie von Jos. Haupt nach Hoheuburg benannte erklärung
des hoben liedes^) trägt diesen namen mit unrecht^ da weder
der uns unbekannte Verfasser noch der iuhalt des werkes noch
die geschichte der hs, das geringste mit jenem frauenkloster
auf dem Odilienberge im Elsass zu tun haben. Vielmehr ist
der einzige für die herkunft der hs. beglaubigte name der von
St. Trudpert; nach ihm also und nach keinem andern ist
unser hohes lied zu benennen.
Am Schlüsse der hs. stehen die worte : Iste liher est sancti
Trudperti martyris. Obgleich dieser eigentumsvermerk einer
spätem zeit (nach Jos. Haupt s. III dem 14. jahrh.) angehört,
zeigt er doch deutlich, in wessen bänden unser werk sich
einst befand. Von dieser grundlage haben wir auszugehen.
Jos. Haupt dagegen hat aus inhalt und spräche unseres denk-
raals beziehungen auf Hohenburg gefolgert und sogar Eelindis
und Herrad als Verfasserinnen auf den titel gesetzt. Scherer
gibt diese folgerungen notgedrungen auf, hält aber mittelst
') Literatur:
Joseph Haupt, das hohe lied. Uebersetzt von Willeram, erklärt von
Rilindis und Herrat, äbtissinuen zu Hohenburg im Elsass (1147 — 1196).
Wien 1864.
Fedor Bech, ausführliche reeension des vorstehenden buches in
Pfeiffers Germania IX, s. ;{52— 76.
Desgl. Zarncke, Centralblatt 1864, s. 114 f.
Scherer, geschichte der deutschen dichtung im 11. und 12. Jahrhundert,
s. 74 anm. und s. 76—78, eben derselbe in Haupts zeitschr. XX (n. f.
VIII) s. 198—205.
492 HAYNER
eiuer sehr kimstliclieu und uuwahrscheinlicbeii combiuation
eiuc l)ezieliung zu Hohenburg fest, deren grundirrtum auf der
annähme beruht, das werk sei für frauen und von einer
solchen geschrieben. Gelingt es uns diesen glauben zu zer-
stören, so fallen auch die daraus gezogenen Schlüsse.
Scherer gibt, zum teil in Übereinstimmung mit Jos. Haupt,
folgende gründe für die annähme einer weiblichen Verfasserin
an. Erstens die milde der darslellung (zeitschr. f. d, altert.
XX (n. f. VIII) s. 199, vgl. Jos. Haupt s. XIV). Dieser grund
ist nichtssagend, da milde auch die eigenschaft eines mannes
sein kann, zumal eines der weit entsagenden, nur sich und
seinem gotte lebenden klosterbruders, der so auf nächstenliebe
dringt, wie unser autor.')
Zweitens beruft sich Scherer widerholt auf das durch-
brechen weiblicher phantasie, die sich unter anderem in dem
bilde von der binde und den locken zeigen soll (höh. lied 48 jo).
Hier tibersieht aber Scherer, dass die binde sich einfach aus
dem bibcltexte ergibt {sicui vitta cocchiea iua lahia et eloquium
tunm dulce) uud dass sich schon Williram desselben
bildes bedient (p. XXX alse diu binta zesämene duinget die
?nenige dero lökko). Auch auf 54 9 verweist Scherer sehr mit
unrecht, denn die dortigen worte in ainime dineme halshare odir
in ainime vahssirenen dines Halses sind nichts als wörtliche
widergabe des (darüber stehenden) textes in uno crine colli lui.
Drittens stützt sich Scherer darauf, dass 68^5 der aus-
druck friundinne gebraucht wird. Er sagt darüber a. a. 0.
s, 198 wörtlich folgendes: 'Dass uounen angeredet werden,
will er (Bech) s. 356 bestreiten und die ausdrücke maget, hrüt,
gemahele, juncfrowe nicht im eigentlichen sinne nehmen. Die
stellen sind in der tat nicht alle von gleicher beweiskraft.
Teils liegt die anschauung von der seele als braut gottes zu
gründe, teils mag ein adolesceniulae oder amica des textes die
Veranlassung sein. Aber z. b. 68 15 scheint mir das unAvillkür-
liche friundinne neben fiende z. ,7, wo es nur auf den allge-
meinen begriff von gottesfreunden und gottesfeinden ankommt,
und wo das im text vorhergehende amica iu der erklärung
durch gemahele gegeben wird, dieses unwillkürliche femininum
') Vgl. auch das von Bech a. a. 0. s. 356 gegen Jos. Haupt gesagte.
DAS S'l\ TEUDPERTER HOHE LIED. 493
sclieiut bedeutsam.' — Auch hier liegt eine verkennung des
tatbestandes zu gründe. Man nmss sich immer vergegenwär-
tigen, dass dem, der eine erklärung ausarbeitet, der text selbst
vorliegt und er vor allem darauf bedacht sein muss diesem
gerecht zu werden. Nun hat aber in der tat der erklärer, wie
aus 67 29 zu ersehen ist , amica mea mit min friundinne über-
setzt, goies friundinne 6815 ist demnach nichts als wörtliche
anlehnung daran. Also ist nicht dieses durch den text ver-
anlasste femininum bedeutsam, sondern umgekehrt zeigt der
unwillkürliche Übergang ins masculinum {goies fiende z. j^), wo
der Verfasser nicht mehr durch rückerinnerung an den text
beeinfiusst wurde, dass von einer beschränkten beziehung auf
frauen keine rede sein kann.^) Ein solches vergessen des
bildes und tibergehen ins masculinum (es kann ja meist nur
im Singular erkannt werden) tritt in unserm hohen liede über-
aus häufig ein. Vgl. einfach 134 34 if. Die seele wird als
braut dargestellt : da minnet dich din bi'utegoi^me ewicliche [als]
diu in hie minnest . so wunder ont sich die ubelen gaiste unde
sprechent: wer ist disiu diu da uf fert durch die wüste unde sich
lainet ubir ir trut? = quae est illa quae ascendit per deser-
tum delitiis affluens innixa super dilectum suum ? — Unmittel-
bar darauf folgt: wer lainet sich 7ibir sineii trut? newane der
allez de von gote hat de er govtes tut, der mach gesten de er
niht nefallet . also tust din, so diu ime elliu diniu werch bezelest.
— Bei so getaner Sachlage darf also nicht das vorkommen
eines femininums, sondern es muss der ungesuchte Übergang
ins masculinum als beweisend angesehen werden; und das ist
das umgekehrte von dem was Scherer wollte.
Viertens sagt dieser: 'und wenn 16t, ff, das adolescentulae
des textes als femininum festgehalten und nur durch beispiele
weiblicher märtyrinnen erläutert wird: so kann ich das nicht
für einen zufall halten.' Er gibt also selbst zu, dass die
textesworte ideo dilexerunt 1e adolescentulae dazu anlass geben ;
nach dem was Avir kurz vorher über den unwillkürlichen ein-
tluss des textes auf den erklärer gesagt haben, kann uns das
') Vgl. auch die folgende seite z. 4: die also chodent die nesini ze
frumen gotes ße)ide, undze si so tüni so newerdenl si auch nicrnmer
sine friunde.
494 HAYNER
nicht wunder nehmen. Etwas anderes wäre es, wenn ohne
sichtbaren j^rund oder doch mit einer gewissen Vorliebe weib-
liche Vorbilder in die darstellung einflössen. Dem ist aber
durchaus nicht so, vielmehr ist diese stelle die einzige, in
der ausserbiblische namen von weiblichen heiligen angeführt
werden. Und da diese vier, Agna, Caecilia, Lucia, Agatha
nach Haupt s. XIX, Svie bekannt in allen missalen und sonsti-
gen andächtigen werken zusammen genannt werden', so ist
ihre erwähnung doch etwas ganz gewöhnliches, das gar nicht
auf besondere motive zurückgeführt zu werden braucht. Eine
frau, die nach Scherer Q. F. XII, s. 76 'durchaus die bewah-
rung weiblicher keuschheit im äuge hatte ' und demnach ' weib-
liche märtyrinnen als tugendmuster' anführte, würde es sich
wol nicht haben nehmen lassen, näher darauf einzugehen, w^o-
zu gerade bei diesen Vorbildern (A'gl. Haupts ausztige aus
dem heiligenlexicon , s. IX — XII seiner vorrede) die reichste
gelegenheit war. Doch nichts von alledem, die worte Cecilia
diu hete schiere gestriti^i unde Agata , sin slügin die wuterike
(IT;) verraten eher das gegenteil. Dieser einen stelle mit
ihren vier bekannten und zusammen gehörigen namen stehen
folgende ausserbiblische eigennamen männlicher heiliger gegen-
über: Gregorius 43 33 , 593i, S'Sn, 91 20- Augustinus 4833, 66y,
83i3. Ambrosius 4833, 88 ig, 18629. Hieronymus 4833, 8815.
Theophilus 582- Cyprianus 583. ßenedictus 59 2s, 8814. Julia-
nus 82,0. Chrysanthus 82 k,. Martinus 88,7. Ruppertus 8820-
Wofür spricht diese stattliche reihe? — Und dabei werden
auf s. 82,0 Julianus und Chrysanthus ausdrücklich als märtyrer
mit namen aufgeführt, während in der zeile darauf die hrodin
wip , die marterarinne nur im allgemeinen erwähnt werden.
Die quelle ist Wiliram s. XXVII, die namen sind eigene zu-
tat unseres erklärers. Dieselbe stelle bei Williram hat der
erklärung von c. III v. 9 u. 10 zu gründe gelegen; hier sind
als lehrer Gregorius, Augustinus, Ambrosius und Hieronymus
genannt, die heiligen wip magede unde wietewen (445) dagegen
wider nur allgemein. Ganz das gleiche geschieht auf s. 88
und 84, so dass gerade, wenn Scherers beweismoment zutref-
fend sein sollte, gar kein zweifei aufkommen könnte, welches
geschlechtes unser erklärer war.
Fünftens fährt Scherer fort: 'und wenn es vollends 12825
DAS ST. TßUDPERTER HOHE LIED. 495
heisst von diu so rät ich mineyi juncvrouwen und 126 7 daz
rvizzen mme juncvroweiw so weiss ich der annähme nicht aus-
zuweichen, dass zu wirklichen Jungfrauen und, weil das geist-
liche publikum feststeht, zu geistlichen Jungfrauen, also zu
nonnen geredet wird.' Dieser puukt fordert genauere dar-
leguug, denn auch Haupt, der herausgeber, hat sich dadurch
täuschen lassen, wenn er s. XV von der ' Verfasserin und ihren
zuhörerinnen' spricht und diese letzteren sogar zu 'töchtern
aus den höchsten ständen' mncht (vgl. s. XII seiner vorrede).
Die anrede ir iuncvrovrven, mine iuncvrouwen findet sich in
unserem denkmal widerholt, doch nicht immer in gleichem
sinne. Zunächst ist sie Übersetzung der worte der vulgata: filiae
Jerusalem, filiae Syon. Gewöhnlich stimmt unser Verfasser mit
Williram überein, z. b. 44,5 ^^ iuncvrouwen ir da buewent in
Syon = Will. XXVII 22 ir iüncfröuvon ir da hüiuuet in Syon
(filiae Syon). 74 ^ Ich beswere iuch iuncvrotveti ze lerusalem =
Will. XLVg l'ch besveron ivuich iünkfröuuon ze lerusalem. 90 5
ir iuncfrouwen == Will. L27 ir iünkfröuuon (filiae Jerusalem).
1323] Ich beswere iuch guten sele, ir da bint die tohtere
lerusalem — Williram LXXoi einfach l'ch besueren iüuich,
iünkfröuuon ze Hierusalem. 30^0 tohtere lerusalem — Will.
XVjo bloss iünkfröuvon. 469 gleichfalls tohter lerusalem, bei
Will, liicke. — Endlich ist einmal filiae lerusalem (c. I, v. 5)
sowol bei Williram (VII 21) wie in unserem hohen liede (lO^g)
un übersetzt gelassen.
Aus diesen anreden wird natürlich niemand etwas folgern
wollen. Eben so wenig aber darf man an wirkliche anreden
denken, wenn die gleichen Avorte in die mystische erklärung
mit übergegangen sind. Zum glück folgt die deutuug meist
auf dem fusse nach, z. b. 31 1 (es geht tohtere lerusalem 30 30
voraus): Daz kit: ir heilige sele ir da höret unde treffet
in die himiliskin lerusalem, ich besvere iuch bi den tuginden
iweres libes unde bi dir raigin irverre sele mit unverkennbarer
anlehnung au Williram XV13: l'ch besueron iuvih, güoten
sela, ir da treffet ad supernam Hierusalem, bi dero reine
unte bi den tügeden, die ir an in selben habet. — Ferner 90 14
(zu ir iuncfrouwen z. r,): Wer sint die iuncvrouwen den ich da
gerunet han, den ich in holtrmie gesaget han die minne unde
wunne mines trutes't daz sint die mine gespilen, chit diu
496 HAYNER
christinhait, vgl. dieselbe stelle bei Williram (Ljg): I'r heile-
gon sela , ?r da treffet ad visionem patris u. s. w. Selbst in
der Übersetzung wird die erkläriing gleich mit gegeben i;>23i
Ich hesrvere iuch guten sele, ir da bint die iohtere Jerusalem =
Adjuro vos , filiae Jerusalem. Denmacli ist auch der ausdruck
gel uz ir iuncvrowven, get uz iurvcrcn girden ... (46 1 ff.) mit
rückblick auf Egredimini et videle filiae Syon nicht als wirk-
liche anrede, sondern als allegorie zu fassen, gleichwie 11 5
die Worte Nu get zuo ir iuncvrourven ir da nie mit girde nie
gekusten sich auf den anfang des hohen liedes {osculetur me
osculo oris sid) bezichen.
Eine andere, bis zum schluss des buches durchgehende
allegorie knüpft sich an die bibelworte Sexagi7ita reginae et
octoginta concuhinae et adolescentularum non est numerus (9627).
Eben so wenig man bei den Worten wir vinden sin in den
chlosteren ensament chebese unde chimiginne 97 26 an wirkliche
kebsweiber und wirkliche königinnen denken kann, eben so
wenig darf man bei den nachfolgenden ausdrücken an wirk-
liche Jungfrauen denken. Ueberdies werden auch hier die er-
klärungen vom autor selbst gegeben. Vgl, 100 1 daz man
nemmet die chimiginne daz sint die tugenthaften — z. 5 daz ez
chit die chebese, daz chit die, die nach ir unwitzen, so siu ze
sinne choment, mit ir helfe hulde wellent gewinnen — 117 13 diz
inist nicht der durnahtigen, sunder der iuncvrowen, die
man noch vertragen muz in ir undurnahte , rvan swaz diu nieht
neferstaest des negiltist diu och nieht. durch swaz diu iz lazest
so diu dmiJie durnahtigen wirst, so sprichit got: wie scone
diu bist! wände er dich gerainet hat ?nit sineme antlaze von den
maintaten, so sprichit er: wie zeire du bist . . . diz merchen
minen iuncvrouw en iinde vermiden die maintate. Im
auschluss hieran erledigen sich auch die beiden von Scherer
(nur unvollständig) gegebenen citate: 12824 von diu so rat ich
minen iuncvrotven, die noch nieht chommen sint ze deine brut-
stüle der durchnahtigen minne gotes und 126f, de wizzen
mine iuncvrouwen die da gedingen habent de siu noch chiui-
ninginne werdln, denn es geht 1222:j voraus: die solihen {die
rehtes herzen sint vgl. z. e) daz sint die chunniginne, die ze gote
deine waren chunnige sprechent: Chum min Uep , geng an den
akker. . . . Vgl. ausserdem 1196, 124i5, 13529, 137 20, 140^
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 497
und vor allen dingen den sclilusB des buclies, der jeden zweifei
lieben muss; an disime brieve soltu erchennen die gemahelen
des almahtigen gotes ahiwedir de si diz haben, odir si mit ßze
dar nach werben . srver iz ernistliche rvirbet, nehat ouch e r niht
vile dire fugende, er haizzet iedoch von sineme guten ?villen unde
von sineme erneste ain brüt des almahtigen gotes; nehat er
flizzes nieht unde hat er den willen ze gewinnenne, die werdent
gehaizen adolescentule; nehat er den tvillen noch den ernesl-
Uchen gewerb ze gewinnenne die lügende in disime übe, die ne-
haizzent nielit neweder iuncvrowen noch brüte, sundir siu haizzent
die erbelosen chebese, die doch got etewenne ernert durc die
kurzen zit der riuwe AMEN herre.
Demnach darf die annähme Haupts und Seherers, das buch
sei für frauen und von einer solchen geschrieben, wol als
widerlegt angenommen werden. Wir brauchen aber nicht da-
bei stehen zu bleiben, wir können auch, glaube ich, den
directen beweis für männliche Urheberschaft erbringen.
Der Verfasser rechnet sich selbst zu den geistlichen {wir
geistlichen mennisken 1 3), nennt die im kloster versammelten ^)
die bruderschaft [want iz — ir gerune — ist ainweder murmul uf die
maisterscaft odir uf die brüderscaft odir von ir spise odir von
ir gewande odir von upiger minne 98^0 ff-) und ihren Vorsteher
meister {von den guoten maisteren 61 2s, durch den maister 623).
In Übereinstimmung damit werden männliche pronominal-
formen gebraucht, wo von klosterverhältnissen im allgemeinen
die rede ist (vom meister 104y If. : Bise vindet man alle in gaist-
licheme lebenne. die wirsten daz sint die hohvertigen unde die
tvirderbhurtigen die ir herze zallen ziten geminnent , tvie vil ir
bechorunge ist daz nemach niemman gezellen . sulin siu genesen,
daz müz harte gearnet werdent von der maister scefte, wann
siu bedürfen undirscidunge, so daz siu si ettewenne ummazeclichen
rihten unde daz siu si ettewenne vil irbarmeclichen hallten, der die
got gewinnet, der gewiiinet michelen Ion — vom klosterinsassen
5025 ff. des ist durff't under gaistlichen luthen, tvande so er sich
geloubet aller weltwunne , so varet sin der tieuuel mit siner be-
chorunge). Von den frauenklösteru wird ausdrücklich 84 21 ff.
*) Das wort kloster kommt vor 97-26 und 124,, beziige auf klöster-
iches leben sind überall.
498 HAYNER
gesprochen, imcl zwar wie von einer fremden sache: wände
abir (kr schaphirus dar inider stet vil harte zerliche : so sprechen
vone den hailigen mageden, der in disen zlten michele craft
ist in {jaisHichr huotle, die zeirenl in diseme zite allir beste
den schonisten buch unseres gemahelen. Folgerichtig ist auch
die ermahnung an sie in dritter person (als an abwesende)
gehalten: siu suUn abir wizzen daz der saphirus nehain sconiz
lieht nehat netvane von deine haiteren tage, also sulin alle ir
sinne unde alle mimie hlne ze deme ewigen lichte warhten, daz
siu eht fulliches suchen an dehainen ir suchen newati daz treffe
ze den gotes minnen, während vor und nach dieser stelle die
erste (bez. zweite) person üblich ist, vgl. 84 12 von diu sin wir
durftich — 85 11 nu sulin wir wizzen — 8533 nu sulin wir
sehen — 87 ^ wir sidin wizzen — 8230 diu soll vil wol 7vizzen
u. a. m.i) Den anlass zu dieser er wähnung der trauen gab
nebenbei bemerkt die eigentümliche combination des Verfassers
betreffs der sieben gaben des heiligen geistes und der aus-
erwählten chöre der seligen; s. 42 — 44 ist diese combination
mehr andeutungsweise, s. 78 — 89 (schlussworte da daz lop der
engele unde daz lop der erweiten menniskin sich gesamenet ane
got ainen) in behaglicher breite durchgeführt. Von grosser be-
deutung ist schliesslich die heftige polemik unsers Verfassers
gegen klausner und eiusiedler, zumal unter der von ihm aus-
gesprochenen motivierungj die für ein frauoikloster wenig oder
gar keinen sinn hätte: 70 6 -^''^ ßeihent getwanchliche zuhte gaist-
licher dinge, wände siu suochent ir aigen vur^trefliche mere danne
gotes willen; von diu so iouchet siu der tieuuel von ainer stete
ze der anderen, daz siu nicht pesten nemugen iii der ersten stete
da si sollen rawen, daz chit in der gehorsame da in der hailige
gaist von erst gibettet hat. die selben sol man bichennen bi ir
uns täte , wände siu succhent allizane stete haile, ainwerderer
') Ein ganz gleicher Wechsel zwischen dritter und erster person,
wodurch der Verfasser zeigen will, dass er sich nicht zu jenen rechne,
kommt 6830 vor: der ainvaltige menniske der sprichet: ich bin uzzir
mineme rocke gesloffet, daz chit: ich ham mich strites geloubet, ich inne-
?vil niemmenne leit tuon . waz bestet mih dehaines anden? daz tuon die
den iz pevolhen si: ich wil miner sele phlegen . die sulin daz wizzin
.... wie abir wir , ivir ime hulde gesvoren haben do wir sin chruce
namen ?
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 499
171 aine clilose odir daz siu einsidelen werdent. ain niht ne-
rver dent slu! siu nemment maistir schaß e si got dar zu ladeA)
Aus diesen innern g-ründen halte ich den Verfasser un-
seres Werkes für einen mann; als äusseres zeugnis treten
zwei randbemerkungen auf fol. HO r. und 111 r. der hs. hin-
zu, die nach Haupt s. 180 so lauten: hie lert er erkennen
wenn wir die siben gäbe des heiligen geistes haben und veht an
der iungesten an de ist vorcte und hie git er uns derselben
ler wort zeichen und hebt an der ersten gab an, de ist fvisheit.
Wenn man also überhaupt randbemerkungen zu näheren be-
stimmungen benutzen wollte, was doch Haupt und Scherer,
wie wir gleich sehen werden, tun, so durfte man diese nicht
übersehen.
Ist, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, der Verfasser
ein mann, so fallen auch die von Scherer a. a. 0. s. 199 ge-
machten einwände gegen St. Trudpert. Zu prüfen bleiben die
über den Zusammenhang mit Hohenburg und Baiern gemachten
angaben.
Wenn Scherer auf grund der weiter unten zu besprechen-
den stelle über Ruppert die entstehung unseres hohen liedes
nach Baiern setzt, so steht er mit den von Jos. Haupt in der
vorrede entwickelten annahmen in directem Widerspruch. So-
weit sich dieser Widerspruch auf blosses verneinen beschränkt,
wollen wir Scherer gern beistimmen, denn die Hauptschen
gründe für Hohenburg sind, wie schon von ßech und gleich-
zeitig von Zarncke, Centralblatt 1864 s. 114 f. überzeugend
nachgewiesen ist, nicht stichhaltig. Haupt nimmt auf s. XVIII
einen Zusammenhang zwischen den einzelnen capiteln unseres
buches und den sieben kirchen und kapeilen auf dem Odilien-
berge au; dabei übersieht er aber, dass nicht nur der anfang
und das letzte capitel des buches (13925 Ahi sprechen von der
ersten unde von der sailigisten der diz pouch ane gevangen wart,
der aigin ist diz capitel), sondern auch das dritte und vierte
ausdrücklich der Jungfrau Maria gewidmet ist: 46(3 daz was
diu wambe der gotis mütir , vone diu ir gare diz capitel undae
*) Ein treffliches bild zu der hier geschilderten classe von mönchen
gibt der h. Vicelin, der überall, wo es ihm nicht behagte, heimlich davon
gieng. Vgl. Helmoldi chron. Slav. I, 42 ff.
5(M) HAYNER
daz here nach stet^). Es ist also durch den gruudnss Hohen-
burp:s, den Hau})! in unserem hohen licde \vidergefun<len zu
haben ghiuhtc, ein dicker strich zumachen. — Dann soll jenes
buch, welches Rilindis und Herrad auf dem Hohenburger stein-
nionumente (siehe den holzschnitt bei Haupt) in den bänden
halten, der Jungfrau Maria gewidmet sein, und iiieraus schliesst
Jos. Haupt weiter, dass unser hohes lied gemeint sei. Wie
aber, wenn die handbewegung der Herrad (denn daraus
schöpfte Schöpflin, wie seine worte librum apertum porrectis
manihus tenerä , quo laiides Virginis Christum sustinentis [quam
crinlhus quoque cirratis ornarunt] contineri indicai Herratis be-
weisen, die obige Vermutung) gar nicht auf Maria geht?
Christus ist der segnende, auf den allein kann sie bezogen
werden, wie man sich leicht durch den augenschein überzeu-
gen kann. Gegen Engelhardt (Herrad v. Landsberg s. 12)
muss ich bemerken, dass die mutter gottes keineswegs von
dem buche emporschwebt, vielmehr ist sie, wie Roth (Stöbers
Alsatia 1856 — 57 s. 84) richtig angibt, sitzend und mit dem
Christuskinde auf dem schoosse dargestellt. Eine ganz ähn-
liche Zusammenstellung habe ich auf einem alten siege! von
Corvei gefunden (abgebildet bei Schönemann, diplomat. taf. XHI),
nur dass sich oberhalb nicht Maria mit dem kinde befindet,
sondern Christus selbst, mit der rechten segnend, in der linken
ein buch haltend, um ihn herum die worte iuste iudicate. Unter-
halb blicken zwei niänner, das haupt von glorienschein um-
geben, zu ihm empor; je in einer band halten sie einen schrift-
streifen mit der aufschrift memor esto occationis tue. Die rechts-
seitige figur hat wie Herrad den arm emporgestreckt, die
linksseitige trägt in der freien band einen palmzweig. Die
Umschrift des siegeis lautet: s- capituli • corbeiensts • eccJie:^)
Dieses seitenstück zu dem Hohenburger steindenkmal ist um
deswillen wichtig, weil offenbar derselbe Vorwurf zu gründe
lag: begründung bez. widerbegründung des klosters. Darauf
führt auch unwiderlegbar die gegenseite des Hohenburger
Steines, wo Odilie ihrem vater (nach Roth der vater ihr) ein
0 zuo hoeret ist nachgetragen.
2) Die Urkunde selbst stammt aus dem jähre 1326 und ist vom abt
Ruprecht ausgestellt.
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 501
buch überreicht, welchen akt man allgemein als die erste
gründuug- des klosters auslegt. Ob mittelst dieses buches, wie
Schöpfliu und Roth meinen, Eugelhnrdt dagegen leugnet, die
Investitur symbolisch ausgedrückt werden soll, ist sehr zweifel-
haft. Die Hoheuburger Urkunden wenigstens, auf Avelche Roth
(a. a. o. s. 84) sich beruft, sind anderer art: da handelt es
sich um die bcrufuug von geistlichen, welche im frauenkloster
die messe zu lesen hatten ; das buch also , mittelst dessen sie
eingesetzt wurden, wird das messbuch gewesen sein. In den
beiden obigen fällen wird man am ehesten Statuten oder Ordens-
regeln als Inhalt des buches vermuten können. Doch wie dem
auch sei, in dem buche, welches beide äbtissinnen in bänden
halten, darf mau sicherlich weder mit Engelhardt den hortus
deliciarum der Herrad (was sollte dann Riliudis?) noch mit
Haupt unser hohes lied sehen. Letzteres verbietet die falsch
gedeutete handbewegung sowie das mit herangezogene siegel
von Corvei.
Gänzlich verfehlt ist der schluss, den Haupt aus der
spräche für zwei Verfasserinnen führen will. Er will die
seiner ansieht nach niederdeutschen formen (im gründe ge-
nommen sind es rein alemannische eigentümlichkeiten) 'in der
vorderen kleineren hälfte' der Rilindis zuschreiben. Demnach
würde der andere teil der Herrad zufallen und diesen habe
ich mit den entsprechenden deutscheu Wörtern, welche Engel-
hardt aus dem hortus deliciarum zusammengestellt hat, ver-
glichen. In kürze stellten sich folgende in die äugen fallende
abweiclmngen heraus:
aquUo bort. del. Kortostermint höh. lied northwhit 62 g
auster „ „ Sundertvint „ „ summerwint 62;
femur „ „ huff'e „ „ dieh 108 ig
arüfex „ „ Listmachaere „ „ Ustmaister 108 jy
malum pnnicum ) , ^ i i , .. , i i t j , ^ , ,
hört. del. kornap el höh. lied der rote apfphel
mahim granatum \ ^ lon
tornatus l , . ^ ^ 7 • . i i i- i ( gedran 83,. 110,j
hört. del. gedreiet höh. lied \ ^ , , , /
tornatüis ) \ gcdrat 1 11 0 •
Diese wenigen worte beweisen genügend, dass von einem zu-
sammcuhaug zwischen dem hortus deliciarum und unserem
hoheu liede nicht die rede seiu kann. Ueberdies hat auch
Beiträge zur gesohichte der deutschen spräche, UI. 33
502 HAYNER
Hcrrad uacli Eiij;elbardts ang.ibo (a. a, o. s. 44) das hohe lied
in gewöhnlicher weise auf Christus und die kirche bezogen,
niclit wie unser Verfasser auf Maria.
jMit recht also lässt Scherer all diese aufstellungen , die
gerade das gegenteil von dem dartun was Haupt beweisen
wollte, fallen. Um so auflfalligei ist es meiner ansieht nach,
dass Schcrer an dem zeugnis, welches Haupt 'in dem buche
selbst' für Hohenburg gefunden zu haben meinte, trotzdem fest-
hält und darauf hin eine Vermutung baut, die noch über die
Hauptsche hinausgeht. 'Auf blatt 47, 2 steht unten am rande
der name Othilia und ist mittels zierstrichen mit dem s im
Worte si?it verbunden', so wörtlich berichtet der herausgeber in
der vorrede s. XXII. Da Scherer nun nicht annimmt, dass
unser werk in Hohenburg verfasst sei, so beweist ihm doch
diese spur, dass es einst in Hohenburg gewesen : Rilindis habe
es bei ihrer berufung aus dem kloster Bergen bei Neuburg
an der Donau mit nach Hohenburg gebracht; entstanden sei
es in Baiern. Aber der name Odilia ist an und für sich
wenig geeignet einen so engen Zusammenhang mit Hohenburg
zu begründen. Man braucht noch gar nicht zu bezweifeln —
was wol erlaubt sein dürfte — , dass gerade die Hohenburger
Odilie und keine andere damit gemeint sei, und kann doch
den Schererschen schluss nicht gelten lassen. Es finden sich
in unserer lis. so viele randbemerkungen , warum sollte dar-
unter nicht auch ein so bekannter und so allgemein verehrter
heiligenname sein? Diesen einwand scheint Scherer selbst
gefühlt zu haben, denn er schreibt (s. 200) : 'Sagt man, die
beifügung des namens Ottilie könne auf ganz pei sönlicher Vor-
liebe eines lesers oder einer leserin beruhen : so ist diese mög-
lichkeit in abstracto allerdings nicht zu bestreiten. Aber das
buch enthält sonst keine randglossen dieser art; das motiv
rein persönlicher Vorliebe ist nicht stark genug um eine solche
eintragung zu rechtfertigen ; wenn rein persönliche verliebe für
diesen oder jenen heiligen sich daran in solcher weise zu ma-
nifestieren wagte, so würden wir noch viele andere namen auf
den rändern finden; der vergleich mit jenen hervorgehobenen
namen in den litaneien ist die nächste natürlichste analogie:
analogien für die andere annähme sind mir nicht bekannt.'
Was aber derselbe unter den hervoi-gehobenen namen versteht,
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 503
lehrt folgender satz: 'Wenn mau sicli erinnert, wie in litaneieu
der oder die locallieilige durch rote schrift hervorgehoben
Avird: so wird man sofort geneigt sein, auch in Ottilie eine
localheilige zu erblicken, d. h. die hs. einem Ottilienkloster
zuzuschreiben.' Dem gegenüber ist zu erwidern : auch Sclierer
spricht nicht aus besserer kenntnis der hs., er beruft sich auf
die Worte Haupts. Bei diesem aber ist weder etwas davon
zu lesen, dass der name Othilia mit roter schrift geschrieben
noch dass er sonstwie hervorgehoben sei; die ^ zierstriche' be-
ziehen sich ja nur auf die Verbindungslinie zwischen den
Worten Othilia und sint. Also fällt die von Scherer gezogene
analogie mit jenen durch rote schrift ausgezeichneten namen
locallieiiiger in liraueien. Weiter aber ist es gar nicht wahr,
dass das buch • sonst keine raudglossen dieser art' enthalte.
Scherer sagt selber, dass Odilie ^als ein beispiel' der betreffen-
den textesstelle beigefügt sei. In ganz gleicher weise steht
am rande von fol. 14. v. exemplum sii Antonius A) Somit ist
Scherers annähme direct wie indirect zurückgewiesen.
Nicht besser steht es mit dem angenommenen zusammen-
hange zwischen Kilindis und unserem werke. Scherer setzt
das hohe lied nach Baiern auf grund von 8823: 'der heilige
Ruprecht und die bekehrung der Baiern neben kirchlichen
Verdiensten ersten ranges habe nur in Baiern sinn' (Q. F. XII
s. 74 anm.). Aber selbst wenn es feststünde, dass das hohe
lied diesem lande angehörte, und wenn Kilindis wirklich, wie
spätere, einander widersprechende angaben es wollen, aus
dem oben erwähnten kloster Bergen nach Hohenburg berufen
ist, würde diese combination dennoch gewagt bleiben. So viel
ist indes zuzugeben, dass die beregte stelle für Baiern sprechen
könnte, wenn sie nicht unserer ansieht nach auf — St. Trud-
pert fährte. Man beachte einfach den eingang der legende
des heiligen Trudpert, wie sie an seinem namenstage im
kloster verlesen wurde 2):
Passio s. Truthperti martyris.
Cum igitur iunumerabiles martyres romano orbe Franco-
rumque imperio proprio sanguine legamus fuisse coronatos,
') Vgl. Jos. Iliuipt s. 109, anm. zu 21 33.
'^) Nach Moue, Bad. geschiclitsquellen I, s. 22.
3a*
504 HAYNER
quam plures illorum ex aliis mundi partibus auditä famä
novae rutlisque christiauitatis ad renovaudani jam paene
pro})ter doctorum inopiam Christi ecclesiam diiutam, Galliis
partibus adveuisse comprobautur. E quorum uumero duos
germanos fore patruin memoria tradit, qui ex Hiberniä
insulä orti juxta evau2:elicum praeceptum domum patriamque
meute integerrimä reliuqueutes , crucemque Christi corde ge-
stalltes, ad beati Petri, principis apostolorum, limina
eoiivolaruut, ut summi clavigeri precibus animadvertere
merereutur, quibusnam mundi partibus dei servitium ipso faveiite
iuehoare debereut. Et quia nemo est, si propria voluutas non
titubaverit, qui dei adjutorium, sanetorumque illius incassum
quaerat patrociuium, praefati germaui de Koma repe-
dautes certissimi, ut fertur, facti erant, quibus in locis dei
famulatum exercere et praeseutem vitam terminare, uumquam
morituri felici memoria, deberent. Unus namque eorum
ßaioariis partibus remeans, Roudpertus nomine,
dignissimam sui nominis retinens memoriam elarissi-
mis miraculorum signis hactenus, ut fertur, fioret in orbe: alter
rero Trudpertus nomine Italiae fines pertrausiens , Reni-
que fluminis eursum sequens, Alamanuiae provinciae maxi-
mam partem pertrausiens, in pago Prisicauge haud longe
a Keno flumine vallem quancuim in saltu viciuo, quasi a deo
sibi assignatam, magno cum couamine coepit inquirere etc.
Demnach darf mau in St. Trudpert nicht nur entsprechende
kenntnis bez. Überlieferung der erwähnten tatsachen annehmen,
sondern auch das allergröste Interesse an Ruppert, dessen
glänz ja auf seinen minder berühmten bruder Trudpert zurück
liel. Und wie lebendig sich dieses gefühl erhielt, wie stolz
man selbst in späteren zelten auf diese hohe verwantschaft
w^ar, kann am besten Lucelin zeigen, der nach Gerbert, bist,
silv. nigr. I, 171 diesem kloster einst angehört hatte. Derselbe
bringt bei der kurzen aufzähluug der klöster in seinem werke
Germania sacra über St. Trudpert auf s. 86 ausser der ver-
herlichung des habsburgischen herscherhauses folgendes tat-
sächliche: S. Trudperti vetustissimum celeberrimumque in
Brisiaca ad Herciniam tribus a Fryburgo milliaribus monaste-
rium . . . iucoluit primum S. Trudpertus, S. Ruperti Salis-
burgensium primi episcopi et magni Bojorum apo-
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 505
stoli f rater g-ermauu8, sub a. C. 600. et proprio sanguine
martyr irrigavit. . . . Einer bessern reclitfertigung- für die er-
wähnung des heiligen Rnjjpert in einem St. Trudpert angehö-
rigen werke bedarf es wol nicht; wir sind daher nicht ge-
nötigt die entstehung desselben auf grund dieser stelle
nach Baiern zu verlegen.
Im übrigen glaube ich , dass die oben behandelte stelle
auch iiacli ilirem Innern zusammenhange geprüft werden muss.
Denn die ganze darstellung 83 i-^s ist meiner ansieht nach eine
er Weiterung von 43 ^o ff.: Der gaist der gervizzede daz
ist der schenche der dar nf gedienet hat : daz was Johannes
ewangelista unde sine gehelfen Gregor ins Augn stinus Am-
bro sin s leronimus unde andere, die die heilige schrift er-
rechket habent unde siu geschenchet habenl der heiligen christin-
hait. Auf s. 83 heisst es: wer rihte siu ze werche? daz tet
der gaist des g ewizedes. wer waren sin? ez waren die
hailigen lerare , wände mit in wart diu hailige christinhait ze
werche gerihiet. Nun kommt dieselbe namenreihe, vermehrt
um Benedict, Martin, Ruppert: in deme zite do richesote der
hailige gaist des gewizzedes unde wart von sancto Gregorio
gotes dienist stetectiche unde sfizzeliche geordenot, unde gaist-
liche leiben von A tigustino unde von deme heiigen Bened i et o
gesetzet; do wart uns von leronimo daz alte urchunde in
unser zungen errekket , do wart von sancto Ambrosia diu
christenliche lere geschaffet; do wart von sancto Martino
diu michele goute gesehen unde diu chreftigiu zaichen diu got
durch in tet; do wart durch sanctum Küpper tum alliu pai-
geriskiu herscaft pecher et; da nach alle die lerare .... Zu-
nächst ist auffallend, dass während Martin und Ruppert jener
reihe am ende angefügt sind, der heilige Benedict eingeschoben
und zwar so eingeschoben erscheint, dass auf ihn allein keine
besondere tätigkeit entfällt: unde geistliche leiben vonAugustino
[unde von deme heiigen Benedicto] gesetzet . . . Ich stehe dem-
nach nicht an diese worte für interpoliert zu erklären, sei es
dass sie, wie wir weiter unten mehrere beispiele finden wer-
den, als ursprüngliche glosse in den text gerieten, oder dass
hier ein eiger.cr zusatz des sclircibcrs vorliegt. Eine gewisse
bestätigung erhält unsere Vermutung durch eine sprachliche
bemerkung. Während anderwärts derartige heilige das prä-
506 HAYNER
dikat sanctiis erhalten (vi;"l, ausser unserer stelle sanctas Bene-
diclus 59.2vi, sanctus Gregor ins 593, und 91.,o), stellt liier helkj
und zwar nimmt sich diese grob dialcctischc form in einer
Umgebung wo nur haUiy vei'want ^vird, verdächtig genug aus.
Ist dem aber so, so ist als glossator bez. abschreiber ein Be-
nedictin er anzunehmen; wo nicht, so war schon der Ur-
heber ein mitglied des genannten ordens; denn darauf ist aus
dem absichtlichen anbringen dieses namens zu schliessen.
St. Trudpert ist nun eine ßenedictinerabtei, folglich ist die
mögliehkeit, dass dieser zusatz in dem genannten kloster ent-
standen sei, nicht zu leugnen, in Verbindung mit der stelle
über Ruppert betrachtet ergibt sich sogar eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit dafür. Hinzu kommt noch die erwälmung des
heiligen Martin, die gleichfalls für ein Benedictiuerkloster
spricht; denn diesen heiligen hatte Benedict nicht nur sicli
selber zum muster erkoren, sondern empfahl ihn auch seinen
Schülern ausdrücklich als solches.') Und somit können wir
aus dem Inhalte nur auf ein mönchskloster des Benedictiner-
ordens, n.iher bestimmt auf St. Trudpert schliessen.
Wenden wir uns nunmehr zur handschrift, so haben wir
vor allen dingen zu ermitteln, ob wir eine ur- oder abschrift
vor uns haben. Jos. Haupt zwar scheint es nach seiner be-
merkung zu 46 kj (s. 171) 'schone von der schreiberin am rande
nachgetragen' für ein original zu halten, allein wir haben bei
der beschafienheit des mittelalterlichen schriftwesens, der fort-
pflanzung durch abschreiben, in jedem buche so lange eine
abschrift anzunehmen als das gegeuteil nicht erwiesen ist.
Hier sind wir in der glücklichen läge, eine ganze reihe von
Zeugnissen für die tätigkeit eines abschreibers bei der band zu
haben. Schon Bech in seiner oben erwähnten recension hat
darauf hingewiesen, dass misverstaudene und sinnlos verderbte
stellen uns darauf führen. Wir können das gleiche aus zahl-
losen stellen folgern wo der Schreiber werte ausliess oder aus
der nachfolgenden zeile mit dem äuge vorweg nahm, z. b.
ane deme 80 13 s. ane deme eilende chrlste z. 14, — übe der
124,; s. uhe der wücher z. 5, — sele siec 30 13 s. so siecher sele
') Vgl. hierüber Mabill. I. p. 10—12.
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 507
im aiifjin^-e der zeile, — az christe 582s s. daz was crist z. 29,
— so alUr so 55 07 i^. aUer z. o« » — (i-lse wände alse 60 23 1 —
do in ich in 73^, — g liaiUijen gaist 822 u. dg'l. m. In andern
fallen hatte er sich verlesen oder verschrieben, was bekanntlich
bei abschriften sehr charakteristisch hervorzutreten pflegt :
gezuiede gervizzede 57 14, — erchorren erroken 126 22, — die
got mit minne>tt 97 2;,, — tienin tieuuele 11924 1 — d£n gotes
chendin cliindin HÖso, — do si in deme gademe was eine saz
51 21, — loset lachen 48 17, — lihis liehüst 7^2 , — zch zo^ch
(darüber ich) 39 1, welcherlei beispiele sich leicht vermehren
lassen. In dem zuletzt angeführten falle kann die Verbesserung-
von spätere!" haud herrühren, in den andern nicht, da nach
tilguug des falschen das richtige in fortlaufender reihe ge-
schiieben wurde. Gar mancher fehler ist natürlich stehen ge-
blieben, wie sehr mau auch noch später durch correcturen und
rasuren nachhalf. Diese jüngeren besserer haben auch richtiges
unterpuuctet, sol)aId ihnen das Verständnis dafür mangelte,
z. b. wände siu gesiget hahent , so nemmet er sin ain halme-
houmen, der ie sich bezechenet 119 23. sich ist natürlich = ^/c,
sig, wurde aber durch darüljer gesetztes siv verballhornt. In
gleicher weise ist et, wol als veraltet, 327 getilgt. Einen
offenbaren beweis, dass wir eine abschrift vor uns haben,
geben ferner einzelne in den text geratene glosseu, wie do iz
do nahete deme abege [abende] des tages 87 1^ (vgl. Bech a. a. 0.
365) und De doch (lies ledoclx) der heilige geist empfahet unde
eilet [brennet] unde zerlat de golt odir de silbir ly. Auf mis-
verstandenes griechisch deutet alfa et oc 1522 {oc konnte leicht
aus einem omega hervorgehen, da c im 12. jahrh. noch rund
und ohne zungej, während die übrigen ebendaselbst entstellt
überlieferten gottesuameu {pantheg rathon tetragramathon usygon
efj'edon) kaum auf griechiische buchstabcn in der vorläge zu-
rückzuführen sind.')
') Wie Ju«. Haupt dazu kommt in der anmerkuug zu 87^ nach
kenntnis des griechischen alpiuihets zu fragen, ist mir unbegreiflich. Er
sagt wörtlich Iblgendes: 'vor becheret hesce aber durchgestrichen zeigt
dieser Schreibfehler x (V) für cli keuntnis des griechischen alphabetsV'
hescc muss hiernach für einen druckt'ehler für hexe gehalten werden ;
508 HAYNER
Unsere hs. ist also abschrift; ihre alters1)estimmimg ist
etwas sclnvaiikcnd. Denis hatte sie ins Jl., Hoffmann von
Fallcrsleben ins 12. Jahrh. gesetzt, (Ueber beider angaben siehe
s. I und II der Hauptschen vorrede.) Der herausgeber scliliesst
sich lloffniann an, während Bech (a. a. o. 365) geneigt ist ans
folgende Jahrhundert zu denken, da unter den dialectischen
besonderheiten mehrere seien, die nach Weiuholds sorgfältiger
beobachtung erst seit dem 13. jahrh. zum Vorschein kämen.
Doch fügt er gleich hinzu, dass dem von Haupt gelieferten
abdrucke sich schon darum keine ganz sichern aufschliisse ab-
gewinnen Hessen, weil seine anmerkungen zur handschrift den
verdacht erregten, dass er zwischen dem was dem ursprüng-
lichen Schreiber und dem was dem diorthoten angehört, nicht
immer genau zu unterscheiden gewust hätte. i) Indessen muss
ihm auf seine meinung erwidert werden, dass das, was er auf
s. 361 der genannten Zeitschrift ausdrücklich dafür geltend
macht, nämlich ^d (t) in die infinitivendungen nach dem n ein-
geschoben, seit dem 13. jh. vorkommend nach Weinhold', auf
misverstäudnis der betreffenden stelle in Weinholds alem. gram-
matik beruht; es ist nämlich dort s. 349 (394 ist falsch) vom
dativ des flectierten Infinitivs die rode, nicht aber von der
unflectierten form. Für das 12. jahrh. spricht das sicherste
kennzeichen desselben, der unterschiedslose Wechsel zwischen
aber, dies angenommen, glaubt Haupt wirklich, dass dem gelehrten
Schreiber bei dem deutschen eh., welches er in becheret zu schreiben
hatte, ein griechisches / eingefallen sei?
0 In der tat lässt der Hauptsche abdruck an genauigkeit viel zu
wünschen übrig. Die wenigen sätze, die auf s. III — V aus dem texte
gegeben sind, haben 6 abweichuugen von demselben, die daneben stehen-
den 161) Worte aus Williram deren S, ebendieselben, im anhang I noch-
mals abgedruckt, sogar 10, und zwar sind beiderlei fehler unabhängig
von einander entstanden , so dass an absichtliche äuderung nicht zu
denken ist. Um gewis zu gehen , habe ich noch eine beliebig heraus-
gegriffene Seite seiner citate (153) mit Williram verglichen und auf der-
selben nicht weniger als 25, will man genau sein 29 abweichuugen ge-
funden. Man möchte glauben, H. hätte eine abweichende hs. benutzt,
wenn er nicht selbst s. III anm. angäbe, dass er nach lloffniann und
zwar immer den text der Breslauer oder Rhedigerisclien hs. anführe.
Wenn aucli II. nicht die schuld daran tragen mag, so hätte doch die
correctur sorgfältiger überwacht werden müssen.
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 509
0
^ und e, das häufige v für ii und v = uo. Im folgenden
jahrh. ist e ohne schwänz regel ^) und i steht schon allein mit
accent, während der herausgeber in der anm. zu 6832 (s. 173)
ausdrücklich berichtet, dass nur selten ein strich oder der-
gleichen über i erscheint. Wir können demnach unsere hs.
unbedenklich mit Hoffmann und Haupt ins 12. jahrh. setzen.
Ueber den dialect spricht sich Scherer s. 204 wie folgt
aus: 'Was die spräche anlangt, so würde das reinste aleman-
nisch noch nichts gegen die bairische herkunft beweisen: wir
hätten eben eine rein alemannische abschritt vor uns. Aber
dass die spräche rein alemannisch sei, lässt sich bis jetzt
wenigstens nicht beweisen. Bechs citaten aus Weinholds
erstem bände Germ. IX, 359 — 362 Hessen sich fast durcliweg
citate aus dem zweiten bände beifügen. Es Hesse sich auch
einiges geltend machen, was mehr für Baiern als für Aleman-
nien spräche: so das Verhältnis von m, ü, eu\ ein wort wie
dansunge Denkm. 563. ?Ieinzel, Wortschatz und sprachformen
der Wiener Notkerhs. I, 29. Aber ich lege darauf für jetzt,
wie gesagt, kein gewicht und behaupte nur, dass man mir
nicht sprachliche argumente entgegenhalten darf.'
Wir w^ollen mit dem zuletzt geäusserten argumente an-
fangen. Wenn Scherer ein wort wie dansmige als beweisend
tiir bairische abkunft ansieht, so können wir ihm ein anderes
wort, nämlich äbeg entgegen stellen, das bei Lexer nur aus
unserm denkmale belegt ist und durch Bechs verweis auf
Staldei- sich als alemannisch ergibt. Beide Wörter heben sich
also in ihrer beweiskraft gegenseitig auf Wenn ferner Scherer
das vorkommen des lautes eu für Baiern geltend machen will,
so ist ihm zu erwidern, dass dieser laut nach Weinhold Alem.
grammatik § 61 dem altern alemannisch nicht ganz fremd
ist; auch die Nibelungenlis. A hat ihn. Ueberdies ist er in
unserm denkmal sehr vereinzelt, er steht, wie wir weiter unten
im zusammenhange schon werden, nicht nur für iu^ sondern
auch für ie und sogar für «0, so dass an Schreibfehler zu
') Uiigesehwiiuztes c l'iihren allerdings die übergeschrieheiiOTi latoi-
niscbeu textesworte durch, aber diese kijnneu, wie mehrfache falsche
steliiiugen (vgl. namentlich s. 120 f.) beweisen, erst später nachge-
tragen sein.
510 HAYNER
denkcu nahe liegt. In gleicher weise begegnen wir für iu der
sclireibung eui und eiu, Avas doch wol niemand für bairisch
halten kann. In dem einen punkte hat Scherer recht, dass
sich Bechs citaten aus Weinholds erstem bände, wenn auch
nicht durchgehend, doch meist solche aus dem zweiten bei-
fügen lassen; es hat ja eben das bairische vieles mit dem
alemannischen gemein, namentlich in den überwuchernden
sonderdialecten ; nur sorgfältiges abwägen des einzelnen kann
die entscheidung bringen, und den versuch dazu wollen wir
wagen.
Vorausschicken müssen wir, dass der dialect unsers denk-
mals in seiner vorliegenden gestalt kein reiner, einheitlicher
ist; die vorläge, der oder die Schreiber, flüchtigkeit und Will-
kür concurrieren mit einander, so dass das bild manchmal ein
buntes wird. Schon der erste Urheber kann keinen ausgebil-
deten schriftgebrauch zur norm gehabt haben, denn die be-
zeichnung aller irgendwie schwierigen laute schwankt fort und
fort. Beispielshalber kommt das zahlwort 60 in unserm hohen
liede sechs mal vor, jedesmal aber in abweichender gestalt:
seiczec 19.24, sehzich 19 30, sehzek 41 j, seczek 422, sehtzich 9627,
sechzig 9629. Dazu kommen noch sehs 41 32, sehsiu 82i8, sehc^
97|6, der sest^ 43J. Ebenso schwanken affoUere 282, an den
enppheln 285, an deme aphele 28^0, mit epphelen 2922, apfphel
'i^iT- 18- 22? roter epfele 582s, eppfel^ 101 ig. 26? under deme
äff elter houme 135 9, — schvone 12 3, scho^ne 208, schone 20^2,
e
— gute 13 lü, govfe 22? gutate 23, — der heilige geist I3, der
heilige gjest 24 1, hailigen 40 4, haiigen 96 19, heliegen h2^, —
Maratha 80^, Martha j, Martea 12 u. dgl. m. Das muss man
bei der beurteil ung der einzelnen fälle in billige erwägung
ziehen.
h\ der nachfolgenden Zusammenstellung schliessen wir uns
wesentlich Bech an, dessen darstellung jedoch in einigen
punkten der ergänzung und berichtigung bedarf. Bech nennt
den dialect alemannisch-elsässisch, womit er offenbar nicht den
elsässischeu sonderdialect, sondern das ganze grosse aleman-
nische Sprachgebiet von Schwaben an bis zu dem Wasgau be-
zeichnen will, wie er denn auch in den citaten auf den laut-
stand aller drei hauptmundarten des genannten gebietes ver-
weist. Meiner ansieht nach ist das nicht nötig, wir haben uns
DAS ST. TßUDPERTER HOHE LIED. 511
bloss an den rein alemannischen teil zu halten — schwäbisch
oder gar elsässisch ist die spräche nicht. In der äusseren
anordnung der laute folge ich Weinhold, dessen grammatische
werke bei derartigen Untersuchungen ja die siclierste grund-
lage bilden.
a.
1. Widerstand gegen den umlaut. tohter der manige 115 4
neben tohter der menige 31, — manige n neben mennege 60 2c
— mit dinen trahenen Hin. lo-
Nach Weinhold AG § 10 bieten sich im alemannischen
'seit dem 12. jahrh. die allgemein mhd. zustände dar. Der um-
fang des a ist noch gross, wurde jedoch durch den umlaut
zunächst geschmälert, der in der gebildeten spräche als festes
gesetz galt. Die mundart wehrt sich freilich gegen die volle
durchführung , wie alem. schriftsteiler und noch meh ' ie
Schreiber hinreichend bekunden.'
Auch im bairischen findet sich widerstand des dialects
gegen den umlaut s. BG § 5.
2. lieber den unechten umlaut e für a siehe unter e.
e.
1. e als umlaut von a ist eben besprochen.
2. e als unechter umlaut von a im alem. früh in spuren
aufzuweisen, zeigt später ein entschiedenes und kräftiges fort-
leben (AG § 15).
Segen (1. pl. imper., s. AG § 349) 65, 142$ neben nu sage
uns 21;, segen (inf.) 133, neben diu virsagest 134ig. — ■
a
zele 9621) neben bi ir zale 9728» ^^4? ^^^^ ^^s-
Bei dem gleichen worte ist der unechte umlaut von Wein-
hold belegt mit segen Gschtfr. 13;(,: gelegen Mone Neuj. 378.
sege (1. prs.) Mart. 60 77 (AG § 15), sägen Ad. Eva 775. Im
bairischen habe ich kein entsprechendes beispiel angeführt ge-
funden.
3. e für i. 'Das alem. zeigt es über seinen gewöhnlichen
umfang hinaus entwickelt. Noch heute kennt die mundart in
Freiburg, Appenzell und St. Gallen dieses e für gemeines i'
AG § 14.
Dagegen BG § 11: 'Das gebrochene e hat sich bairisch
512 HAYNER
nacli allg-cmeinem gesctz entwickelt. Nur einzeln, und darin
vom alcm. sich scheidend, dessen grosse neigung- hierfür
alem. Gr. §§ 14. 81. 114. dargelegt ist, greift e weiter als im
gemeinen deutsch.'
segehafter 15 31, se^ge 105 4 \iq\)Q,\i sigelos 1, gesigent 104 34,
gesige 35 32. — diu [tube\ ezzel den waizzen 1 1 1 20 • — s^elherin
13828 ßeben silberen 42 20, süher 4322- — petere 143 26 neben
piteren 1423. — relitare 25^4, wervet darüber (von 2. hand?)
wirhet 130 (j, geh'de 11 14 neben girde 5, 34. (Inwieweit i
später nachgetragen, ist aus Haupts angaben nicht ersichtlich.)
4. e durch ee ausgedrückt: heeze'f'st iQo-i: gebeezerot 98, q^
beereha/' AI n neben berehafi 482.
5. e durch ^ (und ae) widergegeben. Findet sich, dem
12. jahrh. angemessen, häufig, s^lf 30,0, sel^ 31 4, lese^n MSg.
Da ^ nur ein palaeographisches zeichen für ae ist, so be-
fremdet es nicht, dass auch ae erscheint: undae 46,5, 53,^,
und^ 120,0 (gewöhnlich unde), daer = der 111 27? er sce?'ete
Wide dahtae nach fride 41 y.
Gewöhnlich steht beides in den endsilben. Vgl. AG §13:
'Indem ae oder ä überhaupt für e galt, steht es auch schon
früh in flexionen, ableitungen und präfixen für gemeines e: za
werchae K. 22' u. s. f.
Ebenso Wechsel in Salaemonem 62, Saletnonis 44,^, Salo-
monis 41,.
0. e als 'unbestimmter zwischenlaut in consonantenver-
bindungen' AG § 20 (BG § 17): torvech = touc 60 23 neben
(owch 85,9. phrunede 111 26 neben jsÄrww«/^ 112 ,-. vorehtliche
100 27 neben forhtUch 85 24, die furehtenten forehte hdbent 862
neben die furhlenten 4 vorth*^. 2 30 .
7. ie für e siehe unter le.
i.
' i = c ausser in den stummen silben und in den präfixen
ir-, vir-, zir- nur vereinzelt' Bech s. 360.
lieber dir in allez de dir ie wart 131,2 vgl. AG § 23, über i
für den undaut e {chri fügen 5524 nehen chreftigez 21, wicre/'tigin
18 5) § 21. / vor ;• in lirnestiu 128 20 ist nach Weinhold ale-
mannisch (Urnen : dirnen Mart. 5 .,3), kommt aber auch bairisch
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 513
'iu einzelnen fällen' vor. BG § 18. Bei H^bi7itir 25 j^ hat
correctur stattgefunden.
Ueber ie für / siehe le.
0.
0 für i( in kosses Tu, 84 u. ö. Dagegen gekussit 80«, si
kiiste-2'j, kussente 2\' Der umlaut von 0 kommt nicht vor (tritt
im alem. erst im 13. jahrh. ein, im bair. etwas früher).
u.
u für 0 in unerlugenen 79 o:), zurnigen 50^0, uherost 12-2
neben hoherostun auf derselben zeile. Der Vorgang beruht auf
verdumpfung. AG § 29, BG § 28.
Der umlaut des u sclieint in unserm denkmal durchgängig
auf späterer zutat zu beruhen, diu hiich 93 3;j , ebenda chunich,
— salpnmirze 24-, wuizi'zenpette 933 neben ivurze 5, — uhi-
sich ji, uins 18 9, uns ^ neben uns 10 • Ueber diese letztere
umgelautete form vgl. AG § 412.
ä.
1. Der umlaut des ä, der sich im alem. im verlaufe des
12. jahrh. entwickelt, ist noch nicht durchgeführt, vgl. svaren
1.20? simdare 2-2, ursüchenare, notigare 134.26. Daneben gehen
formen wie sunderis 11 30? ^^^^^'«^ 33- In einer reihe von fällen
ist ein e über a zu finden, teils mit, teils ohne unterpunctung
des«, z. b. geba^^re 12 5, rehta^re 25^4, paete (2. sing, praet.).
Meist ist e geschrieben: diu gehe (2. sing, praet.) 1625, der inioge
unde gehe (couj.) 9^7 — were werin 844 u. 45 neben waren (conj.)
37 22 — ^^^ mere 55 44, mit weltlichen meren 31 5 u. a. m. er mit
1235, gemet 9 steht neben gemat \^^ so der wirt maf^ge 12 (^ von
2. band?)
2. u für ai im alem. wie im bair. entwickelt: getalin
97o.j neben getailet 30? tailent 1, haiigen 90 19 neben hailigen
95.,, heiige 73 14, urtale 11 2. 20 neben nrtaile 5513 u. urteile 4,^.
3. ai für ä siehe ai.
A
e.
1. e für ci {ai). Die Verengung eines ei {ai) zu e findet
sich zwar auch im bairischen, doch ist sie im alem. dialecte
514 HAYNER
bedeutender entfaltet (AG § 36) : ze dineme cheserlicheme stvole
24., neben dines cheiserlikin siüles IGijo; hclige 73(4, heliegen
r)2s; neben hailigen ,;, , heilige I3, haiigen 9(5,9.
Ebenso weeliselt beständig hezechenot, bezeichenot, bezaiche-
not. Auch die späteren correctoren nahmen keinen anstoss
daran.
2. e flir ae siehe unter ä.
3. e für ie. Im bairischen ^alt, wenn auch nicht ausge-
breitet' (BG § 46), im alemannischen ebenfalls ^nicht häutig,
reicht aber tief hinab' (AG § 37). edoch 15 ^^ neben iedoch
32-2, eidoch 372; gezeret 23,1, halsgezerde 22 neben gezierde 833,,
z^/;v/i 81 5; ^gy*?/ 102,;^ Mohew geßel 873,, ^^/"«j// 12,:,.
4. e für i Vereinzelte beispiele weist Weinhold sowol
fürs alem. wie fürs bair. nach. Bei zete 856 ist ? übergeschrie-
ben (dicht dabei zite ,7 und 840. ,3. 25)- Ebenso zeugen 120 10,
aber zitich ,2, zitit (1. ziüc) ,5.
5. ei für e siehe ei.
e = i siehe unter e.
A
0.
1. 0 für ou. Nach Weinhold BG § 54 'hat das bairische
dieses 6 nicht, wie das alemannische tat, über die gewöhnliche
grenze entwickelt, ausgenommen in der mundart der venetia-
nischen Deutschen.' Dagegen AG § 42: 'Der alem. dialect
vollzieht diese Verengung (ou zu 6) noch umfänglicher teils
unter denselben ])edingungen (nämlich den gemeindeutschen,
vor ./■, r, n, h), teils auch vor andern consonanten.'
hobeth 36 neben houbet 3, hübet 230. — ogin 229, ovge 3^,
ouge 2 {ougin neben hobeth e). — oh 65 ,, neben ouch 3. e- 23'
28. o^ch 29 1,. ,3. — gesloffet 6832. — Beachte daneben auch
umgekehrt ou für 0, welche Unsicherheit auf eine gewisse
gleichheit in der ausspräche deutet.
2. 0 für uo. Nach Weinhold BG § 33 war im bairischen
d dem uo schon um 900 erlegen; einzeln kam es allerdings
noch im 10. und 11. jahrh. vor. Dagegen sagt ebenderselbe
AG § 41 ; 'Dass dieses alte ö in der alem. mundart keines-
wegs ganz erlosch, sondern sich neben uo behauptete, beweisen
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 515
die Schriften der mittleren Jahrhunderte noch mehrfach', stont
3731 u. ö. neben besto^nl 64 ig. • — wohsen 78 q, hehotet 42 12,
gnoc IOO19, groh llOi^. — hrod'w I2630 neben hrudere 127i:{,
hruderlicher 127 1^ (unmittelbar davor huole^ wie oben neben
hrodir müter 126 30). — got'm 2999 neben ^o«^< SOj, gvoten 1832,
guoten 63 y, gute 6223. — schof ^-i-i neben geschvof .j-^, schuoph
8 12- — rvochir 30 2 neben wo^'cher 27 (j, fvüchh^ 2830.
3. Der um laut von 0 kommt ausser urlo^sares 13^^ (wo
e von 2. band stammen wird) nicht vor.
1. Vereinzelt ist für uo blosses u geschrieben, doch ist
nicht anzuuehmen, dass hierbei ein dialectischer gruud vorlag.
Vgl. Weinhold BG § 62: 'Der bairischo wie der alemannische
dialect haben diese Vereinfachung (gemeindeutsches ü für altes
uo) uicht angenommen.' Er hält u = uo für schreibmode, die
ausserhalb Oberdeutschlands entsprang, oder für nachlässige
bezeichnung einer weniger scharfen aussjn'ache. In unserm
denkmal kann es auch durch flüchtigkeit (weglassen des 0
über h) entstanden sein. — stule 24 ^ neben stüle 9, — hrudere
127 13 neben müt^r 5.
2. Der umlaut hriute 119 14 gegenüber brüte i und prute^o
ist vereinzelt. Uebrigens griä" der umlaut schon im 10. bis 11.
jahrh. ü au, und zwar im alem. wie im bair., vgl. Weinhold
AG § 67, BG § 95.
ai.
1. ai für ä. Weinhold AG § 49: 'Bei ai für ä erscheint
es durchgehends wie eine mechanische vermittelung von a und
i und erinnert an den umlaut.' Es ist offenbar derselbe Vor-
gang, den Job. Schmidt im vocalismus mit mouillierung des
lautes bezeichnet: sailich 45,, und i^, sailigen 127 1, sailik 825?
sailigisten 13926, sailicheit 12 2 und 7, sailde 122., neben salich
115j^, saligin 15 3, — wainent 6224, virrvainit 143 14.
Auch die von Grieshaber herausgegebenen predigten haben
nach Weinhold AG § 49 sailich und sailde.
<2 ai = ei siehe letzteres.
3. « = ai {ei) siehe unter ä.
516 HAYNER
ei.
1. Gemoiiuleutselics ei wird olnic unterscliied ei und ui ge-
schrieben, oft dicht bei einander, z. b. ainen so getanen nmcher
unde einen so sf<zzen wüche r^l >j, — imde vindeni ?vaide. diu
weide diu ist 50, v,. So wechselt beständig hezaichenot hezei-
chenot, hailig heilig, gaist geist u. a. m.
2. ei als neuer diphthong von / kommt selbst bei den
jüngeren bänden niciit vor.
3. ei für ie. In zahlreiclien beispielen. Ich führe nur
einige fälle an, wo ie und ei in demselben werte dicht bei
einander stehen: swie alt er werde odir svel gv^t werde 36 o,
— der mor genrot der wirt ei lihler unde ie Uhter 100 ^o, —
suie gvf't wir tverdin unde svie durnahtech, so haben eidoch
doi ivillin daz ?vir iedo^c gerne bezzer waren 3790) — ^^^ '^*
sin müter mitte gezeiret hat in sineme maheltage unde si in
gezieret hat in deme tage der vroude 4:'i ^-^ — , er giheiz Noe,
— er gihiez Abrahame, — er giheiz Tacobe, — er süor Da-
vide 45 j fi'.
Einen versuch, dieses aus ie entstandene ei als ai zu
schreiben, habe ich in zwei (dann verbesserten) fällen gefun-
den: daz gehaif-'z ich dir 108 5, daz si siniu wort behai^let IO94.
4. ei für e. Zwar auch im bairischen nachzuw^eisen, aber
im alem. 'besonders früh und stark entwickelt.' Weinhold AG
§ 58. leischet 60,0 neben lesket oo; — furtreifliche 79,4, ain-
weidir 105 §, — neimmpi 131 19, aber nemmet 99 3, u.a.m.
5. ei für i. Weiuhold AG § 58. eiterukken 112 22 neben
Iträcket n- — B^i daz eist 67 23 gegenüber daz ist 04 kann in
der vorläge deist gestanden haben.
6. ei für e. Weinhold AG § 58. geii 13 4. 18 0 neben
get 40i,j, — virstein 72 2» neben virstein 18 25 u. stet 40,.
7. e für ei siehe e.
8. ä für ei (ai) siehe ä.
eu.
Merkwürdig ist die Schreibung eu, eiii {ein) für iu und
seine brechung ie.
1. eui = iu: er zeuihet uns 18 n, er zeu>het nhis ,j neben
ziuhestu i, ziuhest 5, zerfliuzzet ^a, flii'het 3^ und 34.
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 517
2. eui = ie: Mane hine fleuihin (darüber hortare fuger e)
7 19 neben fliezint 26-
3. eiu^^iu: dm ?nm Uehestehi 117 2 neben unser gnadighi
vrouwe ilSn.
4. eu = m: diu zeuhesl nach dir 55 21 neben ziuhel Gl 7,
— mit gouteme leumende (darüber Jümdeni) 5605 nc})en Uument
27k, — den i^-ebcssert in dehi 70 22 (die stelle lautet deu
wahsen hein daz slnl die da millc chracheiUeme herzen, diu
da), — gevroileu IBB^y widerbolt als gevroutiu 134 2(j.
5. eu = uo: mit deine seuzzen tode den diu heiligin
minne süzze hat getan 17 n,.
iiei tier ü,-eringen anzabl dieser wirreu formen gegenüber
den regelmässigen und ibrem sonst unbegieiflicbeu auseiuander-
gebeu lässt sich v/ol kaum au etwas anderes als Hüchtigkeit
beim abscbreiheu denken. Sollten dieselben aber aus einer
hairiscben urscbrift beibehalten sein, so ist zu bedenken, dass
diese ja vor Kilindis berufung nacb Hohenburg, also vor 1150
geschrieben sein müstc. Nacb Weinhold BG § 84 sind aber
aus dieser zeit wenig belege für eu = iu zu haben. Ueberdies
könnten T.vir dasiu aucb die andern neuen dipbthonge erwar-
ten; ist doch nach Weinbold a. a. 0. iu einer Müncbener Ur-
kunde von 1309 zwar ei = l duichgeführt, au neben ü stark
entwickelt;, aber nur ein en neben sonstigem iu zu finden.
ie.
1. ie für i. Nach Weinhold AG § G3 MVüh und zahlreich
iu alem. Schriften'. Im bair. fast ausschliesslich vor r und h,
vgl. liCI § ü<). mielch 56 ^j neben mitiche 64 iq, — ir sulin
wiczzen 7632 neben gewizedes 3 und wir sulin wizzen i02io.
2. ie für i. AG § 65. zrvievelen 103 24.
3. ie für e. Für das bairische nicht nachgewiesen, im
alem. aber noch heute vorkommend, s.AG § 64. riehesniles 339
neben rebe «,, — niemen 30,,, niemil 18 1, vgl. i\hev verne/nment
93 17, — Uebenlig 109^ und - neben lebentig 14 und llO^, —
gesciehe 141 7 neben gesceltc 0 u. iu m.
4. e für ie siehe e.
5. ei für ie siehe ei.
6. eui für ie siehe eu.
Beiträge zur geschichte der deutschen spraclie. III. 34
518 HAYNER
1. hl als Umlaut von ä siehe dieses.
2. iu für /) in din == du. Vgl. Jos. Haupt 7Ai 115,;
(s. 177): 'über a in da steht von der ursi)rüngliehen hand iv,
zum beweise, dass überall diese die dem werke eigentümliche
form ist, wo du gelesen wird, ist stets ein strich radiert.' dhi
aber ist nach Weinhold AG § 413 ein sicheres alemannisches
kennzeichen , im bairiseheu ist di7i nur Gundach. 792 belegt
(BG § 358).
3. eu und eni für in siehe eu.
OH.
1. ou für 0 ist im alem. (AG § 70) durch reime belegt,
im bair. entspringt es * aus uneutschiedenheit zwischen o und u
(BG § 102): ellenhougen 70-,, iouchet y, hrutego^'me 10 17,
13434, ^ovp 7-2 und 4, 24 10 neben ze lohenne 1-,, — gezo^geu
17-23, 2:^ cho^^menne 107 jq neben chomen 123 20, — wo^rhten =
?vorten 1 1 8 4 .
2. o/< für 0. Zuweilen im bairiseheu (BG § 102 ), a.
gedehnter im alemannischen (AG § 71): zouch 50 33, zo^clt
1644 neben zoch 12 und m, — frouUche 144 1-,, fröhlich 04 2^
neben vroUchen 128 J5, — scho^ne 20^ neben schone 12 und
sclwone 12 3, — ho'>^ch 37 .2« neben /wÄ/r o«,.
3. ou für wo beruht nach Weinhold AG § 77 und BG § 103
auf Umstellung der zeichen, nicht der vocale: gonth 6026'
goutin 6615 neben gut i,;? gvoten 13 32, gone .,2, — toun 6230
neben (fU 13 23, — siehtoume 74 23 neben siechtuom - und .?/«//-
/?<« ,i, — blovme 21- neben blfime i^, — mo7(ter 1 ^^ u. s. f.
3. 0 für 0« siehe 0.
4. vroide 562 und froude 04 3,,, gevroiteu 133 30 und «7^-
vrout'm wechseln öfter.
1. «<o für ow. Gleiche Zeichenumstellung wie bei ou für
uo: geluohete 12,y neben gelonhhi 12, — hrulluofte 13,7, in//-
/?l/ye 4 neben hrutlovften 11 2;), — /r//^/^ 143 0,; neben un froude
ebenda und vroide 562.
2. ^^o für 0. AG § 78: bluode 02 ly, /^/r<</^ 849, hlovde
1'2^^), — schvone 12 3, schome und AT(»<e 25 24.
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 519
3. 0 ftir uo siehe ö.
4. Der uiiilaut ist (von späterer band?) herzustellen ge-
e
sucht in gueofc Si^ vgl. gntate 13-2:5.
p. h. Pf.
Im anlaute tritt zuweilen p für b ein, im auslaute über-
wiegt;^; prülstnoles 7 14 neben brüte 5, — puewen 57:^0 neben
huewete §, — ^/c gebraeche an deme phenninge 14120.
gap 22 i neben selb m, — inrinealb 48 17 neben winsteren
halp 50, -5, — upgrunde 15 ,7, apgol 24.23.
Für die affricata kommen folgende Schreibweisen vor: pf,
ph, ppf, pph, pfph , fj^ (vgl. die entsprechenden Schreibungen
des Wortes apfel auf s. 510).
f. V. w.
Die zeichen f, v, u wechseln beständig in unserm denk-
nial ; für fremdes v ist iv geschrieben in ewangelista 4330,
ewangel'mm 21.
m.
Verdoppelung des m ist häufig eingetreten: niemmin 88^0,
7iiemmir 89,, vernemment \^, aber vernemente 89, g.
Ueber n für auslautendes m siehe ersteres.
/ {th.) d. z.
1. / an lingualen wortauslaut angetreten (in unserm denk-
mal zum teil durch unterpunktuug getilgt) AG § 78: de dich
zirlazent sol 2^, si si nieht virtruchent nemugin 27, y, daz sin
niemmin ubir stigent mach 37 2u, daz messias chomeiä solte 5122,
duuingent beginnet 70 30, si höret redent 12 i. Daneben in über-
wiegender zahl die regelmässigen formen, z. b. die wir habin
sulen 49ivj.
2. th für t: 'in alten und jüngeren quellen' AG § 173.
hobeth 3y neben houbel ;.,, — gewalth 3ü neben gewalt 2,9,
alth 57, bruth 1\-, u. a.
3. th für ht: 'oft in alter und junger zeit geschrieben'
AG § 173: hath bruth 4,0 vgl. braht 99 2;, brat 120 e, bhrate
9921 und 103jj,, vorthlich 53 neben vorhte 5 13, ebenda gehuth,
nath und Ueth 7 09.
34*
520 HAYNER
Ucber d und z ist iiiclits abweichendes zu berichten.
s. sc. seh.
1. .V ü\r seh {sc). Weinhold AG § 190: ' Die Vereinfachung-
von ccliteni .9ch (sc) zu a- wird schon friih^ seit dem 12. Jahili.
aber hiiu%er in der schrifl nng-edculct': sonisliu 22 r, nc])en
seone und sehovne 2504, — immldicheit 16.2),, nnsuldig'ir 1\ :„
schulde 14.24, — hisse 20,; neben kushhi ebenda.
2. seh (sc) für s. AG § 193. Aus unserni denkmal sind
bemerkenswert: schaphirus SA 2-1 neben saphirns 2- nnd scaphi-
ris 83;to, — schönchen 35 3 neben suochte 4.
n.
1. n für m. AG § 203: 'Dem alemannischen besonders
eigen ist die staike neig-ung-, stammhaftes m in n zu vrnndeln.'
riehtvon 12i3, magitun \A^-, siechtuon 74,, neben slechlvom -, —
rovn = i^uom 35.24, sturn 116 2, lialUken 3.2,;, ha'nülch 130;;2 u. n.
2. Einschub von w als ' unechtes aufsteigen eines nasalen
klanges', Weinhokl AG § 201. Derselbe einschub eines lin-
gualen nasals findet sich zwar auch im bairischen, doch rieht
so reichlich wie im alemannischen (BG § 168): de sag'mün
die wissagin 23 on, gelouhinün 10 7, fro^nten 21.2,;, tonten Ol,,,
honinge (Si(j. -ii' 255 unverhornghi 80^2 nnd 33, gedingenhaii 125,.
3. Nasalierung der 2. pl. verbi siehe weiter unten.
k (c). g. eh.
1. k für eh. Weiuhold AG §208: •Zahheicli weisen ale^
mannische handschriften im in- und auslaute k (r) an der
stelle von ch auf. Man hat, so weit mau iiberliaupt darauf
aufmerksam ward , niederdeutsche vorlagen der betreffenden
handschriften angenommen; die folgenden nacliweisungen wer-
den dieses k als eine mundartliche eigentümlichkeit des ale-
mannischen l)eglaubigeu.'
In unserm denkmal finden wir beispielsweise: c für eJi
im auslaute: diü-c 6 ^i neben durcJi ebenda, — die 15.10 nc^^on
dieJi 21, — kitneelic i^^.i neben kunecl/eh ^h-
k {ek) für eh im Inlaute: elumleliUeken 145; neben eliu-
nichUehen 9, — spreken, 1 4, 5,, I44 neben sprechin 14 3, —
gesproekin lO),; neben gesproehni 19,7.
DAS ST. TRÜDPERTER HOHE LIED. 521
2. fj im auslaiit statt des üblichen c beibehalten, nach
Weinhold AG § 213 'schon seit ältester zeit': durc den weg
der ... 1S.J neben den wec der . . . n und wech des ... 107 30, —
berg 88 m neben berch 14, — kunig 18 7 neben kunich 24 ^.
3. ch für k und c. Weinhold AG § 218: 'Der an sich
einfache stand von ch ward dadurch verwirrt, dass ch in
Schrift und ausspräche mit k vermischt ward, indem für ch
häufig- /. und umgekehrt für echtes k zuweilen ch gesetzt
ward: chenphe 25 ^o? unchraß 105 20, sanch 1 ^i neben ^awc 3, —
geinc 17. 74 neben geinch 384, — chanich 93 2s neben kunich
24 li, — berch 88^4 neben bery m, — rvech 107 3^ neben wcc
18 11 und tveg 9.
h. ^
1. h ausgelassen im anlaut. BG § 19 i : 'Der aleman-
nisch nicht seltene abfall von anlautendem h (AG § 231)
kommt bairisch so gut wie nicht vor; ich weiss nur alhen Vor.
3429 anzugeben.' Demnach würden die nachfolgenden bei-
spiele deutlich für alemannische abkunft unserer hs. sprechen:
ehe uf \'6- und 9 neben hebe x^ — sihintalp iar 20 19, in rine-
alb 48 17 neben winsteren halp 50^3 und niderhalp 129 31, —
entebede 105 ,5.
2. h anlautendem vocal vorgesetzt: hoberostun dicht bei
uberostun 12 2, — hvobeth ivch 626, l^uoben (am rande vobeii)
'"'^lo? — herst l'2.i^.
Nach Weinhold AG § 229 kennt das alemannische in
grosser ausdehnung den vortritt eines hauchenden h vor voca-
lischem anlaut.
3. h ausgelassen im inlaut. AG § 234: 'So wie h im
anlaute zuweilen von den sclirciberu weggelassen ward, so
weit häufiger und zwar aus wirklicher verschAveigung seit alter
zeit im inlaut. Mit dem ausfall des un verbundenen h ist nicht
selten vocalische elision verbunden.' fetenne 3^2 neben fehten-
ten 6,4, fatin 20 m, faolitin ü,, — entlutit 15 12 uach s. 168 ver-
bessert in erntlulHit, also erluhlit zu lesen, enlluctet 72^2 (das
c rührt von einem corrector her, der auch anderwärts et = ht
gebraucht), Intlule 87,4, — durnutigen 67 14, durnahtig 98 14,
durchnahtige 103 29, — trusazze 43 23, ^^«^ 120^ neben braht
522 HAYNER
99 27- Merkwürdig- ist die Umstellung* des h iu hhrate 99-21
und 103,8.
4. Abfall des h im iiuslaut. AG § 236: 'Lehn eich für
die behandhing des auslautenden h ist der nicht seltene ab-
fall desselben, der den gegensatz zu der gleichzeitigen Ver-
schärfung in ch bildet. Er blüht seit ende des 12. jahrh.'
heval 102.20 sowie widerholt dur neben durch und durc.
5. Ob , wie Bech a. a. o. s. ;i6 1 will , h in fällen wie
sirlhte 6,,;, ihle 1^2,5, umhc ir sillicn 4i.j, rulli IH,,;, ahintroth
87,9, wahtlich 113,3, glisaht 114^ als dehnungszeichen
verwant sein soll, muss sehr zweifelhaft bleiben; denn abge-
sehen davon , dass es sicli meist um th oder umgestellt ht
handelt, haben wir jenes 'scheinbar müssige' li auch in stin-
chintehn I24, prinhgen 6^4, bhrale 99 2,, geburhtc 77,,, mit
disen tvorhten 79,,,, ire worth 78 30 u.a.m., welcherlei erschei-
nungen sich wol nicht gut von einander trennen lassen. Sie
gehen auf Unsicherheit des Schreibers im gebrauch des li , th
und ht zurück.
Zum schluss führe ich noch ein echt alemannisches kenn-
zeichen aus der flexion an, nämlich die nasalierung der 2. pl.
des verbs unter Wegfall des auslautenden /. Weinhold sagt
darüber AG § 842: 'Ungemein beliebt ist im alemannischen
die nasalierte form ent. — Neben diesem enl findet sich seit
dem 13. jahrh. als endung der 2. pl. cn. — Für bloss elsässisch
darf dieses -en nicht erklärt werden, wenn es auch in elsässi-
schen Schriften besonders häufig vorkonmit.' Vgl. dagegen
BG § 284: 'Die alemannisch beliebte nasalierte endung cnt ist
bairisch selten — die endung en ist mir bairisch nicht
begegnet.'
/;• rvurdmt 11 9, 7iu virnemint 32 neben )iu gel zuo 5, nu
singet g, — ir da buewent 44,5 neben tut ,6, — nu vernement
45 13, gent 463 neben get 4, — mugin ir erchennen 11 2:n ^^
sulint irchennen 7630, /;* sulin bechennen -^^ , ir sulin rviezzen^i,
— nu vernemment 89,2, 145,j u. a. m.
Fassen wir demnach das endergebnis zusammen, so haben
wir trotz der einzelnen abweichungen nichts gefunden was
sich nicht aus dem alemannischen erklären Hesse, wol aber
vieles was dem bairischen gänzlich fremd ist. Auch das gegen-
seitige Verhältnis von iu, ü, eu führt nicht, wie Scherer wollte,
DAS ST. TRUDPERTER HOHE LIED. 523
auf Baievu zurück , wie denn überhaupt nichts mit notwendig-
keit auf eine fremde vorläge für unser dcnkmal hinweist.
Wir können also auch den dialect als vollgültigen beweis in
der reihe der übrigen gelten lassen und daraus auf Ale mann ien
als heimat schliesseu. Alle andern spuren aber deuten auf
ein Benedictinerklostcr, bez. iSt. Triidpert, und nicht auf Hohen-
burg oder Bergen. Wir haben also keine Ursache von dem
oben aus äusseren gründen gewählten namen St. Trudperter
hohes lied abzugehen, müssen ihn vielmehr auch aus innern
gründen als ebenso zutreftend wie hinreichend ansehen.
lieber die vom verf. benutzten commentare und sonstigen
quellen werden wir in einem zweiten teile handeln.
LEIPZIG, den 2. October 1876.
T. HAYNEß.
UEBER DIE QUELLEN LAYAMONS.
Ivegel sagt in seinem sehr interessanten aufsatze über
'die alliteration in La^amon'^) in bezug auf Madden und
dessen ausgäbe -) dieses dichters unter anderem : Ueber
die lieimat des anglisclien dichters und über den localen
Charakter der von ihm gebrauchten mundart (Nord-Worcester-
shire), über die wahrscheinliche abfassung der dichtung um
1205, über ihre vielfachen materiellen abweiclningen von dem
französischen vorbilde und über ihr ganzes selbständiges Ver-
hältnis zu ihren quellen hat der gelehrte herausgeber (Madden)
sich in seiner voi-rede so grüHdlich und überzeugend ausge-
sprochen, dass uns über alle diei^e interessanten fragen kaum
irgend etwas hinzuzufügen bleibt. 3)
Es ist dies das allgemeine urteil über Maddens arbeit und
ich bin weit davon entfernt, nicht damit übereinstimmen zu
wollen. Eine vergleichung eines Stückes des Maddenschen
textes mit dem originale zeigte mir, dass diese ausgäbe eine
der Vv^euigen ist, welche, vor gründung der Early English l'ext
Society in England erschienen, kleine versehen ausgenommen,
durchaus zuverlässig sind. Die einleitung jedoch s'iheiut mir,
trotz ihrer griindlichkeit:, stellenweise nicht nur neue Unter-
suchungen zu gestatten, sondern sogar ihrer zu bedürfen. Be-
sonders möchte dies von der frage über die quellen Lagamons
gelten. Es ist daher der zweck dieses aufsatzes, nachzu-
forschen, was sich über die vorgeblichen und wirklichen quellen
des dichters feststellen lässt.
') Regel bei Bartsch, Grermanistische Studien, 1. bd.
-) Lagamons Brut or Chronicle of Britaiii, ed. by Sir Frederic
Madden. London 1847. 3 bde.
3) Regel a. a. o. p. 172.
QUELLEN LATMONS.
525
La^amon (Laweraau) herichtet in der einleitung: es sei
ihm in den sinn gekommen, eine geschichte Britanniens von
den ältesten Zeiten an zu schreiben. Um nun die notwendigen
Schriften zur ausfithrung dieses planes sich zu verschaffen,
habe er grosse reisen unternommen:
Lajamon gon liÖen
wide joncl J^as leocle
and biwon j^a ?eÖela boc,
]7a he to bisne nom.')
Als crgebnis seinei- Wanderung führt nachher L. drei biieher
an, die er aufgefunden und zu seiner dichtung benutzt habe.
Ich lasse hier beide texte Lagamons folgen:
A.
He nom ]nx Englisca boc,
]ni makede seint Beda.
An oj^er he nom on Latin,
1^0 makede seinte Albin
and ]:'e feire Austin,
l^e fuUuht broute hider in.
Boc he nom ]?e |?ridde,
leide j^er amidden,
l^a makede a Frenchis clerc,
Wace wes ihoteu,
]?e wel con^^e writen, ....
and he hoe gef J?are setielen
Aelienor, ])e wes Henries qxiene,
l^es heges kinges.
Lajamon leide ]^eos boc
and ]?a ieaf wende,
he heom leofliche lähcold;
li]7e him beo drihten.
Feigeren he nom mid fingren
and fiede on boc feile;
and \>a, so|7e word
sctte to gadere
and l'-a Jn-e boc
[n-umde to are.
Eine vcrglcichung der hss. beweist, dass B an dieser stelle
offenljar in Unordnung geriet, da dieselbe gar nicht die haui)t-
quelle, Wace, erwähnt. Für unsere Untersuchung müssen wir
uns daher an die worte von A halten.
B.
and nom j'e Englisse boc,
j^at makede seint Bede.
ano|?er lie nom of Latin,
]?at makede seint Albin.
boc he nom {^an ):'ridde
an leide piw amidde,
l'at makede Austin,
]7at foUoft brofte hider in.
Laweman {^es bokes bieolde
an pG leues tornde,
he ham loueliclic bihelde,
fulste god ]:>e mi|?tie.
fc]7ere he nom mid fingres
and wrot mid his honde;
and ])e so)?e word
sette to gedere
and ]?aue hilke boc
tock US to bisne.
0 p. 2 und 3.
526 WUELCKER
Madden sagt iiber die zwei ersten ({iielleu (pag. XI) : The
first (»f the aiithoritiei;! heie iiieiitioiied is generally uiiderstood
tu be the Aiiglo-Haxon trauslation of Jicde's Ecclesiastieal
History, attiibuted to Alfred; but so üir from niaking it form
ai) integral portion of bis own pocni, or cvcn occupy a pro-
minent place in it, bc scenis to bavc takcn notbing from it
except the story of Pope Gregory and the Anglo-Saxon captives
at Rome. Indeed in sevei-al instanecs he is quite at variance
witb Bede, cven when not traiislating from Wace. The second
work, aseribed to St. Albin and Austin, is more diflicult to
identify, nor is it casy to uuderstand bow St. Austin, who died
in tbc year ülM, and Albiniis, Abbot of St. Austiu's at Caiiter-
l)ury, wlio died in 732, sbould be conjoined in the same work.
All that is recorded of the literary undertakings of Albimis —
vir per omuia doctissimus, as he is styled by Bede — is the
large share be had in contributing materials for the Historia
Ecclesiastica Gentis Auglorum. Either tberefore by some men-
tal confusion La^amon has made two persons out of one, or
wbat is more probable, — bc has not distinguished betvveen
the contributor and tbe writer, and having first erroueously
given tbe Anglo-Saxon version of the work to Bede, he pro-
ceeds next to assigu to Albinus and Austin (whose Interroga-
tories inserted in the first book seem to favor this notion) the
Latin text of the Ecclesiastieal History . If this supposition be
correct, (and errors of equal magnitude committed l)y Laga-
mou are pointed out in the Notes) we are simply to under-
stand, that tbe first two books procured by bim, to write the
history he contcmplatcd, were copies of the Latin and Auglo-
Saxon texts of Bede.
Madden begebt bei dieser ausführung ein versehen. Er
fragt nur: 'welche quellen bat Lagamon wirklich benutzt?'
Wenn aber ein mittelalterlicher schriftsteiler seine quellen
angibt, ist zuerst zu erörtern, so befremdlich dies auch einem
laien klingen mag, welche quellen kann der dichter als
zu gründe gelegt vorgeben? Eine davon getrennte Unter-
suchung ist alsdann, welche er wirklich benutzt bat.
Zunächst sei die angäbe La^. über seine quellen Albinus
und den bekehrer Englands, Augustiu, näher betrachtet, be
QUELLEN LAYAMONS. 527
sonders auch, was Madden ganz unerörtert lässt, warum ilüien
von L. gerade ein lateinischer text ziigescliiieben wird,
Dass unter dem Engl isca boc j^a makede sei utile da
die angelsächsisclic Übersetzung, welche könig AcHVed ver-
fasste, zu verstehen sei, ist, wie schon Madden annahm, nicht
zu bezweifeln. Das nächstliegende ist alsdann in der hiteini-
sclieu quelle das original, den lateinischen text Bcdas zu
suclieu. ^'ergleicht man diesen lat. text ndt der Übersetzung,
so tritt gleich (M. lässt dies ganz unerwähnt) hervor, dass die
ags. Übertragung eine menge auslassungcn zeigt. Von den
140 capiteln Bedas sind H5 entweder vollständig ausgelassen
oder doch stark verstümmelt, gerade der vierte teil des ganzen
ist also vollständig weggelassen oder hehr verkürzt. Vor allem
fehlen bei Aelfred die sämmtlichen dem originale eingefügten
päpstlichen briefe, wol aus einer gewissen scheu, in diesen
wichtigen aktenstücken den Wortlaut nicht genau zu treffen.
Von den allerbedeutendsten gibt er, in ein paar zeilen, den
hauptinhalt an. Jeder gewissenhafte schriftstelle i- muste daher
neben dem angelsächsischen texte auch noch den lateinischen
gebrauchen. Lag. schreibt den ags. text Beda selbst zu. Dies
versehen ist nicht so kopflos, als es auf den ersten blick
scheint. Der Übersetzer Aelfred nennt sich nirgends, dagegen
beginnt der ags. text^): Ic Beda Cristes Öeow and miesse-
preost sende gretan Öone leofastan cyning and halettan Ceol-
wulf and ic |>e sende }net spell ]>xt ic niw^au awrat be Angel-
}?eode and Öeaxum etc. Auch am Schlüsse wird i^eda erwähnt
und des Übersetzers gar nicht gedacht, nicht einmal in einer
sonst recht üblichen bitte, versehen zu verzeihen und für die
seele des Verfassers und Übersetzers zu beten. Ausserdem war
Beda ein Angelsachse; er soll sogar, nach einer weit verbrei-
teten crzählung, an einer üi)ertragung des evangeliums Johanuis
noch auf seinem totenl)ettc gearbeitet haben. Ist es also so
auffallend, wenn Lag. ihm den ags. text zuschreibt? Ganz
') Die citate aus dem lateinischen texte , wie auch aus der ang-cl-
sächsischen ül)ertragung Bedas sind gegeben nach : Historiae eeclesiasti-
cae gcutis Anglorum libri V, a venerabili Beda presbytero scripti etc.,
ab augusfcissiuio veterum Anglo - Saxonum rege Alvredo examinati, ejus-
que paraplu-asi Saxonica eleganter explicati etc. Herausgeg. von Abr.
Wheloc. Cambridge 1643. — Die angeführten stellen stehen p. 1 u. 2,
528 WUELCKER
natiivlicli ist, dass L. geneig-t war, uaclideiu er den agf;*. text
IJeda zugcschoheu hatte, den lateinischen in seinem liaupt-
bestaude andern zuzuteilen, wenn auch JJeda ihn überarbeitete.
Wie aber kommt er gerade auf Albin und Aug-ustin? Madden
erwähnt schon, was jedermann gleich beim durchlesen der vor-
rede ßedas entgegentreten muss, dass Beda des Albinus in
seinei' kirchengeschichte gedenkt, doch betont M. nicht, in
welcher weise dies geschieht. Albinus war, nach Bedas eignem
urteile, nicht nur mitarbeiter, sondern hauptmitarbeiter , ohne
welchen Beda seine kirchengeschichte überhaupt nicht hätte
abfassen können. Es hcisst im lateinischen texte:
Auetor ante omnes atque adjutor opusculi hujus Albinus
abbas, reverendissimus vir per omnia doctissimus extitit. Qui
in ecclesia Cantuariorum a heatae memoriae Theodore archi-
episcopo et Adriano abbate, viris veuerabilibus atque eruditissi-
mis, ius;titutus diligenter omnia, quae in ipsa Cantuariorum pro-
vincia vel etiam in contiguis ejusdem regionibus a discipulis
bcati papae Gregorii gesta fuere, vel monimentis literarum vel
seuiorum traditione cognoverat, ea mihi de his, quae memoria
digna videbantur, per religiosum Londinensis ecclesiae presby-
terum Notheiraum, sive literis maudata sive ipsius Nothelmi
Viva voce refereuda, transmisit. — Zum Schlüsse sagt Beda:
Denique hortatu precipue Albiui, ut hoc opus aggredi auderem,
provocatus sum. Noch stärker ist das lob Albins im ags.
texte: Ic cyÖe hwanan nie }?as spell coman: terest rae \v^es
fultumiend and lareo^v se arwur]>a abbad Albinus, se wjes
wide ^efaren and gelsered and wa3s betst gelsered on Angel-
cynne. Ferner heisst es: SwyÖe fela hi (nämlich Albin durch
Nothelm) me ssedon fram gehwylcum biscopum and hwylcum
cyninga tidum East Seaxe and West Seaxe and East Eugle
and NovÖan Humbre ])xyg gife oufengon Cristes geleafan;
|>urh Albinus swiÖost ic geÖristlsehte , l^set ic dorste pis weorc
ongynnan.
Au» diesen stellen geht hervor, dass man Albinus eben
so gut als Beda Verfasser der kirchengeschichte nennen darf.
Aber auch, warum Lag. Albinus gerade den lateinischen
text zuschreibt, darüber findet sich auskunft in der vorrede
zum lateinischen originale (das Ags. lässt aus leicht begreif-
lichen gründen diese stelle weg): Qui videlicet Notheimus
QUELLEN LAYAMONS. 529
postea Romam veuieiis, nomiullas ibi beati Gvegorii papae
,simul et aliorum poutificuui epistolas, perserutato ejiisdem
saiictae ecclesiae Ronianae scriino, permissu ejus, qui nunc
ipsi ecclesiae praeest, Gregorii pontificis, invenit. Reversusque
nobis nostrae historiae iusereudas cum consilio praefati Albaiii,
revereudissimi patris, attulit.
Diese bviefe finden sich , wie sclion aDgege])eu , nur im
lateinischen texte, Al])iu Hess dieselben durch Nothelm in Rom
anfertigen und überschickte sie alsdann Beda, La^. kann also
mit gutem rechte diesen teil des lateinischen werkes von
Albin verfasst nennen.
Zu erörtern bleibt noch, weshalb der dichter den jüngeren
AJbinus vor Augustin nennt. Zunächst vvol, weil Beda Albins
Verdienste so sehr hervorhebt, dann aber auch auf grund der
ags. vorrede. Der lateinische text fahrt fort, nachdem er er-
zählt hat, dass Beda abschrifteu von römischen Urkunden durch
Albin und Nothelm erlangt habe (vgl oben): A principio ita-
que voluminis hujus usque ad tempus, quo gens Auglorum
fidem Christi percepit, ex priorum maxime scriptis hinc iiide
collectis ea, quae promemus, didicimus. Exinde autem usque
ad tempora praesentia, quae in ecclesia Gautuariorum per
discipulos beati Gregorii papae sive successorcs eorum, vel
sub quibus regibus gesta sint, memorati abbatis, Albiui indu-
stria, Nothelmo, ut diximus, proferente cognovimus: qui etiani
})rovincia orientalium Saxonum simul et occidentalium, necnon
et orientalium Anglorum atque Nordan Hymbrorum, a quibus
])ref^ulibus vel quorum tempore regum gratiam cvangelii })er-
ceperint, nonnulla mihi ex parte prodiderunt. — Aelfred aber
überträgt dies: fram fruman fnssa boca oö ba tid, pe Anjcl-
cyn Cristes jeleafau onfeng, of ealdra manna sicgeuum (»(Ü |>as
andweardan tid swytiost we jeleornodon , fnet we her writacü,
and of leorningcnihtum ]nes eadijan papnn sce Grcgorius
under hwilcum cyninge ]>;et Öonne geworden waes, J>urh Albin us
myn^un^e, pses abbudes, Öurh No?Jelmes airendo and gesjcgene.
Swybe fela hi me sa3don fram g:ehwylcum biscopum and hwyl-
cum cynin;^a tidum Eastseaxe and Westseaxc and Easiengle
and NorbanhumbiC j-'ierc gife onfen^on Cristes ^eleafan.
Aelfred wirft die im lateinischen texte scharf geschiedenen
zwei abteilungen (A principio voluminis — ad tempus (pio . . .
530 WUKLCKER
percopit und: exinde iisque ad tcmpora praesentia) zusammen
und i;'il)t zu verstehen, dass dies mateiial von anfaug des 1>uclies
bis zur bclcchiung- und bis zur zeit ßedas sowol aus den
Schriften der frühem kirchenväter, als auch durch Albins für-
sorgo herl)eii;e])racht worden sei. Ferner verschaffte Albin die
darstclhmg der taufe anderer ags. stumme, welche Augusliu
nicht selbst bekehrte, die aber zicndicli zur selben zeit mit den
Kentern Christen wurden. — Auch aus diesen gründen war
La^. bereclitigt. Albin vor Augustin zu nennen.
Endlich, wenn man den ags. text mit dem original zu-
sammen hält, so finden sich im Latein viele stücke vor der
bekehrung der Angelsachsen durch Augustin , die dem Ags.
fehlen, welche also, nach La^. meinung, Albin, nicht
Beda verfasst hat (z. b. lib. I, cap. 9, 10, 17 — 22 incl., also
der ganze Pelagianische streit). Aus dem gesagten ist da-
her leicht zu verstehen, warum La^. Albiuus dem Augustin
voranstellt.
Dann aber mit cap. 23 tritt Augustin in den Vordergrund.
Cap. 23 im I. buche erzählt die Vorbereitungen des papstes
Gregor zur scndung Augustins und die bekehrung des königs
Ae}>clbyrht nel)st der ausbreitung des Christentums in England.
Besonders wichtig ist cap. 27, worin die neun fragen, welche
Augustin an papst Gregor stellte, enthalten sind. Dieses ca-
pitel übersetzte auch Aelfred. Andere capitel aber, die eng
mit der bekehrung Augustins zusammenhängen, stehen nur im
Latein, z. b. 24, 28, 30, 31. Diese enthalten briete des papstes
wegen Augustin oder schreiben anderer an den papst aus der
zeit der bekehrung. Sie fehlen alle im ags. texte, daher nennt
Lag. den apostel Englands als mitverfasser des Latin hoc.
Das einzige bedenken, ob Lag. wirklich den von Beda er-
wälmten Albinus meinte, wäre etwa noch der umstand, dass
Lag. seinen gewährsmann als sein tc Albin bezeichnet. Allein
auch Augustin, der bekehrer Englands, wird in ags. litaneien
San et genannt und Wace führt ihn als saint Austin auf;
Aelfied gibt ihm vorsichtiger weise nur das beiwort arwur)>a
= venerabilis, reverendissimus. Augustin kam nur der titel
beatus oder Ijeatus pater zu. Aldhelni jedoch und andere, die
niemals canonisiert wurden, trifft man ebenfalls in ags. Uta-
QUELLEN LAYAMONS. 531
neien und Schriften als sancti an. i) Es wurde also damals
uiclit so streng mit dieser bezeichnung genoiunien und Lus.
konnte aucli den reverendissi mus (arwur|^a) Albinus den
seinte Albin beissen.
Ist nun durch das bisherige festgestellt, Vvie La^. dazu
kam, Beda zum Verfasser des Engl isca boc zumachen, Albin
und Angustin aber das Latin boc zuzuschreiben, so ist zu er-
örtern, wie weit Laj. den lateinischen und ags. Beda wirklich
benutzt hat.
Der ags. Beda weist nur ein capitel mehr auf, als das
original, und auch dieses wurde wol erst später beigefügt"-):
es ist dies eiuschiebsel eine genealogic der ags. könige, für
La^. also unwichtig. Die meisten stellen, welche nur im La-
teinischen anzutreffen sind, entlialten briefe vom papstc an
bischöfe oder von geistlichen an den papst. Ferner wird im
Ags. II, 1 ein stttck aus dem leben Gregors weggelassen ; III,
4 des Originals behandelt, wann und wie die Bieten Christen
wurden; III, 25. 26 über das paschafest und die synode,
welche stattfand, eine einigung in diesem punkte zu erzielen;
lY, 14 wunder durch Oswald; IV, 20 enthält einen hymnus
Virginitatis; V, 16, wie die Schotten sich zur osterfrage stell-
ten; V, 17. 18 auszüge aus dem werke Adamnaus. Alle diese
stucke waren teils für La^. durchaus gleichgültig, teils finden
sie sich bei G. v. Monmouth und bei Wace. Geschichtlich
wichtig ist die entwicklung und beendung der Pelagianischen
häresie, welche im I. buche des lateinischen Beda beschrieben
wird, bei Aelfred fehlen diese capitel. Jedoch Gotfried v. Mon-
mouth spricht auch darüber IIb. VI, cap. 13. Allein er hat die
Sache schon etwas geändert: bei ihm kommen Germanus und
Lupus, l)es. um das durch die Angelsachsen bedrohte Christen-
tum wider herzustellen, in zweiter linie auch den Pelagianis-
mus zu vertreiben: Corrupta uamque fuerat eorum (Britonum)
Christianitas, tum propter paganos, quos rex in societatem
eorum posuerat, tum propter Pelagianam haeresim, cujus vene-
') Vgl. ■/.. }). Caedmons des Augeisachsen biblische dichtungcn.
Herausg. von iv. \V. Boutcrwek. Gütersloh 1854, p. CXXIU anm. 2.
^) Vgl. Lappenberg, geschichte von England bd. L Humburg
1834 p. XLV unten.
532 WUELCKER
imiii ipsos miiltis diebiis aflcccvut. — AVacc wendet dies anders:
Vortiiiicr Hess, naclideni er die Sach^^en besiegt Latte, die zer-
störten kiiclicn wider aufbauen und da kamen auch Germaiiis
und Lons, um das (durch die Ags.?) gesunkene cliristentum
auf bei'ehl des papstcs Romains wider herzustellen. So erzählt
denn auch La^amon die geschichte. Es bietet sich uns also
kein anhaltspuukt, festzustellen, ob La^. mehr den ags. oder
melir den lateinischen text vor äugen hatte. Lässt sieh nun
ül)erhaupt erweisen, dass La^. Beda, sei es nun der lateinische
oder der ags., neben Wace benutzte?
Madden sagt p. XI: Tlie tirst of the authorities here men-
tioncd is geuerally understood to be the Anglo-Saxon trans-
latiou of Bedes Eeclesiastical History, attributed to Alfred; but
so far from niaking it form an integral portiou of bis owu
poeni, or even occupy a prominent place in it, he seems to
havc taken nothing from it except the story of pope Gregory
and the Anglo-Saxon captives at Rome (vol. III, p. 100).
Indeed in several iustanees he is quite at variance with Bede,
even when not translatiug from Wace. — Äladdeu siebt also
in der angeführten erzählung den einzigen beweis, dass Beda
vom dicliter ])ei ausarbeitung seines Werkes gebraucht wurde.
Aber auch dieser beweis scheint auf recht schwachen fassen
zu stehen ! Zunächst war diese erzählung gewis gerade eine
sehr ver])reitete , so dass ein geistlicher in England sie sicher-
lich hören konnte, auch ohne selbst Beda zu lesen. Nur falls
sich ganz enger anschluss La^amons an Beda verrät, dürfen
wir daher annehmen, dass Lag. direct aus Beda schöpfte.
Madden aber übersah, dass Lagamons erzählung sehr ab-
weicht!
Beda berichtet (die ags. Übertragung sehliesst sich hier
au): lib. II, 1. Nee silentio praetereunda opinio, quae de beato
Gregorio traditione majorum, ad nos usque perlata est. qua
videlicet ex causa admonitus tam sedulam erga salutem üostrae
genlis curam gcsserit. Dicuut, quia die quadaiu cum, advenien-
tibuH uuj)or mercatoribus, niulta venalia in forum fuissent col-
lata, nndti ad emendum confluxissent, et ipsum Gregorium
inter alios advenisse, ac vidisse iuter alia jiueros venales po-
sitos, candidi corporis ac venusti vultus, caj)illorum quoque
fornui egregia. Quos cum aspiceret, interrogavit, ut aiunt, de
QUELLEN LAYAMONS. 533
qua regione vel terra essent allati: dictumque est, quod de
BritaDuia insula, cujus iucolae tales essent aspectu. Kursus
iuterrogavit, utrum iidem iusulani cliristiani an paganis adhue
erroribus essent implieati. Dictumque est, quod essent pagani.
At ille intinio ex corde longa trahens suspiria: Heu proh
dolor! iuquit, quod tarn lucidi vultus homiues tenebrarum
auctor possidet, tautaque gratia frontis eouspicui meutern ab
interna gratia vacuam gestat Kursus ergo iuterrogavit, quod
esset vocabulum gentis illius. Responsum est, quod Angli
vocareutur. At ille: beue, inquit, nam et angelicam habent
faciem et tales angelorum in coelis decet esse cohaeredes.
Quod, ait, habet nomen ipsa provincia, de qua isti sunt allati ?
Responsum est, quod Deiri vocareutur iidem provinciales. At
ille : bene, inquit, Deiri, de ira eruti et ad misericordiam Christi
vocati. Rex provinciae illius quomodo vocatur? Responsum
est, quod Elle (Aelle) dieeretur. At ille, alludens ad nomen,
ait : Alleluia, laudem dei creatoris illis in partibus oportet can-
tari. Accedensque ad pontificem Romanae et apostolicae se-
dis, nondum enim erat ipse pontifex factus, rogavit, ut
genti Anglorum in Britanniam aliquos verbi ministros, per quos
ad Christum converteretur , mitteret; seipsum paratum esse in
hoc opus Domino cooperante perficiendum, si tarnen apostolico
papae, hoc ut fieret, placeret. Quod dum perficere non posset,
quia etsi pontifex concedere illi, quod petierat, voluit, non tamen
cives Romani ut tam longe ab urbe secederet, potuere permit-
tere. Mox ut ipse pontifieatus officio functus est, perfecit opus
diu desideratum. Alios quidem praedicatores mittens, sed ipse
praedicationem ut fructificaret, suis exhortationibus ac precibus
adjuvans.
Lagamon dichtet dagegen (v. 29445 ff.):
\>a, wes inne Rome ]?a isah he leden
a pape of godes dorne : of Engliscc leoden
Gregori wea ihate, pveo s\vic5e fa;ire man
godd seolf hine lufede. faste ibunden.
]7a wes hit iu ane stunden, heo scolden beon iseolde
|jat l^e pape wolde wenden, and )?a panejes weoren italde.
|?at he wolde . . . l'a fVa^incda ]ni pape an an
an ane of his neoden. of feigere [»an mounen,
]?a com he in are strete, whonnene heo weoren
]'at strahtc to Rome, and hu heo j^are comen,
Beiträge zur geBobichte der deuUoben spräche. Hl. 35
534
VV^UELCKER
;iiul of wulclie stronde
heo istreoned wcoren.
j'je andawarede |'e an,
)>at WCS a switic fair mon :
'We beoÖ heiiene uien
and hidcr bcotS iladdc
and we weoren ut isaldo
of Anglene londe;
and fullnht we to ]'e jeorueÖ,
gef ]'ii US wult ifreoijen.'
]'a seiden men Anglisce,
at5ele ibornne.
)?a reousede Gregori,
godd hine luuede,
and Jjas andsware saide,
]fe pape was isele,
' Iwis je beod Aenglisce,
englen ilicchest
of alle l'an folke,
|>a wnuiet» uppen iiolde.
eouwer ciin is feierest
of alle quike monnen.'
j'e pape heom IVeinede
of feole tidinde,
of lajen and of londen
and of ]Mssere leodene kinge,
and heo liiui al seiden
so(5 l'at heo wusfen.
And he heom ureoijen lette
and fulluht on sette
and charde ajein sone
eft into Roiue.
anne cardinal cleopede
icoren of his uolke,
Austin wes ihotaen,
ai5ele3t claerken,
]'e pape bim seide
in his som rune:
'Austin, ]?u scalt wende
mid soöfffiste J^onke
in to Englelonde
to AeÖelberte kinge
aud beode ]?ei' godes godd-spel
etc.
Die verschiedeulieit der worte Lagamons von deujeuigen
Bedas ist recht bedeutend. Vor allem lässt L. die ganze er-
zäblung erst da sich zutragen, als Gregor bereits papst war
und berichtet alsdann, dass Augustin sofort nach England ge-
sendet worden sei. Der ort, wo Gregor die gefangenen trifft,
wird anders beschrieben, auch werden bei Beda nicht die ge-
fangenen selbst befragt, antworten daher auch nicht selbst.
Ebenso nennt Beda keine zahl der gefangenen, Lagamon da-
gegen |>reo. Aber auch die fragen selbst, die Gregor tut und
die antworten, welche er erhält, verraten keine genauere kennt-
nis Bedas von des dichters seite. Es forscht Gregor nur nach
der gefangenen heimat und knüi)ft daran sein Wortspiel von
Anglene lond und englen an. Die zwei andern Wortspiele
fehlen und es heisst einfach: Gregor habe noch nach vielem
andern geforscht. — Auf diese erzählung allein hin La^amons
benutzung des Beda als sicher stehend anzunehmen, ist
etwas kühn!
An zwei stellen könnte man vielleicht noch an Beda
denken. La^. II, 2 wird der tod des Lucius erwähnt und es
heisst von dessen todesjahre:
QUELLEN LAYAMONS. 535
l^a wes ]>e weorlde swa uorÖ iuaren,
seot5Öen ure drihte wes iboren,
an hundred gere and sixti.
Gottfried von Monmouth nennt 156 als todesjalir (V, 1), Wace
in dem gediuekten texte 156, in andern bss. 151, 150. Die
ags. clironik gibt 167 als jabr, wo Lucius sieb taufen lies,«,
an; Beda 156 als zeit der bekebrung. Mau könnte glauben,
dass aueb La^. mit Beda 156 als jabr, avo Britannien cbrist-
lieb wurde, festsetzte. Docb dagegen spi-icbt II, 1 die angäbe,
Luees babe lange (docb wol nacb der bekebrung) gelebt, näm-
lieb 42 jabre. Mit Beda stimmt L. bier also docb nicbt iiber-
ein. — Ferner bezeicbnet La^. Oswald als Edwin es ma^i
III, 260 und ebenda 257 nennt er ibu of Edwines cuune.
Ct. V. Monmoutb überliefert uns nur, dass Oswald könig wurde.
(XII, 10). Wace sagt II, 281: Osgal . . . Un noble rois de
balt parage Ot le raine par beritage. Allein gerade aus
diesen worten konnte Laj. scbliesseu, dass Oswald ein ver-
wanter Edwines war. Näberes über die verwantsebaft gibt
La^. ja aueb nicbt, wäbrend wir im lat. Beda lesen (III, 6):
Erat autem (Oswaldus) nepos Edwiui regis ex sorore Acba,
und im Ags.: waes be Oswald Eadwiues nefa J>äis a3|>elan cy-
ninges, bis sweoster sunu.
Sonst begegnete mir keine stelle, die zwingt zu glauben,
dass Lag. Beda wirklieb benutzte. Erzäbluugen , welebe aus
der Historia Ecclesiastica in das werk des Gr. v. Monmoutb
übei'gingen und von da durcb Wace von Lag. aufgenommen
wurden, bleiben natürlicb aus unserer betracbtung.
Andere gescbicbten dagegen widersprecben, ob-
gleich sie Lag. nicbt aus Wace nalim, geradezu Beda.
Madden fülirte scbon ein beispiel au : die darstellung vom tode
Oswys und Pcndas (III, 276 und note dazu), man vgl. dazu
Wace II, 288 ff.; G. v. Monm. XII, 13, eudlicb Beda III, 24
und IV, 5. Docb lassen sieb nocb eine reibe solcher stellen
aufbringen.
Lag. I, 412 behauptet, Vespasian sei erst nach Claudius
tode gegen Arviragus geschickt worden, dagegen Wace I, 242
tf., G. V. Monm. IV, 16, Beda 1, 3 (ab eodem Claudio ....
Vespasianus in Britanuiam missus). Allein hier mag vielleicht
die ganze abänderuug Lagamons nur auf einem misversteben
35*
530 WUELCKER
des V. 5220 in Waee herstammen: Quant ales en fu Claudius
L'cmpire tint Arviragus, wo die auf angsw orte, das ales Lag;.
für eine unisclireibunn' von sterben halten mochte.
Laj. III, 197 fl". Aeluric (bei Beda: AedelfVith) mordet mönche,
besonders viele aus dem kloster Bangor. Dagegen Waee II,
257 II'.; G. V. Monm. XI, 13 und Beda II, 2. In all diesen
quellen ist der hergang anders erzählt. Lag. berichtet ihn am
ungünstigsten für die Angelsachsen, daher darf man wol an-
nehmen, dass er hier keltischen darstellungen folgte.
Lag. III, 261 ß'. Die kreuzesschlacht Oswalds und der
tod dieses königs durch verrat des Penda. Beda III, 2 und
III, 9; G. v. Monm. XII, 10; Waee II, 281 und 283. — Nen-
nius § 65 weist auf die darstellungsweise Lagamons hin:
Penda . . . sanctum Oswaldum regem Nordorum occidit per
dolum. Ipse fecit bellum Cocboy, in quo cecidit Eona, filius
Pippa, frater ejus, rex Merciorum, et Oswald, rex Nordorum,
et ipse Victor fuit per diabolicani artem. Es mag sich wol
in der legende allmälich der Charakter des mörders von Os-
wald verschlechtert haben.
Lag. III, 277 ö". tod des königs CadwaÖlan. Waee II,
289; G. V. Monm. XII, 13; Beda III, 1.
Die angeführten beispiele mögen genügen. Sie beweisen
hinlänglich, dass der ags. und lateinische Beda, wenn auch
Lag, bekannt, nicht wirklich seiner erzähluug zu gründe liegen,
und dass Lag. sie nur als quellen anführt, wie es im mittel-
alter sitte war, bücher, welche man hätte benutzen können
und sollen, als wirklich benutzt aufzuzählen. Genauer sah
sich Lag. nur die vorreden an.i)
') Erwähnt sei noch, dass manche von den randbemerkungen aus
dem lateinischen Beda genommen sind. Ganz sicher ist dies von der-
jenigen III, 183 der fall, sie lautet: , , . quingesimo ... ii** Mau ....
e Xlllio an iii quinqua tus ab Augus .... isit seruus
um et alios pl onacos predi gliam an tuC
Anglorum . . . . n circiter ol'. — Statt Mau liest Madden Mail, doch
offenbar ist es die angäbe Beda l, 23: anno ab incaruatione domini
quingentesimo octogesimo secuudo Mauritius ab Augusto quiuqua-
gesimus quartus imperium suscipiens uuo et vigiuti annis tenuit
etc. Auch sonst sind öfters die lateinischen randbemerkungen aus
Beda. Jedoch alle diese rühren nicht von L.s hand her, sind also für
uns ohne bedeutung.
QUELLEN LAYAMONS. 537
Die dritte quelle, welche La^amon anfuhrt, ist Waces
Brut. Schon die art, wie er davon spricht, zeigt, dass dieses
w^rk seinen hauptgewührsmaun abgab.
Boc he noin pe fn-idde,
leide ]:'er amid den,
j?a makede a Frenchis clerc,
Wace wes ihoten.
Das buch , welches man am meisten gebrauchen will , wird
mau gerade vor sich hin legen, die andern, in welche man
nur gelegentlich einsieht, zur seite. Sieht man l^agamons
werk durch, so zeigt sich auch sofort, wie die haupterzählung
auf Wace ruht. — • Zuerst sei noch eine frage erledigt. La^.
hat, wie wir sahen, einige, wenn auch vielleicht nicht sehr
tiefe kenntnis des Latein, benutzte er daher vielleicht neben
Wace auch Gottfried v. Monmouth ?
Wace hat eine reihe von Zusätzen, die sich bei G. v. Monm.
nicht finden, aber bei Lag;, stehen.
Wace I, p. 3G ft". Brut trifft an den säulen des Hercules
Sirenen. Allerdings werden diese ungeheuer auch bei G. v. M.
I, 12 erwähnt, allein Wace knüpft eine beschreibung derselben
an, ebenso Lag. I, 56 K Zur probe, wie Lag. seiner vorläge
folgt, mögen die betreffenden Zeilen hier platz finden:
G. V. Monm.: Eefertis vero navibus petierunt columnas
Herculis: ubi apparuerunt eis monstra maris, Sirenes vocata,
quae ambiendo naves fere ipsas obruerunt. Utcumque tarnen
elapsi, venerunt ad Tyrrhenum aequor.
Wace. Lagamou.
Öigle ont et passe inult pres ]?a comen heo to j^an bunnen,
Des bornos que fist Hercules, ]?a Hercules makede
Une colombe qu'il fica^ inid muchelen bis strengöe.
Ce fu uns signes qu'il mostra j^at weorcn postles longe,
Que de si la avoit conquis of marnion stanc strenge,
Ou il avoit ces pilers mis. ]>ait taken makede Hfercules:
Les sevaines ont trespassees j^jvt lond, ]?e }>er abuten wes,
Qui lor nes ont mult destorbees; 8\vi(5e brod and swiöe long,
öeraines sont monstre de mer, al hit stond an his hond.
Des eies poent femes Sambier. Ipev heo funden pQ merminnen,
Poisson sunt del nombril aval. j;aet beoÖ deor of muchele ginnen,
As mailniers ont fait maint mal; witmen hit jmnchet fuliwis,
Vers ocident en la mer hantent. liineoÖe J^on gurdle hit ]ninchet5 fisc.
Dolces vois out, dolcement chantent, l'eos habbeÖ swa murie song;
Par lor dols cans les fols ataignent ne beo pa dai na swa long.
538
WUELCKER
Et a decoivie les assaicnt.
Li t'ol lioiiie qui le cant oent,
Par la dolcor dol caiit s'esjoent,
Lor voie ohlicnt et gucrpissent
Et se partans, iic s'en vertissent.
Tant les ibnt par mer folier,
Que sovent les fönt periller,
Ou al mains lor droit oire perdent,
Par mainte fois as nes s'aerdent
Et tant les tienent et demorent
Que as roces el peril corent.
Mult funt a crendre les seraines,
Car de felouies sunt plaines;
Ne puet nus d'eles escaper
Qui mult ne s'en set Wen garder.
Figure porte de diable,
La qui oevre est si delitable
Et tant soef a maintenir
Qu'a paine s'en puet l'on tenir;
Et eil qui a s'oevre s'aert
Sa droite voie et son cors pert,
Si come eil va malement
Qui as seraines trop entent.
Li Troyen les apareurent,
Lor cant oirent, sis connurent;
Oi en avoient parier,
Si nes valrent mie escoter :
A lor nes entor s'aeerdoient,
A bien pres noier nes feisoient.
A graut paine s'en escaperent
Et joste Espagne trespasserent.
Wace I, 178 ff. hat W. wider einen zusatz. G. v. Monm. gibt
an (III, 19), könig Blegabred sei so musikkuudig gewesen,
dass er eine menge instrumente gespielt habe. Wace, damit
nicht zufrieden, zählt die A'erschiedenen instrumente auf. Eben-
so verfährt Lag. I, 298.
Wace I, 231 ff. Wace lässt auf die bemerkung, Christus
wäre damals geboren worden, eine Weissagung Thaliesins, den
erlöser betreffend, folgen. G. v. Monm. IV, 11 hat nichts der-
gleichen. Lag. dagegen I, 386 ff. schliesst sich W. an.
Wace II, 242 ff. Bei der belagerung von Cirecestre er-
findet W. die auffuhr ung von belagerungst (innen durch Guer-
mons, ebenso Lag. III, 170 ff. Auch die sehr eigentümliche
kriegslist, wodurch die bürg nach langer vergeblicher belagerung
ne bitJ na man weri,
heora songes to hersen.
Hit is half mon and half fisc :
hit hatcl l'cs wurse takeu fuliwis.
for his Werkes beod swa swete,
)^Tt feolan uien hcom ne magen
Brutus iherde siggen [forlcten.
]?urh his sfcmonnen
of l'an ufele ginnen,
]>G cuÖen )?a mereminnen.
He hihte hondlien kahlen,
teon seiles to toppa,
leten laden pene wind,
liÖeni mid }'an uÖen.
]7a mereminnen hcom to svommen
on alchare sidau.
swiöa heo heom Isetten
mid luÖere heora craften.
NeÖelas Brutus atbra?c
al hüten burstan
and ferde riht ou his wei
his scipen runden swiöe.
A steoresman ham talde wilspel,
])SRt he Spaine isaeih.
QUELLEN LAYAMONS. 539
endlich erobert wird, steht nicht in G. v. Monm. (XI, 8), wol
aber in W. und Lag.
Wace II, 251 ft". Aug-ustin wird bei seinem predigen von
beiden verspottet, darauf berichtet W. ein wunder Augustins.
Lag. hat ebenfalls diese geschichten III, 184. Bei G. v. Älonra.
XI, 12 fehlen sie, wie überhaupt G. über die Wirksamkeit
Augustins sehr rasch hinweg geht.^) Auch finden sich diese
legenden im Brut Tysylio p. 57»».-)
Wace II, 294 ff. G. v. Monm. l)erichtet nichts von Aebel-
stans abstammung, nichts von Ine und dem peterspfennig (XII,
18. 19). Wace sclireibt darüber II, 294 ff. und Lag. folgt ihm
III, 284 ff", üoch nicht nur in Zusätzen, auch in änderungen
und weglassungen zeigt sich Übereinstimmung zwischen Wace
und Lagamon.
Geändert hat W. z. b. II, IIG ff. W. macht Lucius zum
alleinherscher von Rom, z. b. II, 160: Luces uns bers (Tibers?)
les conduisoit Qui de Rome I'empire avoit; p. 195 v. 12859,
p. 216, V. 13365. Lag. folgt Wace z. b. III, p. 89 Luces ]?e
keisere u. s. — G. v. Monm. IX, 15 nennt Lucius procurator,
dessen oberherrn Leo imperator (IX, 11, X, 6), Leo rex XI, 1.
Wenn dann auch X, 1 1 G. v. Monm. wider von Lucius impe-
rator spricht, so hat er doch das Verhältnis desselben zu Leo
ganz klar gestellt: Lucius ist nur feldherr oder unterkönig,
procurator unter Leo.
Ortsangaben werden auch öfters bei W. anders, meist
richtiger gegeben als bei G. v. M. So berichtet G., die von
Artur geschlagenen Sachsen seien von Cador verfolgt und zu-
letzt nach der insel Tanet gedrängt worden, wo sie sich dann
unterwerfen miisten. (IX, 5.) W. lässt die entscheidungs-
schlacht bei Tegneguic, Tignewic, Teinguewic stattfinden (II,
p. 58). Ebenso Lag. II, 483: Teinnewic.
Auch sonst weicht W. häufig in den namen ab und Lag.
') Gottfried von Monnionth stellt Augustin, wie es auch die Kelten
taten, ziemlich ungünstig dar: Er bekehrt die Angelsachsen, dann aber
mischt er sich in angelegenheiten der keltischen Christen ein , offenbar,
wie Gottfried meint, vollkommen unberechtigt.
^) Gottfrieds von Monmouth text gebe ich nach der ausgäbe von
San-Martc. Halle 1854. Ebenso den text des Brut Tysylio.
540 WÜELCKER
folgt ihm. Z. b. Gr. v. M. nennt einen könig Uiidibras (II, 9),
W. (I, 78) bezeichnet ilni als Ruhundibras (= Rei hundibrasV),
La^. schliefst sich \V. an: 1, 11'.» Ruliliudibras. — Der ratgeber
des Claudius heisst bei G. v.M. IV, 12, J3 Levis Hämo. Bei
Wace I, 235 nur Hamon, ebenso bei Lag. 1, 395 Hamuu,
Haumund.
In gemeinschaftlich weggelassenen stellen stimmen eben-
falls W. und L. oft mit einander überein.
G. V. M. I, 17 berichtet, Lud habe Troja nova (Trino-
vantum) vergrössert und befestigt und ihm dann den namen
Kaerlud gegeben. Darüber sei er mit seinem bruder Neunius
in streit geraten, der den namen Troja erhalten wissen wollte.
Wace I, 61 ff', erwähnt nicht Nennius, ebensowenig Lag. I,
86 flf.
G. V. M. II, 10. Bladud richtet die bäder in Kaer Badum
ein und weiht sie der Minerva: in cujus (Miucrvae) aede in-
extinguibiles posuit ignes, qui nunquam dcficiebant in favillas,
sed, ex quo tabescere incipiebant, in saxeos globos vertebantur.
Wace I, 80 sagt nur: (Bladus) fist en cest temple uu feu ar-
dant Qui ne faloit ne tant ne qant. Ebenso Lag. I, 121 ; in
J?ere temple he lette beornen Enne blase of füre, ]>e neuer ne
a)?eostrede, Wintres ne sumeres, Ah euer nie |?at für bette,
Swa pe king haihte^ to wrÖscipe his Isefdi, )>e leof him wes
on heorten.
G. v. M. IV, 16. Lobrede aufArviragus mit herbeiziehuug
eines verses aus Juvenal. Wace I, 245 schreibt nichts der-
gleichen, ebensowenig Lag. I, 422.
G. V. M. IV, 20. Nachdem Faganus und üuvianus das
Christentum verbreitet haben, gehen sie nach Rom, wo der
papst ihnen ihre einrichtungen bestätigt. Sie kehren dann mit
neuen apostelu nach Britannien zurück, wie Gildas berichtet,
und befestigen die neue lehre immer mehr. W. I, 249 lässt
dies hinweg, ebenso Lag. I, 435.
G. V. M. VIII, 3. \'erherlichung des Aurelius. W. 1, 367
findet sich nichts derart, während es doch dort stehen müste,
wäre W. an dieser stelle G. v. M. gefolgt. Auch Lag. schliesst
den kämpf mit den Sachsen direct an die Verbrennung des
Vortiger an, II 256, nur stehen ein paar zeilen über Aldolf
dazwischen.
QUELLEN LAYAMONS. 541
G. V. M. XII, 1. Etlielfiid verstösst seine erste gemahlin,
die mutter Edwinen; diese flieht zu Caduau. W. übergeht II,
263 ff. diesen umstand und ist daher genötigt, die erzählung
etwas zu ändern. Ebenso Lag. III, 205 ff.
Diese beispiele mögen geniigen (denn auf Vollständigkeit
ist es hier nicht abgesehen) zu beweisen, dass Lag. in einer
reihe änderuugen sicli W. anschliesst und nicht G. v. M. folgt.
Doch verschwiegen darf nicht bleiben, wie es auch manche
stellen gibt, wo Lag. niclit mit Wace, sondern iuit G. v. M. zu
gehen scheint.
G. V. M. I, 7. Beim stürme auf die feste Spaiatin weiden
die belagerer mit Graeco igne zurückgetrieben. W. weiss
I, 17 V. 333 nur: Li altre (die belagerten) ont feu aparillie
Si l'ont sor le berfroi lancie. Lag. dagegen dichtet I, 27 : Mid
stelene orde And mid starka biten, Mid stocken and mid
stanen Stal fiht heo makeden, Mid Grickisce füre. — Man
könnte hier an directe entlehnung aus G. v. M. denken, allein
zur zeit, als Lag. dichtete, war das griechische feucr im abend-
lande schon sehr wol bekannt und gerade an dieser stelle
kann es Lag. sehr gut aus eigener erfindung hinzugesetzt
haben.')
G. v. M. V, 12 schildert, wie Inbaltus, herzog von Armo-
rica, von Maximian geschlagen wird. Inbaltus fällt. W. I,
278. Hombaut wird vollständig geschlagen, doch der tod
dieses fiirsten wird nicht erwähnt. Bei Lag. steht: Humbald
heo slogen And fiftene |?usende |?er weoren islagen And idon
of lifda^gen. — Allein es gehörte keine grosse erfindungsgabe
dazu, aus der schlachtbcschreibung des Wace den tod des
führers zu folgern, auch ohne kenntnis des Werkes Gottfrieds.
G. V. M. V, 15. 115. Geschichte von Ursula und den
11000 Jungfrauen. G. weiss nichts von der Verbindung mit
Köln, sondern die fürstentochter, nachdem liie mädchen Schiff-
bruch an der armorischen kiiste erlitten haben, geht dort zu
gründe. W. schliesst die erzählung I, 287:
Onze mil en turent menees
Et eu Cologne decolees.
>) Vgl. Warton, History of English Poetry. Ed, by Carcw lla/Jitt.
London 1S71. Vol. II, p. 154.
542 WUELCKER
Ursele tii <> celos prise
Et si fu 0 ccles ocise;
Martyre furcut, saintes sont,
Cil del pais grant feste fönt.
La^. II, 72 ff. berichtet, wie Gr. v. M., nichts von Köln.
Man könnte dalier glauben, La^. habe sieh hier G. v. M. an-
geschlossen. Jedoch die legende vom märtyrertod ist offen-
bar in Wacc erst später hinzugesetzt worden. W. sagt p. 285
V. 6166: Onze mil eu a assamblees; 11000 Jungfrauen also
unternahmen die fahrt, p. 286 aber lesen wir:
Mnlt par i ot nes perillies
Et mescines a dol noies;
Alqantes qui en escaperent
Et entre paiens ariverent,
Ocises furent et vendues
Et en servage retenues.
Elftauscnd Jungfrauen fahren aus England; ein grosser,
ja der gröste teil kommt beim stürme um; diejenigen, welche
ans land sich retten, werden von den wilden küstenbewohnern
getötet oder in Sklaverei geschleppt, und trotzdem sollen nach-
her wider die elftauseud nach Köln gelangen , um dort zu
sterben. Mit diesen widersprächen aber noch nicht zufrieden,
berichtet der text des Wace: Eine anzahl dieser (getöteten!)
Jungfrauen geraten in die gewalt des Ivains und des Melga,
die die meisten umbringen, da sie ihnen nicht zu willen sein
wollten. — Alle diese Ungereimtheiten beweisen deutlich, dass
die Verbindung der sage mit Köln erst später von einem sehr
ungeschickten abschreiber eingeschoben wurde und nicht im
ursprünglichen texte W.s sich fand. Also auch hier folgte
Lag. den wort3u Waces. Bemerkt sei, dass weder Le Roux
de Lincy, noch auch Madden III, 347. 48 anstoss an diesen
Widersprüchen nahmen.
G. V. M. IX, 9 heisst es von Lot: Lot, qui tempore Aure-
lii Ambrosii sororem ipsius duxerat: ex qua Walgauum et
Modedrium genuerat etc. W. erwähnt II, 69 von kindern nur
Gavains. Lag;, dagegen II, 509 schreibt: |>a wes Walwain
lute child, 8wa wes pe oÖer, Modr?ed, his brob'er. Jedoch
konnte Lag. die angäbe, dass Walwain und Modnpd brüder
wären, loicht aus dem zusammenhange ergänzen, ohne G. v. M.
vor sich zu haben.
QUELLEN LAYAMONS. 543
Ausser den angeführten stellen 'finden wir bei La^. noch
eine anzahl propliezciungen des Merlin, welche hei W. fehlen,
hingegen im 7. buche Gottfriedt; stehen. Z. b. La^. ill, 79 ff.,
vgl. dazu G. V. M. VII, 3 und W. II, 187, ferner La^. III, 137,
G. V. M. VII, 4 und W. II, 226; auch Lag. III, 290 führt die
Merliuische Weissagung weiter aus, als Wace II, 295 ; vgl. G.
V. M. VII, 3. Wir wissen nun aber, dass die Prophezeiungen
Merlins als besonderes werk in England umliefen; hat doch
Gotfried wahrscheinlich selbst in seinem 7. buche ein solches
seiner chronik einverleibt. Lag. benutzte ausserdem, vv'ie sich
gleich zeigen wird, auch noch andere keltische quellen, also
auch hier verrät nichts, dass L. die schrift G.s vorlag.
Aus der ganzen Untersuchung über die dritte quelle Laga-
nions ergibt sich also, dass Lag. wirklich Wace seinem werke
zu gründe legte und nicht G. v. M. daneben gebrauchte, denn
alle die scheinbaren directen entlehnungen aus G. v. M. lassen
sich auch anders erklären.
Wace ist die hauptquelle des Lagamou und auf das werk
des Wace beruft sich denn auch der englische dichter als auf
das buch schlechthin, vgl. z. b. I, 158: al swa pe boc (hs.
bac) teilet. Allein Lag. folgte nicht sklavisch seiner vorläge,
oft fügt er aus seinem wissen sagen und erzählungen von ge-
schichtlichen Vorgängen ein, bisweilen auch übt er kritik und
verbessert falsche Ortsangaben seiner vorläge, an andern stellen
allerdings macht er wider neue fehler. Schon der ganze stil
des Engländers ist sehr verschieden von dem des Normannen
(Lag. ist bedeutend breiter, als W.), aber auch sonst tritt der
Engländer liäufig in Lag. hervor. Einzelne eigentüralichkeiten
Lagamons seien nun noch betrachtet.
Zunächst sind die eigennamen verschieden behandelt. Lag.
nahm ihm unbekannte namen aus W., wie dieser sie gibt:
Eneas, Ascanius, Remus and Romulus, Cunedagius weisen die
volle form auf, weil diese sich bei Wace findet. Andere da-
gegen sind, wie bei W., romauisiert: Latinus wird zu Latin =
Latins bei Wace, Lucius zu Lucas etc. Aehnlich verhält es
sich mit den Ortsnamen: französische und fremde gibt Lag. in
der bei Wace gel)rüuchlicheu form: z. b. France, Flandres,
Loherenne, Peitou, Spanie, Alemaine, Neustrie, auch Britaine.
In Irlande und Islande erhielt W. die germanische form. Da-
544 WUELCKER
gegen gebraucht L. Englelond, Englene loud, Aenglelond,
Anglclond, aber nie Englcteric, Augletcrre, Engletcre, wie bei
Waee; stets IScotland, nie Escocc. Ebenso finden sich die
nanieu englischer orte bei Lag. in der germanischen form,
nicht wie bei Wace: SuÖvvalcs nicht Surgalois, Salesburi nicht
Salebierc, Cantuarebuvi nicht Cantorbiere, Cirechestre nicht
Silsestre. Ags. namen, die V/ace, wenigstens in den uns vor-
liegenden hss. oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt, erscheinen
bei L. wider in ursprünglicher form. Ein beispiel genüge hier:
Der kämpf zwischen Ceadwala und Eadwine fand auf einem
felde statt, welches Wace (II, 280) Elfcde nennt. Dass der
zweite teil der Zusammensetzung *feld' ist, springt in die
äugen. G. v. Monm. XII, 8 spricht davon campus, qui
Hevenfeld appellatur. Es ist dies eine offenbare ver-
wechylung mit der walstatt, wo Oswald ein kreuz errichtete
und Penda besiegte. Brut Tysylio gibt den namen gar nicht an,
Lag. dagegen schreibt III, 254: pG stude hebte Hie dfeld.
Ebenso Beda II, 20: J?a wa3s gebodeu hefig gefeoht
mycel on H je]? fei da. Beda und Lag. haben hier den ags.
namen, während er bei Wace bis zur Unkenntlichkeit ent-
stellt ist.
Lag. gibt aber nicht nur den ags. namen ihre wirkliche
gestalt wider ; auch bei den keltischen sehen wir einen grossen
unterschied zwischen Lag. und Wace. Lag. wurde zu Ernlege
bei Badstoue priester, er lebte also auf der Westseite des
Severn. Geboren war er wol auch nicht weit davon. Ob-
gleich der name Lagamon auf germanische abstammung deutet,
wohnte er in einer gegeud, welche lange zeit keltisch gewesen
und ganz von keltischem lande umgeben war. Sicherlich, wie
wir unten sehen werden, benutzte er keltische sagen, seine
Vertrautheit mit dem keltischen zeigt sich ferner auch in den
namen, welche er in seinem gedickte gebraucht. G. v. M. la-
tinisierte die keltischen namen, Wace französierte sie. Lag.
aber gibt die bekanntesten in einer mit dem keltischen über-
einstimmenden, oder wenigstens nahe stehenden form. Z. B.
der name der gemahlin Arturs lautet
bei G. V. M. Ganhumara (X, 2. 13, XI, 1), Guanhumara (IX, 9);
„ Wace Genievre.
„ Brut Tys. Gwenhwyfar.
QUELLEN LAYAMONS. 545
im Mabinogi. Gwenliwyvar.
„ Contes Popul. Gwennivar.
„ Lag. text A. Wenhauer, Wen heuer.
„ „ „ B. Gweuayfer.
Hier ging offenbar Lag. auf die keltische form zurück und
nahm nicht die von Wace gegebene an.
Einen beiden Arturs nennt
G. V. M. Hoelus.
Wace. Hoel.
Brut Tys. Howel.
Mabinogi. Howel.
Lag. A. u. B. Howel.
Der verwante und Verräter Arturs heisst
bei G. V. M. Modredus.
„ Wace. Mordred.
„ Brut Tys. Medrod.
„ Lag. Modred, Modrted, Moddred, Modread.
Auch bei dieser gelegenheit also scbloss sich Lag. nicht an
Wace au.
Wie Lag. sonst verfuhr, dafür diene zur vergleichung die
stelle, wo sich Artur zur entscheidungsschlacht gegen Lucius
rüstet. Wir finden dort die verschiedenen heerführer aufge-
zählt. Bei G. V. M. steht diese beschreibung X, 6; bei Wace
II, 191 ff.; Lag. III, 85; Brut Tys. p. 562.
1. Auguselus, rex Albaniae G. — Aguisel d'Escosse W. — Angel,
kinge of Öcotlande (B. fehlt) L. — Aaron ap Cynfarh T.
2. Cador, dux Coruubiae — Cador de Cornuaille — Cador, ]>e eorl
of Cornwaille (B. fehlt). — Cador, graf von Cornwall.
3. Gueiinus Carnotensis — Gerains de Cartain — Gerin (B. Ga-
ryn), ]>e eorl of Chtestrc — Geraint Caerwys.
4. Boso de Richiden (Oxinefurd) — Bos — Bos, eorl of Oxeuuorde
— Bosso von Oxford.
5. Aschil rex Dacorum — Echille, roi des Danois — Escil, king
]fe Denisce — Achle, könig von Dänemark.
6. Lot, rex Norwegensium — Loth, le roi des Norois — Lot, \>o
leof was }?an kinge (Loth B.)- — Llew ap Cynfarch , künig
von Prydyn.
7. Uoelus, dux Armoricauormu. — Hoel — Howel of Brntaine —
Howel ap Emyr von Bretagne.
S. Walguainus, nepos regis — Gauvains — Walwain (Wawcyn B.).
— Gwalchmai ap Gwyar.
546 WUELCKER
!). Cajus dapifer — Eex jnsticiers — Kai , stiward j'as kiiif^es —
Cei, der lange,
id. Beduerus pincerna, — Beduer, li boutcilliers — Beduer, ]>o was
kiiigcs birle — Bedwyr ap Pedrod.
1 I. lluldinus, dux Rrilenorum — Holdin, quens de Flandres —
Hüweldin (Holdeyu B.), }'e eorl of Flandres. — Holdins, iurst
von llnyten.
12. Guitardiis, dux Pictavensium — Guitart, le Poitevln — Guicard
(III, 7(1 Guitard, B. Gwitard). — Guitard, fürst von Poictoii.
13. Vigenis de Legecestria (Jugein IX, 12) — Jugein de Leicestre
— Wigein, eorl of Leicestre — Owen von Caerleou.
14. Jonathal Dorecestrensis — Joaathas de Dorecestre — Jonatan
(Jouathas B.), eorl of Dorchestre — Gwynwas von Cargaint.
]:>. Cnrsalem de Caicestria — Curfalain de Cestre (II, 2()S Cursa
de Cestre) — Curselein (Cursaleyn B.) of Chastre — Gwrsalem
von Dorchester.
16. Urbgennlus de Badone (Urgennius IX, 12) — Urgain de Bade,
li quens (II, 208 Urgens, Urgent). — Urgein, eorl of BaTie (II,
630. Urien) — Urien von Bath.
Bemerkt sei Doch, dass Wace 4 vor 3 stellt imcl La^.
macht es ebenso. Auch Tys. schliesst sich au uud stellt auch
noch 15 und 16 um.
Es ergibt sich aus dieser Übersicht die richtigkeit der
obij2:eu behauptung, dass Laj. bei den bekanntesten namcn
sich der keltischen form anschliesst oder wenigstens, von W.
abweichend, sie dem keltischen mehr anähnelt. Bei den un-
bekannteren folgt er Wace. Allerdings sei hier auch bemerkt,
dass die hs., welche Le Roux seinem drucke zu gründe legt,
die namen gerade oft mehr verderljt hat, als andere hss. urifl
dass sich Le Roux öfters sicheilich verlas,') Allein bei 7, 8, 9,
wo kein versehen derart stattfand, steht Lag. zweifelsohne dem
keltischen näher als seine vorläge.
Doch nicht nur durch eiufügung der keltischen namen,
auch durch herbeiziehimg von sagen, die keltischen Ursprung
verraten, zeifft sich Lag. vertraut mit dem keltischen. Es
kann wol kaum ein zweifei sein, dass Lag. viele derselben
mündlicher Überlieferung verdankt. Erstlich finden wir diese
erzähluugen in keiner der früheren schriftlichen quellen, dann
beruft Lag. sich an zwei stellen geradezu auf Volkslieder. Die
•) Madden wies an verschiedenen stellen versehen nach, z. b. III,
321 zu p. 167, wo Le Eoux Lucion statt Ludon druckt u. s.
QUELLEN LATAMONS. 547
eine ist III, 155: Cavrie, auch Kinrie genannt, war im kami)fe
nicht glücklich, daher verspotteten ihn seine eigenen landsleute:
tblc hine gunnen haenen,
folc hinc gunne hatien
and hoker lo?i sungen
bi la?5en f'an kingen.
Die erwähnung, dass im volke spottlieder auf den könig ge-
sungen worden seien, steht weder bei Wace II, 23G noch bei
G. V. M. XI, 8. — Ferner II, 397 : Als Uther Octa und Ebissa
geschlagen und Verulam erobert hatte, da sangen die Soldaten
(hired - men) :
Her is Vder Pendragun
icume to Verolames tun
and he hsefued idubbed swa
Octa and Ebissa and Ossa,
and itah heom a londen
lagen swiÖe strenge,
]:'at raen niagen teilen,
heore cun to spelle,
and jjer of wurchen songes
inne Saexlonde.
Dieses spottlied auf die Sachsen konnten doch nur Kelten
überliefern. Weder G. v. M. VIII, 23 noch Wace II, 33 ff.
kennen dasselbe. Im letzteren falle muste also La^. keltische
Volkslieder haben, welche zai seiner zeit noch gesungen wurden.
Aber auch die andern sagen und erzähhmgen tragen ein so
volkstümliches gepräge, dass kein grund vorhanden, zu bezwei-
feln, dass La^. sich auch an andern stellen auf mündliche
Volksüberlieferung stützte. Auch der umstand, dass geiade die
geschichte Arturs mit so vielen neuen zügen bereichert ist,
deutet auf welsche ül)erlieferung hin. Gleich die geburt dieses
beiden ist sehr ausgeschmückt bei Laj. G. v. M. geht merk-
würdig rasch über dieses ereignis hinweg. VIII, 19 sagt er:
Concc}»it (Igerna) itaque eadem uocte celeberiunim illum Ar-
turum, qui postmodum ut celebris esset, mira probitate pro-
meruit. Ferner VIII, 20: Commanserunt (Uther et Igerna)
deinde pariter non minimo amore ligati: progcuueruntquc fdium
et filiam; fuit autem filii nomen Arturus, filiae vero Annae.
Dann hören wir nichts von Artur bis zu seinem 15. Jahre
(IX, 1). Nicht mehr weiss W. davon zu berichten (II, 2(j und
30), La^. dagegen erzählt, wie elfen den neugebornen begabten
548 WUELCKER
(II, 384) und ihn fäliii;- machten, später so grosse taten aus-
zuführen. — Auch bei den waffen, welche Artur trägt, setzte
La^. (II, 46;i) aus volksiiberlieferung hinzu. Zunächst sei be-
merkt, dass La^. deu schild Arturs Pridwcn nennt, G. v. M.
hat Priwen (IX, 4), W. II, 53 ff. nur in einer hs. Pridweu.
Die welsche form aber hat d, wie Tys. zeigt: Prydwenu. Der
Speer heisst Kon bei Lag. Ebenso die keltischen quellen und
G. V. M. •), W. dagegen Roit, Roil. An anderer stelle, beim
kämpfe gegen Frollo, spricht Lag. (II, 576) von einer lanze
Arturs: hit wes imaked i Kairmert^in bi a smift pe hebte
Griffin. Weder an der entsprechenden stelle bei G. v. M. IX,
11 noch Wace II, 86 steht etwas ähnliches.
Allein bei beschreibung der w^affen Arturs wurden von
Lag. nicht nur keltische, sondern auch germanische sagen
herbeigezogen. Der name des helraes Goswhit deutet auf
deutscheu Ursprung, ebenso dürfen wir wol im aluisc smi<1
Wygar unsern deutschen ^Vieland suchen."-) — Volkssageu
verraten sich auch bei der beschreibung des sees Lumond,
von dem es heisst (II, 489) :
]7at water is unimete brade;
nikeres l?er badieÖ inne,
l^er is ajlueue ploje
in atteliche pole.
Vgl. dagegen W. II, 60 und G. v. M. IX, 6. Aehnlich be-
richtet Lag. über einen andern see p. 500: alfene hine dulfeu.
Die erwähnung der elfenköuigin Argante gehört ebenfalls der
welschen volkssage au (vgl. II, 546 und III, 144). II, 597 er-
zählt Lag., Carleon sei verhext. Hier allerdings behauptet
Lag.: summe bokes suggeÖ to i wisse, }mt )>a burh wes bi-
wueched. Die volksüberlieferunff tritt dann wider bei der
') Bei den Kelten heisst die lanze Rhön gomyant oder Rom-cym-
myniad (the spear of command), vgl. San -Harte p. 374. Daraus, dass
GotttV. V. Monm. die lanze nur Ron (= kurze lanze) nennt, kommen
San-Marte zweifei, ob Gottfr. überhaupt welsch verstand. Allein warum
kann er nicht diese berühmte wafte gerade die lanze kurzweg nennen V
-) Wieland war noch in späterer zeit in England als kunstreicher
Schmied bekannt, vgl. Torrent of Portugal, ed. by James Orchard Halli-
well. London 1842, p. 19: My sword that so wylle ys wrowyt . . . .
Thorrow Velond wroght yt wase.
QUELLEN LAYAMONS. 549
darstellung- von dem für die sage wichtigsten ereignisse aus
Arturs leben, der grüudung der tafeirunde, und ebenfalls l)ei
Arturs tode, hervor. G. v. M. übergeht die einrichtung der
runden tafel kurzer band, Wace II, 74 erwähnt nur, Artur
habe die Koonde Table gegründet, damit jeder der ritter gleich,
keiner über dem andern süsse und ferner, dass die Briten \ie\
über die tafeirunde fabelten. Die geschichte, bei welcher ge-
legeuheit die tafelruude gegründet wurde, ferner die erzählung
vom handwerker in Cornwall, stösst uns zuerst bei Lag. auf;
Lag. entnahm sie offenbar welschen Überlieferungen. Nicht
minder bringt L. bei dem tode Arturs einen neuen sagenhaften
zug herein. G. v. M. XI, 2, ebenso W. II, 230 fi". berichten
nur, der totwunde Artur hätte sich nach Avallou bringen
lassen. Ebenso Tys. — Lag. fügt dagegen noch der rede, die
er den schwerverwundeten könig halten lässt, an (III, 144):
And ich wuUe uareu to Aualun,
to uairest alre maidene,
to Argante,') J^ere quene,
aluen swiöe sceone,
and heo scal mine wunden
inakieu alle isunde,
al lial me makien,
mid haleweije drenclien.
And seoöe ich cumen walle
to mine kineriche,
and'Vunien mid Brntten
mid muchelere wunue.
Aefne |?an worden
l'er com of se wenden,
l^at wes an sceort bat liöen,
sceouen mid vt5en;
and twa ^vlmmen Iper inne
wunderliche idihte.
And heo nomen ArÖur anan
and aneouste hine uereden
and softe hine adun leiden
and forÖ gunnen heo liÖen.
Dies seien genug beispiele dafür, dass Lag. offenbar
volkssagen, und zwar welschen Ursprunges, einfügte. Auch
sonst treffen wir manchen alten sagenhaften zug bei Lag. So
III, 237, wo Galarne sich ihrem bruder Brian durch einen
*) Ueber Argante vgl. Grimms mythologle p. 384 anm.
Beiträge zur geschichte der deutscbeo spräche. lU. 3^
550 WUELCKER
ring zu erkennen gibt, auch dass am ende des kampfes von
Artur gegen Modred noch drei beiden übrig geblieben sind
(vgl. III, 143):
J?a nas )?er na mare ....
buten ArÖur \>e king ane
and of Ins enihtes tweien.
Einfluss des Keltentums verrät sich aber bei La^. auch in
anderer weise. Häufig werden in seinem werke ereignisse un-
günstiger für die Angelsachsen und vorteilhafter für die Kelten
dargestellt, als bei W. und G. v. M.
G. V. M. VI, 14 erzählt von dem tode Vortimers: Sed
bonitati ejus invidit ilico diabolus: qui in corde Kowen, uo-
vercae suae, ingressus eam incitavit, ut neci ipsius immineret :
quae aseitis universis, dedit illi per quendam familiärem suum
venenum potare, quem innumerabilibus donariis corruperat.
Waee I, 341: Roven, come male marastre, Fist empuisonner
son fillastre, Vortimer, que ele haoit Por Hangist que cacie
avoit. In beiden Schriftstellern vergiftet wenigstens Rowen
ihren Stiefsohn nicht selbst, bei Lag. dagegen geschieht dies
(II, 200 ff.) und wird damit der Charakter dieser frau noch
verwerflicher. Auch gibt sie vor, sie wolle christin werden
und hintergeht daher Vortimer auf doppelte weise.
Octas Unterwerfung wird G. v. M. VIII, 8, W. I, 378 dar-
gestellt. Bei Lag. II, 277 demütigt sich aber der Angelsachse
weit mehr vor den Briten, als bei W. und G. v. M.
Utherpendragons tod wird, nach G. v. M. VIII, 24, dadurch
herbeigeführt, dass die Sachsen die quelle, aus welcher der
könig trinkt, vergiften. Ebenso berichtet W. II, 36 ff. Lag.
fügt noch hinzu, die mörder, die sich als kranke und arme
leute ausgaben, wären vorher von Uther auf die liebevollste
weise aufgenommen, gespeist und beherbergt worden. Lag. II,
400 ff. Also auch hier werden die Sachsen noch ungünstiger
von Lag., als in seiner quelle, dargestellt.
G. V. M. IX, 1 und 2 berichtet: Artur habe nach seiner
krönung zu London einen kriegsrat zusammengerufen und
dann den kämpf gegen die Sachsen begonnen. W. erzählt
weiter: Artur habe geschworen, nie, so lange er lebe, mit den
Sachsen friede zu schliessen (II, 40). Bei Lag. wird dieser
schwur, wodurch also Artur sich als den beständigen gegner
der Germanen zeigt, noch weit feierlicher geleistet (II, 414).
QUELLEN LAYAMONS. 551
Die bisherige imtersucliung ergibt also, dass Lag;, neben
Wace auch noch keltische quellen benutzte und dadurch neue
stlicke seiner dichtung anfügte. Auch sonst, in der art der
darstelluug, zeigt sich öfters einwirkung des Keltentums.
Allein La^. war Germane und auch die germanische
heldendichtung scheint ihm wol bekannt gewesen zu sein. An
das vorzüglichste erzeugnis derselben, das Beowulflied, finden
sich in Lag. anklänge.
Gleich am anfange des Brut steht die erzählung vom
ringkampfe des Coriueus mit dem riesen Goemagog; Lag. hat
sie an der entsprechenden stelle ebenfalls aufgenommen. Ist
mithin die geschichte auch keine erfindung des englischen
dichters, so ist doch die ausschraückung derselben eigentümlich
und es sind, wie mir scheint, ztige aus Beowulf eingeflochten.
Vgl. G. V. M. I, 16 und W. 1, 52 ff. Allerdings muste ja
auch jedem, welchem das Beowulflied bekannt war, unwill-
kürlich bei dem ringkampfe des Geomagog (Goemagog) mit
Corineus der des Grendel mit Beowulf einfallen. Schon I, 77
die bezeichnung des riesen: Geomagog... J?at was pe
heihste, godes AviÖersaka, J?e wurse hine luuede ent-
spricht Beowulf 787 godes andsaca (ebenso 1683). Wie in
Beow. HroÖgar und seine duguÖ vom Ungetüme überfallen
werden, so bei Lag. Brutus and his dugeÖe (Wace: Brutus
et li Troyen).
Beim ringkampfe sagt W. p. 55 unter anderem:
Dont les veist on bien suer
Et des nes froncher et sofler,
Faces noircir, iels roellier etc.
Letzteres überträgt Lag.:
läßliche laeches
hco leiteden mid ejan.
Ebenso heisst es von Grendel, als er zum kämpf zieht
(Beow. 727):
him of eagum stod
lijo gelicost leoht unfaejer.
Auch am Schlüsse, als Geomagog besiegt und getötet wird,
wird von ihm gesagt (I, 81):
and |nis \>(i lue je sca'Öe
ferde to helle,
36*
552 WÜELCKER
Achnlich wird Grendel: liearm-, ieod-, |?eod - sceac^a g-enannt
und ebenso sagt der dichter vom totwunden Grendel (851):
deaöfaeje deoj, siööan drcama leas
in fen-tVeoSo feorh alegde
hseÖene sawle, ]f?er him hei onfeng.
Docli noch an einer andern stelle scheint La^. das Beo-
wulfslied vorgeschwebt zu haben: beim tode Arturs. G. v. M.
XI, 2 berichtet nur: Sed et inclytus ille Arturus rex letaliter
vulneratus est, qui illinc ad sananda vulncra sua in insulam
Avallonis advectus, cognato suo Constantino, filio Cadoris ducis
Cornubiae, diadema Britanniae concessit. — Ihm folgt W. , II,
230 ff.:
Artus, se l'estore ne ment,
Fu navres el cors morteleinent;
En Avalon se fit porter
Por ses plaies mediciner . . .
AI fil Cador de Costentin ')
De Cornuaille, xin sien cosin,
Livra son raine, si li dist
Qu'il fiist rois tant qu'il reveaist.
Lag. dagegen erzählt, wie Cadors söhn und Arturs ver-
wanter, Constantin, auf dem schlachtfelde zu dem totwunden
könige kommt und dieser ihm sein reich übergibt, ehe er dann
nach Avalion fährt. Eine ähnliche scene findet sich beim tode
Beowulfs, als dieser Wiglaf, des Weohstan söhn, zum nach-
folger ernennt.
Aus den angeführten stellen lässt sich wol folgern, dass
Lag. das Beowulflied kannte.
Wo Lag. nicht aus Wace oder aus keltischer und germa-
nischer Überlieferung schöpfte, hat er auch vieles offenbar aus
eigener erfindung eingeschoben; allerdings sind dies meist nur
stellen geringeren umfanges, allein sie geben gerade seiner
dichtung ihr eigentümliches gepräge. Bei vielen gelegen heiten
treten hier schon die acht englischen charaktereigentümlich-
keiten hervor. Offenl)ar hatten damals die leute, für welche
Lag. schrieb, eine Vorliebe für reden (denn anders lassen sich
die vielen eingeschobenen und erweiterten reden bei diesem
dichter nicht erklären), eine Vorliebe, welche jetzt noch den
') So liest die hs. Das Verhältnis i^t offenbar liier vciürchi und
Constantin ist der söhn Cadors.
QUELLEN LAYAMONS. 553
Engländern eigentümlich. Auch die jagd, besonders die fuchs-
jagd, muss damals in England sehr beliebt gewesen sein, wie
die beschreibung II, 451 beweist. Allein auch das jagen des
kranichs mit falken und huuden kennt Lag. genau, vgl. II,
422. Weiter zeigt sich bei ihm auch noch die grosse Vorliebe
für Sentenzen und sprücliwörter, welche schon die Angelsachsen
besassen. Z. b. I, p. 29 : He deÖ him selua freoma, pn helpeÖ
bis freondene; p. 32: Nis nawer nan so wis mon, |>at me ne
mai biswiken; p. 43: pe riebe haueÖ muchel rum to raesen
biforen |?an wrecchan; p. 45: he mot nede beien, J^e mon |?e
ibunden biÖ. — Auch der den Engländern eigene humor ver-
rät sich schon bei Lag. an verschiedenen stellen. Man ver-
gleiche z. b. Lag. Schilderung, wie der riese sich sein mahl
bereitet, mit der des Wace II, 152. Nimmt man noch dazu,
dass sich Lag. auch der alten volkstümlichen reimart, des Stab-
reimes, im allgemeinen wenigstens, bediente, so können wir
als sicher annehmen, dass Lagamons dichtung seiner zeit
recht beliebt Avurde, ein zeichen dafür sind ja auch die zwei
hss. dieses umfangreichen Werkes. Dass unser dichter aber
nicht mehr auf andere gleichzeitige einwirkte, dass sein buch
verhältnismässig rasch vergessen wurde, ist nicht die schuld
Lagamons, sondern kam daher, weil er in einer periode schrieb,
wo das Germanentum in England noch sehr zurückgedrängt
war und überhaupt die ags. literatur darnieder lag. Ein
weiterer grund mag darin gesucht werden, dass die Artus-
sage, die doch einen hauptbestandteil der dichtung Lagamons
abgab, bald eine ganz andere ausbildung erhielt und die dar-
stellungsweise Lagamons veraltet erscheinen muste. Damit
war der stab über den dichter gebrochen, denn die britische ge-
schichte vor Artur erregte wol nie grosses Interesse in England.
Im anschlusse an die letzten bemerkungen sei noch die
frage erörtert, ob Lagamon in der Artussage schon einen
fortsehritt gegen Wace zeigt. Bereits oben wurde erwähnt,
dass der dichter einige sagen über Artur hinzufügte, auch
sonst zeigen sich manche kleine Verschiedenheiten von Wace,
die beweisen, dass, als Lag. schrieb, die Artussage auch schon
in Westengland weiter gebildet und verändert worden war.
Gleich das lob, welches Artur bei seiner tronbesteigung gezollt
wird, ist in den verschiedenen werken verschieden. G. v. M,
554
WUELCKER
Erat autem Arturus . . . inauditae virtutis atque
in quo tantam gratiani innata bonitas praestiterat,
IX, 1 sagt
liberalitatis
ut a cunctis populis amaretur.
Wace. V. 9249.
Lcs teces Artus vous dirai,
Noiaut ue vous cu mentirai:
Chevalier l'u niult vertuos,
Mult proisau8 et mult glorios,
('ontre orgilleus tu orgillos
Et contre humle dols et pitos,
Fers et hardis et conquerrans,
Et se besoigols le requist,
S'aider li pot, ne rescondist.
Mult ania pris, nnilt ama glore,
Mult valt son fait raetre en raemore ;
Servir se fist cortoisement
Et mult se maintaint noblement.
Tant com il vesqui et raina,
Tos autres princes sormonta
De cortoisie et de proesce
Et de valor et de largece.
Lagamon. v. 19930.
pa. per Art5ur wes king,
haircne nu seollic l'ing.
he wes raetecusti
aelche quikc mouue,
cniht raid ]7an bezste,
wunder ane kene.
he wes l^an gungeu for fader,
l^an alden for frouer,
and wiÖ j^au unwise
wunder ane sturnne.
woh him wes wunder laÖ
and ]?at rihte a leof.
Aelc of his birlen
and of his burfjaeinen
and his bercnihtes
gold beren an honden,
to ruggen and to bedde,
iscrud mid gode webbe.
Nefde he neuere naenne coc,
l7aet he nass kempe swide god,
neuser nanes cnihtes swein,
]7at he nacs bald ]>em.
\>e king heold al his hired
mid hajgere blise
and mid swulehe j^inges
he ouercom alle kinges,
mid raehgere strengtSe
and mid richedome.
Bei La^. wird schon das hauptgewicht auf Arturs frei-
gebigkeit und auf seine gerech tigkeitsliebe gelegt. Aehnlich
finden wir in den Artusromanen den könig gezeichnet. Ein
grosser teil der abenteuer geschieht daselbst, indem Artur den
unterdrückten zu hülfe eilt. Auch die reiche, prachtvolle hof-
haltung, wie sie die spätem romane darstellen, wird hier schon
augedeutet.
III, 3 wird bei La^. ebenfalls die ritterlichkeit Arturs
gepriesen. Er trifft den riesen schlafend an und weckt ihn
auf, da er ihn nicht im schlafe töten will. Wace berichtet,
Artur hätte Dinabuc wachend gefunden (11, 152 ff.). — III, 88
QUELLEN LAYAMONS. 555
wird Artur wider eine neue eigenschaft gegeben. Es wird be-
tont, dass Luces, sein gegner, und dessen mannschaft nicht
rechte Christen seien, meist geradezu beiden. Artur steht daher
hier als Verteidiger des Christentums da. Er sagt von Luces
truppen :
And pis beoc5 }>cai' forcut5este man and to Mahune heo tuhteö;
of alle qiüke monnen, and Luces ]:'e kasisere
li3e(5ene leode, of godd seolf naueö nane care,
godd heo seondeÖ laöe. j'at hafueÖ to iuer
Ure drihten heo bilaeuet5 hac5ene hundes.
Im übrigen hebt Laj. hervor, dass auch die gegner Arturs
tüchtige leute, während W. öfters verächtlich von denselben
spricht. Durch La^amous verfahren ge\'\innt natürlich auch
nachher die tapferkeit des siegers. Ebenso wird III, 111 her-
vorgehoben, wie hoch Artur die leiche des erschlagenen Lucius
ehrte, um zu zeigen, wie auch hier der könig den anforderuugen
der ritterlichkeit nachkam. Vgl. dagegen Wace II, 217. —
Neben Artur spielt auch schon der spätere lieblingsheld der
Engländer, Walwain (Gawein), eine grössere rolle. Im kämpfe
gegen die Eömer, welchen W. II, 175 ff. erzählt. Lag. III, 61 fi'.,
stellt Lag;, die heldentaten Walwains in ein weit helleres licht
und weiss mehr davon, als Wace. Ebenso im kämpfe gegen
Modred und Childrich tritt Walwains tapferkeit weit mehr
hervor, als bei Wace. Vgl. Lag. III, 132 ff. W. II, 223; und
über den tod dieses geliebten beiden weiss W. nur zu sagen :
Ocis i fu Gavains ses nies ;
Artus ot de lui dolor grant
Car il n'amoit nul home tant.
Lag. dagegen setzt noch bei:
l^er wes Walwain aslaeje sseri wuröe his saule.
and idon of life daje pa, wes Art5ur sseri
|nirh an eorle Sexisne, and sorhful au beorte for|>i.
Es scheint also Lag. auch schon eine Weiterbildung der Wal-
wainsage bekannt gewesen zu sein oder er bereicherte die-
selbe aus eigener erfindung mit neuen zügen, in der festen
Überzeugung, bei seinen zuhörern ein besonderes Interesse
gerade für diesen beiden zu finden.
LEIPZIG. RICHARD WUELCKER.
yji OSTHOFF - BERICHTIGUNG.
Berichtigung-.
Das verdienst, got. auJisin-s, auhsin zuerst als schwache
casiisforuien erkannt zu haben, g-ebiihrt nicht Delbrück, dem
ich oben s. 59 es irrtümlich zugeschrieben habe. Bei Delbrück
findet sich a. a. o. dieser gedanke noch gar nicht. Dahin-
gegen ist vielmehr Bopp es gewesen, der in seinem vergleich,
accentuatioussystem s. 206 f. zuerst die parallele zog zwischen
den erhaltenen schwachformigen casus der -ar-stämme {bropr-s,
h7'opr) und den entsprechenden der stamme auf -an- und sich
wörtlich folgendermasseu darüber ausdrückte: 'Ausser den
Stämmen auf -a;-- gibt es in der gotischen consonantischen
dedination nur stamme auf -an-, und zwar sehr zahlreiche.
Diese aber können das dem endconsonanten vorhergehende a
in den genannten casus nicht unterdrücken; statt dessen
schwächen sie es zu /.' So erweisen sich denn nach Bopps
richtigem dafürhalten der gen. auhsin- s und der endungslose
dativ auhsin 'als möglichst getreue analoga von hropr-s, bropr,
während in dem zu den starken casus gehörenden accus, die
Stämme auf -an- ihr a ungeschwächt und die auf -ar- dasselbe
unverdrängt lassen, daher stimmt in diesem casus auhsan (skr.
ukshän-am) zu hropar! Und weiterhin sagt endlich Bopp:
' Es gehört dieser Überrest der sanskritischen Spaltung in starke
und schwache casus zu den interessantesten erscheinungen des
gotischen Sprachorganismus, worauf ich auch schon in meiner
vergl. gramm. (§ 134) aufmerksam gemacht habe.'
Dies mein versehen, dass ich dem einen forscher zuschrieb,
was ihm gar nicht zukommt, den richtigen urheber aber un-
erwähnt Hess, wolle man mit ungünstigen zeitverhältnisseu
entschuldigen, welche mich während der correctur des obigen
aufsatzes betrafen und es mir unmöglich machten, auf die
letzte durchsieht der angeführten citatstellen überall die nötige
Sorgfalt zu verwenden.
LEIPZIG, 14. october 1876. H. OSTHOFF.
Halle, Druck von E. Karras.
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Beiträge zur Geschichte der
1 3003
deutschen Sprache und
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Literatur
Bd. 3
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